&.-. EEE een nee Tr TE a a tn gen aa ei ERROR RE NE RRLELT N BRRBEN HN ERBLTEE TIL SCENE TUNER IE LAUT) Received Accession No. Given by Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratory without the permission of the Trustees. Biologisches Uentralblatt. Unter Mitwirkung von ‘Dr. M. Reess wma Dr. E. Selenka Professor der Botanik Professor der Zoolowije herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Dreizehnter Band: 1893. Mit 19 Abbildungen. Leipzig. VB a,e\ vom BE daasnid,.Bievs,o lid. (Arthur Georgi.) 1893. | Kgl, b. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Fr. Junge (Jünge & Sohn) in Erinngen. Inhaltsübersicht des dreizehnten Bandes. I. Botanik. Seite Sachs, Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen-Physiologie . . . . 31 Bay, Wie verhalten sich die Bewegungserscheinungen im Pflanzenreiche zu denen im Tierreiche? . . . De BRUAN ER Errera, Ueber die Ursache einer phy losen Bewiikmeh. ir; Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie 97, 161, 193, 257 Bokorny, Die Vakuolenwand der Pflanzenzellen . . . MHAsgaN 271 Loesener, Ueber das Vorkommen varı Domatien bei de Gaktung Jlex 449 Wieler, Ueber das Vorkommen von Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen . . . ANETTE Klebs, Ueber den Einfluss des Tichtes auf al F nlaranar der Ge- wWachsergnanlahrgehtiun Th ai, PRINT I AGAT II. Zoologie. v. Erlanger, Bemerkungen zur Embryologie der Gasteropoden . . . N Herbst, Ueber die künstliche Hervorrufung von Dottermembranen an unbefruchteten Seeigeleiern nebst einigen Bemerkungen über die Dotter- hautbildung überhaupt . . . . Na Zacharias, Ein infusorieller u, ber Sumasserhächen et 3 Wasmann, Lautäußerungen der Ameisen . . . RE. v. Linden, Die Selbstverstümmelung bei bern na Werner, Zoologische Miszellen . . . gan Se a a une b) Lauterborn, Bemerkungen zu dem ak „Die Erforschung des großen Plöner Sees“ SO ENE, 93 Weltner, Bemerkungen über er Ba dl 1 Et wiekluns ns daraus der Spongilliden . . . TERN EN EN) Salensky, Ueber die Ram ar Reset sE Tunieatenx.14..:,7,126 Emery, Intelligenz und Instinkt der Tiere . . „u, AD Zacharias, Die mikroskopische Organismenwelt ke SPERREN in he Beziehung zur Ernährung der Fische . . . . 2... N EI IV Inhaltsübersicht. Seite Emery, Zirpende und springende Ameisen . . a rer miRd Brehm’s Tierleben, Die Insekten, Tausendfüßer und Spinnen el Zacharias, Eingekapselte Saugwürmer am Herzen einer Maräne . =.192 v. Wagner, Der Organismus der Gastrotrichen . . . ee er 22 Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise (Monomorium Phataoris) er AA Derselbe, Futteränderung bei einem Laufkäfer . . .. 2.2.2.2. .255 Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau in Gent . . . 2 ......2% Voigt, Neues über die Nester der Ameisen . . . 280 v. Wagner, Einige Bemerkungen über das Verhalinis von ohtogenis und Regeneration . . . ne 2 RAD, Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung ee: es 9320 List, Zur Entwieklungsgeschichte von Pseudalius inflexus Bil Do DS ar. Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane 342 Urbanowicz, Note pr&liminaire sur le developpement embryonnaire du Maia Squinado . . . . le er en RENT BAR Imhof, Ceriodaphnia (Ciadotara) i er a Zacharias, Fauna des großen Plöner Such Wen RER NN Burekhardt, Das Zentralnervensystem von Pr planten nnektens LH Emery, Ueber die Herkunft der Pharao- Ameise . . . 435 Römer, Vorticella vaga, eine neue ungestielte elle aus He Um gebung von Jena. . . nk au. nenah HR A6A Werner, Studien über ee Erscheinen im ererzöich 1 4744574 Bauer, Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern . . ar CENT Castracane, La Bilnodılaione delle Bieten HP PED RE NER AD Chun, Leuchtorgan und Facettenauge . . . MR, f na Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Bolatonien wis Baar), DEil607 Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetieres . . . 2 ..2.202..2..719 Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften . 758 Knauthe, Zwei Fälle von latenter Vererbung der De n, bei CYPEINOIden ne, hs eb ee : Pe) III. Anatomie, Anthropologie, Histologie, Entwick- lungsgeschichte. Stieda, Ueber cranio-cerebrale Topographie .. . . ..... ... x, 25,90 Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen . . 2 ee Lwoff, Ueber die Keimblätterbildung bei den ae nr AR vom Rath, Kritik einiger Fälle von scheinbarer Vererbung von Ver- letzungen . . . 65 Braem, Das Prinzip N ln Ken En die Se lungsmechanischen Studien von H. Driesch . . . . ...2...146 Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz . . . eb Nu. 1 A Brauer, Zr Kenntnis der Herkunft des ann ae Weismann, Das Koimplasma .. . . 0. 1 2m 233l, 389. Ansabps Inhaltsübersicht. v Seite Nusbaum, Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung der ersten RN Lebergefäße und deren Blutkörperchen bei den Anuren . . . 306 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Hassons 241309 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie . . . 397 Nusbaum, Materyaly do Embryogenii i Histogenii Röwnonogöw no 429 Kalischer, Neurologische Mitteilungen . . . 440 Stieda, Veher die Homologie der Cliedmaton der Sängatiere a Ad Menschen . . . er: yiı Roux, Ueber die Snezihkation der nrehunescelen und über die bei der Postgeneration und Regeneration anzunehmenden Vorgänge . . 612, 656 Todaro, Arbeiten aus dem anatomischen Institut zuRom . . . 630 Ellenberger, Handbuch der vergleichenden Histologie und Phy ode ie MER /Haussäuzstiere 1.0.0010 % alas nette ed IV. Physiologie. Margherita Traube-Mengarini, Ueber„gie Permeabilität der Haut 30 Luceiani, Die Physiologie des Kleinhirns . . . . . HEBEN: bu Lueciani, Vorstufen des Lebens . . BERNER "179, 206 Capparelli, Methode zur Aufbewähling! 1ER Bahlkrona und zur Zube- zeitung des pankreatischen Saftes*-. mini I le Loew, Natürliches System’ der Giftwirkungen ".")"r . . 1. 22.22.7885 Gillespie, The bacteria of the stomach 5 SL; SER SNAIE Derselbe, On the gastrie digestion of proteids . . . . BE IE Capparelli, Zur Frage des experimentalen Pihkködsdiabeter „495 Ballowitz, Ueber die Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen . . 625 Solkmiede Zur Bintlehre 00.000 5 a na ne V. Verschiedenes. Schultze, Ueber die Be der Lage und Richtung im 'Tier- körper . ER: De N Ra | Biologische Nomenklatnr, here u eh ee ee ee en EI Programm für den neunten Bressa ler Preis > Bad ae ES Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften . . . . 94, 382, 448, 512 Pizzighelli, Anleitung zur Photographie für Anfänger . . . . . . 256 Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten . . . 256 Delage, Ueber die Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Abhand- Inugen 7; N RE AREIBSEN Reisebeschreibung dr Planktön: Empadison KR RE N EN EOS ANTR732 Haccius, Variolo-Vaceine. Contribution a !’&tude des ee qui existent entre la variole et la vaceine . . . 375 Wilekens, Die Vererbung erworbener Fipensähieften vom Siandnankte der landwirtschaftlichen Tierzucht inbezug auf Weismann’s Theorie der Vererbung . rar: v0 VI Inhaltsübersicht. Seite Friedländer, Ueber das sogenannte Verbrennen der Haut . . . . . 498 Haacke, Die Träger der Vererbung . . . #525 Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s rent einer desktptiven emino! 10816. 74: ... 5 ran 5 904 Spencer, Die hntlinglichkeit der Unatnnlichen Zuchtwahle ß 696, 705, 137 Field, Ueber die Art der Abfassung naturwissenschaftlieher Litteratur- VELZEIEHNLSIEH RI RR IR VEN SE ET SEIFE EI Berichtigungen. Ss. 23 Zeile 11g. lies: „Hautparasit“ statt „Hauptparasit*. Sail DE VENE 5 „Fruchtträger oder sporangientragende Hyphen* statt: „sporangientragende Haare“. Und der Schlusssatz (auf S. 119) sollte lauten: ... gegen denjenigen Punkt, in welchem es nicht etwa ein Maximum oder Minimum von Feuchtigkeit findet, sondern in dem es, innerhalb gewisser Grenzen, entweder am meisten oder am wenigsten transspirieren wird. 8.192 Z. 8 v. o. lies: „Eeiton“ statt. „Dorylus“. S. 449 2.12 un Glazious statt: ‚Glazien“ S. 450 2. 4 040% 2. Maxts statt3, Mast, S. 450 Z. 13 „Blattränder“ statt: „Blättränder*“. S. 450 Z. 11 U. „ „siehereren“* statt: „sicheren“. SAD ZA U. „ „Blättern“ statt: „Blätteru“. S. 452 2.18 v.o. „ „Mittelnerv“ statt: „Mittelmeer“. S. 452 Z. 24 v.0. „ „Fig. B* statt: „Fig. 2%*. aısız=z Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIII Band. 15. Januar 1893, Nr. l. Inhalt: Schulze, Ueber die Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. — Erlanger, Bemerkungen zur Embryologie der Gasteropoden. — Herbst, Ueber die künstliche Hervorrufung von Dottermembranen an unbefruchteten Seeigel- eiern nebst einigen Bemerkungen über die Dotterhautbildung überhaupt. — Zacharias, Ein infusorieller Hauptparasit bei Süßwasserfischen. — Stieda, Ueber cranio -cerebrale Topographie. — Margherita Traube - Mengarini, Ueber die Permeabilität der Haut. — Sachs, Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen - Physiologie. — Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen, Ueber die Bezeichnung der Lage und Richtung im Tier- körper. Von Franz Eilhard Schulze. Im Mai 1392 habe ich in den Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin einige Ideen über die Wahl zweck- mäßiger Ausdrücke zur Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper mitgeteilt. Nachdem ich inzwischen die Frage weiter studiert, einige Punkte mit zoologischen und anatomischen Fachgenossen durchgesprochen und auch die von anderer Seite!) gemachten Vor- schläge eingehend geprüft habe, erlaube ich mir, meine Ideen mit einigen Modifikationen und Erweiterungen auch hier vorzutragen. Zunächst will ich die Prinzipien, welche mir für die Wahl der Ausdrücke von Bedeutung waren, in Form kurzer Thesen zusammen- stellen und diesen, wo es nötig erscheint, einige Bemerkungen bei- fügen. I. Jede Bezeichnung soll eindeutig sein. Demnach sind alle Ausdrücke zu vermeiden, welche nicht vom Tierkörper selbst entnommen sind, sondern sich auf die Umgebung oder etwa auf die Richtung der Schwerkraft beziehen, wie z.B. „horizontal“, „vertikal“, „oben“, „unten“, „vorne“, „hinten“, „Basis“ u. dergl. 4) Vergl. besonders Wilder and Gage, Anatomical Technology. 2. ed. New-York and Chicago. XI, i 2 Schulze, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. II. Die Bezeichnungen sollen zunächst Begriffe ausdrücken, welche sich auf bestimmte stereometrische Grundformen der symmetrisch gebauten Tierkörper beziehen, und welche als Punkte, Linien, Riechtungszeichen, Flächen und Regionen inoder an diesen Grundformen darstellbar sind. Zu diesem Zwecke hat man jeden der meist sehr kompliziert ge- formten Tierkörper auf eine möglichst einfache stereometrische Grund- form, also etwa auf die Kugel, Walze, Kegel, Spindel, Prisma, Pyra- mide, halbe Pyramide etc. zurückzuführen und von derselben bei der Wahl der Bezeichnungen auszugehen. Auch können einzelne symmetrisch gebaute Körperteile, wie z. B. der Augapfel, der Schädel, eine Extremität, für sich und ohne Be- ziehung zum Gesammtorganismus bei der Beschreibung als selbständiger Körper behandelt werden. Die zunächst gradlinig gedachte Haupt- oder Prinzipalaxe kann etwaige Biegungen des Körpers als Führungslinie mitmachen und so zu eimer gebogenen Linie umgewandelt werden. Während die Betrachtung sich ursprünglich nur auf die äußere Gestalt bezieht, und alle Axen dementsprechend zu ziehen sind, ist es auch zulässig, die Axen auf einzelne bestimmte Organsysteme zu beziehen und dementsprechend anders zu konstruieren. Jedoch muss dies stets besonders hervorgehoben und durch die Bezeichnung der Axe bestimmt ausgedrückt werden. So wird man z. B. in einer aus- schließlich das Skelettsystem des Wirbeltierkörpers berücksichtigenden Beschreibung die Prinzipalaxe in die Führungslinie der Chorda legen dürfen, aber dann als Chordoprinzipalaxe zu bezeichnen haben. Bei einer Darstellung des Nervensystemes der Wirbeltiere wird man die Prinzipalaxe in die Führungslinie des Rückenmarksrohres samt Gehirnerweiterung legen können, aber dann als Neuroprinzipalaxe besonders bezeichnen müssen. IH. Die Bezeichnungen sollen an und für sich allge- mein verständlich sein. Man hat daher nur solche Ausdrücke (sei es unverändert, sei es mit möglichst geringer Modifikation) zu verwenden, welche entweder schon jetzt mit ganz bestimmter Bedeutung in Gebrauch sind, oder von allgemein bekannten Dingen oder Verhältnissen entnommen sind, wie z. B. caudal, lateral, äquatorial. Damit die vorzuschlagenden Ausdrücke auch Aussicht auf allge- meine, d. h. internationale Annahme und Verwendung gewinnen, em- pfielt es sich, sie mit griechischen oder lateinischen Wortstämmen zu bilden. Daneben wird jedoch für diese so fixierten Begriffe auch ein prägnanter Ausdruck in jeder einzelnen modernen Sprache erwünscht sein, welcher etwa für populäre Darstellungen benutzbar ist. IV. Es ist wünschenswert, differente, jedoch womög- lichmit demselben Wortstamme gebildeteAusdrücke einer- Schulze, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. 3 seits für allgemeine und umfassende, andrerseits für einen oder mehrere engere, spezielle, jenen weitgreifen- den Begriffen subordinierte Begriffe zu haben. V. Synonyme sind zulässig und sogarerwünscht, sobald sie wirklich ganz denselben Begriff ausdrücken. VI. Die Bezeichnungen sollen korrekt gebildet, mög- lichst kurz, flexibel und einigermaßen wohllautend sein. VII. Es empfielt sich, für die verschiedenen Begriffs- kategorien durchgängig bestimmte eigentümliche Adjek- tiv- und Adverbial-Endungien festzuhalten; z. B. alle Ad- verbialbezeichnungen der Lage auf al (resp. an), diejenigen der Rich- tung dagegen nach dem Vorgange von Cleland, Wilder u. a. auf ad enden zu lassen. Hiernach wäre also das von Cleland vorgeschlagene Wort „eephalic“ neben caudal, dorsal, ventral ete. nieht zu empfehlen. Alle nicht absolut unregelmäßigen Körper können nach ihren Symmetrieverhältnissen in drei Gruppen gebracht werden, je nachdem ihre Mitte 1) durch einen Punkt, 2) durch eine Linie, 5) durch eine Ebene dargestellt wird. Diejenigen Körper, deren Mitte nur durch einen Punkt, das „Centrum“ repräsentiert wird, wollen wir Synstigmen (orıyua = Punkt) nennen. Solche Körper, deren Mitte nur durch eine Linie ge- geben ist, bezeichnen wir als Syngrammen (yoauun —= Linie). Alle Körper endlich, deren Mitte durch eine Ebene, dargestellt wird, sollen Sympeden (nedov — eben) oder Bilaterien heißen. 1) Die Synstigmen oder punktsymmetrischen Körper, Centrostigmen Haeckel’s. Die stereometrische Grundform der Synstigmen wird repräsentiert durch die Kugel oder ein regelmäßiges endosphärisches Polyeder. Die den Mittelpunkt — das Centrum — umschließende Region heißt cen- traloder proximal, die auf dasselbe zuführende Richtung aber — ent- sprechend unseres deutschen Centrum- oder centralwärts — centrad oder proximad. Die vom Centrum entfernt gelegene, also der Ober- fläche genäherte und dieselbe einschließende Region heißt im Gegen- satze zur centralen Region distal, während die Richtung vom Centrum ab als distad zu bezeichnen ist. Es scheint mir nun sehr zweckmäßig, den äußersten Grenzfall der centralen oder distalen Lage durch eine geringe Modifikation der Endung ausdrücken zu können; und ich schlage deshalb nach Analogie des allbekannten und mit so großem Vorteile benutzten Wortes median, im Gegensatze zu medial, hierfür die Endung an vor, so dass also centran die Lage im Centrum selbst und distan die Lage 1# 4 Schulze, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. in der Grenzfläche bezeichnet. Es haben demnach z. B. die radiären Stacheln einer Acanthometra eine eentrane Spitze an ihrem cen- tralen Endteile; während die radiär ausstrahlenden Pseudopodien desselben Radiolars an ihrem distalen Endteile eine distane End- spitze haben. Sonach drückt das auf al endigende Adjektiv oder Adverb einen weitergreifenden, umfassenderen Begriff aus, während dasselbe Adjektiv oder Adverb mit der Endung an einen speziellen extremen Fall, gleichsam den Superlativ jenes Begriffes bezeichnet. Während jede durch den distanen Endpunkt eines Radius gehende und zu diesem letzteren rechtwinklig gerichtete Linie oder Ebene, mag sie nun mit einem Teil der Grenzfläche zusammenfallen oder mit dieser nur einen Punkt gemein haben, als tangential bezeichnet wird, nennen wir alle diejenigen Linien oder Ebenen, welche parallel mit jenen liegen, paratangential. Dieselben können mehr oder weniger distal oder proximal (central) liegen; sobald sie durch das Centrum selbst gehen, heißen sie centran. 2) Die Syngrammen oder liniensymmetrischen Körper, Centraxonien Haeckel’s. Als stereometrische Grundformen von Syngrammen oder linien- symmetrischen Körpern können Rotationskörper aller Art (mit Aus- nahme der Kugel) wie Ellipsoide, grade Zylinder, grade Doppelkegel, Spindeln, einfache Kegel ete., ferner grade Prismen, grade Doppel- pyramiden, grade einfache Pyramiden ete. in Betracht kommen. Diejenige Limie, zu welcher alle Teile des Körpers symmetrisch liegen, heißt „Prinzipalaxe“. Ihre beiden Endpunkte werden, falls sie nicht von einander verschieden sind oder nicht unterschieden werden sollen, termini genannt. Die ganzen Endteile heißen terminal, die bestimmte Lage in einem der beiden Endpunkte selbst wird da- gegen durch terminan, die Richtung auf denselben zu durch ter- minad ausgedrückt. | Für den Mittelpunkt der Prinzipalaxe ist der Ausdruck Centrum, für etwas, was grade in demselben gelegen ist, centran, für die ganze Region desselben central, für die Richtung auf denselbon centrad zu gebrauchen. Was in der Prinzipalaxe liest, heißt axian, was ihr genähert oder in ihrer Gegend (im Gegensatze zu Entfernterem) liegt, proxi- mal, was ihr zugerichtet ist axiad. Was von der Prinzipalaxe entfernt liegt, heißt dagegen distal. Die Richtung von der Prin- zipalaxe wird durch distad, die Lage in extremer Entfernung von der Prinzipalaxe, also in der Seitengrenzfläche, durch distan be- zeichnet. Hinsichtlich der Anwendung der Worte „proximal“ und „distal“ stimme ich demnach ganz mit Froriep überein, welcher im Anatom. Anzeiger, Jahrg. 1892, VII, 8. 764 überzeugend nachgewiesen hat, Schulze, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. 5 dass dieselben nur in dem von ihrem Erfinder, Owen, ursprünglich gemeinten Sinne, nämlich als „der Prinzipalaxe näher oder ferner liegend“ anzuwenden sind. Die oben geschehene Uebertragung auf die Synstigmen, scheint mir unbedenklich. Jede Ebene, welche durch die Prinzipalaxe gelegt wird und diese enthält, heißt „meridian“; alle ihr parallelen Ebenen heißen para- meridian. Die Ebene, welche rechtwinklig zur Hauptaxe durch deren Mitte, das Centrum, gelegt wird, heißt transversan, alle dieser parallelen Ebenen sind paratransversane, deren es orale und aborale gibt. 3) Die Sympeden oder Bilaterien, ebenensymmetrischen Körper, Zeugiten oder Centrepipeden Haeckel’s. Den Sympeden oder Bilaterien kommen drei rechtwinklig sich kreuzende Axen zu, von welchen zwei heteropol sind, während die dritte isopol ist. Von den beiden heteropolen Axen heißt die eine Prinzipalaxe oder Hauptaxe, die andere Dorsoventralaxe. Beide zusammen bestimmen diejenige Symmetrieebene, welche die spiegelbildlich gleichen Seitenhälften des ganzen Körpers von einander scheidet, und welche Medianebene heißt. Die dritte, isopole Axe durchsetzt diese Medianebene senkrecht, führt von einer Seitenhälfte des Körpers zur entgegengesetzten, spiegel- bildlich gleichen, und soll deshalb Perlateralaxe heißen. Alles, was in der Prinzipalaxe selbst liegt, heißt ebenso wie bei den Syngrammen axian, was in ihrer Gegend liegt axial oder besser proximal im Gegensatze zu dem von der Prinzipalaxe entfernter gelegenen, welches distal heißt. Mit axiad oder proximad wird die Richtung zur Prinzipalaxe hin, mit distad die Richtung von der Prinzipalaxe weg bezeichnet. Die beiden differenten Enden der Prin- zipalaxe werden mit rostral!) und caudal bezeichnet. Während die betreffenden Endpunkte oder Endflächen selbst als rostran und caudan zu bezeichnen sind, wird die Richtung auf die- selben mit rostrad und caudad angegeben. Die beiden diiferenten Endteile der Dorsoventralaxe heißen dorsal und ventral, die be- treffenden Endpunkte oder Endflächen dorsan und ventran, die Rieh- tung auf dieselben dorsad und ventrad. Die beiden gleichen Endteile der Perlateralaxe werden als dex- tral und sinistral, die betreffenden Endpunkte oder Endflächen als dextran und sinistran, die Richtung auf sie als dextrad und sinistrad bezeichnet. 1) Die früher von mir angewandte Bezeichnung „proral“ (von prora = Schiffsvorderteil) gebe ich zu Gunsten dieses weit zweckmäßigeren Ausdrucks rostral (von rostrum — Schnabel und Schiffsvorderende) um so lieber auf, als rostral mit caudal in derselben Begriffssphäre liegt und in dem hier vorge- schlagenen Sinne schon vielfach benutzt ist. 6 Schulze, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper. Das Centrum ist der Mittelpunkt der Prinzipalaxe, in welchem, diese von den beiden anderen Axen geschnitten wird. Was in dem- selben selbst liegt, heißt centran, seine ganze Region central, die Richtung auf ihn centrad. Allen Sympeden kommen drei rechtwinklig sich schneidende Orientierungsebenen zu, deren jede von je zwei der soeben be- sprochenen Körperaxen bestimmt wird. Als Medianebene wird nach Henle’s Vorgang diejenige dieser drei Ebenen bezeichnet, welche die beiden heteropolen Axen, also die Prinzipalaxe und die Dorso- ventralaxe enthält und durch dieselben bestimmt wird. Sie allein ist die wahre Symmetrieebene, insoferne alle Punkte beider Körper- hälften zu ihr paarweise symmetrisch liegen. Alles was genau in dieser Medianebene liegt, wird median, das ihr nahe liegende me- dial genannt, im Gegensatze zu dem entfernter gelegenen, welches lateral heißt. Für die Richtung zur Medianebene wird das Wort mediad, für die entgegengesetzte, d. h. von der Medianebene abge- wandte laterad gebraucht. Die beiden spiegelbildlich gleichen Seiten- hälften, welche durch die Medianebene geschieden sind, werden als dextral und sinistral unterschieden, ihre äußersten, von der Median- ebene am weitesten entfernten Punkte und Flächen als dextran und sinistran, die Richtung nach rechts und links als dextrad und sinistrad bezeichnet. Diejenige Ebene, welche die heteropole Prinzipalaxe und die isopole Perlateralaxe enthält und durch diese beiden Axen bestimmt ist, heißt Frontanebene. Sie scheidet die ventrale Körperhälfte von der differenten dorsalen. Die äußersten, am weitesten von dieser Frontanebene entfernten Punkte oder Flächen heißen ventran und dorsan, die entsprechende Richtung ventrad und dorsad. Leider lässt sich das Wort frontal nicht gut nach Analogie von medial für die der Frontanebene nähere Lage anwenden, da es jetzt schon in einem anderen Sinne benutzt wird, ebenso wird einstweilen das Wort frontad im Sinne der Richtung auf die Frontanebene zu vermeiden sein, da es Missverständnisse verursachen könnte. Man wird sich da mit ventrad und dorsad helfen müssen. Die dritte Orientierungsebene, welche die heteropole Dorsoventral- axe und die isopole Perlateralaxe enthält und durch diese beiden Axen bestimmt ist, steht senkrecht zur Prinzipalaxe und den beiden anderen Orientierungsebenen; sie scheidet die rostrale Körperhälfte von der stets differenten caudalen und heißt Transversanebene. Auch hier ist der Ausdruck transversal im Sinne einer der Transversan- ebene näheren Lage und transversad im Sinne der Richtung zur Transversanebene zu vermeiden, da transversal jetzt allgemein im Sinne von „quer zur Prinzipalaxe“ gebraucht wird. Für transversad kann man jedoch mit Beziehung auf die Endpunkte der Prinzipalaxe die Be- zeichnungen rostrad und caudad gelegentlich passend substituieren. v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. % Alle Ebenen, welche einer der drei soeben charakterisierten Orientierungsebenen parallel liegen, werden durch ein der Bezeich- nung der betreffenden Orientierungsebene vorgesetztes para (resp. par vor Vokalen) bezeichnet z. B. Parafrontanebene, Paratransversan- ebene ete. Man wird also von rostralen und caudalen Paratrans- versanschnitten sprechen und einen besonders wichtigen, weil durch die Mitte der Hauptaxe gehenden, den Körper in eine rostrale und caudale Hälfte teilenden Transversanschnitt unterscheiden. Ebenso wird man außer dem Frontanschnitt, welcher die ven- trale Körperhälfte von der dorsalen scheidet, dorsale und ventrale Parafrontanschnitte erhalten. Neben dem bekannten ausgezeichneten Medianschnitte, welcher die rechte Körperhälfte von der spiegelbildlich gleichen linken trennt, sind dextrale und sinistrale Paramedianschnitte auszuführen. Das schon längst eingebürgerte Wort sagittal wird ganz zweck- mäßig in dem bisherigen Sinne beizubehalten sein, indem es die Median- ebene nebst sämtlichen Paramedianebenen umfasst. Eine Sehnittserie von Sagittalschnitten, in welche irgend ein bilaterales Tier zer- legt ist, wird also außer vielen dextralen und sinistralen Paramedianschnitten einen dextranen, einen sinistranen und einen medianen Schnitt enthalten. Bemerkungen zur Embryologie der Gasteropoden, Von R. v. Erlanger. Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg. I. Ueber die sogenannten Urnieren der Gasteropoden. Seit einigen Jahren mit der Entwicklung und der Anatomie der Gasteropoden beschäftigt, verfüge ich über eine Anzahl eigener Be- obachtungen sowie auch über einige, die ich hauptsächlich der Liebens- würdigkeit meines Freundes Herrn Dr. Mazzarelli [10] aus Neapel verdanke, und welche, wie ich glaube, einiges Licht auf die Homologie derjenigen Organe werfen, die bis jetzt unter dem Namen Urnieren zusammengeworfen worden sind. Zunächst will ich vorausschicken, dass unter den Mollusken im . Allgemeinen, derartige Bildungen nur bei den Gasteropoden sensu strietiore und den Lamellibranchiaten beobachtet worden sind, Den Cephalopoden fehlen sogenannte larvale Organe vollständig, so dass bei denselben weder ein Velum noch Urnieren‘) vorkommen. Gewöhnlich wird das Fehlen solcher larvaler Organe bei den Cephalo- 1) Wenn man von der Behauptung Brooks absieht, welcher bei Lolögo ein rudimentäres Velum gesehen haben will. W.K. Brooks, The development of the Squid (Loligo Pealii Lesneur). Annivers. Mem. Boston Soc. Nat. Hist. Boston 1880. 8 v. Erlanger, Embıyologie der Gasteropoden. poden einfach dadurch erklärt, dass die Entwicklung innerhalb einer Eikapsel verläuft, daher solche Organe überhaupt nicht nötig wären. Dieser Deutung gegenüber möchte ich betonen, dass eine ganze Anzahl von Gasteropodeneiern ihre Entwicklung innerhalb sehr kom- pliziert gebauter Kapseln vollziehen und trotzdem Rudimente eines Velum oder gar ein wohl ausgebildetes Velum besitzen und dass gerade bei solehen Formen die Urnieren den höchsten Grad der Ausbildung zeigen. Eine bessere Erklärung ist jedenfalls in dem Umstand zu suchen, dass die Furchung bei den Cephalopoden, infolge des enormen Dottergehalts der Eier, von der Furchung aller übrigen Mollusken stark abweicht, obgleich auch dieser Grund nicht immer maßgebend sein dürfte. Ebensowenig sind Urnieren bei den Amphineuren beobachtet worden. Ein so genauer Beobachter wie Kowalevski |8?2] würde sicherlich dieselben nicht übersehen haben, wenn die Chitonenlarven urnierenartige Organe besäßen. Auch Pruvot, weichem wir die einzig existierende, allerdings recht oberflächliche Mitteilung, über die Ent- wicklung eines Solenogastren verdanken, gibt nichts über die Existenz solcher Organe bei der Dondersia bangulensis |11] an. Ferner vermissen wir urnierenartige Organe bei den Soleno- conchen [8], deren systematische Stellung trotz mehrfacher neuerer Untersuchungen leider immer noch eine Streitfrage bildet. Allen diesen eben besprochenen Formen kommt aber, im Gegensatz zu den Cephalo- poden, das andere wichtige Larvenorgan, das Velum zu. Ich habe bis jetzt absichtlich von urnierenartigen Organen gesprochen, weil diese Organe in zwei Gruppen zerfallen, welche wenigstens ent- wieklungsgeschichtlich einen scharfen Gegensatz zeigen, nämlich in ektodermale äußere, und mn mesodermale innere Urnieren. Die ektodermalen äußeren Urnieren sind bis jetzt nur bei marinen Prosobranchiaten beobachtet worden. Sie bestehen aus einer oder mehreren größeren Ektodermzellen, welche symmetrisch auf jeder Seite des Embryo, hinter dem Velum und ganz getrennt von demselben liegen. Bei den meisten Formen zeigen sie ganz das von Bobretzky!) geschilderte Verhalten, d. h. die Zellen werden sehr groß, der Kern verschwindet dadurch, dass alle Zellen sich mit einer, sich intensiv durch die gewöhnlich angewendeten Farbstoffe tingierenden Flüssigkeit anfüllen, und schließlich verschmelzen die Vakuolen sämt- licher Zellen zu einem Säckehen, dessen Wand von den Zelleibresten gebildet wird, während das Innere des Säckchens von einer braunen gekörnelten Masse eingenommen wird. Diese Beobachtungen Bo- bretzky’s kann ich im vollsten Maße durch eigene an denselben Objekten, sowie auch an Cassidaria echinophora ausgeführten bestätigen und kann denselben n diesem Falle, trotzdem, dass ich im An- schluss an Rabl’s Behauptung [12], dass Bobretzky’s Abbildungen 4) Bobretzky N,, Studien über die embryonale Entwicklung der Gastero- poden. Arch. f. mikr. Anatomie, XIII, 1877. v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. 3) und angewendete Vergrößerungen zu klein gewesen wären, zur Unter- suchung starke Systeme gebrauchte, nichts neues hinzufügen. Dagegen konnte ich bei Capulus hungaricus |5°| konstatieren, dass die äußeren Urnieren jederseits, nur durch eine einzige größere Ektodermzelle mit deutlichem Kern vertreten sind, und dass diese Ektodermzelle dauernd dieselbe Beschaffenheit zeigt, ohne die Veränderung durchzumachen, welche bei Nassa, Fusus, Natica, Cassidaria und wahrscheinlich den allermeisten marinen Prosobranchiern beobachtet werden können. Capulus scheint mir daher einen Uebergang zu Vermetus zu bilden, bei welchem weder Lacaze-Duthiers [9], noch Salensky [13], eine äußere Urniere gesehen haben, da thatsächlich eine solche fehlt, wie ich ebenfalls aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Fernerhin hat Fol bei den Heteropoden [4a], welche heutzu- tage allgemein als pelagische Prosobranchier angesehen werden, keine äußeren Urnieren beobachtet, während merkwürdigerweise die Hetero- poden Analzellen besitzen, welche sonstnur den Opisthobranchia- ten zukommen. Die inneren Urnieren können in zwei Gruppen zerlegt werden, nämlich in rein mesodermale, welche bis jetzt nur bei Opistho- branchiaten gesehen worden sind, und in zusammengesetzte, d. h. in solehe, deren sezernierende Portion mesodermal, deren ausführender Abschnitt zum größten Teil oder wenigstens zum Teil ektodermal ist. Die zusammengesetzten Urnieren kommen den Süßwasserproso- branchiaten, den Pulmonaten und den Lamellibranchiern zu. Betrachten wir zunächst die rein mesodermalen inneren Urnieren der Opisthobranchiaten und zwar sowohl der Teetibranchier!) wie auch der Nudibranchier?), so lassen sie sich kurz folgender- maßen schildern. Sie bestehen aus einem Säckchen, dessen Wandungen von kleinen, stark abgeplatten, daher auch mit relativ großen Kernen versehenen Mesodermzellen gebildet werden und dessen Inhalt aus einer intra vitam farblosen Flüssigkeit besteht, in welcher verschieden ge- färbte Konkretionen liegen, die ebenfalls in den Zellen der Wand vor- handen sind. An diesen Bläschen ist weder eine innere Oefinung noch ein nach außen führender Gang nachweisbar. Merkwürdigerweise besitzen die Pteropoden keine derartigen Urnieren, wenigstens wird von Fol [4] nichts davon erwähnt. Ueber die Entstehung der Urniere bei Aplysia berichtet Maz- zarelli, in einem an mich gerichteten Brief, kurz Folgendes: „Auf einem sehr frühen Entwieklungsstadium der Larve, d. h. ehe die Bildung der Otocysten vollendet ist und die Torsion sich vollzogen hat, treten in der Nähe des hinteren und ventralen Velarrandes zwei Häufchen von Mesodermzellen innerhalb des sonst in zerstreuie Spindelzellen aufgelösten Mesoderms auf. Bald bildet sich in der 1) Aplysiadae. 2) Aeolididae, Janus, Flabellina. 10 v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. Mitte eines jeden Häufchens eme allseitig geschlossene Höhle. Diese Höhle dehnt sich immer mehr aus, indem gleichzeitig die zellige Wand stetig an Dicke abnimmt und schließlich den schon geschilderten Bau zeigt. Auf dem Stadium, in welchem die Bildung der dauernden Niere (Analauge von Lacaze-Duthiers) vollendet ist, tritt ein Stillstand in der Entwicklung der Urnieren ein und diese bleiben unverändert bis zum Ausschlüpfen der Larve“. Ich glaube Jeder wird nach obiger Auseinandersetzung gerne zugeben, dass die innere, rein meso- dermale Urniere große Aehnlichkeit mit der äußeren ektodermalen zeigt, sobald diese auf das Stadium eines mit Konkretionen angefüllten Säckehens angelangt ist, wozu auch noch die vollständige Ueberein- stimmung in den Lagerungsverhältnissen kommt. Ein weiterer Uebergang zu den höchst komplizierten Verhält- nissen der Urnieren der Süßwasserpulmonaten, welche ganz am Schlusse besprochen werden sollen, findet sich in den inneren zusammenge- setzten Urnieren der Süßwasserprosobranchier und der Landpulmonaten. Die Urnieren zweier Süßwasserprosobranchier sind von mir in ihrer Bildung und ihrem Bau ausführlich geschildert worden, nämlich bei Paludina vivipara [3] und Bythinia tentaculata |]. Die Bildung des sezernierenden Teiles erfolgt in beiden Fällen genau so wie bei der Aplysia. Bei Paludina ist der größte Teil des Ausführungsganges mesodermal, da die mesodermale Anlage der Urniere das Ektoderm durehbricht, erst viel später tritt noch eine geringe ektodermale Ein- stülpung hinzu, wodurch die äußere Oeffnung der Urniere auf den Boden einer kurzen ektodermalen Röhre zu liegen kommt [3°]. Bei Bythinia dagegen ist der ganze Ausführungsgang von vornherein auf eine ektodermale Einstülpung zurückzuführen. Eine innere Ausmündung der Urniere konnte ebensowenig bei Bythinia, als auch bei Paludina, trotzdem viele Mühe gerade auf diesen Punkt verwendet wurde, mit Sicherheit nachgewiesen werden. Bei Paludina wurden Cilien im proximalen d. h. inneren Ende der Urniere beobachtet. In der Arbeit von Blochmann [1] über die Entwicklung von Neritina ist nichts über das Vorkommen von Urnieren mitgeteilt. Ueber die Entwicklung des vierten einheimischen Süßwasserprosobranchiers Valvata wurde leider bis jetzt gar nichts bekannt. Joyeux-Laffuie in seiner Monographie von Oncidium celtieum |7] macht keine Angaben über das Vorhandensein von Urnieren; vielleicht fehlen dieser interessanten Form überhaupt derartige Bildungen, je- doch war die Technik dieses Forschers eine zu mangelhafte, um ein endgiltiges Urteil zuzulassen. Die Urnieren der Landpulmonaten schließen sich, nach allem dem was bis jetzt darüber bekannt geworden ist, eng an diejenigen der Sißwasservorderkiemer an. Aus den Angaben von P. de Meuron!) 4) P. de Meuron, Sur les organes r&naux des embryons d’Helix. Comptes rendus, 98, 1884, p. 693. v. Erlanger, Embıyologie der Gasteropoden. 41 lässt sich entnehmen, dass der sezernierende Teil mesodermal, der ausführende eine ektodermale Einstülpung ist. Weder Fol [4], noch P. de Meuron konnten eine innere Oeffnung der Urniere nachweisen, während Jourdain |6] die Existenz derselben mit Bestimmtheit be- hauptet. Die Arbeit Sarasins!) über Helix Waltonii [15] ist mir augen- blieklich leider nicht zugänglich, so dass ich hier darüber niehts be- richten kann. Zu bemerken wäre, dass während die Urmiere von Paludina und Bythinia gerade gestreckt von vorn nach hinten ver- läuft, die Urniere der Landpulmonaten bereits schwach bogenförmig gekrümmt oder gar geknickt ist und einen Uebergang zu der V-förmig geknickten Urniere der Süßwasserpulmonaten bildet, welche aber noch komplizierter ist als die sonst sehr ähnliche der Lamelli- branchier, die daher zuerst noch besprochen werden müssen. Bei den Lamellibranchiern tritt in der Urniere ein neuer Bestand- teil auf, nämlich eine besonders große, wahrscheinlich durehbohrte Zelle, welehe zwischen dem Ausführungsgang und dem ebenfalls wim- pernden inneren Endgang der Urniere liegt. Eine innere Oeffnung der Urniere von Teredo [5] durch einen Wimpertrichter wird von Hat- schek vermutet, während Ziegler |17] bei Cyelas eine innere Oeft- nung nicht mit Sicherheit beobachten Konnte. Endlich erreicht die Urniere der Süßwasserpulmonaten, welche von Gegenbaur, Bütschli [2], Fol [4] und Rabl |12] beschrieben wurde, den höchsten Grad der Komplikation. Das V-förmige Organ verläuft wie bei den Süßwasserprosobranchiern von vorn nach hinten, d. h. die äußere Oeffnung liegt weiter weg vom oralen Ende als das innere Ende des Organs. Die Existenz einer äußeren Oeffnung, d. h. einer Mündung des Ausführganges auf der Oberfläche des Embryo kann ich gemäß den Angaben von Fol |4#], gegen Bütschli |2] und Rabl |12] mit Bestimmtheit behaupten, da ich dieselbe an ganzen lebenden, sowie auch an abgetöteten gefärbten und aufgehellten Embryonen und außerdem noch an Schnittserien konstatiert habe. Das gleiche gilt auch für die innere Oeffnung, welche schon Fol gesehen hat. Ich habe [3°] schon früher betont, dass diese innere Oeffnung nicht terminal, sondern etwas seitlich vom blindgeschlossenen inneren Ende liegt. Was die Entstehung des Organs anbelangt, so kann ich nur ver- muten, dass der ausführende Teil ektodermaler Natur ist, der sezer- nierende mesodermaler. Dieser Punkt bedarf einer erneuten Unter- suchung. Unverständlich bleibt es mir, dass Fol die große Zelle, welche wir bereits bei den Lamellibranchiern fanden, nicht gesehen hat. Ich habe dieselbe, wie vor mir Bütschli und Rab] an lebenden Embryonen 1) Zusatz bei. der Korrektur. Sarasin beschreibt eine neuere Oeffnung der Urniere durch einen Wimpertrichter und bildet dieselbe nach einem Schnitte ab. 12 v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. und Totopräparaten und auf Schnitten stets mit großer Leichtigkeit entdecken können. Ehe ich die Homologien der bereits unter dem Namen Urnieren aufgezählten Bildungen bei den Gasteropoden und Lamellibranehiern bespreche, wiil ich gegen Sarasin |14] betonen, dass es weder bei den Süßwasserpulmonaten noch bei Bythinia sogenannte äußere Ur- nieren gibt. Wie schon Rabl sagt [12], sind die großen gelben Zellen, welehe buckelförmig auf beiden Seiten der Planorbis- Embryonen vorspringen, nichts anderes als Velarzellen, daher können sie unmög- lieh den äußeren Urnieren der marinen Prosobranchier entsprechen, welche nichts mit dem Velum zu thun haben und durchweg un- bewimpert sind. Dagegen scheinen mir die äußeren Urnieren der marinen Prosobranchier, thatsächlich den inneren der übrigen Gastero- poden nnd der Lamellibranehier homolog, und kann ich daher Mae-Murrich!) nicht beipfliehten, wenn er eine solehe Homologie verwirft. Wüsste man nichts von den Urnieren der Opisthobranchier, so würde der amerikanische Forscher unstreitig recht haben, jedoch bilden die mesodermalen, mit Konkretionen gefüllten Bläschen einen deutlichen Uebergang zwischen den zwei extremen Fällen. Der Um- stand, dass die sezernierenden Zellen der inneren Urnieren meso- dermaler Herkunft sind, während die entsprechenden Zellen bei den marinen Vorderkiemern ektodermal sind, dürfte doch nieht unbedingt Ausschlag gebend sein. Uebrigens erscheint es mir vorderhand noch zweifelhaft, ob den äußeren Urnieren wirklich eine sezernierende Funk- tion zukommt. Es wäre wünschenswert nachzuforschen, ob bei marinen Vorder- kiemern eine innere Niere vorkommt. Ich glaube vor längerer Zeit einen solchen Fall beobachtet zu haben [3] und habe auf der damals angefertigten Skizze nichts von äußeren Urnieren gezeichnet. Wären beide Organe gleichzeitig vorhanden, so würde meine eben vorgetragene Ansicht unhaltbar sein. Einige Anhaltspunkte für die morphologische Auffassung der Ur- niere gibt die Entwieklungsgeschichte der Bythinia |3°]. Bei dieser Form ist schon die Urniere zu einer Zeit fertig gebildet, wo das Mesoderm noch nicht in Spindelzellen aufgelöst ist. Daraus geht her- vor, dass die Urniere sich zu der Furchungshöhle etwa so ver- hält, wie die dauernde Niere zu dem Cölom. Wenn nun die Rotatorien, wie aus der neuesten Arbeit von Zelinka hervorzugehen scheint, kein Cölom besitzen, d. h. ihre Leibeshöhle der Furchungshöhle entspricht, so kann man die Urniere der Mollusken unmittelbar mit den Exkretionsorganen der Rotatorien homologisieren. Da mir das Vor- 1) Er? PlaphairMac Murrich, Notes on the embryology of the Gastero- pods and A Contribution to the embryology of the prosobranch Gasteropods. Stud biol. lab. of the Johns Hopkins University Baltimore, Vol. 3, 1886. v. Erlanger, Embryologie der Gasteropoden. 13 kommen einer sekundären Leibeshöhle oder Cöloms bei diesen Tieren, sowie auch bei anderen, denen sie gewöhnlich abgesprochen wird, nicht sicher ausgeschlossen zu sein scheint, so wäre ein Vergleich mit der Ur- oder Kopfniere der Anneliden vielleicht passender. Keinenfalls aber berechtigt die Koexistenz eines Urnierenpaares und eines dauernden Nephridienpaares bei den Mollusken zu der Be- hauptung, welche von Sarasin [14] und auch von de Meuron!) aufgestellt wurde, dass die Mollusken gegliederte, aus zwei Segmenten bestehende Tiere sind. Niemals ist eine wirkliche Metamerie bei den Mollusken beobachtet worden, nicht einmal die Anbahnung zu einer solchen, wie sie bei den nahverwandten Plathelminthen durch Gunda segmentata bekannt geworden ist. Ferner glaube ich nachgewiesen zu haben, dass Sarasin’s An- gaben über die Entwicklung des Nervensystems bei Bythinia, welche eine weitere Stütze für seine Behauptung bildeten, den Thatsachen nicht entsprechen. Heidelberg, den 8. November 1892. Litteraturübersieht. [il Blochmann F., Ueber die Entwicklung von Neritina fluviatilis Müll. 1. Zeitschrift f. wiss. Zool., 36, 1881. [2] Bütsehli O., Entwicklungsgeschichtliche Beiträge: Ueber Paludina vivipara. Zeitschr. f. wiss. Zool., 29, 1877. [3] Erlanger R. v., Zur Entwicklung von Paludina vivipara. I. Morphol. Jahrb., 17. Bd., 1891. [32] Ders., Zur Entwicklung von Paludina vivipara. Il. Vorläufige Mitteilung. Zool. Anzeiger, 1891. [30] Ders., Zur Entwicklung von Bythinia tentaculata. Mitt. Zool. Station Neapel, 10, 1892. [3°] Ders., Zur Entwicklung von Capulus hungaricus. Zool. Anzeiger, 1893. [4] Fol H., Sur le developpement des Pteropodes. Archives Zool. exp. IV, 1875. [42] Ders., Sur le d&veloppement embryonnaire et larvaire des H&t&ropodes. Ibid. V, 1876. [4b] Ders., Surle d&veloppement des Gasteropodes pulmones. Ibid. VIII, 1879—80. [5] Hatschek B., Ueber Entwicklungsgeschichte von Teredo. Arb. Zool. Inst., Wien, III, 1880. [6] Jourdain S., Sur les organes segmentaires et le podocyste des embryons Limaciens. Comptes rendus, 98, p. 308—310. [7] Joyeux-Laffuie, Organisation et developpement de l’Oneistie. Arch. Zool. exp. X 1882. [83] Kowalevsky A., Etude sur V’embryogenie du Dentäle. Annales Mus. H. N. Marseille Zool. I. 1833. [82] Ders., Embryog£nie du Chiton Poli ete. Ibid. 1883. [9] Lacaze-Duthiers H. de, M&moires sur l’anat. et l’embryogenie des Vermets. 2. Ann. sc. nat. Zool. diem serie, XIII, 1860. [10] Mazzarelli G., Intorno al preteso occhio anale delle larve degli Opisto- branchi. Rendiconti della R. acad. dei Lincei, 1892, T. 14 Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. [11] Pruvot G., Sur le developpement d’un Solenogastre. Comptes rendus, 111, 1890. [12] Rabl C., Ueber die Entwicklung der Tellerschnecke. Morph. Jahrbuch, 5.1849: [13] Salensky W., Etudes sur le d&veloppement du Vermet. Arch. Biol., 6, 1887. [14] Sarasin P. B., Entwicklungsgeschichte von Bithynia tentaculata. Arb. zool. zoot. Institut, Würzburg, 6, 1882. [15] Sarasin P. u. F,, Aus der Entwicklungsgeschichte der Helix Waltonii. Ergeb. Naturforsch. Ceylon, 1884—86, 1. Bd., Wiesbaden 1888. [16] Trinchese S., Materiali per la fauna maritima italiana. Aeolididae e famiglie affıni. Atti acad. dei Lincei, 11, 1883. [17] Ziegler H. E., Die Entwicklung von Cyclas Cornea Lam. Zeitschrift f. wiss. Zool., 41, 1885. Ueber die künstliche Hervorrufung von Dottermembranen an unbefruchteten Seeigeleiern nebst einigen Bemerkungen über die Dotterhautbildung überhaupt. Von Curt Herbst. Es ist bekannt, dass sich von der Oberfläche der Echinodermen- eier sofort, nachdem normalerweise ein Spermatozon in das Innere des Eies eingedrungen ist, eine dünne Membran weit abhebt, welche das weitere Eindringen von Samenfäden verhindert. Die Gebrüder Hertwig!) haben nun bei ihren experimentellen Untersuchungen über den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einfluss äußerer Agentien die interessante Beobachtung gemacht, dass „eine Abhebung einer Membran nicht bloß durch den normalen physiologischen Reiz eines befruchtenden Samen- fadens, sondern auch durch passende chemische Reize hervorgerufen werden kann“ (l. e. S. 38). Sie gelangten zu dieser Thatsache, als sie Eier vor der Befruch- tung mit Chloroformwasser zu narkotisieren suchten. „Zu dem Zwecke schüttelten wir — so berichten sie — Seewasser mit Chloroform, ließen sich das schwere Chloroform absetzen und gossen nach mehreren Stunden die darüber stehende Flüssigkeit ab. Wenn nun Eier in diese gebracht wurden, so hob sich eine Membran augenblick- lich vom Dotter ab, der sonst seine normale Beschaffenheit beibe- hielt“ (1. ce. 8.38). Da diese Entdeckung aus gewissen Gründen mein Interesse er- regte, so beschloss ich, während eines Aufenthaltes an der zoologischen Station zu Neapel, nebenbei einmal das Experiment der Gebrüder Hertwig zu wiederholen, dann zu untersuchen, ob die künstliche 4) ©. u. R. Hertwig, Ueber den Befruchtungs- und Teilungsvorgang des tierischen Eies unter dem Einfluss äußerer Agentien in: Untersuchungen zur Morphologie nnd Physiologie der Zelle, Heft 5, Jena 1887. Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen 45 Erzeugung einer Dottermembran eine spezifische Wirkung des Chloro- forms sei oder ob sich derselbe Effekt auch durch andere Chemikalien erzielen lasse, und mir schließlich einige Aufklärung über die Art und Weise der Bildung und Abhebung der Dottermembran zu verschaffen. Was zunächst den ersten Punkt betrifft, so ist es auch mir gelungen, mit Chloroformwasser an unbefruchteten See- igeleiern Dottermembranen hervorzurufen. Ich verfuhr dabei auf folgende Weise: 50 ebem Meerwasser wurden mit 1 cebem Chloro- form einige Minuten kräftig geschüttelt. Ein Teil der Flüssigkeit wurde abgegossen, mit unbefruchteten Eiern versetzt und emige Augenblicke durch langsames Schütteln in rotierende Bewegung gesetzt. Sämt- liche Eier, welche auf diese Weise behandelt worden waren, hatten die Dotterhaut weit abgehoben; ihr Protoplasma war dabei vollkommen unverändert geblieben, so dass sie von befruchteten Eiern in keiner Weise zu unterscheiden waren. Bei längerem Aufenthalt in Chloro- formwasser sterben die Eier selbstverständlich ab. — Was nun den zweiten Punkt meiner Untersuchung anlangt, ob die Erzeugung einer Dotterhaut eine spezifische Eigenschaft des Chloro- forms ist, so hat sich herausgestellt, dass dies nicht der Fall ist, sondern dass man an unbefruchteten Seeigeleiern auch durch andere chemische Mittel eine Dotterhaut her- vorrufen kann. Ich habe mit positivem Erfolge folgende Stoffe geprüft: 1) Nelkenöl; 2) Kreosot; 3) Aylol; 4) Toluol; 5) Benzol. Von diesen Stoffen sind die beiden schlechtesten Mittel Nelkenöl und Kreosot. Denn wenn sie auch mit Sicherheit die Bildung einer Dotterhaut verursachen, so gewinnt doch durch sie das Protoplasma der Eier meist ein pathologisches Aussehen. Viel besser wirken in dieser Beziehung Toluol und Xylol, und am allerbesten gelangen mir die Versuche mit Benzol. Die Eier, welche in Wasser gebracht wurden, das mit dem zuletzt genannten Stoffe geschüttelt war, glichen den normal befruchteten in jeder Beziehung. Um Gelegenheit zu geben, die Versuche nachmachen zu können, will ich anführen, auf welche Weise ich z. B. mit Benzol Dotter- membranen erhalten habe: 50 ebem Meerwasser wurden mit 3 ebem Benzol einige Minuten lang geschüttelt und darauf filtriert. Werden unbefruchtete Eier in diese Flüssigkeit gebracht, so heben sie sofort eine Dotterhaut ab. Die Abhebung der Membran erfolgte weniger rasch, wenn von dem Benzolwasser nur 2 Teile genommen und mit 3 Teilen Meerwasser versetzt wurden. Die Eier mussten in diesem Falle erst einige Augenblicke mit der Flüssigkeit langsam geschüttelt werden, ehe die Membranbildung vor sich ging, aber der Erhaltungs- zustand ihres Protoplasmas blieb auf diese Weise ein ganz vortreff- licher. Natürlich wurden bei den Versuchen Vorsichtsmaßregeln ge- troffen, um das zufällige Vorhandensein von Spermatozoen im Wasser 16 Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. auszuschließen. Hinzugefügt sei noch, dass das Rezept wegen der individuellen Verschiedenheit der Eier nicht unbedingt bindend ist. Aus diesem Grunde habe ich es auch unterlassen, die Reizschwelle, d. h. diejenige Menge von Substanz, welche nötig ist, um gerade noch die Bildung der Dottermembranen bewirken zu können, für die oben genannten Stoffe genau festzustellen. Uebrigens bin ich fest überzeugt, dass sich noch manche anderen Substanzen finden lassen werden, welche ebenfalls Dotterhäute hervorzurufen im Stande sind. Mit reinem Knochenöl, welches ich prüfte, hatte ich keinen Erfolg. Ich glaube deshalb, dass man andere membranogene!) Substanzen nur unter solchen Stoffen zu finden erwarten darf, welche eine ölige Beschaffenheit haben, in Wasser unlöslich sind und — was die Hauptsache ist — stark reizend wirken, was bekanntlich mit den von mir geprüften Stoffen der Fall ist. Wie hat man sich nun die Wirkung der verschiedenen membrano- genen Stoffe zu erklären? Die Gebrüder Hertwig haben sich darüber folgende Vorstellung gemacht: Die durch das Schütteln im Wasser (ein verteilten Chloro- formtröpfchen treffen auf die Oberfläche des Eies, rufen an derselben einen starken momentanen Reiz hervor, ohne das Protoplasma selbst abzutöten, und leiten dadurch im Ei die chemischen Vorgänge ein, welche normaler Weise nur durch den Reiz des eindringenden Sperma- tozoons hervorgerufen werden und welche die Bildung der Dotterhaut zur Folge haben. Ich wüsste dieser Annahme keinen besseren Er- klärungsversuch entgegenzustellen. Wir kommen nun zu dem dritten Punkte unsrer Aufgabe, nämlich dazu, uns einige Aufklärung über den Vorgang der Bildung und der Abhebung der Dotterhaut zu ver- schaffen. Wir wollen hierbei die Art und Weise der Bildung der Membran und die Art und Weise ihrer Abhebung von der Oberfläche des Eies gesondert betrachten. Was zunächst die erste der beiden Fragen anlangt, so ist be- sonders der Punkt noch vollkommen strittig, ob die Eihaut vor der Befruchtung bereits da ist oder nicht. Durch genaue Untersuchungen bin ich in der Lage, auf die betreffende Frage eine — wie ich glaube — sichere Antwort zu geben. Dieselbe kann — je nachdem man die Sache auffasst — ja oder nein heißen. Nein insoferne, als eine derartig feste und für Spermatozoon vollkommen undurchdringliche Membran — wie es die Dotterhaut ist — vor der Befruchtung an der Oberfläche des Eies allerdings nicht vorhanden ist; — ja dagegen deshalb, weil die Dottermembran aus der weichen, leicht durehdringlichen, hyalinen Grenzschicht des Eies, welche nach Bütschli als Aiveolarschicht aufzufassen wäre, durch che- 4) Mit diesem Namen wollen wir die Stoffe belegen, welche an unbefruch- teten Seeigeleiern Dottermembranen hervorrufen können. Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. 17 mische Umwandlung, welche Erhärtung zur Folge hat, entsteht. Um dies zu beweisen, muss man Eier sofort nach Zusatz der Samenflüssigkeit fixieren. Man bekommt dann die verschiedensten Stadien der Eihautbildung zu Gesicht. Ich gebrauchte zu meinen Versuchen Schneider’sches Karmin und arbeitete bei einer Ver- größerung von Zeiss Apochr. 4 mm; Oc. XL. Suchte ich mir nun Eier heraus, bei denen die Eihaut erst eine kurze Strecke weit von der Oberfläche des Eies abgehoben war, so sah ich deutlich, wie der abgehobene Teil unmittelbar in die hellere Grenz- schicht des Eies überging. Letztere zeigte in der Nähe der ab- gehobenen Eihaut deutlich zwei Konturen, verfolgte man sie jedoch weiter nach dem Pole des Eies zu, welcher der abgehobenen Dotter- haut gegenüberlag, so wurde die innere Begrenzungslinie immer un- deutlicher und schließlich verschwand sie ganz; die Membran ging also hier in die Grenzschicht des Eies (Couche enveloppante Fol’s) über, welche auch am unbefruchteten Ei vorhanden ist. Unter der abgehobenen Dotterhaut zeigte das Ei einen neuen helleren Saum, der sich so weit erstreckte, als die äußere Hülle deutlich doppelt Kkon- turiert war. Durch die direkte Beobachtung der Eihautbildung am lebenden Objekt lässt sich sehr wenig erzielen, da der Prozess zu rasch abläuft und sich sofort unter der abgehobenen Dotterhaut eine neue Grenz- schieht bildet. Ich konnte dabei nur feststellen, dass kurz vor der Abhebung der Haut der helle Protoplasmasaum bedeutend dieker zu werden scheint. Von der Anwesenheit dieses Saumes resp. dieser Grenzschicht — wie wir ihn auch genannt haben an unbefruchteten Eiern kann man sich am besten überzeugen, wenn man Eier mit einem Deckglas zerdrückt. Der Inhalt fließt dann in Form von verschieden großen Kugeln heraus, und man sieht bisweilen eine isolierte feine Haut zurückbleiben, der nach innen noch Protoplasma- teilchen anhaften, ein Beweis, dass sie keine deutliche innere Be- grenzung gehabt hat. Bei zu starkem Druck löst sich auch diese zarte Hülle im einzelne Tröpfehen auf. Mir scheint diese Be- obachtung zu beweisen, dass auch die Grenzschicht der unbefruchteten Eier, obgleich sienoch vollkommen durch- gängig für Spermatozoon ist, doch eine größere Kon- sistenz besitzt als das übrige Protoplasma des Eies. Auch die Larven der Echiniden sind auf dem Blastula-, Gastrula- und Pluteusstadium nach außen hin von einer ziemlich widerstandsfähigen Membran begrenzt, was ich z. B. in einigen Kulturen beobachten konnte, in denen sich sehr viele Infusorien entwickelt hatten. Letztere hatten sich nämlich über die Larven hergemacht und dieselben buchstäblich ausgefressen, derart, dass von den Larven nur noch das Kalkgerüst und eine feine durch- XII, 2 18 Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. sichtige Haut übrig war, welche noch die Körperumrisse zeigte. Diese Haut ist offenbar eine der Eihaut analoge Bildung, inso- fern sie nämlich auf die Grenzschicht der Epithelzellen der Körperoberfläche zurückzuführen ist. Erwähnt sei noch, dass die Dotterhaut gleich nach dem Abheben noch nicht sehr resistent ist, sondern dass sie erst allmählich an Festigkeit gewinnt, wie dies auch Theel!?) voraussetze. Man erkennt dies besonders daran, dass es gleich nach der Befruchtung leicht gelingt, die Eier ihrer Membran durch Schüt- teln zu berauben, während dies später mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Nach vorstehenden Beobachtungen kann man sich der Bildung der Eihaut bei den Eehmideneiern ungefähr folgendermaßen vorstellen: Das eingedrungene Spermatozoon übt auf das Protoplasma des Eies einen Reiz aus; derselbe hat zur Folge, dass das Ei zu einer chemischen Thätigkeit angeregt wird, deren Resultat die Abgrenzung und Erhärtung des peripheren Protoplasmasaumes zu einer Membran ist. Wir wollen nunmehr darangehen, im folgenden kurz die Angaben der früheren Autoren zu besprechen. Hier kommt vor allem Fol?) in Betracht, der sich in seiner bekannten Arbeit über Befruchtung sehr eingehend über die Dotterhautbildung geäußert hat. Seine An- gaben weichen bei Asteriden und Echiniden etwas von einander ab, denn während bei den ersteren die Grenzschicht (couche enveloppante) des Eies zur Dotterhaut werden soll (S. 94) — eine Angabe, die mit unsren Befunden also übereinstimmt — so lauten bei den Seeigeln seine Angaben etwas zweifelhaft, weil er hier durch eine Beobachtung irregeführt wurde. Er sah nämlich, dass die Ränder einer erst streckenweise abgehobenen Dotterhaut zwar unmittelbar in die Grenz- schicht des Eies übergingen, dass aber diese Schicht auch auf dem von der abgehobenen Dotterhaut bedeckten Teile existierte. Er glaubte deshalb, dass die Eihaut bei den Seeigeln nicht der Erhärtung der ganzen Grenzsehieht, sondern nur der Erhärtung einer oberflächlichen Lamelle derselben oder vielleicht einer einfachen Sekretion der Ober- fläche des Dotters ihren Ursprung verdankt (l. e. S. 102). Dieser Irrtum ist dadurch entstanden, dass Fol übersehen hat, dass sich unter der abgehobenen Dotterhaut sofort eme neue Grenzschicht bildet, ebenso wie jedes Eifragment und jede Furchungskugel eine solche aufweist. Ein zweiter Irrtum Fol’s ist der, dass er glaubte annehmen zu müssen, die Dotterhaut sei da, wo das Spermatozoon eindringt, von = Thöel ER On Ihe development of Echinocyamus pusillus. Presented to the Royal Soc. of Sc. of Upsala. Febr. 1-92. 2) Fol H., Sur le commencement de l’henogenie. Archives des Sc. phys. et naturelles. Geneve 1877. Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. 49 einer Pore durchsetzt, obgleich er selbst niemals etwas von einer Mikropyle wahrnehmen konnte (S. 98). Eine solche ist aber nach unsren Auseinandersetzungen vollkommen unnötig, da die Grenzschicht, aus der die Dotterhaut hervorgeht, weich und leicht durchdringlich ist. Auch die Dotterhaut selbst ist gleich nach ihrer Entstehung noch nicht resistent, sondern wird es erst allmählich — wie wir bereits oben sahen. Im Gegensatz zu Fol, der im Großen und Ganzen die Membran- bildung richtig geschildert hat, meinen die Gebrüder Hertwig, dass die Dotterhaut vor der Befruchtung nicht vorhanden ist, sondern einer Sekretion des Eies, welche von dem eingedrungenen Spermatozoon angeregt wird, ihren Ursprung verdankt. Wir können nach den vor- stehenden Auseinandersetzungen diesen Angaben nicht beistimmen. Schließlich seien noch die Ansichten von H. Theel erwähnt. Der- selbe äußert sich hierüber folgendermaßen: „It is not yet decided whether the membrane is present before the impregnation, or arises just at the moment of contact between the spermatozoa and the egg. For my own part, I am inelined to think that a plasma-membrane is always differentiated before the act of fertilization (l. e. p. 8)“. Wenn Theel mit dem Ausdruck „plasma-membrane* den Protoplasmasaum des Eies meint, welcher von Fol „couche envellopante“, von mir „Grenzschieht“ genannt worden ist, so würde er das richtige getroffen haben. Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, auf welche Weise die Dottermembran von der Eioberfläche abgehoben wird. Ich glaube, dass hierin Fol das richtige getroffen hat. Derselbe ist nämlich der Ansicht, dass in dem Zwischenraum zwischen Ei- haut und Eioberfläche eine gallertartige Substanz sich befindet, welche durch von außen aufgenomenes Wasser aufquillt. Das Vorhandensein einer wässerigen Flüssigkeit in dem betreffenden Zwischenraum scheint ihm deshalb ausgeschlossen, weil sich in diesem Falle das Ei innerhalb der Hülle verschieben, und der Zwischenraum nicht von gleichförmiger Ausdehnung bleiben würde. Da auch bereits das unbefruchtete Ei von einer schleimigen Hülle!) umgeben ist, welche nach der Befruchtung außerhalb der Eihülle zu liegen kommt, so scheint es mir wahrscheinlich, dass das Ei nach der Bildung der Dottermembran von neuem eine schleimige Substanz 4) Dieselbe ist zwar bei den Seeigeleiern äußerst schwer zu sehen, doch habe ich mich von ihrem Vorhandensein mit Sicherheit überzeugt. Sie weist bei starker Vergrößerung und Abblendung abwechselnd hellere und dunklere konzentrische Schichten auf. Ich führe diese Erscheinung auf wasserärmere und wasserreiehere Schichten zurück, welche abwechselnd auf einander folgen. An jungen, noch unreifen Eiern habe ich auch die radiären Strahlen wahr- nehmen können, welche sich nach den Beobachtungen von Fol und Theel von der Oberfläche des Eies in die Schleimhülle hineinerstrecken. 2% 20 Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. gleicher Beschaffenheit absondert, welche durch diosmiertes Wasser aufquillt und so die Membran von der Eioberfläche abhebt. Die Trennung beginnt meist von einem Punkte aus, welcher nach Fol mit der Eitrittsstelle des Spermatozoons zusammenfallen soll, und breitet sich von da rasch über die ganze Oberfläche aus. Fol gibt eine sehr genaue Beschreibung von dem ganzen Vorgang; ich verweise deshalb auf ihn. Es sei nur noch hinzugefügt, dass die Ab- hebung nicht immer in der Weise verläuft, wie dies Fol angibt. So kann z. B. die Abhebung zu gleicher Zeit an verschiedenen Punkten beginnen, oder sie kann auch derartig verlaufen, dass sie sich in demselben Moment von der ganzen Peripherie des Eies abzuheben scheint. In letzterem Falle ist es allerdings möglich, dass die Ab- hebung doch an einem Punkte beginnt und sich nur derartig rasch ausbreitet, dass man es nicht wahrzunehmen vermag. Ich möchte nun noch einer Ansicht entgegentreten, nämlich der, dass die Abhebung der Dotterhaut durch eine Kontraktion des Eies nach der Befruchtung herbeigeführt wird, so dass der Durchmesser des befruchteten Eies samt Eihaut dem des unbefruchteten entsprechen würde. Dies ist aber ganz sicher nicht der Fall, denn der Durch- messer des befruchteten Eies mit Membran ist bedeutend größer als der des unbefruchteten Eies ohne Membran!). Auch Theel hebt dieses besonders hervor. Eine Kontraktion ist also — wie gesagt — normalerweise nicht wahrnehmbar, nur da, wo sich die Eihaut abzuheben beginnt, erleidet der Dotter eine geringfügige Abplattung, welche sich bald wieder ausgleicht und welche vielleicht die Ausstoßung der schleimigen Sub- stanz zur Folge hat, durch deren Quellung die Abhebung der Dotter- haut verursacht wird. Etwas anders ist es dagegen an geschädigtem Material; hier kann das Ei bisweilen ganz bedeutende Einkerbungen und Verzerrungen erfahren, die sich später ebenfalls wieder ausgleichen. Wir wollen uns nun einem anderen Punkte zuwenden, nämlich der Frage nach der Bedeutung der Dotterhaut für das Ei. Wir hatten in der Einleitung gesehen, dass dieselbe jedem weiteren Eindringen von Spermatozoen einen unüberwindlichen Wiederstand entgegensetzt. Dies ist sicherlich richtig, aber es fragt sich, ob die Membran wirk- lich absolut notwendig ist, um weitere Samenfäden vom Eindringen iu das Kiinnere abzuhalten. Die Gebrüder Hertwig sprechen sich hierüber in ihrer oft zitierten Arbeit derart aus, dass sie auch dem Protoplasma als solchem eine „abstoßende Kraft“ zuschreiben (1. e. S. 495). Sie wurden zu dieser Ansicht durch Beobachtungen geführt, 1) Der Durchmesser des befruchteten Eies von Sphaerechinus granularis beträgt mit Membran 0,120—0,123 mm, ohne Membran 0,088—0,096 mm. Mit den letzteren Zahlen stimmt der Durchmesser des unbefruchteten Eies überein. Die Dicke der Dotterhaut habe ich nicht genau messen, sondern nur — aller- dings ziemlich sicher — taxieren können, sie beträgt etwa 1—1!/z u. Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. 21 - die sie an Eiern machten, welche nach Morphiumbehandlung polysperm befruchtet worden waren. Sie sahen dabei nämlich zweimal einige Spermatozoen zwischen Ei und Dotterhaut umherschwimmen und dann absterben, ohne dass eines in das Innere des Eies gelangt wäre. Ich bin in der Lage, eine Beobachtung meines Freundes H. Driesch mit- zuteilen, welche entschieden für die Hertwig’sche Ansicht spricht. Derselbe setzte einmal zu befruchteten Eiern, welche kurz nach der Befruchtung durch Schütteln ihrer Membranen beraubt worden waren, Spermatozoen hierzu, welche sich zwar um die Eier ansammelten, aber keine abermalige Befruchtung herbeiführen konnten. Die Eier blieben membranenlos, wie sie waren. Ich selbst habe das Experiment mehrere Male wiederholt und kann es nur bestätigen. Ueber den etwas dunkel klingenden Ausdruck „abweisende Kraft“ kann man sich vielleicht einige Klarheit durch die Annahme ver- schaffen, dass von dem Erhärtungsprozess, welcher die Umwandlung der Grenzschicht des unbefruchteten Eies zur Dottermembran zur Folge hat, auch die neue Grenzschicht des befruchteten Eies — wenn auch in geringerem Maße — ergriffen wird, so dass sie etwas härter und schwerer durchdringlich wird, als diejenige des unbefruchteten Eies war. Es sei hierzu bemerkt, dass die Grenzschicht des befruchteten Eies und namentlich der Furchungsstadien sehr ausgeprägt und infolge dessen deutlich wahrnehmbar ist, so dass Fol sogar von einer zweiten Membran spricht, die sich nach der Befruchtung an der Oberfläche des Eies bilden soll. An die Beobachtung, dass befruchtete Eier, welche ihrer Mem- branen beraubt worden waren, bei Zusatz von Spermaflüssigkeit keine neue Dotterhaut abhoben, will ich einige Versuche anknüpfen, welche ich teils mit befruchteten Eiern, teils mit unbefruchteten angestellt habe. Es handelte sich für mich zunächst darum, zu wissen, ob be- fruchtete, aber durch Schütteln membranenlos ge- machte Eier bei Behandlung mit Chloroform oder eineranderen membranogenen Substanz eine neue Dotterhaut bilden würden? Zu diesem Zwecke brachte ich befruchtete membranenlose Eier von Sphaerechinus in Benzol- wasser, welches auf die im ersten Abschnitt angegebene Weise prä- pariert war, und schüttelte sie langsam mit diesem, was durch ein langsames Auf- und Abwärtsbehren des Reagensglases erreicht wurde. Die meisten der Eier hoben nach dieser Behand- lung eine neue Dotterhautvonihrer Oberflächeab. Nach diesem Resultat versuchte ich es, auch an befruchteten, aber mit Membranen versehenen Eiern noch eine zweite Dotterhaut zu erzeugen, was mir auch sofort gelang. Die Eier waren dabei mit Chloroformwasser behandelt worden, das auf 100 ebem See- 22 Herbst, Künstliche Hervorrufung von Dottermembranen. wasser 1 g Chloroform enthielt, und hatten sämtlich eine zweite Dottermembran abgehoben, so dass jedes Ei nunmehr von 2 konzentrischen Hüllen umgeben war. Einmal: erhielt» ich auch=anambetfruchteten, membranenlosen. Eiern gleich wer Membranen: Die Eier waren in diesem Falle mit Chloroformwasser, das dieselbe Konzentration hatte, wie das eben erwähnte, circa 2 Minuten lang langsam geschüttelt worden. Es sei jedoch hinzugefügt, dass dabei nur einige Eier gleich zwei konzentrische Hüllen bildeten. Am Schlusse unsrer Untersuchung angelangt, wollen wir uns noch kurz über dieBedeutung der künstliehen Erzeugung vonDottermembranenan unbefruchteten Seeigel- eiern aussprechen. Wir wollen hierzu etwas weiter ausholen. Es ist Thatsuche, dass die Dotterhautbildung normaler Weise nach dem Eindringen eines Spermatozoons in das Ei erfolgt. Wollte man sich danach — ohne Kenntnis von vorstehenden Untersuchungen zu haben — über die Ursachen der Eihautbildung einige Klarheit verschaffen, so hätte es sicherlich nahe gelegen, dem Spermatozoon einen wesentlichen Anteil an der Bildung der Hülle zuzuschreiben, da sie sich ja eben nach seinem Eindringen bildet. Man hätte sich den Prozess vielleicht folgendermaßen vorstellen können: Durch das Eindringen des Spermatozoons in das Ei wird in demselben die Se- kretion einer Substanz veranlasst, welche, an die Eioberfläche gelangt, daselbst mit einem anderen, vom Spermatozoon ausgeschiedenen Stoffe in Berührung kommt und mit diesem an der Berührungsgrenze eine Niederschlagsmembran, die Dotterhaut bildet. Das Spermatozoon würde also danach einen wesentlichen Anteil an der Bildung derselben haben, da ein von ihm ausgeschiedener Stoff dazu nötig wäre. Nun hat sich aber durch die Hertwig’sche Entdeckung und vorstehende Experimente herausgestellt, dass sich auch mit bestimmten chemischen Substanzen Eihäute erzeugen lassen. Dies beweist, dass das Spermatozoon für die Dotterhautbildung nur insofern von Bedeutungist, als es auslösend, als Reiz wirkt, dagegen selbstkeinen thätigen Anteil daran nimmt. DieFragenach denUrsachen derEihautbildung istalso eingeschränkt, wirsindihrerLösungeinen Schritt näher gekomwen, da gezeigt wurde, dass die betreffenden Ursachen imEi selbst zu suchen sind. So weist uns vorstehende kleine Untersuchung — zwar an einem Gegenstand von untergeordneter Bedeutung -— zugleich auf den Wert des Experiments für die kausale Auffassung morphologischer Vor- gänge hin. Neapel, Zoologische Station, im November 1892. Zacharias, Infusorieller Hauptparasit bei Süßwasserfischen. 253 Ein infusorieller Hauptparasit bei Süßwasserfischen'). Von Dr. Otto Zacharias in Plön. In einem größeren Aquarium der hiesigen Biologischen Sta- tion, welches mit Rotaugen (Leueiscus ritulus) und Weißfischen (Alburnus sp.) besetzt war, trat im Mai dieses Jahres ein schmarotzen- des Infusorium in großer Anzahl auf, welches sich bei genauerer Untersuchung als eine Ichthyophthirius- Art erwies. Die damit behaf- teten Fische zeigten auf der ganzen Epidermis weißliche Tüpfel, die schon bei Lupenvergrößerung als kleine, uhrglasförmig gewölbte Er- hebungen sich herausstellten. Jeder einzelne Fisch trug wohl mehrere Hundert von diesen winzigen, durch Zellwucherung entstandenen Be- hältern, und in jedem derselben war ein großes Infusorium einlogiert, welches oft lebhafte Bewegungen ausführte. Um diese Insassen näher untersuchen zu können, schabte ieh mit der Spatelkante kleinere Epidermisfetzen vom lebenden Fisch herunter und brachte dieselben (nach vorsichtiger Zerzupfung) unter das Mikroskop. Die Betrachtung zeigte nunmehr Folgendes. Der frei auf dem Objektträger liegende Schmarotzer hat von oben gesehen die Gestalt eines nach vorn zu- gespitzten Ovals, dessen Länge 0,65—0,80 mm beträgt. Die Breite ist im mittleren Teile 0,50—0,55 mm. Das Tierchen besitzt eine sanft- gewölbte Oberseite und eine vollständig ebene Bauchfläche. Hierdurch erhalten diese Infusorien eine frappante Aehnlichkeit mit kleinen Turbellarien, zumal sie ebenso wie diese Würmer durchweg mit kurzen (0,005 mm langen) Cilien bekleidet sind. Bei tieferer Einstellung des Mikroskops tritt aber sofort der große, hufeisenförmig zusammen- gekrümmte Kern zu Tage, der in der vordern Körperhälfte gelegen ist. Durch diese Wahrnehmung erledigt sich jeder Zweifel an der Protozoennatur des merkwürdigen Wesens, welches unfraglich zu den Holotrichen unter den eiliaten Infusoren gestellt werden muss. Bei auffallendem Liehte sehen diese Tierchen kreideweiß aus, bei durehsehimmernder Beleuchtung graugelblich. Das Entoplasma enthält viele glänzende Körner und kleine Krystalle; im Ganzen ist es aber von vakuolärer Struktur und enthält zahllose winzige Hohlräume. Eine kontraktile Blase, wie sie bei allen übrigen Infusorien (mit 1 bis 2 Ausnahmen) zu finden ist, habe ich nicht entdecken können. Ebenso- wenig ist bei den erwachsenen Exemplaren die Existens eines Mikro- nucleus nachzuweisen. Die Frage, wie sich diese Parasiten ernähren, ist noch ungelöst. Ich sah im Entoplasma niemals Spuren von aufgenommener Nahrung; nur da und dort größere Körnerhäufehen, die sich als schwärzliche Einlagerungen bemerklich machten und in denen vielleicht Produkte 4) Aus dem Centralblatt für Bakteriologie und Parasitenkunde auf Wunsch des Herrn Verfassers übernommen. 94 Zacharias, Infusorieller Hauptparasit bei Süßwasserfischen. des Stoffwechsels zu erblicken sind. Ein eigentlicher Mund, d. h. eine mit dem Körperinnern kommunizierende Oeffnung in der Cutieula, scheint ebenfalls nicht vorhanden zu sein. Man entdeckt zwar vorn auf der Bauchfläche ein kleines Grübchen von 0,0355 mm Tiefe, dieses sieht aber mehr wie ein Befestigungsorgan (Saugnäpfehen) aus, als wie eine zur Aufnahme von Nahrung bestimmte Körperöffnung. Die Gattungsbezeichnung „Ichthyophthirius“ (Fischverderber) habe ich einer 1876 erschienenen Arbeit des Franzosen D. Floquet ent- lehnt, welche über ein auf lachsartigen Fischen schmarotzendes In- fusorium handelt. Mit dem Floquet’schen Forellen-Parasiten hat der hier in Plön beobachtete zweifellos die größte Aehnlichkeit, wenn er auch die „Mundöffnung“ nieht am Vorderende (wie die Floquet’sche Art), sondern im vordern Drittel der Bauchfläche trägt. Außerdem treten bei meiner Form auch noch einige Verschiedenheiten in der Entwicklung auf, wie gleich geschildert werden soll. Die hiesige Species mit der bauchständigen (und deshalb verborgenen) Mundöffnung habe ich (zum Unterschiede von der seinerzeit im College de France untersuchten Art!) Ichthyophthirius ceryptostomus genannt. Unser Cyprinoidenschmarotzer pflanzt sich auf die denkbar ein- fechste Weise, aber sehr erfolgreich fort. Er zieht sich zu diesem Behufe kugelförmig zusammen und scheidet dann zunächst eine äußerst zarte Hülle (Cyste) aus. Innerhalb derselben teilt sich das Tier als- bald in 2 Hälften, von denen jede wieder in 2 zerfällt u. s. w., so dass nach wenigen Stunden aus einem einzigen Mutterindividuum 100 bis 150 Teilsprösslinge entstanden sind, von denen jedes etwa 0,075 mm Durchmesser besitzt und Kugelgestalt hat. Nach kurzer Zeit wird die Cyste durch die lebhaften Bewegungen der neuen Generation gesprengt und die jungen Ichthyophthirius-Exemplare schwimmen davon, um sich höchstwahrscheinlich alsbald wieder einen Fisch als Ruheplatz auszu- suchen. Jeder dieser Sprösslinge besitzt überraschender Weise außer dem Makronucleus noch einen Mikronueleus?). Letzterer ver- schwindet aber wieder, sobald das Tierchen nur wenige Stunden alt ist. Die Wirkung dieser Schmarotzer auf die damit behafteten Fische ist dadurch besonders verderblich, dass sich die Oberhaut derselben in großen Bezirken auflockert und ablöst. Hierdurch werden den im Wasser stets vorhandenen Pilzkeimen günstige Gelegenheiten zur An- siedelung dargeboten, und es dauert nicht lange, so bilden sich üppige Wucherungen von Saprolegnia ferax oder dergl. auf den bloßgelegten Stellen, wodurch natürlich der betreffende Fisch sehr bald lebens- 4) I. multifiliis Floqu. 2) Abbildungen, welche die Encystierung und die Bildung der Teilspröss- linge veranschaulichen, habe ich in der demnächst erscheinenden Festschrift zu Ehren des 70 jährigen Geburtstages von Rud. Leuekart publiziert. Dort ist auch Genaueres über das Entoplasma bei Ichthyophthirius cript. mitgeteilt. 0.2 Stieda, Cranio - cerebrale Topographie. 25 unfähig wird. Im College de France starben seinerzeit sämtliche dort gehaltene Forellen durch die angegebene Doppelschädigung — Haut- verlust und Pilzinfektion. Plön, 24. Oktober 1892. Ueber eranio -cerebrale Topographie. 1. Prof. Dr. med. Sernow. Der Encephalometer. Ein Apparat zur Bestimmung der Lage der Hirnteile beim lebenden Menschen. Eine vorläufige Mitteilung. Sonderabdruck aus den „Arbeiten der physiko-medizinischen Gesellschaft in Moskau“, 1889, Nr. 2, März, 11 Seiten mit 2 Tafeln in Buntdruck und einem Holzschnitt im Text. (In russischer Sprache.) 2. N. Altuchow, Prosektor-Gehilfe an der k. Universität zu Moskau. Encephalometrische Untersuchungen des Gehirns unter Berücksichtigung des Geschlechts, des Alters und des Schädelindex. Moskau 1891. 56 Seiten gr. 8. Mit 7 Tafeln und eimer Zeichnung im Text. (In russischer Sprache.) Die eranio-cerebrale Topographie hat in der letzten Zeit eine sehr große Bedeutung erlangt. Sehr viele Anatomen und Chirur- gen haben sich den Untersuchungen darüber zugewandt. Der eben erschienene vortreffliche Bericht, den Fr. Merkel (Göttingen) in den Ergebnissen der Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Wiesbaden 1892, S. 338345 geliefert hat, zählt eme große Menge von Abhand- lungen auf, die in deutscher, französischer und englischer Sprache er- schienen sind. Ich vermisse dabei die in russischer Sprache veröffent- liehte Abhandlung des Dr. Altuchow (Moskau), die an eine etwas früher gedruckte Arbeit des Professor Sernow (Moskau) anschlielt. Beide Abhandlungen sind von hohem Interesse; die darin enthaltenen bemerkenswerten Resultate knüpfen an zahlreiche, sehr mühsame und sorgfältige Untersuchungen an. — Den meisten Fachgenossen des Westens sind jene beiden in russischer Sprache erschienenen Arbeiten bis jetzt unzweifelhaft unbekannt — deshalb möge hier ein eingehen- des Referat über beide Arbeiten Platz finden. — Der Verfasser der ersten Arbeit Dr. Sernow, Professor der Ana- tomie an der k. Universität Moskau, gibt zuerst eine kurze historische Skizze über die seither gemachten Versuche, die Lagen - Verhältnisse der Hirnwindungen zu bestimmen (Bischoff, Landzert, Hefftler, Broca, Ecker, Turner, Horsley, Giacomini), und hebt dann den Haupt-Misstand aller seither geübten Methoden — die Abhängig- keit von den Schädelnähten — hervor. Die Schädelnähte sind an lebenden Menschen sehwer aufzufinden; sie können verschwinden infolge der Verwachsung der Knochen; sie können in beträchtlichem 26 Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. Maße in ihrer Lagerung schwanken; überdies ist es noch gar nicht ausgemacht, inwieweit die verschiedene Lage der Nähte mit der ver- schiedenen Lage der Hirnfurchen zusammenfällt. Um die Schwankungen der Lage der Nähte zu ermitteln, machte Sernow Messungen des Sagittalbogens von der Glabella bis zum hinteren Rand des Foramen oceipitale magnum, und gleichzeitig Mes- sungen der einzelnen Knochen des Schädeldaches. Bei einer durch- schnittlichen Größe des Sagittalbogens von 364,4 mm (Mittel aus 15 Messungen) betrug das Maximum der Schwankung der Größe des Stimbeins 5,4%/,, die Schwankung der Größe des Hinterhauptbeins 9,6°/, der Länge des Sagittalbogens. Das gibt bei der Mittelzahl 364 eine Schwankung von 2 Centimeter für die Länge der Kreuznaht, ein Schwanken von 3,5 Centimeter für die Länge der Lambdanaht. — Es ist selbstverständlich, dass derartig schwankende Maßverhältnisse zur Ermittelung der darunter liegenden Hirnwindungen nicht geeignet sind. Sernow entschloss sich daher von den Schädelnähten abzusehen und andere anatomische Punkte als feste Ausgangspunkte der Messungen zu wählen; dabei kombinierte er die Benutzung dieser Punkte mit der geometrischen Bestimmung der Lage verschiedener Punkte des Schädeldachs und der Oberfläche des Hirns. Er kon- struierte ein Instrument, das er Encephalometer nannte, mit dessen Hilfe man sowohl eine Zeichnung der Schädelnähte als auch eine Zeichnung der Hirnfurchen und der tiefer liegenden Teile des Hirns auf einer Kreisfläche darstellen konnte; indem man die Hirnoberfläche mit einer Halbkugel vergleicht, kann, wie an der Oberfläche der Erd- kugel die Lage der einzelnen Punkte an der Oberfläche des Hirns durch Breiten- und Längengrade bestimmt werden. Um aber die Möglichkeit zu haben, einen Einzelfall mit dem andern zu ver- gleichen, um eine eventuelle Uebereinstimmung oder einen Unterschied ermitteln zu können, erschien es notwendig, dass die Kugeloberfläche, auf der die Oberfläche des Hirns und des Schädels dargestellt wird, mit leicht auffindbaren, in ihrer Lage fest bestimmten Punkten des Kopfes korrespondiere. Die von Sernow ermittelten festen Punkte sind: 1) vorn der Stirnpunkt (Broca), d. i. der Punkt in der Gla- bella, der unmittelbar über der Vereinigungsstelle der beiden Arcus supereiliares liegt; 2) hinten der Hinterhauptshöcker; 3y seitlich die Oeffnungen des äußeren Gehörgangs. Diese Punkte sind nieht allem in jedem Einzelfalle leicht auf- findbar, sondern sie sind auch für das Sernow’sche Instrument leicht zugänglich. — Vollkommen eimwurfsfrei ist die Wahl der genannten Punkte auch nicht; allein es sind diese Punkte in ihrer Lagerung immerhin beständiger als die Nähte; überdies befinden sie sich inner- Stieda, Cranio - cerebrale Topographie. DT halb der Linie, die anatomisch die sogenannte Schädelbasis und die Schädeldecke von einander trennt. — Die Beziehungen der genannten Punkte zum Hirn sind freilich nur bis zu einem gewissen Grade beständig. Der Stirnpunkt entsprieht ziemlich genau der Ebene, auf der die untere Fläche der Stirmlappen ruht. Der Hinterhauptshöcker dagegen hat eine nicht ganz bestän- dige Beziehung zu den hinteren Enden des Hinterhauptlappens. Diese Enden liegen unmittelbar oberhalb der Protub. oceip. interna, die im Allgemeinen ziemlich genau der Prot. oee. externa entsprechen soll. Die Untersuchung von 50 Schädeln ergab dagegen, dass diese Beziehung keineswegs ganz konstant ist: in 10 Fällen lag die Protub. oee. externa höher, in 7 Fällen niedriger als die Prot. oce. interna. Allein die Schwankungen sind doch äußerst gering. Die Schwan- kungen der Lagerung des äußeren Gehörganges, sowohl in vertikaler als in horizontaler Richtung, haben keine Bedeutung, — sie werden durch die Einrichtung des Apparates selbst ausgeglichen. Das Instrument oder der Apparat, Enecephalometer, ist aus Metall gearbeitet. Es besteht zunächst aus emem kreisföürmigen, platten Ring als Basis; der Ring wird am Kopf entsprechend einer horizontalen Ebene befestigt, die durch den Stirnpunkt Broca’s und den Hinterhauptshöcker geht. Der Ring ist vorn am Nasenpunkt, hinten am Hinterhauptshöcker durch eine besondere Vorriehtung be- festigt, (deren Beschreibung hier im Referat übergangen werden muss). Ferner gehört zum Apparat ein festgestellter Querbogen, der den- selben Radius hat wie der basale Ring, und über den Scheitel weg- geht, wobei er sich mittels eines senkrechten Stabes auf den Scheitel stützt. — Vergleichen wir die Oberfläche des Kopfes (Schädel und Hirn) mit der Oberfläche einer Kugel (Erdkugel), so stellen die beiden festen Punkte, der Stirnpunkt und der Hinterhauptshöcker, die beiden Pole dar, während der beschriebene Querbogen dem Aequator zu vergleichen ist. Es ist deshalb der Querbogen (Aequator) in Grade geteilt. — Schließlich sind noch zwei platte Kreisbogen vorhanden; ein jeder Kreisbogen ist sowohl vorn als hinten beweglich verbunden mittels vorderer wie hinterer Stäbe, die der basale Ring an den Kopf presst. Es stellen die beiden beweglichen Kreisbögen, die auch in Grade geteilt sind, die Meridianbögen der Kugeloberfläche dar. (NB. Die beiden beweglichen Meridianbögen liegen innerhalb des vom Aequator umfassten Raumes, der eine rechts, der andere links von dem Stab, mittels dessen der Aequator sich auf den Scheitel stützt; — in der Beschreibung ist dies nicht hervorgehoben, allein auf der Zeichnung ist das zu erkennen.) Jeder Meridian trägt eine ver- stellbare oder verschiebbare Hülse (Muffe); — in dieser Hülse steckt ein Stab im der Richtung der Radien der Kugel (ein Zeiger oder In- dikator). Sernow bezeichnet einen solehen Stab direkt als Radius. Soll nun die Lage irgend eines Punktes an der Oberfläche des Schä- 28 Stieda, Cranio -cerebrale Topographie. dels oder des Hirns markiert werden, so wird zuerst einer der beiden Meridiane so gestellt, dass er über den betreffenden Punkt hinweg- geht, dann wird weiter der Radius so gestellt, dass seine Spitze auf den Punkt hinweist. An dem graduierten Aequator wird die Länge, an dem graduierten Meridian wird die Breite des zu bestimmenden Punktes abgelesen, und darauf wird in Zahlen der Punkt in das Grad- netz einer Halbkugel eingetragen. Die Breitengrade werden vom Aequator ab, die Längengrade von dem Mittel-Meridian, der der Sa- gittalnaht entspricht, als dem ersten Meridian, ab gezählt. Zum Ver- gleich mit der geographischen Terminologie wird statt von einer nörd- lichen und südlichen Halbkugel, von einer frontalen und einer oceipitalen Halbkugel, statt von einer westlichen und östlichen von einer rechten und linken Halbkugel gesprochen. — Selbstverständlich ist es sehr leicht, auf diese Weise eine be- liebige Anzahl von Punkten an der Oberfläche des Hirns und Schädels zu bestimmen; verbindet man die in das Netz eingetragenen Punkte durch Linien, so erhält man eine „Projektion“ der betreffenden Teile (Taf. 1). Eine Reihe soleher Projektionen gibt die Möglichkeit, die beziehungsweise Lage der Schädelnähte und Hinfurchen zu einander und zu gewissen leicht aufzufindenden Punkten am Schädel (Stirn- punkt Broca’s, Hinterhauptshöcker, Meatus auditorius ex- ternus) zu vergleichen. Die Taf. II gibt das Resultat von 6 Be- obachtungen wieder: die individuellen Schwankungen der Nähte und Furchen sind rot, die Mittellage schwarz gezeichnet. Da die Zeich- nung in ein geographisches Gradnetz eingetragen ist, folglich die Lage eines jeden Punktes der Zeichnung abgelesen werden kann, so kann diese Zeichnung auch dazu dienen, an jedem beliebigen Schädel und Kopf mit Hilfe desselben Encephalometers jeden beliebigen Punkt auf- zusuchen. Sernow zweifelt nicht, dass man mit Hilfe seines Instru- ments auch bei Lebenden die Lage der einen oder der andern Hirn- furehe bestimmen kann, um etwa eine Trepanation vorzunehmen. An toten Köpfen hat Sernow mit Erfolg sein Instrument benutzt. — Mit Rücksicht auf die beigegebene Figur (Taf. I, Taf. II) hebt der Verfasser hervor, dass die Figur Taf. II keine endgiltige Bedeu- tung hat, weil dieselbe nur auf 6 Beobachtungen sich stützt — die Beobachtungen müssen vermehrt werden, weil die geringe Zahl der bisherigen bereits darauf hindeutet, dass die individuellen Schwankungen beträchtlich sind. Mit diesen individuellen Schwankungen wird der Chirurg zu rechnen haben; er darf nur die Mitellage in Betracht ziehen und wird im Einzelfall doch die Möglichkeit eines Fehlers berücksichtigen müssen. Der Verfasser der zweiten Abteilung, Dr. Altuchow (Moskau) nun hat, einer Aufforderung des Prof. Sernow nachkommend, unter Anwendung des oben beschriebenen Encephalometers die verschie- Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. [NS] 29 dene Lage der Hirnwindungen sowohl mit Rücksicht auf die Schä- delform als auch mit Rücksicht auf das Alter und das Geschleeht genau untersucht. I. Dr. Altuchow gibt zunächst eine Uebersicht der bisher die Hirntopographie behandelnden Untersuchungen anderer Autoren: die Arbeiten von Gratiolet, Broca, Turner, Bischoff, FEere, Ecker, Horsley, Köhler, Seeligmüller, Giacomini u. a. wer- den besprochen. Die verschiedenen Methoden der Untersuchung wer- den kurz beschrieben und in folgender Weise übersichtlich zusammen- gestellt: 1. Die Methode der Abgüsse (Gratiolet, Ecker, Cunningham). 2. Die Methode der Stifte (Broca, Bischoff, Fere, Foulhouze). 3. Die plastische Methode der Profilzeichnung (Landzert und Hefftler). 4. Die plastische Methode der Felderzeichnung (Turner). 5. Die Methode der Gehirnschnitte (Fer&, Symington). II. Ferner gibt der Verfasser (S. 9—19) sowohl eine Uebersicht der von einzelnen Autoren mitgeteilten Methoden, um die Lage des Suleus Rolandii, der Fossa Sylvii, der Fissura parieto -oceipitalis u. 8. w zu bestimmen, als auch einen Ueberblick über den Stand der heutigen Kenntnisse in Bezug auf die Hirntopographie. — III. Weiter kritisiert der Verfasser in Kürze die einzelnen Me- thoden und macht auf einzelne dabei zu Tage getretene Uebelstände und Fehlerpunkte aufmerksam (S. 19—22). IV. Er beschreibt dann (S. 22—25, dazu die Figur auf S. 24) unter Hinweis auf Sernow’s Erwägungen das Instrument, den En- cephalometer, mit dem er seine Untersuchungen angestellt hat. Sernow hat seither, um das Instrument zu vereinfachen, einen Meri- dianbogen entfernen und das Instrument aus Aluminium herstellen lassen. V. (8. 25—28). Der Verfasser untersuchte 40 norfnal gebaute Köpfe, die er vorher von der Arteria carotis interna mit einer wäs- serigen 12proz. Lösung von Chromsäure injiziert hatte. Um dies in gehöriger Weise vornehmen zu können, wurde in der Höhe des ersten Brustwirbels der Kopf vom Rumpf getrennt, die Arteria carotis ex- terna ebenso wie die Arteria vertebralis unterbunden. Die Injektion wurde solange fortgesetzt, bis durch die offene Vene die reine Flüssig- keit zurückströmte. Dann wurde auch die Vene unterbunden und die Injektion fortgesetzt, bis die Gefäße der Conjunetiva bulbi sich gefüllt zeigten. Im Ganzen wurden etwa 800 Kubiketm. Flüssigkeit ver- braucht. Die Köpfe von Kindern wurden mit einer gesättigten spiri- tuösen Lösung von Chlorzink injiziert. Stieda (Königsberg). (Schluss folgt.) 30 Margherita Traube-Mengarini, Permeabilität der Haut. Dr. Margherita Traube-Mengarini, Ueber die Permeabilität der Haut. Archiv f. Anat. u. Physiol., 1892. Ueber die Permeabilität der Haut ist außerordentlich viel gestritten worden, ohne dass es möglich wäre, aus den bisherigen Arbeiten einen Schluss zu ziehen, weil, so viele Forscher sich bisher mit diesen Unter- suchungen auch befassten, ebensoviele zu positiven wie zu negativen Resultaten gelangt sind. Verf. beschränkt ihre Aufgabe auf die Re- sorption von Flüssigkeiten und in Flüssigkeiten gelösten Körpern, da die Permeabilität der Haut für Gase nicht bezweifelt wird, und bei Versuchen mit Salben die Versuchsbedingungen zu unklar werden. Verf. wählt die bisher kaum benützte Methode, die betreffenden Substanzen auf ihrem Wege durch die Haut zu verfolgen. Sie war dadurch eigentlich auf das Tierexperiment beschränkt, doch hat sie auch einen Versuch am Menschen ausgeführt. Ihre Versuche beziehen sich auf alkoholische Karminlösung, auf Ferrocyankalium, auf Jod- tinktur und Jodjodkalium. Karmin und Ferrocyankalium konnten nach monatelangem Aufpinseln nicht in tieferen Schichten als im Stratum granulosum nachgewiesen werden. Einmal zeigte sich an einer Stelle das Rete schwach mit Karmin gefärbt, doch war dort vermutlich eine Kontinuitätstrennung vorhanden. Das Ferrocyankalium drang durch die Haartaschen tiefer in das Stratum granulosum ein, doch nie bis in dessen tiefste Schichten. Die Milchgänge — es wurden diese Ver- suche an der Brustwarze von Hunden gemacht — blieben immer frei. Ganz andere Resultate ergaben die Versuche mit Jod: zwar im ersten Versuch, in welchem die Brustwarze eines Hundes, der 10 Tage lang täglich mit Jodtinktur gepinselt war, 3 Stunden nach der letzten Einpinselung untersucht wurde, waren nur Hornschichten, Epithelien, Haare und Haarscheiden intensiv gefärbt. Drei weitere Versuche aber ergaben ganz gleiche positive Resultate: in emem von diesen wurde wässrige Jodjodkalilösung benutzt, einer wurde am Menschen ge- macht: er sei als interessantester hier wiedergegeben: Einem jungen Menschen wird Jodtinktur auf intakte Haut aufgepinselt. Nach 45 Mi- nuten wird ein Hautstückchen exzidiert, mit dem Gefriermikrotom ge- schnitten und sofort in Levulose untersucht. Die Hornschicehten sind gelbbraun, das Stratum granulosum ist an einigen Stellen diffus matt gelb gefärbt. Im Epithel sieht man gelbe Längsstreifen. Die Lymphgefäße, sowohl die in den Papillen ver- laufenden wie die der Oberfläche parallelen, sind kanariengelb injiziert. Das Blut in den Kapillaren ist weinrot. Im Corium sind strohgelbe Flecke. Nach 20 Minuten ungefähr ist die Färbung abgeblasst und außer in den Hornschichten und Haarscheiden fast verschwunden. Hier und in einem Hundeexperiment mit gleichem Erfolg glaubt Verf., sei der Verdacht der Kontinuitätstrennung sowohl als einer entzündlich en Veränderung der Haut ganz ausgeschlossen, da nur je eine Einpinselung Sachs, Abhandlungen über Pflanzen - Physiologie. 34 L mit weichem Pinsel gemacht und gleich darauf die Haut exzidiert wurde. Jod geht also durch die unverletzte Haut hindurch; aber nach der Ansicht der Verf. beruht dieser Durchtritt auf chemischen Vorgängen, da das Jod fast zu allen Bestandteilen der Haut chemische Verwandtschaft besitze. So gehe es mit dem Keratin z. B. eine recht beständige Verbindung ein. Deshalb ist die Permeabität der Haut im allgemeinen durch diese Versuche noch nicht erwiesen. Irrig ist aber die weit verbreitete Ansicht, die Hornschiehten seien undurchdringlich. Im Gegenteil dringt jede Lösung bis zum Stratum pellueidum. Und auch dies ist nieht absolut undurchdringlich wie die Versuche mit Ferrocyankalium zeigen. W. Julius Sachs, Gesammelte Abhandlungen über Pflanzen- Physiologie. Erster Band. Abhandlung I-XXIX vorwiegend über physikalische und che- mische Vegetationserscheinungen. 674 Stn. 8°. Mit 46 Textbildern. Leipzig, Wilhelm Engelmann. Mit der Herausgabe dieser gesammelten Abhandlungen hat der Verf. nieht bloß der jüngeren Generation, an welche er sich eigentlich wendet, sondern überhaupt Jedem, welcher ein Interesse an der Pflanzenphysiologie und ihrer Entwicklung hat, einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Denn die grundlegende und bahnbrechende Thätig- keit des Verf. auf sämtlichen Gebieten der Pflanzenphysiologie hat es naturgemäß im Gefolge gehabt, dass wohl keine einschlägige Frage in Angriff genommen werden kann, ohne dass dabei Arbeiten und Theorien des Verf. zu Grunde gelegt werden oder doch wenigstens berührt werden müssen. Um so dankbarer ist es zu begrüßen, wenn Verf. sich nun der großen Mühe unterzogen hat, seine zahlreichen, an vielen Orten nieder- gelegten Abhandlungen. einer Revision zu unterziehen und dieselben in zwei Sammelbänden — von denen der zweite demnächst erscheinen wird — vereinigt den Fachgenossen darzubieten. Den Letzteren werden hierdurch, worauf Verf. besonders abzielt, viel Zeit, Mühe und Kosten erspart, indem die in zahlreichen, zum Teil älteren Zeitschriften und Akademienberichten zerstreuten Abhandlungen nun übersichtlich ver- einigt und Jedem in die Hand gegeben werden. Ein Einblick in den vorliegenden ersten Band zeigt, dass nicht sämtliche wissenschaftliche Abhandlungen des Verf. und auch nicht alle in unveränderter Form wiedergegeben werden, sondern, wie in der Vorrede des Näheren motiviert ist, es sind mit wenigen Ausnahmen nur solche Abhandlungen aufgeführt, durch welche Thatsachen kon- statiert wurden, während Publikationen rein theoretischen Inhaltes fortgelassen sind. Desgleichen sind nicht aufgenommen die Schriften polemischen Inhaltes sowie die in populärer Form geschriebenen Ab- handlungen und einige seltene Aufsätze, deren thatsächlicher Inhalt als allgemein bekannt gelten kann. Von manchen älteren Abhand- 39 Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. lungen wurden nur Auszüge aufgenommen, „was jedesmal in der Auf- schrift angedeutet ist; im anderen Fällen wurden ab und zu einige Zeilen oder ganze Seiten der Original- Abhandlungen gestrichen, zu- weilen auch kleine [dann aber besonders bemerkte] Zusätze gemacht; letztere um den Leser in Kürze über gewisse Punkte zu orientieren“. Einigen älteren Abhandlungen sind nachträglich einige Textfiguren zugefügt worden. Der erste Band bringt, abteilungsweise und nach dem behandelten Stoffe angeordnet, sechs Abhandlungen über Wärmewirkungen an Pflanzen; fünf über Lichtwirkungen an Pflanzen; sieben über Chloro- phyll und Assimilation; fünf über Bewegungen des Wassers in Pflanzen und sechs über das Verhalten der Baustoffe bei dem Wachstum der Pflanzenorgane. Die „gesammelten Abhandlungen“ dürften sich bald in Aller Händen befinden. Wortmann (Geisenheim a./Rh.) August Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Vierte Auflage von Quain-Hoffmann’s Anatomie. Bd. I. Gr. 8. 770 Stn. Bd. II. 1. Abteil. 271 S. Leipzig. Eduard Besold (Arthur Georgi). 189. Dies bekannte Lehrbuch der Anatomie liegt nun, nachdem es seit seiner ersten deutschen Ausgabe mannichfache Schicksale erfahren hatte, in voll- kommen umgearbeiteter Form fast vollendet vor. Nur der letzte Halbband steht noch aus. Der Bearbeiter, der bekannte Dorpater Anatom, spricht sich über die Grundsätze, welche ihn bei dieser Neubearbeitung geleitet haben, in der Vorrede klar aus. Die Berührungspunkte zwischen Anatomie und ihren nächst- verwandten Wissenschaften: vergleichende Anatomie, Entwicklungsgeschichte und Physiologie insbesondre, machen immer mehr ihren Einfluss auf die ana- tomische Lehrmethode geltend. Ihnen sucht der Verf. gerecht zu werden, nicht indem er Bruchstücke aus ihnen der Darstellung der anatomischen Thatsachen beimischt, sondern indem er sich sozusagen von ihrem Geist durchdringen lässt und dadurch ein helleres Licht auf jene zu werfen im stande ist. Diese Absicht hat Herr R. auch mit vielem Geschick verwirklicht. Nirgends geht er über den Rahmen der eigentlichen Anatomie hinaus und doch fühlt man sozusagen fortwährend den Hauch einer wissenschaftlichen Gesamtbiologie in der ganzen Darstellung. Besonders die knappen und doch klaren Einlei- tungen zu den einzelnen Abschnitten tragen zum Gelingen dieser schweren Aufgabe, welche sich der Verf. gestellt und der er vollkommen gerecht ge- worden ist, sehr viel bei. Diese sowie der ganze erste Abschnitt (allgemeine Anatomie) sind sehr ansprechend und verdienen hohes Lob. Die Grenze zwischen der eigentlichen Anatomie und den Nachbarwissen- schaften zu ziehen ist nicht immer leicht. Besonders zwischen makroskopischer und mikroskopischer Anatomie besteht eigentlich keine wissenschaftlich be- gründete Grenze. Hier das auszuwählen, was in ein Lehrbuch aufzunehmen und was fortzulassen ist, namentlich wenn es sich um ein Lehrbuch der Ana- tomie des Menschen handelt, und wenn dieses Lehrbuch einen mäßigen Um- fang nicht überschreiten soll, ist eine schwere Aufgabe. Der Verfasser hat sie, wie mir scheint, mit Glück gelöst. Man wird wohl Nichts wesentliches vermissen und man wird von der Wärme und Lebendigkeit der Darstellung angenehm berührt sein. Unterstützt wird diese durch die vortrefflichen Ab- bildungen, deren Zahl in der neuen Auflage noch erheblich größer ist als in den früheren (771 im 1. Band, 204 in der ersten Hälfte des 2. Bandes). Einige wenige dieser Abbildungen sind schematisch, andre zu Erhöhung der Deutlich- keit zweifarbig gedruckt. Die Ausführung und der Druck der Holzschnitte sind geradezu musterhaft. P. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Öentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Be in rn 24 Nummern : von je 2 - Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 46 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 1. Februar 1893. Nn2 Inhalt: Biologische Nomenklatur. — Bay, Wie verhalten sich die Bewegungserschei- nungen im Pflanzenreiche zu denen im Tierreiche? — Wasmann, Laut- äußerungen der Ameisen. — Lwofl, Ueber die Keimblätterbildung bei den Wirbeltieren. — Stieda, Ueber cranio-cerebrale Topographie (Schluss). — Lueiani, Physiologie des Kleinhirns. — Programm für den neunten Bressa’schen Preis. Biologische Nomenklatur. Das Bestreben, in die biologische Nomenklatur, zunächst we- nigstens im Gebiete der Morphologie, Ordnung und Uebereinstimmung zu bringen, wird von allen Seiten lebhafte Zustimmung finden. Um jenem Bestreben auch in diesem Blatte zu dienen, haben wir in voriger Nummer den dankenswerten Vorschlägen des Herrn F. F. Schulze gern Raum gegeben in der Hoffnung, dass sie dazu beitragen werden, die Einigung über die zu Grunde zu legenden Prinzipien zu befördern. Zu demselben Zweck bringen wir jetzt die Beschlüsse der Australischen und der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften, betreffend ein Internationales Committee für biologische Nomenklatur zum Abdruck. Die Beschlüsse der Australischen Gesellschaft lauten: 1. Es ist wünschenswert, größere Uebereinstimmung in der bio- logischen Nomenklatur, namentlich auf morphologischem Gebiete, her- beizuführen. 2. Zu diesem Behuf sind folgende Maßregeln zu ergreifen: A) Ein internationales Committee ist einzusetzen, welches die Ausdrücke von allgemeiner Wichtigkeit, z. B. solche, die der Botanik und Zoologie gemeinsam angehören, die sich auf die Lage beziehen !) u. s. w. fest- zustellen hätte, ferner B) die Vorbereitung eines autoritativen histori- schen Glossars biologischer Kunstausdrücke und C) ein systematisches Verzeichnis neuer Ausdrücke in den verschiedenen beschreibenden Publikationen besorgt. 4) Hierher sind die Vorschläge des Herrn Schulze zu rechnen. XIII. B) 34 Biologische Nomenklatur. 3. Abschrift dieser Beschlüsse sind an die britischen und ameri- kanischen gelehrten Gesellschaften und an die Anatomische Gesell- schaft zu senden. Infolge dieser Beschlüsse hat die Amerikanische Gesell- schaft für Beförderung der Naturwissenschaften in ihrer Versammlung zu Washington (1891) auf Vorschlag der biologischen Sektion ein Komite eingesetzt, bestehend aus den Herren: George L. Goodale, Harvard University, Mass; John M. Coulter, Indiana State University, Bloomington, Indiana; Theo- dore Gill, Smithsonian Institution, Washington, D. C.; Charles 8. Minot, Harvard Medical School, Boston, Mass.; Simon H. Gage, Cornell University, Ithaca, N. Y. Dieses Committee hat auf der Versammlung zu Rochester der Biologischen Sektion und dann der allgemeinen Versammlung Bericht erstattet. Der Bericht wurde einstimmig angenommen und der Auftrag des Com- mittees von neuem bestätigt. Dieser Bericht stellt daher den ersten Beitrag der amerikanischen Abteilung des internationalen Committees dar. Die Beschlüsse lauten: 1. Die französischen und italiänischen Biologen sollen eingeladen werden, auch ihrerseits Zweigcommittees einzusetzen zu gemeinsamer Arbeit mit den anderen Zweigcommittees. 2. Um die Nomenklatur wirklich zu verbessern ist es vor allen Dingen notwendig, sich über die der biologischen Terminologie zu Grunde zu legenden Prinzipien zu einigen. (Vorschläge hierzu siehe weiter unten). 3. Es ist notwendig, zunächst eine Auswahl von Bezeichnungen zu treffen und diese so genau als möglich zu definieren. Bei dieser Auswahl sollen die vereinbarten Prinzipien leiten und ausschlaggebend sein. 4. Bei der Ausarbeitung des Glossars soll die lexikalische An- ordnung u. z. unter Voranstellung der lateinischen Form des betref- fenden Ausdrucks festgehalten werden. Es würde nützlich sein, die Etymologie des Worts beizufügen, ferner (bei Substantiven) das Ge- schlecht der lateinischen Form, die adjektivische und in einzelnen Fällen auch die adverbiale Form. Auf die lateinische Form des Worts soll die italiänische, fran- 'zösische, deutsche und englische Form folgen mit Angabe des Ge- schlechs, des Nominat. sing. und plur. und der Adjektivform, wie bei dem lateinischen Wort. Bei Durehführung dieses Grundsatzes der Paronymie würde das Glossar von jedem mit der Biologie Ver- trauten gerade so leicht gebraucht werden können wie ein in seiner eignen Muttersprache abgefasstes Vocabular. Als Beispiel möge das Wort „Biologie“ dienen: Biologische Nomenklatur. 3D Biologia, Lat. s. f. pl. biologiae, adj. biologieus. Ital. La Biologia, pl. le biologie, adj. biologico. Franz. La Biologie, pl. les biologies, adj. biologique. Deutsch Die Biologie, pl. die Biologieen, adj. biologisch. Engl. Biology, pl. biologies, adj. biologieal. (In dem gebräuchlichen Sinne hat dieses Wort freilich keinen Plural, doch kann man von „Biologieen“ etwa in demselben Sinne sprechen wie von „Philosophieen“. Irgend ein anderes Wort hätte natürlich ebensogut als Beispiel dienen können). Auf die Wortform in den fünf Sprachen hätte dann eine genaue Definition, ebenfalls in allen diesen Sprachen, zu folgen. Es wäre auch gut, die gangbaren, den einzelnen Sprachen an- gehörigen Ausdrücke aufzunehmen u. z. in alphabetischer Anordnung zwischen den lateinischen Wörtern (wie m Foster’s Medical Die- tionary) und mit Verweisung auf das entsprechende lateinische Wort. 5. Das Committee rät dringend, dass jeder Schriftsteller, welcher einen neuen Kunstausdruck zum erstenmal gebraucht, in einer An- merkung a) die lateinische Form, b) die Etymologie, e) die besondere, gangbare und anerkannte Bezeichnung für den Begriff in seiner Muttersprache, wenn nötig mit der Adjektivform, endlich eine mögliehst knappe und präzise Definition beifügen möge. Wenn der Ausdruck in einer neuen Bedeutung angewendet wird, soll darauf in einer besonderen Anmerkung aufmerksam gemacht und die neue Bedeutung sorgfältig definiert werden. Endlieh soll in den referierenden Veröffentlichungen bei Anführung neuer Wörter stets die lateinische Form mit Adjektiv u. s. w. zuerst und dann die verschiedenen Paronymen nach festen philologischen Prinzipien angegeben werden, indem für jede Sprache ein biologischer und philologisch geschulter Sachverständiger die Bezeichnung festsetzt. Auf diese Weise würde die Anfertigung des autoritativen Glossars für die Zukunft sehr erleichtert werden. 6. Die Anbahnung einer Uebereinstimmung der Bezeichnungen in der Botanik und Zoologie ist m hohem Grade erwünscht. Der Weg hierzu wurde schon eingeschlagen von Schleiden und Schwann durch Einführung der Bezeichnung Protoplasma für dieselbe Substanz bei Pflanzen und Tieren (Sarkode von Dujardin, Protoplasma von Purkinje, von Mohl und Max Schultze). Grundzüge für die Wahl biologischer Bezeichnungen. Vom amerikanischen Committee zur Prüfung und Annahme empfohlen: 1. Die Namen von Organen und Körperteilen sowie die Bezeich- nungen der Lage und Richtung sollen Einzelworte (Mononyme) sein und nicht beschreibende Sätze. Von Menschennamen hergeleitete Bezeichnungen, wie z. B. Malpighi’sche Körperehen wären also zu vermeiden. 3% 36 Biologische Nomenklatur. 2. Die morphologischen Bezeichnungen sollen etymologisch richtig und, soweit als irgend möglich, aus dem Griechischen oder Lateini- schen abgeleitet sein und eine lateinische Form haben. 3. Bezeichnungen der Lage und Richtung in einem Organismus sollen nur mit Beziehung auf den Organismus selbst und nicht mit Beziehung auf die Außenwelt gewählt sein!). Dies haben schon Chaussier (1789), Barclay (1803) und viele andere Schriftsteller hervorgehoben. Die gegenwärtig gebräuchliche Anwendung solcher Ausdrücke in mehr oder minder großer Ausdehnung ersieht man aus allen großen anatomischen und morphologischen Werken z. B. Ana- tomie von Bichat (1801), Henle (1873), den. Werken von Owen (1846, 18668), Key und Retzius und vielen andern. Diese Richtung zu fördern und sie zur Alleinherrschaft zu bringen ist der Wunsch des Committees. 4. Es wird empfohlen, dass zu jedem Kunstausdruck in seiner lateinischen Form eine andere Form (ein Paronym) für jede Sprache geschaffen werde. In vielen Fällen kann dazu die lateinische Form mit geringen Veränderungen, besonders in der Endung dienen und so (las Wort sich mehreren Sprachen anpassen. Das Wort Biologie ist hierfür ein gutes Beispiel. Worauf es ankommt, ist, dass das Wort durch die Anpassung an die einzelnen Sprachen nur so wenig verändert wird, dass jeder, der die lateinische Form kennt, es in den verschie- denen Sprachen leicht wiedererkennt. Durch solch solche Paro- nymisation würde das Verständnis wissenschaftlicher Schriften sehr erleichtert werden. Natürlich bieten hierin die romanischen Sprachen mehr Beispiele, doch fehlt es auch nicht an solehen im Englischen und Deutschen. Das Committee hat sich mit den Arbeiten des früheren Committees für anatomische Nomenklatur einverstanden erklärt, welche dahin gehen: 1. Die Adjektive dorsal und ventral sollen an Stelle der Bezeichnungen vorn und hinten (oder oben und unten im der ver- gleichenden Anatomie) benutzt werden. 2. Die Hörner (der grauen Substanz) des Rückenmarks und die Nervenwurzeln des kückenmarks sollen gleichfalls als dorsale und ventrale, nicht als hintere und vordere bezeichnet werden. 3. Die Rippen tragenden Wirbel sollen thoracische, nicht dor- sale genannt werden. 4. Der Hippocampus minor soll Calcar, der Hippocampus major soll Hippocampus, der Pons Varolii soll Pons, die Insula Reili soll Insula, die Pia mater und dura Mater sollen Pia und Dura genannt werden. 1) Vergl. hierzu die Bemerkungen des Herrn Schulze in voriger Nummer. Bay, Bewegungserscheinungen im Pflanzenreich. 37 Verzeichnis der wichtigsten Werke über Nomenklatur. 1789. Chaussier Fr., Exposition sommaire des muscles du eorps humain, suivant de la classification et de la nomenclature methodique adop- tee au cours public d’anatomie de Dijon. 1803. Barelay John, a new Anatomical Nomenelature, relating to terms which are expressive of position and aspect in the animal system. 1846. Owen Richard, Archetype and Homologies of the Vertebrate Skeleton; ferner: Anatomy of Vertebrates, 1861—1868. 1877. Pye- Smith, Suggestions on some points of Anatomical Nomen- elature. Journal of Anat. and Physiol., 1877, p. 154-175. 1889. Leidy, Joseph, Human Anatomy, vgl. B.G. Wilder in Philad. Medical News, Dec. 19, 1891. 1871—1891. Wilder, Burt G., Verschiedene Abhandlungen über anatomische Nomenklatur; die letzte in den Medical News und die vorher- gehende in Reference Hand-Book of the Medical Sciences (s. u.) kann als ein Abriss des ganzen Gegenstandes mit Vorschlägen für zukünftige Fortschritte angesehen werden. 1891. Parker T. J., On Nomenelature, Nature, Nov. 19, 1891, p. 68—69. 1389. Congres International de Zoölogie; Compte-rendu des S6ances. p. 425 u. 431. Verhandlungen der anat. Gesellschaft auf der fünften Versammlung, S. 3, 4 und 5; Biolog. Centralblatt, 1892, S. 34—36. W. Krause, Internat. Monatsschrift für Anat u. Physiol., Febr. 1892. G. L. Goodale, Terminology. Vergl. auch Anatomical Terminology, in the Reference Hand-Book of the Medical Sciences, Vol. viii, p. 536. Wie verhalten sich die Bewegungserscheinungen im Pflanzen- reiche zu denen im Tierreiche? Von Christian Bay aus St. Louis. Die schönen Untersuchungen des Herrn Dr. Loeb über den Helio- tropismus der Pflanzen und Tiere haben mich lebhaft an einige Be- trachtungen erinnert, welche mir mein alter Freund und Landsmann Dr. Gabriel Sibbern in Kopenhagen vor etwa zwei Jahre brieflich mitteilte. Diese Bemerkungen beziehen sich auf zwei Vorträge, welche Herr W. Johannsen im Kopenhagen publizierte. Sie sind nieht ohne Interesse und lauten: Kopenhagen, den 20. April 1890. Lieber Herr Bay! „Hiedurch sende ich Johannsen’s Vorträge: „„Ueber die Seele der Pflanzen““ mit bestem Dank zurück. Dabei kann ich jedoch eine Bemerkung nicht zurückhalten. Dass im Pflanzenreiche Bewegungen vorkommen, welche denen der bewussten Geschöpfe analog sind, ist, meine ich, auf schlagende Weise dargethan. Doch kommt es mir vor, als ob, wenn sie auch den Bewegungserscheinungen der Tiere und des Menschen analog werden können, dies nicht dasselbe bedeutet, als ob sie den bewussten Aeußerungen der letzteren analog 38 Bay, Bewegungserscheinungen im Pflanzenreich. sein möchten. Sie können den unbewussten Erscheinungen analog werden, ohne dass die Analogie selbst in irgend einer Weise sich ver- liert. Bei den bewussten Organismen findet man ja ein ganzes System von unbewussten Aeußerungen, von welchen zweifelsohne das gilt, was Panum von gewissen Reflexbewegungen sagt, dass dieselben, obschon vollkommen unwillkürlich und unbewusst, doch hinsichtlich ihrer Kombination den willkürlichen und bewussten Bewegungen nahe verwandt sind (Panum, Nervefysiologi, 1883, p. 11). Ist es nicht hinlänglich, für die Pflanzen eine Analogie mit diesen Bewegungen anzunehmen? Dass es notwendig ist, die Analogie auf die bewussten Bewegungen auszudehnen, ist das, worüber ich Zweifel hege. Ich bin daran erinnert worden, dass F. ©. Sibbern im Jahre 1843 in der neuen Bearbeitung seiner „Psychologie“ von 1819 die Vermutung ausspricht, dass es vielleicht Organismen mit einem Centralsystem gibt, aber ohne Bewusstsein, obschon solche noch nicht nachgewiesen sind, und es waren eben die automatischen Reflexbewegungen, welche ihn auf diesen Gedanken brachten. In einer Festschrift bei der Universitätsfeier (Kopenhagen) 1845 sagt Eschricht, dass man sich ganz wohl einen tierischen Organismus ohne Gehirn, ohne eigentliches Centralorgan denken kann, womit er wohl einen tierischen Organismus ohne Bewusstsein versteht. Er führt an (l. e. S. 20), dass er im Jahre 1850 ein Kind gesehen hat, welches keine Spur von Gehirn- masse vor dem verlängerten Rückenmark besaß, welches Kind aber 30 Stunden lebte und im Ganzen wie ein normales Kind sich verhielt. Dies ist der Gedanke von einem Spimalwesen, wenn ich so sagen darf, welches aber zugleich kein Cerebrospinalwesen ist. Ein mit einem solchen analoges Wesen dürfte die Pflanze höchstens sein. Ob die als unbewusst betrachteten Aeußerungen wirklich ganz unbewusst sind, ist übrigens noch eine Frage; offenbar geht auch Panum davon aus. Deshalb wollte er mit Pflüger’s „Rückenmarks- seele“ nichts zu thun haben. Ich betrachte aber die Frage von der Natur und den Umfang des Bewusstseines im Verhältnis zum Körper als eine noch nicht befriedigend behandelte Frage; erst wenn diese Frage behandelt worden ist, kann man entscheiden, von welcher Natur die Aeußerungen der Pflanzen im Verhältnis zum Bewusstsein sein mögen“. Die Arbeit Johannsen’s, worauf sich diese Angaben beziehen, ist nun freilich nieht dem entsprechend, was die vergleichende Physio- logie der Tiere und Pflanzen gegenwärtig denkt. Soll es aber jemals als gelungen bezeichnet werden, die Brücke von der Tier- zur Pllanzen- physiologie fertig gebaut zu haben, dann ist der Eekstein in den Be- wegungserscheinungen zu suchen. „Es gibt nur eine einzige Form vom Leben, nur eine Physiologie für alle lebenden Organismen“. Missouri Botanical Garden, St. Louis, Dezember 1892. Wasmann, Lautäußerungen der Ameisen. 39 Lautäußerungen der Ameisen. Von E. Wasmann N. )J. Wenn es gelingt nachzuweisen, dass Ameisen durch Reibung be- stimmter Körperteile Laute hervorzubringen vermögen, die selbst für unser Ohr hörbar sind, so wächst die Wahrscheinlichkeit, dass diese Tiere auch ein wirkliches Gehörsvermögen besitzen!). Landois und Lubbock erwähnten bereits mutmaßliche Schrillorgane an dem Hinter- leibe einiger Ameisen, ohne jedoch den obigen Nachweis erbringen zu können. Es wird deshalb von Interesse sein, wenn ich eine Stelle über die Lautäußerungen indischer Ameisen aus einer kürz- lich erschienenen Arbeit von Robert Wroughton (Our Ants in: Journ. Bombay Nat. Hist. Soc. 1892) hier wörtlich mitteile (l.e. 8.15): „Lam almost certain, that I have heard such sounds. When one of the large „brown-paper“ nests of Cremastogaster Rogenhoferi is violent!y and suddenly disturbed, the ants swarm out in thousands, „wagging“ their abdomens, in the manner so characteristic of Cremasto- gaster when excited; at such times a distinet hissing sound is audible, as if red-hot einder had been plunged into water. I had always ac- eounted for this by supposing it was caused by the material of the nest under the feet of the ants, and a similar, though faimter sound, which may be heard when a large nest of Camponotus or Polyrhachis spinigera is disturbed, by the rubbing together of the bodies of the ants, who are all in violent movement at once. The passage from Lubbock quoted above, however, leads me to think, that this is not so, but that the audible noise is the sum of the individual stridulations of ecountless ants. The „tail-wagging“ of Cremastogaster, would ac- count for the sound made by them being louder, though they are so much smaller than Camponotus or Polyrhachis. I had asked Mr. Aitken to make some experiments to check the results I thought I had obtained. Members will no doubt recognize his hand in the following characteristie note which fully supports my contention. „„I do not need to experiment. The roar raised by a squadron of Lobopelta?), if you poke at them with a straw, does not require to be listened for with your hand to your ear. I should like however to know something about the organs, by which it is produced. Military drums! I should think*“. Dr. Aug. Forel berichtete schon vor fast zwanzig Jahren über ein eigentümliches, in einem Geräusche bestehendes Alarmsignal bei unseren europäischen Camponotus (Fourmis d. 1. Suisse p. 354): „Le signal de l’alarme est tres partieulier; non seulement les Camponotus se frappent vivement et A coups repetes les uns les autres, mais en m&me temps il frappent le sol deux ou trois fois de suite 1) Vergl. „Zur Frage nach dem Gehörsvermögen der Ameisen“. Biolog. Centralbl., IX, Nr. 1, S. 26 u. 27. 2) Poneriden von meist mittlerer Größe. 40 Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. avec leur abdomen, et r&petent cet acte a de courts intervalles, ce qui produit un bruit tres marque qu’on entend surtout bien lorsque le nid est dans un trone d’arbre“. Ich fand diese Beobachtung Forel’s wiederholt bei Camponotus ligniperdus bestätigt und habe ihr Nichts hinzuzufügen. Dass dieses Alarmsignal von den Ameisen selbst wahr- genommen werde, ist nicht zu bezweifeln; sonst wäre es kein Alarm- signal. Allein es bleibt noch die Frage, ob jene Wahrnehmung eine Gehörswahrnehmung ist oder eine Gefühlswahrnehmung, welche durch die leise Erschütterung der Unterlage vermittelt wird. Die Ameisen haben ja Tasthaare auch an den Füßen. Günstiger für die Lösung dieses Zweifels wären manche unserer Myrmieiden, die ihre zornige Aufregung durch heftiges Auf- und Abbewegen des Hinterleibes aus- drücken, wobei sie die Basis des ersten Stielchengliedes an das Meta- notum zu reiben scheinen. Leider sind die betreffenden Arten mit Ausnahme der allzu phlegmatischen Myrmica rubida fast zu klein, um die betreffende Lautäußerung deutlich wahrnehmen zu können. Nur einmal habe ich eine derartige Wahrnehmung gemacht, die ich vor zwei Jahren in einer Arbeit über die Fühler der Insekten (in: Stimmen aus Maria-Laach, 40. Bd. (1801) S. 214) veröffentlichte. Da sie in fachwissenschaftlichen Kreisen wohl noch unbekannt sein dürfte, teile ich sie hier nochmals mit. An einem warmen Tage hatte ich eine starke Abteilung eimer Kolonie von Myrmica ruginodis in ein leeres Glasgefäß gesetzt. Die Ameisen waren sehr aufgeregt und be- wegten heftig ihren Hinterleib auf und ab. Bei dieser Bewegung, die von einer großen Menge Individuen gleichzeitig ausgeführt wurde, vernahm ich ein leises zirpendes Geräusch, das mich an das Zirpen eines m den Früchten der Schwertlilie lebenden Rüsselkäfers (Mono- nychus pseudacori). erinnerte. Leider ist es mir nicht geglückt, diese Wahrnehmung bei späteren Versuchen zu wiederholen. In Entom. Monthl. Mag., XIV, 1878—79, 8. 187 findet sich von A. H. Swinton eine „Note on the stridulation of Myrmica ruginodis and other Hymenoptera“. Er beobachtete, dass eine kleine Arbeiterin (nieht ein Männchen, wie Sw. meinte) den Hinter- leib rasch auf- und abbewegte. Er untersuchte und fand hierauf ver- mutliche Schrillorgane an der Basis des Hinterleibes und am zweiten Stielehenglied. Ueber die Keimblätterbildung bei den Wirbeltieren'). Von Basilius Lwoff, Privatdozent an der Universität in Moskau, Die ausgedehnten vergleichenden Untersuchungen über die Keim- blätterbildung bei den Wirbeltieren haben mich zum Schlusse geführt, 1) Diese Mitteilung bildet die unmittelbare Fortsetzung meines Aufsatzes „Ueber einige wichtige Punkte in der Entwicklung des Amphioxus“. Biolog. Centralbl, Bd. XII, Nr. 23/24. Lwoft, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 41 dass alle zur Zeit herrschenden Theorien über Gastrulation und Keim- blätterbildung bei den Wirbeltieren mit den Thatsachen nicht har- monieren. Alle diese Theorien wollen in der für alle Chordaten charakteristischen Einstülpung nichts anderes als die Gastrulation sehen, obgleich diese Einstülpung in der Mehrzahl der Fälle in keiner Beziehung zur Bildung des Darmes steht. Dies hat zur Folge, dass man bei den höheren Wirbeltieren keine Stütze mehr hat, um die primären Keimblätter zu unterscheiden. Von der Ueberzeugung aus- gehend, dass das echte Entoderm immer durch Einstülpung gebildet werden soll, ist man im dieser Richtung so weit gegangen, dass man bei Amnioten das untere Blatt, aus dem der Darm gebildet wird und das dem Entoderm der niederen Wirbeltiere homolog ist, nicht für das Entoderm hält, sondern für etwas, was keine Homologie mit den niederen Wirbeltieren zulässt (Paraderm etc.); als Entoderm aber bezeichnet man die Ektodermzellen, die nach innen sich einstülpen oder hineinwachsen, aber an der Bildung des Darmes keinen Anteil nehmen. — Oder es wird angenommen, dass sowohl die Zellen des unteren Blattes, aus denen der Darm gebildet wird, wie die ein- gestülpten Ektodermzellen als Entoderm zu bezeichnen sind, aber das untere Blatt, aus dem der Darm gebildet wird, wird als sekundäres oder cenogenetisches Entoderm, die eingestülpten Zellen aber, welche die Anlage der Chorda und des Mesoderms darstellen, als primäres oder palingenetisches Entoderm bezeichnet. Es ergibt sich also nach dieser Auffassung, dass der Darm aus dem cenogenetischen Entoderm, die Chorda aus dem palingenetischen Entoderm gebildet wird. Um die Unhaltbarkeit dieser Auffassung deutlich zu sehen, braucht man nur zu fragen, was phylogenetisch älter ist: der Darm oder die Chorda? Indem man in ‘dem für alle Wirbeltiere eigentümlichen Einstül- pungsprozesse die Gastrulation in ihrer ursprünglichen Einfachheit sehen will, will man natürlich auch in diesen vermeintlichen Gastrulae einen Gastrulamund auffimden und bei allen Wirbeltieren die Homo- logie der dorsalen und ventralen Lippe des Blastoporus feststellen. Aber die Ansichten verschiedener Forscher in Bezug auf diese Fragen gehen so weit auseinander, dass damit der beste Nachweis geliefert wird, wie unbestimmt die Vorstellungen darüber sind, was als Gastru- lation zu bezeichnen ist. Ebenso viele Meinungsverschiedenheiten herrschen über den Gastrulamund. Nach der Ansicht einiger Em- bryologen entspricht der Blastoporus bei den meroblastischen Eiern dem Umwachsungsrande des Dotters. Andere Embryologen hingegen heben hervor, dass der Umwachsungsrand keineswegs dem Blasto- porus entspricht: er sei eine Besonderheit der meroblastischen Eier ete. Diese Schule schlägt vor, diejenige Stelle des Keimes als Urmund zu bezeichnen, an welcher eine Einstülpung von Zellen stattfindet (bei den Selachiern der hintere Teil des Keimscheibenrandes, bei den Am-. nioten der Primitivstreifen und die Primitivrinne). Aber das ist noch 42 Lwoft, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren, nicht Alles. Es gibt auch Embryologen, die annehmen, dass der Blastoporus stets nach der neuralen Seite des Tieres gekehrt ist und hier längs einer medianen Linie zum Verschluss kommt, welche als Gastrularaphe bezeichnet wird. Auf solche Weise soll nach dieser Auffassung das Nervensystem an der Stelle der Gastrularaphe sich entwickeln, indem die Ränder des Blastoporus sich im die Medullar- wülste verwandeln sollen! In dieser kurzen Mitteilung kann ich freilich nicht auf Besprechung aller Theorien eingehen, welche die entsprechenden Entwicklungsvor- gänge der Wirbeltiere auf Gastrulation zurückführen, mit andern Worten in der Gastrulation eine Universalerklärung für die Keim- blätterbildung sehen wollen, als ob keine anderen Vorgänge in diesen Stadien existieren könnten. Es hat viele Versuche gegeben, die Gastru- lationstheorie bei allen Wirbeltieren durchzuführen, aber alle diese Theorien sind meiner Ansicht nach gezwungen und unnatürlich. Es bleibt übrig die Frage zu stellen, ob es nicht möglich ist diese Vor- gänge etwas anders zu deuten, ohne die Tragweite der Gastrulations- theorie auf die Spitze zu treiben? Meine Untersuchungen haben mich zum Schlusse geführt, dass eine solche Auffassung, welche im dem Einstülpungsprozesse keine Gastrulation, sondern einen für alle Chordaten eigentümlichen Vor- gang sieht, nicht nur möglich, sondern geradezu notwendig ist, wenn man die ersten Entwieklungsvorgänge verschiedener Wirbeltiere mit einander vergleichen und dabei die strenge Homologie der primären Keimblätter beibehalten will. Ich habe die Keimblätterbildung bei folgenden Tieren untersucht: bei Amphioxus, Petromyzon, von Amphi- bien beim Axolotl, von Selachiern bei Pristiurus und Torpedo, von Knochenfischen bei Labrax, Julis, Gobius, von Reptilien bei Lacerta. Meine Untersuchungen über die Entwicklung des Amphioxus habe ich schon publiziert). Im Folgenden will ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen über diese Entwieklungsvorgänge bei den erwähnten Wirbeltieren veröffentlichen, insofern es nötig ist, um meine Auffas- sung zu begründen. Ob ich gleich diese Auffassung ebensowohl eigenen Untersuchungen, wie dem sorgfältigen Studium der Litteratur verdanke, werde ich doch hier, um die Grenzen einer vorläufigen Mitteilung nicht zu überschreiten, von der Litteratur so gut wie ganz absehen. Die Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur sowohl wie die eingehende Schilderung meiner Untersuchungen soll in einer ausführlichen Arbeit, die demnächst erscheint, folgen. Ehe ich zur Schilderung meiner Ergebnisse übergehe, will ieh einige wichtige Punkte in dieser Frage betonen. Zuvörderst soll er- örtert werden, ob die zur Zeit herrschende Schule Recht hat, wenn sie die Einstülpung bei den Wirbeltieren als Gastrulation auffasst? Um diese Frage zu beantworten, muss man ermitteln, was eigentlich 4) Biol. Gentralblatt, Bd. XII, Nr. 23/24. Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 4: unter Gastrulation zu verstehen ist? was in diesem Prozess typisch und was zufällig und nebensächlich ist? Als Gastrulation wurde der Prozess der Einstülpung bezeichnet, der zur Bildung der Darmhöhle führt, wodurch eine deutliche Gastrula (eine Darmlarve) gebildet wird. Aber der Prozess der Darmbildung vollzieht sich nicht immer durch Einstülpung; manchmal geht dieser Prozess so vor sich, dass die Zellen, die später den Darm bilden (Entodermzellen), von den äußeren Zellen (Ektodermzellen) umwachsen werden und die Darmhöhle später durch Auseinanderweichen der Entodermzellen entsteht. Dieser Prozess der Umwachsung wurde von vielen Forschern für homolog der typischen Gastrulation gehalten, und ich glaube mit Recht, da in beiden Fällen der Prozess im Wesent- lichen darin besteht, dass die den Darm bildenden Entodermzellen nach innen zu liegen kommen und von den Ektodermzellen umgeben werden. Ob dieser Prozess in Form der Einstülpung oder der Um- wachsung sich vollzieht, ist von untergeordneter Bedeutung. Daraus folgt, dass man nur solchen Prozess als Gastrulation bezeichnen kann, durch den die Entodermelemente eingestülpt oder umwachsen werden, durch den also vor allem die Bildung des Darmes eingeleitet wird. An dieser Auffassung muss man festhalten, wenn man will, dass die Gastrulation überhaupt irgend weiche bestimmte Bedeutung hat. Das ist der erste Punkt, den man in dieser wichtigen Frage berücksichtigen muss Der zweite Punkt betrifft die Unterscheidung der primären Keim- blätter. Wenn man die bilateral-symmetrischen Chordaten von einer radial-symmetrischen gastrulaähnlichen Form ableiten will, so muss man an der Homologie des Ektoderms und Entoderms solcher gastrula- ähnlichen Form mit dem äußeren und inneren Keimblatt der Chor- daten festhalten. Da aber das Entoderm der gastrulaähnlichen Form vor allem den Darım bildet, so muss man bei der Bestimmung der Keimblätter zunächst ins Klare bringen, welche Elemente oder welche Schicht den Darm bildet. Diese Schicht muss man Entoderm nennen, gleichviel ob von diesen Zellen noch etwas anderes außer dem Darme gebildet wird oder nicht. Hier will ich nicht auf die Frage eingehen, ob die typische Gastrulation, d. h. Invagination einen primären oder sekundären Modus der Entodermbildung darstellt. Gleichviel, bei der Deutung der Zu- stände bei den Wirbeltieren nehme ich an, dass die bilateral-sym- metrischen Chordaten von einer radial-symmetrischen gastrulaähn- liehen Form abstammen, da in der Entwieklung der niederen Chor- daten eine, obgleich etwas modifizierte Gastrula nicht zu verkennen ist. Dabei müssen wir bei der Homologisierung der Keimblätter der Chordaten den Standpunkt nicht aus den Augen verlieren, dass das innere Blatt der Gastrula (Entoderm) den Darm bildet, das Ekto- derm — die äußere Bedeckung; sonst verliert die Homologisierung 44 Lwoft, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. jede Bedeutung. Darum werden wir als Entodermzellen jene Zellen bezeichnen, aus denen der Darm entsteht, gleichviel, ob von diesen Zellen noch etwas anderes oder nichts mehr gebildet wird. Wenn wir von diesem Standpunkte aus die Zustände bei dem Amphioxus und den Wirbeltieren vergleichen, so ergibt sich Folgendes. Die Furchung des Eies geht so vor sich, dass wir bei den holoblasti- schen Eiern als Resultat der Furchung eine Blastula vor uns haben, deren eine Hälfte von den kleineren Blastomeren (Mikromeren), die andere Hälfte von den größeren Blastomeren (Makromeren) gebildet wird. Der Unterschied zwischen Mikro- und Makromeren ist dadurch zu Stande gekommen, dass die ersteren sich rascher vermehren als die letzteren. Da die raschere Vermehrung der Mikromeren auch nach der Bildung der Blastula fortdauert, so beginnen die Mikro- meren sich über die Makromeren auszubreiten und sie zu umwachsen. Da, wo wir eine einschichtige Blastula vor uns haben (bei Amphioxus), vollzieht sich dieser Vorgang so, dass die Makromeren eingestülpt werden; da, wo die Blastula mehrschichtig ist (bei Petromyzon, Am- phibien), werden die Makromeren einfach von den Mikromeren um- wachsen. Da diese Makromeren den Darm bilden, so kann man sie mit vollem Rechte als Entodermzellen bezeichnen; die Mikromeren dagegen, die sich von den Makromeren merklich unterscheiden und die äußere Bedeckung bilden, sind als Ektodermzellen zu bezeichnen. Ich will diesen Standpunkt näher begründen. Ich finde keinen Grund, von den ersten Eiteilungen, vielleicht von der ersten äquatorialen Teilung an (wie es einige Forscher thun) eme ektodermale und eime entodermale Hälfte zu unterscheiden. Ich finde eine solche Unter- scheidung in diesem Stadium unbegründet, da jede derartige ver- meintliche Entodermzelle in zwei oder mehrere Zellen sich teilen kann, von denen eine später ihrer Lage nach zur Ektodermzelle, die andere zur Entodermzelle wird. Die Unterscheidung des Ektoderms und des Entoderms ist nur dann möglich, wenn die Blastula sehon gebildet ist und die Makromeren von den Mikromeren umwachsen werden. Es ist dabei nebensächlich, ob die Makromeren eingestülpt oder umwachsen werden. Ich nenne sie Entodermzellen nicht wegen der Einstülpung, sondern bloß darum, dass sie den Darm bilden. Den Prozess aber, infolge dessen die Entodermzellen nach innen zu liegen kommen und von den Ektodermzellen umgeben werden, kann man dem Gastrulationsprozesse homologisieren. Dieser Prozess ist als eine Vorbereitung zur Bildung des Darmes zu betrachten. Aber außer diesem Prozesse der Gastrulation, durch den die Bildung des Darmes eingeleitet wird, macht sich an der Seite, die später zur Dorsalseite des Tieres wird, ein anderer Prozess bemerkbar, der die Einstülpung der Ektodermzellen nach innen darstellt und den ich die dorsale Einstülpung bezeichnen will. Diese dorsale Einstülpung ist ganz unabhängig von der Gastrulation und hat mit der Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 45 Bildung des Darmes nichts zu thun; sie bildet die gemein- same ektoblastogene Anlage der Chorda und des Meso- derms. Diese Auffassung, die hauptsächlich bei der Untersuchung der Entwicklung des Amphioxus, des Petromyzon und des Axolotl ge- wonnen wurde, konnte ich auch bei der Deutung der Entwicklungs- vorgänge der Teleostier und Selachier durchführen, wie dieselbe denn auch durch die Entwicklung der Amnioten aufs evidenteste bestätigt wird. Nach diesen präliminären Bemerkungen will ich zur Schilderung meiner Befunde übergehen. Meine Untersuchungen über die Keimblätterbildung bei Petro- myzon beginnen mit dem Stadium der Blastula. Die Blastula schließt eine exzentrische, näher dem oberen Pole gelegene Höhle ein, deren Decke von kleineren Blastodermzellen, deren Boden von mehreren Schichten von größeren, dotterreicheren Zellen, die zu Entodermzellen werden, gebildet wird. Ich konnte dabei die Vermehrung und die Ausbreitung der Blastodermzellen (resp. Ektodermzellen) über die dotterreicheren Zellen (Entodermzellen) konstatieren. Es lassen sich in den Ektodermzellen zahlreiche Mitosen beobachten. In einer Schnitt- serie durch ein solches Stadium habe ich die Mitosen gezählt Es ergab sich dabei, dass die Entodermzellen 5 Mitosen, die oberfläch- lichen Ektodermzellen 23 Mitosen enthielten. Auf solche Weise ge- schieht die Umwachsung der größeren Entodermzellen durch kleinere Ektodermzellen, wodurch die ersteren nach innen zu liegen kommen und von den Ektodermzellen umgeben werden. Gleichzeitig kann man an einer Seite, die zur dorsalen Seite des Embryo wird, eine beson- ders rege Vermehrung der Ektodermzellen bemerken, und hier an einer Stelle, die das hintere Ende des Embryo markiert, beginnt die Einstülpung der Ektodermzellen nach innen. Dadurch wird eine Höhle gebildet, die gewöhnlich als Gastrulahöhle oder Urdarmhöhle bezeichnet wird und deren dorsale Wand von den eingestülpten Ekto- dermzellen gebildet wird. Aber diese Einstülpung bildet nur die dor- sale Wand der Höhle, darum bezeichne ich sie als dorsale Ein- stülpung. Die ventrale Wand der Höhle wird von den Entoderm- zellen gebildet, die nicht eingestülpt sind, sondern früher hier gelegen waren. Diese Verhältnisse kann man auf Medianschnitten durch solehe Stadien sehr deutlich sehen. Auf solchen Schnitten sieht man, dass die Ektodermzellen vom dorsalen Umschlagsrande aus nach innen wachsen und die dorsale Wand der Höhle bilden; die ventrale Wand wird dagegen von den Entodermzellen gebildet. Man sieht auch den verschiedenen Charakter der Zellen der dorsalen und ven- tralen Wand. Die ersteren sind epithelartig gelagert und bilden die Fortsetzung der Ektodermzellen, die vom Umschlagsrande aus nach 46 Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. innen wachsen. Die Zellen der ventralen Wand der Höhle haben eine rundliche oder polyedrische Form und sind nieht epithelartig gelagert. Sie bekommen den regulären epithelartigen Charakter später, wenn der Darm aus ihnen entsteht. Bei der Zählung der Mitosen in einer Serie von Sagittalschnitten ergab sich, dass die Ento- dermzellen 4 Mitosen (vorüglich im vorderen Teile der Höhle) ent- hielten, die Ektodermzellen 24 Mitosen (vorzüglich auf der dorsalen Seite; unter ihnen 7 am Umschlagsrande), die eingestülpten Ekto- dermzellen 4 Mitosen. Ich muss ganz besonders hervorheben, dass die Entodermzellen, die später den Darm bilden, nicht eingestülpt werden; sie erfahren nur einige Verschiebungen infolge der dorsalen Einstülpung, wodurch die Furchungshöhle zum Sehwunde gebracht wird. Es werden nur Elemente eingestülpt, aus denen die Chorda und das Mesoderm ent- stehen, und zwar geschieht diese Einstülpung so, dass die Ektoderm- zellen vom Umschlagsrande aus hineinwachsen und die kontinuier- liche dorsale Platte, die ektoblastogene Anlage der Chorda und des Mesoderms bilden. Ich finde keinen Grund die Zellen der dorsalen Wand der Höhle nur darum Entodermzellen zu nennen, weil sie nach innen hineinwachsen (sich einstülpen). Ebenso finde ich keinen Grund die Höhle auf diesem Stadium als Gastrulahöhle oder Urdarmhöhle zu bezeichnen. Auf diesem Stadium ist noch keine Darmhöhle vor- handen. Sie wird später gebildet, wenn die Entodermzellen auseinan- derweichen und die epitheliale Wandung bilden. Aus dem zentralen Teile der dorsalen Platte differenziert sich die Anlage der Chorda, die beiden seitlichen Teile derselben zusammen mit den angrenzenden Zellen des Entoderms bilden die Mesoderman- lagen. Es lässt sich gewöhnlich keine scharfe Grenze zwischen den ektoblastogenen und entoblastogenen Mesodermzellen ziehen, denn die sich einstülpenden Zellen wachsen hinein, indem sie den Entoderm- zellen dicht anliegen. Nachdem die Chordaanlage von den seitlichen Mesodermanlagen sich abgesondert hat, wachsen die Ränder des Ento- derms gegen einander, um die Darmwandung zu schließen, aber ehe dies geschieht, wird die Chordaanlage in die dorsale Darmwand vor- übergehend eingeschaltet. Indem die Ränder des Entoderms weiter unter die Chorda wachsen, wird die Chorda ausgeschaltet, die Ränder des Entoderms vereinigen sich und bilden jetzt die von allen Seiten geschlossene Darmhöhle. Dieselben Entwieklungsvorgänge konnte ich auch bei Awolotl beobachten. Einige Punkte sprechen hier noch mehr zu Gunsten meiner Auffassung, als bei Petromyzon. Indem die größeren Ento- dermzellen von den kleineren Ektodermzellen umwachsen werden, beginnt die dorsale Einstülpung. Diese Einstülpung ist nichts anderes als das Hineinwachsen der Ektodermzellen, die vom Umschlagsrande Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 47 aus nach innen wachsen und die zusammenhängende dorsale Zellen- platte bilden, welche wie bei Petromyzon die ektoblastogene Anlage der Chorda und des Mesoderms darstellt. Zur Bildung der Darm- höhle dient diese Einstülpung keineswegs. Der Darm wird durch Auseinanderweichen und Verschiebung der Entodermzellen gebildet, die nicht eingestülpt sind, sondern früher hier gelegen waren und durch ihre relative Größe, durch Gehalt an Dotterkörnchen und teil- weise durch Pigmentmangel nach wie vor von den kleineren Ekto- dermzellen sich unterscheiden lassen. Indem die dorsale Einstülpung vor sich geht, bildet sich allmählich durch Auseinanderweichen der Entodermzellen die Höhle, die später zur Darmhöhle wird. Die Bildung der Wandung dieser Höhle geht ebenso vor sich wie bei Amphioxus und Petromyzon, d. h. die Entodermzellen weichen so auseinander, dass sie zuerst die ventrale und die seitliche Begrenzung des Darmes bilden, der dorsale Teil aber noch offen ist. Daher kommt es, dass die Chordanlage, die sich von den seitlichen Mesodermanlagen ge- sondert hat, an der Begrenzung der Darmhöhle vorübergehend Anteil nimmt. Später vereinigen sich die Entodermzellen unter der Chorda, die auf solche Weise wieder ausgeschaltet wird. Was die seitlichen Teile der hineingewachsenen dorsalen Platte betrifft, welche die ekto- blastogene Anlage des Mesoderms darstellen, so sind sie von Anfang an von der Begrenzung der Darmhöhle ausgeschlossen durch die zwischenliegenden Entodermzellen, die sich zum Teil an die ekto- blastogenen Mesodermzellen anschließen, um ihren Beitrag zur Bil- dung des Mesoderms zu liefern. Ich darf nicht verschweigen, dass nicht alle Amphibien diese Verhältnisse bieten. Nach der Schilderung einiger Forscher stellen die Anuren einen solchen Fall dar, wo die Chorda von Anfang an von der Begrenzung der Darmhöhle ausgeschlossen ist. Leider habe ich selbst in dieser Hinsicht keine Erfahrung, da ich die Entwicklung der Anuren nicht untersucht habe. Aber wenn diese Angabe richtig ist, dann schließen sich die Anuren in dieser Hinsicht an die Se- lachier und Knochenfische an, wie es weiter gezeigt werden soll. Aus dem Gesagten geht zur Genüge hervor, dass auch bei Am- phibien die dorsale Einstülpung und die Bildung des Darmes aus- einanderzuhalten sind. Es sind zwei verschiedene Prozesse, die nur darum einige Beziehung zu einander haben, weil in einem Organismus die Bildung zweier benachbarter Organe immer gewisse Berührungs- oder Anknüpfungspunkte zeigt. Was die Bildung des Mesoderms an- geht, so entsteht dasselbe sowohl aus Ektoderm als aus Entoderm, und zwar nicht nur in den schon erwähnten seitlichen Mesoderm- anlagen, sondern auch in dem sogenannten ventralen Mesoderm, wo auch keine scharfe Grenze zwischen den ektoblastogenen und ento- blastogenen Mesodermzellen zu ziehen ist. Ich kann aber in dieser kurzen Mitteilung ohne Abbildungen auf diese Einzelheiten nicht näher 48 Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. eingehen und muss deren Schilderung auf die spätere ausführliche Arbeit verschieben. Indem ich zur Schilderung der korrespondierenden Entwicklungs- vorgänge in den meroblastischen Eiern der Selachier und Knochen- fische übergehe, muss ich vor allem jenen Embryologen entgegen- treten, die nach dem Vorgange von Häckel in dem Dotter nur eine Vorratskammer, aus der der Keim den Nahrungsstoff entnimmt, sehen und den Dotterelementen jede Beteiligung an der Bildung des Embryos absprechen wollen. Obgleich jetzt diese Ansicht als ein Anachro- nismus anzusehen ist, gibt es doch auch heutzutage einige Forscher, die annehmen, dass der Dotter bei Knochenfischen und Selachiern an der Furchung keinen Anteil nehme. Im Widerspruch mit diesen Em- bryologen muss ich angeben, dass nach meinen Befunden sowohl bei Knochenfischen als bei Selachiern das ganze Entoderm (der definitive Darm und das entoblastogene Mesoderm) seinen Ursprung den Dotter- elementen verdankt. Ich werde die Schilderung meiner Untersuchungen mit den Kno- chenfischen beginnen, da sie sich, indem sie weniger Dotter enthalten, in diesen Vorgängen näher an die Amphibien anschließen als die Selachier, bei denen dieselben Entwicklungsvorgänge wahrscheinlich infolge der größeren Quantität des Dotters mehr abgeändert sind. Bei allen von mir untersuchten Knochenfischen (Ladrax, Julis, Gobius) lässt sich keine scharfe Grenze zwischen den Blastodermzellen und dem Dotter bemerken. Die unteren Blastodermzellen sind so innig mit dem darunter liegenden Dotter verbunden, dass keine sie trennende Linie zu sehen ist. Diese Zellen teilen sich äquatorial und zwar so, dass die obere Tochterzelle sich abschnürt und zu den Blastoderm- zellen gesellt, die untere dagegen mit dem Dotter in Verbindung bleibt. Keine Spur von Furchungshöhle habe ich bei allen von mir untersuchten Knochenfischen gesehen. Nachdem das Blastoderm sich gebildet hat und die Blastodermzellen den Dotter zu umwachsen be- ginnen, kann man an der Oberfläche des Dotters eine kontinuierliche protoplasmatische Schicht mit Kernen, um welche manchmal Zellen- konturen zu sehen sind, bemerken. Es ist die intermediäre Schicht der Autoren, deren Kerne — direkte Abkömmlinge von Kernen der unteren Blastodermzellen — als Merocyten oder Periblastkerne be- zeichnet wurden. Das Vorhandensein so vieler Kerne ohne Zellen- konturen ist wohl durch rasche Kernteilung ohne entsprechende Zell- teilung zu erklären. Ich muss hervorheben, dass diese Kerne nicht zu Grunde gehen, wie einige Forscher wollen, sondern neue Zellen bilden, die am Aufbau des Embryos Anteil nehmen. Ich werde diese Kerne einfach Dotterkerne nennen. Nach der Bildung des Blastoderms kann man eine mehr oder weniger deutliche Grenze zwischen dem Blastoderm und Dotter, oder Lwöft, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 45 richtiger zwischen dem Blastoderm und der intermediären Schicht, die zum Dotter gehört, bemerken. Doch kann man nach wie vor die äquatoriale Teilung der Dotterkerne und die Bildung neuer Zellen sehen, die vom Dotter sich abschnüren und zu den Blastodermzellen sich gesellen. Jetzt, nachdem die Umwachsung des Dotters durch die Blastodermzellen begonnen hat, ist es Zeit die primären Keimschichten zu unterscheiden. Ich halte das ganze Blastoderm, dessen Zellen den Dotter umwachsen, für das Ektoderm, der Dotter aber mit den Dotterkernen ist als Entoderm zu be- zeichnen, da der Darm aus diesen Dotterelementen entsteht. Indem ich zur Schilderung der weiteren Entwicklungsvorgänge übergehe, die die Bildung der Chorda und des Mesoderms einleiten, muss ich hervorheben, dass ich bei keinem der von mir untersuchten Knochenfische eine Einstülpung beobachtet habe. Bekanntlich be- haupten einige Forscher, dass das Mesoderm bei Knochenfischen durch Einstülpung sich bildet, die anderen geben hingegen an, dass es durch Spaltung der Blastodermzellen entsteht. Obgleich ich selbst keine Einstülpung gesehen habe, so glaube ich annehmen zu können, dass kein prinzipieller Unterschied zwischen beiden Vorgängen existiert, wie sie von verschiedenen Forschern beschrieben sind; da die Ein- stülpung auch hier zur Bildung des Darmes in keiner Beziehung steht und nichts anderes ist als das Wachstum des umgeschlagenen Blasto- dermrandes nach vorn. In beiden Fällen also sind dieselben Blasto- derm- resp. Ektodermelemente im Spiele, und es ist nebensächlie” , ob die Zellen von Anfang an so gelagert sind, dass die zusammen- hängende Anlage der Chorda und des Mesoderms durch Abspaltung vom oberen Teil des Blastoderms (der Anlage des Nervensystems) entsteht oder diese Anlage durch Verschiebung der Zellen vom Um- schlagsrande aus nach vorm sich bildet. Gleiehviel — durch Ab- spaltung oder durch die sogenannte Einstülpung — bildet sich die zusammenhängende Anlage der Chorda und des Mesoderms aus den- selben Elementen (Ektodermzellen), aus denen auch das Nervensystem sich entwickelt. In dieser Anlage differenziert sich der zentrale Teil (die Chordaanlage) von den seitlichen Teilen, aus denen das Meso- derm entsteht. Aber auch hier lässt sich konstatieren, dass die Ento- dermzellen an der Bildung des Mesoderms Anteil nehmen, indem die aus den Dotterkernen entstehenden Zellen sich abschnüren und den übrigen Mesodermzellen sich anschließen. Auf solche Weise kann man hier, wie bei anderen Wirbeltieren, eine doppelte Quelle des Mesoderms (eine ektoblastogene und entoblastogene) unterscheiden. — Indem die Bildung der Chorda und des Mesoderms vor sich geht, bildet sich an der Oberfläche des Dotters aus den Dotterkernen die kontinuierliche Zellenschicht, die dem Darm Ursprung gibt. Auf solche Weise verdankt der Darm auch bei Knochenfischen seine Entstehung keiner Einstülpung, sondern entsteht aus den Derivaten von Dotterkernen. XIII. 4 50 Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. Indem die Blastodermzellen den Dotter umwachsen, beginnen die sich vermehrenden Dotterkerne sich über den Dotter auszubreiten, so dass bald die ganze Peripherie des Dotters mit diesen Kernen ver- sehen ist. Der Annahme vieler Forscher, dass diese Kerne zu Grunde gehen, ohne an der Bildung des Embryos Anteil zu nehmen, muss ich entschieden entgegentreten. Es wurde schon erwähnt, dass die Dotter- kerne den Darm bilden und sich an der Bildung der seitlichen Meso- dermanlagen beteiligen. Aber ich muss hinzufügen, dass auch die in dem unteren (ventralen) Teile des Dotters befindlichen Kerne eine Rolle in der Bildung des Embryo spielen; denn ich sehe hier auf meinen Präparaten Mitosen, und man kann sehen, dass die sich hier aus den Dotterkernen bildenden Zellen sich abschnüren und den Blasto- dermzellen, die den Dotter umwachsen haben, anschließen. Ich möchte annehmen, dass diese Zellen dem ventralen Mesoderm der Amphibien homolog sind. In späteren Stadien kann man sehen, dass die Dotter- kerne an der Bildung der Leber Anteil nehmen, indem die aus diesen Kernen entstehenden Zellen sich zum Teil direkt in die Leberzellen verwandeln. Die wichtige Rolle der Dotterkerne darf also keinem Zweifel unterliegen. (Schluss folgt.) Ueber cranio-cerebrale Topographie. (Schluss.) Nach beendigter Injektion blieben die Köpfe 24 Stunden in hori- zontaler Lage. Um die so präparierten Köpfe zu Messungen vorzu- bereiten, wurde folgendermaßen mit ihnen verfahren: l em oberhalb der Augenbrauen und der Prot. oceipit. externa wurde durch die Weichteile ein Schnitt bis auf den Knochen geführt. Nach Entfernung der Weichteile wurde die Länge und Breite des Schädels gemessen, um danach den Schädelindex zu berechnen. Damit die Haut sich nicht verschiebe, wurde dieselbe vorn am oberen Rand der Orbita und hinten am Hinterhauptshöcker befestigt. Dann wurden am Rand des Hautschnittes 4 Trepanations- Oeffnungen gemacht, 2 vorn und 2 hinten in einer Entfernung von 1 em zu beiden Seiten der Medianlinie. Dann wurde jederseits eine an der Stirn und eine am Hinterkopf gelegene Oeffnung vereinigt, indem ein Längsschnitt m sagittaler Richtung parallel mit der Pfeilnaht und ein zweiter Längsschnitt horizontal über die Schuppe des Schläfenbeins weggeführt wurde. Nach Entfernung der beiden Knochenstücke jederseits bleibt demnach nur in der Mitte eine etwa 2 cm breite Knochenlamelle nach. Nun wurden die Hirnhäute sorgfältig entfernt, dann die herausgelösten Knochenstücke wieder an ihre Stelle gelegt und zur Sicherheit mit Heftpflaster befestigt. Dann wurde der so präparierte Kopf in einem Hohlzylinder festgestellt und dann der Encephalometer angelegt. Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. 51 Nun wurden — (eben mit Hilfe des Encephalometers) — in das gewöhnliche Netz eimer Halbkugel — (das Netz ist durch das Ziehen der Meridian- und Parallelkreise hergestellt) — zuerst die Nähte des Schädels eingetragen; dann wurden die Knochenstücke entfernt und nun wurden die Furchen der Hirnoberfläche eingezeichnet. Zuerst der Suleus Rolandii, dann der Suleus praecentralis und die Sulei fron- tales, dann die Fossa Sylvii mit ihrem aufsteigenden Schenkel, die Sulei temporalis primus, praecentralis, interparietalis u. s. w. Schließlich wurde noch ein Horizontalschnitt durch beide Hemi- sphären geführt, um dadurch die Lage der grauen Kerne (sog. Hirn- ganglien) zu bestimmen. Die Ebene der horizontalen Schnittfläche lag 2,5—3 em oberhalb des basalen Ringes des Encephalometers. Die Umrisse der an der Schnittebene sichtbaren Hirnteile, das Corpus callosum, die großen Hirnganglien wurden dann gleichfalls unter An- wendung des Encephalometers in das Gradnetz eingetragen. VI. (S. 23—34). Da der Verfasser selbst 40 Köpfe untersuchte, so standen ihm unter Herzuziehung der bereits von Prof. Sernow gemachten 6 Beobachtungen 46 Einzelfälle zur Verfügung, darunter 24 Männer, 138 Weiber und 4 Kinder im Alter von 8—14 Jahren, (2 Knaben und 2 Mädchen). Die Resultate aller Beobachtungen sind auf den sieben der Ab- handlung beigegebenen Tafeln graphisch dargestellt, indem die ver- schiedenen Hirnwindungen in ein Kreisförmiges Gradnetz eingetragen sind. Auf der Tafel I, II und III sind die Resultate der Messungen an Männern, Frauen und Kindern wiedergegeben. Die Schwankungen der Nähte sind mit roter Farbe, die daraus sich ergebende mittlere Lage der Nähte ist mit schwarzer Farbe bezeichnet. Auf der Taf. IV sind die mittleren Durchschnittslagen der Hirnfurchen bei Männern, Frauen und Kindern zusammengestellt und in ein und dasselbe Grad- netz hineingezeichnet: die Männer schwarz, die Frauen rot, die Kin- der blau. Der Verfasser erörtert nun an der Hand der genannten Tafeln die Ergebnisse seiner Messungen. Der Vergleich der rechten und linken Hemisphäre, Taf. I Männer, Taf. II Weiber, Taf. II Kinder miteinander lässt zu- nächst eine Asymmetrie erkennen, sowohl in Betreff der Schwan- kungsgrenzen als auch in Betreff der mittleren Lage der Furchen. Bemerkenswert ist, dass die rechtsseitigen Längsfurchen (Fossa Sylvii, Sule. temp. primus, frontalis, interparietalis) etwas kürzer sind als die linksseitigen. Das gilt in erster Linie für das männliche Hirn, ist aber auch an dem weiblichen und kindlichen be- merkbar. Der Vergleich der Nähte einerseits und der Furchen andrerseits bei Männern, Weibern und Kindern (Taf. IV) ergibt Folgendes in Betreff der Nähte. 4 % 59 Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. Die Lage der Sutura coronalis ist bei allen Kategorien ziem- lich beständig; sie schwankt nur um 3 Grad; die Lambdanaht da- gegen schwankt um 7 Grad; bei Kindern liegen beide Nähte weiter nach hinten als bei Erwachsenen. Die Schuppennaht (Sutura squamosa) liegt bei Männern näher der Mittelebene (66 Grad Länge) als bei Weibern (69 Grad) und Kindern (76 Grad Länge). Die Ossa parietalia messen in der Sa- gittalebene (= Länge der Sut. sagittalis) bei Männern 73 Grad, bei Weibern 71 Grad, bei Kindern 68 Grad; die Breite der Knochen dagegen (d. h. in frontaler Richtung) am Aequator gemessen ist bei Männern 66, bei Weibern 69, bei Kindern 76 Grad; oder mit andern Worten ausgedrückt: das Scheitelbein der Männer hat die Form eines längsliegenden Rechtecks, bei Weibern fast die Form eines Quadrats, 69 und 71, bei Kindern die Form eines querliegenden Rechtecks, 76 und 68. Wenn man für das Scheitelbein das Verhältnis des Breitendurch- messers zum Längendurchmesser (= 100) bestimmt, (ähnlich wie beim Schädel, so beträgt der Index des Scheitelbeins bei Männern annähernd 90, bei Weibern 97, bei Kindern 112. In Betreff der Furchen ergibt sich: die entsprechenden Furchen haben bei Erwachsenen (Männern wie Frauen) eine fast gleiche Lage. Nur in Bezug auf die Fissura Sylvii ist zu bemerken, dass rechts die Fissura bei Männern im 61. Grad der Länge, bei Wei- bern im 63. Grad L. liegt, links dagegen umgekehrt bei Männern im 63. Grad L. und bei Weibern im 61. Grad L. | Die Querfurchen liegen bei Frauen an der rechten Seite im All- gemeinen mehr nach hinten als bei Männern; an der linken mehr entwickelten Seite fallen die Furchen bei Männern und Frauen zu- sammen. Bei Männern ist außerdem die Breite des Gyrus frontalis primus und des Gyrus parietalis superior geringer als bei Frauen. Bei Kindern und Frauen steht der Suleus Rolandii mehr senkrecht zur Längsebene des Schädels als bei Männern. — Die un- teren (lateralen) Enden der Querfurchen stehen aber bei Kindern und Frauen mehr senkrecht zur Medianebene als bei Männern. Die Längsfurchen reichen in der Mehrzahl der Fälle weiter herab als bei Männern; in dieser wie in jener Beziehung steht das kindliche Gehirn dem weiblichen Gehirn näher als dem männlichen. Die Fissura Sylvii rechts liegt bei Männern im 61. Grad Länge, bei Weibern im 63. Grad Länge, bei Kindern im 69. Grad Länge, demnach 8 Grad tiefer als bel Männern und 6 Grad tiefer als bei Weibern. Links liegt die Fiss. Sylvii bei Kindern 5 Gad niedriger als bei Weibern und 3 Grad niedriger als bei Männern. Die Furche liegt bei Kindern 7—9 Grad höher als die Sutura squamosa. Die Fissura parieto-oceipitalis liegt bei Kindern, Frauen und Männern ziemlich an derselben Stelle, im 49. Grad der Breite Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. 53 rechts und etwa im 50. Grad links. Entsprechend der verschiedenen Lagerung der Sut. lambdoidea ist aber die Entfernung der Fiss. pa- rieto-oceipit. von der genannten Naht verschieden. Bei Kindern be- trägt die Entfernung der Fissura von der Naht 13 Grad, bei Er- wachsenen nur 5 Grad. Es ist daher die Beziehung der Furche zur Naht nieht konstant und daher nicht zu verwerten. — Der Verfasser sagt zum Schluss dieses Abschnittes (8. 34): „Fassen wir das Gesagte noch einmal zusammen, so müssen wir schließen, dass die Lagerung der Hirnfurchen bei Erwachsenen und bei Kindern fast die gleiche ist. Finden sich — abgesehen von in- dividuellen Schwankungen — einige Unterschiede, so sind dieselben auf Rechnung der verschiedenen Form des Schädels und der Konfiguration der Schädeldeeke zu setzen. Bemerkenswert ist die Thatsache, dass die größere Uebereinstimmung in der Lage der Furchen bei Frauen und bei Kindern mit dem noch nieht beendigten Wachstum der Schädelknochen zusammenfällt.* — Vu. (S. 34-43). Weiter stellt der Verfasser auf der Tafel V die Resultate der Messungen an 6 brachycephalen, und auf Tafel VI die Resultate der Messungen an 6 dolichocephalen Individuen zu- sammen. Auf Tafel VII gibt er eine vergleichende Darstellung der mittleren Lage der Schädelnähte, der Furchen, der grauen Hirnkerne bei Brachycephalen und Dolichocephalen. Die 6 dolichocephalen Schädel (4 männliche und 2 weibliche) haben einen Index von 74, 59—76, 70, und die 6 brachycephalen Schädel einen Index von 84, 84-88, 63. Die Zahl von 6 Messungen und Zeichnungen genügt, weil es sich herausstellte, dass bei 5—6 Fällen sich dieselben Zeich- nungen wiederholten. — In Betreff der mittleren Lage der Hirnfurchen, sowie der Schä- delnähte bei Brachycephalen ist an der Hand der Taf. V Fol- gendes zu erkennen: die Furchen sind im Allgemeinen auf beiden Seiten symmetrisch angeordnet; ausgenommen sind: die untere Stirnwindung, die links schmäler, aber länger als rechts: ist, und der Gyrus praecentralis, der links breiter als rechts ist. Die Querfurchen des Hirns verlaufen im Allgemeinen einander parallel und der Senkrechten genähert, die Längsfurchen dagegen parallel der Mittelebene. Die Eigentümlichkeiten eines dolichocephalen Gehirns (Taf. VI) sind: die Symmetrie der Furchen beider Hemisphären ist entschieden geringer als bei den Brachycephalen. Die Querfurchen sind nicht gradlinig, sondern geknickt; die langen Furchen (Suleus Rolandii, Sule. posteentralis) zeigen drei, die kurzen zwei Kniekungen; dabei ist die obere Krümmung nach einer, die untere nach der entgegen- gesetzten Seite gerichtet. Nimmt man den Suleus Rolandii als Aus- gangspunkt für die Querfurchen, so sind die oberen Enden der ge- nannten Furchen dem Suleus Rolandii zugekehrt, die unteren Enden 54 Stieda, Cranio - cerebrale Topographie. sind abgekehrt. Deshalb sind die Querwindungen in der Mittelebene des Schädels enger (schmäler), nach unten und außen hin breiter. Die Längsfurchen sind mehr in die Länge gezogen. Vergleichen wir nun die genannten Eigentümlichkeiten des Ge- hirns bei Brachycephalen und Dolichocephalen mit einander. Die Sutura coronalis: Lage zwischen 22— 14° Br. Schwankung 8° Mittellage 18°. Die Sutura squamosa: Brachy- (rechts 75° — 65° L. Schwankung 10° Mittellage 70° L. ceph. links 76° — 62° L. ai 14° 2 GIRTE: Dolieho- jrechtst __ , Ar en 2 ceph. Ninks N DROEZEI I: r 10 4 66° L. Die Sutura lambdoidea schwankt beträchtlich. Bei Brachy- cephalen zwischen 56 — 45°, im Mittel 50° Occeipitalbreite. Bei Dolichocephalen zwischen 66° — 48°, im Mittel 57° Oeceipital- breite. Bei Dolichocephalen kann dabei die Lambdanaht mehr nach hinten liegen (um 10°), als bei Brachycephalen. Die Schuppennaht (Sut. squamosa) kann um 3 Grad höher liegen. Da nun die Lage der Sut. coronalis stets dieselbe ist, so folgt daraus, dass die charakteristische Eigentümlichkeit des dolieho- cephalen ‚Typus in einer Vergrößerung des Längsdurchmessers, sowie in der Verringerung des Querdurchmessers der Scheitelbeine besteht. Das obere Ende des Suleus Rolandii liegt bei Brachycephalen rechts zwischen 16° und 7° Oecipitalbreite (9° Schwankung), links zwischen 17° und 9° Oecipitalbreite (8° Schwankung), Mittellage 12 — 13° Oceipitalbreite; bei Dolichocephalen rechts zwischen 21° — 7° Oeceipitalbreite (14° Schwankung), Mittellage 14° Grad- breite; links zwischen 19° und 5° Oeceipitalbreite (14° Schwankung), Mittellage 12° Oeceipitalbreite. Demnach ist das Maß der Schwankung bei Dolichocephalen fast doppelt so groß als bei Brachycephalen. Das untere Ende des Suleus Rolandii liegt bei Brachy- a, 11° — 6°, Schwankung 5°, Mittellage 9° Frontalbr. ceph. Uinks 13° — 6° : Mn 2,107 n Dolicho- ee 1599 — 72 N 80 & 141% n ceph. links 16° — 8° .; 8° r 12) = Die Grenzen der Schwankungen des unteren Endes des Sulcus Rolandii sind größer und reichen weiter nach vorn als bei Brachy- cephalen. Suleus praecentralis (superior). Das obere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 6° Oceipbr. — 1° Frontalbr., Schwank. 7°, Mittell. 3° links 3° 5 — 4° E r ir „ im Aequator bei Dolichocephalen: rechts 9° Oceipbr., 3° Frontalbr., Schwank. 12°, Mittell. 3° Oeceip.-Br. links 8° 3 6° Oceip.-Br. 5 2° an 5 Stieda, Cranio -cerebrale Topographie. 58 Das untere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 9° — 2° Frontalbr., Schwankung 7°, Mittel 6° Frontalbr. links 11° — 8° n n Sala, 92 5 bei Dolichocephalen: rechts 20° — 10° Frontalbr., Schwankung 10°, Mittel 15° Frontalbr. links 13° — 3° 5 : 10:15, 8° A Das Maß der Schwankungen ist bei Dolichocephalen größer, die Grenzen der Schwankungen reichen am oberen Ende mehr nach hinten, gegen das untere Ende mehr nach vorn als bei Brachycephalen. Suleus praecentralis (inferior). Das obere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 16° — 9° Frontalbr., Schwankung 12°, Mittel 10° Frontalbr. links 27° — 5° Re s 22° su16! e bei Dolichocephalen: rechts 21° — 13° Frontalbr., Schwankung 8°, Mittel 17° A links 17° — 10° 5 ’ 72 ah ia? Das untere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 24° — 17° Frontalbr., Schwankung 7°, Mittel 21° Frontalbr. links 29° — 13° h L 1ßen 4 2,1420 e bei Dolichocephalen: rechts 28° — 12° Frontalbr.. Sechwankung 16°, Mittel 20° Frontalbr. links 31° — 13° r 5 Day 5 2a 3 Bei Dolichocephalen reichen die Grenzen der Schwankungen, sowie die mittlere Lage der Furchen weiter nach vorn, als bei Brachycephalen. Suleus posteentralis. Das obere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 30° — 14° Oeeip.-Br., Schwankung 16°, Mittel 22° Oeceip.-Br. links . 33° — 13° R z 20° „288 n bei Dolichocephalen: rechts 28° — 12° Oeeip.-Br., Schwankung 16°, Mittel 20° Oeeip.-Br. links 26° — 12° s ” 14° RR) 5 Das untere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 4° — 0° Oceip.-Br., Schwankung 4°, Mittel 2° Oeceip.-Br. links 6° — 0° is a 6° u 3 mi bei Dolichocephalen: rechts 10° — 2° Oeeip.-Br., Schwankung 8°, Mittel 6° Oeeip.-Br. links 12° — 2° hr e 10° - 1. R Bei Dolichocephalen liegt das untere Ende des Suleus posteen- tralis weiter ab vom Aequator, das obere Ende des Suleus näher zum Aequator als bei Brachycephalen. Das Maß der Schwankungen ist für das obere Ende der Furche fast um das Doppelte größer als für das untere Ende der Furche. Der hintere Teil des Suleus temporalis. Bei beiden Sehädel- typen ist das Maß der Schwankung rechts doppelt so groß als links. 56 Stieda, Cranio - cerebrale Topographie. Bei Dolichocephalen liegen die Grenzen der Schwankungen mehr nach hinten als bei Brachycephalen. Bei Brachycephalen: rechts 42° — 18° Oceip.-Br., Schwankung 24°, Mittel 30° Oeceip.-Br. links 36° — 24° e R 12° EHE bei Dolichocephalen: rechts 50° — 15° Oceip.-Br., Schwankung 35°, Mittel 34° Oceip.-Br. links 46. — 32° n R 14° BR DEN 5 Fissura calloso-marginalis. Das hintere Ende liegt bei Brachycephalen: rechts 24° — 17° Oceip.-Br., Schwankung 7°, Mittel 21° Oceip.-Br. links 26° — 21° „ 5° 24% 5 bei Dolichocephalen: rechts a. — 21° Oceip.-Br., Schwankung 14°, Mittel 28° Oceip.-Br. links 33° — 21° 5 ö 12° ale - Die Grenzen der Schwankungen reichen bei Dolichocephalen mehr nach hinten; das Maß der Schwankung ist zweimal so groß als bei Brachyeephalen. Der Suleus parieto-oeeipitalis. Brachy- ee 48° — 42° Oeceip.-Br., Schwankung 6°, Mittel 45°) 2 ceph. !links 50° — 4° 5 E er RATE: Dolicho- ers 58° — 41° R n EEE 5 ceph. links 59° — 42° 5 S Et al Bei Dolichocephalen reichen die Grenzen der Schwankung mehr nach hinten, das Maß der Schwankung ist 2mal so groß als bei Brachycephalen. Die längs verlaufenden Furchen. Der Suleus frontalis superior. Brachy- 25° — 13° Länge, Schwankung 12°, Mittel 19° L. ceph. links 31° — 5° es s 20 LO Dolicho- ne 25° — 14° . a U u ceph. "links 24° — 15° is A a 20 Bei Brachycephalen liegt die Furche der Sagittal-Naht näher ar bei Dolichocephalen. Suleus frontalis inferior. Brachy- se 49° — 39° Länge, Schwankung 10°, Mittel 44° L. ceph. llinks 56° — 39° = e ie, aA Dolicho- He 48° — 41% R A U A ceph. !links 49° — 38° Rn Re 1 6 Be A: Fissura Sylvii. Brachy- rechte 72° — 63° Länge, Schwankung 9°, Mittel 67° L. ceph. 'links 71° — 60° " n 11° u Dolicho- ‚rechts 70° — 62° e 8° Fair, ceph. links 69° — 62° . Tut u, MRDIE Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. 57 Das Maß der Schwankung (10°) ist bei Brachycephalen beider- seits größer als bei Dolichocephalen. Der aufsteigende Ast der Fissura Sylvii liegt bei Brachy- jrechts 35° — 19° Frontalbr., Schwankg. 16°, Mittel 27° = ceph. links 37° — 21° r Alan, Dos Dolicho- Be 34° — 28° 2 B 6° ae ceph. !links 40° — 26° £ - 14° a = Bei Dolichocephalen reichen die Grenzen der Schwankungen und die Mittellage des aufsteigenden Astes weiter nach vorn (4°) als bei Brachycephalen. Der Suleus temporalis primus (superior). Brachy- ns 80° — 66° L., Schwankung 14°, Mittel 73° L. ceph. !links 80° — 64° „ e KO IE Mr ge Dolicho- Rene 15° — 69° „ s ceph. !links 80° — 69° „ n a re Bei Dolichocephalen ist das Maß der Schwankungen am Aequator beträchtlich geringer als bei Brachycephalen. Der Suleus interparietalis liegt im 40° der Oceipitalbreite. Brachy- Be 39° — 15° L., Schwankung 24°, Mittel 27° L. ceph. links 31° — 19° „ * 42° R 25° Dolicho- 35° — 19° „ 3 Lore Pal ceph. links 33° — 22° „ £ ST Bei beiden Typen ist das Maß der Schwankung rechts größer als links, doch bei Dolichocephalen geringer als bei Brachycephalen. Der Suleus oceipitalis transversus. Die Grenzen der Schwankungen reichen bei Dolichocephalen weiter nach hinten als bei Brachycephalen, das Maß der Schwankung ist größer. Im Allgemeinen ist zu ersehen, dass bei Brachycephalen die Quer- furchen weniger, die Längsfurchen dagegen mehr schwanken, als bei Dolchocephlen. VII. (S. 43-52.) Der Verf. wendet sich nun zur Erörterung der Lage der tiefen Hirnteile. Um die Lage bestimmen zu können, wird ein horizontaler Flächenschnitt gemacht, 2, 5—3 em höher als der Kreis des Encephalometers. In das Schema wurden eingetragen: 1) das vordere und hintere Ende des Corpus callosum, 2) der Kopf des Corpus striatum (Nucleus caudatus), 3) der Nucleus lentiformis, 4) der Thalamus optieus und 5) das Zentralläppchen des Hirns (Insula Reilii). Die Lage der sogen. grauen Hirnganglien zeigt im Allgemeinen bei Männern, Frauen und Kindern keine Unterschiede. — Auf Taf. IV ist die mittlere Lage der Hirn-Ganglien, auf Taf. VII die verschiedene Lage der Hirn-Ganglien bei Brachycephalen und Dolichocephalen eingetragen. — Die Lage des Corpus callosum ist im Mittel 58 Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. am vorderen Ende am hinteren Ende bei Männern . . 47° Frontalbreite, 36° Oceipitalbreite „ Krauen. .. ...,.50° 2 38° a Kindern. ; . 42° 2 44° R Die Schwankungen betragen für das vordere Ende für das hintere Ende bei Männern . . 10° Kos es Hrauen. .4.216° 20% = Kindern... 8% 12°. Die Längenausdehnung des Corpus callosum beträgt bei Männern 83°, bei Frauen 88°, bei Kindern 96°, d. h. das Corpus eallosum nimmt bei Kindern mehr Grade ein als bei Frauen, und bei Frauen mehr als bei Männern. Das Maß der Schwankungen der Länge des Kopfes des Corpus striatum übersteigt nicht 20° Der Nucleus lentiformis schwankt vorn innerhalb 12° und hinten innerhalb 6°. — Der Thalamus optieus schwankt um 12°. Der vordere Rand der Insel (Insula Reilii) schwankt um 8°; die Insel liegt im Mittel zwischen dem 34° Frontalbreite und 1° Oc- eipitalbreite. Eine zusammenfassende Uebersicht der Maße für Brachycephalen und Dolichocephalen ergibt bei Brachycephalen: vorderes Ende hinteres Ende Maß der Schwankung Maß der Schwankung Cap. corp. caud.: 50° -- 36° Stirnbr., 14°, 18° — 10° Stirnbreite, 8° Nucl. lent.._ ::42°— 30° „ 12° 14° — 4° Nackenbr., 10° Thal. opt. Or Terry 212270980 2.020r > 108 Corp. call. : 56° — 42% „ 14° 38° — 34° % as bei Dolichocephalen: Schwankung Schwankung Cap.corp. caud.: 52° — 48° Stirnbr., 4°; 25° — 23° Stirnbr., 2° Nuel. lent. Aa 30 al a a 19 a a ie: 4° Thal. opt. 19° 15° 75 4° 0 Baer, 4° Corp. call. 361010 Ba a 3 a Ele a 8° Aus dieser Tabelle und bei einem Blick auf Taf. VII ergibt sich, dass bei Dolichocephalen in der Stirnhälfte des Hirns die grauen Kerne mehr nach vorn liegen, in der Nackenhälfte dagegen mehr nach hinten als bei Brachycephalen; mit andern Worten: bei langgestrecktem Hirn nehmen die grauen Kerne der Länge nach einen größeren Raum ein als bei kurzem Hirn. In der Querebene liegen die Grenzen der Hirn- kerne bei Dolichocephalen näher der Mittelebene als bei Brachy- cephalen, so dass der Durchschnitt bei Dolichocephalen elliptisch, bei Brachycephalen kreisförmig erscheint. Mittlere Lage der grauen Hirnganglien. bei Dolichoceph. bei Brachyceph. Das ud nuel. caud.: 50° Stirnbr., 41° Stirnbr., 9° Unterschied vordere Nucl. lernte if as AT a Bl eis 52 4 Ende jlhalam. opt. . :1° „ 13) 4° 5 Insula Reili . :34° „ DR 6° 2 Stieda, Cranio-cerebrale Topographie. 59 bei Dolichoceph. bei Brachyceph. Das han lent.. : 11° Nackenbr., 9° Nackenbr., 2° Unterschied hintere ‘Thal. opt... :35° „ SO 5° ı Ende (Insula Reilii : 14° „ Sn 4 De Das Claustrum liegt parallel dem äußeren Rande des Nuel. lent. in einer Entfernung von 3—1°. Die hier angeführten Zahlen geben uns einen Ausweis darüber, wie die in einer gewissen Tiefe des Hirns gelegenen Hirnkerne an die Oberfläche des Encephalometers unter einem bestimmten Winkel erscheinen. Um aber auch einen Hinweis zu erlangen, wie die Hirnkerne in der vertikalen Ebene erscheinen, wurde ein Versuch gemacht, ihre Lage mittels des Encephalometers in einer frontalen Ebene zu fixieren. Die Richtung der Ebene ging entsprechend der Aequatorialebene durch das Gehirn senkrecht zur Ebene des früheren Durchschnitts. Es wurden zwei brachycephale und ein dolichocephaler Kopf gewählt. — (Da keine Zeichnung das genaue Messungsresultat erläutert, so ist die Beschreibung des Verfahrens der Messung schwer verständlich. Es muss sich das Referat daher nur auf das Resultat beschränken. ) Bei Dolichocephalen liegen alle grauen Kerne ohne Ausnahme höher und gleichzeitig näher der Mittellinie als bei Brachycephalen. IX. (5. 45—52.) Als Resultat ergibt sich, dass die brachycephale wie die dolichocephale Hirnform eine verschiedene Lage der Furchen zeigen und dass das Maß der Schwankungen bei beiden verschiedenen Typen ein verschiedenes ist. Man darf sagen: 1) Das Maß der Schwankungen der Lage der Längsfurchen ist direkt proportional dem Schädel - Index. 2) Das Maß der Schwankungen der Lage der Querfurchen ist umgekehrt proportional dem Schädel - Index. Um daher an einem Kopf eine bestimmte Furche genau auffinden zu können, muss zuerst die Form des Kopfes genau berücksichtigt werden. Es wurde eine Reihe von Versuchen gemacht. An einem injizieiten Kopf wurde mittels des Encephalometers ein Punkt bezeichnet, der die Richtung der mittleren Lage einiger Furchen oder die Lage einiger Windungen angeben sollte. An diesem Punkt wurden Trepa- nationen ausgeführt und in der Mitte der 2 cm messenden Trepanations- Oeffnung wurde stets die gesuchte Furche oder die gesuchte Windung gefunden. Unter 34 Präparaten wurde nur ein Mal die Fiss. inter- parietal. nicht in der Mitte, sondern am Rande der Trepanations- Oeffnung gefunden. Um sich hier vor Irrtum zu schützen, müsste man eine noch größere Trepankrone von 3—5 em Durchmesser wählen. Zum Schluss führt der Verfasser einige Fälle an, in denen bei Lebenden zum Zweck einer Operation mittels des Encephalometers 60 Lueiani, Physiologie des Kleinhirns. die Lage einer bestimmten Furche oder Windung mit Erfolg ermittelt wurde. — Königsberg in Pr. L. Stieda. Die Physiologie des Kleinhirns. Luigi Luciani (Florenz). Das Kleinhirn. Neue Studien zur normalen und pathologischen Physiologie. Deutsche Ausgabe besorgt von Dr. med. M. 0. Fränkel. Lex. 8 XV u. 290 Seiten. Mit 48 Figuren im Text. Leipzig, Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) 1892. An den großen Fortschritten der Physiologie des Gehirns in den letzten Jahren hat das Kleinhirn nicht teilgenommen. Wir sind über seine Funktionen nicht besser unterrichtet, als wir es etwa im Anfange dieses Jahrhunderts waren. Unter diesen Umständen muss ein so ein- gehendes Werk, wie es uns der bekannte Florentiner Physiologe bietet, die Frucht umsichtiger, durch viele Jahre fortgesetzter Forschung, unser Interesse in hohem Grade in Anspruch nehmen. Das wird es rechtfertigen, dass wir trotz der kurzen Erwähnung, welche das Werk schon im Centralblatt gefunden hat, aus dem Erscheinen der deutschen Ausgabe Anlass nehmen, nochmals auf dasselbe zurückzukommen. In 17 Kapiteln berichtet der Verf. über seine Arbeiten und die aus denselben gezogenen Schlussfolgerungen. Im ersten Kapitel be- schreibt er die von ihm benutzten Operationsmethoden. Die Versuche wurden ausschließlich an Hunden und Affen angestellt, da nur die höheren Säugetiere einen dem Kleinhirn des Menschen einigermaßen gleichwertigen Hirnteil besitzen. Es gelang ihm, an einer großen Zahl solcher Tiere, die teilweise oder gänzliche Exstirpation des Organs ohne Störung der benachbarten Hirnteile (namentlich des Bulbus und der Hirnstiele) vorzunehmen und die Tiere unter Verheilung der Wunde per primam intentionem längere Zeit am Leben zu erhalten. Dadurch war er auch in den Stand gesetzt, die durch die Exstirpation bedingten reinen Ausfallserscheinungen von den im Gefolge der Opera- tionen auftretenden Reizerscheinungen zu sondern. Im zweiten Kapitel beschreibt er die Methoden der Beobachtung an den operierten Tieren, um den verwickelten Symptomenkomplex der sogenannten cerebellaren Ataxie möglichst zu zergliedern und in seine Elemente zu zerlegen. Er gibt einfache Methoden an, um die Kraft der Muskelkontraktion zu messen und die Koordination der Muskelbewegungen zu untersuchen. Zu diesem letzteren Zweck ist das von ihm eingeführte, sinnreiche Verfahren der Fußspuren- zeichnung hervorzuheben. Die vier Pfoten des Tieres werden in vier mit verschieden gefärbtem Wasser gefüllte Gläser getaucht und dann das Tier veranlasst, womöglich in gerader Linie auf glattem Fußboden zu gehen oder zu laufen. Die Vergleichung dieser so ge- wonnenen Zeichnungen unter einander, von denen der Verf. mehrere Beispiele mitteilt, ist äußerst lehrreich. Lueiani, Physiologie des Kleinhirns, b1 Für die Analyse der Erscheinungen nach Kleinhimverletzungen genügt die übliche Unterscheidung von Reiz- und Ausfallserscheinungen nicht. Herr L. stellt folgende Kategorien auf, welche jedoch nicht in streng getrennten Zeiten auftreten: Reizerscheinungen, Ausfallserschei- nungen, funktionelle und organische Kompensationserscheinungen, Ent- artungserscheinungen, dystrophische Erscheinungen. Die Reizerschei- nungen können in der ersten Zeit (Stunden oder Tagen) nach der Operation sehr gering sein und später, infolge einer indirekt durch die Operation veranlassten Entzündung, sehr stark hervortreten. Die Ausfallserscheinungen werden allmählich immer mehr verdeckt durch die Kompensationserscheinungen. Von diesen sind die organischen be- dingt durch eine vikarierende erhöhte Thätigkeit der nicht verletzten Organteile uud zeigen sich in Gestalt einer stufenweisen Abnahme der Ausfallserscheinungen; die funktionellen hin- gegen bestehen in abnormen Bewegungen, welche die Wirkungen der Ausfallserscheinungen verdecken. Diese letzteren treten daher auch bei Tieren auf, bei denen das Kleinhirn fast ganz abgetragen ist (eine vollständige Abtragung veranlasst leicht Störungen der Nach- barorgane und ist darum häufig verwickelter). Sie fallen fort und lassen die reinen Ausfallserscheinungen wieder hervortreten, wenn man nach vollkommener Verheilung der durch die Kleinhirnoperation ge- setzten Verletzung die sensorisch-motorische Sphäre der Großhirnrinde (Gyri sigmoidei) abträgt. Die reinen Ausfallserschemungen sind ohne nachweisbaren Be- ziehungen zu den Thätigkeiten der Sinne, Instinkte und Intelligenz; sie beziehen sich nur auf die Motilität und stellen einen Symptomen- komplex dar, welcher zusammen mit den Kompensationserscheinungen das ergibt, was die Pathologen cerebellare Ataxie nennen. Sie erscheinen besonders deutlich bei vollkommener Exstirpation der einen Hälfte des Kleinhirns und zwar zunächst als Schwäche in den Muskeln der verletzten Seite, vermöge deren z. B. ein Hund nicht im stande ist zu gehen, außer wenn er die operierte Seite gegen eine Mauer stützen kann, dass er im Wasser regelmäßige Schwimmbewegungen macht, aber dabei den Rumpf auf der operierten Seite tiefer ins Wasser sinken lässt und nicht geradeaus schwimmt, sondern immer im Kreise nach der gesunden Seite hin herumschwimmt. Diese Erscheinungen verlieren sich allmählich durch funktionelle Kompensation: das Tier lernt sich aufrecht zu erhalten durch Krümmung der Wirbelsäule nach der verletzten Seite und ühermäßige Abduktion des Vorderbeins der- selben Seite; durch beides wird die Basis, auf der es steht, verbreitert. Die Krümmung der Wirbelsäule ermöglicht ihm dann auch schließlich, gerade aus zu schwimmen. Diese Muskelschwäche in Folge mangel- kafter Innervation bezeichnet Herr L. unter Benutzung eines alten Namens als Asthenie. Daneben besteht aber noch eine Abnahme des normalen Muskeltonus, den er in Uebereinstimmung mit Brond- 62 Lueiani, Physiologie des Kleinhirns». geest, Cyon u.a. und namentlich auf grund früherer Untersuchungen seiner Schüler Belmondo und Oddi als stets vorhanden annimmt. Diese Atonie, wie er es nennt, äußert sich in einer gewissen Schlaft- heit der Muskeln beim Anfühlen, stärkerer Streckung der Beine durch die Schwere, wenn man den Hund am Rumpf hochhebt, leichteres Einknicken bei längerem Stehen u. s. w. Als drittes Symptom end- lich, welches Herr L. als Astasie bezeichnet, ist das Zittern anzu- führen, welches in seinen stärkeren Graden in das den Pathologen als Symptom der cerebellaren Ataxie bekannte Taumeln übergeht, und welches L. durch unvollkommne Summierung der Einzelimpulse, aus denen sich eine stetige Muskelkontraktion zusammensetzt, erklärt. Nicht wesentlich verschieden tritt diese Ataxie nach halbseitiger Kleinhirnoperation beim Affen auf, nur dass diese Tiere die Kompen- sationsbewegungen schneller erlernen. Bei vollständiger Exstirpation beider Kleinhirnhälften sind dieselben Störungen, welche bei der einseitigen Verletzung auftreten, an beiden Seiten gleichmäßig vorhanden. Die funktionellen Kompensationen fehlen auch hier nieht, kommen aber auf andre Weise zu stande. Der Gang erhält eine auffallende Aehnlichkeit mit dem eines Betrunkenen. Wegen der genaueren Analyse der Erscheinungen muss ich jedoch, um dies Referat nicht allzusehr auszudehnen, auf das Original verweisen. Betrifft die Exstirpation nur einzelne Teile der drei Kleinhirn- lappen, so verschwinden die Ausfallserscheinungen allmählich immer mehr. Die übriggebliebenen Teile des Organs übernehmen vikariierend die Funktionen der entfernten. Diese organische Kompensation der Ausfallserscheinungen ist von der funktionellen streng zu unterscheiden. Zu den eigentlichen Ausfallserscheinungen gesellen sich wahr- scheinlich noch sekundäre in Folge fortschreitender Degeneration, die, wie Marchi an den vom Verf. operierten Tieren nachgewiesen hat, sich besonders auf die roten Kerne Stilling’s, auf die Oliven und die Ganglienmassen des Pons erstreckt. Bei der langsamen Entwick- lung dieser sekundären Degenerationen ist es leider unmöglich, die von ihnen abhängigen Erscheinungen als solche scharf nachzuweisen. Sicher aber ist, dass vom Kleinhirn aus durch seine drei Stiele trophische Einwirkungen auf andre Teile des Nervensystems fortgeleitet werden. Aber auch andre dystrophische Erscheinungen konnten nachge- wiesen werden: Allgemeine Abmagerung trotz reichlicher Ernährung, Polyurie, Glykosurie und Acetonurie treten während der Reizungs- periode auf, später wechseln Zustände von Fettwerden und Abmagern; zuletzt tritt Marasmus ein. Auch sind die Tiere Erkrankungen aller Art leicht ausgesetzt, die Haare fallen aus, fettige Muskelentartung ist häufig. Alle diese Erscheinungen sind nach HerrmL. als trophische Störungen in Folge des Ausfalls einer die Ernährung der Gewebe regulierenden Nerventhätigkeit zu deuten; doch sind sie alle nicht konstant. Lueciani, Physiologie des Kleinhirns. 65 Die folgenden Kapitel bringen genaue Einzelberichte über die bei den verschiedenen Operationen gemachten Beobachtungen. Auf diese näher einzugehen, würde uns zu weit führen. Wir müssen uns mit einer gedrängten Wiedergabe der Hauptergebnisse begnügen, in An- lehnung an des Verfassers zusammenfassendes Schlusskapitel, welches er (nach einer in den beiden vorhergehenden Kapiteln vorausgeschickten historisch -kritischen Uebersicht) unter der bescheidenen Bezeichnung „Grundlinien zu einer neuen Lehre“ gibt !). Danach ist das Kleinhirn als ein selbständiges, in gewisser Be- ziehung dem Großhirn koordiniertes Centralorgan anzusehen. Jede Kleinhirnhälfte hat auf beide Körperhälften Einfluss, doch überwiegt der Einfluss auf die gleichseitige Hälfte. Dieser Einfluss erstreckt sich wahrscheinlich auf alle willkürlichen Muskeln, vorwiegend aber auf die Muskeln der hinteren Extremitäten, sowie auf die Strecker der Wirbelsäule. Die einzelnen Abteilungen des Organs haben alle dieselbe Funktion und können einander vertreten, so lange ihre Verbindungen mit dem übrigen Zentralorgan unversehrt sind, durch welche die von ihm ausgehenden Wirkungen fortgeleitet, bezw. Erregungen ihm zu- geleitet werden. Dass es diesen letzteren gegenüber in irgend einer Weise als psychisches Organ wirke, ist durch nichts erwiesen. Seine ausführenden Fasern führen dem übrigen Nervensystem Erregungen zu, deren wahre physiologische Natur der Verf. nicht genauer zu definieren vermag, die er jedoch, wie wir oben bei dem Bericht über die halbseitige und totale Exstirpation ausgeführt haben, als stheni- sche, tonische und statische Aktion bezeichnet, weil nach den Verletzungen des Kleinhirms Störungen in der Ernährung bestimmter Nervenbahnen und in der Innervation der Muskeln auftreten. In vieler Beziehung ist dieser Einfluss dem (freilich auch noch sehr dunklen) der Zwischenwirbelganglien zu vergleichen. Ich kann nicht verhehlen, dass mich dieser Schluss des Werkes nicht vollkommen befriedigt hat. Die Erklärungen bleiben nur allzu- sehr in Analogien und Umschreibungen der Beobachtungen stecken. Aber auf der anderen Seite muss ich doch dieser Zurückhaltung des Verfassers, der sich auf das beschränkt, was der heutige Zustand unsrer Kenntnis gestattet, meine Anerkennung zollen. Der Wert der Arbeit liegt nicht in diesen Schlusssätzen, er liegt in der großen Zahl mit Umsicht und Sorgfalt angestellter Versuche, in der Zu- verlässigkeit der Beobachtungen, in der sorgfältigen Beschreibung 4) Herr Lueiani lässt „die wahre experimentelle Physiologie des Klein- hirns“ mit Rolando beginnen, dessen Saggio sopra la vera struttura del cer- vello 1809 erschien. Nach Eckhard (Hermann’s Händb. d. Physiol. II, 2, 102 ff. hat aber schon der berühmte französische Wundarzt Pourfour du Petit in einer 1710 anonym erschienenen Schrift (Lettres d’un m&decin des höpitaux du roy ä un autre m&deein) einige wichtige, auf eigene Versuche gegründete Beobachtungen mitgeteilt. 64 Preis Bressa. der Thatsachen. Vielleicht gelingt es einem glücklicheren Nach- folger, eine befriedigendere Erklärung zu finden — das Verdienst des Verfassers wird darum nicht geringer sein. J. Rosenthal. Programm für den neunten Bressa’schen Preis. Die k. Akademie der Wissenschaften zu Turin macht hiermit, den testa- mentarischen Willensbestimmungen des Dr. Cäsar Alexander Bressa und dem am 7. Dezember 18576 veröffentlichten diesbezüglichen Programme gemäfs, bekannt, dass mit dem 31. Dezember 1892 der Konkurs für die im Laufe des Quadrienniums 1889—92 abgefassten wissenschaftlichen Werke und in diesem Zeitraume geleistete Erfindungen, zu welchem nur italienische Gelehrte und Er- finder berufen waren, geschlossen worden ist. Zugleich erinnert die genannte Akademie, dass vom 1. Januar 1891 an der Konkurs für den neunten Bressa’schen Preis eröffnet ist, zu welchem, dem Willen des Stifters entsprechend, die Gelehrten und Erfinder aller Nationen zugelassen sein werden. Dieser Konkurs wird bestimmt sein, denjenigen Gelehrten oder Erfinder beliebiger Nationalität zu belohnen, der im Laufe des Quadrienniums 1891—94, „nach dem Urteile der Akademie der Wissenschaften in Turin, die wichtigste „und nützlichste Erfindung gethan, oder das gediegendste Werk veröffentlicht „haben wird auf dem Gebiete der physikalischen und experimentalen Wissen- „schaften, der Naturgeschichte, der reinen und angewandten Mathematik, der „Chemie, der Physiologie und der Pathologie, ohne die Geologie, die Geschichte, „die Geographie und die Statistik auszuschliefsen“. Der Konkurs wird mit dem 31. Dezember 1894 geschlossen sein. Die Summe welche für den Preis bestimmt ist, wird von 10416 (zehn- tausendvierhundertsechzehn) Fr. sein, nach Abrechnung der amtlichen Taxe. Wer sich dem Konkurs vorstellen will, muss es erklären, innerhalb der oben gesagten Frist, mittels eines an den Präsidenten gerichteten Briefes und das Werk senden, mit welchem er konkurrieren will. Das Werk soll gedruckt sein; man nimmt Handschriften nicht an. Die nicht belohnten Werke werden den Verfassern zurückgegeben, wenn diese das Verlangen ausdrücken, innerhalb der Frist von sechs Monaten, seit dem Tage, an welchem der Preis zuerkannt wurde. Keins der italienischen Mitglieder der Akademie wird den Preis erlangen können. Die Akademie gibt den Preis dem Forscher, welchen sie für den würdigsten hält, auch wenn er nicht konkurriert haben sollte. Turin, 1. Januar 1893. Der Präsident der Akademie Der Sekretär der Kommission M. Lessona. A. Naccari. Der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege wird seine nächste Jahresversammlung in der zweiten Hälfte der Pfingstwoche, vom 28. bis 27. Mai 1893 in Würzburg abhalten. Berichtigungen. Bei der Fertigstellung voriger Nummer sind leider von den Artikeln der Herren Zacharias und R. v. Erlanger folgende Fehler stehen geblieben. Wir bitten deshalb sie gütigst verbessern zu wollen: S. 10 u. 13 statt: Joyeux-Laffuic lies: Joyeux - Laffuie S. 11 2. 3 v. u. (Note) statt: neuere lies: innere S. 12 Z. 3 v. u. (Note) statt: Plaphair lies: Playfair S. 23 fg. statt: Hauptparasit lies: Hautparasit. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummer ı von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 15. Februar 1893. ls Inhalt: vom Rath, Kritik einiger Fälle von scheinbarer Vererbung von Verletzungen. — Lwoff, Ueber «die Keimblätterbildung bei den Wirbeltieren (Schluss). — Gräfin v. Linden, Die Selbstverstümmelung bei Phryganeidenlarven. — Werner, Zoologische Miszellen. — Lauterborn, Bemerkungen zu dem Artikel: „Die Erforschung des großen Plöner Sees“. — Aus den Verhandlungen ge- lehrter Gesellschaften: Würzburger Phys.-med. Gesellschaft. Kritik einiger Fälle von scheinbarer Vererbung von Ver- letzungen. Von Dr. O0. vom Rath'). Wenn man darüber diskutiert, ob die im individuellen Leben er- worbenen Eigenschaften sich vererben, wird gewöhnlich zunächst die Spezialfrage ?) erörtert, ob für Verletzungen und Verstümmelungen eine Vererbung angenommen werden darf. In verschiedenen Schriften hat Weismann [32] gezeigt, dass die bisher bekannt gewordenen Fälle von angeblicher Vererbung von Verletzungen vor einer sorg- fältigen Kritik nicht stand halten, und weit davon entfernt sind, als einwurfsfreie Beweise gelten zu können. Es ist bei der Beurteilung 4) Aus den Berichten der Naturforschenden Gesellschalt zu Freiburg i. B., Bd. VI, Heft 3. — Da die vorliegende Frage im Biolog. Centralbl. wiederholt erörtert worden ist, so glauben wir, der Vollständigkeit wegen, auch die interes- santen Beobachtungen des Herrn vom Rath bringen zu sollen. 2) Die Spezialfrage von der Vererbung von Verletzungen ist von der größten Wichtigkeit, da ein einziger völlig einwurfsfreier Fall einer solchen Vererbung genügen würde, die gesamte Frage von der Vererbung er- worbener Eigenschaften endgiltig zu entscheiden, da dann auch die Möglichkeit der Vererbung sämtlicher im individuellen Leben erworbener Eigen- schaften in physischer wie in intellektueller Beziehung zugegeben werden müsste. Beiläufig möchte ich hier erwähnen, dass gegenwärtig einige Autoren und mit ihnen ein Teil der gebildeten Laien geneigt sind, eine Vererbung von einmaligen Verletzungen und Verstümmelungen in Abrede zu stellen, dagegen eine Vererbung von erworbenen Eigenschaften im Großen und Ganzen für möglich zu halten. XII. SD 66 vom Rath, Vererbung von Verletzungen. solcher Fälle um so größere Vorsicht nötig, weil es häufig recht schwer zu entscheiden ist, ob die bei dem väterlichen oder mütterlichen In- dividuum vorhandene Abnormität wirklich durch einen äußeren Eingriff verursacht oder aber als angeborene (blastogene) Keimesvariation entstanden ist. Von denjenigen Autoren, welche eine Vererbung er- worbener Eigenschaften leugnen, nähert sich am meisten der Pathologe E. Ziegler [55] der Weismann’schen Anschauungsweise, und seine wertvollen Schriften, in welchen er die neuesten Arbeiten über Ver- erbung und Abstammungslehre und ihre Bedeutung für die Pathologie bespricht, bilden wichtige Ergänzungen zu den Weismann’schen Arbeiten. Unter anderem betont E. Ziegler, „dass im Einzelleben erworbene pathologische Eigenschaften sich nicht vererben, und dass die erste Entstehung vererbarer Krankheiten und Missbildungen nicht in der Erwerbung entsprechender Veränderungen während des Lebens Eines der Eltern, sondern in Keimesvariationen zu suchen sei“. Es liegt nun keineswegs in meiner Absicht, auf die umfangreiche hierher gehörige Litteratur !) einzugehen, der Zweck meines Aufsatzes ist vielmehr der, einige interessante Fälle von scheinbarer Vererbung von Verletzungen mitzuteilen, die ich aus eigener Anschauung kennen lernte und sorgfältig prüfen konnte. Wenn nun auch einige dieser Fälle eine definitive Entscheidung nicht zulassen, dürfte es doch nicht unnütz sein sie zu erörtern, da gerade an solchen Beispielen, die auf den ersten Blick gar keinen Zweifel an der Thatsache einer solchen Vererbung aufkommen lassen, am besten gezeigt werden kann, mit welcher peimlichen Sorgfalt ein unparteiischer Beobachter den wahren Sachverhalt prüfen und beurteilen muss. Bevor ich nun mit meiner Beschreibung beginne, will ich darauf hinweisen, dass von den Autoren der Ausdruck erworbene Eigen- schaften vielfach in ganz verschiedenem Sinne verwendet wird. Weismann hat sich hierüber folgendermaßen geäußert: „Da die Be- zeichnung von erworbenen Charakteren nicht von Allen in dem scharf umgrenzten Sinn genommen wird, in dem sie von Zoologen und Botanikern gebraucht wird, so schlug ich vor, in Fällen, wo ein Missverstehen möglich ist, statt erworben das Wort somatogen zu gebrauchen, d. h. vom Körper-Soma im Gegensatz zur Keimessubstanz ausgegangen, solche Eigenschaften aber, die aus der Beschaffenheit des Keimes hervorgegangen sind, als blastogene. Wenn man einem 4) Ich verweise in erster Linie auf die im nachstehenden Litteratur- verzeichnis genannten wichtigen Arbeiten von Weismann [32], Ziegler [35], Eimer [9], Kölliker [16], Virchow [28], Claus [5] und anderer Autoren. Beiläufig möchte ich noch daran erinnern, dass vor zwei Jahren die Frage von der Erblichkeit erworbener Eigenschaften von van Bemmelen [1] in einer historisch-kritischen Untersuchung unter Hinweis auf den von Weismann ein- genommenen Standpunkt und unter Berücksichtigung der wichtigsten Litteratur, in klarer und treffender Weise besprochen wurde. vom Rath, Vererbung von Verletzungen, 67 Menschen einen Finger abschneidet, so ist seine Vierfingrigkeit eine somatogene oder erworbene Eigenschaft; wenn dagegen ein Kind mit sechs Fingern geboren wird, so muss diese Sechsfingrigkeit aus einer eigentümlichen Beschaffenheit der Keimessubstanz!) hervorge- gangen sein, sie ist also eine blastogene Eigenschaft“. Ich werde mich in meiner Beschreibung der Weismann’schen Ansdrucksweise anschließen. Der Sachverhalt des ersten Falles ist folgender: In einer mir nahestehenden Familie wurde ein in jeder Beziehung tadelloses Hunde- pärchen (Terrier) gehalten, von welehem Männchen wie Weibchen nachgewiesener Weise von vollkommen normalen Eltern abstammten, und die ihrerseits in mehreren Würfen stets normale Junge erzeugt hatten. Durch einen unglücklichen Sturz erlitt gelegentlich das Männ- chen einen Bruch des oberen Teiles des rechten humerus, demzufolge bis auf den heutigen Tag eine mit beständigem Hinken verbundene eigentümliche Stellung der beschädigten Extremität zurückblieb. Bei dem nächsten Wurfe, der einige Zeit nach vollkommener Heilung des Vaters erfolgte, wurden drei Junge geboren, ein Weibchen und zwei Männchen. Das vollkommen normale junge Weibchen starb bald nach der Geburt und kurz darauf verendete auch die Mutter. Von den beiden jungen Männchen war das eine in jeder Beziehung normal gebaut und in Färbung und Gestalt das treue Ebenbild der Mutter, während das andere Männchen nicht nur auf das genaueste dem 4) Die Frage ob zwischen Keimzellen und Somazellen ein so scharfer und prinzipieller Unterschied gemacht werden darf, wie es Weismann betont, sodass den Somazellen jede Spur von Keimplasma abgeht, ist bekanntlich von den Autoren in verschiedenem Sinne beantwortet und beispielsweise von Köl- liker [16] entschieden verneint worden. Dass übrigens bei niederen Pflanzen der Unterschied zwischen somatischen und Propagationszellen noch gering sein kann, ist von Weismann selbst wie folgt ausgesprochen worden (Biolog. Centralbl., Bd. X, Nr.1 u. 2): „de Vries [29], der ausgezeichnete Botaniker hat darauf hingewiesen, dass gewisse Bestandteile des Zellkörpers, z. B. die Chromatophoren der Algen, direkt von der mütterlichen Eizelle auf den Tochter- organismus übertragen werden, während die männliche Keimzelle gewöhnlich keine Chromatophoren enthält. Hier wäre also, wie es scheint, eine Vererbung somatogener Variationen möglich. Bei diesen niederen Pflanzen ist eben der Unterschied zwischen somatischen und Propagationszellen noch gering und der Körper der Eizelle braucht nicht eine völlige Umwandlung in chemischer und struktureller Beziehung zu erleiden, wenn er sich zum Körper der somatischen Zellen des Tochter-Individuums entwickelt. Was hat das aber zu thun mit dem Problem, ob z. B. der Klavierspieler durch Uebung erzielte Kräftigung seiner Fingermuskeln auf seine Nachkommen vererben kann? Wie gelangt dieses Uebungsresultat in seine Keimzellen? Darin liegt das Rätsel, welches Diejenigen zu lösen haben, welche eine Vererbung somatogener Charaktere behaupten“. Diese Spezialfrage kommt übrigens für unsere Zwecke weniger in Betracht, da man die Frage der Vererbung erworbener Eigenschaften zu- nächst als eine rein empirische betrachten kann. 5* 68 vom Rath, Vererbung von Verletzungen Vater glich, sondern auch wie dieser ein abnorm gestelltes rechtes Vorderbein besaß und auf diesem Beine von Geburt an bis auf den heutigen Tag, wo das Tier längst ausgewachsen ist, beständig hinkt. Sämtliche Augenzeugen waren bei dem Anblick dieser Hunde von der Thatsache einer Vererbung einer einmaligen Verletzung vollkommen überzeugt. Mein Augenmerk war begreiflicher Weise sofort darauf gerichtet festzustellen, ob sich wirklich die im Rede stehenden Eigentümlich- keiten bei Vater und Sohn genau entsprachen. Zunächst konstatierte ich, dass bei dem Vaterhunde das rechte Vorderbein seit dem Sturze von dem linken wesentlich verschieden war und stets blieb und, dass das Tier auf diesem Beine beständig und in stets gleicher Weise hinkte. Eine gewisse Schwäche und große Empfindlichkeit ist in der gesamten Schultergegend und zumal an der Stelle, an welcher die Verletzung stattgefunden hatte, auch noch heute bemerkbar; auch ist in ganz auf- fallender Weise die gesamte Muskulatur am humerus zurückgebildet. Die Stellung des verletzten Beines (besonders vom Ellbogengelenk abwärts) weicht in eigentümlicher Art von der des unverletzten linken Beines ab. Die gesamte Extremität hat ein vollkommen verkrüppeltes Aussehen, der scheinbar verkürzte Unterarm und Fuß dieses rechten Vorderbeines ist unverkennbar O-förmig gestellt und die gesamte Ex- tremität auffallend nach innen verdreht. Die Untersuchung des hinkenden jungen Hundes ergab Folgendes: An dem rechten Vorderbeine konnte ich trotz sorgfältiger Befühlung eine empfindliche Stelle oder eine Abnormität des humerus oder der Muskulatur nicht ausfindig machen, vielmehr ist dies rechte Vorderbein dem linken äußerlich vollkommen gleich, aber entschieden anders ge- stellt wie dieses. Während nun bei dem Vaterhunde das rechte Bein O-förmig und der Fuß nach innen gerichtet ist, lässt das entsprechende Bein des jungen Hundes genau die umgekehrte Tendenz der Stellung erkennen, es ist eher X-förmig gestellt und der Fuß nach außen ge- richtet, aber lange nicht in dem Maße als der entsprechende Fuß des Vaters nach innen. Es fällt der Unterschied in der Beinstellung der beiden jungen Hunde, wenn man diese neben einander beobachtet, lange nicht so auf, als wenn man den Vaterhund und den hinkenden Sohn neben einander vergleicht. Bei den meist recht lebhaften Be- wegungen der Tiere tritt der Unterschied in der Beinstellung übrigens nicht so deutlich zu Tage, als wenn die Tiere sich langsam bewegen oder still stehen. Zur Beurteilung des Falles ist zunächst zu konstatieren, dass die eventuell als vererbt aufzufassende Abnormität des jungen Hundes mit der erworbenen Deformität des väterlichen Hundes in mehrfacher Beziehung, insbesondere in Hinsicht auf die Beinstellung, nicht überein- stimmt. Es ist, wie mir scheint, eine zweifache Deutung des Falles möglich. Entweder man nimmt an, dass die Abnormität des jungen vom Rath, Vererbung von Verletzungen. 69 Hundes ohne jede Vererbung als eine, in ihren Ursachen nicht weiter verfolgbare Keimesvariation aufgetreten sei, und, dass ein Fall von Vererbung nur scheinbar entstanden sei, weil zufällig das väterliche Tier an demselben Beine eine erworbene Abnormität zeigte, an welchem bei dem jungen Tier eine Abnormität durch Variation auftrat; oder aber man betrachtet die erworbene Abnormität des väterlichen Tieres als die Ursache der angeborenen Abnormität des jungen Hundes; dann ist aber wohl zu beachten, dass die vererbte Eigentümlichkeit der ursprünglichen recht wenig ähnlich ist; es würde folglich nur eine gewisse Beeinflussung vorliegen, aber nicht eime derartige Vererbung, wie wir sie bei individuellen Variationen (blastogenen Abänderungen) wahrnehmen, bei welchen die vererbte Eigentümlichkeit von der ver- erbenden vielleicht graduell verschieden, aber ihr immer ähnlich ist. Was das Hinken bei den beiden Hunden angeht, so glaube ich nicht, dass man diesem Umstande eine größere Bedeutung beilegen darf. Beide Hunde hinken zwar auf demselben Beine, der Vater stets gleichmäßig, der Sohn bald stärker, bald schwächer und oft kaum merklich, damit ist aber keineswegs gesagt, dass dem Hinken beider Tiere auch die gleiche Ursache zu Grunde liegt; bekanntlich hinken Vierfüßler und zumal Hunde und Pferde in Folge der allerverschieden- artigsten Ursachen und es ist meist recht schwer, den eigentlichen Grund dieses Hinkens ausfindig zu machen. Im vorliegenden Falle ist beim Vaterhunde das Hinken offenbar eine Folge des Sturzes; bei dem Sohn ist es mir ebensowenig wie anderen Untersuchern gelungen, den wahren Grund zu ermitteln, da nirgendwo eine schmerzhafte Stelle am gesamten Körper zu entdecken war. Der folgende Fall ist so einfach und klar, dass über seine Deutung kein Zweifel obwalten kann. Ein Herr S., ein vollkommen normal und wohl proportioniert gebauter Mann, hatte von Jugend auf die Gewohnheit, seine rechte Fußspitze in stets gleicher Weise mehr nach außen zu setzen wie die linke, ein Umstand, der zumal beim Tanzen auffiel und gleichfalls deutlich bei den im Schnee oder feuchten Boden hinterlassenen Spuren hervortrat. Diese Gewohnheit haben seine sämt- lichen Kinder (drei Söhne) geerbt, nur mit dem Unterschiede, dass bei ihnen außer dem rechten auch der linke Fuß in stets gleicher auf- fälliger Weise nach außen gerichtet ist. Da nun der Vater des Herrn S. als junger Mann in Folge eines Schlaganfalls eine Lähmungs- erscheinung des rechten Beines zurückbehielt, derzufolge dies Bein mit auffallend nach außen gerichtetem Fuße nachgeschleppt wurde, so nahm man an, dass die vom alten Herrn S. erworbene (somato- gene) Eigenschaft des nach außen gerichteten rechten Fußes sich auf seinen Sohn und in einem verstärkten Maße auch auf die drei Enkel vererbt habe. Da ich der betreffenden Familie nahe stehe, war es mir leicht die notwendigen Erkundigungen einzuziehen, und ich konnte feststellen, dass Herr S. junior schon einige Jahre alt war, als sein 0 vom Rath, Vererbung von Verletzungen Vater den Schlaganfall erlitt und ferner, dass der alte Herr S. von Jugend auf über eine gewisse Schwäche in dem rechten Beine geklagt hat, und erst durch den Schlaganfall eine wesentliche Verschlimmerung im Gesamtzustand des Beines auftrat. Will man nun den nach außen gerichteten Fuß des Herrn S. junior mit dem Gebrechen seines Vaters in Beziehung bringen, was nach meiner. Ansicht gar nicht notwendig ist, so kann es sich hier um eine bei Vater und Sohn angeborne, also blastogene, aber keineswegs somatogene Eigenschaft handeln. Derartige Gewohnheiten von eigentümlichen Fußstellungen treten nicht selten plötzlich und ohne sichtbaren Grund bei irgend welcher Person auf, ohne dass jemals in der Familie derselben ein ähnlicher Fall be- kannt geworden wäre. Ich kenne ebenfalls einen Herrn, der von Jugend auf die Gewohnheit hat, seinen rechten Fuß stets in auffallender Weise nach innen zu setzen, so dass man scherzhaft von demselben sagte, er habe zwei linke Füße; aber weder bei den Eltern, Geschwistern, Kindern, noch sonstigen Verwandten des Betreffenden ist je eine be- sondere Neigung zu einer auffälligen Fußstellung bemerkt worden. Der dritte Fall, über welchen ich jetzt berichten werde, kam zu meiner Kenntnis, als in] meiner Familie in Folge der eben geschilderten Beispiele die Frage von der Vererbung von Verletzungen lebhaft diskutiert wurde. Dabei wurde mir dieser Fall als ein ganz untrüg- licher Beweis von der Möglichkeit, ja Thatsache einer solchen Ver- erbung vorgehalten. Der Fall ist um so interessanter, als es sich um die scheinbare Vererbung eines „Schmisses“ handelt. Ein Herr H. hatte als Student auf seiner rechten Wange einen in vertikaler Richtung verlaufenden bedeutenden Säbelhieb davongetragen und für seine ganze Lebenszeit eine auffallende Narbe zurückbehalten. Da nun von den Kindern des betreffenden Herrn eine Tochter genau an derselben Stelle der rechten Wange ein Muttermal in Form einer feinen roten Schmarre von der Länge der Narbe des Vaters mit auf die Welt brachte, nahm man keinen Anstand, dieses Mal mit dem Schmiss des Vaters in genetischen Zusammenhang zu bringen, und, da obendrein von den fünf Kindern dieser Dame ein Sohn ebenfalls genau an derselben Stelle wie seine Mutter von Geburt an ein gleich langes Mal besaß, zweifelte man keinen Augenblick daran, dass die Narbe des Großvaters, eine erworbene (somatogene) Eigenschaft, sich auf die Tochter und den Enkel vererbt habe. So überzeugend nun auch dieser Fall auf den ersten Blick zu sein scheint, so dürfte er doch weit davon entfernt sein, einen wirklichen einwurfsfreien Beweis von der Vererbung einer Verletzung zu liefern. Zunächst möchte ich nicht zu erwähnen unterlassen, dass ich die in Rede stehende Familie seit langen Jahren kenne, ohne dass mir jemals dies eigentümliche „ererbte“ Mal bei der Dame oder ihrem Sohne aufgefallen wäre, bis ich auf dasselbe aufmerksam gemacht wurde und die thatsächliche Existenz desselben konstatieren konnte. vom Rath, Vererbung von Verletzungen. Tal Bei der Dame wie ihrem Sohne ist in den ersten Lebensjahren dies charakteristische Familienmal sehr auffallend gewesen; es hat sich dann nach und nach verwischt, ohne aber völlig geschwunden zu sein. Die alte Frau H. (die Großmutter des betreffenden jungen Herrn) lebt noch und hat nach ihrer eigenen Aussage auf der rechten Wange nie ein solches Mal besessen, zur Zeit fehlt sicherlich jede Spur hiervon, so dass man an eine Vererbung seitens des Großvaters (des alten Herrn H.) zu denken geneigt sein wird. Leider ist dieser Herr seit langen Jahren verstorben und es war mir deshalb unmöglich, festzu- stellen, ob derselbe nieht auch schon von Geburt an ein solches Mal auf seiner rechten Wange besessen hat, dessen Existenz allmählich in Vergessenheit!) geraten ist, zumal als auf dieser Wange die große Narbe und eine Anzahl kleinerer Schmisse hinzutraten. Außer dieser Möglichkeit darf nicht außer Acht gelassen werden, dass nicht selten eigentümliche Merkmale von Kindern mit auf die Welt gebracht werden, ohne dass jemals in der betreffenden Familie oder bei Verwandten dieselben oder ähnliche Merkmale beobachtet wären. Dass dann auch einmal ein solehes Mal bei einem Kinde genau an einer Stelle sein kann, an welcher der Vater einen Schmiss besitzt, hat eigentlich gar nichts überraschendes oder gar wunderbares an sich. In ähnlichem Sinne hat sich früher schon Weismann ausgesprochen, ehe über- haupt ein soleher Fall von scheinbarer Vererbung eines Schmisses 4) Wie leicht solche angeborene Male, und zumal wenn dieselben nur in frühester Kindheit auffallen, vergessen werden können, ersehen wir aus folgen- der Schilderung. Der in Rede stehende junge Mann, der wie sein Großvater links focht und gleichfalls auf seiner rechten Wange und der Stirne eine ganze Anzahl von Schmissen davongetragen hat, ist zur Zeit Vater von zwei Kindern, die von dem Familienmal keine Spur erkennen lassen. Die junge Frau dieses Herrn, die ich als Verwandte von frühester Kindheit an kenne, hat auf ihrer Stirn und dem behaarten Teile des Kopfes eine etwa sechs Centimeter lange rötliche Schmarre mit auf die Welt gebracht, während weder bei ihren Groß- eltern, Eltern, Geschwistern noch sonstigen Verwandten jemals ein derartiges Mal aufgetreten ist. Nach und nach ist dieses Muttermal ziemlich undeutlich geworden und obendrein dadurch, dass absichtlich dem Kinde das Lockenhaar in die von Natur aus auffallend hohe Stirn hineingekämmt wurde, vollkommen in Vergessenheit geraten. Ich habe mich persönlich davon überzeugt, dass weder die Geschwister der jungen Frau noch ihr Gatte und sonstige Angehörige von der Existenz des Males eine Ahnung hatten, ja dass die Dame selbst nichts davon wusste und nur durch die Versicherungen ihrer Mutter, welche meine indiskreten Angaben bestätigte, sich von dem thatsächlichen Vorhandensein dieses Males überzeugen ließ; zur Zeit ist übrigens nur noch eine ganz schwache, kaum wahrnehmbare Spur dieses Males zu erkennen. Hätte nun ein Kind dieses Ehepaares irgend welches Mal auf der Stirn mit auf die Welt gebracht, würde man sicherlich dieses Zeichen mit einem der Stirnschmisse des Vaters in genetischen Zusammenhang gebracht haben, da das angeborene Mal auf der Stirne der Mutter längst in Vergessenheit geraten war; man hätte also mit großer Wahrscheinlichkeit fälschlich von der Vererbung eines Schmisses ge- sprochen. 72 vom Rath, Vererbung von Verletzungen. vorgelegen hat. „So will ich auch nicht bezweifeln, sagt Weismann, dass unter den vielen Tausenden von Studierten, deren Gesicht von sogenannten Schmissen geziert ist, auch einmal einer sich befinden könnte, dessen Sohn an der nämlichen Stelle ein Muttermal hat, an welcher beim Vater die Narbe sich befindet. Es kommen ja mancherlei Muttermäler vor, warum nicht auch einmal eines gerade an dieser Stelle und gerade von der Gestalt einer Narbe? Dann hätten wir also einen Fall, wie ihn sich die Anhänger der Lehre von der Ver- erbung erworbener Eigenschaften längst gewünscht haben, einen Fall, von dem sie meinten, er würde allein schon genügen, um das ganze Gebäude der Gegner über den Haufen zu werfen. Aber inwiefern wäre denn ein solcher Fall, wenn er wirklich nachgewiesen würde, mehr im Stande, die behauptete Art der Vererbung zu erweisen, als jener von v. Bär erzählte Fall, die Behauptung vom Versehen!) ? Ich meine in der ganz außerordentlichen Seltenheit solcher Fälle liegt ein starker Hinweis darauf, dass es sich um ein zufälliges Zu- sammentreffen handelt, nicht um ein kausales. Könnten wirklich Schmisse vererbt werden, so müssten wir erwarten, solchen der väter- lichen Narbe korrespondierenden Muttermälern sehr häufig zu begegnen, 4) Beiläufig möchte ich erwähnen, wie verbreitet immer noch der Glaube vom Versehen schwangerer Frauen auch in den Kreisen der sogenannten Ge- bildeten ist, und ich möchte folgenden Fall, der sich gleichfalls in einer be- kannten Familie ereignet hat, nur als Curiosum mitteilen. — Ein Herr X fuhr mit seiner Tochter, die im vierten Monate schwanger war, spazieren. Durch einen unglücklichen Zufall geriet der Lieblingshund der jungen Frau unter die Räder und wurde grässlich verstümmelt. Bei dem Anblick des stark blutenden Tieres machte die entsetzte Dame unwillkürlich eine Bewegung mit der rechten Hand nach der Kreuzgegend und siehe da, das rechtzeitig geborene vollkommen normale Kind hatte in der Kreuzgegend einen großen blutroten Fleck! Herr X versicherte mir, dass weder in seiner Familie noch in der seiner Frau jemals ein ähnliches Muttermal vorgekommen sei, und so war man sich darüber einig, dass dies rote Mal des Kindes mit der Bewegung der Mutter beim Anblick des blutenden Hundes in direkter Beziehung stehen müsse. Ich konnte der Familie nur meine besten Glückwünsche aussprechen, dass die junge Frau so- viel mit zarter Mutterliebe gepaarte Geistesgegenwart besessen habe, dass sie die Handbewegung gerade in die Kreuzgegend gemacht, denn hätte sie, wie es bei schrecklichen Anblicken die Regel zu sein pflegt, sich mit der Hand die Augen bedeckt, so hätte das Kind eine eigentümliche Zierde des Gesichtes etwa in der Gestalt einer blutroten Nase mit auf die Welt bringen müssen. Näher auf die Unmöglichkeit eines Versehens Schwangerer einzugehen halte ich für überflüssig. Ist es doch zur Genüge bekannt, dass von dem Augenblick der Befruchtung des Eies durch das Spermatozoon über das Geschick des Embryo, sowohl was seine Gestalt als seine Einzelanlagen angeht, entschieden ist. Selbstverständlich werden bei dem innigen Zusammenhange der Frucht, mit der Mutter Erkrankungen letzterer, welche den Gesamtorganismus betreffen, auch störend auf den Embryo einwirken, aber weder schöne noch hässliche Anblicke seitens der Schwangeren können an der Gestalt des Embryo die geringste Veränderung hervorrufen. vom Rath, Vererbung von Verletzungen. 13 in nahezu allen Fällen nämlich, in denen der Sohn die Gesichtsbildung des Vaters geerbt hat“. Aus der vorstehenden Schilderung haben wir ersehen, dass die von mir beschriebenen, scheinbar so überzeugenden Fälle von der Vererbung einmaliger Verletzungen sicherlich nicht zu Gunsten dieser Theorie sprechen und nichts weniger als beweiskräftig sind; sie schließen sich zum Teil den von Weismann besprochenen Fällen an, bei welchen der direkte Nachweis erbracht werden konnte, dass die in Rede stehenden Eigentümlichkeiten bei dem Kinde und dem Vater respective der Mutter („Elter“ Weismann’s) sich überhaupt gar nicht entsprachen und in keinem genetischen Zusammenhang standen. Die Momente, welche der Annahme der Theorie von der Vererbung von Verletzungen entgegenstehen, sind zumal von Weismann und Ziegler so eingehend besprochen worden, dass ich hier nicht weiter auf dieselben zurückkommen will. Die erhobenen Bedenken haben sich aber in letzter Zeit keineswegs vermindert, vielmehr sind dieselben durch neue Arbeiten, welche uns in das Wesen und die Vorgänge der Befruchtung tiefer eindringen ließen (Weismann’s Amphimixis) noch wesentlich vermehrt. Wenn es nun auch keinem Zweifel unterliegt, dass durch die Annahme der Vererbung von Verletzungen und der übrigen im individuellen Leben erworbenen Eigentümlichkeiten die Erscheinungen der Descendenztheorie eine bequeme und einfache Er- klärung finden, so berechtigt uns dieser Umstand um so weniger zu einer unbedingten Annahme dieser Voraussetzungen, da sich, wie Weismann gezeigt hat, sämtliche Erscheinungen der Descendenz- theorie auch ohne Zuhilfenahme des Lamarck’schen Prinzips ebenso einfach und ungezwungen erklären lassen. Von besonderer Wichtig- keit für die Beurteilung der Streitfrage sind die vielfach besprochenen Mäuseversuche Weismann’s. Bekanntlich wurden die künstlichen Verstümmelungen dieser Tiere stets bei beiden Eltern durch viele Generationen ohne jeden sichtbaren Erfolg vorgenommen; auch ergaben ähnliche, neuerdings bekannt gewordene Versuche sowohl von Ritzema Bos [3] als von J. Rosenthal [3] dasselbe negative Resultat. Wenn nun auch diese Mäuseversuche allein keineswegs so ohne weiteres, wie Weismann ausdrücklich betont, einen direkten Beweis dafür liefern, „dass Verletzungen überhaupt nicht vererbt werden können, da solche Versuche bis ins Unendliche fortgesetzt werden müssten“, so muss doch wohl nach diesen übereinstimmenden negativen Resultaten die Möglichkeit einer Vererbung einmaliger Verletzungen gänzlich fallen gelassen werden und die durch viele Generationen hindurch stets bei beiden Eltern wiederholte Verstümmelungen mindestens recht un- wahrscheinlich erscheinen. Hiermit möchte ich aber ebensowenig wie Weismann, Ziegler u. a. jeden umgestaltenden Einfluss äußerer Einwirkungen und Reize auf das Keimplasma in Abrede stellen. Man 14 vom Rath, Vererbung von Verletzungen. kann sich leicht davon überzeugen, dass Klimawechsel, geänderte Temperatur, Lieht- und Feuchtigkeitsverhältnisse, andere Ernährungs- weise ete. den Organismus von Tier und Pflanze ganz unverkennbar umgestalten, und es steht nichts im Wege, dass bei längerer Ein- wirkung solcher äußerlichen Einwirkungen und Reize auch die Mole- kularstruktur des Keimplasmas eine Veränderung erfährt, die zu einer Vererbung der Umgestaltungen führen kann; dabei darf aber vor allen Dingen nicht vergessen werden, dass keineswegs zuerst die Somazellen durch den Reiz verändert werden, und, dass dann dieser Reiz von diesen Zellen allmählich durch irgend welchen unaufgeklärten Vorgang (Pangenese oder intracelluläre Pangenese) auf das Plasma der Keim- zellen übertragen wird; die Einwirkung auf das Keimplasma ist viel- mehr eine direkte, und wenn dann durch längere Einwirkung eine Umgestaltung der Struktur dieses Plasmas zu stande kommt und Ver- erbung eintritt, so haben wir einfach die Vererbung von blasto- genen, aber keineswegs von somatogenen Charakteren vor uns und hiermit wird von der Vererbung erworbener Eigenschaften auch nicht das Geringste zugestanden. Litteratur- Verzeichniss. [1] van Bemmelen, De erfelijkheid van verworven eigenschappen. s’Gravenhage 1890. [2] Bonnet, Die stummelschwänzigen Hunde im Hinblick auf die Ver- erbung erworbener Eigenschaften. Beitr. z. pathol. Anat., Bd. IV. [3] Ritzema Bos, Zur Frage der Vererbung von Traumatismen. Biolog. Centralbl, XI. Bd., Nr. 23, 1892; ibidem ein Zusatz zu voriger Arbeit von J. Rosenthal. [4] Brock, Einige ältere Autoren über die Vererbung erworbener Eigen- schaften. Biol. Centralblatt, VIII, S. 491. [5] Claus, Ueber die Wertschätzung der natürlichen Zuchtwahl als Er- klärungsprinzip. Wien 1888. [6] Detmer, Zum Problem der Vererbung. Archiv f. die ges. Physiologie, XL, 1887. [7] Dingfelder, Beitrag zur Vererbung erworbener Eigenschaften. Biol. Centralblatt, VII, S. 427 und VII, S. 210. [8] Döderlein, Schwanzlose Katzen. Zool. Anzeiger, X u. Biol. Central- blatt VII, S. 721. [9] Eimer, Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben erworbener Eigenschaften, I. Teil. Jena 1888. [10] Geddes et Thomson, The evolution of sex. London 1889. [11] Haacke, Das Endergebnis aus Weismann’s Schrift: Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Vererbung. Biol. Centralblatt, VIII, S. 282 u. 330. [12] Hatschek, Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung. Biolog. Centralblatt VII und Prager med. Wochenschrift, 1887. [13] Hensen, Die Grundlagen der Vererbung. Zeitschrift f. wiss. Landwirt- schaft. Berlin 1885. [14] 0. Hertwig, Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nematoden. Eine Grundlage für celluläre Streitfragen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 36, 1890. vom Rath, Vererbung von Verletzungen. 75 [15] Hoffmann, Kulturversuche über Variationen im Pflanzenreiche. Botan. Zeitung, 1887. [16] von Kölliker, Das Karyoplasma und die Vererbung. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 1886 und Eröffnungsrede der ersten Versammlung der anat. Gesellsch. in Leipzig. Anat. Anzeiger, 1888. [17] Kollmann, Vererbung erworbener Eigenschaften Biol. Centralbl, VI, Handskelett und Hyperdactylie.. Anat. Anzeiger, III, 1888. [18] von Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre. München 1884. [19] M. Nussbaum, Ueber die Veränderungen der Geschlechtsprodukte bis zur Eifurchung, ein Beitrag zur Lehre von der Vererbung. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 23. [20] Orth, Ueber die Entstehung und Vererbung individueller Eigenschaften. Leipzig 1887. [21] Riehter, Zur Theorie der Kontinuität des Keimplasmas. Biol. Cen- tralblatt, VII; Zur Vererbung erworbener Eigenschaften, ib. VIII; Ueber die experimentelle Darstellung der Spina bifida. Anat. Anz,, III. [22] Roth, Thatsachen der Vererbung, 1885. [23] Roux, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881; Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo. Virchow’s Archiv, Bd. II. [24] Schiess, Uebertragung erworb. Eigenschaften. Biol. Centralbl., VII. [25] Schiller-Tietz, Inzucht und Konsanguinität. Osterwieck 1887; Ver- erbung erworbener Eigenschaften. Biol. Centralbl, VII. [26] Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen als Grundlage für eine Theorie der Zeugung. Jena 1884. [27] Vines, Lecetures on the Physiology of Plants. Cambridge 1886. [23] Virchow, Ueber Transformismus. Biol. Centralbl, VII; Ueber künst- liche Verunstaltungen des menschlichen Körpers. Vortrag geh. auf d. Naturf. Köln 1888. [29] de Vries, Intracelluläre Pangenesis. Jena 1889. [30] Waldeyer, Ueber Karyokinese und ihre Bedeutung für die Vererbung. Deutsche mediz. Wochenschrift, 1889. [31] Weigert, Neuere Vererbungstheorien. Schmidt’s Jahrb., 1889. [32] Weismann, Ueber die Dauer des Lebens 1881; Ueber Vererbung 1883; Ueber Leben und Tod 1883; Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung 1885; Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions- Theorie 1886; Ueber die Zahl der Richtungskörper und über ihre Bedeutung für die Ver- erbung 1887; Ueber die „vermeintlichen“ botanischen Beweise für eine Vererbung erworbener Eigenschaften 1888; Ueber die Hypothese einer Vererbung von Verletzungen 1888. (Diese 8 Abhandlungen sind zu einem Buch vereinigt in englischer Uebersetzung unter dem Titel „Essays upon Heredity and Kindred Biologieal Problems“ 1889 in Oxford erschienen.) Amphimixis oder die Vermischung der Indivi- duen, 1891. [33] Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Ver- gangenheit. Freiburg 1837. [34] Zacharias, Ueber schwanzlose Katzen. Biol. Centralbl., VIII; Zur Frage der Vererbung von Traumatismen, ibidem VII; Das Forterben von Schwanzverstümmelungen bei Katzen ibidem VII. 76 Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. [35] E. Ziegler, Können erworbene pathologische Eigenschaften ererbt werden und wie entstehen erbliche Krankheiten und Missbildungen ? Beitr. zur pathol. Anatomie, I. Bd.; Die neuesten Arbeiten über Ver- erbung und Abstammungslehre und ihre Bedeutung für die Pathologie, ibidem Bd. IV; Ueber Tuberkulose und Schwindsucht. Sammlung klin. Vorträge, Nr. 151, 1878 Ueber die Keimblätterbildung bei den Wirbeltieren. Von Basilius Lwoff, Privatdozent an der Universität in Moskau, (Schluss, ) Jetzt will ich zu den Selachiern übergehen. Obgleich die Selachier zur Zeit das Lieblingsobjekt der Em- bryologen sind, so herrscht dennoch keine Uebereinstimmung über viele wichtige Entwicklungsvorgänge derselben, vor allem über die Entstehung des Darmes. Während einige Forscher die Entstehung des Darmes durch Einstülpung annehmen, geben die anderen an, dass der Darın sich aus den Dotterkernen bildet. Andrerseits, während einige Forscher auf solche Weise den Dotterkernen eine wichtige Rolle zuschreiben, wollen die anderen ihnen jede Beteiligung an der Bildung des Embryos absprechen. Nach meinen Befunden muss ich annehmen, dass nicht nur der Darm, sondern das ganze Entoderm aus den Dotterkernen entsteht, während die Blastodermzellen das Ektoderm darstellen. Die Bildung des Darmes aus den Dotterkernen ist auf allen Stadien so deutlich, dass ich nicht verstehe, wie diese Thatsache bestritten werden kann. Aber andrerseits muss ich bestätigen, dass eine Art Einstülpung (Blastodermumschlag) am hinteren Rande der Keimscheibe zu bemerken ist. Meine Befunde ver- söhnen also zum Teil die Angaben verschiedener Forscher, denn ich bestätige sowohl die Entstehung des Darmes aus den Dotterkernen, als das Vorhandensein der Einstülpung. Aber diese Einstülpung oder Umbiegung der Blastodermzellen hat auch hier mit der Bildung des Darmes nichts zu thun. Darum sehe ich darin keinen Gastrulations- prozess, sondern wie bei anderen Wirbeltieren, das Hineinwachsen der ektoblastogenen Anlage der Chorda und des Meso- derms, das vom hinteren Umsehlagsrande nach vorn vor sieh geht. Mit den Knochenfischen stimmen die Selachier auch darin überein, dass nieht nur die Umbiegung der Blastodermzellen am hinteren Um- schlagsrande, sondern auch die Abspaltung der Zellen stellenweise zu bemerken ist. Diese beiden verschiedenen Prozesse — die Bildung des Darmes aus den Dotterkernen und die ektoblastogene Einstülpug — vollziehen sich gleichzeitig so, dass, 'während die Ektodermzellen am hinterem Umsehlagsrande sich einstülpen, die kontinuierliche Entoderm- schicht aus den Dotterzellen, die dem Darm Ursprung gibt, sich bildet. Die sich einstülpenden Blastodermzellen bilden keineswegs die Darm- Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. Fr wandung, sie liegen nur, indem sie hineinwachsen, so dicht den echten aus den Dotterkernen entstandenen Entodermzellen an, dass beide verschiedene Anlagen — die eingestülpte ektodermale und die in loco aus den Dotterkernen entstandene entodermale — innig mit einander zusammenhängen. Es ist um so schwerer eine Grenze zwischen beiden Anlagen zu ziehen, als in den seitlichen Mesodermanlagen beiderlei Zellen im innigen Zusammenhange stehen. Die Chordaanlage ist von der Begrenzung der Darmhöhle dureh die eigentlichen Entodermzellen ausgeschlossen, und bildet einige Zeit einen Anhang der dorsalen Darmwandung. Was das Mesoderm angeht, so lässt sich in Uebereinstimmung mit Rückert das axiale und das periphere Mesoderm unterscheiden. An der Bildung dieser nur topo- graphisch verschiedenen Teile des Mesoderms beteiligen sich sowohl die Ektoderm- als Entodermzellen. Diese zwei Quellen der Mesoderm- zellen sind sehr deutlich zu sehen, aber die ausführliche Beweisführung muss ich auf die spätere Arbeit verschieben. Nur eins will ich hier noch kurz erwähnen. Aus dem Mitgeteilten ist ersichtlich, dass ich die Selachier keineswegs für primitive Formen halte, von denen andere Tiere abzuleiten sind. Ich finde keinen Grund, die Amphibien von den Selachiern herzuleiten, wie einige Forscher es thun. Das heißt die einfachen und primitiven Verhältnisse von den verwickelten und abgeänderten ableiten wollen. Obgleich die Selachier in vielen Punkten primitive Zustände aufweisen, sind doch ihre Verhältnisse infolge der allzugroßen Quantität des Nahrungsdotters so abgeändert, das sie ebensowenig, wie die Knochenfische, als Stammform anderer Tiere betrachtet werden können. Bei Lacerta bietet es keine Schwierigkeit, die zwei primären Keimblätter zu unterscheiden, weil wir hier als Resultat der Furchung eine zweiblätterige Keimscheibe vor uns haben. Am hinteren Rande der Keimscheibe kann man eine rege Vermehrung und infolge dessen eine Wucherung der Ektodermzellen beobachten. Diese Wucherungs- stelle im Ektoderm, die bei Amnioten als Primitivknopf, Primitivplatte, Primitivstreifen und ich weiß nieht wie sonst bezeichnet wird, gibt den Ursprung der ektoblastogenen Anlage der Chorda und des Meso- derms, die als eine zusammenhängende Zellenplatte von dieser Stelle aus nach vorn zwischen beide primären Keimblätter hineinwächst. In der Mitte des Primitivstreifens, doch näher dessen vorderem Ende, lässt sich eine Einsenkung beobachten, von der die Einstülpung ein- geleitet wird. Auf solche Weise entsteht der Umschlagsrand, an dem die Zellen der Nervensystemanlage und die Zellen der Chordaanlage in einander umbiegen und wo zahlreiche Mitosen zu sehen sind. Die kiehtung dieser Mitosen zeigt aufs evidenteste, dass die Zellen der Chordaanlage vom Umschlagsrande aus nach vorn wachsen. Diese Einstülpung führt keineswegs zur Bildung des Darmes, denn alle ein- 8 Lwoft, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. gestülpten Zellen gehen in die Bildung der Chorda und des Mesoderms auf; der Darm aber entsteht aus den Zellen des primären unteren Keimblattes. Ich habe keinen Grund den Einstülpungsprozess hier als Gastrulation zu bezeichnen, denn dieser Prozess steht hier in keiner Beziehung zur Bildung des Darmes. Einige Forscher beschreiben zwar bei Reptilien eine sackartige Einstülpung und halten die Höhle der- selben für die Urdarmhöhle. Aber dieser Befund beweist meiner An- sicht nach nicht das, was diese Forscher beweisen wollen, sondern gerade das Gegenteil, denn aus ihrer Schilderung ist ersichtlich, dass obgleich die Einstülpungshöhle existiert, dennoch ihre Wände sich an der Bildung des Darmes nicht beteiligen und dass die Einstülpungs- höhle keineswegs zur Darmhöhle wird. Wir sehen also auch hier in der Einstülpung einen für die Wirbel- tiere eigentümlichen Vorgang — die Bildung der ektoblastogenen An- lage der Chorda und des Mesoderms. Auch hier tritt die Chorda- anlage, nachdem sie sich von den seitlichen Mesodermanlagen ge- sondert hat, in vorübergehende Verbindung mit den Entodermzellen, indem sie in die letzteren eingeschaltet wird; später aber wird die Chorda wieder ausgeschaltet. Dieser Prozess wurde schon von vielen Forschern zutreffend geschildert. Was das Mesoderm betrifft, so kann man hier das axiale und das periphere Mesoderm unterscheiden. Das axiale Mesoderm bildet sich zu beiden Seiten der Chorda aus der schon beschriebenen ektoblasto- genen Anlage, aber auch die vom Entoderm sich abspaltenden Zellen nehmen Anteil an der Bildung dieser Mesodermanlagen. Das periphere Mesoderm bildet sich aus den Entodermzellen. Zum peripheren Meso- derm gehört auch das Mesoderm am hinteren Rande des Primitiv- streifens, welches auch aus den Entodermzellen entsteht. Aus meinen Untersuchungen ergeben sich folgende wichtige Schluss- folgerungen: 1) In der Einstülpung bei Amphioxus sind zwei verschiedene Vor- gänge zu unterscheiden: a) die Einstülpung der Entodermzellen, die den Darm bilden (der palingenetische Prozess — die Gastrulation); b) die dorsale Einstülpung der Ektodermzellen, die die ektoblastogene Anlage der Chorda und des Mesoderms bildet (der cenogenetische Prozess). 2) Bei allen Wirbeltieren kann man diese zwei Vorgänge — die Entstehung des Darmes aus den Entodermzellen und die Bildung der Anlage der Chorda und des Mesoderms aus einer Wucherung der Ektodermzellen — unterscheiden. Bei keinem Wirbeltier bildet sich der Darm durch Einstülpung. Die Entodermzellen werden von den Ektodermzellen umwachsen, und der Darm entsteht durch Auseinander- weichen der Entodermzellen. In der Umwachsung kann man eine modifizierte Gastrulation sehen. Aber dieser Prozess wird je weiter, Lwoff. Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. 79 desto mehr unterdrückt. Bei den meroblastischen Eiern, wo der Dotter sehr groß ist (Selachier, Sauropsiden), modifiziert sich der Prozess der Umwachsung infolge der Anpassung an die neuen Verhältnisse so sehr, dass die Gastrulation so gut wie ganz unterdrückt ist. Die dorsale ektodermale Einstülpung besteht dagegen bei allen Wirbeltieren als ein eigentümlicher Vorgang, der mit der Bildung des Darmes nichts zu thun hat und als eine Neubildung'), nämlich als das Hineinwachsen der ektoblastogenen Anlage der Chorda und des Mesoderms zu be- trachten ist. Diese Anlage entwickelt sich aus den Ektodermzellen und hat einen gemeinsamen Ursprung mit der Anlage des Nerven- systems. 3) Bei keinem Wirbeltier kann man eine echte Gastrula sehen, es ist darum unthunlich den Gastrulamund im eigentlichen Sinne und zwar die dorsale und ventrale Lippe desselben aufzusuchen, weil die ursprünglichen Verhältnisse durch die Neubildungen so gut wie ganz verwischt sind. Darum lasse ich diese Frage außer Betracht. Alle Versuche, die dorsale und ventrale Lippe des Gastrulamundes bei verschiedenen Wirbeltieren zu homologisieren, halte ich für gezwungen und unnatürlich. 4) Es ist nur eine Stelle des Keimes, deren Homologie bei allen Wirbeltieren sich durchführen lässt, nämlich die Stelle, von der aus die Einstülpung ?) der Ektodermzellen ausgeht, mit anderen Worten wo das Hineinwachsen der ektoblastogenen Anlage der Chorda und des Mesoderms beginnt. 5) Der sogenannte Canalis neurentericus erscheint mir in ganz anderem Lichte. Es ist kein Kommunikationsrohr zwischen dem Nerven- system und Darmkanal. Wie der Umschlagsrand eine Uebergangs- stelle zwischen den Zellen der Nervensystemanlage und der Chorda- anlage darstellt, so ist dieser Kanal als morphologischer Ausdruck dieses Ueberganges anzusehen. Darum kann er als ein Kommunika- tionskanal zwischen dem Nervenrohr und der Chordarinne oder Chorda- höhle betrachtet und als Canalis neurochordalis bezeichnet werden. Dieser Kanal entsteht infolge des genetischen Zusammenhanges zwischen Nervensystem- und Chordaanlage. 6) Die Thatsache, dass die Anlage der Chorda und des Meso- derms als eine zusammenhängende Zellenmasse aus einer mit dem Nervensystem gemeinsamen Anlage entsteht, kann im phylogenetischen Sinne verwertet werden. Daraus folgt, dass man bei den Versuchen die bilateral- symmetrischen Chordaten von den radial-symmetrischen 1) Daraus ist ersichtlich, dass: ich von der herkömmlichen Auffassung, nach welcher das hintere Ende des Keimes, wo die Einstülpung sich bemerken lässt, primitivere Zustände aufweisen soll, im wesentlichen abweiche. 2) In der Mehrzahl der Fälle ist das eigentlich keine echte Einstülpung, sondern bloß das Hineinwachsen der Zellen oder die Umbiegung des Umschlags- randes. - SO Lwoff, Keimblätterbildung bei Wirbeltieren. eölenteratenähnlichen Formen abzuleiten sich erinnern muss, dass die Chorda und das zu beiden Seiten derselben gelegene Mesoderm keines- wegs aus dem dorsalen Teil des Darmes, sondern aus der hineinge- wachsenen Wucherung der Ektodermzellen entstehen. Da dieses ekto- blastogene Mesoderm hauptsächlich zur Bildung der Muskulatur ver- wendet wird, so kann man die ganze ektoblastogene Anlage als Chordamuskelanlage bezeichnen. Darin, dass diese Anlage einen ge- meinsamen Ursprung mit der Nervensystemanlage hat, bieten die Chordaten einen direkten Anschluss an die Anneliden, wo, nach den Untersuchungen von Kleinenberg, die Muskulatur auch aus der gemeinsamen Neuromuskelanlage entsteht. Ich glaube, die Aehnlich- keit wird noch durch das Vorhandensein des Kopfschildes (resp. Bauch- schildes) bei Anneliden gesteigert, der nach seiner Lage und seiner Beziehung zum Nervensystem und den Muskeln und nach seinem Bau der Chorda sehr ähnlich ist. Dann könnte man annehmen, dass diese zusammenhängende Neurochordamuskelanlage schon bei den Tieren aufgetreten war, die als gemeinsame Vorfahren der Chordaten und der Anneliden zu bezeichnen sind. Hier mag die Chorda aus einer ektodermalen Anlage als ein axiales Gebilde entstanden sein, das zur Befestigung einerseits der Muskulatur, andrerseits des Nervensystems diente. Die weitere Entwicklung und Differenzierung verschiedener Teile dieser zusammenhängenden ektodermalen Anlage könnte verschie- dene Wege eingeschlagen haben. Bei den Anneliden erfuhr die Chorda- anlage keine weitere Entwicklung. Vielleicht jedoch lässt sich bei einigen Anneliden ein Homologon der Chorda in dem epithelialen blasigen Gewebe !) nachweisen, das !außer gewisser Aehnlichkeit in dem Bau auch darin einige Aehnlichkeit mit der Chorda hat, dass es zur Befestigung sowohl des Nervensystems, wie der Seitenmuskulatur dient. Die Ascidien haben einen anderen Weg eingeschlagen. Hier be- findet sich die Chorda nur im Schwanz. Die Entstehung eines solchen Tieres, wie eine Ascidienlarve, könnte man sich so vorstellen, dass die am hinteren Ende durch Vermehrung der Zellen entstandene Wucherung, die die Chordamuskelanlage darstellt, nicht nach vorn zwischen Darm und äußere Bedeekung wächst, wie bei Wirbeltieren, sondern einen Anhang bildet, in dem aus der gemeinsamen Anlage die Chorda und die Seitenmuskulatur sich differenzieren. Es ist her- vorzuheben, dass die Seitenmuskeln nur zu beiden Seiten der Chorda, d. h. nur im Schwanze der Larve vorhanden sind; in dem Aseidien- körper aber, wo keine Chorda ist, ganz fehlen. Dies zeigt zur genüge, dass die Seitenmuskulatur und die Chorda hier keineswegs aus den Entodermelementen (dorsalem Teil des Darmes), wie es gewöhnlich angenommen wird, sondern aus einer besonderen zusammenhängenden, 1) Ueber dieses chordaähnliche Gebilde bei den Anneliden werde ich später besonders berichten. Gräfin v. Linden, Selbstverstümmelung bei Phryganeidenlarven. Si wie ich glaube, ektodermalen Anlage entstehen. Bei Amphioxus und den Wirbeltieren geht die Wucherung der Ektodermzellen vom hin- teren Rande aus so vor sich, dass die’Chordamuskelanlage nach vorn zwischen beide primäre Keimblätter wächst und auf solche Weise eine Zellenplatte bildet, die zwischen dem Nervensystem und dem Darm gelegen ist. Das Hineinwachsen dieser Anlage vom hinteren Umschlagsrande aus kann als Erbstück von den Vorfahren betrachtet werden, da auch bei Aseidien die Wucherung am hinteren Rande stattfindet. Aber dieser Vorgang konnte später insofern modifiziert werden, als bei einigen Wirbeltieren neben dem Wachstum vom Um- schlagsrande aus auch die Abspaltung der Ektodermzellen sich be- merken lässt. Von diesem Standpunkte aus stellt die dorsale Wand der Amphioxus-Gastrula, die dorsale Wand der entsprechenden Stadien der Petromyzen und der Amphibien, das Blastoderm der Selachier und Knochenfische, der ektodermale Teil der Keimscheibe mit dem Primitivstreifen und Kopffortsatz der Amnioten eine zusammenhängende Anlage dar, aus der das Nervensystem, die Chorda und die Seiten- muskulatur sich entwickeln. 7) Die Thatsache, dass die Chorda, ob sie gleich aus einer ekto- blastogenen Anlage entsteht, doch mit den Entodermzellen in eine vorübergehende Verbindung tritt, kann auch im phylogenetischen Sinne verwertet werden. Dies weist darauf hin, dass die Chorda bald nach ihrem Auftreten mit dem Darm in innige Beziehung getreten war, vielleicht auch zur Befestigung desselben zu dienen anfing. Diese Verbindung aber ist als eine sekundäre zu betrachten. Diese Auffassung will ich der zur Zeit herrschenden Gastrulations- theorie gegenüberstellen. Ich hebe nochmals hervor, dass ich die eingehende Schilderung meiner Untersuchungen und die ausführliche Beweisführung, sowie die Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur auf die spätere Arbeit verschiebe. Hier wollte ich meine Auffassung so kurz als möglich begründen. Moskau, im November 1892. Die Selbstverstümmlung bei Phryganeidenlarven. In einer Arbeit von Contejau: Sur l’autotomie chez la tan- terelle et le lezard (Compt. rend. 1890, Tome CXI p. 611 und Na- turwiss. Rundschau 6. Bd. Nr. 1 p. 13) wird die eigentümliche Er- scheinung besprochen, dass Heuschrecken, wenn sie an ihren Sprung- beinen erfasst werden, dieselben in der Regel im Stich lassen. Mehr noch als diese biologische Eigentümlichkeit verdient es ein von Dr. Franz Werner im zoologischen Anzeiger (von V. Carus XV. Jahrgang Nr. 384 p. 53) beschriebenes Phänomen mit dem Namen Selbstverstümmlung belegt zu werden. Verfasser beobachtete nämlich, dass gewisse Laubheuschreeken, besonders Ephippigera vitium, Barbi- XIII. Ö 82 Gräfin v. Linden, Selbstverstümmelung bei Phryganeidenlarven. tistes serricauda und Saga serrata, seltener Locusta viridissima, wenn sie gefangen werden, die Vorderbeine an der Wurzel abbeißen, oder sich, wenn sie einige Zeit lang in Gefangenschaft gehalten werden, trotz aller dargebotenen Nahrung die Tarsen der Extremitäten, be- sonders der vier vorderen, abfressen, später aber auch die Schienen und (bei den 2) endlich den Legstachel bis zur Hälfte abkauen. Die Tiere verhalten sich dabei gerade so, wie wenn sie ihre Extremi- täten putzen wollten. Sie ziehen dieselben zuerst ein paarmal durch den Mund und fangen dann langsam an zu fressen, ohne auch nur eine Spur von Schmerz zu zeigen. Bei Barbitistes z. B. war Verfasser erstaunt niemals unverletzte Exemplare gefangen zu haben, bis er bei einem bemerkte, dass sich das Insekt, während es zwischen den Fingern gehalten wurde, blitzschnell das eine Vorderbein abbiss. Es hat mich sehr interessiert, nachdem ich diese Notiz gelesen hatte, im Laufe des vergangenen Sommers ein ähnliches Verhalten bei einer Köcherfliegenlarve zu beobachten. Um den Hüllenbau zu verfolgen, hatte ich eine Larve von Limnophilus (wahrscheinlich L. rhombicus) ihres Futterales beraubt und allein in einen mit Wasser gefüllten Behälter gesetzt, in welchem sich das dem Geschmack der Larve entsprechende Futter und Baumaterial befand. Einen ganzen Tag verbrachte das Insekt damit von einem Pflanzenstengel zum an- dern zu kriechen. Jeder einzelne wurde einer genauen Prüfung unter- worfen und bis zum Abend hatte die Larve noch keinen gefunden, der als Anfang für den neuen Köcher geeignet schien. Auch am fol- genden Morgen und sogar den ganzen übrigen Tag setzte sie noch mit demselben Eifer ihre Forschungsreisen in dem kleinen Aquarium fort. Erst am zweiten Tag in der Frühe bemerkte ich, dass mit der Larve eine Veränderung vorgegangen war. Sie saß festgeklammert an einem Pflanzenstengel und reagierte kaum, wenn man sie berührte. Als ich das Insekt näher betrachtete, sah ich zu meinem großen Er- staunen, dass es Invalide geworden war. Es fehlten ihm die Tarsal- glieder am rechten Beine des ersten Beinpaares und am linken Beine des zweiten Beinpaares. Desgleichen waren statt der langen Borsten an den Analhaken nur noch kurze Stummeln vorhanden. Da das Insekt vollständig intakt m das Gefäß gebracht worden war und während seiner Einzelhaft keine Beschädigung durch feindlich ge- sinnte Genossen stattgefunden haben konnte, so musste sich die Larve während der Nacht selbst die Verstümmlungen beigebracht haben. Um mir das in so merkwürdiger Weise zugerichtete Insekt als Präparat zu erhalten, brachte ich die halb tot scheinende Larve in Alkohol, wo ihre Lebensgeister wieder erwachten. Nach vergeblichen Anstrengungen der Wirkung der Flüssigkeit zu entrinnen, bearbeitete das Insekt seine Beine so lang mit den kräftigen Kiefern, bis es ihm gelungen war ein weiteres Tarsalglied abzulösen. Hierauf rollte sich die Larve zusammen und versuchte sich ebenso an den Borstenstum- Werner, Zoologische Miszellen. 85 meln und Analhaken. Ihre Kräfte waren jedoch nicht mehr aus- reicehend, um das harte Chitin durchzubeißen, da nach wenigen Mi- nuten der Tod eintrat. Das Phänomen der Selbstverstümmlung scheint, nach den ver- schiedenen Angaben zu urteilen, im Tierreich sehr weit verbreitet zu sein. Meistens beschränkt sich die Zerstörung auf die Extremitäten und Körperanhänge. Dr. Franz Werner glaubt diese merkwürdige Gewohnheit der Tiere ihren eigenen Körper aufzufressen den krank- haften Erscheinungen beiordnen zu müssen, wie sie bei in Gefangen- schaft lebenden Tieren überhaupt öfters beobachtet werden. Bei der Köcherfliegenlarve scheint mir die Selbstverstümmlung zuerst (als die Larve noch im Wasser, ihrem gewohnten Element war) einer willkür- lichen Regung entsprungen zu sein. Während des Todeskampfes war sie wohl das Produkt einer reflektorischen, unwillkürliehen Thätigkeit. Werner spricht ferner die Vermutung aus, dass die Eigentüm- lichkeit der Selbstverstümmlung nur bei den Raubtieren unter den Orthopteren vorkomme, während sich die Pflanzenfresser (Acridier und die meisten Gryllodeen) ihren eigenen Extremitäten gegenüber nicht aggressiv verhalten. Da die Phryganeiden, wenigstens die Arten, welche ich beobachtet habe, ebenfalls zu den Raubtieren unter den Neuropteren zu zählen sind, so besteht sehr wahrscheinlich in Bezug auf die Selbstverstümmlung zwischen ihnen und den pflanzen- fressenden Vertretern dieser Klasse ein ähnliches Verhältnis wie zwi- schen den fleisch- und pflanzenfressenden Orthopteren. Gräfin Maria v. Linden. Zoologische Miszellen'). Von Dr. Franz Werner in Wien. IV. Die Atmungsvorrichtungen gepanzerter Tiere. Wenn man die Art und Weise der Atmung bei den Wirbeltieren — und nur diese will ich vorderhand in Betracht ziehen — und die Zahl der mehr oder weniger fest gepanzerten Formen, welche in der einen oder der anderen Weise atmen, ins Auge fasst, so bemerkt man bald folgenden Umstand — der freilich in früheren Zeiträumen der Erd- geschichte nicht so auffallend gewesen sein mag, als jetzt. Es nimmt nämlich sowohl die Zahl der gepanzerten Formen, als auch die Ausdehnung der Panzerung am Körper der einzelnen Arten mit dem Verschwinden der Kiemenatmung bedeutend ab. Tiere wie Ostracion?), die Lophobranchier, Polypterus und andere Knochenganoi- 1) Siehe Nr.9 u. 10 (15. Mai 1892, Bd. XII). 2) Noch weitergehende Panzerung findet sich bekanntlich bei Protozoen und Echinodermen (Seeigeln). 6* 34 Werner, Zoologische Miszellen. den; wie Ceratodus und viele andere Fische sind bei der Lungen- atmung nicht recht denkbar; denn das Geschäft des Ein- und Aus- pumpens von Luft in die und aus den Lungen wird stets durch den einen oder anderen Teil des Körpers besorgt, der einer Kontraktion oder überhaupt einer Bewegung innerhalb seiner eigenen Masse fähig ist — während bei den kiemenatmenden Tieren im Wesentlichen bloß das Auf- und Zuklappen eines starren Deckels, der das durch den Mund aufgenommene Wasser bei den Kiemen vorbei und aus der Kiemenhöhle austreibt, den mechanischeu Teil der Atmung auf sich nimmt; allerdings auch ein Blasebalg, bei dem aber der bewegliche Teil auf ein Minimum reduziert ist, während bei den Luftatmern meist der größte Teil des Blasebalgs beweglich und zwar kontraktil ist. Von den gepanzerten Lungenatmern hat in der weitaus größten Zahl der Fälle die Panzerung infolge ihrer geringen Ausdehnung keinen Einfluss auf den Atmungsmechanismus; enKrokodil, ein Schuppen- oder Gürteltier atmet mit Hilfe derselben thoracalen Pumpbewegungen, wie ein ganz und gar unbewehrtes Tier. — Obwohl Reptilien ebenso beschuppt sein können als die Fische, so kann man dennoch hier im Allgemeinen von keiner Panzerung reden, nicht einmal bei den Seincoiden unter den Eidechsen, die von den Engländern so treffend als fish-scaled lizards bezeiehnet werden. Denn das Schuppenkleid der Scincoiden ist durchaus nicht starr; wenn man einen Chalcides oder Eumeces beim Atmen beobachtet, so bemerkt man deutlich die Kontraktion und Expansion der Thorakalgegend und die beschuppte Haut verhält sich wenig anders als eine nackte. Noch weniger ist natürlich bei kleinschuppigen Eidechsen ein Hindernis vorhanden und bei den Schlangen ist die Expansionsfähigkeit der Thorakal- resp. besser gesagt Lungenregion so groß, dass bei großer Aufregung, wobei die Tiere heftig atmen, bald die Haut zwischen den Schuppen sichtbar wird (bei der Expansion), bald der Körper deutliche Längsfaltung aufweist (bei der Kontraktion). Das ist ein gewaltiger Unterschied von der Schuppenbekleidung der Fische; der Fischrumpf ist, wenn er auch nur fein- oder gar nicht beschuppt ist, einer selb- ständigen Vergrößerung oder Verringerung seines Volumens nicht fähig; nur durch Aufnahme von Luft oder Nahrung, sowie durch das An- schwellen der weiblichen Geschlechtsprodukte wird der Umfang ver- größert, durch Nahrungsmangel (allerdings nur langsam) verringert. Der Fischrumpf ist starr, mit oder ohne Schuppen; mit der Atmung hat er nichts zu schaffen daher schadet ihm eine starke Panzerung nichts, sondern sie kann bei der Fortbewegung sowohl als auch zum Schutze von größter Bedeutung sein. — Es gibt aber auch unter den Reptilien total gepanzerte Tiere, bei denen eine Modifikation unseres gewöhnlichen Atmungsmechanism us notwendig ist; vor allem gehören hieher die Schildkröten. Eine Atmung wie bei einem Säugetier ist z. B. bei einer Testudo graeca unmöglich; Werner, Zoologische Miszellen. to}5) statt derselben tritt eine neue Form der Pumpbewegung ein; die Aus- streckung und Zurückziehung der vorderen Extremitäten, wobei der Ausstreckung die Füllung, der Zurückziehung die Leerung der Lungen entspricht. Nebenbei ist eine andere Atmung zu bemerken, welche auch bei landlebenden Amphibien, ferner bei Geckoniden und, soviel ich weiß, auch bei Krokodilen allgemein verbreitet ist; sie geschieht durch die Bewegung der Kehlhaut, die ja bei den Schildkröten entschieden der beweglichste Teil der Körperhaut ist!). Ein anderes gepanzertes Tier ist der bekannte Opkhisaurus apus (Scheltopusik); klopft man mit dem Finger auf die Haut des Tieres, so fühlt sie sich eminent hart an; die Haut der Unterseite ist zwar etwas weniger starr, aber immerhin noch von bedeutender Festigkeit. Wie geschieht in diesem Falle die Atmungsbewegung? Hier springt die eigentümliche Längsfalte der Chaleidier helfend ein; diese Längsfalte, hinter der Ohröffnung beginnend und sich bis zur Seite der Afterspalte fortsetzend, ist weich und feinschuppig; sie genügt so vollkommen, um zwischen der Rücken- und Bauchpanzerung eine Annäherung oder Entfernung zu gestatten, dass sie auch bei heftigem Atmen noch nicht sichtbar wird — was erst beim Maximum der Entfernung zwischen den beiden Panzern der Fall ist?). Diese Einrichtung bei Ophisaurus erinnert lebhaft an eine ähnliche Einrichtung bei Insekten, Skorpionen und Skolopendern, welche ja auch zwischen dem dorsalen und ventralen, freilich geringelten, daher auch der Länge nach verschiebbaren Chitinpanzer eine weiche Verbindungs- haut besitzen, in der die Stigmen der Tracheen ausmünden. Durch die Kontraktion und Expansion der beiden Panzerhälften werden also bei dem Ophisaurus in gleicher Weise die Lungen, wie bei den er- wähnten Arthropoden die Tracheen entleert oder gefüllt. Obwohl ich darüber keine Erfahrung habe, vermute ich dennoch, dass die weiche Verbindung des Rücken- und Bauchpanzers bei den Emys-Arten, also z. B. bei unserer E. orbicularis in geringem Maße zu einer ähnlichen Atembewegung geeignet wäre und möglicherweise einmal diese Funktion ausgeübt hat; je fester die Verbindung der beiden Panzerhälften ist, desto mehr tritt natürlich die pumpende Be- wegung der Vorderextremitäten in den Vordergrund. 1) Die Kiemenatmung der Flussschildkröten (Trionychiden) hat mit der gerade bei ihnen sehr geringen Panzerung nichts zu thun, sondern ist nur eine Rückanpassung an ein totales Wasserleben, wobei die Lungen oft halbe Tage lang außer Funktion gesetzt werden können. 2) Die Hautfalte der Chaleidier ist gewiss nur mehr bei so fest ge- panzerten Formen wie es Ophisaurus ist, von Bedeutung; die Zonurus-, Gerrho- saurus- und Zonosaurus- Arten werden wohl schon durch Torakalbewegungen atmen. 86 Werner, Zoologische Miszellen. V. Tierische Gerüche. Wenn es schon nicht leicht ist, Gerüche zu klassifizieren, obwohl es Kerner bei den Düften der Blumen!) gethan hat und auch ich wenigstens versuchen werde die daraufhin untersuchten Tiere nach ihrem Geruche in Gruppen zu bringen, so ist es doch noch viel schwerer, sie zu definieren. Es ist noch ein sehr willkommener Um- stand, wenn uns aus der organischen oder anorganischen Chemie Stoffe bekannt sind, die ähnlich riechen, eben weil sie m den riechenden Absonderungen der Tiere allein oder vorwiegend enthalten sind; aber in den weitaus meisten Fällen können wir nicht sagen: dieses Tier riecht so oder so, sondern wir können höchstens konstatieren, dass es einen spezifischen Geruch besitzt. Man möge daher von dieser Studie nicht erwarten, dass sie Auf- klärung über die chemische Zusammensetzung der Stoffe gebe, welche eben die charakterischen Gerüche aussenden; sondern sie soll nur ein Wegweiser für solche Forscher sein, die derartige Untersuchungen wirklich ausführen wollen und z. B. zwar als Chemiker, weniger aber als Zoologen für diese Aufgabe befähigt sind, d. h. ihr Geruchsorgan nicht mit der gewaltigen Menge verschiedener Gerüche vertraut ge- macht haben, welche der Tierwelt vom Eisbären bis zum Marienkäfer eigen sind. Obwohl nicht nur über den Geschmack sondern auch über den Geruch sich nicht streiten lässt und mancher einen Geruch, der dem anderen angenehm ist, für Gestank erklärt, so glaube ich doch genügen- den Grund zur Annahme zu haben, dass alle Menschen mit normalen Geruchswerkzeugen dieselbe Geruchsempfindung von demselben Tiere haben, dass also z. B. allen eine Baum- oder Bettwanze gleich riecht oder stinkt, wenn auch dem Einen mehr oder unangenehmer als dem anderen; ebenso wie man annimmt, dass alle normalen Menschen die- selbe Empfindung von Farben oder Tönen haben. Durch eifrige Uebung seiner Nase kann man noch Distinktionen herausbringen, die dem weniger geübten Menschen vollständig ent- gehen, mitunter schon wegen der Unmöglichkeit, dieselben überhaupt zu ertragen. Ich will nun gleich mit einer Uebersicht der verbreiteteren Gerüche beginnen und daran eine kurze Besprechung einiger besonders charak- teristischer Gerüche, die auf gewisse Arten beschränkt sind, anschließen. Bei Säugetieren ist der Geruch häufig so kompliziert, dass man nach langem Dazuriechen doch nicht das Mindeste davon aussagen kann; bei Arten mit starkem Moschusgeruch, der alle anderen Ausdünstungen zurückdrängt, kann man den ersteren, nicht aber letztere bemerken, bei Arten mit schwachem Moschusgeruch weiß man oft überhaupt nicht mehr, was man riecht. 1) Verh. zool. botan. Ges., Wien 1888, IV. Quartal, Sitzungsber. $. 87. Werner, Zoologische Miszellen. 87 Viele Gerüche sind dem betreffenden Tiere durchaus nicht eigen- tümlich, sondern eigentlich nur ihren Exkrementen oder anderen Aus- wurfsstoffen, haften aber, wenn diese Tiere bestimmte Orte (Höhlen, Erdlöcher ete.) bewohnen und stets wieder dahin zurückkehren, daher immer auf und bei ihren Exkrementen sich aufhalten, so fest auf dem Fell, dass man sie für spezifische Gerüche dieser Tiere hält. So ist der Ammoniakgeruch vielen Raubsäugetieren sowie den Halbaffen eigentümlich und zwar mitunter sehr heftig und stechend; dabei ist er aber durch den wirklichen Eigengeruch derselben, der durch ihn nicht zur vollen Entfaltung kommen kann, je nach der Art des Tieres modifiziert. Ebenso ist der Aasgeruch, der manchen Tieren entströmt, die auf einmal große Nahrungsmengen zu sich nehmen, durchaus nicht diesen eigentümlich, sondern stammt von der verzehrten Beute, deren Verwesung oft noch durch die Hitze beschleunigt wird. Einen starken Aasgeruch bemerkt man mitunter ‚bei Raubvögeln (Geiern), fisch- fressenden Reihern und bei Wasserschildkröten !), ferner bei manchen Schlangen. Bei Hyänen ist mir ein Aasgeruch eigentlich nie auf- gefallen, sondern immer nur der ammoniakalische. Eine recht weite Verbreitung hat der Moschus-, resp. Bisam- und Zibethgeruch mit verschiedenen durch Beimengung anderer Gerüche hervorgerufenen Modifikationen. Er ist entweder permanent und dann über den ganzen Körper verbreitet, oder aber er wird nur bei gewissen Gelegenheiten (Angst, Aerger ete.) also bei Aufregung, daher auch zur Paarungszeit bemerkbar, indem dann aus Drüsen die nach Moschus riechende Masse oder Flüssigkeit entleert wird. Ich führe als mehr oder weniger bekannte Beispiele für diese Art von Geruch an: Von Säugetieren Spitzmäuse: . . (verschieden stark, besonders Myogala moschata, ferner Sorex murinus und Crossopus fodiens). Fledermäuse: . (besondersdeutlichund angenehm Vesperugo discolor). Raubtiere: . . Galictis- Arten, Viverra- Arten. Nagetiere: . . Fiber zibethecus. Wiederkäuer: . Moschus moschiferus, Ovibos moschatus. Schweineartige : Dicotyles torquatus (Pekari oder Nabelschwein). Zahnarme: . . Tamandua tridactyla. Von Vögeln Cairina moschata (Moschusente). Ferner von Reptilien die Krokodile, manche Schlangen (sehr deut- lieh und nieht unangenehm riecht Morelia argus, die australische Rauten- schlange; die Tropidonotus-Arten, z. B. unsere Ringelnatter, riechen nur, wenn sie gereizt oder beunruhigt werden nach Ammoniak und einer Art Moschus, wenn sie ihren weißen, breiartigen Harn ausspritzen. Ferner manche Wasserschildkröten z. B. Cinosternum odoratum. 4) Mit oder ohne bemerkbaren Ammoniakgeruch. 38 Werner, Zoologische Miszellen. Von den Insekten ist der Moschusbock (Aromia moschata); von Weichtieren sind der Moschuspolyp (Eledone moschata), ferner eine Schnecke (Fasciolaria trapezium) als Träger des bekannten Geruches hervorzuheben). Verwandte Gerüche sind der allbekannte, durchdringende Maus- geruch; der Geruch des Bibergeils ete. Bei den Insekten, namentlich Käfern kann man zahlreiche spezi- fische Gerüche unterscheiden und man vergleiche besonders folgende: 1) Calosoma sycophanta. 2) Carabus-Arten (riechen alle sehr ähnlich, ebenso die nord- afrikanische Anthia sexmaculata, die ich im Algerien zu riechen Gelegenheit hatte). 5) Cetonia aurata. 4) Blaps mortisaga. 5) Gyrinus natator. 6) Coceinella septempunctata. Ferner wäre hier der charakteristische Geruch der Wanzen (wohl nur aus der Gruppe der Hemiptera und auch den Wasserbewohnern fehlend), der Heuschrecken, Myriapoden (Julus-Arten), der fast durch- wegs erst bei unsanfter Berührung gewisser merkbar wird, wenn sie nämlich den bekannten gelben oder braunen Saft ausstoßen. Spezifische Gerüche kommen zahlreich auch bei Amphibien vor. Man rieche zu einem Glase, welches zahlreiche Laubfrösche enthält und man wird den merkwürdigen, etwas süßlichen Geruch stets wieder erkennen. Charakteristisch stark und unangenehm sauer ist der Ge- ruch von Bufo viridis, ähnlich auch bei Bombinator pachypus, ähn- lich aber auch bei Salamandra maculosa und bei Molge eristata; er ist im Gegenteile zu vorigem sauer. Bei Pelobates fuscus habe ich einmal einen starken Ammoniakgeruch bemerkt, als ich ein Exemplar mit einer Pinzette aus einer Flasche herauszog. Ein Knoblauchgeruch ist mir, so viele Exemplare ich auch schon besessen habe, niemals aufgefallen. Ein auf die Säugetiere beschränkter Geruch ist der der Stinktiere, der mit verschiedenen Variationen bei Midaus, Mephitis, Rhabdogale, katelus, Gulo; ferner bei Marder und Iltis zu finden ist. Ich habe allerdings nur bei den wenigsten lebend beobachteten Stinktieren es gewagt, ihre Stinkfertigkeit zu erproben, kann daher nicht sagen, ob alle ähnlich stinken; doch bin ich der Meinung, dass nur in der In- tensität, nicht aber in der Art des Geruches ein wesentlicher Unter- schied besteht. Bei dem Stinktiergeruch ist die Bedeutung als Ver- teidigungsmittel klar; in dieser Beziehung wäre auch die Exkretion 4) Höchst merkwürdig ist die bekannte Thatsache, dass auch manche Pflanzen, namentlich Adoxa moschatellina, den Moschusgernch sehr deutlich erkennen lassen, Werner, Zoologische Miszellen. ai) der Tropidonotus- Arten und vieler Insekten hier anzuschließen, wenn nicht etwa eine ätzende Wirkung des Harns die Hauptsache ist. Ein besonderer, sehr unangenehmer Geruch ist der des Fuchses, und wie bei manchen Raubtieren eigentlich der Geruch des Harns des Tieres, der sich dem Fell mitteilt. — Man sieht aus vorstehender Uebersicht, wie mangelhaft noch unsere Kenntnisse über diesen Gegenstand sind. Viele Ge- rüche sind so schwach, dass sie nur dann einigermaßen auffallen, wenn zahlreiche Exemplare derselben Art zusammengehalten werden. Dies ist z. B. bei vielen kleinen Vögeln der Fall; größere haben, wie man sich namentlich an Hühnervögeln ete. leicht überzeugen kann, einen ganz merklichen Eigengeruch. Bei anderen ist man nur zu leicht geneigt, den Geruch der Exkremente für den des Tieres selbst zu halten, wie bei Rindern, Pferden, Kaninchen. Der Kaninchengeruch ist z. B. ganz charakteristisch und kaum mit dem eines anderen Nagers zu ver- gleichen und doch riechen eigentlich nur die Exkremente so; etwas ähnliches treffen wir auch bei unseren Landschildkröten, die sich von ihren wasserlebenden Verwandten durch ihren Geruch deutlich unter- scheiden, der auch wieder von ihren Auswurfsstoffen herrührt und bei großer Reinlichkeit fast unmerklich ist. Von merkwürdigen Säugetiergerüchen wäre noch der der großen Bärenarten hervorzuheben, der mir auch von dem scharf sauren Harn herzurühren scheint; der Geruch der Ziegenböcke zur Brunstzeit, der entsetzliche Geruch der Kameele, der übrigens in unserem Klima und bei strenger Reinhaltung auf ein Minimum herabgedrückt werden kann !). Die Halbaffen stinken, wie schon erwähnt, wenigstens in größerer An- zahl beisammen gehalten, intensiv nach Ammoniak. Man kann im Allgemeinen sagen, dass im Bereiche der Säugetier- klasse die Gerüche in einander übergehen, und es ist schwer, anzugeben, ob gewisse Gerüche auf eine gewisse Familie oder Gattung beschränkt sind oder nicht; wir sehen, dass der Moschusgeruch nicht einmal auf das Tierreich beschränkt ist, ja wir können nicht einmal eine nur einigermaßen annehmbare Abgrenzung von den zahlreichen, mehr oder weniger ähnlichen Gerüchen treffen, wie sie namentlich bei Nagetieren in großer Mannigfaltigkeit bemerkbar sind. Ein Siebenschläfer, eine Haselmaus, ein Eiehhörnchen, ein Ziesel, eine Maus, ein Hamster, eine Wasserratte — sie alle riechen mehr oder weniger ähnlich, es ist nur ein Unterschied wie zwischen verschiedenen Abstufungen der- selben Farbe oder wie ein Ton, der von verschiedenen Instrumenten ausgeht. Auch der Aas- und Harngeruch sind keine ganz be- stimmten Gerüche; ein Fuchs und ein Eisbär können beide intensiv nach Harn riechen und doch in ihrem Geruch von einander unter- scheidbar sein; dasselbe ist mit dem Aasgeruch der Fall, da ja Kadaver 1) Ein ein- und ein zweihöckeriges Kameel, welches ich in diesem Jahre bei einen herumziehenden Affenführer sah, waren nahezu vollständig geruchlos. 90 Werner, Zoologische Miszellen. schon an sich einen höchst verschiedenen Geruch haben: eine tote Maus, ein toter Laubfrosch, eine tote Eidechse, ein toter Käfer und ein toter Hummer, sie repräsentieren total verschiedene Gerüche und ein Aasfresser wird demnach je nach der Art seiner Nahrung sehr verschieden stinken. Sehr undeutliche uad fast unmerkliche Gerüche finden wir bei vielen Wiederkäuern, sowie auch bei den meisten Wassertieren (sogur bei sehr großen, wie z. B. dem Flusspferd) uad bei den meisten Ei- dechsen. Sogar solche Wassertiere deren landlebende Verwandte einen ausgesprochenen Geruch besitzen, können keine Spur davon bemerken lassen; ausgenommen ist hiebei der Moschusgeruch, der gerade bei Wassertieren nicht selten ist. Sehr übereinstimmend habe ich bei Vögeln bloß den Geruch kleiner Raubvögel (Falken) gefunden. Bemerken will ich noch, dass es bei derartigen Untersuchungen geraten ist, nicht zu viele Riechproben nacheinander zu machen, in derselben Tierklasse nur kleinere Gruppen also z. B. nur Nagetiere „durchzuriechen“ und dann wieder Gerüche aus einer Familie oder Gattung einer anderen Klasse durehzunehmen. Da man sich an Ge- rüche zwar sehr lebhaft erinnern !), sie sich aber nieht vorstellen kann, so folgt daraus, dass man die einzelnen Riechproben aus der- selben Gattung oder Familie möglichst rasch hintereinander macht und möglichst oft wiederholt. Was für eine Bedeutung die Gerüche der Tiere besitzen, ist in manchen Fällen nieht sehr klar; dass die Exkretionsgerüche für die betreffenden Tiere keine Bedeutung haben, könnte man bei ihrer relativ großen Aehnlichkeit vielleicht im Vorherein annehmen; vielleicht dienen sie aber zum Verwischen des spezifischen Eigengeruches, auf der Fährte, resp. auf dem Lager des Tieres; natürlich gilt dies ebensosehr nur für mit relativ schwächer entwickelten Geruchswerkzeugen ausgestattete Tiere, als die Anpassung an den Aufenthaltsort in Form und Färbung nur zum Schutze gegen Entdeckung durch schwachsichtige Tiere gereichen kann. Der intensive Moschus-Zibeth-Bisamgeruch dient wohl vorzugsweise zur Auffindung der beiden Geschlechter untereinander zur Paarungszeit, weshalb auch in vielen Fällen der an die Sekretion gewisser Drüsen gebundene Moschusgeruch eben nur zu dieser Zeit bemerkbar wird. Bei wasserlebenden Tieren wird der Moschusgeruch durch das Element, in dem sie leben, ausgetilgt, daher riechen manche dieser Tiere stets nach Moschus, da auch ihr Fell den Geruch besitzt. Landlebende Tiere aber würden durch konstanten Moschusgeruch viele Feinde auf ihre Fährten bringen, während bei Beschränkung des Geruches auf die Paarungszeit die Gefahr durch die Vorteile mindestens aufgewogen wird. Dort aber, wo die Exkretionsgerüche selbst charakteristisch sind oder wo die wirklichen Eigengerüche durch keine allgemein verbrei- 1) Wenn nämlich ein gleicher Geruch wahrgenommen wird. Werner, Zoologische Miszellen. 91 teten Exkretionsgerüche gedeckt sind, da ist eine Erklärung nieht sehr leicht vielleicht auch gar nicht erforderlich; denn die Gerüche des tierischen Organismus sind eben die notwendige Folge seiner Lebens- vorgänge und müssen daher auftreten, sobald die chemische Ver- bindung entsteht, der sie entströmen. Sind diese Gerüche dabei noch für das Tier von Nutzen, um so besser, sind sie aber schädlich, indem sie Feinde auf seine Spur führen, so gibt es verschiedene Mittel um dies zu verhindern; ebenso wie besonders schnelle, giftige, kräftige Tiere zur Not die Anpassung entbehren können, ebenso kann aus ähnlichen Gründen auch ein starker Geruch mehr weniger gefahrlos bleiben. Der Geruch der Maus kann durch ihre Schnelligkeit im Laufen, durch ihre Vorsicht und Behendigkeit, ja sogar noch durch ihr Gebiss (einem nieht allzugroßen Räuber gegenüber) ausgeglichen werden. Denn es ist ja bekannt, dass nicht jede gefangene Maus auch schon verloren ist und nieht selten entkommt sie noch aus dem Rachen eines zwanzigmal stärkeren Tieres, als sie selbst ist, durch Anwendung ihres Gebisses. Gegenüber den vielen Tieren, die dem Ge- ruche nach ihre Beute verfolgen, schützen obige Eigenschaften min- destens so gut, als die Anpassung an den Aufenthaltsort gegen gut sehende Tiere mit schlechten Geruchswerkzeugen. Damit schließe ich diesen Aufsatz über ein noch wenig bekanntes Thema; Jäger, an Tiergärten Angestellte und Privat-Tierfreunde könnten in dieser Beziehung noch manches Wissenswerte mitteilen, denn wenn, wie schon anfangs gesagt, Gerüche nicht absolut be- schrieben, sondern nur durch Vergleiche mitgeteilt werden können, so können wir gerade durch solche Vergleiche und durch Zusammen- stellung ähnlicher Gerüche eine Klassifikation und Uebersicht derselben durch das ganze Tierreich hindurch ermöglichen. Das Ideal wäre es freilich, jeder Artbeschreibung die chemische Formel des charakteristi- schen Riechstoffes beifügen zu können, ähnlich etwa wie die Zahn- formeln der Säugetiere oder die Schuppenformeln der Reptilien; da- durch wäre allerdings eine feste Basis für derartige Untersuchungen geschaffen, denn die Nase täuscht sich bisweilen und hält z. B. hart- näckig einen bestimmten Geruch fest und ignoriert dann einen anderen mehr weniger vollständig. VI. Die Korrelation der Schilder- und Schuppenzahlen bei Schlangen. Im Anschluss an die in Bd. X (Nr. 8, 1. Juni 1891) des Biolog. Centralbl. publizierte Bemerkung über die merkwürdige Korrelation zwischen der Anzahl der Prae- und Postocularia, der Supralabialia und der Schuppenreihen möchte ich noch eine vollständigere Aufzäh- lung der Zamenis-Arten geben, als es mir damals möglich war. Man wird auch bei der um 7 Arten vermehrten Reihe sehen, dass die betreffenden Zahlen ziemlich gleichmäßig anwachsen. 99 Werner, Zoologische Miszellen. Wir finden bei Zamenis: Prae- u. Postocularia Supralabialia Schuppenreihen korros 4 8 15 MUCOSUS 4 8 17 gemonensis 4 (—5) 8 (17—) 19 spinalis Bee: u 8 17 EDER RE EZ 8(—9) 19 dorsalis 4 8—9 19 elegantissim Ss . 5 8 19 carelinüi an 9 19 Jascholatusien 2 ne 4,4 3 21—23 ventrimaculatuss . . . 45 1%) 19—21 GRACDNS: een delrsrus 4 $) 21 Horulentusi ar wine a 9—10 21 FOBERVETDE ee © 8 21—25 TO RE ET RNE 9—10 25 SDEOMABE N ee le 0 10 23 hippoerepis ..= -ı -...6-8 8s—10 25—29 DRENENIUS ul en vermehren 8 10 25—27 Bademas.. u. ed 10—14 25— 83 MieHolepissses nenn. O5 14-15 41—43 Die von Boettger vertretene Meinung, die Vermehrung dieser Zahlen stehe im Zusammenhang mit der Nahrung der Schlangen, also dass z. B. die Formen mit Augenkränzen und zahlreichen Praeocularen!) Säugetierfresser sind, wird durch die Betrachtung der vorliegenden Zusammenstellung zwar nicht direkt widerlegt, da thatsächlich die letzten vier Arten vorwiegend oder ausschließlich von kleinen Säugetieren leben; aber bei weitem die meisten der vorhergehenden Arten (es ist wohl nur Z. dahlii und ähnliche kleinere und sehr schlanke Arten auszu- nehmen) und gerade die drei ersten Arten leben ebenfalls wenigstens teilweise von Säugetieren. Für die Annahme, dass Bewohner wüster trockener Gegenden zahlreichere Schuppenreihen bilden, sprechen die Zahlen bei Z. diadema, arenarius ete., aber gerade die Zamenis- Arten leben ja fast ausnahmslos in trockenen, heißen, steinigen oder sandigen Gegenden. Man sieht daraus, dass, wenn auch in vielen Fällen der- artige Annahmen begründet sind, dieselben in anderen wieder mehr weniger vollständig’ unzureichend sind. Bemerken will ich noch, dass, wie auch aus den gegebenen Tabellen hervorgeht, die Variabilität in der Schuppen- oder Schilderzahl um so größer wird, je größer diese Zahlen überhaupt sind: so bemerkt man hei den ersteren Arten eine Schwankung um höchstens 1 bei Augenschildern und Supralabialen, um 2 bei den Schuppenreihen des Rumpfes, während bei Z. diadema und Aippoerepis die entsprechenden Schwankungen 2, 2—4, 4—8 be- tragen. Dieses Gesetz gilt wohl für alle Schlangen und auch für die \ 1] Wodurch der Rachen seitlich mehr erweitert werden kann. Lauterborn, Erforschung des großen Plöner Sees. 95 Eidechsen. (Dass bei Z. socotrae, arenarius, microlepis ete. fast überall nur eine Zahl für jede Schildergattung angegeben ist, ist nicht etwa durch eine Abweichung von diesem Gesetz, sondern in der sehr ge- ringen Zahl der bekannten Exemplare begründet.) Bei den Tropidonotus- Arten hingegen sind die Unterschiede äußerst gering; so variiert die Zahl der Praeoeularen bei 21 altweltlichen Tropidonotus-Arten, welche ich größtenteils selbst untersucht habe, nur zwischen 1 und 3, die Zahl der Postoeularen zwischen 2 und 4 und erreicht nur bei einer Art (T. tessellatns) häufig die Zahl 5; die Zahl der Öberlippenschilde ist nahezu ausnahmslos 7—9 und die der Schuppenreihen des Rumpfes 19; nur in einem einzigen Falle (7. yunctulatus) sinkt sie auf 17, in zweien erreicht sie die Zahlen 21—23 (T. viperinus) oder 23—27 (T. plumbi- coloe). Auch verwandte Arten, wie Helicops schistosus, a die Entaenia- Arten, Baar Tropidoclonium, Clonophis ete. weichen kaum von diesen Zahlen ab, während von den nordameri- kanischen echten Tropidonotus-Arten nur die Sup u meist höher sind; in diesem Falle stimmt Boettger’s Annahme vortrefflich mit den Thatsachen überein, da alle Natrieinen eine sehr ähnliche Lebensweise führen und sieh von Amphibien und Fischen nähren. Bemerkungen zu dem Artikel: „Die Erforschung des großen Plöner Sees“. In Bd. XI. Nr. 20 u. 21 dieser Zeitschrift. Im „Biol. Centralblatt“, Bd. XII, S. 672 findet sich in einem Be- richte über die Erforschung des großen Plöner Sees als „entomologische Seltenheit“ ein Rüsselkäfer erwähnt, welcher vollständig unter Wasser lebt. Da nun nach genanntem Artikel „erst noch zu ermitteln sein dürfte, ob schon eine Species entdeckt ist, die so wie die im Plöner See nachgewiesene völlig dem Wasserleben angepasst ist“, so ist vielleicht die Mitteilung nicht ohne Interesse, dass auch ich bei Gelegenheit faunistischer Studien in einem Altwasser des Rheines bei Ludwigshafen einen Rüsselkäfer antraf, welcher die oben bezeichnete Lebensweise führte. Es war dies Eudrychkius velatus Beck, ein etwa 2 mm großer gelbgrün beschuppter Cureulionide aus der Unterfamilie der Ceutorrhynchini. Ich habe längere Zeit ein Pärchen dieser Art beobachten können, welches in einer mit Elodea erfüllten Glasschale in Gesellschaft verschiedener Daphniden, Hydrachniden und Epheme- ridenlarven lebte. Diese Tierchen krochen bald an den Pflanzen herum, bald ruderten sie geschickt durch das Wasser; einmal war ich auch Zeuge einer Kopulation. Eine zweite Art mit ähnlicher Lebensweise ist der nahe verwandte Litodactilus leucogaster Mrsh., welcher aber selten ist und mir bis jetzt noch nicht zu Gesicht Bon Zu einer dieser beiden Species win wohl auch der Rüsselkäfer aus dem Plöner See gehören. 94 Gürber, Weiße Blutkörperchen und Blutgerinnung. Die Thatsache, dass es unter Wasser lebende Rüsselkäfer gibt, ist übrigens keineswegs neu, wie der Verfasser des angezogenen Artikels anzunehmen scheint. So erwähnt z. B. G. Jäger in seinem Werke „Deutschlands Tierwelt“, Bd. II, S. 349 ausdrücklich die beiden Arten der Wasserrüsselkäfer; ferner findet sich auch in dem klemen „Hand- buch für Käfersammler“ von Bau S. 357 bei Eubrychius velatus Beck die Bemerkung: „Ziemlich häufig in stehenden Gewässern unter Wasser an Wasserpflanzen“. R. Lauterborn (Ludwigshafen a. Rh.). Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Würzburger Phys. - med. Gesellschaft 1892. Sitzung vom 18. Juni 1892. Gürber, „Weiße Blutkörperchen und Blutgerinnung“. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die weißen Blutkörperchen zur Blutgerinnung in naher Beziehung stehen, spricht hiefür doch schon die That- sache, dass ein großer Teil derselben dabei zu Grunde geht. Um über diesen letztern Punkt noch etwas genauern Aufschluss zu bekommen, ließ ich im hiesigen physiologischen Institut durch Herrn cand. med. Bier vergleichende Zählungen der weißen Blutkörperchen am Kaninchenblut vor und nach der Gerinnung anstellen. Herr Bier wird demnächst die Ergebnisse dieser Untersuchung mit allem, was sich daran anschließt, in extenso mitteilen. Ich möchte hiemit nur kurz eine vorläufige Zusammenstellung der gefundenen Thatsachen geben, ohne aber näher auf die Versuche und deren Ausfüh- rung einzugehen. Die Fragen, zu deren Beantwortung die vorliegende Untersuchung be- gonnen wurde, waren: Wie viele von den vorhandenen weißen Blutkörperchen gehen bei der Gerinnung zu Grunde und zweitens, wie verhalten sich diese, wenn die Gerinnung verhindert oder verzögert wird? Als Antwort auf die erste Frage ergaben die Zählungen, dass bei der Gerinnung immer nahezu die Hälfte, bald etwas mehr, bald etwas weniger, der weißen Blutkörperchen zu Grunde geht: Vor der Gerinnung in Kubikmm Nach der Gerinnung im Kubikmm 5900 3000 10900 4500 7000 3400 7800 3700 4900 2300 Dies gilt auch für den Fall, dass durch Blutentziehungen ihre Zahl be- deutend vermehrt worden ist: Nach dem Aderlass — A No | Von dem Aderlass Vor der Gerinnung Nach der Gerinnung im Kubikmm im Kubikmm im Kubikmm 5900 12000 5900 7000 11100 5600 Im Anschluss hieran möchte ich bemerken, dass ich die Angabe, wie sie sich mehrfach in der Litteratur findet: es nehme nach Blutentziehungen die Gürber, Weiße Blutkörperchen und Blutgerinnung. 95 Zahl der weißen Blutkörperchen so sehr zu, dass sie der Zahl der roten fast glelch komme, nicht bestätigen kann. Eine viel größnre Zunahme als auf das Doppelte der normalen Zahl konnte ich auch nach kräftigem Aderlass nicht finden. Vor dem Aderlass Nach dem Aderlass i weißes auf 800 rote 1 weißes auf 300 rote 1 > 21007, 1 A 6,3304: 7 Dagegen ergaben die Zählungen noch einen andern Befund, von dem ich glanbe, dass er erwähnenswert sei. Die zwei Hauptarten von weißen Blutzellen, wie sie normalerweise vor- kommen: die mononukleären und die polynukleären stehen zu einander in einem Verhältnis von 5:1 bis 3:1. Monunukleäre Zellen Polynukleäre Zellen 78 15 54 27 49 15 81 22 Untersuchte man nun in dieser Richtung defibriniertes Blut, so waren darin auf 30 monunukleäre Leukocyten höchstens 2 polynukleäre mehr zu finden. Demnach gehen fast alle weißen Blutkörperchen der letzteren Art bei der Gerinnung zu Grunde. Als Ueberreste von ihnen müssen die vielen stark glänzenden Körnchen (Blutplättchen?) angesehen werden, die massenhaft im defibrinierten Blute enthalten sind und die sich als Kernrudimente erweisen. Ich stellte mir nun die zweite Frage: wie sich die weißen Blutkörperchen wohl verhalten möchten, wenn das Blut an der Gerinnung verhindert würde? Nach den Angaben mehrerer Autoren, sollen schon viele Leukocyten zu Grunde gehen, sobald das Blut aus den Gefäßen ausgetreten ist und man glaubt, dass dabei das Fibrinferment entstehe. Wenn dem so wäre, so müssten in dem Blute, das man längere Zeit ohne Gerinnung stehen lässt, weniger weiße Zellen enthalten sein, als in dem Blute, das man unmittelbar dem Gefäße zur Zählung entnimmt. Die Gerinnung wird bekanntlich leicht durch Abkühlen des Blutes auf 0° verhindert. Gelang es wirklich auf diese Weise die Gerinnung voll- ständig auszuschließen, so waren, selbst nach 2 Stunden, in dem gestandenen Blute noch gerade ebenso viele Leukocyten wie im Blute direkt aus einem Gefäße, das aber nur dann, wenn auch keine Spur von Gerinnung einge- treten war. Frisches Blut im Kbkmm Abgekühltes Blut im Kbkmm 7000 6800 4900 5100 Dasselbe Resultat fand ich auch, wenn die Gerinnbarkeit des Blutes, nach den Angaben von Arthus und Pages!), durch Zusatz von 1prozentiger Kaliumoxalatlösung aufgehoben worden war, ein Verfahren, das viel sicherer zum Ziele führte, als die Abkühlung. Frisches Blut im Kbkmm Kaliumoxalatblut im Kbkmm 10300 10400 Von einem raschen zu Grunde gehen der Leukocyten außerhalb des Orga- nismus war in diesen Fällen, wenn nur die Gerinnung verhindert wurde, nichts zu bemerken. Von ganz besonderer Wichtigkeit für das Verstäudnis der Thätigkeit der weißen Blutkörperchen bei der Blutgerinnung dürfte aber folgende Beobach- 4) Archiv d. Physiol., 5, I, S. 739. 96 Gürber, Weiße Blutkörperchen und Blutgerinnung. tung sein: Wurde nämlich das abgekühlte Blut nach Verlauf einiger Stunden defibriniert und nun die Zahl der Leukocyten in ihm bestimmt, so zeigte sich, dass bei dieser nachträglichen Gerinnung keine Leukocyten zu Grunde ge- gangen waren; ihre Zahl blieb unmittelbar nach wie vor der Gerinnung dieselbe. Abgekühltes Blut. Vor der Gerinnung Nach der Gerinnung 6800 6850 5100 5000 Aus den polynukleären Zellen aber waren mononukleäre geworden, indem sich die vielen kleinen Kerne der erstern Art zu einzelnen großen Kernen der letztern Art vereinigt hatten. Daueben machten sich noch andere weitgehende Veränderungen an den Leukocyten bemerkbar. Bei vielen war das Protoplasma so stark gequollen, dass ich die Zellgrenzen kaum mehr zu erkennen ver- mochte. Ein Gleiches zeigten auch die Kerne dieser Zellen. Ueberhaupt machten sie im Ganzen den Eindruck, als wären sie gerade im Begriffe sich aufzulösen. Eine spätere Untersuchung desselben Blutes ergab denn auch, dass nachträg- lich sich sehr viele Leukocyten aufgelöst hatten. Etwas anders verhielt sich das Kaliumoxalatblut: Wurde dieses durch Zusatz von Calciumchlorid-Lösung wieder gerinnbar gemacht und dann defibri- niert, so gingen die weißen Blutkörperchen bei dieser Gerinnung ebenso rasch und noch zahlreicher zu Grunde, als wie bei der Gerinnung des frischen Blutes. Kaliumoxalatblut. Vor der Gerinnung im Kbkmm Nach der Gerinnung im Kbkmm 10400 3200 Soll ich diesen Thatsachen, so weit möglich, eine bestimmte Deutung geben, so möchte ich kurz Folgendes hervorheben: Bei der normalen Blut- gerinnung geht immer ungefähr die Hälfte, der im Blute enthaltenen weißen Blutkörperchen zu Grunde und zwar infolge der Gerinnung; denn, wird das Blut an der Gerinnung verhindert, so kommt es, wie die Versuche mit dem abgekühlten Blute und dem Kaliumoxalatblute zeigen, auch zu keinem Zerfall der Leukocyten. Dieser Zerfall ist aber für das zustande kommen der Ge- rinnung nach den Versuchen mit dem abgekühlten Blute nieht notwendig, folglich kann auch die Gerinnung nicht durch denselben veranlasst werden. Da jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach das Fibrinferment von den weißen Blutkörperchen stammt, so darf man jetzt nicht mehr ihr zu Grunde Gehen mit der Entstehung des Fermentes identifizieren, sondern man muss nun an- nehmen, dass die Fermentbildung ein besonderer, durch irgend welche Einflüsse angeregter Prozess in diesen Zellen sei, wobei sie allerdings abstürben und zerfielen. Der Zerfall der weißen Blutkörperchen bei der Blutgerinnung wäre mithin nicht ein primärer, wohl aber ein sekundärer Vorgang, der bei unbe- hinderter Gerinnung vielleicht synchron oder doch zeitlich nicht sehr ver- schieden mit der Fermentbildung verlaufen und mit ihr in kausalem Zusammen- hang stehen kann, ihr aber nicht vorauszugehen braucht. Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 1. März 1893. Nr.4u5. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. — Errera, Ueber die Ursache einer physiologischen Fernwirkung. — Weltner, Bemer- kungen über den Bau und die Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. — Salensky, Ueber die Entstehung der Metagenesis der Tunicaten. — Braem, Das Prinzip der organbildenden Keimbezirke und die entwicklungsmechanischen Studien von H. Driesch. — Emery, Intelligenz und Instinkt der Tiere. — Zacharias, Die mikroskopische Organismenwelt des Süßwassers in ihrer Be- ziehung zur Ernährung der Fische. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. Die Arbeiten, über welche im nachfolgenden referiert wird, ge- hören folgenden Gebieten an. Energetik: W. Pfeffer, Studien zur Energetik der Pflanze’). Respiration und Assimilation: M. E. Aubert, Recherches sur la respiration et l’assimilation des plantes grasses ?). Jumelle Henri, Recherches physiologiques sur les Lichens?°). Detmer, Beobachtungen über die normale Atmung der Pflanzen ?). Derselbe, Untersuchungen über die intramolekulare Atmung der Pflanzen?). Lichtwirkungen auf den Pflanzenkörper: A. Wagner, Zur Kenntnis des Blattbaues der Alpenpflanzen und dessen biologische Bedeutung®). Geneau de Lamarliere, Recherches physiologiques sur les feuilles developpees A l’ombre et au soleil”). 1) Abhandl. d. math.-phys. Klasse der k. sächs. Gesellschaft der Wissen- schaften, Bd. XVII, S. 151—276, 1892. 2) Revue generale de Botanique, Tom. IV, 1892, Nr. 42—48. 3) Revue generale de Botanique, Tom. IV, 1892, Nr. 38—43. 4) Berichte d. deutsch. bot. Gesellsch., Bd.X, 8. 535—539. 5) Berichte d. deutsch. bot. Gesellsch., Bd. X, S. 201—205. 6) Sitzungsber. d. kais. Akad, der Wissensch. in Wien, Mathem.-naturw. Klasse, Bd. CI, Abt. I, 1892, S. 1-62. 7) Revue generale de Botanique, 1892, Nr. 47 u. 48. XI. —] 8 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Oltmann, Ueber die photometrischen Bewegungen der Pflanzen). W.Rothert, Ueber die Fortpflanzung des heliotropischen Reizes ?). Orientierungstorsionen : Schwendener und Krabbe, Untersuchungen über die Orien- tierungstorsionen der Blätter und Blüten ?). Pflanzliche Elektrizität: OÖ. Haacke, Ueber die Ursache der elektrischen Ströme in der Pflanze®). Untersuchungen über mineralische Nährstoffe: OÖ. Löw, Ueber die physiologischen Funktionen der Kalium- und Magnesiumsalze im Pflanzenorganismus’). C. Wehmer, Zur Frage der Entleerung absterbender Organe, insbesondere der Laubblätter ®). Widerstandsfähigkeit gegen Austrocknen: P. Bonnet, Note sur la Reviviscence des plantules dessechees”). Verhalten gegen Gifte: E. Wütherich, Ueber die Einwirkung von Metallsalzen und Säuren auf die Keimfähigkeit der Sporen einiger parasitischer Pilze. Adaption: R. Hegler, Ueber den Einfluss von Zugkräften auf die Festig- keit und die Ausbildung mechanischer Gewebe in Pflanzen). Atavismus: Prof. Heinricher, Versuche über die Vererbung von Rück- schlagserscheinungen bei Pflanzen). 1: Dnerzetrk. In seinen Studien zur Energetik der Pflanze, emer Ab- handlung, die in einem in bescheidenem Umfange sich haltenden Referate nicht allseitig und gleiehmäßig gewürdigt werden kann, sucht uns Pfeffer einen Einblick in die Mittel und Wege zu verschaffen, ver- möge welcher Energie zum Betriebe physiologischer Leistung nutzbar gemacht werden kann. Energetik ist der Energie- oder Kraftwechsel, auf welchem die Leistungen der Organismen beruhen. Da uns eine 1) Flora LXXV, 1892, S. 183—266. 2) Berichte der deutschen bot. Gesellsch., X, 8. 374—3%. 3) Abhandlungen der k. preuß. Akademie der Wissensch. zu Berlin, 1892, Phys. Abt. I, S. 1—116. 4) Flora LXXV, 1892, S. 455—487. 5) Flora LXXV, 1892, p. 368—394. 6) Landwirtschaftliche Jahrbücher, 1892, S. 513—570. 7) Revue generale de Botanique, Tom. IV, p. 193—201. 8) Berichte d. k. sächs. Gesellsch. d. Wissensch., Mathem -phys. Klasse, Dezember 1891. 9) Pringsheim’s Jahrbücher f. wissensch. Botanik, XXIV, Ss. 50— 144. Keller, Fortschritte der Pfanzenphysiologie. 99 klare Einsicht in die Mamnigfaltigkeit der Bedingungen und Verhält- nisse fehlt, die im Leben einer Pflanze in einander greifen, kann natür- lich auch die Energetik nieht etwas abschließendes sein. Sie ist aber, um mit dem Verf. zu reden, eine wohlgerechtfertigte „fragmentarische Pionierarbeit“. Die Abhandlung gliedert sich in zwei Teile. In einem allgemeinen Teil besprieht Verf. die Leistungen und Energiepotentiale von allge- meinem Gesichtspunkte aus, erörtert die Beziehungen zwischen Stoff- wechsel und Leistungen und bespricht die Einführung von Energie in die Pflanze. Der spezielle Teil befasst sich mit den Leistungen in Wachstums- und Bewegungsvorgängen, prüft die Wachstumsmechanik, die Leistungen in lokomotorischen Bewegungen, die Betriebsenergie in der Wasserbewegung und die Betriebskräfte in der Stoffwanderung. Die Thätigkeit m der Stofiwanderung der Organismen erfordert den Umsatz von Spannkraft in lebendige Kraft, die Schaffung und Verwendung leistungsfähiger Energiepotentiale. Die Thätigkeit bedingt einen Verlust an Betriebsenergie. Die Zufuhr neuer Energie wird also nötig sein, wenn der Organismus seine Thätigkeit fortsetzen soll. Ein- führung materieller Körper, ferner Wärme, Licht, Elektrizität und mechanische Wirkung vermitteln die Zufuhr der Energie in der Pflanze. „Dieser Energiegewinn und insbesondere die Aufdeekung der Mittel und Wege, durch welche Energie im Dienste des Organismus umge- setzt und nutzbar gemacht wird, bildet den allgemeinen Rahmen des großen Problems der physiologischen Energetik“. Im Organismus treten uns die gleichen Energie- und Leistunes- formen entgegen wie in toten Systemen. Eine spezifische nur dem Leben. dienstbare Energie gibt es nicht. Alle wahrnehmbaren mecha- nischen Leistungen sind Bewegungen von größern Massen oder kleinsten Teilen. Vollziehen sich in den Bewegungen Umlagerungen von Mole- külen, dann ist die Bewegungsenergie in der speziellen Form ehemischer Energie vorhanden. Strahlende Energie sind die Energiefornen, welche durch die Thätigkeit der Pflanze geschaffen nieht notwendig an wäg- bare Materie gekettet sind, wie Wärme, Lieht und Elektrizität. Die zu einer Thätigkeit nötigen Spannkräfte können nun sowohl dureh Veränderung im materiellen Substrate, als auch durch die Wirkung und Umwandlung strahlender Energie erzeugt werden. — Die Thätigkeit, welche innere und äußere Widerstände zu über- winden hat, ist stets mit Arbeitsleistung verknüpft. Kann man auch das mechanische Aequivalent der innern Arbeit nicht sicher bestimmen, so lässt sich doch vermuten, dass in den Pflanzen der numierische Wert der innern Leistungen nicht hinter dem in den Tieren zurücksteht. Sehr veränderlich ist die Außenarbeit, da sie von den äußern Wider- ständen abhängig ist. So wird sie z. B. beim Wachsen in der Luft gering sein, während sie einen bedeutenden Wert haben kann, wenn eine Wurzel in zähem Boden wächst. Im allgemeinen wird sie ge- vi 100 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. ringere Werte erreichen als bei den Tieren, wo sie in Folge freier Ortveränderung gesteigert wird. Unter den Faktoren, welche in mannigfaltiger Verkettung und verschiedenartigem Zusammengreifen die Lebensthätigkeit bedingen, steht die chemische Umsetzung oben an, „da an sie der Gewinn und das Zusammenfügen des Baumateriales gekettet ist und da ferner die volle Lebensthätigkeit nicht fortdauert, wenn chemische Zertrümme- rungen sistiert sind, unter denen auch solche sich finden, in welchen chemische Energie in Wärme transformiert wird“. Doch nicht alle Betriebskraft entspringt direkt aus chemischer Energie. Nicht che- mischen Ursprungs ist z. B. die Verwandlung von potentieller in ak- tuelle Energie d. h. von Spannkraft in lebendige Kraft; ferner osmo- tische Energie, durch welche Druck und Spannung erzeugt werden; ferner Imbibition, Quellung, Transpiration, welche zu Wasserbewegungen führt, Stoffausscheidung oder Krystallisationsenergie. Eine Energiedifferenz oder ein Energiepotential ist Bedingung für eine Veränderung, also für das Geschehen in den Organismen. Un- gleiche Stoffverteilung ist z. B. das Energiepotential für Diffusion. Eine direkte Umwandlung der chemischen Energie in mechanische kann man dann annehmen, „wenn durch eine chemische Reaktion eine Volumenänderung oder eine Ausscheidung eines Körpers herbeigeführt und damit Arbeit nach außen geleistet wird“. Treten z. B. in der Zellhaut Kryställchen von oxalsaurem Kalk auf und wachsen, dann werden die Teile der Zellhaut auseinander gedrängt werden. Die chemische Krystallisationsenergie verrichtet also eine Arbeit, die nötig ist, um die Kohäsion kleinster Zellhautteilchen zu überwinden. Dem Wesen nach wird aber in entsprechender Weise Arbeit geleistet, wenn beim Intussuszeptionswachstum auch die unsichtbaren Teilchen einge- lagert werden. Die Größe der geleisteten Arbeit wird innerhalb ziem- lich bedeutender Grenzen sich bewegen. Gering wird die zu leistende Arbeit im weichen Protoplasmakörper sein, wo z.B. entstehende Stärke- körner sich Raum schaffen. Denn sie haben nur die geringe Kohäsion der Protoplasmateilchen zu überwinden. Sofern aber der molekulare Zusammenhalt getrennt wird, liegt eine Leistung durch chemische Energie vor. Diese bewirkt alsdann die Trennung einerseits und in den Reaktionsprodukten einen neuen Gleichgewichtszustand anderseits. „So führt der Verfolg unserer Betrachtung unvermeidlich auf chemische Energie und die durch diese vermittelten Vorgänge, welche offenbar im Protoplasten in nicht übersehbarer, aber sicher sehr mannigfacher Weise die erste und vornehmste Triebfeder im Wachsen, Gestalten und überhaupt im ganzen Getriebe in direkter oder indirekter Weise vor- stellen“. Wird die chemische Umsetzung von einer Stoffausscheidung oder Volumveränderung begleitet, dann verwandelt sich, wie gesagt, chemische Energie direkt in mechanische Arbeit. Es sind also hier die chemischen Affinitäten die diese Vorgänge bedingenden Energie- potentiale. — 0 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 101 Dass auch in der aufbauenden Thätigkeit im Protoplasten die chemische Energie eine wesentliche Rolle spielt, sei es nun, dass ein entstehendes Produkt durch seine Affinität etwa zur Auslösung und Angliederung an bestimmter Stelle gelangt oder dass ein Produkt oder ein Umsatz irgendwie zu Leistungen durch chemische Energie führt, ist wohl nicht sicher erwiesen, doch wahrscheinlich. Da der Aufbau und die Erhaltung des Organismus ohne ein Zusammenwirken von Stoff- und Kraftwechsel unmöglich ist, so sind alle Vorgänge direkt oder indirekt mit dem chemischen Umsatz verkettet. Eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen Stoffwechsel und Kraftwechsel scheitert aber an unserer unzureichenden Einsicht in die Mechanik der einzelnen Funktionen. Dabei hat man nicht etwa nur an die komplizierteren Funktionen zu denken. Es sind auch verhältnismäßig einfache Vor- gänge mit einzuschließen. So kann z. B. gezeigt werden, dass eine Veränderung in der Turgorkraft, d. h. in dem vom Zellinhalte aus- geübten Druck, die Reizbewegung der Staubfäden von Cynarien bei unveränderlicher Elastizität der Zellhaut veranlasst. Wie aber der Stoffwechsel, also chemische Energie, in diesen Turgorwechsel eingreift, wissen wir nieht. Ungleieh schwieriger aber gestalten sich die Ver- hältnisse, sobald man eine Einsicht in die Kausalität des Wachstums, der Gestaltungs- und Bewegungsvorgänge in dem lebensthätigen Proto- plasmakörper zu gewinnen sucht. — Die Veränderung eines Stoffwechselprozesses, z. B. das Steigen und Fallen der Atmung ınit einer bestimmten Leistung beweist eben noch nicht, dass dieselbe unmittelbar dem betreffenden Stoffwechsel- prozess, also z. B. der Atmung, entspringt. Diesem kann auch nur eine auslösende Wirkung zukommen. Ein positiver Einblick in das Verhältnis zwischen Atmung und mechanischer Leistung fehlt, so dass man nicht weiß, „ob die in der Atmung freiwerdende chemische Energie direkt einen großen Teil oder gar keinen derjenigen Betriebskraft liefert, welehe beim Wachsen u. s. f. Verwendung findet“. Das Ver- hältnis zwischen Atmung und mechanischer Leistung ist auch durch den Stillstand des Wachstums, der Bewegung u. s. f. beim Sauerstoff- entzug nicht bestimmt. Denn dieser Stillstand beweist noch nicht, dass die Betriebskraft für diese Leistungen direkt aus der Atmung entspringt. Er müsste ja auch dann eintreten, wenn der Atmung nur eine auslösende Rolle zukäme. Wenn der Versuch lehrt, dass die Sauerstoffatmung, ein Wärme er- zeugender Vorgang, für das Pflanzenleben nötig ist, so kann man sich fragen, warum sich im pflanzlichen Organismus Vorgänge abspielen, welche mit starker Wärmepreduktion verbunden sind, da doch diese einen Energieverlust bedeutet. Vielleicht ist diese Umsetzung mit hoher Wärmeströnung trotz dieses Verlustes für die Pflanze ökonomisch am vorteilhaftesten oder die vom Protoplasma die geringste Arbeit erfor- dernde deshalb, „weil im allgemeinen am leichtesten die unter starker 102 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Wärmeentwicklung verlaufenden oder richtiger gesagt, diejenigen che- mischen Reaktionen eintreten, in welehen unter Austritt von Wärme die gesamte Entropie wächst“. — Chemischer Energie entspringt das Leuchten gewisser Pflanzen, welches an die Sauerstoffatmung gebunden ist. Ebenso ist der Quell der pflanzlichen Elektrizität die chemische Energie, „zu deren Erzeugung wieder in hervorragender Weise der Atmungsstoffwechsel beiträgt“. — Die Energie wird zum größten Teil mit der Nahrung in den Pflanzenkörper eingeführt. Ein Teil derselben wird zu seinem Aufbau verwendet, „während ein anderer und oft der größere Teil, in tief- greifenden Zertrümmerungen, unter freiwerdender chemischer Energie, zu einer durchaus unerlässlichen Quelle der Betriebskraft für den Organismus zu dienen hat“. Die Art der Einfuhr ist dabei nebensächlich. Der Stoffwechselprozess, im allgemeinen mit Verlust an chemischer Energie verbunden, kann auch zu einer Vermehrung derselben führen, „indem chemische Energie aus einem andern System übertragen wurde“, wie z. B. die Produktion organischer Substanzen durch die Salpeter- bakterien aus Ammoniumkarbonat. Eine Sauerstoffzufuhr ist aber auch bei diesen zum Gedeihen nötig, d. h. sie bedürfen der strahlenden Energie der Sonne, die ihrerseits in chemischen Vorgängen ihre Ur- sache hat. So sind also, wenn auch für bestimmte Einzelleistungen, die Be- triebskraft nicht durch Verwandlung chemischer Energie gewonnen wird, chemische Umsetzungen oder chemischer Energiewechsel stets nötig um das Gesamtleben der Organismen zu erhalten. Von diesem hängt der Aufbau des Pflanzenkörpers ab und damit das Wachsen und die Thätigkeit des Organismus, wenn schon hiebei auch anderer als chemischer Energiewechsel thätig eingreift. Wie aber das ge- schieht, ob nur durch den produzierten Körper, oder was wahrschein- licher ist, auch dadurch, dass die freiwerdende chemische Energie direkt zu mechanischen Operationen Verwertung findet, lässt sich zur Zeit mit Bestimmtheit nicht sagen. Nachdem in dem kurz skizzierten allgemeinen Teile der Verfasser vor allem dargethan, wie gering im allgemeinen unsere Einsicht in den Kausalzusammenhang zwischen Betriebskräften und Vorgängen im Pflanzenkörper ist, wie wenig es bisher gelang eine Leistung in lückenloser Weise in den Komplex bewirkender Ursachen zu gliedern, so sucht er nun im speziellen Teil an einzelnen Vorgängen diese Be- ziehungen deutlicher hervortreten zu lassen. In erster Linie prüft Verf. die nächsten und allgemeinsten Mittel für Erzielung von Wachstums- und Bewegunssvorgängen. „Da wir, unter Vernachlässigung aller Besonderheiten, nur die allgemeinsten und fundamentalen Bedingungen der Mechanik von Wachstums- und Be- wegungsvorgängen berücksichtigen, können wir allen unseren Betrach- [r | H Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 105 tungen eine einzelne von Zellhaut umkleidete Zelle zu Grunde legen. Denn Wachstum und Bewegung spielt sich auch im einzelligen Orga- nismus ab und in Geweben ist ebenso immer die aktive Thätigkeit einzelner Zellen Bedingung für ein Geschehen, so sehr auch der Erfolg von einfacher oder verwiekelter Beeinflussung der mit einander ver- einigten Elemente abhängen mag“. Wir erinnern zunächst wieder daran, dass jede Thätigkeit in der Zelle und durch dieselbe einen Energiewechsel in ihr fordert, dass jede Bewegung mit Ueberwindung innerer und äußerer Widerstände verknüpft ist. Die mechanische Zug- oder Druckkraft, welche die Zellhaut von dem umschlossenen Inhalt aus erfährt, ist die Turgorkraft, die ihrer- seits der Hauptsache nach durch die osmotische Leistung der gelösten Stoffe herbeigeführt wird. In der Richtung der Zellfläche wirkt die Turgorkraft als Zug. Dieser wird aber, bis eine Gegenwirkung er- folgt, eine Flächendehnung bewirken. Macht sich auf die Zelle ein der Turgorkraft gleicher Druck geltend, dann hört die Turgorspannung auf und der einwirkende Druck trägt jetzt die Turgorkraft. Daraus folgt, „dass dünnwandige Zellen gegen eine äußere Widerlage im Maximum emen der Turgorkraft gleichen Druck auszuüben vermögen, dass dann aber die Turgordehnung der Zellwand aufgehoben ist“. Die Veränderung der Hautspannung und damit die Vergrößerung oder Verkleinerung einer Zelle kann also, wenn sie von Außenwirkungen unabhängig ist, nur durch Veränderung der Turgorkraft bedingt sein, „d. h. also die osmotische Energie leistet die für die Wanddehnung nötige Arbeit“. Beim Flächenwachstum kann die für die bleibende Verlängerung nötige Energie durch die Turgorkraft geliefert werden. Dies ist das passive Wachstum. Dabei kann die Haut ihre elastischen Eigen: schaften bewahren oder aber es kann die Dehnung erst durch Herab- setzung der Elastizität möglich gemacht werden. Die dureh die Turgorkraft geleistete Wachstumsarbeit bedingt in jedem Falle eine plastische Dehnung, d. h. eine Dehnung über die Elastizitätsgrenze. Es kann aber die Energie für die Verlängerung auch dureh Quellung oder durch ein aktives Eindringen fester Substanz, also durch Intussuszeptionswachstum geliefert werden. Dies ist das aktive Wachs- tum. Erfolgt das Wachstum durch die Quellungskraft, dann wird die Vergrößerung wegen des zunehmenden Wassergehaltes nur eine be- schränkte sein können, während diese Begränzung beim Wachstum durch Intussuszeption nicht eintreten wird. Durch die Ausscheidung der festen Bestandteile in der Wandsubstanz wird alsdann eine Energie für die Vergrößerung der Zellhaut gewonnen, durch welche die wider- strebende große Kohäsion der Haut, sowie der sehr hohe Druck gegen Widerlagen überwunden wird. Sie kann sehr hohe mechanische Werte erreichen, „gegen welche eine Turgorkraft von selbst 10 Atmosphären 104 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. eine geringe Größe ist“. Wird durch diese hohe Energie der Aus- scheidungskraft der Turgordruck überwunden, dann kann ein Dicken- wachstum der Haut zu einer Verkleinerung des Lumens der Zelle führen. Fällt die Ausscheidung mit der sie veranlassenden chemischen Reaktion zeitlich zusammen, dann „kann man wohl auch chemische Energie als Betriebskraft für die Wachstumsarbeit ansprechen“. Zwischen der 'mechanischen Energie des Wachstums und der die notwendige Stoffbildung bedingenden chemischen Energie besteht zwar kein bestimmtes Verhältnis. Aber immerhin wird eine vermehrte Wachstumsthätigkeit eine gesteigerte Stoffwechselthätigkeit nach sich ziehen, mit dem Wachstum diese steigen und fallen. Klar zeigt sich diese Beziehung an osmotischen Vorgängen. Hier lehrt die Beobachtung, dass der chemische Prozess nur Mittel zum Zwecke ist, und die gewinnbar osmotische Energie in keiner Weise eine direkte Funktion der im Stoffwechsel aufgewandten chemischen Energie ist. Zur Darlegung des Kausalzusammenhanges zwischen bewirkender Ursache und dem Zustandekommen und der Größe der Außenleistungen knüpft Verf. wieder an die Einzelzelle an, die wir uns zylindrisch zu denken haben. Ihr Querdurchmesser sei unveränderlich und die eine Endfläche ruhe auf einer unverschiebbaren Widerlage. Die Verlänge- rung der Zellhaut führt also zu einem Fortrücken des einen Endes. Die nach außen wirkende Kraft wird bestimmt durch den Gegendruck, welcher den Gleichgewichtszustand bedingt. Das Produkt aus der wirksamen Energie und dem zurückgelegten Wege ist das Maß für die geleistete Arbeit. Ist die Wandung zart, dann wird die Zelle nur durch ihre Turgorkraft wirken. Die Außenleistung kann dieser höchstens gleich sein. Fehlt der Widerstand, dann kommt auch eine Arbeitsleistung, die nach außen gerichtet ist, nieht zu stande. „In diesem Falle ist folglich die ganze Turgorkraft durch die entgegen- wirkende Spannung der Zellhaut äquilibriert und diese Gleichheit von Druck und Gegendruck besteht dann ebenfalls in jedem Zeitdifferential bei Flächenwachstum der Zellhaut. Die Turgorkraft kann also ebenso- wohl zur Spannung der Zellhaut als zu Außenleistungen ausgenutzt und ebenso in ihrem Nutzeffekte auf beide Wirkungen in jedem Ver- hältnis verteilt werden“. Die Zelle bedient sich zweier Mittel um gegen eine in den Weg tretende hemmende Widerlage einen Druck zu erzielen. „Entweder muss die Turgorkraft anwachsen oder bei konstanter Turgorkraft ein geringerer Teil dieser durch die Wandung äquilibriert werden, d. h. also die Spannung der Wand muss abnehmen“. Ersteres wird eintreten, wenn die Zellhaut unverändert bleibt, letzteres bei einer Spannung der Zellhaut, wobei diese durch passives oder aktives Wachstum eintreten kann. Eine Hemmung des Wachs- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 105 tums durch eine Widerlage veranlasst eine Steigerung der Turgor- kraft, in einzelnen Fällen z. B. Vicia faba um 9,5 Atmosphären, so dass die Zugkraft auf 13 Atmosphären stieg. Der Wirkung einer unüberwindbaren Widerlage sind auch andere Wachstumshemmungen analog. Sie veranlassen eine Steigerung der Turgorkraft, so z. B. der in der Längsrichtung wirksame mechanische Zug, der eine Verzögerung des Wachstums verursacht. Ferner tritt unter Umständen bei Hemmung des Flächenwachstums der Haut ein vermehrtes Diekenwachstum ein. Bei der Leistung der zylindrischen Zelle entstammt alle Energie der Turgorkraft. Eine Ausdehnung nach erfolgter Verkürzung wird so lange verhindert werden, bis die osmotische Wirkung ihren höchsten Wert erreicht. Erfolgt nach Ueberwindung des Hemmnisses die Ver- längerung, dann wächst in entsprechendem Maße die elastische Kraft der Wand. Die osmotische Energie aber nimmt entsprechend ab wegen der Wasseraufnahme und der dadurch erfolgenden Verdünnung. Die Arbeit, welche diese Zelle leistet, ist dann in ähnlicher Weise zu be- stimmen, wie die Arbeit eines sich ausdehnenden Gases, das den ab- schließenden Stempfel bewegt. — Ueber das wirkliche Geschehen des Wachstums (im Gegensatze zu den theoretischen Möglichkeiten) äußert sich Verf. der Hauptsache nach in folgender Weise. Bedingung für das Flächenwachstum ist eine Veränderung in der Zellhaut. Sie wird nötig — sei es nun, dass sie in einem Wechsel der Kohäsion oder in aktivem Wachstum besteht — sobald die zur Verfügung stehende Kraft für plastische Dehnung der unveränderlichen Haut nicht hinreicht, Nun bleibt aber die Turgorkraft bestehen, auch wenn der Sauerstoff entzogen wurde, während das Wachstum aufgehoben wird. Daraus ergibt sich, „dass die mit Sistierung der vollen Lebensthätigkeit invariable Haut weder durch die normal wirksame Turgorkraft, noch durch einen erheblich gesteigerten Zug über die Elastizitätsgrenze gedehnt wird. Denn fände plastische Dehnung statt, so hätte in dem sauerstofffreien Raume die gleiche Spannung sich nicht erhalten, resp. hätte bei dauernder Zug- kraft eine, und zwar mit zunehmender Verdünnung der plastisch ver- längerten Haut beschleunigte bleibende Verlängerung eintreten müssen. Ist folglich für Erzielung von Flächenwachstum ein von der Lebens- thätigkeit abhängiger Einfluss auf die Zellhaut notwendig, so lässt sich aus unseren Erfahrungen nicht präzisieren, ob dieser Einfluss auf eine Steigerung der Plastizität oder ein aktives Wachstum der Haut, resp. auf Kombinationen beider, hinausläuft“. Wachstumstheorien, die sich also auf die plastische Dehnung der unveränderlichen Zell- wand stützen, sind nach diesen Erwägungen Pfeffers nicht haltbar. Wahrscheinlich spielen bei diesen Veränderungen in der Zellhaut ver- schiedenartige Vorgänge eine Rolle. „So ist aktives Wachsen durch Intussuszeption oder durch Quellung in bestimmten Fällen wahrschein- 105 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. lieh, doch dürfte auch plastische Dehnung in Folge anderweitiger Veränderungen in der Haut vorkommen. Denkbar sind solche die Kohäsion der Wandung beeinflussende Veränderungen in sehr ver- schiedener Weise und gleichviel, ob sie dauernder oder rückgängiger Natur sind, können sie sehr wohl durch den lebenden Organismus so reguliert werden, dass immer nur begrenzte plastische Verlängerung eintritt und die Kontinuität dieser Verlängerung durchaus von der Fortdauer der vitalen Beeinflussungen abhängt“. Ueber die Darlegungen, über aktive Ortsveränderungen, welche für die Pflanzen das Vorhandensem eines Stützpunktes durch Was- ser oder einen festen Körper fordern, können wir hinweggehen. Der Inhalt dieses Kapitels besteht weniger in der Erschließung neuer Einsicht als der Feststellung mangelnden Einblickes in die Kausalität der Entstehung der Bewegungsthätigkeit im Körper der Pflanzen. — Klar liegen die Verhältnisse der Wasserbewegung, welche den Inhalt eines folgenden Abschnittes bilden, für jene Fälle, wo sie durch eine unvollständige Sättigung gewisser Gewebepartien mit Wasser ver- anlasst werden. Die Bewegung ist gegen die Zelle geringerer Turges- cenz gerichtet. „Durch die Wasserentziehung mittels Transpiration wird das Energiepotential geschaffen, von welchem Betrieb und Ziel der Wasserbewegung abhängen. An dem Orte, von welchem die Wasser- bewegung ausgeht, muss die Energie der Wasserentziehung geringer sein, als an dem Orte nach, welchem sie hingeht. Wenn also z. B. im Blatte die Wasserbewegung von den Gefäßbündeln aus in benach- bartes Gewebe erfolgen soll, so hat das zur Voraussetzung, dass hier die Kraft der Wasserentziehung größer sei als dort. „Der höchste zulässige Wert der wasseranziehenden Energie in den angrenzenden Gefäßbündelelementen wird also durch das bezügliche Energiepotential im lebenden Pırenchym bemessen. Dieses findet seinen Ausdruck in der Senkung der Turgorkraft unter den in den gegebenen Bedingungen maximalen Turgeseenzzustand, denn mit Erreichung des letzteren ist, wie hoch auch die osmotische Kraft sein mag, eine wasserbefördernde Wirkung ausgeschlossen“. Wäre das Minimum der 'Turgorkraft be- kannt, bei welchem noch eine Wasserbewegung in einem Blatte er- folgen kann, dann würde die Energie gegeben sein, mit welcher im höchsten Falle die Gefäßbündel rückwärts eine wasserentziehende Wirkung ausüben. „Maßgebende Untersuchungen fehlen, doch macht es den Eindruck, als ob bei reichlicher Wasserversorgung der Wurzeln und bei mäßiger Transpiration die am Gipfel hoher Bäume befindlichen Blätter nur wenig von dem maximalen Turgescenzzustande abweichen. Dieses zulässige Minimum ist zunächst von besonderer Bedeutung und wohl zu unterscheiden von den möglichen höheren Energiepotentialen, welche mit dem Welken der Blätter schließlich den vollen Wert der Turgorkraft (also oft 4-8 Atmosphären) erreiehen können. Solche Steigerung der Saugkraft ist aber natürlich für die Wasserversorgung Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 10% der Blätter von wesentlicher Bedeutung, da damit Beschleunigung der Wasserbewegung bei vermehrter Transpiration und auch die Fähigkeit erreicht wird, einem wasserärmer gewordenen Gefäßbündel noch Wasser zu entnehmen“. Die geringe Energie, die wohl als Triebkraft in den Gefäßbündel- endungen zulässig ist, ist nach Verf. unzureichend um die Bewegung des Wassers durch eine längere Strecke des Holzkörpers zu bestimmen. Es muss also das Wasser durch Kräfte, die sich in den Leitungsbahnen entwickeln, gehoben werden. Weder Imbibition der Wandung noch Kapillarität und Luftdruck dürften für sich allein eine hinreichende Kraft zur Hebung auf ansehnliche Höhen besitzen. Man muss vielmehr annehmen, dass die Hebeenergie auf viele einzelne Punkte der Leit- bahnen verteilt sei, „vermöge welcher das Wasser von Stufe zu Stufe auf immer höheres Niveau gehoben wird. Dabei können natürlich Kapillaranstieg und Imbibition von jedem neuen Niveau ab als Hebungs- und Beförderungsmittel für begrenzte Strecken im Betriebe dienstbar sein“. Ob hierbei die Mitwirkung der lebendigen Zellen unbedingt nötig ist, darüber fehlen bestimmte Anhaltspunkte. Im letzten Abschnitte behandelt Verf. die Betriebskräfte in der Stoffwanderung. Es mag hier genügen den Leser auf Pfeffers Arbeit „Zur Kenntnis der Plasmahaut und der Vakuolen“, über die früher referiert wurde und die im wesentlichen die in diesem Kapitel ausgesprochenen Grundsätze entwickelt, hinzuweisen. II. Respiration und Assimilation. Aubert’s Untersuchungen über die Atmung und die assi- milatorische Thätigkeit der Fettpflanzen, der Crassulaceen, Mesembryanthemeen, Cacteen ete., ergeben, dass diese eigenartigen Pflanzen in diesen Thätigkeiten in mehr als einer Hinsicht nicht das Verhalten der gewöhnlichen Pflanzen zeigen. In erster Linie konstatiert Verf. durch zahlreiche Versuche, dass das Verhältnis zwischen der bei der Atmung ausgeschiedenen Kohlen- säure und dem aufgenommenen Sauerstoff mannigfachen Veränderungen unterworfen ist, dass es wechselt, je nachdem die Versuchspflanzen während des Tages im Dunkeln atmen oder während der Nacht; dass es sich ändert je nach dem Alter der Pflanze, nach ihrem Wasser- gehalte, nach der Temperatur und der Dauer der Verdunkelung. Die Veränderlichkeiten der Relation zwischen den beiden Gasen, je nachdem die Fettpflanze im Dunkeln während des Tages oder während der Nacht atmet, sind folgender Art. Mit J wollen wir das Verhältnis zwischen der ausgeschiedenen = oe Kohlensäure zur aufgenommenen Sauerstoffmenge (53 für die At- mung während des Tages bezeichnen, mit N den gleichen Wert für die Atmung während der Nacht. 108 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Für Sedum reflexum sind diese Werte: J= 1; N = 0,85. Eine andere Sedum-Art wurde bei successive sich steigernden Temperaturen untersucht. Der Wert von J stieg dabei ebenfalls successive, näherte sich mehr und mehr der Einheit und wurde zu 1, als die Lebens- thätigkeit der Pflanze ihr Maximum erreichte. Die Werte für J be- wegten sich zwischen 0,88—1, der Wert für N blieb 0,82. Zahlreichere andere Crassulaceen wurden in ähnlicher Weise geprüft. Sie stimmen \ alle darin mit einander überein, dass das Verhältnis ——2 höchstens ) 6) gleich 1 ist und dass die Werte für die Nachtatmung immer kleiner sind, als die für die Tagesrespiration gefundenen. Ein ähnliches Re- sultat ergaben die Mesembryanthemeen (J = 0,87—0,93; N = 0,55). Größere Verschiedenheiten im Ergebnis der respiratorischen Thätig- keiten des Tages und der Nacht weisen die Cacteen auf. Zwar gibt es solche, bei denen die Differenz eine sehr geringe ist, wie z. B. bei Pereskia aculeata (J = 0,89; N = 0,85); im allgemeinen aber ist sie sehr bedeutend, so bei Opuntia tomentosa (J — 0,73—0,41; N = 0,05—0) oder 0. mazxima: (J — 0,9; N — 0,035). Nur selten wird J=1.7 Bei gewissen Euphorbiaceen geht der Wert von J öfters über 1 hmaus, s0 bei Euph. rhipsaloides, bei welcher J = 1,18—1,2 ist, während N = 0,52—0,34 ist. Bei einer fetten Composite ist das Verhältnis ähnlich wie bei den Caecteen. Werden also Fettpflanzen ins Dunkle gebracht, dann nehmen sie immer mehr O auf als sie CO, ausscheiden (Ausnahme: gewisse Euphorbien). Im Gegensatze zu den gewöhnlichen Pflanzen, für welche nach Verf. Untersuchungen wie auch nach Versuchen von Bonnier und Magnin das Verhältnis von CO, zu O konstant ist, zeigen die Fettpflanzen zwei Reihen von Werten, Tagesergebnisse und hiervon verschiedene Nachtresultate. Die Werte der Reihe J sind stets größer als die Werte der Reihe N; d.h. die während der Nacht aufgenommene Sauerstoffmense ist im Vergleich zur ausgeschiedenen Kohlensäure- menge größer als während des Tages. Es nahm z. B. Crassula arbo- rescens während der Nacht bei einer Temperatur von 18° pro 1g frisches Gewicht in der Stunde 25,7 mm? O auf und schied nur 6,1 mm? CO, aus. Für O. tomentosa betiug bei 20° die Sauerstoffaufnahme 23,7 mm?, während die Abgabe von CO, Null war; bei Mamillaria New- manniana erhob sich die Aufnahme von Sauerstoff sogar auf 25,3 mm?, während die C0,-Abgabe ebenfalls Null war. Für gewöhnliche Pflanzen, d. h. Niehtfettpflanzen, ist die Aufnahme und Abgabe von CO, ungefähr gleich z. B. für Triticum vulgare bei 8° die Kohlensäureabgabe 186,2 mm’, die Sauerstoffaufnahme 179 mm’. Der während des Tages sich vollziehende Gaswechsel nimmt bei Fettpflanzen folgende Dimensionen an. Blühende Stengel von Sedum reflexum nahmen bei 26° 128 mm? O auf und gaben 125 mm? CO, ab; ausgewachsene Triebe von Sedum Telephium gaben bei 31° 206,3 CO, Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 109 ab und nahmen 204,7 O auf; Blätter von Crassula arborescens schieden 57,1 mm? CO, aus und nahmen gleichzeitig 65,1 mm? O auf u. =. f. Eine gewisse Abhängigkeit des Verhältnisses der ausgeatmeten Kohlensäure zum eingeatmeten Sauerstoff vom Alter der Versuchs- objekte zeigen eine Reihe von Versuchen. So ergaben ungleichalterige Teile von Phyllocactus grandiflorus folgende Resultate: Temperatur I CO,ab Oau. Temp. N CO,ab O auf June 4 09% 621 64,5 18, ‚0,63 204 73234 Zweige Ausgewac- 9 092 51 47 15 03 95 37 sene Zweige Sehr alte 99 0787 503 64,4 18 1200957255 7272 Zweige Aus diesen Zahlen geht also hervor — und sie ließen sich durch ähnliche Versuchsergebnisse an andern Cacteen leicht vermehren, dass je älter eine Fettpflanze ist, je fleischiger also mit andern Worten ihre Teile sind, um so größer die Differenz zwischen dem aufgenommenen O und dem abgegebenen CO, wird, um so kleiner also der Wert des Ei 00, Verhältnisses von 5 - Zu analogem Ergebnis führt auch die Vergleichung verschiedener Arten von Fettpflanzen, deren Teile m ungleichem Grade fleischig sind. Vor allem aber zeigen sie eine gewisse Abhängigkeit, wie nach- folgende Zusammenstellung ergibt, zwischen dem Verhältnis des Wertes J und N zum Saftreichtum. Iatittlerer Wert von C0,| Differenz | Wasser- Name der Pflanze | 0 sn, | Bea: auf | J N EN 18 Trocken- | gewicht Mirabilis Jalapa . . 0,98 0,98 0,00 11,6 Pereskia aculeata . . 0,89 0,85 0,04 1169 . Mesembryanth.deltoides 0,90 0,85 0,05 17,3 Sedum carneum . . . 0,95 0,82 0,13 18,5 Crassula arborescens . 0,38 0,58 0,5 20,8 Opuntia eylindrica. . 0,58 0,06 0,52 21.9 Opuntia tomentosa 10:59 0,03 0,56 22,1 Opuntia maxima . .| 0,90 0,03 0,87 28,0 Auf das Verhältnis - ist bei gewöhnlichen Pflanzen der Wechsel der Temperatur ohne Einfluss. Die Fettpflanzen dagegen zeigen ein ungleiches Verhalten. Für Crassula arboreseens war der Wert J bei 12°, 13°, 14° und 32° — 0,85; die Temperatursteigerung auf 36° ver- wandelte diesen Wert in 1,14; gleichzeitig aber vollzogen sich in der 110 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Pflanze Veränderungen, so dass man hier nicht mehr einen normalen Zustand der Pflanze vor sich hat. Unabhängigkeit des Verhältnisses ER AUnE, Zn für die Tagesatmung zeigten allgemein die Crassulaceen und Mesembryanthemeen. Bei den besonders fleischigen Caeteen dagegen ändert sich mit der Temperatur der Wert des Verhältnisses und zwar, wie früher schon beiläufig bemerkt wurde, in dem Sinne, dass es mit wachsender Temperatur wächst, mehr und mehr der Einheit sich nähert. So ist der Wert J bei 13° gleich 0,41, der von 1 g per Stunde aufgenommene O war 11,4mm? 940 NY AC ‘ 3 „ 24 „ 0,49, ae ” „ „ ”» 9 22 mm 9Q0 re OP 3 „ 28 „ 0, (3, ae „ „ „ iS} 26,5mm [>] 0 C 8) or 3 ” 39 ” 0,98, I „ ” „ en 37 ‚2mm Anders verhält sich der Wert N. Bei allen Fettpflanzen, auch bei jenen, deren Wert J von der Temperatur nicht beeinflusst wird, ändert er sich mit der Temperaturveränderung z. B. Orassula arborescens 13° N — 0,24 92 ERS nh er 230, NE 02 Der Einfluss eimer längern Verdunklung äußerte sich in folgender Weise. Es wurde Phyllocactus grandiflorıs während verschieden langer Zeiträume verdunkelt. Die Temperatur blieb sich näherungsweise gleich. Das Resultat war: Nach ca. 17 Stunden betrug das Ver- 23:00): j hältnis =D. 0,33. Es wurden auf 1 g Frischgewicht per Stunde ausgeschieden 19,23 mm? CO, und 57,7 g O absorbiert. Dauerte die N ar > co, hl N Verdunklung 26 Stunden, dann stieg der Wert TE auf 0,56 und zwar hauptsächlich deshalb, weil die Menge der ausgeatmeten Kohlensäure eine beträchtlich größere war, während fast die gleiche Menge Sauer- stoff eingeatmet wurde. Diese betrug 57,9 mm?, jene 32,55 mm’. Nach \ 40 Stunden der Verdunklung war das Verhältnis _ 0,72. Die Wert- erhöhung wurde bedingt durch die Vermehrung der CO,- Aufnahme und Verminderung der Sauerstoffabgabe. Nach 54 Stunden endlich war 1610) - “ 2 — 2 0,85. Die abgegebene Kohlensäuremenge betrug 40,6 mm? und Ö die aufgenommene Sauerstoffmenge 47,9 mm’. Se ; RER U) ee So nähert sich also das Verhältnis Tor der Einheit um so mehr, je länger die Verdunkelung andauert. Sind die Teile der Pflanze, welche diesen Verdunklungsversuchen dienen, besonders fleischig, dann macht sich, wie die nachfolgende Tabelle zeigt, der verändernde Einfluss viel weniger rasch geltend. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. n alal Opuntia eylindrica. Volum inmm3 p.1g Wert von : : | Frischgewicht, Datum der Gasanalyse | nn | in 1 Stunde | | 160, Abgabe | Ö-Aufnahme 3 TE ee Be 3. IV. 6h15 abends | 120% 7, 0,42 | 1:4 4,1 9. IV. 8Sh55 vormitt. | 10° 0,42 1,43 3,42 9. IV. 5h40 abends | 12° | .086 | 17 3,7 10 CV: 1,7h20,rommite; | 5100, ),..0,43 1,46 sl |o314 3544 AN. 1.808097. | go 7044 a BER g9nB0 9, | 100 = >07 1,48 0 0943 Das Verhältnis bleibt also während 4 Tagen der Verdunkelung nahezu konstant. Wir sahen früher, welch bedeutenden Veränderungen das Ver- TER RE ; hältnis For bei der Tag- und Nachtatmung unterworfen ist. Es er- übrigt uns nunmehr zu prüfen, welche Umstände den Wechsel des Wertes J gegenüber N bedingen. Hat die Aufnahme des Sauerstoffes während des Tages und während der Nacht sehr variable Werte oder ist die Kohlensäureabgabe das Inkonstante ? Wir wählen aus den vielen Beispielen einige wenige aus. Für Sedum acre wird der Tageswert angegeben J —= 0,90. Die aufge- nommene Sauerstoffmenge beträgt dabei 72,3 mm?, die abgegebene Kohlensäuremenge 69,5 mm°. In der darauffolgenden Nacht IR wurde das Verhältnis 70: bei nahezu gleicher Temperatur 0,34. Die zur Aufnahme gelangte Sauerstoffmenge war der während des Tages aufgenommenen fast gleich, nämlich 71,35 mm?, während die abge- gsebene Kohlensäure auf 60 mm? sank. Während also die Sauer- stoffaufnahme um 1,4°/, sank, war die Kohlensäureabgabe um 13°], geringer. Ein anderes Beispiel. Für Crassula arborescens gestalteten sich diese Verhältnisse in folgender Weise. I. Atmung während des Tages: CO, _ 0.89 — 194 mm? Kohlensäureabgabe Ö = 21,7 mm? Sauerstoffaufnahme. II. Atmung während der Nacht: 60, 2 or 6,1 mm? Kohlensäureabgabe 0.0770 .25,75 mm? Sauerstoffaufnahme. Während also die Sauerstoffaufnahme um ca. 20°/, stieg, fiel die Kohlensäureabgabe um ca. 66°/,. 112 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie, Endlich ein drittes Beispiel, die Atmung von Phyllocact :s grandiflorus. I. Atmung während des Tages: CO 0,99 — 49, 14 mm’ Kohlensäureabgabe 0) "7 48,75 mm? Sauerstoffaufnahme II. Atmung während der Nacht: CO, 033 19,2 mm? Kohlensäureabgabe Be — Dan —— ee 5 Ö ; 57,7 mm? Sauerstoffaufnahme. Die Verhältnisse sind denen des 2. Beispieles ähnlich. So lehren also die Vergleichungen, dass bei einer Fettpflanze die eingeatmete Sauerstoffmenge nur verhältnismäßig geringen Verände- rungen unterliegt, dass dagegen die während des Tages ausgeschiedene Kohlensäuremenge stets erheblich größer ist als die während der Nacht ausgeschiedene Menge. Es ist schon für die gewöhnlichen Pflanzen von zahlreichen Physio- logen gezeigt worden, dass die Atmungsintensität mit der Temperatur- zunahme wächst. Die Fettpflanzen verhalten sich analog, wie sich entweder durch die Bestimmung der Kohlensäure oder des Sauerstoffes zeigen lässt. Für Crassula arborescens gibt Verf. folgende Zahlen an: 12,5%... ., 11.2 mm> Sauerstof 19.7 16:6, a Een e DIR ER DIE >, n St vera n Nähert sich die Temperatur 0°, dann ist die Atmungsintensität fast 0. So absorbierte Cereus grandiflorus bei 5° 4,4 mm? Sauerstoff pro 1 g Frischgewicht in der Stunde. Auch das Alter der Pflanze übt einen Einfluss auf die Atmungs- intensität aus. Schon Saussure konnte konstatieren, dass diese um so größer ist, je jünger die Versuchspflanze war. Für die Fettpflanzen gilt dieses Gesetz ebenfalls. Beblätterte Triebe von Sedum acre lieferten folgende Resultate. Datum Temperatur Sauerstoffvol. absorb. durch 1 g pro Stunde 6. VL 930 102,04 mm3 20. VI. 240 g22..5, 29, VE 230 ES Dies zeigt auch ein Vergleich der Atmungsintensität der verschieden- altrigen Blätter an einem Triebe. Für Sedum dendroideum gibt Verf. folgende Versuchsergebnisse an. Die Blätter sind hierbei geordnet in der Reihenfolge von der Endknospe aus. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 113 Sauerstoffvolumen absorbiert durch 1 g Blätter Frischgewicht Frischgewicht pro Stunde 1 0,04 8 166,3 mm? 3 0,230 „ 101,3 7% 5 0,557 „ 60,1: „ 8 112, DR 11 1,200 „ 46,65 „ Von großem Interesse sind die vergleichenden Zusammenstellungen über die Atmungsintensität bei gleichen Temperaturen. Es dürfte sich lohnen einen Teil der genauen Zahlen, die Verf. fand, auch an diesem Orte zusammenzustellen. Sauerstoffvolumen absorbiert durch 1 g Elanzenname A emperagur Frischgewicht pro Stunde Cereus macrogonus . . 12° 3,00 mm? Mamillaria elephantidens 12° 3,6077 5 Opuntia eylindria . . 13° 0,5009; ne tomentosd.* ... 13% 1140:° 75 FALOERSDINOSaHN 2 ta OD 2 Eee Crassula arborescens . . 13° 16 “ Sedum dendroideum . . 12° 19 5 Bneenrexcelsau 2 02, 7059 44.1” 9, meet 48 72,45 „ Benpenus albus:.v. 12° VA Galanthus nivalis . . . 13° Io Ba Tulipa europuaea . . . 13° 89,60 75 Mirabilis Jalapa . . . 15° 120,00 „ Triticum sativum . . . 13° 29,002, Es zeigt sich also, dass die Atmungsintensität um so größer ist, je weniger fleischig die Pflanze ist. Die gewöhnlichen Pflanzen atmen deshalb energischer als die Fettpflanzen. Unter diesen selbst sind die Crassulaceen und Mesembryanthemeen, d. h. die Arten mit dünnerer Oberfläche, durch größere Atmungsenergie ausgezeichnet als die Cacteen. Eine weitere Versuchsreihe gilt der Untersuchung über den Einfluss des Wassergehaltes eines Organes auf die Atmungsintensität. Zu dem Behufe vergleicht Verf. die Atmungsgröße welker Blätter mit der frischer Blätter, natürlich bei gleichen Temperaturverhältnissen. Erstere schieden in der Stunde auf 1 g Frischgewicht 6,26 mm? CO, aus, letztere 3,16 mm?; erstere nahmen 11,14 mm? Sauerstoff auf, letztere 4,64 mm?. Auf 1 g Trockengewicht berechnet ergibt sich für die welken Blätter C0,-Abgabe 113 mm?, O-Aufnahme 201; für die frischen Blätter 70 mm? CO,-Abgabe und 103 O-Aufnahme. Die Turgescenz der Crassulaceen ist also dem Gasaustausch hinderlich. In welkem Zustande atmen sie energischer. Sie nehmen dabei vor allem erheb- lich mehr Sauerstoff auf. XII. 8 114 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Den zweiten Teil seiner Untersuchung widmet Aubert der assi- milatorischen Thätigkeit des Chlorophylis der Fettpflanzen verglichen mit jener von Nichtfettpflanzen. Boussingault hat wohl als erster festgestellt, dass die grünen Blätter am Lichte ein Sauerstoffvolumen ausscheiden, das näherungs- weise dem gleichzeitig aufgenommenen Kohlensäurevolumen gleich ist. Von Mayer wurde gezeigt, dass diese Sauerstoffabgabe bei Fett- pflanzen auch in einer kohlensäurefreien Atmosphäre sich vollzieht. Aubert verfolgte in seiner Untersuchung der assimilatorischen Thätig- keit der Fettpflanzen diesen sie von den gewöhnlichen Pflanzen nicht unwesentlich unterscheidenden Punkt des einlässlichsten. Auch er stellt fest, dassalle Fettpflanzen — er untersuchte 8 Crassulaceen, 1 Me- sembryanthemum, 6 Cacteen, 1 Euphorbiacee und 1 Liliacee — in der anfänglich kohlensäurefreien Atmosphäre Sauerstoff ausscheiden. Die Sauerstoffabgabe vollzog sich in seinen Versuchen sowohl in diffusem Lichte als bei starker Beleuchtung, bei verhältnismäßig nie- derer Temperatur (8°), wie bei höherer (bis 339). Von Bedeutung ist ferner die Beobachtung, dass Fettpflanzen gleichzeitig Sauerstoff und Kohlensäure abgeben. Es dürfte nieht ohne Interesse sein die tabellarische Zusammenstellung der Versuchsergeb- nisse zu durchgehen. Hatte man bisher diese Erscheinung als eine gelegentlich eintretende aufgefasst, so zeigten die Versuche von Aubert, dass bei den Fettpflanzen der Erscheinung eine viel allge- meinere Bedeutung zukommt, dass sie namentlich auch innerhalb viel weiterer Temperaturgrenzen auftritt, als man bisher glaubte. (Zusammenstellung nächste Seite.) Was in dieser Zusammenstellung besonders auffällt, ist, dass die CO, in der Regel in sehr geringer Menge zur Ausscheidung gelangt. Verf. hält dafür, dass sie auf den Abzug zurückzuführen sei, welcher durch den aus der Pflanze austretenden Sauerstoff bewirkt werde. „In einer Fettpflanze ist die tiefere Partie des Parenchyms chloro- phylllos, während dort die organischen Säuren nieht weniger als Reservestoff abgelagert werden, als in oberflächlichen Gewebepartien. Nun zersetzen sich unter dem Einfluss des Lichtes und der Wärme diese Säuren, während zugleich die tiefern Teile des Parenchyms atmen und nicht assimilieren. Der durch die Zersetzung der organischen Säuren ausgeschiedene Sauerstoff, im allgemeinen mehr als die Pflanze für ihre Atmung verbraucht, dieser Ueberschuss des Sauerstoffes zieht bei seiner Ausscheidung die Kohlensäure mit, welche von der Atmung des ungefärbten Parenehyms herrührt. Nur ein Teil dieser Kohlen- säure wird auf seinem Wege durch das chlorophylihaltige Parenchym zurückgehalten, der andere Teil tritt aus der Pflanze aus“. Treten wir nun nach diesen wenigen allgemeinen Bemerkungen auf die speziellern Ergebnisse über die assimilatorische Thätigkeit der Fettpflanzen ein. 415 Keller, Fortschritte der Pflanzenphys iologie. Tabellarische Zusammenstellung über die gleichzeitige Abgabe von Sauerstoff und Kohlensäure. pe | 2 0-Gehalt Vol. in mm? per 1 au en im Verh. | Frischgew. in det Pflanzen- Rt an means Belichtäns lich Schlusse auf N Stunde familie | | peratur O-Gehalt des Versu. co 0 co Ss im Ver- 2 2 in °, hältnis Abgabe | Abgabe Sedum album 10. VI. 202 Sonne 20,44 21,63 0,22 15,6 2,9 „ carneum 22V: 33 R 20,79 22,48 011 39,7 2,6 Crassu- PEEache 62V. Da Wechselnd. Sonnenschein! 20,53 DAN 0,67 34,1 11,8 laceen „ reflewxum DVI DL Sonne 20,7 21,64 0,21 34,3 8.6 E > 43. VII. 26° a 28,83 21,96 0,09 28,6 28 Crassula arborescens DENT: 33 5 20,79 38,61 0,57 124,3 4 M h Rochea falcata 6. VII. 33° Menu Sn 20,53 DA 0,44 36,6 2,44 esembry- |Mesembryanthemum cry- } Himmel bedeckt, selten f r anthemeen alınm ZB yE 24° etwas aufhellend 20,79 20,81 0,14 0,8 9,0 Phyllocactus grandiflorus, 28. V. 202 Zerstreutes Licht 20,79 23,18 0,21 23% 2,6 Opuntia tomentosa PEN 359 Himmel bedeckt 20,61 21,15 2,18 4,7 18,9 » „ 29.2V7. 236° Diffuses Licht 20,74 28.70 0,43 85,3 4,6 > eylindrica 14. I 10% n 20,53 20,74 0,50 0,35 ; " 5 4. IV. 44° Himmel bedeckt 20,60 26,79 0,32 8,9 0,46 A mazxima 10. VI. 20° Sonne 20,44 29,35 0,5 2 1,4 Cacteen ” — gubulata 30. IV. 16° Diffuses Licht 20,67 22,46 1,04 0,3 3,7 n dejecta 30.212 16° „ 20,67 22,66 3,43 | 7. 12 |» robusta 11. VIL | 30° Sonne u.00800,| 4280 | 008 | 2041 | aı Cereus macrogonus 19. .1V2 220 h 20,66 29 0,23 16,7 0,46 Eu- Mamillaria Newmanniana 2. VI. 333 E 20,79 28,94 0,27 43,2 1,4 phorbiaceen Euphorbia mazillaris 9. VII. 24° ® 20 39,66 0,20 145,5 1,54 Compositen |Kleinia articulata 9. VII. 24° 5 20,77 27,3 0,23 28,2 1 116 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Der durch die Chlorophylithätigkeit bewirkte Gaswechsel folgt in mehrfacher Hinsicht den Gesetzen des Luftwechsels durch Respiration. Die Intensität des Gaswechsels wächst, gleiche Beleuchtungsverhält- nisse vorausgesetzt mit der Zunahme der Temperatur. So beträgt die durch die Assimilation ausgeschiedene Sauerstoffmenge und aufge- nommene Kohlensäuremenge bei, Sedum carneum bezogen auf 1g Frischgewicht in der Stunde bei 18° 72,2 mm? O und 60,95 mm? CO, „21051099. 22 07 und. HH 77600 2 ls EoNtind? 95248 v9} Bei gleicher Belichtung und gleicher Temperatur ist die Assimi- lationsenergie älterer Versuchsobjekte geringer als diejenige jüngerer, 2: B. Opuntia monacantha. Sehr junger Trieb Sauerstoffabgabe 139,2 mm? CO,aufnahme 89,2 mm? Aelterer Trieb . 5 1032, 5 51,26 „ Alterzirieb r. *. = 116, 5 40,06 „ Noch entschiedener äußerte sich dieser Einfluss des Alters bei Opuntia tomentosa. Ein Trieb von einigen Wochen schied 170,4 mm? O aus und absorbierte 36,4 Kohlensäure, ein Trieb von einem Jahre 41,9 mm? OÖ und 17,6 00,. Gleiche Beleuchtung, gleiche Temperatur und gleiche Entwick- lungsphase vorausgesetzt beobachten wir, dass der Assimilationsgas- wechsel um so intensiver ist, je weniger fleischig die Versuchspflanze ist z. B. Pereskia aculeata . . . SNauerstoffabg. 286,9 Kohlensäureaufn. 253,8 Phyllocactus grandiflorus n 91,9 „ 45,1 Opuntia maxima . . . n 49,9 x 21,1 Inbezug auf das Verhältnis der durch die assimilatorische Thätig- keit des Chlorophylis ausgeschiedene Sauerstoffmenge zur absorbierten Kohlensäuremenge ergeben Aubert’s Versuche folgendes. Bei Nicht- fettpflanzen ist dieser Wert stets nahe gleich 1, indem das Mittel einer srößern Versuchsreihe 1,1 beträgt mit den Grenzwerten 1,04 und 1,23. Bei den Fettpflanzen ist dieser Wert ebenfalls stets größer als 1, meist erheblich größer, nämlich bei den Crassulaceen im Mittel 1,5, mit den Grenzwerten 1,12 und 3,57; bei den Cacteen 1,13—7,59, im Mittel 3,1. Es geht also aus diesen Zahlen wieder hervor, dass der Wert nn um so größer ist, je fleischiger die Teile einer Fettpflanze sind. 2 Aus diesem Grunde ändert sich dieser Wert bei Individuen oder Teilen eines Individuums gleicher Art mit dem Alter. Verf. erklärt diese Erscheinung in folgender Weise: „Der Sauer- stoff der von diesen Pflanzen im Dunkeln aufgenommen wird, wird in Form sehr sauerstoffreicher organischer Säuren gespeichert. ... Nun zersetzen diese Pflanzen, wenn sie dem Lichte ausgesetzt werden, ihre Errera, Ursache einer physiologischen Fernwirkung. 14% organischen Säuren, ohne dass sie einer Absorption von Kohlensäure unmittelbar bedürfen. Außer den organischen Säuren, welche sie ein- schließen, zerstören sie die Kohlensäure, welche von der Atmung der tieferliegenden chlorophylllosen parenchymatischen Gewebepartien her- rührt. So nehmen diese Pflanzen für gewöhnlich von außen wenig Kohlen- säure auf und scheiden nichts destoweniger Sauerstoff aus, eben den Sauerstoff, welcher aus den organischen Säuren stammt, die sich während der Nacht bildeten. Je fleischiger sie sind, um so reichlichere Mengen dieser Säuren haben sie aufgespeichert, um so mehr Sauerstoff scheiden sie also am Lichte aus“. (2. Stück folgt.) Ueber die Ursache einer physiologischen Fernwirkung '). Von Leo Errera in Brüssel. Die meisten pflanzlichen Organe sind empfindlich gegen Einflüsse der Umgebung und reagieren, so lange sie wachstumsfähig sind, gegen solche Reize durch Beugungen nach einer bestimmten Richtung. In der That fühlen sie, sozusagen, jede asymmetrische Verteilung der Materie oder Energie in ihrer Umgebung. Auf diese Weise entstehen die geotropischen, heliotropischen, hydrotropischen, haptotropischen Krümmungen, welche allen Pflanzenphysiologen wohlbekannt sind. Aber die vor zwei Jahren von Elfving beschriebenen, sehr interessanten Erscheinungen schienen zu keiner dieser bekannten Ka- tegorien zu gehören und führten den ausgezeichneten Botaniker zur Annahme einer neuen Kraft, welche sich als eine „physiologische Fern- wirkung“ äußert, wie er sich ausdrückt. Er fand nämlich, dass Stücke von Eisen und, in geringerem Grade, von Zink oder Aluminium sowie verschiedene organische Substanzen, wie Siegellack, Harz, Wurzeln lebender Pflanzen, die wachsenden, sporangientragenden Haare von Phycomyces nitens, eines wohlbekannten, zu den Mucorinen gehörigen Pilzes, anziehen. Alle anderen von Elf- ving untersuchten Metalle waren unwirksam, während die Haare von Phycomyces selbst sich gegenseitig abstießen. Letztere Thatsache hatte ich selbst oft beobachtet und negativem Hydrotropismus zugeschrieben. Es entstand daher die Frage, ob nicht die von Elfving entdeckten Anziehungen einer ähnlichen Ursache zuzuschreiben seien. Denn da wir wissen, dass eine Oberfläche, welche Feuchtigkeit abgibt, die Haare von Phycomyces abstößt, so schien es wahrscheinlich, dass Wasserdampf absorbierende Stoffe die entgegen- gesetzte Wirkung haben und jene Haare anziehen könnten. Nun ab- sorbiert Eisen sicherlich Wasserdampf beim Rosten, und seine besondre 4) In der Sektion D in der British Association gelesen am 5. Aug. 189. 118 Errera, Ursache einer physiologischen Fernwirkung. Wirkung auf Phycomyces konnte deshalb einfach ein Fall von Hydro- tropismus sein. Ich habe diese Ansicht durch eine große Anzahl von Versuchen geprüft und lege Ihnen Photographien vor, welche das Verhalten von Phycomyces gegen verschiedene Substanzen zeigen. Die von mir auf- gestellte Theorie gestattet nicht nur, bekannte Thatsachen zu erklären, sondern auch unbekannte vorauszusagen. Es ist leicht nachzuweisen, dass jede Veränderung des Eisens, welche seine Fähigkeit zu rosten verringert, gleichzeitig auch seine Anziehungskraft auf Phycomyces herabsetzt; polierter Stahl wirkt kaum noch anziehend und vernickelter überhaupt gar nicht. Porzellanthon, welcher sehr hygroskopisch ist, zieht sehr kräftig an, Porzellan dagegen übt keine Anziehung an. Eines der auffallendsten Beispiele bieten Achat und Bergkrystall. Obgleich beide wesentlich aus Kieselsäure bestehen, so ist, wie der japanische Physiker Ihmori!) gezeigt hat, der erstere sehr hygroskopisch, der letztere dagegen nicht Und, wie vorauszusehen war, Achat zieht Phycomyces stark an, Berg- krystall dagegen ist vollkommen unwirksam. Ich könnte noch viele ähnliche Fälle anführen, wenn das nötig wäre. So wirken Schwefel- säure, Kupfersulfat u. a. sehr stark anziehend. Gewisse Stoffe, welche nur in geringem Grade hygroskopisch sind, z. B. weiße Seife, geben Wasser ab oder nehmen es auf, je nach dem Feuchtigkeitsgehalt der umgebenden Atmosphäre; im ersteren Fall stoßen sie Phycomyces ab, im letzteren wirken sie anziehend. Die Empfindlichkeit von Phycomyces ist in der That so groß, dass es als ein Reagens auf das Vorhandensein hygroskopischer Fähigkeit dienen kann. Nachdem ich bemerkt hatte, dass Kampher die Haare von Phycomyces sehr deutlich anzieht, Thymol dagegen nicht (obgleich beide Stoffe eine schädliche Wirkung auf sie ausüben) kam ich zu der Ansicht, dass Kampher hygroskopisch sei — eine Thatsache, welehe den Chemikern unbekannt geblieben ist, die aber durch sorg- fältige Wägungen bestätigt wurde. Zum Schluss will ich meine Theorie noch auf einem anderen Wege zu bestätigen versuchen. Ungleich den Haaren von Phycomyces sind die Wurzeln höherer Pflanzen positiv hydrotropisch. Dementsprechend wenden sie sich, wie zu erwarten war, vom Eisen fort, statt von ihm angezogen zu werden. Alle diese Erscheinungen treten auch in einer mit Wasserdampf gesättigten Atmosphäre ein. Das beweist, dass Hydrotropismus nicht, wie man allgemein annimmt, von Unterschieden im hygrometrischen Zustand der Luft bedingt ist. Aber ich will die weitere Erörterung dieses Punktes sowie gewisse Auseinandersetzungen über die physi- kalische Erscheinung der Hygroskopizität lieber für eine ausführliche Abhandlung über diesen Gegenstand aufsparen. 1) Wiedemann’s Annalen, 1887. Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. 119 Die Ergebnisse meiner Beobachtungen sind also, dass die scheinbar mysteriöse Wirkung des Eisens auf Phycomyces nur eine Erscheinung von Hydrotropismus ist und dass Hydrotropismus selbst (negativer oder positiver) besteht in der Krümmung eines pflanzlichen Organs gegen einen Punkt, in welchem es nicht etwa ein Maximum oder Minimum von Feuchtigkeit findet, sondern in dem es, innerhalb gewisser Grenzen, entweder mehr oder weniger transspirieren kann. Bemerkungen über den Bau und die Entwicklung der Gem- mulä der Spongilliden. Von Dr. W. Weltner in Berlin. Der Bau der ausgebildeten Gemmulä der Süßwasser- schwämme ist in neuerer Zeit wiederholt Gegenstand der Unter- suchung gewesen. Dabei hat sich das Interesse vorzugsweise dem Bau der Schale zugewandt und, abgesehen von einigen wenigen neueren Angaben, ist unsere Kenntnis über den Aufbau des inneren Weichteils (Keimes) der Gemmulä seit den Untersuchungen Lieber- kühn’s nicht vermehrt worden. Nach den Angaben der Forscher besteht die Schale einer aus- gebildeten Gemmula aus einer inneren Kutikula, welche auch die Wandung des Porus (resp. mehrerer Poren) oder des Porusrohres bildet. Nur bei Parmula browni ist die Gemmulahülle porenlos. Der Porus oder das Porusrohr ist während des Winters je nach der Species mit einem einfachen oder mit einem doppelten Verschluss versehen. Auf die innere Kutikula folgt die Luftkammerschichte, die bei einigen Arten einen grobzelligen Bau zeigt, bei anderen aber nur fein blasig erscheint. Diese Zellen wie auch das Porusrohr enthalten Luft und daher wird der ganzen Schichte die Bedeutung eines hydrostatischen Apparates zugesprochen. Bei den europäischen Arten der Spongil- liden sind indessen noch keine Versuche darüber angestellt, in welcher Weise dieser Apparat zur Wirksamkeit gelangt und wenn Zykoff!) angibt, dass die Gemmulä von Ephydatia mülleri auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, so soll sich diese Behauptung wohl auf ge- trocknete Gemmulä beziehen und gibt mir Veranlassung zu bemerken, dass alle Gemmulä der von mir bei Berlin gesammelten Süßwasser- schwammarten (Euspong. lacustris, Spong. fragilis, Ephyd. flwiatilis, mülleri und Trochospongilla erinaceus) im getrockneten Zustande auf dem Wasser schwimmen. Bei frisch dem Schwamme entnommenen Gemmulä ist das aber durchaus nicht der Fall, denn als ich bei Ver- suchen, über die ich an anderer Stelle berichten werde, Gemmulä von Euspong. lacustris, Ephyd. fluviatilis und mülleri unter Wasser isolierte, sank der eine Teil zu Boden, der andere stieg an die Wasserober- 1) Biol. Centralbl., XII. Bd., 1892, S. 713. 120 Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. fläche und aus allen diesen Gemmulä entwickelten sich im Frühjahr junge Schwämme. In einem früheren Aufsatze !) habe ich schon be- merkt, dass bei unseren einheimischen Süßwasserschwämmen nicht alle Gemmulä aus dem Skelett herausfallen, sondern zum Teil fest an die Unterlage gekittet sind, zum Teil in dem Skelett haften bleiben und nur zum Teil in das umgebende Wasser gelangen. Dass von solchen auf natürlichem Wege isolierten Gemmulä nur der kleinste Teil an der Oberfläche des Wassers und vielleicht nur kurze Zeit schwimmt, das scheint mir der Umstand zu beweisen, dass schwim- mende Gemmulä im Plankton des Süßwassers nur sehr selten ge- funden worden sind, wie z. B. von J. Richard?), der in einem Auftrieb zwei Gemmulä von Eusp. lacustris fand. Soviel ich anch darauf geachtet habe, im Plankton des Tegeler Sees bei Berlin, in welchem große Massen von verschiedenen Spongillidenspecies vor- kommen, Gemmulä zu finden, so ist mir doch nie im freien Wasser eine solche zu Gesicht gekommen. In jener Luftkammerschichte finden sich, zum Teil in ihr einge- bettet, zum Teil aus ihr hervorragend, die für die einzelnen Species charakteristischen Belegnadeln. Bei den meisten Arten ist diese Schichte nach außen durch eine äußere Kutikula abgeschlossen. Bei Euspong. lacustris kommen auch Gemmulä im Skelett vor ohne Luftkammer- schichte und Nadelbeleg, und bei Ephydatia fluviatilis hat Goette?) beobachtet, dass Gemmulä aus dem absterbenden Weichteil heraus- fallen können, bevor noch die äußere Kutikula gebildet ist. Der innere Weichteil der Gemmulä soll nach Laurent, Carter, Priest und Dybowski von einer besonderen Membran umgeben sein, aber schon Lieberkühn hat sich von der Anwesenheit derselben nieht überzeugen können und Wierzejski*) modifizierte die älteren Angaben dahin, dass sich jene Hülle nur bei unausgebildeten Gemmulä finde. Neuerdings stellt aber Zykoff?) auch diese Angabe in Abrede und ich kann beifügen, dass bei den von mir untersuchten ausgebil- deten Gemmulä der oben genannten Arten eine solehe Membran nicht vorhanden war. Die von der Gemmulaschale umschlossene Innenmasse besteht nach den vorliegenden Untersuchungen aus Zellen, die mit groben und feineren bis feinsten Dotterkörnern vollständig erfüllt und in der Reife rundlich sind, die sich aber vor dem Auskriechen aus der Schale durch Wasseraufnahme gegeneinander abflachen und vieleckig werden ®). 4) Die Süßwasserschwämme. Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers, herausg. von Dr. O0. Zacharias, Bd. I, S. 225, 1891. 2) Bull. Soc. Zool. France, 14e Vol., 1889, S. 103. 3) Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte von Spongilla fluviatilis, 1886, S. 24, Hamburg u. Leipzig. 4) Arch. Slaves Biol., T.I, p. 32, 1886. 5) Bull. Soc. Imp. Natural. Moscou, Annee 1892, p.12. Moscou 189. 6) Marshall, Ber. Naturf. Ges., Leipzig, Jahrg. 1884, S. 24. Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. 421 Zwischen den Zellen ist eine Interzellularsubstanz nachweisbar. Von einigen Forschern sind die Dotterkörner, welche sich übrigens in ver- schiedener Weise von den Dotterelementen der Eier und Furchungs- kugeln unterscheiden, für „Stärkekörner“, „Amylum“ angesprochen worden, allein schon Lieberkühn hat gezeigt, dass diese Auffassung irrig ist. Dass aber Stärkekörner in Gemmulä vorkommen können, ist nieht ohne weiteres in Abrede zu stellen. Wierzejski (l.e. p.41) fand Algen in den Luftkammerzellen und wies darauf hin, dass das Auftreten von Stärke in den Gemmulä vielleicht auf die Algen zurück- zuführen sei. Wie ich später noch zeigen werde, werden bei gewissen srün gefärbten Spongilliden-Exemplaren bei der Gemmulation zahl- reiche Zoochiorellen in die Zellen der Innenmasse mit eingeschlossen, und es ist deshalb wohl möglich, dass in diesen Zellen Stärke nach- gewiesen werden kann. Die Dotterkörner aber enthalten kein Amylum. Ein besonderes Interesse bieten die Kernverhältnisse der Zellen in der ausgebildeten Gemmula. Von keinem der Autoren, welche sieh mit dem Bau und der Entwieklung der Gemmulä beschäfttgt haben, liegen hierüber genauere Mitteilungen vor. Lieberkühn hatte an- gegeben, dass die Zellen einer jungen Gemmula sämtlich einkernig sind, und dass er einmal in von ihm im März untersuchten Gemmulä Zellen gefunden habe, welche zwei Kerne aufwiesen. In einer wenig verbreiteten Zeitschrift?) hatte ich mitgeteilt, dass sich in den Zellen der ausgebildeten Gemmulä zwei Kerne fänden, und dass diese Zellen von fast der doppelten Größe seien, als die der jungen Gemmulä. Diese Unterschiede in den Größenverhältnissen waren auch von Goette?) hervorgehoben, über die Kerne hat er indessen nichts angegeben. Nach meinen Untersuchungen (1. e.) zerfallen die zweikernigen Zellen während und nach dem Verlassen des Keimes aus der Gemmula in einkernige und diese wieder vermehren sich in dem jungen Schwamme auf in- direktem Wege. Später hat Petr?) in einer leider böhmisch ge- schriebenen Arbeit eine Abbildung der Gemmulä von Trochospongilla erinaceus gegeben, welche zwei und dreikernige Zellen zeigt, die Kerne sind von rundlicher bis gestreckter Gestalt. Herr Prof. Petr teilte mir mit, dass er in einzelnen Zellen auch bis 4 Kerne gefunden habe. Auch in den Arbeiten von Goette*) und Wierzejski) findet man in der Dotterzellenmasse neben einkernigen Zellen solche mit 2 und 3 Kernen abgebildet, in dem Texte wird indessen nichts darüber mitgeteilt und bei Wierzejski ist nur von einkernigen Zellen die 4) Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde, Berlin 1886, 8. 154. 2) Zool. Anzeiger, 7. Jahrg., 1884, S. 704. 3) Sitzungsber. d. kgl. Böhm. Ges. d. Wiss., Prag 1887, S. 203—214, Fig. 6. 4) Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte von Spongilla fluviatilis. Figur 32. 5) l.e. Fig. 7. Dieselbe Figur besser in der polnisch geschriebenen Arbeit von 1884. 129 Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. Rede. Seit meiner ersten Mitteilung über diesen Gegenstand habe ich aufs neue Untersuchungen über die Zahl der Kerne in den Zellen der Gemmulä von allen fünf bei Berlin sich fmdenden Süßwasserschwanm- arten angestellt und bin zu folgendem Ergebnis gelangt. In dem eben als Gemmulaanlage erkennbaren Zellhaufen und den folgenden Entwicklungsstadien der Gemmulä bis zur beginnenden Bildung der inneren Kutikula sind die Zellen des Keimes sämtlich noch nackt, amöboid beweglich und einkernig. Nach vollendeter Aushildung der Gemmulä sind die Zellen der Innenmasse von einer feinen Hülle um- geben und sind nicht mehr amöboid beweglich, wenn sie in Wasser oder Speichel isoliert sind. Diese Thatsachen sind eine bloße Be- stätigung der Angaben Lieberkühn’s. Diese Zellen nun waren in meisten der von mir untersuchten ausgebildeten Gemmulä von zweierlei Größe, es waren kleinere einkernige und etwa doppelt so große zwei- kernige Zellen vorhanden. Die Kerne waren sowohl in den lebenden als in den auf Schnitten von konservierten Material untersuchten Zellen rundlich, wie es Goette und Wierzejski auch abbilden, und nie in der Weise gestreckt, wie es Petr zeichnet. In jedem Kerne fand sich ein Nukleolus. In anderen vollendeten Gemmulä fand ich aber nur die Zellen mit 2 Kernen. Bevor sich nun der Inhalt der Gemmulä zum Verlassen der Hülle anschickt, beobachtet man, dass die ihn zu- sammensetzenden Zellen wieder amöboid beweglich sind, wie das schon Lieberkühn dargethan hat. In Bezug auf die Anzahl der Kerne in solehen vor dem Austreten aus der Gemmuläschale stehenden Zellen konnte ich wieder Verschiedenheiten feststellen. Bei einigen Gemmulä waren alle Zellen zweikernig, bei anderen fanden sich einige Zellen mit einem, andere mit zwei Kernen; bei noch anderen bestand die Innenmasse durchweg aus Zellen mit einem Kerne. Nur einmal habe ich neben 1- und 2kernigen Zellen auch in einer Gemmula eine Zelle mit 3 und in einer andern Gemmula eine mit 4 Kernen getroffen. Ich muss also jetzt Petr, dessen Angabe bezüglich drei- und vierkerniger Zellen ich früher bezweifelt hatte !) recht geben. In der neuesten Arbeit über die Entwieklung der Gemmulä von Zykoff?) sind die Kernverhältnisse der besprochenen Zellen sehr kurz behandelt. Es ist dem Verfasser überhaupt nicht gelungen, Kerne nachzuweisen. Das rührt offenbar daher, weil er die Gemmulä nie auf Schnitten, sondern im Schwammstück gefärbt hat. Denn bei der ausgebildeten Gemmula tritt der Farbstoff nieht durch die Schale hin- durch. Auch hat sich Zykoff wie die früheren Autoren nicht der Mühe unterzogen, die Gemmulä lebend zu untersuchen, wie das Lieber- kühn gethan hat, andernfalls würde er die Kerne in den Zellen der Innenmasse gefunden haben. Die Fig. 5 u. 4, welche Zykoff von 4) Im Jahresbericht über Spongiologie. Arch. f. Naturgesch., 54. Jahrg., II. Bd., 1888, S. 205. (Nicht 1888, sondern 1891 ausgegeben!) 2) Bull. Soc. Imp, Natural, Moscou, Anne 1892, p. 1—16, Pl. 1 & 2. Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. 125 der Dotterzellmasse gibt, sind nicht naturgetreu. Denn wenn es auch vorkommt, dass diese Masse keine Zellgrenzen erkennen lässt, so sind doch immer Zellkerne vorhanden und nie liegen die Dotterkörner in der Weise, Glied an Glied fast regelmäßig aufgereiht, wie Verf. es dargestellt hat. Auch in seiner neuesten Arbeit, Entwicklungsgeschichte von Ephydatia mülleri Lbkn. aus den Gemmulä?), hat Zykoff eben- sowenig wie früher Goette (l. ec. p. 24—25) dem Verhalten der Kerne der auskriechenden Zellen Beachtung geschenkt. Es liegen bisher keine Untersuchuugen darüber vor, wie in der mit Hülle und Belagsnadeln versehenen Gemmula die mehrkernigen Zellen entstehen. Ich?) habe früher die Vermutung ausgesprochen, dass dies vielleicht durch einfache Verschmelzung der Zellen stattfände und in der That hatte Wierzejski?) beobachtet, dass solche Ver- schmelzung vorkommt, er gibt aber nichts über das Schicksal der Kerne bei diesem Prozess an. Die Beobachtung, welche auch Goette gemacht hat, dass sich Zellen der Innenmasse einer jungen Gemmula nicht zu gleicher Zeit mit Dotterkörnern füllen, sondern dass man immer neben Zellen mit viel Dotter andere mit sehr wenig Dotter- elementen findet und in wieder anderen noch garnichts davon sieht, führte Wierzejski?) zu der ganz berechtigten Frage, ob die dotter- freien Zellen den anderen als Nährzellen dienen? Von Zykoff*) liegen hierüber keine Angaben vor. Noch habe ich als Bestandteile der Gemmulainnenmasse junge Nadeln zu erwähnen. Sie kamen in solehen Gemmulä von Spongilla fragilis vor, welche sich in Krusten von Exemplaren befanden, bei denen einige Gemmulä schon ihren Inhalt aus der Schale austreten ließen. Hier enthielten sowohl die intakten als die mit geöffneten Porus versehenen Gemmulä junge Nadeln. Lieberkühn hat über das Auftreten derselben in den Gemmulä und in dem aus der Gemmula sich entwickelnden Schwamme verschiedene von einander abweichende Angaben gemacht. Nur auf eine derselben bezieht sich die von Zy- koff?) angezogene Stelle. Uebrigens hat schon Lecogq (1861) in den Gemmulä von Euspon. lacustris Nadeln gefunden und Vejdovski (1883) bildet einen jungen mit Spikula versehenen Schwamm ab, der noch innerhalb der Gemmulaschale liegt, ein gewiss seltenes Vorkommen. Aus dem vorhin Gesagten geht hervor, dass die Entwicklungs- geschichte der späteren Stadien des Gemmulainhaltes noch nicht ge- nügend klargestellt ist. Noch ein anderer Punkt aus dem Bildungs- prozess der Gemmulä harrt seiner Lösung. Es betrifft dies die erste Entwicklung der Gemmulä. 4) Biol. Centralbl., Bd. XII, S. 713—716, 1892. 2) Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde, Berlin 1886, S. 154. 3) 1. e. 1886 S. 31. 4) Bull. Soc. Imp. Natural. Moscou 1892. 5) Biol. Centralbl., Bd. XI, S. 714, 1892. 124 Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. Die Auffassungen, welche über die erste Anlage einer Gemmula bekannt geworden sind, lassen sich kurz wie folgt wiedergeben. Nach Carter (1849) gehen die Gemmulä aus den polymorphen (amöboiden) Zellen des Schwammes hervor. Vielleicht, fügt er hinzu, wird die Gemmula nur von einer Zelle gebildet. Später hat Carter verschie- dene, nicht genügend begründete Ansichten über die Herkunft der Gemmulä (aus Geißelkammern, als wahre Eier ete.) geäußert. Lieber- kühn (1856) lässt die Gemmulä aus amöboiden Schwammzellen her- vorgehen. Marshall (1833) erklärt die Entstehung der Gemmulä dadurch, dass amöboide Zellen des Mesoderms gruppenweise zusammen- wandern; manchmal habe es ihm auch geschienen, als ob die Bildungs- zellen der Gemmulä vom Entoderm herstammten. Wierzejski (1854 polnisch, 1886 französische Uebersetzung) betrachtet als erste Anlage der Gemmulä eine Gruppe amöboider nackter Parenchymzellen. Nach Goette (1886 ausführliche Arbeit) wird die erste Anlage der Gemmulä durch Anhäufung gewöhnlicher Parenehymzellen gebildet, in diesen Zellenhaufen werden Geißelkammern und Kanäle mit eingeschlossen. Die Ursache der Gemmulation wird auf Hypertrophie der Zellen zurück- geführt und es geht ein ganzes Gewebsstück des Schwammes in die Gemmula ein. Wie sich die Geißelzellen und Plattenepithelzellen „durch Wachstum den Parenchymzellen anpassen“ (Goette p. 22), hat Verf. nieht näher ergründet. Zykoff (1892) betrachtet .als erste Erschei- nung der Gemmulabildung das Auftreten von Dotterkörnern in einigen amöboiden Zellen des Parenehyms; solche Zellen mit Dotterelementen und andere dotterfreie Zellen kriechen zusammen und bilden die ersten Anlagen der Gemmulä. Ausdrücklich wird von Zykoff die Teilnahme von Geißel- und Plattenepithelzellen an der Bildung der Gemmulä in Abrede gestellt. Die meisten Forscher erblieken also als erste Anlage der Gemmula eine Anhäufung der amöboiden Parenchymzellen. Nun hat aber Fiedler!) zuerst darauf hingewiesen, dass sich im Parenchym von Ephydatia fluviatilis (und, wie ich hinzufügen will, bei allen fünf der oben genannten Süßwasserschwammarten) zwei Arten von amöboiden wandernden Zellen unterscheiden lassen; die einen zeigen einen Inhalt von gleich großen Körnern, die anderen sind er- füllt von ungleich großen Körnern. Ein einfaches Zupfpräparat aus einer lebenden Spongillide oder die Beobachtung an einem kleinen lebenden, unversehrten Sehwamme lassen diese beiden Zellsorten sofort erkennen. Es entsteht nun die Frage: geht eine Gemmula nur aus einer Sorte dieser Parenehymzellen hervor oder sind beide Sorten und in gleicher Weise zur Gemmulabildung fähig? In Anbetracht jener Publikation von Fiedler hat Zykoff auch diese Fragen aufgeworfen, aber er hält die Einteilung der Zellen in jene beiden Gruppen für ziemlich künstlieh, da die Zellen, im denen man die Anlage der künf- 4) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 47, 8. 89 ff., 1888. Weltner, Bau und Entwicklung der Gemmulä der Spongilliden. 125 tigen Gemmula zu erblicken hat, gerade die Mitte halten zwischen den beiden von Fiedler unterschiedenen Zellsorten, denn das Protoplasma dieser jungen Gemmulazellen ist nach Zykoff gleichmäßig gekörnt und in der Zelle liegt ein Kern mit einem Kernkörper, „so dass, wenn man sich an die Einteilung Fiedler’s hält, sie nach ihrem Proto- plasma zur ersten Gruppe (der „Fresszellen“), nach dem Bau ihres Kernes zur zweiten Gruppe (der „amöboiden Wanderzellen“) gehören“. Denn nach Fiedler haben die gleichgekörnten Zellen einen Kern ohne Nucleolus oder seltener mit mehreren Nucleoli, wie ich an Präparaten von konservierten Ephyd. fluviatilis der Spree, die ja auch Fiedler untersucht hat, nur bestätigen kann. Dagegen finde ich, dass die Körner in dem Zellplasma dicht aneimander und nicht so weit von einander entfernt liegen, wie es Fiedler abbildet. Es lag für mich nahe, nach Zykoff’s Darstellung die Fiedler’schen „Fress- zellen“ als die Bildungszellen der Innenmasse der Gemmula anzu- sehen. Damit lassen sich aber meine Beobachtungen nicht in Ein- klang bringen. Denn ich finde, dass sich in einem Stadium, wie es etwa in Fig. 1 beiZykoff wieder gegeben ist, in der Gemmulaanlage Zellen unterscheiden lassen, welche schon Dotterkörner tragen, dann andere, welche nur einen feinkörnigen Inhalt von gleich großen Körnern zeigen; diese, Zellen sind den Fiedler’schen Fresszellen ähnlich, unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, dass die Körner in den Zellen feiner sind, und dass sie alle einen deutlichen Nucleolus haben. Diese Zellen gleichen ganz den Nährzellen des Eies einer Spongillide, und das bringt uns wieder zu der Frage, ob sie von den mit Dotter sich erfüllenden Zellen der Gemmula aufgenommen werden. Die beiderlei Zellen, die dotterreichen und die dotterfreien, sind größer als die amöboiden Zellen des Spongillidenparenchyms, wie Goette (s. oben) hervorgehoben hat. Außer diesen Zellen sieht man andere, welche einen Inhalt von ungleich großen Körnern führen und die sich nicht von den ungleichkörnigen Zellen des Spongillidenparenchyms unterscheiden lassen. Dass die ungleichkörnigen Zellen mit in die Gemmulaanlage ein- bezogen werden, beweist auch ein anderer Umstand. In den grünen Süßwasserschwämmen sind die Zellen mit einem Inhalte von ungleich großen Körnmern die allemigen Träger der Zoochlorellen, welche sich nie in den „Fresszellen“ finden. Brandt!) hat solehe ungleich ge- körnten Zellen mit Zoochlorellen abgebildet, der körnige Inhalt ist hier nicht gut wiedergegeben. Wie ich anderweitig zeigen kann, wandern nun diese ungleichkörnigen Zellen mit ihren Zoochlorellen bei grünen Exemplaren von Euspongilla lacustris mit in die Gemmula- anlage hinein, und so kommt die schon seit Linn& verschiedenen Autoren bekannte grüne Farbe der Gemmulä zu stande, in denen auch Carter?) schon die grünen Körper gefunden hat. 1) Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abteilung, 1882, Taf. 1. 2) Ann. Mag. Nat. Hist. (2), Vol. 4, p. 81—100, 1849, 126 Salensky, Entstehung der Metagenesis der Tunieaten. Ich glaube gezeigt zu haben, dass die Entwicklungsgeschichte der Gemmulä noch nicht genügend bekannt ist. Eine erneute ein- gehende Untersuchung würde zwei Hauptaufgaben zu lösen haben: erstens die Herkunft und das Wesen der Zellen, welche die Anlage der Gemmula bilden, und zweitens das Schicksal dieser Zellen zu ermitteln. Was die Herkunft und das Wesen der Zellen der Gemmulaanlage betrifft, so liegen folgende Möglichkeiten vor: die Gemmulaanlage wird aus einer einzigen Zelle gebildet, welche den Wert eines Eies hat. Dann wäre eine Gemmula als ein Furchungszellenhaufen aufzufassen; oder die Gemmulainnenmasse geht aus mehreren gleichartigen Zellen des Mesoderms hervor; oder sie entsteht aus mehreren ungleichartigen Zellen des Mesoderms; oder endlich die Gemmula wird aus Zellen von verschiedenen (2 oder 3) Keimblättern gebildet. Die Gemmula wäre in diesem Falle eine Knospe. Berlin, 14. Januar 1893. Ueber die Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. Von Prof. W. Salensky in Odessa. In dem vorliegenden Aufsatze will ich die Hauptresultate meiner Untersuchungen über die Entwicklungsvorgänge einiger Synaseidien darstellen, welche zu der Aufklärung der dunkleren Frage über die Entstehung der Metagenesis der Tunicaten dienen können. Die An- sichten verschiedener Forscher in Bezug auf diese Frage sind nicht übereinstimmend. In den letzten Decennien sind gerade viele Hypothesen angestellt worden, die teilweise zu ganz kontroversen Schlüssen kommen. Da mein Zweck nur darin besteht, zu zeigen, wie man auf Grund der Evolutionsprinzipien die Metagenesis der Dolioliden, Salpen und Pyrosomen aus der Entwicklung der Synas- eidien ableiten kann, so darf ich auf die ausführliche Uebersicht der Litteratur verzichten. Ich will hier nur diejenigen Ansichten ausführ- licher betrachten, welche sich auf eine Entwicklung der Aseidien be- ziehen. Der erste, welcher den Versuch gemacht hat die Entstehung des Generationswechsels der Tunieaten zu erklären, war Leuckart!), welcher die von ihm so ausführlich ausgearbeiteten Prineipien der Arbeits- teilung zu der Entscheidung dieser Frage angewendet hatte. Er hat namentlich den Generationswechsel durch die Verteilung der beiden Hauptarten der Vermehrung, der geschlechtlichen und der ungeschlecht- 1) R. Leuckart, Zoologische Untersuchungen II. Salpen und Verwandte. Gießen 1854. Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunieaten. 497 lichen, auf verschiedene Individuen und Generationen zu erklären ver- sucht. Diese Hypothese erweist sich aber bei der Anwendung auf die Entwieklungsgeschichte einiger Tunicaten als nicht vollkommen zu- treffend. So lässt sich z.B. mit der Verteilung der beiden Hauptarten der Vermehrung auf verschiedene Individuen und Generationen der Generationswechsel der Pyrosomen nicht erklären, bei welchen eine Generation (das Cyatozoid) sich bloß ungeschlechtlich vermehrt, während die andere resp. eine Reihe anderer Generationen, die man als Aseidio- zoiden bezeichnet, zu beiden Arten der Vermehrung befähigt sind. Es existiert also in diesem Falle keine Verteilung der Vermehrungsarten weder zwischen den Individuen noch zwischen den Generationen, ob- gleich der Generationswechsel vorhanden ist. Die Ansichten anderer Forscher [von Todaro!) Brooks?) und Seeliger?)] kann man in zwei Kategorien teilen. Zu einer gehören diejenigen, welche sich auf die Beobachtungen über die Knospung der exquisiten metagenetischen Tunicaten (Salpen und Pyrosomen) stützen. Die anderen betrachten den Generationswechsel der Tunicaten als ein Resultat der Komplikation derjenigen Entwicklungserscheinungen, welche man bei den nicht metagenetischen Tunicaten, namentlich bei den Ascidien, antrifft. Vor mehreren Jahren habe ich?) die Vermutung ausgesprochen, dass der Generationswechsel der Tunicaten in einer inneren Beziehung zur Metamorphose steht. Damals konnte ich meine Ansicht nicht genau begründen und habe diese Lücke in meiner spä- teren Arbeit *) zum Teil ausgefüllt. Inzwischen haben Balfour®) und Ulianin°) die Beziehungen der Fortpflanzung der Aseidien zu der der metagenetischen Tunicaten näher auseinandergesetzt uud besonders der letztere von beiden hat auch das Bild entworfen, nach welchem die Entwicklung des Generationswechsels bei den Tunieaten geschehen sollte. Es würde uns sehr weit führen, die Ansichten der ersten Kategorie der Forscher (Todaro, Brooks und Seeliger) zu diskutieren; dazu müssten wir alle Angaben über die Entwicklungsgeschichte der Knospen bei den Pyrosomen und Salpen kritisch behandeln. Ich habe schon anderswo meine Meinung darüber ausgesprochen und hoffe noch in meinen unter dem Titel „Morphologische Studien der Tunicaten“ zu ver- 1) Todaro, Sopra lo sviluppo e l’anatomia delle Salpe 1875. 2) Brooks, The developpment of Salpa (Bull. of the Mus. of comp. Zool. at Harvard College 1876). 3) Seeliger, Die Entstehung des Generationswechsels der Salpen. Jen. Zeitschr., XV, 1888. 4) Salensky, Ueber die Entwicklung des Hodens ete. Zeitschr. f. wiss, Zoologie, XXX, Suppl. 5) Balfour, Handbuch der vergleichenden Embryologie. Uebersetzt von Vetter II S. 31. 6) Ulianin, Doliolum (Fauna und Flora des Golfes von Neapel, X. Mono- graphie) S. 115—117. 128 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. öffentlichenden Untersuchungen nochmals zu diesem Thema zurück- kehren. Hier will ich nur die Ansichten von Balfour und Ulianin näher betrachten. Balfour hat eigentlich keine bestimmte Hypothese über die Ent- stehung der Metagenesis gegeben. Er hat nur die Meinung ausge- sprochen, dass der Generationswechsel durch eine Komplikation des Prozesses der Fortpflanzung durch Knospung entstanden zu sein scheint. Worin diese Komplikation besteht und in welcher Form sie sich äußert, darüber gibt Balfour keine Antwort. Ihm gebührt aber das große Verdienst, die damals bekannten Thatsachen ihrer Komplikation nach zusammenzustellen und also die Methode anzugeben, welche bei der Diskussion unserer Frage als sicherste anerkannt werden muss. Da der Generationswechsel immer mit der Knospung verbunden ist und diese Vermehrungsart bei allen zusammengesetzten Ascidien sehr verbreitet ist, so lässt es sich a priori vermuten, dass bei den Synaseidien die primitiven metagenetischen Erscheinungen entdeekt werden können. Der sichere Weg zur Entscheidung der Frage von der Entstehung des Generationswechsels soll deswegen in der Untersuchung der verschie- denen Knospungvorgänge der Synaseidien und namentlich in der Ver- gleichung derseiben mit denjenigen der metagenetischen Tiere bestehen. Dieser Bahn folgend hat schon Ulianin die allmähliche Entwicklung der Metagenesis im Tunicatenstamme skizziert. Da einige Aseidien, namentlich die primitivsten Formen dieser Tunieatengruppe (die Ap- pendieularien und die einfachen Ascidien) nur auf geschlechtlichem Wege sich fortzupflanzen befähigt sind, so sucht Ulianin zunächst die Frage über die Entstehung der Knospungsfähigkeit bei den As- eidien zu entscheiden. Er sagt darüber: „Es kann kein Zweifel sein, dass bei so hoch organisierten Geschöpfen, wie die Tunieaten, die un- geschlechtliche Fortpflanzung nur auf einem Wege in den Fortpflan- zungszyklus eintreten könnte, nämlich als Teilung äußerst früher Ent- wicklungsstadien, wo noch die Gewebe des Geschöpfes sich sehr wenig differenziert haben. Später konnte diese Teilungsfähigkeit des Embryo zur Knospung umgebildet und auf etwas spätere Entwicklungsstadien übertragen werden. ... Das bei der Knospung von dem Organismus der Knospen gelieferte Zellenmaterial konnte entweder in toto sich zu einer Knospe ausbilden (wie bei Bo/ryllus), oder zum Aufbaue einer ganzen Reihe von Knospen dienen. Im letzteren Falle wurde ein Stolo prolifer gebildet. Da bei der Ausbildung des letzteren alle von ihm abgehenden Knospen unmöglich gleichzeitig sich entwickeln konnten, so wurde es unumgänglich notwendig, dass das proliferierende Ent- wicklungsstadium weiter lebte, um die von ihm erzeugte Brut zu er- nähren und zur vollen Ausbildung zu bringen. So bildete sich mit der Zeit ein ungeschlechtliches, selbständiges Wesen, das wir -als „Amme“ bezeichnen und von dem durch Knospung sich mit Geschlechts- organe versehene Individuen entwickeln. So entstand nach meiner Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunieaten. 129 y 5 8 Meinung der Generationswechsel der Tunicaten“ !),. Aus den ange- führten Zitaten ist ersichtlich, dass das Prinzip auf dem die Hypothese Ulianin’s begründet ist, nichts anderes als die Balfour’sche „Kom- plikation der Knospung“ ist, welche Ulianin weiter entwickelt hat. Der Uebergang von der einfachen Knospung zu den komplizierten Er- scheinungen des Generationswechsels soll nach Ulianin’s Hypothese durch die: Uebertragung der Knospungsfähigkeit aus den jungen Ent- wieklungsstadien auf spätere geschehen. Wie aber dadurch die echten ungeschlechtlich sich vermehrenden Generationen „Ammen“ entstehen, das ist für mich nicht klar genug, denn die Knospungsfähigkeit unter- drückt in keiner Weise die Fähigkeit zur geschlechtlichen Fortpflanzung, indem man bei den meisten Synaseidien die beiden Arten der Ver- mehrung in einem und demselben Individuum regelmäßig und gleich- zeitig antrifft. Die Unbestimmtheit der Ulianin’schen Hypothese in dieser Be- ziehung hängt davon ab, dass er die beiden Fragen, nämlich die Frage von der Entstehung der Knospung und die von der Entstehung des Generationswechsels zusammen betrachtet. Diese beiden Vermeh- rungsvorgänge könnten doch nicht zusammen entstehen, denn man trifft mehrere Aseidien, die sich durch Knospung vermehren und doch keine Spur vom Generationswechsel an sich erkennen lassen. Die beiden Fragen müssen geschieden werden. Der Generationswechsel wurde ganz entschieden nur bei solchen Tuniecaten entwickelt, welche bereits die Fähigkeit besaßen, sich durch Knospung zu vermehren. Die Knospungsfähigkeit hat sich also viel früher als der Generations- wechsel im Tunicatenstamme entwickelt und zwar war sie zuerst nicht den jüngeren Entwicklungsstadien, sondern den ausgewachsenen Tieren eigen, weil man bemerkt, dass sie sich sehr verbreitet haben bei den sozialen Ascidien, die einen älteren Stamm als die Synascidien darstellen und die nur im ausgebildeten Zustande sich durch Knospung _ vermehren. Man kennt bis jetzt keine Art der sozialen Acidien, die entweder durch Teilung oder durch Knospung im Larvenzustande sich zu vermehren im stande wären. Wie die Knospung bei den Tunicaten entstanden — das ist die Frage, welche in keiner direkten Beziehung zum Entstehen der Meta- genesis steht und wir werden sie hier nicht berühren. Ich will nur bemerken, dass die Fähigkeit, Knospen zu produzieren, sich offenbar erst bei den sessilen Tunicaten entwickelt hat, da die ältesten von den Tunicaten, die freibeweglichen Appendieularien, ausschließlich nur zu der geschlechtlichen Vermehrung befähigt sind. Die sich metagenetisch fortpflanzenden freischwimmenden Tunicaten (Salpen, Pyrosomen und Dolioliden) haben diese Fähigkeit von ihren sessilen Verfahren geerbt. 4) Ulianin, Die Arten der Gattungen Dokolum etc. (Fauna und. Flora des Golfes von Neapel, X, S. 115—116). XIIT. $) 130 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. In meinen Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Pyrosomen habe ich versucht, die metagenetischen Tunicaten von solchen abzu- leiten, welche zur gleichzeitigen ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Vermehrung befähigt sind!). Dafür sollte ich die Vermutung zulassen, dass bei solchen Tunicaten die Vermehrung durch Knospen von dem ausgebildeten Zustande in die jungen Entwicklungsstadien übertragen waren. In dieser Beziehung kam ich zu einem Schluss, welcher der eben erörterten Ulianin’schen Hypothese ganz entgegengesetzt ist, nnd habe mich in meinen Schlüssen auf das Vorkommen der im Larven- resp. Embryonalzustand sich ungeschlechtlich vermehrenden Aseidien gestützt. Bei diesen letzteren sollen meiner Meinung nach — die ich mit Balfour und Ulianin teile — die ersten Spuren der Metagenesis der Tunicaten gesucht werden. Die Proliferationsfähigkeit im Larvenzustande ist nun bei zwei Synaseidienarten, namentlich bei Distaplia magnilarva?) und Diplosoma Listeri?) (wahrscheinlich auch Diplosoma spongiforme —= Astellium spongiforme Giard) bekannt. Diese beiden Arten werden schon vom Standpunkte der Metagenesis von den früheren Forschern (vergl. Ulianin, Doliolum) betrachtet. Wir wollen die Angaben der Forscher über diesen Gegenstand etwas näher kennen lernen. Die Knospung der Distaplia-Larven wurde bekanntlich von Della Valle*) entdeckt. Er hat namentlich angegeben, dass auf der Bauch- seite des Embryos der erwähnten Synaseidienspeecies eine Ausstülpung sich bildet, die aus dem Ektoderm und dem parietalen Blatte des Peri- toneums entsteht, später sich vom Embryonalleibe abschnürt und in den Cellulosemantel wandert. Durch Teilung entstehen aus dieser Knospe mehrere Knospen, die sich weiter entwickeln und in die Indi- viduen der Kolonie sich verwandeln. Die Larve selbst soll nach Della Valle in die junge Aseidie sich umbilden. Die Ergebnisse der etwas später erschienenen Untersuchungen Ulianin’s stimmen mit denen von Della Valle nicht vollkommen überein. Nach Ulianin (Zool. Anzeiger, 1885, S. 40—44) bildet sich „an der Bauchseite der Larve, in der Gegend des Herzens, der Stolo prolifer, der vollkommen ähnlich dem der anderen Tunicaten aus drei Blättern, die zum Aufbau des Körpers der Larve dienen, besteht. Von 1) Salensky, Beiträge zur Embryonalentwicklung der Pyrosomen. Zool. Jahrbücher, Bd. V, S. 92 u. 93. 2) Zu dieser Art gehört ganz entschieden auch das von Kowalevsky (Ueber die Knospung der Aseidien. Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. IX) beschriebene Dideminum styliferum, wie es zuerst von Della Valle und Cahille angezeigt wurde. 3) Bei der Benennung der Art will ich mich an die Systematik von Lahille halten, die ich als die bequemste bei der Artbestimmung finde (vergl. Lahille, Recherches sur les tunieiers des cötes de France). 4) Della Valle, Nuove contribuzione alla storia naturale delle asidie ete. Mem. Ac. dei Lincei, 1880/81. Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 131 diesem Stolo schnüren sich rasch auf einander mehrere (bis 4) läng- liche, wurstförmige Knospen, die ähnlich wie die Urknospen des Doliolum, einer selbständigen Fortbewegung fähig sind. Diese Knospen wandern von dem Stolo prolifer in den Mantel der Larve fort und beginnen sich nun zu teilen.... Die aus der Larve nach Verlust ihres Schwanzes und nach ihrer Festsetzung sich ausbildende junge Ascidie lebt eine Zeit lang weiter, gelangt aber niemals zur vollkommenen Reife. In der Frist von zwei oder drei Wochen geht die junge Asecidie zu Grunde. ... Die auf ungeschlechtlichem Wege entstandene zweite Generation gelangt schon zur Geschlechtsreife“. Aus der Vergleichung der eben zitierten Angaben beider Forscher geht hervor, dass in Bezug auf die Hauptmomente der Entwicklung der Knospen bei Distaplia eine beträchtliche Divergenz der Meinungen obwaltet, die auch prinzipiell bei der Entscheidung der Frage über die Entstehung der Metagenesis sehr wichtig ist. Nach Della Valle soll aus dem Leibe der Distaplia-Larve nur eine Knospe sich ab- schnüren, die sich weiter teilt; nach den Angaben von Ulianin be- sitzen die Larven derselben Ascidie schon einen Stolo prolifer, welcher mehrere auf einander sich abschnürende Knospen bildet. Was das Schieksal der Larve anbetrifft, so sind die Unterschiede in den An- gaben beider Forscher nicht so weitgreifend, wie es Ulianin meinte, weil, obgleich Della Valle die Verwandlung der Larve in die junge Aseidie angibt (vergl. seine Fig. 4), er sagt doch nicht, ob diese Aseidie die Geschlechtsreife erreicht oder nicht. Obgleich die Angaben von Ulianin auch in dieser Beziehung viel bestimmter als diejenigen von Della Valle lauten, so bedürfen sie doch einer Bestätigung, um als Stütze für allgemeine Deduktionen über das Wesen der Ent- wieklungsvorgänge der Distaplia und über die Beziehungen derselben zu der Frage von der Entstehung der Metagenesis benntzt zu werden. In einem noch weniger befriedigenden Zustande stehen unsere Kenntnisse in Bezug auf die Entwicklung der Diplosomiden, die be- kanntlich ebenfalls befähigt sind, sich im embryonalen Zustande un- geschlechtlich fortzupflanzen. Im Jahre 1859 hat Macdonald!) in Sidney eine eigentümliche Aseidienform entdeckt und Diplosoma Reyneri genannt; die Larven dieser Asceidie sollen zwei Atemsäcke und ein- fache übrige Eingeweide besitzen. Die Bildung dieser Zwillings- form ist nach Macdonald dadurch bedingt, dass eine Seite des Embryos in die beiden Atemsäcke zerfällt, die andere zu den einfachen Eingeweiden sich umbildet. Mit anderen Worten kann die Entwicklung dieses Doppelembryos auf eine unvollständige Teilung des Eies resp. des einfachen Embryos zurückgeführt werden. Die Angaben von Macdonald sind meines Wissens bis jetzt noch nicht bestätigt worden und die Sidney’sche Diplosoma - Art scheint von den europäischen 1) Maedonald, On the anatomical character of a remarkable form of ceompound Tunicata. Trans. Linn. Soc., XXI, part. IV, S. 373—375. E2 9: 132 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. Diplosoma-Arten bedeutend verschieden zu sein, indem bei den letzteren nicht nur zwei Atemsäcke, sondern zwei vollkommen ausgebildete Aseidio- zoiden aus einem und demselben Embryo entstehen. Trotzdem hält Lahille!) diese Form für Diplosoma Listeri, ob mit Recht — das können nur die weiteren Untersuchungen zeigen. Drei Jahre später wurde die Macdonald’sche Entdeckung durch Gegenbaur?) an einer der europäischen Species der Diplosoma (Dideminum gelatino- sum — Diplosoma Listeri) bestätigt. Gegenbaur hat auch die Ent- wicklung von zweien Individuen aus einem Embryo beobachtet und lässt dieselben durch Teilung des einfachen Embryos in zwei Abschnitte entstehen. Nach Gegenbaur sollen die beiden Individuen ungleich entwickelt sein, obgleich sie von Anfang an gleichzeitig in der Larve angelegt waren. Die Untersuchungen von Ganin?), die offenbar nicht vieles zur Kenntnis der Embryonalentwicklung der Diplosomen (Dide- minum gelatinosum) beitragen, haben ihn doch zu dem Schluss geführt, dass die beiden Individuen der Larve nicht durch Teilung sondern durch Knospung auf dem Larvenleibe entstehen und dass der Larven- leib selbst nur im Schwanz und in die anderen temporären Organe sich umwandeln soll. Da der Schwanz der Larve von Diplosoma, wie bei den übrigen Ascidien, während der Metamorphose zerstört wird und die anderen Organe, welche die Larve zusammensetzen, temporär sind, so ergibt sich schon daraus, dass die Larve zu Grunde geht, und nur die von ihm durch Knospung entstandenen Aseidien-förmigen Indi- viduen die Geschlechtsreife erreichen. Daraus schließt man, dass die Entwicklung der Diplosoma einen Generationswechsel darstellt, bei welchem die Larve die holle der Amme, die Aseidien -förmigen Knospen die Rolle der Geschlechtstiere spielen. Es sind aber in der Litteratur noch andere Interprätationen der Larventeile bekannt, welche nur durch Ungenauigkeit unserer Kenntnisse über die Entwicklung der Diplosoma erklärt werden können. So deuten Giard*) und Lahille?°) einen von den Individuen als Embryo resp. als oozoite (nach der französischen Nomenklatur), den anderen als Knospe oder als blasto- zoite, ohne aber irgend welche embryologische Gründe dafür beizu- bringen. Aus dieser kurzen Uebersicht der vorhandenen Litteraturangaben über die ungeschlechtliche Vermehrung der Synascidienlarven geht hervor, dass unsere Kenntnisse darüber durchaus nicht ihren Höhe- punkt erreicht haben, welcher uns erlaubte, die bekannten Thatsachen 1) Lahille, Recherches sur les Tuniciers ete., p. 108 u. 109. 2) Gegenbaur, Ueber Dideminum gelatinosum. Archiv f. Anatomie und Physiologie, 1862. 3) Ganin, Entwicklungsgesch.d. zusammengesetzten Ascidien. Warschauer Universitäts- Nachrichten, 1870. 4) Giard, Recherches sur les synascidies. Arch. de Zool. experimental, T.I. H)rloceit: Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 139 für die Entscheidung der uns interessierende Frage zu benutzen. Die meisten und zwar die wichtigsten Punkte der Entwicklung beider Aseidienarten, der Diplosoma und der Distaplia, sind nicht festgestellt. In Bezug auf die Entwicklung der Distaplia weiß man erstens nicht bestimmt, ob bei den Larven derselben eine einzige Knospe sich ab- trennt, oder ein ganzer Stolo prolifer vorhanden ist; zweitens ist auch das Schicksal der Larve bei der Metamorphose der Distaplia nicht ganz aufgeklärt. Inbezug auf die Entwicklung der Diplosoma ist nicht einmal festgestellt, ob wir es bei dieser Synascidie mit einer Teilung des Embryos, oder mit Knospung desselben zu thun haben. Natür- lieh würde die eine oder die andere von diesen Vermehrungsarten eine große Wichtigkeit für die Deutung des ganzen Entwicklungszyklus und für die Bestimmung der Beziehungen desselben zur Metagenesis der Salpen, Dolioliden und Pyrosomen haben. Die Unbestimmtheit der Angaben in Bezug auf alle hier hervor- gehobenen Fragen einerseits, sowie die Wichtigkeit der Entwicklungs- erscheinungen der erwähnten Asecidien andrerseits, haben mich ge- zwungen, diesen Gegenstand etwas genauer zu untersuchen. Es ist mir gelungen, einige Thatsachen in diesem dunklen Gebiete etwas aufzuklären und ich will die Hauptergebnisse meiner Untersuchungen, so weit dieselbe die uns interessierende Frage betreffen, hier mitteilen. Fangen wir mit der Metamorphose der Distaplia magnilarva an. Die ersten Vorbereitungen zur ungeschlechtlichen Vermehrung bei den Embryonen der Distaplia magnilarva treten beim Embryo auf, weleher durch einen 2 bis 3 Zellenschichtigen mächtigen Cellulose- mantel charakterisiert ist. Der Embryo hat schon die beiden epikar- dialen Röhren ausgebildet, von denen eine nach außen stark wächst bis sie am Ektoderm dicht anliegt. Es bildet sich oberhalb des epi- kardialen Rohrs ein kleiner, aus verlängerten Ektodermzellen bestehender Fleck, weleher mit einer der epikardialen Röhren zusammen die erste Anlage der Proliferationsorgane darstellt. In den meisten Stadien stülpt sich das Ektoderm mit dem darunter liegenden Epikardialrohr immer mehr nach außen; diese Ausstülpung nimmt zuerst eine kugel- förmige, dann länglichovale Gestalt an und schnürt sich allmählich vom Embryo ab. Dies ist die einzige Knospe, die vom Larvenleibe gebildet ist und die später durch weitere Teilung mehreren Knospen den Ursprung gibt. Trotz vieler Bemühungen konnte ich in den späteren Stadien keine Spur von der Ausstülpung bemerken und muss deswegen die Abbildungen von Lahille (vergl. Lahille, Recherches sur les Tuniciers des eötes de France, Fig. SO u. 89), wo neben der abgetrennten Knospe noch eine Ausstülpung dargestellt ist. als nicht naturgetreu bezeichnen. Nach der Abtrennung der Knospe zieht sich das Epikardialrohr der Larve zurück, die Ektodermzellen nehmen ihre ursprüngliche Gestalt an und die Stelle, wo früher die Ausstülpung war, ist nunmehr nicht erkennbar. 134 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. Die erste Knospe, die wir als primordiale bezeichnen können, ent- hält also das Ektoderm und das Entoderm, die in Form von zwei konzentrisch gelagerten Blasen ursprünglich ziemlich dieht aneinander liegen. Vor der Abtrennung der Knospe dringen aber zwischen diese beiden Blasen die Mesodermzellen ein, und gleichzeitig damit bildet sich auch die Anlage des Nervensystems. Das letztere entsteht aus dem Ektoderm und zwar in der Nähe der Abschnürungsstelle der Knospe. Es sind eigentlich nicht mehr als drei Zellen die in die Anlage des Nervensystems sich verwandeln. Sie zeichnen sich durch ihre bedeu- tendere Größe vor den übrigen Ektodermzellen aus, sie liegen zuerst äußerlich, werden aber später durch die Teilungsprodukte der benach- barten Ektodermzellen umwachsen. Die letzteren sind ursprünglich ziemlich dünn, später verdicken sie sich allmählich und werden mit den anderen Ektodermzellen ausgeglichen. Die Umwandlung der Nerven- anlage schreitet von der Peripherie nach dem Zentrum der Nervenan- lage fort, so dass an einigen Präparaten oberhalb der Nervenanlage noch eine kleine Lücke beobachtet wird, welche sich dann durch das Zusammentreffen der Ektodermränder schließt. Die in der Bildung begriffene Knospe ist von der Celluloseschicht umgeben, so dass sienach der Abtrennung in eine Höhle der Cellulose- schicht zu liegen kommt, aus welcher sie durch die Lücken des Cellulosen- mantels ihre Wanderungon unternimmt. Die Richtung, in welcher sie sich bewegt, ist immer dieselbe; sie kommt von ihrer Bildungsstelle in den vorderen Teil der Larve und gelangt bis zu den Fixations- apparat, wo man bei den älteren Larven immer mehrere Knospen zu- sammen antrifft. Während dieser Wanderungen geht die Teilung der primordialen Knospe und auch teilweise die Entwicklung der sekun- dären Knospen vor sich. Die Teilung, welche ziemlich oft zur Be- obachtung kommt, tritt in verschiedenen Formen auf. In einigen Fällen konnte ich Zweiteilung in den anderen Dreiteilung beobachten. In beiden Fällen sind jedoch die sich abtrennenden Knospen wicht gleich- mäßig entwickelt. Immer ist eine von denselben größer und stärker entwickelt als die andere. Bei der Dreiteilung stellt die in der Teilung begriffene Knospe eine Kette von Knospen dar, die ebenfalls nicht gleich- mäßig entwickelt sind. Die beiden Endknospen sind überhaupt stärker entwickelt als die mittlere und doch ist eine von den Endknospen mehr als die andere entwickelt. Die Dreiteilung kann von der Zweiteilung abgeleitet werden, dies geschieht wahrscheinlich dadurch, dass eine von den beiden Knospen, namentlich die schwächer ausgebildete sich zu teilen beginnt, bevor sie von ihrer Schwester vollkommen abge- trennt ist. Ein wesentlicher Punkt des Teilungsvorgangs, auf den ich auf- merksam machen muss, ist der, dass bei der Teilung immer das Nerven- system geteilt wird, so dass die jüngsten Knospen bereits das Nerven- system besitzen, welches sie von ihren Eltern direkt bekommen. Salensky, Entstehung der Metagenesis bei 'Tunicaten. 135 Die Entwieklung der Knospen geht während der Embryonalent- wicklung der Larve vor sich; man trifft bei den Larven die Knospen in verschiedenem Entwicklungszustande; dies hat darin seinen Grund, dass einige von diesen Knospen eben geteilt sind, während die anderen schon einen gewissen Bildungsgrad erreicht haben. Die Hauptmomente der Entwicklung der Knospen, auf die ich hier hinweisen will, beziehen sich hauptsächlich auf das Nervensystem und auf den Entodermsack. Das Nervensystem, welches bei der abgetrennten primordialen Knospe in Form eines Zellenklumpens erscheint, bekommt ziemlich bald eine Höhle und verwandelt sich in ein Rohr. Das Nervenrohr liegt zuerst nicht vollkommen axial, sondern gegenüber derjenigen Stelle, wo der Entodermalsack in zwei Säcke sich teilt; später nimmt es eine axiale Stellung an. Die ersten Veränderungen des Entodermalsackes entsprechen den- jenigen, welche man seit lange als typische für die Knospung der Aseidien betrachtet. Der Entodermalsaeck teilt sich nämlich in die Atemhöhle und in die Peribranchialhöhle, doch geht diese Teilung in einer von der typischen etwas abweichenden Form vor sieh. Er teilt sich nämlich nicht in drei, sondern in zwei ungleiche Teile, von denen der größere die Anlage der Atemhöhle und der rechten Peri- bronchialhöhle, der kleinere nur die linke Peribronchialhöhle darstellt. Erst später tritt eine weitere Teilung des größeren Teiles des primi- tiven Entodermalsackes auf, wodurch die rechte Peribronchialhöhle und die Atemhöhle entstehen. In dieser Beziehung erinnert die Dif- ferenzierung des primitiven Entodermalsackes an die Verhältnisse, welche von Seeliger bei Clavellina beschrieben wurden; die Richtig- keit dieser Angaben wurde aber von E. van Beneden und Julin bestritten. Jedenfalls unterscheiden sich die eben beschriebenen Vor- gänge der Knospung bei Distaplia von denjenigen der Clavellina da- durch, dass die beiden Peribranchialröhren der Distaplia aus zwei selbständig, nur nicht gleichzeitig sich abtrennenden Blasen entstehen, während sie bei der Clavellina nach den Angaben von Seeliger aus einer einzigen zuerst abgetrennten Blase sich entwickeln sollen. Sollten die Angaben von Seeliger bestätigt werden, so bietet Olavellina einen viel größeren Unterschied von dem typischen Verhalten der Peri- branchialröhren als Distaplia dar. Die Larve von Distaplia magnilarva lebt nur kurze Zeit. Bald nach der Fixation und nach dem Verlust des Schwanzes, welcher merkwürdiger Weise nicht eingezogen, sondern einfach abgeworfen wird, treten in der Larve die Degenerationsvorgänge auf. Die letztern äußern sich zuerst in der Dissoziierung der histologischen Elemente der Larve. Die Ektodermzellen treten aus ihren Verband aus, so dass man in den Schnitten schöne isolierte Ektodermzellen antrifft; der Kiemensack fällt zusammen, seine Teile fallen in die Kiemenhöhle ein und liegen dort zerstreut. In die Kiemenhöhle und in den Darmkanal 136 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. dringen amöboid bewegliche Mesenchymzellen hinein, die den ganzen Darmraum bald vollkommen erfüllen. Die Darmwand bleibt wenigstens stellenweise ziemlich lange Zeit intakt. Von der Oberfläche der Larve wachsen sofort verschiedene gestaltete Auftreibungen aus, die mit Mesodermzellen erfüllt sind und dem Larvenleibe immer mehr eine sonderbare Gestalt geben. Die Larve selbst verwandelt sich endlich in einen gebogenen oder selbst verästelten, mit freien Zellen gefüllten Schlauch, in dem nur stellenweise die Ueberreste einzelner Organe (aus Teilen des Darmkanals) angetroffen werden können. Die Phago- eytose spielt bei der Zerstörung der Larvenorgane resp. der histo- logischen Elemente eine wesentliche Rolle, doch will ich hier bei diesem Punkt mich nicht aufhalten, da diese Vorgänge ziemlich kom- pliziert sind und unser Thema nieht direkt berühren. Ich will nur bemerken, dass die freibeweglichen Zellen aus dem zerstörten Larven- leibe teilweise in den Cellulosenmantel, teilweise in die in der Bildung begriffene älteste Knospe hineintreten, welche sich durch einen hohlen Fortsatz mit der Larve während des Zerstörungsprozesses der letz- teren verbindet. Die ersteren von diesen Zellen werden zur Bildung der neuen Schichten des Cellulosemantels verbraucht, welcher während der Metamorphose einen kolossalen Umfang erreicht; die letzteren ver- wandeln sich gewiss in die Mesenchymzellen der Knospen und be- teiligen sich, obgleich indirekt, am Wachstum und an der Ernährung derselben. Gleichzeitig mit den eben beschriebenen Degenerationsvorgängen der Larve schreitet die Ausbildung einer der Knospen allmählich fort. In der Frist von drei Wochen — diese Zeit stimmt vollkommen mit den Angaben von Ulianin überein —, bleibt keine Spur von der Larve übrig und an der Stelle derselben erscheint eine ganze Aseidie, die aus der Knospe sich entwickelt hat und die man leicht, ohne die Zwischenstadien kennen zu lernen, für die umgewandelte Larve an- nehmen könnte, wie es mit Della Valle vorgekommen ist. Im unteren Teile der jungen Distaplia-Kolonie trifft man eine Anzahl verschieden ausgebildeter Knospen, welche offenbar sich zu den neuen Ascidien entwickeln werden. Ob diese Aseidien die Geschlechtsreife erreichen, das konnte ich nicht aus meinen Beobachtungen erfahren und muss in dieser Beziehung auf die Untersuchungen von Ulianin verweisen, der das Gelangen zur Geschlechtsreife von der zweiten Generation der Distaplia behauptet !). So viel über Distaplia. Gehen wir nun zur Entwicklung der Didemniden über. Die Eier von Diplosoma Listeri, die unmittelbar dem Ektoderm des Mutterleibes anliegen, treiben bei ihrem Wachstum die mütterlichen Körperbedeckungen (das Ektoderm mit der mütterlichen Cellulose- 4) Ulianin, Bemerkungen über die Synaseidiengattungen Distaplia D. V. Zool. Anzeiger, Bd. VIII, S. 42. Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 137 schicht) nach außen resp. in die gemeinschaftliche Kloakenhöhle her- vor. Das Ei, welches inzwischen seine Reife erreicht, scheint schließlich nur mittels eines kurzen aus dem Ektoderm und aus der Celloloseschicht bestehenden Stieles mit dem Mutterleibe verbunden. Der Verbindungs- stiel wird abgeschnürt und das Ei gelangt in die gemeinschaftliche Kloakalhöhle, an deren unterer Wand es mit seiner Cellulosenhülle sich befestigt. Es ist also von außen durch die Celluloseschicht umgeben, auf der weiter die Ektodermschicht folgt, welche unmittelbar die Eizelle mit der sie umgebenden follikulären Hülle anliegt. Ich konnte niemals eine Berstung der mütterlicehen Körperbedeekungen beobachten, welche nach Lahille (vergl. 1. e. S. 121) zum Austreten der Eier aus dem Mutterleibe geschehen soll. Es ist sehr wahrschein- lich, dass die Befruchtung in der gemeimschaftlichen Kloakenhöhle zu stande kommt. Die Furchung des Eies ist in den ersten Stadien regulär. Nach der 8. Teilung sind aber schon die Blastomeren verschieden, es tritt eine Epibolie auf, die zur Bildung einer epibolischen Gastrula fährt. Das Embryo nimmt eine länglichovale und dann eine birnförmige Gestalt an. Im hinteren Teile desselbeu differenziert sich ein Haufen von Entodermzellen, welcher die Anlage der Chorda darstellt. Die peripherischen Schichten des Entoderms teilen sich schneller als die zentralen; sie bilden das Mesoderm, dessen Form und Entwicklung, ziemlich kompliziert sind und deswegen hier nicht erörtert werden können. Die übrig bleibende innere Zellenmasse der Gastrula stellt das Entoderm dar. Gleichzeitig mit der Differenzierung der Chorda- zellen bildet sich am hinteren Ende des Embryos eme axial gelegene plattenförmige Ektodermverdiekung — die Nervenplatte —, welche nach vorne wächst und schließlich in das Nervenrohr sich verwandelt. Viel wichtiger für unsere Zwecke sind die weiteren Entwicklungs- vorgänge des Diplosoma-Embryos, auf die wir hier etwas näher ein- gehen wollen. Sie betreffen zunächst das Entoderm und bestehen in der Bildung der Darmhöhle. Im Stadium nämlich, wo der Schwanz noch als ein plumper Fortsatz am hinteren Teile des Embryos erscheint und das Nervenrohr noch auf seiner ganzen Länge gleichmäßig ent- wickelt ist, erscheint im Rückenteile des Entoderms eine kleine, von Epithelzellen begrenzte Höhle, die eben die primitive Darmhöhle dar- stellt. Dieselbe besteht bereits von ihrem Ursprung an aus zwei syın- metrisch gestalteten blinden Schläuchen, die axial durch einen viel engeren mittleren Teil verbunden sind. Der nach der Bildung der primitiven Darmhöhle übrig bleibende Teil des Entoderms erscheint in Form eines Zellenklumpens, welcher dem prägastralen Entoderm der Distaplia (vergl. Davidoff, Entwicklungsgeschichte der Distaplia magnilarva in Mitteilung der zoolog. Studien in Neapel, Bd. IX) ent- spricht und deswegen mit denselben Namen bezeichnet werden kann. In einem etwas weiter vorgeschrittenem Stadium wird die Symmetrie 138 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. der primitiven Darmhöhle dadurch gestört, dass einer von den lateralen Sehläuchen derselben, namentlich der linke, einen blinden Fortsatz nach hinten abgibt. Es entstehen dadurch aus dem linken Schlauche zwei Schläuche: ein vorderer und ein hinterer, die weiter sich in ver- schiedener Weise entwiekeln. Den vorderen werde ich als Kiemen- schlauch, den hinteren als Magenschlauch bezeiehnen. Gleich- zeitig damit treten auch im Nervenrohr wichtige Vorgänge auf, indem der vordere Teil derselben eine linkswärts gerichtete saekförmige Aus- stülpung bildet, die die Anlage der Sinnesblase darstellt. Die beiden Imken Schläuche, sowie der rechte, den wir als Darm- schlauch bezeichnen werden, wachsen in den weiteren Stadien nach hinten und bauchwärts; die ersteren bleiben einander parallel und an- genähert. Im Stadium wo die Fixationsorgane in Form von drei scheibenförmigen Ektodermverdiekungen angelegt erscheinen, ist das Wachstum derselben so weit fortgeschritten, dass die drei Schläuche sich schon mit ihren ventralen blinden Enden berühren. Inzwischen treten auch wichtige Formveränderungen in den Darmhöhlenschläuchen und im Nervensystem auf. Die hintere Wand des Kiemenschlauches bildet namentlich zwei kleine konische Ausstülpungen, von denen eine in der Mitte, der andere am distalen resp. bauchwärts gerichtetem Ende sich befindet. Die beiden Ausstülpungen, die ich als Oesophageal- säcke bezeichnen will, sind mit ihren blinden Enden dem Magenschlauch zugerichtet. Der Kiemenschlauch selbst erscheint in seiner Mitte, vor resp. bauchwärts von der ersteren Ausstülpung etwas abgeschnürt. Eine solche Abschnürung tritt an der entsprechenden Stelle auch an dem entsprechenden Darmschlauche auf. In Folge dessen besteht jeder der beiden lateralen Schläuche, der primitiven Darmhöhle, aus zwei mit einander verbundene Abteilungen: einer dorsalen und einer ventralen, welche die Anlagen der verschiedenen Teile des Kiemen- darmapparates von zwei im Embryo entstehenden Aseidiozoiden dar- stellt. Die Rückenteile der beiden Schläuche bilden die Anlagen des Kiemensackes (nebst peribranchialen Höhlen und des Oesophagus) und Darmes des rückwärts gelegenen Individuums, die Bauchteile — die Anlagen der nämlichen Organe des bauchwärts gelegenen Individuums. Der Magenschlauch stellt die Anlage der Mägen für die beiden Indi- viduen dar. Die weiteren Entwieklungsvorgänge bestehen in der Ver- wachsung aller hier beschriebenen Anlagen der einzelnen Teile des Kiemendarmapparates. Bevor wir zu diesen übergehen, müssen wir eine eigentümliche Bildung des Nervensystems erwähnen, welche mit der Entwieklung der beiden Ascidiozoiden-Embryonen in Beziehung steht. Es ist namentlich ein Nerv, oder vielmehr ein hohler Fortsatz des Nervenrohres, welcher von der linken Seite des letzteren abgeht und oberhalb des Magenschlauches nach der Bauchseite verläuft. An seiner Ursprungsstelle ist dieses laterale Nervenrohr birnförmig er- weitert; die Höhle dieser Erweiterung ist so bedeutend, dass sie bei Salensky, Entstehung der Metagenesis bei 'T'unicaten. 139 den totalen Ansichten des Embryos leicht unterschieden werden kann. Die Höhle des lateralen Nervenrohres tritt selbst an den Schnitten sehr deutlich hervor. Das Vorkommen des eben beschriebenen Nerven- rohrs ist eine Eigentümlichkeit der Embryonen von Diplosoma, welche nur durch eigentümliche Entwicklung dieser Synascidie erklärt werden kann. Sonst konnte ich eine ähnliche Bildung bei keiner von mir untersuchten Aseidie, selbst nicht bei den verwandten Arten finden. Aus den späteren Stadien erweist sich, dass dieses Nervenrohr den Ursprung des Nervensystems des bauchständigen Individunms gibt. Die Verwachsung der Teile des Kiemendarmapparates muss sich ziemlich schnell vollenden, wenn man wenigstens die Aufeinanderfolge der Entwicklungsstadien nach der Entwicklung des Fixationsapparates beurteilt. Bei den Embryonen, bei denen die saugnapfförmigen Organe in Gestalt kleiner kugelförmiger Ausstülpungen des Ektoderms er- scheinen, ist die Verwachsung bereits vollendet. Sie besteht darin, dass die blinden Enden des Magenschlauches und des Kiemenschlauches auf der Bauchseite des Embryos zusammentreften und sich zusammen- löten. Die Wände beider Säcke werden dabei immer dünner und dünner, sie bilden noch zeitweise eine schräg verlaufende Scheidewand zwischen den Höhlen beider Säcke; schließlich verschwindet auch diese Scheidewand und die beiden Höhlen fließen zusammen. Was den Bauchteil des Kiemenschlauches anbetrifft, so tritt derselbe nie weder mit dem Magen- noch mit dem Darmschlauch in Verbindung. Sein Ende wird fadenförmig ausgezogen und damit wird dasselbe mit den Wänden des Magen- und Darmschlauches, gerade an der Ver- bindungsstelle dieser beiden, angelötet. Es scheint, dass dieser Teil des Kiemenschlauches später der regressiven Metamorphose unter- liegen soll. Während ein solches Zusammenfließen der Magen- und Darm- schläuche vor sich geht, treten im Kiemenschlauche weitere Differen- zierungen hervor. Erstens muss notiert werden, dass die oben erwähnte Abschnürung, durch welche sich derselbe in die Anlagen der beiden Kiemensäcke verwandelt, immer tiefer wird, während seine beiden Teile im Gegenteil sich erweitern. Zweitens bilden sich auf jedem Kiemensack je zwei laterale Ausstülpungen, welche die bekannten, bei allen Ascidien vorkommenden Anlagen der peribranchialen Höhlen darstellen. Durch die Verwachsung der Bauchenden der Magen- und Darm- schläuche verwandelt sich die ganze primitive Anlage der Darmhöhle in einen ringförmigen Schlauch, welcher in seinem mittleren Teile ab- geschnürt ist und nach vorne mit einem halbringförmigen Schlauch — mit dem Kiemensack — in Verbindung steht. Der letzte bildet schon ziemlich frühe, wie wir gesehen haben, zwei Oesophageal- ausstülpungen, die sich nach hinten resp. zum Magensack verwachsen. Sie erreichen den Magensack und schmelzen mit demselben zusammen. 140 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. Durch diesen Vorgang, weleher zur Bildung von ösophagealen Röhren der beiden Individuen führt, wird das Verwachsen aller ursprünglich abgetrennten Teile des Darmkanals noeh nicht vollendet. Die Anlagen der Kiemendarmapparate der beiden Individuen stellen halbzirkelförmige Schläuche dar, an denen schon verschiedene Teile (Kiemensack, Magen und Darm) differenziert sind; es fehlen aber an beiden noch die Ver- bindungen der rechten (Darmschlauch) mit den linken (Magenschlaueh) Schläuchen und dadureh ist die Kontinuität aller dieser Teile des Kiemendarmapparates noch nicht vollkommen hergestellt. Beim rück- ständigen Individuum fehlt namentlich die Verbindung des Magens mit dem Darm, obgleich die Verbindung des Hinterdarmes mit den Peri- branchialräumen bereits vorhanden ist; bei dem bauchständigen Indi- viduum sind die Verhältnisse entgegengesetzt, indem sein Magen mit dem Darme bereits verbunden ist, während die Verbindung des Hinter- darmes mit den Peribranchialräumen noch fehlt. Durch die weitere Entwickluug der mittleren Abschnürung des Darmschlauches wird der letztere in zwei bogenförmig gekrümmte Schläuche geteilt, von denen einer mit den rückständigen, der andere mit dem bauchständigen In- dividuum verbunden ist. Die beiden besitzen blindgeschlossene freie Enden, mit welchen sie dann zu den entsprechenden Organen der linken Seite hin wachsen und sich mit denselben verbinden. Der rück- ständige Schlauch verbindet sich mit den Magen der entsprechenden rechten Seite, der bauchständige wächst rechtwärts, bis er mit der peribranchialen Höhle des entsprechenden Individuums zusammentrifft und in dieselbe resp. in der Kloakenhöhle sich öffnet. Während der beschriebenen Entwieklungsvorgänge der Kiemen- darmapparate der beiden Individuen geht auch die Ausbildung des Nervensystem bei denselben vor sich. Das letztere besteht aus dem axial gelegenen Nervenrohr, welches vorne in der Darmhöhle des rückständigen Individuums sich öffnet, und aus den für die Aseidien charakteristischen Teilen: der Triehterblase, der Sinnesblase und dem Rumpfganglion besteht. Außerdem haben wir noch ein laterales Nerven- rohr erwähnt, welches oberhalb des Magenschlauches verläuft. Die Anlage des Nervensystems des rückständigen Individuums ist durch die erwähnte Gesichtsblase dargestellt; es soll noch das definitive Ge- hirnganglion sich bilden, welches durch die Verdiekung der Wände der Trichterblase entsteht. Die Sinnesblase bleibt während der embryo- nalen Entwieklung vorhanden, wird aber während der Metamorphose abgeworfen. Das Nervensystem des bauchständigen Individuums bildet sich aus dem eben besprochenen lateralen Nervenrohr, indem das letzte emen Fortsatz zu der Kiemenhöhle dieses Individunms abschickt, welcher mit der Kiemenwand verwächst und in der Kiemenhöhle sich öffnet. Dadureh entsteht die Triehterblase, auf deren Wand, durch Verdickung derselben, das Gehirnganglion sich bildet. Der Bauchteil des lateralen Nervenrohres scheint in den visceralen Nerv des bauch- ständigen Individuums sich umzubilde» Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 141 Ueber die Entwicklung des Herzens bin ich noch nicht ganz klar und will deswegen vom Referieren meiner Untersuchungen in dieser Beziehung abstehen. Wenn wir auf Grund der eben erörterten Entwicklungsvorgänge uns die Frage stellen: ob die beiden Individuen eines Doppelembryos der Diplosoma Listeri durch Teilung oder durch Knospung aus dem zuerst einfachen Embryo entstehen? — so muss man zugeben, dass bei der Beantwortung dieser Frage uns einige Schwierigkeiten entgegen- treten. Die Abschnürung der beiden Schläuche der primitiven Darm- höhle zum Zweck der Bildung verschiedener Teile des Kiemendarm- apparates jeden Individuums weist oflenbar auf den Teilungsprozess hin. Wir begegnen uns aber bei der Entwicklung der beiden Indivi- duen mit so eigentümlichen und komplizierten Vorgängen (z. B. die separaten Magenanlagen), die außerdem eine gewisse Aehnlichkeit mit den Knospenvorgängen der Diplosoma Listeri, wie die letzteren aus den Untersuchungen von Della Valle und Ganin erkannt sind, zeigen. Diese letzterwähnten Entwicklungsvorgänge beeinflussen jeden- falls die aus den Thatsachen gezogenen Schlüsse und machen die Entscheidung der oben gestellten Frage unsicher. Zwischen den Didemniden gibt es bekanntlich mehrere Arten, die keinen doppelten, sondern einen einfachen Embryo bilden. Die Entwicklung dieser Arten schien mir von vornherein für die sichere Entscheidung der oben auf- gestellten Frage besonders wichtig und ich unternahm namentlich die Untersuchung der Entwicklung eines von diesen Arten, namentlich des Didemnum cereum, welches zu den gewöhnlichsten Synascidienarten der Bucht von Ville franche gehört. Ich gelangte zu den folgenden Resultaten. Die Eifurchung, Bildung der Keimblätter und der ersten Organe geht bei Didemnum cereum genau in derselben Weise wie bei Diplo- soma Listeri vor sich. Im Innern des Entoderms bildet sich die primitive Darmhöhle, welche dieselbe Stellung wie bei Diplosoma ein- nimmt und aus zwei symmetrisch gestalteten Schläuchen besteht. Die weiteren Entwicklungsvorgänge in der Darmhöhle sind denjenigen der Diplosoma Listeri vollkommen ähnlich. Es bildet sich namentlich ein hohler Fortsatz des linken Schlauches der primitiven Darmhöhle, welcher die Anlage des Magens darstellt; die drei Schläuche der Darm- höhle stellen die Anlage derselben Organe dar, die wir bei der Diplo- soma gesehen haben: aus dem vorderen linken Schlauche entsteht der Kiemensack mit den dazu gehörenden peribranchialen Höhlen, aus dem hinteren der Magen; der rechte Darmhöhlenschlauch stellt die Anlage des Darmkanals dar. Alle diese Teile verwachsen mit ein- ander, genau in derselben Weise, wie bei Diplosoma Listeri. Mit einem Worte sind die Entwicklungsvorgänge des Didemnum cereum denjenigen der Diplosoma Listeri vollkommen ähnlich, aber mit dem Unterschiede, dass bei dem ersten aus der ganzen Darmanlage nur em einziges In- 142 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. dividuum, und nicht zwei, wie bei letzterem entsteht. Dieser Unterschied ist dadurch bedingt, dass bei Didemnum keine Teilung der primitiven Darmschläuche zu stande kommt. In Uebereinstimmung damit bildet sich bei Didemnum auch kein laterales Nervenrohr, welches bei Diplo- soma die Anlage des Nervenganglions des bauchständigen Individuums giebt. Der Vergleich der Entwicklungsvorgänge der Diplosoma Listeri nit denjenigen des Didemnum cereum stellt uns den festen Boden für die Beurteilung der Bildung des Doppelembryos bei der ersten dar. Es lässt uns den sicheren Schluss ziehen, dass der Doppelembryo der Diplosoma nicht durch Knospung sondern durch Teilung des anfäng- lieh einfachen Embryos entsteht. Da wir dabei keine Spur von einen Wechsel der ungeschlechtlichen und geschlechtlichen Generation haben, so sind wir berechtigt die Angehörigkeit der Fortpflanzung der Diplo- soma aus der Reihe metagenetischer Erschemungen vollkommen aus- zuschließen. Zwischen den Synaseidien bleiben also nur Distaplia, welche ihrer Entwicklung nach in gewissen Beziehungen zur Metagenesis steht. Wir wollen nun diese Beziehungen etwas näher betrachten. Aus den hier mitgeteilten Thatsachen über die Knospung der Larve von Distaplia geht hervor: 1) dass die Proliferation der Larve durch ein Organ (in physiologischem Sinne) sich vollzieht, welches nur kurze Zeit am Larvenleibe bleibt, sich sehr frühzeitig abtrennt und eine große Aehnlichkeit mit der jungen Aseidienknospe hat; 2) dass die primordiale Knospe sich auf der Banchseite des Larvenleibes bildet und ihrer Lage nach mit dem Stolo prolifer der Dolioliden, Pyrosomen und Salpen übereinstimmt; 3) dass die Knospe sich dadurch von den Knospen anderer Synascidien unterscheidet, dass sie sich teilen kann, und in dieser Beziehung eine große Aehnlichkeit mit dem Stolo prolifer der metagenetischen Tunicaten darstellt und 4) dass die die primordiale Knospe produzierende Larve der Distaplia sehr bald nach ihrer Fixation abstirbt ohne Geschlechtsorgane zu entwickeln; sie stellt also eine ungeschlechtliche Generation dar, welche mittels Knospung eine Reihe geschlechtlicher Generationen zu produzuieren im stande ist. Der Entwicklungszyklus der Distaplia soll deswegen als Generationswechsel betrachtet werden; er hat aber einige wichtige Eigentümlichkeiten, die wir besonders hervorheben müssen, da sie auf einen primitiven Charakter dieser Entwicklungsart, im Verhältnis zu den exquisiten Formen der Metagenesis hinweist. In erster Linie ist es die frühzeitige Abtrennung der primordialen Knospe und Teilung derselben außerhalb des Larvenkörpers auf die man aufmerksam machen muss. Wenn diese Knospe nicht die Fähigkeit sich zu teilen und durch Teilung neue Generationen der Knospen zu produzieren gehabt hätte, so müssten wir sie ohne Rücksicht für eine einfache Knospe halten, die nur durch ihre frühzeitige Abtrennung von den Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 149 Knospen anderer Synascidien sich unterscheidet. Wenn sie andrerseits vom Larvenkörper sich nicht abtrennen und doch im stande wären sich durch Teilung zu vermehren, so hätten wir vor uns einen Stolo pro- lifer, welcher in allen wesentlichen Punkten mit demjenigen des Dolio- lums und Verwandten übereinstimmen würde. Die primordiale Knospe der Distaplia vereinigt zu gleicher Zeit die Eigenschaften einer Synas- eidienknospe mit derjenigen des Stolo prolifer; sie stellt also eine Uebergangstorm zwischen diesen zweien Arten der ungeschlechtlichen Vermehrung vor, und darin liegt das große Gewicht, weiches sie für die Frage über die Entstehung der Metagenesis repräsentirt. Sie stellt ihrem Bau und ihrer weiteren Entwicklung nach eine vollkommene Homologie mit den Synaseidienknospen dar, da sie ebenfalls wie diese letzteren aus einer Ausstülpung des Ektoderms und des Entoderms ent- steht, und durch genau dieselben Entwicklungsvorgänge wie bei den Synaseidienknospen zur Bildung der Organe gelangt. Sie besitzt aber die Teilungsfähigkeit, welche bei den übrigen Synaseidien nicht vor- kommt. Wie ist dieselbe entstanden? Bei der Beantwortung dieser Frage können uns einerseits die Knospungsvorgänge der Synaseidien andrerseits die Eigentümlichkeiten der Teilung der Knospen von Distaplia helfen. Es ist bekannt, dass bei mehreren Synaseidien die Proliferation durch Knospung sehr frühzeitig eintritt. Bei den Botrylliden treten die Tochterknospen in einem sehr jungen Entwicklungsstadium der Mutterknospe auf; dieselbe Erscheinung kann ebenfalls bei den Didem- niden und bei den Diplosomiden beobachtet werden. Ich habe schon oben aufmerksam gemacht, dass bei der Teilung der primordialen Knospe, sowie der sekundären, tertiären ete., die beiden Abkömmlinge der Knospe immer ungleich sind; eine von den entstehenden Knospen ist immer bedeutend größer und stärker entwickett, als die andere. Diese Eigentümliehkeit tritt so regelmäßig bei der Knospung hervor, dass man keine einzige in der Teilung begriffene Knospe antrifft, welche in zwei gleiche Hälften sich teilte. Diese Art der Teilung ist offenbar sehr ähnlich der Knospung; freilich können bei den Tochterindividuen keine Neubildungen der Organe beobachtet werden, wie es bei der Knospung der Fall sein muss; es ist auch dabei kein großer Unter- schied in der Organisation zwischen Mutterknospe und der Tochter- knospe vorhanden, aber wir müssen beachten, dass die Mutterknospe in dem Stadium, wo sie sich zu teilen beginnt, überhaupt eine ziem- lich einfache Organisation hat und deshalb kann überhaupt kein so großer Unterschied zwischen der Mutter- und der Tochterknospe er- wartet werden wie der, welchen man bei der Knospung der Botryl- liden und Didemniden beobachtet. Der Größenunterschied zwischen den beiden Abkömmlingen der Mutterknospe kann meiner Meinung nach nur dadurch erklärt werden, dass wir bei der Proliferation der Knospen nicht mit reinen Teilungsvorgängen, sondern mit der Ueber- ‚gangsform zwischen Teilung und Knospung zu thun haben. Da alle 144 Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. H übrigen Synascidien nur durch Knospung und nicht durch Teilung sich ungeschlechtlich vermehren, so ist es sehr wahrscheinlich, dass die Teilung der Knospen von Distaplia aus der Knospung ent- standen ist. Eine andere Erscheinung, die den Generationswechsel der Dista- plia von dem der anderen metagenetischen Tunikaten unterscheidet, ist namentlich der Zerfall des Larvenleibes, welcher schon m den ersten Tagen der Metamorphose beginnt. Während bei den Salpen und Dolioliden die Amme sehr lange lebt und immer neue und neue Individuen produziert, geht die Amme resp. die Larve der Distaplia zu Grunde, nachdem sie nur eine einzige Knospe geliefert hat. Eine ähnliche Erscheinung treffen wir bei Pyrosoma, bei welcher die Amme resp. der Cyathozoid schon während der embryonalen Entwicklung zerfällt. Die Amme der Pyrosoma stellt aber von Anfang an ein sehr stark degeneriertes Tier dar, die jedenfalls zum selbständigen Leben vollkommen unfähig ist. Die Larve der Distaplia ist im Gegenteil viel höher organisiert als manche übrigen Ascidienlarven und doch geht sie zu Grunde. Das Absterben resp. der Zerfall der Individuen der ersten Generation schemt überhaupt bei den Synascidien sehr ver- breitet zu sein, wenn wir an die Entwicklungsverhältnisse des Bo- tryllus erinnern, bei welchem eine ganze Folge der Generationen zer- fällt. Worin der physiologische Grund dieser Erscheinung liegt, ist schwer zu entscheiden. Wir müssen uns mit der Konstatierung der Sache begnügen, welche jedenfalls die Vermutung zulässt, dass der Zerfall der Larve bei Distaplia von den anderen Synaseidien geerbt wurde. Es ist weiter sehr wahrscheinlich, dass diese Erscheinung auch die echten metagenetischen Tunicaten geerbt haben. Seit den Untersuchungen von Krohn und Gegenbaur ist es bekannt geworden, dass die Ammengeneration des Doliolum nur einige von ihren Organen (den Darmkanal, die Kiemen) verliert. In der letzten Zeit wurden diese Angaben durch Grobben und Ulianin voll- kommen bestätigt und die Degenerationsvorgänge genauer untersucht. Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass bei der ausgebildeten Amme nur einige Organe (das Nervensystem, das Herz und die Mus- kulatur) intakt bleiben; die Ernährungsorgane zerfallen in ihre ein- zelnen Elemente, die nach Ulianin sich amöboid bewegen und teil- weise in die Blutkörperchen verwandeln. Man kann kaum eine phy- siologische Ursache für diese sonderbare Erscheinung finden. Das Tier, welches eine so ungeheure Menge von Knospen produziert und also eine ungeheure Masse von Material dazu verbrauchen muss, wie die Doliolum-Amme, soll auch besser als sonst ernährt werden. Wir sehen aber gerade das Gegenteil; anstatt seine Ernährungsorgane zu entwickeln, verliert sie dieselben gänzlich. Es müssen dazu andere Gründe vorhanden sein als die rein physiologischen, und wir können sie leicht finden, wenn wir den Entwicklungszyklus des Doliolum von Salensky, Entstehung der Metagenesis bei Tunicaten. 145 dem der Distaplia ableiten. Die Degenerationsvorgänge des Doliolum stammen von denjenigen der Distaplia ab und stellen eine phylo- genetische Erbschaft von dieser letzteren dar. Sie unterscheiden sich auch von den letzteren, indem beim Doliolum nicht der ganze Ammen- leib, wie es bei der Distaplia der Fall ist, sondern nur einzelne Or- gane zerfallen. Die Organe des animalen Lebens (das Nervensystem und die Bewegungsorgane) unterliegen nicht nur nieht dem Zerfall, sondern nehmen in ihrer Größe und in ihrer Entwicklung zu. Der Uebergang von dem totalen Zerfall der Distaplia-Amme zur partiellen der Amme von Doliolum wird uns verständlich, wenn wir die Funktion dieser beiderlei Ammen mit einander vergleichen. Die Larve (Amme) der Distaplia produziert während des embryonalen Lebens nur eine einzige Knospe und damit wird ihre Proliferationsthätigkeit abgeschlossen. Der ganze Zweck ihres weiteren freien Lebens besteht nun in der Fixation und in der Entwicklung der Kolonie, für welche das Material in der primordialen Knospe schon angegeben ist. Die Amme des Doliolum, anstatt eine einzige Knospe zu produzieren, bildet eme ganze Reihe derselben; zu diesem Zweck besitzt sie einen Stolo prolifer, welcher eine mehr oder minder lange Zeit fortwährend thätig ist und durch seine Thätigkeit das dauerhafte Leben der Amme bedingt Der partielle Zerfall der Organe der Doliolum-Amme weist beim Vergleich mit der totalen der Distaplia-Amme darauf hin, dass mit der Ent- wicklung des Generationswechsels bei Tunicaten das Leben der Amme immer dauerhafter wird. In den ersten phylogenetischen Entwick- lungsstadien wird diese Amme teilweise degeneriert, indem sie ihre Ernährungsorgane verliert und nur die für ihr Leben unumgänglich notwendigen Organe des animalen Lebens bewahrt. Bei der weiteren Entwicklung der Metagenesis, welche wir bei den Salpen antreffen, werden auch die Ernährungsorgane bei der Amme zeitlebens kon- serviert. Als Resume will ich folgende Sätze aufstellen: 1) Die Urform der Metagenesis der Tunicaten ist in denjenigen Synaseidienarten dargestellt, welche im Larvenzustand sich un- geschleehtlich zu vermehren befähigt sind. 2) Zwischen den bekannten Synascidien stellt nur die Distaplia einen Generationswechsel dar, während die Entwicklung der Di- demniden in keiner Beziehung zum Generationswechsel steht. 3) Die primordiale Knospe der Distaplia-Larve soll als eine Ueber- gangsform zwischen der einfachen Knospe und dem Stolo pro- lifer der metagenetischen Tunicaten betrachtet werden. 4) Der Stolo prolifer ist aus der Knospe entstanden, die vor der Abtrennung vom Mutterleibe sich zu teilen resp. zu knospen be- gann. 9) Bei den ältesten metagenetischen Formen sollte die Amme nach der Produktion der geschlechtlichen Generation resp. der Knospen XIII. 10 446 Braem, Keimbezirke und entwicklungsinechanische Studien von Driesch. absterben; bei der weiteren Entwicklung der Metagenesis wird das Leben der Amme immer mehr dauerhaft. Doliolum stellt in dieser Beziehung eine Uebergangsform zwischen den Syn- ascidien und den Salpen dar. Odessa, den 3./15. Januar 1893. Das Prinzip der organbildenden Keimbezirke und die ent- wicklungsmechanischen Studien von H. Driesch. Von Dr. F. Braem in Breslau. Die sehr imteressanten „entwicklungsmechanischen“ Untersuchungen von Driesch haben den Verfasser zu Schlüssen angeregt, die er für Thatsachen ausgibt und die zu den Anschauungen, welche man auf Grund früherer entwicklungsgeschichtlicher Befunde sich bilden durfte, zum Teil in schroffem Widerspruch stehen. Es sei mir erlaubt, gegen die Behauptungen Driesch’s Einiges in Erinnerung zu bringen. In seiner zweiten Mitteilung (Ztschr. f. wiss. Zool. Bd. 55, 5. 17. 1592) behandelt Drieseh das Verhalten der in Entwicklung begrif- fenen Eier von Echinus microtuberculatus bei Druckwirkung. Er er- zeugte die letztere dadurch, dass er ein Stück von einer mittelstarken Borste quer auf den Objektträger legte, dem einen Ende desselben genähert. Er brachte dann einen Haufen Eier mit der gehörigen Menge Seewasser etwa in die Mitte des Objektträgers und legte ein rechteckiges Deckglas auf Eier und Borste. Die Eier waren also zwischen zwei gegen einander geneigten Glasplatten eingezwängt. In Fällen, wo die Membran des Eies durch den Druck gesprengt war, entwickelte sich statt des normalen S- Stadiums eine einschichtige Zellplatte in Form eines Rechtecks, dessen eine Seite von 2, dessen andere von 4 Zellen gebildet wurde. Nach Aufheben des Druckes rundeten sich die einzelnen Zellen, die zuvor dicht an einander ge- presst lagen, ab und trennten sich demgemäß bis auf einen gewissen Grad von eimander, behielten aber im Uebrigen ihre frühere Stellung bei (Driesch Fig. 59). Indem sieh sodann jede der 8 Zellen senk- recht zur Ebene der Platte teilte, entstand das 16-Stadium (Fig. 60). Die weiteren Teilungen erfolgten tangential und so resultierte das Blastula - Stadium. „Die Thatsache nun, sagt Driesch a. a. O. S. 22, dass sich Sta- dien wie die in Fig. 59 und 60 dargestellten, welche sich senkrecht zu der durch sie bestimmten Ebene teilen und so eine doppelschichtige Platte von je acht Zellen in einer Schicht bilden, dass sich diese zu normalen Plutei zu entwickeln vermögen, widerlegt für die Echiniden die Lehre von der spezifischen Bedeutung der einzelnen Furchungs- zellen, oder anders gesagt, das His’sche Prinzip der Keimbezirke de- finitiv.“ Braem, Keimbezirke und entwicklungsmechanische Studien von Driesch. 147 Drieseh nimmt nämlich an, dass ohne Druckwirkung die 4 mittleren Zellen der Szelligen Platte „einen Kranz bilden würden, sagen wir den oberen; die je zwei seitlichen Zellen würden unter ihm sich zum Kranze ordnen und den unteren Pol bestimmen: es ist also zunächst klar, dass dasjenige, was unten hingehört, seitlich liegt, sowie ferner, dass das, was zusammengehört, getrennt liegt.“ Da nun im Verlauf der Entwicklung der Szelligen Platte die 4 mittleren Zellen thatsächlich beide Pole des Ganzen bilden, so gelangt Driesch zu dem Schluss: „Was einen Pol bilden sollte, bildet die beiden Seiten, und was den anderen Pol bilden sollte, das bildet beide Pole.“ Damit wäre nun allerdings der weitere Schluss gerechtfertigt, „dass die Furchungskugeln der Echiniden als em gleichartiges Ma- terial anzusehen sind, welches man in beliebiger Weise, wie einen Haufen Kugeln durcheinander werfen kann, ohne dass seine normale Entwicklungsfähigkeit darunter im mindesten leidet“ (5.25), und das Prinzip der organbildenden Keimbezirke wäre, wie Driesch will, wi- derlegt. Alles dies wäre richtig, wenn die Voraussetzung richtig wäre, dass die SZellen der unter dem Einfluss des Druckes gebildeten Platte den Furchungskugeln des normalen 8-Stadiums äquivalent wären. Driesch hält dies für selbstverständlich. Ich glaube das Gegenteil. Die Kernspindeln der unter Druck befindlichen Zellen lagern sich in der Richtung des geringsten Widerstandes, paraliel zur drückenden Fläche. Die Furchen verlaufen demgemäß zur drückenden Fläche senkrecht. Dies gilt als Fundamentalgesetz für die unter Druck sich abspielende Furchung, wie Driesch selbst betont. Die Teilungs- ebenen sind dadurch vorweg an eine ganz bestimmte, willkürlich gegebene Richtung gebunden. Ist nun die Eiaxe, wie es fast stets der Fall sein wird, mehr oder weniger gegen die drückenden Flächen geneigt, so werden nur die 4 ersten Zellen den Furchungskugeln des normalen 4-Stadiums ent- sprechen können, und auch dies nur unter der Bedingung, dass die drückenden Flächen einander parallel sind. Nur die beiden ersten Furchen können, indem sie das Ei meridional teilen, zugleich auf der drücken- den Fläche senkrecht stehen !). Die dritte Furche, welche das 8-Sta- 4) Im Falle die Eiaxe zur drückenden Fläche senkrecht gerichtet war, werden die Furchungszellen ihre normale Stellung in der Quincunx beibehalten. Falls dagegen die Eiaxe im spitzen Winkel gegen die drückenden Flächen geneigt war, werden die Furchungszellen sich einzeln in einer Flucht neben einander lagern müssen, wie solches in den Figuren 56 u. 57 bei Driesch geschehen ist. Denn da auch die zweite Meridianfurche auf der drückenden Fläche senkrecht steht, so kann sie die beiden Zellen des 2-Stadiums nicht, wie es normal wäre, in einer zur ersten Furche senkrechten Ebene teilen, sondern sie muss jede Zelle einzeln in einer der ersten Furche parallelen Ebene klüften, woraus denn mit Notwendigkeit jenes stabförmige 4 Stadium, 19° 448 Braem, Keimbezirke und entwicklungsmechanische Studien von Driesch. dium herbeiführt und normalerweise die animale Hälfte des Eies von der vegetativen trennt, wird diese Trennung bei dem unter Druck befindlichen 4-Stadium nicht herbeiführen können, weil sie nicht äquatorial, nicht senkrecht zur Eiaxe, sondern senkrecht zur drückenden Fläche verläuft. Eine Ebene kann nicht gleichzeitig senkrecht auf einer anderen Ebene und senkrecht auf einer diese Ebene schneidenden Geraden stehen. Es werden also die Konsti- tuenten der unter Druck gebildeten Szelligen Platte den Zellen des normalen S-Stadiums nicht entsprechen können, weil durch den Druck die Trennung der animalen von der vegetativen Hälfte unmöglich gemacht war. Nur im Falle die Eiaxe genau parallel der drückenden Fläche lag, könnten die Konstituenten des resultierenden S-Stadiums den Konstituenten des normalen 8-Stadiums äquivalent sein. Denn nur in diesem Falle könnte die Aequatorialfurche die Bedingung erfüllen, auf der drückenden Fläche senkrecht zu stehen. Nun sind aber die drückenden Flächen bei Driesch nicht pa- rallel, sondern gegen einander geneigt. Dadurch werden die Verhältnisse noch komplizierter. Nur wenn die Eiaxe genau in die Ebene fällt, welche den Neigungswinkel der drückenden Flächen halbiert und wenn sie gleichzeitig auf der Durchschnittskante der bei- den Flächen senkrecht steht, oder aber wenn sie auf der Halbierungs- ebene des Neigungswinkels der drückenden Flächen senkrecht steht, werden die ersten 4 Furchungszellen den normalen entsprechen können. In keinem Falle werden die Zellen des 8-Stadiums als normal gelten können; denn wenn die Eiaxe auf der Halbierungsebene des Neigungs- winkels der Flächen senkrecht stand, würde die dritte Furche meri- dional statt äquatorial verlaufen, falls sie aber in die Halbierungs- ebene selbst fiel und senkrecht zur Durchschnittskante verlief, würde die animale und die vegetative Hälfte ungleichen Bedingungen unter- liegen, indem die eine nach der Seite des stärksten, die andere nach der Seite des schwächsten Druckes gerichtet wäre. Da Driesch die Stellung des dem Druck ausgesetzten Eies ganz dem Zufall anheimgab, und da selbst bei absichtlicher Orientierung die Bedingungen, unter denen das Zustandekommen eines dem normalen gleichwertigen 4-Stadiums möglich wäre, in Wirklichkeit kaum er- füllbar sind, so wird höchst wahrscheinlich sehon die erste und zweite unter Druck gebildete Furche eine Teilung bewirkt haben, die der normalen nur näherungsweise zu vergleichen ist. welches Driesch abbildet, hervorgeht. Schon dies alteriert die Qualität der Zellen insofern, als, wenn die erste Furche eine rechte und linke Körperhälfte getrennt hatte, die zweite nun nicht eine vordere und hintere rechte, vordere und hintere linke, sondern eine proximale und distale rechte, proximale und distale linke Körperhälfte abschnürt; ein Umstand, von dem ich der Einfach- heit halber im Texte absehen will, Braem, Keimbezirke und entwicklungsmechanische Studien von Driesch. 149 Prüft man das weitere Verhalten des unter Druck gebildeten S-Stadiums auf Grund der Angaben von Driesch, so liegt darin ebenfalls der Beweis für meine Behauptung, dass die Konstituenten desselben den normalen Zellen des S-Stadiums nicht äquivalent sind. Wären die Konstituenten der Szelligen unter Druck gebildeten Platte den Konstituenten des normalen 8-Stadiums qualitativ gleich, so müssten 4 derselben nach Aufhören des Druckes Mikromeren ab- schnüren. In dem 16-Stadium, das Driesch aus dem unter Druck gebildeten S-Stadium hervorgehen sah (Fig. 60), liefern nur 2 Zellen Mikromeren, die übrigen 6 teilen sich in quantitativ gleiche Hälften. In anderen Fällen (Fig. 65) hat das 16-Stadium des der Druck- wirkung ausgesetzten Eies gar keine Mikromeren. Die Befunde Driesch’s berechtigen lediglich zu dem Schluss, dass die normale Form der Furchung in aus- giebiger Weise alteriert werden kann, ohne dass das Re- sultat der Furchung ein anderes wird, ohne dass die spe- zifische Energie des Eies von ihrem Ziel abgelenkt wird. Uebrigens aber, selbst wenn die qualitative Gleichheit der Zellen des gedrückten S-Stadiums mit denen des normalen 8-Sta- diums zugegeben werden müsste, würden die Angaben Driesch’s nicht genügen, das Prinzip der organbildenden Keimbezirke zu wider- legen, was gleichzeitig eine Widerlegung der physiologischen Wertig- keit der Keimblätter bedeuten würde. Driesch hat das Verhalten der einzelnen Zellen des unter Druck gebildeten 8-Stadiums nur bis zum 16-Stadium im Detail verfolgt. Seine weiteren Angaben sind sehr allgemein gehalten. Es würde hier der genauesten Beobachtung aller folgenden Vorgänge bedürfen, wenn dem Einwurf, dass durch nachträgliche Umlagerungen die ursprüngliche Abnormität rückgängig gemacht wird, der Boden entzogen werden soll. Die Untersuchungen Nussbaum’s an der künstlich umgestülpten und in dieser Lage fixierten Aydra!) haben gezeigt, über was für heimliche Mittel der tierische Organismus verfügt, um trotz äußerer Eingriffe sein Ziel zu erreichen und den status quo ante wiederherzustellen. Auch in seiner ersten Mitteilung (Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 53, S. 172. 1892) wendet sich Driesch gegen die Lehre von den organ- bildenden Keimbezirken. Die Thatsache, meint er, dass die isolierte Furchungskugel des 2-Zellenstadiums der Echiniden, nachdem sie sich zunächst als Halbbildung weitergefurcht hat, doch schließlich eine vollständige Gastrula hervorbringt, widerspricht jener Lehre in fun- damentaler Weise. Sie widerspricht ihr indessen jedenfalls nicht mehr, als es die Regeneration, vermöge deren ein Organismus verloren gegangene Teile neu zu bilden und aus dem überlebenden Rest den Gesamtorganismus wiederherzustellen vermag, überhaupt thut. Es ist nicht wunderbarer, dass ein auf dem 2-Zellenstadium halbierter 4] Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 29, 1887. 150 Braem, Keimbezirke und entwieklungsmechanische Studien von Driesch. oder ein auf dem 4-Zellenstadium gevierteilter Organismus aus der Hälfte oder dem Viertel das Ganze erzeugt, als dass, wie schon Trembley wusste, der fünfzigste Teil einer zerstückelten Hydra wie- derum den Gesamtorganismus aufbaut. Die Thatsache, dass sich die isolierte Furchungszelle von Eehinus zunächst als Teilbildung entwickelt, ist sogar eine eklatante Bestätigung des Prinzips der organbildenden Keimbezirke. Und selbst das von Wilson!) entdeckte Faktum, dass die ersten Furchungs- zellen des Amphioxus sofort die Eifunktion übernehmen, lehrt nur, dass der Zeitintervall zwischen dem Augenblick des Organverlustes und dem Eintritt der regenerativen Vorgänge auf ein Minimum sich beschränken kann; ein Minimum, welches dem Morphologen nur darum unmerklich wird, weil es keine äußeren Formveränderungen am Or- ganismus hervortreten lässt. Erwägt man, dass in der befruchteten Eizelle die regenerativen Potenzen des Organismus zur höchsten Intensität gesteigert sind, so kann der Umstand, dass auch in den 4 ersten Furchungszellen die Regenerationsfähigkeit zu energischem Ausdruck kommt, nichts Be- fremdliches haben. In jeder der beiden Konstituenten des 2-Zellenstadiums liegt nicht nur die Fähigkeit zum Aufbau je einer Körperhälfte des ein- zelnen Individuums, sondern auch die Fähigkeit zur Bildung der Hälfte des gesamten Fortpflanzungsmaterials, welches künftige Generationen, ganze Individuen, ins Leben ruft. Neben der Fähig- keit, den halben Organismus zu bilden, liegt die Fähigkeit zur Wie- dererzeugung des ganzen, ja vieler ganzen. Diese Wiederer- zeugungs- bezw. Fortpflanzungsenergie ist aber noch nicht in bestimmten Zellen lokalisiert und zu bestimmten, geschlechtlich einseitigen Leistungen erzogen. Sie ist in der organbildenden Kraft einer Körperhälfte auf- gelöst und zur Einheit der Furchungskugel mit ihr verbunden. Sie hat den Zustand unmittelbarer Aktivität, den sie im ungefurchten Ei besaß, noch nicht so weit verlassen, dass sie unfähig geworden wäre, alsbald wieder in denselben zurückzukehren. Und indem sie dahin zurückkehrt, macht sie den Fonds, der anderenfalls bis zur Fortpflanzungsthätigkeit des ausgebildeten Tieres geruht hätte, schon jetzt flüssig und bewirkt damit die Regeneration des Organismus. Sie ergänzt das Fehlende und erzeugt das Ganze, wie sie es schon im Ei that und wie sie es im den künftigen Ge- schlechtsprodukten aufs neue zu-thun berufen war. Sie macht es möglich, dass die Furchungskugel, die im normalen Zellverbande den halben Organismus geliefert hätte, isoliert den ganzen liefert. In den Fällen, wo das Mesoderm, das ja zugleich die Geschleehts- produkte enthält, von 2 paarigen Zellen gebildet wird, ist anzunehmen, dass von den Konstituenten des 4-Zellenstadiums nur zwei Träger 4) Anat. Anzeiger, 20. Okt. 1892. Emery, Intelligenz und Instinkt. 151 der Fortpflanzungstoffe sind. Es wäre interessant zu erfahren, ob in diesen Fällen allen Konstituenten des 4-Zellenstadiums in gleicher Weise die Fähigkeit zukommt, den Organismus zu regenerieren. Gewiss werden die Vorstellungen, die man sich von der Geltung des Prinzips der organbildenden Keimbezirke gemacht hat, durch die Befunde der sogenannten „Entwicklungsmechanik“ vielfach modifiziert und geklärt. Dass das Prinzip selbst sich als haltlos erweisen sollte, ist nach den bisherigen Ergebnissen kaum zu erwarten. 10. Januar 1893. Intelligenz und Instinkt der Tiere. Bemerkungen zu E. Wasmann’s neuestem Werke: „Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen“. Von Professor ©. Emery in Bologna. Aeußerst schwierig ist es, dem Probleme, ob die Tiere intelligent seien oder nicht, vorurteilsfrei entgegenzutreten. Der religiös Gesinnte, welcher im Menschen nicht bloß das höchste Tier, sondern das Bild Gottes erblickt, wird danach streben, die Differenzen zwischen Menschen- und Tierseele hervorzuheben und die im gegenwärtigen geologischen Zeitalter den Menschen vom Tiere unleugbar trennende Kluft zu er- weitern und zu vertiefen. Er wird suchen, jenen Differenzen nicht bloß einen quantitativen und formellen, sondern einen substanziellen Charakter beizulegen. — Der positivistisch denkende, er gehöre der monistischen Richtung an oder nicht, wird dagegen im Tiere die Spuren der menschlichen Seelenfähigkeiten suchen, vielleicht auch da, wo sie nicht sind. — Der eine wie der andere können überzeugt sein, dass sie vorurteilsfrei, einzig und allen nach Wahrheit suchen, ob- schon sie wissen, dass ihre Ueberzeugung nicht infolge ihrer Studien entstanden ist, sondern dass sie ihre Untersuchungen und Auseinan- dersetzungen deswegen angestellt haben, um ihre Meinung zu prüfen, und nicht ohne Wunsch und Hoffnung, dieselbe fester zu begründen. Dieses Sachverhältnisses wohl bewusst will ich also nicht be- haupten, vorurteilsfrei an die Sache zu gehen. Ich bin überzeugt, dass die Tiere intelligent sind und dass ihre Seelenthätigkeit haupt- sächlich in zwei Beziehungen von der des Menschen sich unter- scheidet: 1) im viel geringeren Grade des tierischen Verstandes; 2) im Mangel eines wesentlichen Instrumentes des menschlichen Abstrak- tionsvermögens, der Sprache. Die übertriebenen Schilderungen des tierischen Verstandes, die „Vermenschliehung der Tiere“ von Seiten Büchner’s und vieler an- derer geben Wasmann leichtes Spiel die Intelligenz der Tiere zu leugnen, denn das meiste, was unter intelligenten Handlungen der Tiere aufgeführt worden ist, verdient diesen Namen durchaus nicht. 152 Emery, Intelligenz und Instinkt. Dasselbe hatte übrigens, was die Ameisen betrifft, schon Forel her- vorgehoben. — Gibt es aber keine Thatsachen, welche die Intelligenz gewisser Tiere beweisen? d. h. welche sieh nicht durch Instinkt er- klären lassen? Die Antwort hängt davon ab, wie wir den Instinkt definieren. Es ist Wasmann’s Verdienst den Streit durch seine Auseinandersetzungen einer ernsten Diskussion zugänglicher gemacht zu haben. Wasmann versteht unter Instinkt nicht nur die sog. blinden Triebe, welche das Tier ohne Erfahrung, wie angeboren, besitzt, son- dern auch die Fähigkeit zu jenen zweckmäßigen Handlungen, welche es auf Grund von Erfahrung, Erinnerung und Assoziation sinnlicher Bilder ausführt. Solche Handlungen sind nicht als intelligent zu be- trachten, weil sie nur auf Verbindung von Sinneserkenntnissen beruhen. Verstand besteht nach Wasmann nur da, wo allgemeine Begriffe in Spiel sind, d. h. wo Abstraktionsvermögen notwendig ist. Abstra- hieren kann nur der Mensch; wenigstens sind keine Handlungen von Tieren bekannt, welche nieht einfacher ohne Abstraktionsvermögen erklärt werden können. Der Mensch selbst besitzt Instinkt und han- delt instinktmäßig, wenn seine Geistesthätigkeit sich auf Assoziation von Sinnesbildern beschränkt. Was meist als Intelligenz der Tiere gilt, betrachtet also Wasmann infolge seiner Definition als eine be- sondere Form des Instinktes, welche von den angebornen Trieben sich dadurch unterscheidet, dass sie auf Erfahrung beruht, also vom Tier als Individuum erworben ist. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht darin, dass letzteres nichts als angeborene und auf Assoziation von Sinnesbildern gegründete erworbene Triebe besitzt, ersterer dazu noch die Fähigkeit durch Abstraktion allgemeine Be- griffe zu bilden und zu weiteren Schlüssen zu verwerten. Wir wollen nun fragen: was ist Assoziation sinnlicher Bilder und was ist Abstraktionsvermögen? Wodurch lassen sich beide unter- scheiden? Ein Beispiel wird helfen die Sache zu klären. — Unge- bildeten Menschen gefallen die grellen Farben: in der Sprache mancher Volksstämme soll rot durch dasselbe Wort wie schön aus- gedrückt werden: die Sinneswahrnehmung rot ist dadurch mit dem Gefühl sehön verbunden. Daraus entsteht der Wunsch das rote Ding zu besitzen. Der ganze Vorgang besteht nur aus einer Assoziation von Sinnesbildern und Gemütsstimmungen, welche durch diese Bilder hervorgerufen sind; der Mensch handelt hier gerade wie z. B. ein Hund, der, nachdem er ein Stück Fleisch gerochen, infolge von Ver- bindung der Sinnes- und Erinnerungsbilder: Fleischgeruch, Wohl- geschmack, Hunger nach dem Fleische beißt. — Ich hätte diese Vorgänge auch in Form von Syllogismen schreiben können, wobei die allgemeinen aus einer Reihe von Einzelempfindungen abstrahierten Begriffe Rot, Sehön, Fleischgeruch und dergl. zur Bildung der Propositionen angewendet würden. Diese allgemeinen Begriffe existieren Emery, Intelligenz und Instinkt. 153 aber im Geiste des Menschen sowie des Hundes, wenn nicht ausdrück- lich, doch wenigstens implieite; sie können vom ersteren sprachlich ausgedrückt werden und werden dann zu wirklichen Abstraktionen. Darin allein besteht der Unterschied: er ist ein rein formeller. Beim Menschen wie beim Tier entstehen allgemeine Begriffe oder Erkennt- nisse auf induktivem Wege, durch Summierung successiver Erfahrungen, wobei das in denselben enthaltene Spezielle und Verschiedenartige ausgeschaltet, das Allgemeine und Gleichartige ausgewählt, d. h. ab- strahiert wird. In der Abstraktionsfähigkeit kommt der Mensch aber viel weiter als das Tier, weil ihm ein wesentliches Instrument zu Gebote steht, welches dem Tier fehlt: die Sprache. Durch das Wort wird der aus einer Mehrzahl sinnlicher Wahrnehmungen abstrahierte allge- meinere Eindruck oder Begriff, z. B. rot, selbst zu einem konkreten, phonetischen oder graphischen Sinnesbild und kann nun, sogar ohne Rücksicht auf seine Entstehung, mit anderen gleichfalls abstrahierten und durch Worte versinnlichten allgemeinen Begriffen in mehrfache Verbindung kommen. Rot, Blau, Grün, Gelb ete. verbinden wir zum höheren Begriff der Farbe; Farbe, Gewicht, Geruch u. s. w. be- trachten wir als Eigenschaften der Dinge. — So steigen wir von Abstraktion zu Abstraktion immer höher bis in die Wolkenregion der Metaphysik, ein Gebiet, welches dem Tier ebenso unzugänglich ist wie das Rechnen !). Die Geschichte der Mathematik kann als bestes Beispiel gelten zum Nachweise, wie die Vervollkommnung der schrift- lichen Symbole den Verstand des Menschen zu immer höheren Leistungen befähigt hat. Aufähnliche Weise gibt die Form der einzelnen Sprachen dem Geist jedes Volkes und seiner Poetik ein besonderes Gepräge. Der Hauptunterschied zwischen den Geistesfähigkeiten von Mensch und Tier besteht also meiner Meinung nach darin, dass der Mensch spricht. Nieht nur braucht er die Sprache, um seinen Mitmenschen die eigenen Gefühle und Erfahrungen mitzuteilen, sondern noch mehr in Form von phonetischen, resp. graphischen Erinnerungsbildern oder Symbolen zur Erweiterung und Verallgemeinerung seiner eigenen Er- kenntnisse. Dadurch erhebt er sich unmessbar höher als das höchste Tier. — Ein geringes Abstraktionsvermögen kann ich aber dem Tier nicht absprechen. Wahrscheinlich erhebt sieh dieses Vermögen nicht über Abstraktionen erster Ordnung, d. h. solehe, die unmittelbar aus Sinneswahrnehmungen und Gefühlen entstanden sind, was wir Men- schen Eigenschaften der Dinge und Gemütsstimmungen nennen. Solehe allgemeine Begriffe sind höhere Tiere, wie z. B. Hunde oder Affen im Stande mit den Sinneswahrnehmungen der Gegenwart und mit 1) Das hohe Abstraktionsvermögen des Menschen hat auch seine Schatten- seite, da es ihn dazu befähigt den ursprünglichen Zusammenhang der Abstrak- tionssymbole mit Sinnesbildern zu vergessen und durch regellose Verbindung derselben Unsinn zu sprechen und zu schreiben! 154 Emery, Intelligenz und Instinkt. Erinnerungsbildern in mannigfachster Weise zu verbinden und da- (dureh nicht nur scheinbar, sondern wirklich intelligent zu handeln. Gäbe es eine absolute Stufenleiter der Abstraktion, so würde man vielleicht eine Grenze stellen können. Wer wird aber bestimmen, wie weit ein Hund oder ein Affe allgemeiner Kenntnisse fähig ist? Ver- bindet er die einzelnen Farbenbegriffe zum allgemeinen Begriff der Farbe? die Erinnerungsbilder verschiedener Sorten von befiederten Tieren zum Begriff des Vogels, oder ist er unfähig das thun? Das wissen wir nicht und werden wir wahrscheinlich nie wissen. Es ist hier nieht der Ort die Frage nach dem Ursprung der Sprache zu behandeln, wohl aber zu untersuchen, ob die Tiere etwas der Sprache Vergleichbares besitzen. Ihre Gefühle geben die Tiere durch unwillkürliche Bewegungen und Laute kund. Ebenso stoßen sie Ruf- laute aus. Inwiefern der Gebrauch derselben von unbewusstem Trieb oder von intelligenter Bestimmung abhängt, ist schwer zu sagen; m einzelnen Fällen scheint mir letzteres nicht unwahrscheinlich. Jeden- falls bietet jeder Schrei, jede Geberde Gelegenheit zur sinnlichen Wahrnehmung eines Gemütszustandes; in der Erinnerung aufbewahrt könnte eine solehe Wahrnehmung zum Symbol des durch die Sinne nicht direkt zu erkennenden psychischen Zustandes eines anderen ‚Tieres werden. Es ist also denkbar, obwohl nicht streng bewiesen, ddass Tiere in derartigen Erimnerungsbildern etwas den phonetischen Syinbolen der Mensehensprache Aehnliches besitzen. Aber die Tiere "scheinen ihre Phonetik nieht über die Wiedergabe von Gemüts- äußerungen und anderen unbewussten Lauten ausgebildet zu haben; eine Sprache im eigentlichen Sinne des Wortes besitzen sie nicht. Fassen wir nun das oben Erörterte kurz zusammen. Die Beant- wortung der Frage, ob die Tiere nur Instinkt oder auch Intelligenz besitzen, hängt, wie oben gesagt, von der Definition, die wir von diesen Geistesfähigkeiten geben, ab. — Nach meiner Anschauung dürfen wir dem Tiere ein beschränktes Abstraktionsvermögen nicht ab- sprechen. Dureh Ausbildung der Sprache hat der Mensch die Schranken desselben weiter und weiter verschoben. Wollen wir unter Ver- stand nur das begreifen, was ohne Hilfe der phonetiseh- graphischen Sprachsymbole nicht geleistet werden kann, so besitzt der Mensch allein Verstand, die Tiere nieht. Wollen wir dagegen dieFähigkeit, aus den vielfachen Er- fahrungsbildern allgemeine Erkenntnisse zu gewinnen und dieselben in Verbindung mit gegenwärtigen Sinnes- wahrnehmungen zu bewussten, zweckmäßigen Handlungen zu verwerten, als Verstand betrachten und nur unbewusst zweckmäßige Handlungen dem Instinkte zuschreiben, so sind die Tiere auch, obschon in beschränktem Maße, in- telligent. ‚Ich will mich für einen Augenblick auf den religiösen Standpunkt Zacharias, Organismen des Süßwassers. 155 stellen. Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist die Sprache; diese allein kann als die Gabe Gottes betrachtet werden. Durch den Besitz der Sprache ist der Mensch zur höheren Entwicklung seines Geistes gelangt. Die Geschichte der Sprache ist zugleich die Ge- schichte des Menschen und des menschlichen Verstandes. Ob und inwiefern die Menschensprache sich aus tierischen Ge- mütsäußerungen und Rufen entwickelt hat, ist ein nicht minder schwieriges Problem als das der speziellen Entstehung des Menschen- leibes aus dem eines noch unbekannten tierischen Vorfahren. Die Anfangsstadien der Differenzierungsvorgänge bleiben uns noch fast überall unbekannt: vom allgemeinen Standpunkte der Descendenz- theorie und aus Analogie mit anderen besser bekannten Reihen müssen wir aber annehmen, dass der Mensch sich aus einer von ihm ver- schiedenen Tierform entwickelt hat. Diese Form vermuten wir in einem ausgestorbenen Affen. Thatsächlich bewiesen ist diese Ab- stammung aber nicht: unsere Affenahnen kennen wir nicht, wie wir auch die ersten Menschen nicht kennen. Ebensowenig kennen wir die ersten Bildungsstadien der Instinkte der Tiere. — Bei solchen dunklen Fragen können wir drei Standpunkte einnehmen: 1) einfach unser ignoramus gestehen; 2) die uns unbekannten Ursachen der Na- turereignisse als übernatürliche Kräfte vergöttlichen oder sogar zu einem menschlich denkenden Schöpfer personifizieren; 3) eine mechanisch -biologische Erklärung zu versuchen. — Erweist sieh“nun ein etwaiger Erklärungsversuch als ungenügend oder falsch, so will das nicht heißen, dass kein anderer Ausweg übrig bleibt, als das Ein- greifen des mystischen Schöpfers anzunehmen, wie es Wasmann nach Diskussion der Hypothesen, welche zur Erklärung der Instinkt- bildung gemacht worden sind, thut. — Ich würde lieber zum igno- ramus zurückkehren. Die mikroskopische Organismenwelt des Süßwassers in ihrer Beziehung zur Ernährung der Fische. Von Dr. Otto Zacharias zu Plön'). Eine Biologie der Fische, d. h. eine genaue Kunde von den gesamten Lebensbedingungen und Lebensäußerungen dieser vornehmsten Wasserbewohner, steht uns bis jetzt nicht zu Gebote, Was wir davon zur Zeit kennen, ist bloßes Stückwerk und verdient nicht im entferutesten den Namen einer Fisch- wissenschaft?). Wie notwendig uns aber ein solcher Kenntnisschatz wäre, das 1) Auszug aus einem in der Generalversammlung des Zentralfischerei- vereins für Schleswig-Holstein am 25. August 1892 gehaltenen Vortrag. 2) Der anonyme Verfasser des Aufsatzes über Binnenfischerei in einer kürzlich erschienenen Sammlung von Sonderabdrücken aus der „Deutschen Fischereizeitung“ (1892) sagt deshalb sehr richtig: „Wir besitzen wohl eine gut ausgebildete Landwirtschafts- und Forstkunde, aber kaum eine Spur von Wasserwirtschaftslehre, mit Ausnahme der Lehre von der Teichwirtschaft“. 156 Zacharias, Organismen des Süßwassers. zeigen uns die mannigfachen Enttäuschungen, die der praktische Betrieb des Fischereiwesens in allen seinen Zweigen oft genug mit sich bringt. Inwiefern z. B. eine ganz bestimmte Beschaffenheit der flachen Uferzone erforderlich sein kann, um die Vermehrung einer Fischspecies zu ermöglichen, dies möchte ich an einem einzelnen Falle darlegen, nämlich an den Erfahrungen, die man früher mit der Kleinen Maräne (ÜCoregonus albula) gemacht hat. Der Wunsch, diesen schmackhaften Edelfisch in recht zahlreichen Seen einzubürgern, veranlasste seinerzeit manchen Teichwirt, Brut über Brut davon auszusetzen. Es geschah dies aber ohne jede Kenntnis der Art und Weise, wie diese Fische zu laichen pflegen. Infolge dessen wuchsen die ursprünglichen Kolonisten zwar heran, vermehrten sich aber nicht. Erst als man dahinter kam, dass zwischen den Armleuchtergewächsen (Characeen), welche den Seeboden in der Nähe des Ufers in Gestalt mächtiger Rasen bekleiden, und den Maränen eine innige Be- ziehung obwalte, erst dann machte die künstliche Ausbreitung derselben Fort- schritte. Man hatte nämlich beobachtet, dass der Maränenbestand in solchen Seen zurückging, in denen durch irgend einen äußeren Umstand die Characeen dezimirt oder ausgerottet wurden. Weshalb dies aber so sei, blieb noch lange Zeit unaufgeklärt. Endlich aber entdeckte man, dass die Kleine Maräne ihren Laich ganz ausschließlich auf jenen Armleuchtergewächsen deponiert und dass da, wo diese Kryptogamen fehlen, die Eiablage entweder ganz unterbleibt oder so ausgeführt wird, dass die Eier auf den Boden fallen, wo sie dann im Schlick verkommen oder die Beute von Wasserpilzen werden. Bestimmte Pflanzen kommen erfahrungsgemäss auch für das Laichgeschäft anderer Fischgattungen in Betracht. So weiß man z. B. längst, dass die Petamogeton-Arten beim Streichen der Karpfen eine Rolle spielen, und dass sie ganz besonders von den Brassen für die Eiablage benutzt werden. Daher nennt man zu deutsch jene Wasserpflanzen auch schlechtweg „Laichkraut“, und unter dieser Bezeichnung werden sie in den Lehrbüchern der Botanik stets aufgeführt. Die bekanntesten Species sind das krausblätterige und das schwim- mende Laichkraut (P. erispus und P. natans). Hätte uns die Erfahrung, unsere oberste Lehrmeisterin, nicht zufällig mit diesen merkwürdigen Verhältnissen bekannt gemacht, so würde Niemand auch nur die Vermutung auszusprechen gewagt haben, dass die Fortpflanzung und Vermehrung mancher Fischarten von ganz bestimmten Pflanzen, wenn auch nur indirekt, beeinflusst werden könne. — Eine andere gleich wichtige biologische Beziehung besteht zwischen den Fischen und den mannigfaltigen Nahrungs- objekten, die in unseren Teichen und Seen vorhanden sind. Aber worin die Fischnahrung im Speziellen besteht, darüber herrschen die unklarsten Vor- stellungen auch bei vielen Berufsfischern. Im Allgemeinen wird das „Gewürm“ im Wasser als die Hauptspeise der Fische betrachtet und man versteht darunter nicht bloß die echten Würmer (wie z. B. die schlammbewohnenden Oligochaeten und Nematoden), sondern viel mehr noch die nur äußerlich wurmähnlichen Larven gewisser Insekten, deren Eier im Wasser zur Entwicklung gelangen, wie dies bekanntlich bei den Mücken, Köcherfliegen und Libellen der Fall ist. Aber wenn wir bedenken, dass dergleichen Würmer und Insektenlarven zahl- reich nur in der Uferzone (auf der sogenannten „Schaar“ und dem „Schaar- rande“) angetroffen werden, wo auch die Wohnstätte der Wasserpflanzen ist, so müsste man eigentlich erwarten, dass die größten Fischmengen auch immer nur hier, dicht beim Lande vorkämen. Da dies aber erfahrungsgemäß nicht die Regel ist, sondern im Gegenteil die notorisch ergiebigen Fischgründe weiter draußen zu liegen pflegen, so muss auch eben dort (d. h. im freien Wasser Zacharias, Organismen des Süßwassers. 157 unserer großen Teiche und Seen) Nahrung produziert werden, denn sonst würden sich keine Konsumenten dazu einfinden Diese Nahrung besteht aber in nichts anderem als jenem Gemenge von Organismen tierischen und pflanz- lichen Charakters, welches man, um einen kurzen prägnanten Namen dafür zu haben, als das Süßwasserplankton bezeichnet. Man versteht darunter — wie ausdrücklich betont werden soll — lediglich die im freien Wasser passiv oder aktiv sich umhertreibenden Lebewesen. Zum Unterschiede von dieser flottierenden Bevölkerung des Wassers, nennen wir die zwischen den Uferpflanzen sich aufhaltenden (nahe verwandten) Krebs-, Rädertier- und Infusorienspecies, welche niemals oder selten im freien Wasser gefunden werden, Littoralformen, und stellen dieselben den Plank- ton - Organismen, denen sämtlich eine größere Schwimmgewandtheit eigen ist, gegenüber. In Menge vorhandenes Plankton gibt freilich noch keine ausreichende Bürgschaft dafür, dass ein See wirtschaftlich ergiebig sei. Ein See kann außerordentlich reich an mikroskopischen Nahrungstieren sein und doch im Uebrigen eine Beschaffenheit haben, die keinen erfreulichen Fischbestand auf- kommen lässt. Mir ist ein solcher See bekannt und längere Zeit hindurch war es mir unerklärlich, was die Ursache davon sein könnte, dass dieses besonders planktonreiche Gewässer in fischereiwirtschaftlicher Hinsicht so unproduktiv war. Endlich kam ich dahinter, dass dasselbe mit Aalen und Rutten (Lota vulgaris) vollständig übersetzt sei, und nun wurde auf ein Mal begreiflich, weshalb kein richtiger Nachwuchs von seiten der anderen (karpfenartigen) Fische stattfand. Einen derartig verdorbenen See wieder normal und ertrags- fähig zu machen, ist selbstredend mit den größten Schwierigkeiten verbunden, denn jenen laichräuberischen Fischgattungen ist (wegen ihrer versteckten Lebensweise) sehr schlecht durch einen Massenfang beizukommen, und die Mühe eines solchen würde sich auch nicht bezahlt machen. Da aber Gewässer, die in der eben geschilderten Art verwahrlost sind, ziemlich selten gefunden werden, so hat man an der Plankton-Produktion immerhin einen relativen Maßstab zur Beurteilung der unter den günstigsten Bedingungen möglichen (!) Ertragsfähig- keit eines Teiches oder Sees. Wie ein sonst guter Boden den Ernteerwartungen nur entspricht, wenn das Ueberhandnehmen des Unkrauts auf ihm verhindert wird, so lohnt auch ein nahrungsreiches Fischwasser die Bewirtschaftung nur, wenn von Zeit zu Zeit eine mit dem Jäten identische Thätigkeit behufs Ent- fernung der wertlosen und schädlichen Fische ausgeübt wird. Von einer solchen Maßnahme macht aber bis jetzt Niemand wirklichen Gebrauch, wenigstens nicht in dem Umfange, wie es im ökonomischen Interesse geboten wäre. Die minder- wertigen Fische werden bei uns niemals planmäßig aus den freien Gewässern entfernt, um die besseren Sorten in ihrem Aufkommen zu fördern. Es ist aber klar, dass letztere schneller und reichlicher zu vermehren wären, wenn ihnen die Konkurrenz um die Nahrung erleichtert würde. Nach diesem Exkurs aufs praktische Gebiet, wollen wir zu unserem Haupt- thema zurückkehren. Im Obigen sind gewisse Arten von niederen Krebsen und Rädertieren von vornherein zuversichtlich als Fischnahrung in Anspruch genommen worden, ohne dass zugleich der direkte Beweis für diese Behauptung geliefert wor- den wäre. Offenbar gibt es zwei Wege, auf denen wir zur Klarheit darüber gelangen können, wovon sich eine Fischspeeies ernährt. Der eine besteht darin, dass wir Gelegenheit suchen, Exemplare derselben beim Fressen selbst zu beobachten, 158 Zacharias, Organismen des Süßwassers. Das ist aber unter gewöhnlichen Umständen mit Schwierigkeiten verknüpft. Der andere Weg ist ebenso gut und hat den Vorzug, dass er sicher zum Ziele führt. Er besteht darin, dass wir den frischgefangenen Fisch töten und den Magen-, resp. Darminhalt desselben sogleich einer aufmerksamen Musterung (unter Zuhilfenahme des Mikroskops) unterziehen. Hierdurch erhalten wir den genauesten Aufschluss über das, wovon sich die betreffende Art im Natur- zustande ernährt. Hinsichtlich des Karpfens sind solche Untersuchungen schon in den Jahren 1875 und 1876 von dem bekannten österreichischen Fisch- züchter Josef Susta!) ausgeführt worden. Der Genannte kam dabei zu dem Ergebnis, dass der Karpfen im Wesentlichen nur tierische Nahrung zu sich nehme (d. h. Krebstierchen, Insektenlarven und Wasserschnecken), und dass die pflanzlichen Bestandteile, die sich ebenfalls im Magen (bezw. Darm) vor- fanden, nur zufällig mit verschluckt sein konnten, da sie fast völlig unver- ändert geblieben waren, wogegen die sonstigen Nahrungsobjekte die Spuren der vor sich gegangenen Verdauung deutlich erkennen ließen. An mehreren hundert Karpfen erhielt Susta immer das nämliche Ergebnis. Dadurch war mit einem Schlage die alte Fischerfabel aus der Welt geschafft, wonach sich der Karpfen vorzugsweise „von faulenden Pflanzenstoffen“ nähren sollte. In neuester Zeit sind von mir selbst zahlreiche Fischarten in Bezug auf ihren Mageninhalt untersucht worden und ich kann auf Grund derselben ledig- lich bestätigen, dass, mit Ausnahme von etwa dreien, alle unsere einheimischen Fische Tierfresser sind. Diese drei sind Döbel (Squalius cephalus), Plötz (Leueiscus rutilus) und Rothfeder (Scardinus erythrophthalmus). Bei jungen fingerlangen Plötzen habe ich den Magen förmlich ausgestopft gesehen mit einer grünen, auf den Ufersteinen wachsenden Alge (Uladophora glomerata). Dr. Dröscher (Schwerin) hingegen hat bei demselben Fisch außer Kiesel- algen (Diatomeen) auch zahlreiche Krebschen und Rädertiere im Magen vor- gefunden. „In den meisten Plötzen, die ich untersuchte* — sagt Dröscher — „überwogen die tierischen Bestandteile bei Weitem die pflanzlichen“ ?). Somit scheinen die Plötzen also doch nicht ausschließliche Vegetarianer, sogenanten „Grünweidefische“ zu sein. Manche Arten bekunden eine besondere Vorliebe für ein monotones Futter. So fand ich, dass junge (10—12 Centimeter lange) Aale aus der Eider, die mir Herr v. Stemann seinerzeit zugehen ließ, nichts als Larven einer Büschelmücke (Chironomus sp.) gefressen hatten. Im Magen der Kleinen Maräne (Üoregonus albula) aus dem großen Plöner und dem Trammersee fand ich einen kleinen Rüsselkrebs (Bosmina coregoni), der davon auch seinen Namen erhalten hat, als fast alleiniges Futter in vielen hundert Exemplaren vor; Copepoden (ruderfüßige Kruster) entdeckte ich nur in ver- schwindender Menge darunter. Umsomehr werden aber die Copepoden (und deren Larven) von den jüngsten Fischehen aller Gattungen bevorzugt, die mit angeborenem Geschick unermüdlich auf dieselben Jagd machen. Der Magen- inhalt der Fischbrut enthält außerdem vielfach Rädertierchen oder deren Reste. Durch solche Befunde ist es ganz außer Frage gestellt, dass die mikroskopi- schen Plankton-Organismen einen wichtigen Faktor bei der Ernährung der Fischfauna bilden, und dass sie insbesondere für die zarte Brut der verschie- densten Fischgattungen als erste und geeignetste Nahrung in Betracht kommen. Dasselbe ist freilich auch mit der Mikrofauna der Uferzone der Fall; aber in 1) Susta, „Die Ernährung des Karpfens und seiner Teichgenossen*“, Stettin 1888. 2) Vergl. „Allgem. Fischereizeitung“, Nr. 8, 1892. Zacharias, Organismen des Süßwassers. 159 Seen, wo die Schaar nur geringen Pflanzenwuchs hat, entwickelt sich kein nennenswertes Tierleben auf derselben, und dann sind die jungen, fresslustigen Fische ganz besonders auf das Plankton als Nahrungsquelle angewiesen, so dass dessen hervorragende Bedeutung für die Aufzucht eines tüchtigen Fisch- bestandes für Jedermann augenscheinlich ist. Früher glaubte man die Fische in Raubfische und Friedfische einteilen zu sollen. Die erste Gruppe, zu der man den Hecht, den Lachs, die Forelle, den Barsch u. s. w. zählte, galt als ausschließlich tierfressend, was auch voll- kommen richtig ist. Die zweite Gruppe sollte aber ebenso ausschließlich auf pflanzliche Kost angewiesen sein, und das ist unrichtig. Denn, wie wir gesehen haben, besteht die Nahrung der Karpfen, Maränen, Schleien, Weiß- fische ete , in der Hauptsache gleichfalls aus Tieren, wenn auch aus kleineren und zum Teil mikroskopischen Organismen animalischer Natur. Wollte man also die Art der Nahrung zum Einteilungsgrunde machen, so wäre man daraufhin nur berechtigt, zwischen Groß- und Kleintierfressern in unserer Fischfauna zu unterscheiden. Und für die Triftigkeit dieser Einteilung lassen sich auch anatomische Gründe beibringen, wie gleich näher dargelegt werden soll. Unter- sucht man nämlich den Kiemenapparat einer größeren Anzahl von Fischgat- tungen genauer, so bemerkt man, dass bei einigen die auf den Kiemenbögen befindlichen zahnartigen Fortsätze ziemlich lang und so angeordnet sind, dass die des einen Bogens in die freien Zwischenräume des nächsten greifen. Hier- durch wird eine ebenso einfache wie wirksame Seihvorrichtung hergestellt, welche die mit dem Wasser zugleich eingeschlürften kleinen Nahrungstierchen zurückhält, während dieses ungehindert zwischen den Kiemenbögen durchtritt und aus dem Kiemenspalt entweicht. Eine solche Beschaffenheit der Bogen- zähne finden wir bei denjenigen Fischarten, die wir durch direkte Besichtigung des Mageninhalts ais Kleintierfresser kennen gelernt haben. Die Organisation derselben steht demnach im vollsten Einklange mit ihrer Lebensweise, Bei anderen Gattungen ist kein solcher Seihapparat vorhanden, weil da auf den Kiemenbögen nur ganz kurze und unvollständig entwickelte Zähne stehen. Dafür besitzen aber derartige Fische ein mit einem tüchtigen Gebiss versehenes Maul, welches darauf hindeutet, dass dasselbe zum Erfassen und Erbeuten größerer Nahrungsobjekte bestimmt ist. Und in der That sind alle so aus- gestatteten Species Großtierfresser in dem Sinne, wie es der Hecht, der Barsch und die Forelle ist. Bei der zuerst charakterisierten Gruppe treffen wir ent- weder nur sehr kleine Zähne an, oder das Maul ist ganz zahnlos. Sonach können wir aus der vergleichend - anatomischen Untersuchung des Fischkopfes ein weiteres Zeugnis für die Berechtigung der obigen Einteilung gewinnen, wenn das überhaupt noch nötig wäre. Bei den unterrichteten Fischzüchtern und Teichwirten besteht übrigens jetzt gar keine Meinungsdifferenz mehr darüber, dass in den mannigfaltigen Vertretern der Mikrofauna der vormehmste und eigentliche Nahrungsgehalt unserer Gewässer zu erblicken ist. Dies trifft auch hinsichtlich der Menge desselben zu. Denn die schlammbewohnenden Würmer, die im Wasser lebenden Insektenlarven und die verschiedenartigen Mollusken kommen, als Nährmaterial betrachtet, gegen die ungeheure Anzahl der im Plankton vorhandenen Krebschen, Rädertiere und Infusorien garnicht in Betracht. Von den Mollusken wäre einzig und allein die Wandermuschel (Dreissenia polymorpha) auszunehmen, insofern deren Junge ein freilebendes Jugendstadium durchmachen, welches sie befähigt, überall im See umherzuschwärmen. Solche Muschellarven sind zwar nur ein Zehntel Millimeter groß, aber sie treten vom Mai bis September 460 Versammlung des deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege. in solehen Mengen auf, dass sie einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil der bunt zusammengewürfelten Tiergesellschaft des Süßwasser-Planktons aus- machen. Wenn nun letzteres, wie schon des Oefteren hervorgehoben worden ist, eine so außerordentliche Anzahl von tierischen (und auch pflanzlichen) Lebens- trägern umfasst, so liegt es ganz nahe, zu fragen: woher denn nun für alle diese Millionen und Milliarden von Mikro-Organismen die Nahrung herkommt. Hinsichtlich der im Wasser schwebenden Algen beantwortet sich diese Frage sehr einfach dahin, dass dieselben von den im Wasser gelösten Salzen und der beigemischten atmosphärischen Luft sich ernähren. Von einigen niederen Algen ist sogar neuerlich bekannt geworden, dass sie Stickstoff assimilieren. Die meisten Tiere des Planktons leben nun wieder von diesen Algen oder von solchen organischen Stoffen, welche durch die Bäche und Rinnsale aus der Umgebung des Sees in diesen hineingelangen. Besonders sind es halbver- moderte Pflanzenreste und Fäkalien, die eine wichtige Rolle bei der Ernährung jener mikroskopischen Fauna spielen. So verwandelt sich also die in das Wasser hineingeschwemmte tote organische Substanz wieder zu neuem Leben, indem sie zum Aufbau des Körpers jener anderen Tiere dient, von denen die Mehrzahl der Fische sich ernährt!). 1) Wer sich eingehend über die mikroskopische und sonstige Fauna der einheimischen Gewässer unterrichten will, der findet die gewünschte Belehrung in Dr. OÖ. Zacharias: „Die Tier- und Pflanzenwelt des Süßwassers“. Leipzig, bei J. J. Weber. 2 starke Bände 1891. Achtzehnte Versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege in Würzburg am 25., 26., 27. und 28. Mai 1893. Tages-Ordnung. Donnerstag, 25. Mai: 1) Die unterschiedliche Behand- lung der Bauordnungen für das Innere, die Aufsenbezirke und die Umgebung von Städten. Referenten: Oberbürgermeister Adickes (Frankfurt a. M.). Ober- baurat Professor Baumeister (Karlsruhe). 2) Reformen auf dem Gebiete der Brotbereitung. Referent: Professor Dr. K. B. Lehmann (Würzburg). Freitag, 26. Mai: 3) Die Grundsätze richtiger Ernährung und die Mittel, ihnen bei der ärmeren Bevölkerung Geltung zu verschaffen. Referenten: Privat- dozent Dr. Ludwig Pfeiffer (München). Stadtrat Fritz Kalle (Wiesbaden). 4) Vorbeugungsmafsregeln gegen Wasservergeudung. Referent: Wasserwerk- direktor Kümmel (Altona). Samstag, 27. Mai: 5) Die Verwendung des wegen seines Aussehens oder in gesundheitlicher Hinsicht zu beanstandenden Fleisches, einschliefslich der Ka- daver kranker getöteter oder gefallener Tiere. Referent: Oberregierungsrat Dr. Lydtin (Karlsruhe). Sonntag, 28. Mai: Ausflug nach Rothenburg ob der Tauber. Daselbst Auf- führung des historischen Festspiels: „Der Meistertrunk*“. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. 1. April 1893. Nr. 6. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie (2. Stück). — Lueiani, Vorstufen des Lebens. — Emery, Zirpende und springende Ameisen. — Brehm’s Tierleben, Die Insekten, Taußendfüßer und Spinnen. — Zacharias, Eingekapselte Saugwürmer am Herzen einer Maräne. — Berichtigung. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. (Zweites Stück). Jumelle’s physiologische Untersuchungen über die Flechten haben in hervorragendem Maße den Gaswechsel zum Gegen- stande. Wir fügen sie deshalb Aubert’s analogen Untersuchungen über die Fettpflanzen an. Die Flechte ist, wie heute wohl die überwiegende Zahl der Bo- taniker anerkennt, nicht ein Individuum, sondern eine Assoziation zweier Pflanzen, eines Pilzes und einer Alge. Die Symbiose, die sie einge- gangen, ist für beide Teile sehr wohlthätig. Die Algen nehmen in der Flechte eine Entwicklung an, welche sie in isoliertem Zustande nur selten gewinnen, während umgekehrt die Hyphen unter dem Einflusse ihres Socius aufs kräftigste sich entfalten, üppig vegetieren. Fehlt dieser Gesellschaft die morphologische Individualität, so kann man sie doch als eine physiologische auffassen, also auch ihr Leben den gleichen physiologischen Versuchen und Untersuchungen unterziehen wie das anderer pflanzlicher Individuen. Welcher Art ist der Gasaustausch zwischen Flechte und Atmo- sphäre ? Die beiden Elemente der Flechte verhalten sich bekanntlich in Bezug auf den Gasaustausch mit der Luft durchaus verschieden. Die ehlorophylifreien Pilzfäden atmen. Am Lichte wie im Dunkeln nehmen sie Sauerstoff auf und geben Kohlensäure ab. Die chlorophylihaltigen Algen assimilieren und atmen. Wohl nehmen auch sie am Lichte wie XI. 11 162 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. im Dunkeln O auf und scheiden CO, aus. Am Lichte nehmen sie aber aus der Luft auch umgekehrt Kohlensäure auf und scheiden Sauerstoff aus. So findet also im Dunkeln ein Verlust an Kohle durch die beiden Elemente der Flechte statt; ebenso am Lichte, daneben aber doch auch ein Kohlengewinn durch die assimilatorische Thätig- keit des Chlorophylis der Algen. So wirft sich unwillkürlich die Frage auf: Uebertrifft dieser Gewinn den durch die respiratorische Thätigkeit der ganzen Alge bedingten Verlust an Kohle? Kann also mit andern Worten die Alge den der Flechte nötigen Kohlenstoff be- schaffen oder ist die Flechte von der organischen Verbindung des Substrates abhängig? Bestimmte Versuche von Bonnier und Magnin schienen den Ueberschuss der Respiration wenigstens für einzelne Flechten darzu- thun. Verf. unterzog in seinen Versuchen 17 Species mit strauchartigem, laubartigem und krustenförmigem Thallus der Beobachtung. Das Re- sultat war, dass alle Flechten mindestens unter gewissen Bedingungen am Lichte eine größere Assimilationsenergie als Respirationsenergie besitzen. Die Alge scheint also durch die assimilatorische Thätigkeit der Chlorophylikörner den Bedarf an Kohlenstoff zu decken und damit die Flechte unabhängig vom Substrate zu machen. Die Assimilationsenergie ist aber je nach den Arten sehr ver- schieden. Flechten mit strauch- und laubartigem Thallus assimilieren ziemlich energisch; bei Krustenflechten aber kann die Sauerstoffabgabe so gering werden, dass sie nur noch bei sehr starker Beleuchtung achweisbar ist. Dies weist darauf hin, dass die Thätigkeit der Alge, die Kohlenstoffanhäufung, hier jedenfalls eine vielfach unterbrochene ist, weshalb denn auch die Krustenflechten durch ein äußerst lang- sames Wachstum ausgezeichnet sind. Eine weitere Differenz zwischen den Strauch- und Laubflechten einerseits und den Krustenfleehten ander- seits besteht darin, dass bei erstern das Verhältnis zwischen der assi- milierten Kohlensäure und dem infolge der Assimilation ausgeschiedenen Sauerstoffe kleiner ist als bei den Krustenflechten. Im Dunkeln wird Sauerstoff aufgenommen und Kohlensäure ab- gegeben. Dabei ist das Verhältnis dieser zu jenem fast stets näherungs- weise 0,8. Bei den homöomeren Flechten nur ist dieses Verhältnis ungefähr 0,6. Welchen Einfluss üben nun Trockenheit und Feuchtigkeit auf das Leben der Flechten? Die Einleitung zur Untersuchung dieser Frage bildet die Bestim- mung des Wassergehaltes der Flechte nach langer Trockenperiode. Das Verhältnis des Frischgewichtes zum Trockengewieht ist als- dann im Mittel 1:1,17. Es befinden sich in diesem wasserarmen Zu- stande die Flechten in einem latenten Zustand. Ihre Lebensthätig- keiten sind alsdann in ähnlicher Weise sistiert wie die ruhender Samen. Dass diesen Zustand größten Wassermangels auch die Flechten nicht Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 163 beliebig lange ertragen können, dass derselbe sie vielmehr, wenn auch sehr langsam ihrem Tode entgegenführt, geht aus der Atmung von Flechten, die lange des Wassers entbehrten, fast mit Sicherheit her- vor. Eine Ramalina farinacea wurde während 3 Monaten im trockenen Zustande gehalten. Im Dunkeln absorbierte sie hierauf in 17 Stunden — nachdem sie vorher mit Wasser imbibiert worden — 0,149 cem Sauerstoff; ein frisches Exemplar absorbierte in der gleichen Zeit auf das gleiche Trockengewicht berechnet 5,55 eceem. Am Lichte hatte erstere Versuchspflanze in 6 Stunden keine Veränderung der sie um- gebenden Atmosphäre bewirkt; letztere hatte 2,610 cem CO, assimiliert. Zu ganz analogen Ergebnissen führten die Versuche mit andern Arten. Die Lebensenergie wurde also durch das lange andauernde Austrocknen sehr geschwächt, was eben anzudeuten scheint, dass die Flechten dieses latente Leben nicht unbegrenzt lange zu ertragen vermag. Im Zustande größter Sättigung mit Wasser ist das Verhältnis ihres Frischgewichtes zum Trockengewichte 2,3:1 mit den Grenzwerten von 2 (für Pertusaria communis) und 4,31 (für Physeia parietina) für ersteres. Von den Pilzen weichen also die Flechten durch den Grad ihrer Imbibitionsfähigkeit nicht unwesentlich ab; denn bei jenen ist dieser Wert oft bis 22. Für die homöomeren gelatinösen Flechten liegen die Verhältnisse anders. Ihr Trockengewicht ist bis 35mal geringer als der Zustand höchster Sättigung mit Wasser. Dafür geht denn auch das Austrocknen nie so weit wie bei den heteromeren Flechten. Es zeigt sich das namentlich auch darin, dass sie nach der auf langanhaltendes Aus- trocknen erfolgten Wasseraufnahme atmen und assimilieren. So ver- halten sich auch die in den Flechten lebenden Algen, wenn sie aus ihrer Assoziation isoliert werden. Stehen nun Respiration und Assimilation in einer bestimmten Be- ziehung zum Wassergehalt der Flechte oder sind sie, wenn der für diese Lebensprozesse nötige Wassergehalt einmal erreicht ist, von einer Erhöhung desselben unabhängig? Die Versuche ergeben, dass die Respirationsenergie bei den wasserreichern Individuen größer ist als bei den wasserärmern. Doch findet keine gleichmäßige Zunahme statt. Ist der Wassergehalt der Flechte ein geringer, dann genügt eine schwache Zunahme desselben um zu bewirken, dass die Respira- tionsenergie erheblich vermehrt wird. Bei Umbilicaria pustulata betrug z. B. der Wassergehalt auf 1 Gramm des Trockengewichtes 0,8 g. 1 g der Flechte absorbierte 1,31 cem Sauerstoff und schied 1,05 CO, aus. Eine Wasserzunahme um etwas über 50°/, hat eine Vermehrung der Sauerstoffabsorption um ca. 250°/,, eine Vermehrung der Kohlen- säureabgabe um nahezu 270°), zur Folge. Die Wasserzunahme um 75°], führt eine Zunahme der Sauerstoffaufnahme von 300°/, mit sich, ebenso wird die 3fache Menge der ursprünglichen Kohlensäuremenge 11 x 464 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. ausgeatmet. Wir sehen aber aus diesen letztern Zahlen zugleich, dass wenn der Wassergehalt ein größerer ist, seine Vermehrung nicht mehr im gleichen Maße zur Steigerung der Respirationsenergie führt wie anfänglich. Ueberschreitet der Wassergehalt eine bestimmte Größe, dann wirkt er nicht mehr günstig auf die Atmung ein. An der ge- nannten Versuchspflanze sank beim Wassergehalt 1,87 die Menge des aufgenommenen Sauerstoffes auf 3,1, die Menge der ausgeschiedenen Kohlensäure auf 2,64. Die Flechten verhalten sich also in dieser Be- ziehung gleich den Samen. Denn bei diesen entspricht das Maximum der Keimfähigkeit auch nicht der Sättigung. Völlig analog ist der Einfluss des Wassergehaltes auf die Assimi- lation. Für Physcia ciliaris fand Verf. folgende Werte. Wassergehalt auf 1 g Vol, der aufgenommenen CO, Vol. des abge- trockene Flechte auf 1 g Flechte gebenen O aufig 0,93 0,288 ecm 0,432 cem 1,26 1,706 , 255 „ 1,56 IB, 2,677 1,98 0;553 „ 0,663 „ Eine folgende Versuchsreihe gilt dem Verhalten der Flechten zu hohen Temperaturen. Die höchste Temperatur, welche Phanerogamen während längerer Zeit zu ertragen vermögen, ist 35°. Die Temperatur von 40° kann vorübergehend ohne Schaden wirken. Ein Aufenthalt in emem Raume von 45° während 24 Stunden wirkt tötlich. Erst hört die Assimilation auf, die Atmung wird verringert, die Pflanze stirbt. Anders verhalten sich die Flechten. Vorversuche zeigen, dass ihre Assimilation der CO, und ihre Atmung bei 35° ganz energische sind; bei 40° etwas verringert, immerhin aber sehr ergiebig. Ueber den Einfluss höherer Temperatur auf den Gaswechsel von Ramalina Fraxinea, gibt folgende Zusammenstellung Aufschluss: Gaswechsel im Dunkeln Gaswechsel im Lichte in während 17 Stunden 3 Stunden Dauer des Aufent- ——mn I — |. Vol. O ab- Vol.CO, aus- Vol. der ab- Vol. des ab- haltes in 45° sorb. pro geschieden geschiedenen sorb. O. auf 1 g Flechte pro1i1 g 0, afig 1 1 Tag . . . .. 3728 ccm 3,280 cem 1,955 ecem 2,222 cem 2rlagerum neh 14123), aD824 2,288 „ 2,692, 5 Sulasen wen it, 6o 1,4314 2,45 „ 2:98.85; IeTDage 4.121 76.320621,358 &,, 11035 0,958 „ Se, Aus diesen Versuchen ergibt sich, dass bei einem längern Aufent- halt in einem Raume von 45° zwar die Assimilation unterbrochen ist, die Respiration aber noch energisch fortdauert und zwar nicht viel geschwächt. Individuen, welche nicht in dieser hohen Temperatur sich befanden, absorbierte z. B. im Dunkeln in 17,81, 1,141 eem Sauer- stoff. Der schädliche Einfluss höherer Temperatur scheint sieh also Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 165 nur auf die Assimilation, oder vielleicht besser auf die Träger dieser Funktion, auf das Chlorophyll geltend zu machen. Diese die Assimi- lation beeinträchtigende Wirkung hoher Temperatur machte sich in gleichem Maße geltend, ob das Versuchsobjekt wasserarm oder wasser- reich war. Es verhielten sich also in dieser Beziehung die Flechten den höhern Pflanzen gleich. Verf. geht nun noch einen Schritt weiter, mdem er das Verhalten der Flechten in einer Temperatur von 50° prüft, welche nach Unter- suchungen von Sachs hinreicht um eine höher organisierte Pflanze nach 10 Minuten zu töten. Es ergab sich aus einer Reihe von Ver- suchen, dass die Respirationsthätigkeit auch jetzt noch andauert. Ein anderes Versuchsergebnis ist das, dass sich in dieser Widerstandsfähig- keit individuelle Verschiedenheiten zeigen. Individuen einer Art konnten widerstandsfähig sein, während andere der gleichen Art erlagen. Die Wirkung noch höherer Temperaturen mag, da sie ja ein ganz beson- deres Interesse darbietet, wieder an einigen Zahlen dargethan werden und zwar 1) für Ramalina fraxinea bei 55° Gaswechsel im Dunkeln in Gaswechsel im Lichte in Dauer des Aufent- haltes in 55° DD a age -1 DD Omi SS33596098 ä Normales Verhalten 3,923 „ 17 Stunden ER — Ö absorbiert CO, ausze- von 1g schieden von Flechte 1 g Flechte 0,792 ceem 0,736 eem EN TEE ra 024, D2EL 47, 0,105 „0,200 Ola 2,0330 0,204 „ 0,210... 0,166 0,216 „ 7 Stunden ——— OÖ absorbiert CO, ausge- voni1g schieden von Flechte 1 g Flechte 0,578 cem 0,317 cem 32.5.0409 1, 1.220, 0510 OÖ ausgeschieden CO, absorbiert 2,943 „ 2057 3 090 2) für Evernia primastri, welche des Rufes besonders großer Wider- fähigkeit genießt. F Dauer des Aufent- haltes in 60° 5 Stunden 6 Stunden 7 Stunden 9 Stunden Individuum, das der höheren Temp.nicht ausgesetzt war Gaswechsel im Dunkeln in 17 Stunden -0-Absorp- tion pro 1g pro1g Flechte Flechte 5,513 cem 4,290 „ 4,480 „ 4,032 „ olours 2101; %, 348 „3108 , 4,675 ecm 3;861: I (0, - Abgabe Gaswechsel im Lichte in 7 Stunden O- Abgabe 00, - Auf- proi1g nahme pro Flechte ı g Flechte 1,088 cem 1,037 ecm 2,036 „ 2,000 _, OA9B 5 40,353, . ar 166 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Sie genießt also ihren Ruf mit Recht. Vermag doch selbst ein mehrstündiger Aufenthalt in der hohen Temperatur von 60° nicht so weit gehende Veränderungen in ihrem Protoplasma hervorzurufen, dass seine Fähigkeit zu respirieren erheblich gestört wurde. Vor allem aber sehen wir, dass auch das Chlorophyll in dieser Zeit nicht getötet wird. Wohl ist die Assimilationsenergie im allgemeinen geschwächt, doch nieht gänzlich vernichtet. Diese außerordentliche Widerstandsfähigkeit kommt übrigens nicht nur Flechten zu. Verf. stellte fest, dass auch Moose sich ähnlich ver- halten. Orthotrichum affine hatte z. B. nach mehrtägigem Aufenthalt in einer Atmosphäre von 55° an der Respirationsenergie nichts ein- gebüßt. Seine Assimilationsfähigkeit war erst nach 7 Tagen merklich vermindert, mdem der normalen CO,-Absorption von 1,817 cem pro 0,530 cem gegenüberstehen. Die Flechten haben unter ihren natürlichen Vegetationsverhält- nissen bekanntlich sehr große Widerstandsfähigkeit gegen niedere Temperaturen. Sie sind der integrierende Bestandteil der Flora des höchsten Nordens, wie der höchsten Alpen, leben also unter Verhält- nissen, wo die Temperatur bis auf 40° und 50° unter 0° sinkt. Ueber den Einfluss aber, den niedere Temperaturen auf bestimmte Lebens- prozesse ausüben, wie auf die Atmung und die Assimilation, sind wir nicht unterrichtet. Zunächst muss man sich daran erinnern, dass sie die niedern Temperaturen in der Natur in latentem Zustande überdauern, also so wasserarm sind, dass die Lebensfunktionen sozusagen vollständig sistiert sind. Die Versuche des Verf. wurden nun je mit solchen Individuen ausgeführt, welche mit Wasser imbibiert waren. Unter 0° findet zunächst noch eine ganz erhebliche Atmung statt. So absorbierte 1 g Trockengewicht von Physcia eiliaris in einer Stunde bei — 9° 0,129 cem Sauerstoff; in der folgenden Stunde ebenfalls bei — 9° 0,050 eem; während der 2 folgenden Stunden bei — 10° 0,03 cem. Während der darauf folgenden 18 Stunden stieg die Temperatur all- mählich von — 10° auf — 4°. Die Sauerstoffmenge, welche in dieser Zeit absorbiert wurde, war 0,066 cem und endlich während der 4 Stun- den, da die Temperatur auf — 4° blieb 0,1 cem. Diese Zahlen lassen erkennen, dass nicht direkt die Temperatur es ist, welche die Größe der Respirationsenergie bestimmt. Sonst wäre es nicht wohl verständlich, dass die zu Anfang des Versuches bei — 9° absorbierte Sauerstoffmenge jene übertreffen würde, welche am Ende des Versuchs bei — 4° aufgenommen wurde. „Diese Unterschiede er- klären sich nur, wenn man annimmt, dass die Wassermenge, die in den Geweben frei blieb, eine progressive Verminderung erfuhr. Diese Verminderung aber kann nur auf dem Gefrieren beruhen“. Die geringe Sauerstoffmenge, welche bei 10° von der Flechte absorbiert wurde, legt die Vermutung nahe, dass diese Temperatur der untern Grenze Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 167 der Wärme, innerhalb welcher die Respiration vor sich geht, nahe liegt. Bei längerem Verweilen in einer Atmosphäre von 15° fand in der That eine nachweisbare Veränderung derselben statt. Viel unabhängiger von der Temperatur erwies sich der Vorgang der Assimilation. Selbst bei Temperaturerniedrigungen bis auf — 40° hatten wenigstens bestimmte Flechten die Fähigkeit noch zu assimilieren. Evernia prunastri die einige Stunden in einem Raume von — 37° bis 20° verweilte, hatte in dieser Zeit 0,67°/, Kohlensäure aufgenommen und 0,8°/, Sauerstoff ausgeschieden. Ueber den Einfluss der Wärme auf denAtmungsprozess stellte Detmer eine Reihe von Versuchen an, deren wichtigste Resultate folgende sind. Das Temperaturoptimum für den Atmungsprozess ver- schiedener Pflanzen liegt bei 40° oder etwas darüber oder darunter. Die Kohlensäuremengen in Milligrammen, welche 100 g frische Pflanzen- substanz in einer Stunde bei Lichtabschluss ausscheiden, sind folgende: Temperatur yon Zupius von Trikisum von Wien Bartoflel nu luteus vulgare Faba knollen 30 85 100,76 55,2 4,62 35 100 108,12 78,72 7,85 40 115,9 109,9 65,1 10,24 45 104,45 95,76 57,8 12,22 50 46,2 63,9 20,8 11,14 55 17,7 10,65 2% 10,3 so == = 2 2,4 Die Versuche lehren zugleich, dass auch bei Wärmegraden, die erheblich über dem Atmungsoptimum liegen, die Atmungsenergie eine recht bedeutende ist. Die beiden erstgenannten Versuchspflanzen benutzte Detmer um die Frage zu untersuchen, ob auch bei Temperaturen unter 0° und bei 0° die Pflanzen atmen. Das Versuchsergebnis ist folgendes. 100 g frischer Keimlinge produzierten im Dunkeln pro Stunde CO, in Milligrammen: Lupinenkeimlinge Weizenkeimlinge Ban 5,78 7,96 0. aka BR 7,27 10,14 bei DIRESRENIURTNUN N, 13,36 18,78 Die Zahlen sind, wie auch die frühern, Mittelwerte. „Als die bei — 2° C zum Versuch verwandten Lupinenkeimlinge nachträglich bei gewöhnlicher Temperatur unter normale Vegetationsbedingungen ge- langten, wuchsen sie weiter“. Auch den Einfluss der Temperaturschwankungen auf die Pflanzenatmung untersuchte Detmer. Blieb die eingeschobene Temperaturerhöhung unter dem Optimum, dann zeigte sich kein Einfluss, 168 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. d.h. die in gegebener Zeit bei bestimmter Temperatur vor der Temperatur- erhöhung ausgeschiedene Kohlensäuremenge, war auch nach derselben wieder zu konstatieren. Sobald aber die eingeschaltete Temperatur- erhöhung des Optimum überstieg, zeigte sich ein nachteiliger Einfluss. „4 Tage alte Keimlinge gaben z. B. in einem Versuche, auf 100 g Substanz und 1 Stunde bezogen, bei 20° 34,75 mg CO, aus. Nach 3stündigem Erwärmen der Untersuchungsobjekte auf 42°—43° C und Abkühlen auf 20° © betrug die in einer Stunde erzeugte Kohlensäure menge nur noch 23,3 mg“. Die Abhängigkeit der intramolekularen Atmung von der Tempe- ratur wurde zur Bestimmung des Optimums untersucht. Für Triticeum vulgare liegt dasselbe bei 40°. Die Kohlensäureproduktion in Milli- grammen von 100 g Keimpflanzen pro Stunde beträgt bei der intra- molekularen Atmung 52,39, also wenig unter der Hälfte des Optimums bei normaler Atmung. Gleich der normalen Atmung ist auch die intra- molekulare bei 0° schon eine recht energische, 5,4 mg. Wird die Temperatur über das Optimum erhöht, dann ist die Abnahme der Kohlensäureproduktion bei der intramolekularen Atmung viel energischer als bei der normalen. Während diese bei 45° 90°, der Kohlensäuremenge des Optimums produziert, erzeugt jene nur mehr 50°), und während bei 50° die normale noch 60°/, der größten Menge ausscheidet, ist sie bei der mtramolekularen auf 20°, gesunken. IH. Liehtwirkung auf den Pflanzenkörper. Im Anschlusse an die Darlegungen über die Respiration und Assimilation mögen die Skizzierungen über die beiden oben zitierten physiologisch- anatomischen Untersuchungen folgen. In seiner Studie über den Blattbau der Alpenpflanzen und dessen biologische Bedeutung sucht Wagner festzustellen, „ob Verschiedenheiten zwischen Exem- plaren derselben Species bei hohem und tiefem Standorte vorhanden seien und ob sich Merkmale finden ließen, welche den Blättern der Alpenpflanzen ganz allgemein gegenüber denen der Niederungen ein besonderes Gepräge verleihen“. In erster Linie konstatiert Verf. einen Einfluss des alpinen Stand- ortes auf das Assimilationssystem, indem bei der größten Zahl der von ihm untersuchten Pflanzen das Palissadengewebe in den höhern Regionen stärker ausgebildet war, sei es, dass die einzelnen Palissadenzellen verlängert waren, sei es, dass eine Vermehrung der Palissadenlagen erfolgte. Dieser Einfluss auf die Palissadenbildung führt denn auch nicht selten zur Ausbildung der Isolateralität bei Arten, die in der Ebene die Uebereinstimmung im Bau der Ober- und Unterseite nicht zeigen. Beim Wundklee, welcher bekanntlich eine sehr bedeutende vertikale Verbreitung besitzt, ist an den Blättern, die Pflanzen tiefer Lage entstammen, das Palissadengewebe der Oberseite entschieden stärker entwickelt, als das der Unterseite. Auf dieser namentlich Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 169 gegen die Mitte treten häufiger polyedrische Zellen auf. An den Blättern der Individuen hoher Standorte sind im allgemeinen die Pa- lissadengewebe beiderseits fast gleich entwickelt. Die einzige Art, bei welcher Verf. an den Individuen höherer Lage eine Abnahme des Pallissadengewebes fand, war Vaccinium Vitis Idaea, während die nahe Verwandte V. uliginosum sich typisch verhielt. Wagner be- merkt, dass die Individuen der erstern Art (2200 m hoch war ihr Standort) „ein mehr zwerghaftes Aussehen“ zeigten. ” Auch die Entwicklung des Durchlüftungssystemes wird vom son- nigen alpinen Standorte sehr wesentlich beeinflusst, so zunächst die Verteilung der Spaltöffnungen. Nur ca. 15°/, der untersuchten Arten hatten auf der Blattoberseite keine Spaltöffnungen; bei 20°), war die Unterseite die bevorzugte, bei 25°/, zeigten beide Seiten etwa die gleiche Zahl und bei ea. 40°], erschien die Oberseite als die bevor- zugte. Ich stelle hier aus der längern Reihe der Untersuchungen des Verf. einige besonders prägnante Beispiele zusammen: on Spaltöffnungen pro 1 mm? Blattfläche oben unten Saxifraga moschadta . . .... 190 0 Trifolium alpnım . . . 2... 401 14 Bigenariaabletina uni No.a..d on: 68 68 Benhana werna ns a la a 54 65 Vaccinium Myrtillus . . . . 10 218 Was die Ausbildung der Lufträume im Innern des Blattes betrifft, so lässt sich zeigen, dass dieselbe im allgemeinen gefördert ist, dass ferner die lockere Struktur in bestimmter Abhängigkeit zur Verteilung der Spaltöffnungen steht. Denn Verf. beobachtete, dass da, wo die Spaltöffnungen an der Oberseite besonders häufig sind, das Palissaden- gewebe gelockert erscheint, während bei den Arten mit oberseits spalt- öffnungsfreier Fläche auch in den Höhen ein dieht gefülltes Palissaden- gewebe vorkommt. Bonnier und Leist, welche früher ebenfalls den Einfluss des alpinen Standortes auf die Anatomie des Blattes bestimmten, gaben an, „dass die Epidermis der alpmen Blätter eine höhere Verstärkung der Außenwand und Cutieula erfahre“. Verf. konstatiert an seimen Versuchspflanzen, dass auffallende Verstärkungen der Außenwand, vor allem starke Cutieularisierung, die auf den xerophilen Charakter der alpinen Pflanzen hinweisen würden, im allgemeinen nicht zu beachten sind. Es ist also der Blattbau auf einen besondern Transpirations- schutz nicht eingerichtet. Das positive Ergebnis dieser Studie ist dahin zusammenzufassen, dass sich im Blattbau der alpinen Gewächse eine unverkennbare Ten- denz zur Anpassung an eine gesteigerte Assimilationsthätigkeit offen- bart. Das Licht ist eine der Ursachen der Entwicklung des Pallisaden- gewebes, indem von ihm ein Impuls zu einer vollkommenen Entwick- 170 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. lung des Assimilationsgewebes ausgeht. Die Richtung seiner Entwiek- lung wird durch die erblichen Dispositionen einerseits und anderseits dureh die Plastizität der Pflanze bestimmt. „Es wird sich nun fragen, ob wirklich in der Höhe die Insolation eine so weit gesteigerte ist, dass man ihr einen merkbaren Einfluss auf die Blattstruktur zuschreiben darf“. Die Sonnenstrahlung ist in der That auf den Bergen eine viel intensivere als im Thale. Nach Violle ist sie auf dem Mont Blane um 26°, größer als im Niveau von Paris. Während bis zur Ebene 25—30°/, der Sonnenstrahlen absorbiert werden, beträgt die Absorp- tion am Gipfel des Mont Blane nur 6°),. „Sprechend ist auch die Zunahme der Unterschiede zwischen der Temperatur in der Sonne und im Schatten mit der Seehöhe. Relative Messungen von Frankland ergaben unter anderen folgende Daten: Ort Seehöhe in Metern Thermometer in Sonnenhöhe 60° Schatten Sonne a chaubsz. 227.12, 8%, 2 20 32,2 371,8 Pontresinasi..,. +... = 1500 26,9 44,0 Bernina ur... 0% 2330 19,1 46,4 Diavolezza... . 2980 6,0 59,5 Während also in der Ebene der Temperaturunterschied 5,60 be- trug, war derselbe in der Höhe von ca. 3000 m auf 53,5% angewachsen. Die Intensitätszunahme der Sonnenstrahlung ist also eine ganz be- deutende*“. Meteorologische Beobachtungen ergeben allerdings nun weiter, dass dieser größern Intensität des Sonnenscheines dessen kürzere Dauer gegenüber steht. Im weitern weist Verfasser darauf hin, dass für die Wirkung des Sonnenlichtes auf das Assimilationsgewebe alpiner Pflanzen auch der Umstand in Frage kommt, dass die absorbierende Wirkung des Wasser- dampfes nicht für alle Strahlen des Spektrums die gleiche ist. Es werden die weniger brechbaren Strahlen, also gerade diejenigen, welche assimilatorisch besonders wirksam sind, stärker absorbiert, als die andern. „Wenn wir beachten, dass mit der Seehöhe der absolute Feuchtig- keitsgehalt der Luft rasch abnimmt, dass die höhern Luftschichten einen viel geringern Gehalt an Wasserdampf aufweisen, so ergibt sich daraus ganz logisch die Konsequenz, dass in der Höhe auch eine ge- ringere Absorption der weniger brechbaren Strahlen statt hat und dass daher in hohen Regionen nicht nur wegen der überhaupt größern Mengen, sondern speziell auch wegen des größern Reichtums an assi- milatorisch anregenden Strahlen, das Licht auf die Assimilationsenergie fördernd einwirkt“. Eine gesteigerte Ausbildung des Assimilationsapparates wird aber aus doppeltem Grunde für die alpinen Pflanzen von größtem Vorteile, ja geradezu eine Lebensfrage für sie sein. Die Vegetationszeit ist für Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 171 die alpinen Pflanzen sehr verkürzt. In der hellen Zeit müssen sich hier die für die Erhaltung der Individuen wie der Art nötigen Vor- gänge abspielen. Dazu kommt nun aber, dass der CO,-Gehalt der auf den Alpen stark verdünnten Luft dem Gewichte nach ein geringerer ist als in der Ebene. Eine bessere Ausnützung der Luft wird bei vollkommner entwickeltem Assimilationsapparat möglich werden. — Geneau de Lamarliere sucht auf experimentellem Wege den Einfluss der Beschattung und Belichtung auf die Ent- wieklung der Blätter festzustellen. Wie wird die Struktur des Blattes von diesen beiden Momenten beeinflusst? An der Sonne wird das Blatt stets dieker als im Schatten. In erster Linie erfährt die Epidermis wenigstens der obern Seite eine Diekenzunahme z. B. bei Berberis vulgaris von 15 u auf 25 «. Wo eine einzige Palissadenzellschicht unter der Epidermis sich befindet, pflegt dieselbe durch die Längenzunahme der einzelnen Zellen dieker zu werden. In sehr erheblicher Weise zeigt sich dieser Einfluss z. B. bei Taxus baccata. Während die Blätter der Schattenpflanze ein 135 w dickes Palissadengewebe haben, ist es an Sonnenpflanzen zu 215 « heran- gewachsen. Vor allem aber wirkt die Sonne dahin, dass sich in vielen Fällen entweder eine 2. Palissadenzellschiehte entwiekelt, oder ein dichtes Zellgewebe entsteht, welche beide den Schattenpflanzen fehlen. Es kann die hierdurch erzielte Diekenzunahme des Blattes 50°/, bis fast 100°, der Dieke des Schattenblattes betragen. Die Epidermis der Unterseite erfährt sehr häufig keine, in anderen Fällen nur eine geringe Zunahme. Verf. verglich bei einer Reihe von Pflanzen das Verhältnis des Trocekengewichtes zum Frischgewichte der an der Sonne und im Schatten entwickelten Blätter. In allen untersuchten Fällen war das Verhältnis =: für die Sonnenblätter größer als für die Schattenblätter. Dort schwankt es zwischen 0,2 (für Hieracium Pilosella) bis 0,47 (für Fagus silvatica), hier zwischen 0,10 (für H. Pilosella) bis 0,37 (für F. sivatica). Auch auf gleiche Flächen berechnet macht sich dieser Unterschied zu Gunsten der an der Sonne entwickelten Blätter geltend. Wie verhalten sich nun die Sonnen- und Schattenblätter in ihren Leistungen zu einander? Für die Eiche fand Verf. z. B. folgende Werte: Die Kohlensäureabgabe in Kubikzentimeter betrug für ein Sonnen- blatt 0,007, für Schattenblätter in der gleichen Zeit 0,002, für die Weide 0,017 und 0,0054. Analog sind die Unterschiede der Sauerstoff- absorption, nämlich für die Eiche an Sonnenblättern 0,008 cem; für die Schattenblätter 0,003 eem. Es ist also die Atmungsenergie der an der Sonne entwickelten Blätter auf gleiche Oberfläche berechnet viel größer als für die Schattenblätter. Dass der gleiche Satz auch für die Assimilation seine Giltigkeit haben wird, ist nach dem Bau des Blattes a priori anzunehmen. Für 172 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. die Eiche ist die Differenz z. B. folgende: An der Sonne entwickelte Zweige zersetzten 0,159 cem auf 0,073 der Schattenzweige. Auf mannigfaltigen Wegen bestimmte Verf. die Transpirations- energie von Sonnenblättern und Blättern, die sich im Schatten ent- wiekelten, unter gleichen Bedingungen. In allen Fällen war sie bei erstern größer als bei letztern. Oltmann’s Untersuchungen über die photometrischen Be- wegungen der Pflanzen befassen sich in erster Linie mit Volvox, einer Algenart, der ein feines Unterscheidungsvermögen für verschiedene Helligskeitsgrade innewohnt. Werden die Individuen in Apparaten ge- halten, in welchen verschiedene Helligkeitsgrade herrschen, dann be- obachtet man, dass die Individuen sowohl aus den hellsten Partien, als auch aus den dunkelsten auswandern, um aus beiden sich einer Zone bestimmter Helligkeit zuzuwenden. Diese ist je als die opti- male zu bezeiehnen. Sie führen also photometrische Bewegungen aus, d.h. Bewegungen, die durch Licht verschiedener Intensitäten aus- gelöst werden. Ihre „Liehtstimmung“, d. h. „derjenige Zustand der Zellen, welcher sie zwingt, in einem gegebenen Momente ein be- stimmtes Optimum zu erstreben“, ändert teils nach den Entwiecklungs- stufen, teils nach äußern Einflüssen. Die mit mehr oder weniger reifen Oosporen versehenen Volvox-Individuen pflegen dunklere Stellen auf- zusuchen als die mit jungen Oogonien resp. Parthenogonidien. In einem vierkantigen Glasgefäße, das direktem Sonnenlichte ausgesetzt war, sind die Volvox-Kolonien annähernd gleichmäßig verteilt und nur lang- same Bewegungen gegen die Stellen hin bemerkbar, in welchen durch Spiegelung an den Wänden die Helligkeit vergrößert wird. Wird nun durch einen Tuschplattenkasten die Beleuchtung in bestimmter Weise modifiziert, dann beginnt, fast momentan, die Sonderung der Individuen. Die Parthenogonidien führenden sammeln sich in der hellsten Ecke eine Wolke bildend an. Die weiblichen dagegen, vor allem jene, deren Eier befruchtet sind, bewegen sich mehr in die dunkeln Teile des Apparates, wo sie sich in Vertikalreihen ordnen. Die Liehtstimmung hängt aber auch von der vorgängigen Beleuch- tung ab. Eine längere Verdunklung setzt die Liehtstimmung herab, bewirkt also, dass die Individuen ihr Optimum in dunkleren Stellen finden als sonst. Es verhalten sich also die Volvox-Individuen gleich den Schwärmsporen der Algen, von denen Strasburger angibt, dass sie ebenfalls höher gestimmt sind, wenn die Kulturen längere Zeit starker Beleuchtung ausgesetzt waren. Verf. glaubt auch auf eine tägliche Periode der Liehtstimmung schließen zu dürfen, so zwar, „dass die Liehtstimmung bis zum Vormittage oder Mittage steigt, um von dort wieder etwas zu sinken“. Die Lichtstimmung ist nicht nur bei den geschlechtliehen und ungeschleehtlichen Individuen verschieden, sondern ändert sich auch in verschiedenem Sinne. Während z. B. am frühen Morgen eine scharfe Trennung zwischen beiderlei Individuen- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 173 formen bestand, wanderten die weiblichen Individuen in den Vor- mittagsstunden in die helleren Teile des Apparates, ihre Lichtstimmung steigerte sich also, am Nachmittag wurde sie wieder herabgestimmt. Die Folge war die scharfe Sonderung. In den Bewegungen kann man aber niemals eine Beziehung der Bewegungs- und Axenrichtung zu dem einfallenden Strahle erkennen. Das richtende ist also nicht der Gang der Lichtstrahlen, sondern ihre Stärke. Die Richtungsbewegung wird ausgelöst durch die vom Be- leuchtungsoptimum abweichende Liehtintensität. Demnach wird ihre Energie in direktem Verhältnis zur Differenz zwischen dem Optimum und der bestehenden Beleuchtung stehen. Je mehr sich das Individuum dem Optimum nähert, um so geringer wird ihre Energie. Ist dieses erreicht, dann hört die Riehtungsbewegung auf. Die Bewegung selbst dauert aber fort. Sie kann sogar innerhalb der Zone der Optimum- helligkeit sehr energisch sein. Auch im Dunkeln tritt ein indifterenter Zustand ein. Die Bewegung, welche auch jetzt nicht völlig sistiert war, ist träge. Es bilden also diese Nachtbewegungen eine Analogie zu Schlafbewegungen höherer Pflanzen. Wie diese nicht plötzlich und erst bei völliger Dunkelheit auftreten, sondern beginnen, sobald die Liehtstärke unter ein bestimmtes Maß gesunken ist, so entstehen auch diese Nachtbewegungen von Volvox nicht erst bei völliger Dunkelheit, sondern bei Lichtschwächung. Versuche, die mit Spirogyra angestellt wurden, zeigten ebenfalls photometrische Bewegungen dieser Pflanze. In den zahlreiche Licht- abstufungen zeigenden Tuschprismenapparaten wandern sie aus den hellern und dunklern Teilen, ordnen sich parallel zu dem Einfalls- strahl zu einem vertikalen Büschel mit ihrer Spitze pendelnde Be- wegungen ausführend, die wahrscheinlich dureh Wachstumsdifferenzen bedingt waren. Aın Morgen standen die Büschel in hellern, am Mittag in dunkleren Teilen, um gegen Abend wieder in die hellern zu wandern. Von andern Autoren wird der richtende Einfluss des Lichtes auf den sich bewegenden Organismus besonders betont. So bezeichnet Strasburger die Organismen als phototaktische, welche durch das Licht eine Riehtung ihrer Längsaxe und damit zusammenhängend eine Bewegung erfahren. Oltmann sieht in der Phototaxie die Form, „unter welcher die Photometrie zuweilen aber keineswegs immer in Erscheinung tritt“. So bezeichnet er denn als phototaktische Bewegung alle jene photometrischen, bei welchen die Organismen die ihrer Licht- stimmung entsprechenden Helligkeitsgrade erreichen, resp. zu erreichen suchen durch Ortsveränderung des ganzen Körpers. Die Richtung der Längsaxe sieht er als etwas nebensächliches an. „Im Allgemeinen wird die Pflanze sich direkt mit dem Vorderende auf das Optimum hinrichten“. Eine besondere Form . phototaktischer Bewegungen, die Plagio- phototaxie, kommt den bilateralgebauten Chloroplasten zu. In den 174 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Zellen eines Mesocarpus beobachtet man, dass die Chlorophyliplatten bei sehr großer Lichtintensität Profilstellung einnehmen. Die Stellung bleibt so lange erhalten, bis eine gewisse untere Grenze der Licht- intensität erreicht ist. Dann stellen sich die Platten schräg, so dass der Winkel zur Profilstellung mit abnehmender Helligkeit immer größer wird. Sehließlich tritt die Flachstellung ein und sie bleibt noch bei Abnahme der Liehtintensität erhalten. Es haben also diese durch die Zellwände an freier Beweglichkeit gehemmten Zelleninhaltskörper auch die Fähigkeit auf bestimmte Lichtreize hin sich zu bewegen, eine Reaktion, die Verfasser als Plagiophototaxie bezeichnet. Dem Optimum der orthophototaktischen Organismen entspricht die Sehrägstellung der Chloroplasten. Denn innerhalb dieses Optimums ist er im Stande genau das Lichtquantum aufzufangen, welches er vermöge seiner Lichtstimmung wünscht. Auch die heliotropischen Erscheinungen sind nichts anderes als photometrische. Es sind also Bewegungen, welche darauf abzielen eine bestimmte Helligkeit, die optimale, zu erreichen. Während in den frühern Fällen die Beweglichkeit der Organismen dieses Optimum er- reichen ließ, so führt jetzt bei der mangelnden Ortsbewegung die Lichtstärke nur Krümmung herbei. Das Organ sucht sich der Art in die Liehtregion des Optimums hineinzubiegen. Die pflanzlichen Organe oder die Pflanzen, denen die freie Beweglichkeit fehlt, sind also phototrop. An Vaucheria-Fäden beobachtete Verf., dass die Sprosse an einer Stelle mittlerer Helligkeit völlig vertikal stehen. Sie erscheinen also gegen die Liehtwirkung indifferent; sie befinden sich in der Zone ihres Optimums. Von beiden Seiten her, der hellern wie der dunklern neigen sich die Sprosse gegen dieses Optimum hin. Je weiter die Sprosse vom Indifferenzpunkt entfernt stehn, um so schärfer ist die Krümmung. Wie also ein freibewegliches Volvox-Individuum im Apparate mit abgestufter Beleuchtung nach einer seiner Lichtstimmung zusagenden Stelle aus dem ihm zu dunkeln oder zu hellen Stelle sich hinbewegt, so streben die Sprosse auch danach durch Krümmung nach der der Liehtstimmung entsprechenden Liehtintensität zu gelangen. Auch PAyco- myces nitens erwies sich je nach den gebotenen Helligkeitsgraden bald positiv, bald negativ heliotropisch. Doch nicht nur in der Ebene der einfallenden Strahlen geht die Krümmung vor sich. Lässt man einen Strahlenbündel auf die Frucht- träger fallen, dann treten Krümmungen ein, doch weder gegen die einfallenden Liehtstrahlen, noch von ihnen weg, sondern nach den dunkeln Seiten, rechts und links. Sie finden also hier in dem Raume schwächerer Lichtintensität die ihrer Lichtstimmung entsprechenden Helligkeit. Dieselbe Phototropie ist der Heliotropismus der Sprosse von Phanerogamen. Da sie häufig in direktem Sonnenlichte wachsen, ist Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 175 ihre Lichtstimmung im allgemeinen eine sehr hohe. Deshalb suchen sie im allgemeinen durch Krümmung gegen das einfallende Lieht die ihrer Lichtstimmung zusagende höhere Helligkeit zu erreichen. Ist diese aber eine hinreichende, dann zeigt sich auch der der Art zuge- schriebene positive Heliotropismus nicht. „Keimpflanzen von Tropaeolum majus wurden in einen innen geschwärzten Kasten mit ca. 3 cm breitem Schlitz dicht an diesen gestellt und an einem sehr klaren Tage den Strahlen der Sonne ausgesetzt. Durch Drehung des Kastens wurde wieder dafür gesorgt, dass immer annähernd die gleiche Stellung zur Sonne eingehalten wurde. Trotz stundenlanger Besonnung blieb der Spross genau vertikal stehen; positive Krümmungen traten aber nach ganz kurzer Zeit ein, wenn die Pflanze in irgend ein Zimmer ans Fenster gestellt wurde“. Wurden Lepidiensämlinge in das von einem Planspiegel reflektierte Licht gebracht, das durch eine bikonvexe Linse konzentriert wurde; dann zeigte sich, dass die dem Brennpunkte nächsten Pflänzchen, die sich also in der Richtung größerer Helligkeit befanden, negativ gekrümmt waren, die weiter abliegenden in einer Region geringerer Helligkeit wachsenden vertikal aufgerichtet waren und die noch weiter abliegenden in Zonen geringerer Helligkeit befind- liehen, positive Krümmung zeigten. Es gibt also für diese Phanero- gamen ein Optimum der Liehtintensität, einen Helligkeitsgrad, in welchem trotz einseitiger Beleuchtung keine heliotropischen Bewegungen zu stande kommen, in welcher die Pflanze indifferent gegen die Licht- wirkung ist. Es ist das Optimum, die der Liehtstimmung der be- treffenden Individuen am ehesten zusagende Helligkeit; denn sowohl aus Lagen stärkerer, als geringerer Helligkeit streben die Pflanzen diese Region durch Krümmung zu erreichen. Als Plagiophototropie bezeichnet Verf. die Eigenschaft dorsi- ventraler Organe eine besondere Lage zum Lichte einzunehmen, indem sie demselben eine ganz bestimmte Seite zukehren, welche außerdem einen für jede Intensität des Lichtes bestimmten Winkel mit den ein- fallenden Strahlen bildet. Im Gegensatze zu den radiärgebauten Organen sind die dorsiventralen innerhalb gewisser Grenzen von dem Gange der Strahlen abhängig. Riehtung und Intensität der Sonnen- strahlen bestimmen also die Stellung des Blattes. Ein Helligkeitsgrad, welcher bei ihnen eine Inditfferenz gegen das Licht erzeugt, kann bei den dorsiventralen Organen im Gegensatz zu den radiären nicht be- stimmt werden. Eine mechanische Erklärung für die beiden Formen der photo- metrischen Bewegung, der phototaktischen und phototropischen gibt Verf. nieht. Dagegen wirft er die Frage auf, ob die betreffenden Stellungen und Bewegungen nur der Ausdruck der Liehtempfindlichkeit sind, oder durch Kombination mehrerer Kräfte entstehen. Vorab ist, nachdem Engelmann gezeigt hat, wie z. B. die Dia- tomeen in ihrer Bewegung vom Sauerstoffgehalte des Wassers sehr 176 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. abhängig sind, daran zu denken, ob die als photometrische Bewegungen bezeichneten Ortsveränderungen nicht eher als chemotaktische Lokomotionen zu benennen sind. Ohne auf bestimmte Experimente fußen zu können, glaubt Verf. diesen chemischen Einfluss nieht an- nehmen zu dürfen. Geotaxie, der Einfluss der Schwere auf diese Bewegungen, dürfte wenigstens in einzelnen Fällen, z. B. bei der verti- kalen Stellung der Spirogyren-Fäden, auf die Bewegung einwirken. An orthophototropen Organen beobachtet man, dass, „je mehr die Energie der phototropischen Krümmung wächst, um so mehr der Geo- tropismus in den Hintergrund tritt. Er wird völlig überwunden, gleich- sam latent. Nur bei geringer Energie der Phototropie macht er sich zum mindesten in einer Verzögerung der Richtungsbewegung bemerk- bar“. Die plagiophototropischen Bewegungen sind rein der Ausdruck einer spezifischen Lichtempfindlichkeit dorsiventraler Gebilde. Den photometrischen Bewegungen ist eine große Analogie zu den chemotaktischen, namentlich zu den tonotaktischen und im weitern auch zum Thhermotropismus nicht abzusprechen. Erstere werden durch den Konzentrationsgrad einer Salzlösung bedingt, die je nach ihrer Stärke anziehend oder abstoßend wirkt oder uuch indifferent lässt, wie anderseits bei gewissen Temperaturen Plasmodien keine Bewegungen ausführen, bei höheren Wärmegraden negative, bei niedrigeren positive Richtungsbewegungen ausführen. Alle diese Reizerscheinungen haben ihren letzten Grund im Empfindungsvermögen des Protoplasmas. Die Reaktion erfolgt, wenn dieses Intensitätsunterschiede wahrnimmt. Das tierische Empfindungsvermögen findet also im pflanzlichen Empfindungs- vermögen sein Analogon. Die Untersuchung von Rothert über die Fortpflanzung des heliotropischen Reizes berührt eine Frage, die Darwin in seinem Werke über das Bewegungsvermögen der Pflanze im folgenden Sinne beantwortete: Die heliotropische Empfindlichkeit ist auf eine Spitzen- region von begrenzter Länge beschränkt. Die Spitzenregion überträgt den empfangenen Reiz auf den direkt nicht empfindlichen Unterteil und veranlasst durch diese Uebertragung die heliotropische Krümmung desselben. Zu dieser Theorie der Fortpflanzung des heliotropischen Reizes führte folgende Beobachtnng. Wird bei gewissen Keimlingen von Gräsern und Dicotyledonen die obere Hälfte oder auch nur eine mehrere Millimeter lange Spitzenregion verdunkelt, dann unterbleiben die heliotropischen Krümmungen, auch wenn der Unterteil lange Zeit hindurch einseitig beleuchtet wird. Die Fortpflanzung eines helio- tropischen Reizes wurde von andern Forschern, so namentlich von Wiesner, in Abrede gestellt. In seiner vorläufigen Mitteilung über diese offene Frage kommt Rothert zu folgenden Ergebnissen. Als Versuchsobjekte dienten die scheidenförmigen Kotyledonen von Gramineen, namentlich Avena sativa und Phalaris canariensis, die durch starke heliotropische Krümmungs- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 177 fähigkeit ausgezeichnet sind. Bei der einseitigen Beleuchtung beginnt die heliotropische Krümmung an der äußersten Spitze und schreitet dann allmählich nach unten fort, während der obere Teil sich in immer längerer Ausdehnung gerade streckt. Schließlich ist nur an der Basis die Krümmung eine starke, der übrige Teil ist gerade vor- gestreckt, meist nur wenig von der Richtung des einfallenden Lichtes abweichend, also 60°—-90° geneigt. Wird nun die Spitze auf mehrere Millimeter Länge verdunkelt, dann krümmt sich der beleuchtete Teil heliotropisch; die Bewegung pflanzt sich auch in analoger Weise wie bei voller Beleuchtung über den nun beleuchteten Teil fort, aber die Krüm- mung erfolgt viel langsamer, bleibt ziemlich flach, so dass die definitive Neigung nur 10°—55° beträgt. Ein abweichendes Verhalten zeigten bei Avena-Keimlingen nur 4°/, der vollbeleuchteten und nur 3°/, der an der Spitze verdunkelten Individuen. Die Versuche ergeben also, dass der Unterteil der Kotyledonen direkt heliotropisch empfindlich ist, dass aber diese Empfindlichkeit verhältnismäßig schwach ist. Die starkempfindliche Spitzenregion pflanzt die starke heliotropische Reizung gegen die Basis fort und veranlasst den Unterteil des Kotyledons zu stärkerer Krümmung, als wie sie durch die eigene heliotropische Empfindlichkeit veranlasst würde. Die heliotropische Empfindlichkeit nimmt nicht allmählich von der Spitze nach der Basis ab. Sie ist über den ganzen Unterteil des Kotyledons gleich stark, d. h. ob zum Beispiel nur der untere Drittel oder 5/, seiner Länge einseitig beleuchtet werden, die heliotropische Neigung bleibt dieselbe. Die Gipfelregion bevorzugter Empfindlichkeit hat etwa eine Länge von 3 mm. Innerhalb dieses Gebietes scheint namentlich der oberste Teil etwa über 1 mm hin eine besonders ge- steigerte Empfindlichkeit zu besitzen. Diese Spitzenregion ist nun auch durch besonders langsames Wachstum ausgezeichnet. Wachstum und Empfindlichkeit, die zwar beide Einfluss auf die Krümmungsfähigkeit haben, sind also von ein- ander völlig unabhängig. Es zeigt sich dies auch am übrigen Teil des Kotyledons. Teilt man den Kotyledon in 1,5 mm lange Zonen ein, dann findet man, dass von der dritten Zone an eine rapide Steigerung des Wachstums erfolgt bis zum Maximum, welches in der 5. oder 6. Zone liegt, von hier an gegen die Basis wieder eine allmähliche Ab- nahme. „Ist ein Organ in seiner ganzen Länge gleichmäßig empfind- lich, so wird seine Krümmungsfähigkeit in derjenigen Querzone am größten sein müssen, welche am schnelisten wächst; diese Zone wird sich also, wenn das Organ gereizt wird, am frühesten krümmen. Ist umgekehrt die Wachstumsintensität in der ganzen Länge des Organes die gleiche, so wird sich diejenige Zone derselben am frühesten krüm- men, welche am empfindlichsten ist. Sehen wir aber, dass eine be- stimmte Zone sich früher krümmt, als die übrigen, obgleich sie lang- samer wächst als diese, so müssen wir schließen, dass dieser Zone XIU. 12 178 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. eine bedeutend größere Empfindlichkeit zukommt. Wir könnten also schon aus der Thatsache, dass eine 3 mm lange Spitzenregion der Kotyledonen, trotz bedeutend geringerer Wachstumsintensität, sich früher heliotropisch zu krümmen beginnt als die tiefern Zonen, den vollkommen zwingenden Schluss ziehen, dass diese Region heliotropisch viel empfindlicher sein muss als der Unterteil des Kotyledon — selbst wenn wir nicht bereits auf experimentellem Wege zu diesem Resultate gekommen wären“. Dass wirklich eine Fortleitung des heliotropischen Reizes von der empfindlichen Spitze aus basalwärts statt hat, ergibt auch folgender Versuch. Der Unterteil des Kotyledons wird verdunkelt, die Spitze einseitig beleuchtet. In den meisten Fällen erstreckte sich die Krüm- mung ebenso weit nach unten, wie bei den vollbeleuchteten Vergleichs- keimlingen. Inbezug auf den Grad der Krümmung blieben die teil- weise verdunkelten Keimlinge oft nur wenig hinter den vollbeleuchteten zurück. Für diese Fortleitung spricht vielleicht in entschiedenster Weise folgende Beobachtung. Wurden Kotyledonen durch zwei Lampen ein- seitig beleuchtet und zwar so, dass die Spitze nur von rechts, der Unterteil von links beleuchtet wurde, dann nahm der Kotyledon eine S-förmige Krümmung an. Doch bald machte sich die Fortpflanzung des heliotropischen Reizes der Spitze geltend, welche den Unterteil in entgegengesetzter Richtung zu krümmen bestrebt war und nach einigen Stunden auch wirklich von der ihm direkt beleuchtenden linken Lampe hinweggekrümmt hatte. Doch nicht nur der Spitze, auch tieferliegenden Teilen des Kotyle- dons wohnt trotz der geringeren Empfindlichkeit die Fähigkeit inne gegen die Basis hin einen heliotropischen Reiz fortzuleiten. Gegen die Spitze zu wurde er aber nicht geleitet. Das Leitungsgewebe für den heliotropischen Reiz ist das paren- ehymatische Gewebe. Während zahlreiche andere Gräserkeimlinge sich völlig analog verhielten, zeigten andere, wie z. B. Paniceen, gewisse Eigentümlich- keiten. Bei ihnen findet die heliotropische Krümmung des hypokotylen Teiles ausschließlich unter dem Einflusse eines zugeleiteten Reizes statt. Der Kotyledon und zwar vor allem wieder die Spitze nimmt den Reiz auf und leitet ihn fort. Eine Verdunklung der Spitze und einseitige Beleuchtung des hypokotylen Gliedes löst keine heliotropische Krümmung aus. An Paniceen-Keimlingen konstatierte Verf., „dass die Krümmungs- fähigkeit der Keimlinge, mithin auch die heliotropische Empfindlich- keit der Kotyledonen, das Wachstum der letzteren um wenigstens 1—3 Tage überdauern kann; die Krümmungsfähigkeit hält so lange an, als das Hypokotyl wächst, welches die Krümmung auszuführen hat; von dem Wachstum des Kotyledons ist sie völlig unabhängig“. Lueiani, Vorstufen des Lebens. 179 Wachstum und heliotropische Empfindlichkeit fallen also nicht zu- sammen. Bemerkenswert ist hierbei ferner die scharfe lokale Trennung der Perzeptionsfähigkeit und der Reaktionsfähigkeit“. „Der Kotyledon ist direkt empfindlich, aber nicht krümmungsfähig, das Hypokotyl ist krümmungsfähig, obgleich nicht direkt empfindlich“. Bei den Dikotyledonen zeigt sich eine gewisse Mannigfaltigkeit des Verhaltens. Gewisse wie z. B. Drassica Napus sind in allen Stücken Avena sativa gleich. Bei andern, z. B. der Kornrade (Agro- stemma Githago) ist der Unterschied in der heliotropischen Empfind- lichkeit zwischen Spitze und Unterteil nicht bedeutend; wie auch die Fortpflanzung des heliotropischen Reizes viel weniger intensiv ist. Sie erstreckt sich nicht über so große Entfernungen wie bei Avena. Dass heliotropische Krümmungsfähigkeit und Fortpflanzung des heliotropischen Reizes nicht in notwendiger Beziehung zu einander stehn, zeigt Vicia sativa. Trotz großer Krümmungsfähigkeit ist die Fortpflanzungsfähigkeit gering. Noch bei andern blieb es ganz zweifelhaft (z. B. Coriandrum sa- tivum), ob die Empfindlichkeit der Spitze größer war als die Empfind- lichkeit tieferer Teile. Eine Fortpflanzung des heliotropischen Reizes zeigen aber auch sie. Auch an Organen die nicht Keimlingen angehören, wie z.B. jungen Sämlingsblättern von Allium Cepa, Blattstielen von Tropaeolum minus, jungen Stengeln von Vieia sativa ete. ließ sich die Fortpflanzung des heliotropischen Reizes nachweisen, oft über viele Zentimeter hin. Auch hier konnte konstatiert werden (an Galium purpureum), dass ein nicht mehr wachsendes Organ für einen heliotropischen Reiz empfindlich ist (oder sein kann). Fehlt auch eine lokal gesteigerte heliotropische Empfindlichkeit “in vielen Fällen ganz sicher; in andern scheint der Spitze größere Empfindlichkeit innezuwohnen (Stengel von Dahlia variabilis). (3. Stück folgt.) Vorstufen des Lebens. Von Prof. Luigi Luciani in Florenz!). So oft ich durch die Pflichten meines Lehramts mit der Darlegung irgend eines Teils der Physiologie zu beginnen habe, fühle ich, fast instinktiv, das Bedürfnis ihr einen kurzen Zeitabschnitt innerlicher Sammlung vorausgehen zu lassen, der dazu dient mir im Geiste einen deutlichen Ueberbliek über das Gesamtbild, sozusagen das Panorama, jenes Teils der Wissenschaft vom Leben zu verschaffen, den zu er- forschen ich mir im Verein mit meinen jungen Freunden und Schülern vorgesetzt habe. Ein solches Bedürfnis hat sich auch in diesem Jahr 1) Antrittsrede, gehalten in der großen Aula des Istituto di studi superiori zu Florenz am 1. Dezember 1892. j2* 180 Lueiani, Vorstufen des Lebens. eingestellt und noch dringlicher und stärker, da es durch einen noch ernsteren und gebieterischern Antrieb hervorgerufen wurde: durch den Beschluss meiner hochverehrten Kollegen von der naturwissenschaft- lichen Fakultät, welche mich mit dem Auftrag beehrt haben, meine Vorlesungen nicht in dem bescheidenen mit meinem Laboratorium ver- bundenen Hörsaal und vor einem verhältnismäßig kleinen Kreis junger Studierender zu beginnen, sondern in dieser großen Aula, wo sieh mit den Lehrern und Lernenden unseres gesamten Athenäums nach altem Brauch die Blüte der florentinischen Bürgerschaft zu vereinigen pflegt. Es ist begreiflich, dass mich diese Verschiedenheit der Zuhörer- schaft dazu verleitet hat, den Blick nicht sowohl auf den einen oder andern Teil der Physiologie zu wenden, sondern auf das ganze weite Gebiet der Wissenschaft vom Leben, wie es sich vor den Augen des Beobachters im jetzigen Zeitpunkt und von unsrem Standpunkt aus ge- sehen, darstellt; in dieser Zeit der positiven experimentellen und durch Beobachtung beglaubigten Wissenschaft und von diesem genügend hohen Standpunkt, in welchem alle Teile der verschiedenen Zweige des Wissens zusammenlaufen, von dem aus nur die allgemeinen und größten Linien des Bildes unterschieden werden können, die kleineren Züge, Stellungen und Bewegungen dagegen verschleiert und undeutlich erscheinen. Welch schönes, wunderbares Schauspiel, auch von dieser Höhe aus, bietet die Welt des Lebenden! Im Pflanzenreich wie auch im Tierreich äußert sich das Leben in den unterschiedlichsten Formen, von den einfachsten bis zu den verwickeltsten, von den kleinsten, mikroskopischen zu den riesenhaftesten; von den unsichtbaren Mikroben, die, um einen poetischen Ausdruck Huxley’s zu brauchen, in großer Zahl auf der Spitze einer Nadel tanzen können wie die von den Theologen geträumten Engel und Dämonen, bis zu der gigantischen Fichte Kaliforniens, deren Gipfel noch höher ist als der Glockenturm des Giotto, bis zum großen Walfisch, der bis dreißig Meter Länge er- reichen kann, der mit seinen gewaltigen Muskeln den heftigsten Stürmen des Ozeans trotzt, denen vielleicht unsere größten Kriegsschiffe unter- liegen würden. Und dennoch, ungeachtet so großer Abweichungen im Aussehen, so großer Verschiedenheiten in den Körpern, den Organen, im Bau und in den Thätigkeiten, verknüpft ein gemeinsames, geheimes Band alle die Arten und Gruppen, die verwandten und die ungleich- artigsten — ihr gemeinsamer Ursprung. Die verschiedenen Arten und Gruppen der Lebewesen sind in letzter Zergliederung nichts als ver- schiedene Stufen der Differenzierung eines ursprünglich einzigen Wesens, fast möchte ich sagen eines einzigen verkörperten Gedankens. Das Gesetz des Zusammenhangs in der Natur, das Gesetz der Ent- wicklung alles Lebendigen, wie auch immer man diesen Mechanismus verstehen möge (und der sogenannte Darwinismus ist nur eine der wissenschaftlichsten und rationellsten Arten der Erklärung, so unvoll- Lueiani, Vorstufen des Lebens. 181 kommen er auch bis jetzt sein mag), sind die notwendigen Grundlagen der Welt des Lebenden. Die moderne Wissenschaft kann von num an den Gedanken der Entwieklung nicht mehr als bloße Hypothese ansehen, sondern ist ge- nötigt ihn als einen Grundsatz zu betrachten: seine Verneinung würde in der That die Verneinung einer einheitlichen physiologischen Wissen- schaft bedeuten. Damit stimmt es überein, dass die Vorläufer von Darwin schon nach Zehnern zählen und dass ihre Zahl wächst in dem Maße, als die Geschichte der Wissenschaft sich mehr und mehr vertieft. Mehr oder minder deutliche Keime der Entwicklungstheorie hat man im frühesten Altertum entdeckt, und merkwürdige Spuren der Abstammungslehre, die wie Weissagungen erscheinen, finden sich in den ältesten griechischen Philosophen, vornehmlich bei Tales von Milet, bei Heraclit von Ephesus, bei Empedocles von Agrigent. Nimmt man das Gesetz der Entwicklung an und sieht vorläufig davon ab, die Art ihres Zustandekommens und die äußern und innern Ursachen, die sie bestimmen, zu verstehen, so folgt logisch, dass die Formen und Thätigkeiten der höheren lebenden Wesen die Formen und Thätigkeiten der niedriger stehenden einschließen und enthalten. Und thatsächlich wiederholen sich dieselben in abgekürzter Weise während der aufeinanderfolgenden Phasen der ontogenetischen Entwick- lung. Der Mensch, der durch Vollkommenheit der Formen, durch Entwieklung und Auserlesenheit seiner Funktionen alle lebenden Wesen überragt, wiederholt und enthält in sich (kurz zusammengedrängt in kleiner Masse) alle Grundformen und alle Thätigkeiten der Welt des Lebenden. So kommt es, dass das „nosce te ipsum“, die Kenntnis der menschlichen Natur, die ganze Wissenschaft des Physiologen in sich fasst. Jeder von Ihnen, meine Herren, der durch Geschicklich- keit des Körpers und Kraft des Geistes eine so hohe Stellung ein- nimmt, ist eine wandelnde gründliche, vollkommene Abhandlung der Lehre vom Leben. Und ein vollkommener Physiolog ist derjenige Schriftenkenner, dem es gelingt, die unbekannten Sehriftzüge zu eniziffern, die auf diesem Palimpsest aufgetragen sind, der eine Brille aufzusetzen vermag, mit Hilfe deren er das, was hineingeschrieben ist, korrekt lesen und mit Vorstandesschärfe auslegen kann. Die anthropozentrische Anschauung, nach welcher Alles dem Menschen untergeordnet erscheint und er als König der Natur ange- sehen wird, ist nicht weniger illusorisch und irrtümlich, als es die geozentrische Anschauung der alten ptolomäischen Astronomie war. Trotzdem kann man nicht leugnen, dass, in den Grenzen der Welt des Lebenden, die anthropozentische Anschauung nicht allein be- rechtigt, sondern sogar unvermeidlich ist. Wenn vom physiologischen Standpunkt aus wir in uns alle wichtigen Phasen der phylogenetischen Entwicklung wiederholen und den höchsten Grad der organischen und funktionellen Differenzierung darstellen, so ist vom psychologi- 189 Lueiani, Vorstufen des Lebens. schen Standpunkt aus unsere Seele, ist das Zusammenwirken der sub- jektiven Phänomene, die wir in uns selbst bemerken, das einzige sich uns darbietende Kriterium, durch welches wir uns ähnliche Intelligenzen und die verschiedenen Grade psychischer Vorgänge in den verschiedenen Gruppen der Lebenden außer uns zu er- kennen vermögen. Dank dieser kritischen Zergliederung der äußern und innern Elemente der Empfindungen enthüllt sich uns das große Gesetz von der Relativität der Erkenntnis, welches die alte trügerische Lehre vom Absoluten umstürzt. Daher ist der Mensch der Maßstab für das erkennbare Universum und zugleich der Maßstab für die Wissenschaft. Nichts ist um- fassender und Nichts ist interessanter und anziehender als das Studium des Menschen. Die Anthropologie, im weitesten Sinne genommen, umfasst in Wahrheit, wie Moleschott sagt, das ganze weite Feld der Physiologie; und die Lösung des großen Menschenrätsels, sei es was die äußere oder körperliche Erscheinung, sei es was es die innere oder psychische Erscheinung anbelangt, ist das, bewusst oder unbe- wusst, gesteckte Ziel für alle unsere Forschungen. Aber das Menschenrätsel, als das komplizierteste, ist unmöglich zu lösen, wenn nicht vorher die einfacheren Fragen inbezug auf die weniger entwickelten Lebewesen beantwortet sind. Die größten Iır- tümer in der Naturwissenschaft entstehen dadurch, dass die einfachste logische Vorschrift außer Acht gelassen wird, bei den Untersuchungen vom Einfacheren zum Schwierigeren fortzuschreiten. Wer die Erforschung des menschlichen Wesens unmittelbar zum Gegenstand seiner Studien macht, der wird, wenn er einen gut organi- sierten Kopf und einen positiven Verstand hat, der auf dem Weg wahrer Wissenschaft wandelt und sieh nieht an Fantasien befriedigt noch sich von Illusionen nährt; wenn er ein mäßiges Vertrauen in die Ein- gebungen seines Geistes oder in verborgene, den seinigen überlegene Geistesoffenbarungen hat; nach verschiedenen irrtümlichen und vergeb- lichen Versuchen damit endigen, sich für besiegt zu halten und über- zeugt zu sein, dass die Lösung der großen physiologischen Aufgabe ins Bereich des Unmöglichen gehört. Aber wenn Sie die kompliziertesten und höchsten Fragen, deren Lösung zu schwierig oder unmöglich ist, bei Seite lassen und Ihr physiologisches Studium anspruchslos beginnen, indem Sie sieh die einfachsten und leicht zu lösenden Aufgaben stellen; wenn Sie vom Menschen zu den einfacheren und ursprünglicheren Formen des Lebens herabsteigen; ja dann werden Sie auf dem rechten Wege zum rechten wissenschaftlichen Arbeiten sein. Und haben Sie erst einige fruchtbare Erfolge und gut gelungene Versuche, dann werden Sie die Ueber- zeugung gewinnen, dass jede genaue Beobachtung, jedes gutausgeführte Experiment im Bereich des Lebenden ein kleiner Schritt vorwärts in der Erkenntnis Ihrer Natur ist, ein schwacher Lichtstrahl, der in das Lueiani, Vorstufen des Lebens. 1853 Dunkel Ihres Innern dringt, und es ist Ihnen (um an vorhin Gesagtes anzuknüpfen) gelungen, eimen kleinen Abschnitt der Hieroglyphen und Keilschrift zu lesen, einen Teil jener großen Abhandlung über Physio- logie, welchen Sie in sich selbst besitzen, zu verstehen. Beginnen wir daher mit der Untersuchung derjenigen Organismen, in welchen das Leben im beschränktesten Maße zum Ausdruck kommt und in welchen die Probleme der Physiologie sich in der elementarsten Form darstellen. Die einzelligen Organismen, welche ein unabhängiges Leben führen, sind weit verbreitet in der Natur und kommen in einer unbegrenzten Zahl von Arten vor. Haeckel fasst sie alle zu einem großen Reich zusammen, welches er als das Reich der Protisten bezeichnet. Aus ihm gehen durch entgegengesetzte und auseinandergehende Differen- zierungen die Reiche der Pflanzen und Tiere hervor. Diese Vorstellung von einem Zwischenreich ist auf die Thatsache gegründet, dass es bisher praktisch nieht möglich war, eine strenge Einteilung der Monoorganis- men in zwei große Abteilungen, die Protophyten und die Protozoen, durchzuführen. Die verschiedenen Ordnungen, in welche man das Reich der Protisten einteilen kann, können betrachtet werden als verschiedene Grade der Differenzierung eines einzigen, ursprünglichen, undifferen- zierten Zellelements. In ihrer Gesamtheit vertreten sie die Welt der Unsichtbaren, da wirklich die gigantischsten unter ihnen selten den Umfang einiger Zehntel eines Millimeters übersteigen. Aber sie werden leicht und vollkommen unter dem Mikroskop sichtbar. Um uns eine klare Vorstellung von den fundamentalen, elementaren und daher gemeinsamen Eigenschaften aller lebenden Wesen zu bilden, ohne uns auf das treulose Meer der Abstraktionen zu begeben, sondern festen Fußes auf dem Boden des Konkreten stehen zu bleiben, genügt es, wenn wir als Objekt unserer Betrachtungen irgend einen der ein- fachsten und undifferenzierten Monoorganismen annehmen. In der Klasse der Rhizopoden sind solche die unter den sogenannten amöboi- den Formen einbegriffenen Species. Was sind die Amöben? Sie erscheinen wie kleine Partikelchen einer gelatinösen, mehr oder weniger granulierten Substanz. Sie ent- halten einen Kern oder blasenartigen Körper, der oft deutlich im Innern des Zellprotoplasmas zu sehen ist. Sie haben weder eine wirk- liche, sie umschließende Membran, noch eine feste und dauernde Form. Sie erscheinen daher als kleine Häufchen nackten Protoplasmas, welches fortwährenden, häufigen und schnellen Veränderungen der Form und Lage unterworfen ist, indem es in verschiedener Richtung Verlänge- rungen und Auswüchse herausstreckt, die Pseudopodien genannt wer- den. Bisweilen haben sie kreisrunde Form und zeigen keine äußere Veränderung. In diesem Zustand der Ruhe sind die Amöben in einer 184 Luciani, Vorstufen des Lebens. Membran eingekapselt, welche ihre Bewegungen hindert, sie jedoch vor äußern Feinden und den Unbilden der Witterung schützt. In diesen wenigen Sätzen ist die ganze Morphologie der Amöben enthalten. Es sind eine große Zahl verschiedener Species bekannt, die sich durch die Größe und einige andere, morphologisch wenig in Betracht kommende, untergeordnete Merkmale unterscheiden. Sie leben ein unabhängiges Dasein in stagnierendem Wasser, in welchem sich Fäulnisstoffe finden, oder auf feuchtem Erdreich oder als Parasiten im Darmkanal oder im Innern vieler Tiere. Nicht immer jedoch stellen die einzelligen amöboiden Organismen Lebewesen in ihrer vollen fertigen Entwicklung dar. Eine außerordent- lieh große Zahl niederer mehrzelliger Tiere zeigen im Anfangsstadium ihres Lebens für eine gewisse Zeit eine Form, die in der That der- jenigen der Amöben sehr ähnlich ist. Erst später vergrößern sie sich, werden starr, kapseln sich ein, nehmen die runde Gestalt und den passiven Zustand an, welche der Eizelle eigentümlich sind, oder sie werden auch, einer entgegengesetzten Wandlung unterworfen, kleiner, dünner, entwickeln eine Geißel oder einen Schwanz und nehmen das be- wegliche, ungemein lebhafte Verhalten des Infusoriums oder des Sperma- zoiden, der männlichen Zelle an. Endlich gibt es amöboide Organismen, welche nicht im Freien als selbständige Species leben, sondern Teile zusammengesetzter Aggregate sind, d. h. mehrzelliger Organismen. Solche sind die Leukoeyten oder weißen Körperchen, die im Blut und in der Lymphe der höhern Tiere leben, als ausgesprochene Individuen, obwohl ihr Leben mit demjenigen des zusammengesetzten Organismus, von dem sie einen Teil ausmachen, vereinigt und unlöslich verbunden ist. Nach den genauen Untersuchungen von Ehrlich kann man im Menschen wenigstens drei Arten von Leukoeyten unterscheiden, die sich durch ihre Größe, durch einige Eigentümlichkeiten ihres Kerns und dureh ver- schiedenes Verhalten gegen einige Reagentien von einander unter- scheiden. Aber es ist mehr als wahrscheinlich, dass sie in noch größerer Zahl und Verschiedenheit im Blut der niederen Tiere vorkommen. So haben wir denn eine zahlreihe Reihe amöboider einzelliger Lebewesen, die man passend in drei Gruppen einteilen kann: zur ersten gehören die im eigentlichen Sinn sogenannten Amöben, welche frei in der Natur leben oder als Parasiten im Körper anderer Tiere; zur zweiten diejenigen, welche unreife Eier oder Spermatoblasten viel- zelliger Tiere darstellen; zur dritten diejenigen, welche in Gemein- schaft mit höhern Organismen als wesentliche Bestandteile derselben leben, nämlich die Leukoeyten. Wir wollen nun die Amöben mit dem Mikroskop beobachten, um aus- findig zu machen, was sie uns von ihren Thätigkeiten wahrnehmen lassen. Zunächst bemerken wir, dass die Körperchen oder Körnchen des Zellprotoplasmas in fortwährender Bewegung nach verschiedenen Rich- Bi; Lueiani, Vorstufen des Lebens. 185 tungen gehen, ohne eine sichtbare Veränderung im äußern Aussehen der Amöbe zu erzeugen. Es ist eine Art rudimentärer, protoplasma- tischer Zirkulation, deren Mittelpunkt häufig ein kontraktiles Bläschen, die sogenannte Vakuole, welche wie ein Herz sich ryth- misch zusammenzieht und erweitert. Inzwischen verändert sich das äußere Ansehen der Amöbe lang- sam durch Ausstreekung der Pseudopodien. Um diese herzustellen kommt zuerst nur die klare mehr oberflächliche Substanz in Thätigkeit, aber während ihres Wachstums fließt ihnen auch schnell die innere körnige Substanz zu. Mittels des Ausstreckens und Einziehens dieser Pseudopodien kann die Amöbe sich fortbewegen, indem sie sich an festen Körpern an- heftet; mittels derselben Pseudopodien macht sie sozusagen Jagd auf andre Mikroben, namentlich auf Bacillen und Diatomeen, um sie zur Beute zu machen. Kaum hat sie die Berührung bemerkt, so umwindet sie dieselben mit ihren Pseudopodien und nach und nach gelingt es ihr sie zu verschlucken und sie dem eigenen Protoplasma einzuver- leiben. Wenn sich die Amöbe genügend mit Speise versorgt hat, d.h. eine genügende Anzahl Mikroben verschluckt hat, erschlafft sie oder unterbricht vollständig ihre Gestaltsveränderungen und nimmt die Form einer unregelmäßigen Kugel an. In diesem Stadium ist sie jedoch durchaus nieht unthätig: Dank der Sekretion chemischer Substanzen, die eine giftige Wirkung auf ihre Beute haben, gelingt es ihr sie zu töten und allmählich zu ver- dauen. Hofer hat durch sehr feine Untersuchungen über die Ver- dauung der Amöben nachweisen können, dass allmählich, wie die Verdauungsthätigkeit fortschreitet, die Mikroben die Fähigkeit erhalten sich immer intensiver mit Anilinfarben zu färben, denen sie im nor- malen Zustand in der That widerstanden haben. Die verdaute und gelöste Substanz hat sich der Amöbe assimiliert, will sagen in ihre eigene Substanz verwandelt, und der unverdauliche Teil wird ausgestoßen oder ausgeworfen mittels leichter und geeigneter protoplasmatischer Bewegungen. Aber nicht immer macht die Amöbe gute Beute. Metschnikoff hat eine ebenso merkwürdige als lehrreiche Thatsache beobachtet. Es gibt Mikroben, die, wenn von der Amöbe verzehrt, der Einwirkung ihrer Verdauungssäfte widerstehen und lebensfähig bleiben, sich ver- mehren wie Parasiten und eine richtige Infektionskrankheit in ihrem Räuber erzeugen, die ihn allmählich zum Tode führt. Diese interessante Thatsache, auf welche die allgemeine Lehre von den Infektionskrankheiten sich stützen kann, lässt sich nur erklären, wenn man annimmt, dass der Parasit die Eigenschaft hat irgend eine Substanz zu erzeugen, die schützend für ihn und vergiftend auf die Amöbe wirkt. 186 Luciani, Vorstufen des Lebens. Dies Alles hat sich aus Beobachtungen ergeben, die auf die Funk- tionen gerichtet waren, durch welche die Amöbe sich entwickelt und die Verluste ausgleicht, die sie fortwährend infolge ihrer Bewegungen erleidet. Was ihre Fortpflanzung betrifft, so stellt sich der Vorgang noch viel einfacher dar. Es gibt bei der Amöbe keine geschlechtliche Differenzierung. Sie ist im strengsten Sinn des Wortes eine ungeschlechtliche Zelle. Wenn sie die äußerste Grenze der Entwicklung erreicht hat, die sich mit ihrer besondern Natur verträgt, oder wenn ihr Ernährungsstand über- mäßig geworden ist, spaltet sie sich in zwei Teile, mit Hilfe einer Reihe von Veränderungen, die beim Kern anfangen und die sich dann auf das Protoplasma ausdehnen. Von den beiden neuen Individuen ist eines so jung wie das andere und beide sind ebenso alt als die Art ist. Sie haben die Fähigkeit unendlich zu leben und sich durch direkte und indirekte Spaltung zu vermehren. In diesem Sinne ist Weismann’s Lehre unwiderleglich, dass die einzelligen Organismen virtuell unsterblich sind, was so viel heißt als dass sie nicht einem natürlichen Tod unterworfen sind oder aus innern Ursachen sterben, wie die mehrzelligen Organismen. Die Amöbe stirbt nieht an Altersschwäche, weil sie sich in dem Maß ver- Jüngt, als sie älter wird, was sagen will, dass sie die Fähigkeit hat, unendlich neue lebende Moleküle wieder herzustellen, um diejenigen zu ersetzen, die sie aufzehrt oder zerstört. Es sterben hingegen an Altersschwäche, d. h. an natürlichem Tod, die zusammengesetzten Organismen, weil sie Zellenkolonien vorstellen, deren jede infolge des Polymorphismus und der Arbeitsteilung nur partielle Funktionen und eine begrenzte Fähigkeit der Wiederherstellung hat, welche immer mangelhafter wird und sich allmählich erschöpft. Die Kontinuität des Lebens der mehrzelligen Organismen wird sichergestellt durch die Zeugungszellen (männliche und weibliche), die allein die virtuelle Unsterblichkeit bewahren, deren sich die elementaren Organismen er- freuen. Alles das, was wir von den Amöben gesagt haben, welche unab- hängig im Freien oder als Parasiten im Körper anderer Tiere leben, lässt sich auch vollkommen auf die amöboiden Formen anwenden, mit welchen das Leben vieler mehrzelliger Lebewesen beginnt. Der einzige Unterschied ist, dass diese letzteren, nach einem gewissen Zeitabschnitt danach streben sich geschlechtlich zu differenzieren und entweder die gutgenährte ruhige und passive Form der Eizelle an- nehmen oder jene schmächtige, unruhige, ungemein bewegliche der Spermazoiden. Und aus der Verbindung oder Verschmelzung dieser zwei elementaren Erzeugnisse, welche entweder von einem einzigen herma- phroditen Individuum oder von zwei Individuen von entgegengesetztem Geschlecht herstammen, nimmt die Entwicklung des komplizierten Organismus seinen Ursprung, der zu sterben bestimmt ist, nachdem er Lueiani, Vorstufen des Lebens. 18% die zur Fortpflanzung bestimmten amöboiden Elemente ausgeschieden hat, welche allein fähig sind die Art zu erhalten. Die amöboiden Formen, welche Teile von komplizierten Organismen bilden, die Leukocyten des Blutes der höhern Tiere, bieten ein Unter- suchungsobjekt von noch größerer Wichtigkeit. Lieberkühn war der erste, der ihre proteusartige Beweglichkeit erkannt hat, die voll- kommen derjenigen der Amöben gleicht; aber für lange Zeit blieben ihre Funktionen geheimnisvoll und man wusste nichts Bestimmtes inbezug auf ihre Bedeutung für das Leben des von ihnen bewohnten Organismus. Erst die neuesten Untersuchungen der Mikroskopiker haben Lieht über diesen interessanten Gegenstand verbreitet. Jetzt wissen wir durch die Entdeckung von Cohnheim, dass die Leuko- eyten die Fähigkeit haben, aus dem Blutstrom in die Zwischenräume der Saftkanälchen der Gewebe auszuwandern, und dass diese Aus- wanderuug stürmisch werden kann in denjenigen Teilen, welche aus natürlichen oder experimentellen Ursachen einer entzündlichen Reizung ausgesetzt wurden. Die Lehre von der Eiterung und von der Bil- dung der Abszesse ist endgiltig in Zusammenhang mit dieser außer- ordentlich interessanten Thatsache der Auswanderung der Leukoeyten gebracht. Scharfsinnige Untersuchungen von Thoma, Recekling- hausen und andern haben jetzt klar erwiesen, dass das Austreten nicht als eine passive Diapedesis anzusehen sei, sondern als eine wirk- liche aktive Auswanderung, die von der amöboiden Beweglichkeit der Leukoeyten herrührt. Massart und Bordet haben gefunden, dass die Leukoeyten die Fähigkeit besitzen, durch die feinsten Poren der festesten Körper, wie Knochen und Elfenbein, zu dringen. Sie bleiben immer in Berührung mit der innern Auskleidung der Gefäße, welche sie mit der Spitze eines ihrer Pseudopodien durchbohren können, an welchen sie vorübergehende Oefinungen erzeugen, durch welche sie dann allmählich ihren ganzen Körper wie durch eimen Ring hindurch- zwängen. Durch die Entdeckung des sogenannten Phagocytismus, der sich besonders auf die schönen Untersuchungen von Metschnikoff gründet, sind neue äußerst interessante Gründe für eine noch größere Verwandtschaft der Leukocyten mit den Amöben hinzugekommen. Auch wenn sie dem Blut entzogen und unter dem Mikroskop beobachtet werden, erkennt man, dass die Leukoeyten fähig sind, wie die Amöben, viele fremde Körper, die ihnen in den Weg kommen, zu verschlucken und nieht allein unorganische Körper wie Karminkörnchen und andere Farbstoffe, abgestorbene Zellen und Zellfragmente, sondern auch lebende Mikroben, rote Blutkörperehen, Bakterien verschiedener Art, pathogene und nicht pathogene. Wie die Amöben haben die Leukocyten die Fähigkeit die toten Körper zu verdauen und die von ihnen verschluekten lebenden Elemente und die Mikroben chemisch zu töten und aufzulösen. Man hat früh 188 Luciani, Vorstufen des Lebens. erkannt, dass die roten Blutkörperchen im Innern der Leukocyten sieh allmählich auflösen und einen gefärbten Rückstand zurücklassen. Aehn- liche verdauende und auflösende Wirkung üben sie auf die Eiter- körperchen aus, auf das Fibrin der Exsudate, auf die Muskelfasern in dem Fall von akuter Atrophie dieses Gewebes. Endlich hat man unmittelbar das Phänomen der Verdauung verschiedener Arten von verschluckten Mikroben durch die Leukoeyten in seinen verschiedenen Phasen beobachten können, z. B. der Milzbrandbacillen, der Spirillen des Rückfallfiebers, der Vibrionen der Septihämie, der Streptokokken des Erysipels. Die Thatsache, dass die Enzyme der albuminoiden Sekrete aus den Verdauungsorganen der höhern Tiere, das Pepsin und das Trypsin, nieht fähig sind gewisse Bakterien zu töten, schließt die Möglichkeit nieht aus (wie auch Metschnikoff thatsächlieh be- obachtet hat), dass die Leukocyten Enzyme enthalten, die in höherm Maß befähigt sind bakterientötende Wirkung auszuüben. Diese Thätig- keit ist jedoch nicht unbeschränkt und erstreckt sich nicht auf alle die zahllosen Arten pathogener und nicht pathogener Mikroben. Man hat bei einigen Krankheiten nachweisen können, dass die Leukocyten einen Teil der Mikroben verschlucken, z. B. die der Tuberkelbacillen, auch eine gewisse Anzahl verdauen; ein andrer Teil dagegen bleibt lebend und dieser hat die Fähigkeit sich m ihrem Innern zu vermehren und so nach und nach eine allgemeine Erkrankung zu erzeugen. Noch mehr: die Leukocyten verschlucken nieht alle Arten Mikroben, die sie auf ihrem Wege finden. Sie sind fähig (wenigstens bis zu einem gewissen Punkt) die Beute auszu- wählen, die ihnen zur Nahrung dient. Sie widerstreben gewisse schäd- liche Mikroben zu verschlueken, während sie auf andere verschiedener Arten Jagd machen, die für den Organismus, den sie angegriffen haben, nicht weniger giftig sind. Auf dieselbe Weise wählen die Amöben ihre Speise und weisen gewisse schädliche Substanzen zurück, während sie andere verschlingen, obwohl sie (wie wir sagen würden) nicht immer glücklich in ihrer Wahl sind und daher das Opfer derjenigen Mikroben werden, die sie sie sich erbeutet hatten. Alle diese Erscheinungen, welche das Leben der amöboiden Ele- mente verständlich machen, zeigen sich bei der direkten Beobachtung derselben mittels des Mikroskops unter den einfachsten natürlichen oder künstlichen Bedingungen. Sie stellen die erste Stufe der physio- logischen Untersuchung bezüglich dieser einfachsten Organismen dar. Wir können in der That einige wohlbeglaubigte Grundsätze aus ihnen folgern. Wir können bis jetzt feststellen, dass die Amöben und die amöboiden Organismen im Allgemeinen eine Beweglichkeit besitzen, die sich in den verschiedensten Formveränderungen ausdrückt, welehe häufig unabhängig von siehtbaren Veränderungen der Umgebung sind und daher den Charakter der spontanen oder automatischen Bewegungen haben. Wir können außerdem in den amöboiden a Emery, Zirpende und springende Ameisen. 189 Organismen eine metabolische Kraft feststellen (in den verschiedenen Species wechselnd), mittels weleher sie organische Körper, tote und lebende, aus der Umgebung in eigene Substanz verwandeln und auf diese Art alle Verluste ersetzen, sich vergrößern und vermehren können. Wir können endlich feststellen (immer auf Grund direkter Beobach- tung), dass die proteusartigen Bewegungen, mittels welcher die Amöben sich zu der Umgebung in Beziehung setzen, zum großen Teil mit ihrem Ernährungsbedürfnis und ihrer metabolischen Kraft zusammen- hängen und ihr sozusagen angepasst sind, der Art, dass diese sich nicht ohne jene bewerkstelligen könnten. Aber hier stellt sich uns eine Reihe ebenso wichtiger als schwie- riger Probleme entgegen. Man verlangt vor Allem sich Rechenschaft zu geben über die Art der amöboiden Bewegungen, welche hauptsäch- lich unsere Aufmerksamkeit erregen. Sind es reine und einfache Wirkungen mechanischer Kräfte, oder werden sie verursacht und be- gleitet von psychischen Erscheinungen wie die willkürlichen Beweg- ungen? Haben die Amöben eine Seele? Entspricht dem äußern ob- jektiven Aussehen ihrer Lebenserscheinungen ein inneres subjektives, oder vollzieht sich ihr ganzes Leben im tiefen und dunkeln Abgrund des Unbewussten und ist es niemals auch nur teilweise von jener Fackel erleuchtet, in deren Strahlen der Mensch und die höhern Tiere sich bewegen ? Mit den durch die Beobachtung erlangten Ergebnissen ist es nicht möglich eine Antwort auf eine so schwierige Frage zu geben. Dazu bedarf es einer höhern wissenschaftlichen Stufe, die uns Ergebnisse liefert, welche, sichergestellt durch das physiologische Experiment, auf die einzelligen Organismen angewendet werden können. Diese Versuche müssen von jener einfachen Art sein, bei welcher man künstlich in verschiedener Weise die Bedingungen der Umgebung zu ändern sucht, in welcher für gewöhnlich jene Organismen leben, um so fest zu stellen, wie sie darauf reagieren und wie sie sich in den einzelnen Fällen verhalten. Ich bitte Sie mir auf diesem kurzen Ausfluge zu folgen, welchen ich mich bemühen werde Ihnen angenehm zu machen, indem ich die leichtesten Wege wähle, auf denen wir durch die wenigsten technischen Dornen uns hindurchwinden müssen. (Schluss folgt.) Zirpende und springende Ameisen. Von Professor C. Emery in Bologna. Im Anschluss an die interessante kleine Schrift Wasmann’s über Lautäußerungen der Ameisen möchte ich hier mitteilen, dass große amerikanische Poneriden wirklich zirpen. Ich hatte schon längst bemerkt, dass die breite Gelenkfläche des 2. (eigentlich 3., wenn man das Stielehen mitrechnet) Hinterleibssegments, welche in das 1. ein- 190 Brehm’s Tierleben. gestülpt ist, bei Paraponera- und Pachycondyla-Arten fein quergestreift ist und vermutete, dass durch Reibung dieser Fläche gegen den Rand des vorhergehenden Segments ein zirpender Laut entstehen dürfte; es gelang mir sogar solche Geräusche am toten Tier künstlich her- vorzubringen. — Dass die Ameisen diese Einrichtung wirklich als Lautorgan benutzen, wurde mir erst vor kurzem zur Gewissheit durch Herrn Albert Schulz, welcher mir aus Parä eine Anzahl Pachy- condyla flavicornis Fab. sandte mit der Bemerkung, dass diese Ameise „einen zirpenden Ton von sich gibt“. Auch mit diesen Exem- plaren gelang es leicht am toten Tier das Reibungsgeräusch zwischen den beiden ersten Hinterleibssegmenten zu hören. Der Laut ist dem- jenigen, den die Mutillen ebenfalls durch Reibung der Abdominal- segmente produzieren, sehr ähnlich. Demselben Herrn Sehulz verdanke ich die Mitteilung, dass die durch ihre enormen Augen ausgezeichnete brasilianische Ameise Gi- gantiops desiructor Fab. von Zweig zu Zweig springt, wie der an gleichen Orten lebende Odontomachus haematodes. Brehm’s Tierleben, Die Insekten, Tausendfüßer und Sipnnen. Neubearbeitet von Prof. Dr. E. L. Taschenberg. 3. Aufl. IX. Bd. Leipzig u. Wien. Bibliogr. Institut, 1892. "Es ist allerdings keine leichte Aufgabe, aus der Fülle des Materials, die’ sich auf dem Gebiete der biologischen Insektenkunde in den letzten Jahrzehnten angesammelt hat, die geeignete Auswahl für ein zu- saramenfassendes biologisches Werk über das Insektenleben zu treffen. Es will dem Ref. jedoch scheinen, als ob der Bearbeiter dieses Bandes sich die genannte Aufgabe etwas zu leicht gemacht habe. Die neue Auflage ist um 53 Seiten Text bereichert. Ohne diesen Umfang zu überschreiten, hätten zahlreiche unrichtige Angaben aus der früheren Auflage durch richtige, veraltete durch neue ersetzt werden können. Es ist dies nicht in dem Maße geschehen, wie man bei der glänzenden Ausstattung der neuen Auflage durch Chromotafeln und neue Holz- schnitte im Text hätte erwarten dürfen. ef. will hiermit keineswegs in Abrede stellen, dass manche Fehler der früheren Auflage in der vorliegenden verbessert sind, und dass das Buch, als Ganzes betrachtet, eine gute populärwissenschaftliche Arbeit über das Insektenleben ist. Ref. glaubt dem Bearbeiter einen nützlichen Dienst zu erweisen, wenn er ihn wenigstens auf einige jener Punkte hier aufmerksam macht, deren Verbesserung angezeigt gewesen wäre. Die Angabe S. 6, dass die Facettenzahl der Augen bei den Ameisen nur 50 betrage, ist veraltet. Nach Forel beträgt sie bei Formica pratensis % circa 600, bei Camponotus ligniperdus % ca. 500, bei Lasius fuliginosus $ ca. 200. Die Bemerkung S. 20 über das „nichts erklärende Wort Instinkt“ ist verfehlt. $. 28 wären wenigstens noch Brehm’s Tierleben. 191 die Thysanuren als eigene Insektenordnung aufzuführen gewesen. Dass (5. 30) bei den Käfern keine beweglichen oder paarigen Hinterleibs- anhänge (außer einer Legeröhre) sich finden, ist wrtümlich; unter den Paederini sind solche Anhänge weit verbreitet. Die neueren Beobach- tungen, wonach Hydrophilus piceus mit Vorliebe tierische Nahrung genießt, sind dem Bearbeiter unbekannt geblieben. Die neueren Arbeiten über das Gastverhältnis von Atemeles und Lomechusa hat er ebenfalls nicht gekannt (5.59), ebenso die ganz abweichend gestalteten Larven dieser Gattungen. Die Angabe, dass aus Asien keine Pselaphiden bekannt seien (5. 62), war schon in der früheren Auflage längst ver- altet. Irrtümlich ist es auch, dass von Pselaphiden noch keine Larven bekannt seien. Dass Hetaerius vorzugsweise bei Formica rufa lebt (S. 71), ist unrichtig; F. fusca und jene Arten, die fısca als Sklaven halten, sind die normalen Wirte von Hetaerius ferrugineus. 5.86 sind Fabre’s Beobachtungen über Ateuchus übersehen, durch welche die von Taschenberg hier geschilderte „eheliche Hilfeleistung“ schon 1879 unter die Fabeln verwiesen wurde. Die Angabe (S. 103), dass Cetonia auranta als Larve bei F\. rufa lebe, ist irrtümlich; es ist be- reits seit mehreren Jahren durch Zuchtversuche bekannt, dass es sich um Cetonia floricola handelt. Bei der Lebensweise von Rhynchites betulae ist das dem Schnitte zu Grunde liegende interessante Problem noch immer übersehen (S. 156). Die Behauptung S. 276: „Nie hat man eine vereinzelte Ameisenmutter mit Puppen, nicht einmal mit er- wachsenen Larven angetroffen... und nie hat es bei den verxschie- densten Versuchen in der Gefangenschaft gelingen wollen, durch Ver- mittlung eines befruchteten Weibchens Arbeiterameisen zu erhalten“ —- klingt kühn; aber sie beweist nur, dass Taschenberg die diesbezüg- liehen Beobachtungen von Me Cook, Lubbock und Blochmann nicht gekannt hat, durch welche längst das Gegenteil feststeht. Auch die Lebensweise von Strongylognathus testaceus ist nicht so unauf- geklärt, wie Taschenberg S. 277 meint; er hat eben die betreffenden Arbeiten übersehen. 8. 277 wird Formicoxenus nitidulus Nyl. noch immer als Stenamma Westwoodi aufgeführt. Die flügellosen Männchen von Formicoxenus und die vortrefflichen Beobachtungen von Adlerz über Tomognathus blieben ihm ebenfalls unbekannt. Die Angabe $. 278, dass bei Lasius fuliginosus 150 Arten, bei Formica rufa 100 Arten von Myrmekophilen leben, stammt aus dem Jahre 1844 und ist längst überholt. Die Zahl der gesetzmäßigen Inquilinen bei F. rufa be- trägt höchstens 40 bis 50, bei Lasius fuliginosus höchstens 30 bis 40. Wenn der Bearbeiter ebendaselbst immer noch glaubt: „von den wenigsten (einheimischen Myrmekophilen) kennt man zur Zeit noch die näheren Beziehungen, in welchen sie zu ihren Wirten stehen“, so beweist er damit bloß, dass ihm die ganze neuere diesbezügliche Litteratur, besonders aus den letzten 8 Jahren, unbekannt blieb. Michael Bach’s „Studien und Lesefrüchte“ haben vor fast 20 Jahren 27 199 Zacharias, Eingekapselte Saugwürmer. bereits Besseres über die Ameisengäste geboten, als die neueste Auf- lage von Brehm’s Tierleben. i Die auf Schenk beruhende Angabe (8. 281), dass Lasius alienus als Hilfsameise von Form. sanguinea geraubt werde, ist schon 1874 von Forel als irrtümlich erkannt worden. Unrichtig ist auch die aus dem Jahre 1861 stammende Angabe (S. 282), dass Lasius alienus auf die Südhälfte Europas beschränkt sei. Dass Labidus die Männchen von Dorylus sind, hätte Herrn Taschenberg aus den Arbeiten W. Müller’s, Emery’s, Mayr’s u. s. w. bekannt sein sollen; er führt sie S. 283 noch immer als verschiedene Gattungen auf. Ueber- haupt scheint es fast, als ob ihm von Arbeiten über die Systematik exotischer Ameisen bloß der Formicidenkatalog Roger’s von 1863 zu Gebote gestanden habe; denn er führt die Gattungen Eeiton und Typhlatta, die zu den Doryliden gehören, immer noch unter den Myrmieiden an. Der beschränkte Raum dieses Referates erlaubt nicht, diese nur den ersten 233 Seiten der neuesten Auflage entnommenen Liste weiter fortzuführen. Sie wird jedoch beweisen, dass die vom Ref. Eingangs semachte Bemerkung hinreichend begründet war. W—n. Eingekapselte Saugwürmer am Herzen einer Maräne. Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Bei einem am 25. September im Plöner See gefangenen Exemplar der großen Maräne (Coregonus maraena) fand ich bei der Sektion das Herz über und über mit weißen Pünktchen besäet. Dies war sowohl an der hinteren wie an der vorderen Kammer der Fall, und von letzterer setzte sich dieselbe Er- scheinung in verstärktem Maße auf den Arterienstiel fort, wo manchmal 50—60 solcher Pünktchen dicht bei einander lagen. Bei der mikroskopischen Unter- suchung erwiesen sich diese kleinen Gebilde als ziemlich diekwandige Cysten einer Saugwurm- Art. Bei etwas Druck auf das Deckglas bewegten sich die Insassen. Das ganze Herz des Fisches (inkl. Arterienbulbus) trug wohl 2—300 solcher Cysten. Bei zahlreichen von mir ausgeführten Fischsektionen ist mir dieser Befund zum ersten Male vor die Augen gekommen und ich bringe ihn deshalb zu allgemeiner Kenntnis. Berichtigung. In Nr. 4 und 5 dieses Bandes haben wir eine aus dem Englischen über- setzte Mitteilung des Herrn Errera „über die Ursache einer physio- logischen Fernwirkung“ gebracht. Diese Uebersetzung war uns ohme Mit- wirkung des Herrn Verfassers zur Benutzung zugestellt worden. Herr Errera bittet, zwei Irrtümer, die sich dort eingeschlichen haben, zu berichtigen. Statt „sporangientragende Haare“ sollte es heifsen: Fruchtträger oder sporan- gientragende Hyphen. Und der Schlusssatz (auf S. 119) sollte lauten: .... gegen denjenigen Punkt, in welchem es nicht etwa ein Maximum oder Minimum von Feuchtigkeit findet, sondern in dem es, innerhalb gewisser Grenzen, entweder am meisten oder am wenigsten transspirieren wird. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 15. Aprii 1893. Nr.7u. 8. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie (3. Stück). — Lueiani, Vorstufen des Lebens (Schluss). — v. Wagner, Der Organismus der Gastrotrichen. — Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. — Ritzema BoS, Die Pharao-Ameise (Monomorium Pharaonis). — Derselbe, Futter- änderung bei einem Laufkäfer. — Pizzighelli, Anleitung zur Photographie für Anfänger. — Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. — Berichtigung. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. (Drittes Stück). IV. Orientierungstorsionen. Die Drehungen ausgewachsener hygroskopischer Pflanzenteile, wie z.B. der Grannen von Gräsern, der Schnäbel von Krodium-Früchten u. 8. f. sind von verschiedenen Autoren mehr oder weniger einlässlich behandelt worden. Bei ihnen liegen die Ursachen der Torsionen stets in be- stimmten Strukturverhältnissen der Zellmembranen. Dieselben bedingen ein ungleiches Imbibitionsvermögen, resp. eine ungleiche Aufnahme oder Abgabe von Wasser nach verschiedenen Richtungen der Wandsubstanz. Gewöhnlich handelt es sich dabei um eine mikroskopisch nachweisbare spiralige Streifung der Wände. In der Richtung der Streifung ist alsdann jeweilen die Quellung eine andere als senkrecht zu ihr. Es ist also "° solchen Fällen die Torsionsrichtung eine gegebene, die so lange keiner Aenderung fähig ist, als die mit der Struktur gegebenen Bedingungen ungleicher Quellung nach verschiedenen Richtungen er- halten bleiben. Bei den Orientierungstorsionen der Blätter und Blüten, die Schwendener und Krabbe zum Gegenstande einlässlicher Unter- suchungen machten, liegen die Verhältnisse anders. Nur während des Wachstums sind hier die Drehbewegungen möglich. Also werden die Ursachen nicht sowohl in den Strukturverhältnissen der Zellwände als vielmehr in bestimmten Vorgängen inner- halb des Protoplasmas zu suchen sein, indem dasselbe das Wachstum der Zellwände in bestimmter Weise beeinflusst. XIL. 15 194 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Dazu kommt, dass bei den noch wachsenden Pflanzenteilen die Torsionsrichtungen keine unabänderlichen sind, ein Umstand, der darauf hinweist, dass die Ursachen und die Bedingungen zur Torsion nicht in der innern Organisation liegen, sondern dass alles das, was die Richtung der Drehung bestimmt, jedesmal unter dem Einfluss äußerer Kräfte neu geschaffen wird. Die in Frage stehenden Orientierungstorsionen werden hauptsäch- lich auf zwei Arten erklärt. Nach der Ansicht der einen beruhen die Torsionen der Blattstiele auf einen passiven Wachstum, welches durch die drehende Wirkung des Blattgewichtes verursacht werden soll. Noll hinwieder sucht die Orientierungstorsionen zygomorpher Blüten auf zwei Krümmuugen zurückzuführen, eine Median- und Lateral- krümmung, von denen die erste in der durch Bauch- und kückenseite der Blüte gelegten Ebene erfolgt, die letztere auf einer Verlängerung der rechten und linken Seite des Blütenstieles beruht. Die Verf. werfen in erster Linie anknüpfend an die Noll’sche Theorie der Mechanik der Orientierungstorsionen die Frage auf: „Kann durch Kombination zweier Kräfte von denen jede für sich nur krüm- mend in einer bestimmten Ebene wirkt, eine Torsion entstehen ?* Auf Grund bestimmter Versuche verneinen sie diese Frage. Die Kombi- nation zweier krümmender Kräfte führt nur eine neue Krümmung, nie eine Torsion nach sieh. Auch der pflanzenphysiologische Versuch spricht hierfür. Wird ein Sprossende einer jungen kräftig wachsenden Pflanze von Helianthus durch einen Längsschnitt gespalten, dann nehmen die Hälften infolge stärkeren Ausdehnungsbestrebens des Markes eine gekrümmte Form an. Das fortdauernde Wachstum des jungen Mark- gewebes steigert dasselbe allmählich. Biegt man nun die Spross- hälften so, dass sie mit ihrer Krümmungsebene horizontal zu liegen kommen, dann stehen sie unter dem Einflusse zweier Kräfte, von denen die eine, das Ausdehnungsbestreben des Markes, in horizontaler Rich- tung, die andere, die Schwerkraft, dagegen in vertikaler Ebene zu krümmen sucht. Nie beobachtet man da Torsion, sondern stets nur Krümmung. Bestehen nun überhaupt zwischen den Orientierungstorsionen und den gleichzeitig auftretenden Krümmungen bestimmte innere Bezieh- ungen? Um diese Frage experimentell zu beantworten werden die Blütenspindeln von Delphinium, Aconitum u. s. f. sorgfältig umge- wendet und um die Spindel in ihrer Lage festzuhalten, an der Spitze mit Bleigewichten belastet. Sämtliche Blüten mit wachstumsfähigen Stielen führen eine geotropische Abwärtskrümmung aus, die innerhalb 24 Stunden vollendet ist. Diese Krümmung ist natürlich nur ein Teil der ganzen Orientierungsbewegung, welche die Blüte in die frühere Lage zum Erdradius bringt. Denn die Stellung der Blüte zur Tragaxe ist jetzt eine andere als die normale. Die Vorderseite, normal nach Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 195 außen gerichtet, ist nun der Axe zugekehrt. Sie kommt in ihre normale Stellung durch eine Auswärtsbewegung. Zunächst ist zu beobachten, dass diese beiden Bewegungsvorgänge der geotropische und die Auswärtsbewegung zeitlich nicht zusammen- fallen. Diese letztere Bewegung tritt immer erst ein, wenn die geo- tropische vollendet ist. Sie beginnt überhaupt erst in einem vorge- rückten Entwicklungsstadium der Blüten, d. h. unmittelbar vor der Blütenentfaltung. Auch in räumlicher Beziehung besteht in sehr vielen Fällen zwischen beiden Bewegungen keine Relation, wie namentlich an den Blüten mit langen Blütenstielen zu beobachten ist. Die Wachs- tumsvorgänge, durch welche die anfänglich mit der Vorderseite der Tragaxe zugewendete Blüte wiederum in die auswärts gerichtete Stel- lung gebracht wird, bleiben ausschließlich auf einen Teil des Blüten- stieles beschränkt, auf eine Stielregion, die sich an der geotropischen Krümmung nicht beteiligt hatte. „Diese Thatsache liefert den sichern Beweis, dass auch in mechanischer Hinsicht zwischen den Wachstums- vorgängen, welche die geotropische Krümmung bedingen und den Wachstumsvorgängen, aus denen die Orientierungsbewegungen der Blüten gegen ihre Tragaxen resultieren, keinerlei Beziehung besteht“. Welche mechanischen Mittel wenden die Blüten an um nach vol- lendeter geotropischer Aufrichtung ihre normale Orientierung zur Spindel zu erlangen? Wird der Blütenstiel vor Beginn der Auswärtskrümmung mit einer longitudinal verlaufenden Tuschlinie versehen, dann beobachtet man ausnahmslos, dass bei Beginn der Auswärtsbewegung die Linie zunächst unmittelbar unter dem Ansatz der Kelehblätter eine schiefe Stellung erfährt, die genau der stattfindenden Herumbewegung der Blüte entspricht. Es ist also die Auswärtsbewegung die Folge einer direkten Blütenstieltorsion. Muss die Orientierungsbewegung an gekrümmten Organen zur Ausführung gelangen, dann können die Blüten und Blattflächen ihre normale Orientierung zur Axe durch Torsion nieht ohne Lagenver- änderung im kaume erreichen. „Denn, wenn diese sich zu tordieren beginnen, muss gleichzeitig aus rein mechanischen Gründen die ebene Kurve zu einer Kurve im Raume werden; neben resp. infolge der Torsion sind die Blüten und Blattstiele gezwungen eine mit der Tor- sionsrichtung gleichsinnig verlaufende Spiralwindung zu beschreiben“. Es ist also das Hinausrücken der Blüte aus der geotropischen Krüm- mungsebene nicht die Ursache, sondern die Folge der Torsion. Dass in der That die Drehung von der Krümmung unabhängig ist, zeigten Versuche an Aconitum Lycoctonum. Werden die Blüten- stiele in eine Federspuhle eingeschlossen und dureh diese starre Hülse an geotropischer Krümmung verhindert, so vollziehen sich die Dreh- ungen, welche die Blüten der Axe normal orientieren, doch gerade so schnell und so vollständig, wie an Blüten, deren Stiele sich gleich- zeitig auch geotropisch krümmen. Es zeigen diese Versuche überdies, 13° 196 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. dass eine Abhängigkeit der Torsion von der Richtung der Blütenstiele zum Erdradius unabhängig ist. Ueber den äußern Verlauf der Torsion ergeben die Beobachtungen der Verf. in der Hauptsache folgendes. Während der äußere Charakter geotropischer Aufwärtskrümmung in hohem Maße von dem Entwick- lungszustande der Blüten abhängig ist, geht die Torsion unabhängig vom Entwieklungszustande der einzelnen Blüten ausnahmslos im oberu Teile des Stieles aus und zwar erstreckt sie sich etwa über eine Länge von 6—15 mm, unmittelbar unter den Kelehblättern beginnend und basal- wärts vorwärtsschreitend. Hat die Abwendung der Stieltorsion zur normalen Orientierung gegen die Tragaxe geführt, so kommt wenig- stens bei längern Stielen die Torsion oft noch nieht zum Stillstande, sondern geht basalwärts mehr oder weniger über das nötige Maß hinaus. Dennoch aber beobachtet man, dass die Blüten und Blatt- spreiten die einmal erreichte normale Stellung doch nicht verlassen. Die Tuschlinie gibt Aufschluss darüber, wo dieser Ueberschuss der Torsion nicht eine abnorme, unzweckmäßige Orientierung bewirkt. „Es ergibt sich, dass diese Tuschpunkte, sobald die Torsion basal- wärts über 180° hinausgeht, in der Region, in welcher sie ihren Anfang nahm, sich wiederum in eine gerade Linie stellen. Die Drehung wird mit andern Worten im obern Teil der Blatt- und Blütenstiele um so viel wiederum beseitigt, als sie basalwärts ein bestimmtes Mal über- schreitet“. So sieht man z. B. bei den Blättern von Wistaria die Torsion am Grunde des Endblättchens beginnen und längs der Mittel- rippe bis zu ihrem Grunde fortschreiten. Hier bleibt sie dann stehen. „Da nun die Mittelrippe etwa 4mal so lang als x ist, — x bedeutet die Region der Mittelrippe, über welche hin die Torsion fixiert wird — so handelt es sich in Wirklichkeit um eine Torsion von 720°, von denen 540° successive wiederum aufgelöst werden und zwar von dem Augen- blicke an, wo die Torsion den Wert von 180° erreicht hatte“. Die Fiederblättehen nehmen nur dann an diesen Torsionen Anteil, wenn sie nicht bis zur Basis der Mittelrippe fortschreitet. Nur ältere Blätter pflegen sich so zu verhalten. Die Auflösung der Torsion der Blätter fällt nun nicht immer mit dem Momente zusammen, wo die normale Orientierung erreicht ist. Oft macht sie sich erst bemerkbar, wenn die Torsion den zur normalen Blattorientierung erforderlichen Wert erheblich überschritten hat. Doch pflegt sie dann so weit zurück zu gehn, dass die normale Blattorien- tierung wieder erreieht wird. Die über ihr Ziel hinausgerückte Blatt- fläche wird also wieder zurückbewegt. Doch gibt es auch Fälle, wo die Torsion nieht rückgängig gemacht wird. Es scheint dies je dann einzutreten, wenn die Zweige sehr dicht stehn, so dass ihre Blätter sich in ihren freien Bewegungen hindern (Traueresche). Bei Robinia Pseudacacia durchwandert die Torsion die Mittelrippe nieht selten innerhalb 24-36 Stunden. Die Zeit ist übrigens nicht Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 197 nur bei verschiedenen Arten verschieden, sondern hängt bei den Blättern der gleichen Art nicht unwesentlich vom Alter ab. Junge‘ Blätter umgekehrter Zweige führen zunächst nur die geotropische Bewegung aus. Die Auswärtsbewegung beginnt erst, wenn das Blatt ein gewisses Alter erreicht hat. Eine genaue Bestimmung dieses Torsionsoptimums ist aber für die Blätter nicht in ähnlicher Weise wie für die zygo- morphen Blüten möglich. Fragen wir nun nach den Ursachen der Orientierungstorsionen, so können wir a priori sie in zweierlei Faktoren vermuten. Sie können der Ausfluss bestimmter innerer Organisationsverhältnisse sein oder sie sind auf den Einfluss äußerer Bedingungen, auf das Wachstum der bezüglichen Organe, der zygomorphen Blüten und der dorsiventralen Blätter zurückzuführen. Das Ziel der Orientierungsbewegung geht dahin, den genannten Organen eine bestimmte Orientierung zur Tragaxe, zum Erdradius oder zum Lichteinfall zu geben. Dass in den beiden letzten Fällen die äußeren Faktoren die bewegenden Momente sind, Schwere und Licht, erscheint a priori gegeben. Innere Wachstums- ursachen wird man nur, sei es für sich allein, sei es in Verbindung mit andern Faktoren dort als die ausschlaggebenden gewillt sein an- zunehmen, wo es sich um eine bestimmte Einstellung der Blüten zu den Tragaxen handelt. Sind diese Orientierungstorsionen wirklich auf innere Organisations- verhältnisse zurückzuführen und unabhängig von äußern Richtungs- kräften, dann werden sie naturgemäß auch dann zur Auslösung kom- men, wenn man die Pflanzen der einseitigen Wirkung äußerer Fak- toren entzieht. Die Versuche der Verf. ergaben, „dass bei Ausschluss einseitiger Lieht- und Schwerkraftwirkung auf dem Klinostaten wohl Krümmungen, niemals aber Torsionen zu beobachten sind, ein Beweis, dass die letzteren mit innern Wachstumsverhältnissen in keinerlei Be- ziehung stehen“. Damit ist nicht nur bewiesen, dass die Ursachen der an Blättern und Blüten zu beobachtenden Torsionen außerhalb der Pflanze liegen, je nur durch die Einwirkung bestimmter äußerer Faktoren erzielt werden, sondern auch, dass nicht an eine Kombination zwischen äußern Faktoren und innern Wachstumsursachen zu denken ist. Denn Krümmungen führen ja, wie früher gezeigt wurde, nicht zu Torsionen. Die Frage, ob die Torsionen bedingenden Wachstumsprozesse aktiver oder passiver Natur sind, beantworten Verf. in ersterem Sinne. Der Versuch lehrt z. B., dass die Orientierungsbewegungen auch dann zur Auslösung kommen, wenn die Belastungsverhältnisse künstlich so gestaltet werden, dass sie die entgegengesetzte Drehung von der wirk- lich eintretenden bedingen mussten. Die Waechstumsvorgänge müssen also aktiver Natur sein, weil sie Widerstände überwinden können, also mit einer gewissen Kraftentfaltung vor sieh gehen. Die äußern Faktoren aber, welche dieses aktive Wachstum anregen, sind das 198 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Lieht und die Schwerkraft. „Neben derjenigen Licht- und Schwer- kraftwirkung, die in sichtbarer Weise in den bekannten geotropischen und heliotropischen Krümmungen zum Ausdrucke gelangt, gibt es eine andere, aus welcher die Orientierungstorsionen hervorgehen. Beide Erscheinungen, Krümmungen sowohl wie Drehungen beruhen zwar in übereinstimmender Weise auf einem aktiven Wachstum, allein sie stehen dabei in keinerlei ursächlichem Zusammenhang mit einander, wie schon aus der früher besprochenen Thatsache hervorgeht, dass man die Krümmungen verhindern kann, ohne dadurch die Torsion aufzuheben. Es existieren also in Wirklichkeit heliotropische und geotropische Torsionen, die in jeder Hinsicht von den durch das Licht oder die Schwerkraft bedingten Krümmungen zu trennen sind“. Dass nicht nur bei gleichzeitigem Einfluss einseitiger Lieht- und Schwerkraftwirkung die Orientierungsbewegungen entstehen, sondern dass sowohl das Lieht als auch die Schwerkraft für sich allein tor- dierend wirken können, ist experimentell nachweisbar. Der Schwerkraft allein muss eine Orientierungstorsion dann zu- geschrieben werden, wenn die betreffenden Drehbewegungen auch bei Ausschluss der einseitigen Liehtwirkung im Dunkeln, resp. unter all- seitig gleichmäßiger Beleuchtung zu stande kommen und wenn sie nicht eintreten, sobald die einseitige Schwerkraftwirkung aufgehoben wird. Blätter, die ihre normale Orientierung zur Tragaxe und zum Erdradius bei ihrer Entfaltung nicht besitzen, führen im Dunkeln so lange Bewegungen aus, bis ihre morphologische Oberseite nach oben gerichtet ist. Die Größe der Torsion ist ganz von der Lage des Sprosses abhängig, so dass also an einem beblätterten Spross, der in senkrecht abwärts gerichtete Lage gebracht wurde, zumeist an sämt- lichen noch wachstumsfähigen Blättern außer einer geotropischen Auf- wärtskrümmung eine Drehung von 180° eintritt. Auch die Klinostatenversuche sprechen deutlich dafür, dass diese Orientierungstorsionen ganz allein von der Schwerkraft ohne Mit-» wirkung irgend welcher anderer Richtkräfte bedingt werden. Hier der einseitigen Lieht- und Schwerkraftwirkung entzogen führten die Blätter der Versuchspflanzen nie Torsionen aus. Deutlicher noch als die Blätter lassen die Blüten die Bedeutung der Schwerkraft für die Orientierungstorsionen erkennen. Schon die Beobachtungen in der Natur lassen oft unzweideutig erkennen, dass die Orientierung verschiedener zygomorpher Blüten gegen die Tragaxe die gleiche ist, wie auch die Beleuchtungsverhältnisse für die Einzel- blüten sich gestalten. Die Blüten von Aconitum z. B. richten ihre Vorderseite stets ziemlich genau von der Spindel weg unbekümmert um die Beleuchtungsriehtung. Die Klinostatenversuche der Verfasser stimmen völlig überein mit den analogen Versuchen von Noll. „Unter Ausschluss einseitiger Licht- und Sehwerkraftwirkung gelangen auch an zygomorphen Blüten niemals Torsionen zur Beobachtung“. Die Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 199 unter Ausschluss einseitiger Beleuchtung auftretenden Blatt- und Blüten- stieldrehungen sind folglich echte geotropische Drehungen. Dem Organe kommt also gegenüber der Schwerkraft eine doppelte Reaktionsfähig- keit zu. Dem Geotropismus ist der Geotortismus gegenüber zu stellen. Es mag noch auf eine Beobachtung hingewiesen werden, die scheinbar mit der Schlussfolgerung, dass diese Orientierungstorsionen unabhängig von innern Wachstumsursachen sind, im Widerspruch steht. Auch Noll hatte in seinen Klinostatenversuchen mit zygomorphen Blüten nie Torsionen beobachtet. Dennoch glaubt er, „dass die Orientierungstorsion der Blüten in wesentlichen Punkten ohne Mithilfe äußerer Faktoren durch „innere Wachstumsursachen“ veranlasst werden. Zum mindesten soll die Lateralbewegung, ohne welche ja nach Noll eine Torsion nicht zu stande kommen kann, durch eine „den Pflanzen innewohnende Richtkraft“ ausgelöst werde. Er folgert das aus ge- wissen Beobachtungen der tordierten Pflanzen. Scehneidet man z. B. von einer Orchideenspindel mit noch untordierten Blüten das obere Ende ab, so führen die Fruchtknoten der in unmittelbarer Nähe der Schnittfläche inserierten Blüten keine Drehung aus, während tiefer stehende Blüten durch die fragliche Operation in ihrer normalen Resupinationsbewegung nicht beeinflusst werden. Zu dieser Beobach- tung sagt Noll: „Die Annahme, dass die Gravitation direkt auf eine Torsion hinwirke, ist, wenn man für diese künstlich endständig ge- machten Blüten nicht total andere Voraussetzungen als für die Schwester- blüten machen will, durch diese Versuche vollständig ausgeschlossen“. Sind innere Wachstumsursachen ohne Mitwirkung äußerer Richtkräfte wirklich die Momente, welche die Lateralbewegung auslösen, dann müssten sie natürlich auch auf dem Klinostaten auftreten, der ja nur die Wirkung der äußern Richtkräfte aufzuheben vermag‘, nicht auch die innern Wachstumsursachen, ein Versuchsergebnis, das wie früher erwähnt, nicht beobachtet wird. Warum aber bleiben auch unter der Einwirkung der Schwerkraft die Orientierungstorsionen aus, wenn man die Pflanze in der ange- führten Weise operiert? Ist vielleicht das Protoplasma durch die Verwundung so verändert, dass es nicht mehr in der frühen Weise auf die Schwerkraft reagiert? Verf. ziehen zur Erklärung das zweck- mäßige Verhalten der Pflanzen heran. „Der Zweck der Orientierungs- bewegungen zygomorpher Blüten und dorsiventraler Blätter ist durch- weg ein so klar in die Augen springender, dass es nicht zu verwundern ist, wenn wir diese Thatsache fast bei allen, die sich mit dem vor- liegenden Gegenstande beschäftigt, mit besonderer Betonung herver- gehoben sehen. Indem die Blätter ihre Oberseite dem Lichte zuwenden, nehmen sie eine Lage an, die der Regel nach für ihre Assimilations- thätigkeit die günstigste ist. Und wenn die zygomorphen Blüten ihre Vorderseite von der Tragaxe hnwegwenden, so steht diese Bewegung offenbar im Dienste der Fremdbestäubung. Dieselbe würde... ohne 200 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Zweifel erschwert, bei dichten Ständen der Blüten vielleicht ganz unmöglich gemacht sein, wenn sämtliche Blüten mit ihrer Vorderseite nach der Spindel gerichtet wären“. „Nun sehen wir die hierhergehörigen Organe im allgemeinen die von Frank gefundene Regel befolgen, ihre günstigste Lage auf kür- zestem Wege zu erreichen. Sie machen von einer Torsion gewöhnlich nur dann Gebrauch, wenn ihnen einfachere Mittel zur Erreichung ihres Zieles nieht zu Gebote stehn. — Wir können nun die weitere Regel hinzufügen, dass durch das Wegschneiden benachbarter Organe oder durch andere Operationen an dem gewöhnlichen Verhalten der Blüten und Blätter nichts geändert wird, wenn dieselben zur Erreichung ihrer normalen Lage nach der Verwundung dieselben Bewegungen ausführen müssen, wie an der unverletzten Pflanze. Dagegen sind die Verwun- dungen von weitgehendem Einfluss, wenn dadurch Verhältnisse ge- schaffen werden, unter welchen die seitlichen Organe ihre zweckmäßige Lage in viel einfacherer Weise als an der intakten Pflanze erreichen können“. Wird der obere Teil der Orchideenspindel entfernt, so ist es für die Blüten, welche der Sehnittläche am nächsten sind zwecklos geworden, sich zu drehen. Für sie fehlt die Spindel, von der sie sich abwenden mussten“. „Wenn nur die Blüten mit ihrer Vorderseite über die Sehnittfläche hinwegsehen, so sind sie ebenso zweckmäßig orientiert, wie die tieferstehenden Blüten, die auch nach der fraglichen Operation durch Torsion von 180° ihre Vorderseite nach außen riehten“. So ist also, nach Ansicht der Verf., auch der Noll’sche Versuch nicht gegen die tordierende Wirkung der Schwerkraft verwertbar. Ueber die mechanischen Bedingungen der Entstehung der Orien- tierungstorsionen haben Verf. die Vorstellung, „dass das Wachstum in einer zur Längsaxe schiefen Richtung sei es des ganzen Organes oder der einzelnen Zellen gefördert oder herabgesetzt wird“. Die Drehung des ganzen Organes kann ohne ein Torsionsbestreben der einzelnen Zellen zu stande kommen, wenn die Zellen zu spiralig verlaufenden Reihen angeordnet sind, in welehen das Wachstum stärker oder schwächer ist, als in der Längsrichtung des ganzen Organes. Die Gewebestruktur zeigt aber nichts von einer solchen Spiralanordnung. Die gleiche longitudinale Zellanordnung, die an nicht tordierenden verwandten Organen zu beobachten ist, findet man auch an den tor- dierenden Pflanzenteilen. Es müssen also die unmittelbaren Torsions- ursachen im Verhalten der einzelnen Zellen gesucht werden. „Unter dem Einfluss der Schwerkraft erfährt das Membranwachstum der ein- zelnen Zellen in schiefer Richtung zu ihrer Längsaxe eine Zu- oder Abnahme. Damit ist ein Torsionsbestreben der einzelnen Zellen ge- geben, welches auch die Torsion des ganzen Organes bedingt“. Warum aber dieses Membranwachstum bald in einer links schiefen, bald in einer rechts schiefen Richtung beeinflusst wird, dafür fehlt so lauge eine mechanische Erklärung, bis wir einen tiefern Einblick in die im Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 201 Plasma sich abspielenden Vorgänge gewonnen haben. An eine direkte Beeinflussung des Wachstums der Zellulosehaut dureh die Schwerkraft ist wohl nicht zu denken. „Dazu braucht sie die Vermittlung des lebenden Protoplasmas, welches nach Aufnahme des von der Schwer- kraft ausgeübten Reizes das Wachstum der Membran in dem ange- gebenen Sinne reguliert“. Die Untersuchung des Einflusses des Lichtes auf die Orientierungs- torsionen ergeben zunächst, dass die einseitige Beleuchtung in vielen Fällen die entgegengesetzte Bewegung von denen nach sich zieht, welche die Schwerkraft allein bedingen würde. Dorsiventrale Blätter z. B. suchen ihre Oberseite senkrecht zum einfallenden Lichte zu stellen und diese Lage erreichen sie, wie auch die Schwerkraft hierbei wirken mag, ob im Sinne der Liehtwirkung oder im entgegengesetzten Sinne. „Wo sich nun die Organe in der angegebenen Weise orientieren, ist mit Sicherheit anzunehmen, dass das Licht wenigstens für die Rich- tung und das Maß der Torsion den allein ausschlaggebenden Faktor liefert. Wäre dies nicht der Fall, dann könnte weder die Lichtlage auf kürzestem Wege erreicht werden, noch die Bewegung jedesmal bei dieser Stellung der Organe zum Stillstand gelangen“. Um auch darüber Aufschluss zu erhalten, wie die Torsionen zu stande kommen, wird es nötig werden zu entscheiden, ob das Licht für sich allein tordierend zu wirken vermag, oder ob zur Erzielung der Drehung die Einwirkung anderer Einflüsse, so namentlich der Schwerkraft unbe- dingt nötig ist. Die Versuche lehren, dass „die Internodien und Blätter der horizontalen Zweige mancher Pflanzen (z.B. Philadelphus) sowohl unter dem allemigen Einflusse der Schwerkraft, als auch bei gleich- zeitiger Mitwirkung einseitiger Beleuchtung stets dieselbe Torsions- größe zeigen. Es ist hierbei ganz gleichgiltie, ob Lieht und Schwer- kraft die Organe in gleichem oder ungleichem Sinne zu drehen suche*. Der sehr einlässlichen speziellen Besprechung der Wirkung ein- seitiger Beleuchtung auf die Torsionen entnehmen wir folgende Mit- teilungen. Als Versuchsobjekte zum Studium des Lichteinflusses auf die Orientierungsbewegungen zygomorpher Blüten dienten verschiedene Species der Gattungen Viola, Clintonia und Alstroemeria. Als be- sonders günstige Objekte erwiesen sich V. tricolor und V. altaicu. An den Viola-Blüten treten auf dem Klinostaten also unter Ausschluss der Wirkung der Schwerkraft genau dieselben Drehungen auf, wie in jenen Fällen, in welchen die Versuchsobjekte gleichzeitig unter der Wirkung einseitiger Beleuchtung und der Schwere stehn. Wohl war zu beobachten, dass die Torsionen nicht mit der Sicherheit auftraten, wie wenn die Pflanze beiden Einwirkungen ausgesetzt ist, ein Umstand, der wohl darauf zurückzuführen ist, dass eben die Pflanze, die von der Einwirkung der Schwerkraft ausgeschlossen wird, in einen ab- normen Zustand gerät, „in welchem sie überhaupt nicht mehr mit der 202 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Präzision auf die Einwirkung äußerer Faktoren reagiert, wie unter der gleichzeitigen Einwirkung der Schwerkraft“. Es ist also das Lieht ein Faktor, welcher für sich allein Orientierungsbewegungen aus- zulösen vermag. Es existieren demnach neben heliogenen Krümmungen auch heliogene Drehungen. Wie dem Geotropismus ein Geotortismus an die Seite zu stellen ist, so ist neben dem Heliotropismus auch ein Heliotortismus zu unterscheiden. Dieses Verhalten der zygomorphen Blüten ist aber doch nur ein ausnahmsweises; denn in den meisten Fällen (Aconitum, Delphinium, Serophularia ete.) hat die einseitige Beleuchtung keine Torsion zur Folge. Die Orientierungsbewegungen, welche dorsiventrale Blätter in be- stimmte Lichtstellungen zu bringen bestrebt sind, haben schon ver- schiedene Autoren zum Gegenstande ihrer Untersuchungen gemacht, ohne dass in der Frage nach der Entstehung der Torsionen ein überein- stimmendes Ergebnis erzielt worden wäre. Der Verf. Versuche lehren, dass das Verhalten verschiedener Pflanzenarten auf dem Klinostaten gegenüber einseitiger Beleuchtung ein sehr ungleiches ist, dass ferner die Blattbewegungen derselben Pflanze ungleich sind, je nach der Stellung, welche die Blätter der einseitigen Beleuchtung gegenüber einnehmen. Durch verschiedenartige Bewegungen kann eben die Pflanze dasselbe Endziel erreichen. Im allgemeinen sind die dorsiventralen Blätter eimer größern Anzahl von Pflanzen nur dann zu Orientierungs- drehungen befähigt, wenn sie unter dem gleichzeitigen Einflusse der Schwerkraft stehen: Ihr Verhalten gleicht also dem der zygomorphen Blüten. Und wie hier Ausnahmsfälle zu beobachten sind, in denen die Liehtwirkung allein zur Auslösung einer Orientierungsdrehung ge- nügt, so auch bei den Blättern (Alstroemeria, Urtica u. 8. f.). So lässt sich also bezüglich des Einflusses des Liehtes auf die Örientierungsdrehungen keine allgemeine Regel aufstellen. Zwischen der tordierenden Wirkung der Schwerkraft und des Lichtes besteht danach ein Unterschied. Erstere vermag für sich allem ein Organ gegen den Erdradius oder gegen die Tragaxe in bestimmter Weise zu orientieren. Das Verhalten der dorsiventralen Blätter aber lehrt, dass Licht und Schwerkraft sich durch Vermittlung des Protoplasmas in ihren Wirkungen zu beeinflussen vermögen, dass entweder unter dem Einflusse des Lichtes die Empfindlichkeit des Protoplasmas gegenüber der Schwerkraft eine Aenderung erfährt oder umgekehrt. Den Bewegungen bogenförmiger Organe unter der krümmenden Wirkung des Lichtes und der Schwerkraft, welche nach Ambronn unter gewissen Umständen eine wirkliche Drehung sein können, ist ein letzter Abschnitt der Untersuchungen gewidmet. Nach dem ge- nannten Autor treten derartige Drehungen ein, „wenn Licht und Schwer- kraft auf bereits gekrümmte Organe einwirken unter der Voraussetzung, dass die Ebene der vorhandenen Krümmung nicht parallel zum Erd- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 2053 radius oder zu den einfallenden Lichtstrahlen orientiert ist“. Die Versuche der Verf. ließen an Helianthus-Keimlingen, also der Versuchs- pflanze von Ambronn, die sich in horizontaler Lage unter dem Ein- flusse der Schwerkraft gekrümmt hatten und um 90° gedreht wurden, so dass nun mehr die Schwerkraft senkrecht zur Ebene der ersten Krümmung war, weder während der allmählichen Entstehung, noch am Schluss der zweiten Krümmung irgend eine Drehung wahrnehmen. Ja, am Schlusse des Versuchs war bei dieser wie bei einer Reihe anderer Pflanzen die horizontale Krümmung gänzlich verschwunden und dafür eine solche in vertikaler Ebene entstanden. Eine der Länge des Sprosses nach verlaufende Tuschlinie hatte dabei keine Ablenkung von ihrem früheren Verlaufe erkennen lassen. Diese Versuchsergeb- nisse der Verf. zwingen also zum Schlusse, „dass die erste horizontale Krümmung auf die Form und Beschaffenheit der zweiten in senkrechter Ebene erfolgenden ohne wesentlichen Einfluss ist. Die Ursache dieser Erscheinung ist auf die Rektipetalität zurückzuführen, auf das Be- streben aus innern Ursachen sich gerade zu strecken. In der That beobachtet man, dass am obern Teil des Sprosses die gerade Streckung beginnt, um basipetal fortzuschreiten. Wenn die zweite Krümmung, die vertikale, sich zu bilden beginnt, hat ein mehr oder weniger be- deutender Sprossteil bereits vermöge der Rektipetalität die gerade Form angenommen. Gleich der Rektipetalität beginnt nun auch die vertikale Krümmung apikal und schreitet gegen die Basis hin fort. Greifen die zur Vertikalkrümmung führenden Wachstumsvorgänge auf ältere, also der Basis näherliegende Axenteile, dann ist auch hier durch die Rektipetalität die horizontale Krümmung ziemlich beseitigt. „Es kommt also vor, dass die Vertikalkrümmung in ihrer Entwicklung der in horizontaler Ebene thätigen Rektipetalität gewissermaßen Schritt für Schritt folgt. Wo dies der Fall ist, wird von vorneherein die Bildung von Torsionen ausgeschlossen, denn die Schwerkraft wirkt ja nicht mehr auf bogenförmige, sondern auf gerade Organe“. Doch nicht in allen Fällen ist zwischen Rektipetalität und vertikaler Krüm- mung eine zeitliche und räumliche Folge zu sehen. Doch auch bei dieser Art des Zusammenwirkens jener Kräfte — der Rektipetalität und der Schwerkraft — bleiben die Sprosse in allen Abschnitten der Bewegung ohne wahrnehmbare Torsion. An die Stelle des horizon- talen Bogens ist schließlich ein vertikaler getreten, an welchem irgend welche Marken ziemlich genau ihre ursprüngliche Stellung zu einander beibehalten haben“ }). 1) Noll weist in einer während des Druckes mir zugekommenen Kritik die Ansichten der Verf. mit großer Entschiedenheit zurück. Auf seine An- schauungen können wir wohl in einem späteren Referat gelegentlich ein- treten. 204 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. V. Pflanzliche Elektrizität. Ueber die Ursachen elektrischer Ströme in Pflanzen, welehe auch ältere Forscher schon zum Gegenstande ihrer Unter- suchungen machten, ohne dass dieselbe als erschlossen bezeichnet werden konnte, hat O. Haake eine eingehendere Untersuchung an die Hand genommen. Ihren Gegenstand bilden „nur solche elektrische Erscheinungen, die in der Pflanze selbst, sei es im Bau, sei es in den Lebensfunktionen, ihren schließlichen Grund finden“. Kunkel hat als eines seiner Versuchsergebnisse die Ansicht aus- gesprochen, dass die beobachteten elektrischen Ströme von der Wasser- bewegung herrühren, wie sie durch das Aufsetzen feuchter Elektroden erregt wird. Hieran anschließend, prüft Haake in erster Linie die Frage, ob die Trauspiration von Einfluss auf die elektrischen Ströme in Pflanzen sei. Ist doch der durch die Verdunstung veranlasste Wasserstrom von nieht geringerer Schnelligkeit und Menge, als die durch Feuchtigkeit der Elektroden bedingte Imbibition der Zellen. Eine Steigerung oder Verminderung der Transpiration müsste von einer Veränderung der elektrischen Spannung begleitet werden. Dies müsste am Elektrometer einen Ausschlag bewirken. Die Elektroden des Apparates, auf dessen Beschreibung ich hier verzichten muss, wurden «ie eine auf der Mittelrippe eines Blattes dieht bei deren Uebergang in den Stiel angesetzt, die andere ungefähr in der Mitte des Mesophylis. Der Raum, in welchem das Blatt sich befand, wurde mit völlig trockener Luft erfüllt, so dass also eine energische Trauspiration des mit gering entwickelter Cuticula ver- sehenen Blattes eintreten musste. Nach 0,5—1 Minute zeigte sich im Kapillarelektrometer eine Bewegung, ein lebhaftes Sinken. Eine Gesetz- mäßigkeit fand Verf. nicht, wenn schon er glaubt, dass die erste Be- wegung, die je eintrat, auf die Transpirationsströmung zurückzuführen sei. Zu keinen bessern Resultaten führten andere Versuchsanordnungen. So lässt sich das Versuchsergebnis negativ dahin zusammenfassen, „dass die Wasserbewegung nicht die Hauptursache der gemessenen beträchtlichen elektrischen Ströme sein kann“. Sucht man die Ursache der elektrischen Ströme in den Lebens- prozessen, dann liegt es nahe der Atmung einen bedeutenden Einfluss auf dieselben zuzusprechen. Eine Aenderung der Atmung müsste als- dann auch in einen Galvanometerausschlage ihren Ausdruck finden. Verf. ersetzt den Sauerstoff durch ein indifferentes Gas und zwar durch Wasserstoff. „Ein jüngeres Blatt von Hydrangea Otaska zeigte in gewöhnlicher Luft einen Sauerstoffausschlag von 32 Teilstrichen. Die huhelage bei stromloser Anordnung war stets bei Teilstrich O. Nach Wasserstoffzuleitung sank er innerhalb 5 Minuten erst langsam, dann schneller auf Teilstrich 2, wo er sich konstant einstellte“. Wurde darauf der Wasserstoff durch Luft wieder verdrängt, dann war nach einigen Minuten der Teilstrich 26 wieder erreicht. In andern Fällen Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 2305 zeigten sich gewisse Schwankungen, so dass z. B. der Wasserstoff- ausschlag anfänglich geringer war als einige Minuten darauf. Aus allen Versuchen aber ging hervor, dass der Sauerstoffentzug eine elek- trische Spannungsänderung hervorrief und dass die ursprünglichen Spannungsverhältnisse näherungsweise sich wieder herstellten, wenn die normalen Atmungsbedingungen zurückkehrten. Die elektrischen Ströme in den Pflanzen sind also von der Atmung abhängig. Wenn wir beobachten, dass auch nach Sauerstoffentzug nicht die Ruhelage bei stromloser Anordnung erreicht wird, sondern in einzelnen Fällen noch ein erheblicher Ausschlag — z.B. bei einem jungen Blatte von Quercus pedumculala 34 — bestehen bleibt, so wird dieser nach Verf. dureh die intramolekulare Atmung hervorgerufen. Diese ist nun bei verschiedenen Pflanzen verschieden, also muss auch der Ausschlag nach der Verdrängung des Sauerstoffes ein ungleichartiger sein. Der Umstand, dass nach der Wiederherstellung der ursprünglichen Atmungsverhältnisse nicht auch der ursprüngliche Sauerstoffausschlag, sondern fast ausnahmslos ein geringerer eintritt, dürfte darauf zurück- zuführen sein, dass der anormale Zustand, in welchen der Pflanzenteil versetzt worden war, pathologisch nachwirkt. In einer andern Versuchsreihe wird nur in der Umgebung der einen Elektrode dem atmenden Pflanzenteile der Sauerstoff entzogen, also damit eine Veränderung der Differenz der Atmungsintensität be- wirkt. Das Resultat hiervon gibt Verf. in folgender Weise an: „Lasse ich den Wasserstoff im Gebiete der positiven Elektrode wirken, so wird der Ausschlag vergrößert. Sauerstoffentziehung an der negativen Elek- trode veranlasst ein Sinken. Die Elektroden erfahren einzeln im Sinne ihrer ursprünglichen elektromotorischen Wirksamkeit einen Strom- zuwachs“. Die Veränderung der Differenz der Atmungsintensität wird also von einer Verschiebung der elektrischen Spannungsverhältnisse be- gleitet; es ist also auch aus dieser Versuchsreihe die Abhängigkeit der elektrischen Ströme von der Atmung zu erkennen. Schwankungen in der Atmungsenergie sind durch Temperatur- veränderungen zu erzielen. Verminderung der Temperatur setzt die Atmungsenergie herab, Erhöhung innerhalb gewisser Grenzen steigert sie. Versuche mit elektromotorisch-wirkenden Objekten zeigten, „dass in einer sonst stromlosen Anordnung durch einseitiges Erwärmen Aus- schläge im Elektrometer hervorgerufen werden können“ (im Maximum 9 Teilstriche). Wahrscheinlich spielen hier die Verdunstungsströme eine gewisse Rolle. Die Ausschlagsdifferenzen, die Verf. bei Versuchen mit Blättern erhielt, sind nun so erhebliche, dass sie im wesentlichen jedenfalls auf die Veränderung der Atmungsenergie zurückzuführen sind. Auch die Assimilation der Kohlensäure ist ein wichtiger Lebens- prozess, der elektrische Erscheinungen nach sich ziehen kann. Um 2306 Lueiani, Vorstufen des Lebens. den Einfluss desselben auf die Veränderung der elektrischen Spannung zu bestimmen, wurden die Versuchspflanzen zum Teil im Dunkeln, zum Teil bei Kohlensäureentzug untersucht. Ein Blatt von Quercus pedunculata zeigte den Ausschlag + 17. Nach der Verdunklung sinkt der Ausschlag schnell, innerhalb 10 Minuten bis auf 10. Nach dem Erhellen steigt der Ausschlag wieder. Bei 28 ist er konstant. Die Verdunklung lässt den Ausschlag wieder zurück- gehen bis auf 17 (nach 6 Minuten), die Belichtung wieder steigen bis zu 32. Dieses Verhalten der Versuchspflanze, dem eine Reihe anderer Arten völlig adäquat war, zeigt, dass jedenfalls auch der Kohlensäure- assimilation ein gewisser Einfluss auf die elektrischen Ströme in Pflanzen zukommt. Derselbe ist allerdings im Verhältnis zu jenen der Atmung nur von untergeordneter Bedeutung. (4. Stück folgt.) Vorstufen des Lebens. Von Prof. Luigi Luciani in Florenz. (Schluss,) Man kann mit Leichtigkeit die äußern normalen Lebensbedingungen der amöboiden Organismen verändern, indem man physikalische, che- mische oder physiologische Agentien künstlich auf sie einwirken lässt, welche im stande sind Reaktionen zu erzeugen, was so viel sagen will als die Lebensthätigkeiten der betreffenden Organismen in Bewegung zu setzen. Die einfachsten Reize sind ohne Zweifel die mechanischen, weshalb wir mit ihnen anfangen wollen. Man hat schon lange beobachtet, dass ein einfacher Stoß auf das Gläschen des Objektträgers, auf welchem man mikroskopisch die Be- wegungen einer Amöbe beobachten will, genügt, um dieselbe augen- blicklich zum Stillstand zu bringen, und wenn der Stoß stark genug ist, sie zu veranlassen, die Pseudopodien oder protoplasmatischen Aus- wüchse einzuziehen. Wenn ferner die auf den Objektträger ausgeübten Stöße sich in häufigen Intervallen und mit einer gewissen Stärke wiederholen, dann steigern und summiren sich die durch jeden Reiz ausgeübten Wirkungen, so dass nach einer oder zwei Minuten ein wirklicher mechanischer Tetanus entsteht, während dessen eine kon- zentrische Zusammenziehung des ganzen Protoplasmas stattfindet, so dass die Amöbe eine kugelförmige Gestalt annimmt. Außer den allgemeinen mechanischen Reizen hat man auch die Wirkungen lokaler Reize auf die Amöben untersucht, indem man sie mit stumpfen Körpern oder mit feinsten Nadeln berührte, drückte oder stach. Die motorischen Reaktionen fehlen entweder gänzlich in diesem Fall oder beschränken sich auf den gereizten Teil oder übertragen Lueiani, Vorstufen des Lebens. 9207 sich langsam auf den übrigen Teil des Körpers, je nach der Inten- sität des Reizes und dem Grad der Erregbarkeit des Individuums, mit welchem man experimentiert, welche je nach der Gattung sehr verschieden oder wechselnd bei den verschiedenen Amöboidenarten ist. Verworn betrachtet solche repulsiven Bewegungen der Mon- organismen auf künstliche mechanische Berührungen oder Reize als ein Zeichen von dem, was er negativen Tigmotropismus nennt, im Gegensatz zu der Neigung derselben freiwillig auf der Oberfläche fester Körper zu haften, an ihnen entlang zu kriechen und in ihre Poren einzudringen, auch entgegen der Schwerkraft, welche Tendenz er positiven Tigmotropismus nennt. Die akustischen Reize gehören vom physikalischen Standpunkt in die Kategorie der mechanischen Reize, von denen sie sich mehr quanti- tativ als qualitativ unterscheiden. Da der Mensch und der größte Teil der Tiere Organe besitzen, welche fähig sind auf die Schallwellen zu reagieren ohne direkte Berührung und durch Vermittlung der Luft, so hat man festzustellen versucht, ob auch das Protoplasma der Mon- organismen dieselbe Fähigkeit besitze. Aber auf verschiedene Weise ausgeführte Versuche haben nicht zu so überzeugenden Resultaten ge- führt, um uns irgendwie zur Annahme zu berechtigen, dass die Erreg- barkeit des amöboiden Protoplasmas durch akustische Reize in Thätig- keit versetzt werden könne, wie es durch gröbere mechanische Reize geschieht. Diese Beobachtung führt uns zum Schluss, dass die Schall- wellen im Allgemeinen erst dort anfangen als Reize Wert zu haben, wo eine besondere Differenzierung der Organe stattgefunden hat, welche bei den Monorganismen sich noch nicht findet. Von größerer Wichtigkeit erscheinen die experimentellen Resultate, die man bei den gleichen amöboiden Elementen mit thermischen Reizen erzielt hat. Es ist schon in allerfrühesten Zeiten beobachtet worden, dass ein gewisser Grad von Wärme Grundbedingung alles Lebens ist und dass eine Minimalgrenze der Temperatur besteht, über die hinaus jede Lebensthätigkeit aufgehoben ist und eine Maximal- grenze, jenseits welcher der Organismus stirbt. Aber hier handelt es sich darum, genau zu bestimmen, bis zu welchem Punkt innerhalb der gegebenen Grenzen die verschiedenen Temperaturgrade die amöboiden Bewegungen beeinflussen können. Kühne war der erste, der den thermischen Tetanus bei den Amöben durch Erhöhung der Temperatur auf 35° C beobachtet hat. Indem er die Umgebung wieder abkühlte, sah er, wie sich die amö- boiden Bewegungen langsam wieder einstellten; bei der Erwärmung hingegen bis auf 40—45° C trat der Tod durch Gerinnung des Proto- plasmas ein. Die späteren Untersuchungen haben diese Resultate be- stätigt und erweitert. Man kann danach behaupten, dass durch die Herabsetzung der Temperatur die amöboiden Bewegungen allmählich langsamer werden, bis sie zuletzt ganz aufhören, und dass mit der 08 Lueiani, Vorstufen des Lebens. Erhöhung derselben sie immer lebhafter werden, bis sich im ganzen Protoplasma die thermische Starre einstellt. Andere Untersuchungen wurden von Verworn ausgeführt, um zu bestimmen, ob der thermische Reiz fähig sei, nicht allein die amö- boiden Bewegungen zu erregen, sondern auch die Richtung derselben auf einen gewissen Punkt zu beeinflussen. Zu diesem Zweck muss man die Wärmestrahlen nur auf einen Teil der Amöbe wirken lassen um zu sehen, ob sie sich in der Richtung des durch die Wärme er- regten Teils oder nach der entgegengesetzten Seite bewegt. Dies erreichte Verworn durch ein sehr ingeniöses technisches Verfahren, und er gelangte zu der Ueberzeugung, dass man in den Amöben einen Thermotropismus annehmen müsse, analog dem Heliotropismus, den man bei den Pflanzen und bei den unbeweglichen Tieren ein- gehend untersucht und deutlich erkannt hat. Die Amöben bewegen sich immer in entgegengesetzter Richtung zu dem thermischen Reiz; sie zeigen also einen negativen Thermotropismus. Niedrigen Temperaturen gegenüber beweisen sie sich indifferent, und es war bisher nicht möglich einen positiven Thermotropismus in ihnen nachzuweisen. Die Erscheinungen des Heliotropismus der Pflanzen und der niedrigen Tiere, d. h. ihre Fähigkeit je nach der Richtung der Sonnen- strahlen ihre Körperaxe zu wenden, hängt weniger von den thermischen als von den chemischen Einwirkungen der Lichtwellen ab. Es sind viele Versuche gemacht worden, um genau die Einwirkung der Licht- reize auf die verschiedenen Arten der Lebewesen, die zum Bereich der Protisten gehören, zu bestimmen, um die Frage zu entscheiden, ob die Erregbarkeit durch das Licht eine allgemeine Eigenschaft des Protoplasmas sei, oder ob sie nur während der Entwicklung der Organismen zu stande kommt. Was die amöboiden Monorganismen oder solche mit nacktem Proto- plasma anlangt, so waren die Resultate dieser Untersuchungen durchaus negative. Es gelang nicht irgend eine merkliche Wirkung auf sie wahrzunehmen, weder auf ihre Bewegungen noch auf die Richtung derselben, wenn sie vom Hellen ins Dunkle oder umgekehrt versetzt wurden. Wenn man sie mit den Farben des Sonnenspektrums mittels eines Mikrospektroskops beleuchtete, so konnte man die Amöbe mit ihren kriechenden Bewegungen von einem Ende des Spektrums zum andern wandern sehen, vom Violett zum Rot, vom Rot zum Violett, ohne dass sie die geringste Abweichung weder in der Lebhaftigkeit noch in der Richtung ihrer Bewegungen zeigte. Diese Resultate unterscheiden sich außerordentlich von denjenigen, welche man bei andern Protisten, besonders bei der Gruppe der Bak- terien und Diatomeen beobachtet. Aus den Untersuchungen von Stras- burger geht hervor, dass die Intensität des Lichts einen großen Einfluss auf die Bewegungen der erwähnten Protisten ausübt, in dem Lueiani, Vorstufen des Lebens. 209 Sinne, dass sie bei einem gewissen Grad der Intensität einen posi- tiven Phototropismus zeigen, d. h. dass sie sich der Lichtquelle nähern; bei einem andern Grad der Intensität entfernen sie sich, zeigen daher einen negativen Phototropismus; bei wieder einem andern Grad endlich zeigen sie sich indifferent. Man konnte ferner feststellen, dass auch die Wellenlänge der Lichtstrahlen von Bedeu- tung ist. Z. B. das sogenannte Bacterium photometrieum reagiert nur auf die ultraroten Lichtstrahlen und reagiert kaum auf die Strahlen zwischen den Fraunhofer’schen Linien C und D. Sicher muss man diese Fähigkeit auf Licht zu reagieren, gemäß den Regeln der Evo- Iutionslehre, als eine Anpassung an besondere Lebensbedingungen be- trachten, die von großem Nutzen für die Existenz gewisser Organis- men ist. Bei den Amöboiden hat sich diese Erregbarkeit auf den Lichtreiz noch nicht auf eine wahrnenmbare Weise entwickelt; was mir als neuer Beweis zur Befestigung der Annahme erscheint, dass sie in der That im Protistenreich die älteren und einfacheren Formen darstellen, aus deren Differenzierung die andern Gruppen der Protophyten und Protozoen hervorgegangen sind. Interessant stellen sich auch die Wirkungen der elektrischen Ströme dar, wenn man bedenkt, dass man bei den Monorganismen im Allgemeinen keine Anpassung an diese Art von Reizen annehmen kann, weil unter den natürlichen Bedingungen, in welchen sie leben, sie schwerlich denselben ausgesetzt sind, wenigstens im derjenigen Stärke, welche man bei physiologischen Experimenten anwendet. Wir verdanken Kühne und Engelmann die ersten Unter- suchungen dieser Wirkung. Sie fanden übereinstimmend, dass die Amöben bei schwachen Schlägen des Induktionsstroms nach einer gewissen Periode latenter Erregung die Zirkulation und Bewegung der Protoplasmakörnchen auf kurze Zeit unterbrechen und nachher wieder ihre normalen Funktionen aufnehmen. Bei Verstärkung der Schläge ziehen sie die Pseudopodien ein und nehmen kugelige Gestalt an, um sie nach einer gewissen Zeit von Neuem herauszustrecken. Verstärkt man die Schläge noch mehr, dann folgt auf den elektrischen Tetanus eine Art Gerinnung des Protoplasmas, an dem auch der Kern teilnimmt. Auch die konstanten Ströme erzeugen, je nach ihrer Intensität, eine teilweise oder totale Zusammenziehung des amöboiden Protoplasmas. Verworn entdeckte eine besondere Einwirkung der galvanischen Ströme, analog derjenigen, welche von andern Reizen hervorgerufen wird; er bezeichnet sie als Galvanotropismus. Versuchsobjekte waren verschiedene Arten von Wimperinfusorien. Protozöen dieser Gattung, die sich in einem Wassertropfen befinden, durch welchen ein Strom geleitet wird, bewegen sich zur Kathode oder dem negativen Pol hin in wellenförmigen Bewegungen, die um so ausgeprägter sind, je XIII. 14 210 Lueiani, Vorstufen des Lebens. schwächer der Strom ist. Oeffnet man den Strom, so erhalten die Infusorien wieder ihre Freiheit und sie zerstreuen sich wieder im Wassertropfen. Es handelt sieh hier nicht um eine kataphorische Thätigkeit, d. h. um eine mechanische, passive Bewegung nach der Richtung des Stroms, die auch bei nicht lebenden Körperchen vor- kommen könnte, weil in diesem Fall der Weg ein geradliniger wäre, die Bewegung schneller und ohne jede Richtung der Körperaxe. Außer- dem werden diese Bewegungen durch Chloroform oder Aethereinwirkung aufgehoben, was nicht der Fall wäre, wenn sie nieht physiologische Prozesse lebender Wesen darstellten. Ganz neuerdings hat Dineur den von Verworn entdeckten Galvanotropismus bestätigt, und mit Hilfe einer sinnreichen Methode beobachtete er, dass auch die Leukocyten in wahrnehmbarer Weise dasselbe Phänomen zeigen, indem sie sich mit sichtlicher Bevorzugung der Anode oder dem positiven Pol nähern. Auch hat er außerdem beobachtet (was der Bestätigung bedarf), dass in entzündeten Teilen die Leukocyten sich in entgegengesetztem Sinn verhalten, d. h. sich vorzugsweise zum negativen Pol wenden, wie es die Infusorien thun. Von ganz außerordentlicher Bedeutung ist die Untersuchung der Wirkungen, welche die chemischen Verbindungen auf die Erreg- barkeit des Protoplasmas der Monorganismen ausüben. Die Zahl der- jenigen, welche die Fähigkeit haben als Reiz auf die amöbeiden Elemente zu wirken, ist außerordentlich groß. Die Säuren, die Alkalien, die Salze, die stickstoffhaltigen und nicht stickstoffhaltigen Substanzen, organische oder mineralische, können gleicherweise Reize ausüben, vorausgesetzt, dass sie in genügender Konzentration angewendet werden. Kühne hat gefunden, dass die Amöben ihre Pseudopodien einziehen und ihre kugelige Form annehmen, sowohl bei Einwirkung von 1proz. Salzsäure als von 1proz. Kali- wie 1—2proz. Natron-Lösung. Die Beweglichkeit schien erst zuzunehmen, nahm dann aber ab bis zur tötlichen Erstarrung, welche man verhindern konnte, wenn man die Lösung mit Wasser verdünnte. Auch Gase zeigten sich auf die amöboiden Organismen wirksam, so Ammoniak, Dämpfe von Aether oder Chloroform. Diese letzteren heben allmählich die Bewegungen der Amöben auf; dieselben nehmen die kugelige Gestalt des unthätigen Stadiums an und zeigen somit eine wirkliche Narkose wie die höheren Tiere. Wenn man der Amöbe den Sauerstoff entzieht, indem man sie in eine Umgebung von Wasser- stoff, einem indifferenten Gas, bringt, halten ihre Bewegungen noch eine gewisse Zeit an, dann werden sie allmählich träger und hören zuletzt ganz auf. Wenn sie 24 Stunden in diesem dem Tod ähnlichen Stadium der Unthätigkeit geblieben sind, genügt es ihnen Sauerstoff zuzuführen, damit sie sich erholen und von Neuem auf normale Weise zu kriechen anfangen. Luciani, Vorstufen «des Lebens. 3A Am Interessantesten unter allen Erschemungen unmittelbarer Ein- wirkung von Reizen erscheinen diejenigen, welche durch chemische Agentien hervorgerufen werden. Es war eine wahre Entdeckung, als im Jahr 1887 der Botaniker Pfeffer den Nachweis brachte, dass viele mit spontaner Beweglichkeit ausgestattete Monorganismen von gewissen in Lösung befindlichen Substanzen beeinflusst werden können, der Art, dass sie angezogen oder abgestoßen werden. Er nennt die Erscheinung Chemotaxis. Um sie aber der für ähnliche Erschei- nungen angenommenen Nomenklatur anzupassen, werden wir sie mit Verworn „Chemotropismus“ nennen. Eine gegebene Lösung kann auf den einen Organismus ejnen energischen ehemotropischen Reiz ausüben, auf den andern einen schwachen. Die erregende Wirkung hängt von der chemischen Zusammensetzung ab; z. B. ist Kali wirksam in Verbindung mit einer bestimmten Säure und nicht mit einer andern. Einige Gifte (salieylsaures Natrium, Morphium) üben in schwacher Lösung eine anziehende Wirkung aus, in konzentrierter Lösung eine abstoßende. Es gibt Substanzen (Alkohol, die Alkalien, die freien Säuren), die immer eine abstoßende Wirkung ausüben. Die Methode für solche Untersuchungen ist außerordentlich einfach: Es genügt ein an einem Ende geschlossenes Kapillarröhrehen mit der Versuchslösung in das Wasser, welches die Mikroben enthält, einzu- tauchen. Entweder dringen die Mikroben in das Röhrchen ein; dann handelt es sich um positiven Chemotropismus; oder sie fliehen weit davon, dann haben wir negativen Chemotropismus. Die Wichtigkeit dieser Entdeckung tritt besonders bei der Anwen- dung hervor, die sogleich von ihr gemacht wurde für die Erklärung der Auswanderung der Leukocyten und des Phagoeytismus, d. h. der Fähigkeit der weißen Blutkörperchen, Mikroben, welche die gewöhnliche Ursache der akuten Krankheitsprozesse sind, anzuziehen und zu verschlucken. Leber ging von der Vorstellung aus, dass die Auswanderung der Leukocyten zum Entzündungsherd hin eine chemotropische Erscheinung sei, die aus einer auf die Leukocyten aus der Entfernung ausgeübten Thätigkeit der chemischen Produkte der eitererregenden Mikroben herrühre. Den Beweis führte er durch ein Experiment von einer in so schwierigen Fragen bewundernswerten Durchsichtigkeit. Er extra- hierte aus Kulturen des Staphylococcus aureus eine krystallisierende Substanz, die er Phlogosine nannte; als er ein Kapillarröhrchen mit jener Substanz in die vordere Augenkammer eines Kaninchens ein- führte, fand er, dass in kurzer Zeit in dem Röhrchen eine große An- zahl aus den perikornealen Blutgefäßen ausgewanderter Leukocyten sich ansammelten. Dieses wichtige Ergebnis ermutigte viele andere Forscher die Untersuchungen fortzusetzen. Lubarsch konnte beweisen, dass die lebenden Bakterien auf die Leukocyten des Frosches eine größere Anziehungskraft ausüben als die vorher durch Hitze getöteten Bak- 14 * 319 Luejani, Vorstufen des Lebens. Lu terien. Massart und Bordet konnten den Beweis liefern, dass die gleichen Leukocyten von Kulturflüssigkeiten verschiedener Mikroben angezogen werden, wie von entzündlichen Transsudaten, von gewissen Zersetzungsprodukten, stickstoff- und phosphorhaltiger Substanzen, wie z. B. dem Leuein; anderseits bewies Gabritschewsky, dass andere sehr giftige Mikroben (z. B. der Bacillus der Hühner-Cholera) und viele andere chemische Substanzen (z. B. die Natrium- und Kalium- salze, Glyzerin, die Gallenbestandteile, das Chinin) eine abstoßende Wirkung auf die Leukocyten ausüben. Diese letzteren Thatsachen erklären es, warum die Leukocyten aus den überfüllten Blutgefäßen nicht auswandern, wenn sie sich in der Nähe einer dieser Substanzen befinden, welche eine zurückstoßende Wirkung oder einen negativen Chemotropismus auf sie ausüben. Wir wollen zum Schluss noch eme von Massart und Bordet bewiesene wichtige Thatsache anführen. Wenn man mittels Paraldehyd oder Chloroform die Leukocyten zu narkotisieren versucht, so hören ihre Bewegungen auf, analog dem Vorgang bei den Amöben, und ihre Auswanderung aus den Gefäßen, die schon im Gang war, hört voll- ständig auf. Diese klare und bündige Darstellung der hauptsächlichsten Er- scheinungen, die wir bisher dadurch erhalten haben, dass wir auf die amöboiden Monorganismen verschiedene Arten von Reizen haben wirken lassen, bietet uns eine genügende Grundlage für einige Betrachtungen von großer Wichtigkeit im Bezug auf die vorher aufgeworfene physio- psychologische Frage. Wenn wir die Summe der Erscheinungen, die wir beschrieben haben, in eine allgemeine Formel zusammenfassen wollen, so können wir sagen: die Wirkungen der verschiedenen Reize auf die amöboiden Monorganismen stellen sich dar, je nach ihrer Intensität oder der Art ihrer Anwendung, durch Stillstand oder Unter- brechung der im Gang befindlichen Bewegungen, durch schwache oder starke, teilweise oder vollkommene Kontraktionen ihres Protoplasmas und endlich durch die Erscheinungen des positiven oder negativen Tropismus, d. h. der Richtungsveränderung ihrer lokomotorischen Bewegungen, durch welche sie sich nähern oder entfernen, angezogen oder abgestoßen werden von den Reizen, je nach der verschiedenen Natur und verschiedenen Intensität derselben. Die erste Schlussfolgerung, die unmittelbar aus diesen Thatsachen gezogen werden kann, ist sehr einfach: Die amöboiden Organismen haben die Eigenschaft auf äußere Reize wirksam zu reagieren, welche Eigenschaft man, physiologisch ausgedrückt, Erregbarkeit nennt. Da diese Organismen die einfachsten Formen des Lebens darstellen, aus welchen sich durch aufeinanderfolgende, auseinandergehende Dif- ferenzierungen die Pflanzen und Tiere entwickeln, so folgt daraus, dass die Erregbarkeit eine fundamentale, allgemeine, physiologische Eigenschaft jedes lebenden Organismus ist. Aber wenn wir überdies Lueiani, Vorstufen des Lebens. 913 Le die Beschaffenheit und Eigentümlichkeiten der Reaktionen betrachten, durch welche sich die Erregbarkeit der Amöboiden äußert, finden wir Beweise, die uns indirekt zum Schluss führen, dass diese Reaktionen hervorgerufen und begleitet werden von innern Prozessen, die einen subjektiven Charakter haben, das will sagen von psychischen Prozessen. Zudem bemerken wir, dass die motorischen Erscheinungen in den meisten Fällen dem individuellen Leben der Amöboiden von Nutzen sind und das Gepräge der Verteidigung gegen störende Einflüsse tragen. Selbst mit dem einfachen Einziehen der Pseudopodien und durch den Uebergang in die Kugelgestalt verfolgt die Amöbe den Zweck, sich dem Ursprung des Reizes zu entziehen oder demselben die möglichst kleine Oberfläche darzubieten, auf welche er wirken kann. Noch interessanter von diesem Gesichtspunkt aus ist die Betrach- tung der tropischen Erscheinungen. Die Vorrichtung, durch welche diese zu stande kommen, ist uns bis jetzt noch vollkommen dunkel und wird uns vermutlich noch für lange Zeit dunkel bleiben. Auf jeden Fall würde, selbst wenn für jede dieser Erscheinungen eine mechanische Erklärung gefunden würde, ihr psychischer Charakter damit nicht ausgeschlossen sein. Durch die objektive Kenntnis oder die Kenntnis der äußern Erscheinung der psychischen Phänomene wird die subjektive Kenntnis oder Kenntnis ihrer innern Erscheinung weder vermehrt noch vermindert. „Die Physiologie, sagt Wundt, versucht die Erscheinungen unseres eigenen Nervensystems von den allgemeinen physikalischen Gesetzen abzuleiten; aber die Thatsachen unseres Bewusstseins bleiben dabei unerklärt“. Der psychische Charakter der negativ tropischen Erscheinungen erweist sich dureh den Umstand, dass die Monorganismen sich von der Wirkungssphäre der schädlichen Einwirkungen entfernen; der psychische Charakter der positiv-tropischen Erscheinungen zeigt sich durch den Umstand, dass häufig ihre An- näherung an die Reizquelle der Erhaltung ihres Lebens nützlich ist; endlich macht die Umwandlung der positiv-tropischen Erscheinungen in negative bei verstärkter Intensität auf jeden nieht voreingenom- menen Geist den Eindruck, dass die schwächeren Reize bei den Mon- organismen eine angenehme Empfindung erzeugen und die stärkeren eine unangenehme. Damit will ich nicht leugnen, dass nicht immer die Bewegungen der Amöboiden für ihr eigenes Leben nützlich sind. „Nieht selten kommt es vor“, sagt Lukjanow, „dass diese Organismen, wie be- hext, sich beeilen in großen Schaaren dahin zu laufen, wo sie em sicherer Tod erwartet“. Wenn z. B. die Leukocyten dem Entzündungs- herd zuströmen, dann wenden sie sich den Stoffwechselprodukten der Bakterien zu und, mit diesen in Berührung gekommen, packen und verschlucken sie dieselben, vergiften und töten sich dadureh, indem sie sich in Eiterkörperchen verwandeln. Es wäre ein lächerlicher Anthropomorphismus, wenn man annähme, dass sie sich in diesen Fällen 214 Luciani, Vorstufen des Lebens. w zu Beschützern des Lebens des zusammengesetzten Organismus auf- würfen und mutig dem Tod entgegen gingen, um ihn vor den äußern, durch die Bakterien repräsentierten Feinden zu verteidigen, wie die Soldaten auf dem Schlachtfeld sterben zur Verteidigung ihres Vaterlands, das in unserm Fall durch den großen Organismus dargestellt wird, dessen Teile die Leukocyten sind. Anderseits hat man beobachtet, dass in andern Fällen, wo dem Gesamtorganismus noch größere Gefahr drohte, die Leukocyten verweigern dem Tod entgegenzugehen. So z. B. ver- halten sich die Leukocyten der Mäuse und Meerschweinchen passiv gegenüber den Milzbrandbacillen und den Vibrionen der Septihämie, die in kurzer Zeit die betreffenden Tiere töten. Aber wer aus diesen Thatsachen mit absoluter Sicherheit den psychischen Charakter der amöboiden Thätigkeit leugnen wollte, würde dadurch beweisen, dass er mit den Grundzügen der Entwicklungstheorie nicht vertraut ist, nach welcher der teleologische Charakter der Funktionen der einzelnen Elemente, welche einen komplizierten Organismus zusammensetzen, nieht die Wirkung eines vorgefassten Schöpfungsplanes ist, noch von einem Archäus oder ihm eingeborenen ordnenden Lebensprinzip ab- hängt; er würde beweisen, dass er vergisst, dass auch im Menschen (von dessen psychischer Thätigkeit wir in uns selbst, in unserm Be- wusstsein, den direkten Beweis haben) sich verschiedene Neigungen begegnen, solche die dem Organismus nützlich und andere die ihm schädlich sind, und dass die langsame, aber sichere Vervollkommnung unserer Art vor allem auf die Thatsache der Selektion gegründet ist, nach welcher die mit nützlichen Neigungen ausgestatteten Individuen gedeihen, sich kräftigen, langlebig sind und zahlreiche Nachkommen- schaft haben, und diejenigen Individuen, die schädliche und schlechte Neigungen haben, kümmerlich leben, schwach werden und im Kampf ums Dasein unterliegen, indem sie geringe oder keine Nachkommen- schaft hinterlassen. Ein anderer wertvoller Beweis, der zu Gunsten des psychischen Charakters sowohl der reagierenden Bewegungen als auch der spon- tanen oder automatischen Bewegungen der Monorganismen spricht, wird uns durch die Thatsache geboten, dass die sog. Anästhetic: (Chloroform, Aether, Paraldehyd), die im Menschen und bei den höhern Tieren jede motorische Thätigkeit aufheben, ohne ihnen die Fähigkeit dafür zu rauben, dieselbe Wirkung auf die Amöboiden ausüben. Da es nun bei den ersteren sicher nachgewiesen ist, dass das Aufhören dei Bewegungen von der Paralyse oder Aufhebung der Sensibilität abhängt, so folgt vernunftgemäß daraus, dass auch bei den andern die Erscheinung denselben Ursprung hat. Nach allen diesen Betrachtungen kann man mit großer Wahrschein- lichkeit annehmen, dass die amöboiden Monorganismen Sensibilität besitzen, im wirklichen psychologischen Sinn verstanden, nicht im bild- liehen, wie ihn häufig die Physiologen und auch die Physiker an- Lueiani, Vorstufen des Lebens. 215 wenden, indem sie z. B. von Gleichgewichtssensibilität oder von der des Galvanometers oder der thermoelektrischen Säule sprechen. Daher muss man nicht nur die Erregbarkeit, sondern auch die Sensibilität als die fundamentale physiologische Eigenschaft ansehen, die allen lebenden Organismen gemeinsam ist. Diese wichtige Folgerung findet eine direkte experimentelle Bestätigung in den schönen Untersuchungen von Cl. Bernard über die Wirkungen der Anästhetica, die er auf alle Gruppen lebender Wesen, höhere und niedere Tiere und Pflanzen, ausgedehnt hat. Dennoch scheint mir das Verhältnis zwischen Erregbarkeit und Sensibilität, der spezifische Unterschied zwischen diesen beiden fundamentalen Eigenschaften des Lebens, von den Physiologen im Allgemeinen nicht richtig aufgefasst zu werden, auch nieht von Cl. Bernard. „Wir meinen“, sagt er, „dass man in der Erregbarkeit eine elementare Form der Sensibilität sehen muss; in der Sensibilität einen erhöhten Ausdruck der Erregbarkeit, d. h. derjenigen Eigen- schaft, die allen Geweben und allen organischen Elementen gemeinsam ist, je nach ihrer Natur auf äußere Reize zu reagieren“. Wenn wir der Ansicht des berühmten Physiologen beistimmten, so würden wir den psychologischen Sinn, der eng mit dem Wort „Sensibilität“ verbunden ist, verkennen und aus ihr ohne plausibeln Grund eine höhere Entwicklungsstufe der Erregbarkeit mächen. Ich glaube da- gegen, dass Sensibilität und Erregbarkeit dieselbe Sache be- zeichnen, von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet und durch zwei verschiedene Sprachformen ausgedrückt: Erregbarkeit ist Sensibilität, ausgedrückt durch ein Wortsymbol, welches von der Be- obachtung von außen her abgeleitet ist. Sensibilität hingegen ist Er- regbarkeit, ausgedrückt durch ein Wortsymbol, welches von der inneren Beobachtung (Selbstbeobachtung) herstammt. Bezeichnen wir als Er- regung und Sensation die in Aktivität getretene Erregbarkeit und Sensibilität; dann ist Erregung die objektive Erscheinung oder die Materie der Sensation und Sensation die subjektive Erscheinungsform der Erregung oder der ihr entsprechende Seelenzustand. Wenn wir also sagen, dass die Amöben mit Sensibilität ausgestattet sind und daher Empfindungen ausgesetzt sind, die durch äußere Agentien bewirkt werden, so ist dies dasselbe, als ob man sagte, dass sie eine Seele haben; denn die Sensationen oder Empfindungen stellen die einfachsten Elemente desjenigen dar, aus welchem jener Komplex von Erscheinungen hervorgeht, den wir Seele nennen. Diese Schlussfolgerung hat freilich nur den Wert eines einfachen Analogie-Schlusses und nieht den einer Thatsache, für welehe wir einen direkten Beweis geben könnten. Aber bekanntlich geschieht es durch eine Beweisführung derselben Art, wenn wir alle in den uns gleichen Wesen eine Seele annehmen, die der unsrigen gleich ist, und wenn wir den höhern Tieren eine Seele zuschreiben, die um grade so viel 216 Luciani, Vorstufen des Lebens. weniger entwickelt ist als die unsrige, als sie weniger Intelligenz in ihren Handlungen zeigen. Wenn wir nun von dieser Behauptung des gesunden Menschenverstands ausgehen, so liegt die Frage nahe: Wann fängt das psychische Leben in der Reihe der lebendigen Wesen an? Wo hört die unempfindliche Natur auf und wo fängt die beseelte Natur an? Darauf antwortet die Wissenschaft, dass durch Beobach- tung bewiesen ist, dass die physikalisch-chemischen Eigenschaften des Protoplasmas, wie auch seine physiologischen Eigenschaften, welche in den verschiedenen Formen der Erregbarkeit inbegriffen sind (der ernährenden, funktionellen oder reproduktiven), alle von der gleichen Art im Bereich der lebenden Wesen sind. Es ist daher gleichfalls nicht möglich mit Genauigkeit zu bestimmen, wann die protoplasma- tischen Bewegungen anfangen den psychischen Charakter anzunehmen, weil zwischen den Thätigkeiten des eingekapselten Protoplasmas der vegetabilischen Zellen und der Eizellen, dem nackten Protoplasma der Leukocyten, der Amöben und der khizopoden im Allgemeinen und dem differenzierten Protoplasına der Spermatozoen und der Infusorien im Allgemeinen, fortwährende und allmähliche Uebergangsformen be- obachtet werden. Es folgt daraus, dass die wahrscheinlichste Ansicht, die man adoptieren kann, gerade diejenige ist, die wir ausgesprochen haben, nämlich die, dass die psychischen Funktionen jeder protoplas- matischen Substanz anhaften, was so viel heißt als jedem lebenden Element. Daher ist die ganze lebende Welt auch eine beseelte Welt; und die Frage nach dem Ursprung der Seele fällt mit der Frage nach dem Ursprung des Lebens zusammen. Inbezug auf den Ursprung des Lebens nennt Preyer, indem er sich auf den feststehenden und nie bezweifelten Erfahrungssatz stützt, dass jedes lebende Wesen ausschließlich aus andern lebenden Wesen hervorgeht, die Hypothese der Urzeugung ein Dogma, und prokla- miert den physiologischen Grundsatz von der Erhaltung des Lebens, den er mit zwei andern allgemein angenommenen Grundsätzen zu- sammenstellt: dem chemischen von der Erhaltung der Materie und dem physikalischen von der Erhaltung der Kraft. Anzu- nehmen, dass die Kontinuität des Lebens unterbrochen werden könne und dass spontan oder künstlich ein Lebewesen geschaffen werden könne, ein Homuneulus, ohne Zuthun von Ei und Spermazöen, ist ebenso absurd, wie der Glaube an das Perpetuum mobile, welches dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft widerspricht, und wie der Glaube an die Neubildung des Stickstoffs in den Pflanzen, welcher dem Gesetz von der Erhaltung der Materie widerspricht. Die empirische Lehre von der Erhaltung des Lebens bietet uns den Vorteil, die Frage nach dem Ursprung des Lebens als nicht weniger transzendental ansehen zu können als die Frage nach dem Ursprung des Stoffs oder der Kraft. Dergleichen Fragen haben Lueiani, Vorstufen des Lebens. 217 von nun an keinen Sinn mehr und sind unwiderruflich von der wissen- schaftlichen Erörterung ausgeschlossen, sobald man die dreifache Lehre von der Erhaltung anerkennt. Ewig sind der Stoff und Kraft, ruft Preyer, weil, wenn sie einen Anfang hätten, sie aus dem Nichts hätten entstanden sein müssen; ewig sind das Leben und die Seele, weil sie sich übertragen und fortpflanzen — im ungetrennter Konti- nuität — von den Erzeugern auf die Nachkommenschaft. Die Seele der Protisten im Allgemeinen und der Amöboiden im Besondern, die unser hauptsächliches Untersuchungsobjekt sind, ist zweifellos eine elementare Seele, wie auch ihr Organismus ein elemen- tarer und undifferenzierter ist. Eine analytische, annähernd genaue Angabe der psychischen Funktionen solcher einfacher Organismen kann man nur auf der Grundlage einer möglichst gründlichen Kenntnis der- jenigen Elemente, aus welchen die psychischen menschlichen Thätig- keiten hervorgehen, versuchen. Dieser Vordersatz genügt, um die ganze Schwierigkeit des Unternehmens erkennen zu lassen. Niemand hat, glaube ich, diese schwierige Aufgabe mit mehr Urteilskraft und feinerer Analyse behandelt als Verworn in seinen psycho-physiologischen Studien an Protisten. Er beginnt damit, dass er im Menschen zwei Arten psychischer Thätigkeit unterscheidet: die erkennenden Vorgänge und die willkürliehen. Selbstverständ- lich erkennt er den einzelligen Lebewesen nur die einfachsten Elemente dieser beiden Kategorien zu. Aus der ersten Kategorie misst er ihnen die Sensationen und unbewussten Vorstellungen bei, d. h. diejenigen Veränderungen des psychischen Zustands, die aus den ver- schiedenen äußern und innern Reizen hervorgehen. In der zweiten Kategorie erkennt er ihnen die Reflexbewegungen zu, diejenigen, welche sich den unbewussten Empfindungen anschließen und die impulsiven und automatischen Bewegungen, die den unbe- wussten Vorstellungen folgen. Diese Behauptungen von Verworn rühren wieder die Frage nach der unbewussten Seelenthätigekeit auf, ein Thema, das auch von den Psychologen der positiven Schule genugsam erörtert worden ist und das innerhalb der Grenzen einer kurzen summarischen Be- sprechung nicht fortgesetzt werden kann. Ich will nur bemerken, dass von Bichat an, welcher der erste war, der die unbewussten Empfindungen von den bewussten unterschieden hat, bis zu Hering, der in dem Wiederherstellungsvermögen die psychischen Merk- male eines unbewussten Gedächtnisses erkennt, und bis zu Haeckel, der m den auswählenden chemischen Verwandt- schaften der molekularen Lebewesen oder Plastidule die ersten unbewussten Spuren der Sensibilität und des Willens findet, man behaupten kann, dass die Lehre von der unbewussten Seelenthätigkeit sich allmählich immer mehr entwickelt und ausgedehnt hat, um (trotz des Missbrauchs, den die Metaphysik Hartmann’s und seiner An- 218 Lueiani, Vorstufen des Lebens. hänger damit getrieben haben) eine der wichtigsten Errungenschaften der modernen Psycho -Physiologie zu werden. Um uns Rechenschaft von den Beweisen zu geben, auf die Ver- worn die Lehre gründet, dass in den Protisten unbewusste Em- pfindungen und Vorstellungen vor sich gehen, die sieh durch heflexbewegungen, beziehentlich automatische Bewegungen äußern, genügt es über die Notwendigkeit nachzudenken, dass man auch in den Erscheinungen des Bewusstseins eine allmähliche fort- währende Entwicklung annehmen muss, deren niedrigste Stufe sich in elementarsten Organismen finden müsse, die weder Sinnesorgane noch differenzierte Sinneszentren haben, und dass die höchste Stufe im Menschen dargestellt ist, in welchem die Spezifizierung der Sinne und der Sinneszentren den höchsten Grad der Entwieklung und Vollkommen- heit erreicht. Nun ist gerade die tiefste Stufe von Bewusstsein das Unbewusste und das Unterbewusstsein, welche Verworn in den einzelligen Organismen im Allgemeinen annimmt. Das Problem der Seele bei den Monorganismen ruft unmittelbar ein anderes hervor von nieht geringerem Interesse, die Frage nach der Natur und dem Sitz dieser Seele. Auf einfache Weise haben wir gesehen, dass die Amöbe (die wir als Durchschnittstypus der Protisten ansehen) aus zwei wesentlichen Teilen besteht: aus dem Protoplasma und dem Kern. Welches sind die physiologischen und psychischen Thätigkeiten, die man jedem dieser beiden Teile zuschreibt? Sind sie gleichmäßig unentbehrlich für das Leben des Ganzen? Oder ist, wie einige Forscher, Ross- bach, Engelmann, Eimer annehmen, der Kern das physiologische und psychische Zentrum, analog dem Nervenzentrum der höheren Tiere, und das Protoplasma das peripherische Organ, gleich den peri- pherischen Nerven und Muskeln dieser Tiere? Um diese interessante Frage zu lösen, genügen nicht die durch direkte Beobachtung erhaltenen Thatsachen, noch diejenigen, die man aus solchen Versuchen erhalten hat, in denen die äußern Lebens- bedingungen künstlich verändert wurden. Es bedarf hierzu einer höhern wissenschaftlichen Stufe; man muss Thatsachen einer anderen Art physiologischer Versuche zu gewinnen suchen, mittels welcher die innern Lebensbedingungen verändert werden. Bei den höhern Tieren kann man von dieser Untersuchungsmethode keinen Gebrauch machen, ohne das Messer anzuwenden, ohne die sogenannte Vivisektion. Grau- same und unmoralische Methode! rufen die liebenswürdigen Damen, die dem Tierschutzverein angehören, ohne zu bedenken, dass in jeder menschlichen Handlung (und mag es die edelste sein) mit dem Guten auch eine gewisse Dosis notwendigen Uebels enthalten ist. Aber hier handelt es sich nicht um ein „schönes Hundefräulein, den Liebling der Grazien“, sondern um eine einfache Amöbe, an die man sich mit Luciani, Vorstufen des Lebens. 219 einem feinsten Lanzettehen ohne Blutverspritzen machen kann, während man das Tierchen unter dem Mikroskop betrachtet. Man muss die Amöbe in zwei Hälften zerlegen und beobachten, wie sich jeder der Teile verhält, was für Erscheinungen -sich in jedem zeigen, welche funktionelle Unterschiede sich in der Hälfte mit dem Kern im Vergleich mit der andern ohne Kern nachweisen lassen. Für diese feinen Untersuchungen wählten Gruber und Hofer die Amoeba proteus und Verworn die Amoeba princeps, deren größter Durchmesser kaum !/,, Millimeter übersteigt, obwohl sie zu den größten ihrer Art gehören. Es genügen wenige Worte, um die Ergebnisse dieser mechanischen Teilung zu nennen, wenn der Schnitt mit möglichst geringer Verletzung gelungen ist. Es zeigt sich keine Wunde längs des Schnitts, weil sich die Schnittränder augenblicklich zusammenziehen und jede Hälfte der Amöbe kugelige Gestalt annimmt. Aber nach einigen Sekunden be- ginnt jedes der beiden Kügelchen von Neuem eine Pseudopodie aus- zustrecken, die sich allmählich verlängert, dann eine zweite, dann eine dritte an andern Punkten der Oberfläche, bis sie anfängt sich kriechend fortzubewegen und in Allem die normalen Gewohnheiten der unver- letzten Amöbe anzunehmen. Die Amöbe stirbt also nicht, wenn sie in zwei Hälften getrennt wird, sondern aus einer werden zwei neue Amöben. Wir haben, meine Herren, eine Teilung des Körpers vor uns und überdies eine Teilung der Seele; denn das gleiche physio- logische und psychische Verhalten zeigt sich in jedem der neuen In- dividuen. Man kann im Anfang keinen Unterschied in der Verhaltungs weise der kernhaltigen Amöbe von dem der kernlosen Amöbe ent- deeken. Erst nach einiger Zeit beginnt zwischen den beiden ein Unterschied sich bemerklich zu machen; man entdeckt, dass während die neue kernhaltige Amöbe fortlebt, wächst und wie ein normales Indi- viduum sich verhält, die kernlose allmählich ihre Bewegungen ver- langsamt, keine Nahrung mehr aufnimmt, ihre Pseudopodien einzieht und, wie die von Hofer am besten gelungenen hesultate beweisen, nach 10—12 Tagen abstirbt. Aus diesen Untersuchungen der Amöben, die durch Experimente erfahrener Naturforscher nahezu auf alle zum Protistenreich gehörigen Gruppen ausgedehnt wurden, sowie auch auf die mehrzelligen nie- deren Tiere (mit ähnlichen und sogar noch deutlicheren und reicheren Ergebnissen als bei den Amöben) kann man nicht wenige schwer- wiegende und wichtige Schlüsse ziehen, von denen einige hauptsäch- lich die Frage nach dem Sitz und der Art der Seele betreffen. Ich werde mich beschränken nur diese letzteren in einigen allgemeinen Zügen darzustellen. Wir können es als experimentell bewiesen ansehen, dass die psychischen Funktionen der Amöben und der Protisten im Allgemeinen nicht im Zellkern zentralisiert, sondern auf das ganze Protoplasma 220 Lueiani, Vorstufen des Lebens. ausgedehnt sind, also jedem lebenden Partikelchen desselben, welche Haeckel Plastidule nannte, anhaften. Wie die zusammengesetzten Bewegungen einer Amöbe die Summe der einzelnen Bewegungen dar- stellen, die in jedem einzelnen Plastidul entstehen, so ist auch ihre Seele nicht eine Einheit, sondern eine Vereinigung, das heißt die Summe einer unbestimmten Anzahl von Plastidulenseelen. Auf die Amöben lässt sich wörtlich die Lehre der Neuplatoniker und Scho- lastiker in Bezug auf den Sitz der Seele anwenden, die Lehre, welche auch von Thomas von Aquino angenommen und klar formuliert wurde: „Anima in t0ot0 corpore tota, et in singulis simul corporis par- tibus tota.“ In der That gibt man die Gleichartigkeit der Plastidule, die den Körper der Amöbe zusammensetzen, zu, dann ist ihre Seele, das heißt die Gesamtheit ihrer psychischen Thätigkeiten, ganz in der Körpergesamtheit und ganz in jedem Plastidule. Aber diese Lehre reicht nicht mehr aus, wenn man sie auf die vielzelligen Tiere oder Metazoen anwendet, in welchen infolge der Arbeitsteilung die morphologische und funktionelle Differenzierung be- ginnt und allmählich fortschreitet; und noch viel weniger, wenn man sie auf den Menschen anwendet, in welchem diese allmähliche Ent- wicklung den höchsten Gipfel erreicht. Hier muss man die Tho- masische Formel abändern in: „Anima in toto corpore tota, sed non tota in singulis corporis partibus.*“ Die verschiedenen Seelenthätig- keiten sind verschieden verteilt und lokalisiert auf die verschiedenen Elemente des zusammengesetzten Organismus, auf seine verschiedenen Organe und Systeme und auf die verschiedenen Teile jedes Systems. Die psychischen unbewussten Thätigkeiten sind in den Bestandteilen der Gewebe und Organe des sogenannten vegetativen Systems lokali- siert; die psychischen halbbewussten und bewussten Thätigkeiten in den verschiedenen Teilen des sogenannten animalen Systems, in den verschiedenen Abschnitten des Zentralnervensystems. Man kann bei den höhern Tieren ebenso wie bei den Amöben mit Hilfe des Messers das psychische Aggregat, das ihre vollständige sub- jektive Persönlichkeit ausmacht, in zwei Teile trennen, in einen be- wussten und einen halbbewussten. Es genügt ihr Rückenmark quer zu durchschneiden zwischen der Halsanschwellung und der Lenden- anschwellung, welche ich als zwei accessorische Spinalgehirne zu betrachten pflege. Man kann dureh Verstümmlungen eine oder mehrere Formen der Thätigkeit, die der Empfindung und des Willens, aus dem psychischen Aggregat ausscheiden, imdem man diesen oder jenen Ab- schnitt aus der Gehirnrinde entfernt. Man kann auch (Goltz hat es neuerdings bewiesen) zu gleicher Zeit alle edleren psychischen Funk- tionen eines Hundes ausmerzen, indem man ihm das ganze Großgehirn herausnimmt. Das Tier stirbt nicht und kann nach dieser Radikalkur noch Monate lang leben; aber während dieser Zeit ist seine Seele nahezu auf den niedrigen Grad der Seele eines Amphioxus herab- Lueiani, Vorstufen des Lebens. 294 gekommen, jenes niedrigsten Wirbeltieres, welchem das Gehirn fehlt und welcher das Verbindungsglied zwischen den Wirbellosen und den Wirbeltieren darstellt. Bei dem Menschen ereignen sich solche Trennungen und solche Seelenschwächungen als Wirkungen unglücklicher Zufälle oder von Krankheiten. Es sind solehe Fälle von querer Durehschneidung oder Durehquetschung des Rückenmarks durch schneidende oder stumpfe Werkzeuge bei Menschen beschrieben worden, welche als Folge eines Unfalls oder einer verbrecherischen Handlung zu Stande gekommen sind. In diesen Fällen spaltet sich die psychische Individualität in zwei Hälften, eine höhere bewusste und eime niedere halbbewusste. Die erstere versteht auf alle unsere Fragen in klarer Weise zu antworten, nicht nur durch Bewegungen, durch Hand- und Gesichtsgeberden, sondern auch durch das gesprochene und geschriebene Wort, also durch die genauesten phonetischen und graphischen Zeichen, von allen ihren Empfindungen, Gedanken und Wünschen und allen Gefühlen Rechenschaft zu geben. Die andere (dargestellt durch den zwei- füßigen unteren Körperabschnitt) hat weder Ohren zum Hören, noch einen Kehlkopf zum Sprechen, noch eine Hand zum Schreiben, noch sensorisch-motorische Zentren, um zu verstehen und zu wollen. Dieser zweifüßige Organismus kann nur auf Stiche, Druck, auf elektrische, thermische und chemische Reize antworten und antwortet durch eine viel unklarere und weniger genaue Sprache, durch Muskelbewegungen seiner Gliedmaßen in Form von negativem Tropismus, also Be- wegungen, die nur dem Zweck dienen, die Ursache der lästigen Em- pfindung zu entfernen. Wenn man ihn am einen Fuß kitzelt, zieht er ihn zurück, und wenn man diese Bewegung verhindert, indem man den Fuß mit der Hand festhält, dann bemerkt man, wie das Indivi- duum nach einiger Zögerung versucht sich mit dem andern Glied zu helfen, um sich von der unangenehmen Empfindung, die man ihm verursacht, zu befreien. Man kann also beim Menschen nahezu die gleichen Erscheinungen wahrnehmen, wie sie Pflüger beim enthirnten Frosch beschrieben hat, auf Grund deren er die wohlbekannte Lehre von der Rückenmarksseele aufgestellt hat. Schwächungen der Seelenthätigkeit beim Menschen kommen nur allzuhäufig vor. Sie können angeboren oder erworben sein. Unter den ersteren ist der typischste Fall derjenige der vollkommenen Idiotie, unter den letzteren derjenige der Dementia in ihren äußersten Graden. In den Irrenhäusern findet man Idioten und Demente, deren Seelen- leben Erscheinungen darbietet, welehe in ihrer Gesamtheit weit unter dem des niedersten Haustieres bleiben. Sie sind niehts als lebende Automaten; ihre Seele setzt sich nur aus wenigen, trägen Empfin- dungen und halbbewussten Vorstellungen zusammen, die sich in einfachen rohen Reflex- und automatischen Bewegungen äußern. 32) Lueiani, Vorstufen des Lebens. Bei der Autopsie findet man das Gehirn entweder in seiner Entwick- lung gehemmt oder atrophisch oder erweicht und degeneriert. So sind wir durch die logische Aufeinanderfolge der Thatsachen und Vorstellungen, ohne es zu merken, von den amöboiden Organismen bis zum Menschen hinaufgelangt. Dies ist eine praktische Bestätigung einer meiner Voraussetzungen, dass die Lösung des großen Problems vom Menschen das höchste Ziel sei, das bewusst oder unbewusst alle unsere Untersuchungen im weiten Feld der Natur bestimmt. Ebenso wie bei den einfachsten Organismen kann man also auch bei den kompliziertesten, den Menschen inbegriffen, das psychische Aggregat in zwei oder mehrere Teile zerlegen oder den einen Teil zerstören, während man den andern weiter leben lässt. Bei den Mon- organismen kann man dieses ohne Abschwächung der psychischen Fähigkeiten thun, weil bei ihnen jedes Partikelchen dieselben Funk- tionen wie das Ganze ausübt. Nicht so bei den komplizierten Or- ganismen, weil bei ihnen die psychischen Funktionen verschieden lokalisiert und auf die verschiedenen Teile verteilt sind. Alles dies konnte im Umfang der positiven Wissenschaft seine Bestätigung finden, das heißt im Gebiet der Erscheinungen, ohne die transcendentale Frage nach dem Wesen des Lebens zu berühren. Je nach der Art der Beobachtung, ob von außen oder von innen, zeigt das Leben ein anderes Gesicht; aber das physiologische und psychische Phänomen sind immer zu gleicher Zeit vorhanden und be- dingen eines das andere. — Mit dieser Behauptung berühren wir die äußersten Grenzen der positiven Wissenschaft. Welche der beiden Ansichten vom Leben ist die wahre? Die- jenige, die uns als physiologisches Phänomen erscheint, oder die an- dere, die wir in uns als psychisches Phänomen wahrnehmen ? — Hier überschreiten wir die Grenzen der Wissenschaft und betreten die Welt der Metaphysik. Die Seele ist eine Eigenschaft der Materie, sagen die Materia- listen; die Materie ist eine Erscheinungsform oder ein Werkzeug der Seele, sagen die Idealisten, beziehungsweise die Spiritualisten. Jede dieser Behauptungen hat ihre besondern Vorteile und ihre relative Wahrheit. Die materialistische Ausdrucksweise sollte von der Wissenschaft iminer vorgezogen werden, denn indem sie, wie Huxley gelegentlich bemerkt, das Denken mit den andern Naturerscheinungen verknüpft, drängt sie uns zur Untersuchung der physikalischen Bedingungen, die es begleiten, befördert den Fortschritt der positiven Kenntnisse und hilft uns, über die moralische Welt eine ähnliche Kontrole auszuüben, wie wir sie schon über Alles besitzen, was sich auf die physische Weit bezieht. Aber anderseits darf man nicht die Vorteile verschiedener Art verkennen, welche die spiritualistische Ausdrucksweise darbietet. Der | v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. 393 Aut Künstler und der Sittenlehrer werden immer diese Ausdrucksweise vorziehen, welche die ganze sichtbare Natur mit einem Hauch von Poesie verschönt, die zum Gemüt spricht, die den Altruismus befördert. die den hereinbreehenden Pessimismus mildert. Wenn Franziskus von Assisi, nach der Legende, mit den Tieren spricht, und sich zum Wolf wendend ihn liebevoll „Bruder Wolf“ nennt, so fühlen wir uns mit allem Materialismus, den uns die Liebe zur Wissenschaft auferlegt -— warum sollen wir es leugnen — ein wenig gerührt von seiner harmlosen Güte. Und wenn er mit demselben Beiwort in dem soge- nannten Gesange von den Kreaturen, die Sonne und den Mond anruft und sie „die Schwester Sonne“, „den Bruder Mond“ nennt, so fühlen wir uns trotz der Plumpheit und gleichsam kindlichen Einfalt des Ausdrucks erhoben zu den höchsten Gipfeln der Poesie und schätzen die Würde unserer Natur um so höher. Aber ebensowohl mit dem Materialismus, wie mit dem Spiritualis- mus, verzeihen Sie mir die ermüdende Wiederholung, befinden wir uns jenseits der Grenzen der Wissenschaft. Auf die Frage, was das Leben an sich sei, kann ich als Physiologe nur diese Antwort geben: Von außen betrachtet ist es Materie, von innen her empfunden ist es Seele. Die innige Durchdringung, gewissermaßen Vermischung des Realen mit dem Idealen in der Natur, das ist das Leben in seiner höchsten Form, das ist das große Geheimnis, welches die Kunst immer verherrlichen soll, welches die Wissenschaft niemals wird lösen können. Der Organismus der Gastrotrichen. Mit dem Namen „Gastrotricha* !) wird gegenwärtig eine Anzahl kleiner wurmartiger, in vieler Beziehung an die Rädertiere sich an- schließender Geschöpfe bezeichnet, deren typische Vertreter, Ichthy- dium und Chaetonotus, schon Ehrenberg bekannt waren. Sie sind ständige Bewohner des süßen Wassers und werden als solche wohl über die ganze Erde verbreitet sein, wenigstens dürfte es nach den bisherigen Erfahrungen kaum einem Zweifel unterliegen, dass ihr Vor- kommen, sofern man nur darauf achtet, an den verschiedensten Orten wird nachgewiesen werden können. Die in den letzten Jahren ver- öffentlichten umfassenden Angaben von Stokes?), welche zunächst freilich nur die Gattung Chaetonotus betreffen, lassen für unsere Tiere auch einen weit größeren Formenreiehtum ahnen, als er bislang be- kannt geworden ist. Da zur Zeit die Entwicklungsgeschichte der Gastrotrichen noch vollkommen unbekannt ist — und wohl noch geraume Zeit unbekannt 1) Rührt von E. Meischnikoff her. Vergl. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XV, S. 458. 2) Vergl. A. Stokes, Observ. s. 1. Chaetonotus in: Journ. d. Microgr., tom. XI et XII (1887 u. 1888). 994 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. bleiben wird —, ist die Kenntnis ihrer Organisationsverhältnisse um so bedeutungsvoller, um die wichtige Frage "nach der Stellung unserer Tiere im System d. i. ihrer Verwandtschaftsbeziehungen einer befriedi- genden Lösung entgegenzuführen. Von älteren, mehr gelegentlichen Aeußerungen abgesehen sind es in erster Linie ih grundlegenden Untersuchungen von H. Ludwig (1875) ') und die ein Vierteljahr später erschienene eingehende Dar- stellung der Anatomie der Gattung Chaetonotus, welche wir Bütschli?) verdanken, gewesen, auf deren Ergebnissen unsere bisherigen Vor- stellungen vom Bau und der systematischen Stellung der Gastrotrichen fußten. So dankenswert indess diese Arbeiten auch waren, eine voll- kommen befriedigende Einsicht vermochten sie nieht zu erzielen. In jüngster Zeit hat nun Zelinka°) eine monographische Bearbeitung unserer Tiergruppe geliefert, welche deshalb allgemeineres Interesse beanspruchen darf, weil sie nicht bloß eine mit peinlicher Sorgfalt und Genauigkeit ausgeführte Zusammenstellung aller bis jetzt bekannt gewordenen, auf die Gastrotrichen sich beziehenden Angaben gibt, sondern überall auf eigenen gewissenhaften Untersuchungen basiert ist, durch welche unsere Kenntnis dieser Tiere in hohem Maße gefördert erscheint. folgende Bericht enthält eine auf das Wesentliche sich be- schränkende, der Arbeit Zelinka’s folgende Darstellung des Baues, der Lebensverhältnisse und des Systems der Gastrotrichen, welcher sich naturgemäß eine kurze Erörterung der Verwandtschaftsbeziehungen unserer Tiere abschließend anreiht. I. Die allgemeine Körperform der ausgewachsenen Gastro- trichen zeigt eine gewisse Einförmigkeit, mdem überall eine wurm- förmig-gestreekte Gestalt gegeben erscheint, welche durch Ausbildung einer sohligen Bauchfläche noch näher bestimmt wird. Der vorderste Körperabschnitt kann in wechselndem Maße verbreitert erscheinen und dadurch als „Kopt“ mehr oder weniger von dem übrigen Körper sich absetzen. Dieser letztere ist demnach unmittelbar hinter dem Kopf in verschiedenem Grade zu einem „Halse“ verjüngt, dem gegenüber der weiterhin folgende, allmählich in seiner Breite anschwellende, gegen das Hinterende aber sich wieder verjüngende Abschnitt als „Rumpf“ bezeichnet werden kann. Zu diesem nur geringfügigen Variationen Raum gebenden Aufbau des Gastrotrichen -Körpers gesellt sich als ein bestimmender Faktor der Besitz oder das Fehlen eines am Hinterende angebrachten zweizinkigen Gabelanhangs, welcher den Namen „Schwanzgabel“ erhalten hat. Darnach kann man mit Zelinka die Gastrotrichen in zwei Gruppen sondern, die Euichthy- 1) Vergl. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XXVI, S. 193. 2) Ebenda S. 385. 3) Vergl. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. XLIX, S. 209. v. Wagner, Orgänismus der Gastrotrichen. 335 dinen mit wohlentwickeltem Gabelapparat und die Apodinen (Apoda), welche dieser charakteristischen Bildung ermangeln. Die Größe unserer Tiere liegt an der Grenze des unbewaffneten Sehens; durchschnittlich erreichen sie eine Länge von etwa 0,2 mm, nur der Chaetonotus Schultzei Metschn., die größte bekannte Gastro- trichenform, wird 0.4 mm lang; der von Stokes aus den vereinigten Staaten von Nordamerika beschriebene Chaetonotus spinulosus gibt mit der bescheidenen Länge von 0.067 mm die untere Grenze der Körper- größe dieser Tiere an. Eine eigentümliche Erscheinung bieten die jungen Gastrotrichen, sowie sie dem Ei entschlüpft sind. Während nämlich Kopf, Hals und Schwanz solcher Jugendformen bereits die typische Gestalt und ihre volle Größe zeigen, ist der Rumpfteil in seiner Ausbildung außeror- dentlich zurückgeblieben, so dass derartige Tiere der fertigen Form unähnlich sind und einen fremdartigen Anblick gewähren. Zelinka konnte durch genaue Messungen die bemerkenswerte Thatsache fest- stellen, dass das Wachstum der jungen Gastrotrichen, nachdem sie das Ei verlassen haben, lediglich die Rumpfregion betrifft und somit die Jugendform „ohne Metamorphose durch einfaches Längen- und Breitenwachstum der Rumpfregion in die Altersform“ übergeht, em Befund, welcher für die Beurteilung der für die Speciescharakteristik verwendbaren Kennzeichen von Wichtigkeit ist. Die Epidermis der Gastrotrichen bietet dasselbe Bild wie die- jenige der kädertiere d. h. sie stellt ein typisches Syneytium dar: in das körnige Protoplasma sind wenige und daher in weiten Abständen gelagerte Kerne eingebettet. Nach außen von dieser Oberhaut ist eine Cuticula abgeschieden, welche freilich nur selten glatt bleibt. Als besondere Ausbildungen der Cuticula müssen die bei den Gastro- trichen weitverbreiteten, nur der Gattung Ichthydium fehlenden Schuppen hier kurz betrachtet werden. Die Schuppen sind entweder einfach oder tragen einen stachel- artigen Fortsatz. Bei denjenigen Formen, bei welchen stachellose Schuppen allein auftreten, zeigen sie eine dachziegelartige Ueber- einanderlagerung (Lepidoderma), welche der Körperoberfläche ein oft charakteristisches Relief verleiht. Trotz mancher Verschiedenheiten, welchen die Ausbildung der Schuppen an gewissen Körperstellen unter- worfen ist, erweisen sie sich doch innerhalb einer Art als spezifische, zur Speziesdiagnose verwendbare Bildungen. Als Grundform der Schuppen darf eine Kreisscheibe angenommen werden, „welche an der nach hinten gewendeten Partie einen Kreissektor besitzt“ (Chaeto- notus brevispinosus Zel.); von dieser lassen sich die mannigfachen Schuppenformen, welche als spießförmige, pflugscharförmige, Wappen- schuppen u. dergl. unterschieden werden, leicht ableiten. Schon Lud- wig hat festgestellt, dass die Schuppen der Cutieula aufgelagert sind. XIU. 15 396 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. Die bestachelten Schuppen sind nur am Kopf ähnlich dachziegel- artig angeordnet, wie dies für die bloß stachellose Schuppen tragen- den Formen angegeben wurde. In den anderen Körperregionen, na- mentlich am Hinterende stehen sie bald mehr, bald weniger weit von einander ab, so dass nicht selten zwischen ihnen die Cutieula selbst hervortritt. Der Stachel entspringt in der Regel vom hinteren Rande der ihn tragenden Schuppe mit 3 leistenförmigen Erhebungen, welche, der Schuppe angehörig, von der Abgangstelle des Stachels, in welche sie zusammenlaufen, gegen den Vorderrand und die nach hinten ge- richteten Seitenränder der Schuppe allmählich verstreichen (ef. Zel. l. e. tab. XIII, Fig. 8). Die Länge der Stacheln unterliegt nicht bloß nach den verschie- denen Arten, sondern auch individuellen Schwankungen. Stets sind die freien zugespitzten, gelegentlich auch Gabelzinken bildenden Enden der Stacheln nach hinten gerichtet; letztere sind nicht solid, sondern von einem feinen Kanal durchzogen, welcher aber nicht wie bei den Hohlstacheln gewisser Rotatorien (Philodiniden) mit Protoplasma erfüllt ist, also eine unmittelbare Fortsetzung der syneytialen Epi- dermis dieser Tiere vorstellt: die Stacheln der Gastrotrichen sind aus- nahmslos durch die Cuticula von der Oberhaut abgeschlossen, also reine Cutieularbildungen. Die Anordnung der Schuppen auf der Körperoberfläche lässt auf der Rücken- wie Bauchseite alternierende Längsreihen, deren Zahl für jede Species eine bestimmte ist, erkennen. Dort, wo Stachel- schuppen vorkommen, treten noch Schuppen mit besonders gearteten Stacheln an den Seitenrändern auf, welche Zelinka als „Seiten- stacheln*“ im Gegensatz zu den Rücken- und den seltener zu beob- achtenden Bauchstacheln bezeichnet (Chaetonotus maximus Ehrenb. und Chaetonotus hystrix Metschn.). Dass die Verteilung der Schuppen, sowohl der stachellosen wie der bestachelten, in den verschiedenen Körperregionen den mannig- fachsten Verschiedenheiten unterworfen ist, so dass gewisse Körper- stellen nackt bleiben, andere durch die Art der Anordnung und die Ausbildung der Schuppen oder ihrer Stacheln besonders ') hervor- gehoben erscheinen, dass namentlich das Schuppenkleid des Rückens und der ‚platten Bauchseite nicht die gleiche Ausgestaltung zeigen, kann Ref. hier nur andeuten; bemerkenswert jedoch ist dabei, dass nach Zelinka „Form, Verteilung, Anzahl der Schuppen in jeder Reihe, ob Schuppen allein oder auch Stacheln vorhanden sind“, für jede einzelne Art ein konstantes Verhalten aufweisen. Als einer Cutieularbildung ist auch der sog. Stirnkappe zu 1) So sind beispielsweise bei Lepidoderma squammatum Duj. auf der vorderen Hälfte der Rückenfläche die Schuppen zu einzeilig hinter einander aufgereihten breiten, aber schmalen queren Platten umgewandelt (vergl. Zel. l. e. tab. XII, Fig. ı). v. Wagner, Organisınus der (astrotrichen. 397 gedenken, welche eine völlig schuppenlose Verdiekung der dorsalen Cutieula im Bereich des vordersten Kopfabschnittes vorstellt und den Gastrotrichen allgemein zuzukommen scheint. Sie wurde schon von Ludwig erkannt und beschrieben; Zelinka sieht die Bedeutung dieser Bildung in einer Schutzvorrichtung für das beim schnellen Schwimmen im Wasser unvermeidlichen Zusammenstölen ausgesetzte Vorderende unserer Tiere. Neben den vielgestaltigen Schuppen und der eben erwähnten Stirnkappe erfreuen sich die Gastrotrichen noch eines im Wesentlichen auf die Bauchseite beschränkten Wimperkleides. Dasselbe zeigt eine bestimmte Anordnung der Art, dass die Wimpern in, wie Bütschli zuerst feststellte, zwei, jederseits der Mittellinie der Bauchfläche sich hinziehende, parallel laufende Bänder verteilt sind, deren Länge nahezu der des Körpers gleichkommt. In diesen Flimmerbändern konnte Bütschli „eine sehr feine Querstreifung“ wahrnehmen, welche er auf die Cuticula bezog. Zelinka gelang es, in jener Streifung den optischen Ausdruck einer in regelmäßigen Abständen querreihig durchgeführten Anordnung der Cilien aufzudecken. Bei Le /doderma squammatım Duj. lösen sich (bei Untersuchung mit homog. Immers. ) die erwähnten Querstreifen in Reihen von Wimpern auf, „deren Basen auf einem schuppenlosen Felde als stark lichtbrechende Kreise er- scheinen“: Die beiden Flimmerbänder verjüngen sich gegen das Hin- _terende hin, so dass sie „zugespitzt“ auslaufen, während am Vorder- ende jedes Cilienband plötzlich ohne Uebergang aufhört. Der davor- liegende Kopfabschnitt weist eine sehr wechselnde Ausstattung mit vornehmlich in Büscheln gestellten Wimpern auf, welche mehr oder weniger seitlich angebracht sind und die Stirnkappe freilassen. Nur Dasydytes longisetosum Metschn. und Dusydytes saltitans Stok. bilden hierin Ausnahmen, indem der Kopf der erstgenannten Art vollkommen bewimpert ist, letztere Form aber „zwei rings um den Kopf laufende, hinter einander liegende Ringe von langen Cilien“ besitzt, deren Be- wegungsrichtung gerade umgekehrt ist, indem die Wimpern des vor- deren Ringes nach hinten, die des hinteren nach vorne schlagen (vgl. Zel.l. c. tab. XV, Fig. 20). Die Cilienbekleidung dient den Gastrotrichen in erster Linie zur Ortsbewegung, welche durch die Bauchbänder bewirkt wird, ferner aber auch zum Herbeistrudeln von Nahrungskörpern, wobei die dem Kopf angehörigen Wimperbüschel zunächst beteiligt sind, wenngleich nach Experimenten, welche Zelinka mit Karminkörnchen anstellte, den ventralen Flimmerbändern auch hierbei ein accessorischer Einfluss zugestanden werden muss. Als Exkretionsorgan dient ein, wie es scheint, allen Gastro- trichen eigentümliches und überall in gleicher Weise gebautes Wasser- gefäßsystem, welches als paarige Bildung zu beiden Seiten vornehm- lich des Mitteldarmes gelegen ist. Dasselbe beginnt mit einem stab- 15 a 298 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. förmigen Flimmerrohr, „dessen freies Ende nach vorn sieht und in welchem eine nach hinten gehende Flimmerung auftritt“. Nach hinten geht dasselbe „in den aufgeknäuelten weichen, vielverschlungenen Kanal über, der ihn mit seinen Windungen einhüllt“. Eine derselben bildet eine lang ausgezogene Schlinge, die nach vorn gerichtet ist und „durch ein zartes, spitz zulaufendes Bändehen im vorderen Teile des Körpers befestigt“ wird. Der Kanal „öffnet sich endlich getrennt von dem der anderen Seite an der Bauchfläche nach außen“ (vgl. Zel.l.e. tab. XII, Fig. 5). In den Wandungen des Exkretionskanals, welchem wohl endosmotische Beziehungen zur umgebenden Leibeshöhlenflüssig- keit zukommen werden, finden sich gewöhnlich stark glänzende Körnchen, welche Zelinka als Exkretionsprodukte deutet. Der röhrenartige Flimmerstab ist an seinem freien Ende abgerundet und geschlossen; der Kleinheit des Objektes halber ließ sich nicht fest- stellen, „ob eine einzige lange Flimmer, beziehungsweise ein langes Flimmerbüschel, oder eine Reihe von hinter einander stehenden Flim- mern“ der Flimmerung, deren Bedeutung in der Bestimmung und Unterhaltung der Stromrichtung gegeben sein mag, zu Grunde liegt. Hohes Interesse darf das Nervensystem der Gastrotrichen in Anspruch nehmen. Dasselbe zeigt nämlich emen sehr ursprünglichen und indifferenten Charakter, indem es „zum Teil noch in der Aus- scheidung aus dem Ektoderm begriffen ist“ d.h. das Centralorgan des Nervensystems befindet sich vielfach noch in unmittel- barem Zusammenhang mit den der Oberhaut angehörigen Sinnesorganen. Als Grundlage der folgenden Schilderung mag der von Zelinka sehr eingehend studierte Chaetonotus maximus Ehrenb. selten (vergl. :Zel..l. ie. tab... XL, Fig. 1. w.,:2). Das Gehirn, als Centralorgan des Nervensystems gegenüber dem später zu betrachtenden peripheren Teil, liegt dieht über dem Oeso- phagus „in Form einer Decke“, die nach hinten in 2 zur Bauchfläche sich herabsenkende, aber noch seitenständige Zipfel ausläuft; es be- deckt aber den Oesophagus nicht ganz, sondern lässt die hintere Partie desselben frei. Der vordere Abschnitt des Gehirns greift zu beiden Seiten des Oesophagealrohres auf die Bauchseite herab, auf welcher jederseits noch ansehnliche Massen von Ganglienzellen ge- lagert sind, die aber median sich nicht verbinden, so dass die ven- trale Seite des Oesophagus immer frei zu Tage liegt. Die dorsale Partie des Gehirns entbehrt der Kerne und stellt eine feingranulierte Masse vor, welche Zelinka als sog. Punktsubstanz betrachtet; sie ist in zwei un- gefähr kreisrunden Feldern angeordnet, welche durch eine Brücke von Ganglienkernen getrennt und peripher von ebensolchen Kernen umgrenzt sind. Die zelligen Seitenteile des Gehirns lassen jederseits vier, meist birnförmige Ganglien unterscheiden, von welchen uns hier die beiden ersten Paare besonders interessieren, weil sie die Büschel der vorderen dorsalen (l. Paar) und der seitlichen Tasthaare (II. Paar) tragen. v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen, 229 „Jedes dieser beiden Ganglien besteht aus gestreckten Zellen, deren schmale Enden in die Spitze des Ganglions auslaufen.“ Mit ihrem breiten Teil sind diese Ganglien unmittelbar in die Gehirnmasse ein- gelagert, so dass eine Sonderung des Centralorgans von den der Ober- haut angehörigen Sinnesorganen hier nicht besteht, vielmehr beide direkt zusammenhängen. Das Gleiche gilt von dem ganz vorn ge- legenen Paar Wimperbüscheln, die auf der Bauchseite stehen, sowie von zwei einzelnen Tasthaaren in der Halsregion, welche von ebenso ober- flächlichen, in der Tiefe aber in die Hirnmasse eingebetteten Zellen getragen werden und daher Ganglienzellen des Gehirns und Sinnes- zellen der Oberhaut gleichzeitig vorstellen. Uebrigens sind die Kerne solcher Elemente nicht unbedeutend größer als die der spezifischen Ganglienzellen, welche promiseue zwischen jenen liegen können. Der peripherische Teil des Gastrotrichen-Nervensystems nimmt seinen Ursprung von einem Paar in die seitliche und ventrale Zell- masse eingeschlossener Ganglien; von diesen geht jederseits des Darmes bis an das Hinterende ein Nerv, in dessen Verlauf nur wenige Ganglienzellen, die aber ebenfalls der Haut angehören sollen, ein- geschaltet sind. Dieses Nervenpaar vergleicht Zelinka den Lateral- nerven der Rädertiere. Von Sinnesorganen sind „mit Sicherheit“ nur die schon erwähnten Tastorgane anzuführen, welche vornehmlich dem vorderen Körper- absehnitt zugehören. Es sind Haare von wechselnder Länge und Be- schaffenheit, welche meist m Büscheln angeordnet sind, seltener ein- zelnstehend auch im Rumpfe angetroffen werden. Ihr Zusammenhang mit Sinneszellen und weiterhin mit dem Gehirn wurde oben bereits hervorgehoben. Bemerkenswert ist, dass vielen dieser Bildungen zwei- fellos eine doppelte Funktion obliegt, indem sie neben der Sinnes- perception auch „als aktive Flimmerhaare* die Lokomotion fördern, was insbesondere von den ventralen Borsten Geltung hat. Auch dieses Verhalten weist, wie Zelinka mit Recht hervorhebt, auf einen nie- deren Entwicklungsgrad hin, „in welchem eine weitergehende Dif- ferenzierung noch nicht stattgefunden hat“. Die strittige Frage, ob gewissen Gastrotrichen Augen zuerkannt werden dürfen, konnte Zelinka nicht entscheiden; es müssen darüber weitere Untersuchungen abgewartet werden. Die Muskulatur der Gastrotrichen ist wohlausgebildet und in Form von 6 paarigen Längsbändern angeordnet: sie sondert sich in eine Haut- und eine Leibeshöhlenmuskulatur. Erstere ist nur wenig entwickelt, durch ein einziges Paar rückenständiger Längsmuskeln vertreten, welche dem mittleren und hinteren Rumpfabschnitt ange- hören, letztere umfasst die übrigen Muskelpaare, wozu noch ein be- sonderer Muskel für das Schwanzende kommt, der auch das eigen- tümliche Einschlagen dieses Körperteils gegen die Bauchfläche hin bewirkt. Histiologisch unterscheidet sich die Muskulatur der Leibes- 230 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. höhle von derjenigen der Oberhaut durch den Besitz von Muskelkör- perchen; bei beiden besteht aber die Muskelsubstanz in gleicher Weise aus kontraktilen Faserzellen, die wie bei den Rotatorien „teils an der Haut anliegen, teils durch die Leibeshöhle laufen“. Der Verdauungsapparat, der den Gastrotrichen niemals fehlt, erstreckt sich ven der vorn auf der Bauchseite gelegenen Mundöffnung als ein gerades Rohr in der Medianebene durch die ganze Länge des Körpers bis zum dorsalen After. Die entgegengesetzte Lagerung von Mund und After bedingt naturgemäß unmittelbar hinter ersterem und vor letzterem eine Kniekung. Man unterscheidet Mund (und Mund- rohr), Vorder- (Oesophagus), Mittel- (Magen) und Hinterdarm (Reetum) und After. Als Mund wird die distale Oeffnung des Oesophagus bezeichnet; sie hat eine dreieckige Form und stellt einen kurzen Trichter dar, der sich direkt in das Lumen des Vorderdarmes fortsetzt und an seinen Wandungen einige chitinöse Längsleisten, die sog. Zahnleisten trägt. Zu dieser Mundöffnung leitet eine Röhre hin, das Mundrohr, welches eine doppelte Wandung von eutieularer Beschaffenheit besitzt; die innere Wand ist in eigentümlicher Weise krausenartig gefaltet (Zahnzylinder) und trägt einen Kranz zierlicher Borsten, welche die aufgenommene Nahrung festhalten (vergl. Zel. I. e. tab. X], Fig. 10 u. 11), die äußere ist glatt. Die Bewegungen des Mundrohres, in dessen Tiefe also erst der Mund sich befindet, sind passive, durch die Verschiebungen des Oesophagus bedingte: „Indem sich die Mün- dung des Oesophagus erweitert und vorgeschoben wird, wird die innere gefaltete Wand des Mundrohres mit nach vorn verrückt; da sich aber die äußere Wand nicht mit verschiebt, so muss die innere allmählich zur äußeren werden; sie muss sich um so mehr nach außen stülpen, als der Mund nach vorn wandert. Damit muss aber die innere Wand von einer kleineren in eine größere Peripherie sich ausdehnen.“ Diesem letzteren Zwecke dient die oben erwähnte Faltenkrause der eutieu- laren Innenwand des Mundrohres. Der Vorderdarm ist ein sehr diekwandiges Rohr, dessen hin- terer Abschnitt aufgetrieben sein kann. Seine Wandung baut sich aus drei Schichten auf, einer inneren Cuticula, einem äußeren struk- turlosen Häutchen und der zwischen beiden gelegenen, mächtigen, radiärstreifigen Muskulatur. Die das im Ruhezustande spalt- förmige Lumen begrenzende Cuticula ist zart und hinfällig und nur im Leben deutlich zu erkennen. Die feinen radiären Streifen der Muskelschicht, welche auf Querschnitten eine dreiteilige Anordnung zeigt (vergl. Zel. Il. ec. tab. XI, Fig. 5 u. 6), hat schon Ludwig als Muskelfibrillen in Anspruch genommen; zwischen ihnen liegen zer- streut die Muskelkörperchen. Ein Epithel fehlt also, mit anderen Worten: „Wir haben hier den Fall, dass das Epithel des Vorderdarmes sich vollständig in Muskelzellen umgewandelt hat, welche in ihrer v Wagner, Organismus der Gastrotrichen. 231 Längsriehtung im Fibrillen zerfallen sind. Es sind dies nicht Epithel- muskelzellen im gewöhnlichen Sinne, da sie nicht mehr Epithelzellen vorstellen, sondern ganz in Fibrillen aufgelöst sind, die direkt an die eutieuläre Oberfläche heranreichen.* Die Uebergangsstelle des Oesophagus in den Mitteldarm ist durch eine ehitinige Membran bestimmt, welche stark gefaltet ist und einen Trichter bildet, dessen weite Oeffnung nach hinten gerichtet ist, während das vordere Stück geschlossen ist. „Beim Oeffnen des Vor- derdarmes wird auch diese Krause geöffnet und der Nahrung der Durchtritt gelassen; sodann schließt sich mit dem Oesophagus auch die Reuse und verhindert den Wiederaustritt der Speise.“ Dem Vor- derdarm gehören auch zwei Paar einzelliger Drüsen an, welche ventral angebracht nach Lage und Aussehen als Speicheldrüsen zu deuten sein dürften. Durch ein typisches Epithel, welches aus vier Reihen von Zellen besteht, die von außerordentlicher Größe sind und in wechselnder Zahl auftretende, stark liehtbreehende Körperchen führen, ist der Mittel- darm charakterisiert. Glanzkörperchen und Kerne der Epithelzellen sind peripher gelagert, während der centrale Teil der Zellkörper fein granuliert erscheint. Zelinka erblickt in den Glanzkörnern nicht aufgenommene Nahrung, sondern vielmehr Assimilationsprodukte, die als Reservematerial aufgespeichert werden. „Ich glaube, dass die Darmzellen in ihrem inneren granulierten Teile vornehmlich verdauen, die assimilierten Stoffe der Peripherie übermitteln, wo sie wieder zum Verbrauche weiter abgegeben werden.“ Eine Darmmuseularis konnte nieht mit Sicherheit nachgewiesen werden; bestimmt fehlen Darm- drüsen (Pankreas). Mitteldarm und Enddarm sind durch einen kräftigen Ringmuskel von einander geschieden; unmittelbar hinter demselben erweitert sich der Hinterdarm blasenföürmig, um darauf als kurzes Rektum s. str. sich zur Rückenfläche zu erheben und vor dem Schwanzteil mit dem After nach außen zu münden. (Vergl. 'Zel. 1. ce. tab. XI, Fig. 9). Die Wandung des Enddarms zeigt die gleiche epitheliale Ausstattung wie der Mitteldarm, wozu noch über ihn wegziehende Muskelfibrillen treten, welehe die Entleerung der Verdauungsreste bewirken. Alle Gastrotrichen besitzen eine von einem farblosen Fluidum erfüllte Leibeshöhle, die aber keine epitheliale Begrenzung weder am Darm noch an der Epidermis besitzt, mithin als ein echtes Cölom nicht betrachtet werden kann. Schon eingangs dieses Berichtes wurde darauf hingewiesen, dass die Euichthydinen durch den Besitz einer zweizinkigen Schwanz- gabel — auch Fuß genannt — vor den übrigen Gastrotrichen aus- gezeichnet sind. Diese das Hinterende bezeiehnende Bildung ist überall im Wesentlichen gleichgebaut und lässt zwei Stücke „als Ba- sal- und Endteil“ unterscheiden. Wie der Uebergang vom Rumpf in 232 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. die Basalglieder der beiden Gabelzinken ein allmählicher ist, so sind auch die röhrenförmigen Endstücke der Zinken nicht scharf von den Basalteilen abgesetzt, so dass in keiner Weise von einer Gliederung der Schwanzgabel die Rede sein kann. „Wird der Gabelschwanz nach unten geschlagen, in welchem Falle die Endröhren eine bedeu- tende Lageveränderung erfahren, so findet die Abbiegung nicht an der Uebergangsstelle statt, sondern etwas vor derselben, wo die Haut noch so weich wie am übrigen Körper ist.“ Der innere Hohlraum des chitinwandigen Gabelfußes beherbergt die sog. Klebdrüsen, deren Sekret den Euiehthydinen wie den Rotatorien zum Fest- heften dient. Es sind einzellige Drüsen, deren distaler Abschnitt zu einem die Endröhre durchziehenden zarten Kanal ausgezogen ist, welcher am freien Ende jedes Endstückes mit einem feinen Porus mündet. Wenngleich jeder Zinke ein Paar Drüsenzellen zukommt, ist der Ausführungskanal doch durch Verschmelzung ein einfacher. Uebri- gens enthält die äußere Zelle jedes Drüsenpaares mehrere Kerne und kann deshalb „als ein syneytiales Organ“ betrachtet werden. (Vergl. Zel. l. ec. tab. XI, Fig. 4). Die Kenntnis der Geschleehtsverhältnisse der Gastrotrichen ist noch eine sehr wenig befriedigende. Höchst wahrschemlich sind unsere Tiere Zwitter. „Die Ovarien sind paarig und liegen hinter der Einschnürung, welche den birnförmigen Enddarm vom Mitteldarm trennt, der Wand des Enddarmes ventral und seitlich dieht an.“ Eine besondere Umhüllung besitzen sie nicht, so dass die je nach Reife- zustand verschieden großen Eier, deren Kerne, zumal nach erlangter Reife, ungemein groß sind, bei Druck zwischen die anderen Organe hinein ausweichen. Die Eireifung in den beiderseitigen Ovarien er- folgt durchaus ungleichmäßig und es ist das jeweils im Wachstum am weitesten vorgeschrittene Ei, welches dem Nahrung liefernden Darm immer dicht angeschmiegt auf die Dorsalfläche rückt und den darunter liegenden Darmabschnitt verdeckt. (Vergl. Zel. ]. e. tab. XI, Fig. 13 u. 14). In welcher Weise die Eier nach außen gelangen, ist noch eine offene Frage, da die Existenz eines oder eines Paares von Ovi- dukten bisher nicht sicher nachgewiesen werden konnte. Die reifen Eier sind von elliptischer Form und werden einzeln an meist versteckte Orte abgesetzt; sie sind mit einer weichen aber elastischen Schale versehen, deren äußere Fläche mit mancherlei Anhängen wie Stacheln, Widerhaken, Höckern u. dergl. ausgestattet ist, um die Verankerung der Eier möglichst zu sichern. Metschnikoff hatte angegeben, die Gastrotrichen produzierten Sommer- und Wintereier. Zelinka konnte diese Angabe nicht bestätigen und schließt sich der Mitteilung Bütschli’s an, dass die Gastrotrichen nur einerlei Art von Eiern entwickeln, die im Winter wie im Sommer vorgefunden werden. Mit Rücksicht darauf empfiehlt es sich auch hier, die unzutreffende Bezeichnung „Wintereier“ fallen zu lassen. Die Embryonalentwicklung ist unbe- v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. 239 kannt!). Der fertige Embryo „liegt, in der Mitte abgeknickt, innerhalb der Sehale so, dass Kopf und Schwanz am selben Eipole lagern. Die Abkniekung findet gerade am Anfange des Mitteldarmes statt“ (vergl. Zel. ]l. ce. tab. XIII, Fig. 3). Später, vor dem Ausschlüpfen, ändert das junge Tier allmählich seine Lage und bringt durch lebhafte Be- wegung die Eischale zum Platzen. Ueber den männlichen Geschlechtsapparat wissen wir sehr wenig. Entsprechend früheren Angaben von Ludwig fand auch Zelinka ein quer unter dem Enddarm gelegenes, in ein durchsichtiges Häutehen eingeschlossenes ovales Gebilde, das von zahlreichen Körnchen erfüllt ist (vergl. Zel. 1. e. tab. XI, Fig. 14). Ludwig deutete dieses Organ als Hoden; Zelinka teilt diese Vermutung zwar, betont aber, dass „uns dermalen alle dazugehörigen Beweise fehlen“. Da dieser frag- liehe Hoden bei jugendlichen und bei ausgewachsenen Individuen -mit reifen Eiern angetroffen wird, ist — die Richtigkeit der Deutung vorausgesetzt — die von Ludwig behauptete Aufeinanderfolge männ- licher und weiblicher Geschlechtsreife hinfällig. I. Die Gastrotrichen sind Süßwasserbewohner und. gehören zu den gewöhnlichsten Vorkommnissen in stehenden, mit Pflanzenwuchs reich- lieh versehenen Tümpeln, auf deren Grund sie sieh mit Vorliebe auf- halten. Chaetonotus maximus Ehrb. beansprucht Imhof auch als Tiefseebewohner. Der Sonne zusgesetzte Wässer bevorzugen unsere Tiere, meiden aber solche mit stärkerer Strömung. Die Mehrzahl der Arten trifft man im Herbst weit zahlreicher als im Frühjahr; selbst im Winter konnten sie m Tümpeln, deren Oberfläche zugefroren war, aufgefunden werden, wie denn überhaupt die Ansprüche dieser Tiere hinsichtlich gedeihlicher Lebensbedingungen ungemein bescheidene sind. In der Regel sind die Gastrotrichen freischwimmend; die Be- wegung vermitteln die beiden Flimmerbänder der Bauchfläche, deren stets gleichbleibende Schlagrichtung es mit sich bringt, dass ein Rück- wärtsschwimmen unmöglich ist. Die Funktion der Wimpern wird oft noch dadurch unterstützt, dass zwei bauchständige kegelförmige Chi- tinzapfen am Kopf und die normal nach unten gerichteten Endstücke der Schwanzgabel den Körper stützend über dem Boden erhalten. Die Kriechart der Spannerraupen, welche bei Rädertieren nicht selten beobachtet werden kann, kommt bei den Gastrotrichen nicht vor ?). Die Klebdrüsen des Gabelschwanzes ermöglichen ein Festheften; das- selbe erfolgt willkürlich und kann ebenso jederzeit leicht aufgehoben werden. Ein Festsaugen mit dem Munde, das gelegentlich wahr- 1) Nur Ludwig (l ce. S. 210) hat an Chaetonotus larus O. F. Müll. die beiden ersten Stadien der Eiteilung, durch welche das Ei „in vier ziemlich gleich große Furchungskugeln“ zerlegt wurde, beobachtet. 2) Dasydutes saltitans Stok. kann mit Hilfe von vier bauchständigen kräf- tigen Borsten auch springend sich bewegen. 234 v. Wagner, Organismus der Gastrotricheu. zenommen wurde, dürfte mehr zufälliger Natur sem. Beim Schwimmen beobachtet man „konstant ein Zittern des Kopfes und ein Tasten nach allen Richtungen mit demselben“. Als Nahrung dienen unseren Tieren die verschiedensten Organismen, sowohl tierische wie pflanzliche oder Reste solcher; sie scheinen ihre Anspruchslosigkeit auch hierin zu bethätigen und sich jeweils nach der Decke zu strecken. „Die Auf- nahme der Nahrung kann vor sich gehen, indem das Tier den mit Partikelchen erfüllten Wasserraum durchstreift und die Nahrung sucht, oder aber auch, ganz nach Art der Rotatorien, bei angeheftetem Fuß mittels eines Wirbels im Wasser, durch Herbeiziehen der Nahrung. Die aufgenommene Nahrung wird im Mitteldarm verdaut und durch selbständige Bewegungen der Darmwand weiter befördert. Um den Sphinkter zu passieren, der Mittel- und Hinterdarm trennt, pflegen die Tiere Wasser einzuziehen, mit dessen Hilfe die Nahrungsreste durchgepresst werden. Die Entleerung durch den After erfolgt „fast blitzschneil*. Zur Zeit sind nur für die paläarktische und nearktische Region init Sicherheit Gastrotrichen nachgewiesen. „Eine typische Verschie- denheit zwischen den Faunen beider Regionen ist nicht vorhanden, vielmehr machen sie den Eindruck von Parallelbildungen.“ Die bessere Einsicht, welche uns die Untersuchungen Zelinka’s in die Organisation der Gastrotrichen gewonnen haben, gestattet eine kritische Sichtung der sehr bunten Gesellschaft, welche bisher zu dieser Tiergruppe gezählt wurde. Zunächst sind die von Gosse auf- gesteilten Gattungen Taphrocampa und Sacculus als echte Rotatorien aus der Sippe der Gastrotrichen zu entfernen. Gastrochaeta ciliata Grimm, welchem die bauchständigen Wimperbänder fehlen, gehört wahrscheinlich in die Nähe der Nematoden, jedenfalls nicht zu unseren Tieren. Turbanella Schultze und Hemidasys Clap. haben ebenfalls mit den Gastrotrichen nichts zu thun. Bei ersterer Form ist die ganze Ventralseite mit Cilien bekleidet, die Haut nieht chitinös, nur der Bau des Vorderdarmes stimmt mit dem des Gastrotrichen - Desophagus überein, wodurch allein aber eine Zusammengehörigkeit nicht begründet werden kann. Die Organisation von Hemidasys ist, soweit die durchaus unvollständigen Angaben Claparede’s, der bisher allein dieses Tier beobachtet hat, reichen, so völlig vom Gastrotrichen -Organismus ver- schieden, dass die schon von Ludwig bezweifelte Verwandtschaft mit letzterem jetzt endgiltig abzuweisen ist. Die von Metschnikoff begründete Gattung Cephalidium ergab sich als identisch mit Gosse’s Dasydytes und ist daher zu streichen. Nach dieser Säuberung er- übrigen als echte Gastrotrichen sechs Gattungen, welche von Zelinka in folgendem System angeordnet werden: Gastrotrieha ohne einziehbaren Radapparat am Vorderende, mit zwei Cilienbändern längs der ganzen Bauchfläche, mit zwei v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. 235 aufgeknäuelten, je einen langen stabförmigen Flimmer- lappen tragenden und getrennt in der Mitte der Bauch- fläche ausmündenden Wassergefäßkanälen, mit einfachem, zum Teil noch im Ektoderm befindlichen Gehirnganglion, einfachen Muskelzellen, paarigen Ovarien, muskulösem, an die Nematoden erinnernden Vorderdarme ohne Kiefer- apparat, mit geradem drüsenlosem Mitteldarm, mit birn- förmigem Enddarm, Rektum und dorsalem After; mit pri- märer Leibeshöhle. I. Unterordn.: Ewichthydina, mit Gabelschwanz. 1. Fam. Ichthydidae, ohne Stacheln. Gen. Ichthydium, Gen. Lepidoderma }). 2. Fam. Chaetonotidae, mit Stacheln. Gen. Chaetonotus, Gen. Chaetura. Il. Unterordn.: Apodina, ohne Gabelschwanz. Gen. Dasydyies, Gen. Gossea. Auf die ausführlichen und ins Einzelne gehenden Schilderungen, welehe Zelinka von allen kritisch berechtigten Species der Gastro- trichen gibt, kann hier nieht eingegangen werden; Ref. möchte aber noch hervorheben, dass Zelinka nicht nur die von ihm untersuchten Arten, sondern auch alle sonst bisher beschriebenen Formen in gleicher Vergrößerung abgebildet hat (vergl. Zel. 1. e. tab. XV). Dadurch ist künftigen Forschungen die Feststellung der Species in dankenswerter Weise erleichtert. IIr. Die Erweiterung unserer Kenntnis der Organisationsverhältnisse der Gastrotrichen, welche wir den Untersuchungen Zelinka’s ver- danken, wäre nur eine unfruchtbare Thatsachenanhäufung, würde das reiche Beobachtungsmaterial nicht durch methodische Reflexion zu allgemeinen Schlüssen verwertet. Zur Zeit scheint es freilich all- mählich wieder notwendig werden zu wollen, darüber in Auseinander- setzungen eintreten zu müssen, von welchen Grundlagen, nach welcher Richtung hin und mit welcher Methode die theoretische Denkarbeit geübt werden soll. Der vorliegende Bericht ist natürlich nicht der Ort, weitgreifende Prinzipienfragen zu behandeln; nur um der folgen- den phylogenetischen Betrachtungen willen möchte Ref. die Bemerkung einschalten, dass gegenüber der von mancher Seite immer wieder em- pfohlenen, sich „mechanisch“, „mechanisch -ätiologisch“, „mechaniseh- physiologisch“ u. s. w. nennenden Forschungsriehtung, welehe die seit 1) Diese Gattung ist von Zelinka eingeführt; sie umfasst alle durch den Besitz stachelloser Schuppen ausgezeichneten Formen. Die Epidermis der Angehörigen des Gen. Ichthydium ist nackt. 2356 v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. Darwin und Häckel, man möchte fast sagen zum Gemeingut der theoretischen Zoologie gewordene historische (genealogische) Richtung als wertlos weil verfehlt betrachtet wissenmöchte, ein Verlassen dieser letzteren Betrachtungsweise um so weniger am Platze sein dürfte, als die Ergebnisse jener als neu in Anspruch genommenen „exakten“ vichtung, so wertvoll und interessant sie sind, doch wohl nieht zu die bisherige Auffassungsart herabsetzenden Auslassungen berechtigen. Wenngleich die Ontogenie der Gastrotrichen unbekannt ist und damit der Beurteilung der Verwandtschaftsbeziehungen unserer Tiere vorerst die maßgebende Grundlage fehlt, gestattet doch die wesentlich vermehrte Kenntnis des Baues dieser Tiere einen Vergleich mit an- deren. Ein solcher Vergleich muss an Wert gewinnen, wenn dabei weitgehende Uebereinstimmungen nachgewiesen werden können. Dieser Fall liegt bei den Gastrotrichen vor und zwar sind es die schon mehr- fach genannten Rädertiere, auf welche als nächste Verwandte die gesamte Organisation so nachdrücklich hinweist, dass von Konver- senzbildung nicht die Rede sein kann. Es würde zu weit führen, in diesem Bericht die mannigfaltigen Schicksale zu verzeichnen, welchen unsere Tiere hinsichtlich ihrer Stellung im System ausgesetzt worden sind. Zelinka hat diese Wandlungen in chronologischer Folge zu- sammengestellt und muss hier darauf verwiesen werden. Um das Hauptergebnis gleich voranzustellen: „Die Gastrotrichen haben sich von derselben Ahnenreihe, welcher die Rädertiere ent- stammen, sehr früh abgespalten und haben sich in gleicher Richtung aus- und umgebildet wie die Rädertiere, nur blieben sie auf tieferer Stufe stehen. Aus dem Variationsgebiet der Gastrotrichenwurzel selbst, welehe durch den Nematodenösophagus charakterisiert ist, scheint sich em anderer Zweig in bedeutend verschiedener Art ent- wiekelt zu haben, dem die Echinoderes und Nematoden entstammten.“ „Die Gastrotrichen sind den Rädertieren nicht einzureihen, sondern stellen eine ihnen gleichwertige Abteilung im System dar, beide sind parallele Zweige eines Astes.“ Vergleichen wir nun, um die vorstehenden Sätze zu begründen, Gastrotrichen und Rädertiere nach den einzelnen Organsystemen. Was zunächst das charakteristische Merkmal der Rotatorien, den Räderapparat, betrifft, so suchen wir bei den Gastrotrichen ver- geblich nach einem Homologon desselben. Die beiden ventralen Flimmerbänder als umgewandeltes Räderorgan zu deuten geht nicht an. Auch ist das Vorderende der Gastrotriehen nicht wie das der Rädertiere einziehbar. Vielieicht lassen sieh bei genauerer Kenntnis ihrer Lagebeziehungen die beiden Wimperkränze des Kopfes von Da- sydytes saltitans Stok. mit dem Räderorgan vergleichen und damit die Gattung Dasydytes als ursprünglichere Form auffassen. Anders verhält es sich mit dem Exkretionsorgan, dessen Bau bei den Gastrotriehen — von gewissen Verschiedenheiten, unter welchen v. Wagner, Organismus der Gastrotrichen. 237 die mit Bildung einer kontraktilen Blase erfolgende Vereinigung der beiden Längskanäle und ihrer gemeinsamen unpaaren Ausmündung bei den Rotatorien das gewichtigste ist, abgesehen — doch demselben Typus, einem Protonephridium entsprieht wie bei den KRädertieren, nur dass der Grad der Ausbildung bei beiden verschieden ist. Große Uebereinstimmung zeigt die Muskulatur der zwei Tier- gruppen. Hier wie dort sind Haut- und Leibeshöhlenmuskel unter- scheidbar, und wenn auch den Gastrotrichen Quermuskel fehlen, so ist doch der Typus des Muskelsystems der letzteren so sehr mit dem der Rädertiere im Einklang, dass sogar die Ausbildung im Einzelnen „nahezu innerhalb der Modifikationen, wie sie bei den hkädertieren auftreten“, erfolgt. Dass die Sehwanzgabel der Gastrotrichen und der Rotiferen homolog sind, darf ohne Weiteres angenommen werden, denn auch hier ist die Gleichartigkeit augenfällig. Bei beiden Formengruppen beherbergt der Fuß die Klebdrüsenpaare, eine Uebereinstimmung, der gegenüber die Differenz in der Anordnung der ausleitenden Kanäle sowie der damit zusammenhängenden Mündungsweise lediglich „eine quantitative, keine qualitative Verschiedenheit“ bedeutet. Auch im Aufbau des Nervensystems treffen wir beiderseits dieselbe Grundlage mit der Maßgabe, dass das Gehirn der Gastro- trichen durch seinen unmittelbaren Zusammenhang mit den oberfläch- lichen Tasthaaren, die zwanglos mit den entsprechenden Vorkomm- nissen bei Rädertieren in Vergleich gesetzt werden können, einen nie- dereren Entwicklungsgrad darstellt als dasjenige der letztgenannten Formen, bei welchen das Centralorgan seine Verbindung mit dem Ektoderm gelöst hat und mit den Elementen der oberflächlichen Sinnesorgane bereits durch Nervenfasern verbunden ist. Was hier also vollzogen erscheint, ist dort erst im Werden, ein gradueller kein wesentlicher Unterschied. Sehr verschiedene Verhältnisse bietet der Vorderdarm bei bei- den Tiersippen. Der Mangel eines Epithels und die dafür massig entwickelte Radiärmuskulatur des Gastrotrichen -Oesophagus weist offenkundig auf die Nematoden hin und von den Rädertieren ab; dazu kommt noch die stete Abwesenheit irgendwelcher Kieferbildung, wie sie für die letztgenannten Tiere charakteristisch ist. Dagegen bieten Mittel- und Enddarm wieder mancherlei Gemeinsames insbesondere in dem beiden Gruppen in gleicher Weise zukommenden Sphinkter, der die genannten Darmabschnitte trennt. Der Nachweis der dorsalen Lage des Afters bei den Gastrotrichen bekundet eine weitere und be- deutsame beiderseitige Uebereinstimmung, indem dadurch auch für die Schwanzgabel in beiden Gruppen die ventrale Lage festgestellt wurde, wodurch der schon oben ausgesprochenen Homologisierung eine er- wünschte Grundlage geboten wurde. Die Leibeshöhle bietet dem Vergleich keine Schwierigkeiten. 238 Frenzel, Zellvermehrung und Zellersats. Die ungenügende Kenntnis des Geschlechtsapparates der Gastro- trichen lässt es geraten erscheinen, dieses Organsystem zunächst un- berücksichtigt zu lassen. Aus den vorstehenden vergleichenden Betrachtungen ergibt sich, dass eine Vereinigung der Gastrotrichen mit den Räder- tieren nicht statthaft ist, da die Verschiedenheiten, welehe im Bau Beider angetroffen werden, immerhin ganz wesentlicher Natur sind. Andererseits kann es aber keinem Zweifel unterliegen, weil der gemeinsamen Charaktere so viele und wichtige sind, dass Gastro- trichen und Rotatorien desselben Ursprungs undnur durch den Grad ihrer Ausbildung unterschieden sind; jedenfalls verbindet beide Sippen eine so nahe Verwandtschaft. wie sie keine andere Tierform zu der einen oder der anderen aufweisen kann! Zelinka hat mit dieser Feststellung, der man wohl kaum die Zustimmung versagen kann, nieht Halt gemacht. Im Zusammenhang mit der von ihm vertretenen Auffassung, dass „die Rotatorien als um- gebildete Abkömmlinge der Zrochophora“ zu betrachten seien, erwuchs unserem Autor von selbst die Notwendigkeit, auch die Gastrotrichen auf diese mit Recht vielberufene Larvenform zu beziehen. So ver- lockend es wäre, das weite Gebiet phylogenetischer Spekulation zu betreten, muss Ref. sich doch damit bescheiden, die persönliche An- schauung Zelinka’s hier einfach anzuführen: „Als die gemeinsame Stammform der Rotatorien und Gastrotrichen haben wir eine Trocho- phora anzusehen, welche bereits Klebdrüsen und Gabelfuß besaß und am Rücken der postoralen Region mit zwei hinter einander liegenden Paaren von Tastorganen versehen war, welche bei den Gastrotrichen in einfachster Form, bei den Rotatorien als dorsale und laterale Taster persistieren.“ Dr. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Zellvermehrung und Zellersatz. Von Prof. Johannes Frenzel in Friedrichshagen. Vor nicht langer Zeit wurde von einem der bekanntesten italieni- schen Biologen, Bizzozero?), eine in hohem Grade interessante Unter- 1) Ueber die systematische Stellung der Zchinoderes (Kinorhyncha), welche allein noch in Frage kämen, lässt sich zur Zeit noch kein sicheres Urteil fällen. Früher von Bütschli den Gastrotrichen beigerechnet, leugnet der neueste Untersucher dieser Tiergruppe, Reinhard, jede Beziehung zu unseren Tieren (Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd.45). Zelinka tritt dieser An- sicht entgegen und glaubt, dass, „wenn auch die Organisation der Gastrotrichen der der Rädertiere entschieden näher steht, die ZEchinoderes doch dem Varia- tionsgebiet der Gastrotrichen entsprossen sind“. Hatschek schließt sich in seinem Lehrbuch (S. 364) dieser Auffassung an. 2) Bizzozero, Ueber die schlauchförmigen Drüsen des Magen - Darm- kanals, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 33 u. 40. Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. 339 suchung veröffentlicht, nach welcher ein Aufrücken, ein Nachschub, von Epithelzellen von einem Keimlager aus erfolgen soll. Der Verfasser jener Schrift sucht nämlich den Nachweis zu führen, dass im Darmkanal von Wirbeltieren, besonders von Säugern (Maus ete.), das eine der beiden Epithelelemente, nämlich die beeherförmigen Zellen, in den kleinen Aussackungen des Darmes durch mitotische Teilung entstehen, um sodann aus diesen Aussackungen nach der freien Oberfläche des Darmepithels hin auszuwandern. Ohne dass nun an diesem Orte zu jener Anschauung irgendwie Stellung genommen werden soll, so schien es mir doch angezeigt den Hinweis zu führen, dass dieser Art des Zellersatzes nicht etwa eine allgemeine für andere Gewebe und Organe unbedingt giltige Bedeutung zukomme, wo sonst ähn- liche Verhältnisse obwalten. Würde man sich nämlich jene Aussackungen (Blindsäckehen) eng aneimandergereiht denken, so dass das freie Epithel, das ursprünglich also die Oberfläche des Darmes überzieht, gänzlich verschwindet, so würde der Uebergang zu einer acinösen resp. tubulösen Drüse erreicht sein, und es würde sich nunmehr fragen, wie hier der Zellersatz geschehe. Soll man hier mithin emen gleichen Vorgang, wie ihn Bizzozero beschrieb, annehmen, oder sollten jetzt nicht vielleicht durchaus andere Verhältnisse obwalten können. Es ist dies eine Frage, welche, keineswegs neu, bereits früher gestellt und beantwortet ist. So hatten sich H. E. Ziegler und O. vom Rath!) mit ihr hinsichtlich der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses be- schäftigt und sich im Sinne Bizzozeros entschieden, nachdem ich eine entgegengesetzte Ansicht vertreten hatte. Die beiden Letzt- genannten nämlich konnten in der Spitze des Drüsenschlauches, im sogenannten Keimlager, mitotische Kernteilungen nachweisen, welehe sie im Gegenteil im 'sekretorischen Drüsenabschnitt vermissten. Sie glaubten daher den Schluss ziehen zu dürfen, dass dort ein Regene- rationsherd zu suchen sei, von welchem aus die im Epithel zu Grunde gehenden Zellchen durch Nachschub ersetzt würden, geben dabei jedoch zu, dass nach geschehener Mitose auch noch eine, aber wohl nur einmalige, amitotische Kernteilung im sekretorischen Abschnitt erfolgen könnte, ein Modus, den ich früher wiederholt be- schrieben und sodann als nukleoläre Kernhalbierung näher charakterisiert hatte. Schien nun somit, was den letzteren Punkt, die amitotische Kern- und Zellteilung, anbetrifft, der Gegensatz zwischen H. E. Ziegler und mir kein so bedeutender mehr, um so weniger, als auch ich die Mitose im Keimlager zu bestätigen vermochte, so wurde doch im Hinblick auf die genannte Untersuchung Bizzozero's eine erneuerte Behandlung dieses Gegenstandes wieder in hohem Grade wünschenswert. Indem ich nun an einer anderen Stelle ausführlicher über das Resultat, zu dem ich gelangt bin, zu berichten gedenke, so 3 4) H.E Ziegler und 0. vom Rath, Die amitotische Kernteilung bei den Arthropoden. Biol. Centralbl. XI (1891) Nr. 24, 8. 744 tg. JAN Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. möge hier bloß dasjenige daraus entnommen und wiedergegeben werden, was im speziellen die oben aufgeworfene Frage angeht. Von der Mitteldarmdrüse des Flusskrebses haben wir uns zunächst folgendes Bild zu machen. Der Mitteldarm dieses und anderer Dekapoden besitzt ein Paar mächtig entwickelte Anhänge, die zu Zeiten des Futter- mangels (Winter) etwas einschrumpfen, um sich zu guter Zeit wieder mehr auszudehnen. Sie werden aus zahlreichen langen Drüsenschläuchen zusammengesetzt, welche sich ohne besonders differenzierte Ausgänge vereinigen (H. E. Ziegler). Umhüllt werden sie gemeinsam von einer zarten Haut, einer Serosa, die aus sehr feinen, straffen Fasern besteht, während ein zartes locker-maschiges Bindegewebe sie unter sich zusammenhält. Dieses letztere führt noch deutliche Zellen mit großem Kern, sowie Blutlakunen mit eingestreuten Blutzellen. Hin- sichtlich des Epithels, das einer anscheinend strukturlosen tunica propria von starkem Glanze aufsitzt — von der Muscularis ete. sehen wir hier ab — lassen sich zwei Bezirke unterscheiden, der viel um- fangreichere sekretorische und der des Keimlagers, die ohne scharfe Grenze in einander übergehen. Der erstere Bezirk besteht aus zweierlei Zellelementen, den Fermentzellen und den Fett- zellen mit den dazu gehörigen Ersatz- und Mutterzellen. Erstere entwickeln aus einem, dem Zentralkörper, Üentrosoma, wie es scheint, identischen Fermentkeim, einen großen in einer Blase liegenden Sekretklumpen, während das übrige Plasma, namentlich das des Fußes, das fragliche Archiplasma (Ch. Huber), dabei verschwindet. Ebenso wird der Kern dabei reduziert, und es bleiben nur noch seine un- brauchbar gewordenen chromatischen Substanzen zurück. Die Zelle, wie endlich dieser Kernrest, werden behufs der Sekretion aus- gestoßen. Was nun die Entstehung und Herkunft dieser Fermentzellen anbetrifft, so können sie sich nicht nur, sondern sie leiten sich auch sehr wahrscheinlich einzig und allein durch amitotische Teilung (nukleoläre Kernhalbierung) von im Epithel zerstreuten Mutter- zellen her. Das Gleiche hat sodann für die Fettzellen zu gelten, deren in der Tiefe des Epithels liegende viel kleinere Mutterzellchen (Basalzellen) sich in ähnlicher Weise halbieren. Sie bilden als sekre- torisches Element zahlreiche Fettkugeln und vielleicht noch runde Körnergruppen. Ihr Fußplasma (Archiplasma ?) endlich, wie auch ihr Kern werden beim Wachstum nicht reduziert. Das Keimlager, um nun zu diesem überzugehen, wird von un- reifen Epithelzellen, Zellembryonen, gebildet, die sich sowohl amito- tisch wie auch mitotisch vermehren. Ersteres entspricht ihrer ver- kümmerten Funktion, letzteres sehr wahrscheinlich einem Spitzen- und Diekenwachstum des Drüsenschlauches. — Die soeben mitgeteilten Befunde würden mithin einen Nachschub von Zellen aus dem Keimlager ausschließen oder doch sehr unwahr- lich machen. Betrachtet man nämlich irgend eine Stelle des typischen Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. 34 Epithels, so wird man etwa isodiametrische Zellen mit einem großen Kern und ohne Fermentballen finden. Zuweilen sieht man schon in solehen Zellen, gewöhnlich aber erst in bereits größeren, gestreckten, einen sich durchschnürenden Kern. Dann trifft man etwas größere Ersatzzellen mit zwei aneinander gelagerten Kernen an, und später bloß noch große Zellen mit je einem Kern, woraus logischerweise auf eine Zellteilung geschlossen werden muss. Derartige junge Zellen mit sich teilendem Kern sind hier ferner so häufig, dass sie vollständig hinreichen, um den Zellersatz zur Genüge zu erklären. Aehnlich so ist es ferner mit den Fettzellen. Man bemerkt relativ viele in der Tiefe des Epithels der tunica propria angelagerte Zellehen (Basalzellen), deren Kern oft in Halbierung anzutreffen ist. Ebenso lassen sich die Stadien der Zellteilung selbst erkennen. Später rücken dann die mit einem hellen Hof umgebenen noch klein bleibenden Kerne in die Höhe, einen schmalen Fuß aussendend, um endlich zu den nor- malen Fettzellen auszuwachsen. Auch die Anzahl dieser Zellteilungen ist eine hinlänglich große, um den Ersatz etwa zu Grunde gehender Fettzellen ausreichend zu erklären. Ferner muss auch eine Verwechselung mit eingewanderten Blutzellen ausgeschlossen bleiben, da diese sich leicht durch ihr Aus- sehen zu erkennen geben. Unterliegt es somit keiner Frage, dass beide Zellelemente sich amitotisch von im sekretorischen Epithel ge- lagerten Mutterzellen ableiten können, so wird endlich auch die An- nahme von einem Nachschub vom Keimlager aus nicht nur überflüssig, sondern sogar höchst unwahrschemlich. Erstens sind Mitosen dort nur bei jungen Krebsen oder unter besondern Umständen nachweisbar. Gewöhnlich vielmehr herrscht auch hier eine amitotische Kern- teilung vor, und Hand in Hand damit doch wenigstens der Versuch zu einer sekretorischen Thätigkeit. Man muss demnach die Zellen des Keimlagers für verkümmerte ansehen, die eben infolge der räumlichen Beschränktheit sich nicht frei zu entwickeln vermögen. Daneben dürften sie freilich noch eine andere Bedeutung haben, näm- lich die von Zellembryonen, die nur auf eine Gelegenheit zu solch einer Entwicklung warten, eine Gelegenheit, die durch ein Spitzen- wachstum des Drüsenschlauches gegeben wird. Bei jungen, wach- senden Krebsen muss ja auch diese Drüse resp. jeder einzelne Schlauch wachsen. Ebenso wird dies bei größeren Krebsen geschehen, wenn die Drüse nach der Winterruhe resp. nach einer Fastenzeit an Umfang zunimmt. Dann sieht man, jedoch nur oben im Epithel des Keim- lagers, also dem Lumen zu, Mitosen, die so orientiert sind, dass sie sowohl ein Längenwachstum wie auch ein Diekenwachstum des Drüsen- schlauches überaus wahrscheinlich machen. Ein Nachschub jedoch wäre aus dieser eigentümlichen Lage der Teilungsfiguren Kaum irgend- wie plausibel zu machen; es wird hier mithin durch die mitotische XIII. 16 942 Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. Kernteilung nicht ein Zellersatz, sondern vieimehr geradezu eine Zell- vermehrung, die ein Organwachstum zur Folge hat, bedingt. Versucht man nun zum Schluss, eine allgemeine Folgerung aus diesen Befunden zu ziehen, so wird man sie vielleicht nur auf ganz spezielle Fälle ausdehnen können. Demnach aber scheint mir, dass die Art und Weise der Zellregeneration, wie sie oben auseinander- gesetzt worden ist, nicht auf die Mitteldarmdrüse des Flusskrebses oder der Dekapoden beschränkt sein dürfte. Sie wird zunächst bei den Arthropoden noch weiter verbreitet sein, und, wie ich glaube, auch noch bei anderen Wirbellosen. Ja man wird dann vielleicht, wenn man von Zellteilung schlechtweg spricht, in allgemeinerer und weiterer Durchführung von zwei wesentlich verschiedenen Er- scheinungen zu sprechen haben, nämlich einerseits von der Zell- vermehrung, die sich mitotisch vollziehend ein Wachstum des ganzen Organes resp. Organteiles zur Folge hat, und von dem Zell- ersatz, der auch auf amitotischem Wege vor sich geht und nur den Zweck hat, die behufs ihrer Thätigkeit dem Epithel verloren gehende Zellen zu ersetzen, ohne dass daraus also ein Gesamtwachs- tum resultieren würde. Wie sich bei dieser Frage endlich die Wirbel- tiere verhalten, bleibe noch gänzlich offen. Es würde indessen einen außerordentlich großen und fundamentalen Gegensatz zwischen den beiden Hauptabteilungen der Metazoen bedeuten, wenn die Verhältnisse hier vollständig anders liegen und eine Abweichung ven obiger Regel bedingen würden. Zwar soll diese letztere auch nicht für die Wirbellosen zur alleinigen Regel, zum Dogma, er- hoben werden, denn es wird unter diesen ebenfalls genug Ausnahmen geben. Es würde sich vielmehr nur fragen, ob sie überhaupt für gewisse Verhältnisse innerhalb der Wirbeltiere zulässig sein wird oder nicht, grade wie sie, wie gesagt, für die Wirbellosen auch nicht auf alle Verhältnisse passt, so z. B. nicht auf die Geschlechts- drüsen. Diese nehmen vielmehr eine ganz eigenartige Stellung ein, indem sie nicht schlechtweg als Drüsen im gewöhnlichen Sinne des Wortes funktionieren. Denn ein Drüsenprodukt, ein Sekret, ist doch gemeinhin etwas totes, das sich nicht mehr aus sich selbst heraus entwickeln oder vermehren kann, das Produkt der Geschlechtszellen dahingegen vermag dies, vermag ein eigenes Leben fortzuführen und zum vollständigen Organismus zu wachsen, der sich weiter vermehren kann. Es ist also innerhalb der Geschlechtsdrüsen weniger für einen Zellersatz, als vielmehr für eine Zellvermehrung zu sorgen, und dann kann es uns nach unsern obigen Befunden nicht nur nieht Wunder nehmen, ja wir müssen es geradezu erwarten, dass hier durchgängig eine mitotische Kernteilung obwaltet. Bei gewöhn- liehen Drüsen jedoch liegen die Verhältnisse erheblich anders. Auch hier werden nicht nur Zellbestandteile, sondern auch häufig ganze Zellen ausgestoßen. Diese aber müssen dann als abgestorben be- Frenzel, Zellvermehrung und Zellersatz. 343 trachtet werden, z. B. die Fermentzellen unserer Drüse, deren Kern ja völlig geschrumpft ist. Diese letzteren haben mithin keine erheb- liche Thätigkeit mehr vor sich, sondern höchstens die, welche sich auf die Thätigkeit ihrer eigenen Zelle bezieht. Alle übrigen Eigen- schaften aber sind ihnen verloren gegangen z. B. die, welche ihnen als Träger der Vererbungsstoffe außer dem Archiplasma zukommen. Damit mag es nun auch zusammenhängen, dass sie nicht mehr nötig haben, sich auf einem so komplizierten Wege, wie auf dem mitotischen, zu teilen. Denn das wissen wir doch, dass bei den letztern grade die chromatischen Substanzen, die Chromosome, wunderbar genau halbiert werden, also diejenigen, die wohl wichtig für die Vererbung, für die andern Kernfunktionen es indessen viel weniger oder auch gar nicht sind. Für diese genügt vielmehr, in unserem speziellen Falle zum mindesten, eine einfache Kernhalbierung, bei der es mehr auf eine genauere Zweiteilung des Keimplasmas ete. und der Nucleolen — die bei der Vererbung gar keine unmittelbare Rolle spielen — ankommt. Ebenso mag es sich mit dem Centrosoma verhalten, für das wir gern ein dem Kern einer Fermentmutterzelle angelagertes Körnchen halten möchten. Auch dies dürfte seine eigentliche Funktion oder seine Hauptfunktion, welche es als zweiten Träger der Vererbungsstoffe offenbar ausübt, aufgehoben oder verändert haben, indem es nunmehr weiter nichts mehr vorstellt als den Keim, aus welchem der Ferment- ballen unserer Zellen hervorgeht. Sehen wir endlich unser Fußplasma für das Archiplasma unserer Epithelzellen an, — ein Gedanke, der von meinem Mitarbeiter Ch. Huber aus Michigan herrührt —, so werden wir auch hier ähnliche Verhältnisse obwalten lassen können. Auch dieses mag in unseren Ersatzzellen, die sich ja nun nicht mehr weiter teilen, seine eigentliche Bedeutung und Funktion verlieren, da es nichts mehr zu vererben gibt, weshalb es uns nicht mehr Wunder nehmen kann, wenn es, wenigstens in der einen Zellart, in den Ferment- zellen, völlig zu Grunde geht, resp. indirekt in die Substanz des _Sekretballens übergeführt wird. Man wird mich zum Schluss wohl fragen, warum nun nicht überall der Zellersatz auf dem vereinfachten amitotischen Wege vor sich gehe. Dies lässt sich jedoch schon deswegen vor der Hand kaum diskutieren, als wir noch gar nicht im Stande sind, die Grenzen zwischen den verschiedenen Arten der Kernteilung — die amitotische ist ja nur ein Sammelname für mehrere unter sich verschiedene — genauer abzu- stecken. Auch mag, wie H. E. Ziegler anzunehmen geneigt ist, die Zeitfrage hierbei eine Bedeutung haben, insofern als nach Meinung des Letzteren die mitotische Teilung schneller verlaufe, weshalb sie möglicherweise vor der amitotischen bevorzugt wird. Vorläufig freilich möchte es nutzlos sein, die reine Spekulation die Ueberhand vor exakter Forschung gewinnen zu lassen. 16,* 244 Ritzema Bos, Die Pharao- Ameise. Die Pharao-Ameise (Monomorium Pharaonis), von Dr. J. Ritzema Bos in Wageningen. Die unsere Kulturgewächse beschädigenden Insekten sind wie alle Tierspecies an ein bestimmtes Verbreitungsgebiet gebunden. Wenn sie mit den Pflanzen, auf denen sie leben, oder in irgend einer anderen Weise unwillkürlich in eine andere Gegend transportiert werden, so können sie sich vermehren und also einheimisch werden bloß in den Gegenden, die ihnen geeignete Nahrung liefern, und deren Klima mit dem ihres Vaterlandes übereinstimmt. Ganz anders aber als die in der freien Natur lebenden Insekten- arten verhalten sich diejenigen Insekten, welche entweder innerhalb der Häuser sich aufhalten oder wenigstens sich dem Leben im Hause leicht angewöhnen. Diese können, falls sie mit Schiffen oder in irgend einer anderen Weise in ferne Länder verbreitet werden, sich daselbst einbürgern, auch wenn diese Länder in geographischer Lage, in Klima und Witterungsverhältnissen mit ihrer ursprünglichen Heimat keines- wegs übereinstimmen. So gibt es unter den innerhalb der Häuser lebenden Insektenarten mehrere, die wahre Kosmopoliten geworden sind. Handel und Schifffahrt haben sie in alle Länder der Welt ver- breitet. Die Heimchen und die verschiedenen Arten der Schaben leben jetzt in allen Teilen der bewohnten Welt. Es versteht sich, dass die innerhalb der Häuser lebenden Tiere in ihrer geographischen Verbreitung von der Lage, dem Klima, den Witterungsverhältnissen der von ihnen bewohnten Gegend nicht oder bloß sehr wenig abhängig sind; denn es fallen im Hause, infolge des Heizens, die Temperaturunterschiede zwischen den kälteren und wär- ımeren Gegenden größtenteils weg. Jedenfalls aber sieht man, dass die ursprünglich aus tropischen Ländern herkommenden Insekten, wenn sie in Gegenden der gemäßigten Zone sich in Häusern ansiedeln, am liebsten oder sogar ausnahmslos die wärmsten Plätzchen aufsuchen. Daher sind die Küchen und die Bäckereien für das lästige Haus- geziefer (Heimchen und Schaben) die am meisten gesuchten Aufent- haltsorte. Dasselbe gilt meiner Erfahrung nach von der kleinen Ameisenart, deren Namen am Anfange dieses Aufsatzes abgedruckt wurde. Es sei mir erlaubt, über diese immerhin in den meisten Gegenden des nördlichen Europas noch seltene Ameise eine Mitteilung zu machen, weil ich im vorigen Herbste Gelegenheit hatte, dieselbe in ihrer Lebensweise wahrzunehmen. Anfang Oktober erhielt ich von Sr. Excellenz dem niederländischen Minister von „Waterstaat“, Handel und Industrie den ehrenvollen Auf- trag, eine Ameisenplage in loco zu untersuchen, welche seit dem vorigen Monate Juni im Post- und Telegraphengebäude sowie in der Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise, 345 Wohnung des Postdirektors in Leeuwarden (Provinz Friesland) auf- getreten war. Sobald ich daselbst die kleinen, 1!/, bis 2 mm langen, gelbbraunen Ameisen zu Gesicht bekam, dachte ich, es können diese keiner anderen Art als Monomorium Pharaonis angehören; und als ich, nach Hause gekommen, die Tierchen bestimmte, ergab sich mir, dass ich mich in der That nicht geirrt hatte. Namentlich die Wohnung des Herrn Postdirektors war in starkem Grade von den kleinen Plagegeistern heimgesucht; sie befand sich auf dem zweiten und dritten Stockwerke, während die im Parterre ge- legenen Lokale für den Post- und Telegraphendienst benutzt wurden. Weil in den letztgenannten Räumlichkeiten sich nur wenig Essbares befand, wurden diese von den Ameisen verhältnismäßig wenig heim- gesucht; allein die von den Dienern, Post- und Telegraphenboten mit- gebrachten Butterbröde wurden auch dort regelmäßig von den Ameisen in den Verstecken, wo sie aufbewahrt wurden, in großer Anzahl auf- gesucht. An das Staatsgebäude, wo das Post- und Telegraphenamt seinen Sitz hat, grenzt ein Privathaus, welches nicht weniger von den Ameisen besucht wurde als die Wohnung des Direktors. Ich will aber hauptsächlich bloß die Ameisenplage in letzterer, und zwar mit wenigen Worten beschreiben. Es wurden natürlich die Lokale, wo die meisten Esswaaren sich befanden, am meisten von den Plagegeistern heimgesucht; aber es blieb kein einziges Lokal vollkommen ameisenfrei, mit alleiniger Aus- nahme des Kellers. Uebrigens dehnten die Ameisen ihre Wanderzüge bis in einen verschlossenen Schreibtisch und bis in geschlossene Lein- wandschränke aus, ohne aber daselbst irgend welchen Schaden zu thun. In großer Anzahl fanden sich die kleinen Insekten in der Küche, dem Speisezimmer und der Vorratskammer. Jedes daselbst befindliche Stückehen Fleisch, Speck, Fett oder Brod wurde sogleich von Tausenden Ameisen bedeckt. Es hatte die Plage eine solche Höhe erreicht, dass die Bewohner sich genötigt sahen, alle Esswaaren aus der Küche und dem Speicher fortzunehmen, und sie aufzubewahren im Keller, der von den Ameisen gar nicht besucht wurde, teilweise sogar in Schlaf- und Logiszimmern, wo sich die Insekten bis damals noch nur wenig zeigten, weil daselbst nichts zu essen war. Um so viele Ameisen wie möglich wegzufangen, hatten die Be- wohner an mehreren Stellen, in der Küche, in der Vorratskammer u. s. w., kleine Knochenstückchen aus gebratenem Fleische niedergelegt, auf denen schon eine Viertelstunde, nachdem der Köder niedergelegt wurde, sich die Pharao- Ameisen zu Hunderten, ja zu Tausenden, zusammen- fanden. Man brauchte ein solehes Knochenstückchen bloß in kochendes Wasser einzutauchen, um eine ganz enorme Anzahl von Ameisen zu töten; es konnte aber diese Methode nicht zur gründlichen Bekämpfung der Plagegeister dienen, weil anstatt jeder getöteten Ameise zehn andere sich zeigten. An einem etwa !/, em? großen Stückchen Fett, 246 Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise. als Fangmittel niedergelegt, fand ich mehr als 100 Ameisen, während Tausende dieser Tiere herbeikamen, die alle nach Ameisengewohnheit demselben Wege folgten, und ebensoviele demselben Wege entlang sich verabschiedeten um in einer kleinen Mauerritze wieder zu ver- schwinden. — Die kleinen Ameisen fanden sich in verschlossenen Leinwand- und Bücherschränken, sogar in verschlossenen, mit Zucker gefüllten Blechbüchsen: der kleine Raum zwischen dem Rande des Deckels und dem der Büchse hatte genügt, um den Ameisen den Zu- tritt zu geben. Es versteht sich, dass so kleine Insekten, sogar wenn sie zu Hunderttausenden in einer Wohnung sich finden, durch die Quantität Speise, welche sie aufnehmen, kaum schädlich werden können. Belle- voye!) in Rheims berichtet, er habe ein Tausend Pharao- Ameisen (Arbeiterinnen) gewogen und ihr sämtliches Gewicht auf 0,058 g be- stimmt, so dass ungefähr 17,000 Stück zusammen 1 g wiegen. Eine Million Pharao-Ameisen wiegt noch nicht 60 g, und selbst wenn ein Haus alltäglich von einer Million der obengenannten Plagegeister be- sucht würde, und jedes Insekt täglich ein Viertel seines Körpergewichts äße, so könnte der Schaden, den die Ameisen durch Verzehren unserer Speisen verursachten, kaum von Bedeutung sein. Allerdings hat man behauptet, dass Monomorium Pharaonis auch Löcher in das Holz von Möbeln, in Balken und Pfosten der Häuser fräße; in solchem Falle würde der von dieser Ameise verursachte Schaden weit größer sein. Allein es erhellt aus meinen Beobachtungen und Versuchen zur Genüge, dass dem nicht so ist; weiter unten werde ich hierüber ausführlicher berichten. Meiner Erfahrung nach bringen die Pharao-Ameisen keinen direk- ten Schaden; allein demungeachtet können sie ein Haus gänzlich unbewohnbar machen. Wenn man kein Stückchen Speise in den Mund bringen kann, ohne dasselbe aufmerksam zu besehen, ob Ameisen an demselben sich finden, — wenn man keinen Löffel Zucker in den Thee werfen kann, ohne vorher die kleinen Insekten hinauszujagen —, 0 wird der Aufenthalt in einem von Ameisen heimgesuchten Hause höchst unangenehm. Und wenn die Tierchen auch die Körper der Menschen besteigen und sie sogar im Bette beunruhigen, so wird ein solches Haus unbewohnbar. Die über der Haut hin und herlaufenden Ameisen verursachen ein sehr unangenehmes Jucken; sie können aber auch durch Stechen mit der Angel heftigen Schmerz, sogar beulenförmiges Anschwellen der Haut veranlassen. Der Name Pharao-Ameise ist die Uebersetzung des von Linne gegebenen Species-Namen: Pharaonis; der Genus-Name Monomorium ist von Mayr. ; 4) „Annales de la Soeiet& entomologique de France“, VIieme Serie, Vol. VIH, 1888, 4ieme trimestre, p. CLXXVII—CLXXXI. Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise. AT Woher der Name Pharaonis? Riley!) meint, Linne habe dieser Species den Namen gegeben, weil er dächte sie habe bei den Egyp- tischen Plagen eine Rolle gespielt; aber die Bibel?) gibt unter den bekannten Egyptischen Plagen wohl das Auftreten von Läusen und von Heuschrecken, nieht aber eine Ameisenplage. Nun könnte man mit Riley annehmen, Linne habe eine ungenügende Kenntnis des Buches Exodus gehabt, und gemeint, es wäre eine Ameisenplage in Egypten vorgekommen; er habe deshalb der lästigsten der be- kannten Ameisenarten den Namen Pharaonis gegeben. — Es ist aber diese Erklärung, meiner Meinung nach, unwahrscheimlich; denn in den Tagen von Linne kannte man die Bibel besser als jetzt, und ich kann kaum glauben, dass der schwedische Naturforscher nicht alle Plagen von Egypten auswendig kannte. Vielmehr scheint mir die folgende Erklärung, die richtige zu sein. Schlägt man den Linne auf, so findet man, dass dieser unmittelbar neben der Art Pharaonis eine sehr verwandte Art Salomonis beschreibt. Und er fügt hinzu, dass er diese beiden Arten bloß aus Exemplaren des kgl. schwedischen Museums kennt. Das daselbst vorhandene Exemplar von Pharaonis stammte aus Egypten, während Linne von der anderen Art meldet, sie finde sich nicht bloß in Egypten, sondern auch in Arabien und in Palästina. Weil nun Salomo die Faulenzer auf die Ameisen ver- wiesen hatte, braucht es nieht zu verwundern, dass Linne, der öfter seine Speciesnamen von Personennamen herleitete, eine in Palästina vorkommende Ameisenart dem großen Judenkönige zu Ehren nannte. Weil er nun aber einmal damit angefangen hatte, den Ameisen von biblischen Personen herrührende Speciesnamen zu geben, so benannte er eine mit Salomonis verwandte Art, die ihm bloß aus Egypten bekannt geworden war, den Pharaonen zu Ehren. Monomorium Pharaonis gehört zu den Myrmieiten, d.h. zu den Ameisen, welche die zwei ersten Hinterleibsglieder schmal und knoten- förmig haben und im weiblichen Geschlechte (also bei den fruchtbaren Weibehen sowie bei den unfruchtbaren Arbeiterinnen) eine Angel be- sitzen. Für die Beschreibung der Species Monomorium Pharaonis L. sei auf Ernest Andr&?) verwiesen. Bloß will ich bemerken, dass die Arbeiterin 1!/,—2'/, mm, das fruchtbare Weibchen 3!/,—4 mm, das Männchen 3 mm lang ist, und dass die Arbeiterinnen ziemlich schnell, die Männchen sogar sehr schnell, die fruchtbaren Weibehen aber sehr langsam gehen. 1) „Insect Life“ II (1889) S. 106. 2) Exodus VII—XI. 3) Ernest Andre, „Species des Hymenopteres composant le groupe des formieides (1881—83), S. 333 (Arbeiterin), S. 338 (fruchtbares Weibchen), S 342 (Männchen), 948 Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise. Die Pharao- Ameise kommt nur sporadisch in Europa vor, scheint aber allmählich ihr Verbreitungsgebiet auszudehnen. Es scheint, dass sie sich erst seit etwa 40 Jahren in Europa gezeigt hat. Aus der Thatsache, dass sie in unserem Weltteil sporadisch und in sehr weit auseinander gelegenen Ortschaften vorkommt, lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, dass sie aus einer andern Gegend im- portiert worden ist. Und die andere Thatsache, dass sie in den Tropen sehr viel (u. a. Niederl. Ost-Indien, St. Helena, Sid-Amerika) vorkommt, in den Ländern der gemäßigten Zone bloß innerhalb der Häuser lebt, gibt Veranlassung zu denken, dass sie aus den wärmeren Gegenden herrührt. Linne, der erste, der die Pharao-Ameise er- wähnt, meldet Egypten als Wohnort. E. Andre!) nennt als das Vaterland der Pharao-Ameise: „Algerie, Palestine et les regions tropi- cales et subtropicales du monde entier“. Allein Andre nennt hier „das Vaterland“ die Länder, welche sollten heißen: „das gegenwärtige Verbreitungsgebiet“; es lässt sich gar nicht denken, dass irgend welche Tierart ursprünglich soweit von einander entfernte und gar nicht zu- sammenhängende Teile des Erdbodens bewohnen würde, wie alle tropischen und subtropischen Länder der ganzen Welt! Es können sich die Pharao-Ameisen später über alle diese Gegenden verbreitet haben, allein das ursprüngliche Verbreitungsgebiet war zweifelsohne ein mehr beschränktes. Andre schreibt weiter: „Cette espece cosmopolite, qui vit le plus souvent dans les maisons et dans les fissures des murailles, s’est acclimatee dans quelques grandes villes, telles que Paris, Lyon, Londres, Copenhague, Hamburg ete.“. Im der „Eneyklopädie“ von Chenu findet sich die Mitteilung, die Pharao-Ameise komme in London und in Brigthon vor. In einem Aufsatze des berühmten Amerikanischen Entomologen Riley wird gesagt, dass man „the little red ant“ früher allgemein für ein Insekt Nordamerikanischen Ursprungs hielt, aber dass sie sei eine „of the household pests, which we seem to owe to the older civilisation of Europa“. Jedenfalls ist, nach Riley, die kleine Ameise jetzt in den großen Städten Europas eine gleich große Plage wie in Amerika. Dass in letztgenanntem Weltteile diese Ameise vielfach vorkommt, erhellt auch aus den Schriften anderer Amerika- nischer Entomologen, z. B. aus dem Buche von Clarence M. Weed?), der gleichfalls sagt, sie sei europäischen Ursprungs. Aus den obenerwähnten Mitteilungen erhellt zur Genüge, dass die Pharao-Ameise sich jetzt — vielleicht mit alleiniger Ausnahme der kalten Zone — über die ganze Welt verbreitet hat; dass sie aber in den meisten Gegenden und Ortschaften nur sporadisch vorkommt. Man kann nicht sagen, wo denn ihr eigentliches Vaterland liege. Mit Schiffen, vielleicht noch in anderer Weise, ist sie von der einen Stadt 1) id. $. 334, % 2) „Insect Life“, II. 3) Cl. Weed, „Insects and Insectieides*, S. 275. Ritzema Bos, Die Pharao- Ameise. 249 in die andere, von dem einen Lande in das andere verbreitet worden, hat sie sogar Ozeane übersegelt. In Europa hat man gelegentlich die Meinung geäußert, wir dankten die lästige kleine Ameise der neuen Welt; und diese beschuldigt „unseren Kontinent, den alten“, er habe die Hausplage gezüchtet und gehegt. Es geht mit der Pharao-Ameise nicht anders wie mit vielen andern Insektenarten, die allmählich sich über die ganze Welt verbreiteten und also wahre Kosmopoliten wurden: die eine Nation beschuldigt die andere des Frevels, dass sie auf ihrem Boden die Missetäter großgebracht habe. So geht es mit der Hessischen Fliege (Cecidomyia destructor Say), mit der in den letzten Jahrzehnten in Europa sowie in Amerika im Mehl so schädlich gewordenen Eyhestia Kühniella, ınit den Hausgrillen (Gryllus domesticeus) sowie mit den Schaben. Der wissenschaftliche Speeiesname der Küchenschabe Peri- planeta orientalis deutet auf das Morgenland, als Ursprung dieses Tieres, hin; und jedenfalls lässt sich aus der Lebensweise herleiten, dass es in wärmeren Gegenden zu Hause ist. In Europa aber sehen mehrere Völker ihre Nachbarn als diejenigen an, denen sie die unwill- kommene Gabe verdanken. Carl Vogt sagt mit seinem eigentüm- lichen Witze, der bekanntlich diejenigen gar nicht spart, welche nicht mit ihm derselben Meinung sind: „Die Russen nennen sie „Preußen* und sind fest überzeugt, dass die germanische Rasse der slavischen durch Ueberlassung dieser Schmarotzer einen Schabernack hat anthun wollen; — die biederen Tyroler, welchen die Glaubenseinheit so sehr an das Herz gewachsen ist, dass sie vor Allem den katholischen Glauben als Bedingung zur Berechtigung des Aufenthaltes in ihrem Lande verlangen, nennen sie Russen, und halten sie wahrscheinlich für geheime Sendlinge der ketzerischen griechischen Propaganda, — und die übrigen deutschen Volksstämme nennen sie „Schwaben“, als wenn die gemütlichen Träger der Reichssturmfahne neben andern Wohlthaten auch diese dem gemeinsamen deutschen Vaterlande er- wiesen hätten“ }). Die Pharao- Ameise ist zwar eine kosmopolitisch gewordene Art, die auch in der gemäßigten Zone sehr wohl leben kann, aber ihre tropische Herkunft deutlich dadurch zur Schau trägt, dass sie in den Ortschaften dieser Zone immer innerhalb der Häuser, oder jedenfalls an gegen die Kälte genügend geschützten Stellen ihre Nester baut. Es wird aus meinen weiteren Mitteilungen sich ergeben, dass sogar gewöhnlich sehr warme Stellen von ihr als Aufenthaltsorte, nament- lieh auch für den Nestbau, ausgewählt werden. Es ist der Pharao- Ameise ganz wie den Schaben ergangen, die in der gemäßigten Zone immer noch die warmen Stellen bevorzugen. Zweifellos sind öfter diese Ameisen, ganz wie die Schaben, mit Schiffen von der einen Ortschaft in die andere transportiert worden. Sie können ja mit Brod, 1) Carl Vogt, „Vorlesungen über nützliche und schädliche, verkannte und verleumdete Tiere“. Leipzig 1864. 250 Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise Zwieback, Mehl, mit Zucker und süßen Südfrüchten, mit geräuchertem Fleische und Speck, mit Stockfisch und vielen anderen Waaren, an Stellen, wo sie vielfach vorkommen, eingeschifft werden; auch werden sie in anderen Orten mit den betreffenden Esswaaren leicht wieder entschifft. Es kann also der Transport der Pharao-Ameisen aus der einen Stadt in die andere, ja aus dem einen Lande resp. Weltteile in das andere, leicht stattfinden. Es muss dabei aber noch Folgendes bemerkt werden. Die Ameisen, welche bei weitem am meisten in den Häusern sich finden, sind Arbeiterinnen; und weil diese immer steril sind, so kann der Transport der betreffenden Ameisenart in andere Ortschaften bloß dann geschehen, wenn nicht nur Arbeiterinnen sondern auch befruchtete Weibehen resp. Weibehen und Männchen, mit dem Schiffe, dem Zuge u. s. w. mitgeführt werden. Die Ameisenstaaten unseres Klimas enthalten bloß an einer bestimmten Jahreszeit, und zwar im Sommer, fruchtbare Individuen. Die ursprünglich tropische Pharao-Ameise scheint sich bei uns anders zu verhalten; den Beobach- tungen Bellevoye’s zufolge, finden sich die Weibehen dieser Art hauptsächlich im Herbste. Wenn einmal in der einen oder andern Stadt ein Nest von Pharao- Ameisen vorhanden ist, so kann die Verbreitung dieser Hausplage in andere Häuser derselben Stadt nicht ausbleiben; denn in der Zeit, wo geflügelte Fortpflanzungsameisen sich finden, verlassen diese das Nest und verbreiten sich an günstigen Tagen bisweilen bis m weite Ent- fernung; und die Arbeiterinnen, welche später die inzwischen befruch- teten Weibehen aufsuchen und mit sich führen, gründen mit den Weibehen neue Kolonien an Orten, welche sich für die Kolonisation eignen. Weil in Leeuwarden die Ameisenplage sich über zwei aneinander srenzende Gebäude ausbreitete, so lag die Vermutung nahe, dass diese beiden Häuser ihre Plagegeister aus derselben Quelle empfingen. Als ich untersuchte, in welchen Zimmern der beiden Häuser die Ameisen in größter Anzahl sich befanden, erhielt ich folgendes Resultat. 1) Im Allgemeinen wurden am meisten von den Ameisen diejenigen Zimmer besucht, wo regelmäßig Speisen aufbewahrt wurden. 2) Die sehr kühlen Teile der Häuser, wo die Sonne nicht hineinscheint (zunächst die Keller) blieben ganz oder fast ganz frei. 3) Ceteris paribus hatten diejenigen Zimmer am meisten von der Ameisenplage zu leiden, welche am nächsten an einer angrenzenden Bäckerei liegen. Die letzterwähnte Thatsache weckte bei mir die Vermutung, dass das Nest, aus dem die Ameisen in die beiden Gebäude zogen, sich unterhalb des Fußbodens der Bäckerei oder wenigstens in der Nähe derselben befinden müsse. Diese Vermutung wurde auch gestützt durch die Thatsache, dass die Bewohner des neben dem Postgebäude liegenden Hauses 14 Jahre lang gelebt hatten ohne von den Ameisen geplagt zu werden, während erst Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise, al einige Zeit nachdem — vor etwa zwei Jahren — die Bäckerei da- selbst gebaut worden war, die kleinen Insekten in dem betreffenden Hause sich zeigten. — Anfänglich schien mir aber eine Thatsache gegen die Vermutung zu streiten, dass das Ameisennest sich unter dem Boden der Bäckerei oder in deren Nähe befände: die Thatsache, dass das Brod des betreffenden Bäckers niemals eine einzige Ameise enthielt. Meine Untersuchung der Bäckerei ergab auch, dass diese vollkommen ameisenfrei war, so dass ich sogar auf den Korinthen und Rosinen, welche sich daselbst befanden, keine einzige Ameise entdecken konnte. In der Wohnung des Bäckers aber, namentlich in einem Speiseschrank, fand ich Ameisen, obgleich in weit geringerer Anzahl als in ähnlichen Lokalitäten der Wohnung des Herrn Post- direktors und des angrenzenden Privathauses, welche aber auch der Bäckerei weit näher lagen als die Wohnstube und der Speiseschrank des Bäckers. Es braucht aber, bei weiterer Erwägung, die Thatsache, dass die Bäckerei selbst ameisenfrei war, die Annahme, dass das Ameisennest sich unterhalb dieser Bäckerei oder in unmittelbarer Nähe ‚derselben finde, nieht zu vernichten. Die aus tropischen oder subtropischen Ländern herstammende Pharao-Ameise muss ja in der gemäßigten Zone am besten an solchen Orten gedeihen, wo es im Winter sowie im Sommer warm ist. Zweifelsohne muss sie ihren Wohnsitz gern in der Nähe einer Bäckerei aufschlagen, gewöhnlich unterhalb des Bretter- bodens oder hinter einer Wand, aber jedenfalls von der Wärmequelle soweit entfernt, dass ihr die Teinperatur auch wieder nicht zu hoch wird. In der Bäckerei selbst aber herrscht eine mehr als tropische Hitze: eine Temperatur, die den Ameisen zu hoch ist; sie ziehen also aus ihrem Neste nicht in die Bäckerei selbst, sondern sie kommen erst in einer Entfernung, wo die Temperatur weniger hoch ist, zum Vor- schein. In angrenzenden Wohnungen, auch in den weiter entfernten Teilen der Wohnung des Bäckers, fühlen sie sich behaglich, auch in der kälteren Jahreszeit, wenigstens insofern die betreffenden Räume geheizt werden. Zwar finde ich in keinem Buche ausdrücklich erwähnt, dass die Pharao-Ameise in den Ländern der gemäßigten Zone fast immer die Nähe von Bäckereien sucht; es liegt aber, meiner Meinung nach, in der Natur der Sache, dass dem so ist. Von Hausgrillen und Schaben weiß man ja, dass sie dasselbe thun, und von Periplaneta americanı ist bekannt, dass sie auf Schiffen die Nähe der Maschinenräume sucht. Unter den ziemlich wenigen in Büchern und Zeitschriften ver- zeichneten Fällen des Vorkommens der Pharao-Ameise in Europa, finde ich wenigstens zwei, wo das Auftreten der Plage in der Nähe einer Bäckerei ausdrücklich, aber unabsichtlich, erwähnt wird; und ich selbst kann jetzt infolge der von mir angestellten Untersuchung, noch drei Fälle hinzufügen. 252 Ritzema Bos, Die Pharao- Ameise. 1) Bis jetzt war in den Niederlanden die Pharao-Ameise nur noch zweimal entdeckt worden, und zwar in Amsterdam und Haag. In Amsterdam war es in der Nähe einer Bäckerei!). 2) Erst nachdem ich meine Untersuchung in loco zu Ende geführt und einen ausführlichen Rapport an Sr. Excellenz den Minister von „Waterstaat“ u. s. w. eingereicht hatte, las ich den Aufsatz von Bellevoye?). Er sagt ungefähr Folgendes: „Voriges Jahr... kam ich nach Reims, und in den Appartements, die ich dort in der Rue Talleyrand bewohnte, fand ich in einem Schrank zusammen mit einer großen Anzahl von Arbeiterinnen, ein halbes Dutzend Weibchen und zwei Männchen von Monomorium Pharconis; von den Weibehen waren zwei Stück geflügelt. Ich freute mich, die beiden Geschlechter zu finden, und beschloss ... . das Nest zu suchen. Während des Winters sah ich wenige Arbeiterinnen in dem Speisezimmer umherlaufen, aber es war Nichts da, welches mir einen Fingerzeig gab betreffs der Lage des Nestes; und bis Mitte des Sommers kam mir keine einzige Fort- pflanzungsameise zu Gesicht, obgleich die Arbeiterinnen stets zahl- reicher wurden. Wo musste das Nest gesucht werden? ..... Ameisen bewegten sich in großer Anzahl auf dem Boden hin und her, wo sie sich mit den Brosamen nährten, die vom Tische fielen; nachher be- gaben sie sich nach einer Seite des Zimmers, wo im Bretterboden ziemlich große Risse waren. In diese Risse verschwanden die Ameisen, und sie kamen bloß um Nahrung aufzunehmen zurück. Mein Nachbar hat seinen Backofen an jener Seite, und er kennt zur Genüge diese kleinen Ameisen mit ihrem feinen Geschmack für Fleisch und Zucker- waaren. ... Die Nähe eines Bäckerladens verleiht mir den Genuss, von Schaben besucht zu werden .,„ die wenn ich sie nicht wegfinge, sogleich von den Ameisen angefallen werden würden. 3) In Leeuwarden begegnete ich einem in dem heimgesuchten Gebäude beschäftigten Telegraphisten; dieser Herr machte mir die Mitteilung: er habe früher in der Stadt Deventer in einem neben einer Bäckerei gelegenen Hause gewohnt, wo dieselbe Ameisen- plage herrschte wie im Post- und Telegraphgebäude in Leeuwarden. (Es sei mir vergönnt, hier die Bemerkung zu machen, dass auch für einen Laien eine Verwechslung der Pharao-Ameise mit irgend welcher andern, ursprünglich einheimischen Art nicht möglich ist.) 4) Ein anderer Herr, der in demselben Telegraphenbureau in Leeuwarden arbeitete, meldete mir, ein ihm sehr gut bekannter Vieh- arzt, der in der Schrans (einer Vorstadt von Leeuwarden) wohnte, habe ein Haus verlassen, weil dieselben kleinen Ameisen ihm den 1) „Tydschrift voor Entomologie“, Bd. XXX, S. 197. 2) „Annales de la Societ& entomologique de France“, Serie VI, Vol. VII, 1888, Trimestre, 4ieme, p. CLXXVII-CLXXXI, Ritzema Bos, Die Pharao- Ameise. 55 Aufenthalt in dieser Wohnung unmöglich machten. Letztere grenzte an die Wohnung eines Bäckers. 5) in dem Laden des Bäckers, dessen Haus ich untersuchte, be- gegnete mir ein zweiter Leeuwarder Bäcker, der seinen Kollegen folgenderweise anredete: „Ihre Bäckerei ist noch eine neue; deshalb sehen Sie bei Ihnen noch nicht viele Ameisen; später werden Sie deren wohl mehr bekommen“. Aus diesen Worten meine ich herleiten zu können, dass die Bäcker in Leeuwarden sehr gut wissen, dass ihre Bäckereien die Wohnsitze der kleinen Ameisen sind. Die obenerwähnten 'Thatsachen gaben mir, glaube ich, das hecht, auszusprechen, dass man unterhalb des Bodens der Bäckerei oder in dessen unmittelbarer Nähe das Ameisennest suchen müsse. Es waı mir sehr angenehm, als mir später Sr. Excellenz der Minister schrieb, man habe meinen Rat befolgt und wirklich in der Bäckerei ein Ameisennest gefunden; weil aber die Insekten sich auch nach der Zerstörung dieses Nestes an verschiedenen Stellen in großer Anzahl zeigten, so dachte man, es fänden sich bei dem Bäcker noch andere Nester. Aus obigen Mitteilungen ergibt sich, dass die Pharao-Ameise jeden- falls in Leeuwarden ziemlich allgemein in den Häusern der Bäcker und in nächster Nähe derselben vorkommt. Vielleicht wird man bei fortgesetzter Untersuchung sehen, dass dieses auch in andern Städten Mitteleuropas der Fall ist. — Den Mitteilungen Bellevoye’s zufolge finden sich geflügelte Fortpflanzungstiere (Männchen und Weibchen) vom Ende des Sommers bis in den Herbst, und die ihrer Flügel be- raubten Weibehen sieht man bis im Dezember umherspazieren. Bis 15. September hatte der französische Entomologe weder Männchen noch Weibehen in seiner Wohnung beobachtet; dann fing er an, anstatt des gewöhnlichen trockenen Köders, Stückchen Ochsenleber anzuwenden, um die Ameisen zu locken. Er legte einige Stückchen Leber von 5 bis 6 em im Durchschnitt auf ein Stück Papier nieder, und drei- bis viermal pro Tag schüttelte er das Papier in eine Sammeldose aus. So fing er täglich große Massen Arbeiterinnen, bald aber auch einige Männehen und Weibchen. Nach acht Tagen hatte er 20 Weibchen und 8 Männchen gefangen. Vom 16. September bis 9. Oktober fing er 131 Weibchen und 60 Männchen (also ungefähr 3 Männchen und 6 Weibehen pro Tag); vom 10. bis 15. Oktober 269 Weibehen und 90 Männchen (also 54 Weibehen und 18 Männchen täglich); dann nahm die Anzahl der Fortpflanzungstiere wieder ab, so dass Bellevoye vom 15. bis 25. Oktober 159 Weibchen und 74 Männchen fing (d. h. 16 Weibchen und 7 Männchen pro Tag). Im November fing Belle- voye gar keine Männchen mehr, wohl aber noch Weibchen, und zwar vom 1. November bis 6. Dezember 203 Stück, also etwas weniger als 254 Ritzema Bos, Die Pharao - Ameise. 6b Exemplare täglich. Geflügelte Ameisen fand er gar nieht mehr im November und Dezember. Aus obigen Mitteilungen ersieht man, dass eine passive Verbreitung der Pharao-Ameise vom September ab bis in den Winter stattfinden kann; denn in dieser Zeit gibt es Fortpflanzungsindividuen, und diese können, wenn sie sich auf Speisen befinden, die in Wagen, Schiffe oder Eisenbahnwaggons geladen werden, sehr leicht überallhin trans- portiert werden, sogar bis in einen anderen Weltteil, wo sie eine neue Kolonie bilden können. Eine mehr aktive Verbreitung kann bloß im den Monaten statt- finden, wo man geflügelte Tiere antrifft, wahrscheinlich nur im Sep- tember und Oktober. Es können dann die Fortpflanzungsindividuen ausfliegen, und es werden nachher befruchtete Weibchen von Arbei- terinnen aufgesucht um sie zur Gründung einer neuen Kolonie zu ver- wenden. Die Verbreitung der Pharao-Ameisen innerhalb einer Stadt, wo sie sich einmal genistet hatten, kann also sowohl eine aktive wie eine passive sein. Was die Nahrung betrifft, welche die Pharao-Ameisen zu sich nehmen, bemerke ich Folgendes. Sie fressen fast alle möglichen Speisen: rohes, gekochtes und geräuchertes Fleisch, Knochenstückchen, an denen etwas Fett festgeklebt ist, Speck, Fett, frische und getrock- nete Fische, Brod, Zucker, Chokolade und Zuckersachen, getrocknete Früchte, namentlich süße (Rosinen und Korinthen, Pflaumen), gekochte Kartoffeln und Gemüse. Kurz und gut, sie fressen alles essbare, mit alleiniger Ausnahme der Butter. Weiter verzehren sie lebendige und tote Insekten: Bellevoye sah sie lebendige Schaben angreifen und fressen, auch nährte er sie mit toten Fliegen und Spinnen. Weil die Ameisen zwar mit ihren kräftigen Oberkiefern die Sub- stanzen, welche sie fressen wollen, zermalmen, aber mit ihren zarten, in die Länge gewachsenen Unterkiefern bloß weiche resp. flüssige Substanzen in den Darm aufnehmen können, so versteht es sich, dass sie am liebsten Stoffe als Nahrung aufnehmen, die nicht zu hart und trocken sind. Es versteht sich, dass die kleinen Ameisen nur äußerst geringe Quantitäten aufnehmen, und bloß die Anwesenheit von Tausenden Ameisen ist Ursache, dass man jedenfalls nach einigen Tagen sehen kann, dass die niedergelegte Beute kleiner wird. Niemals beobachtet man, dass die Arbeiterinnen etwas mit sich in das Nest nehmen. Doch sind sie es, welche die Larven mit Nahrung versehen. Zweifelsohne nähren sie ihre Pflegekinder mit Flüssigkeiten, welche sie aus ihrem Magen herauswürgen. E. Andr&') sagt von der Pharao-Ameise: „Elle cause souvent de grands dommages en perforant les meubles et les boiseries pour 1) E. Andr6, „Species des Hymenopteres composant le groupe des ' formieides“. Ritzema Bos, Futteränderung bei einem Laufkäfer. 259 y etablir ses galeries“. Mehrere ältere und neuere Autoren melden dasselbe. Snellenvan Vollenhoven!) z.B. sagt: dass die Pharao- Ameisen „in den Häusern außerordentlich viel Schaden verursachen, indem sie das Holz der Möbel aushöhlen. In Schränken und Tafeln bohren sie Gänge, welche 2 em weit sind, ohne dabei die Oberfläche zu berühren, und nagen sich endlich einen großen Hohlraum aus, in welcher sie ihre Jungen halten“. Es scheint, dass vielfach der eine Autor dem andern nachgeschrieben hat; ich begreife sonst nicht, wie es kommt, dass so viele Autoren in denselben Fehler verfallen. Ich habe die Häuser, welche in Leeu- warden von den Ameisen heimgesucht wurden, gewissenhaft unter- sucht; ich habe aber nicht ein einziges Mal konstatieren können, dass diese Insekten in Balken, Pfosten, Brettern oder Möbeln sich einfräßen. Uebrigens habe ich bis dreimal zehn bis zwanzig Arbeiterinnen in einen geschlossenen Raum mit einem Stückchen Holz (resp. Kiefern-, Pappeln- und Magahoniholz) zusammengebracht, und sah die Tierchen niemals in das Holz hineinnagen; auch sah ich sie niemals versuchen, einen Pfropfen aus Kork mit den Kiefern zu zerstören. Weiter kann ich hinzufügen, dass weder Bellevoye, noch Riley oder Weed erwähnen, dass die kleine Ameise Holz zerstöre. Dadurch, dass sie dies nicht thut, ist ihre Schädlichkeit weit geringer, als wenn sie sich auch dieser Frevelthat schuldig machte; doch bleibt es wahr, dass sie ganze Häuser unbewohnbar machen kann. Es ist hier wohl nicht die geeignete Stelle, weiter darauf einzu- gehen, wie man am besten die Pharao- Ameisen, welche sich einmal in einem Hause eingebürgert haben, bekämpft. Aber die Lebensart sowie die Verbreitungsweise dieser noch sehr wenig gekannten Ameisen- Art dürften Interesse genug bieten, um sie in dieser Zeitschrift einer Besprechung zu unterwerfen. Wageningen, 14. Februar 1893. Futteränderung bei einem Laufkäfer, von Dr. J. Ritzema Bos. Anschließend an meine Mitteilung über „Futteränderung bei In- sekten“ im „Biolog. Centralblatte“, Bd. VII (1887—88), S. 321—331, erlaube ich mir über den Laufkäfer Harpalus ruficornis F. folgendes zu erwähnen. Dieser Käfer ist, sowie alle Arten des Genus Harpalus De). und der Laufkäfer überhaupt, ein insektenfressendes Insekt. Als ge- legentliche oder als hauptsächliche Pflanzenfresser aus dieser Familie waren mir bisher bloß die Species der Gattungen Amara Bon. und Zabrus Clairv. bekannt geworden, und auch diese kannte ich gar 4) Snellen van Vollenhoven, „Gedaanteverwisseling en levenswyze der insecten“, S. 433. 56 Pizzighelli, Photographie. — Behrens, Tabellen. nicht als Vertilger süßer Früchte. Es wurden mir aber im Sommer des vorigen Jahres aus Kapelle bei Goes (niederl. Provinz Zeeland) 26 Stück Laufkäfer zugeschickt mit der Beischrift: diese Insekten kämen dort in einem großen Gemüsegarten in überaus großer Anzahl vor und fräßen die reifen Erdbeerfrüchte. Aus meiner Untersuchung ergab sich, dass 25 Stück der Species Harpalus ruficornis F., 1 Stück aber der Species A. aeneus F. angehörte. Von der erstgenannten Art ist mir eine merkwürdig starke Ver- mehrung schon früher bekannt geworden, aber damals war vom Pflanzenfressen nicht die Rede. Juli 1577 fanden diese Laufkäfer in der Gemeinde Lienden (Provinz Gelderland) sich in ungeheurer Masse in einem bestimmten Stücke Land. Abends zogen sie in die daselbst stehenden Häuschen der Bauernarbeiter, zu großer Last der Bewohner. Die Käfer begaben sich sogar in die Betten, und bissen die Leute heftig, wobei sie eine leichte Entzündung verursachten. Wageningen, 17. Februar 1893. G. Pizzighelli, Anleitung zur Photographie für Anfänger. 5. Auflage. Kl. 8. VIII u. 254 Stn. mit 142 Holzschnitten. Halle a 8. Wilhelm Knapp. 1893. Die Photographie findet jetzt so vielfache Anwendung bei wissenschaft- lichen Arbeiten, dass auch den Lesern dieses Blattes vielleicht mit einem Hinweis auf diese praktische und bewährte Anleitung gedient ist. Anfänger werden nach den Anweisungen des Verf. leicht die ersten Schwierigkeiten überwinden, während Geübtere wohl zu dem größeren „Handbuch“ desselben Verfassers oder zu besonderen Werken, z. B. über Mikrophotographie, werden greifen müssen. B. Wilhelm Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikrosko- pischen Arbeiten. 2., neu bearbeitete Auflage. Braunschweig, Harald Bruhn, 1892, 8°, 205 Stn. Diese Tabellen sind schon in ihrer ersten Gestalt ein so nützliches Hand- buch gewesen, dass es kaum nötig erscheint, sie von neuem zu empfehlen. Nun ist ihre Zahl von 54 auf 76 vermehrt worden und der Herausgeber ist bei der großen Arbeit, alles Wichtige auf den mannigfaltigen Gebieten der mikro- skopischen Technik auszusondern und zusammenzutragen, von solchen Autori- täten wie die Herren Flemming, Schiefferdeeker und Wichmann unter- stützt worden. Besonders hervorzuheben scheinen zwei neue Tabellen: Botanische und mineralogische, mikrochemische Reaktionen. Es ist nur zu bedauern, dass es dem Herausgeber nicht möglich war, genügendes Material zu einer ähnlichen für den Zoologen zu finden. Vielleicht wird eine spätere Auflage auch eine solche und noch eine Ähnliche für die menschliche Pathologie enthalten. W.' Berichtigung. Auf S. 192 Zeile 8 (Biol. Centralbl. Nr. 6) muss es heißen: Eeiton statt Dorylus. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.- Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegebeu von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XI. Band. 15. Mai 1893. Nr. 9u. 10. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie (4. Stück). — Bokorny, Die Vakuolenwand der Pflanzenzellen. — Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau. — Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. — Brauer, Zur Kenntnis der Herkunft des Uentrosomas. — v. Wagner, Einige Be- merkungen über das Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. — Drieseh, Zur Theorie der tierischen Formbildung. — List, Zur Entwicklungsgeschichte von Pseudalius inflewus Duj. — Capparelli, Methode zur Aufbewahrung des Pankreas und zur Zubereitung des pankreatischen Saftes. — Delage, Ueber die Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Abhandlungen. Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie. Von Dr. Robert Keller in Winterthur. (Viertes Stück). VI. Mineralische Nährstoffe. In der Verteilung der Caleium- und Magnesiumsalze im Pflanzen- körper zeigt sich ein auffallender Unterschied. In den Getreidekörnern z. B. findet man im Mittel im 100 Teilen Asche 11,43 Magnesia und nur 2,7 Kalk; im Stroh dagegen 2,7 Magnesia und 7,2 Kalk; in den Blättern der Bohnen 4,38 proz. Magnesia auf 21,26 Kalk, in den Samen 6,95 Magnesia auf 3,65 Kalk. Auch gegenüber den Wurzeln ist der Kalkgehalt der Blätter ein sehr bedeutender. In den kübenblättern ist das Verhältnis zwischen Magnesia und Kalk 1:14, in den Wurzeln aber nur 1:2,5; in den Kartoffelblättern 1:6,1; m den Knollen 1:0,6; ebenso ist der Kalkgehalt der Blüten em ungleich niedrigerer im Ver- hältnis zur Magnesia als der Blätter; z. B. in den Hopfenblüten 4,5 Teile Magnesia auf 9,50 Teile Kalk, in den Blättern aber auf 4,84 Teile Magnesia 30,75 Teile Kalk. Es zeigt sich die Zunahme der Magnesia in den Samen nament- lich in einem Vergleiche mit Holz. Im Weißtannensamen finden sich auf 1,54 Teile Kalk 16,79 Teile Magnesia, im Holze aber auf 33,04 Kalk nur 7,17 Teile Magnesia. Besonders auffällig tritt das auch durch Ver- gleichung zweier Buchenindividuen hervor — 150 Jahre alte Stämme — von denen das eine reichlich Samen getragen, das andere 2 Jahre vor der Samenbildung gefällt war. Die Holzproben wurden in Zonen von je 30 Jahresringen separat untersucht. XII. 17 258 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Prozente in der Asche im Stamme der Samenbuche der Kontrolbuche u TE Rinde» = 2 9s.N 7285,08 2,60 32,10 3,65 Amel ee nser 38,92 12,65 27,69 29,25 Zone]: 82.2... 234,18 Ute) 3:52 26,72 Aone Dil 7 27.2.2209 7485,98 12:45 883.09 20,89 Zone IV Uran. 27,59 19,02 Kernholz-Zone V y 9396 13,36 31,21 11,00 Solche konsequente Verschiedenheit der Verteilung des Caleiums und der Magnesia erhebt die Ansicht über allen Zweifel, dass den beiderlei Salzen im Pflanzenkörper durchaus verschiedene Bedeutung zukommen muss. Beide sind für die Entwicklung der Pflanzen unbedingt nötig. Kulturen von Maiskeimlingen, die in kalkfreier Nährlösung gezogen wurden, kamen bald zum Stillstande. Ein Zusatz von Caleiumnitrat ließ) aus den welk gewordenen Spitzen nach wenigen Stunden frische grüne Triebe entstehen. Die Stärkeleitung gelangt zum Stocken, wenn den Keimpflanzen Kalksalze fehlen. Es steht also die Funktion der- selben mit der Verarbeitung der Kohlehydrate im engsten Zusammen- hang. Vergleichende Untersuchungen über die schädigende Wirkung des Entzuges verschiedener Nährsalze lehren, dass der Mangel an Kalksalzen sich für die Pflanze viel schneller fühlbar macht, als der Mangel an andern notwendigen Verbindungen. Ohne Kalkzufuhr lebt z. B. eine Maispflanze nur 1 Monat, ohne Magnesiumsalze, Stiekstoff- verbindungen, Kaliumsalze, Phosphate betrug die Lebensdauer 2 bis 5 Monate. Die Frage, welche besondere Bedeutung die Kalksalze für den Stärketransport haben, beantwortet Verf. in folgender Weise: „Der Stärketransport ist allerdings nur in Form von Glykose möglich, allein (damit die Stärke verzuckert wird, sind eben gewisse Verbindungen erforderlich, z. B. die Bildung von Diastase und hier ist es, wo eine wenn auch indirekte Funktion von Kalksalzen zu suchen ist. Schimper sieht, wie wir im einem früheren Referate zeigten, die Bedeutung der Kalksalze ausschließlich darin, dass durch sie die häufig in den Pflanzen entstandene giftige Oxalsäure gebunden und in unlösliehem Zustand übergeführt wird. Dass aber damit die ganze physiologische Bedeu- tung der Kalksalze erschöpft wäre, ist schon deshalb nicht anzunehmen, weil neutrale Oxalsäuresalze nicht ausnahmslos als Gifte wirken. Pilze vertragen dieselben. Gegen Algen aber, welche sonst vielfach schädlichen Wirkungen gegenüber größere Widerstandsfähigkeit zeigen als Phanerogamen, sind sie ebenfalls giftig. Diese Verschiedenheit zwischen Pilzen und Algen wird durch den Chlorophylikörper bedingt. Bei Spirogyra bewirkt z. B. eime 2proz. neutrale Kaliumoxalatlösung Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 259 eine Verquellung des Chlorophylikörpers, nachdem vorher der Kern eine Kontraktion erfuhr. Ganz ähnliehes war auch bei andern Algen zu beobachten. Ebenso beobachtete Verf. bei Phanerogamen, dass unter der Einwirkung von 2proz. Lösung von neutralem Kaliumoxalat der Zellkern eine starke Kontraktion erfährt. Dabei wird er trübe und verliert seine scharfen Konturen. Weinsaures und schwefelsaures Kalium üben solche Wirkung nieht aus. Dass das Cytoplasma aber nieht direkt dureh das Oxalat angegriffen wird, sondern erst in Folge des Todes des Kernes und der Chlorophylikörper, wird daraus wahr- scheinlich, dass die Plasmaströmungen in Wurzelhaaren von Chara auch in 0,2proz. Lösungen von oxalsaurem Kali stundenlang fort- dauern. So ist also die giftige Wirkung der Oxalsäure nach Verf. darauf zurückzuführen, dass Caleiumverbindungen einen wichtigen Anteil am Aufbau des Chlorophyllkörpers und des Zellkernes nehmen. Wird durch das Eindringen des löslichen Oxalates diesen Organoiden das Caleium entzogen, dann ändern sie ihr Quellungsvermögen. „Die damit herbeigeführte Strukturstörung bedingt auch die Umlagerung aus dem aktiven in den passiven Zustand*. So wird es verständlich, dass auch jene Pflanzen, welche keine Oxalsäure erzeugen, Caleiumsalze zu ihrem Gedeihen nötig haben. Ist eine protoplasmatische Caleinmverbindung für den Chlorophylikörper wesentlich, dann verstehen wir leicht, dass, wie aus den oben mitgeteilten Zahlen ersichtlich ist, die Blätter dureh besonders großen Galeiumgehalt ausgezeichnet sind. Analysen von albikaten Blättern ließen diese als die caleiumärmern im Vergleiche mit den grünen Blättern erkennen. Auch das Verhalten der Zellen zu freier Oxalsäure glaubt Verf. als Beweis für seine Ansicht, dass „eine Caleiumverbindung des aktiven Nukleins die Gerüstebildung des Kernes bildet“, deuten zu sollen. So beobachtete er, „dass nach fünf Tagen Aufenthalt von einigen Fäden der Spirogyra majuscula in 500 eem einer Lösung von 0,0001 proz. freier Oxalsäure in den meisten Zellen eine bedeutende Schädigung eingetreten war“. Der Kern war geschrumpft, der zierlich gezackte Rand des Chlorophyllibandes verquollen. Das Cytoplasma aber war noch lebend. Bildet ein Caleiumeiweiß einen wesentlichen Anteil an der Konsti- tution des Zellkernes und der Chloroplasten, dann ist aueh die Ab- hängigkeit des Stärketrausportes von der Gegenwart der Kalksalze verständlich. „Es fehlt entweder an Diastase zur Verzuekerung der Stärke oder es fehlt an der Bildung einer normalen Anzahl von Leuko- plasten oder Chlorophylikörpern behufs Rückverwandlung des gebildeten Zuckers in Stärkemehl an den Stellen, wohin das letztere transportiert werden soll“. Wie bei Amöben so wird wahrscheinlich auch bei den Pflanzenzellen die Bildung des Enzyms vom Kerne bedingt sein. Ist der Kern wegen Mangel an Kalk nieht mehr normal, daun kann die 17 = 260 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Distasebildung unterbleiben. Mangelnder Kalk wird aber auch einen ungünstigen Einfluss auf die Ausbildung der Leukoplasten und des Chlorophylikörpers ausüben. Die Umwandlung des Zuckers in Stärke wird also gehemmt, ja völlig verunmöglicht sein können. Woher kommt es nun, dass bei gewissen physiologischen Funk- tionen Magnesiumsalze die Caleiumsalze nicht zu vertreten vermögen? Beide Gruppen unterscheiden sich vor allem durch den Unter- schied in der Dissoziierbarkeit. Magnesia als schwächere Basis denn Kalk trennt sich von Säuren viel leichter als dieser. Kann nun z.B. bei der Assimilation von N aus dem Nitrate die aus dem Magnesium- nitrate freiwerdende Säure nicht sofort nach dem Freiwerden zur Eiweiß- bildung verwertet werden, dann kann sie leicht den Tod der Zelle herbeiführen. In der That sind die Magnesiumsalze durch eine auf- fallend schädliche Wirkung auf die Pflanzenzellen ausgezeichnet. „In einer 1 pro mille Lösung von Magnesiumsulfat sterben Spiro- eyren nach 4—5 Tagen, während sie in ebenso starken Lösungen von Caleium-, Kalium- und Natriumsulfat lange am Leben bleiben. In einer 1proz. Lösung von Magnesiumnitrat sterben kleinere Spirogyren nach 6—12 Stunden, während sie sich in ebenso starken Lösungen von Caleium-, Kalium- und Natriumnitrat lange Zeit wohl betinden“. Selbst bei starken Verdünnungen zeigt sich die schädliche Wirkung. „Fäden von Spirogyra majuscula wurden einerseits in eine Lösung von 0,2°/,, Magnesiumnitrat mit 0,02°,, Ammoniumsulfat versetzt, anderseits in eine Lösung, worin statt des Magnesiumnitrates Caleium- nitrat sich befand. Dort starben die Zellen nach 10—11 Tagen, hier blieben sie über sechs Wochen erhalten“. Das Absterben war dort weder durch Zufuhr organischer Nährstoffe noch durch Zufuhr alka- lischer Salze zu verhindern, wohl aber durch Zufuhr von Calcium- salzen. Auch bei Wurzeln von Keimlingen macht sich die schädliche Wirkung der Magnesiumsalze in auffallender Weise bemerkbar. In 0,5proz. Lösungen z. B. von Magnesiumnitrat unterblieb die Bildung von Nebenwurzeln an Keimlingen von Vieia und Pisum. Aus vielen Kulturversuchen geht hervor, dass die Pflanze zu ihrem Gedeihen der Magnesiumsalze bedarf. Wie kommt es, dass bei Aus- schluss von Caleiumsalzen sie in so schädlicher Weise wirken, dass bei Anwesenheit derselben jegliche schädigende Wirkung ausbleibt ? Die einzig mögliche Antwort auf diese Frage geht dahin, dass bei der Einwirkung von Magnesiumsalzen starker Säuren ein Austausch des Caleiums im Chlorophylikörper und im Zellkern gegen das Magne- sium statt hat. Damit wird die Gerüstsubstanz dieser Organoiden auch physikalisch verändert, indem das Quellungsvermögen wie die Festig- keit eine andere Beschaffenheit annehmen. „Dieses bringt aber eine Strukturstörung mit sich, infolge deren auch Umlagerung des aktiven Proteinstoffes zu passivem erfolgt“. In der That beobachtet man, dass auch die Einwirkung verdünnter Magnesiumsulfatlösungen den Kern Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 261 der Spirogyra-Zeilen in ganz ähnlicher Weise angreift wie die Kalium- oxalatlösung. Der Kern quillt auf. Infolge des auf die Plasmastränge entstehenden Zuges schnürt sich das Cytoplasma ein. Auch eine Ver- quellung der Chlorophylibänder tritt ein. Immerhm stellt sich die schädliche Wirkung der Magnesiumsalze ziemlich langsam ein. Bei Gegenwart von Caleiumsalzen kann dieselbe so schnell wieder aufgehoben werden, dass eine bleibende Schädigung nicht eintritt. „Sind genügende Mengen von Caleiumsalzen in der Lösung vorhanden, so kann nach dem Gesetze der Massenwirkung die umgekehrte Reaktion emtreten, d. h. das im die organisierte Kern- substanz an Stelle von Calcium getretene Magnesium. wird wieder durch Caleium ersetzt“. Sind also neben Magnesiumsalzen hinreichende Mengen von Caleiumsalzen vorhanden, dann können erstere nur ihre ernährenden Eigenschaften entfalten, die namentlich für die Assimila- tion der Phosphorsäure bei der Nuklein-, Plastin- und Leeithinbildung wiehtig sind. Es wird sich also „das schwerlösliche tertiäre Magne- siumphosphat da anhäufen, wo Nukleinbildung resp. rege Zellenbildung stattfindet. Da die Nukleinbildung ein Unlösliehwerden des (sekundären ) Magnesiumphosphates (Bildung des tertiären) bedingt, so ist es nun begreiflich, warum stets neues lösliches Magnesiumphosphat zuströmt und an den Orten regster Zellneubildung sich Magnesia und Phosphor- säure anhäufen. Es erklärt sich, warum Magnesia ebenso wie die Phosphorsäure den Eiweißstoffen folgt und warum die Samen relativ reicher an Magnesia sind als die Blätter“. Ein abweichendes Verhalten zeigen die Pilze (Spalt- und Spross- pilze).. Auch bei Ausschluss von Caleiumsalzen erwiesen sieh bei ihnen die Magnesiumsalze nieht als schädlich wirkende Stoffe. Es scheinen ihnen also wichtige ealeiumhaltige Organe zu fehlen. — Die Ergebnisse einer Reihe von Aschenanalvsen führten zu der heute wohl noch ziemlieh allgemein herrschenden Ansicht, dass vor dem herbstlichen Laubfall die nutzbaren Stoffe, wie die Kohlenhydrate, Eiweißsubstanzen, Phosphorsäureverbindungen und Kalisalze, in die ausdauernden Teile der Holzpflanzen zurückwandern. Wehmer hält dafür, dass ein derartiger Vorgang a priori nieht gerade als wahrscheinlich bezeichnet werden könne. Wohl haben die Stoffe die Fähigkeit innerhalb der Pflanze zu wandern. Doch es be- darf einer auslösenden Kraft, als welche für gewöhnlich der Stoff- konsum oder die Stoffumwandlung wirkt. „Ursache und Richtung der Stoffwanderung wird durch diese bestimmt und so ergibt sieh auch die Forderung, dass wenn im Herbste eine Rückleitung gewisser Ver- bindungen stattfindet, hier notwendig innerhalb der perennierenden Teile Prozesse verlaufen müssen, die als Ursache dieser Erscheinungen anzusehen sind“. Solche eine Rückwanderung bedingenden Vorgänge in den Axen sind num nicht bekannt und nicht wahrscheinlich. Denn wie dem Abfall der Blätter eine Stagnation im Umsatze vorangeht, 262 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. so wird die tiefere Temperatur auch den Stoffwechsel m den Axen herabsetzen. Und da im übrigen eine reichliche Ansammlung aller Stoffe in jenen bereits anzunehmen, so scheint der bisher auch noch nicht gemachte Versuch, die plötzliche Emwanderung der Blattinhalts- stoffe kausal aufzuklären, wenig dankbar zu sein. Im weitern hält Verf. dafür, dass man einzelne Beobachtungen nicht zu schnell weder für die eine noch andere Ansicht verallge- meimern darf. Der Laubtall ist keine bei allen unseren sommergrünen Gewächsen gleichzeitig auftretende Erscheinung, sondern er erstreckt sich mehr oder weniger weit in den Sommer hinein. Dem Abfall geht in der Regel das Absterben voran. Dass aber das Abwerfen ein Vorgang für sich ist, welcher auch das lebende Organ treffen kann, geht daraus hervor, dass die Lockerung des Zusammenhanges zwischen Blatt und Zweig oft frühzeitig eintritt und doch das Blatt noch wochenlang fortlebt. So konnte denn Verf. an den gefallenen Blättern verschiedener Bäume und Sträucher konstatieren, dass sie „nicht allein turgeszent und lebend waren, sondern in ihren Zellen gleichfalls den offenbar intakten Inhalt mit Chlorophylikörnern, Stärke ete. führten“. Im allgemeinen aber beobachtet man allerdings, dass der Zellinhalt nieht mehr mtakt ist. Mit Recht betont aber Verf., dass wenn sich auch z. B. eine Ver- flüssigung bestimmter Stoffe mikroskopisch nachweisen lasse, die mikro- skopische Untersuchung über die Masse der auswandernden, bezw. zurückbleibenden Materie keinen Aufschluss gibt. Unter den neuern Aschenanalysen sind hauptsächlich diejenigen Rissmüller’s stets als die die Wanderung der Kali- und Phosphor- salze beweisenden angeführt worden. Verf. gibt für Buchenblätter an Kali Phosphorsäure Main a 7 32a der Asche 21,27°/, der Asche JURTE N A e ee Sn n ln Ba > DANN H INUSUSIH SE. en OL er, 5 4,93 er x September. 23: 2..u10,93, => 2 4:24. ,085 R Dkiober.euu. Aula 5 Be De A Novemberas.. na ma. £ 1.03% 5 Wehmer weist nun darauf hin, dass diese Verschiedenheit in der prozentischen Aschenzusammensetzung wesentlich dem Umstand zuzu- schreiben sein dürfte, dass eben die ältern Blätter viel reicher an Kieselsäure und Kalk sind als die jüngern. Selbst wenn sich also die Mengen von Kali und Phosphorsäure in den Blättern gleich blieben, würde die Prozentbereehnung eine scheinbare Abnahme ergeben. Die absoluten Zahlen zeigen, dass während der Vegetationsperiode der Gehalt der Blätter an Kali und Phosphorsäure bis in den September Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 265 annähernd konstant bleibt. Später findet em Rückgang statt. Tote Blätter können aber für den Nachweis der Wanderung nicht in Rück- sicht kommen. 1000 Blätter der Buche enthalten an Kali an Phosphorsäure EN ale kg Men TE 0.5358 UNI a are 2, 51:20; 0,46 . Ball Swan Een 28 0,565, BEA USLIStE ar ee 9 0,06 „ „septemberu., 122 2... LI, 0,45 „ MOktobers sea 20:87, ; 0.30 November 2 2.2. 0,74% Dar Mit des Verf. Beobachtung, dass auch lebende Herbstblätter mit reichem und scheinbar wunverändertem Inhalte abgeworfen werden können, stimmen Aschenanalysen von Buchenblättern, die Dulk ver- öffentlichte, überein. Diese zeigten sogar den Maximalgehalt an Phosphor- säure im Oktober, nämlich 0,441 & in 1000 Blättern und der Phosphor- säuregehalt von Novemberblättern war ebenso groß wie in Maiblättern und größer als im Juni-, Juli- und Septemberblättern. Es sprechen also diese hesultate entschieden gegen eme Rückwanderung. Stellen wir nun diesen Blattanalysen die Holzanalysen gegenüber. Zunächst zeigt sich auch hier, dass die prozentischen Zahlen für Kali und Phosphorsäure während der Vegetationsperiode beständig abnehmen, während namentlich Kalk zunimmt. Em deutliches Bild «eben also auch hier erst die absoluten Zahlen. Für die Rinde der kosskastanie ergab sich folgendes: 45,15 & enthielten im Frühjahr Kali 0,2444 & Phosphor 0,0869 & 98, „ „Herbst“. „ 0,4279% F 0,1316, Berechnet man den Kali, bezw. Phosphorgehalt auf das gleiche Rinden- gewicht, dann ergäbe sich, dass die Frühjahrsrinde nicht nur nieht ärmer an den Stoffen ist, die nach der herrschenden Meinung aus den Blättern in die Axen wandern, sondern sogar etwas reicher. Die analoge Untersuchung für das Holz ergab: Frühjahr auf 73,1 & Herbst auf 102 g SE A 0,3832 0,2210 Ehospkor "2% 0,1266 0,2738 Hieraus ergibt sich, dass der Kaligehalt im Frühjahrholz erheb- lich größer als im Herbstholz ist, von einer im Herbst aus den Blät- tern in die Axen vor sich gehenden Einwanderung also nicht die Rede sein kann, wogegen allerdings im vorligenden Falle der Phosphor- gehalt des Herbstholzes größer ist als der des Frühjahrsholzes. Dass aber dieses Resultat in individuellen Zufälligkeiten begründet ist, dürften folgende Zahlen ergeben: 264 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Frühjahr in 116,25 & Herbst in 200 & 60 Zweigstücke S2 Zweigstücke Kalle. 3: 8 0.6276 8 0.0489 & Phosphor «===: #..: 024133, 0,4054 „ Dieser umfassendere Versuch, welcher die medividuellen Ungleich- heiten fast völlig verwischen muss, zeigt, dass von einer nennenswerten Zunahme des Phosphors in den Axenteilen nicht gesprochen werden kann, dass also eine Zuwanderung in diese nieht stattfindet. VI. Widerstandsfähigkeit gegen Austrocknen. Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass Samen, welche während kürzerer Zeit gequollen, also aus dem Stadium der Ruhe in den Zustand der Lebensthätigkeit eingetreten sind, ihre Keimkraft nicht unbedingt einbüßen, wenn sie hierauf wieder getrocknet, also von neuem im den ruhenden Zustand übergeführt werden. Weniger Erfahrung hat man aber darüber, ob auch die Keimpflanzen ohne Nachteil em solches Wiedertrocknen zu ertragen vermögen. In seiner oben zitierten Abhandlung legt Bonnier folgende Versuchsergebnisse hierüber vor. Einer ersten Versuchsreihe diente Korn. 40 Körner, die während 24 Stunden im Wasser quollen, wurden bei 35° ausgetrocknet bis sieh kein Gewichtsverlust mehr zeigte. Bei einer Temperatur von 15—20° ließ man dieselben nachher keimen. Alle 40 Körner hatten ihre Keim- fähigkeit bewahrt. Die aus ihnen entstehenden Pflanzen zeigten ein durchaus normales Aussehen. Von 40 andern Körnern, die bei 55° getrocknet worden, nachdem sie 24 Stunden gequollen, hatten dagegen 28 Körner ihre Keimfähigkeit verloren. 12 Samen keimten. Die ent- stehenden Pflanzen waren aber schwächlich und ?, derselben gingen bald zu Grunde. SO Körner ließ Verf. während 2 Tagen keimen. Das Würzelchen war ausgetreten. Die Hälfte derselben wurde bei 35°, die andere bei s5° getrocknet. Von ersteren entwickelten sich 34 und erzeugten srade so kräftige Pflanzen wie normale Samen. Die bei der höhern Temperatur getrockneten Pflänzehen hatten ihre Entwicklungsfähigkeit völlig eingebüßt. Keimlinge von 3 Tagen wurde in gleicher Zahl gleich behandelt. Die 40 Individuen, welehe bei 85° getrocknet wurden, gingen wieder alle zu Grunde. Von der andern bei 35° getrockneten Hälfte lebten 28 wieder auf. Die Pflanzen, zu denen sie sieh entwickelten, waren weniger kräftig, als die aus normalen Samen hervorgegangenen, Fünf Exemplare gingen später zu Grunde. Von 4 Tage alten Keimen gingen wieder die bei 85° getrockneten hin. Vom Reste keimten 21 von den 40 bei 35° getrockneten Indi- viduen. Die meisten waren aber kränkelnd und 12 starben bald ab. Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 26 Aus diesen Versuchen geht also hervor, dass Keimpflänzehen von Korn getrocknet, in ihrem Lebensprozesse unterbrochen werden können, ohne ihre Keimfähigkeit, den Zustand aktiven Lebens not- wendig einzubüßen. Man sieht allerdings im weitern, dass nur dann ihr Leben gleichsam im einen latenten Zustand übergeführt werden kann, wenn das Keimpflänzehen in sehr jugendlichem Zustande sich befindet und wenn die Temperatur, bei welcher das Austrocknen er- folgte, eine mäßige ist. Etwas anders war das Verhalten von gekeimten Bohnen. Verf. ließ einige derselben während S—14 Tagen bei 14° keimen, hierauf wurden sie bei 35° getrocknet, und zwar die emen während eimes Tages, die andern bis sich wiederum kein Gewichtsverlust beim längern Trocknen herausstellte. Nur die erstern büßten ihre Keimfähickeit nicht ein, gingen also in einen latenten Zustand über, während die andern getötet wurden. Eine andere Bohnenart wurde zu einer dritten Versuchsreihe be- nutzt. Verf. trocknete die Individuen, welche während 2 Tagen ge- keimt hatten bei verschiedenen Temperaturen, bei 20°, 35°, 55° und 85° und untersuchte an mikroskopischen Schnitten, ob der verschiedene Grad der Volumenverminderung, der in Folge des ungleiehen Ein- trocknens zu konstatieren war, alle Organoide des Keimlings in gleichem Maße betraf, oder ob diese ein verschiedenes Verhalten zeigten. Verf. konnte so, namentlich durch Vergleich der Extreme, feststellen, dass das Austrocknen des Protoplasmas relativ stärker ist, als der Häute, der Stärke und Aleuronkörner. Diese Verschiedenheiten zeigten sich auch Reagentien gegenüber. Während das Verhalten der Stärkekörner der bei 20° und bei 80° getrockneten gekeimten Samen heagentien gegenüber das gleiche war, zeigte das Protoplasma weitgehendste Verschiedenheit. Anilinviolett und Karmin färbten das Protoplasma der bei 85° getrockneten Keime intensiv, ersteres das Plasma der bei 20° getrockneten sehr schwach, Karmin nicht. So wird also die Möglichkeit in einen latenten Zustand überzu- gehen und aus diesem wieder aufzuleben, hauptsächlich vom Wasser des Protoplasmas abhängen. VII. Verhalten gegen Gifte. Die Untersuchung über die Emwirkung von Metallsalzen und Säuren auf die Keimfähigkeit der Sporen parasitischer Pilze hat nieht nur theoretischen Wert. Sie ist geeignet uns im Kampfe gegen die unseren Kulturen schädlichen Pilze eine nieht unwichtige Waffe in die Hand zu geben. Es sind denn auch aus diesem Grunde, namentlich seit die großen Erfolge der Bekämpfung der Peronospora viticola, des soge- nannten falschen Mehltaues mit Kupfervitriolpräparaten bekannt ge- worden sind, diese Untersuchungen von verschiedenen Physiologen auf 256 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. genommen worden. Wüthrich wählte zu seinen Versuchen Phytoph- thora infestans, Peronospora viticola, Ustilagineen, Uredineen und Claviceps purpurea. Die wichtigsten Resultate sind folgende. Die Sporen verschie- dener Pilze zeigen den Lösungen von Metallsalzen, beziehungs- weise Säuren gegenüber einen verschiedenen Grad der Widerstands- fähigkeit. Die Empfindlichkeit entspricht für des Verf. Versuchsobjekte folgender heihe: Conidien der P. viticola, Conidien von Ph. infestans, Aeeidium-Sporen von Puceinia graminis, Conidien von Olaviceps pur- purea, Sporen von Ustilago Carbo und Uredo-Sporen von Puceinia gramımıs. So verhinderte z. B. eine Lösung von 124 Gewichtsteilen Kupfer- vitriol in 10000000 Gew. Wasser die Keimung, resp. Sporenbildung bei P_ viticola; bei Ph. infestans war das Verhältnis der gleich wirken- den Lösuug 124: 100000, ebenso bei Puceinia graminis, bei Olaviceps purpurea, bei Ustilago Carbo 124: 100000, ebenso bei Uredo-Sporen von Puceinia graminis. Die Gegenwart von Nährsalzen erhöht bisweilen die Widerstands- fähigkeit. So musste z. B. die Kupfervitriollösung auf 124: 10000 ge- bracht werden um die Keimung der Sporen von Ustilago Carbo zu verhindern. In andern Fällen zeigt sich eine ähnliche Wirkung je- doeh nicht. Nieht jeder Salzlösung gegenüber ist die Empfindlichkeit der oben angegebenen heihe entsprechend. Es kann also einem bestimmten chemischen Körper gegenüber die eine Art empfindlicher sem als man nach dem Verhalten der Sporen einer andern Art erwarten sollte. Was die schädliche Wirkung betrifft, so kann sie der wasser- entziehenden Eigenschaft der Lösung zugeschrieben werden müssen. Werden z. B. Uredo-Sporen von P. graminis in eine hinreichend kon- zentrierte Kalisalpeterlösung gebracht (101:1000), dann keimen sie nicht. Sie werden aber nicht getötet. Denn bringt man sie in verdünntere Lösungen oder in reines Wasser, dann keimen sie. Dieser wasserentziehenden Einwirkung der Salzlösung stehen jene andern Fälle entgegen, bei welchen mit dieser Wirkung eine eigent- liche Giftwirkung verbunden ist. Die Giftwirkung ist wohl stets darauf zurückzuführen, dass die schädlich wirkende Substanz in den Sporen- inhalt eindringt. Die Plasmamembran wird diesem Eindringen einen Widerstand entgegenstellen, so lange sie im ihrer molekularen Zu- sammensetzung keine. Aenderung erfährt. Chemische Reaktionen, die namentlich zum Nachweis des allfällig aufgenommenen Eisen- oder Kupfervitriols ausgeführt wurden, bestätigten diese Annahme. IX. Adaption. Seit Schwendener’s klassischer Untersuchung über das mecha- nische Schutzgewebe wissen wir, dass die Anordnung der mechanischen Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 267 Gewebeelemente in hohem Maße den mechanischen Anforderungen angepasst ist. In welcher Weise eine vermehrte Inanspruchnahme die Festigkeit von Pflanzenteilen beeinflusst, wurde auf Veranlassung Pfeffer’s von k. Hegler experimentell untersucht. „Die Prüfung dieser Frage ergab, dass ein mechanischer Zug eine sehr erhebliche Zunahme der Festigkeit veranlasst, und zwar indem in den wachsenden oder noch bildungsfähigen Teilen insbesondere die vorhandenen mecha- nisch - wirksamen Elementarorgane an Wanddicke und Zahl gewinnen oder auch indem bis dahin fehlende Gewebe hinzugefügt werden“. Wurde z. B. das Hypokotyl von Helianthus-Keimlingen mit 150 g belastet — bei einer Belastung von 160 & zerriss dasselbe — dann vermochte es schon nach 2 Tagen 250 & zu tragen; nach einem folgen- den Tage konnte die Belastung auf 300 & gesteigert werden und wieder nach einigen Tagen auf 400 &. Die Tragfestigkeit von Blatt- stielen von Hellebor:s niger, deren Zerreissungsfähigkeit bei ungefähr 400 & lag, konnte sogar auf 3'/, Kilogramm gesteigert werden, während zugleich die Festigkeit der nicht beschwerten Elemente in dieser Zeit nur unmerklich stieg. Die Wirkung dieser Belastung zeigt sich gewöhnlich in erster Linie am Collenehym, das in auffälliger Weise zunimmt. Das Auftreten neuer Elemente war an Helleborus niger zu be- obachten. Die normal fehlenden Bastfasern traten bei starker Be- lastung so stark auf, „dass sie mächtige Sieheln um den Weichbast bilden“. Der Zug verlangsamt das Längswachstum. Dasselbe erscheint aber nur so lange gehemmt als der Zug anhält. „Die Wachstums- hemmung fällt also zusammen mit einer Störung Be Gleichgewichts- zustandes, ebenso wie die mechanische Verstärkung, welche durch jede Zugsteigerung in eimem unbekannten Verhältnis (natürlich in endlichen Grenzen) weiter bis zu Erreichung des neuen Gleichgewiehts- zustandes gesteigert wird“. Trotz dieser Korrelation sind aber Wachstumshemmung und mecha- nische Verstärkung 2 verschiedene Reize, indem die beiden Effekte nicht notwendig zusammenfallen. W a nen ohne Zug- steigerung führen nicht zur Ausbildung mechanisch- wirksamer Ele- mente. Hegler’s Beobachtung ist also ein treffliches Beispiel der zweck- entsprechenden Selbstregulation im Organismus, der seine Teile dem Gebrauche entsprechend ausbildet. Diese selbstregulierende Wirkung des Gebrauches bedingt auch, dass in gewaltsam gekrümmten Sprossen nur die konvexe, also die unter vermehrte Zugspannung gesetzte Sprosshälfte, eine analoge Ver- stärkung der Festigungselemente erfährt, wie die nichtgekrümmte Axe unter der Wirkung eines Längszuges. 268 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. X. Atavismus. Im Jahre 1578 beobachtete Heinricher an den Blüten eines Stockes der Jrrs pallida einen innern Staminalkreis, der teils in ein- zelnen Gliedern, teils auch in voller Zahl vorhanden war. Diese Rück- schlagserschemung, welche die Blüten den Ahnen unserer heutigen Irideen nahe bringt, trat bald in Form vollkommen ausgebildeter Staubgefäße, bald auch in Form von Staminodien oder Carpiden auf. Während einer keihe von Jahren studierte Verf. an diesem Stammstocke die Rück- schlagserschemung, namentlich aber auch die Vererbung des Rück- schlages auf seme Descendenten. Die elfjährige Beobachtung «des Stammstockes führte zu folgenden Ergebnissen. Der Rückschlag tritt Jahr für Jahr auf, bald so stark, dass «ie Mehrheit der Blüten atavistisch ist (bis 70°/,),. bald so, dass nur etwa !/,, der Blüten diesen Rückschlag zeigt. Bald äußert er sich im Auftreten 1, doch auch der 3 Glieder «des theoretisch geforderten Staminalkreises. Die Gestalt, m welcher die Glieder auftreten, ist bereits erwähnt worden und es mag hier nur noch die Bemerkung beigefügt werden, dass wenn die Glieder des inneren Kreises in Form von Fruchtblättern erscheinen, „die den überzähligen Frucht- blättern entsprechenden Fächer des Fruchtknotens vollkommen ent- wiekelte Samen liefern können.“ Die Rückschlagsbildung ist bisweilen init andern Blütenanomalien verbunden, z. B. werden die Kreise zwei- zählige. Diese letztere Anomalie kann auch für sich allein auftreten, ebenso die Vierzähligkeit der Kreise. Die Vererbung des Rückschlages des Deszendenten der ersten Genera- tion wurde an 3 Kulturen beobachtet. Das 4jährige Mittel betrug in der einen Kultur 2,0°/, (Grenzwerte 1,6 und 4,3%/,); das 7 jährige Mittel in der andern 23,6%, mit den Grenzwerten 2,5°, und 37°/, und in der Kultur 31,7°/, mit den Grenzwerten 14,5%, und 55°,. Ueber die Vererbung in der 2. Generation liegen bis jetzt 2 Beobachtungen vor. Im emen Fall traf der Rückschlag 60°/, der Blüten, im andern I Die Rückschlagserscheinung ist also durch Samen vererbbar und zwa zeigte sich die Vererbung mit Samen, welche von Blüten A die den Rückschlag im graduell dehr verschiedenem Maße gezeigt haben. In 2 Kulturen war der mittlere Prozentsatz der Rückschlags- erscheinung der Blüten größer als am Stammstock (18,3°/,). Es hat den Anscheim, als ob die atavistischen Blüten in der 2. Generation noch häufiger auftreten als in der ersten. Wenn wir uns jedoch vergegen- wärtigen, dass in der Häufigkeit der Blüten mit Rückschlag am gleichen Individuum sehr bedeutende Schwankungen auftreten, sowerden wir aller- dings mit Verf. die Beobachtungszeit der 2. Generation des Stammstockes für nieht hinreichend lang bezeiehnen können, um diesen Schluss als sicheren erschemen zu lassen. Die Schwankungen scheinen eine ge- Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. 269 wisse Periodizität zu zeigen in dem Sinne, dass sich eine Zunahme der atavistischen Blüten zeigt, bis eine gewisse Höhe erreicht ist. Hierauf sinkt ihre Zahl, um nachher wieder zu steigen. Nicht unwesentlich ist die Beobachtung, dass dieses Steigen und Fallen nieht bei allen Stöcken gleichsinnig ist. So fällt z. B. mit dem Maximum der ata- vistischen Blüten der einen Kultur im Jahre 1885 das Minimum in der andern zusammen. Im folgenden Jahre ist das Verhältnis nahezu das umgekehrte. Es geht hieraus hervor, „dass das Auftreten von Blüten, welche Glieder des innern Staubblattkreises enthalten, nicht etwa von klimatischen und Standortsverhältnissen abhängig ist, welche ja für alle Kulturen die gleichen waren, sondern dass dasselbe wesentlich durch innere Ursachen bedingt ist“. Diese Beobachtung spricht dafür, dass die wahrgenommenen Bildungsabweichungen in der That als atavistische zu bezeichnen sind. Die hückschlagsenergie ist an den Deszendenten in ähnlicher Weise eine schwankende wie am Stammstock. Es läge nahe zu glauben, dass der hückschlag an den Deszen- denten um so stärker wäre, je ausgesprochener er in der Blüte war, aus deren Samen jene hervorgingen. Die eine der 3 Kulturen erster Generation war aus Samen gezogen, die in einer Blüte mit allen drei Gliedern des innern Staubblattkreises entstanden waren. Aber gerade diese Kultur zeigte den hückschlag Jahr um Jahr erheblich schwächer als die beiden andern Generationen. Im keinem Falle erschien bei ihr der Rückschlag m Form von drei Gliedern des innern Kreises, ja nur ein einziges Mal mit zwei Gliedern. Hier trat also der Rückschlag viel schwächer auf als in der Stammblüte. In der 2. Kultur, den Deszendenten einer Blüte, welche em Glied des innern Stammalkreises in Karpidengestalt entwickelt hatte, war dagegen die atavistische Neigung entschieden stärker entwickelt. Gab es hier doch Blüten, welche alle drei Glieder entwickelten. Die Individuen der 3. Kultur sind die Abkömmlinge einer Blüte, welche ein einziges, schwach ent- wickeltes, staminodiales Glied des innern Staminalkreises enthielt. Nicht nur treten in dieser Kultur die atavistischen Blüten am häufigsten auf, sondern viele Blüten besitzen alle drei Glieder. Wie ist diese eigentümliche Erscheinung zu erklären? Hein- richer glaubt, dass sich m den Blüten der Deszendenten auch der Einfluss der Blüte geltend mache, welche den Pollen lieferte. Ueber den Grad desselben vermag er aber keine bestimmten Anhaltspunkte zu geben. Nieht mehr befremdend ist das Ergebnis der größern Rückschlagsenergie bei Deszendenten, wenn wir des Vorhandenseins latenter Anlagen gedenken. „Denn latent war die Anlage dieser Glieder, oder besser, latent war die Disposition zur Ausbildung dieser Glieder, gewiss auch im der Stammblüte vorhanden. Ebenso mag auch die Thatsache, dass die Glieder des innern Stamimalkreises an den deszendenten Pflanzen auch in Formen auftreten, welche an der Stammblüte nicht realisiert waren, teilweise auf den väterlichen 2370 Keller, Fortschritte der Pflanzenphysiologie. Einfluss, teilweise auf das Vorhandensein latenter Anlagen im Keim- plasma der Stammblüte zurückzuführen sein.“ Im Weitern waren die Individuen der 1. und 2. Generation vom Stammstocke auch dadurch verschieden, dass die Bildungsabweichungen ihrer Blüten über die Blütenanomalien des Stammstockes hinausgingen und zwar sowohl in Verbindung mit der Rückschlagserscheinung wie ohne diese. So beobachtete Verf., um nur einige wenige Beispiele speziell anzuführen, z. B. Blüten, in welchen der äußere Staubblatt- kreis teilweise oder vollständig in Kronenblätter umgewandelt war; andere Fälle, in welchen alle Kreise 2gliederig waren, wieder andere, in welehen nur I Keleh-, 1 Kronen- und 1 Staubblatt die ganze Blüte bildete etc. Die Vergleichung der Bildungsabweichungen in jeder Kultur ließ erkennen, dass die angebornen individuellen Verschiedenheiten in dem Vorhandensein einer nach besonderer Anomalie hinzielenden Bildungstendenz zum Ausdruck kommen. So ist z. B. das spezifische Charakteristikum der einen Kultur das Auftreten von Petalen im äußern Perigonkreise; jenes einer andern Kultur das vorwiegende Auf- treten von karpidenartigen Gliedern im innern Staubblattkreis. Eine eigentümliche Korrelation zwischen der Bartbildung der Perigonblätter und der Ausbildung von Geschlechtsblättern scheint zu bestehen. Verf. drückt seine diesbezüglichen Beobachtungen in fol- gender Weise aus. Entwiekeln sich Glieder des äußern Perigonkreises blumenblattartig (bartlos), dann zeigen die auf gleichen Radien stehen- den Sexualblätter eine kümmerliche Ausbildung oder gelangen (das eine oder beide) gar nicht zur Entwicklung. Das Auftreten von Gliedern des innern Staubblattkreises beob- achtete Heinricher auch bei andern Irisarten, z. B. bei Iris germa- nica, wo die Glieder des innern Staminalkreises stets in Narbengestalt auftraten; an Jris aurea, deren innere Staubblattglieder durch ein Staminodium ete. repräsentiert schienen; an ]. tenuifolia, deren ata vistische Blüte im innern Staminalkreise ein karpidenartiges Blatt besaß. Das letzte Kapitel dieser interessanten Studie bilden eimlässliche Erörterungen zur Erklärung des Rückschlages und seiner Begleit- erscheinungen. Unter den entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen, welche dafür sprechen, dass diese innerhalb des äußern Staubgefäßkreises auf- tretenden Blattbildungen als atavistische Erscheinungen zu deuten sind, steht jene oben an, „dass bei der Entwicklung der Iridaceen- blüten der äußere Staminalkreis früher in Erscheinung tritt als der Petalenkreis.“ Dies lehrt also, dass die Iridaceenblüten in einer Phase der Rückbildung begriffen sind. Die beiden Blattkreise, welche mit dem äußern Perigonkreis und äußern Staubblattkreise alternieren, sind im Irideenkeimplasma geschwächt vorhanden. Die Schwächung ist Bokorny, Vakuolenwand der Pflanzenzellen. 211 so, dass der innere dieser beiden Kreise normal gar nicht zur Ent- wieklung kommt, der äußere ebenso abnormer Weise teilweise oder vollständig unterdrückt wird, wie der innere abnormer Weise gelegent- lich sich entwickelt, aus seinem latenten Zustande heraustritt. Dass die Vererbung für den kückschlag sprieht, wurde früher bereits betont. Wenn nun auch diese Rückschlagserscheinung ziemlich häufig mit andern Abweichungen im Blütenbau verbunden ist, so spricht dies nicht gegen jene Deutung. Auch sie smd wie die kückschlagser- scheinungen zum großen Teil vererbt. „Es weist das darauf hin, dass eine bedeutende Zahl von latenten Anlagen, seien es in Rückbildung, seien es im Entstehen begriffene, imfolge der Erschütterung der Kon- stitution des Keimplasmas Gelegenheit finden, sich zu reeller Existenz zu entfalten.“ Die einen derselben, die Vermehrung der Blätter der emzelnen Quirle, dürften als Rückschläge auf weiter zurückliegende Zustände aufzufassen sein. Als „Zukunftsbilder* dürften jene Variationen zu bezeichnen sein, die die Blüten zur dimeren umgestalten; die, worauf übrigens schon hingewiesen wurde, den innern Perigonkreis ausfallen lassen; die Formung der mehrfächen Symmetrie der Irisblüte in eine einfach symmetrische. Auch jene weitergehende Veränderung der Blüte, bei welcher die Blütenblätter in vertikaler Richtung von einander getrennt werden, die sog. Apostasis, fasst Heinricher als ererbt auf, indem er sich völlig zur Ansicht Weissmann’s bekennt, wie sie in folgendem Satze ausgesprochen ist: „Es kann nichts an einem Organismus entstehen, was nicht als Disposition in ihm vorhanden gewesen wäre, denn jede „erworbene“ Eigenschaft ist nichts als die keaktion des Organismus auf einen bestimmten Reiz.“ Nicht die bestimmte Stellung der Blätter apostatischer Blüten ist ererbt, sondern „nur die pathologische Dispo- sition zur vorzeitigen Entwicklung einzelner Glieder; die spätere Aus- gestaltung, das Wieviel und die Stellung der Phyllome, welche die Blüten schließlich bilden werden, ist von äußern Ursachen abhängig“. Die Vakuolenwand der Pflanzenzellen. Von Dr. Th. Bokorny. Es ist eine alte Frage, ob jede Vakuole in der Pflanzenzelle von einer eigenen Membran umgeben sei. Die Frage kann nieht durch direkte mikroskopische Beobachtung gelöst werden, da die optischen Unterschiede zwischen Vakuolenflüssigkeit, Grenzschicht und Plasma zu gering sind. Dagegen gibt es indirekte Mittel, jene Frage zu ent- scheiden. Man kann dureh Anwendung verschiedener Lösungen die Vakuolenwand — eine solche existiert in der That — zur Loslösung vom Plasma zwingen und sie so zur Anschauung bringen. 379 Bokorny, Vakuolenwand der Pflanzenzellen. NH. de Vries!) fand emen Weg hiezu beim Studium der Verän- derungen, welche das Protoplasma während eimes langsamen Todes erleidet. Tagelanges Verweilen von mikroskopischen Schnitten aus frischen Geweben im Lösungen indifferenter Substanzen oder der Zu- satz äußerst geringer Mengen giftiger Verbindungen, ja sogar ein langsames Erwärmen bis genau an die Temperaturgrenze des Lebens, alle diese Einflüsse machen das Protoplasma langsam sterben. Dabei verhält sich nun die Wand der Vakuolen anders, als die übrigen Teile des Protoplasmas. Denn die letzteren sterben rasch, sie sind nach häufig kurzer Zeit starr und wie geronnen, während die Wand der Vakuole noch Sekunden, ja nicht selten Tage lang in einem anschei- nend unveränderten Zustande bleibt. „Wenn man (l. e. p. 467) nun diesen Vorgang mit dem der Plas- molyse ?) verbindet und dadurch eine Verkleinerung der Vakuolen und em Zusammenziehen ihrer Wand veranlasst, so gelingt es meist leicht, diese letztere sichtbar zu machen, ja bisweilen sie völlig vom umgebenden Plasma zu isolieren. Es ist klar, dass man zu diesem Zweck sehr verschiedenartige Reagentien verwenden kann, am zweck- mäßigsten zeigte sich aber die Anwendung von Lösungen leicht diffu- sibler Salze, und zwar im einer viel stärkeren Konzentration, als zu einer normalen Plasmolyse erforderlich ist. Wenn nicht besondere Umstände anderes erheischen, benutze ich stets eine 10 prozentige Lösung von Kalisalpeter, und färbe diese mittels Bosin schwach rot, um stets auf den ersten Blick die lebendigen Plasmateile von den toten unterscheiden zu können. Denn die ersteren nehmen den Farb- stoff nicht auf, die letzteren färben sich damit dunkelrot.* „Weitaus die meisten Zellen ertragen eine plötzliche Einwirkung dieser Salpeterlösung nicht, sie fangen früher oder später an zu ster- ben; Hautschieht, Kern, Chlorophylikörper und weiches Plasma er- starren, die Wand der Vakuolen bleibt aber stundenlang frisch und gespannt und für Farbstoffe undurchlässig. Man erkennt sie dann als eine farblose Kugel mit gespannter Wand in dem vom Eosin gefärbten Zellenraume, während die übrigen Partien zusammengeschrumpft und vom Farbstoff intensiv tingiert sind.“ Vries studierte an solchen Präparaten die Eigenschaften der Vakuolenwand und benutzte als Versuchsobjekte hauptsächlich Spiro- gsyren, außerdem Epidermiszellen von Tradescantia, Parenchymzellen aus den Schuppen von Allium Cepa, Blattparenchymzellen von Vallis- neria U. 8. W. Es zeigte sich, dass überall im Pflanzenreiche die Vakuolen eine eigene Wand besitzen (von Vries auch „Tonoplast“ genant), welche 1) Plasmolytische Studien über die Wand der Vakuolen Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. XVI, Heft. 4. 2) Darunter versteht man bekanntlich die durch mehrprozentige Salzlösungen hervorgerufene Kontraktion des Plasmaschlauches. 3okorny, Vakuolenwand der Pilanzenzellen, 973 weit resistenter ist gegen verschiedene Einflüsse als das Protoplasma. Diese Resistenz „deutet auf eme größere Dichte ihrer Substanz hin und steht ohne Zweifel damit im Zusammenhang, dass jene Wand die gelösten Stoffe des Zellsaftes vom übrigen Protoplasma trennt.“ Die Wand trennt sich glatt von dem übrigen Protoplasma, stellt also eine auch auf dieser Seite scharf begrenzte Membran dar (im normalen Verband mit dem lebenden Protoplasma ist freilich diese Grenze nicht zu sehen). „Die Wand der Vakuolen (S. 537) stimmt mit den übrigen Teilen der Protoplaste, und namentlich mit der Hautschieht !) in ihren wieh- tigsten Eigenschafien derari überein, dass sie als ein eigenes, den übrigen gleichwertiges Organ angesehen werden muss.“ Beide (Hautschieht und Vakuolenwand) sind gegen gelöste Stoffe in nicht oder kaum nachweisbarem Grade permeabel und schützen dadurch die von ihnen eingeschlossenen Teile des Protoplasten in sehr wirksamer Weise gegen schädliche Einflüsse. Beide scheiden auf ihrer freien Oberfläche bestimmte Stoffe ab, sei es, dass diese im festen Zustande abgelagert werden, wie das Hauptprodukt der Hautschieht, die Zellulose, oder im NHüssigen Zustand frei werden, wie z. B. die im Zellsaft angehäuften Säuren. Beide fungieren in bestimmten Fällen (Plasmodien, zentrale Zir- kulationsbewegung) als auionomes Bewegungsorgan. Die Vakuolenwand besitzt dieselbe Beweglichkeit, dieselbe Dehn- barkeit und Elastizität und ferner dasselbe Vermögen der Teilung und Abrundung der getrennten Hälften, welche in so hohem Maße für die lebende Hautschicht charakteristisch ist. Es sterben die Vakuolenwandungen im Allgemeinen durch die- selben Ursachen wie die übrigen Teile der Protoplaste, wenn auch ihre Resistenz durchweg eine größere ist. Nach dem Tode des äußeren Plasmas wird die Vakuolenwand nicht plötzlich, sondern nur allmählich permeabel, zuerst für leichter, dann für schwerer diffusible Stoffe. Wenn sie für erstere schon in hohem Grade durchlässig ist, ist sie gewöhnlich noch relativ sehr dehnbar und osmotischer Spannung fähig. Die Zunahme der Permea- bilität beruht auf einer molekularen Veränderung, nich: auf der Ent- stehung von Rissen. Das sind die Hauptresultate der Arbeit von H. de Vries. Verf. wurde nun ebenfalls bei Gelegenheit seiner Untersuchungen über Protoplasma, die zum großen Teile gemeinschaftlich mit O. Loew und unter dem durch dessen Eiweißhypothese gegebenen Gesichts- punkte ausgeführt wurden, auf die Vakuolenwand aufmerksam als einen Teil des Protoplasınas, mit dem sich wegen seiner Resistenz bis zu einem gewissen Grade operieren lässt. Es lässt sich damit ins- besondere eine augenfällige Reaktion erzielen, und zwar durch das- 1) der äußersten Protoplasmaschicht, welche Zellulose absondert. XI. 15 TA Bokorny, Vakuolenwand der Pflanzenzellen. selbe Reagens, das von L. und Verf. in neuerer Zeit auf nichtorgani- siertes aktives Albumin angewandt wurde, durch Koffein. Eine sehr verdünnte wässerige Koffeinlösung (in der Regel wurde 0.1°/, mitunter auch noch weniger genommen) scheidet das nicht- organisierte aktive Protein aus dem flüssigen Teil des Cytoplasmas oder auch aus dem Zellsafte, wenn es darin vorkommt, aus in Form von glänzenden runden leicht zusammenfließenden Gebilden. Der Vorgang ist wohl im Wesentlichen eine Wasserausstoßung; der Pro- teinstoff, der vorher in sehr viel Wasser aufgequollen war, wird was- serärmer und verdichtet seine Substanz, wie aus der nun stärkeren Liehtbrechung hervorgeht (vermutlich findet ein Polymerisationsvor- gang statt); ein Teil des Quellungswassers wird ausgeschieden, der übrige steckt noch in den gebildeten Kugeln (letztere werden von L. und Verf. „Proteosomen“!) genannt). Die meisten Organoide nun, die ja aus organisiertem aktivem Protein bestehen, zeigen mit jener Koffemlösung manchmal ein baldiges Absterben. Die Vakuolenwand aber bleibt lange Zeit am Leben und reagiert im lebenden Zustand auf die Koffeinein- wirkung. Merkwürdigerweise tritt nun hier genau dieselbe Erschei- nung ein, wie sie de Vries mit plasmolysierenden Mitteln, also wasser- entziehenden Lösungen, beobachtet hat, nämlich Kontraktion und häufig auch Teilung der Vakuolenwand. Diese bleibt dabei oft tagelang straff gespannt und wird nur allmählich permeabler für einige schwer difftundierbare Stoffe des Zellsaftes. Doch kann natürlich 1 pro mille Koffeinlösung nicht wasserentziehend in dem Sinne wirken, wie eine lOprozentige Salpeterlösung; der Zellsaft der Pflanzenzelle ist stets durch seinen Gehalt an sauren Salzen, Zucker ete. viel stärker wasser- anziehend als eine Ipromillige Koffeinlösung; eine Zusammenschrumpfung der Vakuole durch Wasserentziehung aus der Vakuolenflüssigkeit ist hier undenkbar. Bisweilen kann man an Spirogyren die in Rede stehende Wir- kung der O.1proz. Koffeinlösung beobachten, doch nur in Ausnahms- fällen; in der Regel reagiert die Vakuolenwand der Spirogyrenzellen nicht auf den durch Koffein ausgeübten Reiz. Hingegen eignen sieh die Epidermiszellen von Primula sinensis (die rot gefärbten), ferner die Epidermiszellen der Blumenblätter von Oyelamen europaeum?) sowie von Tulipa (auch hier wählt man am besten die rot gefärbten Teile des Blattes) sehr gut zur Beobachtung der Vakuolenwandkontraktion mit O.1proz. Koffeinlösung. Kontraktion und oft auch Teilung in eine bis viele Teilvakuolen treten dort sehr bald ein; man kann die keaktion unter dem Mikroskop leicht kontinuirlich 1) Siehe auch OÖ. Loew u. Th. Bokorny, Zur Chemie der Proteosomen. Flora 1892, Beiheft, und bot. Centralblatt, 1893, Nr 6. 2) Vergl. hierüber B., „über Aggregation“, in Pringsh. Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. XX, Heft 4, Taf. XVII, Fig. 7. FIR = Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau. 2 A beobachten. Auch bei Drosera sind solche Dinge an den Zellen der Tentakel zu sehen; doch liegt hier die Verwechslung mit einer andern Erscheinung zu nahe, als dass man darau Studien machen könnte. Was zwingt nun hier die lebende Vakuolenwand, sich zu kon- trahieren? In den von Vries beschriebenen Fällen anomaler Plasmo- Ivse ist es die osmotische Wirkung der 1Oproz. Salpeterlösung, welche auf eine Verkleinerung der Vakuole und somit Kontraktion der Va- kuolenwand hinarbeitet. In unserem Falle liegt jedenfalls eine Ein- wirkung auf die Substanz der lebenden Vakuolenwand selbst vor; dieselbe reagiert mit O.lproz. Koffemlösung, ohne dabei ihr Leben einzubüßen; ihre molekulare Beschaffenheit wird etwas geändert. Die Moleküle aktiven Proteins polymerisieren sich, der Quellungsgrad wird ein geringerer, das Gesamtvolumen kleiner. Sie ist ein ge- quollenes Gebilde, welches bis zu einer gewissen Grenze Quellungs- wasser verlieren kann, ohne dadurch die lebende Eigenschaft einzu- büßen. Jene Koffeinlösung wirkt wahrscheinlich auf sie wie auf das vorgenannte nichtorganisierte aktive Protem mancher Pflanzenzellen ein, wasserabscheidend, substanzverdichtend (in dem bei Zellgebilden gebräuchlichen Sinne). Die Vakuolenwand muss sich in Folge des Wasserverlustes kontrahieren. Es kann diese Reaktion wohl mit Recht als eine Art keizwirkung aufgefasst werden; das Koffein ist dabei das Reizmittel, din Vakuolen- wand das gereizte Protoplasma. Da 0.1proz. Koffeinlösung in manchen Fällen schädlich wirkt, dürfte es geraten sein, noch verdünntere Lö- sungen anzuwenden. Man erhält ja auch mit 0.Olproz. Lösung noch deutliche keaktion. Insbesondere dürfte es beim Ssudium tierischer Objekte angebracht erscheinen, den Gehalt der Lösung an Koffein soweit als thunlich zu reduzieren. Neuere Arbeiten von F. Plateau in Gent. Es ist bekannt, wie beim Untertauchen unter Wasser die Wasser- spinne und der Taumelkäfer an den feinen Haaren des Hinterleibs, der Wasser- und der Schwimmkäfer unter ihren Flügeldecken eine Luftblase mitnehmen und dadurch zu einem Aufenthalt in einem Ele- ment befähigt werden, für welches ihr Atmungssystem nieht einge- richtet ist. In einer verdienstvollen Abhandlung!) hat nun Plateau darauf hingewiesen, dass diese eigentümliche Fähigkeit, eine Unter- tauchung schadlos zu ertragen, unter den Gliedertieren viel weiter verbreitet ist, als die Lehrbücher gemeinhin annehmen. Nach frem- den und zahlreichen eigenen Beobachtungen zählt er nicht weniger als 80 auf 46 Gattungen verteilte Arten auf, bei welchen diese merk- würdige Eigenschaft festgestellt ist. 1) Les myriopodes marins et la r&ösistance des arthropodes & respiration aerienne & la submersion. Journ. de l’Anatomie et de la Physiologie. 192 276 Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau. Da findet man zunächst am Strande von Ostende und ebenso an den sämtlichen Felsenküsten des Kanals eine zahlreiche Menge von Insekten, die beim Eintritt der Flut im ihren Schlupfwinkeln oder auf ihren Wanderungen und Raubzügen vom Wasser überrascht werden, diese Ueberflutung aber ohne Schaden aushalten und nach Eintritt der Ebbe aus ihren Höhlungen heraustreten oder die vorhin unterbrochene Bewegung wieder aufnehmen (Carabus auratus, ferner aus der Gruppe der Staphylinen Miceralymna und Diglossa, aus der Gruppe der Thy- sanuren Anurida maritima, unter den Halbflüglern Aöpophilus). Manche Käfer (Dryops und Macronychus aus der Gruppe der Hydrophiliden) findet man überhaupt fast nur im Schlamm oder Wasser, oft an Steinen oder schwimmenden Holzstückchen angeklammert; Macro- nychus lebt, dem feuchten Element entnommen, nur noch wenige Stunden. Auch aus der Klasse der Myriopoden finden wir an der schwedischen, dänischen, französischen und englischen Küste zwei Vertreter (Geophilus maritimus und Geophilus submarinus), die bei jeder Flut vom Wasser bedeckt werden. Diese Erschemung ist um so auffälliger, als die genannten Tiere nicht wie die eingangs genannten eine Luftblase mit unter Wasser nehmen. Um sie genauer zu erforschen, hat Plateau außer einer Reihe von Insekten auch zahlreiche Skopolender und Erdasseln in mit Wasser gefüllten Gefäßen untergetaucht, ihr Verhalten beobachtet und vor allem die Zeit festzustellen versucht, nach weleher bei ihnen der Tod eintrat. Im Gegensatz zur Wasserspinne u. s. w. enthalten sich die untersuchten Tiere im Wasser jeder Bewegung; sowie sie auf dem Boden des Gefäßes angelangt sind, verfallen sie in den Zustand vollständigster Unbeweglichkeit, so dass man sie für tot hält. Berührt man sie jedoch mit einem Stabe oder einem Metalldraht, so unter- nehmen sie mehr oder weniger lebhafte Bewegungen, um freilich gleich darauf wieder in die vorige Erstarrung zu versinken. Wenn man sie nach mehreren Stunden aus dem Wasser herausholt und auf Fließpapier trocknet, so erholen sie sich nach einiger Zeit vollständig. Tage lang halten sie die Untertauchung ohne Schaden an ihrem Leben aus: Laufkäfer 1'/, bis 5, Ross- und Nashornkäfer 4, Dungkäfer 2, Erdasseln 6, in einzelnen Exemplaren sogar 14 bis 15 Tage. Auch in dieser wunderbar langen Zeitdauer unterscheiden sieh die genannten Gliedertiere wesentlich von dem Schwimmkäfer u. s. w.: bei diesen trat der Tod fast immer in weniger als 24, beim Taumelkäfer schon nach 3 Stunden ein. Dieser auffällige Unterschied führt uns zu einer für die meisten Fälle ausreichenden Erklärung der Erscheinung. Die untersuchten Gliedertiere sind (mit Ausnahme des Schwimmkäfers u. s. w.) weder durch ihre Atmungswerkzeuge noch durch Mitnahme einer Luftblase zur Atmung unter Wasser befähigt; ihre völlige Unbeweglichkeit im Wasser ist es, die ihnen Widerstand verleiht. Die Käfer und Spinnen, Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau. 277 welche sich im Wasser lebhaft bethätigen, verbrauchen ihren Luft- vorrat schnell; diejenigen Tiere dagegen, welche ihre Stigmaten schließen und sich jeder Bewegung enthalten, setzen den Verbrauch an Sauerstoff auf ein Minimum herab und vermögen deshalb mit der in ihren Tracheen enthaltenen Luftmenge längere Zeit auszukommen. Schließlich bedürfen auch sie selbstverständlich der Lufterneuerung; darum bleibt das oben angegebene eigentümliche Verhalten von Macro- nychus vor der Hand noch unerklärlich. In zwei weiteren Abhandlungen '!) erörtert Plateau ein äußerst interessantes und zugleich schwieriges Thema: „die schützende Aehn- lichkeit im Tierreich“. Hierher gehörende Erscheinungen kennt man aus der Sahara, aus den tropischen Meeren, von der Insel Java in Menge; Plateau zeigt uns, wie wir ähnliche auch in unseren Gegen- den auf Schritt und Tritt beobachten können. Er weiß sehr wohl, wie schwer man sich eme Vorstellung von der Aehnlichkeit gewisser Tiere mit Blättern, Felsen oder Stämmen nach den in Sammlungen aufbewahrten oder in Büchern abgebildeten Exemplaren machen kann. Er «durchstreift darum mit uns die Küsten, die Ebenen, die Wälder, um die Tiere lebend und im ihrem eigenen Heim aufzusuchen. Zunächst führt er uns an die Felsenküste der Bretagne. An einem schönen, ruhigen Tage gleiten wir im Boote über das klare Wasser. Wir sehen den Meeresgrund mit seinen Steinen, Pflanzen und Schwämmen, entdecken aber keinen Fisch, keinen Krebs, überhaupt kein tierisches Leben. Da senkt der uns begleitende Fischer das Netz in einen Haufen Algen, und siehe! in ihm zappelt ein kleiner Fisch, die dem allbekannten Seepferdehen verwandte Seenadel. Mit der langen, bandförmigen Gestalt ihres Körpers ähnelt sie emem Stück einer Alge. Daneben finden wir eimen Tintenfisch, welcher die wun- derbare Fähigkeit besitzt, seme Farbe mit großer Schnelligkeit zu ändern. Seine Haut ist mit zusammenziehbaren Zellen versehen, die einen braunen oder violetten Farbstoff enthalten. Diese Zellen zieht er bis zu äußerst kleinen Punkten zusammen, wenn er sich über hellem Boden bewegt, und erscheint dann hell wie dieser. Auf dunklem Grunde hingegen erweitert er die Farbzellen und verschwindet aber- mals für die Wahrnehmung. Wir nehmen ein Bündel Seegras aus dem Meere und finden an ihm emen kleinen Polypen (Lucernaria), der genau so gefärbt ist wie die Pflanze, auf welcher er lebt. Wir sehen an ihm ferner mehrere Ascidien; wir nehmen sie init nach Hause und setzen sie in ein Gefäß voll Meerwasser. Zu unserem Erstaunen entdecken wir in ihnen eine kleine Schnecke ( Lamellaria perspieua), welche die Färbung der Ascidien genau nachahmt; sie I) La ressemblance protectrice chez les lepidopteres europeens. (Le naturaliste, fer nov. 1891.) — La ressemblance protectrice dans le regne animal. (Bull. de l’Acad. royale de Belgique, XXIII 89-135; 1892.) 3718 Tiebe, Neuere Arbeiten von F. Plateau. 2 erscheint gleichmäßig rot auf Leptoclinum fulgidum und chamoisgelb mit dunkleren Flecken auf Le; toclinum glutinosum; man findet sie außerdem grau mit weißen, braunen und schwarzen Flecken, wenn sie auf Granitsteinen sitzt. — Treten wir beim Zurücktreten der Flut an die am Strand liegenden großen Felsblöcke heran, so finden wir in ihren Vertiefungen Wasserlachen. Auf den ersten Blick scheinen diese ohne Leben zu sein; sehen wir aber genauer zu, dann wimmelt es von zahlreichen Tieren: da ist ein 25 mm langer Krebs durch- sichtig wie das Wasser (Mysis), da sind durchsichtige Garnelen, die manchmal mit kleinen Farbflecken gezeichnet sind und darum leicht mit Sand oder Kies verwechselt werden, da ist ein ganz kleiner Tinten- fisch, der gleichfalls die Färbung des Bodens mit dem größten Erfolge nachahmt. Fischer haben unterdessen einen Seepolyp aus einer Höh- lung, in der er verborgen war, hervorgezogen und auf den Strand geworfen. Geschickt ergreift sofort das Tier mit seinen Armen kleine Steine und häuft sie auf seinem Rücken auf; in 2 bis 3 Minuten ist es unter einem 'Trümmerhaufen verborgen, an dem man hundertmal vorübergehen würde, ohne zu vermuten, was er verbirgt. — Sich mit fremden Körpern zu bedecken ist ein Verstellungsmittel, welches von ziemlich vielen Krabbenarten gebraucht wird. Man findet diese Tiere fast immer bedeckt ınit Schwäimmen, Acidien, Büschein von Moos- tierchen und Algen; sie heften sich, einem instinktiven Bedürfnis fol- gend, diese Dinge auf die kücken- und Seitenschilder und versehwin- den dadurch für die Wahrnehmung in den Pflanzenanhäufungen auf dem Meeresgrunde. Plateau führt uns weiter in Dünenlandschaften an der belgischen Küste. Aus einem gelblichweisen Sand, der bald mit Schalentrümmern, bald mit kleinen schwärzlichen Pflanzenteilen durchsetzt ist, erhebt sich ein spärlicher Pflanzenwuchs: das Sandschilf mit blassgrünen und der Seekreuzdorn mit grauen Blättern. Zahlreiche Tagfalter und Haut- flügler durchschwirren die Luft; aber nicht sie sind es, denen unser Interesse gilt. Sie sind von den Feldern und Wiesen Flamlands ge- kommen und haben ihre Heimat nicht m der Sandwüste. Nur wenige, aber durch zahlreiche Individuen vertretene Arten sind hier einhei- misch: das wilde Kaninchen ist ebenso wie die am Boden nistenden Vögel von grauer Farbe wie der Sand; die Kreuzkröte, grau, auf der Mitte ihres Rückens mit einem gelben Bande verziert, entzieht sich den Blicken, indem sie sich mit Sand bedeckt; Käfer (Cneorrhinus albicans) zeigen die Farbe des Sandes so vollkommen, dass es große Aufmerksamkeit erfordert, will man sie überhaupt auf dem Boden wahrnehmen; Zweiflügler sind grau oder weiß gefärbt. Die Heu- schrecken der Dünen tragen bläulich-grüne Flügeldecken mit drei querverlaufenden schwarzen Flecken. In der Ruhe ahmen sie in Form und Farbe die kleinen Holzstückchen nach, die im Sand zerstreut liegen, und zwar so gut, dass man namentlich in der Nähe eines Ge- Tiebe, Neuere Arbeiten von Plateau. 279 hölzes lange nach einem Exemplar suchen kann, trotzdem mehrere vielleicht nur wenige Schritte entfernt sind. Nähert man sich den Tieren, so springen sie auf, verschwinden aber sofort wieder für unsere Wahrnehmung, wenn sie sich setzen. Aehnliche Verhältnisse finden wir bei zahlreichen Tieren des Waldes. Wer als Spaziergänger im Forst nur auf den gebahnten Wegen bleibt, der glaubt den Wald fast ganz von Tieren verlassen. Wenn man aber in das Diekicht tritt und auf die Gebüsche schlägt, (dann erheben sich Legionen von kleinen Tieren nach allen Richtungen, um plötzlich kaum 10 Schritt von dem Ort des Beobachters wieder zu verschwinden. Zum kleimen Teil nur saßen sie vorher auf der Unterseite der Blätter, dadurch unseren Blieken entzogen; größtenteils lagen sie auf der Oberseite der Blätter, auf den Zweigen, hingen an den Baumstämmen und den Grashalmen, durch ihre Form und Farbe jedoch verschwanden sie auf diesen Gegenständen für unsere Wahr- nehmung. Da sitzen auf den Blättern grüne, auf den Aesten und Zweigen bräunliche Raupen. Da finden wir auf grünen Blättern grüne Schmetterlinge aus dem Geschlecht der Eulen und Spinner (Halias ;rasinana und quercana, Earias chlorana, Luperina vireus, Geometra papalionaria, Phaloena thymiaria, Tortrix viridana), im grünen Grase srüne Heuschrecken und auf Flechten Schmetterlinge mit grünen, dunkelgefleckten Flügeln (Bryophila muralis, Moma orion, Agrotis praecox, Dichenia aprılina). Unzählig sind die Arten, welche mit ihrer braunen oder grauen Farbe kleine Holzsplitter, vertrocknete Blätter, Früchte u. s. w. nachahmen. So hat die Kupferglucke voll- ständig die Farbe trockener Eichenblätter, andere verwandte Arten diejenige von kot- und Weißbuchenblättern u. s. w.; Gonoptera lipa- trie hat das Aussehen eines halbzerfressenen und von Pilzen besetzten Blattes, viele kleine Falter ähneln Tannennadeln oder Spelzen von Gräsern. Vielfach ahmen Schmetterlinge oder deren Raupen auf blättern die Exkremente von Vögeln nach. Bei Cilix spinula, Peu- thiana ;runiana u. a. sind die oberen weißen oder grauen Flügel am Grunde mit einem dunklen Fleck versehen; werden dieselben im Ruhe- zustande um den Körper gewickelt, so bekommt das Tier eine täu- schende Aehnliehkeit mit dem Schmutz der Sperlinge. Auch unsere Tagfalter zeigen mannigfache schützende Aehnlich- keiten. Der große und der kleine Fuchs sind zwar oben ziemlich lebhaft gefärbt, aber auf der Unterseite von einem ziemlich gleieh- förmigen Dunkelbraun. Wenn sie sich ruhig an einen Zweig setzen und ihre Flügel ganz zusammenlegen, so sehen sie wie ein trockenes Blatt aus; ein geübtes Auge gehört dann dazu, sie zu erkennen. Das Tagpfauenauge setzt sich, wenn der Himmel bewölkt ist, in der Stel- lung eines abgestorbenen Blattes unter einen zurückgeneigten beblät- terten Zweig. Aehnlich verbergen sich auch die anderen Augenfalter; wir dürfen uns darum nieht wundern, dass bei bedecktem Himmel 280 Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. Schmetterlinge fast gar nicht gesehen werden. Der Aurorafalter trägt auf der Unterseite seiner Flügel grüne sehr zerteilte Flecken und gewinnt dadurch im Zustande der Unbeweglichkeit das Aussehen des spärlichen Laubes der Schafgarbe, des Schaumkrautes und der Doldenpflanzen unserer Wiesen. Der Zitronenfalter stellt mit der Unterseite seiner Flügel ein mehr oder weniger gelbliches Blatt dar; auch wird er in sitzendem Zustande in den weitaus meisten Fällen auf gelblichen Blättern von Klee, Bohne u. s. w. gefunden. Die Feder- inotte endlich ahmt mit ihren zersehlitzten Flügeln die gestielte, mit einer Federkrone verzierte Frucht von Kompositen nach. So sehen wir im der That, dass auch in unseren Gegenden zahl- reiche Tierarten leben, welche in Gestalt oder Farbe große Aehnlieh- keit mit anderen Naturgegenständen zeigen und dank dieser Eigen- schaft sieherlich in vielen Fällen den Blieken ihrer Feinde entgehen. Man muss sich jedoch hüten, diese Nachahmung als von den betreffen- den Tieren aus Zweckmäßigkeitsgründen beabsichtigt, als das Resultat einer von den Tieren angestellten verständigen Ueberlegung anzusehen. Wenn Krabben sich Algen u. s. w. auf den kücken haften, so thun sie dies rein instinktiv; setzt man sie nach einer gründlichen Säuberung ihres Panzers in ein Bassin mit Wasser, welches nur Strohhalme und Papierstückehen enthält, so bemutzen sie auch diese, ohne zu bedenken, dass sie durch die entstehende Bedeckung leichter sichtbar werden, als ohne dieselbe. Darum ist auch der Ausdruck „schützende Aehn- liehkeit“ sinngemäßer und bezeichnender als „Nachahmung“. Die Tiere, welehe Pflanzen und Pflanzenteilen u. dergl. ähneln, haben im Kampfe ums Dasein unzweifelhaft den Vorzug vor anderen, die durch Farbe und Gestalt auffallen; während diese ihren Feinden erliegen, entgehen jene vielfach den Nachstellnngen. Die schützende Aehnlieh- keit ist also eime dureh natürliche Auslese zu erklärende Eigenschaft. Tiebe (Stettin). Neues über die Nester der Ameisen. Forel, Die Nester der Ameisen. Neujahrsblatt, herausgegeben von der naturforschenden Gesellschaft zu Zürich auf das Jahr 1893. Mit 2 Tafeln, Möller, Die Pilzgärten einiger südamerikanischer Ameisen. Botanische Mitteilungen aus den Tropen, herausg. v. Schimper, Heft 6, 1893. Mit 7 Tafeln. Unter Zugrundelegung der m seinem klassischen Werke „Les Fourmis de la Suisse“ benutzten Eimteilung gibt Forel im Neujahrs- blatt der Züricher naturforschonden Gesellschaft eine vergleichende Zusammenstellung der Nestbauten in- und ausländischer Ameisen, das bisher hierüber bekannt gewordene mit neuen eigenen Untersuchungen zu einem übersiehtlichen Ganzen vereinigend. Es finden sich innerhalb dieser Insektenfamilie die verschiedensten Stufen von den eimfachsten Anfängen bis zu höchster Vervollkommnung des Kunsttriebes vertreten und die grosse Manmnigfaltigkeit der zum Nestbau verwendeten Stoffe Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. 281 „UI lässt die Formen noch vielgestaltiger erscheinen. Was den Bau der Ameisennester von demjenigen der Bienen- und Wespennester unter- scheidet, ist der Mangel einer starren, schablonenmäßigen Symmetrie in der Anlage der Bauten sowie die Fähigkeit vieler Arten, sich den Verhältnissen leicht anzubequemen und die Form des Nestes dem ent- sprechend zu ändern. Die gleiche Art wohnt z. B., wie Forel bereits in seinen „Fourmis de la Suisse“ bemerkt, in den Alpen unter Steinen, die ihr die Sonnenstrahlen auffangen, im Wald in warmen morschen Baumstrünken, auf einer fetten Wiese in erhabenen kegelförmigen Erd- bauten. Eine streng einzuhaltende Eimteilung der Nester nach Form oder Baumaterial ist daher nicht durchzuführen, doch kann man im allgemeinen nach dem verwendeten Material Erd-, Holz-, Karton- und gesponnene Nester unterscheiden, ausserdem aber finden sich ver- schiedenartige kombinierte Bauten. Bei der Rteichaltigkeit des Inhalts kann hier im speziellen auf die Besprechung der einzelnen Kapitel von Forel’s Werk nicht näher eingegangen werden; der Referent be- schränkt sich darauf, mit einigen Worten über die neueren mikrosko- pischen Untersuchungen des Verfassers an Karton- und gesponnenen Nestern zu berichten. Forel bestätigt die Vermutung Meinert's, dass die Oberkieferdrüsen (die Wolff m seiner Arbeit über das hiech- organ der Biene irrtümlich als Riechschleimdrüsen deutete) das Sekret liefern, mit welchem gewisse Ameisenarten Pflanzenteilchen, Holzstaub, Erdpartikelchen und dergleichen zur Herstellung der kartonartigen Nestbauten verkitten und welches, in Fäden ausgezogen, bei anderen Arten zu den Gespinsten erstarrt. Eime vergleichende Untersuchung der Karton- und Gespinstnester lässt erkennen, wie die phylogenetische Entwicklung aus dem Kitt der ersteren allmählich die Gespinstfäden der letzteren hat hervorgehen lassen. Der Karton des einheimischen Lasius fuliginosus Latr. ist sehr reich an Holzmehl oder Erdteilchen und recht arm an Kitt, daher sehr brüchig. Indem von anderen Ameisen- arten fein zerkleinerte Pflanzenstoffe mit dem reichlicher abgesonderten Drüsenkitt gründlich verarbeitet werden, entsteht eine Masse, die der- Jenigen, welche unsere gemeine Wespe herstellt, sehr ähnlich ist. Dies ist z. B. der Fall bei Dolichoderus bituberculatus Mayr aus Bangkok, während die Nester des südeuropäischen Liometopum microcephalum Pr. und mehrere Crematogasterarten verschiedene Uebergangsstufen dar- stellen. Anderseits führt eine Reihe von Zwischenformen von den ähnlich wie Phryganidengehäuse aussehenden, aus zusammengespon- nenen Stein- und Pflanzenstückchen hergestellten Nestern der zeylo- nesischen Polyrhachis jerdoni Forel hinüber zu den mit reinem, dem Raupen- oder Spinnengewebe gleichenden Seidengespinst austapezierten Nestern ostindischer Polyrhachis- Arten und der im tropischen Asien und Afrika häufigen Oecophylla smaragdina Fabr. Ueber die Nester der blattschneidenden oder Schlepperameisen Siidamerikas (Atfa Fabr.) sowie zweier verwandten Gattungen sind 282 Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. durch Möller in Brasilien sorgfältige Untersuchungen angestellt wor- den, die zu sehr bemerkenswerten Resultaten geführt haben. Durch Möller’s Forschungen wurde die Vermutung von Thomas Belt be- stätigt, dass die abgeschnittenen Blattstücke von den Atta- Arten zu dem Zwecke ins Nest getragen werden, um dort als Nährboden für Pilze zu dienen, und dass diese Pilze die Nahrung der Ameisen sind. Die Untersuchungen haben aber weiter noch zu dem überraschenden Ergebnis geführt, dass die Ameisen nicht beliebige Teile des Pilz- myeeliums fressen, sondern dass infolge einer in den Ameisennestern vor sich gegangenen Züchtung an dem Pilzmycel eigentümliche, bei anderen Pilzarten nicht vorkommende Körperchen sich ausbilden, die das eigentliche Futter der Ameisen darstellen. Während A. coronata in der Erde im größerer oder geringerer Tiefe sieh selbst verschiedene Kammern von 2—5 dm Durchmesser gräbt, welche dureh 2,5 em breite Gänge miteinander im Verbindung stehen, benutzen A. diseigera und hystrix zur Anlage des Nestes einen bereits vorhandenen, in der Regel mehr oder weniger dicht unter der Erdoberfläche gelegenen Hohlraum, welcher von ihnen, soweit er nieht schon durch morsche Baumstämme, Steine u. dergl. überdacht ist, mit einer diehten Deeke von Blattstückehen versehen wird; bei diesen beiden letzteren Arten besteht das Nest stets nur aus einer Kammer. Untersucht man das Innere der Nester, so findet man bei sämtlichen Arten in der Mitte eine grauflockige, weiße Masse vom Gefüge eines groben Badesehwammes, den sogenannten Pilzgarten, in welchem sich auch die Bier, Larven und Puppen der Ameisen befinden, umgeben von zahlreichen Arbeiterinnen. Dieser Pilzgarten steht mit den Seiten- wänden und der von Stengeln und Ranken der das Nest durchsetzen- den Pflanzen getragenen Decke an keiner Stelle in Berührung, sondern es bleibt dazwischen stets ein fingerbreiter Hohlraum frei. Die Blatt- stückehen werden von den Ameisen mittels ihrer gezähnten Kiefer von Blättern der verschiedenartigsten Pflanzen abgeschnitten und nach dem Neste geschleppt, wo sie zum geringeren Teil zum Bedeeken desselben verwendet, zum größten Teil aber für den Pilzgarten weiter verarbeitet werden. In der freien Natur ist es Möller ebenso wenig wie den früheren Beobachtern möglich gewesen, die Art und Weise, wie dies geschieht, weiter zu verfolgen; geschickt eingerichtete Versuche an gefangen gehaltenen Ameisen setzten ihn aber in stand, alle Einzel- heiten aufs genaueste zu beobachten. Die eingetragenen Blattstücke werden zunächst zu winzigen Stückehen verkleinert, welche etwa die Größe eines Ameisenkopfes haben und dann mit den Kiefern dergestalt zerkaut, dass eine weiche Masse entsteht, in der fast keine unverletzte Pflanzenzelle mehr vorhanden ist. Gleichzeitig wird sie mit den Vorder- füßen zu einem Kügelchen zusammengeknetet und in diesem Zustande dann an geeigneten Stellen dem schwammigen Gerüst des Pilzgartens eingefügt. Die ganze Masse des Pilzgartens besteht aus derartigen Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. 285 von Pilzmycel durchwachsenen Kügelchen. Mit außerordentlicher Leieh- tigkeit dringen die Pilzfäden in die neu eingefügten Teilchen ein; Kügelehen, welche am Morgen eingebaut worden waren, fand Möller schon am Nachmittag nach allen Riehtungen hin davon durehwachsen. Der Pilzgarten wird von den Ameisen so sorgsam gepflegt, und Ver- unreinigungen, insbesondere jedes etwa aufkeimende andere Pilzmyce- lium so sorgfältig entfernt, dass sich m dem Nährboden eine voll- kommene Reinkultur des Ameisenpilzes findet. Diejenigen Teile des Pilzgartens, welche vom Pilze ausgelaugt sind, werden ausgerissen und als Material für die äußeren Schutzbauten des Nestes verwendet, ihre Stelle aber wird durch neue Kügelchen ausgefüllt. Auf dem Pilzmyeel entstehen an bestimmten Stellen etwa '/; mm große Körperchen, be- stehend aus kugelig verdickten Enden der Pilzfäden, welche in größerer Menge zu einem ziemlich scharf begrenzten Häufchen veremigt sind. Dieselben wurden von Möller „Kohlrabihäufehen* genannt und sie sind es, welche, wie schon erwähnt, den Ameisen als Nahrung dienen. Es sind unter der Zucht der Ameisen entstandene neue morphologische Gebilde des Mycels, welche ihrer Fadennatur so weit entfremdet sind, dass sie nur in seltenen Fällen bei künstlicher Kultur nachträglich wieder in Fadenform weiter zu wachsen vermögen. Bringt man einen Teil des Pilzgartens in eine Glasschale und entfernt sorgfältig alle darin befindlichen Ameisen, so bietet die Masse schon nach kurzer Zeit ein durchaus verändertes Aussehen dar. Sie bedeckt sich zunächst mit einem feinen Haarüberzug von gleichmäßig überall aufschießenden Luftfäden des Mycels, welche dann, immer länger werdend, nach ein paar Tagen den ganzen Pilzgarten dergestalt überziehen, dass von . außen nichts mehr von der ursprünglichen Masse wahrgenommen werden kann. Gleichzeitig verschrumpfen die eigentümliehen Kohlrabiköpfehen der Häufchen, indem ihr Protoplasma in die Fäden des Mycels zurück- wandert, und die ganze Hyphenmasse geht am dritten oder vierten Tage in Conidienbildung über. Lässt man aber eine für die Instand- haltung des Pilzgartens genügende Anzahl von Ameisen in der Schale, so behält derselbe sein ursprüngliches Aussehen, es bilden sich keine Luftfäden und keine Conidien, sondern alle aufschießenden Teile des Myceliums werden unzweifelhaft von den Ameisen abgebissen. In den Pilzgärten aller von Möller untersuchten Afta-Arten fand sich stets das gleiche Mycelium und es glückte dem Forscher, die höchste Frucht- form desselben aufzufinden, die von ihm als ein zu den Agarineen gehöriger Pilz erkannt und Rozites gongylophora genannt wurde. Was diesen Pilz abgesehen von den oben beschriebenen Kohlrabihäufehen mykologisch noch interessant macht, ist der Besitz von zweierlei Conidien, wie sie in gleieher Form noch bei keinem Hymenomyceten bisher gefunden worden sind. Außer bei den Atta-Arten wurde die Anlage und Pflege der Pilz- gärten von Möller noch bei den Haarameisen Apterostygma Mayr 284 Voigt, Neues über die Nester der Ameisen. und den Höckerameisen Cyphomyrmex Mayr, beobachtet und ein- gehend untersucht. Diese tragen keine Blattstücke in ihre nur wenige Zentimeter großen, zwischen dem Wurzelwerk der Bäume und m morschen Baumstrünken angelegten Nester ein, sondern benutzen Holz- mulm und Insektenkot als Nährboden für ihre Pilze. Indem bezüglich der Einzelheiten auf die ausführliche und anschauliche Beschreibung der verschiedenen Nester sowie der Anlage der Pilzgärten im der Originalarbeit verwiesen werden muss, sei hier nur kurz der eigen- tümlichen Hülle Erwähnung gethan, welche Möller an den Nestern zweier der drei untersuchten Apfterostigma-Arten vorfand. Diese Hülle besteht aus Pilzmycel und wird von den Ameisen jedenfalls in der Weise hergestellt, dass sie die über den äußeren Umfang des Pilz- gartens hervorwachsenden Pilzfäden mittels ihrer Fühler und Vorder- beine richten und drücken, so dass sie sich in der Fläche ausbreiten, während sie die widerspenstigen, sich der Hülle nicht einfügenden, sondern «darüber hinauswachsenden Pilzfäden abbeißen. Wie sämtliche Atta-Arten emen und denselben Pilz (Rozites gongy- /ophora) züchten, so kultivieren sämtliche von Möller beobachteten Apterostigina-Arten einen anderen, alle Cyphomyrmex-Arten einen dritten Pilz, deren höchste Fruchtformen aber noch nieht entdeckt sind. Fütte- rungsversuche ergaben, dass jede Ameisenart auch von dem den Nestern ihrer Gattungsverwandten entnommenen Pilze frisst, die beiden anderen Pilzarten aus den Nestern der fremden Gattungen aber ver- schmäht. Höchst merkwürdig ist schließlich die Entdeekung, dass die einzelnen Arten von Apterostigma sowohl wie die von Cyphomyrmezx in der Kultur ihrer betreffenden Pilze verschieden weit fortgeschritten sind. Während unter der Pflege von Apterostigma wasmanni eine Varietät des Pilzes gedeiht, an dessen Mycel gut entwickelte Kohl- rabiliäufchen sieh ausbilden, entstehen in den Nestern der anderen Apterostigma- Arten (A. mölleri und A. pilosum) bei derselben Pilzart anstelle der Kohlrabihäufehen nur weit weniger vollkommene Mycel- flöckehen, in denen angeschwollene Fadenenden nur vereinzelt und regellos auftreten. Ebenso verhält es sich mit Cyphomyrmex: C.strigatus erzielt gut entwiekelte Kohlrabihäufchen, ©. aur/tus aber nicht. Mit diesen überraschenden Ergebnissen hat Möller seine Unter- suchungen zunächst abgeschlossen, die wohl nicht verfehlen werden, bald zu weiteren Forschungen auf diesem sicher noch manchen Erfolg verheißenden Gebiete anzuregen. So wäre es z. B. sehr interessant zu erfahren, ob die von den Apterostigma, bezüglich den Cyphomyrmex sezüchteten Pilzvarietäten bereits zu völlig konstanten Formen ge- worden sind oder ob vielleicht die eigenartige Zubereitung des Nähr- bodens von seiten der einzelnen Ameisenarten auf die Ausbildung der Kohlrabihäufehen, bezüglich Mycelflöckchen von besonderem Einfluss ist. Ob etwa, wenn man aus einem Pilzgarten von Apt. mölleri oder pilosum diese Ameisen entfernt und statt ihrer Apt. wasmanni hinzu- Brauer, Herkunft des Centrosomas. 38H bringt, um diese den weiteren Ausbau mit dem von ihnen selbst be- reiteten Substrat vornehmen zu lassen, dann im Laufe der Zeit die unregelmäßigen Mycelflöckchen mehr die Form der eigentlichen Kohl- rabihäufehen annehmen würden und umgekehrt, ob die Kohlrabihäufchen des Apt. wa-mann’, wenn man das dieselben erzeugende Myeel von Apt. mölleri oder pilosum weiter kultivieren lässt, wieder zu den weniger vollkommenen Flöckehen entarten würden, welche man in den Nestern der letzteren findet. Dr. Voigt (Bonn). Zur Kenntnis der Herkunft des (entrosomas. Von Dr. August Brauer in Marburg i. H. Seitdeinm die Centrosomen entdeckt und in ihrer Bedeutung für die Zellteilung von van Beneden und Boveri erkannt: waren, rich- teten sich die Bemühungen vieler Forscher darauf, die beiden Fragen zu entscheiden, ob die Körper permanente Organe der Zelle seien und ob sie Bestandteile des Kerns seien oder ob sie ihre Lage dauernd in dem Zellprotoplasma haben. Durch den Nachweis der Centrosomen bezw. Attraktionssphären in vielen verschiedenen Zellarten bei Meta- zoen und Protozoen ist die erste Frage wohl als gelöst zu betrachten. In Bezug auf den zweiten Punkt stehen sieh aber noch zwei Ansichten gegenüber. Da es gelungen ist, die Centrosomen auch in solchen Zellen außerhalb des Kerns nachzuweisen, welche nicht in lebhafter Teilung sich befanden, und da bisher kein Fall bekannt geworden ist, wo man sie im Kerne angetroffen hat, so nimmt die größte Mehrzahl der Forscher an, dass die Centrosomen ihre Lage dauernd im Zell- protoplasma haben, und setzt sie deshalb in scharfen Gegensatz zum Kern und zu seinen Bestandteilen. Nur ein kleiner Teil, besonders OÖ. Hertwig, vertritt eine andere Ansicht, nämlich diese, „dass die Zentralkörperchen für gewöhnlich Bestandteile des ruhende Kerns selbst sind, indem sie nach der Teilung in seinen Inhalt eintreten und bei der Vorbereitung zur Teilung in das Protoplasma wieder austreten. Nur in besonderen Fällen würde das oder die Zentralkörperchen auch während der Ruhe des Kerns im Protoplasma selbst verbleiben und dann gewissermaßen neben dem Haupt- noch einen Nebenkern dar- stellen. Bei dieser Auffassung würde es sich erklären, dass auch mit den neueren Methoden und genetischen Hilfsmitteln sieh Zentral- körperchen für gewöhnlich neben dem ruhenden Kern im Protoplasma der Zellen nicht nachweisen lassen“ (O. Hert- wig, Die Zelle und die Gewebe S. 48). Die folgende Beobachtung beweist, dass die letzte Ansicht die richtige ist. Bei einer Untersuchung der Spermatogenese von Ascaris megalocephala fand ich bei der Varietät univalens in den Kernen der Spermatocyten auf dem Stadium, wo das eine vierteilige Chromosom fertig gebildet ist und der Membran anliegt, außer dem Nukleolus 386 Brauer, Herkunft des Centrosomas. einen relativ sehr großen, kugelförmigen Körper, dessen Zentrum von einem dunklen Korn eingenommen wurde. Verfolgt man die Kerne weiter bis zur Bildung der ersten Spindel, so zeigt sieh Folgendes: der kugelförmige Körper, von dem nach allen Seiten, auch an das Chromosom lininähnliche Fasern ausstrahlen, streckt sich und sehnürt sich in zwei Teile, gleichzeitig teilt sich auch das zentral liegende Korn. Die beiden Hälften, welche sich wieder zu Kugeln abrunden, rücken allmählich nach zwei entgegengesetzten Seiten auseinander, hierbei in ununterbrochener Verbindung mit dem Chromosom durch die Fasern bleibend. Je weiter sie sich entfernen, um so mehr streckt sich in gleicher Richtung der Kern. Zuletzt treten an den zwei einander entgegengesetzten Punkten, auf welche die Kugeln zugewandert sind, durch Lücken der Membran dieselben über in das Zellprotoplasma. Alsbald bildet sich um sie ein Hof von dotterfreiem Protoplasma, die radiäre Einstellung der Dotterkörner zeigt an, dass Strahlen von den Kugeln zur Zellmembran vorgedrungen sind. Indem nun noch die Kernmembran sich allmählich ganz auflöst und das Chromosom in die die definitive Aequatorialebene übergeführt wird, ist die Bildung der Spindel beendet. Die Darstellung zeigt, dass, da eine Verwechslung mit Nukleolen ausgeschlossen ist, die eine bezw. die zwei durch Teilung aus der einen hervorgegangenen Kugeln die Centrosomen sind. In emigen Fällen konnte ich beobachten, dass das Centrosom bereits vor seiner Teilung aus dem Kern austritt und sich der Mem- bran von außen anlegt. Diese Variation gibt eime Erklärung für die Beobachtungen OÖ. Hertwig’s, welche ich für die Varietät divalens bestätigen kann, dass nämlich bei beiden Varietäten von Ascaris die Centrosomen auf einem etwas früheren Stadium außerhalb des Kerns, seiner Membran dieht anliegend gefunden wurden. Ich erkläre mir diesen Unterschied dadurch, dass — vielleicht in der Regel — die oder das Centrosom auf einem etwas früheren Stadium als kleine Gebilde aus dem Kern in das Zellprotoplasma übertreten und hier erst heranwachsen und sich teilen. Ob die von OÖ. Hertwig im Kern vor dem Aufteten der Centrosomen gefundenen zwei kleinen Körner, welche durch Abspal- tung vom Nukleolus vielleicht entstanden seien, mit den Centrosomen in Beziehung stehen, muss eine weitere Untersuchung zeigen. Einen Zusammenhang mit dem Nukleolus möchte ich nicht annehmen, da derselbe zu der Zeit, wo man die Uentrosomen bereits in voller Aus- bildung findet, noch vorhanden ist. Wie dem auch sei, ob das beobachtete späte Austreten der Centro- somen aus dem Kerne die Regel ist oder eine Ausnahme, die That- sache, dass dasselbe während der Ausbildungszeit der Spermatocyten von A. megalocephala univalens im Kerne seine Lage hat und nieht im Zellprotoplasma, wird dadurch nicht geändert. v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. 287 Es liegt mir hier fern, auf die Bedeutung der Beobachtung näher ein- zugehen, und ich verweise auf die ausführliche Arbeit. Nur das möchte ich hervorheben, dass (er bisher meist stark betonte Gegen- satz zwischen Centrosom und Kern keine Berechtigung mehr hat, und dass die Ansicht, nach welcher das Chromatin Träger der Vererbungsmasse, das Centrosom nur Teilungsorgan ist, erheblich an Wahrscheimlichkeit gewinnt, und ferner, «dass die Frage, ob der achromatische Teil der Spmdel nur aus Kern- oder auch aus Zell- substanz oder aus beiden sich aufbaut, dahin entschieden wird, dass die ganze Spindel m allen ihren Teilen aus dem Kern entsteht. Auch bei A. meg. bivalens, wo ich «die Centrosomen bereits auf früherem Stadium außerhalb des Kerns fand, gelang mit voller Sicherheit der Nachweis, dass die die Chromosomen im Kernraum haltenden Linin- fasern auch zu den Spindelfasern werden, und dass sie bereits auf dem Stadium, wo die Membran noch völlig erhalten zu sein scheint, mit den Fasern der Centrosomen in wununterbrochener Verbindung stehen. Einige Bemerkungen über das Verhältnis von Ontogenie und Regeneration'). (Vorläufiger Bericht.) Von Dr. Franz von Wagner, Privatdozenten und Assistenten am zoologischen Institut der Universität Straßburg. Als ich vor einigen Jahren (1889/90) die ungeschlechtliche Fort- pflanzung zunächst von Microstoma zum Gegenstande einer — soweit es mir möglich war — eingehenden Untersuchung machte, leitete mich nicht allein das Bestreben, die dabei sich abspielenden Regenerations- prozesse zu studieren; ich verfolgte damit noch em weitergehendes Interesse, nämlich eine Grundlage zu gewinnen für die Entscheidung der Frage, ob embryonale und regenerative Entwieklung in dem Sinne parallel verlaufende Vorgänge darstellen, dass auch bei der letzteren Bildungsweise die typische embryonale Ent- stehung nach den Keimblättern, bezw. deren Derivaten gewahrt bleibe. Leider lagen damals über die Ontogenie der mit Rücksicht auf Microstoma in erster Linie zu befragenden Rhabdocöliden so gut wie keine Angaben vor; auch aus dem Wissenskreise der Dendrocöliden ließ sich für dieselben Nichts erschließen, was einem Vergleiche einen sicheren Boden geboten hätte. Denn mit derselben Bestimmtheit, mit welcher von den Polycladen hinsichtlich des Pharynx z. B. die ekto- 4) Aus dem praktischen Gesichtspunkte der Einfachheit sind mit dieser Bezeichnung im folgenden gegenüber der embryonalen die Bildungsweisen so- wohl ganzer Individuen (Knospung) wie einzelner Organe (Teilung und Regenera- tion i. e. S.) zusammengefasst. 288 v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. dermale Entstehung behauptet wird, soll bei den Trieladen der Ursprung dieses Organs aus dem Mesoderm feststehen. Wenn auch die Embryonal- entwicklung der Süßwasserdendroceölen weniger genau erforscht ist und in der Abteilung der Polyeladen zweifellos ursprünglichere Turbellarien- formen zusammengefasst sind, so gewähren derartige Erwägungen doch keinen genügenden Ersatz für den Mangel positiver Beobach- tungen. Seither habe ich nun die ungeschlechtliche Fortpflanzung ver- sehiedener Würmer, insbesondere auch unter den Oligochäten unserer süßen Wässer (Nais, Chaetogaster) verfolgt, zum Teil auch die Re- generationsprozesse durch künstliche Eingriffe hervorgerufen ( Lumbri- eulus) und der Ontogenie der Rhabdoecöliden meine Aufmerksamkeit zugewendet. Aeußere Umstände — der Neubau für das hiesige zoo- logische Institut und der demnächst dahin erfolgende Umzug mit ihren naturgemäß vermehrten Anforderungen an das Maß dienstlicher Pflich- ten — hindern mich, meine Arbeiten in der nächsten Zeit soweit zu fördern, dass sie der Oeffentlichkeit übergeben werden könnten. Es wird mir daher gestattet sein, über das Ergebnis, zu welchem mich ineine bisherigen Untersuchungen hinsichtlich der Frage, wie Embryonal- entwieklung und regenerative Neubildung sich zu emander verhalten, geführt haben, im folgenden kurz zu berichten. Selbstredend werde ich mich dabei — soweit möglich — auf die Würmer beschränken; die Einbeziehung anderer Tierstämme in den Gegenstand der vorliegen- den Abhandlung muss ich ebenso wie Abbildungen und die gewissen- hafte Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur den späteren Einzel- darstellungen vorbehalten. I. Der Paralellismus ontogenetischer und regenerativer Entwicklung galt vor nicht allzu langer Zeit überhaupt nieht als eine fragwürdige Vorstellung, sondern war eine selbstverständliche, wenn auch hypothe- tische Voraussetzung. Den prägnantesten Ausdruck gab ihr 1876 Semper!) mit den Worten: „Ich ging dabei von der Hypothese aus, welche Grundlage unserer modernen morphologischen Untersuchungen ist: dass kein Glied eines Tierkörpers auf zweierlei typisch ver- schiedene Weisen innerhalb homologer Gruppen entstehen könne“. Seither ist im Zusammenhang damit, dass die Angaben, welche dieser angenommenen Uebereinstimmung zuwiderliefen, immer zahlreicher und bestimmter auftraten, jenem Paralellismus stillschweigend ein Frage- zeichen angehängt worden. Meines Wissens hat als der Erste R. Hertwig?) die folgenden bemerkenswerten Sätze vor Kurzem ausgesprochen: „Inwieweit die Lehre von den Keimblättern auch auf die ungeschlechtlichen Fortpflanzungsweisen übertragen werden kann, 2) R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, S. 124. v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. 259 erwarten, dass auch bei der Teilung und Knospung die Verteilung nach den 3 Körperschiehten gewahrt bleiben müsse; für viele Fälle ist auch dieser Nachweis geglückt; bei den Polypen z. B. bilden sich das Ento- derm und Ektoderm der Knospe aus den entsprechenden Lagen des Muttertieres; für andere Fälle werden dagegen abweichende Angaben gemacht; so sollen bei den Aseidien z. B. Organe, welche bei der Embryonalentwicklung aus dem Ektoblast entstehen, bei der Knospung vom Entoblast aus erzeugt werden“. Damit ist der augenbliekliche Stand der jetzt mit gutem Recht als „Frage“ erkannten Beziehung der Organbildung auf ontogenetischem und regenerativem Wege klar bezeichnet. Mittlerweile ist eine auf Anregung Weismann’s unter- nommene Arbeit veröffentlicht worden, welche auch das Beispiel der Polypen als Beweis für die Koineidenz der beiden in Rede stehenden jildungsweisen hinfällig macht. Allerdings ist der Autor jener Unter- suchungen, Alb. Lang!), bemüht, trotzdem seine schönen Beobach- tungen von den bisherigen wesentlich abweichende Ergebnisse lieferten, dieselben mit den Thatsachen der Embryonalentwieklung in Einklang zu setzen. Dass ich gerade in dem wichtigsten Punkte den theore- tischen Ausführungen dieses Forschers nicht beizustimmen vermag, mag es rechtfertigen, wenn ich hier kurz auf dieselben eingehe. Durch vergleichendes Studium der Knospungsvorgänge an Hydra und einigen Meerespolypen konnte Alb. Lang den ebenso wichtigen wie überraschenden Nachweis erbringen, dass die Hervorbildung der einzelnen Knospen bei diesen Tieren ausschließlich vom Ektoderm des Muttertieres besorgt wird; das Entoderm spielt dabei eine rein passive kolle und nimmt an dem Aufbau des sich entwickelnden Sprösslings keinen Anteil. Dieses Resultat bedeutet gegenüber der in Geltung be- findlichen Vorstellung, nach welcher Ekto- und Entoderm der Knospe von den entsprechenden Schichten des Elters herstammen sollten, einen fundamentalen Gegensatz. Da sich an den zum Vergleiche verfüg- baren embryologischen Grundlagen Nichts geändert hat, die bisherige Anschauung von der Polypenknospung aber stets und widerspruchslos als typisches Beispiel der Uebereinstimmung von Einzelentwieklung und Knospenbildung angesehen wurde, jetzt hingegen für die letztere Ent- stehungsweise eine völlig veränderte Basis gewonnen wurde, wäre wohl kaum ein Schluss näher gelegen als derjenige, dass jener Para- lellismus eben eine irrige Annahme gewesen sei. Auffallender Weise hat Alb. Lang diese Schlussfolge nicht nur bei Seite gelassen sondern vielmehr den neuen Thatsachen die alte Auffassung emzupflanzen ver- sucht. „Vergleichen wir — sagt?) unser Autor — die Knospenbildung der Hydropolypen mit ihrer Embryonalentwieklung, so finden sich auf- fallende Paralellen. Für das Furchungsstadium finden wir allerdings 1) Zeitschrift f. wiss. Zoologie, 54. Bd, 8. 366 fg. DyalHier52381: SIT; 19 J90 v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. bei der Knospung kein Homologon; denn wir sahen, dass die Ektoderm- verdickung, das erste Stadium der Knospung, nicht von einer Ekto- dermzelle ausgeht, sondern durch gleichzeitige Teilung vieler Ektoderm- zellen zu stande kommt. Wir müssen also schon das Ektoderm des Knospenareals dem Blastoderm homolog setzen und die Ektodermver- diekung als Einleitung zur Entodermbildung ansehen. Die letztere erscheint natürlich im Vergleich mit der Entodermbildung im Embryo modifiziert, erstens dadurch, dass die einwandernden Zellen die Stütz- lamelle durchdringen müssen und zweitens dadurch, dass das alte Entoderm entfernt werden muss. Außerdem steht das Ektoderm der Knospungsstelle in seiner histologischen Differenzierung nieht mehr auf der primitiven Stufe, wie das Blastoderm und nicht jede seiner Zellen ist noch indifferent genug eine Entodermzelle zu werden. . . .* Das Wesentliche der angeführten Ausführungen liegt in der Annahme, dass das Ektoderm des Knospenareals des Muttertieres dem embryonalen Blastoderm homolog sei. Diese An- nahme ist, wie leicht gezeigt werden kann, durchaus unzulässig; sie verstößt, um nur die Hauptpunkte herauszugreifen, gegen den fest- stehenden Begriffsinhalt sowohl der beiden Keimblätter als auch dessen, was als Homologie bezeichnet wird. Für Erstere ist die wechselseitige Lagebeziehung das unverrückbare Kriterium; Alb. Lang erklärt aber den spezifischen Charakter — hier die weitgehende Inditferenz — ge- wisser Zellgruppen für die Beurteilung dieser letzteren als maßgebend und gibt damit der vergleichenden Methode eine ganz neue Grundlage, durch welche die Begriffe Ekto- nnd Entoderm vollkommen entwertet werden. Betrachtet man jede imdifferente Bil- dungszelle, welche bei Regenerationen oder Knospungsvorgängen zur Entwicklung des Sprösslings herangezogen wird, als Homologon einer Blastodermzelle, so braucht man nur abzuwarten, was aus ihr entsteht, um sie als Ekto- oder Entodermzelle zu eharakterisieren. Es liegt auf der Hand, dass, da auf diesem Wege überhaupt nur Uebereinstimmungen beiderlei Prozesse gerade im Kernpunkt, der Beteiligung der Keim- schichten am Aufbau des Embryo wie der Knospe oder des Teiltieres, aufgezeigt werden können, der Wert eimes solchen Nachweises gering sein muss. Wenn die Frage, ob im Aufbau der Knospen und Teiltiere die embryonale Entwicklung nach den Keimblättern wiederholt werde, einer befriedigenden Lösung entgegengeführt werden soll, ist es uner- lässlich, das für die Begriffe Ekto- und Entoderm bestimmende Mo- ment — die relative Lagebeziehung — unverrückt festzuhalten. Dann sehe ich aber nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist die äußere Zellsehicht des Elters ein Ektoderm, dann kann sie un- möglich einem Blastoderm homolog sein, oder sie ist einem Blastoderm zu homologisieren, dann kann sie eben kein Ektoderm vorstellen. Dass aber das außerhalb der Stützlamelle v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. 391 De gelegene Zelllager der Hydropolypen dem nachmals sich histiologisch weiter differenzierenden Ektoblast der Gastrula entspricht, also das Ektoderm [im Sinne der Brüder Hertwig!)] des fertigen Polypen repräsentiert, wird Niemand m Abrede stellen wollen. Dann ist es aber eine notwendige Folge, anzuerkennen, dass bei der Knospen- bildung dieser Tiere die Sprösslinge dem Ektoderm des Elters ihre Entstehung verdanken. Die von Alb. Lang aufgestellte Homologie widerspricht aber auch dem Begriff einer Homologie, denn für diese liegt der wesent- liche Charakter in dem genetischen Moment gleichartiger Ent- stehung. Ein Blastoderm ist überall ein m bestimmter Anordnung auf- tretender Zellverband, dessen Individuen durch einfache Teilungen aus einer Zelle, dem Ei, hervorgegangen sind. Dass die Genese der Zell- haufen, welche als Bildungsmaterial zum Aufbau der Sprösslmge bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung der Hydropolvpen verwendet werden, eine grundsätzlich andere ist, bedarf keiner weiteren Aus- führung. Die vorstehenden Bemerkungen werden genügen, um die von Alb. Lang versuchte Homologisierung des ektodermalen Knospungs- areals mit dem Blastoderm des Embryo als unstatthaft zu erweisen und den nachfolgenden Satz zu begründen: Die Knospenbildung der Hydropolypen ist keine Wiederholung der Embryonal- entwicklung und kann mithin die Keimblätterlehre auf die Entstehung der Knospentierenichtübertragen werden. I: Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Würmer erfolgt durch Teilung. Die Art dieser Propagation bringt es mit sich, dass die regenerativen Prozesse, welche mit ihr verknüpft sind, nur auf eine Vervollständigung des Teiltieres hinzielen, indem ja die erste Anlage des letzteren in emem Stück des Muttertieres bereits fertig ge- geben ist. Es handelt sich hier also im Wesentlichen darum , festzu- stellen, ob die Organbildung auf regenerativem Wege gemäß der embryonalen Keimblätterfolge vor sich gehe. Als Beispiele sollen uns Mierostoma als Vertreter der niederen, parenchymatösen und Lumbri- culus als hepräsentant der gegliederten höheren Würmer dienen; es wird dabei für unsere Zwecke genügen, zunächst nur ein Organ hin- sichtlich des Verhältnisses der regenerativen und ontogenetischen Bil- dungsweise zu prüfen. Für Microstoma gelangte ich seinerzeit?) zu dem Ergebnis, „dass die Regenerationsvorgänge bei der insexuellen Propagation des Miero- stoma auf der Bildungsfähigkeit von Elementen des Parenchyms_ be- ruhen“, ein Satz, welcher unter Bezugnahme auf die übereinstimmenden 1) ©. u. R. Hertwig, Die Cölomtheorie, S. 122. 2) Zool. Jahrbücher, Abt. f. Anat. und Ontog., 4. Bd., 8. 371 u. 385. 19* BR v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. wm Befunde anderer Forscher bei Dendrocöliden dahin erweitert werden konnte, „dass bei den Turbellarien die Regenerationen vom Parenehym (Mesoderin) ihren Ausgang nehmen, das Regenerationsvermögen dieser Tiere somit an die Bildungsfähigkeit dieses letzteren gebunden er- scheint“. Zu diesen Aufstellungen berechtigte mich unter Anderem auch die von Elementen des Parenchyms ausgehende Entstehung des neuen Pharynx d. h. der inneren epithelialen Auskleidung desselben, worin Rhabdo und Dendrocöliden vollkommen übereinstimmen. Für die Letzteren scheint diese Bildungsweise des Pharynx, soweit die durch Jijima und Hallez zu Tage geförderten embryologischen Thatsachen einen Vergleich gestatten, eine befriedigende Paralelle zum ontogenetischen Aufbau des Schlundes darzustellen. Anders liegen die Dinge bei den Rhabdocöliden; wenn auch die Embryonalentwick- lung derselben so gut wie unbekannt ist, so hat doch im Hmbliek auf die individuelle Entwicklungsgeschichte ihrer nächsten Verwandten, der Polyeladen, die ektodermale Entstehung des Pharynx eine große Wahrscheinlichkeit für sich. Es ist klar, dass eime derartige Sachlage eine zuverlässige Entscheidung hinsichtlich der in Rede stehenden Frage nicht gestattet. Von dem lebhaften Interesse erfüllt, die in so vielfacher Beziehung wichtige Ontogenie der Rhabdocöliden einiger Maßen aufzudecken, habe ich in den letzten Jahren, zum Teil von befreundeten Fachgenossen in dankenswerter Weise unterstützt, ge- eignetes Material gesammelt. Leider ist dasselbe auch für eine nur auf das Wesentliche im Entwicklungsgange dieser Tiere gerichtete Untersuchung bislang nicht ausreichend. Doch haben mich meine bis- herigen Erfahrungen in den Stand gesetzt, gerade betreffs der Pharynx- bildung für die weichschaligen Eier des Mesostoma Ehrenbergii die ektodermale Entstehung des Pharyngealepithels in Form einer mehr oder weniger sackartigen Einsenkung des ventralen Ektoderms feststellen zu können. Die On- togenie der Rhabdoeöliden schließt sich damit an diejenige der Poly- claden an, mit welcher sie auch in dem Mangel des für die Einzel- entwicklung der Trieladen charakteristischen provisorischen sogenannten Embryonalpharynx übereinstimmt !). An den entsprechenden Embryonal- stadien von Mesostoma Ehrenbergii ist die vom Ektoderm herstammende epitheliale Auskleidung des Pharynx unschwer von den ın Form eines dieken Mantels um das Schlundepithel gelagerten Bildungszellen der künftigen Pharyngelmuskulatur zu unterscheiden. Durch diese Befunde ist eine Grundlage für den beabsichtigten Ver- gleich gewonnen, welcher lehrt, dass die regenerative Schlund- bildung die embryonale Genese nicht wiederholt, indem 1) Es ist mir nicht unbekannt, dass in einer neuesten vorläufigen Mit- teilung Hallez auf Grund eines gemeinsamen Axengesetzes Rhabdocoelida und Triclada als Turbellaria diploblastica zusammenfasst, ich kann aber hier nicht darauf eingehen; auch ist die ausführliche Darstellung abzuwarten. v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. 35 die erstere vom Parenchym, letztere vom Ektoderm ihren Ursprung nimmt. Ich hege kaum einen Zweifel, dass auch für die Entstehung des paarigen Gehirnganglions — wenigstens pro parte — sich gegen- über der Embryonalentwieklung Differenzen ergeben werden, insbe- sondere aber in der Bildungsgeschichte des Schlundnervenringes, welcher auf regenerativem Wege ein rein parenchymatisches Organ darstellt; da mir aber hierüber zur Zeit ontogenetische Erfahrungen noch fehlen, inuss ich es bei den ausgesprochenen Vermutungen bewenden lassen. Die vorstehenden Ausführungen über die Pharynxbildung bei Miero- stoma nötigen mich, einer auf diesen Gegenstand bezüglichen, erst vor Kurzem veröffentlichten Aeußerung R. Hertwig’s!) zu gedenken. In der Schilderung des Teilungsvorganges unserer Tiere sagt dieser Forscher: „Für jedes hintere Tier werden die fehlenden Teile, wie Schlundkopf und Ganglien, neu gebildet, wobei es leicht fällt, ihre Abstammung aus der Haut festzustellen“. Diese Angabe wird durch eine Original- Abbildung illustriert, welche von Mierostoma caudatum, einer, wie mich v. Graff?) belehrt, von Leidy beschriebenen ameri- kanischen Art, herrührt. Ich muss bekennen, dass mir die Untersuchungen, welche jener für mich überraschenden Darstellung R. Hertwig's zur Grundlage dienen, gänzlich unbekannt sind. In der Sache selbst ist es natürlich ein missliches Unternehmen gegenüber einer andersgearteten Schilderung nur neuerlich auf die eigenen Befunde sich berufen zu können. Auch wird die zuversichtlichste Beteuerung, meine Angaben aufrecht erhalten zu müssen, die Richtigkeit derselben nicht wesent- lich glaubwürdiger erscheinen lassen als bisher. Da kommt mir denn zu rechter Zeit aus der Heimat jenes Microstoma caudatum erwünschte Bestätigung. In einer soeben erschienenen Arbeit?) berichtet H. N. Ott über Untersuchungen, welche an Stenostoma leucops, einer Mierostoma nächstverwandten Mikrostomide angestellt wurden. Hier interessiert nur, zu welchem Ergebnisse der amerikanische Autor inbetreff der regenerativen Pharynxbildung bei seiner Rhabdocölide gelangt ist: es zeigt sich, dass die letztere bei Stenostoma leucops genau in derselben Weise erfolgt, welche ich für Mierostoma be- schrieben habe. „According t0 Wagner the wall of the pharynx is formed by a mass of parenchyme cells which appears on the ven- tral side of the intestine, and not from the integument, which has been pushed m through this mass nutil it touches the intestine“. Ferner: „The pharynx is formed direetly from the ventral mass of parenchyme cells, not from a depression of the integument which reaches to the anterior-end of the intestine“. Endlich: „As Wagner has also proven that the pharynx of Microstoma lineare is developed from the parenehym and not from the integument, it may be inferred By. 52230: 2) v. Graff, Monographie der Turbellarien I, S. 253. 3) Journal of Morph., 7. vol., p. 263 fg. 294 v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. with safety that the pharynx of the Rhabdocoels is developed from mesoblast which is potentiallv hypoplastie, and not from the epiblast“}). Ich wende mich zu Lumbrieulus?)s Auch hier soll der Anfangs- teil des Ernährungssystems, das Stomodaeum, hinsichtlich der doppel- ten Bildungsweise, der regenerativen und ontogenetischen, geprüft werden. Auf letzterem Wege entsteht der Vorderdarm gleich dem End- darm durch eine vom Ektoderm her erfolgende Einsenkung, welche so tief geht, dass sie den vom Entoderm gelieferten Mitteldarm er- reicht, wodurch das emheitliche Verdauungsrohr hergestellt ist. Zum Studium der regenerativen Prozesse wurden die Lumbrikeln mittels eines scharfen Messers in zwei oder drei Stücke zerlegt. Ich möchte hier die biologisch interessante Thatsache einschalten, dass es mir, trotzdem ich seit Jahren Lumbrikeln halte, nicht gelang, den spon- tanen Zerfall derselben beobachten zu können; ich mochte die Tiere noch so unsanft behandeln, niemals reagierten dieselben dureh plötz- liches Zerbrechen. Was ich gelegentlich, aber durchaus nicht häufig wahrzunehmen vermochte, betrifft die Thatsache, dass von den dureh künstliche Zerteilung erlangten Halbtieren bald nach dem operativen Eingriff das eine oder das andere selbständig in weitere zwei, äußerst selten in mehr Stücke zerfiel. Dagegen ergab sich — in der Regel gegen den Spätherbst —, dass die unverletzten und sich selbst über- lassenen Lumbrikeln in kurzer Zeit zahlreicher, aber bedeutend kleimer auftraten und die verschiedensten Grade regenerativer Neubilduugen aufzeigten. Ich vermag diese Erfahrungen nieht anders zu deuten, als dass in der zuletzt erwähnten Vermehrung unserer Tiere doch nicht, wie v. Keunel vermutete und auch ich anzunehmen geneigt war, eime bloße Augmentation, sondern eine wirkliche Propagation vorliege, wie schon von Bülow behauptet worden ist. Untersuchen wir nun die regenerative Neubildung des vorderen Darmabschnittes bei Zumbriculus, so gelangen wir zu dem Ergebnis, dass das Ektoderm am Aufbau dieses Organteiles nicht beteiligt ist; es ist lediglich das vorhandene Entoderm, welches, nach- dem mit der Verlötung der Wundränder auch dieklaffende Oeffnung des Darmes verschlossen wurde, durch Wachs- tum, mit welchem eine lebhafte Vermehrung der Zellen desDarmepithels Hand in Hand geht, den neuen Kopfdarm konstituiert. Dieser erreicht schließlich, ein wenig gegen die Bauch- seite sich hinneigend, die Oberhaut, legt sich an dieselbe an und an der Berührungsstelle bricht sodann die neue Mundöffnung dureh. Es 41: €, P.298 3 299. 2) Eine Berücksichtigung der eben veröffentlichten Arbeit von H. Ran- dolph (Journal of Morphol., 7. vol., p. 317 fg.) ist angesichts der mannig- fachen Ditferenzen in unseren Befunden nicht möglich; ich muss mir dieselbe für die ausführliche Arbeit vorbehalten. v. Wagner, Verhältnis von Ontogenie und Regeneration. 295 bildet sieh hierbei nicht einmal eine deutliche Mundbucht wie bei Mi- crostome. Kine flache, kaum nennenswerte Einziehung des Ektoderms in der Cireumferenz der neuen Mundstelle ist der ganze Anteil des Ektoderms, von dem im Uebrigen auch nicht eine Zelle an der Bil- dung des Vorderdarmes Anteil nimmt. In dem vorliegenden Zusam- menhang möchte ich erwähnen, dass mein früherer Kollege am hiesigen zoologischen Institute, Herr Dr. L. Sehmidt, welcher auf meinen Vorschlag hin bereitwilligst die Regenerationsprozesse am Hinterende der operierten Lumbrikelun verfolgte, die gleiche Genese für das Proktodaeum nachweisen konnte. Wir kommen demnach zu dem Re- sultate, dass auch bei Lumbrieulus die regenerative Ent- stehung des Vorder- (und End-) Darmes der embryonalen Entwieklung nicht entspricht, indem sie hier vom Ektoderm, dort vom Entoderm ausgeht. Es läge nahe, im Anschlusse an Lumbriceulus noch die einschlä- gigen Verhältnisse bei Nais und Chaetogaster einer Prüfung zu unter- ziehen, Tiere, welche bereits Semper vor Jahren zum Gegenstande eingehender Studien gemacht hat. Es handelt sich dabei aber um so komplizierte Vorgänge, dass dieselben ohne Abbildungen nicht gut erläutert werden können. Ich beschränke mich daher an dieser Stelle auf die folgenden Bemerkungen: Die bei der msexuellen Propagation von Nais und Chaetogaster auftretenden Regenerationen entsprechen weit mehr der embryonalen Schichtenfolge, als es für die in diesem bericht angezogenen Beispiele des Microstoma und Lumbrieulus zu- trifft, wenngleich auch in dieser Hinsicht die ausführliche Darstellung dieser Prozesse Differenzen gegenüber der Embryonalentwieklung er- kennen lassen wird. Davon aber abgesehen bietet die ungeschlecht- liehe Fortpflanzung von Nais und Chaetogaster Vorgänge von Neu- bildung dar, für welche in der Ontogenie dieser Tiere über- haupt kein vergleichbarer Prozess vorliegt!?). Il. Wie aus dem Vorausgegangenen zu ersehen ist, gibt es unzweifel- haft regenerative Prozesse, welche, was den Anteil der Keimblätter, resp. ihrer Derivate an denselben betrifft, dem embryonalen Geschehen zuwiderlaufen. Diese Erfahrungen, welche leicht noch vermehrt wer- den könnten (Bryozoen, Tunikaten), beweisen zur Genüge, dass die weitverbreitete Vorstellung, Regeneration und Ontogenie seien parallel gehende Vorgänge, so dass bei der ersteren das Material zum Aufbau der zu bildenden Individuen oder Organe von denselben Keimschichten, beziehungsweise deren Abkömmlingen wie in der Embryonalentwick- lung geliefert werden müsse, in den Thatsachen keine ausreichende Bestätigung findet und dringend einer einschränkenden Modi- 1) Dies geht übrigens, sofern man sich auf die mitgeteilten Thatsachen beschränkt, schon aus der Darstellung Sempers hervor. 236 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. fikation bedarf. Vor Allem muss es als eine Quelle von Irrtümern durchweg vermieden werden, Lücken der Ontogenie durch Befunde an regenerativen Prozessen oder umgekehrt ausfüllen zu wollen: über die Beziehung beider Entwieklungswege zu einander darf in jedem einzelnen Falle allein die positive Erfahrung entscheiden. Liegt es mir demnach ferne, Uebereinstimmungen in den beiderlei Bildungsweisen überhaupt in Abrede stellen zu wollen, welche, da sie zweifellos vorhanden, anerkannt werden müssen, so musste doch in dem Maße, in welchem der Gang meiner eigenen Untersuchungen mich der überkommenen Annahme von der Koinzidenz der Ontogenie und Regeneration entfremdete, auch die Forderung sieh steigern, einer Anschauung entgegenzutreten, deren Richtigkeit wie die so mancher anderen in unserer Wissenschaft weit mehr aprioristisch vor- ausgesetzt wird, als sie empirisch beglaubigt erscheint. Zu solehem Zwecke musste das Trennende aufgesucht und hervorge- hoben, das Gemeinsame in den Hintergrund gestellt werden. Die Frage, mit welcher sich diese vorläufige Mitteilung beschäf- tigte, ob die regenerative Entwicklung der embryonalen entspreche, kann also durchaus nieht ohne Weiteres, sondern nur in sehr be- dingtem Maße bejaht werden. Diese Bedingungen im weitesten Sinne gilt es nun zunächst zu erforschen und dem Verständnisse zu erschließen. Allerdings tritt damit an die Stelle eines einzigen Problems, dessen Erörterung durch eine ungemein einfache und des- halb auch so sehr einleuchtende Vorstellung erledigt zu sein schien, eine Reihe neuer, deren Lösung heutigen Tags freilich noch in weite Ferne gerückt erscheint !). Aber die Erkenntnis der richtigen Frage- stellung ist nicht der geringste Fortschritt, den unsere Einsicht in den Zusammenhang der Dinge zu gewinnen vermag. Straßburg, Zoologisches Institut, Februar 1893. Zur Theorie der tierischen Formbildung. Von Hans Driesch in Zürich. Bevor ich zu dem eigentlichen Thema dieser Zeilen übergehe, nämlich die allgemeinen Ergebnisse meiner an andrem Ort veröffent- lichten Experimentaluntersuchungen gegen einige Angriffe zu verteidigen und ihr Verhältnis zu den Forschungen anderer Forscher zu charak- terisieren, ist einer Pflieht der historischen Gerechtigkeit Genüge zu leisten. 4) Ich möchte nicht unterlassen, hier auf die Ausführungen W eismanu’s hinzuweisen, welche derselbe im II. Buche seines jüngst erschienenen ideen- reichen Werkes „das Keimplasma“ Ueber „die Vererbung bei einelterlicher Fortpflanzung“ gegeben hat. Die von Weismann entwickelten Gesichtspunkte werden sich nach meinem Dafürhalten für die Lehre von der ungeschlecht- lichen Fortpflanzung fruchtbringend erweisen. Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 397 Es ist mir erst vor kurzem durch Zerfall bekannt geworden, und (dürfte auch weiteren Kreisen unbekannt sein, dass Haeckel in seiner „Entwicklungsgeschichte der Siphonophoren* (1860) Versuche mitteilt, welche mit den von Roux [12], Chabry [2], Wilson |17] und mir [4-7] angestellten dem Gegenstand nach identisch sind. Haeckel teilte Blastulae von Urystalloides mit Hilfe von Nadeln in ungleich große Stücke (in 2, 3 oder 4); in kurzer Zeit schloss sich jedes isolierte Stück durch Zusammenneigen seiner Ränder zu einer vollen kleinen Kugel und entwickelte zum mindesten emen Luftsack, wenn es nämlich sehr klein war; war es jedoch größer, mehrere oder alle Organe resp. Personen der betreffenden Siphonophoren - Species. Es steht dieses Resultat also in vollem Einklang mit den von Chabry, Wilson und mir ausgeführten Versuchen an Eiern von Aseidien, Amphioxus und Eehiniden und somit wäre, obschon die Versuche mehr oder minder roh und auch ohne Betonung des Wesentlichen, mehr als Nebensache ausgeführt worden sind, Haeckel als der erste entwick- lungsmechanische Experimentator zu nennen, ungeachtet der schlechten Behandlung, welche er der genannten Wissenschaft kürzlich in gänz- lichem Missverstehen ihrer Absicht hat zu Teil werden lassen. Es war mir leider nieht möglich in den letzthin erschienenen Nummern meiner „Entwicklungsmechanischen Studien“ [6] das Referat zu benutzen, welches Roux |13| der Anatomenversammlung in Wien über entwicklungsmechanische Gegenstände erteilte, und umgekehrt hat Roux in seinem letzten Aufsatz „über Mosaikarbeit und neuere Entwicklungshypothesen“ |14] nicht von den allgemeinen Ausführungen meiner erwähnten Studien [6] Notiz nehmen können. Dieses, namentlich für solche, die der Sache ferner stehen, nicht sehr günstige und vielleicht etwas verwirrende Zusammentreffen ist es vorwiegend, welches diese Mitteilung veranlasst, obschon sie durch die allgemeinen Darlegungen meines Teils VI 1 sowie dureh die seither im Anatomischen Anzeiger |7| publizierten neuen Versuche eigentlich unnötig gemacht ist. Ich will zunächst einige Punkte der Roux’schen Referate berich- tigen, sodann auf den Begriff der Regeneration sowie die Theorie der Entwieklung eingehen; das große neue Werk Weismann’s [16] sowie Arbeiten Wilson’s |17, 18] werden dabei in den Kreis der Betrach- tung zu ziehen sein. Berichtigungen. In diesem Abschnitt soll alles was von Autoren bezüglich meiner und anderer Arbeiten in unzutreffender Weise dargestellt ist, zusammen berichtigt werden; bei später erfolgender sachlicher Erörterung und Diskussion werden diese Irrtümer als erledigt angesehen und nicht wieder berücksichtigt werden. IS Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. In seinem Wiener Referat |13] bezeichnet Roux das, was ich als „Halbfurchung“* der isolierten Echinidenblastomere bezeichnet hatte, als Bildung einer „typischen Semimorula*. Es erweckt diese Be- zeichnung, obschon nicht thatsächlieh unrichtig den Anschein, als sei die „Morula* ein wohl charakterisiertes Stadium in der Entwicklung der Seeigel, während man doch, wenn überhaupt etwas, nur das letzte, der Blastulabildung vorhergehende Furchungsstadium als „Morula“ be- zeichnen kann; dieses aber ist durch nichts anderes als die größere Zahl der Zellen gegenüber den früheren Furchungsstadien gekenn- zeichnet. Ich halte also die Bezeichnung für unzutreffend; was es sachlich mit der „Semimorula* auf sich hat, werden wir später sehen. In der neuesten Arbeit Roux’ [14] heisst es nun aber, ich ver- nachlässige die von mir selbst festgestellte Thatsache, „dass oft aus dem halben Seeigelei zunächst eine deutliche halbe Morula und halbe Blastula!) in Form einer halben Hohlkugel entsteht“. Davon habe ich nirgends etwas gesagt und ich muss auf diesen Irrtum etwas näher eingehen, da er den ganzen Thatbestand in falschem Lichte erscheinen lässt. Auf S. 167 fg. meines Teil I |4] heisst es: „In der Mehrzahl der... Fälle bot der Halbkeim am Abend des Befruchtungstages das Bild einer vielzelligen typischen offenen Halbkugel dar, wenn auch oft schon die Mündung etwas verengt erschien“. „Die Furchung isolierter Furchungszellen des Zweizellenstadiums ... ist also eine Halbbildung“. „Ich fand am nächsten Morgen typische, munter schwimmende Blastulae von halber Größe*. Ich habe also, wie ich glaube nichts gesagt, was irgendwie zwei- deutig wäre. Da trotzdem auch Wilson [18] mir „a perfect half- blastula® zuschreibt und Weismann |16] von meinen Versuchen sagt, „dass die aus der Furchung hervorgehende halbe Blastula sich zu einer ganzen vervollständigte* — ein Zitat das erstens unrichtig ist, denn von einer „halben Blastula“ habe ich nichts gesehen und nichts gesagt, und zweitens den Anschein erweckt, als läge Regeneration vor — so möchte ich doch den für späteres wichtigen Begriff der Blastula der Seeigel kurz kennzeichnen. Die Blastula entsteht aus dem letzten Furchungsstadium dadurch, dass der vorher lockere Zell- verband ein fester, epithelartiger wird, indem die Zellen unter Ver- ringerung ihres Volumens (unter Auspressen von Substanz) eng an- einander schließen und sich zugleich mit je emer Wimper versehen. Die Blastula ist das erste morphologisch charakterisierte Formstadium dieser Tiere. Auf 8. 317 seiner neuesten Arbeit stellt Roux ferner meine Resultate in einer mir durchaus unverständlich gebliebenen Weise dar. „Beim Seeigel sind die zwei ersten |NB. soliden, nicht ausgehöhlten ?)| 1) Von mir durch Sperrdruck hervorgehoben. 2) Furchungskugeln sind doch immer solid. Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 299 Furchungskugeln schon normalerweise stark abgerundet (?) und jede bildet gleiehwol unter Umordnung des Materials der Fureh- ungszellen eine halbe Morula, in Form einer halben Hohlkugel*“. Ich habe doch gesagt: die ganze Blastula entsteht aus der „Semimorula® durch Umlagerung d.h. Lageveränderung der Zellen. Was soll die „Semimorula“ mit Umlagerung zu thun haben, wo sie doch gerade (s. u.), wenn überhaupt vorkommend, die Folge des Liegenbleibens der Zellen am Ort ihrer Entstehung ist. Dass Roux die „Selbstumlagerung“, das Gleiten der Polyceladenblastomeren heranzieht, ist, wie weiter unten gezeigt wird, ganz richtig: aber die Blastula entsieht aus der „Semimorula* durch Gleiten der Zellen. Auch die Chabry’sehen Versuche sind im Wiener Referate Roux’ in nieht zutreffender Weise dargestellt, wozu derselbe dadurch ver- anlasst sein mag, dass der französische Forscher seltsamerweise seine kleinen Ganzbildungen (Mikroholoblasten Roux’) stets als „Demi- individu* ete. bezeichnet. vwoux’ Referat lautet: „. . . auf dem Stadium der Vierteilung verschieben sich die 4 Furehungszellen gegenemander, bis das Ganze die Form einer Kugel bildet. Nach der weiteren Teilung bildete sich gleichwohl daraus eine typische halbe Morula, eine halbe Gastrula, schließlich eine rechte und linke Halblarve also ein halbes Individuum“). Hören wir dagegen Chabry: „Au dela (nämlich über das S- — halb 16-Stadium hinaus) Varrangement des cellules est trop variable pour meriter une description, il conduit dans tous les cas A la forma- tion d’une blastula pleine, qui s’aplatit, se cereuse en coupe et donne naissance A un ectoderme et A un endoderme* Nun sagt zwar Roux (wie auch O. Hertwig |S] und ieh), dass „die abgebildeten Semigastrulae nicht mehr diesen Namen verdienen, sondern schon kompletiert zu sein scheinen“, aber ich lege besonderes Gewicht darauf, dass Chabry nicht einmal eine halbe „Morula“ er- halten hat; es scheint aus seinen zwar etwas kleinen und undeutlichen Figuren mit voller Sicherheit hervorzugehen, dass die Aseidien- blastomeren sich ebenso verhalten wie nach Wilson’s |17] Untersuchungen die Furchungszellen des Amphioxus d.h. dass nicht einmal die Furehung den Anschein einer Halb- bildung erweckt. Wir gehen über zum Begriff der Regeneration. Ich werde mich im folgenden bezüglich der Ansichten Roux’ aus- schließlich auf dessen letzte Arbeit |14) beziehen, in welcher alle 4) Auch auf S. 45 der Wiener Rede heißt es fälschlich, der Versuch aus einer abgerundeten Blastomere des Froscheis direkt eine Ganzbildung zu züchten, hätte wenig Aussicht auf Erfolg gehabt, da am Aseidienei „die eine der beiden Zellen sich fast zur Kugel rundete, aber gleichwohl eine Semimorula bildete“. Ich bitte die Figuren 125 u. 126 bei Chabry zu vergleichen. Bee) Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung Möglichkeiten der Standpunkte mit vortrefflicher Klarheit dargelegt und daher eine Auseinandersetzung wesentlich erleichtert ist. In Erwartung der betreffenden Aeußerung hatte ich in der vor- läufigen Mitteilung meiner letzten Resultate ausdrücklich betont, von Regeneration sei bei meinen Versuchen keine Rede ge- wesen. Thatsächlieh hatte damals schon Roux (was ich natürlich nicht wissen konnte) in seinem Wiener Referat, meine Resultate unter den Begriff der Regeneration (resp. Postgeneration) gebracht und war sogar so weit gegangen, eine Uebereinstimmung seiner und meiner Resultate zu konstatieren. Durch die Freundlichkeit des Autors in den Besitz der Korrekturbogen der Wiener Rede gesetzt, konnte ich wenig- stens in einer Anmerkung meiner ausführlichen Arbeit |6] noch das Abweichende meiner Ansicht über diesen Punkt darthun. Dieselbe lautet: „Das eine Ziel der Bildung eines ganzen Organismus kann also, möchten wir annehmen, von Furchungsbruchteilen prinzipiell stets auf zwei zunächst ganz verschiedenen Wegen erreicht werden: einmal, indem sie direkt durch Umlagerung das ganze aus sich bilden; zum andren, indem sie sich zunächst partiell entwickeln und dann das fehlende re- (post-) generieren“. Also ein Ziel, zwei Wege. Neuerdings nun erklärt Roux, an die kurze Aeußerung meiner vorläufigen Notiz anknüpfend diese „nicht für riehtig“, unterscheidet aber eben selbst jene zwei verschiedenen Arten der „Re- generation“, so dass sich also unsere Differenz zu meiner Freude als ein Wortstreit herausstellt. Ich möchte nun zwar nieht diese beiden Arten des Geschehens „Regeneration“ nennen, bei welchem Ausdruck man doch zunächst an die „Wiederbildung“ (dureh allerdings einer gewissen Umlagerung folgende Sprossung) im Gegensatz zur „Andersbildung“ denkt; auf alle Fälle wäre also «der neue Regenerationsbegriff etwas anderes, nämlieh viel weiter als der alte. Mit den Worten: „it is elear however, that the use of the word „regeneration“ in such a case is only per- missible, if at all, if its ordinary meaning be considerably extended“ gibt das auch Wilson [17] zu. Noch wesentlicher scheint mir aber gegen eine begriffliche Ver- einigung beider Geschehensarten zu sprechen, das ihr Gemeinsames, abgesehen davon, dass Zellen eine „prospektive Bedeutung“ gewinnen, die sie sonst nieht hätten), em Ziel ist, d. h. unter dem teleologischen Gesichtspunkt steht, anstatt das Geschehen selbst zu bezeichnen. 4) Ueber die Definition des Begriffs siehe Teil VI S.35 fg. Die prospek- tive Bedeutung wird insofern anders, als im einen Fall (z. B. Amphiozus) die Zelle thatsächlieh zu anderem wird als sonst, im andren (Frosch) aber mehr liefert als sonst. Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. sol Wünscht man also Namen, so möchte ich das auf Herstellung des sanzen gerichtete Geschehen beim Frosch und der Ctenophore (2?) [3 he- oder Postgeneration, dasjenige bei Siphonophore, Seeigel, Aseidie und Amphioxus dagegen als Altro- oder Totogeneration bezeichnen. Mir selbst liegt an diesen Namen niehts, sondern nur an dem beeriff- lichen Unterschied. - Waren unsere bisherigen Erörterungen mehr äußerlicher Natur, so treten wir im folgenden an die schwierigen in Frage stehenden Probleme selbst heran. Das Wesen der Furehung und der ersten Entwicklung. Die Ueberschrift sagt, von welchem Abschnitt tierischer Entwick- lung ich handeln will. Ich werde jedoch im folgenden, wie schon in andren Arbeiten, das Wort Entwieklun«e ohne Zusatz für diese erste Entwicklungsperiode anwenden. Ich bemerke das ausdrücklich, da Roux aus diesem Wortgebrauch mir, und ich glaube das auch be- züglich OÖ. Hertwig’s sagen zu können, mit Unrecht die Nicht- berücksiehtigung von Arbeiten vorgeworfen hat, welche auf Organ- entwicklung, um die es sich bei diesen ganzen Erörterungen doch gar nicht handelt, Bezug haben. Ich bemerke ferner, dass ich unter „Teilstücken der Eizelle“ die Furchungszellen verstehe, nicht alle Zellen des Organismus. Aus >. 41 meiner Arbeit [6] geht das hervor. Die „direkte Entwicklung“ ist nach Koux |14] „entwieklungs- mechanisch bis jetzt charakterisiert m den ersten Stadien nur durch die . . Selbstdifferenzierung der ersten Furchungszellen zu betreffenden Teilstücken der Morula, Gastrula und des Embryo“. Das heisst da- durch, dass sie in den ersten Stadien „Mosaikarbeit* ist. — Dieser Satz ist falsch; mit Sicherheit für den Seeigel; wahrschein- lich in weiterem Umfang. Er ist widerlegt durch die Ver- lagerung der Furchungszellen mit nachfolgender nor- maler Entwicklung. koux hat bei Abfassung seiner letzten Schrift nur meine vor- läufige Mitteilung |5] vorgelegen, und ihn scheint diese nicht überzeugt zuhaben, da er im weiteren Verlauf seiner Darstellung durchaus keine Notiz von ihr nimmt. Da ich jedoch nicht den mindesten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit des dort und darauf m meinem Teil IV gesagten habe, vielmehr diese Ergebnisse noch zu stützen in der Lage war [7], so muss ich mein Urteil über Roux’ Satz aufrecht erhalten, und kann somit in seiner neuen Arbeit [14] nichts andres erblieken als die klare Darlegung eines widerlegten Standpunktes; dasselbe gilt von einem Teil des neuen Weismann’schen Werkes. Da ich hoffe dureh meine mit besseren Figuren ausgestattete Nach- tragsarbeit auch weitere Kreise zu überzeugen, so gehe ich auf eine 302 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. nähere Diskussion der Prinzipien beider Standpunkte gar nieht ein: facta loqguuntur. Ich will nur mit ein paar Worten die von Roux vielleicht jetzt auch nicht mehr geteilte Annahme zurückweisen, dass meine Furch- ungsmodifikationen auf „Anachronismen, also auf leiehten Varietäten der normalen Entwicklung beruhen“. Diese Annahme wird einmal dadurch widerlegt, dass, wie dem Leser ein Blick auf die Figuren im Anatomischen Anzeiger zeigen kann, die abnormen 32-zellieen Stadien bezüglich ihrer rein formal betrachteten Zellenlage nicht identisch sind mit dem normalen 32-zelligen Stadium (2. B. sind in letzterem S grosse Zellen, in ersteren nur je 4 vorhanden ete.), was im Fall des Anachronismus der Fall sein müsste. Ferner zeigt ein Blick auf Fig. 1, welche alle denkbaren und auch thatsächlich beobachteten Fig. 3. Fig. 2 a und b. dl Möglichkeiten der durch Druck modifizierten Achtteilung membranloser Eier veranschaulicht, dass die Annahme anachronistischer, quali- tativ ungleieher Kernteilung, eine geradezu abenteuerliche Wir- kung der verschiedenen Drucknüancen auf letztere zur Voraussetzung hat, denn jede Zelle kann in der That jeden Platz haben. Es wäre somit die genannte Ansicht eine Hypothese, welche, abgesehen davon, dass sie wie oben erörtert, die späteren Verschiedenheiten vom normalen doch nicht beseitigte, selbst im Interesse eimer, in diesem Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 3053 Fall nieht einmal irgendwie sonst gestützten Theorie schwerlich jemand zu ersinnen sich versucht fühlen dürfte. Ja eine solche Ansicht käme schließlich sogar darauf hinaus, dass der Charakter der Zelle dureh ihre Lage bestimmt werde; hiermit wäre sie, aber auf großen Umwegen, bei ihrem Gegenstück, nämlich meiner Ansicht von der Entwicklung angelangt; abgesehen davon allerdings, dass ich, wie später zu erörtern, die Riehtungsbestimmung durch das wirklich Vorhandene geschehen lasse, während die fragliche Ansicht hier mit einer sehr seltsamen, nicht wohl näher zu kennzeichnenden räum- lichen Wirkung rechnen müsste; sie müsste nämlich annehmen, dass jede Zelle im ihrem idioplasmatischen Charakter von vornherein durch dasjenige Organ bestimmt würde, welches sich später an ihrem rela- tiven Orte befinden wird. Ist aber die „direkte“ Entwicklung in ihrem Beginn keine Selbst- differenzierung, sondern korrelative Differenzierung, dann fällt auch jeder Unterschied zwischen ihr und der Altro- s. Totogeneration bei Seeigel, Amphioxus, Ascidie und Siphonophore hinweg. Anders steht es nun zunächst mit Froseh und Ctenophore und anscheinend mit der „Halbfurchung“ des Seeigeleies. ;esinnen wir mit letzterer. Ich habe schon oben hervorgehoben, dass das erste morphologisch- charakterisierte Gebilde der Echinidenentwicklung die Blastula sei. Die Furchung ist mit alleiniger Ausnahme des Auftretens von 4 Mikro- meren lediglich durch eine Folge gleicher Zellteilungen gekennzeichnet. Hierduch gewinnen wir einen Einbliek in die Bedeutung unserer „Halb- furchung“. Sie ist zunächst deswegen „halb“, weil ihre Stadien natur- gemäß aus je der halben Zellenanzahl bestehen, wie diejenigen der Ganzfurechung — und das ist auch der Fall bei der Furchung der Amphioxus-Blastomere. Das emzige was ihr im Gegensatz zu dieser die Signatur einer irgendwie sonst charakteristischen „Halbbildung* aufzudrücken schein}, ist das Auftreten zweier Mikromeren, in dem Stadium, wo die Ganzfurchung deren 4 besitzt. Dass die Halbfurchung oft zur Bildung einer Halbkugel führt, worauf Roux („Semimorula“) besonderes Gewicht zu legen scheint, ist deshalb belanglos, da hierin sich nur eine Wirkung physika- lischer (kapillarer) Kräfte zeigt, die bald mehr bald minder in Aktion treten: ist das „Gleiten“ der Zellen schwach ausgeprägt, so bleiben die Zellen eben an dem Ort ihrer Entstehung liegen, und bilden eine offene halbkuglige Form, ist es stärker, so rücken sie enger zusammen; die individuellen Unterschiede sind in dieser Hin- sicht sehr stark auch bei der Ganzfurchung; ich habe gezeigt [6 IV], dass sie durch Wärme zu beeinflussen sind. Figur 2 zeigt Bilder der Halbfurchung eines Eehinus-Eies, bei welcher von eimer „Semimorula“ d.h. einer Halbkugel gar keine Rede sein kann, und bei Sphaerechinus ist das immer so, 304 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. Die „Semimorula“ ist also ein als Form in toto gar nicht gekennzeichnetes Gebilde. Es bleibt übrig, was wir von den 2 Mikromeren zu halten haben: sind diese etwa „morphologisch“ typische Halbgebilde in dem Sinne wie es eine Semichorda u. s. w. ist. Ich denke auch nicht: die Mikromerenbildung dürfte wenigstens bei Echiniden em Prozess sein, der sich nicht, wenn ich so sagen soll, auf idioplasmatischer sondern auf protoplasmatischer Grundlage abspielt, oder mit andren Worten die Mikromerenbildung ist nicht in einer eigenartigen Kernteilung sondern im physikalischen Verhältnissen des Protoplasmas begründet; diese können natürlich auch etwas anderes sein als „Nah- rungsdotter“. Bekanntlich gelang es mir Mikromerenbildung durch Wärme- und Druckwirkung beim Seeigelei ganz oder teilweise zu unterdrücken, und neuerdings gelang es auch dieselbe (2 Mikromeren ) im achtzelligen Stadium hervorzurufen (Fig. 3), wo sie sich normal nicht finden (hierüber wird eine spezielle Arbeit berichten). Ein Ver- gleich der Figuren 24 u. 5 zeigt dem Leser abgesehen von der Größe völlig gleiche Bilder: das eine ist ein halbes 16-, das andre ein modi- fiziertes ganzes S-Stadium. Somit bleibt von der Halbfurchung nichts als die halbe Zahl der Zellen übrig; die Halbkugel ist ein m gewissem Sinne zufälliges Re- sultat; kurz: prinzipiell liegen die Verhältnisse beim Seeigel nicht anders als bei Amphioxus und der Aseidie. Ich freue mich in dieser Ansicht über den „mechanischen“ Cha- rakter der Furchungsbilder (ungeachtet gewisser, idioplasmatischer Ver- schiedenheiten, wovon später) eine Stütze in der neuen Nereis- Arbeit von Wilson |18| zu finden, einer Arbeit, die wohl das Beste ist, was wir auf dem Gebiet deskriptiver Embryologie besitzen und auch wesent- liche analysierende Aufhellungen birgt. In die Worte: „The funda- mental forms of eleavage are primerily due to mechanical conditions“ fasst Wilson das Resultat seiner Erörterungen zusammen. Von der so typisch „halben“ Ctenophoren-Furchung [3] gilt natür- lieh auch das hier gesagte: der Nahrungsdotter dürfte ihr den schein- bar morphologisch gekennzeichneten Halbstempel aufdrücken, und die Halbform der „Morula* ist dadurch bedingt, dass die Furchungs- zellen der Ctenophoren die Erscheinung des Gleitens in äußerst ge- ringem Maße zeigen, deshalb bleiben sie liegen, wo sie entstanden sind. Um nun dem Kernpunkt unserer Frage näher zu kommen, weshalb nämlich bei Frosch und Rippenqualle halbe Embryonen aus einer Blastomere hervorgehen, soweit Regeneration außer Spiel bleibt, bei den andren untersuchten Eiern ganze, muss eine kurze Betrachtung anderer Art eingeschaltet werden. Da nach meinen Untersuchungen die Furchungszellen der Echiniden ein gleiehartiges omnipotentes Material darstellen, legte ich mir. die Frage vor, was denn nun Richtung in das bis jetzt richtungslose Ganze Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 305 brächte, und damit den Grund legte zur morphologischen Spezifikation. Ich habe in dieser Hinsicht die Hypothese aufgestellt |7|, es möchten /) die Mikromeren ihrer (bekanntlich beliebig modifizierbaren) Lage nach “die Bestimmer der ersten Richtung sein, derart, dass immer ihnen gegenüber die Mesenchym- und dann die Darmbildung Platz greife. Ich bemerke zunächst, dass ich mir, wie aus allem hervorgeht, diese Beeinflussung nicht etwa derart denke als seien die Mikro- meren von idioplasmatisch anderer Natur, ich habe mir viel- mehr unter diesem Einfluss etwas physikalisches, etwa besondere in der Dieke der Blastula oder ähnlichem bedingte Spannungsverhältnisse vorgestellt, die zur spezifischen Auslösung der im Ganzen schlummernden Fähigkeiten führten. Ich gebe das hypothetische der Anschauung, dass diese besondere, etwa als Minimum oder Maximum gekennzeichnete Spannung gerade dort, wo die Mikromeren in der Blastulawand liegen, ihren Sitz habe, gern zu, immerhin wird an eine derartige physikalisch vermittelte Auslösung zu denken sein. Ist die erste und dann die zweite Richtung bestimmt, dann gilt mein Satz: „die prospektive Bedeutung der Blastomeren ist Funktion des Ortes“!) d. h. ihr Schicksal wird durch ihre Lage bestimmt. Ich glaube, dass der Vorzug dieses Ausdrucks serade in seiner Indifferenz liegt, indem das Wort „Funktion“ nur eine Abhängigkeit allgemeinster Art bezeichnet. | Vom Beginn der Richtungsbestimmung an tritt der Spezifika- tionscharakter der ersten Entwicklung hervor; von nun an decken sich meine Anschauungen in gewisser Hinsicht mit denen Roux’. Im Anschluss an die „Anentoblastia* dieses Forschers will ieh hier vorläufig bemerken, dass auch bei Echi- niden, hat man denDarm der Gastrula entfernt, sich ihre Wand, also das Ektoderm, vollständig zur Pluteusform entwickelt, und sogar die kleine Einsenkung des Mundes bildet, welche nie funktionieren kann. Diese völlig darm- losen Plutei leben eine Woche. Ich glaube, wir sind jetzt in die Lage gesetzt, unser Hauptthema wieder aufzunehmen, warum sich ein halber Frosch, eme halbe Oteno- phore, aber ein ganzer Seeigel, Amphioxus, Aseidie aus einer der ersten Furchungszellen entwickelt. Der eigentliche Grund dieser Verhältnisse ist ein physikalischer, nämlich der Mangel des „Gleitens“ der Zellen bei Frosch und Üteno- phore. Beim Seeigel gelangen im Moment der Blastulabildung die 1) Es dürfte fast überflüssig sein zu betonen, dass der Satz nur immer für die gerade in Frage kommende Form (Species) gilt; Wilson [8] hat ge- zeigt, dass gleich liegendes bei differenten Formen (Polycladen, Gastropoden, Anneliden) ganz verschiedene prospektive Bedeutung haben kann. Die idio- plasmatische, die Species bedingende Grundlage, ist natürlich stets das Wesent- liche. — REIT: 0 306 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. kapillaren Kräfte der Furchungszellen zu stärkerer Aktion: im Falle der Ganzbildung schließen sich letztere enger zum Epithel zusam- men, hat Furchung nur einer Blastomere stattgefunden, so geschieht das Gleiten in größerem Umfange: die „Semimorula* wird zu einer ganzen kleinen Kugel, wenn sie nicht vorher schon eime war: die epithelialgewordene Kugel ist die Blastula. Der Unterschied, den Amphioxus und Ascidie hiergegen darbieten, dürfte, wie schon oben gesagt, nur darin ausgeprägt sein, dass von vornherein das Gleiten der Zellen stärker ausgeprägt ist. Beim Froschei ist nun das Zusammengleiten des Furehungsmaterials zur Bildung einer kleinen Ganz- blastula durch die Anwesenheit der toten Hälfte rein mechanisch verhindert; bei den Otenophoren dagegen kommt es ja auch in der normalen Entwicklung nicht zur Bildung einer kugligen, blasigen „Blastula*, sondern diese letztere ist em mehr oder weniger solides Gebilde. (Bitte Chun’s Abbildungen in der Fauna und Flora des Golfes von Neapel (Band I) zu vergleichen.) Es ist also physi- kalisch, das eine Mal durch äußere (die tote Eihälfte), das andre Mal durch innere (Nahrungsdotter ete.) Kräfte verhindert, dass eine ganze kleine Blastula entsteht. Chun selbst, der den Nahrungsdotter für den Unterschied zwischen Utenophoren- und Eehimidenei verantwortlich macht, scheint damit ebenfalls an eine nebensächliche d. h. nicht idio- plasmatisch begründete Differenz zu denken. Die „Semiblastula“ bei Ctenophore und Frosch wird nun im Gegensatz zur „Holo- blastula* der andren Objekte der Ausgang für das folgende und hierfür gilt mein Satz: Nach Bestimmung erster Richtungen ist die prospek- tiveBedeutung der Blastulazellen eine Funktion des Ortes; und zwar in folgender Weise: Bei Seeigel, Amphioxus, Ascidie ist die Blastula eine kleine Kugel, die in Frage kommenden Richtungen, die Ordinaten, sind 2 zu einander senkrechte Durchmesser; bei Frosch und Ctenophore ist die Blastula eine Halbkugel, die eine Ordinate ist ein Durchmesser, der die Oefi- nung kreuzt, die andere ist der auf ihr senkrechte Radius: daher bildet sich hier ein Halbembryo, denn in der andren Hälfte des Ordinatenfeldes liegt gar kein Material, auf das dieses bestimmend wirken könnte. Wer sich an dieser mathematischen Fassung stoßen sollte, möge bedenken, dass sie die allerallgemeinste, die am wenigsten hypothe- tische ist; denn wie gesagt, das Wort „Funktion“ bezeichnet ganz allgemein em Abhängiekeitsverhältnis ohne über seine Natur irgend etwas zu sagen. Es folgt aus meiner Aufstellung, wie schon a. a. ©. angedeutet, dass erstens aus einer Froschblastomere sich auch ein ganzer Embryo (ohne Regeneration) müsste ziehen lassen, falls es gelänge eine kuglige Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 30% Blastula zu erzielen, sowie, dass eine erste Furchungszelle eines See- igels müsste einen halben Pluteus ins Dasein treten lassen, gelänge es den Schluss der Furchungszellen zur Blastula zu verhindern; letz- terer Versuch ist unausführbar, hoffentlich gelingt noch einmal der erstere von Roux bis jetzt vergeblich versuchte. Dass Roux „nach Defekten am gefurchten Froschei zirkumskripte Defekte am Embryo“ erhielt, ist nach Gesagtem einzusehen, denn die Defekte störten die relative (auf die Koordinaten bezogene) Lage der übrigen Blastomeren nicht; ebenso könnte wohl aus einer Echiniden- blastula ein defekter Pluteus gezogen werden, würde durch den ihr zugeführten Eingriff die Lage der andren Blastomeren nicht gestört. C Dieser Feststellung meiner Ansicht sind nun einige Einschränkungen beizufügen. Wenn der Charakter der Furchungszellen von mir omnipotent ge- nannt ist, so gilt das ausdrücklich nur für diejenigen Fälle, im denen sichere oder wahrscheimliche Anhaltspankte dafür vorliegen. Wie ich auch früher schon betont habe, halte ich mir die Möglichkeit voll- ständig offen, dass diese Ansicht im Falle früh spezialisierter Genital- anlagen, oder auch von Anlagen anderer spezifizierter Organe (Meso- derm, die Somatoblasten der Anneliden) nicht zutreffend sein kann. — Dabei wäre freilich noch zu erwägen, inwieweit letzteres scheinbar ist oder nicht. ei Ascaris scheint nach Boveri’s wichtiger Entdeckung |1] m der That en wesentlicher, nämlich in den Kernverhältnissen be- eründeter Unterschied zwischen somatischen und generativen Zellen vorzuliegen; wie weit aber Unterschiede zwischen somatischen Zellen unter sich wesentlicher Natur, oder ob sie nur protoplasmatischer Natur sind, wie 0. Hertwig [10] annimmt, das müssen erst darauf be- zügliche Untersuchungen entscheiden, wobei zu bedenken ist, dass auch eine Omnipotenz des Kernes durch plasmatische Differenzen in ihrer Bestätigung gehemmt werden könnte, ohne dass darin ein prinzipieller Unterschied gegen das Verhalten etwa beim Seeigelei vorläge. Von letzterer Natur ist meiner oben geäußerten Meinung nach die scheinbare (auf Nahrungsdotter beruhende) Zellenprädisposition, welche uns das Ctenophorenei darbietet, und derartige Fälle sind ohne Zweifel zahlreicher. Sie kommen in letzter Hinsicht darauf hmaus, dass hier das Proto- plasma von vornherein nieht „isotrop“ ist, und daher auf die idio- plasmatischen Potenzen (die Kerne) richtungsbestimmend wirkt. Das Protoplasma wird hier also in gewisser Hinsicht ein wesentlicher formbestimmender Faktor; sem Wirken ist geeignet, uns spezifische Kerndifferenzen vorzutäuschen, wo sie vielleicht gar nieht vorhanden sind. Für das Seeigelei haben wir entsprechendes oben näher ausgeführt. 308 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. Hierher gehört auch das von Roux herangezogene Inscktenei, welches schon vor der Befruchtung die Riehtungen des Embryo er- kennen lässt. Es ist eine vielleicht experimentell prüfbare Folge meiner Ansichten, dass ohne Störung der folgenden Entwieklung die Furchungskerne (Kerninseln) des In- sekteneiesinihmderLage nach vertauschbar sein müssten. Die „festen Beziehungen“ der Richtungen wären danach allerdings „nicht zufällige sondern kausale*, aber letzteres nicht in idioplasma- tischer Hinsicht wie Roux meint, sondern bezüglich riehtungsbestim- mender Auslösung. Doch dieses nur um die Sache zu verdeutlichen. Dass ich bezüglich der angeblichen „Anachronismen* in der Amphibien- und sonstiger Entwicklung ©. Hertwig’s |9| Ansicht teile, erhellt aus vorigem wohl zur Genüge: idioplasmatische Differenzen liegen in ihnen eben gar nicht vor, sondern nur Differenzen hinsichtlich der Beziehung der Lage der ersten Kerne zu früh (nämlich im physi- kalischen Bau des Protoplasmas) bestimmten Richtungen. Im Uebrigen dürfte hinsichtlich der Möglichkeit embryonale Bil- dungen auf Furchungszellen (resp. Kerne) zu beziehen und umgekehrt das Schicksal letzterer zu prophezeien, das von mir a. a. O. gesagte selten, dass nämlich der Furchungstypus unter gleichen Umständen gleichartig verläuft und dass „in Folge der Kontinuität der Entwick- lung sich ja natürlicherweise jede ältere Zellengruppe auf eine voraus- gegangene jüngere Gruppe, und so schließlich bestimmte Körperteile auf bestimmte Furchungszellen zurückführen lassen müssen“ (0. Hert- wie |S]). Ich kann nicht umhin am Schlusse dieser Auseinandersetzung zu Weismann’s großem Werke „das Keimplasma“ Stellung zu nehmen !); doch sollen nur diejenigen Punkte berücksichtigt werden, in denen die so fein ausgebaute Theorie jenes Forschers von meinen Untersuchungen affiziert wird. Wie aus allem Vorstehenden hervorgeht, kann ich seine Annahme, dass die Embryogenese durchweg Spezifikation, Evolution im formalen Sinne sei, nicht annehmen. Weismann hat sich aus der Schwierigkeit, die ihm schon die Regenerationserscheinungen, namentlich an Pflanzen darboten, durch eine große Anzahl von Hilfshypothesen (Nebenidioplasma, Neben- determinanten ete.) zu retten gesucht; auch meine ersten Versuche denkt er fälschlich als „Regeneration“ in dieser Weise auffassen zu können ?). 4) Ein ausführlicher Bericht über dieses Werk wird in der nächsten Nummer veröffentlicht werden. Anm. d. Red. 2) Es ist dabei ein kleines Versehen untergelaufen. W. spricht von der allgemein bekannten Regenerationsfähigkeit der Seeigel. Davon ist aber gar nichts bekannt; es soll wohl Seesterne heißen, aber damit wird die ganze Er- örterung hinfällig. m] Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 309 Ich glaube nicht, dass es Weismann möglich sein wird, ange- siehts meiner Versuche über Verlagerung von Furchungszellen diesen Teil seiner Theorie aufrecht zu erhalten. Prinzipiell geht es ja natür- lich auch, aber man bedenke, welch’ eine Menge „Hilfsannahmen“, welche verschiedenen Kombinationen von „Nebendeterminanten* nötig werden, wenn man angesichts der Thatsache, dass jede Zelle (jeder Kern) jeden Platz im ganzen einnehmen kann, den Spezi- fikationscharakter der ersten Entwicklung aufrecht erhalten will. Wir haben oben bereits eine entsprechende Annahme ad absurdum geführt. Es werden der Hilfsannahmen ganz abgesehen von ihrem abenteuer- lichen Charakter so viele, dass sie eben die Theorie in ihr Gegenteil überführen. Dieses Gegenteil der Theorie (in der uns interessierenden Beziehung) ist die Hypothese von de Vries |15l. Weismann hat von diesem Forscher die Zusammensetzung des Idioplasmas aus Einheiten über- nommen, vorwiegend deshalb, da die verschiedenen „Eigenschaften“ der Formen selbständig variieren können. Letzterer Gesichtspunkt ist überhaupt der Kernpunkt des Ganzen, namentlich auch der über Amphimixis handelnden Teile, und ich bemerke ausdrücklich, dass diese Seiten des Weismann’schen Theoriegebäudes mit meinen Er- wägungen nichts zu thun haben. de Vries lässt nun aber im Gegen- satz zu Weismann die ganze idioplasmatische Masse von Zelle zu Zelle weitergegeben werden und jede Zelle in ihrem spezifischen Charakter vom Kern aus (in materieller Weise, was übrigens ziemlich nebensächlich ist) beeinflussen. Wenn ieh mieh eimmal zu einer Theorie, welche ich mit Roux durchaus nur „für eine dem gegenwärtigen Stand unserer Auffassung angepasste Vorstellungsweise“ halte, bekennen soll, so thäte ieh es am ersten noch zu dem Grundgedanken — aber auch nur zu dem — der Theorie von de Vries. Welcher Art die Beeinflussung der Zelle vom Kern aus ist, und wie und wodurch diese Beeinflussung in bestimmter, der spezifischen Organisation korrespondierender Weise ausgelöst wird, das wissen wir freilich gar nieht. Aber diese voll- ständige Unwissenheit ist kein Grund dafür etwas derartiges über- haupt abzuweisen, wie Roux es thut, ohne dass er doch irgendwie darthun könnte, warum und wie denn seine qualitativ ungleichen Kernteilungen in der richtigen, typischen Reihenfolge vor sich gehen. Vergessen wir überhaupt nieht, welcher Art alle diese Theorien naturgemäß sind. Gerade die Hauptsache, den Grund der spezifischen Formbildung setzen sie voraus. Weismann hat ganz recht, wenn er sagt, jede morphogene Theorie müsse evolutionitisch sein. Sie muss es wirklich, aus logischen Gründen, denn spezifische Formbildung ist etwas elementares, letztes. Auch nach de Vries ist die erste Ent- wicklung nur formal epigenetisch. Doch über diese Fragen, sowie über den damit zusammenhängenden Begriff des „Metaphysischen“ 310 Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. werde ich demnächst an andrem Orte eine Untersuchung anstellen, so dass hier diese Hinweisung genügt. Ein möglichst strenger Ausdruck der Thatsachen und Alternativen scheint mir zunächst vor allen Theorien, die doch nur zu einer bloßen, d. h. nieht mit Vereinfachung verbundenen Umschreibung derselben kommen, den Vorzug zu verdienen. Als klassisches Beispiel einer solchen Diskussion bitte ich zum Schluss den Leser, die Einleitung zum ersten Teil der Beiträge zur Entwicklungsmechanik von Wilhelm koux |11] einsehen zu wollen. Mögen diese Zeilen, welche sich gegen einzelne Ausführungen des genannten Begründers der bewussten entwicklungsmechanischen Forsch- ung richten mussten, ohne mit seinem allgemeinen wissenschaftlichen Standpunkt zu disharmonieren, zur Klärung der Frage beitragen. Neapel, Zoologische Station, 3. März 1803. Litteratur. [1] Boveri Th., Ueber die Entstehung des Gegensatzes zwischen den Geschlechtszellen und den somatischen Zellen bei Ascaris megalocephala. Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u Physiol., VIIl, München 1822. [2] Chabry L., Contribution ä l’embryologie normale et teratologique des ascidies simples. Journ. de l’anat. et de la phys., 1887. [3] Chun C., Die Dissogonie der Rippenquallen. Festschr. f. Leukart, 1892. [4] Driesch H., Entwicklungsmechanische Studien. I. Der Wert der beiden Furchungszellen der Echinodermenentwicklung. Zeitschr. f. wiss. Zool., 53. [5] Derselbe, Entwicklungsmechanisches. Anat. Anz., 1892. [6] Derselbe, Entwicklungsmechanische Studien: III. Die Verminderung des Furchungsmaterials und ihre Folgen, IV. Experimentelle Veränderung des Typus der Furchung und ihre Folgen, VI. Ueber einige allgemeine Fragen der theoretischen Morphologie 1. Zeitschr. f. wiss. Zool., 55. ] Derselbe, Zur Verlagerung der Blastomeren. Anat. Anz., 1893. ] Hertwig O., Urmund und Spina bifida. Arch. f. mikr. Anat., 39. [9] Derselbe, Aeltere und neuere Entwicklungstheorien. Berlin 1392. ] Derselbe, Die Zelle und die Gewebe. I. Kap. 9. Jena 182. ] Roux W., Beiträge zur Entwicklungsmechanik des Embryo: Einleitung und Beitrag I. Zeitschr. f. Biologie, XXI. [12] Derselbe, Ebenda Beitrag V. Ueber die künstliche Hervorbringung halber Embryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungs- kugeln, sowie über die Nachentwicklung (Postgeneration) der fehlenden Körperhälfte. Archiv f. path. Anatomie, 114. [13] Derselbe, Ueber das entwieklungsmechanische Vermögen jeder der beiden ersten Furchungszellen des Eies. Verh d. anat. Ges., 182. [14] Derselbe, Titel wie 11; Beitrag VII. Ueber Mosaikarbeit und neuere Entwieklungshypothesen. Anat. Hefte, 189. [15] de Vries H,, Intracelluläre Pangenesis. Jena 1839. [16] Weismann A,, Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena 1892. [17] Wilson E. B., On Multiple and Partial development in Amphioxus. Anat. Anzeiger, 1892, [18] Derselbe, The Cell-Lineage of Nereis. Journ. of Morph., VI. Driesch, Zur Theorie der tierischen Formbildung. 5 ’ 5 9Jll. Anhane. Nachdem das Manuskript zu vorstehender Arbeit bereits abgesandt war, erschien Braem’s Artikel: „Das Prinzip der organbildenden Keim- bezirke und «ie entwicklungsmechanischen Studien von H. Driesech*. (Diese Zeitschrift, XII, Nr. 4 u. 5.) 3jraem meint, kurz gesagt, die 5 Zellen meines Druckstadiums seien den 8 normalen Zellen deshalb nicht vergleichbar, weil sie nebeneinander und nicht in 2 Kränzen überemander lägen; die zum S-Stadium führende Furche hätte bei meinen Objekten einen andren Wert, da sie nieht animale und vegetative Hälfte sondere. Ich haite bei unbefangener Lektüre des B.’schen Artikels den Eindruck, es läge ein Cireulus vitiosus vor. Ich hatte auf S. 35 meiner Arbeit ausdrücklich betont, dass sich meine Versuche nur auf Bedeu- tung und Verlagerung der Kerne bezögen. Weil die aufeinander- folgenden Kerngenerationen jeden relativen Platz einnehmen können, so argumentierte ich, so ist es durchaus unwahrscheinlich, erfordert vielmehr (s. Text dieser Arbeit) die abenteuerlichsten Hülfsannahmen, dass dieselben ein spezifisch verschiedenes und nicht vielmehr ein gleichwertiges Material sind. Würde nun B. auch die Kerne im Sinn haben, woran doch, da er mich bekämpft, zu denken ist, und in Bezug auf sie sagen, dass die äquatorlale Furche ihren vegetativen und animalen Bestandteil, also die idioplasmatischen Bestand- teile der Zelle qualitativ sondere, so würde er in der That das voraussetzen, wovon das Problem handelt. Auf hierauf bezügliche briefliche Anfrage war Herr Dr. Braem so freundlich mir nähere Auskunft über seine Ansicht zu erteilen und mir zu gestatten von derselben Gebrauch zu machen; ich thue dies im Interesse der Klarstellung unserer Sache. B. schreibt nun „es handelt sich in memem Aufsatz nur um die Qualität der Zellen als solcher, und ich habe es absichtlich ver- mieden, die spezifische Bedeutung des Kerns ın die Diskussion zu ziehen“. Meine Annahme eines Circulus vitiosus war also irrig; aber nun- mehr muss ich erklären, dass B.’s Artikel mich gar nicht trifft, denn (vide 8. 35 meiner Arbeit) ich handle nur von den Kernen und trete, wie diese Arbeit lehrt, selbst für eine protoplasmatische Differenz der Furchungszellen ein, ja gründe auf sie weitere Annahmen; das Protoplasma des Eehinideneies ist eben nicht isotrop, sondern be- sitzt eine Symmetrieaxe. An Stelle einer Differenz wäre also Uebereinstimmung getreten. Ich gebe gern zu, dass meine Bezugnahme auf das „Prinzip der organbildenden Keimbezirke* (8. 22) nicht ganz korrekt war, denn dieses hat nicht ausdrücklich die Kerne im Sinn, wird also wohl durch meine „Teilbildungen“ widerlegt, aber nicht ohne weiteres dureh die „Druckversuche“. Ja, denken wir uns beispielsweise, es seien im 212 List, Entwicklungsgeschichte von Pseudalius inflexus. Insektenei, welches sich erst nach Entstehen aller Blastonuklei zer- klüftet, letztere durchgreifend verlagert, so könnte wohl gar das Prinzip der (protoplasmatischen) „Keimbezirke* äußerlich völlig zu Recht bestehen, obschon die Lehre von der Spezifikation der (idio- plasmatischen) Furehungskerne, wie auch durch meine Versuche, wider- legt wäre. — 10. IV. 9. Zur Entwicklungsgeschichte von Pseudalius inflewus Du). Von Theodor List, stud. rer. nat. (Aus dem zoologischen Institute der Universität Jena.) Die Entwieklungsgeschichte der Nematoden ist bis jetzt an drei verschiedenen Typen genauer untersucht worden. Götte bearbeitete Rhabditis nigrovenosa, Hallez Ascaris megalocephala und Bütschli Oueullanus elegans. Die Untersuchungen Bütschli’s sind insofern nicht vollständig, als seine Untersuchungen erst mit dem Blastula- Stadium beginnen. — Meine eigenen Untersuchungen über die Ent- wieklungsgesehichte von Pseudalius inflexus sind deshalb vielleicht nicht ohne Interesse, als sie über jenen Cxeullanus-Typus weiteren Aufschluss geben. — Dieser Typus zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die erste Furchungsebene nicht genau in die Medianebene fällt, sondern etwas darüber, so dass durch die erste Teilung zwei ungleiche Blastomeren zu Stande kommen. Das erste Ektoderm-Blastomer ist erheblich kleiner als das erste Entoderm-Blastomer. Bei Cuecullanus elegans ist dies noch nicht beschrieben worden, geht jedoch aus den Abbil- dungen Kölliker’s deutlich hervor. Die Trennung der Ektoderm- und Entoderm-Blastomeren ist schon im Acht-Zellenstadium ersichtlieh. Im Stadium von zwölf Zellen — 8 Ektoderm- und 4 Entodermzellen — ist bereits die zweischichtige Zellenplatte zu erkennen, deren dorsale Hälfte dem Ektoderm und deren ventrale Hälfte dem Entoderm angehört. — Im weiteren Verlaufe der Furehung kommt es zur Bildung einer Amphiblastula, bei der eine deutliche, wenn auch nicht voluminöse Blastula-Höhle nachgewiesen wurde. Es ließ sich dies unzweifelhaft auf Schnittserien durch diese Stadien konstatieren. Die Höhle wird bald durch die Entodermzellen verdrängt. — Dadurch, dass die Ektodermzellen sich sehr rasch vermehren, entsteht schließlich am Ende des Blastula-Stadiums eine flache zwei- schichtige Zellenplatte, die der von Bütschli bei Oueullanus beschrie- benen und abgebildeten im wesentlichen gleicht. Indem die händer der zellenreichen Platte sich umbiegen und auch vom Sehwanzende her eine Umwachsung stattfindet, kommt es zur Bildung einer Gastrula dureh Epibolie (Gastrula eircumereta), die nach ihrer kompakten Be- schaffenheit als Sterrogastrula aufzufassen ist. — Das Prostoma, das einen vom Schwanzende nach dem Kopfende verlaufenden Spalt vorstellt, schließt sich immer weiter nach dem List, Entwicklungsgeschichte von Pseudalius inflewus. w — w Kopfende hin, jedoch bleibt es als eine rundliche Oeffnung noch längere Zeit am vorderen Ende bestehen. — Das Mesoderm erscheint am Anfange des Gastrulations- Prozesses und stammt ab von zwei Urmesodermzellen, die ihrerseits wieder Pro- dukte des Entoderms sind und während des 16-Zellenstadiums auf- treten. Die Mesodermzellen liegen perlschnurartig aneinandergereiht seitlich vom Darme. Während an der Darmanlage deutlich ein vor- derer Absehnitt sich erkennen lässt, der mancherlei Umbildungen auf- weist, tritt eine sehr rasche Vermehrung der Mesodermzellen ein. Neben dem ersten Mesodermstreifen entsteht ein zweiter, dritter und so fort, so dass wir, wenn wir gegen (das Ende des Gastrula -Stadiums hin, solange das Prostoma noch nicht geschlossen ist, einen Querschnitt durch dieses Stadium näher betrachten, uns überzeugen können, dass die Darmanlage von einem Kranze von Mesodermzellen umgeben wird, der sich auf der Ventralseite am spätesten schließt. — Indem später die Mesodermzellen mit dem Ektoderm in nähere Beziehung treten, kommt es zur Bildung eines Homoeöls, das bei den erwachsenen Nematoden durch Umbildung und Auseinanderweichen der Mesodermzellen wieder zu einem Sehizoeöl wird. — Das Nervensystem entsteht gegen Ende des Gastrulations- Pro- zesses durch Einwanderung von Ektodermzellen des oberen verdiekten Randes; an dem gekrümmten Embryo erkennen wir zwei seitliche Nervenstränge, die mehr ventralwärts liegen, und einen dorsalen, beide Anlagen werden, wenn der Wurm schon stark gebogen ist, durch eine Kommissur miteinander verbunden. — Der Mund entsteht nach Schluss des Prostoma, als Neubildung, dureh ektodermale Einstülpung; der After, der sich bedeutend später ausbildet, kommt ebenfalls durch eine triehterförmige Einstülpung des Ektoderms zu Stande. In einer späteren Arbeit gedenke ich vorliegende Angaben ein- gehender zu begründen und zu erweitern. Jena, im Februar 1893. 914 Capparelli, Aufbewahrung des Pankreas und Zubereitung des pankr. Saftes. Methode zur Aufbewahrung des Pankreas und zur Zuberei- > tung des pankreatischen Saftes. Von Professor Andrea Capparelli. Während ich mich mit der Exstirpation des Pankreas an Tieren, dem dieser Operation stets folgenden Diabetes und mit den zur Hei- lung desselben tauglichen Mitteln beschäftigte, kam ich in die Not- wendigkeit, jeden Augenblick frischen und ziemlich reinen pankrea- tischen Extrakt zu meiner Verfügung zu haben. Zuerst nahm ich meine Zuflucht zu den gewöhnlichen, in der Physiologie angewandten Methoden, um mir den nicht aus Fisteln, sondern aus dem Organ selbst entnommenen pankreatischen Saft zu verschaffen. Ich musste mieh jedoch bald überzeugen, dass es nur durch große Opfer möglich sei, stets frischen pankreatischen Saft zur Verfügung zu haben. Wie bekannt ändert sich der pankreatische Saft mit beträchtlicher Schnellig- keit und belastet sich während des gewöhnlichen Präparationsprozesses mit einer wirklich enormen Menge von Produkten der Verdauung des Pankreas selbst. Dies kann so weit gehen, dass er häufig vollständig untauglich für den Gebrauch und für die physiologischen Forschungen wird. Angespornt durch diese Betrachtungen begab ich mich auf die Suche nach eimer Methode, welche obige Uebelstände so viel als mög- lieh vermeiden sollte. Die Methode, mit welcher es mir gelang, den pankreatischen Saft in einem Zustande von fast vollständiger Unversehrtheit zu erhalten und mittels welcher ich stets ziemlich reinen pankreatischen Saft zu meiner Verfügung haben konnte, ist folgende. Ich töte die Hunde durch Blutentziehung, alsdann ziehe ich rasch das noch warme Pan- kreas heraus und zerreibe es mit viel zuvor sorgfältig gewaschener und getrockneter Talkerde so lange in einem Mörser, bis ich ein fast trockenes Pulver habe. Alsdann bringe ich dieses Pulver in Gegenwart von konzentrierter Schwefelsäure unter eine Glasglocke. Nach vierundzwanzig Stunden wird die Mischung in einem Mörser zu einem äußerst feinen Pulver zerrieben. In letzterem Zustande kann man es alsdann der Luft aus- setzen, ohne irgend eine Alteration befürchten zu müssen. Ich konnte konstatieren, dass es noch nach sechs Monaten die physiologischen Eigentümlichkeiten des frischen Pankreas unverändert bewahrte, und Alles lässt glauben, dass man es noch für viel längere Zeit unverändert erhalten kann. Obiges Pulver kann bei der Temperatur von 130%, C. erwärmt werden, ohne seime physiologischen Bigentümlichkeiten zu verlieren. Mit dieser Mischung bereite ich mir je nach Bedarf den pankrea- tischen Saft und zwar indem ich sie mit destilliertem Wasser behandle, Capparelli, Aufbewahrung des Pankreas und Zubereitung des pankr. Saftes. 515 sie eine halbe Stunde in der Temperatur der Umgebung stehen lasse, dann filtriere; die filtrierte, durchsichtige, sehr dünne, fast farblose Flüssigkeit gibt beim Sieden kemen Niederschlag, wenn die Mischung der Talkerde und des Pankreas zuvor wohl getrocknet wurde; ein Umstand, der beweist, dass der auf diese Art und Weise gewonnene pankreatische Extrakt keine in der Wärme sich niederschlagenden Albuminate enthält. Sie gibt einen sichtbaren Niederschlag, wenn sie mit warmer Salpetersäure behandelt wird, ebenso wie das von Kühne präparierte Trypsin. Wenn die Exstirpation des Pankreas sehr rasch vor sich gegangen, das fastende Tier geopfert wurde und die Austrocknung der Mischung bald erfolgte, enthält der pankreatische Saft gar keine Peptone oder deren nur so wenige, dass man sie außer Acht lassen kamn, jedenfalls in weit geringeren Verhältnissen, als es in dem mit Hilfe der gewöhn- lieh in der Physiologie gebräuchlichen Methoden gewonnenen pankrea- tischen Safte der Fall zu sein pflegt. Indem ich alle oben erwähnten Vorsichtsmaßregeln anwandte, gelang es mir ein Pulver zu erhalten, aus welchem ich einen von Peptonen vollständig freien pankreatischen Saft ausziehen konnte. Der auf diese Weise hergestellte pankreatische Extrakt verwan- delt rasch gekochte Stärke in die Produkte der diastatischen Ver- dauung, hat starke proteolytische Wirkung, emulgiert die Fette, zeigt überhaupt alle physiologisehen Eigentümlichkeiten des frischen pan- kreatischen Saftes, hat außerdem den Vorteil vor ihm voraus, der Fäulnis zu widerstehen. Mit diesem Safte kann man, wie ich experi- mentell beweisen konnte, die Erzeugnisse der pankreatischen Ver- dauung ohne Verunreinigung durch Fäulnis- oder abnorme Zersetzungs- produkte erhalten. Man kann das zur Präparation des pankreatischen Saftes dienende Pulver teilweise sterilisieren, indem man es bis zu 100°/, €. erwärmt, ehe man zur Präparation des pankreatischen Saftes schreitet. Ich habe häufig gefunden, dass man auf diese Weise Pep- tone und verdaute Stärke erhalten kann, welche für eine verhältnis- mäßig lange Zeit aufbewahrt und welche mit Erfolg zur Ernährung durch das Rektum, ohne schwere Missstände hervorzurufen, verwendet werden können. Während man mithin durch diese Methode eme fast reine Lösung der verdauenden Fermente des Pankreas erhalten kann, ist es nicht möglieh mit Bestimmtheit zu behaupten, dass man alle Elemente, die das Pankreas in frischem Zustande enthält, herausgezogen habe. So konnte ich im früheren Arbeiten beweisen, dass man durch Einspritzung des frischen mit dem Brei von Pankreas verbundenen pankreatischen Saftes in die Bauchhöhle der durch die Exstirpation des Pankreas experimentell diabetisch gemachten Hunde zuerst eine Verminderung und nach einigen Stunden das Verschwinden des Zuckers im Urin erlangen kann. >16 Capparelli, Aufbewahrung des Pankreas und Zubereitung des pankr. Saftes, Der auf oben angegebene Weise präparierte pankreatische Extrakt hat diese Eigentümlichkeit verloren. Es wurde mit andern Worten (das Prinzip zerstört, welches sich der Bildung des Zuckers im Or- ganismus entgegensetzt. In der That, bei Eimspritzung des dureh die Mischung der Talkerde und des Pankreas erlangten pankreatischen Saftes in die experimentell diabetisch gemachten Hunde, vermehrte sich der Zucker im Urin im Gegensatz zu dem, was durch die Ein- spritzung der Mischung von Wasser und Brei von Pankreas in die Bauchhöhle erzielt wurde. Der Extrakt bewahrt dagegen die Fähigkeit, die Vergiftungs- erscheimungen, welche die Hunde bei vorgeschrittener Diabetes dar- bieten, zu bekämpfen. Ich habe durch Experimente bewiesen, «dass die Hunde wieder zu Kräften kommen, trotz der Vermehrung des Zucekerverlustes, nach Einspritzungen des erwähnten pankreatischen Saftes in die Venen. Der durch die Mischung von Talkerde und des Pankreas erlangte pankreatische Saft enthält als Verunreinigung in sehr geringer Menge aus der in der Präparation angewandten Talkerde herrührende Kiesel- salze, und zwar selbst dann, wenn die Talkerde vor dem Gebrauche sorgfältig gewaschen und getrocknet wurde. Doch thut diese kleine Menge von Kieselsalzen der physiologischen Wirksamkeit unseres Extraktes keinen Abbruch; derselbe kann für den therapeutischen Gebrauch verwendet werden, indem er dem lebenden tierischen Or- ganisınus keinen Schaden bringt. Sowohl das getrocknete Pulver wie auch die wässerige Flüssig- keit können längere Zeit unverändert aufbewahrt werden; um dies zu können, genügt es die angegebene Lösung mit dem gleichen Volum )Yeradigen reinen Alkohols zu versetzen. Auf diese Art kann man die proteolytische und diastatische Eigenschaft derselben unverändert bewahren. Infolge einer Reihe von Erfahrungen habe ich die Ueberzeugung gewonnen, dass durch die Hinzufügung des Alkohols, während er im ersten Augenblicke scheinbar keine Aktion auf die pankreatischen Fermente auszuüben schemt, nach emigen Tagen die diastatische Wirksamkeit nachlässt, während dagegen die peptolytische unverändert bleibt. Im Großen und Ganzen glaube ich durch das oben angegebene Verfahren in sehr einfacher und leichter Weise den Zweck erreicht zu haben, für lange Zeit die physiologische Wirkung des Pankreas unverändert erhalten zu können; eine pankreatische Infusion zu haben, welche als Ausgangspunkt für die Präparation des Trypsins genommen werden kann, ohne dass die Trennung dieses Prinzipes dureh die gleichzeitige Gegenwart des größten Teiles der albuminoiden und der peptonischen Produkte verwickelt sei; Unzuträglichkeiten, welche man bei Benützung der gewöhnlich angewandten Methoden nicht ausschließen Delage, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Abhandlungen. 317 kann. Ich glaube einen bemerkenswerten Vorteil erlangt zu haben, indem es mir gelungen ist über eine von den Bakterien der Fäulnis vollständig freie Lösung von pankreatischen Fermenten verfügen zu können. Catania, im März 189. Y. Delage, Ucber die Art der Abfassung naturwissenschaft- licher Abhandlungen. Das letzte Heft der von H. de Lacaze-Duthiers herausge- gebenen Archives de Zoologie experimentale et generale enthält aus der Feder des rühmlichst bekannten Zoologen Yves Delage eine Abhandlung „Embryogenie des Eponges“. Derselben ist unter obigem Titel eine Vorrede beigegeben, die wertvolle Winke enthält für alle Autoren auf dem weiten Gebiete der Morphologie und Physiologie: Sie lautet folgendermaßen: In allen Zweigen der Wissenschaft und Litteratur nimmt die Zahl neuer Abhandlungen unaufhörlich und mit geradezu erschreekender Schnelligkeit zu. Innerhalb der letzten 20 oder 30 Jahre sind mehr Bücher geschrieben worden als in allen verflossenen Jahrhunderten zusammengenommen, und von Tag zu Tag steigert sich diese Zunahme. Schon zeigen die Bibliothekare sich besorgt: die Bücherschränke füllen sich, die Säle werden zu klein, und die Gebäude, welche im weitesten Maßstabe angelegt wurden, lassen ihre demnächstige Unzulänglichkeit voraussehen. Würde es sich nur darum handeln, die Bücher unter- zubringen, so würde das Uebel so groß nicht sein; aber sie sollen gelesen werden, ıman soll wissen, was in ihnen enthalten ist. In der schönen Litteratur genügt es das Bedeutende zu kennen und zu lesen; dieses vermehrt sich in nur bescheidener Weise und die im Großen und Ganzen gerechte Kritik befreit uns von der Sorge wertlose Werke vergangener Zeiten lesen zu müssen. Ganz anders hingegen ist es in der Wissenschaft. Dieselbe Kritik ist es hier, welche sich bemüht Alles aufzubewahren. Meist findet sich in einem noch so schwachen wissenschaftlichen Werke ein kleines Stückehen Wahrheit, und dieses gibt dem Herkommen gemäß diesem Werke auf die Dauer das unumstößliche Recht zitiert zu werden. Die geringste bibliographische Unterlassungssünde wird ebenso schwer beurteilt wie ein Beobachtungsfehler. Es gilt nieht als Ent- schuldigungsgrund anzuführen, dass der nicht zitierte Autor nur ganz beiläufig von der Sache gesprochen habe und unter einem Titel, der ohne Bezug auf die in Rede stehende Angelegenheit ist. Gesetzt, man erwähnte bei der Beschreibung eines Affen eine seiner Gewohn- heiten oder eine Einzelnheit seiner Organisation; hat nun ein Anderer vor uns in einem botanischen Werke gelegentlich der Besprechung von Pflanzen, deren Wurzeln dieser Affe frisst, die gleiche Beobachtung 318 Delage, Art der Abfassung naturwissensehaftlicher Abhandlungen. mitgeteilt, so hat man sich eines Vergehens schuldig gemacht und wird streng zur Ordnung gerufen. Dazu kommt, dass sich die Zahl der zu beherrschenden Sprachen von Tag zu Tag vermehrt. Noch vor wenigen Jahren genügte es vollkommen, den Titel eines Werkes zu übersetzen und in Parenthese hinzuzufügen „russisch“; ein Eingehen auf dasselbe war alsdann un- nötig. Heute ist dies nicht mehr gestattet. Das Norwegische, Un- garische und das Czechische beanspruchen dieselben Rechte wie die Weltsprachen, und ich sehe auch schon den Tag des Japanischen nahen. So wird die Bibliographie für den Naturforscher eine er- drückende Last, die oft schwerer wiegt als die Untersuchung selbst. Wir beklagen uns schon und die ausdauerndsten Leser möchten um Gnade flehen; aber jeder schweigt aus Eigenliebe und heuchelt, die Last leicht zu finden, unter welcher er seufzt. Wie wird es erst m 100 Jahren bei dieser sich fortwährend steigernden Publikationswut aussehen? Da muss um jeden Preis Abhilfe geschaffen werden. sine Chimäre wäre es, glaubte man, die Gelehrten überreden zu können, dass nur ihre Entdeckungen von Interesse sind und dass nichts daran liegt ihren Namen wegzulassen, sobald es sich um einen Fortschritt handelt. Indessen eine bibliographische Zensur ist not- wendig, um die wiederholte Publikation schon bekannter Thatsachen und schon bewiesener Gesetze zu verhindern. Aber in der Art und Weise der Abfassung der Abhandlungen kann eine Reform eintreten; hier muss man emsetzen, um den Leser zu entlasten. Es scheint wahrhaftig, als ob em Jeder sich möglichst beinühte im seinen Abhandlungen das Nachsuchen von Aufschlüssen, die ein Anderer benötigt, zu erschweren. Wer kennt nicht die beliebte Manier solcher Abhandlungen ? Der Verfasser beginnt mit einer Vorrede, in welcher er zeigt, dass das Bedürfnis nach seinen Untersuchungen ein großes war. Dann folgen die Angaben über Zeit und Ort, wo er arbeitete, und hieran schließen sich die Danksagungen für diejenigen, deren Laboratorien er besuchte, oder die ihn mit ihrem Rate unterstützten. Endlich be- sinnt die Beschreibung, in der er sich bemüht, seinen Entdeckungen durch geschickte Erörterungen und gelehrte Wendungen mehr Gewicht zu verleihen. Fortwährend ist die Entwicklung der Thatsachen und Ideen unterbrochen durch Prioritätsstreitigkeiten, durch Ausemander- setzungen über die Methoden des Zergliederns verschiedener Teile, des Behandelns der Schnitte, die Vorteile dieses oder jenes Reagens. Zeile folgt auf Zeile, Seite auf Seite, und einen Band füllt, was auf einer Seite Raum gehabt hätte. Andere Autoren verfallen in den entgegengesetzten Fehler. Ich könnte einen sehr verdienstvollen Autor anführen, welcher seine Abhandlung mit der Beschreibung des ersten Schnittes beginnt, die des zweiten, dritten ete. bis zum hundertsten und darüber folgen Delage, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Abhandlungen. 319 lässt, worauf er sagt, die Schlussfolgerungen ergeben sich selbst, er habe nichts hinzuzufügen. Der unglückliche Leser, welcher eben nur die letzteren benötigt, muss die Arbeit von einem bis zum anderen Ende durchlesen, will er etwas davon verstehen. Zuweilen allerdings versieht der Verfasser selbst seine Arbeit mit einem Resume, aber nur ausnahmsweise befreit diese viel zu kurze Zusammenfassung von der Lektüre der ganzen Abhandlung. Aber von hundert Lesern hat vielleicht nur einer Interesse für die minutiösen Einzelheiten der Untersuchung; alle übrigen, seien es nun solche, welche sich belehren, oder solche, welche dem allgemeinen Fortschritte ihrer Wissenschaft folgen wollen, verlangen von dem Ver- fasser nieht mehr als: „Sage in zwei Worten, was hast du entdeckt? Wo hast du die Untersuchung aufgenommen, bis wohin hast du sie geführt? Das, was mich interessiert, sind nieht deine Verdienste, nieht die Schwierigkeiten, mit denen du gekämpft hast, nicht die Mittel, welche dieh zum Ziele führten, sondern es ist ausschließlich das Neue, das du gefunden hast, und da ich dir wenig Zeit widmen kann, so erkläre es mir klar und in thunlichster Kürze.“ Wir müssen Alles thun, um einem so gerechtfertigten Wunsche zu entsprechen. Was die Abhandlungen zum Lesen so ungeeignet macht, ist die fortwährende Vermischung von Einzelheiten, technischen Prozessen, bibliographischen Diskussionen kurz von nebensächlichen Dingen aller Art mit der Darlegung wichtiger Thatsachen und allgemeiner Ideen. Diese nebensächlichen Dinge sind ganz zweifellos nützlich, aber sie müssen bei Seite gestellt werden und die Darstellung des Wesent- liehen muss in einem Zuge mit Vermeidung aller Hindernisse und Umschweife erfolgen. Ich schlage daher den Naturforschern vor ihre Arbeiten in zwei Teile zu scheiden: den Hauptteil, in welchem in nüchterner Weise die Thatsachen und Ideen, welche das Hauptinteresse der Abhandlung bilden, dargestellt werden mit Vermeidung aller Abschweifungen, aller Einzelheiten von nur mittelmäßigem Interesse, alle Diskussionen, welche nicht direktesten Bezug auf den Gegenstand haben. Alles, was aus diesem Hauptteile ausgeschieden worden ist, kann sich (eventuell mit kleineren Lettern gedruckt) in Form von An- merkungen oder in Form eines Anhanges anschließen. Ueberdies wären diese Anmerkungen und Belege mit dem Hauptteile dureh em- gefügte fortlaufende Zahlen zu verbinden, die die Stelle bezeichnen, an welcher sie zur Vervollständigung, Einschränkung, Erklärung über- haupt zu Erläuterungen irgend weleher Art notwendig sind. Jeder wird auf diese Weise zufrieden gestellt werden. Die Meisten werden nur den Hauptteil lesen und aus diesem in - kurzer Zeit eine genügende Kenntnis des Gegenstandes schöpfen. Interessiert sich Jemand für eimen spezielleren Punkt, so kann er sich ’ 390 Delage, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Abhandlungen. den entsprechenden Noten orientieren. Das Ganze wird nur der- jenige lesen müssen, der den Gegenstand besprechen oder der sich in. ihn vertiefen will. % Bürgert sich diese Methode ein, so wird gewiss die Zahl der Leser sowohl wie die Menge des Gelesenen rasch wachsen. 5 Wie viele würden gerne, aufmerksam gemacht durch den Titel, ein sie interessierendes Werk lesen, müssen aber aus Zeitmangel darauf verziehten. Könnten sie aber in wenigen Stunden Alles, was ee Wesentliches enthält, erfahren, so würden sie es zweifellos lesen, Nieht nur die bibliographische Nachforschung wäre erleichtert, son dern es verdoppelte sich auch die allgemeine naturwissenschaftliche 3ildung! T Ich bin mit gutem Beispiele vorangegangen und habe die nach- folgende Abhandlung nach der soeben auseinandergesetzten Methode R abgefasst. Folgendes Schema zeigt die Einteilung derselben. ” I. Hauptteil. (A) Beschreibender Teil. — Darlegung der rich tiesten Thatsachen, Diskussion der sachlichen Hauptfragen. (B) 'Theo- retischer Teil. Darlegung und Diskussion der allgemeinen Ideen und Theorien, Vergleichungen und Schlussfolgerungen. ll. (C) Ergänzender Teil. Erklärende Noten, Darlegung und Diskussion sekundärer ER Belege, Bibliographie. | Der vorliegende theoretische Teil eignete sich schlecht für diese Verkürzung; aber der beschreibende Teil, welcher das Wesentliche” der Abhandlung enthält, ist auf mindesiens ein Drittel des Umfanges- reduziert worden, welehen er angenommen hätte, wenn nicht das minder Wichtige davon getrennt worden wäre, und wenn ich nicht alle Beschreibungen, welche gewöhnlich in den Haupttext eingeschaltet werden, in die ausführliche Tafelerklärung verwiesen hätte. — 3 Soweit Delage. Wer seine Abhandlung liest, wird wohlthuend berührt sem von der Klarheit und Uebersichtlichkeit, die durch die Anwendung der in der Vorrede auseinandergesetzten Prinzipien @- langt wurden. | geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilunge an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipkig; Salomonstr. 16, zu richten. 4 Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kl bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. « Biologisches Centralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 15. Juni 1893. Nr.lu1. Inhalt: Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. — Weismann, Das Keimplasma. — Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zu- gleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane (10. Stück). — Urbanowiez, Note preliminaire sur le developpement embryonnaire du Maia Squinado. — Imhof, Ceriodaphnia (Cladocera). — Nusbaum, Beitrag zur Kenntnis der Entwicklung der ersten embryonalen Lebergefäße und deren Blut- körperchen. — Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? — Hacecius, Variolo-Vaceine. Contribution a !’etude des rapports qui existent entre la variola et la vaceine. — Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees, — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Bonner Gartenbauverein. Reisebeschreibung der Plankton - Expedition. (Lipsius und Tischer. Kiel u. Leipzig 1892.) Aus der Reisebeschreibung, deren geographischem Teile eine Reihe von Mitteilungen aus zoologischem sowie botanischem Gebiete beigegeben sind, entnehmen wir folgende Berichte, soweit sie Meeresorganismen be- treffen. Nach einer Einleitung vom Leiter der Expedition Herrn Geheimrat Prof. Hensen, in der er die Entwicklung des Reiseplanes schildert, geht derselbe auf einige Ergebnisse der Expedition ein. End- giltige Resultate können natürlich noch nicht gegeben werden, da die Bearbeitung des gewaltigen Materiales, das vornehmlich aus kleinen Organismen besteht, die aber für den Stoffwechsel des Meeres am wichtigsten sind, noch nicht vollendet ist. Das Material besteht zum größten Teile aus Hochseeorganismen, d. h. solchen Organismen, deren Mutterboden die hohe See ist, die also in ihrer Entwicklung nieht vom Lande abhängig sind. Die Hochsee grenzt sich nicht scharf gegen die Küstenzone ab; Hensen nimmt als ungefähre Grenze die 200 m Linie an, so dass dann nach Berechnung von Prof. Krümmel in dem von der Expedition durchfahrenen Gebiete 0,27°/, Fläche (4488665 qkm) als Küstenzone anzusehen sein würden. Dieser große Prozentsatz übt natürlich einen großen Einfluss auf das Plankton aus. Weit auf der hohen See wurden z. B. Seesternlarven gefunden, die von der Küste XIII. 21 399 Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. her eine lange Reise durchzumachen hatten. Andere Larven, z. B. Cyphonautes, fanden sich zahlreich im Sargassomeer; ihr Auftreten ist verständlich, wenn man an die zahlreichen Kolonien von Bryozoen auf dem Sargassum denkt. Die Schließnetzzüge haben gezeigt, dass in den tieferen Was- serschiehten die Verteilung des Plankton unregelmäßiger ist als in der Öberflächenschicht, da in der Tiefe die verteilende Wirkung von Strom, Wind und Wellen fortfällt. Meist fmden sich m der Tiefe leere Schalen, aber auch lebende Organismen, so z. B. Copepoden, die an der Oberfläche noch nieht beobachtet sind. Das Planktonnetz (quantitativ), das so eingerichtet ist, dass selbst die schleimigen Ozeanfänge die Netzporen nur zum aller- geringsten Teile vestopfen können, hat bei seiner Anwendung gezeigt, dass der Ozean arm an Plankton ist, ein Resultat, das mit den Un- tersuchungen Schütt’s im Golf von Neapel übereinstimmt. Die Gleichmäßigkeit der Verteilung des Plankton ist überraschend, wie namentlich Doppelfänge im Norden gezeigt haben. Wo abweichend sroße Volumina gefischt sind, werden diese durch Diatomeen bedingt, die sich aber sehr sperrig absetzen und dadurch den Schein der Un- gleichmäßigkeit hervorrufen. Nur nördlich der New-Foundlandbank wurden Copepodenschwärme gefischt, die ihrerseits ein großes Volumen bewirkten. Oft sind im der Nähe der Küste Anhäufungen von Oscil- larien ( Trichodermium) beobachtet; da diese Algen aber namentlich in den Buchten wuchern, so sind sie wahrscheinlich durch den Strom in die freie See hinausgetrieben. Das Gleiche beobachtete Hensen in der Ostsee, wo die Wasserblüte des Stettiner Hafts (Limnochlide ‚los aquae) weit in der See zu finden war. Die Zusammensetzung der einzelnen Fänge, selbst bei glei- chem Volumen, ist nieht immer die gleiche: Formen verschwinden und neue treten auf. So wurden im Norden in den Fängen ca. 150 Formen unterschieden, dann vom Floridastrom an, wo ein plötzlicher Wechsel eintrat, ca. 300. Manche dieser Formen sind in ihrer Gestalt sehr konstant, andere variieren sehr stark, so z. B. Ceratium tripos, von dem bisher 98 For- men unterschieden werden mussten; dabei zeigt sich, dass die uni- versellen Arten zahlreich auftreten, während die regional begrenzten immer als Nebenformen zu erkennen sind. Aus den Zählungsresultaten gibt Hensen ein paar Beispiele. Die Tabelle über die Menge der Copepoden ergibt, dass im Mittel im Fange 55255 Individuen vorhanden sind, die am meisten abweichenden Fänge können 6mal so groß oder klein als dieses Mittel sein, im All- gemeinen zeigt es sich aber, dass die Zahlen wellenförmig verlaufen. Die Frage nach der Produktion des Ozeans lässt sich natürlich noch nieht in vollem Umfang beantworten, für eine bestimmte Zeit aber gibt die Plankton-Expedition die Lösung. Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. 393 Die Pflanzenwelt der Hochsee hat m Herrn Dr. F. Sehütt einen Bearbeiter gefunden, der in seiner an originellen Gedanken reichen Arbeit uns eine Uebersicht über die Meerespflanzen und die Grundlage zu einer Pflanzenozeanographie liefert. In seiner Einteilung stellt Schütt die Haplophyten, einfacher gebaute Pflanzen, den Symphyten, komplizierter zusammengesetzte Pflanzen, gegenüber, von denen fast ausschließlich die ersteren dem Plankton zuzurechnen sind. Diejenigen Haplophyten, die durch ihre Menge die größte Bedeu- tung im Stoffwechsel des Meeres haben, sind die Diatomeen, Peri- dineen und Schizophyten. Die aus 2 Schalen zusammengesetzten Diatomeen sind entweder Grund- oder Planktonformen und es ist interessant, wie sich zwischen dem biologischen Verhalten und morpho- logischen Aufbau eine Parallele gefunden hat, dass nämlich die Grund- diatomeen eine Naht besitzen, aus der ein Plasmafuß austreten kann (nach M. Schulze), der dann die gleitende Bewegung dieser Formen bewirkt, während diese Einrichtung bei den freischwimmenden Formen fortfällt. Ebenso sind die an Gallertstielen sitzenden Diatomeen Grund- formen, da die Stiele stets festgeheftet sind. Ebenso fehlen die Gal- lertschläuche bauenden Diatomeen im Plankton. Höchst interessant sind die Anpassungserschemungen der Diato- meen an das Planktonleben. Vor allem muss ihr spezifisches Gewicht ungefähr dasselbe wie das des Wassers sein, weil sie sonst unter- sinken oder sich andererseits sämtlich dicht an der Meeresoberfläche ansammeln würden. Der Kieselpanzer der Diatomeen ist schwerer als Wasser, es muss also dieses Plus wieder ausgeglichen werden; dieses geschieht einmal durch Oberflächenvergrößerung (Coseinodiseus, An- telminellia n. gen.), durch spezifisch leichte Reservestoffe, z. B. Fette, die aus der Assimilationsthätigkeit resultieren. Außerdem dienen noch als Hilfsmittel zur Vermehrung der Schwimmfähigkeit die Streckung der Zelle (Synedra tholassothrix Cleve), die Abflachung (Münzenform von Asteromphalus) und endlich eigenartige Schwebapparate, die in Form von Hörnern (Chaetoceras, Bacteriastrum), von Stacheln (Rhizo- solenia) und von Flügeln (Planktoniella So! Wallich, Schütt) vor- kommen. Um bei den langgestreekten Formen ein Sinken bei Senkrechts- stellung in der Längsaxe zu verhindern, sind vorhandene Spitzen ge- krümmt (Rhizosolenia semispina Hensen) oder die Zelle selbst ist gebogen (Pyxilla baltica Hensen), so dass diese Einrichtungen wie ein Steuer wirken. Ein weiteres Hilfsmittel ist die Kettenbildung, die auch zugleich als Mittel gegen das Verschlingen dureh Tiere dient. Sehließlieh ist noeh zur Erhöhung der Schwimmfähigkeit der Zelle eine möglichst große Sparsamkeit der Kieselwand angewendet, da die Festigkeit bei den Planktondiatomeen nicht so groß zu sein braucht wie bei den Grunddiatomeen. Daher sind nieht die ganzen Wände DL = 324 Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. verkieselt, sondern nur ein Gitterwerk (Coscinodiscus), bei anderen ist die Sparsamkeit noch weiter getrieben, sodass schließlich die Kie- seleinlagerung so gering wird, dass die Zelle beim Trocknen zusam- menfällt (Pyxilla). Die Peridineen sind durchweg Planktonformen und vermögen unter Einfluss des Lichtes ebenso wie die Diatomeen aus unorganischen Stoffen organische zu erzeugen und zwar mit Hilfe der Chromato- phoren. Vielen fehlt aber das Chromophyli, der charakteristische Farbstoff der Assimilationsorgane, so dass letztere nieht zu assimi- lieren vermögen. In den Peridineen sehen wir ein Grenzgebiet zwischen Tieren und Pflanzen vor uns. Die meisten Peridineen tragen eine charakteristische Membran, während bei einigen diese ganz fehlt (Gymnodinien). Interessant sind die Beziehungen zwischen den morphologischen Eigenschaften und dem Fundorte. Erstens ist die Zahl der Peridi- neen-Individuen im kalten Wasser ungleich größer als im warmen (vom Floridastrom an), dagegen ist die Zahl der Formen im Norden beschränkt, im Süden sehr groß, ebenso sind die Formen im Norden einfacher, im Süden oft höchst kompliziert. Z. B. finden sich von den Phalaeromaceen im Norden 1 Gattung, in den Tropen 5 absonderlich gestaltete. In den Tropen ist die Varietätenbildung ganz außerordent- lich ausgebildet, so namentlich bei der Gattung Ceratium. Von 8 von Schütt gebildeten Typengruppen des Cer. tripos finden sich vorwie- gend im Norden 1, die anderen 7 dagegen sind Warmwasserformen; während aber die eine nordische Gruppe nur 5 Typen enthält, mehren sich dieselben in den 7 tropischen Gruppen ins Unglaubliche. Eben- solche Verhältnisse wie die Tropen zeigt das Mittelmeer. Bei den Tropenformen ist ebenso wie bei den Diatomeen eine Oberflächenvergrößerung zu bemerken: die Ceratien sind schlanker gebaut und die Hörner lang, dünn und verbogen, aber auch Stacheln, Platten, Ringel (Ornithocerus) und Segel kommen vor. Von den Schizophyten kommen im Haliplankton allein die Oseillariaceen häufig vor, die aus einfachen Zellfäden bestehen und namentlich im Warmwassergebiet sich finden. Die eine Gattung Trichodesmium, aus parallelen Fäden bestehend, bildet eine Wasser- blüte und scheint mehr Küstenform zu sein, während die beiden an- dern atlantischen Gattungen Xanthothrichum Wille, aus gelben Bün- deln, und Heliotrichum, aus gelben kugligen Büscheln bestehend, ty- pische Hochseepflanzen sind und nie größere Ansammlungen bilden. Am stärksten vertreten sind sie im Sargassomeer und dem Guinea- strom. Von anderen Pflanzengruppen wären noch zu nennen die Fla- gellaten, von denen die Dietyocheen namentlich im Norden häufiger sind, während die Xanthelleen als Symbioten mit den Radiolarien zusammen vorkommen. Ferner sind zu erwähnen die im Warmwasser weit verbreiteten Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. 325 Pyrocysteen, die gewisse Aehnlichkeit mit eigentümlichen Cysten- stadien der Peridineen zeigen. Schließlich wäre noch von Haplo- chlorophyten die interessante Halosphaera zu nennen, eine einzellige grüne Alge, die von der Expedition mit dem Schließnetz noch aus 1000-2200 m Tiefe gefischt wurde, trotzdem sie in diesen licht- losen Tiefen nicht mehr zu assimilieren vermag. Von den Symphyten, komplizierter zusammengesetzte Pflanzen, ist allein das Sargassum erwähnenswert, da es in großen Mengen auf hoher See zu finden ist, wohin es durch die Strömungen von den westindischen Inseln getragen wird. Trotzdem diese Alge so auf- fällig ist, so tritt ihre Menge doch hinter der des mikroskopischen Materials weit zurück. — Die übrigen Symphyten sind lediglich an den Küsten zu finden. Pflanzenozeanographie. Von dieser ist die geographische Seite ganz ungenügend gekannt, da man sich fast niemals mit der Untersuchung lebender Plankton- pflanzen beschäftigt hat, also auch nicht den Ort sicher angeben kann, wo dieselben gelebt haben; die systematische Seite ist günstiger, na- mentlich in Bezug auf die Peridineen und annähernd so auf die Dia- tomeen. Die Plankton - Expedition bringt zum ersten Mal ein Material, von dem man genau weiß, an welchem Ort des Ozeans die einzelnen Pflanzen gelebt haben. Vorläufig lässt sich Folgendes aus diesem Material schließen: Die Planktonpflanzen werden sich bis zum Lande hin finden, da sie dureh die Wasserbewegung überall hin getragen werden, während die Küstenpflanzen in ihrer Zahl nach der Hochsee hin abnehmen werden (z. B. Bermudas), da viele Pflanzen dureh die Art der Fortpflanzung an die Küste gebunden sind (z. B. Dauersporen- bildung bei manchen Diatomeen). Florengebiete. Trotzdem eigentliche Schranken auf der Hochsee fehlen, so sind doch Florengebiete im Zusammenhang mit den Strömungen zu er- kennen, sogar finden sie sich, wenn im selben Strom die physika- lischen Bedingungen sich ändern (Florida und Golfstrom). Vornehm- lich sind 2 Florenreiche zu unterscheiden, das kalte und das warme, deren Grenze im Westen scharf ist (Floridastrom), während im Osten ein allmählicherer Uebergang stattfindet. Innerhalb dieser beiden Reiche lassen sich eine Anzahl Florenprovinzen unterscheiden, so die Ostsee, Nordsee, der diatomeenreiche Golfstrom, die noch dia- tomeenreichere Irminger See, der Ostgrönlandsstrom, der der Irminger See ähnliche Westgrönlandstrom, der Labradorstrom mit einer beson- dern Varietät von Ceratium tripos, der Floridastrom und Sargassosee mit eigentümlichen Diatomeen, Peridineen und Oscillarien, dann noch der Nordäquatorial-, Guinea- und Südäquatorialstrom. 326 Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. Eigentümlich sind die Grenzgebiete, da in ihnen bei entgegen- gesetzt fließenden Strömen eine geringe Wasserbewegung herrscht; sie sind daher reich an Arten, da diese sich aus beiden Strömen hier sammeln, bilden aber auch eigene Formen aus. Floristische Charaktere. In Bezug auf die Art des Vor- kommens der Pflanzen lassen sich unterscheiden: Leitpflanzen, die für ein Gebiet charakteristisch sind, womit aber nicht Häufigkeit des Vorkommens verbunden zu sein braucht (Planktoniella, Ceratium tripos baltieum). Charakterpflanzen geben einem Gebiete ein besonderes in die Augen fallendes Gepräge, müssen also zahlreich vorhanden sein (Goss- leriella, Synedra thalassothrix). Lokalformen sind solche Pflanzen, die in einem engeran Ge- biete hervortreten, während sie in den benachbarten zurücktreten oder fehlen (Skelettonema im Kieler Hafen). Massenformen beherrschen das Plankton in einem Gebiet voll- kommen (Synedra thalassothrie, Trichodesmium). Die Zahl der vor- herrschenden Arten ist beschränkt, meist eine. Zahlenformen unterscheiden sich von den vorhergehenden da- dureh, dass sich an der Massenentwicklung mehrere Arten beteiligen (Synedra Halsatiae und Syn. thalassothrix). Begleitformen sind Pflanzen, die neben Massenformen zahlreicher vorkommen (Ceratium fusus neben C©. tripos). Vikariirende Formen sind nahverwandte Pflanzen, die sich in ver- schiedenen Gebieten ersetzen (Ceratıum tripos scoticum im Golfstrom der englischen Küste und €. ir. labradoricum im Labradorstrom). Korrespondierende Formen ersetzen sich in der Häufigkeit des Vorkommens in den verschiedenen Gebieten (Cer. trip. baltieum Ostsee und C. tr. tergestinum Labradorstrom). ‚ Die Vegetationsbilder zeigen die Bedeutung der einzelnen Pflanzenformen für das Zusammenleben aller. Uns zu dieser Kenntnis zu verhelfen, ist allein die quantitative Methode geeignet. Um ein Bild der Gesamt-Vegetation zu erhalten, hat Schütt die durch Zählung gefundenen Werte in Form von Würfeln auf emer Tafel dargestellt, sodass man durch Anschauung sofort ein Bild erhält, wie sich in den einzelnen Gebieten die einzelnen Pflanzengruppen zu einander verhalten. Ganz gewaltig überwiegen die Diatomeen, Peri- dineen und Schizophyceen. Davon herrschen im Norden die Diato- meen vor, während im warmen Gebiet die Schizophyceen am zahl- reichsten sind, dann kommen die Peridineen und dann erst Diatomeen. In derselben Weise ist die Peridineen-Vegetation behandelt. Cera- tum mit den Arten tripos, fusus, furca überwiegt alle andern gewaltig. Im warmen Gebiet treten sie ganz zurück und dafür erscheinen andere Formen, die aber auch nieht annähernd die Massenhaftigkeit der ersteren erreichen. Reisebeschreibung der Plankton-Expeldition. 327 In Bezug auf die Vegetationsfarbe, die von den gelben Chromato- phoren abhängt, ist ein frappanter Parallelismus zwischen Wasser- farbe und Pflanzenmenge zu konstatieren. Pflanzenreichtum des Nor- dens und gelbgrünes Wasser, Pflanzenarmut des Tropenmeeres und kobaltblaues Wasser. Herr Prof. Brandt hat über Beobachtungen berichtet, die er auf der Expedition über „Anpassungsersceheinungen und Art der Verbreitung von Hochseetieren“ gemacht hat. Der Ozean zeichnet sich durch Gleiehmäßigkeit der Lebensbedingungen und den Mangel an Schranken für die Verbreitung der Organismen aus. Die hauptsächliehste Schranke bildet die Temperatur, während die Strö- mungen die Verbreitung der Organismen vermitteln. Mamnigfaltig sind die Anpassungen der Tiere an das Hochsee- leben. Ein leichtes Schweben wird erreicht durch Ausbildung von Gallertsubstanz, von Gas, von Fett und durch Oberflächenvergrößerung. Thalassieollen und Koloniebildende Radiolarien bewirken ihre Schwebfähigkeit durch Ausbildung eines Gallertmantels und durch Vakuolen, die mit einer Flüssigkeit angefüllt sind, die leichter ist als das Seewasser. Bei Entleerung der Vakuolen sinkt die Radiolarie, sezerniert sie neue Vakuolenflüssigkeit, dann steigt sie. Acantho- metriden erreichen die Schwebfähigkeit durch besondere Anordnung ihrer Stacheln (nach dem Müller’schen Gesetz), Mono- und Tripy- leen durch Oberflächenvergrößerung und Gallertsubstanz. Tintinnen schwimmen mit Hilfe kräftiger Wimpern, wobei das Gehäuse meist nicht nur zum Schutz, sondern auch zur Vergrößerung des Reibungs- widerstandes dient. Bei Siphonophoren finden sich neben den Sehwimmglocken Gasbehälter (Physophora), andere besitzen große Gasballons (Physalia), die das Tier über der Wasseroberfläche halten. Bei Akalephen, Craspedoten und Ctenophoren ist das Gallert- gewebe zur größten Ausbildung gekommen. Die wasserreichen pela- gischen Würmer zeigen alle einen gestreckten oder scheibenförmigen Körper. Crustaceen sind durch Oberflächenvergrößerung ausge- zeiehnet, die in gefiederten Borsten (Copepoden), in der Scheibenform (Sapphirinen) und der Streekung des Körpers (Rhabdosoma) besteht. Bei der Schnecke Janthina kommt ein Schaumfloss zur Ausbildung, während Glaueus flossenartige Fortsätze hat. Heteropoden sind gallertig, langgestreckt; ebenfalls gallertig sind die Tunikaten, manche Fische (Leptocephalus), während bei anderen Streckung des Körpers und eine Sechwimmblase (Seenadeln) vorhanden ist oder der Körper scheibenförmig ist (Orthagoriseus). Dann geht Brandt auf die fliegenden Fische ein, über deren Bewegung sich zwei Ansichten gegenüberstehen. Die einen glauben, dass der Fisch seine flügelartigen Flossen wie ein Vogel benutzt, während die andern in ihnen nur eine Art Fallschirm erblicken. Die Phosphorescenz, die bei sehr vielen pelagischen Tieren 328 Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. beobachtet ist, ist wahrscheinlich nur eine Begleiterscheinung ehe- mischer Vorgänge, wenn sich Fette in Gegenwart von Alkalien mit aktivem Sauerstoff verbinden. Was die Farbe der Hochseetiere anbetrifft, so zeigen die direkt an der Oberfläche lebenden eine blaue Farbe (Crustaceen), die bei manchen mehr in das Violette übergeht (Physalia). Manche zeigen auch weiße Stellen auf blauem Grunde (Pontella), sodass diese Tiere bei aufgeregter See, wo die blauen Wellen mit weißen Schaumflöckcehen gekrönt sind, nieht zu erkennen waren. Ein gleiches gilt von Janthina und ihrem Schaumfloss. Tiere, die sowohl an der Oberfläche als in einiger Tiefe leben, sind meist transparent (Oranchia, Lueifer,, Lepto- cephalus). Grün wurde nur bei Balanoglossıs-Larven beobachtet. Die häufigste Farbe neben blau ist rot und gelb, wie sie manche Tomop- teriden, Aleiopiden, Salpen ete. zeigen, rot sind namentlich die Krebse der Tiefsee. Die größte Farbenanpassung zeigen die Tiere der Sargassosee, es überwiegt braun mit weiß, wie auch das Sargassıım (braun) mit seinen aufsitzenden Kolonien von Membranipora (weiß) gefärbt ist. Dann bespricht Prof. Brandt das Auftreten der Schwärme. Am reichsten an diesen war der Guinea- und Süd- Aequatorialstrom, wo Schwärme von Actinien, Porpita, Pelagia, Velella, Physalia, Hip,:o- podius, Turbellarien, Schizopoden, Janthina, Pyrosomen, Salpen beob- achtet wurden. Im Norden waren Schwärme seltener, hier traten nur Aglantha, Beroe, Pteropoden und Salpen je 1—2mal schwarmbildend auf; vor dem Kanal wurde dann noch ein Doliolum-Schwarm getroffen. Im Sargassomeer fehlten die Schwärme ganz, bis auf einen, der aus Physalia bestand. Letztere können aber leicht, da sie über Wasser ragen, durch den Wind zusammengetrieben werden. Aktiv scheinen sich die Organismen also nicht zusammenzuschaaren, sonst wäre das Verhalten des Sargassomeeres unerklärlich, sondern es scheinen die Strömungen die Schwärme zu bewirken. In Bezug auf „horizontale Verbreitung größerer Plank- ton-Organismen“ ist Folgendes hervorzuheben. Man muss ein kaltes Gebiet unterscheiden, dessen südliche Grenze der 40.° N. Br. ist und dessen Oberflächentemperatur unter 20° C. bleibt. Die Tem- peratur von 20° ist für viele Tiere eine scharfe Grenze; ebenso wie hier viele nordische Tiere verschwinden, ebenso treten hier viele neue auf. Im Norden fanden sich neben einigen Fischarten noch Salpen, verschiedene Copepoden, Pteropoden, Sagitten, Tomopteriden, Aglantha, Pleurobranchia, Bero& und einige koloniebildende Radiolarien, Trotz- dem der Norden so reich an mikroskopischen Organismen ist, so sind die größeren Planktontiere weder an Art noch Individuenzahl beson- ders zahlreich, einen Schluss von letzteren also auf das Gesamt- plankton zu machen ist verfehlt, Reisebeschreibung der Plankton-Expedition 329 Das warme Gebiet mit einer Oberflächentemperatur von mehr als 20° zeichnet sich aus durch zahlreichere Fische, namentlich fliegende, durch Pyrosomen, Salpen, Oranchia, Pterotracheiden, Janthina, Cari- naria, Glaucus, Sagitten, Strudelwürmer, Porpita, Physalia, Pelugt«, Myzosphaera (eine koloniebildende Radiolarie). Wenn auch Süd- und Nordatlantik manches Uebereinstimmende zeigen, da sie durch Stromäste verbunden sind, so zeigen sie aber auch manche Verschiedenheit. Eigentümliche Verhältnisse zeigt die stromlose Sargassosee, da in ihr die Temperatur des Wassers nach der Tiefe langsamer abnimmt, als in den umkreisenden Strömungen. Sehr eigenartig war das Vorkommen der koloniebildenden Radiolarie Myxosphaera, die nur in diesem Gebiet gefunden wurde. Vom >Sar- gassokraut kann sie nicht abhängig sein, ihr Vorkommen ist aber dureh die Fortpflanzung bedingt: die Schwärmer treten in 200 m Tiefe aus, und da sie nur im Sargassomeer in dieser Tiefe eine ihnen zu- sagende Temperatur finden, so können sie sich auch hier nur ent- wiekeln, während sie in den Strömungen absterben. Eine zweite Eigentümliehkeit ist die Uebereinstimmung von Sar- gassosee und Golf von Neapel, man kann nur annehmen, dass die Lebensbedingungen in beiden Gebieten ähnliche sind, denn ein Strom kann nicht die Tiere des Sargassomeeres nach dem Mittelmeer bringen, da die Entfernung eine sehr große ist und dieser Tierstrom auch noch nicht beobachtet ist. Dr. Dahl berichtet über Säugetiere, Vögel und Schild- kröten auf hoher See. Während der Plankton-Expedition wurde nur einmal eine Schild- kröte 40 geogr. Meilen südlich der Azoren beobachtet. Von Vögeln wurden im Ganzen 24 Arten, davon im freien Ozean 11 Arten beobachtet und zwar an 42 von 76 Tagen, meist waren es nur einzelne Exemplare, seltener größere Schaaren (5—6 Tage). An 20 Tagen wurde das Schiff von Vögeln begleitet. Im Norden waren sie am häufigsten, während sie im Sargassomeer ganz fehlten. . In der Nordsee waren sie bei weitem häufiger, so zählte Dahl in 392 Mi- nuten 111 Vögel, also alle 3'/, Minuten 1 Vogel; aus der Fläche, die während der Zählung übersehen wurde, ergab sich, dass auf dem qkm 2 Vögel zu sehen waren. Im Kattegat waren sie noch häufiger, traten auch fast durchweg in anderen Arten auf. Dahl zählte in 228 Min. 176 Vögel, also in 60 Minuten 47 Individuen. Säugetiere, Delphine oder Wale wurden an 12 Tagen gesehen. Davon kommen 6 Tage auf den Norden (Phocaena phocaena), 2 Tage Nordäquatorialstrom, 2 Tage vor dem Golf von Biscaya (Delphinus delphis), Dr, Borgert macht Mitteilungen über emige Tripyleen- (Phaeo- darien) Familien. Nachdem B. kurz auf die neuen Untersuchungen Dreyer’s über 330 Reisebeschreibung der Plankton-Expedition. die Skelettbildung eingegangen ist, kommt derselbe auf die Phaeo- darien der Expedition zu sprechen. Von den typischen Familien der Tiefsee werden Tuscaroriden und Circoporiden gefunden, die ersteren spärlicher; auffällig war an ihnen das Vorkommen zweier Central- kapseln und der eigentümliche Sförmige Kern; die letztere Familie war weiter verbreitet. Am zahlreiehsten fanden sich Vertreter der Familien Medusettiden und Challengeriden, von denen einige neue Arten auf einer prächtigen Tafel zusammengestellt sind. Beide genannte Familien, sowie die Orosphäriden fanden sich nicht nur in der Tiefe, sondern auch zahl- reich in der Oberflächenschicht. Eigentümlich war die Verbreitung der letztaufgeführten Familie: sie fand sich in der Irminger See und dem Süd-Aequatorialstrom. Die übrigen Phaeodarien- Familien wurden ziemlich aligemein verbreitet getroffen. Arm erwies sich nur die Sar- gassosee. Dr. Lohmann besprieht das reiche Material an Appendieu- larien, die nächst den Copepoden der Zahl nach die wichtigste Metazoengruppe im Plankton bilden. Das Maximum ihrer Zahl liegt immer auf hoher See, eine Ausnahme macht wiederum die Sargassosee, wo sie spärlicher waren. Zahlreich waren sie ferner im Hafen von Bermudas (ebenso in Ost- und Nordsee nach Hensen). Im Ozean leben sie hauptsächlich in der Oberflächenschicht bis 400 m, in größerer Tiefe sind sie sehr spärlich und in keinen neuen Arten oder Gattungen vertreten. Die Hauptmasse des Materials auf hoher See machen die beiden Gattungen Oikopleura und Fritillaria aus, die im Norden allein vorkamen, während im warmen Gebiet noch 5 andere Gattungen hinzukamen, von denen 2 neu sind, neben den beiden erstgenannten sind sie aber ganz spärlich vorhanden. Lohmann stellte das Verhältnis von Oikopleura zu Fritillaria fest und fand, dass dieses in einem Wohngebiet konstant ist, bei einem Wechsel des Gebietes sich aber auch ändert. Dr. Apstein hat eine kurze Notiz über Aleiopiden und To- mopteriden gegeben. A. zeigt, dass die Aleiopiden durchaus Oberflächen- (bis 400 m) Tiere sind, während Tomopteriden einige Mal in größerer Tiefe ge- funden wurden, trotzdem aber nicht als Tiefseetiere zu bezeichnen sind. Dann zeigt er, dass Alciopiden im kalten Gebiet fast ganz fehlen, während Tomopteriden hier zahlreicher sind als im warmen. Manche Aleiopiden-Gattungen sind sehr weit verbreitet, während andere nur vereinzelt auftreten. Von beiden Familien wurden sehr jugendliche Individuen freischwimmend gefunden, namentlich von Tomopteriden. Weismann, Das Keimplasma. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung von A. Weismann. Jena, G. Fischer, 1892. 1 Zu den elementarsten Fähigkeiten der Tiere und Pflanzen gehört die Hervorbringung von gleichgestalteten Nachkommen. Diese That- sache, so handgreiflich sie auch durch die Erfahrung beglaubigt er- scheint, schließt nichtsdestoweniger eines der wichtigsten aber auch schwierigsten Probleme, welche die moderne Biologie kennt, in sich ein — das Problem der Vererbung. Gewiss gewährt das reiche empirische Material mancherlei und bedeutungsvolle Einblicke in den inneren Zusammenhang der Vererbungserscheinungen, wie denn auch die immer mehr sich befestigende Vorstellung, dass im individuellen Leben erworbene Eigenschaften nicht schlechtweg vererblich sind, im Grunde auf Ueberlegungen fußt, zu welchen die alltägliche Erfahrung hinleitet. Zu einem tieferen Verständnis der Vererbung gelangen wir damit freilich noch nicht; es ist lediglich die Kenntnis allgemeinerer Gesetzmäßigkeiten, welche auf solchem Wege gewonnen wird; auf ihrer Grundlage kann eine Theorie der Vererbung erst begründet werden, wenn jene gesichert und ausreichend ist. Es darf billig be- zweifelt werden, dass zur Zeit diese Bedingungen erfüllt sind; aber die Bereicherung, welche unser Wissen Dank der intensiven und in die feinsten Einzelheiten vordringenden Forschung der letzten Jahre erfahren hat, ist eine so umfassende, dass theoretische Aufstellungen auf dem Vererbungsgebiete in mannigfacher Beziehung nunmehr der Kontrole durch die Thatsachen der Beobachtung zugänglich geworden sind. Trotzdem bleibt auch heutigen Tags und wohl noch auf geraume Zeit jede Vererbungstheorie ein Hypothesengebäude, dessen Bedeutung allerdings in dem Maße sich steigert, in welchem die Uebereinstimmung der theoretischen Forderungen mit den Ergebnissen der empirischen Forschung aufgezeigt werden kann. Abgesehen davon wird man es aber vom heuristischen Standpunkte aus mit Weismann für erspriess- lich erachten dürfen, „eine durchgearbeitete Vererbungstheorie zu haben, damit von deren Boden aus neue Fragen gestellt und ihre Beantwortung versucht werden kann“. Von diesen Erwägungen ausgehend hat vor Kurzem A. Weis- mann seinen seit etwa zehn Jahren sich mit dem Vererbungsproblem beschäftigenden kleineren Schriften, welche „nur Vorarbeit für eine Theorie, noch keine Theorie selbst“ boten, unter dem oben angeführten Titel eine umfangreiche Arbeit folgen lassen, welche ın einem statt- lichen Bande von mehr als 600 Seiten eine systematisch ausgebaute „Theorie der Vererbung“ dem biologischen Publikum darbietet. Bei der hohen Wichtigkeit des Gegenstandes und der wissenschaft- 1) Ein zweiter (Schluss-) Artikel folgt. 332 Weismann, Das Keimplasına. lichen Bedeutung des Autors, zumal gerade auf dem Gebiete der Ver- erbungslehre wird eine gedrängte Darstellung der theoretischen Auf- stellungen Weismann’s den Lesern (dieses Blattes erwünscht sein. Der folgende Bericht gibt in thunlichster Kürze das Wesentliche der Weismann’schen Vererbungstheorie, ohne auf Einzelnheiten, welehe dem Studium des sedankenreichen und immer anregenden Originals selbst überlassen bleiben müssen, einzugehen. Aus naheliegenden, so- wohl objektiven wie subjektiven Gründen enthält das vorliegende teferat keine Kritik: eine Theorie der Vererbung kann zu ihrer all- seitigen Durchführung gegenwärtig hypothetischer Aufstellungen, über welehe je nach seinem besonderen Standpunkt in der Wissenschaft der einzelne Forscher sehr verschieden urteilen wird, nicht entraten. So werden z. B. diejenigen Forscher, welche jeden ursächlichen Zu- sammenhang von Ontogenie und Phylogenie glauben in Abrede stellen zu sollen, die Vererbungslehre Weismann’s a limine ablehnen müssen. Auch die Anhänger der auf Lamarck zurückgehenden Ansicht von der Vererblichkeit der im individuellen Leben erworbenen Eigentüm- liehkeiten werden den Darlegungen Weismann’s mit Skepsis begegnen. Trotzdem hegt Ref. die Ueberzeugung, dass auch derjenige, welcher Weismann’s Theorie der Vererbung nicht beizupflichten im Stande ist, aus dem Studium derselben doch Anregung und Gewinn ziehen wird. Der Natur des Gegenstandes nach kann nicht Etwas fertiges geboten werden; dass auch Weismann von dieser einsichtsvollen Bescheidung durchdrungen ist, bezeugt der Schlusssatz des Vorwortes: „Sollten auch nur wenige meiner theoretischen Aufstellungen unver- änderten Bestand behalten gegenüber den Ergebnissen zukünftiger Forschung, so würde ich doch nicht glauben, vergeblich gearbeitet zu haben; denn auch der Irrtum, wofern er nur auf richtigen Schlüssen beruht, muss zur Wahrheit führen“. Nichts aber legt für den Geist, in welchem unser Autor seine „Theorie der Vererbung“ ausgearbeitet hat, ein beredteres Zeugnis ab als das Goethe’sche Wort, welches derselbe seinem Werke an die Stirne geschrieben hat: „Naturgeheimnis werde nachgestammelt“. — Weismann’s Lehre vom Keimplasma als „Theorie der Vererbung“ zerfällt in vier Bücher, welchen eine in einen historischen und sach- lichen Teil gegliederte Einleitung vorausgeschickt ist. Im ersten Buche werden die stofflichen Grundlagen der Vererbungserscheinungen, das Keimplasma und sein Bau, eingehend dargelegt: es ist der grund- legende Teil der Vererbungstheorie. Die drei folgenden Bücher geben die Anwendung dieser Theorie auf die Thatsachen der Erfah- rung. Zunächst wird die Vererbung bei einelterlicher Fortpflanzung, unter welcher neben den Erscheinungen der Regeneration überhaupt in erster Linie die beiden Formen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung, Teilung und Knospung, verstanden werden, abgehandelt. Das folgende Buch ist der sexuellen Propagation gewidmet, wobei die Erscheinungen Weismamn, Das Keimplasma. 339 des Rückschlags, des Dimorphismus und Polymerphismus gewürdigt werden. Dem letzten Buche endlich ist die Abänderung der Arten, also die Erscheinung der Variation vorbehalten, dem sich in einem Schlussabschnitt eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse aller vier Bücher abschließend anfügt. Diese flüchtige Inhaltsübersicht reicht hin, um eine im engen An- schluss an das Original erfolgende Gliederung des vorliegenden Berichts in zwei Teile zu rechtfertigen. Ehe wir uns jedoch dem Gegenstande des ersten Teiles, der Vererbungstheorie Weismann’s im eigentlichen Sinne, zuwenden, mögen hier zum besseren Verständnis des folgenden einige Ausführungen aus den in der Einleitung behandelten Materien Erwähnung finden. In ehronologischer Anordnung befasst sich der erste Teil derselben mit den bisher vorliegenden Versuchen, das Problem der Vererbung seiner Lösung entgegenzuführen. Ausgehend von den „physiologischen Einheiten“ des englischen Philosophen H. Spencer, welche, nach ihrem, hypothetisch angenommenen Bau eine vermittelnde Stellung zwischen der morphologischen Einheit der Zelle und dem chemischen Molekül einnehmend, jeden Organismus zusammensetzen sollen, und den in seiner Pangenesis-Hypothese aufgestellten „Keimchen“ Darwin’s zeigt Weismann, dass die erstere Lehre in ihrer praktischen Ver- wertbarkeit zur Erklärung der Vererbung keineswegs genügt, letztere aber „mehr eine Fragestellung als eine Lösung des Problems der Ver- erbung gegeben hat und wohl auch geben wollte“. Beiden Hypothesen ist die Annahme kleinster lebender Teilchen, welche durch Teilung sich zu vermehren im Stande sind, gemeinsam; „aber schon der An- teil, den dieselben am Aufbau des Körpers nehmen, ist ein ganz ver- schiedener; Spencer’s Einheiten sind die Elemente, welche den lebenden Körper ausschließlich zusammensetzen, während Darwin’s Zellenkeimchen nur Zellen hervorbringen, d. h. Elemente sind, welche speziell zur Bewirkung der Vererbung vorhanden sind, ohne dass über ihren Anteil an der Zusammensetzung der lebendigen Masse Etwas ausgesagt wird“. Im Anschlusse an die Keimchenhypothese Darwin’s erörtert Weismann die auf dem Boden der Pangenesis fußende Ver- erbungstheorie Galton’s, deren Unzulänglichkeit er nachweist, und gedenkt sodann der eigenen ersten Aufstellungen !), in welchen „ganz allgemein nicht nur die Existenz, sondern auch die theoretische Mög- lichkeit einer Vererbung erworbener (somatogener) Eigenschaften“ be- kämpft wurde. Damals schon nahm Weismann eime besondere Vererbungssubstanz an, „das Keimplasma, welches in den Keimzellen enthalten ist und welches nie neu gebildet werden kann, sondern sich immer nur von der Keimzelle, aus der ein Bion entsteht, in direkter Kontinuität auf die Keimzellen der folgenden Generation überträgt“. 1) A. Weismann, Ueber die Vererbung. Jena 1883. Weismann, Das Keimplasma. BL Be Naegeli’s „mechaniseh-physiologische Theorie der Abstammungs- lehre“, welche 1884 veröffentlicht wurde, bedeutet einen wiehtigen Fort- schritt auf dem Gebiete der Vererbungslehre durch die Aufstellung des Idioplasmas als Anlagenplasmas, welches, wenngleich an Masse dem übrigen lebenden Körperplasma, dem Ernährungsplasma, weit nachstehend, doch für den Bau des letzteren bis in seine feinsten Einzelheiten der bestimmende Faktor ist. Das hohe Verdienst dieses fruchtbaren Gedankens konnte dadurch nicht beeinträchtigt werden, dass die Vorstellung, welche Naegeli vom Bau seines Idioplasmas entwickelte, späterhin aufgegeben werden musste; denn nicht als ein zusammenhängendes Netzwerk, das von Zelle zu Zelle übergreifend den ganzen Körper durchzieht, erwies sich das Idioplasma; durch eine reihe bedeutungsvoller Auffindungen konnte vielmehr festgestellt wer- den, dass die Vererbungssubstanz im Zellkern und zwar in den sog. Chromosomen desselben enthalten sei. „Damit war jeder weiteren Vererbungstheorie ein sicherer, realer Boden angewiesen, man wusste nun nicht nur, dass die Vererbungserscheinungen der höheren Lebe- wesen an eine Substanz gebunden sind, sondern auch, wo dieselbe ihren Sitz hat“. Bei solcher Sachlage war es eine selbstverständliche Konsequenz, dass Weismann nunmehr !) sein Keimplasma in den Chromosomen der Kernsubstanz der Keimzelle gegeben sah, wobei „durch das Mittel der Kern- und Zellteilung das Idioplasma von einer Zellgeneration auf die folgende“ übertragen wurde. Weiterhin. erschloss aber Weismann „aus der geschlechtlichen Fortpflanzung, welche bei jeder Befruchtung gleiche Mengen von väterlichem und mütterlichem Keimplasma zu- sammenführt, die Zusammensetzung des Keimplasmas aus einer Anzahl von Einheiten, den „Ahnenplasmen“ und weiter die Notwendigkeit einer jedesmaligen Reduktion des Keimplasmas auf die Hälfte seiner Masse und der Zahl der darm enthaltenen Ahnenplasmen“. Diese Aufstellungen Weismann’s erfuhren den gewichtigsten Wider- spruch von phytologischer Seite durch H. de Vries, welcher in seiner „intracellulare Pangenesis“ betitelten Schrift (1889) der Weismann’- schen Vererbungslehre mit einer eigenen 'T'heorie entgegentrat, welche unter teilweiser Anlehnung an Darwin’s Keimehenhypothese besondere Eigenschaftsträger, die sog. Pangene, als kleinste, durch Teilung sich vermehrende Lebenseinheiten statuiert. Es würde zu weit führen, hier auf die kritischen Auseinandersetzungen einzugehen, welche Weis- mann den interessanten theoretischen Spekulationen de Vries’ an- gedeihen lässt; nur das Ergebnis sei verzeichnet, demzufolge die Pangene von de Vries vornehmlich deshalb zur Erklärung der Vererbungsthat- sachen nicht genügen, weil sie frei mischbare Einheiten vorstellen und daher eines durch bestimmte Anordnung geregelten festen Verbandes entbehren. In eimem fundamentalen Punkte aber stimmt Weismann 4) A. Weismann , Ueber die Zahl der Richtungskörper ete. Jena 1887. Weismann, Das Keimplasma. 335 mit de Vries überein, der gleich hier gebührend hervorgehoben sein soll, weil er den Charakter der Vererbungstheorie Weismann’s be- stimmt: Eine Theorie der Vererbung istnur dureh Evolution zu gewinnen, eine epigenetische Entwicklung gibt es nicht und — kann es nicht geben. Im zweiten, dem sachlichen Teil der Einleitung definiert Weis- mann zunächst den Begriff der Vererbung als „die Erfahrungs-That- sache, dass lebende Organismen Ihresgleichen wieder hervorbringen können und dass diese „Gleichheit“ von Kind und Elter, wenn sie auch niemals eine vollständige ist, sich doch bis in sehr geringfügige Einzelheiten des Baues und der Funktion erstrecken kann“. Die Vererbung ist eine fundamentale Erscheinung, die wir aus- nahmslos an allen Lebewesen wahrnehmen können, gleichviel in welcher Weise die Hervorbringung der Nachkommenschaft erfolgt. Am Ver- breitetsten und für die höchstentwickelten Stämme des 'Tierreichs allein in Frage kommend ist allerdings die sog. geschlechtliche Fortpflanzung, deren charakterisches Merkmal in der Vereinigung der Keimelemente zweier Individuen beruht, ein Vorgang, für welchen Weismann schon früher!) den Ausdruck „Amphimixis“ in Vorschlag gebracht hat. In dieser Vermischung liegt, so sehr wir auch dem Studium gerade dieses Gegenstandes wichtige Aufschlüsse über die Vererbungsprozesse verdanken, immerhin doch eine nicht geringfügige Komplikation der Vererbungserscheinungen, welche die Lösung des Problems bedeutend erschwert. Um dieser letzteren näher treten zu können, bedarf es der Erwägung, dass die sexuelle Fortpflanzung „weder die einzige, noch die ursprüngliche ist, dass auch bei den Vielzelligen nicht jede Fort- pflanzung mit Amphimixis verbunden ist, dass vielmehr die sogenannte „ungeschlechtliche“, d. h. einelterliche Fortpflanzung die Wurzel der zweielterlichen sein muss. Die Grunderscheinungen der Vererbung haben aber auch vor Einführung der Amphimixis in die Lebewelt ihren Ablauf genommen, und sie haben also Nichts mit der zweielter- lichen Abstammung und der aus dieser resultierenden Komplizierung der Vererbung zu thun“. Somit müsste der Versuch, eine Theorie der Vererbung zu begründen, bei den niedersten Lebensformen, den Pro- tisten, anheben; von den Vererbungserscheinungen bei diesen Organis- men wissen wir aber „so gut wie Nichts“. Geht es demnach auf dem geraden Wege nicht, so müssen wir „m der Dornenhecke, welche das Geheimnis der Vererbung einschließt“, uns nach einer „Lücke“ um- sehen, welche der Forschung den Eintritt gestattet: eine solche ist die Erscheinung der Befruchtung. Sie beruht „in der Vereinig- ung zweier protoplasmatischer Substanzen, und da nun einerseits die männliche Keimzelle stets sehr viel kleiner und geringer an Masse ist, als die weibliche, andrerseits aber die Vererbungskraft des Vaters erfahrungsgemäß ebenso groß sein kann, wie die der Mutter, so muss A) A: Weismann, _ Amphimixis etc. Jena 1891. 336 Weismann, Das Keimplasma. daraus der wichtige Schluss gezogen werden, dass jedenfalls nur ein kleiner Teil der Substanz des Eies eigentliche Vererbungssubstanz sein kann“. Nach den übereinstimmenden Ergebnissen der ungemein gründ- lichen Untersuchungen der letzten Jahre kann es einem Zweifel nicht mehr unterliegen, dass der Kern der Keimzellen den Träger der Ver- erbungssubstanz für die bezügliche Art darstellt und dass „die Kerne der männlichen und die der weiblichen Geschlechtszellen im Wesentlichen gleich sind, d. h. bei ein und derselben Art „dieselbe Vererbungssubstanz der Species enthalten“. Weiterhin ist aber durch die neuere Forschung, insbesondere seit im Ei des Pferdespulwurms (Ascaris megalocephala) ein, wie es scheint, unübertreffliches Objekt für die Beobachtung des Befruchtungsvorganges gefunden wurde, auch sichergestellt worden, dass im Kern es wiederum die Chromosomen sind, welehe — als Körnchen, Stäbehen oder Schleifen durch ihre intensive Imbibitionsfähigkeit für Farbstofflösungen ausgezeichnet — die Vererbungssubstanz repräsentieren. Zu dieser Vorstellung drängen all die zahlreichen Erfahrungen, welche die Unter- suchung der Kernteilung und der intimeren Vorgänge bei der amphi- mixotischen Fortpflanzung zu Tage gefördert hat. Stets sind es die Chromosomen, an welchen sich die sehr verwickelten Teilungsprozesse abspielen, die eine für jede Art bestimmte Gesetzmäßigkeit erkennen lassen. Schon diese Thatsachen deuten darauf hin, dass, wie Roux'!) zuerst aussprach, nicht eine Teilung der Masse nach, sondern gemäß den in der Chromatinsubstanz anzunehmenden verschiedenen Qualitäten stattfindet. Damit ist aber unabweislich der weitere Schluss verknüpft, „dass die Vererbungssubstanz aus verschiedenen Quali- täten zusammengesetzt“ sein müsse. Erscheint so die elementare Bedeutung des Kernes, resp. seines Chromatins für die Vererbung jedem Zweifel entrückt, so kann das eigentümliche Organ, welches als Gentrosoma bezeichnet wird und vor kurzem durch Guignard auch bei Pflanzen nachgewiesen worden ist, trotz seiner Unentbehrlichkeit für die Entwieklung gleich dem extra- nukleären Zellplasma, welches neuerdings ?) wieder als Vererbungs- substanz in Anspruch genommen worden ist, „weil der Kern nicht allein für sich leben kann, sondern des Zellkörpers bedarf und weil . das Leben der Zelle auf einer steten Wechselwirkung, einem Stoff- austausch zwischen Zelle und Kern besteht“, keinesfalls Vererbungs- träger sein. Erstere Bildung stellt nach der Rolle, die ihm bei der 4) W. Roux, Ueber die Bedeutung der Kernteilungsfiguren. Leipzig 1883. 2) Vergl. Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie, Jahrg. 1891 (51. Bd.): M. Verworn, Die physiologische Bedeutung des Zellkerns. — In seinem eben erschienenen „Lehrbuch der Zoologie“ (Stuttgart 1893, S. 52) erwartet auch Kennel eine richtige Beurteilung für die Wertschätzung von Kern und Proto- plasma, „wenn erst wieder das Protoplasma als Hauptsache, der Kern nur als Organulum desselben angesehen werden wird“. Weisinann, Das Keimplasma. 337 Teilung obliegt, den „Teilungsapparat der Zelle und des Kerns“ vor; bezüglich des Zellplasma stellt Weismann aber mit Recht die Frage auf: „Ist denn aber die Frage, ob Zelle und Kern in intimsten physio- logischen Beziehungen stehen, so dass Eines ohne das Andere nicht leben kann, gleichbedeutend mit der Frage, ob die Vererbungssubstanz im Kern oder im Zellkörper enthalten ist?“ In der That darf der Satz, „dass allein in einem Teil der Kernsubstanz die Vererbungs- substanz zu sehen ist, durch alle neuere Erfahrungen nur um so fester begründet“ erscheinen). Chromatinsubstanz kommt bekanntlich den Kernen nicht bloß der Keimzellen sondern aller lebensfähigen Zellen, welche einen Organismus zusammensetzen, zu. Dieselbe stammt in letzter Linie natürlich von dem Kern der Keimzelle her, welcher das betreffende Lebewesen seine Existenz verdankt, indem während der Ontogenese durch fortgesetzte Teilungen die chromatische Substanz des Furchungskernes immer weiter auf die neu entstehenden Zellenfolgen überführt wird. Da aber mit jeder Teilung auch eine Halbierung des in der bezüglichen Zelle vor- handenen Chromatinquantums verbunden ist, lässt sich unschwer ver- stehen, dass der in der ursprünglichen Keimzelle gegebene Vorrat an Chromatin in den Elementen der späteren Zellenfolgen von so ge- ringer Größe sein müsste, dass mit den stärksten Vergrößerungen ein soleher nicht mehr nachgewiesen werden könnte. Dem widerspricht aber die thatsächliche Beobachtung. Demnach muss das Chromatin die Fähigkeit, durch Wachstum an Masse zuzunehmen, besitzen. Dieser Wachstumsvorgang kann erst dann aufhören, „wenn keine neue Zellen, sei es zur Bildung neuer Teile, sei es zum Ersatz zu Grunde ge- gangener alter mehr hervorgebracht werden, mit andern Worten: am Ende des individuellen Lebens“. Der Umstand, dass die so geringfügige Menge Chromatins, welehe eine Samenzelle beherbergt, im Stande ist, dem kindlichen Organismus spezifisch väterliche Charaktere zu verleihen, und da ferner „die Eigen- schaften eines fertigen Organismus im Großen wie im Kleinsten von der Anordnung, Zahl und Beschaffenheit der Zellen abhängt, die ihn zusammensetzen“, so gelangen wir hinsichtlich der Bedeutung, welche 4) Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die oben zitierte Auffassung dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens am meisten entspricht. Man vergleiche hierzu die ausgezeichnete Schrift ©. Hertwig’s „„die Zelle und die Gewebe““ (Jena 1892), insbesondere das Schlusskapitel, in welchem „die Zelle als Anlage eines Organismus“ dargestellt ist. Wenn dagegen aller- neuestens Haacke (Schöpfung der Tierwelt, Leipzig 1893, 8.57) versichert, die neueren Erfahrungen hätten zu dem „Ergebnis“ geführt, dass der Kern „vor allem ein Organ des Stoffwechsels ist und dass im Plasma selbst der hauptsächlichste Träger der Vererbung gesucht werden muss“, so kann diese Darstellung den thatsächlichen Verhältnissen doch wohl nicht entsprechend erachtet werden! ZSLET, 22 308 Weismann, Das Keimplasma. der väterlichen Vererbungssubstanz für den Gang der Ontogenie zu- kommt, notwendig zu dem wichtigen Ergebnis, dass erstens das Chromatin den spezifischen Charakter der Zellen be- stimmt, und zweitens in jeder Art dieser letzteren verschie- den sein muss. Wenn die Entwicklungsgeschichte mancher Tiere lehrt, dass durch die erste Teilung der Keimzelle zwei Blastomeren gebildet werden, von welchen die eine die Stammzelle des künftigen Ektoderm ist, die andere dem späteren Entoderm den Ursprung gibt, so muss auch die diese verschiedene Entwicklungsrichtung bedingende Chromatinsubstanz in den beiden Furchungszellen eine verschiedene sein und von da ab durch sämtliche Phasen der Ontogenie bis zum ausgebildeten Tiere. Diese letztere besteht daher in „einer Reihe stufenweiserQualitäts-Aenderungen der Kernsubstanz der Kizelle-. Die begriffliche Fixierung des „Idioplasma“ durch Naegeli konnte seinerzeit bei der Mangelhaftigkeit unserer Kenntnis des Befruchtungs- vorganges und der feineren Details bei der Kernteilung überhaupt nieht an konkrete Verhältnisse anknüpfen, weshalb auch die schon oben erwähnte Darstellung, welche Naegeli vom Bau des Idioplasmas gegeben hatte, durch die zahlreichen neueren Erfahrungen überholt wurde. Diese aber berechtigen, als Idioplasma „die bestimmende Kern- substanz irgend einer Zelle“ zu bezeichnen, welche gleichzeitig Ver- erbungssubstanz sein muss, „weil sie niemals neu entsteht, sondern immer von dem Idioplasma einer anderen Zelle abstammt, und weil sie ferner nicht bloß die aktuellen Eigenschaften der betreffenden Jelle bestimmt, sondern zugleich auch diejenigen aller ihrer Nach- kommen“. Dass in Zellen, die nach Wirkungsweise und Bau verschieden sind, auch das Idioplasma ein verschiedenes sein muss, ist ohne Weiteres klar; aber auch dort, wo eine weitgehende äußerliche Aehnlichkeit oder — soweit unser optisches Vermögen reicht — gar Identität des Idioplasmas mehrerer Zellen zu Tage zu treten scheint, wird man gewiss nicht ohne Weiteres auf eine thatsächliche Gleichheit des Idio- plasmas schließen dürfen, denn die Uebereinstimmung im äußeren, sichtbaren Aufbau der Chromatinstäbehen braucht keine Wesensgleich- heit derselben zu bedingen. In manchen Fällen kann eine solche Koineidenz bestehen, in andern nicht, so dass wir bei der Vermehrung solcher Zellen eine erbgleiche (Homoiokinesis) von einer erb- ungleichen Teilung (Heterokinesis) sondern können. „Die erstere wird auf einer ganz gleichmäßigen Verteilung der „Anlagen“ auf beide Stäbchenhälften beruhen müssen, der somit eine Verdoppelung durch Wachstum vorhergegangen sein wird; bei der Letzteren wird dieses Wachstum mit einer ungleichen Gruppierung der Anlagen verbunden sein“. Aus dem Gesagten ergibt sich also, dass im Laufe der gesetz- mäßig aufeinanderfolgenden ontogenetischen Entwicklungsstufen das Weismann, Das Keimplasma. 339 ou Idioplasma fortgesetzt entsprechende Qualitätsänderungen erfährt; diese lässt Weismann „auf rein innern, d. h. in der physischen Natur des Idioplasmas liegenden Ursachen beruhen und zwar so, dass mit jeder Qualitätsänderung des Idioplasmas auch eine Kernteilung einhergeht, bei welcher die differenten Qualitäten sieh in die beiden Spalthälften der Chromatinstäbchen auseinanderlegen“. Weismann bezeichnet nun die so zu Tage tretenden Idioplasma-Arten als „ontogenetische Stufen des Idioplasmas“ oder kurz als „Onto-Idstufen“. Dem- nach ist die Chromatinsubstanz der zur Teilung reifen Keimzelle — das Idioplasma der Keimzelle — die Vererbungssubstanz xzar’ &oypv, da sie die Gesammtheit der Anlagen für den künftigen Organismus in sich trägt. Sie ist die erste Onto-Idstufe und wird von Weismann mit dem schon früher gebrauchten Namen „Keimplasma“ belegt. „Keim- plasma ist die erste ontogenetische Idstufe des Idioplas- mas einer Tier- oder Pflanzenart, mag dasselbe nun im Kern einer geschlechtlich differenzierten oder in dem einer nicht geschlecht- lich differenzierten Zelle enthalten sein“. Mit dem vorstehenden Ergebnis schließt der sachliche Abschnitt der Einleitung. Das daraus Mitgeteilte wird wohl zur vorbereitenden Orientierung für das folgende hinreichen. Und nun wollen wir zunächst den Bau des Keimplasmas, wie ihn Weismann als Grundlage seiner Theorie der Vererbung im ersten Buche des Originals entwickelt hat, näher kennen lernen. Die Theorie. Weismann beginnt, um Komplikationen zunächst zu vermeiden, seine Darlegungen über den Bau des Keimplasmas, indem er von einem Keimplasma ausgeht, „in welchem nicht die Anlagen zweier Eltern enthalten sind, sondern nur die eines einzigen, ein Keimplasma also, welches so beschaffen ist, wie es bei Arten sein müsste, welche sich von jeher nur auf ungeschlechtlichem Wege fortgepflanzt hätten“. Unser Autor unterscheidet zunächst in dem lebenden Substrat des Zellorganismus das Gestaltungsplasma als Morphoplasma vom Anlagenplasma oder Idioplasma, welches letztere nur in der Chromatinsubstanz des Kernes enthalten ist, und reserviert den alten Ausdruck „Protoplasma“ für beide Plasmaformen zusammen. Hinsicht- lich der feineren Struktur des Protoplasmas nun darf man sich der Einsicht nicht verschließen, dass die Vorstellung, Protoplasma sei eine wenn auch komplizierte Eiweiß-Modifikation, heute nicht mehr haltbar ist; Eiweiß vermag nicht zu assimilieren und Protoplasma enthält, wenn auch in geringer Menge, Stoffe, welche den Albuminaten nicht eigen sind. Weismann stimmt de Vries!) bei: „Eiweiß ist ein chemischer, Protoplasma ein morphologischer Begriff“. DIRECHS.‘38, 340 Weismann, Das Keimplasma. Demnach können die kleinsten Einheiten, welche das Protoplasma aufbauen und seine Lebenseigenschaften: Stoffwechsel, Wachstum und Vermehrung bedingen, niemals einfache chemische Moleküle sein, da diesen ja die Fähigkeit des Stoffwechsels mangelt; sie müssen vielmehr Gruppen solcher Moleküle darstellen, „deren jede sich aus ver- schiedenartigen chemischen Molekülen zusammensetzt“. Diese Ein- heiten, welche die Träger der elementaren Lebensfähigkeiten sind, nennt Weismann Lebensträger oder Biophoren: sie assimilieren, wachsen und vermehren sich durch Teilung, Fähigkeiten, welche „alle Ordnungen von Lebenseinheiten besitzen, über welche direkte Beobachtungen vorliegen, von den Mikrosomen an, welche die Chromatinstäbehen des Zellkernes zusammensetzen durch die Chlorophylikörner, Zellkerne, Zellen hindurch bis zu den einfacheren Pflanzen und Tieren hinauf“. Für die Vererbung bedeuten die Biophoren „die Träger der Zellen- eigenschaften“; sie setzen alles Protoplasma zusammen; da dieses aber in den so überaus mannigfaltig gearteten Zellen sehr verschieden ist, so folgt mit Notwendigkeit, dass auch die Biophoren, welche die Struktur dieser Zellen bedingen, ebensolcher Mannigfaltigkeit unter- liegen: „es muss eine große Menge verschiedenartiger Biophoren geben, sonst könnte sich aus ihnen nicht eine so überaus große Mannig- faltigkeit von Zellen aufbauen, wie wir sie thatsächlich beobachten“. Diese bunte Verschiedenheit der Qualität der Biophoren ist aus dem geschilderten Aufbau des Protoplasmas leicht zu verstehen. Da die Biophoren Molekülgruppen darstellen, ermöglicht zunächst schon die Zahl der ein Biophor zusammensetzenden Moleküle zahlreiche Variationen. Dazu kommt, dass auch die chemische Qualität der Moleküle, wenngleich innerhalb gewisser Grenzen, Modifikationen ge- stattet, worauf mancherlei Thatsachen hindeuten. Endlich darf die Heterogenität der Biophoren — wenigstens theoretisch — auch mit der Fähigkeit in Zusammenhang gebracht werden, dass bei gleich- bleibendem Atomenbau eine Umlagerung der die einzelnen Moleküle in der Biophore zusammensetzenden Atome Platz greifen kann. Ja, es ist sogar möglich, dass eine derartige Umlagerung, wie sie eben für die Atome im einzelnen Molekül eines Biophors angenommen wurde, auch für die ein Biophor zusammensetzenden Moleküle in Anspruch genommen werden darf. Demnach stellen die Biophoren ungemein variable Ein- heiten vor „je nach der absoluten Zahl der Moleküle, den Verhältnis- zahlen derselben, je nach der chemischen Beschaffenheit (Isomerie mit eingerechnet) und der Gruppierung der Moleküle; ja man wird sagen dürfen, dass die Zahl der möglichen Biophoren-Arten eine unbegrenzte ist, etwa so wie die Zahl der denkbaren organischen Moleküle“. Die Biophoren hält Weismann für reale Einheiten, da die elementaren Funktionen des Lebens „an irgend welche Einheit der Weismann, Das Keimplasma. 34 Materie gebunden sein“ müssen und doch weder Atomen noch Mole- külen zugeschrieben werden können. Wenn auch die Biophoren nach dem Gesagten jedes Protoplasma aufbauen, muss doch hinsichtlich der Struktur zwischen dem Morpho- plasma des Zellkörpers und dem in der chromatischen Substanz des Kernes gelegenen Idioplasma ein wesentlicher Unterschied bestehen, da das letztere, wie die Ontogenese erweist, sich während seines Wachstums „aus sich selbst heraus“ zu verändern vermag, eine Fähig- keit, welche dem Morphoplasma erfahrungsgemäß fehlt. Eine Erklä- rung für diese Thatsache kann nur durch die Beantwortung der Frage gewonnen werden, „auf welche Weise die Bestimmung der Zelleigen- schaften durch das Idioplasma des Kerns zu Stande kommt“. Zwei Möglichkeiten bieten sich dar: dynamische Fernewirkung, wie Stras- burger und Haberlandt annehmen, oder direkter Uebergang ma- terieller Teilchen der Chromatinsubstanz des Kernes aus diesem in den Zellkörper, wofür de Vries sich aussprieht. Weismann ent- scheidet sich für den letzteren Weg. Ausgehend von der fundamen- talen Thatsache, dass alle bekannten niederen Lebensformen lediglich von gleichgestalteten Eltern durch Teilung ihren Ursprung nehmen, muss diese Entstehungsweise auch „für alle die verschiedenen Stufen von Lebenseinheiten, die sich zu höheren Lebewesen verbunden haben“ und deren einfachste eine Biophore repräsentierte, Geltung haben. „Wenn wir nun auch zur Erklärung des Lebens auf unserer Erde die Annahme machen müssen, dass solche Einzelbiophoren einstens durch Urzeugung entstanden sind, so muss ihnen doch — so- fort nach ihrer Entstehang — die Fähigkeit der Fortpflanzung durch Teilung innegewohnt haben, weil diese unmittelbar aus den Grund- kräften des Lebens: Assimilation und Wachstum hervorgeht. Nur diese allereinfachsten Biophoren dürfen wir uns überhaupt als durch Ur- zeugung entstanden vorstellen, alle späteren und komplizier- teren Biophoren-Arten können nur auf Grund von An- passung an neue Lebensbedingungen entstanden sein und zwar allmählich durch die lange dauernde Zusammenwirkung von Vererbung und Selektion. Alle diese höheren und auf spezielle Existenz- bedingungen eingerichteten Biophoren-Arten, wie sie in unendlicher Mannigfaltigkeit die für uns sichtbaren Lebewesen zusammensetzen, besitzen „historisehe“ Eigenschaften, können somit nur aus ihres Gleichen und nicht „von selbst“ entstehen. Damit stimmt die Er- fahrung“. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). (Schluss folgt.) 342 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Max Fürbringer, Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel, zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane. (Zehntes Stück.) Die Rippen haben im großen und ganzen für die Beurteilung der Verwandtschaften der Vögel untereinander nur mäßigen Wert. Die an den Halswirbeln auftretenden Rudimente derselben sind bekanntlich bei den Vögeln, vielleicht mit Ausnahme von Archaeopteryx, synosto- tisch mit den Wirbeln verbunden; an den (1—4) letzten Cervikal- wirbeln hingegen finden sich etwas größere bewegliche Rippen, während die mit dem Sternum vereinigten in dieser Hinsicht die höchste Aus- bildung aufweisen, die darauf folgenden wiederum mangelhafter ent- wickelt und die den echten Sakralwirbeln zukommenden mit denselben synostotisch verbunden sind. Der Zahl der Rippen ist eine nur ziem- lich geringe systematische Bedeutung beizulegen; dasselbe ist auch mit ihrer Gestalt der Fall (bei Archaeoptery& noch sehr schlank und rund- lieh und infolge dessen an diejenigen der lacertilen Saurier erinnernd, werden sie bei allen späteren Vögeln — in Korrelation zur Fixierung des Rumpfes — breiter; diese Verbreiterung ist z. B. bei den Laro- Limicolae und namentlich bei den Alcidae noch eine mäßige, dagegen bei den Aceipitres und insbesondere bei Apteryx eine sehr beträcht- liche). Aehnlichen Wert wie die Zahl und Gestalt der Rippen haben auch die Proc. uneinati hinsichtlich der Systematik. Die Verteilung derselben an den verschiedenen Rippen, sowie die Art ihrer Verbindung zeigt zwar einen vielfachen Wechsel, es ist aber der Wert dieser Ver- hältnisse im ganzen wohl überschätzt worden. Obgleich das Brustbein vielleicht unter allen Teilen des Vogelskelettes zuerst für systematische Zwecke benutzt worden ist (Geoffroy St. Hilaire war es nament- lich, der die Aufmerksamkeit auf dieses Skelettstück lenkte; Merrem benutzte dasselbe in erster Linie zur Sonderung der Ratiten und Cari- naten, eine Anzahl anderer Forscher, wie Blanchard, Huxley, Magnus, W. Blasius ete. veröffentlichten Monographien über seinen Bau; Owen, A. Milne Edwards, Garrodete. fanden an ihm viele für die Systematik verwertbare Momente), so gehen doch heute noch die Ansichten über den taxonomischen Wert dieses Knochens weit auseinander. Die eine Reihe Forscher, z.B. de Blainville, gründet größtenteils auf seine Ausbildung ihr Vogelsystem, eine Anzahl anderer Forscher (wie Berthold) dagegen hält denselben für ganz ungeeignet zur Erkennung der Verwandtschaften der verschiedenen Vogelgruppen untereinander; eine dritte Reihe, welche die meisten Autoren umfasst, legt wieder diesem Skelettteile einen hervorragenden, aber nicht aus- schließlichen Wert bei. Diesen letzten Forschern schließt sich auch F. an. Wie schon erwähnt, benutzt Merrem die Existenz oder Nicht- existenz der Crista sterni als Differenzierungsmerkmal zwischen den Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 345 Carinaten (Normales de Blainville, Tropidosternii Blanchard) und Ratiten (Abnormales de Blainville, Platysternae Nitzsch, Homalo- sternü Blanchard). Auch gegenwärtig scheint die Mehrzahi der Zoologen diese Einteilung der Vögel anzuerkennen; es hat aber Owen gezeigt, dass einerseits die Crista bei gewissen von den Carinaten direkt abzuleitenden Vögeln größtenteils in Rückbildung tritt (dies ist der Fall bei Onemiornis, Aptornis, Stringops), und dass andrerseits ge- wisse Ratiten, wie Rhea, Struthio, eine unpaare Protub. sterni besitzen, welche an den Vergleich mit einer Crista denken lässt. Es ergibt sich daraus, dass, welche Bedeutung der Crista auch zukommen mag, sie doch kein durchschlagendes Differentialmoment für Ratiten und Cari- naten bilden kann. Seitdem de Blainville auf die Anordnung der Fenster, Ineisuren und Trabekeln im Xiphosternum aufmerksam ge- macht, hat man auch diese Charaktere für die Systematik verwertet. Aber es sind infolge einseitiger Berücksichtigung derselben zahllose Irrtümer entstanden, weil es, wie F. in Tabelle XXVII und Taf. V—-VII zeigt, ungemeine Variierungen zwischen soliden, gefensterten und ein- geschnittenen Xiphosterna, sowie zwischen einfachen und doppelten Ineisuren und Fenstern auf jeder Seite gibt, selbst innerhalb der Fa- milien und nach engerer Abteilungen, wie z. B. bei den Laridae, Tubi- nares, Strigidae, Ouculidae ete. und überdies individuell und antimer ein bedeutsamer Wechsel vorkommt. Trotzdem ist aber dieses Merk- mal für die kleineren Gruppen (Unterfamilien ete.) bei gewisser Um- sicht anwendbar. Konstanter als diese Gebilde am Xiphosternum ist die Form dieses selbst. Wenn es auch hinsichtlich desselben bei ge- wissen Familien nicht an Uebergängen fehlt, so zeichnen sieh doch wieder andere durch eine bestimmte Gestalt dieses Brustbeinteiles aus, so haben z. B. die Casuaridae, Columbidae, Pteroclidae ein ovales oder rhomboidales, die Apterygidae, Dinornithidae, Impennes ein quadran- guläres bis furcates Xiphosternum. Tiefere verwandtschaftliche Be- ziehungen zwischen entfernteren Gruppen sind jedoch auch dadurch nicht zu erkennen. Manches systematisch sehr brauchbare Moment gewähren ferner die Größenverhältnisse des Sternum an sich: die relativen Größenbeziehungen zwischen Costosternum und Xiphosternum und der Grad der sternalen Krümmungen, namentlich der Breiten- krümmung. Bezüglich der spezielleren Konfiguration des Brustbeins hat namentlich die Crista und die Spina in systematischer Hinsicht das Interesse der Ornithologen erregt. Die erstere dient, wie schon wiederholt erwähnt, zur Sonderung der Ratiten und Carinaten und ihre speziellere Entwicklung ist in der mannigfachsten Weise — wenn auch nicht immer glücklich — zur Unterscheidung der kleineren Abteilungen der Carinaten verwertet worden. Auf Tab. XXXIII-XXXV seines Werkes hat F. einige Beziehungen der Crista übersichtlich dargestellt; aus denselben ergibt sich, dass bei gehöriger Umsicht mehrfach brauch- bare systematische Ergebnisse gewonnen werden können. So erhält 344 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. man z. B., wenn man das Verhalten der Basis ceristae berücksichtigt, guten Aufschluss über die Beziehungen bei den Steganopodes, Galli, bei Opistocomus ete.; der von der vorderen Kante und Basis eristae gebildete Winkel, welcher bei Otis, Dicholophus, Parra, bei den Acei- pitres, Strigidae ete. von mäßiger Größe (zurücktretende Crista) ist, zeigt bei den /mpennes, Steganopodes etc. einen höheren Wert (vor- ragende Crista) und lässt dadurch scharfe Unterschiede zwischen den genannten Familien erkennen; ebenso werden durch die Höhe des Kammes manche Abteilungen (wie die Pterocletes, Caprimulgidae, Ma- crochires ete.) in schärfster Weise charakterisiert. Den höchsten syste- matischen Wert unter allen sternalen Merkmalen aber legt F. dem vor- deren Rande des Brustbeines, insbesondere der Spina sterni bei. Näheres darüber ist schon an einer vorhergehenden Stelle erörtert worden. Wie bei andern Wirbeltieren lag es auch bei den Vögeln nahe, in der Konfiguration des Schädels ein systematisches Merkmal von ganz her- vorragender Wichtigkeit zu erwarten; durch zahlreiche und treffliche diesbezügliche Arbeiten sind diese Erwartungen auch zum Teil in Er- füllung gegangen. Namentlich war es W. K. Parker, der in dieser Hinsicht durch seine Forschungen uns einen Weg eröffnet hat, auf welchem durch fortgesetzte eingehende Arbeit wichtige Resultate zu erwarten sind. Was nun den systematischen Wert der einzelnen Teile des Schädels anbetrifft, so verhält es sich damit folgendermaßen: die Hoffnungen, welehe man auf die cerebrale Region als den relativ am meisten konservativen Teil — gesetzt, haben sich nicht ganz er- füllt, dagegen erwiesen sich die zur Nasenhöhle und zum Kiefern- gerüste gehörigen Knochen (das Lacrymale, Ethmoideum, Maxillare, Palatinum, Vomer ete.) von größerer Bedeutung. So ist z. B. bei dem Lacrymale, ganz abgesehen von seiner sehr wechselnden Gestalt und Größe, die Verbindungsart mit den benachbarten Knochen für die Charakterisierung gewisser Familien von Wiehtigkeit. Obwohl ursprüng- lich und bei den meisten Familien noch jetzt als separater Knochen nachweisbar, kann es trotzdem bald mit dem Frontale (dies ist der Fall bei den Laridae, bei vielen Tubinares ete.), bald mit dem Nasale (wie bei Opistocomus), bald mit diesen beiden Knochen verwachsen oder auch mit dem ersteren (z. B. bei Caprimulgus) oder mit dem letzteren (z. B. bei manchen Anseres, bei Picus ete.) durch eine Art Gelenk verbunden sein. Allerdings bilden sowohl diese Modifikationen als auch das Verhalten zwischen Lacrymale und Ethmoideum keine durchgreifenden Familiencharaktere. Als Eigentümlichkeiten mancher Familien sind ferner auch die von mehreren Autoren in der Nachbar- schaft des Laerymale nachgewiesenen kleineren Knochen resp. Knochen- reihen anzusehen: die Supraorbitalia s. Superciliaria (z. B. bei Struthio, Psophia, bei den Orypturidae, bei vielen Perdicinae), das Infraorbitale s. Suprajugale (bei Struthio, Rhea, Plotus ete.) und das, wie es scheint, allgemeiner verbreitete Uneinatum (Lacrymo-Palatinum). Mehr taxo- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 34) nomische Bedeutung besitzt die wechselnde Größe des Nasale. Garrod gründete auf dieses Skelettstück seine beiden großen Abteilungen der Schizorhinae und Holorhinae. Obgleich F. dieses Merkmal zur Schei- dung größerer Gruppen nicht immer zuverlässig erscheint, so besitzt es doch jedenfalls Wichtigkeit genug, um überall berücksichtigt zu werden. In noch viel höherem Grade gilt dies für die Konfiguration des vom Supramaxillare mit Proc. palatinus, Palatinum, Pterygoid, Vomer und Basisphenoid gebildeten Kiefergaumenapparates. Schon Cornay machte auf die hohe, alle anderen Merkmale übertreffende Wichtigkeit des Gaumens aufmerksam. Da er aber seine Ansicht zu wenig spezialisierte und begründete, geriet sie wieder in Vergessenheit. 20 Jahre später gründete Huxley darauf seine Klassifikation der Vögel; dies war nach der Meinung F.s ein Fortschritt, wie ihn seit Nitzschs Pterylographie die allgemeine ornithologische Systematik nicht zu verzeichnen hatte. Saururae (Haeckel), Ratitae und Cari- naten sind bekanntlich die 3 Ordnungen, welche Huxley unterscheidet. Unter Berücksichtigung dieser Kopfregion fügt er außerdem den bisher bekannten Differentialeharakteren namentlich zwischen den beiden letzteren Ordnungen noch eine Anzahl neue hinzu, welche auch zum Teil in der Beschaffenheit des Kiefergaumenapparates wurzeln. Da- durch wird die separate Stellung der Ratiten gegenüber den Carinaten ausführlicher begründet als es bisher der Fall war und zugleich wird nachgewiesen, dass die einzelnen Vertreter der Ratiten in sehr hetero- gener Weise entwickelt sind und untereinander keineswegs nahe stehen. Die Carinaten teilt Huxley, je nach der Beschaffenheit des Vomer, in 4 Unterordnungen ein. Bei den Dromaeognathae ist derselbe wie bei der Mehrzahl der Ratiten hinten breit und schiebt sich zwischen das Palatinum und Pterygoid einerseits und das basisphenoidale Rostrum andrerseits ein. Bei den anderen 3 Unterordnungen ist der Vomer hinten mehr reduziert, so dass das Palatinum und Pterygoid in aus- gedehnterem Grade sich mit dem basisphenoidalen Rostrum verbinden ; bei den Schizognathae, welche die Charadrio-, Ceco-, Spheniseo-, Gerano-, Turniei-, Alecltoro-, Pteroco-, Peristero- und Heteromorphae umfassen, ist der Vomer in der Regel frei, vorne spitz, die Maxillo-Palatina sind medial nicht vereinigt, die Aegithognathae, zu denen die Coraco-, Cypselo- und Celeomorphae gehören, zeichnen sich durch einen vorn stumpfen Vomer und dureh gleichfalls freie Maxillo-Palatina aus; die Desmognathae endlich, zu welchen Huxley die Aöto-, Psittaco-, Coceygo-, Cheno-, Amphi-Pelargo- und Dysporomorphae rechnet, weisen in der Mittellinie verwachsene Maxillo-Palatina auf. Aber schon Huxley selbst musste einige Fälle namhaft machen, welche sich nicht diesem allgemeinen Schema einfügen wollten; weitere Untersuchungen, namentlich diejenigen von W. K. Parker, Magnus, Sundevall, Garrod, Forbes etc. vermehrten diese Ausnahmen und brachten zugleich mehrfache Korrek- turen der H.schen Angaben. Ja, es ergab sich endlich, dass die von 346 Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. Huxley in den Vordergrund gestellte Struktur des Kiefergaumen- apparates keine scharfe Abgrenzung ihrer verschiedenen Typen er- laubte, weil dieselben nur zum Teil genetisch verschieden sind, zum Teil aber unmittelbar ineinander übergehen und nur graduelle Dif- ferenzen aufweisen; ferner stellte sich durch diese Untersuchungen heraus, dass bei verschiedenen Vertretern ziemlich eng geschlossener Gruppen (Familien und selbst Gattungen) weitgehende Modifikationen und selbst ganz verschiedene Formen des betreffenden Apparates auf- treten und dass endlich gewisse ganz und gar nicht verwandte Vögel die gleiche oder wenigstens ähnliche Gaumenbildung besitzen. Dazu kommt noch die vielfache Differenzierung des Kiefergaumenapparates, so dass, je nachdem man das eine oder andere Merkmal desselben in den Vordergrund stellt und taxonomisch verwendet, daraus recht ab- weichende Klassifikationen resultieren; außerdem ist dieser Apparat für sekundäre Anpassungen sehr empfindlich — er kann somit kein Unterscheidungsmerkmal ersten Ranges abgeben, mit Hülfe dessen man ein natürliches und durchgreifendes Vogelsystem aufstellen könnte. Jedoch bildet er trotzdem einen sehr gewichtigen Faktor, welcher bei vorsichtiger Anwendung für die Systematik größerer Gruppen ausge- zeichnete Dienste zu leisten vermag. Wenn auch alle anderen Schädel- teile gegen die eben behandelten an Bedeutung zurücktreten, so haben doch die nachstehenden für die Systematik immerhin noch einige Be- deutung: das Praemaxillare, das Quadratum (Platner, Parker, Huxley und Magnus machten auf die Benutzung einzelner Partien oder Eigenschaften dieses Skelettstückes für die Systematik aufmerk- sam), die Mandibula (Inframaxillare) und das Os hyoideum. In zahl- reichen Monographien finden sich über diesen Knochen Mitteilungen und viele Forscher, darunter Mery, de la Hire, E. Geoffroy St. Hilaire, Waller, Wolf, Huber, Giebel, Nitzsch haben den- selben eingehend behandelt. Namentlich dureh die Untersuchungen von Nitzsch wurde nachgewiesen, dass das Zungenbein sieh zwar als ein sehr gutes Gattungs-, teilweise auch Familienmerkmal erweist, aber zur richtigen Erkenntnis der Verwandtschaften größerer Gruppen sich nieht eignet. Auch der Brustgürtel hat meist im Anschluss an das Brustbein von zahlreichen Forschern eine eingehende Berück- sichtigung zu taxonomischen Zwecken gefunden. Merrem, Owen, Gegenbaur und vor allem W. K. Parker, Huxley und Lühder haben darauf bezügliche umfassende Mitteilungen veröffentlicht. Da im speziellen Teile des F.schen Werkes über diese Verhältnisse schon ausführlich gehandelt worden ist, so sei an dieser Stelle nur auf einige Punkte aufmerksam gemacht. Aus dem gegenseitigen Verhalten von Coracoid und Sceapula ergeben sich 2 wichtige Merkmale für die Unter- scheidung der Ratiten und Carinaten. Der eine derselben gründet sich auf die Art der Verbindung beider Knochen untereinander. Dies ge- schieht bei den Carinaten durch ein Band resp. durch einen Faser- Fürbringer, Morphologie und Systematik der Vögel. 347 knorpel, bei den Ratiten dagegen durch eine Synostose. Es ist jedoch schon im speziellen Teile hervorgehoben worden, dass bei den Cari- naten manchmal eine unbewegliche, bei den Ratiten mitunter dagegen eine bewegliche Vereinigung zu stande kommt. Das zweite Unter- scheidungsmerkmal bildet die Größe des Coraco-Scapularwinkels; der- selbe ist bei den Carinaten mäßig groß und erreicht nur ausnahmsweise die Größe einer rechten, bei den Ratiten aber wird seine Größe sehr beträchtlich. Aber auch dieses Kennzeichen ist kein durchgreifendes, wie manche Tubinares, Didus ete. zeigen; es ist überdies auch leicht ersichtlich, dass die Größe des Winkels im allgemeinen mit der Ver- minderung der Schultermuskeln zunimmt (bei schlechteren Fliegern ist der Winkel größer nach Parker) und außerdem zur Spannung der Clavieula ete. in Korrelation steht. Beide Merkmale sind demnach von keiner durchschlagenden Bedeutung. Am auffälligsten zeichnet sich das Coracoid der Carinaten durch das Acrocoracoid aus. Dasselbe tritt in hoher Entwicklung auch bei denjenigen Gruppen auf, bei welchen die Clavieula zurückgebildet und die Crista sterni beinahe vollkommen reduziert ist, während hingegen keine Ratite, auch der nicht, bei dem die Clavieula leidlich erhalten ist, eine Gebilde besitzt, das ihm an Höhe der Ausbildung nur einigermaßen vergleichbar wäre. Als Differentialcharakter zwischen Carinaten und Ratiten übertrifft dies Gebilde deshalb auch an Wert die Crista sterni, und wenn man über- haupt eine Differenz dieser beiden Subklassen der Vögel feststellen will, so scheinen F. die vom Coracoid genommenen Termini: Aerocora- eoideae und Platycoracoideae dieselbe besser zu kennzeichnen als die Namen Carinatae (Tropidosternii) und Ratitae (Homalosternii, Platy- sternae). Trotzdem aber vermag F. auch diesem Skelettteile keinen absoluten Wert für die Kennzeichnung einer prinzipiellen Verschieden- heit zwischen beiden Abteilungen beizumessen. Neben dem Acrocora- eoid weist das Coracoid noch einige minder wichtige Eigentümlich- keiten auf, die für die Feststellung der Ordnungen, Familien und Gattungen von einiger Bedeutung sind: der Proc. procoracoideus und sein Verhalten zur Clavieula geben ein sehr gutes Merkmal für gewisse Gruppen ab, es zeichnen sich z. B. die Ichthyornithes, Laridae und Limicolae, die Pelargi, Gruidae und Fulicariae, die Hemipodiidae, Pteroclidae ete. durch einem mehr oder weniger ansehnlichen, die Impennes, Alcidae, Herodii, Orypturidae, Galli, Trogonidae ete. durch einen kleinen oder sogar fehlenden Proc. procoraeoideus aus. Bei anderen Familien wieder, wie z. B. bei den Tubinares, Steganopodes, Anseres, Accipitres, Alcedinidae etc. findet ein größerer diesbezüglicher Wechsel statt, bei den Gruidae, Psophiidae und Aramidae kommt eine eigentümliche, alle möglichen Gradationen darbietende Ausbildung vor. Auch die Ratiten zeigen diesen Fortsatz in sehr wechselnder Größe, und dadurch werden die bedeutenden Differenzen der einzelnen diese Subklasse bildenden Familien gut gekennzeichnet. Von geringerem 348 Urbanowiez, Developpement embryonnaire du Maia Squinado. Wert als das Procoraeoid ist das Auftreten oder Fehlen des Foramen (resp. der Ineisura) supracoracoideum; bei vielen Familien finden sich nämlich in dieser Hinsicht sehr wechselnde Verhältnisse, jedoch zeichnen sich andrerseits zahlreiche Abteilungen wieder dadurch aus, dass in Bezug auf das Vorkommen dieses Foramen eine größere Konstanz stattfindet. So fehlt z. B. den meisten Anseres, den Herodii, Caria- midae, Eurypygidae, Mesitidae, Hemipodiidae, Orypturidae, Galli ete. am Coracoid die Durehbohrung, während die Alcidae, Laridae, Tubi- nares, Palamedeidae, Gruidae, Aramidae ete. sie aufweisen. Ein ähn- licher Wechsel ist auch innerhalb der Ratiten zu konstatieren. Von noch geringerem systematischen Werte scheint F. — im Gegen- satz zu W. K. Parker — der Proe. lateralis posterior zu sein; doch mag immerhin seine Größe, Richtung und Gestalt zur Charakterisierung gewisser Familien und Gattungen verwendbar sein. In höherem oder geringerem Maße für die Systematik nutzbar sind ferner auch die Dimensionen des Coracoids, des Intereoracoidalwinkels und die gegen- seitige Entfernung der Basen der beiden Coracoide. Dr. F. Helm. Note preliminaire sur le developpement embryonnaire du Maia Squinado. Par Felix Urbanowicz (de Varsovie). Gräce a l’hospitalite de Monsieur H. de Lacaze-Duthiers je recueillis pendant mon sejour a Banyuls-sur-mer et a Roscoff en 1890 aux stations zoologiques, qui s’y trouvent, un material complet pour etudier evolution de V’oeuf de la Zo&a du Maia Squinado. Mais ce n’est qu’apres mon retour en Pologne que je reussis A comprendre exactement les transformations de l’oeuf jusqu’ a l’evolution de la larve. Je fais mes recherches aux laboratoires de l’universite de Varsovie, dont je puis profiter gräce a la bonte de MM. les professeurs Mitro- phanov et Nassonov. C'est a Mr. Mitrophanov et ä son ancien assistant, mon compatriote, Mr. Joseph Eismond, que je suis re- connaissant pour bien d’indications methodiques, qui m’ont beaucoup faeilit€E le travail; sans les excellents instruments du laboratoire de Mr. Mitrophanov et sans maintes methodes, elaborees dans le m&me etablissement, sans doute je ne serais pas parvenu aux resultats, dont je publie iei le resume sans entrer aA present dans les details, sans: faire de conelusions theoretiques et sans eiter la littörature du sujet. Apres la formation d’une blastula, remplie de vitellus, par la seg- mentation superficielle, sur le futur eöte ventral de l’embryon apparait un &paississement semilunaire du blastoderme, dont les cornes sont dirigees en avant. Le blastoderme dans cet endroit-ei est compose de cellules, pourvues de grands noyaux vesieuliformes; ces cellules se Urbanowiez, D&veloppement embryonnaire du Maia Squimnado. 349 multiplient tres vite et donnent naissance aux cellules, qui possedent des noyaux plus petits; elles migrent dans les parties plus profondes du vitellus et s’y dissipent; la plupart de ces cellules proviennent de la partie intermediaire de l’epaississement du blastoderme. Ce phe- nomene est &videmment une gastrulation, mais la plupart de l’entoderme, qui en provient, est transitoire: les cellules, dissipees dans le vitellus, se multiplient a peu de stades suivants, en devenant plus petites en meme temps (tout ce, que j’ai observe, temoigne, que cela se passe sans la karyokinese) et enfin elles disparaissent dans le vitellus. Il ne reste, qwune petite quantit6 de cellules entodermales; celles-ci, pourvues de grands noyaux, ne s’enfoncent pas dans le vitellus, mais restent sous la partie intermediaire de l’&paississement semilunaire tout pres du blastoderme et forment le premier rudiment de l’intestin. Au dessus de ces cellules, ä des stades tres precoces, encore avant l’ap- parition des extremites du nauplius apparait le proctodaeum en forme d’une etroite invagination du blastoderme. Bientöt apres l’apparition de l’epaississement semilunaire, avant que l’entoderme transitoire se soit dissipe, apparait dans la future partie anterieure de l’embryon une paire d’epaississements du blasto- derme en forme de deux triangles, dont les sommets sont diriges vers les cornes de l’Epaississement semilunaire; les epaississements triangu- laires sont eompeses de cellules, qui forment deux ou trois couches et sont aussi remarquables par la grandeur de leurs noyaux; les stades plus avanees prouvent, que ce sont les ganglions optiques, qui en proviennent. Entre le sommet de chaque triangle et la eorne, qui lui eorrespond, apparait un etroit epaississement filiforme du blastoderme, et eela donne ä tout l’embryon la forme d’un triangle isocele, dont le sommet est forme par la partie posterieure, contenant le proetodaeum et le rudiment de l’intestin, la base, ouverte dans son milieu, par les eötes posterieurs des deux &paississements triangulaires, et les deux eötes par les deux Epaississements filiformes. Le blastoderme au dedans de ce triangle n’est pas Epaissi. — Les stades suivants prouvent, que les epaississements filiformes eontiennent les rudiments des extremites du nauplius et du mesoderme nauplien; celui-ei apparait en forme de cel- lules, qui se separent des epaississements filiformes et forment au-dessous d’eux deux filaments, disposes entre la partie posterieure de l’embryon et les parties anterieures des &paississements optiques, avee lesquels ils se trouvent en eonnexion. Bientöt apres apparaissent les rudiments des extremites naupliennes en forme de trois paires d’exeroissances du blastoderme!), situces entre le rudiment de l’abdomen et les &paississe- ments optiques au* dessus du mesoderme; celui-ei forme trois paires de saillies, qui correspondent aux rudiments des extremites et entrent dans leurs eavites. Sauf ces saillies tout le mesoderme nauplien est tran- esitoir et disparait de la maniere suivante: les granules de ehromatine, 1) L’apparition de mandibules precede celle des deux paires d’antennes. 350 Urbanowiez, Developpement embryonnaire du Maia Squinado. qui se trouvent dans les cellules m&esodermiques, se fusionnent et forment un grand grain chromatique, pendant que l’achromatine et le plasme cellulaire se confondent avec le vitellus; en suite a lieu la fragmen- tation du grand grain chromatique, et plusieures parties, qui en pro- viennent, disparaissent peu A peu dans le vitellus. J’ai observ& plu- sieures modifications de la deg6neration pareille des cellules m&sodermi- ques, dont je ne donne pas la description dans cette note preliminaire. Bien des cellules disparaissent de la maniere deerite ei-dessus dans les parties anterieures des &paississements optiques; aux stades pre- coces naupliens les cellules, dont la chromatine a la forme d’un grand srain, forment deux grappes, lices avec les Epaississements mentionnes; aux stades suivants les cellules de ces grappes se dissipent dans le vitellus et y disparaissent. Apres l’apparition du stomodaeum en forme d’une invagination relativement large entre les antennes de la T° paire et des rudiments de trois paires de ganglions nerveux correspondants aux extremites naupliennes en forme d’epaississements blastodermiques, le stade nauplius est presque termine. Aux parties decrites ei-dessus ne s’adjoignent que deux nouvelles parties du futur systöme nerveux. Entre les rudiments des ganglions mandibulaires sur la ligne mediaire de l’embryon apparait un &paississement impair conique du blastoderme, lequel aux stades suivants s’unit avec les ganglions mandibulaires, formant une partie du premier rudiment de la chaine ventrale. Aux stades pr&ecoces naupliens dans l’espace, qui separe les Epaississements optiques des ganglions de la ° paire d’extremites apparait une nou- velle paire d’&paississements blastodermiques, qui devient plus grande aux stades suivants; sa partie posterieure se confond enfin avec les Epaississements optiques, tandis que l’anterieure entre en connexion avec les deux ganglions de la R® paire d’extremites. Avec les derniers ganglions entrent encore en connexion les ganglions de la IIme paire d’extr&emites, et cette masse cellulaire compliquee presente le rudiment du cerveau de Zo&a, chez laquelle les ganglions des yeux sessiles ne sont pas encore differeneies exactement du cerveau. Je suppose, que la paire de ganglions, qui ne correspond a nulle paire d’extremites, est homologue au „cerveau primaire“ des copepodes!); alors le „cerveau secondaire* de ces derniers corresponderait aux &paississements opti- ques. Le ganglion impair du Maia, qui entre en connexion avec les ganglions mandibulaires, est peut-&tre homologue au ganglion ventral, que Grobben a deerit chez le nauplius de Cetochilus et moi chez la meme larve de Cyclops. La transformation exterieure de l’embryon, qui a deja passe le 1) Grobben, Die Entwicklung von Cetochilus septentrionalis. Arbeiten aus dem zoolog. Institut der Universität Wien, III. F. Urbanowiez, Contribution ä Pembryologie des cop&podes (polonaiß). Kosmos, 1885. Urbanowiez, Developpement embryonnaire du Maia Squinado. 351 l’abdomen et l’apparition des extr&mites metanaupliennes. Au stade du nauplius le blastoderme des deux cötes au dessus du proetodaeum eonsiste de cellules, qui se distinguent par leurs grands noyaux. (es cellules, se multipliant bien vite, font apparaitre le rudiment de l’ab- domen; en m@me temps elles donnent naissance aux cellules, qui s’enfoncent dans la cavite du dernier et y l[orment le premier rudiment de son mesoderme. Le phenomene, qui fait aggrandir l’abdomen, est en eonnexion avec l’apparition de nouvelles extremites et la formation de V’intestin; observe du dehors voila en quoi il eonsiste: la base de l’abdomen recule de plus en plus, rendant ainsi le dernier plus long, et & la base mentionnee apparaissent successivement les nouvelles paires d’extremites. — Plusieures cellules de l’entoderme nauplien, resteces apres la degeneration generale, semblent participer tres peu dans la formation de la partie intermediaire du tube digestif; le röle prineipal (mais, nous le verrons apres, pas unique) dans la formation de l’intestin jouent sans doute les cellules, lesquelles depuis le stade du nauplius jusqu’ aux stades tr&es avances proviennent du blastoderme sur la ligne mediaire de l’embryon au bout posterieur de la base de l’abdomen; se groupant regulierement elles forment un tube qu’on ne trouve que dans l’abdomen et qui est entour& du mesoderme du dernier, auquel le blastoderme abdominal continue A donner naissance. — A mesure que la base de l’abdomen recule, l’&space entre celle-ci et les rudiments des mandibules s’aggrandit. La IVme et la Vme paires d’ex- tremites par la maniere de leur formation ressemblent beaucoup aux extremites naupliennes; leurs premiers rudiments sont des saillies du blastoderme & la base de l’abdomen, sous laquelle on remarque des cellules m&sodermiques, qui se sont separees du blastoderme et forment sous chaque rudiment une petite lamelle; aux stades suivants, apres que les rudiments des extr&emites se soient aggrandis, les cellules mesodermiques entrent dans leurs cavites et remplissent "celles-ei entierement; mais on ne remarque pas dans cette partie de l’embryon des cellules, qui corresponderaient au m&soderme transitoire du nauplius. Les rudiments de VIm® et VIlme paires d’extremites sont solides; ils presentent saillies d’une paire d’&paississements blastodermiques, qui apres l’apparition des rudiments de la V"® paire apparaissent A la base de l’abdomen et sont composes de plusieures eouches de cellules. Ces Epaississements donnent l’Epithelium exterieur et le mesoderme de la VIme et la VIlme paires d’extremites, partieipent A l’aecroissement de Pintestin et jouent le röle prineipal dans la formation de l’ento- derme thoracique, qui presente le rudiment du foie. Le dernier ph6- uomene se passe de la maniere suivante: de chaque ceöte de l’embryon au dessus des rudiments de la IV”° paire apparait une petite invagi- nation Epaissie du blastoderme; de ces invaginations se separent deux rubans cellulaires, dont les bouts posterieurs se lient avec les deux Epaississements blastodermiques sus-mentionnes, situes A la base de P’ab- 352 Urbanowiez, D&veloppement embryonnaire du Maia Squinado, domen; dans les derniers les cellules interieures, c’est A dire celles, qui touchent le vitellus, deviennent differentes de celles, qui &tant situees plus pres de la surface de l’embryon forment la VIme et la VIIm® paires d’extremites; ces cellules differeneiees forment deux rubans cellulaires, dont les bouts anterieurs s’unissent avee les rubans cellu- laires, separes des invaginations blastodermiques sus-mentionnes, et les bouts posterieurs se confondent avec le bout anterieur de l’intestin; depuis ce moment-ei tout l’entoderme consiste du tube e&troit, place dans la partie anterieure de l’abdomen (dans sa partie posterieure se trouve le proctodaeum) et des deux lamelles cellulaires, liees avec le tube mentionne a la base de l’abdomen et situdes au cöte ventral du cephalothorax au-dessus des rudiments des extremites metanaupliennes. Ces lamelles presentent l’entoderme thoraeique, mentionne ei-dessus, et forment les rudiments du foie; ils croissent un peu en haut sans parvenir jusqu’ au cöte dorsal de l’embryon, et avancent vers le bout posterieur du stomodaeum, qui est deja un tube d’une grandeur con- siderable et dont le bout posterieur est ouvert. — Apres l’apparition des rudiments de la VII“ paire d’extremites dans la partie posterieure du cephalothorax de la future larve la base de l’abdomen cesse a reeuler et commence ä s’elever vers le cöt& dorsal, prenant la position normale chez la Zo&a, chez laquelle, on le sait, ’abdomen s’unit avec le cephalothorax spherique au cöte dorsal de la partie posterieure du dernier. A mesure que la base de l’abdomen s’eleve, apparaissent entre la VIlme paire d’extremites et la base les rudiments de 6 nou- velles paires du cephalothorax, lesquelles chez une jeune larve ne sont que les rudiments contenant les cavites. En m&me temps l’intestin S’aggrandit et avance dans le cephalothorax, s’approchant vers le bout posterieur du stomodaeum et les parties anterieures de l’entoderme thoraeique; par ce phenomene les deux lamelles entodermiques se transforment en deux sacs du foie, lesquels sont encore ouverts dans leurs parties dorsales. Les parties posterieures de ces sacs vont en haut avec la base de l’abdomen et enfin aux stades tres avancds l’entoderme thoracique passe sur le eöte dorsal de l’embryon et y avance pour fermer les sacs du foie de ce cöte-ei; mais l’aceroissement des derniers dans la partie posterieure de l’embryon et ensuite sur son eöt&e dorsal ne se passe pas exclusivement par la multiplication des cellules, qui forment deja l’entoderme thoracique; au contraire, c’est le blastoderme des parties de l’embryon nommees ci-dessus qui est la source principale de nouvelles cellules entodermiques jusqu’ ä la fin du developpement embryonnair; les parties posterieures de l’entoderme thoraeique restent liees immediatement avec le blastoderme ıneme apres l’apparition des rudiments des six dernieres paires d’ex- tremites; les points de connexion passent ensuite sur le dos de l’embryon et y avancent; au stade embryonnaire le plus avanc& de tous que je possede et qui ne pr&cede l’&elosion de Zo&a!) ques de plusieures heures 1) elev&e dans un aquarium Urbanowiez, Developpement embryonnaire du Maia Squinado. 353 chacun des deux sacs du foie sur le cöt&e dorsal se joint encore sur un petit Espace avec le blastoderme. — L’invagination blastodermique epaissie, qui donna naissance au premier rudiment de l’entoderme thoraeique, devient aux stades suivants plus profonde et recule; «’est le commencement de la formation du carapace et de la cavit& respi- ratoire. Des parois de cette invagination se separent aussi de pre- mieres cellules du m&soderme thoracique; celui-ci continuant A accroitre par voie de s&eparation de ses cellules du blastoderme recule plus vite que l’invagination et suivant l’entoderme thoracique passe apres celui-ei sur le dos de l’embryon. Ce mesoderme consiste A tous les stades embryonnaires de cellules dissipees, ne formant ni somites, ni regu- lieres lamelles cellulaires. Il forme premierement les museles du foie et de la partie de l’intestin, qui s’est avancde et s’est place dans le eephalothorax; dans la partie anterieure de l’embryon le mesoderme thoraeique forme les immenses flexores mandibularum et dans la partie posterieure les faibles muscles de la VIme et la VIIme paires d’extre- mites. Les museles forts de la IV et la Vme paires proviennent d’une autre source, — nous le verrons ensuite. Quelle est la source des muscles interieures des extr&emites, nous l’avons vu ei-dessus. Sur le eöte dorsal dans le cephalothorax une quantite considerable de cellules du mesoderme thoracique se groupent conformement pour y former le rudiment du coeur. Je n’ai pas encore r&ussi ä rechereher bien ex- actement la source de la musculature du stomodaeum. L’abdomen, nous P’avons vu, possede son mesoderme propre, qui forme la museu- lature de la partie du tube digestif, qui s’y trouve, ainsi que les fila- ments museulaires, qui se dirigent le long de l’abdomen de Zo&da. Je ne remarque pas dans la cavite du corps de la jeune larve des cellules, qui pourraient &tre considerees comme material pour les museles forts des six paires posterieures d’extremites thoraciques; leur source uni- que semble @tre l’epithelium de la peau. Apres qu’au stade du nauplius se sont formes les rudiments des ganglions nerveux correspondants a la IlIme paire d’extremites et que la base de l’abdomen a reeul& aux stades suivants, dans l’espace, qui separe les ganglions mandibulairs de la base mentionnee, on remarque dans le blastoderme des cellules pourvues de noyaux relativement grands, vesiculiformes, disposces symmetriquement sur la ligne mediaire de l’embryon et qui forment le prolongement du rudiment de la chaine ventrale. Les chromosomes des noyaux de ces cellules sont tres souvent disposces en figures karyokinetiques. Apres la formation de la partie anterieure du rudiment de la chaine ventrale on remarque les nervo- blastes dans sa partie posterieure A la base de l’abdomen au nombre de 5 paires; aux stades plus precoees leur nombre est moins consi- derable. A mesure que la base de l’abdomen recule, les nervoblastes la suivent et rendent l’epaississement ventral plus long; son &paisseur aggrandit bien vite. Les ganglions, qui correspondent aux extremites, XII. 23 479} 354 Imhof, Ceriodaphnia (Cladocera). ne sont remarquables que par la disposition des filaments nerveux, qui apparaissent au dedans de l’epaississement ventral aux stades avances; au-dessus de chaque paire d’extremites ils forment un grand groupe et y sont disposes dans la direetion transversale. Dans l’ab- domen au contraire la chaine ventrale consiste de six ganglions impairs, lies par le m&me nombre de commissures impaires. — Une partie de cellules de la chaine ventrale aux stades tres avances forment les muscles de la IV®® et Vme paires d’extremites. Ces museles, tres forts chez la Zo&a, s’etendent au-dessus du systeme nerveux dans une direetion presque horizontale; le muscle gauche et le droit de chaque paire d’extremites sont reunis sur la ligne mediaire. Aux stades avanees au-dessus de la IV et Ja Vme paires d’extremites les cellules de la partie superieure de la chaine ventrale, qui sans doute ne sont pas encore differeneiees au sens histologique, se differenceient de celles de la partie inferieure de la chaine et forment les museles mentionnes. Au stade de 5 paires d’extremites apparait sur le dos de l’embryon un epaississement blastodermique impair, qui degenere aux stades suivants; la wraniere de degeneration ressemble beaucoup ä celle de la degeneration du mesoderme nauplien. Quand le blastoderme dorsal commence ä former l’entoderme thoracique, cet epaississement n’existe deja plus. La glande du carapace au stade, qui ne pr&cede que de plusieures heures l’eelosion de la Zo&a, est encore en rudiment. Je ne puis encore dire rien d’exaet par rapport a la provenance des cellules, qui lui donnent naissance. Je ne puis non plus rechercher la metamorphose de la Zo&a, parceque malgr& les moyens que j’ai recus aux stations de Banyuls et de Roscoff et malgr&e mes efforts je ne reussis pas A rassembler les materiaux ne&cessaires. Varsovie, 6. April 189. Ceriodaphnia (Cladocer.a). Von Dr. Othmar Emil Imhof. Wie dem Genus Bosmina, sind auch der Gattung Ceriodaphnia eine größere Zahl von Species zukommend, als sich im den umfang- reicheren Arbeiten über Cladoceren aufgeführt finden. Eine Uebersicht der bisher aufgestellten Arten, vielleicht noch zu ergänzen, gibt die vorliegende Mitteilung, begleitet von einigen Betrachtungen über ihr Vorkommen und ihre Lebensweise. In chronologischer Reihenfolge geordnet ergibt sich folgendes Verzeichnis: 1. 1785. Ceriodaphnia quadrangula OÖ. F. Müller. 2. 1820. « reticulata Jane. ö. 1820. e rotunda Strauss. Imhof, Ceriodaphnia (Clacodera). 355 4. 1838—42. „ textilis Dana. 5. 1858. M nitida Schödler. 6. 1860. 5 Fischeri Leydig. 7. 1862. | megops Sars. 8. 1862. A pulchella Sars. 9. 1868. a punctata P. E. Müller. 10. 1868. h laticaudata P. E. Müller. 11. 1878. 4 dentata Birge. 12. 1878. > consors Birge. 13. 1878. n eristata Birge. 14. 1883. 5 alabamensis Herrick. 15. 1884. = sertula Herrick. 16. 1886. " echinata Moniez. 17. 1887. ” minuta Moniez. 18. 1887. 5 asperata Moniez. 19. 1890. x pelagica Imhof. Varietäten. 1. 1880. Ceriodaphna laticaudata transylvana Daday. Die gegenwärtigen Kenntnisse über das Vorkommen der 19 Species ergeben, dass nur 5 derselben und zwar in Europa, nämlich: ©. reti- culata, quadrangula, megops, pulchella und laticaudata, eine ausge- dehntere Verbreitung aufweisen. C. rotunda ist in 5 europäischen Ländern nachgewiesen; ©. punetata findet sich mit Sicherheit nur in Dänemark und in der Schweiz. Die Arten echinata, minuta und asperata gehören bisher nur der Fauna Frankreichs an. Spezifisch außereuro- päische Arten, Nord-Amerikas, wurden 5 Species aufgestellt, davon 3 durch Birge und 2 von Herrick. Als außereuropäisches Vorkommnis ist anzuschließen C. Zaticaudata auf Madagaskar. Die Ceriodaphniden leben vorwiegend in kleineren stehenden Ge- wässern, die reich mit Pflanzen bewachsen sind. Speziell in Torf- gewässern sind die Arten: echinata, rotunda und reticulata zu suchen. In langsam fließenden klaren Gewässern und Flussbuchten wurden an- getroffen: megops, pulchella, laticaudata, reticulatau.quadrangula. Ueber das Vorkommen in künstlichen Wasserbecken liegen noch wenige Angaben vor, so reticulata, megops, pulchella und vielleicht guadrangula. Im pelagischen Gebiet der Seen, als Mitglieder der pelagischen Fauna, sind bisher 7 Species aufgefunden worden: pulchella, megops, punctata, reticulata, laticaudata, pellucida u. pelagica. Auffällig ist das Ergeb- nis aus den westpreuß. Seen nach Selig o’s Untersuchungen. Nur in2 von 66 Seen ward ©. pulchella gefischt. Diese Species ist aber die, geographisch, am weitesten verbreitete pelagische Ceriodaphnide. Zacharias notierte sie aus 10 westpreußischen Seen. Ein ähnliches Resultat wie das von Seligo, ist das meinige aus den 18 k. k. österreichischen (1885) und den 16 k. bayerischen Seen (1887), in denen ich, allerdings bei der erst- und bloß einmaligen Untersuchung, gar keine Ceriodaphnia ge- 99% Ze 356 Nusbaum, Lebergefäße und deren Blutkörperchen bei den Anuren. fischt habe. In den Seen des Herzogtums Kärnthen dagegen kommt in 12 von den 19 pelagisch untersuchten, je eine Ceriodaphnia-Species vor. In Seen auf der Südseite der Alpen hat nur Pavesi sechs Fund- orte bekannt gegeben. Als besonders bemerkenswert muss hervorge- hoben werden, dass von eirca 65 untersuchten, höher gelegenen Alpen- seen der Hüttnersee, 660 m ü.M. und der Seelisbergersee, 753m ü.M., die einzigen Seen sind, welche eine Ceriodaphnia beherbergen. Die Zahl der Arten, welche die verschiedenen Länder Europas besitzen, sind: Kaiserzeich: Deutschlandes=. .v... -.%2 22 6//8peeies Republik Schweiz ; Republik Frankreich Königreich Italien Königreich England . Kaiser- und Königreich Oesterreich- -Ungarn Königreich Dänemark Königreich Schweden Königreich Norwegen Kaiserreich Russland Das Resultat der kritischen oe Vier Vertreter des Genus Ceriodaphnia werde ich in einer RD ELaD veröffentlichen. -1 Il Ola m tO =] Beitrag zur Kenntnis der Eabviekline der ersten embryo- nalen Lebergefäße und deren Blutkörperchen bei den Anuren. Von Jözef Nusbaum in Lemberg (Oesterreich-Galizien). (Abdruck aus dem Anzeiger der Akademie der Wissenschaften in Krakau.) Aus A. Goette’s!) Untersuchungen ist bekannt, dass bei Bombi- nator igneus der Sinus venosus nach hinten zu in zwei Dottervenen übergeht, die das Blut aus dem Dotter (aus den Dottergefäßen) sammeln und über der Leberanlage dem Herzen zuführen. Ueber diese Dotter- venen berichtet nun Goette Folgendes. Wenn sie anfangs in ihren vordersten Abschnitten, namentlich in der Anlage des Venensackes und sogar am Uebergange zum freien Herzschlauche bloß als zwei getrennte, primitive Gefäßröhren er- scheinen, so finden sich doch schon in der ersten Zeit ihrer Entstehung etwas rückwärts, neben der Wurzel der Leberanlage einige kleinere Gefäßlichtungen statt einer großen. Die Vermehrung der Dottervenen führt zum Zerfall derselben in ein die Leber durchziehendes Gefäßnetz. Goette macht weiter darauf aufmerksam, dass das Blut der Leber anfangs keineswegs in mit eigenen Wandungen versehenen Gefäßen, vielmehr in wandungslosen Zwischenräumen strömt. Die Wandungen entwickeln sich erst allmählich unter direkter Beteiligung der embryo- nalen Blutzellen. Näheres über die Entwicklung des Lebergefäßnetzes samt den in demselben sich findenden Blutkörperchen gibt Goette 1) Die Entwicklungsgeschichte der Unke (Bombinator igneus) von A.Goette. Leipzig 1875. Nusbaum, Lebergefäße und deren Blutkörperchen bei den Anuren. 357 nicht an. Nach Hochstetter!) ist die Dottervene bei Salamandra und Triton in ihrer Anlage einfach und löst sich ebenso in ein Kapillar- system der Leber auf; er berichtet aber nichts betreffs der Bildung dieses Systems. Ich untersuchte nun näher die Bildung der ersten Blutgefäße in der embryonalen Leberanlage bei Rana temporaria und gelangte zu folgenden Resultaten. Die Bildung der ersten Lebergefäße geht gleichzeitig an der Ober- fläche der Leberanlage und im Inneren derselben vor sich. Die Ober- fläche der Leberanlage, die von vorn und unten in die Höhle des Sinus venosus und der vorderen Teilen der Dottervenen hineinragt, zeigt sehr deutlich Unebenheiten und wird bucklig. Hier und da kann man sehr genau sehen, dass die Zellelemente, die in der auf be- treffendem Stadium mehrschichtigen und verdiekten Leberwand, wie überhaupt im Dotterentoblaste?), dieht zusammengedrängt sind, sich allmählich lockern, schärfere Konturen erhalten, kugelig werden und als freie Blutkörperchen sich ablösen. An sehr dünnen, dorsoventralen Schnittserien (nach Einbettung in Photoxylin und Paraffin) kann man diese allmähliche Lockerung der Elemente des Dotterentoblasten sehr deutlich sehen. Die Lockerung schreitet in der Richtung von Außen nach Innen zu, so dass in dem Maße, als Blutkörperchen sich bilden, tiefe Einbuchtungen auf der Oberfläche der Leberanlage entstehen, die zuletzt in kanalartige Gefäßlichtungen übergehen. Sowohl in den noch nicht in Blutkörperchen präformierten Elementen des Dotterentoblasten, wie auch in den jungen Blutkörperchen selbst kann man karyokinetische Teilungen beobachten. Die Entwicklung des Kapillarnetzes geht auch im Inneren der Leberanlage vor sich. Es entstehen hier sehr enge Lumina, von Ele- menten des Dotterentoblasten begrenzt, die sich mit Blutflüssigkeit füllen und anfangs weder Blutkörperchen noch eigene endotheliale Wandungen besitzen. Rings um diese Lumina, die sich später hier und da netzförmig miteinander verbinden, sieht man manchmal auf sehr feinen Schnitten eine mehr oder weniger radiäre Anordnung der Dotterentoblastzellen. In größeren dieser Gefäßlichtungen konstatierte ich eine Lockerung der sie begrenzenden Dotterentoblastzellen und eine Umgestaltung derselben in Blutkörperchen, welche in die Gefäß- lichtung hineintreten. — Das Endothel der inneren Gefäße entsteht aus denselben Zellen, aus denen die Blutkörperchen selbst den Anfang nehmen, nämlich aus 1) Hochstetter, Beiträge zur vergleichenden Anatomie und Entwicklung des Venensystems u. s. w. Morpholog. Jahrb , 1888. 2) Ich gebrauche diesen Ausdruck in demselben Sinne wie Schwink (Morphol. Jahrb., 1891, $. 293), der die einschichtige, in das Darmepithel übergehende Entoblastanlage als „Darmentoblast* bezeichnet, zum Unterschied von dem weiter schwanzwärts folgenden mehrschichtigen Entoblastabschnitt, welchen er mit dem Namen „Dotterentoblast* gekennzeichnet, 358 Nusbaum, Lebergefäße und deren Blutkörperchen bei den ÄAnuren. Elementen des Dotterentoblasten. In den oberflächlichen mit den Dottervenen kommunizierenden Gefäßen entsteht die Endothelwandung aus dem Endothel der Dottervenen, welche die Leberanlage zum Teil umgeben und an der, an die letztere angrenzenden Seite, nur eine endotheliale Wand besitzen. Während die Oberfläche der Leberanlage bucklig wird, wachsen hie und da dünne Züge dieser Endothelzellen ins Innere der Leberanlage hinein und in dem Maße, als durch die Lockerung des die Leberanlage ausmachenden Dotterentoblasten die oberflächlichen, kanalartigen Gefäßlichtungen sich entwickeln, tragen sie zur Bildung des Endothels der letzteren bei. Das Endothel der ersten Leberkapillaren nimmt also aus zwei Quellen seinen Ursprung: aus denjenigen Dotterentoblastzellen, aus welchen auch die Blutkörperchen selbst gebildet werden und aus dem Endothel der primitiven Dottervenen, mit welchen die ersten Leber- kapillaren kommunizieren. Faktisch ist es aber eine und dieselbe Quelle, da nach den Untersuchungen von Schwink!), Rabl?) und Rudniew?°) das Endothel der Dottervenen und des Herzens bei den Amphibien aus Elementen des Entoblasten den Anfang nimmt, was auch ich selbst bestätigen kann. Aus den Beobachtungen von Goette®), Schwink?°) und Maurer®) ist es ferner bekannt, dass bei Amphibien auch die Blutkörperchen aus Elementen des Dotterentoblasten sich entwickeln, was im schroffen Gegensatze zur Annahme vieler anderer Beobachter steht, nach welchen die Blutkörperchen anderer Vertebraten mesodermalen Ursprunges sein sollen. Meine Beobachtungen stehen somit in vollem Einklange mit der Ansicht Goette’s, Schwink’s und Maurer’s, insofern sie die Entstehung der Blutkörperchen und Gefäßendothelien überhaupt be- treffen. Schwink, der diese Verhältnissen am genauesten unter- suchte, meint jedoch, dass gerade an den Stellen, wo hauptsächlich die Entwicklung der Gefäßzellen Platz greift, der Mesoblast durch eine Art Delamination vom primären Entoblaste sich ableitet, weshalb der entoblastische Ursprung der Gefäßzellen vielleicht als eine cönogene- tische, sekundäre Erscheinung aufzufassen wäre. Auch Ziegler”) behauptet, dass infolge dieses Umstandes die Blutkörperchen nebst 1) F.Schwink, Untersuchungen über die Entwicklung des Endothels und der Blutkörperchen bei Amphibien. Morpholog. Jahrb., Bd. XVII, 1891. 2) Rabl, Ueber die Bildung des Herzens der Amphibien. Morph. Jahrb., 1886. Idem, Theorie des Mesoderms. Morph. Jahrb., 1889. 3) Rudniew, O razwitii endotelia serdea u amfibij. Warszawa 1892. A). ;c: 9),1.:6. 6) Maurer, Die Entwicklung des Bindegewebes bei Siredon pisciformis etc. Morph. Jahrb., 1892. 7) H. E. Ziegler, Ueber die embryonale Anlage des Blutes bei den Wirbeltieren. Verhandl. der deutschen zoolog. Gesellschaft, 1892. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinvesorganen und Haaren ? 359 Gefäßendothelien der Amphibien (wie überhaupt der Vertebraten) als ursprünglich dem Mesoblasten angehörend aufzufassen sind. Nach meiner Ansicht spricht die von mir konstatierte Thatsache: dass auch im Inneren des zur Bildung der Leber dienenden Dotter- entoblasten die Blutkörperchen und Gefäßendothelien gerade aus den Elementen des Dotterentoblasten entstehen, für die Richtigkeit einer ganz entgegengesetzten Auffassung, namentlich für die ursprünglich entodermale Entwicklung der Blutkörperchen und Endothelien. Da bei den Amphibien, Petromyzonten (Goette) und Selachiern (€. H. Hoff- mann), wo überhaupt viele andere Entwicklungsprozesse (Gastrula- tion) mehr primitiv sich verhalten als bei den Teleostiern und Saurop- siden die Blutkörperchen und Gefäßendothelien entoblastischen Ur- sprunges sind, so scheint mir die Ansicht des hochverdienten Frei- burger Embryologen nicht zutreffend. Ich glaube, dass der entodermale Ursprung der Blutkörperchen bei den Vertebraten als ein primitiver, der mesodermale dagegen als ein sekundär erworbener aufzufassen ist. Eine diesbezügliche umfassende Arbeit nebst Abbildungen werde ich im Laufe einiger Monate der Krakauer Akademie der Wissen- schaften vorlegen. Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? Von F. Leydig in Würzburg. Jene Form der Hornbildung, welche wir bei den Säugetieren Haare nennen, erscheint als etwas so Charakteristisches für diese Klasse, dass frühere Systematiker geradezu die Bezeichnung „Haartiere“ anstatt „Säugetiere“ in Anwendung brachten, eine Benennung, welche man für eine zutreffend gewählte gelten lassen wird und nicht minder es billigen darf, wenn einer der ältesten wissenschaftlichen Zoologen, den Säugetieren gegenüber, die „Amphibien“ als Quadrupeda depilata zu- sammenfasst. Nach den Vorstellungen, welche sich über einen inneren Zu- sammenhang der Tiere ausgebildet haben, wird die Gruppe der Amphibien wegen mancher Verhältnisse ihrer Organisation für Vor- läufer der Säugetiere angesprochen. Als ich mich daher seiner Zeit eingehender mit dem Bau des Integumentes der Batrachier beschäf- tigte, lag mir die Frage nahe, ob nicht vielleicht die hier von der freien Fläche der Epidermis durch örtliche Verdiekung und Erhärtung erzeugten Hornhöcker auf den Beginn des Haarkleides der Säugetiere auszulegen seien. Indessen erschien mir schon damals eine solche Annahme nicht zulässig zu sein, weshalb ich mich dahin äußerte, dass die Hornhöcker des Integumentes mehr den Hornzähnen und Schwielen, wie solche etwa auf der Schleimhaut des Rachenraumes bei höheren Wirbeltieren 360 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? vorkommen, anzureihen wären). Letzteres auch insofern, als man seit Langem das durch Reichtum an Drüsen und weiche Beschaffen- heit der Epidermis, gegenüber der „Cutis sieca“ der Reptilien, ausge- zeichnete Integument der Amphibien gern einer Schleimhaut ver- glichen hat. Unlängst hat ein jüngerer Beobachter, Maurer, sich ebenfalls die Frage in der bestimmten Form vorgelegt, ob die Haare des Säuge- tierkörpers Organe „sui generis“ seien, oder ob sie nicht von Epidermis- gebilden niederer Wirbeltiere abzuleiten wären?). Auf Grund seiner Studien glaubt der Genannte den etwas überraschenden Satz auf- stellen zu können, dass die Hautsinnesorgane der Amphibien der Boden seien, auf welchem die Haare der Säugetiere sich entwickelt hätten. Mit dieser Lehre vermag ich mich nicht einverstanden zu erklären und bestreite ihre Richtigkeit. Wozu noch kommt, dass es gewisse Epidermisbildungen bei niederen Wirbeltieren gibt, bezüglich welcher mir däucht, dass sie mit mehr Recht als Teile anzusehen seien, welche den Haargebilden bei Säugetieren näher stünden. Die Einwendungen, welche ich vorzubringen habe, stützen sich nieht bloß auf meine früheren Arbeiten, sondern auch auf neuerdings gepflogene Untersuchungen, deren Ergebnisse zu veröffentlichen ich eben in Vorbereitung begriffen bin. Dort wird das Thatsächliche und die Litteratur genauere Berücksichtigung finden; insbesondere werde ich auf mancherlei Bemerkungen, welche über meine die Hautsinnes- organe betreffenden Arbeiten laut geworden sind, antworten. Einst- weilen wolle man auch den vorläufigen Mitteilungen Beachtung schenken, welche ich über das Integument brünstiger Fische und Amphibien vor Kurzem gegeben habe?). I: Den Ausgangspunkt für seine Betrachtungsweise gewinnt Maurer durch Untersuchungen über den Ursprung der Haare verschiedener Säugetiere und zwar indem er frühere Stadien, als es bisher geschehen, sich vor die Augen bringt. Er gewahrt an Schnitten, dass die Haar- anlage in einer Wucherung der Epidermis besteht, welche als scharf abgegrenzter, knospenartiger Zellenbezirk sich abhebt, dessen untere Zellen sich verlängern und stabförmige Kerne aufzeigen. Solche Haar- anlagen seien gleichzusetzen den epithelialen Sinnesknospen, oder, wie ich sie nannte, den Becherorganen. Seiner Zeit habe ich*) die Entwicklung der Hautsinnesorgane an 3-4“ langen Larven von Triton helveticus untersucht, welche 4) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Archiv f. mikr Anat., 1876, Sonderabdruck 8. 115. 2) Maurer, Hautsinnesorgane, Feder- und Haaranlagen, ein Beitrag zur Phylogenie der Säugetierhaare. Morphol. Jahrb., 1892. 3) Biologisches Centralblatt, 1892, S. 205 ft. 4) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen., Morph. Jahrb., Bd. Il. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 561 noch nicht aus der Eihülle geschlüpft waren und, obschon die Zellen der Epidermis, wie die Zellen des Körpers überhaupt, noch voll von Dotterkügelehen sich zeigten, doch so viel erkennen ließen, dass die Anlagen („Spuren“) der Sinnesorgane „in der Substanz der Epidermis“ liegen. Jetzt, den Embryo von Salmo fontinalis benützend, sehe ich ebenfalls deutlich, dass der Anfang der Becherorgane in Form abge- grenzter Zellgruppen der Epidermis sichtbar wird, derart, dass die Zellen in die Länge sich ausziehen, nach oben zusammenneigen und so einen wohlabgesetzten Körper oder Keim zu Wege bringen. Die große Aehnliehkeit, welche zwischen der Anlage eines Haares und einem Becherorgan herrscht, erstreckt sich, wie ich des Weiteren angeben kann, noch auf einen andern Umstand. Maurer beschreibt und zeichnet nämlich aus Ta/lpa!) einen „Spaltraum“, durch welchen die Haaranlage von der Epidermis und dem Corium abgetrennt erscheine. Einen eben solehen Spaltraum er- blicke ich deutlich auch um die Becherorgane am Embryo von Salmo und wurde derselbe auch von mir anfangs für ein „Kunstprodukt“ gehalten. Indem ich aber späterhin am fertigen Tier von Rhodeus amarus gleiche Lichtungen in der Epidermis, um die Organe herum, kennen lernte und zwar bei der Flächenansicht und andrer Methode der Untersuchung, musste ich mich von der Ansicht lossagen, dass man künstlich hervorgerufene Räume vor sich habe, obschon aller- dings Reagentien die Lichtungen mitunter mehr erweitert erscheinen lassen, als es im frischen Zustande der Fall ist. Noch sei ausdrück- lieh erwähnt, dass ihre Begrenzung abwärts durch die Oberfläche des Coriums geschieht. Ihrer Bedeutung nach spreche ich die Räume für Lymphgänge an, welche die Epidermis durchziehen. Unser Autor hebt wiederholt und mit besonderem Nachdruck her- vor, dass über die knospenförmigen Haaranlagen häufig die oberste Epithelschicht glatt wegziehe und dasselbe lasse sich an den Sinnes- knospen sehen. Auch Letztres ist ganz richtig, aber wie ich bemerken darf, keineswegs von Maurer zuerst wahrgenommen worden. Lange vorher bringe ich?) in der Erörterung über die betreffenden Organe aus der Mundhöhle der Larve von Pelobates diesen Sachverhalt zur Sprache. Es heißt dort: „Und so sehe ich auch von neuem, dass die Sinnesbecher ursprünglich von der Epidermis völlig überdeckt sind: die Lage der Deckzellen geht ohne Unterbrechung über den Gipfel der Organe weg. In diesem Falle ist auch noch nichts von den scharf- randigen, glänzenden Spitzen oder Stiftchen der Zellen aufgetreten; letztre erscheinen erst, wenn die Deckzellen eine Oeffnung oder einen Durchgang freilassen“. 1) a. a. 0. Fig. 2. 2) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische. Festschrift der naturf. Gesellsch. in Halle a./S., 1879, S. 158, Fig. 211 u. 22. 362 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren ? Bis hieher also wäre auch von meiner Seite kein Einwurf gegen (die Ansicht zu erheben, es bestünde Aehnlichkeit im Bau zwischen Haaranlage und Sinnesknospe; vielmehr müsste ich zugestehen, dass übereinstimmende Züge in beiden zu erkennen seien. Eine nahe liegende Frage lässt sich aber jetzt nicht umgehen, die nämlich, ob nicht am Ende noch eine dritte Gruppe von Organen, welche außer den Haaranlagen und den Sinnesknospen in der Epi- dermis ihren Ursprung nehmen, die Hautdrüsen, in ihrem ersten Auftreten ein ähnliches Verhalten an den Tag legen. Meine eigenen früheren Erfahrungen am Integument der Amphibien reichten bloß so weit, um sagen zu können, die Hautdrüsen seien gleich den Hautsinnesorganen „Umbildungen gewisser Partien der Epidermis“. Mehr würde ins Gewicht fallen, dass Fraisse!) welcher Triton und Pleurodeles auch auf diesen Punkt untersucht hat, ausdrücklich bemerkt, es seien Hautdrüsen und Hautsinnesorgane in ihrer Anlage nieht zu unterscheiden, nur die Anordnung der letzteren in bestimmten Linien gebe die Gewissheit was von der ursprünglich ganz gleiehen Anlage zu Hautdrüsen und was zu Sinnesorganen werde. Auch seien es ausschließlich die Zellen des Rete Malpighii, welche sich an der Bildung der Drüsen beteiligten. Aus diesen Angaben könnte man, wie ich denke, die Vermutung schöpfen, dass im frühsten Stadium Zellen- gruppen des Rete mit ihren sich verlängernden Kernen, bevor sie in die Lederhaut abwärts biegen, die Gestalt von Epithelknospen besitzen. In dieser Annahme fühlt man sich aber wieder etwas gestört, wenn man die Mitteilungen von P. Sarasin und F. Sarasin, welche die Entwicklung der Hautdrüsen an Ichthyophis im Einzelnen verfolgt haben und zwar mit vergleichendem Hinblick auf die Hautsinnes- organe, in unsrer Frage zu Rate zieht?). Immerhin zeigen in dem unten zitierten Werke einige Figuren ?) ein gewisses Sichzusammen- neigen jener zelligen Elemente in der untersten Schicht der Epidermis, gleichsam als ob sie einen Ballen bilden wollten, womit eine, wenn auch entfernte Aehnlichkeit mit der „Knospenform“ entsteht. Die ge- nannten Autoren beschränken sich indessen auf die Angabe, die Köpfe der Zellen „können sich zwischen einander einkeilen“. Dies und die weitere Bemerkung, dass die Hautsinnesorgane später „drüsig zu degenerieren scheinen“ mögen doch gelegentlich fernerer Prüfung des Gegenstandes im Auge behalten werden. Was endlich die Haut der Säugetiere anbelangt, so erklärt Maurer, dass der Verdacht, es möchten neben den Haaranlagen auch Drüsen- 4) Fraisse, Beiträge zur Anatomie von Pleurodeles Waltlü. Inaug.- Diss., 1880. — Derselbe, Die Regeneration von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren, 1885. 2) P. Sarasin u. F. Sarasin, Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forsch- ungen aus Ceylon, Bd. II, Heft2, 1887. 3). a. a: 0. z.B: Fig, Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 365 anlagen im Spiele sein, sich leicht von selber widerlege, denn es seien um diese Zeit Drüsenanlagen überhaupt noch gar nicht vorhanden. Muss man demnach, für den Augenblick wenigstens, in der Schwebe lassen, ob die Hautdrüsen in ihrer ersten Anlage mit den Haaranlagen übereinstimmen, so bin ich schon jetzt im Stande auf Bildungen in der Epidermis von Knochenfischen hinzuweisen, welche in ihrem ersten Auftreten den Hautsinnesorganen, und damit zugleich den Haaranlagen ähnlich sich darstellen. Es sind die Organe des „Hautausschlages“ oder die Perl- bildungen der Karpfen, Salmen und wohl noch verschiedener andrer Fischarten. Diese Epidermoidalknoten entstehen keineswegs von den äußeren Zellenlagen her, durch Wucherung und Auswachsen zu Spitzen und Dornen, sondern sie zeigen sich in ihrem Beginn als abgegrenzte Zellenpartien in der Tiefe der Epidermis, unter Beteiligung der zylin- drisch verlängerten Elemente des Stratum mucosum. So nach Unter- suchung von Cyprinus carpio. Und es mag nicht unerwähnt bleiben, dass solche Epidermoidalknoten und wirkliche Hautsinnesorgane sich derartig ähnlich ausnehmen, dass sie schon mit einander verwechselt worden sind, wie ich, in einem Falle wenigstens, zu vermuten einigen Grund hatte !). Ueberblickt man das bisherige, so ergibt sich die Schlussfolgerung, dass von den in der Epidermis entstehenden Gebilden sowohl die Hautsinnesorgane, als auch die Perlorgane und endlich die Haare, vielleicht sogar auch die Hautdrüsen, alle zusammen in ihrer ersten Anlage einander gleichen. Ein fernerer im Wesen der genannten Gebilde sich wiederholender Zug ist der, dass sie alle eine Anordnung in Reihen oder bestimmten Linien einhalten. Bei den Haaren fällt dies an jungen Säugetieren an den Schnurr- haaren leicht ins Auge, aber auch die aus Stichel- und Wollhaaren bestehenden kleinen Büschel beschreiben, wie ich angegeben ?), gewisse Linien am Körper, mitunter von entschieden regelmäßigem Verlauf. Wohl bekannt ist das Gleiche von den Hautsinnesorganen, auch sie halten in ihrem Auftreten und häufig auch in bleibender Verteilung Längs-, Schräg- und Bogenlinien ein und wenn wir dies, nebenbei erwähnt, berücksichtigen, kann man unmöglich der „segmentalen“ Anordnung der Sinnesknospen einen besonderen Wert beilegen, wie das Andre wollen, ganz abgesehen davon, dass mir jetzt an den Embryonen von Salmo zweifelhaft wurde, ob eine streng metamere Folge überhaupt zugegen ist. 1) Integument brünstiger Fische und Amphibien. Biol. Centralblatt, 1892, S. 212, Anmerk. 2. 2) Ueber die äußeren Bedeckungen der Säugetiere. Archiv f. Anatomie u, Physiologie, 1859. 364 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren ? Bezüglich der Hautdrüsen der Amphibien habe ich!) schon vor Jahren hervorgehoben, dass die Anordnung und Verteilung der großen Drüsen über den Körper hin an die „Formen der Schleimkanäle der Fische“ erinnere. Ich habe dies unter Anderm auch an Triton eristatus im Näheren aufgezeigt?). Und was endlich die Warzen und Dornen der Perlbildung oder des „Hautausschlages“ betrifft, so stehen auch sie bald unregelmäßig zerstreut, bald verlaufen sie in der Richtung von gewissen Linien und bilden gerade oder bogige Reihen. Trägt man allen diesen Thatsachen Rechnung, so meine ich, es sei anzunehmen, dass ein tiefer gehender Zug im Aufbau des Integu- mentes sich hierin offenbart. Es will scheinen, dass die Bildungen der Hautdecke, welche nach außen hervortreten, sämtlich in ihrer ersten Anlage bestimmte Linien der Verteilung einhalten und das Un- regelmäßige oder die Gruppenbildung ein späterer Zustand ist. Selbst für die Anfänge von gewissen Farbenzeichnungen könnte man eine solche Erklärung herbeizurufen sich veranlasst fühlen. 1: Stimmen nun auch dem Vorhergegangenen zufolge Hautsinnes- organe, Perlorgane, vielleicht auch Hautdrüsen der niederen Wirbel- tiere mit den Haaren der Säugetiere darin überein, dass sie im ihrer frühesten Anlage oder im Keimstadium unter sich gleichartige zellige Partien der Epidermis sind, so erhalten sie im weiteren Verlauf der Entwicklung, Jedes für sich, ein bestimmtes Gepräge und gestalten sich zu typisch verschiedenen Bildungen. Nach der oben angeführten Behauptung erhielte sich aber eine bleibende Verwandtschaft zwischen den Hautsinnesorganen und den Haargebilden und deshalb mag es gerechtfertigt sein, wenn ich den Bau der Hautsinnesorgane, wie ich denselben durch fortgesetzte Untersuchungen nach und nach kennen lernte, in Kürze hier darzulegen versuche und zwar indem ich mich zunächst an die Organe der Fische halte. Was man die Deckzellen zn nennen pflegt, so gehören sie eigentlich nicht als besondere Teile den Sinnesknospen an. Sie sind nichts Andres als die Lage oberster Epidermiszellen, und sie ziehen, wie schon erwähnt, noch zu einer Zeit über die Organe weg, in welcher letztere sich als umgebildete Partien der Epidermis bereits in be- stimmter Form abheben. Erst nach und nach weichen diese „Deck- zellen“ über dem Gipfel des Organes so auseinander, oder vielmehr schieben sich in der Weise zusammen, dass eine Oeffnung oder ein Durchbruch zu Stande kommt. Die „Deckzellen“ bleiben also immer oberste Schicht der Epidermis. 4) Organe eines sechsten Sinnes, 1868, S. 55. 2) Die Molche der württembergischen Fauna. Arch f. Naturgesch., 1867. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 5365 Jene Zellen, welche den eigentlichen Körper der Organe bilden, scheiden sich derart in zwei Gruppen, dass man von Zellen der Rinde oder des Randes und von solchen des Markes oder der Mitte sprechen darf. Die erstere Gruppe unterschied ich auch wohl als Mantelzellen; die Bezeichnung Stützzellen, welche häufig auch ange- wendet wird, ist wohl die wenigstpassende, denn was sollen diese Zellen zu „stützen“ haben? Sie sind eben wesentliche Teile der Sub- stanz unsrer Organe. Die Mantel- oder Rindenzellen sind hervorgegangen aus den Zellen der untersten Lage der Epidermis, dem Stratum mucosum 8. Rete Malpighii; sie haben sich verlängert und neigen gegen einander. Im weiteren Verlauf zeigen sie eine bestimmte Sonderung ihres Wesens, welche ich im Einzelnen beschrieben habe'). Der hintere, feinkörnige, den Kern bergende Teil der Zelle erscheint leicht bauchig ange- schwollen und in ihm beginnt eine Art von Hohlraum sich auszubilden. Der obere Abschnitt der Zelle hingegen wird zu einem stabfürmig verengten Teil, der eine feingranuläre Wand und einen hellen, homo- genen Inhalt erkennen lässt. Es ist also dieser obere Abschnitt der Zelle eine Röhre, deren Lichtung von dem Hohlraum des bauchigen Teiles beginnt. Am freien Ende der Röhre kann der homogene Inhalt in Gestalt einer feinen Borste hervorstehen. Die Zellen der Mitte sind kürzer, dicklicher, körniger und von Birnform. Auch auf ihrem freien Ende erhebt sich ein Knöpfehen oder Höckerchen, das schärfer und dunkler gezeichnet ist, als die Borsten der Rindenzellen. Gedachte Verschiedenheit der Borsten und Höckerchen und ihre Verteilung macht sich auch recht bemerklich bei Betrachtung des Gipfels der Organe von der Fläche. Hier hebt sich ein Mittelfeld und eine Randzone ab, dem ersteren gehören die dunkleren Höcker- chen an, dem letzteren die blassen Borsten. Hierüber gab ich aus- führliche Nachricht, auch mit Hervorhebung der Untersuchungsmethode, deren ich mich bediente ?). Lange schon, was ich zwischenhinein mir gestatte in Erinnerung zu bringen, habe ich auf die Verwandtschaft der die Sinnesknospen bildenden Zellen mit gewöhnlichen Schleim- oder Becherzellen hingewiesen und insbesondere in der vorhin zitierten Schrift dies im Näheren erörtert. Noch mag beigefügt werden, dass ich auch bei gegenwärtigen Untersuchungen auf Fälle gestoßen bin, allwo die Zellen der Sinnesknospen in ihrem ganzen Verhalten so eng an gewöhnliche Becherzellen anschlossen, dass sie von letzteren nicht zu unterscheiden waren. Bei dieser Sachlage ist jedoch gar wohl zu beachten, dass I) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische. Festschrift der naturf. Ges. in Halle a./S., 1879, 8.152 ff. Maurer hat diese meine Arbeit unbe- achtet gelassen. 2) a. a. O. z.B. Figuren 24, 25, 26, 27 u. a. 366 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? gleichwie auch sonst die Becherzellen nur durch Umbildung aus den gewöhnlichen Epithelzellen hervorgegangen sind, man daher nicht immer und überall im Epithel das Stadium der Umformung gerade zur Ansicht bekommt), so auch an den Zellen der Sinnesknospen das Gleiche sieh wiederholen kann. Man trifft auf Hautsinnesorgane, deren Elemente die Eigenschaften von Schleim- oder Becherzellen noch nicht angenommen haben, womit denn weiter auch jener Wechsel zusammen- hängen mag, dass die als Sekret hervorstehenden Borsten bald völlig fehlen, bald deutlich vorhanden sich zeigen und ebenso in Länge und Dicke abändern. Außer den im bisherigen besprochenen beiden Zellenarten findet sieh aber in den Sinnesknospen noch ein zelliges Element, das mir erst gelegentlich meiner neueren Untersuchungen zu Gesicht gekommen ist. Es sind kernartige Bildungen, welche zwischen den Zellen liegen. Sie sind von geringer Größe, dabei häufig von eckiger Gestalt, und fallen auch dadurch auf, dass sie sich besonders stark färben; sie weichen durchaus ab von den Kernen der Zellen, welche das Organ zusammensetzen. Diese kernartigen Bildungen — und auch das ver- dient besondere Erwähnung — trifft man übrigens keineswegs aus- schließlich zwischen den Zellen der epithelialen Becherorgane an, sondern sie zeigen sich auch zwischen den Zellen der Epidermis über- haupt ?). 4) Vergl. z.B. meine Wahrnehmung an Pseudopus Pallasii in: Zur Kenntnis der Sinnesorgane der Schlangen. Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. VII, $. 312. — Im Hinblick auf das Zeitweilige in der Umbildung von Epithelzellen in Drüsen- zellen gestatte ich mir eine kleine Berichtigung anzuschließen. Es will sich nämlich Seiller (Frhr. v.), welcher in einer schönen Arbeit die Umwandlung der Zylinderzellen in Becherzellen im Epithel der Zungenpapillen bei Anguis behandelt hat (Ueber die Zungendrüsen von Anguis, Pseudopus und Lacerta. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 38), zu mir in „einen direkten Gegensatz“ bringen, weil ich die Anwesenheit von Drüsen in der Substanz der Zunge leugne, während man doch vom physiologischen Standpunkt aus die interpapillären Räume für solche anzusehen habe, welche den Drüsen gleichwertig seien. Das lässt sich gar wohl hören, trifft aber nieht meine Behauptung. Letzteres wäre erst dann der Fall, wenn der Autor hätte zeigen können, dass das becher- zellige Epithel wirkliche Drüsenräume in der Substanz der Zunge auskleide. Allein Seiller muss ja zugestehen, dass er ebensowenig wie ich Drüsen im Körper der Zunge gefunden habe. Und wenn ich von dem Epithel, welches die Papillen überzieht, bloß sage, dass es „weich und vom Charakter der Zylinderzellen“ sei, so habe ich wahrscheinlich wie in dem Fall mit Pseudopus gerade ein Tier für die Untersuchung in Händen gehabt, in welchem die Um- wandlung der Zylinderzellen in Becherzellen noch nicht erfolgt war. 2) Die gleichen Bildungen sind es wohl, welche Solger bereits in den Sinneshügeln außer den „Kolbenzellen* und „indifferenten Stützzellen* als „zackig-eckige Figuren“ unterschieden hat, auch als „Zwischenpfeiler* be- zeichnet, ein andermal für „interzelluläre Abscheidungen“ erklärt. Zu ver- muten ist auch, dass die „non epithelial Elements“ deren Wright aus dem Sinnesepithel des Amiurus gedenkt, hieher gehören. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 367 Unschwer bekommt man die Nerven zu Gesicht, welche an die Sinnesbecher herantreten, aber nachzuweisen wie ihr Endverhalten sei, bleibt schwierig und ist daher auch jetzt nur stückweise bekannt geworden. Ich glaube folgende Punkte aufstellen zu können. Von den Nervenröhren, welche zur Basis der Organe gelangt sind, löst sich beim Heraustreten aus dem Corium die Scheide (Neurilem) der Nervenröhren netzig auf und geht damit in die fadigen Fortsätze über, in welche sich die das Organ zusammensetzenden Zellen an ihrem untern Ende auffranzen. Das Nervenmark oder der homogene Inhalt der Nervenröhre muss sich sonach interzellulär verbreiten und nach Anwendung von Reagentien ließen sich mehrmals zwischen den Zellen der Rinde auf- steigende Streifen zur Anschauung bringen, welche oben entweder spitz oder mit knopfartiger Verdiekung aufhörten. Meinen Wahrnehmungen zufolge, über welche anderwärts näher berichtet werden soll, ist ein „freies“ Becherorgan und ein „Seiten- organ“, wie es in den Kanälen des Kopfes oder der Seitenlinie ein- geschlossen ist, hauptsächlich nur durch die Größenverhältnisse unter- schieden. Es darf daher gar wohl vermutet werden, dass, außer den so eben bezüglich der gewöhnlichen Becherorgane erwähnten, freien Nervenenden, noch andre vorhanden sein werden, da ich solche in den Seitenorganen angetroffen habe. Dort nämlich zeigte sich nach meinen!) vor dreizehn Jahren an- gestellten Untersuchungen, die mit neueren Ergebnissen mehrfach übereinstimmen, dass die Nerven endigen: 1) als imterzellulär aufsteigende Markstreifen, die zuletzt zuge- spitzt oder geknöpft aufhörten; 2) in Gestalt ebensolceher interzellulär ziehender Markstreifen, welche in Netzform zusammentraten; 3) als Nervenfasern, welche in die birnförmigen Zellen über- gingen. Die wichtige Thatsache, dass Nervenfasern in das Epithel ge- langen, ist zuerst von mir vor mehr als vierzig Jahren an den Seiten- organen angezeigt worden?). Bis dahin hatte als Lehrsatz gegolten, dass Nervenfasern niemals den bindegewebigen Boden verlassen und nach außen ins Epithel treten. Eine Abbildung hierzu gab ich in meiner Histologie ?). Die drei vorhin erwähnten Endigungsweisen im Epithel veranschaulicht die Abbildung, welche einem frischen und kurze Zeit mit Osmiumsäure behandelten Seitenorgan von Acerina ent- nommen wurde*). Man sieht außer den drei freien Spitzen, die netz- 4) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische. Festschrift naturf, Ges. in Halle a./S., 1879, S. 162, Fig. 40—44. 2) Froriep’s Notizen. April 1850. 3) S. 57 Fig. 31. — Vergl. auch „Endigungen der Nerven im Epithel“ in: Bau des tierischen Körpers, 1864, S. 101 (Geruchsorgan). 4) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, Fig. 43. 368 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren ? förmige Verbindung, endlich — nach links — ein Uebergehen des Nerven in eine der birnförmigen oder „Sinneszellen“. Gerade das soeben erwähnte Verhalten, die Verbindung nämlich von Nervenfasern mit dem unteren Ende der birmförmigen Zellen, wie ich es mit F. E. Schulze zu sehen glaube, könnte ein bestimmteres Licht werfen auf die Natur der Borsten und Kegel, welche dem freien Ende der Hautsinnesorgane aufsitzen. Man möchte sich alsdann, mit Zugrundelegung meiner Ansicht vom Baue des Protoplasma — Scheidung in Spongioplasma und Hyalo- plasma — vorstellen, dass die homogene Nervensubstanz mit dem Hyaloplasma der Birnzelle zusammenfließt. Und dies würde zur An- nahme führen, dass der aus dem Innern der Zelle hervorgetretene borstenähnliche Teil, „Endigung des perzipierenden Apparates“ oder der Nervensubstanz wäre. Andrerseits ließe sich aber doch auch wieder betonen, dass es sich vor Allem um eine über die Zelle nach außen getretene Abschei- dung handelt, die nach Umständen sogar erhärten und zu einer Kutikularbildung werden kann!). Meinen Ausspruch, dass „in den Sinnesbechern neben der empfindenden Thätigkeit auch eine sekre- torische stattfinden möge“ halte ich bis jetzt noch nicht für widerlegt. Auch was ich zu wiederholten Malen über die Verwandtschaft zwischen Drüsenzellen und Sinneszellen glaubte hervorheben zu können, gilt mir noch für richtig. Vielleicht besteht auch ein wesentlicher Unterschied zwischen den Borsten des peripherischen Feldes der Hautsinnesorgane und den Kegeln und Höckern der zentralen Region. Die ersteren sind aus den Mantel- zellen hervorgequollen und können zu einem Ganzen vereinigt zu einem weit vorstehenden kutikularen Gebilde sich umformen, während die letzteren, insofern die Zellen, welche sie liefern, nach Obigem mit Nerven zusammenhängen, den Anschein erwecken können, dass ihre Substanz unmittelbaren Bezug zu den Nerven habe. III. Schon aus dem Wenigen, was so eben über den Bau der fertigen Hautsinnesorgane der Fische gesagt wurde, geht wohl zur Genüge hervor, dass es unmöglich ist genannte Organe und die Haargebilde der Säuger in Verbindung zu bringen. Wir sehen, dass zwar die beiderlei Bildungen in ihrer ersten Anlage etwas gemeinsames haben, was sich aber im Fortgang der Entwicklung völlig verliert. Maurer will denn auch, wenn ich recht verstehe, nicht sowohl die Hautsinnesorgane der Fische, als vielmehr jene der Amphibien als diejenigen betrachtet wissen, welche zum Beleg für seine Behaup- tung dienen. Doch auch darin vermag ich nieht zuzustimmen. Aus eigener Erfahrung kenne ich die Organe bei anuren und urodelen 4) Vergl. z. B. Zelle und Gewebe, 1885, S. 36, 99, 105. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 569 Amphibien, sowie unter den Reptilien von Sauriern und Ophidiern und glaube aussprechen zu können, dass überall, wo die Tiere im frischen oder wohl erhaltenen Zustande vorgenommen werden konnten, wesent- liche Uebereinstimmung mit dem boten, was an den gleichen Organen der Fische festgestellt werden konnte. Indem ich mir auch hierüber die weitere Ausführung auf später vorbehalte, sei für gegenwärtigen Zweck nur auf Einiges hingewiesen. Bei genauerem Eingehen auf die Natur der Mantel- oder Stütz- zellen vermochte ich mich an Urodelenlarven zu überzeugen, dass diese Zellen in ihrer Natur wie bei den Fischen sich den Becherzellen nähern!). Der über dem Kern gelegene Abschnitt erscheint geöffnet und lässt die helle Materie, welche das weitmaschige Fachwerk des Sekretionsraumes erfüllt, als Wölkchen austreten. Eben diese homo- gene Substanz kann, bevor sie hervorgetreten ist, also noch innerhalb der Zelle, einen hellen Saum vorspiegeln, man möchte sagen eine Art Kutieula 2). Die Zellen des Innenballens können sich ebenfalls nach oben in einen langen, stabförmigen Halsteil ausziehen, wie ich solches an den Organen aus der Mundhöhle der Larve von Pelobates dargestellt habe 3). Zugleich ist dort auch zu sehen, dass die Randzellen schon den Charakter der Innenzellen besitzen, was auch bei Fischen vor- kommt und wohl auf verschiedene Zustände im Leben der Zelle hinweist. Die homogene Substanz, welche über die Zellenköpfe sich erhebt, kann zuerst vom Aussehen eines Fortsatzes der Zelle sein, dann von ihr abgegliedert, wieder in doppelter Form auftreten, einmal in jener von Stiftehen oder Kegeln über welche ich nach Studien an den Larven von Triton und Salamandra aus verschiedener Zeit berichtet habe®); sodann auch zweitens in Gestalt eines größeren fadigen Gebildes, frisch von schleimartiger Konsistenz, nach Erhärtung durch Reagentien von kutikularer Beschaffenheit ). 1,32. ». 0.8.99 u. 100. 2) a.a. 0. Fig. 50. 3) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, Taf. VIII, Fig. 22. 4) Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Sonderabdr. S. 51. Die Ab- bildungen hierzu in: Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen. Morph. Jahrb., Bd. II, Taf. VIII, Fig. 1, 2, 3; Taf. XX, Fig.25. Ueber das Aussehen der Kegel bei hoher Vergrößerung siehe: Zelle und Gewebe, S. 99 und Taf. III, Fig. 51 u. 52. 5) Organe eines sechsten Sinnes, Fig. 10, 11, 14, 17. -- Vielleicht darf ich auch in Anbetraht der Frage, für was man die aus den Hautsinnesorganen hervorstehenden Gebilde zu nehmen habe, an meine Mitteilungen über die Geschmacksplatten der Batrachier erinnern, welche Organe ich auch jetzt noch, wie vordem (Allgemeine Bedeckungen der Amphibien. Sonderabdruck S. 54; Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, $. 158) für eine Ab- änderung der Hautsinnesorgane ansehen muss. Meine späteren Untersuch- ungen (Zelle und Gewebe, Seite 94) über den Bau der „Geschmackszellen* XII. 24 »(0 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? Wie vielfach übrigens die Hautsinnesorgane der Amphibien auch sonst mit jenen der Fische übereinstimmen, mag auch daraus ent- nommen werden, dass ich zu dem von P. und F. Sarasin in den „Haschenförmigen Organen“ bei Jchthyophis entdeckten Körper von keulenförmiger Gestalt etwas Entsprechendes in den Kopfkanälen des Aales zu erkennen glaube. Selbst die Organe von Menopoma und Cryptobranch:s, welche ganz besonders geartet sein sollen, um mit ihnen einen Anschluss an Haarfollikel und Haarbildungen vorzunehmen, behalten im Grunde ihres Wesens jene Eigenschaften bei, welche die Hautsinnesorgane der Fische charakterisieren. Am meisten scheinen sie durch die tiefe Einlagerung von jenen der übrigen Amphibien abzuweichen, insbe- sondere was die Umgebung des Porus anbetrifft. Meine dieses Ver- halten veranschaulichenden Abbildungen !) sind, wie mich bedünkt, gar nicht von Maurer beachtet worden, so wenig wie mein späterer Hinweis, dass die Art und Weise, wie bei Petromyzon marinus die Umgebung des „Porus“ gestaltet ist, in gar manchen Stücken an die betreffenden Bildungen bei Menopoma giganteum erinnert?). Und so möchte ich auch hier die Ansicht aussprechen, dass die Eintiefung bei Menopoma, in welcher das Sinnesorgan liegt, so gut wie bei Petromyzon, ins System der Kopfkanäle einzureihen sein wird. Sehe ich mich sonach gezwungen, die aufgestellte Behauptung, dass von den Hautsinnesorganen her die Haare der Säugetiere sich entwickelt hätten, auch bezüglich der Amphibien für irrtümlich er- klären zu müssen, so darf auch ims Gedächtnis zurückgerufen werden, dass ja nach einer ganz andern Richtung hin, der Anschluss der Haut- sinnesorgane gesucht werden könne. Es sind nun bald vier Dezennien her, dass ich auf Grund meiner histologischen Befunde den Gedanken ausgesprochen habe, die in Rede stehende Organisation lege in morphologischem Sinne Verwandtschaft- lehrten, dass dieselben entwickelte Becherzellen vorstellen, mit Eigentümlich keiten in ihrer Begrenzung und Form. Die Substanz, welche aus der Mündung der Zellen hervorkommt — die Gallertpfröpte — kann im frischen Zustande wie zu einer homogenen rundlichen Masse zusammengeflossen erscheinen, wenn das Organ von oben betrachtet wird; und es ist doch kaum der Gedanke ab- zuweisen, dass diese hervorquellende gallertige Substanz bei der Geschmacks- empfindung nicht sollte beteiligt sein. Auch die Verbindung einzelliger Haut- drüsen mit Nerven, wie ich sie bei Anneliden und Weichtieren mehr oder weniger deutlich erkannt habe, möchte nicht zu vergessen sein; nicht minder aber auch die Thatsache, dass in ebensolchen Hautdrüsen bei niederen und höheren Tieren ein Gallertpfropf oder eine ihm ähnliche Bildung zugegen sein kann, ein Herantreten von Nerven zur Zelle aber nicht besteht. Kurz, indem man all diese Dinge überblickt, fühlen wir, dass es an der Zeit wäre ihnen ein planmäßiges und zusammenfassendes Studium zu widmen. . 4) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen. Morph. Jahrb., Bd. II, Taf. XIX. 2) Hautdecke und Hautsinnesorgane der Fische, 1879, Fig. 10—15. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 371 liches zum Gehörapparat an den Tag, eine Auffassung, zu welcher unterdessen auch andre Beobachter sich zu bekennen nicht nur keinen Anstand nahmen, sondern sie auch noch mehr zu bekräftigen suchten. Es mag nur flüchtig erinnert werden an Bodenstein, der das Seiten- kanalsystem als eine später auftretende Wiederholung desGehörapparates betrachtet, oder an Wright, welcher hervorhebt, dass der Durchschnitt der Macula acustica in seinem „Neuroepithelium“ große Aehnliehkeit mit dem „Neuroepithelium der Schleimkanäle“ habe. Ebenso kommt Mayser durch die von ihm gefundene Thatsache, dass der Nervus reeurrens superior und die hintere Wurzel des Acusticus nach ihrem Austritt aus dem Schädel den Stamm des N. lateralis bilden, zu dem Schluss, „dass die Schleimkanäle nichts andres seien als ein weit über die Körperoberfläche ausgebreitetes accessorisches Gehörorgan“- Nach Wilson’s entwicklungsgeschichtlichen Studien entstehen Ohr und Seitenkanal aus einer gemeinsamen Sinnesfurche, deren vorderer Teil zum Gehörsack wird, während das hintere Ende zum Seitenkanal sich umformt. Die beiden Sarasin, welche auf die gegenwärtige Frage ebenfalls ihre Untersuchungen gerichtet haben, gebrauchen für die „Hügelorgane“ geradezu den Ausdruck „Nebenohren“. Und so ließen sich noch andre Autoren, wie z. B. Emery und Fritsch anführen, welche alle darin zusammentreffen, dass eine gewisse Uebereinstimmung herrsche im Bau der Seitenorgane und des Gehörapparatest). Es mag einstweilen auch noch bemerkt sein, dass jene Form der Hörsteine, welche man als die „porzellanartigen“ bezeichnet, unmittel- bare Beziehungen zur Substanz der Kupula an den Tag legen: sie scheinen die Natur von verkalkten Partien der Kupula zu haben. Das nähere Verhalten soll seiner Zeit dargelegt werden. Jedenfalls geht aus all dem Gesagten hervor, dass die zu Grunde liegende Auffassung weit ab von dem Wege führt, auf dem man zu einer Gegenüberstellung von Hautsinnesorganen und Haargebilden ge- langen zu können glaubt. Endlich verdient auch noch Erwähnung das Vorkommen verwandter Sinneshügel bei Gruppen wirbelloser Tiere, insofern man auch dort zwischen den betreffenden Organen und den Haargebilden nimmermehr einen verbindenden unsichtbaren Faden sich zu denken vermag. Ich habe zuerst bei Hirudineen diese Bildungen angezeigt und sie den Becherorganen für homolog erklärt?). Für den vorliegenden Zweck sei aus meinen letzten Untersuchungen an Nephelis und Clep- sine?) angeführt, dass die Organe aus Zellen bestehen, deren hinterer Abschnitt bauchig gewölbt ist, während der vordere zylindrisch schmal 1) Auch Dercum, dessen Arbeit ich aber nur aus zweiter Hand kenne, scheint die oben ausgesprochene Ansicht zu teilen. 2) Augen und neue Sinnesorgane der Egel. Arch. f. Anat. u. Phys., 1861. Abbildungen hierzu in meinen Tafeln zur vergleichenden Anatomie, 1864. 3) Zelle und Gewebe, S. 100, Taf. II, Fig. 29, 30, 31, 32. DAR 372 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren ? sich auszieht, durch welchen verjüngten Teil der dieht zusammen- schließenden Zellen das Bild einer Stäbchenreihe entstehen kann. Die aus den Organen hervorragenden Borsten sind abermals zart und leicht vergänglich und wie bei den Organen der Knochenfische ist diese Borsten- oder Stiftchenbildung (bei Nephelis) doppelter Art. Die einen stellen kurz kegelige Hervorragungen dar, sind dabei in geringer Zahl vorhanden und stehen etwas tiefer; die andern, welche in größerer Menge zugegen sind, erscheinen als feine Härchen von blassem Aus- sehen. Ein herantretender Nerv ist gut sichtbar. Die dureh wichtige Untersuchungen von Eisig!) so bekannt ge- wordenen Hautsinnesorgane der Capitelliden glaube ich ebenfalls hier anreihen zu können, wobei ich freilich die von eben genanntem Autor gemachten histologischen Angaben mir etwas anders zurecht lege. Das, was als „Spindeln und Stäbchen“ beschrieben wird, halte ich für Zellen, welche nach hinten bauchig erweitert sind und dort den Kern umschließen, während ihr vorderer Abschnitt zu enger Röhre sich verschmächtigt hat, derart, dass in der Gesamtheit eine „Stäbchen- schicht“ vorgetäuscht werden kann. In den „Körnern“ möchte ich das Entsprechende jener Kerne zwischen den Zellen sehen, auf welche oben hingewiesen wurde. Dass dieselben in den Organen der Capi- telliden in solcher Menge zugegen sind, um ein dickes Lager bilden zu können, erzeugt hier allerdings einen ganz besonderen Charakter. Doch berühre ich dies Alles nicht weiter, indem mir im Augenblick nur darum zu thun ist darauf hinzuweisen, dass auch die Hautsinnes- organe der Anneliden keinen Anknüpfungspunkt zu den Haargebilden der Säugetiere gewähren können. Noch einmal möchte ich jetzt auf die schon gestreifte Frage zurück- kommen, ob nieht die Hautdrüsen der Batrachier darnach angethan seien, um mit den Hautsinnesorganen in verwandtschaftliche Verbin- dung gebracht werden zu dürfen. Ich hielt früher eine Umwandlung der Hautsinnesorgane in Haut- drüsen für wahrscheinlich, da die Art der Verteilung über den Körper hin für beide Organgruppen etwas sehr Uebereinstimmendes hat. Die darauf gerichtete Untersuchung brachte jedoch keine rechte Bestätigung und auch später ist dies nicht anders gewesen; ja ich fand am er- wachsenen Tier von Pleurodeles an einem kleinen abgeschnittenen Hautstückchen ein Becherorgan zugleich mit den Hautdrüsen vor und Fraisse hat bald nachher „eine große Anzahl dieser eigentümlichen Organe am Schwanze konstatieren“ können. Auch Malbrane ge- wahrte bei erwachsenen Tritonen neben den großen Seitenorganen die Sinneshügel. Endlich sagen auch P. und F. Sarasin nach ihren Studien an Ichthyophis aus, dass sie keinen Anhaltspunkt gefunden 4) Eisig in: Fauna und Flora des Golfes von Neapel, 1887. (Monographie der Capitelliden.) Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? 375 haben für die Möglichkeit der Umwandlung eines fertigen Seitenorgans in eine Drüse. Trotzdem gestatte ich mir auf die Abhandlung: Hautdecke und Hautsinnesorgane der Urodelen!) zurückzuweisen, allwo ich „die Ver- wandtschaft der Hautsinnesorgane mit Hautdrüsen“ bespreche und die Punkte einzeln durchgehe, morphologische wie physiologische, welche uns bestimmen könnten, die Ansicht von einem gewissen Bezug der beiderlei Organe auf einander nicht ganz fallen zu lassen. Auch unter den Reptilien bei Angws und Pseudopus stieß ich auf Verhältnisse, welche diese Annahme zu stützen geeignet sind ?) und die ganze Frage halte ich daher immer noch weiterer Prüfung für wert. EN Nachdem so Alles, was im Bisherigen erörtert wurde, dazu führen muss, dass wir uns ablehnend verhalten gegenüber der Behauptung, es bestünde eine Beziehung zwischen den Hautsinnesorganen niederer Wirbeltiere und den Haargebilden der Säugetiere, so ist jetzt noch ein Blick zu werfen auf jene Epidermisgebilde, auf welche vorüber- gehend schon mehrmals angespielt wurde und die, wie mir scheint, in besserer Begründung für Anfangsstadien der Haarbildungen bei Säuge- tieren angesehen werden können. Der „Hautausschlag“ oder die „Perlorgane“ gewisser Familien der Fische, sowie die aus den Sehenkelporen der Eidechsen her- vorragenden Körper sind es, welehe nach meinem Dafürhalten in den bezeichneten Kreis organischer Bildungen einbezogen werden dürfen. Zunächst redet schon im Allgemeinen für die von mir vertretene Ansicht, dass gedachte Teile, was oben bereits bemerkt wurde, nicht dureh Verdiekung der äußeren Zellenlagen der Epidermis entstehen, sondern dass sie in der Tiefe der Oberhaut als Zellenbezirke keimen und sich abgrenzen, ganz ähnlich den Haaranlagen, und alsdann her- vorwuchernd zu Knötehen, Stacheln, Dornen sich vergrößern. Ein soleher Dorn des Hautausschlages ist in seiner Rinde von homogen-streifigem Aussehen, indem die zusammensetzenden Zellen bei ihrer Verhornung dergestalt platt und hell geworden sind, dass sie zusammen das Bild wiederholen, welches vom Haarschaft bei Säuge- tieren bekannt ist. Von besonderem Gewicht für die Deutung, welche von mir ange- regt wird, ist die Erscheinung, dass sich zur Aufnahme der Perlorgane Follikel der Lederhaut bilden, und zwar in manchfachen Abstufungen. Von einer leiehten Mulde der Lederhaut aus, kommt es zu wirklicher follikelartiger Einsenkung, die, insoweit bis jetzt die eigene Erfahrung geht, bei dem Bitterling, Rhodeus amarus, unter den einheimischen Karpfenarten am stärksten ist. Noch stattlicher sind solche sack- 1) Morphol. Jahrb., S. 305. 2) Zur Kenntuis der Sinnesorgane der Schlangen. Arch. f. mikr. Anat., 1872. 374 Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? förmige Einstülpungen der Lederhaut bei gewissen indischen Cypri- noiden. Ich habe diese Säckchen nach Lage und Struktur vor zehn Jahren beschrieben, zu einer Zeit, wo ich noch nicht zu sagen wusste, welche Bewandtnis es mit ihnen habe!). An den Exemplaren, welche zur Verfügung standen, war die Epidermis bis auf schwache Spuren abgefallen; jetzt werde ich von Discognathus, nach einem Tier mit vollkommen erhaltener Oberhaut einen Durchschnitt bringen, welcher den Follikel und den aus ihm hervorstehenden Kegel in ihren gegen- seitigen Verhältnissen veranschaulicht. Eine Besonderheit im Baue der gedachten Follikel ist, dass bei den indischen Karpfenarten fadenförmige Papillen im Innern der Säckchen zugegen sind, in denen sich Nervenfasern bei einigen Arten erkennen ließen. Es mag angemessen sein an diese Stelle auf etwas in der Haut der Cetaceen Vorkommendes hinzudeuten, weil mir darin eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Verhalten der Perlorgane vorzuliegen scheint. Nach Max Weber?), welcher über die Haut der genannten Säuge- tiere, auch von frischem Material, eine gründliche Untersuchung vor- genommen hat, finden sich bei der erwachsenen Balaenoptera Sibbaldii am Mundwinkel zahlreiche feine Löcher, welche Bezug haben zu einem „zentralen Epithelzapfen“, welchen unser Beobachter als „rudimentäres Haar“ ansieht. Ich meine, dass die Poren bei den Cyprinoiden und der Epidermiskegel, welcher bei Discognathus daraus hervorgeht, mit der bezeichneten Bildung in der Haut der Schnauze bei Cetaceen ver- knüpft werden können. Bezüglich der aus den sogenannten Schenkelporen der Ei- dechsen hervorragenden Kegel habe ich schon anderwärts?), unter Angabe der Gründe, die Ansicht geäußert, dass sie den Perlorganen verwandt sein mögen. Dass die betreffenden Teile reine Epidermis- bildungen sind, welche in gefächerten Follikeln wurzeln, habe ich vor bereits 20 Jahren beschrieben*) und schon dazumal wurden im be- sonderen die aus den Poren hervorragenden Warzen oder Kegel als eine „Uebergangsform zwischen Wucherungen der Epidermis gewöhn- licher Art und den Haaren“ von mir gedeutet. Auch fügte ich noch ausdrücklich bei, es wäre ein solches Verfahren nicht ganz ungereimt; man könne das Ganze „einem auf niedriger Stufe stehen gebliebenen Haarbüschel“ vergleichen, dessen Einzelhaare dieht nebeneinander verklebt wären. Ferner erinnerte ich auch daran, dass, meinen Be- 4) Untersuchungen zur Anatomie und Histologie der Tiere, 1883. (Zur Kenntnis der Hautdecke und Mundschleimhaut indischer Cyprinoiden, Taf. Iu.I.) 2) M. Weber, Studien über Säugetiere. Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung der Cetaceen, 1886. 3) Integument brünstiger Fische und Amphibien. Biol. Centralbl., 1892, S. 205 ff. 4) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier, 1872. Haceius, Variolo - Vaceine. 35 obachtungen an Säugetieren zufolge, Büschel von Haaren in einem einzigen mehrfach ausgezackten Balg sitzen können !), womit dann abermals eine Hinneigung zu dem besteht, was wir am Balg der Sehenkelporen sehen. Ob man endlich auch in der regelmäßigen linearen Anordnung der „Schenkelporen* eine Aehnlichkeit mit dem gleichen Verhalten der Follikel der Tasthaare bei Säugetieren er- blieken darf, mag einstweilen dahin gestellt sein. Dureh Vorliegendes ist es mir vielleicht gelungen, die morpho- logische Seite des „Hautausschlages“ der Fische, sowie der „Schenkel- poren“ der Eidechsen einigermaßen zu beleuchten, während ich früher, wenigstens in Anbetracht der Perlorgane, mehr nur die physiologische Bedeutung ins Auge fasste. Durch fortzusetzende Studien hoffe ich an der ferneren Aufklärung des Gegenstandes mich beteiligen zu können. Ch. Haccius, Variolo-Vaccine. Contribution a letude des rapports qui existent entre la variole et la vaccine. Avee notes originales de MM. les docteurs Voigt, Fischer et Hime et 16 planches en phototypie. Geneve. H. Georg. (Paris G. Masson) 189. GT. 8. RT U. 888. Die Frage nach dem Verhältnis der Menschenblattern zu den Kuh- pocken bezw. der Pferdepocken ist von hervorragendem wissenschaft- lichen Interesse. Blattern haben, wie alle akuten exanthematischen Krankheiten, das Charakteristische, dass, wer sie einmal überstanden hat, eine Immunität gegen die gleiche Erkrankung zurückbehält, welche viele Jahre, zuweilen für das ganze Leben andauert. Die segensreiche Entdeckung Jenner’s, dass ein solcher Schutz auch durch Einimpfung der Kuh- oder Pferdepocken gewonnen werden kann, würde leicht zu verstehen sein, wenn man nachweisen könnte, dass diese letzteren nur eine abgeschwächte und darum ungefährliche Modifikation der Menschen- pocken darstellen, also eigentlich dieselbe Krankheit sind. Ein solcher Nachweis wäre geliefert, wenn es gelänge, experimentell die eine Krankheit in die andere überzuführen. Diesen Nachweis glaubten Reiter in München (1839), Thiele in Kasan und Ceely in Aylesbury (in demselben Jahre), V y in Elboeuf, Senfft in Wiesbaden, Voigt in Hamburg (1881), Fischer in Karls- ruhe (1886 und 1891), Hime in Bradford, endlich Eternod und Haceius im Impfinstitut zu Laney bei Genf (1890 und 1891) geführt zu haben, indem sie das Gift der Menschenblattern Kälbern oder Kühen einimpften und damit Pusteln erzeugten, welche alle Eigenschaften von Vaceinepusteln aufwiesen. 1) Aeußere Bedeckungen der Säugetiere. Archiv f. Anat. u. Phys., 1859, S. 706. 376 Hacecius, Variolo - Vaceine. Zu ganz anderen Ergebnissen aber war eine auf Veranlassung der Pariser Academie de Medecine eingesetzte Kommission gekommen, welche 1865 unter Chauveau’s Oberleitung in Lyon Versuche ange- stellt hatte. Nach ihr behält die echte Menschenblatter (Variola vera), wenn sie auf das Rind verpflanzt wird, alle ihre Charaktere. Sie er- zeugt beim Rind keine guten Pusteln wie die Vaceine, sondern kleine, unscheinbare Knötchen oder Papeln, und wenn sie wieder auf den Menschen zurück übertragen wird, echte Blattern mit allen Gefahren derselben, namentlich auch die Gefahr der Ansteckung andrer Menschen, welche mit dem Geimpften in Berührung kommen. Neue Versuche, welehe Chauveau mit einer ihm vom Verf. übersandten Variolo- Vacceine (so nennt der Verf. die durch Impfung von echtem Pockenvirus auf Rinder entstehende neue Form) angestellt hat, haben ihn nur in seiner früheren Auffassung bestärkt. Dem gegenüber berichtet Verf. ausführlich über die von ihm zum Teil in Verbindung mit Herrn Eternod, zum Teil allein angestellten Versuche und die ähnlichen der anderen oben genannten Impfärzte. Echte Menschenblattern wurden mehrmals auf Kälber und von diesen auf andre Kälber oder auch auf erwachsene Kühe übertragen. Die Impfung durch Einstich bleibt meist erfolglos, besser gelingt die durch längere Einschnitte oder durch Einreiben auf skarifizierte, d. h. mit vielen sich kreuzenden Schnitten in Entfernungen von etwa 1 mm ver- letzte oder durch Abreiben der Epidermis wundgemachte Kutis. Die so erzeugten Pusteln sind klein, unvollkommen ausgebildet und spär- lich. Impft man aber von diesen auf neue Rinder, so nehmen die Pusteln mit jeder neuen Uebertragung mehr und mehr den Charakter echter Vaceinepusteln an und können zuletzt von diesen nicht mehr unterschieden werden. Solche Variolo-Vacceine wurde dann (von der 7. Generation ab) vielfach auf Menschen (Kinder und Erwachsene) übertragen. Sie erzeugte normale Vaceinepusteln mit normalem Verlauf und ohne alle Allgemeinerscheinungen und machte die Geimpften gegen gewöhnliche Vaceine immun. Die geimpften Rinder waren auch gegen echte Variola immun. Es ist daher unbedenklich anzunehmen, dass dies auch für Menschen gilt. Die abweichenden Erfolge der Lyoner Versuche rühren zum Teil von der ungeeigneten Methode der Impfung durch Einstich her, die gefährlichen Erscheinungen bei der Zurückimpfung auf den Menschen davon her, dass zu früh zurückgeimpft wurde d. h. ehe durch den Durehgang des Giftes durch mehrere Rinder-Generationen die Umformung und Abschwächung des Giftes ganz vollendet war. Von welcher Genera- tion ab dies geschehen ist, lässt sich nicht sagen; bei der 7. Generation ist sie aber sicher vollendet. Wie die bei Kühen und Pferden scheinbar spontan auftretenden Pocken entstanden sind, wissen wir nicht. Ihre Weiterimpfung auf neue Rinder-Generation gibt gute Vaceine, aber diese Impfungen ver- Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees. Tat sagen zuweilen plötzlich ohne nachweisbaren Grund. Aehnlich ist es mit der Uebertragung der Vaceine von Menschen auf Rinder. Gelingt es, nach dem Verfahren, welches der Verf. eingeschlagen hat, die Vaceine gleichsam neu zu bilden, so würde das, abgesehen von dem theoretischen Interesse, das sich an das Verfahren knüpft, auch prak- tisch von Nutzen sein. J. Rosenthal. Fauna des großen Plöner Sees '). Für diejenigen, welche mit den hydrographischen Verhältnissen Ostholsteins nicht näher bekannt sind, sei es gestattet zu bemerken, dass das hiesige Seen- gebiet eine große Mannichfaltigkeit von Wasseransammlungen enthält, von denen die Mehrzahl durch die Schwentine gespeist wird, die als kleines Flüsschen in den großen Eutiner See eintritt und nun der Reihenfolge nach den Keller-, Diek-, Behler- und Höftsee, sowie den großen und kleinen Plöner See durchfließt. Letzteren verlässt sie beim Dorfe Wittmoldt (siehe die Spezialkarten), um dann ihren Lauf in nordwestlicher Richtung der Ostsee zuzuwenden. Das mächtigste unter diesen Wasserbecken ist der große Plöner See mit einer Flächengröße von 47,176 Quadratkilometern und Tiefen bis zu 66 Metern, wie durch Dr, W. Ule’s neueste Lothungen festgestellt worden ist. Am Nordufer dieses größten Sees steht das Gebäude der biolog. Station. Das nun folgende Verzeichnis (welches sicher noch unvollständig ist) gibt einen vorläufigen Ueberblick über die Fauna desselben. Rhizopoda: Amoeba verrucosa Ehrb. — proteus Leidy. Arcella vulgaris Ehrb. Difflugia acuminata Ehrb. — _ Pyriformis Perty. — constricta Ehrb. Uentropyxis aculeata Stein. Cyphoderia ampulla Ehrb. Diplophrys Archeri Bark. Mycetomyxa Zopfii Zach. n. g. n. sp. Heliozoa: Leptophrys vorax Cienk. * Actinophrys sol Ehrb. * Actinosphaerium Eichhorni Ehrb. Actinosphaeridium pedatum Zach. n. 8, n. sp. * Raphidiophrys pallida Fr. E. Sch. * Acanthocystis turfacea Cart. * — spinifera Greftf. = _ flava Greeff. Mastigophora: * Dinobryon sertularia Ehrb., var. divergens Imhof. 7 — stipitatum Stein. 4) Aus: „Forschungsberichte aus der biol. Station zu Plön“ Teil I (Berlin, R. Friedländer & Sohn, 1893) von Herrn Dr. Zacharias mitgeteilt. 318 Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees. " Uroylena volwox Ehrb. Euglena viridis Ehrb. Phacus pleuronectes Du). Peranema trichophorum Ehrb. Synura wvella Ehrb. " Mallomonas acaroides Zach. n. Sp. Phacotus lenticularis Ehrb. “ Pandorina morum Ehrb. “ Volwox globator Ehrb. “ Salpingoeca minuta 8. K. Glenodinium acutum Apst " Peridinium tabulatum Ehrb. ‘ Ceratium cornutum Ehrb. — hirundinella O. F. M. Infusoria: Prorodon teres Ehrb. Lacrimaria olor O. F. M. * Didinium nasutum O. F. M. Coleps viridis Perty. "= Trachelius ovum Ehrb. Lionotus anser Ehrb. Loxophyllum meleagris Ehrb. Paramaecium aurelia OÖ. F. M. Cyelidium glaucoma Ehrb. Chilodon cucullulus O. F. M. Nassula ornata Ehrb. — ypersicinum Perty. * Stentor coeruleus Ehrb. — niger Ehrb. — polymorphus Ehrb. Oodonella lacustris Entz. Keronia polyporum Ehrb. Uroleptus piscis OÖ. F. M. Stylonychia mytilus O. F. M. Euplotes charon Ehrb. _ patella Ehrb. = Strombidium turbo Cl. u. L. Trichodina pedieulus Ehrb. Gerda fica d’Udek. Vorticella convallaria Lin. — nebulifera Ehrb. _ chlorostigma Ehrb. — brevistyla d’Udekem. Carchesium polypinum Lin. — spectabile Ehrb. Epistylis plicatilis Ehrb. Ophrydium Eichhorni Ehrb. Cothurnia erystallina Ehrb. Lagenophrys ampulla Stein Sipirochona gemmipara , ' auf Gammarus. Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees, Solenophrya crassa Cl. u. L. Acineta linguifera Cl. u. L. _ grandis S. L. _ lemnarum Stein. — simplex Zach. n. sp. Staurophrya elegans Zach. n. g. n. sp. Dendrocometes paradoxus Stein (auf Gammarus). Coelenterata: Hydra fusca Lin. Turbellaria: Macrostoma hystrix Oe. NMierostoma lineare Oe. — giganteum Hallez. Stenostoma leucops OÖ. Schm. -- unicolor OÖ. Schm. Mesostoma viridatum M. Sch. Castrada rudiata v. Graft. Vortex coronarius OÖ. Schm. Gyrator hermaphroditus Ehrb. Plagiostoma quadrioculatum Zach. n. sp. Dendrocoelum punctatum Pallas. Polycelis nigra, var. brunnea Dies. Nematodes: Alaimus primitivus De Man. Dorylaimus stagnalis Duj. Chromadora ratzeburgensis v. Linstow. Gordius aquaticus Duj. Mermis aquatilis Duj. Hirudinei: | Piscicola geometra Lin. — Sp. Nephelis octoculata Moqu. Tand. Clepsine complanata Sav. — heteroclita Lin. Aulastomum gulo Moqu. Tand. Oligochaeta: Aeolosoma quaternarium Ehrb. Nais elinguis O, F. M. Stylaria lacustris Lin. Chaetogaster diaphanus Gruith. Lumbriculus variegatus F. O. M. Rotatoria: Floscularia campanulata Dobie. = mutabilis Bolton. Philodina roseola Ehrb. — aculeata Ehrb. Rotifer vulgaris Schrank. Callidina parasitica Giglioli (auf Gammarus)._ E2 en 380 Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees. : Asplanchna priodonta Gosse, var. helvetica Imhof u. Zach, " Ascomorpha agilis Zach. n. sp. _ amygdalum Zach. n. sp. * Synchaeta tremula Ehrb. — pectinata Ehrb. = — grandis Zach. n. sp. ® Polyarthra platyptera Ehrb. Triarthra longiseta Ehrb, var. limnetica Zach. n. sp. ® Bipalpus vesiculosis Wierzejski u. Zach. n. sp. Theora plicata Ehrb. Notommata brachyota Ehrb. Furcularia aequalis Ehrb. Mastigocerca scipio Gosse. _ carinata Ehrb. * Mastigocerca capucina Wierz. u. Zach. n. sp.“ Coelopus tenuior Go 8Sse. Dinocharis pocillum Ehrb. Scaridium longicaudatum Ehrb. Euchlanis triquetra Ehrb. Metopidia lepadella Ehrb. a ovalis Ehrb. Pterodina patina Ehrb. — truncata Gosse. * Pompholyx sulcata Hudson. * Anmuraea longispina Kellic. Ex DH “ -- cochlearis Gosse. = = aculeata Ehrb. = E= curvicornis Ehrb. 5 — heptodon Perty. Notholca acuminata Ehrb. ® Hudsonella pieta Zach. u. Calman n. g. n. sp. Gastrotricha: Chaetonotus larus Ehrb. — Schultzei Metschn. Lepidoderma ocellatum Metschn. Cladocera: Sida erystallina OÖ. F. M. Diaphanosoma brandtianum Fischer. Daphnia hyalina Leyd., var. pellucida P. E. Müller. Hyalodaphnia cucullata Sars, var. kahlbergensis Schdlr. — _ —, var. vitrea Kurz. —_ cristata Sars. Simocephalus vetulus OÖ. F. M. : Oeriodaphnia pulchella Sars. Bosmina longirostris O. F. M. — cornuta Jur. — longispina Leydig. — coregoni Baird. Eurycercus lamellatus OÖ. F. M. Acroperus leucocephalus Koch. Alonopsis elongata Sars. * KHK Ja Zacharias, Fauna des großen Plöner Sees. 381 Alona testudinaria Fischer. Pleuroxus truncatus OÖ. F. M. Chydorus sphaerieus OÖ. F. M. * Leptodora hyalina Lilljeb. *= Bythotrephes longimanus Leyd. Polyphemus pediculus de Geer. Ostracoda: Uypris vidua Zenk. Copepoda: * Oyelops oithonoides Sars. N simplex Poggenp. — viridis Jur. — strenuus Fischer. —_ Jimbriatus Fischer. * Diaptomus graciloides Sars. * Eurytemora lacustris Poppe (= Temorella intermedia Nordqu.). * Heterocope appendiculata Sars. Canthocamptus staphylinus Jur. — hibernicus Brady. Argulus foliaceus Jur. Ergasilus sp. Amphipoda: Gammarus pulex Fabr. Isopoda: Assellus aquaticus Geofr. Hydrachnidae: Nesaea nodata O. F. M. — JIuteola Koch. Limnesia maculata O. F. M. _ undulata OÖ. F. M. Azxona versicolor OÖ. F. M, * Atax crassipes O. F. M. * (urvipes rotundus Kramer. Coleoptera: Eubrichius aquaticus Thoms. (ein im Wasser lebender Risselkäfer). Lamellibranchiata: Dreissensia polymorpha Pallas. Anodonta variabilis Cless. —_ tumidus Nils. Pisidium nitidum Jenyns. Sphaerium corneum Lin. Gastropoda: Limnaea stagnalis Lin. Planorbis carinatus Lin. — aurieularia Lin. Vivipara vera v. Frauenfeld. — ovata Drap. Bythinia tentaculata Lin. = palustris OÖ. F. M. Neritina fluviatilis Lin. Planorbis corneus Lin. Velletia lacustris Lin. 982 Noll, Einfluss der Phosphaternährung auf das Wachstum der Pflanzen. Pisces: Perca fluviatilis Lin. Alburnus lueidus Heck. Acerina cernua Lin. Idus melanotus Heck. Cottus gobio Lin. Scardinius erythrophthalmus Lin. Gasterösteus pungitius Lin. Leueiscus rutilus Lin. Lota vulgaris Cuv. Coregonus maraena Bl. Cyprinus carpio Lin. — albula Lin. Carassius vulgaris Nils. Cobitis fossilis Lin. Tinca vulgaris Cuv. — barbatula Lin. Gobio fluviatilis Cuv. Esox lueius Lin. Abramis brama Lin. Anguilla vulgaris Flem. Im Ganzen enthält die obige Liste 225 Arten. Davon entfallen 36 auf die Crustaceen, 69 auf die Würmer und 78 auf die Protozoen. In der Gesamtzahl der verzeichneten Organismen befinden sich 12 neue Formen, welche in dem angezeigten Berichte näher beschrieben und abgebildet sind. Die mit einem * markierten Species sind Mitglieder des Limnoplankton. Aus den Verhandiungen gelehrter Gesellschaften. Bonner Gartenbau - Verein. Nachdem einige geschäftliche Mitteilungen uutergeordneter Art erledigt waren, erteilte der Vorsitzende Herrn Dr. Noll das Wort, welcher das Thema gewählt hatte: „Der Einfluss der Phosphat-Ernährung auf das Wachstum und die Organbildung der Pflanzen“ Wie wichtig Phosphate für das Gedeihen der Pflanzen und die Ergiebigkeit ihres Ertrages sind, so legte der Redner dar, das hat die gärtnerische und landwirtschaftliche Praxis schon genugsam erfahren, und es gehört zu den bestbegründeten Grund- sätzen bei der Düngung, dem ausgebeuteten Boden Phosphate, sowohl in tierischen Abiallstoffen als in Mineralien zuzuführen. In der That gehören Phosphate zu den notwendigsten Bestandteilen einer lebenden Pflanze, und sie können in jeder Pflanze nachgewiesen werden. Man darf aus einem solchen Nachweis allein freilich keine Schlüsse für ihre Notwendigkeit ziehen. Nicht alle Bestandteile nämlich, welche eine Pflanze enthält, sind zu ihrem Gedeihen durchaus erforderlich. So ist es gelungen, Pflanzen, welche sich durch einen hohen Kieselsäuregehalt auszuzeichnen pflegen (wie manche Gräser), ganz ohne Kieselsäure zur vollen Ausbildung und Samenreife zu bringen. Das, was diesen künstlich gezüchteten Pflanzen freilich fehlt, ist die große Festigkeit ihrer naturwüchsigen Schwestern. Im Gegensatz zu dem großen Gehalt an Kiesel- säure ist der Gehalt an Eisen oft verschwindend klein, und doch spielt dieser höchst geringe Eisengehalt eine so äußerst wichtige Rolle, dass er der Pflanze geradezu unentbehrlich ist. Ohne Eisen ergrünen die Blätter nicht, sie bleiben weißlich fahl und sind nicht im stande, ihre Ernährungsthätigkeit auszuüben. Das zeigt sich sofort, wenn man Pflanzen künstlich in absolut eisenfreien Nährsalzlösungen aufzieht. Will man über die Rolle Aufschluss erhalten. welche den Phosphaten in der Pflanze zufällt, so muss man auch hier von Pflanzen ausgehen, welche in absolut phosphatfreiem Substrat sich entwickeln, und diese vergleichen mit andern Pflanzen, welche sonst den gleichen Bedingungen ausgesetzt waren, die als einzige Abweichung von den anderen aber Phosphat erhalten haben. Der Noll. Einfluss der Phosphaternährung auf das Wachstum der Pflanzen. 585 Vortragende hat zwei Sommer hindurch derartige vergleichende Kulturen durch- geführt und berichtete über die äußeren Erfolge derselben. Die anatomisch- histologischen Ergebnisse der Untersuchung werden seiner Zeit in Fach - Zeit- schriften publiziert werden. Die Versuche selbst erfordern große Sorgfalt und Reinlichkeit; es muss mit chemisch -reinen Substanzen gearbeitet werden, denn auch Spuren von Phosphaten können das Resultat noch merklich beeinflussen. Das käufliche destillierte Wasser enthält immer noch so viel, um kleinen Algen und Pilzen das Wachstum zu ermöglichen; es musste deshalb unter besonderen Maßregeln wiederholt destilliert werden. Trotz alledem muss aber bei dem Versuchs- ergebnis noch mit einem Quantum verfügbaren Phosphats gerechnet werden; “es ist das die Menge, welche die Versuchspflanze bei Beginn des Versuches schon in sich aufgespeichert enthält. Will man aber Pflanzen ziehen, so muss man von vorhandenen Teilen derselben ausgehen, man muss mit Samen oder kleinen Stecklingen, Wurzelstücken, Blattstücken u. a. den Anfang machen. In jedem dieser Teile ist aber mehr Phosphat enthalten, als zur eigenen Aus- bildung nötig war. Erst wenn dieser innere Phosphatvorrat verbraucht ist, beginnt der Versuch interessant und beweisend zu werden. Es folgt daraus, dass man von möglichst kleinen Teilchen ausgehen muss und daraus wieder ergibt sich die Wahl der Versuchspflanzen. Diese müssen aus sehr kleinen Samen und Bruchstücken leicht zu ziehen sein und sich dabei so rasch ver- größern, dass der mitgebrachte Phosphor-Proviant bald aufgezehrt ist. Diese Bedingungen erfüllen vorzüglich die Tradescantien, besonders die Tradescantia Selloi, die bekannte Zimmer-Hängepflanze, welche aus 2 Millimeter langen Blattknoten leicht zu kräftigen Pflanzen heranwächst. Unter anderen wurde auch eine Pflanze viel zu Versuchen benutzt, auf welche die heilige Schrift mit dem bekannten Gleichnis vom Senfkorn hinweist. Bei dem Austreiben der neuen Pflänzchen macht sich zunächst kein Unterschied zwischen denen in phosphatfreier und denen in phosphathaltiger Unterlage bemerkbar. Erstere zeigen oft sogar eine raschere und bessere Entwicklung. Dann aber ändert sich die Sachlage rasch und dauernd zu Gunsten der letzteren. Während sich die Phosphat-Pflanzen nun ungemein rasch und kräftig entwickeln, ein Blatt nach dem anderen neu entfalten und aus allen Blattachseln neue Seitentriebe hervorsprießen lassen, die ihrerseits weitere Verzweigungen bilden, bleiben die Pflänzchen ohne Phosphat nun auf einmal in der Entwicklung völlig stehen. Zu der Zeit, wo aus den millimeter- großen Seitenknöspchen der Tradescantia bei Phosphatnahrung mächtige Pflanzen herangewachsen sind, mit Hunderten von Blättern und Dutzenden von Seiten- zweigen, welche einen kleinen Tisch völlig überdecken, sind aus den gleichen Knospen, denen alle sonstigen Nährstoffe in reichstem Maße zu Gebote standen, denen nur das Phosphat fehlte, kiümmerliche Pflänzchen, sämt- lich mit 5 bis 6 kleinen Blättehen, entstanden. Monate lang kann man diese weiter pflegen, es bildet sich auch nicht ein einziges weiteres Blatt, es zeigt sich kein einziger Seitenspross. Die einzige wahrnehmbare Veränderung be- steht darin, dass die wenigen Blättehen dick und hart werden, wie die der sogenannten Fettpflanzen. Was hier für unsere Zimmer - Tradescantia näher geschildert ist, das bildet das Hauptmerkmal für alle phosphatfrei erzogenen Versuchspflänzchen. Das Wachstum der Pflanze gelangt, nachdem das verfügbare Phosphat aufgebraucht ist, völlig zum Still- stand. Die Pflanze kann ihre Lebensfähigkeit dabei lang behalten, es wird aber nicht ein einziges Blatt, nicht ein einziger Seitenast, nicht eine einzige 384 Noll, Einfluss der Phosphaternährung auf das Wachstum der Pflanzen. Wurzelfaser neu gebildet. Die Folgen des Phosphatmangels unterscheiden sich dadurch ganz wesentlich von den erwähnten Folgen des Eisenmangels. Bei Eisenmangel werden doch immerhin noch neue Organe erzeugt, wenn auch in krankhafter Beschaffenheit. Bei Phosphatmangel werden dagegen überhaupt keine neuen Teile mehr entwickelt. Es ist die, an den Spitzen der Zweige, in den Knospen und an den Wurzelspitzen vorzüglich angesammelte lebendige Substanz des Pflanzenkörpers, im jugendlichen Zustande derOrganbildung, welche des Phosphers zuihrer Vermehrung und zu ihrer Thätigkeit durchaus bedarf. Dass es lediglich Phosphatmangel ist, welcher die kümmerlichen Versuchs- pflänzchen nicht zu weiterer Entwicklung kommen lässt, das erfährt man so- fort, wenn man diesen Pflänzchen nur eine Messerspitze phosphorsauren Kalks zu ihrer bisherigen Nahrung zugibt. Wie mit einem Zauberschlag kommt dann neues Leben in den Kümmerling; schon nach wenigen Tagen zeigen sich neue Blättchen an dem Gipfel und aus jeder Blattachsel schieben sich die zarten Spitzchen neuer Seitentriebe hervor, die sich alle kräftig entfalten. In einigen Wochen ist dann eine Pflanze herangewachsen, wie sie sonst nur in der frucht- barsten Humuserde sich entwickelt. Die Sprache, welche diese Versuchs-Ergebnisse reden, ist so verständlich und überzeugend, dass es überflüssig erscheint, die Nutz- Anwendung für die Praxis noch einmal in Worte zu fassen. Nur das glaubte der Vortragende hervorheben zu müssen, dass ein Zuviel auch bei Phosphaten geradezu schäd- lich wirkt. Er riet deshalb an, nicht etwa leicht lösliche Phesphate, wie z.B. das phosphorsaure Kali, sondern weniger lösliche Salze, wie den reinen phos- phorsauren Kalk, anzuwenden und diesen in Pulverform gleichmäßig unter die Erde oder den Sand zu mengen, eine Messerspitze voll auf den mittelgroßen Blumentopf. Von diesem Phosphatpulver löst sich beim Begießen des Topfes immer nur wenig auf, etwa so viel wie die Pflanzen gebrauchen und nicht wehr als ihnen zuträglich ist. Bei der geschilderten eigenartigen Wirkung des Phosphats auf die Neu- bildung von Organen empfahl der Vortragende eine solehe Anwendung des Kalk-Phosphates den Herren Gärtnern besonders in ihren Vermehrungs-Kästen, wo es ja gerade auf die Erzielung von Neubildungen abgesehen ist. Eigene vorläufige Versuche lassen das aussichtsvoll erscheinen; denn von zwei gleichen Abschnitten eines Begonia-Blattes erzeugte der auf phosphathaltiger Unterlage liegende etwa sechsmal so viel Pflänzchen als der andere auf phosphatfreier Unterlage. Der Vortrag des Herrn Dr. Noll, welchen Demonstrationen von Ver- suchspflanzen, von Photographien und Zeichnungen begleiteten, schloss mit der Bitte an die Mitglieder des Gartenbau-Vereins, die reichen Erfahrungen, welche die etwaige Anwendung des empfohlenen Verfahrens besonders bei den Ver- mehrungsarbeiten in der Praxis mit sich bringen müsse, zu Nutz und Frommen der Pflanzen - Kultur später öffentlich mitteilen zu wollen. Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leipzig; Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 15. Juli 1893, Nr. 13 u. 14. Inhalt: Loew, Natürliches System der Giftwirkungen. — Weismann, Das Keim- plasma. — Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. — Wilekens, Die Vererbung erworbener Eigenschaften vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Tierzucht in Bezug auf Weismann’s Theorie der Ver- erbung. — Burekhardt, Das Zentralnervensystem von Protopterus annec- tens. — Nusbaum, Materyaly do Embryogenii i Histogenii Röwnonogöw (Isopoda). — Emery, Ueber die Herkunft der Pharao-Ameise. — Gillespie, The bacteria of the stomach. — Derselbe, On the gastrie digestion of proteids,. — Kaliseher, Neurologische Mitteilungen. — Aus den Verhand- lungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserliche Akademie der Wissen- schaften in Wien. O. Loew, Natürliches System der Giftwirkungen '). Die Toxikologie ist bis jetzt eine speziell medizinische Wissenschaft gewesen. Verf. sucht sie auf das gesamte biologische Gebiet auszu- dehnen. Während die bisherigen toxikologischen Werke hauptsächlich die bei Säugetieren beobachteten Giftwirkungen berücksichtigen, hat sich Verf. der großen Mühe unterzogen, alle Notizen über Giftwirkung zu sammeln, auch diejenigen, welche niedere Tiere, Infusorien, Rota- torien, Crustaceen, Insekten, Schnecken ete., ferner höhere und niedere Pflanzen betreffen. Von dem Gedanken der Einheit allen Protoplasmas ausgehend hat er die sämtlichen ihm bekannt gewordenen toxikologi- schen Thatsachen ohne Unterschied der Organismenklasse vergleichend zusammengestellt, was zu interessanten Uebereinstimmungen und merk- würdigen Unterschieden führte. Von fundamentaler Bedeutung für die Entstehung des vorliegenden Buches war ferner die von Verf. schon vor vielen Jahren publizierte Hypothese über die Konstitution der plasmatischen Proteinstoffe, deren experimentelle Begründung sich L. und Referent seit 1882?) angelegen sein ließen. „Fassen wir das Eiweiß des lebenden Protoplasmas als einen äußerst labilen Stoff auf, der äußerst leicht veränderlich ist und dabei in einen stabilen Stoff, in inerte Masse übergeht, — fassen 4) Verlag von Dr. E. Wolff und Dr. H. Lüneburg in München, Juni 1893, 140 pp. 2) Loew u. Bokorny, Chem. Kraftquelle im lebenden Protoplasma. XIII. 25 386 Loew, Natürliches System der Giftwirkungen. wir ferner auch den molekularen, oder wenn man will den micellaren, Aufbau des lebenden Protoplasmas als eine labile Struktur auf, in welcher die anziehenden und abstoßenden Kräfte der aktiven Eiweiß- moleküle gerade im Gleichgewicht sind, eine Konstruktion, welche mit Aenderung des chemischen Charakters der labilen Eiweißmoleküle sofort zusammenfällt, indem die anziehenden Kräfte das Uebergewicht ge- winnen, so wird nieht nur der durch die verschiedenartigsten mecha- nischen Störungen eingeleitete Absterbeprozess leichter begreiflich, sondern dann verliert auch die Giftwirkung das Mysteriöse, das sie besaß“. „Als einen labilen Bau aus labilem Material müssen wir das lebende Protoplasma betrachten, wenn auch der molekulare Auf- bau bei den verschiedenen Eizellen, Drüsenzellen, Muskel- und Nerven- zellen bedeutend wechselt, wenn auch das labile Eiweiß verschiedener Organismen nicht immer identisch ist, sondern auch in zahlreichen isomeren (besonders stereoisomeren ) Modifikationen vorhanden sein kann“. Die Unterschiede im Verhalten verschiedener Organismen gegen das gleiche Gift hängen vielfach mit der verschiedenen Resistenz des Protoplasmas zusammen. Wie die verschiedenen Organismen gegen Temperaturerhöhung und -Erniedrigung, gegen mechanische Eingriffe, Austrocknen u. s. w. ungleich empfindlich sind, so zeigen sie auch gegen Gifte verschiedene Resistenz, indem der Grad der Labilität ein verschiedener ist. Doch hindert das nicht, eine große Anzahl von Giften als all- gemeine Gifte zu bezeichnen, welchen die speziellen Gifte gegenüberstehen; letztere sind für ganze Klassen von Organismen völlig unschädlich. Die allgemeinen Gifte werden von Verf. weiter eingeteilt in: 1) oxydierende Gifte, 2) katalytische Gifte, 3) durch Salzbildung wir- kende Gifte, 4) substituierende Gifte. Die speziellen Gifte zerfallen in: 1) Gifte, welche nur im Plasma- eiweiß von bestimmter Konfiguration und bestimmtem Labilitätsgrad eingreifen: die toxischen Proteinstoffe; 2) Gifte, welche vorzugsweise strukturstörend in den Zellen wirken, indem sie sich an das aktive Plasmaeiweiß anlagern: organische Basen; 3) Gifte, welche indirekt wirken, indem sie entweder die Atmungsthätigkeit hindern oder durch ihre Zersetzung Schaden bringen oder den Quellungszustand organischer Gebilde verändern. Aus dieser Einteilung ist ersichtlich, wie Verf. stets die labile chemische Beschaffenheit des plasmatischen Proteinstoffes einerseits und die chemische Konstitution der Gifte andrerseits ins Auge fasst. Darin liegt eine wesentlich neue Auffassung der Giftwirkungen, die großen Nutzen verspricht. Früher hat man die Giftwirkungen stets auf totes inaktives Eiweiß bezogen, indem man Identität zwischen dem Eiweiß der lebenden und toten Zellen voraussetzte, wenn gleich bei dieser Loew, Natürliches System der Giftwirkungen. 387 Annahme manche Giftwirkungen unerklärlich sind. Indem Verf. ferner die Beziehungen zwischen der chemischen Konstitution der Gifte und ihrer physiologischen Wirkung zum erstenmale einer systematischen Betrachtung unterzieht, werden wir zu einem „natürlichen System“ der Giftwirkungen geführt, das sich von allen bisherigen Systemen wesentlich unterscheidet. „Die Art und Weise der Einteilung der Gifte war seither lediglich empirisch, wenn nicht geradezu willkürlich. So finden wir bei Taylor (1862) eine Einteilung in mineralische, vegetabilische, neurotische Spinal- und Cerebrospinalgifte. Es werden die Canthariden mit zu den vegetabilischen Giften gerechnet, Chloro- form mit Morphin, Pikrotoxin mit Blausäure zusammen aufgeführt und als neurotische Gifte bezeichnet. Ein solches System konnte nicht nach dem Geschmacke der Forscher sem und wurde von namhaften Forschern auch nicht acceptiert. So schreibt L. Hermann in seinem Werke „Experimentelle Toxikologie“: „Eine systematische Einteilung der Gifte aufstellen ist vorderhand fast unmöglich. Gegen jedes der in den Lehrbüchern benutzten Einteilungsprinzipien lassen sich ge- gründete Einwände erheben. Die Gifte nach ihrem Ursprung in minera- lische pflanzliche und tierische und in giftige Chemikalien einzuteilen und die Unterabteilungen nach naturhistorischen resp. chemischen Systemen zu treffen, hat nicht mehr Wert als eine alphabetisch -lexi- kalische Einteilung. Die Einteilung nach der Wirkungsart wäre die richtige, wenn sie bei unsern heutigen Kenntnissen möglich wäre. Aber dieses ist nicht der Fall. Rubriken wie narkotische, scharfe, zymo- tische Gifte knüpfen an unverständliche Phrasen an und sind daher verwerflich. Muskelgifte, Nervengifte, Herzgifte, Blutgifte, sind, obwohl diese Benennungen schon etwas klarer lauten, vermutlich ebenfalls nicht die Titel einer idealen Toxikologie, sondern man wird dereinst die Gifte nach denjenigen elementaren Eigenschaften einzuteilen haben, denen sie ihre Hauptwirkung verdanken“. Seitdem sind die toxikologischen Werke von Lewin, Fröhner, Kobert und die Vor- lesungen über Pharmakologie von Binz erschienen, aber weder in diesen noch in den Handbüchern der Arzneimittellehre von Noth- nagel und Rossbach, von Husemann und von Harnack sind weitere Versuche in der von Hermann angedeuteten Richtung zu finden. Kobert teilt die Gifte ein in solche mit geringeren, solche mit groben anatomischen Veränderungen und solche ohne anatomische Alteration im Gefolge; er behält auch in seinem neuesten Werk „Lehr- buch oder Intoxikationen“ im Wesentlichen diese Einteilung bei“. Loew hat also jedenfalls ein ganz neues System aufgestellt und darin Prinzipien angewendet, wie sie von Hermann vor längerer Zeit als riehtig aber noch nicht durchführbar angedeutet wurden. Die Einteilung gründet sich thatsächlich auf die elementaren Eigenschaften der Gifte und außerdem auf die elementare Beschaffenheit des lebenden Plasmas; sie ist eine chemisch -physiologische. 25 6 388 Loew, Näatürliches System der Giftwirkungen. Die verschiedenen Gruppen der Gifte werden in 7 Kapiteln ab- gehandelt. Es ist hier nicht möglich, auf den gedrängten an That- sachen reichen Inhalt aller einzelnen Kapitel einzugehen; hiefür sei auf das Original verwiesen. Nur Kap. V, die toxischen Proteinstoffe, sei hier noch be- sonders hervorgehoben. Hier ist zum erstenmale eine volle Uebersicht aller Forschungen der neueren Zeit über bakterienfeindliche und immunisierende Eiweißstoffe sowohl als auch über die für höhere Tiere giftig wirkenden Eiweißstoffe gegeben. „Als im Jahre 1884 Bruylants und Vennemann giftige Eiweiß- stoffe im Ingwirity-Samen nachwiesen und 2 Jahre später W. Mitchell und T. Reichert, ferner Wolfenden solche Stoffe im Schlangengift auffanden, wurde diesen Thatsachen noch wenig Beachtung geschenkt, man zweifelte sogar daran; denn es widerstrebte ja allen herkömm- lichen Anschauungen, dass die wichtigsten aller Nahrungsstoffe auch Giftnatur annehmen können. — Als aber bald darauf (1888) in Nencki’s Laboratorium von Hammerschlag aus Tuberkelbaeillen ein giftiger Eiweißkörper isoliert wurde, als dann 1889 H. Buchner zeigte, dass im Blute verschiedener Tiere Eiweißkörper vorkommen, welche giftig auf Bakterien wirken, bildete diese Körperklasse bald den Mittelpunkt des medizinischen Interesses, und mit Recht; denn bald darauf bewies Rudolf Emmerich, welcher schon im Jahre 1887 die Vernichtung von Bakterien im kreisenden Blute konstatiert hatte, dass auch das Wesen der künstlichen Immunität auf der Bildung bakterien- feindlicher Eiweißstoffe im Blute beruhe. Er wurde damit der Be- gründer der Blutserumtherapie. Ueberblicken wir die bisherigen Ergebnisse der Forschung, so lassen sich 4 Hauptgruppen von toxischen Proteinstoffen unterscheiden: I. Solehe, die von Bakterien produziert werden und giftig für Tiere sind, die Toxalbumine im engeren Sinne. II. Solche, die in Tieren physiologisch oder pathologisch produziert werden und giftig für Bakterien sind, die Alexine und Immuntoxinproteine. III. Solche, welche von Phanerogamen und höher stehenden Pilzen produziert werden und giftig auf Tiere wirken, Abrin, Ricin, Robin, pflanz- liche Enzyme, Phallin. IV. Solche, welche von gewissen Tieren stammen und giftig auf andere Tiere wirken, Gifte im Aalblut, in Spinnen, in Schlangen, tierische Enzyme. Die giftigen Proteinstoffe sind dadurch charakterisiert, dass sie ihren Gifteharakter beim Erhitzen der wässerigen Lösung sehr leicht einbüßen“. Im Anhang endlich sind Gifte zusammengefasst, deren Konstitution noch nieht erforscht ist und über deren Giftwirkung man also nichts näheres sagen kann. T. Bokorny (München). Weismann, Das Keimplasma. 389 Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung von A. Weismann. (Schluss.) Diese Erwägungen lassen die Entscheidung zu Gunsten eines Ueber- tritts materieller Bestandteile des Kern-Chromatins in den Zellkörper, dessen Charakter dadurch bestimmt wird, gerechtfertigt erschemen; immerhin haftet der in Rede stehenden Vorstellung manches Missliche an; indess dürfte eine Beobachtung, welche jüngst Rückert!) am Haifischei anstellen konnte, vielleicht geeignet sein, der Auswanderungs- hypothese der Biophoren m den Zellkörper auf empirischem Wege entgegen zu kommen. Der genannte Forscher konnte durch genaue Messungen feststellen, dass während der Eireife eine ansehnliche Sub- stanzabgabe seitens der Chromosomen an den Eikörper stattfindet. Diese Abgabe — meint Weismann — braucht durchaus nieht nach herkömmlicher Auffassung in gelöstem Nährmaterial zu bestehen, kann vielmehr ganz wohl in Form kleinster Plasmaeimheiten, wie solche die Biophoren vorstellen sollen, erfolgen. Auf der Grundlage der Auswanderungshypothese ist die Vererbung der einzelligen Organismen leicht zu verstehen: ihre Vermehrungsweise ist die einfache Zweiteilung, bei welcher „jeder Teilsprössling den gleichen Vorrat an latenten Biophoren, welche den Kern zusammen- setzen, erhält und von diesem aus seinen Zellkörper mit den nötigen Bausteinen versehen kann“. Lässt diese Vorstellung auch eine Reihe wichtiger Fragen vorerst noch vollkommen unerledigt, so gibt sie doch die Möglichkeit, sich em Bild davon zu entwerfen, in welcher Weise die Biophoren „sich den im Zellkörper waltenden Kräften zur Ver- fügung stellen“. Dazu kommt, dass durch Versuche mittels künst- licher Teilung die gleiche fundamentale Bedeutung auch für den Kern der einzelligen Organismen festgestellt werden konnte, wie sie für die Keimzellen und die Zelle als Gewebseinheit unbestreitbare Geltung besitzt. Komplizierter nun liegen die Dinge bei den Metazoen. Da bei der Vererbung vom Elter auf das Kind erfahrungsgemäß nieht eine Identität des Körperbaues bewirkt wird, sondern innerhalb bestimmter Grenzen individuellen Variationen ein weiter Spielraum gesetzt ist, so müssen wir uns das Keimplasma aus veränderlichen Einheiten zusammengesetzt denken und zwar mindestens aus so vielen, als am fertigen Organismus variierende Teile vorkommen, denn „es ist unmög- lieh, dass ein Teil des Körpers selbständig und übertragbar variiere, wenn er nicht auch im Keimplasma schon durch ein besonderes Teil- chen vertreten ist, dessen Variieren sein Variieren nach sich zieht“. Daraus ergibt sich, dass die Zahl der im Keimplasma anzunehmenden variationsfähigen Einheiten eine sehr hohe sein muss, zumal wir ja 1) Vergl. Anat. Anzeiger, VII. Jahrg. (1892), S. 107 fg. 390 Weismann, Das Keimplasma. auch durch die Erfahrungen in unserem eigenen Artkreise genügend orientiert sind, wie außerordentlich groß die Zahl der vom Keime her selbständig veränderungsfähigen Teile an unserem Körper ist; ja, es könnte sogar scheinen, als ob für jede einzelne Zelle eines ausgebil- deten Metazoons eine entsprechende variationsfähige Eimheit im Keim- plasma vorauszusetzen wäre. Dieser Annahme bedarf es nicht, da keineswegs alle die Milliarden von Zellen, welche den Körper eines Zellentieres aufbauen, im fertigen Organismus einzeln zu variieren vermögen. In der weitaus überwiegenden Zahl von Fällen individueller Variation beruhen die Abänderungen auf in gleichem Sinne erfolgter Umwandlung vieler Zellen oder ganzer Zellkomplexe. Daher wird die Zahl der dem Keimplasma zuzuteilenden Einheiten ganz erheblich hinter der Zellenzahl, welche den Organismus bildet, zurückbleiben. Die angedeuteten Ueberlegungen führten Weismann zur Auf- stellung der „Determinaten“ oder „Vererbungsstücke“ und der „Determinanten“ oder „Bestimmungsstücke“; erstere bezeich- nen „die Zellen oder Zellgruppen, welche selbständig vom Keim aus veränderlich sind“, letztere „die ihnen entsprechenden und sie be- stimmenden Teilchen des Keimplasmas“. Aus dem Gesagten erhellt, dass, wenn auch von gewissen Zellen wie den Ganglienzellen vielleicht jede einzelne durch eine Determinante im Keimplasma bestimmt werden dürfte, doch größere oder kleinere Zellgruppen in ihrer Gesamtheit durch eine einzige Determinante im Keimplasma hinreichend vertreten sein werden; so ist wohl für die unzähligen Blutzellen, welche im Gefäßsystem eines Wirbeltieres kreisen, die Annahme gestattet, dass sie bloß von einer Determinante des Keimplasmas bedingt werden. „Es würde jedenfalls kein Nachteil für die Art daraus erwachsen, weil eine selbständige Bestimmbarkeit ein- zelner Blutkörperchen oder selbst einzelner Tausende von ihnen wertlos wäre. Sie sind nicht lokalisiert; eines ist so viel wert wie das andere, und ihre Variabilität könnte deshalb sehr wohl von einem einzigen Punkte aus geleitet werden. Nach dem Gesetz der Sparsamkeit wird die Natur nicht mehr Determinanten dem Keimplasma einverleibt haben, als notwendig war“. Aehnlieche Verhältnisse werden hinsicht- lich des Haarkleides der Säugetiere, des Federkleides der Vögel, der Fleckung und Zeichnung des Schmetterlingsflügels u. s. w. voraus- gesetzt werden dürfen. Die Zahl der im Keimplasma enthaltenen Determinanten wird also thatsächlich bedeutend geringer sein als die Summe der den betreffenden Organismus im ausgebildeten Zustande zusammensetzenden Zellen. Wie verhalten sich nun die Determinanten zu den Lebenseinheiten der Biophoren? Wie die Beobachtung lehrt, kann nicht bloß eme Zelle als solche, sondern auch ein einzelner Teil einer Zelle erblichen Abänderungen unterliegen. Da aber die ange- nommenen Determinanten nur eine ganze Zelle oder Komplexe von Weismann, Das Keimplasma. 391 solehen zu bestimmen, mithin niemals ein erblich abänderndes Zell- organ zu definieren vermögen, alles Plasma und daher auch das Keimplasma aus Biophoren zusammengesetzt ist, so ist der Schluss unabweislich, dass jede Determinante so viele Biophoren ent- halten muss, als vom Keim aus selbständig variations- fähige Teile in der durch die Determinante bestimmten Zelle (oder Zellgruppe) vorliegen. „Eine Determinante ist also nie ein einzelnes Biophor, sondern immer eine Gruppe von Biophoren“. Somit gelangen wir zu der Vorstellung, dass die Determinanten die Zellen (oder Komplexe derselben), die Biophoren die Zellteile des reifen Organismus vom Keimplasma aus fixieren. In den Determinanten erblickt Weismann ebenfalls Lebens- einheiten, denn die in einer solchen vereinigten Biophoren werden nicht regellos beisammenliegen, sondern m einer bestimmten Anordnung zu einer höheren, mit besonderen Eigenschaften ausgestatteten Einheit verbunden sein, welche derjenigen der Biophoren naturgemäß über- geordnet ist. Diese Annahme ist keineswegs eine willkührliche, da ja die Determinanten vermehrungsfähig sein müssen. „Wie sehr die Kernsubstanz, welche in der befruchteten Eizelle enthalten ist, während der Entwicklung an Masse zunimmt, ist bekannt, dies kann aber nur dadurch geschehen, dass ihre Lebensteilchen, die Biophoren, sich ver- mehren. Dieses nun würde niemals so genau und gleichmäßig ge- schehen können, als es notwendig ist zum Festhalten des Charakters einer bestimmten Zelle, wenn die für diese Zelle bestimmenden Biophoren lose bei einander und nicht abgegrenzt von denen anderer Zellen im Keimplasma lägen. Die Vermehrung der Biophoren muss deshalb innerhalb des festen Verbandes der Determinante vor sich gehen und muss die Einleitung sein zu emer Teilung der Determinanten selbst. Diese Letztere ist somit auch eine Lebenseinheit“. So kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Keimplasma sich aus elementaren Einheiten, den Lebensträgern oder Biophoren aufbaut, welche in bestimmter Anordnung zu Gruppen vereinigt, übergeordnete Einheiten, die Determinanten oder Bestimmungsstücke bilden. Es ent- steht nun die Frage, in welcher Weise diese Lebenseinheiten die Ontogenie bewirken, d. h. auf welchem Wege aus dem Keimplasma die verschiedenen Idioplasmen der einzelnen Zellen und Zellkomplexe des fertigen Organismus hervorgehen. Da nach dem eben geschilderten Bau des Keimplasmas dasselbe die Anlagen aller Zellen des künftigen Lebewesens in seinen Deter- minanten beherbergt, so ist zunächst zu erläutern, „in welcher Art es bewirkt wird, dass jede derselben in der richtigen Zahl an den rieh- tigen Ort gelangt“. Wenn früher angenommen wurde, dass Komplexe gleichgearteter Zellen wie die Blutzellen vielleicht bloß durch eine Determinante im Keimplasma bestimmt werden, so darf daraus nicht gefolgert werden, dass allgemein gleichartige Zellen in solcher Weise 392 Weismann, Das Keimplasma. definiert seien, denn „dies würde einem Aufgeben des Begriffes der Determinante gleichkommen. Denn wären z. B. sämtliche quergestreifte Muskeln eines Wirbeltieres nur durch eine Determinante im Keim- plasma vertreten, so würde jede Variation dieser Letzteren alle Muskeln ebenfalls abändern machen, und die selbständige Variation Jedes einzelnen Muskels, welche doch thatsächlich besteht, wäre un- möglich“. Deshalb müssen wir dem Keimplasma „eine feste, historisch überlieferte Architektur“ zuerkennen: dieselben Determinanten müssen im Keimplasma in mehrfacher Zahl enthalten und in bestimmter Weise „lokalisiert“ sein, denn nur dieses letztere Verhalten sichert den Er- folg, „dass sie im Laufe der Ontogenese in die richtige Zelle und an den richtigen Platz gelangen“. Wenn z. B. die sogenannten Riech- fäden des Flohkrebses, welche auf besonderen Gliedern der Antennen angebracht sind, einzeln unabhängig von einander erblichen Abände- rungen unterliegen, so bedarf die Erklärung dieser Thatsache der An nahme, dass jeder hiechfaden seine eigene Determinante im Keim- plasma besitzt, „die aber untereinander gleich sein werden“. Wenn so das Keimplasma aus einer Vereinigung fest lokalisierter Determinanten zusammengesetzt erscheint, liegt die Vorstellung von „Determinanten-Gruppen“ nahe, welche in ihrer gesetzmäßigen, historisch überkommenen Anordnung eine neue, den bisher festgestellten Elementen der Biophore und Determinante wieder übergeordnete Lebens- einheit darstellen: es sind die von Weismann schon früher postu- lierten „Ahnenplasmen“ oder — wie sie im Anschluss an Naegeli’s Terminologie jetzt genannt werden — die „Iden“!). Wie allen Lebens- einheiten kommt auch den Iden die elementare Fähigkeit des Wachs- tums und der damit verbundenen Vermehrung durch Teilung zu. Mancherlei Vererbungsthatsachen lassen es ferner in hohem Maße wahrscheinlich erscheinen, dass das Keimplasma „aus mehreren oder vielen Iden“ besteht, von welehen jede einzelne mit allen Elementen ausgestattet ist, deren die ontogenetische Entwicklung be- darf. Die Umbildungen, welche die Iden des Keimplasmas in der Onto- genese erleiden, können also „nur in einer gesetzmäßigen Zerlegung der Determinanten in immer kleinere Gruppen bestehen, die so lange fortgeht, bis schließlich in jeder Zelle nur noch eine Art von Deter- _ minanten enthalten ist, diejenige, welche sie zu determinieren hat“. Die bewirkenden Ursachen dieser „gesetzmäßigen Zerlegung“ erblickt Weismann vor Allem in der historischen, also ererbten Archi- tektur des Keimplasmas, ferner in der ungleich schnell verlaufenden Vermehrung der Determinanten durch Teilung und endlich in An- ziehungskräften, „welche in den Determinanten ihren Sitz haben und ein Ausfluss sind ihrer spezifischen Natur, als einer besondern und 1) Zuerst wurde diese Bezeichnung von Weismann in der schon ge- nannten Schrift „Amphimixis“ gebraucht. Weismann, Das Keimplasma. 395 selbständigen Lebenseinheit“. Zu letzterer Annahme nötigt die Ueber- legung, dass die verschiedenen Lebenseinheiten wohl kaum ohne irgend- welche Wirkungen aufeinander im Keimplasma verbunden sein werden. Hinsichtlich des zweiten Moments ist wohl leicht einzusehen, dass, wenn die Iden des Keimplasmas bloß aus gleichen, d. i. auch mit derselben Teilungsenergie begabten Determinanten beständen, die einmal gegebene Architektur des Keimplasmas niemals abgeändert werden könnte. In einem aus verschiedenen Determinanten be- stehenden Keimplasma wird die Vermehrungsenergie der ersteren durch- aus nicht gleich angenommen werden können, „denn die Verschieden- heit zweier Determinanten beruht der Voraussetzung nach auf Unter- schieden in der Beschaffenheit, Zahl oder Anordnung der sie zusammen- setzenden Biophoren“, von welchen eben auch die Intensität des Wachstums und damit die Vermehrungsgeschwindigkeit abhängig sind. Die historisch überkommene Architektur des Keimplasmas ist natürlich der gewichtigste Faktor für die Ontogenese. Wenn die entwicklungs- geschichtlichen Erfahrungen zeigen, dass bei gewissen Würmern die beiden ersten Furchungszellen einerseits das Ektoderm, andrerseits das Entoderm aus sich hervorgehen lassen, oder bei anderen Bilateralien wie dem Frosch die entsprechenden Blastomeren die rechte bezw. linke Hälfte des künftigen Tierkörpers liefern, so ist mit solchen Bei- spielen die hohe Bedeutung der ererbten Keimplasma-Architektur ge- nügend erwiesen. Lässt sich auch die Frage, ob im Keimplasma sinnenfällige Teilchen als Iden in Anspruch genommen werden können, gegenwärtig begreiflicher Weise nicht sicher beantworten, so widerstreiten doch die Thatsachen der Erfahrung nicht der Annahme, dass die Chromo- somen Vereinigungen von Iden sind, die passend „Idanten“ genannt werden können. In diesem Zusammenhange würden dann die „bisher als Mikrosomen bezeichneten Kügelchen“ als die in Rede stehenden Iden aufzufassen sein. Die thatsächliche Verschiedenheit der Chromosomen oder Idanten bei den einzelnen Tierarten führt endlich zu dem Schlusse, „dass der einzelne Idant eine der Art nach wechselnde Anzahl von Iden“ enthält. Die Kernteilung besteht bekanntlich in eimer durch Längsspaltung der Idanten (Chromosomen) bewerkstelligten Halbierung der Iden. Bei der Teilung der fertigen Gewebszellen ist die Tochtergeneration von derselben Art wie ihr Erzeuger, die Idhälften müssen also aus gleichen Determinanten zusammengesetzt sein. Anders in der Onto- genese, bei welcher von der ersten Teilung des Eikerns angefangen alle oder doch die meisten der successive entstehenden Tochterkerne andere Determinanten-Gruppen enthalten müssen, als ihre bezüg- lichen Erzeuger. Weismann unterscheidet darnach zwischen inte- greller oder erbgleicher und differentieller oder erbun- gleicher Teilung. 394 Weismann, Das Keimplasma. So beruht nach Weismann’s Ansicht die gesamte Ontogenese in einer komplizierten, aber gesetzmäßig vorsichgehenden Zerlegung der Determinanten, welche in den Iden des Keimplasmas enthalten sind. „Die Vererbung der Eigenschaften allgemeinster Art, also des Bauplanes eines Tieres, aber auch die die Klasse, Ordnung, Familie, Gattung kennzeichnenden Eigenschaften beruhen ausschließlich auf diesem Vor- gang.“ Es bleibt noch zu erklären, wie diejenigen Unterschiede, durch welche die Arten von einander getrennt sind und die innerhalb einer Art auftretenden Verschiedenheiten in der Ontogenie bewirkt werden. In dem, was wir bereits früher über die spezifische Bedeutung der Biophoren für den Charakter der Zellen kennengelernt haben, ist die Erklärung schon enthalten. Die Determinanten des Keim- plasmas, welche „durch die ontogenetische Zerlegung desselben an die riehtige Stelle des Körpers mechanisch geschoben“ wurden, müssen sieh in ihre Biophoren auflösen. Dass diese Zerlegung jeder Determinante immer zur richtigen Zeit, d. h. erst dann erfolgt, „wenn sie in die Zelle gelangt ist, welche sie zu bestimmen hat“, können wir vorerst freilich nur unbekannten Ursachen zuschreiben. Jedenfalls wird die Auflösung der Determinanten in ihre Biophoren nicht gleich- zeitig erfolgen; es wird vielmehr für jede Determinante eine verschie- dene, aber fest bestimmte Inaktivitätsperiode anzunehmen sein, von welcher aber, wie die vorliegenden Erfahrungen erkennen lassen, Wachstum und Vermehrung unberührt bleiben. Demnach hätten wir zwei Funktionszustände der Determinanten zu unterscheiden, einen aktiven, charakterisiert durch den Vorgang der Zerlegung der Idio- plasma-Determinanten in ihre Biophoren, und einen inaktiven, in welchem die die Biophore aufbauenden Determinanten in ihrer Ver- bindung fixiert bleiben. Jeder Embryonalzelle verleiht nur eine Art von Determinanten ihren spezifischen Charakter, welcher auch die Teilung bestimmt. Die anderen in Inaktivität befindlichen Determi- nanten bedingen lediglich „die Architektur des Ids“, sind aber ohne Bedeutung für die Qualität der betreffenden Zelle. „In dem jugend- lichen Ei z. B. ist nur eine Art von Determinanten aktiv, nämlich die ovogene, welche das Wachstum und die histologische Differen- zierung des Eies bestimmen; sämtliche übrige Determinanten des Keimplasmas bleiben inaktiv, und die Ide, welche aus ihnen gebildet sind, bleiben ebenfalls inaktiv. Erst wenn die Befruchtung ein- getreten ist, werden sie aktiv, d. h. nun beginnt sich eine Determi- nanten-Art nach der andern aus der Architektur des Ids loszulösen“!). Die im Vorstehenden in ihren Hauptsätzen dargelegte Vererbungs- theorie Weismann’s gestattet, zweierlei Formen von Vererbung zu 1) Ausnahmen davon werden später angeführt werden (im zweiten Teil dieses Berichts). Weismann, Das Keimplasma. 39 unterscheiden: die „homologe* und die „homochrone*. Die erstere bewirkt, dass dieselbe Bildung bei Elter und Kind an der gleichen Körperstelle entsteht, die letztere bedingt die zeitliche Koinei- denz in der Hervorbringung desselben Teiles in Elter und Kind — also ortsgleiche und zeitgleiche Vererbung. Der Schilderung des Keimplasma-Baues hat Weismann noch eine Erörterung der „Mechanik der phyletischen Veränderungen des Idioplasmas“ angefügt. Da nach den theoretischen Voraussetzungen der fertige Organismus in allen seinen Teilen durch das Keimplasma bestimmt wird, so muss natürlich jede bleibende Veränderung des ersteren vom Keime her verursacht werden, d. h. jede phyletische Abänderung muss durch eine Variation im Aufbau des Keimplasmas hervorgerufen werden. Solche Umwandlungen im Bau des Keim- plasmas werden im Sinne Darwin’s nicht plötzlich, sondern ganz allmählich vorsichgehen und deshalb mit der Abänderung einzelner Biophoren anheben und — indem sie weitergreifend Determinanten und Gruppen solcher einbeziehen — schließlich dem ganzen Id eine veränderte Zusammensetzung verleihen. Die Variabilität im Bau des fertigen Organismus beruht also auf der Abänderungsfähigkeit des Keimplasmas und diese in letzter Linie wiederum auf dem Variations- vermögen der Biophoren, welehe sich in gleicher Weise auf den Bau wie die Zahl der die einzelnen Teile im Organismus bildenden Zellen erstreckt. Ein weiter Spielraum wird der Variation dadurch ge- schaffen, dass ja die Determinanten im Id sich vermehren z. B. ver- doppeln können; dadurch ist ermöglicht, dass ein Zellenkomplex, weleher ursprünglich durch eine Determinante bestimmt war, nun durch zwei fixiert werden kann, von welchen jede für sich selbständig zu variieren vermag, d. h. es kann ganz allgemein eine niederere Stufe eines Organs zu einem höheren Ausbildungsgrade vervollkommt werden. „Wenn das primitive Auge eines niederen Tieres nur aus einem Sehstäbehen bestand, und die Determinante desselben erlangt im Laufe der Phylogenese allmählich eine größere Vermehrungskraft, so wird die Zahl identischer Determinanten, welche während der Ent- wieklung durch Vermehrung der einen Determinante des Keimplasmas entsteht, allmählich so zunehmen, dass sie statt nur für eine, jetzt für zwei Zellen“ und bei weiterer Steigerung der Vermehrungsenergie für eine Anzahl von Zellen genügt, sodass das Auge eine höhere Aus- bildungsstufe erreicht, indem es jetzt aus mehreren oder vielen Seh- stäbchen zusammengesetzt ist, innerhalb welcher nun, wie gezeigt, durch Differenzierung eine höhere Vollkommenheit erreicht werden kann. Ref. muss es sich bei dem Umfange, welchen das vorliegende Referat bereits angenommen hat, versagen, hier noch auf die scharf- sinnigen Ausführungen einzugehen, durch welche Weismann die Erscheinungen der abgekürzten Entwicklung, des Paralelliimus von 396 Weismann, Das Keimplasma. Ontogenie und Phylogenie, die Thatsachen der korrelativen Abän- derung und Aehnliches aus der angenommenen Struktur des Keim- plasmas verständlich zu machen sucht — das muss dem Studium des Originals überlassen bleiben. Nur die Bemerkung mag hier noch Platz finden, dass die angeführten Erschemungen sich aus den Prä- missen der Theorie in ihrer idioplasmatischen Wurzel ohne erhebliche Schwierigkeiten ganz wohl verstehen lassen. Im letzten Abschnitt des grundlegenden ersten Buches bespricht Weismann noch die naheliegende Frage nach den Größenverhält- nissen der im Keimplasma vorausgesetzten Lebenseinheiten der Bio- phore, Determinante und des Ids. Eine irgendwie bestimmte Ant- wort ist selbstredend ausgeschlossen. Biophoren und Determinanten sind ja zunächst noch rein theoretische Elemente; aber auch wenn die Vermutung Weismann’s, dass die Mikrosomen die Iden reprä- sentieren, zutreffen sollte, wäre damit das aufgestellte Problem einer befriedigenden Lösung nicht zugeführt. Weismann kommt es indess darauf auch gar nicht an: es sollte bloß gezeigt werden, dass, da nach den Voraussetzungen der theoretischen Aufstellungen notwendig im Keimplasma eine ungemein große Zahl von Determinanten enthalten sein muss, die Lebenseinheiten eben von entsprechender Kleinheit an- genommen werden müssen, somit aus dem scheinbaren Gegensatz unendlich vieler Biophoren und dem engen Raume eines Ids keine Bedenken gegen die Determinantenlehre geltend gemacht werden können. Prüfen wir, am Sehlusse dieses ersten Berichtes angelangt, die Weismann’sche Evolutionstheorie des Keimplasmas mit einem zu- sammenfassenden Blicke, so wird derselben, gleichviel wie man sich prinzipiell zu dieser Lehre stellen mag, ein doppeltes Verdienst nicht versagt werden dürfen. Einmal ist sie logisch -konsequent und deshalb unter allen Umständen leistungsfähig. Durch die für den Fortschritt der Wissenschaft stets segensreiche Befruchtung der em- pirischen Forschung mit einem stetig anregenden Gedankeninhalte wird sie entweder selbst mehr und mehr dem hypothetischen Gewande entzogen werden, oder — andernfalls — lebendigen Anstoß geben können, „unter den Möglichkeiten das Wahrscheinliche heraus- zuerkennen, und später auch unter den Wahrscheinlichkeiten diejenige, welche zugleich wirklich ist.“ Zweitens aber kann Weismann’s Vererbungslehre den Anspruch erheben, überall dort, wo die Ergeb- nisse der Beobachtung der Erklärung der Thatsachen eme bestimmte Richtung zuweisen, mit dieser im Einklang zu stehen und in freilich noch wenigen, aber nicht unwichtigen Teilen in jenen Erfahrungen ihre logische Begründung zu finden }). 4) Man vergleiche Weismann’s Theorie mit der „Gemmarien“ - Lehre Haacke’s, welche ihr Autor noch dazu in einem populären Werke eben veröffentlicht hat (l. ec. S. 58 fg.). Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 397 In einem folgenden Artikel wird nun zu zeigen sein, in welcher Weise Weismann’s Theorie des Keimplasmas die Erscheinungen der einelterlichen (ungeschlechtlichen) und sexuellen Fortpflanzung sowie die Abänderung der Arten zu erklären im Stande ist. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Von Prof. C. Emery in Bologna. Die Descendenztheorie ist heute so fest begründet, dass wir sie als eine definitive Errungenschaft der modernen Naturforschung be- trachten können. Im Beginne von Freisinnigen allein anerkannt und verteidigt, erfreut sie sich immermehr des allseitigen Beifalls. Ich bin sogar fest überzeugt, dass in nicht allzulanger Zeit die Evolution der Organismen in allen Schulen gelehrt sein wird, selbst von Seiten geist- licher Lehrer und als Teil der von denselben anerkannten Schöpfungs- geschichte; Stimmen aus den Patres ecelesiae lassen sich ja zu ihren Gunsten gelten machen. — Es kann uns nur erfreuen, wenn eine immer größere Schaar von Arbeitern die Felder der Naturforschung im Lichte der modernen Anschauungsweise zu bauen versucht. Und wenn sich dabei entgegengesetzte Meinungen kund geben, über die Art und Weise, in welcher die Evolution stattgefunden hat, über die Momente, die dabei wirksam waren, so hat dieses durchaus keinen Nachteil. Fester Glauben an kirchliches oder an wissenschaftliches Dogma mag der Erkenntnis der Wahrheit hemmend entgegentreten; „il tempo & ga- lantuomo“ sagen wir in Italien; früher oder später wird die Wahr- heit siegen; und wer von uns kann, ohne selbst ein Dogmatiker zu sein, behaupten die volle Wahrheit zu besitzen ? Das Prinzip der Evolution und der Descendenz steht also fest, und es ist ein unsterbliches Verdienst Darwin’s, durch seine Lehre der natürlichen Zuchtwahl die Descendenztheorie selbst zur allgemeinen Anerkenntnis gebracht zu haben, indem er die erste plausible Erklärung lieferte, warum die Organismen nach bestimmten Richtungen variieren mögen. — Ist aber durch die Naturauslese alles erklärt? Ich glaube es nicht, und Darwin selbst glaubte es nicht. Einige Schüler Dar- win’s sind in dieser Richtung viel weiter gegangen als der Meister, indem sie in der natürlichen Zuchtwahl den allgemeinen und alleinigen richtenden Faktor der Variationen erblieken. So entstand natürlich eine Reaktion, besonders von Seiten solcher, welehe die Evolution wohl annehmen, von der natürlichen Zuchtwahl, oder wie sie sagen, vom Darwinismus nichts wissen wollen. — Ich habe bereits in dieser Zeitschrift meinen Standpunkt erklärt; mich als Darwinisten er- kannt, aber im Sinne Darwin’s, nicht im Sinne Wallace’s und _ anderer Mitarbeiter und Schüler Darwin’s. Die Naturauslese ist ein hochbedeutender Faktor der Evolution, weleher in der Bestimmung der 398 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Variationsrichtungen die höchste Rolle spielt; sie ist aber bei weitem nicht der einzige und vielleicht sogar nicht der wirksamste. I. Geschleehts- und Species-Charaktere; etwas Humoris- mus in der Ontogenie. Von Seiten der Entomologen hat die Descendenztheorie damals starken Widerstand gefunden. Es schien die neue Lehre die den Käfer- und Schmetterlingssammlern lieben Species vernichten und in die mit großer Mühe geordneten Fächer wieder die wildeste Verwirrung bringen zu wollen. Nach und nach wurde doch von den meisten das Prinzip der Evolution anerkannt, und manche wertvolle Stütze kam diesem Prinzip von entomologisch-biologischen Beobachtungen zu Gute. Aber aus der Entomologie erwachsen der Descendenztheorie und besonders der Zuchtwahlhypothese bedeutende Schwierigkeiten. Die sekundären Geschlechtscharaktere lassen sich durch die bis jetzt vorgeschlagenen Theorien nicht leicht erklären. Da diese Merk- male für die Erhaltung des Individuums meist keinen direkten Nutzen haben, so muss die Naturauslese, wenn sie bei ihrer Ausbildung ge- wirkt hat, in ganz besonderer Weise thätig gewesen sein, denn nach der reinen Zuchtwahltheorie muss jede bevorzugte Eigenschaft eines Tieres demselben nicht nur nützlich, sondern sogar unentbehrlich ge- worden sein. Diese Schwierigkeit überwand Darwin mit der Hypothese der geschlechtlichen Zuchtwahl. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Hypothese in Bezug auf einige höhere Tiere wirklich zutrifft. Der Gesang der Singvögel, die sonderbaren Sitten der Laubvögel Neu- Guineas und manche Besonderheiten in der Lebensweise von Säugern und Vögeln lassen sich, wie Poulton noch zuletzt bemerkt hat, kaum anders deuten; sie scheinen sehr wahrscheinlich als Folge der Wahl der begabtesten Gatten ausgebildete Eigenschaften und Gewohnheiten zu sein. Bei polygamen Vögeln, und zu diesen gehören viele der am schönsten verzierten Arten, pflegt aber das Weibchen gar keine Wahl zu üben: die Männchen kämpfen unter einander und die Weibchen gehören dem Sieger. Die Darwin’sche Hypothese der Geschlechtswahl wird deswegen heute meist aufgegeben, oder nur für eine beschränkte Zahl von Fällen angenommen. — Für viele Vögel mag ein Erklärungsver- such gelten, wovon ich vor Jahren gelesen (auf den Namen des Autors kann ich mich nicht mehr erinnern), nämlich, dass die Verzierungen des brunstigen Männehens Aufforderungszeichen sind, durch welche die Vögel gegenseitig zum Kampfe gereizt werden. Ist es aber not- wendig, dass der Pfau oder der Argusfasan ihre wunderbaren Schwanz- federn besitzen um streitlustig zu werden? In der Kampfzuchtwahl dürfte der Stärkste eher als der Schönste siegen; oder man müsste einen mysteriösen Zusammenhang zwischen Kraft und feine Verzierung annehmen; denn es handelt sich nicht nur um lange Federn und leb- Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 399 hafte Farben, sondern oft um zierliche, für unsere Augen kunstvoll disponierte Zeichnungen und Farbenkombinationen. Aber Vögel sind relativ hochbegabte Tiere; wir können leicht dazu veranlasst werden ihnen menschliche Gefühle zuzuschreiben wie Neid, Stolz u. dergl. Mir scheint aber dieser Erklärungsversuch doch ungenügend; ieh will also gerne gestehen, dass, obschon wir durch Vergleichung im Stande sind die morphologische Seite der Phylogenie der Pfauenfeder zu kon- struieren, die biologische Grundlage derselben uns unbekannt bleibt!). Wallace’s Meinung, dass die bunten Farben der Schmetterlinge als Erkennungszeichen bei der Paarung nützlich sind, und als solche gezüchtet werden, mag für viele Fälle zutreffen, scheint mir aber auch keine genügende Erklärung der Thatsachen zu liefern. Da bei Sehmetter- lingen als Blumenbesucher der Farbensinn hoch entwickelt sein muss, werden sie auch auf die Farbenverschiedenheiten ihrer gleichen auf- merksam sein und ihre Augen zur Erkenntnis des richtigen Gatten benutzen. Die Entstehung neuer Muster und Farbentöne muss aber auf andere, unbekannte Ursachen zurückgeführt werden ?). Noch schwieriger sind die für unsere Augen sehr auffallenden Geschlechtsmerkmale vieler Käfer, namentlich Lamellieornier, deren Kopf und Thorax die wunderbarsten Hörner und Anhänge trägt. Manche haben sich schon bemüht die Bildung dieser „Verzierungen“ zu er- klären, und auch der jüngste Versuch Mingazzini’s, welcher ver- mutet, dass die Hörner zuerst als Grabwerkzeuge entstanden und später durch Geschleehtszuehtwahl beim Männchen vergrößert wurden, scheint mir nieht besonders gelungen. Für die Ernährung und sonstige vom Geschlechtsleben unabhängige Verhältnisse sind die meisten jener Anhänge unwesentlich, da sie den Weibehen fehlen. Aber auch für das Geschlechtsleben scheinen sie nieht unentbehrlich zu sein, denn dagegen spricht ihre ganz außerordentliche Variabilität. Sollten die Weibchen unter den Männchen wählen, so würden sie eine bestimmte Form bevorzugen und die Variabilität ihrer Gatten eingeschränkt bleiben. Entweder gibt es in der Natur keine Auslese, oder die Hörner der Lamellicornier, die Mandibeln der Lucaniden und dergleichen liegen außer ihrem Bereiche, weil sie für ihre Besitzer weder nützlich noch schädlich sind. Auch hier ist die biologische Grundlage der morpho- logischen Erscheinungen völlig unbekannt und, wie ich glaube, von der Naturauslese ganz unabhängig. Wollen wir nicht das Eingreifen übernatürlicher Kräfte zur Hilfe 1) Tylor’s Ansichten über physiologische Ursachen des Farbenschmuckes, von Wallace angenommen, sind von Poulton treffend kritisiert und zum Teil widerlegt worden, 2) Dass Farben und Verzierungen beim Werben vorgezeigt werden, ist That- sache, und für viele Tiere zweifellos bewiesen: sie wirken wohl als Reiz für das entgegengesetzte Geschlecht; ebenso das Leuchten der Leuchtkäfer; aber wodurch sind sie entstanden? und woher ihr Geschlechtsdimorphismus ? 400 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. rufen, so müssen wir innere Ursachen vieler Geschlechtsmerkmale an- nehmen, welche die Veränderungen der Organismen bewirkt haben, wodurch aber niehts erklärt wird, so lange wir diese Momente nicht kennen. Bevor wir auf eine Erklärung verziehten, wollen wir suchen ob eine solche nicht teilweise möglich ist. Fragen wir zunächst, worin besteht das Wesen des Geschlechts- dimorphismus? und diese Frage führt uns auf eine allgemeinere: worin besteht das Wesen der Species? Scheinbar unterscheidet sich eine Species!) von der anderen durch allerlei morphologische und biologische Eigenschaften; diese und jene erscheinen im Laufe der Ontogenese nach einander, können länger oder kürzer dauern, dem einen Geschlecht oder beiden eigen sein oder nur bei geschlechtslosen Individuen vorkommen oder bei Generationswechsel nur in einer bestimmten Generation des gesamten Zyklus. Alle diese Eigenschaften sind aber nichts als Erscheinungen, welche von der morphogenetischen und physiogenetischen Thätigkeit des lebenden Keimes abhängen. — Im Ei ist die Species ebenso vollkommen bestimmt wie im fertigen Organismus. Das Wesen der Species liegt also, wie aus der Gesamtheit der neueren biologischeu Forschung erhellt, in der uns größtenteils noch unbekannten Beschaffenheit, d. h. in der chemischen und molekulären Struktur des Keimes. — Im Laufe der Onto- genese bilden sich nach und nach die eimzelnen Organe aus und treten in Thätigkeit. Warum ein Organ früher, ein anderes später ausge- bildet wird, wissen wir nicht. Den mittelbaren Grund dieser Erschei- nungen finden wir zum Teil in der Phylogenese, d. h. im sogenannten „biogenetischen Grundgesetz“ zum Teil in Anpassung an besondere Lebensverhältnisse. Die unmittelbare Ursache dürfte aber ein beson- derer Reiz sein, welcher zu einem gewissen Moment auf einen be- stimmten Teil des Organismus einwirkt und ihn zur Ausbildung seiner Struktur und zur Entfaltung seiner Funktion treibt. Dabei wirken die einzelnen Körperteile auf einander und auf den gesamten Organismus. Worin diese besonderen Wirkungen bestehen, ist lange Zeit in tiefstes Dunkel gehüllt gewesen. Erst die neueste Forschung, besonders im Gebiete der Pathologie gestattet uns einen Einblick in diese verwickelten Verhältnisse. Durch diese Arbeiten tritt in der Wissenschaft der Humorismus in neuer Form auf; die chemische Zusammensetzung der Körpersäfte erweist sich als für viele Erscheinungen des normalen und krankhaften Lebens maßgebend. Das unter der Herrschaft der Cellular- pathologie etwas vernachlässigte Blut ist wiederum für den Biologen „ein ganz besonderer Saft“. Wollen wir die Geschichte jener Errungenschaften der Physio- pathologie verfolgen, so können wir ihren Anfang in den Arbeiten 1) Als Species betrachte ich hier jede einigermaßen fixierte erbliche Form, abgesehen davon, ob sie vom Systematiker als Art, Rasse oder Varietät auf- gefasst wird. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 401 erkennen, welche vor 20 Jahren durch die Praxis der Tierbluttrans- fusion eingeleitet wurden. Es erwies sich, dass das Blutplasma ge- wisser Tiere auf die Blutzellen anderer Arten zerstörend wirkt. Blut eines Tieres konnte also für ein anderes, dem es eingespritzt wurde, siftig sein. Noch heftigere Gifte enthält nach Mosso das Blut ge- wisser Fische, besonders der Muraeniden. Die chemische Beschaffen- heit dieser Gifte wurde, soviel ich weiß, noch nicht ermittelt. Aus Analogie können wir aber denken, dass hier, wie nach Mitchell und Reichert für das Schlangengift und wie für manche pathologische Blutgifte, albuminoide Stoffe und zwar sogenannte Globuline die Haupt- rolle spielen. Nun kamen die Resultate bakteriologischer Forschungen hinzu. Es kann als bewiesen betrachtet werden, dass die Wirkung der patho- genen Spaltpilze auf den Organismus hauptsächlich darauf beruht, dass sie Gifte absondern, welche auf das Nervensystem, sowie auf andere Organe des Körpers einwirken !). Es ist nämlich gelungen dureh Einspritzung vollkommen steriler und bakterienfreier Flüssig- keiten dieselben krankhaften Erscheinungen zu stande zu bringen wie durch die lebenden Kulturen. Sogar scheinen gewisse Bakterien-Gifte (z. B. Cholera) nicht direkt auf den Gesamtorganismus einzuwirken, sondern nur mittelbar, indem sie die Körpersäfte oder die dieselben ausscheidenden Organe nach Art eines Fermentes verändern und so zur Bildung allgemeingiftiger Stoffe führen; dass dem so ist, beweist die Thatsache, dass der Einspritzung geringer Mengen solcher Gifte ein Inkubationsstadium folgt, nach welchem erst später der Ausbruch der Krankheit stattfindet. Vielleicht gibt es sogar Infektionskrank- heiten, bei welchen durchaus keine Bakterien oder sonstige Para- siten eingeführt werden, sondern bloß chemische Fermente; eine solche Krankheit ist wahrscheinlich die Hundswut, eine andere vielleicht die Syphilis. — Uebrigens werden auch bei nicht ansteckenden Krank- heiten spezifische Gifte gebildet, so z. B. bei Epilepsie, wo Stoffe, welche durch den Harn ausgeschieden werden, die Fähigkeit besitzen bei anderen Individuen ähnliche Krämpfe zu bedingen, wenn sie den- selben ins Blut gebracht werden. Infektionskrankheiten bewirken, ebenso wie allerlei Vergiftungen, physiologische Aenderungen des Gesamtorganismus. Sie können aber auch zu morphologischen Erscheinungen, zu Neoplasmen führen, wie 2. B. die Typhuslymphome und die Tuberkulose. Diese Neubildungen verdanken ihre Entstehung zweifellos der Einwirkung chemischer Reize, wie die Experimente Michel Prudden’s beweisen, welcher durch 1) Die Wirksamkeit derartiger Gifte ist manehmal wirklich erstaunend, und es genügen dazu verschwindend kleine Gaben, welche kaum dureh die _ Wage bestimmt werden können, wie die Experimente mit dem sogenannten Koch’schen Tuberkulin bei tuberkulösen Tieren zeigen. XII. 26 409 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. quisite diffuse Tuberkulose zu erzeugen im stande war. — Ebenso wie pathologische Gifte dürfen wir annehmen, dass auch physiologische Reizstoffe im stande sind, nieht nur funktionelle, sondern auch Wachs- tums-Erscheinungen zu bestimmen. Sie dürfen in der Ontogenese eine eroße Rolle spielen: es sind wahrscheinlich höchst komplizierte und in sehr geringer Menge wirksame Mischungen von Albuminoiden. Solche Substanzen sind als Produkte des Stoffwechsels gewisser Zellgruppen oder Organe des Körpers zu betrachten. Einige derselben existieren wahrscheinlich bereits im Ei: andere entstehen während der Entwick- lung desselben in verschiedenen Zeiten und werden von verschiedenen Organen nach einander gebildet. Infektionskrankheiten bewirken meist, wenn nicht der Tod folgt, temporäre oder dauernde Immunität des Organismus gegen das spezi- fische Gift der überstandenen Infektion. Worin diese Immunität be- stehe, war lange ein ungelöstes Problem. Jetzt wissen wir, dass der Grund derselben in der chemischen Beschaffenheit des Blutes und zwar des Blutserums liegt. Es handelt sich um Stoffe, welche im Blut ge- löst sind und die Fähigkeit besitzen die krankheiterregenden Gifte zu zersetzen. Dieses wird nicht nur durch die Experimente in vitro bewiesen, sondern noch besser durch die Uebertragbarkeit der Im- munität von einem Tier auf das andere mittels Einspritzung von Blut- plasma, oder sogar von isolierten Bestandteilen desselben. — Von dieser erworbenen Immunität, welche ihren Grund in der Zusammen- setzung des Blutes hat, scheint die gewissen Species und Rassen an- geborene Widerstandsfähigkeit gegen bestimmte Infektionskrankheiten verschieden, da das Blutserum dieser Tiere, sofern es bis jetzt unter- sucht wurde, die Fähigkeit nicht hat die betreffenden pathogenen Gifte zu zerstören. Jede dauernde Veränderung des Blutes muss aber ihren Grund in entsprechenden Modifikationen bestimmter Organe haben, welchen die Bildung der Blutbestandteile zukommt. Wie die angeborene Immunität kann auch die künstlich erworbene durch Vererbung übertragen werden, und zwar vom Vater auf die Kinder, was nur im Akte der Zeugung geschehen kann. Tizzoni hat dieses für tetanusfeste Mäuse und für hundswutfeste Kaninchen mehrfach bestätigt. Wie mir derselbe mündlich mitteilt, beruht die Immunität der Jungen ebenso wie die ihres Erzeugers auf der Be- schaffenheit des Blutserums !). Einen weiteren Beweis, dass Veränderungen des Gesamtorganismus von Produkten des Stoffwechsels bestimmter Teile hervorgerufen werden 4) Diese in Folge der Zeugung geerbte dauernde Immunität ist nicht zu verwechseln mit einer vorübergehenden Festigkeit, welche von der Mutter dureh Diffussion im Placentarkreislauf, oder von der Amme durch die Mileh übertragen werden kann. Seitdem diese Zeilen geschrieben sind, hat Behring die Vererbung der Immunität gegen Diphtheritis erzielt. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbunestheorie. 403 b} te} können, liefern uns pathologische Erscheinungen, welche nach Läsionen oder Exstirpation besonderer Organe eintreten. Sie werden dadurch bedingt, dass in Folge der Läsion die Bildung wichtiger Stoffe oder die Zerstörung gefährlicher Gifte sistiert wurde. So entsteht nach totaler Exstirpation der Schilddrüse die sogenannte Cachexia strumi- priva; nach Läsionen der Nebennieren der Morbus Addisoni; in diesem Falle wirkt, wie Abelous und Langlois bewiesen haben, ein be- sonderes Gift, welches von den Muskeln erzeugt und sonst von den gesunden Nebennieren zerstört wird, auf das Nervensystem. Der Dia- betes, welcher der totalen Exstirpierung des Pankreas folgt, hängt dagegen von der Abwesenheit eines von dieser Drüse erzeugten Fer- mentes ab, und wird nach Minkowsky durch einbringen von Pankreas in die Leibeshöhle aufgehoben. Ebenso kann die Cachexia strumipriva durch Transplantierung von Stücken der Schilddrüse geheilt werden. Auch von den Geschleehtsdrüsen dürfen wir annehmen, dass sie Stoffe absondern, welche auf den Gesamtorganismus und besonders auf die Haut und das Nervensystem einwirken. Abgesehen von den noch nicht genügend nachgeprüften Versuchen Brown-Sequard’s mit Hodensaft als Stärkungsmittel bei erschöpften Personen, scheinen die Veränderungen, welche in Folge der Kastration oder nach der senilen Involution der Geschlechtsdrüsen stattfinden am besten dureh eine solche Annahme erklärbar. Nebenprodukte der Geschlechtsfunk- tion üben wahrscheinlich auf verschiedene entwickelte oder in Ent- wicklung begriffene Organe einen besonderen Reiz, oder treten der Wirkung anderer Reize entgegen, wodurch bei Zerstörung oder Funk- tionsunfähigkeit der männlichen oder weiblichen Drüsen morphologische und physiologische Eigenschaften des entgegengesetzten Geschlechts hervorgerufen werden. Derart entstehen wohl die meisten Fälle jener merkwürdigen Erscheinungen, welche A. Brandt bei den Vögeln als Arrhenoidie und Thelyidie geschildert hat. Es könnte angenommen werden, dass die sekundären Geschlechts- charaktere ihre unmittelbare Ursache darin haben, dass verschiedene Organe auf chemische Reize, welche von den Geschlechtsdrüsen aus- gehen, reagieren; diese Reaktion ist für jede Species nieht die gleiche; sie hängt von der Qualität des spezifischen Keimplasma ab, denn die verschiedenen Species-Plasmen müssen gegen gleiche Reize eine quali- tativ sowie quantitativ verschiedene Empfindlichkeit besitzen. Durch diese Annahme ist aber das Problem nicht gelöst; die besonderen Ab- stufungen der Formen, die Pracht der Farben, die komplizierten Zeich- nungen, kurz, alles scheinbar Kunstvolle in der Geschlechtsverzierung der Tiere bleibt wie früher unerklärt. Auf Grund der Weismann’schen Vererbungstheorie ließe sich dieser Satz so ausdrücken, dass die männlichen Determinanten der geschlechtsdimorphen Organe dureh die Produkte der männlichen Keim- drüse zur Thätigkeit angeregt werden, die Wirksamkeit der weiblichen 20 404 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Determinanten derselben Körperteile dagegen herabgesetzt und um- gekehrt. Es scheint mir aber nicht notwendig doppelte Determinanten für jedes geschlechtsdimorphe Organ zu postulieren, wodurch dem Keim- plasma eine übermäßige Komplikation zugeschrieben wird. Es würde doch genügen anzunehmen, dass die Bestimmung des Geschlechtes durch eine besondere Determinante, die wir je nach dem Geschlecht d- resp. 2 -Determinante nennen können, erfolgt. Bei männlicher Bestim- mung des Individuums würden viele oder sogar alle Körper- teile neben ihren eigenen Determinanten auch die des einen Ge- schlechtes enthalten; Determinanten des entgegengesetzten Geschlechtes würden fehlen, oder überall in Minderzahl vorhanden sein. Anormaler- weise könnten aber, z. B. bei einem 5-Tier, in einzelnen Organen 2 -Determinanten in Mehrzahl vorhanden sein oder umgekehrt. Da- durch würden sich alle wirklichen und scheinbaren Hermaphroditismus- Fälle erklären lassen!). Die Ausbildung jedes geschlechtsdimorphen Organs würde bestimmt sein durch kombinierte Wirkung seiner eigenen Organ-Determinanten und der allgemeinverbreiteten S- oder 2 -Deter- minanten. Die Auslösung ihrer Thätigkeit dürfte in Folge von aus den Geschlechtsorganen entstandenen Reizstoffen geschehen. Es lässt sich annehmen, dass die Geschlechtsdeterminanten in den einzelnen Tierspecies im Körper verschiedenartig verteilt sind, wodurch erklärt werden kann, dass gewisse Organe bei einer Art starken Dimorphismus zeigen, bei anderen wenig oder keinen. II. Die Kontinuität und Veränderlichkeit des Keimplasmas; die Bedeutung der Konjugation der Keimzellen. Die Lehre von der Kontinuität des Keimplasmas, wie sie haupt- sächlich von Weismann aufgestellt und ausgebildet wurde, ist eine der fruchtbarsten Hypothesen, welche im Gebiete der Descendenztheorie gemacht worden sind. Minder glücklich war der Versuch desselben Forschers in der Amphimixis, d. h. in der Vermischung der reduzierten Idioplasmen bei der Befruchtung den Hauptgrund der Variationen und der Speciesbildung zu setzen. Durch derartige Vermischungen können zwar neue Kombinationen entstehen, aber nur solche alter Charaktere, niemals wesentlich neue Eigenschaften der Organismen. Damit aber die sich in der Gonadenreifung und Paarung trennenden und verbin- 1) Es kann auch stattfinden, dass der ganze Körper normal das Gepräge des einen Geschlechts zeigt, während die Geschlechtsorgane dem entgegen- gesetzten Geschlecht gehören. Ein soleher Fall kommt bei einer Ameise, Ponera punctatissima var. androgyna Rog. vor. Bei dieser Varietät gibt es keine normalen Männchen, sondern nur solche, welche den Körperbau einer Arbeiterin und (wie es bei aculeaten Hymenopteren für das weibliche Ge- schlecht Regel ist) 12 gliedrige Antennen haben. Das normale S von Ponera punctatissima ist geflügelt, hat ganz andere Körperform und 13 gliedrige Fühler. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 405 denden Iden von einander verschieden seien, ist es notwendig ihnen eine gewisse selbständige Variabilität im Laufe der Phylogenese zuzu- schreiben. Wird nun eine solche Veränderlichkeit der Elemente des Keimplasmas angenommen, so genügt sie auch allein um Variationen zu erklären. In seinem neuesten Buch hat Weismann dieses aner- kannt und ich kann ihm darin nur beistimmen. Lebt das Keimplasma als unsterbliches Substrat des sterblichen Organismus durch die einanderfolgenden Generationen fort, so ist es denkbar, dass, wenn es eimmal angefangen hat sich in seiner intimen Beschaffenheit zu verändern, diese Veränderung in derselben Richtung fortschreiten wird, so lange sie nicht in Folge neuer Einflüsse sistiert oder auf eine andere Bahn geleitet wird. Nach dieser Hypothese wären die Veränderungen des Keimplasmas, wenigstens zum Teil, von Natur progressiv und würden sich von einer Generation auf die andere fort- setzen und häufen; dadurch würden die aufeinanderfolgenden Genera- tionen einer Reihe, sobald sie begonnen haben zu variieren, vom Mutter- organismus immer verschiedener werden. Es gibt Organismen, die sehr konstant sind, andere, welche in gewissen Körperteilen oft und beträchtlich variieren. So pflegt bei wilden Säugetieren die Farbe des Pelzes ziemlich beständig zu sein und nur einzelne Arten, wie z. B. der Kuskus, zeigen in dieser Bezieh- ung eine Variabilität, die sonst nur bei Haussäugetieren vorkommt. Solche Fälle sind aber in der freien Natur selten, weil die Charaktere der Organismen in Folge des Kampfes ums Dasein meist in zweck- mäßigen Formen fixiert worden sind. Ebenso verhalten sich die Farben der Blumen. Wird aber eine Pflanze wegen ihrer Blume kultiviert, und hat sie begonnen zu variieren, so werden sowohl Größe als Form und Farbe der Blumen immer mehr veränderlich. Es wäre von größtem Interesse dureh Experimente nachzuforschen, ob derart durch Kultur veränderlich gewordene Arten regellos variieren oder, ohne Einfluss natürlicher oder künstlicher Zuchtwahl, in ihren Variationen bestimmte Bahnen halten. Nun tritt bei höheren Organismen und bei vielen Einzelligen den progressiven Aenderungen des Keimplasmas in der Kopulation der Gonaden ein wichtiges Hindernis entgegen, da durch Mischung zweier Keimplasmen mit verschiedenen Variationstendenzen dieselben ausge- gliehen werden können. Durch die freie Kreuzung wird die Bildung der Variationen gehemmt; die Isolierung von Individuen oder von kleinen Individuen-Gruppen wird die Bildung von Varietäten begün- stigen, indem im Laufe mehrerer Generationen nieht alle möglichen Variationen, sondern nur eine gewisse Anzahl derselben summiert und dieselben dadurch zum Teil nicht ausgeglichen werden. Aus jeder derart isolierten Individuengruppe wird im Laufe einiger Generationen eine besondere neue Form entstehen können, ohne dass dabei die Naturauslese oder ein direkter Einfluss von Nahrung und A406 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Klima in Wirkung treten. Hierin bin ich mit Gulieck vollkommen einverstanden. Die Isolierung kann aber nicht wirksam sein, wenn die isolierten Individuen und Individuengruppen in ihrem Keimplasma nicht besondere Variationstendenzen mit sich bringen, welche in ihnen ent- standen oder von ihren unmittelbaren Erzeugern vererbt worden sind!), Variationstendenzen sind also ein notwendiges Postulat, wenn wir Entstehung neuer Formen in Folge von Isolierung annehmen wollen. Dass aber in Folge von Isolierung allein erbliche Variationen, resp. Species entstehen können, scheinen mir eben die Achatinellen- Studien Gulick’s, trotz der gegen dieselben gerichteten Kritik Wal- lace’s mit voller Gewissheit bewiesen zu haben. Auf derartige Variationstendenzen möchte ich auch eine Reihe von Thatsachen zurückführen, welche Darwin durch „unbewusste Zucht- wahl“ erklärt. In diesen Fällen strebten verschiedene Züchter da- nach ihre Schaf- oder Taubenrasse, welche sie von derselben Quelle bezogen hatten, nicht etwa zu verbessern oder zu verändern, sondern möglichst rem zu halten; dennoch wurden die isolierten Zuchten von einander verschieden. Sie divergierten von einander gerade wie die in den einzelnen Thälern der Sandwich-Inseln abgeschlossenen Acha- tinellen - Gruppen. Durch die Annahme von Variationstendenzen lassen sich die nach- teiligen Folgen der Inzucht leicht erklären. Schädliche Variationen treten wohl häufiger auf als nützliche; werden sie nicht durch Kreuzung ausgeglichen, sondern durch Inzucht begünstigt, so erfolgt Schwächung der Nachkommen und schließlich zu Grunde gehen des geschwächten Geschlechts. — Es ist also fortgesetzte Inzucht nicht an und für sich schädlich, sondern nur dadurch, dass sie die Variation nach jeder von den Stammeltern der kopulierenden Blutverwandten eingeschlagenen Richtung begünstigt, wodurch schädliche Variationen einen solchen Grad erreichen können, dass sie verderblich werden. — Wenn bei ge- wissen Arten die Paarung unter Blutverwandten zu bestimmten Fehlern führt oder steril bleibt, wie z. B. vom Menschen behauptet wird, so beruht dieses wahrscheinlich auf uns noch ganz unbekannten Gründen, weiche mit Anpassung nnd Naturauslese gar nichts zu thun haben. Es gibt aber Tiere die nie kopulieren: Hermaphroditen, welche sich selbst befruchten (Aseidien, Cirripedien), Arten, welche sich nur parthenogenetisch fortpflanzen (Rhodites rosae, einige Entomostraken). Auch viele Pilze scheinen keine Kopulation einzugehen. Pflanzen die nur kleistogame Blüten hervorbringen, sind auf Selbstbefruchtung an- gewiesen, gerade wie viele hermaphrodite Tiere. Auch bei gewissen Ameisen kann in Folge des Ungeflügeltbleibens der Weibchen (Dory- liden und einige andere) oder der Männchen (Anergates, Formicowenus, 4) Die Existenz und Wirksamkeit von Variationstendenzen ist sonst bereits von anderen Autoren, namentlich von Nägeli und von Döderlein hervor- gehoben worden, Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 407 Ponera punctatissima-androgyna und, wie Forel kürzlich gefunden hat, bei mehreren Cardiocondyla-Arten) die Begattung nur unter Ge- schwistern erfolgen. Trotz der zur Regel gewordenen Inzucht, bestehen diese Arten unbeschadet fort. Wir dürfen annehmen, dass alle diese Organismen nur in geringem Grade variabel sind und deswegen die sonst gefährlichen Folgen der Inzucht und der Parthenogenese er- tragen können. Aber gerade von diesen beiden Arten der Zeugung lässt sich behaupten, dass sie zur Beschränkung der Variationsfähig- keit führen müssen. Betrachten wir zuerst nur die Kombinations-Varietäten in der Amphimixis. Falls durch längere Zeit immer Paarung der Geschwister erfolgt, so werden in den ersten Generationen durch verschiedene Kombi- nationen der Iden noch mannigfache Variationen erzielt werden können. Da aber bei jeder nachfolgenden Generation das Keimplasma beider Gatten gleichartiger und einfacher wird, weil bei den Reduktionsteilungen der Kerne die eine oder die andere Iden-Sorte zu fehlen kommt, so werden am Ende die Keimplasmen nur aus sehr wenigen Sorten von Iden be- stehen und diese werden je in sehr großer Anzahl vorhanden sein, wodurch jede weitere Ausschaltung einer Iden-Art beinahe unmöglich gemacht wird. So würde, nach der Weismann’schen Amphimixis- Theorie, die fortgesetzte Inzucht nach und nach zum Erlöschen der Variabilität führen. Dieser Beweis genügt aber nicht, wenn wir annehmen, dass das Keimplasma unabhängig von der Iden-Mischung variieren kann, näm- lieh, dass die vorhandenen Iden in ihren Eigenschaften verändert werden können. Diese Art der Variation des Keimplasmas dürfte trotz der fortgesetzten Inzucht bestehen. Trotzdem scheint mir, dass ein komplizierter zusammengesetztes Keimplasma zu Variationen leichter Veranlassung geben wird als ein solches mit einförmigerer Struktur. Ist die Fixierung der in beständiger Inzucht sich fortpflanzenden Organismen nur eine Vermutung, so hat Weismann das unveränderte Bestehen zweier Varietäten einer parthenogenetischen Oypris-Art durch viele Generationen verfolgt. Nach seiner Theorie würde diese Be- ständigkeit ihren Grund haben im Mangel einer Reduktionsteilung beim reifenden parthenogenetischen Ei. Nur eine einzige Aenderung sah W. mehrfach auftreten: nämlich, dass aus einer Varietät Exemplare der anderen entstanden und umgekehrt, was Verfasser auf eine Ver- änderung der Iden-Kombination im Keimplasma zurückführt. — Die Einfachheit des Falles scheint mir aber noch mehr zu beweisen: näm- lich, dass die Zusammensetzung des Keimplasmas jener Tierart so ein- fach geworden ist, dass nur noch sehr wenige Idenkombinationen möglich sind, vielleicht nur die beiden beobachteten. Wir können mit W. annehmen, dass durch zufällige Ausschaltung einzelner Idensorten bei unvollkommenen Aequationsteilungen des Eikerns das Keimplasma 408 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. der Parthenogeneten Verluste erlitten hat, die es nicht mehr zu er setzen im Stande war. Auf welcher Ursache das Ausbleiben der zweiten (Halbierungs-) Teilung beim reifenden parthenogenetischen Ei beruht, scheint mir bis jetzt nicht genügend klargelegt. In allen Fällen, wo dieses Ausbleiben erwiesen ist, handelt es sich um Eier, welche sich rascher entwickeln als die befruchtungsbedürftigen Eier derselben Tierspecies, während in der typischen Parthenogenese die bei der Zeugung vieler Hyme- nopteren-Männchen stattfindet, das zweite Richtungskörperchen normaler- weise ausgeschieden wird. Und doch dürfte die Entwicklung der nicht befruchteten Eier m Folge der Massenabnahme gehemmt oder verlang- samt werden. Letzteres ist aber entschieden nicht der Fall. Es scheint mir deswegen wahrscheinlich, dass das Ausbleiben der zweiten Teilung des Eikerns vielmehr mit der Bildung von sog. Subitaneiern als mit der Parthenogenese zusammenhänge. Ist aber die zweite Kernteilung des reifenden Eies wirklich eine Reduktionsteilung, so würde im Falle der eingeschlechtlichen Erzeugung der Hymenopteren-Männchen im Laufe weniger Generationen eine be- denkliche Vereinfachung in der Zusammensetzung des Keimplasma ein- treten. Welche Mittel in der Natur zur Vermeidung dieser Nachteile wirken bleibt künftiger Forschung vorbehalten. Wir können 3 verschiedene Weisen und Ursachen der Variation der Organismen annehmen: 1) Primäre Variationen: entstanden in Folge von intimen Veränderungen des Keimplasmas, welche auf Bildung neuer Sorten von Iden oder auf Veränderung bereits vorhandener Idenarten beruhen. Sie sind erblich; sind wahrscheinlich oft von Natur progressiv; können zur Bildung neuer Speeies führen. 2) Sekundäre Variationen: entstanden durch verschieden- artige Kombinationen von Idensorten, welche im Keimplasma bereits vorhanden waren; zu ihrer Bildung wirken die Vorgänge, welche sich bei der Reifung und Konjugation der Gonaden abspielen. Sie sind erblich; führen zu individueller Variation; können aber auch in Folge von Isolierung fixiert werden und zu Speciesbildung führen. Tertiäre Variationen: entstanden durch Einfluss der Außen- welt auf den sich entwiekelnden Organismus. Meist nicht erblich. Sie werden es nur unter Umständen, die weiter er- örtert werden sollen. Die sekundären Variationen, die ich zu Ehren des Forschers, weleher ihre Wichtigkeit besonders hervorgehoben hat, „Weismann’sehe Variationen“ nennen will, entsprechen jener beschränkten Variations- fähigkeit, welche die Linne’sche Sehule immer angenommen hat. Sie bewegt sich in einem weiteren oder engeren Kreis von verschiedenen Kombinationen, die aber eine bestimmte Grenze nicht überschreiten; wo Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 40) denn sie können nichts wesentlich Neues schaffen, sondern nur schon vorhandene Vererbungselemente kombinieren. Bei Isolierung und Inzucht können selbstverständlich solche Variationen fixiert werden. Ein großer Teil der Eigenschaften der domestizierten Tier- und Pflanzenrassen ist wahrscheinlich durch fixierte Weismann’sche Variationen entstanden. Dureh diese Art der Variation wird sonst die Beschaffenheit des Plasma der Gonaden wenig oder kaum verändert, und daraus erklärt sich die Fruchtbarkeit der Kreuzungen unter Haustier- und Gartenpflanzen- rassen. Wahrscheinlich existieren in der freien Natur auch vielfach fixierte Weismann’sche Variationen; solche werden sich dort bilden, wo Inzucht eine Zeit lang bestanden hat, wie z. B. bei Kolonisierung abgeschlossener Territorien oder Inseln von Seiten eines oder weniger Paare. Da aber die Inzucht auch die primären Variationen in hohem Grade begünstigt, so hat eine solehe, wenn sie entstanden und dem Organismus nicht nachteilig ist, große Wahrschemlichkeit zu bestehen und zur Bildung einer neuen Form (Varietät, Rasse oder Species) zu führen. Besteht aber, wie bei der kleistogamen Zeugung und in ähnlichen Fällen bei Tieren, fortwährend Selbstbefruchtung oder Paarung der Geschwister, oder wie bei Parthenogenese überhaupt keine Paarung, so wird in Folge der successiven Ausschaltung emzelner Idensorten die Zahl der möglichen Weismann’schen Variationen immer be- schränkter, und allmählich auf eine ganz geringe Zahl (bei Oypris reptans nur 2) reduziert; wir könnten uns auch einen Fall denken, wo keine solche Variationsfähigkeit mehr bestünde. Es würden dann hur noch primäre und tertiäre Variationen stattfinden können — erstere dazu in Folge der Vereinfachung der Keimplasmastruktur wahrschein- lich in beschränktem Maße. Während nun Kombinationsveränderungen des Keimplasmas fast bei jeder Zeugung stattfinden, ist wahrscheinlich die Bildung neuer Sorten von Iden resp. von Determinanten keine sehr häufige Erschei- nung. Ist aber ein solches neues Vererbungselement im Keimplasma entstanden und hat es begonnen sich darin zu vermehren, so wird die Vererbung der damit verbundenen neuen Körpereigenschaften auf die Nachkommenschaft mächtig einwirken, und so durch einen einzigen Erzeuger auf viele Exemplare übertragen werden. Dass es wirklich solche Individuen gibt, welche ihre eigenen Charaktere trotz der Kreuzung mit anders beschaffenen Gatten mit großer Energie zu übertragen fähig sind, ist eine bekannte Thatsache. Ich brauche nur an die oft er- wähnte Geschichte gewisser sechsfingeriger Mensehenfamilien oder des Ancon-Schafes zu erinnern. Derartige Fälle werden auffallender, wenn die Variation gleich als ein gewaltiger Sprung erscheint; sie werden aber in ihrem Anfange unbemerkt bleiben, wenn sie nur langsam und in progressiver Form auftreten. — Die Geschichte des Aneon-Schafes scheint mir in dieser Beziehung besonders lehrreich: die Thatsache, 410 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Verbungstheorie. dass bei Kreuzung des ersten Bockes mit anderen Schafen immer nur reine Ancons, oder ganz normalbeinige Lämmer entstanden, scheint mir die Möglichkeit, dass die Entstehung der neuen Rasse auf einer einfachen Kombinationsvariation des Keimplasmas beruhe, auszuschließen. Es hatte im befruchteten Ei, aus welchem das erste Ancon-Lamm sich entwickelte, ein neues Vererbungselement seine Wirkung entfaltet. Tertiäre Variationen führen zu den erworbenen Eigenschaf- ten des Organismus. Sind nun solche unter Umständen erblich? und wie können wir die Vererbung derselben erklären? Ich will es ver- suchen auf diesen schwierigen Gegenstand etwas Licht zu werfen. IH. Das Zymoplasma und die Vererbung erworbener Eigenschaften. Ich habe mieh im vorigen Abschnitt ganz auf dem Standpunkt der Weismann’schen Keimplasma - Theorie gestellt und versucht auf dieser Basis eine Theorie der blastogenen Variationen und ihrer Ver- erbung zu skizzieren. Die neueren Erfahrungen im Gebiete der Oyto- logie haben indessen bewiesen, dass die Chromosomen nicht die einzigen bei der Zellteilung wirksamen Bestandteile der Zelle sind. Eine nicht minder bedeutende Rolle spielen dabei die Centrosomen. Ob letztere aber auch bei der Vererbung mitwirken, möchte ich bis auf weitere Beweise nicht annehmen und lieber mit Boveri vermuten, dass ihre Thätigkeit sich in der Befruchtung äußert und auf diese beschränkt. Die Befruchtung wäre also ein von der Vererbung grundverschiedener Prozess. Sind die Keimplasmen resp. Chromosomen der männlichen und weiblichen Keimzelle gleichwertig, so sind es die Centrosomen nicht; auf ihrer Verschiedenheit beruht der Sexualdualismus. Ein Ei kann nicht durch ein anderes Ei befruchtet werden, und falls es zur jJungfräulichen Entwicklung unfähig ist, so bedarf es der Einwirkung einer männlichen Keimzelle, d. h. ihres Centrosoms. Ob nun die Iden, d. h. solide, organisierte Elemente des Keim- plasmas die einzigen Träger der Vererbung sind, möchte ich vorder- hand nicht als bewiesene Sache betrachten. Wie in die Entwicklungs- geschichte muss auch in die Vererbungstheorie der Humorismus ein- geführt werden. Dass erworbene Eigenschaften der Organismen wirklich vererbt werden können, scheint mir heute zweifellos. Es handelt sich hier nicht um vererbte Verstümmelungen, sondern um pathologische oder funktionelle Erscheinungen, welche meist keine sichtbaren morpho- logischen Folgen haben, aber dadureh nicht minder wichtig sind, denn wir müssen doch annehmen, dass meistens die morphologischen Eigenschaften der Organismen von biologischen Momenten bedingt worden sind und nicht umgekehrt. Ich will zunächst an die erblichen Folgen des Alkoholismus er- innern, welche, wie mir Prof. Forel schreibt, in vielen Fällen auch Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 411 bei Alkoholvergiftung des Vaters allein auftreten; an die Erbschaft der nervösen Reizbarkeit, wie sie in Folge der modernen Lebensver- hältnisse ieicht auftritt; ferner an die Epilepsie; was diese Krankheit betrifft, wissen wir, dass sie in Folge von Läsionen der Nervenzentren auftreten kann und dann auf operativem Wege manchmal heilbar ist, sowie, dass sie oft vererbt wird; und hier liegen sogar die mehrfach wiederholten Experimente Brown-Sequard’s vor, deren Beweiskraft durch die Kritiken Ziegler’s und anderer zwar geschwächt, aber meiner Ansicht nach nicht ganz aufgehoben wurde. Der Mechanismus der Vererbung der Epilepsie ist uns nicht be- kannt. Wenn wir aber bedenken, dass während der epileptischen Anfälle besondere Stoffe durch die Nieren ausgeschieden werden, welche, anderen Tieren eingespritzt, tetanische Zueckungen verursachen, so liegt die Vermutung nahe, dass bei der Vererbung der Epilepsie ein besonderer chemischer Zustand der Nervenzellen übertragen wird, vielleicht ein fermentartiger Stoff, welcher die Fähigkeit besitzt, ein tetanogenes Gift zu produzieren. Dieser Erklärungsversuch ist leider rein hypothetisch; seine Tragweite wird aber durch andere, experimentell streng bewiesene Fälle erhöht, in welchen wirklich eine chemische Veränderung der Leibessäfte erblich übertragen wird. Derart sind gerade die oben aufgeführten Beispiele von Vererbung künstlicher Immunität gegen Infektionskrankheiten. Diese Experimente, deren regelmäßiger Verlauf und Ausgang außer jedem Zweifel steht, lassen verschiedene Erklärungen zu. Man könnte annehmen, dass die eingeführten Stoffe sowohl auf die Biophoren der Leibeszellen als auf die denselben entsprechenden Elemente des Keimplasmas in den Keimzellen gleichzeitig einwirken, so dass sowohl das aktuelle Individuum als seine Nachkommen modi- fiziert werden. Es lässt sich aber auch vermuten, dass durch die modifizierte Thätigkeit gewisser Organe fermentartige Produkte entstehen, welche in die Keimzelle aufgenommen werden und, ohne einen integrierenden Teil des Keimplasmas (Idioplasma) zu bilden, neben diesem, dem sich aus dieser Zelle entwickelnden Organismus überliefert werden und während seiner Entwicklung und weiterem Leben ihre rein chemische Wirkung entfalten. Derartige Körper würden auch im normalen Orga- nismus vorkommen und jede Keimzelle würde davon mehrere Sorten enthalten; sie würden, neben dem hochorganisierten Keimplasma, deren Bestandteile während der Blastomeren-Teilung auf die einzelnen organ- bildenden Zellgruppen verteilt werden, einen einfacher gebauten aber im ganzen Leib gleichmäßig verteilten Bestandteil des lebenden Wesens ausmachen. Diesen Bestandteil der Keimzelle nenne ich „Zymo- plasma“. Das Zymoplasma ist der Einwirkung äußerer Verhältnisse des Organismus viel leichter ausgesetzt als das Keimplasma: die meisten vom Klima verursachten erblichen Variationen werden wahrscheinlich 42 ümery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. durch dasselbe vermittelt. Ebenso viele erbliche Krankheiten sowie individuelle funktionelle Eigenschaften. Dass Elemente, welche außer dem Keimplasma liegen, die Träger erblicher Eigenschaften sein können, beweisen vor Allem die erblichen Infektionskrankheiten. Als Paradigma kann die Pebrine des Seiden- spinners gelten, bei welcher in den Keimzellen thatsächlich die Sporen der infizierenden Mikrosporidie nachgewiesen sind. Ob aber alle In- fektionskrankheiten auf wirkliche Parasiten beruhen, ist bei weitem nicht bewiesen. Und gerade unter.den erblichen Infektionen ist für die Syphilis der Nachweis eines Parasiten noch nicht gelungen. Sollte die Zukunft diesen negativen Befund bestätigen, so wäre dieses für meine Zymoplasma -Hypothese eine gewaltige Stütze, da es kaum angenommen werden kann, dass durch die syphilitische Infektion die Elemente des Keimplasmas direkt angegriffen werden. — Die Er- schemungen der Skrophulose haben mit den syphilitischen große Aehnlichkeit, obsehon hier keime Infektion angenommen wird, sondern nur eine krankhafte Reaktionsfähigkeit der Gewebe gegen äußere Reize; worauf dieser krankhafte Zustand beruht, ist leider unbekannt. Die alten Aerzte nahmen in diesen und in ähnlichen Fällen eine Dyskrasie des Blutes an. Dazu neigt auch der moderne Humorismus; nur ver- langen wir heute etwas mehr als Worte und erwarten von der eben in Entwieklung begriffenen Wissenschaft der Blutchemie die maßgebende Antwort. Trägt das Keimplasma in seinem komplizierten Bau die Folgen der phylogenetischen Entwicklung des betreffenden Organismus, so steht das Zymoplasma hauptsächlich zu dem letzten Akt der Phylo- genese, d. h. der letzten Elterngeneration in Beziehung. Ersterem kommen hauptsächlich morphogenetische Eigenschaften mit ihren physio- logischen Konsequenzen zu; letzterem ausschließlich chemisch -physio- genetische Thätigkeit, welche aber auch auf die morphologische Be- stimmung des Organismus einwirken kann. Primäre und sekundäre (blastogene) Variationen der Bionten sind in ihrem innigsten Mechanismus von der Ausbildung und Mischung der Iden im Keimplasma abhängig. — Tertiäre (somatogene) Varia- tionen können dadureh erblich werden, dass sie die Zusammensetzung des Zymoplasma verändern. Durch die Annahme eines außer dem Keimplasma bestehenden allgemeinen Vererbungselements, des Zymoplasmas, wird die Keim- plasma-Theorie wesentlich unterstützt, weil dadurch dem Keimplasma selbst eine minder komplizierte Struktur zugeschrieben werden darf. IV. Weiteres über den Geschleehtsdimorphismus; plötz- liches Erscheinen neuer Eigenschaften. Im ersten Absehnitt dieser Schrift habe ich versucht zu zeigen, dass in vielen Fällen die sekundären Geschlechtsmerkmale dureh die ” Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 413 Naturauslese nicht gezüchtet worden sind. Ich will nun versuchen auseinanderzusetzen, wie der Geschleehtsdimorphismus entstanden sein mag und wie er in manchen Fällen wirklich entstanden sein muss. Ich gehe dabei von der oben ausgesprochenen Hypothese aus, dass die Ontogenese der sekundären Geschlechtscharaktere darauf beruht, dass das Idioplasma auf chemische Stoffe, welche von den Geschlechts- drüsen produziert werden, reagiert, und da diese Stoffe in beiden Geschlechtern nieht die gleichen sind, so ergibt sich schon daraus ein Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Individuen. Es ist merkwürdig genug, dass dasselbe Genus oft neben auf- fallend dimorphen Arten andere nahe verwandte enthält, deren Ge- schlechter einander sehr ähnlich sind, oder keine besonders beträchtliche Geschlechtsmerkmale aufweisen. Nehmen wir an, dass alle diese Species von einer Urform abstammen, so müssen wir dann fragen, ob letztere gleichartige oder verschiedenartige Geschlechter hatte; d. h. ob der Geschlechtsdimorphismus einiger ihrer Nachkommen primitiv ist oder bei ihnen erst entstand. Beide Fälle kommen wahrschemlich vor. Da aber die niederen Tiere nur selten auffallende Geschlechts- unterschiede bieten, so ist wohl auch im Allgemeinen anzunehmen, dass bedeutende Sexualdifferenzen meist zu den neueren Errungen- schaften der Art gehören. Ausnahmsweise können aber früher be- standene Geschlechtsunterschiede wieder ausgeglichen worden sein. Ein besonderes Interesse bieten hier solche Arten, bei welchen das eine Geschlecht, das männliche oder das weibliche, selbst dimorph ist. Einige solche Fälle sind von F. Müller und von Wallace zu Gunsten der Selektionstheorie aufgeführt. Es liegt auf der Hand, dass die Naturauslese die Bildung und Verbreitung der 2 ab. Glaucus von Papilio turnus nur begünstigen konnte. Noch schöner ist in dieser Beziehung das von Trimen bekannt gemachte Beispiel des südafrika- nischen Papilio Merope d mit seinen 3 2-Formen (Cenea, Hippocoon, Trophonius), welche 3 verschiedene unessbare Danaiden - Arten nach- äffen. Eine Erklärung, wie dieser Polymorphismus entstanden sein mag, ist aber bis jetzt nicht gegeben worden. Auffallend ist, dass bei solchen Insekten, wo das eine Geschlecht mehrere Formen aufweist, die Uebergänge zwischen denselben fehlen oder außerordentlich selten sind. So ist bei einem europäischen Bock- käfer, Rhamnusium salieis, das 2 rot mit blauen Flügeldecken, während das 5 entweder dem Weibchen gleich gefärbt oder ganz rot ist (eine Mittelform mit teilweise roten Elytren ist die ganz außerordentlich seltene ab. $ ambustum Heyd.). Eine hübsche Beobachtung hat jüngst J. Decaux (Bull. Soc. Entom. France, 22. Juni 1892) über diese Art publiziert: er züchtete die Nachkommenschaft eines roten Männchens durch 2 Generationen und erhielt eine beinahe gleiche Zahl von einfarbigen und zweifarbigen Männchen. Die von Wallace auf- geführten Versuche mit Papilio turnus scheinen eine größere Beständig- 414 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. keit in der Vererbung der zwei 2 -Formen dieser Art zu beweisen. Weitere Experimente mit diesen und anderen polymorphen Arten wären von großem Interesse. Was die Entstehung des sehr einfachen Dimorphismus des Rham- nusium-Männchens betrifft, so möchte ich annehmen, dass in der Ahnen- reihe dieser Art einmal ein ganz rotes Männchen unter anderen mit blauen Flügeldecken sich entwickelte. Diese Variation hatte ihren Grund in einer Aenderung des Keimplasmas, in Folge deren die Deter- minanten der Flügeldecken-Hypodermis unter dem Einfluss der vom reifenden Hoden abgesonderten Reizstoffen mit der Produktion der roten Farbe reagierten. In Folge der Kernteilungen, welche bei der Reifung der Gonaden stattfinden, sowie der von der Befruchtung be- stimmten Kombinationen konnten bei den Nachkommen dieses Männchens die &-roten Determinanten der Flügeldecken zur Mehrzahl werden oder nieht; im ersten Fall entstanden einfarbige Männchen, im anderen zweifarbige. Die Variation, durch welche das erste rote SZ entstand, war wahrscheinlich eine primäre; die Variation, durch welche jetzt von einem einfarbigen Männchen zweifarbige erzeugt werden und um- gekehrt ist eine sekundäre (Kombinations-) Variation. — Es ist nun denkbar, dass die ursprüngliche 9-Form allmählich seltener würde um endlich ganz zu schwinden; dieses würde jedenfalls früher oder später stattfinden, wenn die neue Form ihrem Besitzer irgendwelchen Vorteil bieten sollte, und deswegen von der Naturauslese begünstigt würde. Eine allmähliche Entstehung des Z-Dimorphismus bei Arham- nusium scheint mir nicht wahrscheinlich. Dass der Dimorphismus des einen Geschlechtes zur Entstehung auffallender Geschlechtsunterschiede geführt hat, scheinen mir gewisse Hymenopteren mit flügellosen Männchen zu beweisen. — In der Reihe der Feigen-Chaleidier haben die meisten Arten bei ganz normal ge- . bauten Weibehen sehr sonderbar geformte, flügellose, gelbe Männchen, während einige Arten zweierlei Männchen, d. h. außer den flügellosen gelben auch geflügelte dunkelgefärbte, sozusagen normale haben. Die Vermutung liegt nahe, aus Aehnlichkeit mit anderen Gattungen, die geflügelten als eine primitive Form zu betrachten, welche bei vielen Arten jetzt geschwunden ist. Die Ahnen der Feigenchaleidier, welche jetzt nur flügellose Männchen haben, hätten ehemals aueh ge- flügelte besessen, und noch früher nur geflügelte. — In dieser Beziehung bieten uns auch die Ameisen manches interessante Beispiel. So hat Ponera punctatissima in Italien nur normale geflügelte Männchen, während in der Schweiz und in Deutschland bis jetzt nur die sonder- bare flügellose arbeiterähnliche Form (var. androgyna) mit 12gliedrigen Fühlern gefunden worden ist. Formicoxenus und Anergates haben nur flügellose Männchen. Bei Cardiocondyla sind, wie Forel kürzlich entdeckt hat, die Männchen einiger Arten (O.Stambuloffi, ©. Wroughtoni) flügellos, während das von ©. Emeryi geflügelt ist. Besonders für Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 415 letzteren Fall bietet die Annahme einer Ahnenform mit dimorphen Männchen die beste Erklärung. Auf Grund der eben aufgeführten Thatsachen, scheint es ınir als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass in vielen Fällen, die auf- fallendsten Geschlechtsunterschiede auf dem Wege des Di- oder Polymorphismus des einen Geschlechts entstanden sind, und zwar inFolge der unvermittelten Bildung einer neuen Form, welche eine zeitlang neben der Urform be- stand, um nach Schwund der letzteren allein zurück zu bleiben. Dadurch will ieh nicht bestreiten, dass in anderen Fällen der Geschlechtsdimorphismus durch direkte und allmähliche Verände- rung des einen oder beider Geschlechter entstanden sein mag. Selbstverständlich werden, wenn einmal der Geschlechtsdimorphis- mus in einer Art oder Artengruppe eimen hohen Grad erreicht hat, beide Geschlechter von einander unabhängig variieren können, und bei Isolierung, unter dem Einfluss aller jener mannichfacher und größten- teils unbekannter Faktoren, welche die Variationen bewirken und be- einflussen, unter der hohen Kontrole der Naturauslese neue Arten bilden. Sehr wahrscheinlich scheint mir auch, dass Eigenschaften, die ursprünglich nur dem einen Geschlechte zukamen, später manehmal auch auf das andere übertragen werden, und zwar auf eimmal, d. h. durch plötzliches Auftreten männlicher Eigenschaften beim Weibchen oder umgekehrt. Die Hörner des weiblichen RKentiers ließen sich auf diese Weise erklären. Wird nun in Folge voriger Erörterungen angenommen, dass in vielen Fällen der Geschleehtsdimorphismus dureh plötzliches Erscheinen neuer Eigenschaften in einem Geschlecht entstanden ist, so ist auch nicht minder wahrscheinlich, dass auch viele andere Eigenschaften der Organismen, welche beiden Geschlechtern einer Art gemeinsam zukommen, auch plötzlich aufgetreten sind, und zwar in Folge von intimen Veränderungen in der Struktur des Keimplasma, sowie dass diese neuen Eigenschaften, trotz Kreuzung, ungeschwächt auf einen Teil der Nachkommenschaft übertragen wurden, gerade wie im viel- besprochenen Falle des Ancon-Schafes!). Wenn man bedenkt, welche enorme Summe von Anpassungen nötig war, um aus einem normalen Krebs eine Saceuline mit allen ihren märchenhaften Wanderungen und Metamorphosen, oder aus einer Planarie einen Bandwurm zu bilden, so wird es einem bange vor der ungeheuren Zahl von Generationen, welche die Naturauslese gebraucht hätte, um solche extreme Formen 1) Eine in dieser Beziehung sehr interessante Beobachtung hat Werner in dieser Zeitschrift (11. Bd., S. 698) veröffentlicht. Im Leibe eines ? von Coronella austriaca, die einer sehr seltenen Varietät gehörte, fand er 3 Junge, welche alle genau wie die Mutter gefärbt waren, obschon es sehr wahrschein- lich ist, dass der Vater einer anderen Varietät gehörte. 416 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. durch Häufung von minimalen zufälligen Variationen zu erzeugen. Wird aber zugegeben, dass im Laufe der Phylogenese ein oder wenige Male bedeutende Sprünge geleistet werden konnten, etwa vergleichbar mit dem, welcher aus dem geflügelten normalen Urmännchen eines Feigenchaleidiers ein flügelloses Insekt machte, so wird der ganze Vorgang, und damit auch die Einwirkung der Naturauslese viel be- greiflicher. Durch plötzliche Aenderung wird die Bildung neuer Organe begreiflich, sowie gewisse Modifikationen von Organenreihen, welche nur durch Interkalation neuer Glieder erklärt werden können. Auch im Gebiete der Biologie, und ganz besonders in diesem Gebiete, scheinen mir viele Eigenschaften der Organismen nur dureh plötzliche Entstehung erklärbar. Dieses gilt besonders für die Gewohn- heiten und Instinkte. — Wie konnte der erste Velleius dilatatus all- mählich dazu kommen in Hornissennestern zu schmarotzen? oder wie konnte ein Einsiedlerkrebs nach und nach den Instinkt erwerben beim Wohnungswechsel die Aktinien von der alten Schale abzulösen und auf die neue zu befestigen? Der Totenkopfschwärmer erlangte gewiss nicht allmählich die Sitte in Bienenstöcke einzudringen. Der Urahn der Lausfliegen stach einst zum ersten Mal mit seinem Rüssel in die Haut eines Wirbeltiers und vererbte diese Sitte an seine zahlreichen Nachkommen. Auch schmuggelte der erste Kukuk zum ersten Mal sei Ei im ein fremdes Vogelnest ein. — Dieses ist aber nicht reine Hypothese: wir kennen auch Fälle, in welchen wild-lebende Tiere ihre Gewohnheiten auf einmal geändert haben. So ist der neuseeländische Nestor zum Raubvogel geworden, der sogar größere Säugetiere an- greift. So hat eine Aasfliege (Lueilia sericaria) in Holland parasitische Sitten angenommen. Ist aber die unvermittelte Entstehung und ruckweise Aenderung der Instinkte für einzelne Fälle thatsächlich nachgewiesen, für viele andere sehr wahrscheinlich und sogar logisch notwendig, so lässt sieh vermuten, dass auch für viele Fälle, wo eine allmähliche Bildung eines Instinktes denkbar, doch sein unvermitteltes Auftreten wahr- scheinlicher ist. — Durch diese Annahme behaupte ich nicht die Bildung der Instinkte erklärt zu haben: ich bin mir der großen Schwierigkeit des Problems wohl bewusst. Es war meine Absicht auf die Aehnlichkeit der Entstehungsweise morphologischer und biologischer (inkl. psychologischer) Eigenschaften der Organismen die Aufmerksam- keit zu lenken. — Instinkte sind kaum mehr veränderlich als morpho- logische Eigenschaften !). Die Europa und Nordamerika gemeinsamen 4) Die jetzige Beständigkeit des Instinktes verschiedener Ameisen beweist durchaus nicht, wie Wasmann anzunehmen scheint, dass dasselbe nie variiert hat, sondern nur, dass jene Arten in ihren morphologischen und biologischen Eigenschaften seit langer Zeit fixiert sind, was übrigens die Möglichkeit fernerer Variationen nieht ausschließt, besonders wenn man annimmt, dass solche ruck- weise stattfinden können. — Mit der kürzlich von H. E. Ziegler gegebenen Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie, 417 Arten von sklavenhaltenden Ameisen handeln in ihren Raubzügen, so weit bekannt, hier wie dort ganz gleich, trotzdem viele Jahrtausende verflossen sind, seitdem ihr Stamm von den Polarländern auf beide Kontinente sich verbreitete. Die bio-psychologische Phylogenese ist also nicht minder schwierig zu ermitteln als die morphologische. Sie ist deswegen sogar schwieriger, weil die Instinkte kaum irgend welche fossile Spuren von sich lassen können und weil die biologische Beobach- tung nur an Ort und Stelle und nicht an konserviertem Material ge- macht werden kann. V. Rolle und Wirkungsweise der Naturauslese. Ob es eine Naturauslese gibt, braucht nicht gefragt zu werden. Selbstverständlich würden die meisten Haustierrassen bei freier Kon- kurrenz mit ihren wilden Verwandten bald zu Grunde gehen; die Monstra, welche vom Menschen zu den Stammeltern des krummbeinigen Schafes oder des Yorkshire-Schweins gewählt wurden, hätten in der freien Natur nicht einmal das Alter der Reife erlangt. Der Kampf ums Dasein und die dabei sich ergebende Bevorzugung des Befähigten ist keine Theorie, sondern Thatsache. — Fraglich ist aber der Grad der Empfindlichkeit der Naturauslese für geringe Vorteile und Nach- teile, denn ganz abgesehen von nützlichen und schädlichen Körper- eigenschaften bewirken zufällige Umstände, welche G. Wolff in dieser Zeitschrift treffend als Positionsvorteile bezeichnet hat, eine ganz rich- tungslose Wahl, welche gelegentlich gerade den am meisten befähigten zu Grunde richten kann; die Wichtigkeit der Positionsvorteile ist dort am größten, wo die Lebensverhältnisse komplizierter und die Kon- kurrenzsterblichkeit größer ist. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass, wie öfter hervorgehoben wurde, die Naturauslese nur in negativem Sinne wirkt, da sie nicht den Besten wählt, sondern nur den Schlechtesten vernichtet. Sie steht zur menschlichen Kunstselektion in demselben Verhältnis wie der Ackerbau der texanischen Ameise zum menschlichen Ackerbau. Die Ameise säet nicht, sondern schneidet nur das Unkraut weg und über- lässt es dem Zufall den Ameisenreis zu pflanzen, und der Zufall thut es nicht immer; der Mensch säet möglichst reines Getreide und trägt Sorge dafür, dass dieses nicht durch die Samen anderer Gewächse verunreinigt werde. Die Ameise erwartet ihr Glück vom Zufall, der Mensch fürchtet von ihm sein Unglück. Ebenso erwartet die Naturauslese ihr Glück vom Zufall, wobei noch möglich ist, dass das wenige derart erzeugte Gute durch andere Definition der Instinkte, die er als blastogene psychologische Eigenschaften den somatogenen Aeußerungen der Intelligenz entgegenstellt, erkläre ich mich durchaus einverstanden. Ich bedauere nur, dass ich seine anregende Schrift noch nieht kannte, als ich in Nr. 4—5 dieser Zeitschrift die Wasmann’schen Anschauungen besprach. AI. PAR 418 Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. Zufälle (Positionsnachteile) dahingerafft oder durch unglückliehe Kreu- zungen in den folgenden Generationen verwischt werde. Eine Sum- mierung von ganz zufälligen minimalen Variationen nach einer ge- gebenen Richtung ist deswegen so außerordentlich schwierig, dass wir wohl begreifen können wie manche Forscher die ganze Zuchtwahl- theorie als ein Märchen anschauen oder sich in die Arme des Lamarckis- mus werfen. Nehmen wir aber an, dass Variationen, die gegenwärtig einen hohen Grad erreicht haben, aus anfänglich unbedeutenden Aenderungen abgeleitet sind, welche im kontinuierlich bestehenden Keimplasma angebahnt wurden und in demselben sich progressiv ent- wickelten, bis sie im Stande waren dem Organismus namhaften Vor- teil oder Schaden zu bringen, so ergibt sich daraus ein Mittel, welches die Natur bei relativer Isolierung von Individuen-Gruppen zur Bildung erheblicher Variationen gebraucht haben mag. Bei Hebung oder Ueber- windung der Scheidegrenzen kommen solche Variationen mit einander in Konkurrenz und werden der Naturauslese zugänglich. Hat nun eine solche Variation, bei Konkurrenz mit anderen den Sieg davon getragen, so wird sie die Tendenz behalten in derselben Richtung sich weiter zu verändern; denn die Naturauslese wird nicht nur eine Varietät, sondern eine Variationsrichtung ausgewählt haben. Diese Variationsrichtung wird auch sozusagen über das Ziel hinaus fahren können; daraus ergeben sich Vorteile und Schaden, welche ein nochmaliges Eingreifen der Naturauslese hervorrufen können. Derart mögen wir uns exzessive Eigenschaften der Organismen er- klären: z. B. die Talente und sonstige ausbildungsfähige Anlagen des Menschengehirns, wovon Wallace mit Recht sagt, dass sie durch die natürliche Zuchtwahl nicht produziert werden können. Diese hoch- interessante Erscheinung können wir dadurch erklären, dass wir eine progressive Entwicklungstendenz des Gehirns annehmen, welche bei den Vorfahren des Menschen von der Naturauslese bevorzugt, sich jetzt ohne ihr Zuthun weiter fortsetzt, und unter Mitwirkung von Weis- mann’schen Kombinationen in der Amphimixis zu ungeheuer mannig- fachen Resultaten führt. Es gibt aber in der Natur viele excessive Eigenschaften, welche noch wenig bekannt sind, z. B. die bereits von Döderlein als solche erwähnten Stoßzähne des Babirussa, die enormen Geweihe einiger Hirsche u. dergl. Nehmen wir mit Fürbringer an, dass die verschiedenen Reihen flugunfähiger Vögel aus fliegenden Formen dadurch entstanden sind, dass bei progressiver Zunahme des Leibesgewichtes das Fliegen am Ende unmöglich wurde und dann nachträgliche Reduktion der Flügel erfolgte, so müssen wir auch an- nehmen, dass jene Vergrößerung des Körpers, in einem gewissen Punkt ihrer Laufbahn, der Species nur nachteilig sein konnte. Den ganzen Vorgang kann ich mir nieht anders erklären als durch eine Variations- tendenz, welche eine zeitlang von der Naturauslese als günstig bevor- zugt, später die Ueberhand gewann und die Nachkommen mächtiger Flieger zu Boden stürzte. Emery, Gedanken zur Descendenz- und Vererbungstheorie. 419 Solehe früher nützliche, später bei ihrem weiteren Fortschreiten oder bei Aenderung der Lebensverhältnisse schädlich gewordene Ent- wieklungs- und Variationstendenzen haben gewiss m der Stammes- geschichte des Tierreichs eine bedeutende Rolle gespielt und, nicht nur einzelne Arten und Artengruppen, sondern ganze Formenreihen zu Grunde gerichtet. Wenn wir die Gesamtgeschichte einer größeren Abteilung des Tierreichs betrachten, so fällt uns sofort auf, wie suc- cessive mächtige Aeste sich von den Stämmen abzweigten und zu pro- gressiv höherer Ausbildung gelangten, um nach abgelaufener Blütezeit rasch zu schwinden. So z. B. die vielen Ordnungen von großen Reptilien des Jura und der Kreide; ebenso viele Familien frühtertiärer Säugetiere. In der Stammreihe einer jeden von diesen Gruppen er- kennen wir eine immer weiter gehende Spezialisierung der Organi- sation nach einer bestimmten Richtung, und meist eine regelmäßig zunehmende Körpergröße. Gerade jene bestimmte Richtung der Dif- ferenzierungsstraße war es wahrscheinlich, welche die betreffende Tiergruppe zu üppiger Entwicklung führte; war sie aber einmal durch Tausende von Generationen angebahnt und fixiert, so schritt sie immer weiter über die optimale Grenze fort und brachte endlich ihre Träger, in Folge der Konkurrenz mit besser äquilibrierten Formen, rettungslos zum Verderben. Nur verhältnismäßig indifferent bleibende, d. h. den Hauptstämmen näher gebliebene Formengruppen höherer Tiere können durch viele geologische Perioden hinaus bestehen. Es sind Formen, die nie lange genug eine bestimmte Differenzierungsbahn eingeschlagen haben um dieselbe dauernd zu fixieren und nicht mehr zeitig ändern zu können. Sie kommen nicht selbst zur Weltherrschaft und ihre Körpergröße bleibt bescheiden; sie besitzen aber die Fähigkeit nach verschiedenen Richtungen üppig wachsende Zweige von ihrem Stamm abzugeben, welche, in Folge einseitiger Differenzierung, zu hoher Blüte aber auch zu raschem Untergang gelangen können. Neben den durch die Wirkung von Variationstendenzen langsam ausgebildeten neuen Eigenschaften der Organismen werden andere aber auch, wie ich oben zu beweisen versuchte, unvermittelt, d. h. durch plötzliche Variation hervorgebracht. Solche ruckweise Varia- tionen sind der Naturauslese selbstverständlich in hohem Grade zu- gänglich, und gewähren, wenn sie nützlich sind, ihrem Träger sofort Formen in folgender Weise möglich: 1) Jede Art, die nicht durch Vereinfachung ihres Keimplasma in Folge von Inzucht oder von Parthenogenese fixiert ist, be- sitzt die Fähigkeit auf Grund von Iden-Kombinationen, welche bei der Reifung und Konjugation der Gonaden entstehen, zu variieren (Weismann’sche Variation). Im® aus LO) Wilckens, Vererbung erworbener Eigenschaften. 2) Außerdem kann jede Art in Folge von Aenderungen des Keimplasmas und Zymoplasmas neue Variationen hervorbringen und zwar: a) allmähliche, anfangs unscheinbar, aber mit progressiver Variationstendenz;; b) plötzliche, manchmal sehr bedeutende, mit starker Ver- erbungsfähigkeit. Die Naturauslese kann auf die b-Variationen sofort einwirken, auf die a- Variationen meistens erst nachdem sie in Folge ihrer pro- gressiven Tendenz zu bedeutenden Aenderungen des Organismus ge- führt haben. Die Naturauslese ist das Gericht letzter Instanz in der Evolution der Organismen. Sie trifft ihre Wahl erst, wenn die Parteien vor sie kommen. — Wie der Richter den Verbrecher nur bestrafen aber nicht verbessern und bei moralischen Fehlern, sofern sie nicht zu Verbrechen geführt haben, nieht eingreifen kann, so kann die Naturauslese fehler- hafte Organismen nur dann vernichten, wenn ihre Fehler wirklich so groß sind, dass sie für ihren Träger schädlich werden. Aber es gibt auch sehr viele Eigenschaften der Organismen und sogar sehr auffallende, wie zum Teil die sekundären Geschlechts- charaktere, welche ihrem Träger weder Nutzen noch Schaden bringen, also außer dem Bereich der Naturauslese liegen oder in diesen Bereich noch nicht gekommen sind. Ihre Entstehung und ihr Bestehen als Speciesmerkmale verdanken sie hauptsächlich der Isolierung oder ander- weitigen zufälligen Umständen. Es hat jüngst v. Jhering für die Struktur des komplizierten Genitalapparates der Nephropneusten die Unabhängigkeit ihrer mannigfachen Kombinationen von irgendwelcher Art von Naturauslese völlig bewiesen. Das gleiche wird sich, ich bin davon überzeugt, für einen großen Teil der Form- und Farbeneigen- schaften der Pflanzen und Tiere erweisen. Deswegen darf aber die Darwin’sche Zuchtwahltheorie nicht als falsch zurückgewiesen wer- den; sie besteht siegreich fort; nur müssen wir einsehen, dass noch andere Kräfte in der Evolution der Organismen wirksam sind. Die Ermittelung derselben bietet ein weites Feld für künftige Forschungen. Die Vererbung erworbener Eigenschaften vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Tierzucht in Bezug auf Weis- mann’s Theorie der Vererbung. Von Prof. Dr. M. Wilckens in Wien. Im Verlaufe von etwa einem Jahrzehnt hat August Weismanua bezüglich der Vererbung erworbener Eigenschaften sich immer mehr zurückgezogen auf den Standpunkt gänzlicher Verneinung. In dem, seine früheren kleinen Schriften über Vererbung zusammenfassenden Wilekens, Vererbung erworbener Eigenschaften. 421 Gesamtwerke „Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung“ (Jena 1892) erklärt er S. 518 Folgendes: „Ich muss also heute noch bestimmter, als früher den Satz aus- sprechen, dass alle dauernden, d. h. vererbbaren Abände- rungen des Körpers von primären Veränderungen der Keimesanlagen ausgehen, und dass weder Verstümmelungen, noch funktionelle Hypertrophie und Atrophie, noch endlich auch Ab- änderungen, welche durch Temperätur- oder Ernährungs- oder irgend andere Mediums-Einflüsse am Körper hervorgerufen sind, sich den Keimzellen mitteilen und dadurch vererbbar machen können“. Weismann bringt die „somatogenen“ (den Körper, im Gegen- satze zu den die Keimesanlagen betreffenden) Abänderungen ihrem Ursprunge nach in drei Kategorien: in die der Verletzungen, der funktionellen Abänderungen und in die auf sog. „Mediums“- Einflüssen beruhenden Abänderungen, wohin hauptsächlich klima- tische Variationen gehören. Wir wollen nun vom Standpunkte der landwirtschaftlichen Tier- zueht !) in Betracht ziehen, ob die von Weismann aufgestellten drei Kategorien „somatogener“ Abänderungen vererbbar sind oder nicht. Zuvor möchte ich mir jedoch eine Vorbemerkung erlauben für diejenigen Leser des „Biol. Centralblattes“, die mit den biologischen Vorgängen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Tierzucht nieht vertraut sind. Die wesentliche Thätigkeit des landwirtschaftlichen Tierzüchters besteht darin: die Haustierformen den wirtschaftlichen Zwecken des Menschen anzupassen. So verschiedenartig diese Zwecke sind, so mannichfaltig sind auch die Haustierformen. Es gibt zwar Haustierformen, die zugleich mehreren wirtschaftlichen Zwecken des Menschen entsprechen, aber das ist nur auf niederen Kulturstufen der menschlichen Gesellschaft der Fall. Unsere Vorfahren im alten Ger- manien hielten das Pferd als Reit- und Zugtier, als Fleisch- und Opfertier, zur Nutzung der Haut und der Stutenmilch. Heute züchten wir Pferde für sehr verschiedenartige Reit-, Zug- und Tragdienste in schweren, leichten und mittleren Formen. Früher diente der Hund dem Menschen als Wächter, als Jagdgenosse, zum Zuge und zur Nahrung. Heute werden allein die Jagdhunde in 30—40 verschiedenen Formen gezüchtet, die für ganz verschiedenartige Jagdzwecke ver- wendet werden. Jeder Tierzüchter richtet seine Haustiere ab für bestimmte mecha- nische oder geistige Aufgaben, und er glaubt, dass die Eigenschaften und Fähigkeiten, die er seinen Haustieren anerzogen hat, oder die sie sich im Verkehre mit Menschen erworben haben, auf deren Nachkommen vererbbar sind. Dieser Glaube der Tierzüchter be- ruht auf Erfahrungen, die nach Jahrtausenden zählen. Wenn 1) Eine Besprechung von Weismann’s „Theorie der Vererbung* im Ganzen ist von anderer Seite für diese Zeitschrift in Angriff genommen. 422 Wilckens, Vererbung erworbener Eigenschaften. die in der Tierzucht erworbenen, beziehungsweise die den Haus tieren vom Menschen angezüchteten Eigenschaften und Fähigkeiten nicht vererbbar wären, dann wäre jeder Fortschritt auf dem Gebiete der Tierzucht unmöglich und jeder Tierzüchter müsste mit der Zäh- mung und Abrichtung seiner Haustiere, beziehungsweise mit deren Anpassung an seine wirtschaftlichen Zwecke von Neuem beginnen. Wenn Weismann die auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Tierzucht $anz unzweifelhaften Thatsachen der Vererbung erworbener oder angezüchteter „somatogener“ Abänderungen (worauf der unleug- bare Fortschritt der Tierzucht beruht) in Abrede stellt, weil diese Thatsachen mit seiner Theorie von der „Kontinuität des Keimplasmas“ nicht vereinbar sind, so ist der einzig mögliche Schluss: dass diese Theorie falsch und mit den Thatsachen nicht vereinbar ist. Diese Thatsachen sind so augenfällig, und sie sind seit mehr als neunzehnhundert Jahren aus der Litteratur') bekannt, dass es unbe- greiflich erscheint, dass die Vererbungstheorie der Gegenwart sieh mit altbekannten Thatsachen in Widerspruch setzt. Die Thatsachen der Vererbung erworbener Eigenschaften sind auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Tierzucht allgemein bekannt und hoch bewertet. Die Züchter trauen den englischen Rennhengsten die Fähigkeit zu, die ihnen angezüchteten Formen und Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu vererben, und sie bezahlen einen solchen Hengst mit Hunderttausenden und wenn er von erster Klasse ist, mit einer halben Million Mark und darüber. Fast ebenso hohe Preise er- zielen die nordamerikanischen Traberhengste, von denen ein einziger befruchtender Sprung vierhundert bis zweitausend Mark kostet. Das Vermögen, das in England und Nordamerika allein in Renn- und Traberpferden angelegt ist, zählt nach Milliarden. So hoch bewertet sich das Vertrauen der Tierzüchter, dass die angezüchteten, d. h. er- worbenen Eigenschaften vererbt werden. Selbst Weismann erkennt die sog. „Individual-Potenz“ der Züchter an. Er sagt in dem Kapitel „Die Vererbungskraft“ 5. 381 Folgendes: „Es scheint vorzukommen, dass bestimmte Individuen eine starke Neigung haben, ihre eigenen individuellen Charaktere auf eine Mehrzahl von Nachkommen zu übertragen. Bei Pferden, Rindern, Schafen und anderen Haustieren sind öfters einzelne Tiere beobachtet worden, die dieses Vermögen in hohem Grade besaßen, und die Züchter bezahlen enorme Preise für solehe Individuen, die freilich sieh nicht bloß durch die vermeintliche Vererbungsstärke, sondern zugleich auch durch irgendwelche besonderen und wünschenswerten Eigenschaften auszeichnen müssen“. Das letztere ist jedoch nicht der Fall, sondern es wird thatsäch- 4) Marcus Varro schrieb seine tierzüchterischen Abhandlungen etwa 30 Jahre vor Christi Geburt. Wilckens, Vererbung erworbener Eigenschaften. 423 lieh nur das hervorragende (oder vermeintliche) Vererbungsvermögen bezahlt. Wenn man aber einmal die sog. „Individual-Potenz“ anerkennt — die keineswegs sich allgemeiner Zustimmung seitens der Züchter er- freut — dann gibt man damit auch die Vererbung erworbener Eigen- schaften zu, denn diese Potenz des „Individuums“ kann doch nur einen „somatischen“ Charakter haben und die augenfällige Vererbung erworbener Eigenschaften seitens eines bestimmten Individuums kann doch nur „somatogen“ sein. Vielleicht ist das Zugeständnis der „Individual-Potenz“ unversehens in die Weismann’sche Vererbungstheorie hineingeschlüpft, oder durch den Druck der Thatsachen himeingeraten. Die von vielen Züchtern behauptete „Individual-Potenz“ lässt sich doch wohl mit der Weis- mann’schen Vererbungstheorie ganz und gar nicht vereinigen. Wir kehren nunmehr zurück zu den drei, von Weismann auf- gestellten Kategorien „somatogener“ Abänderungen. Zuerst die Verletzungen! Diejenigen, die behauptet haben, dass Verletzungen als erworbene Eigenschaften vererbbar seien, haben es den Gegnern sehr leicht gemacht sie zu widerlegen. Die meisten Behauptungen von vererbten Verletzungen stützen sich auf zweifelhafte Fälle. Ein von Albrecht Thaer (dem bekannten wissen- schaftlichen Begründer der neueren Landwirtschaft) 1812 der Berliner Akademie der Wissenschaften mitgeteilter, ihm genau bekannter Fall ist folgender: einer jungen Kuh schwor im dritten Lebensjahre ihr linkes Horn ab; sie hatte nochmals drei Kälber, die auf derselben Seite nur lose an der Haut sitzende kleine Kolben, aber keine Hörner bekamen. Das ist der einzige, aus der Litteratur mir bekannte, wohl be- glaubigte Fall von Vererbung einer Verletzung. In dieser Zeitschrift (Bd. VII Nr. 14) hat Dingfelder von Hunden mit künstlich gestutzten Schwänzen berichtet, die kurzschwänzige Nachkommen erzeugt haben, und Schiller-Tietz erzählt (Biol. Centralbl., VIII, 155) von Katzen, die infolge Verstümmelung ihres Schwanzes etwas kurzschwänziger geworden waren, als das sonst allgemein der Fall ist. Ich will diese Fälle von kurzschwänzigen Hunden und Katzen nicht in Zweifel ziehen, aber ich erinnere daran, wie unregelmäßig die Zahl der Schwanzwirbel ist bei übrigens vollkommen regelmäßig gebauten Tieren. Auch führt Schiller-Tietz Fälle an, in denen Kühe nach einseitigen Horn- verlusten nachmals Kälber mit ungleichförmigen Hörnern erzeugt haben. Dagegen lässt sich geltend machen, dass ganz gleichförmige Hörner sehr selten vorkommen. Seit etwa 6 Jahren ist es in Nordamerika Mode, den Kühen die Hörner abzuschneiden. Seitdem ist mir aus den (mir bekannten) land- wirtschaftlichen Zeitschriften Nordamerikas kein Fall bekannt ge- worden, dass von Kühen mit abgesägten Hörnern hornlose Kälber oder 494 Wilekens, Vererbung erworbener Eigenschaften. Jungvieh mit kürzeren Hörnern geboren seien. Die Mode, den Pferden die letzten Schwanzwirbel abzuschneiden, ist nahe an 100 Jahre alt, vielleicht noch älter, aber niemals sind Fälle von kurzschwänzig ge- borenen Pferden bekannt geworden. In der Schafzucht ist es seit langer Zeit allgemein üblich, den Mutterschafen und Böcken die Schwänze abzuschneiden, so dass nur ein Stummel bleibt von 6—8 Üentimeter Länge. Niemals sind Fälle bekannt geworden (meine eigenen Beobach- tungen erstrecken sich auf Tausende von Fällen), dass solehe künstlich verstümmelte Schafe kurzschwänzige Nachkommen erzeugt haben. Ge- wissen Hunderassen werden regelmäßig Schwanz und Ohrlappen ge- stutzt. Mir ist kein Fall bekannt geworden, dass solche Hunde kurz- ohrige oder kurzschwänzige Nachkommen erzeugt haben. Kurz, auf dem Gebiete der Tierzucht besteht kein Zweifel, dass äußere oder künstliche Verletzungen nieht vererbbar sind. Die zweite Kategorie sind die funktionellen Abänderungen, deren „somatogene“ Vererbung Weismann bestreitet. Das beste Beispiel von Vererbung funktioneller Abänderungen ist auf dem Gebiete der Tierzucht die Vererbung der Körperform des englischen Vollblutpferdes. Die englische Vollblutzucht ist begründet durch drei orientalische Hengste, von denen einer unzweifelhaft aus Arabien stammte, die beiden anderen aber die dem orientalischen Pferde eigentümlichen Körper- formen hatten. Durch fortdauernde Uebung auf der Rennbahn und Weiterzüchtung der schnellsten Pferde sind die Nachkommen jener drei orientalischen Hengste im ihrer Körperform ganz verändert worden. Der Kopf ist kleiner, der Hals länger, das Gestell höher geworden; der Rumpf hat sich verlängert, der Brustkorb ist umfangreicher, die Hüfte (Kruppe) etwas flacher und schmaler geworden. Im Allgemeinen haben sich Muskeln und Knochen verlängert, so dass die mechanischen Bedingungen des Bewegungsapparates für schnelle Bewegung günstiger geworden sind. Wer ein heutiges arabisches mit einem englischen Vollblutpferde vergleicht, dem wird die durch funktionelle Abänderung bedingte Verschiedenheit der Körperform der ursprünglichen orienta- lisehen und der daraus abgeänderten englischen Pferderasse gewiss auffallen. Diese Abänderung der ursprünglichen orientalischen Pferde- form in die des gegenwärtigen englischen Vollblutpferdes hat statt- gefunden seit etwa 200 Jahren. Die berühmte, durch Frühreife und Mastfähigkeit ausgezeichnete Zucht des englischen Kurzhornrindes, die aus den Niederungszuchten der Grafschaften Durham und York vor etwa 100 Jahren entstanden ist, beweist, dass in verhältnismäßig kurzer Zeit die erworbenen Eigen- schaften der Frühreife vererbt wurden. Die Eigenschaft der Früh- reife ist anatomisch genau gekennzeichnet; sie besteht in einer vor- zeitigen (vor der regelmäßigen Zeit stattfindenden) Verknöcherung der Nähte des Schädels, einer vorzeitigen Verknöcherung der Knorpel- Wilekens, Vererbung erworbener Eigenschaften. 425 verbindungen zwischen den Epiphysen und Diaphysen der Röhren- knochen der Beine, so dass durch die vorzeitige Verwachsung der knöchernen Mittelstücke mit deren Endstücken die Beine kürzer bleiben als bei nicht frühreifen Tieren; ferner durch den vorzeitigen Ausbruch des bleibenden Gebisses, insbesondere der Ersatz-Schneidezähne; end- lich durch abgekürzte Tragezeit, beziehungsweise vorzeitige Geburt der Leibesfrucht. Alle diese vorzeitigen Abänderungen der Körperform sind bei den englischen Kurzhornrindern und anderen frühreifen Rin- dern, Schaf- und Schweineformen seit etwa 100 Jahren, so lange solche künstlich gezüchtet wurden, vererbbar. Die Form-Erscheinungen der Frühreife habe ich schon in meinen 1575 erschienenen Werke „Form und Leben der landwirtschaftlichen Haustiere“ S. 735 u. ff., neuerlich in dem von mir bearbeiteten Ab- schnitte in von der Goltz „Handbuch der gesamten Landwirtschaft“ (Tübingen 1888, Bd. III, S. 120 u. ft.) beschrieben. Die ersterwähnten Thatsachen der Frühreife sind also viel früher bekannt gewesen als Weismann seine Theorie von der „Kontinuität des Keimplasmas“ aufgestellt und die Vererbung erworbener Eigenschaften in Abrede gestellt hatte. Insbesondere die abgekürzte Tragezeit ist von Herm. v. Nathusius und mir an frühreifen Schafen, von G. Wilhelm an frühreifen Rindern schon in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts beobachtet und bekannt gemacht worden. Die Erscheinungen der Frühreife an den Knochen frühreifer Haus- tiere sind allein bedingt durch phosphatreiche Nahrung, die zu einer vorzeitigen Verknöcherung an den Knochenenden führt. Dies ist durch A. Sanson!) durch Fütterungsversuche nachgewiesen worden. Die Form der Knochen vererbt sich bei frühreifen Tieren, aber die Er- nährung muss bei diesen in gleicher Weise fortgesetzt werden, sonst treten die regelmäßigen Entwicklungszustände wieder ein und die an- gezüchtete Frühreife geht verloren. Die Abänderungen, die Weismann als „Mediums“ - Einflüsse bezeichnet, können als klimatische Abänderungen doch wesentlich auf die Wirkungen reichlicher oder spärlicher Ernährung zurückgeführt werden. Sie sind also auch erworbene Eigenschaften und als solche thatsächlich vererbbar. Eines der auffallendsten Merkmale im trocknen und warmen Klima ist die Zunahme der Hörner an Länge und Umfang bei Rindern und Schafen, so bei dem ungarischen Steppenrind, dem romanischen Rind und dem afrikanischen Zebu, bei den Merinoschafen Spaniens und den Antilopen Afrikas, im Gegensatze zu der kurzhornigen Gemse, der einzigen europäischen Antilopenart. Dagegen gibt es hornlose Rinder in dem feuchten und kalten Klima Islands, Nordrusslands, Schottlands und Schwedens, hornlose Schafe in Großbritannien und an den nord- deutschen Küsten. Wie die Hornschicht der Hörner, so ist auch die 1) Recueil de med. veter,, 3e ser., t. Il. 426 Wilckens, Vererbung erworbener Eigenschaften. Hornschieht der Oberhaut ungewöhnlich diek bei Rindern, die im warmen Klima leben, gerade so wie bei den Diekhäutern (Elephanten, Nashorn, Flusspferden, Tapiren u. s. w.) der warmen Klimate. Da- gegen bekommen Rinder im feuchten und kühlen Gebirgsklima eine dünnereOberhaut. Nach Messungen in meinem Laboratorium!) verhielten sieh gleiche, in Alkohol gehärtete Hautstücke in Prozenten wie folgt: Dicke der Dicke der Dicke der Oberhaut Lederhaut Unterhaut vom ungarischen Steppenrind 1,13 21,22 71,71 „4 Kärtner-Rind;z. ...2.280:47 14,12 85,40 „Salzburger Rind... ..,..5:0,40 13,05 30,54 Das im warmen Klima lebende ungarische Steppenrind hat eine im Verhältnisse zur Gesamthaut mehr als doppelt so dicke Oberhaut als die beiden anderen, im feuchten und kühleren Klima lebenden Alpenrassen, deren Lederhaut im Verhältnisse kaum halb so diek ist wie bei jenem. Auch hatten die beiden Alpenrinder ein viel diekeres Unterhautbindegewebe als das ungarische Steppenrind. Dass die Dieke der einzelnen Hautschiehten lediglich erworbene und vererbbare Eigen- schaften sind, erkennt man sofort, wenn Rinder einem Klimawechsel unterzogen werden, wo dann die dem Klima angepassten Abänderungen vor sich gehen. Bei einer und derselben Rinderrasse, die aus feuchtem und kühlem Klima in ein trocknes und warmes Klima versetzt wird, vergrößern sieh die Hörner nach Länge und Umfang und die Oberhaut wird dicker. So habe ich z. B. bei einer aus dem bayrischen Algäu nach Ungarn eingeführten Kuh nachgewiesen ?), dass ihre in Ungarn geborene Tochter die Hornlänge der Mutter von 19 cm um 3 em überschritt; deren in Ungarn geborene Tochter (also die Enkelin der eingeführten Algäuerin) hatte 23 em lange Hörner, die dieker waren als die der Mutter und der Großmutter. Auch war bei der in Ungarn geborenen Tochter und Großtochter die äußere Haut nach dem Griff (der land- wirtschaftlichen Beurteilung der Dieke und Festigkeit) entschieden dieker und straffer als bei der nach Ungarn eingeführten Algäuerin. Auch Form und Leistung der Milchdrüse veränderten sich bei dieser und ihren in Ungarn geborenen Nachkommen. Die in Ungarn ein- geführte Algäuerin gab frischmelk durehschnittlieh 15,4 Liter Milch den Tag, die in Ungarn geborene Tochter 11,2 Liter und deren Tochter (Enkelin der eingeführten Algäuerin) 8,4 Liter Milch. Die Milch- ergiebigkeit ist eine im hohen Grade vererbliche Eigenschaft, die durch die Art der Ernährung nur wenig beeinflusst wird. Die erwähnten Abänderungen in den Oberhautgeweben der äußeren Haut ergeben sich aus der reichlicheren Durchblutung der äußeren Schieht (Papillarschieht) der Lederhaut, deren Blutgefäße sich in der 4) Siehe meinen Aufsatz v. d. Goltz’s „Handbuch“ II, 113. 2) In meinen „Rinderrassen Mittel- Europas“, Wien 1876, S. 11. Burckhardt, Zentralnervensystem von Protopterus annectens. 427 Wärme erweitern und mehr Blut aufnehmen. Daher ist auch die Leder- haut der im warmen Klima lebenden Rinder viel dieker als die von Rindern aus kühleren Klimaten. Die Gesamthaut von Rindern aus kühlen und feuchten Klimaten ist freilich dicker als bei Rindern, die im warmen und trocknen Klima leben, aber in jenem Falle betrifft die größere Dicke der Haut nur das Unterhautbindegewebe. Alle diese Zustände des Systems der äußeren Haut sind Rasse- Eigenschaften, die durch die Einwirkung des Klimas auf dem Wege der Ernährung zustande kommen und sicher vererbbar sind. Die Zoologen, und in erster Linie Weismann, haben die Erfah- rungen und Thatsachen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Tier- zucht (ganz im Gegensatze zu Darwin) viel zu wenig beachtet, woraus sich der schroffe Gegensatz zwischen den tierzüchterischen Vererbungs- thatsachen und den zoologisehen Vererbungstheorien, insbesondere bei Weismann erklärt. Die Zoologen sollten sich daran gewöhnen, die landwirtschaftliche Tierzucht als den experimentellen Teil der Zoologie anzusehen. Aber auch mit den Thatsachen der Physiologie befindet sich der Zoologe Weismann im Widerspruche, sonst würde er nicht auf den Gedanken gekommen sein, dass sich irgendwo in einer verborgenen Ecke des lebenden Organismus ein kleiner Teil (das Keimplasma ) organisierter Substanz unabhängig halten könnte von den Einflüssen der Ernährung und des Stoffweehsels. Burckhardt, Das Zentralnervensystem von Protopterus annectens. Berlin, Friedländer & Sohn, 1892, 64 Seiten, 5 Tafeln. Dureh Zusendung von lebendem Material aus Senegambien in stand gesetzt, frische Gehirne nach bewährten Methoden zu konservieren, hat Burekhardt das Zentralnervensystem von Protopterus annectens einer sorgfältigen anatomischen und histologischen Untersuchung unterzogen und ist zu Resultaten gekommen, welche die bisherigen Ansichten über die phylogenetischen Beziehungen wesentlich modifizieren. Das Gehirn von Protopterus zeigt nicht den typischen Bau eines Amphibiengehirns, wie man anzunehmen pflegte, sondern ist ein ausgeprägter eigener Typus, welcher es ermöglicht, die Formverhältnisse des Amphibien- hirns aus demjenigen der Selachier zu verstehen; denn diese und nieht die Teleostier betrachtet B. im Anschluss an Gegenbaur und Gorono- witsch als die Stammformen, aus welchen die anderen hervorge- gangen sind. Für phylogenetische Vergleiche erwiesen sich Klein- und Mittelhirn von geringer Bedeutung, da sie wenig Abweichendes bieten, wichtig dagegen Zwischenhirn und Vorderhirn und zwar bei ersterem die dorsalen Partien, bei letzterem die ventralen. 428 Burckhardt, Zentralnervensystem von Protopterus annectens. Im Einzelnen sei auf folgende von B. festgestellte Thatsachen hingewiesen. Von eimer Krümmung der Gehirnaxe, welche nach Wiedersheim den Eindruck macht, als ob die embryonale Scheitel- krümmung erhalten bliebe, ist an sorgfältig konservierten Gehirnen nichts zu bemerken. Das unpaare Mittelhirn wird ventral durch zwei auch äußerlich sichtbare Falten in drei Abschnitte gegliedert, welche der Verfasser unter dem Vorbehalt, dass embryologische Unter- suehnngen diese Auffassung später einmal bestätigen, mit der Eintei- lung des Selachierhirns in drei Encephalomeren in Beziehung bringt. Die lateralen und ventralen Teile des Zwischenhirns stimmen mit denen aller niederen Wirbeltiere überein, die dorsalen dagegen zeigen einen verwickelten, bisher nicht riehtig erkannten Bau. Die wirkliche Zirbel wurde von den bisherigen Beobachtern gar nieht gesehen; ihr Stiel entspringt hinter der Commissura superior, läuft korkzieherartig gewunden schräg nach vorn und trägt an seinem horizontal umge- bogenen Ende das Zirbelbläschen, ein drüsiges, zuweilen mit Gries er- fülltes Säckehen. Was früher als Zirbel beschrieben worden ist, sind vor der Commissura superior gelegene Teil der komplizierten, in ihrer vorderen Partie vielfach gefalteten Zwischenhirndeeke, welche als tela ehorioidea superior zusammengefasst werden und sich von hinten nach vorn in Zirbelpolster, Velum, Adergeflechtknoten (für welehen der außer Gebrauch gekommene Name Conarium vorgeschlagen wird) und Plexus (inferiores et hemisphaerium) gliedern. Während am Vorder- hirn alles, was bei höheren Wirbeltieren zunächst im die Augen fällt, eine Neubildung oder wenigstens die mächtige Entfaltung eines bei den Anamnia nur kleinen und indifferenten Abschnittes ist, liegen die für die Vergleichung wichtigsten Teile basal und medial (Gyrus hippo- campi und olfaktorische Zentren). In Ueberemstimmung mit Wilder wird nachgewiesen, dass ein deutlich abgesetzter Lobus olfaetorius vor- handen ist. (Als Lob. olf. wird mit Gegenbaur und Goronowitseh die ganze zwischen Vorderhirn und Riechschleimhaut liegende Partie zusammengefasst, welche in Tubereulum, Traetus und Bulbus zerfällt.) Eine kleine, median (bei Selachiern) oder ventral (bei Protopterus, Amphibien und Säugetieren) vom Tubereulum gelegene Vorwölbung des Vorderhirns, der Lobus postolfaetorius, dem im Inneren eine Aus- buchtung des Ventrikels entsprieht, zeigt sich phylogenetisch von großer Bedeutung und gestattet das Gehirn des Ichthyophis von dem- Jenigen des Protopterus abzuleiten, indem das Gehirn des ersteren ein Eintwieklungsstadium durchläuft, welches der definitiven Form von Protopterus entspricht und sich bis auf die Selachier zurückverfolgen lässt. Der Lobus postolfactorius ist aueh beim Menschen-Embryo deut- lieh nachzuweisen und bildet sieh zur Substantia perforata des er- wachsenen Gehirns um. Die Ependymzellen der Gehirnventrikel und des Zentralkanales sind dadurch merkwürdig, dass sie starke Wimpern besitzen. Was Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. 429 die Nerven betrifft, so ist hervorzuheben, dass der von den früheren Forschern vermisste Nervus trochlearis und ebenso der N. abducens von B. aufgefunden worden sind und dass die Spinalnerven wie bei Selachiern und Cyelostomen nicht paarig, sondern alternierend aus- treten. Schließlich sei noch erwähnt, dass B. auch den bei Dipnoern bisher noch unbekannten Saccus endolymphatieus auffand. Derselbe besteht bei Protopterus aus einem bauchig aufgetriebenen Schlauche, der an dem einen Ende durch einen engen Hals mit der Gehörblase in Verbindung steht, an dem anderen Ende im zahlreiche schlauch- förmige Divertikel ausläuft, welche fast die ganze Rautengrube be- decken und bis zum Austritt des ersten sensiblen Spinalnerven reichen. Die Divertikel der einen Seite kommunizieren nicht mit denen der anderen, trotzdem sie vielfach ineinandergreifen und äußerlich ein zusammenhängendes Ganzes darstellen. Dr. Voigt (Bonn). Jözef Nusbaum, Materyaly do Embryogenii i Histogenii Röwnonogöw (Isopoda). Text polnisch. Erklärungen der Abbildungen lateinisch. Seiten 99 und VI doppelte kolor. Tafeln. Separatabdruck aus den Abhandlungen der Krakauer Akademie der Wissenschaften, Bd. XXV, mathem. naturw. Klasse, 1393. Für diejenigen Fachgenossen, welche der polnischen Sprache nicht mächtig sind, wäre es, wie ich meine, wünschenswert, einen deutschen Bericht zu besitzen über die obengenannte, soeben erschienene Arbeit Nusbaum’s über die Embryogenie und Histogenie der Isopoden. Die Untersuchungen betreffen hauptsächlich Zigia oceanica und nur zum Teil Oniscus murarius. Ueber die Thatsache, dass bei den Embryonen der Isopoden die Thorakalfüße zweispaltig sind und aus einem 2gliederigen Proto-, 5gliederigen Ento- und ungegliederten Exopoditen bestehen, von welchen der letztere später verschwindet (eingezogen wird) und dass neben den Extremitätenanlagen eine lokale provisorische Hautverdiekung sich ent- wickelt, die der Verfasser als ein wahrscheinliches Homologon des Epipoditen hält — hat schon der Verfasser selbst in einer vorläufigen Mitteilung berichtet'). Ich werde deshalb über die Extremitäten nichts sagen und füge nur zu, dass auf den naturgetreu abgebildeten Keim- streifen ihre Lage und Form zu überblicken ist. Inbetreff der Bildung der Keimblätter hat schon der Verfasser selbst in seiner vorläufigen Mitteilung (s. 0.) angegeben, dass bei Ligia das Entoderm aus einer unpaaren, hinteren, medianen, soliden Anlage, das Mesoderm aber hauptsächlich aus zwei paarigen, seitlichen An- lagen an der primitiven dreieckigen Keimscheibe den Anfang nehmen. Diese Keimscheibe entspricht dem hintersten Teile des Primitivstreifens und liegt vorn vor der Anusanlage. Nach der Abtrennung vom Blasto- derm bildet das Mesoderm Reihen von sehr regulär angeordneten I) Biol. Centralblatt, 1891, Bd. XI, Nr. 2, 12, 13. 430 Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. Zellen, worin der Verfasser mit Patten’s Beobachtung bei Cymothoa im Einklange ist. Ich verweise auf die Fig.5 Taf. I der Nusbaum’schen Arbeit, wo der hinterste Teil eines sehr jungen Keimstreifs von L’gia dar- gestellt ist. Wir sehen hier vorn vor der Anusanlage dicht unter dem Ekto- dern sehr reguläre Reihen großer Mesoderinzellen, von welchen die hintersten (7°) am größten und am meisten regulär angeordnet sind. In der hintersten Reihe unterscheiden wir zwei große mittlere Zellen und beiderseits je vier seitliche. Durch Teilung der Zellen der hinteren keihen (Knospungszone) entstehen immer neue vordere Reihen von Mesodermelementen, die sowohl in querer wie auch im longitudinaler tiehtung mehr oder weniger regulär sich anordnen. Die ansehnlichsten paarigen hinteren Zellenreihen entstanden aus den paarigen seitlichen Mesodermanlagen, die mittleren aber wahrscheinlich aus der unpaaren, größtenteils aber das Entoderm liefernden Anlage. Bei Oniscus murarius (Fig. 6 Taf. I) beobachtete der Verfasser ebensolehe regulär angeordnete Reihen von Mesodermzellen. Das Ektoderm bildet auch eine sehr reguläre reihenweise Anord- nung seiner Klemente in jungen Keimstreifen. Die unpaare solide Entodermanlage liefert sehr bald zwei solide dem Ektoderm dicht anliegende Zellenhaufen, die sich abplatten und den Dotter umwachsen. Was die Bildung der Leberschläuche und eines rudimentären Mesenterons anbetrifft, verweise ich auf die sehr detaillierte Beschreibung dieses komplizierten Prozesses in der Arbeit des Verfassers (vergl. die Fig. 3, 4, 8, 32—49, 50). Ich gebe in der Kürze nur das wichtigste an: 1) die Entodermanlage (bei Ligia) zer- fällt früh in zwei abgeplattete Zellenhaufen, die im Vorderteile des Keimstreifens, hinter der Kopfanlage dem Ektoderm sich anlegen und von oben gesehen als zwei große flügelartige Anhänge des Keim- streifens erscheinen (Fig. 3, 4, 8, en); 2) diese beiden plattenförmigen Anlagen werden rinnenförmig: nach innen konkav, nach außen konvex; 3) beide Anlagen verwachsen miteinander an der Mittellinie des Em- bryos durch eine kleine Mittelplatte; 4) die vorderen Teile der rinnen- förmigen Anlagen verwandeln sich infolge einer energischen Umbiegung ihrer Ränder nach Innen, bald in zwei von vorne blind geschlossene den Dotter einschließende Schläuche; die Mittelplatte bleibt noch eine längere Zeit gegen den die Leibeshöhle ausfüllenden Dotter offen; 5) die vorderen blindgeschlossenen Schläuche (Fig. 45 Taf. III m‘, d‘ Fig. 50 5. s. w.) bilden den rudimentären Mitteldarm; diese Schläuche reduzieren sieh aber sehr bald, während der sie ausfüllende Dotter einer Absorbierung unterliegt; von der ganzen Wandung dieses Ab- schnittes bleibt nur ein sehr enger ringförmiger Teil übrig, der den- jenigen kleinen Abschnitt des definitiven Darmes ausmacht, in welchen die Leberschläuche sich öffnen; 6) die genannten vorderen rinnenförmigen Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. 431 Anlagen wachsen gleichzeitig in den hinteren Abschnitt des Körpers hinein. Sie bilden hier anfangs rinnenförmige der Wand des Embryo- körpers dicht anliegende Platten. In Folge der Umbiegung ihrer Rän- der und des gleichzeitigen Erscheinens zweier Längsfalten auf ihrer inneren (dem Dotter zugekehrten) Oberfläche verwandeln sie sich zu- letzt in vier Leberschläuche, die sich in der Richtung von hinten nach vorn allmählich differenzieren; 7) der kest des Darmes entsteht als Stomo- resp. Proctodaeumeinstülpung. Die Leibeshöhle entsteht aus dem Zusammenfließen vieler Räume und Spalten zwischen den Mesodermzellen. Das Nervensystem!) entwickelt sich als ein kontinuierliches Ganzes. Die Differenzierung der Bauchganglien schreitet in der Richtung von vorn nach hinten. In dem abdominalen Abschnitte des Keimstreifens haben die Anlagen der Ganglien einen etwas anderen morphologischen Charakter als in dem thorakalen Abschnitte desselben, und namentlich bilden sie in dem letzteren vom Anfange an paarige Anlagen, in den ersteren aber sind sie anfangs unpaarig (vergl. Fig. 64 Taf. V). Im Kopfe und in dem thorakalen Teile des Keimstreifs erscheinen fast gleichzeitig mit den Ganglienanlagen auch die paarigen Anlagen der Längskommissuren, während in dem abdominalen Teile diese letz- teren etwas später als die ersteren hervortreten. In dem hintersten Abschnitte des Keimstreifs bilden anfangs die Ganglienanlagen samt den Anlagen der Extremitäten kontinuierliche, reguläre, quer verlaufende Ektodermverdiekungen und nur später differenzieren sie sich in seit- liche Anlagen für die Extremitäten und in mittlere für die Ganglien (vergl. die Fig. 7 Tab. I und Fig. 64 Tab. V). Das Gehirn entsteht aus drei Ganglienpaaren: 1) Optische Ganglien, 2) Antennularganglien, 3) Antennalganglien. Die subösophagale Ganglien- masse bildet sich aus 4 Ganglienpaaren: aus dem mandibularen, aus zwei maxillaren und aus dem den Kieferfüßen entsprechenden Paare. In dem Abdominalabsehnitte des Körpers finden wir Anlagen von 7 Ganglienpaaren, was von großer morphologischer Wichtigkeit ist, da auch ein reduziertes siebentes Extremitätenpaar im Abdomen her- vortritt (vergl. die Fig. 10 Taf. I, die den hinteren Teil des Keimstreifs von Oniscus darstellt). Von einem allgemeineren morphologischen Interesse scheinen mir noch die zwei folgenden vom Verfasser beobachteten Thatsachen zu sein. Das Gehirn entsteht, wie gesagt, aus 3 Ganglienpaaren (vergl. die Fig. 57); sehr bald aber zerfällt jedes der Antennularganglien in zwei Teile, in einen mehr hinteren, äußeren, größeren und einen mehr vor- deren inneren, das der Verfasser als Ganglion praeantennulare be- zeichnet (vergl. die Fig.58 Taf.IV). Dieses Paar sekundär entstehender Ganglien entspricht ohne Zweifel nach der Meinung des Verfassers 1) Vergl. vorläufige Mitteilung des Verfassers im Anzeiger der Krakauer Akademie der Wissenschaften, 1892. 432 Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. dem „Procerebrum“ A. S. Packard’s. Seine Beobachtung steht also in dieser Beziehung im Einklange mit der entsprechenden Beobachtung Reichenbach’s (beim Flusskrebse); auch Prof. Claus betrachtet das „Procerebrum* samt dem Ganglion antennulare als ein primitiv einheitliches Ganzes. Einer ganz anderen Meinung ist bekanntlich Kingsley, der das „Procerebrum“ (beim Crangon) als eine unabhängige, den anderen Ganglien homologe Bildung betrachtet. Kingsley basiert seine Ansicht, auf der von ihm beobachteten Thatsache, dass das das „Procerebrum“ bildende Segment eine präorale Lage, das Antennularsegmeut dagegen eine postorale Lage besitzen soll. Die Herren Korschelt und Heider nehmen in ihrem Lehrbuche der Entwicklungsgeschichte der wirbel- losen Tiere auf Grund der Kingsley’schen Beobachtungen an, dass primitiv der präorale Teil des Kopfes der Crustaceen nur dasjenige Segment bilde, welchem das „Procerebrum* angehört, und dass das Antennularsegment primitiv postoral sei. Dem Verfasser scheint es dagegen keinem Zweifel zu unterliegen, dass das antennulare Ganglion im Allgemeinen eine präorale Bildung ist. Reiehenbach konstatierte dieses Verhalten für Astacus, Buezynski für Parapodopsis, der Verf. selbst für Mysis, Oniscus und Ligia. Auch der verstorbene Professor Graber teilte dem Verfasser brieflich seinerzeit mit, dass er eine Menge isolierter Keimstreifen von Maja squinado durchmusterte, an welchen ohne Zweifel die Antennulae präoral liegen. Welches Recht — sagt der Verfasser — haben wir also zu behaupten, dass dieses Verhalten, das so allgemein bei den Crustaceen verbreitet ist, nicht primitiv sondern sekundär erworben sei? Die obengenannte Behaup- tung von Korschelt und Heider führt dieselben Autoren noch zu einer anderen Ansicht, die nach Nusbaum’s Meinung unrichtig ist, nämlich, dass die Antennen der Tracheaten den Antennulis der Urustaceen entsprechen sollen. Nach Nusbaum’s Meinung können die Antennen der Insekten, die ja immer eine postorale Lage haben, nur mit den Antennen der Crustaceen (dem ersten Paare der postoralen Anhänge) homologisiert werden, In dem Bauchnervenstrange von Ligia erscheint ein Medianstrang (Hatschek), nicht aber wie bei anderen Arthropoden sehr früh, sondern verhältnismäßig viel später als sonst. Er erscheint auf der ganzen Länge des Bauchnervenstranges nicht als eine kontinuierliche Bildung, sondern hauptsächlich an der Grenze zwischen benachbarten Ganglien; an den den Ganglien entsprechenden Stellen ist er aber von Anfang an außerordentlich schwach entwickelt, rudimentär (vergl. z.B. Fig. 688.5). In den zwischenganglionären Stellen bildet er tiefe ektodermale Einstülpungen (vergl. z. B. Fig. 71 Taf. V s.s) an deren inneren Enden je eine kleine Zellengruppe sich abtrennt, die eine Lage in der Mitte zwischen den longitudinalen Kommissuren einnimmt und zur Bildung longitudinaler, zwischen den letzteren von einem Ganglion Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. 433 zum anderen verlaufenden und den definitiven Mediannerven aus- machenden Faserbündel beitragt (vergl. z. B. Fig. 72 Taf. V n. s). In die Bauchnervenstranganlage wachsen an vielen Stellen Muskel- elemente und bindegewebige Elemente von aulsen hinein. Was die Entwieklung der Augen anbetritft, verweise ich auf die Origmalarbeit, wo viele Details zu finden sind, und hebe hier nur folgende Punkte hervor. Die Augenlappen finden sieh anfangs late- ral von den Augenganglienanlagen. In dem Maße als die letzteren vom Ektoderm sich abspalten, verbreitern sie sich, weshalb ihre peri- pheren Teile unter die Augenlappen hineinwachsen. Die Augenlappen bestehen anfangs aus einer Schicht Zellen; später werden sie mehr- schichtig; es bilden sich keine Augeneimstülpungen. Hinter den soliden verdieckten Augenanlagen, längs des hinteren Randes derselben, bildet sich eine tiefe Einbuchtung, die nach oben offen ist (vergl. Fig. 76 Taf. VI, die mit * bezeichnete Einstülpung). Die histologische Dif- ferenzierung der verschiedenen Augenelemente (der Pigmentzellen, der Krystallkegel u. s. w.) beginnt an derjenigen Seite der verdickten Augenanlage, die die obengenannte faltenförmige Einbuchtung von vorne begrenzt. Dieses Verhältnis ist deshalb interessant, weil es auch bei Mysis (nach Nusbaum’s Untersuchungen), aber hier in einer viel komplizierteren und prägnanteren Weise ausgesprochen ist. Die Elemente der verdickten Augenanlagen werden bald sehr regulär angeordnet, sowohl in horizontaler wie auch in vertikaler Rich- tung. An horizontalen Schnitten finden wir parallele Reihen, die aus sechseckigen Feldern („Ommatealpfeiler“) und aus dazwischenliegenden kleineren, je zwei Dreiecke bildenden Feldern („Zwischenpfeiler“) bestehen, wie es aus Fig. 77—79 Taf. VI zu ersehen ist. Die in den vertikalen Reihen sehr regulär angeordneten Zellen der sechseckigen Felder bilden die Semper’schen Kerne, die Krystallkegelzellen und die Retinulazellen. Die Zellen der dreieckigen Felder liefern die Pismentzellen der Ommatidier. Was die Bildung des Herzens bei Zigia anbetrifit, so bestätigt in dieser Hinsicht der Verfasser seine älteren bei Oniscus gemachten Beobachtungen. Das Herz bildet sich bei Ligia aus zwei Gruppen saftiger, im Dotter zuerst liegenden Kardioblasten. Dieselben nehmen bald in dem Hinterteile des Proctodaeums beiderseits zwischen der Wand desselben und der Wandung der Leberschläuche ihre Lage ein (vergl. die Fig. 795, 80, 81, 32 Taf.VIer. 5). Jede Gruppe der Kardio- blasten bildet dann eine rinnenförmige Anlage, nach außen konvex, nach innen konkav. Beide Anlagen liegen anfangs weit von einander entfernt und durch das Proctodaeum gesondert. Später rücken sie nach oben über das Proctodaeum, nähern sich gegeneinander, um in ein abgeplattetes Herzrohr zu verschmelzen. Die Wand einer jeden - Anlage differenziert sich bald in eme äußere und innere Schicht: die Muskelschieht und Endothelschicht des Herzens. Das Herz wächst in XII. 28 434 Nusbaum, Entwicklung der Isopoden. der Richtung von hinten nach vorne zu und ist mit provisorischem Diaphragma versehen. Inbetreff der Histogenese der Muskelelemente kann der Verfasser die diesbezüglichen Beobachtungen von Roule in vollem Umfange nicht bestätigen. Der französische Embryologe gibt folgende Ver- allgemeinerung in dieser Hinsicht: In den Muskelfasern epithelialen Ursprunges erscheint anfangs die kontraktile Substanz nur auf einer Fläche der Zelle, während dieselbe in den Muskelzellen mesenchyma- tischen Ursprungs auf der ganzen Peripherie der Zelle erscheint und von allen Seiten den ungeänderten Teil des Protoplasmas samt den Kernen umgibt. Nach Roule entwickeln sich alle quergestreiften Muskelelemente bei Porcellio scaber nach dem ersteren Typus. Der Verfasser aber beobachtete bei Zigia in der Bildung der kurzen, an beiden Seiten des Herzens liegenden Rückenmuskeln die erste Ent- stehung der kontraktilen Substanz in den Muskelzellen nicht an der ganzen Peripherie, sondern auf einer Fläche der Zelle. In der langen Muskelfaser der Extremitäten, die ja aus Mesodermelementen von demselben morphologischen Werte wie die obengenannten entstehen, fand Verfasser dagegen das andere von Roule beschriebene Verhal- ten, nämlich die Entstehung der kontraktilen Substanz an der ganzen Peripherie der vielkernigen Muskelzelle. Inbetreff des Baues und der Entwicklung des provisorischen faltenförmigen Rückenorganes der Ligia verweise ich auf Nusbaum’s polnische Arbeit (S. 83—84, 87—89 und Fig. 35—836 f. s. g. und Fig. 51—55). Der Vergleich der Entwicklungsgeschichte der Isopoden und Mysi- daceen führt den Verfasser zu derselben Ansicht, zu welcher v. Boas auf Grund anatomischer Beobachtungen gelangte, nämlich, dass die Affinität der Schizopoden zu den Isopoden und überhaupt zu den Arthrostraken eine viel größere ist als die der Schizopoden zu einigen anderen Ordnungen der Thorakostraken. Ich führe hier mit Nus- baum z. B. nur folgende embryologische Charaktere an, die seine Meinung zu bestätigen scheinen. Sowohl bei den Schizopoden als bei den Isopoden existiert eine solide Gastrulation (ohne Einstülpung), in beiden Fällen umwächst das Entoderm den Nahrungsdotter von außen (es gibt weder eine Filtration des Nahrungsdotters, noch eine Ein- wanderung der Entodermzellen ins Innere des Nahrungsdotters, wie beim Palaemon), die Embryonen der Isopoden besitzen nach Nus- baum’s Untersuchungen zweispaltige Brustfüße, die aus einem zwei- gliederigen Protopoditen, fünfgliederigen Endopoditen, einem ungeglie- derten, rudimentären Exopoditen und noch einen rudimentären Anhang bestehen, der mit der Bauehwand des Körpers in Verbindung bleibt und aller Wahrscheinlichkeit nach dem Epipoditen in dem Fuße von Nebalia (Prototypus der zweispaltigen Extremitäten) entspricht. Außerdem finden wir noch bei den Embryonen der Isopoden nach der Beobach- Emery, Herkunft der Pharao- Ameise. 435 tung des Verfassers ein Rudiment des 7. Paares von Abdominalfüßen und ein rudimentäres 7. Bauchganglion, also dieselbe Zahl wie bei den Schizopoden. A. Lande (Warschau). Ueber die Herkunft der Pharao - Ameise. Von Prof. C. Emery in Bologna. In Nr. 7 u. 8 dieser Zeitschrift stellt Herr Ritzema Bos die Frage nach der Herkunft, d.h. der ursprünglichen Heimat von Mono- morium PharaonisL. Dass diese Ameise durch den menschlichen Ver- kehr verbreitet wurde, ist wohl außer Zweifel; dieses wird am besten dadurch bewiesen, dass sie, ebenso wie andere kosmopolitische Ameisen, wie Prenolepis longicornis Latr. und Tapinoma melanocephalum Fab. auf Dampfschiffen in großer Anzahl beobachtet wurde. Ihre allgemeine Verbreitung ist aber noch nicht so weit gediehen, dass es aus der jetzigen geographischen Verteilung der Art nicht mehr möglich wäre, über ihre Herkunft etwas zu eruieren. Ich bin überzeugt, dass das eigentliche Vaterland der Pharao- Ameise im ostindischen Gebiet gesucht werden muss. Ich bekomme oft Sammlungen von Ameisen aus verschiedenen Tropenländern zu be- stimmen. In ostindischen Sammlungen ist M. Pharaonis fast immer vertreten, in südamerikanischen und afrikanischen meist nicht; und zwar ist sie mir aus dem neotropischen und afrikanischen Gebiete fast nur von Küstenländern und Inseln zugekommen, was schon auf eine mehr recente Einführung hindeutet. M. Pharaonis steht unter seinen Gattungsgenossen ziemlich ver- einzelt da; die Gattung ist sonst in fast allen größeren Faunengebieten durch besondere Species vertreten; nur Nordamerika hat keine eigene Monomorien, sondern nur solche die auch in anderen Regionen ver- breitet sind. Südamerika hat nur wenige eigene Arten: ebenso Afrika. Die meisten Monomoriumn-Arten gehören Ostindien und einige derselben, wie M. destructor Jerd (vastator Sm.) und floricola Jerd (specu- /areMayr) haben, abgesehen davon, dass sie noch nicht in die Häuser der temperierten Zone eingedrungen sind, durch den Handel in den Tropenländern eine ganz ähnliche Verbreitung erfahren wie M. Pharaonis. Ihre nahe Verwandtschaft mit anderen, weniger verbreiteten Arten Ost- indiens unterstützt die Annahme, dass ihre Heimat in dieser Gegend liegt. Ist es für einige Ameisen sicher, dass sie durch den Handel ver- breitet wurden, so ist dasselbe für manche andere Arten sehr wahr- scheinlich: so Pheidole megacephala F ab. (wahrscheinlich aus Afrika, wo ihre nächsten Verwandten leben); Tetramorium guineense Fab. (ver- mutlich Ostindisch); 7. sömillimum F. Sm. Von einigen Arten wie Preno- lepis longieornis Latr. und Tapinoma melanocephalum Fab., die in den Tropen bereits Kosmopoliten geworden sind, bin ich nicht im Stande, 28* 436 Gillespie, Bakterien des Magens. eine ursprüngliche Heimat anzugeben. Andere Arten werden künftig gewiss auch ebenso weit verbreitet sein: zu solchen Kosmopoliten der Zukunft rechne ich das in Südamerika überall vorkommende winzig kleine Tetramorium auropunctatum Rog., welches ich aus Sierra Leone erhielt: ebenso einige in Gewächshäusern eingeführte Arten, wie z. B. der neotropische Drachymyrmex Heeri Forel. Andere kosmopolitische Ameisen sind wahrscheinlich nicht erst durch den Menschenverkehr verbreitet worden. Als solche betrachte ich Odontomachus haematodes L. und Solenopsis geminata Fab. Diese beiden Arten zeigen eine ganz eigentümliche Verteilung; sie sind so- wohl im neotropischen als im indisch-australischen Gebiet überall, auch entfernt von der Küste sehr gemein. Beide sind in Afrika wenig ver- breitet und letztere fehlt in Madagascar. A. Lockhart Gillespie, The bacteria of the stomach. The Journal of Pathology and Bacteriology, Febr.” 1893. Die Bedeutung der Magensalzsäure für die Abtötung von Mikro- organismen, welche mit der Nahrung in den Magen gelangen, wird vielfach überschätzt. Wenn wirklich die gesamte während der Ver- dauungsthätigkeit abgesonderte Salzsäure zur Wirkung käme, so würde der Mageninhalt allerdings so gut wie frei von Bakterien in den Darm übertreten. Aber der größte Teil der HC] vereinigt sich mit den Pro- dukten der Eiweißverdauung, den Albumosen und Peptonen, zu salz- ähnlichen Verbindungen und verliert dadurch an bakterieider Kraft. Der Magensaft enthält durchschnittlich 0,2—0,3°/, HCl. Auf Nähr- böden mit einem solchen Säuregehalt gehen die meisten Bakterien, insbesondere die pathogenen rasch zu Grunde. So werden Staphylo- kokken und Typhusbaecillen durch 0,3°/,, Milzbrand durch 0,1%, Finkler-Prior’s Spirillen und Kommabacillen durch 0,05°/, HCI1 ge- tötet. Hieraus nun zu schließen, dass sie alle den Magen nicht lebend passieren können, ist aus dem angegebenen Grunde falsch; denn der Mageninhalt enthält in den letzten Stadien der Verdauung, wo die Menge der freien Salzsäure am größten ist, nur 0,05—0,1°/, freie HCl. Verf. hat bei seinen Untersuchungen über Wirkung und Schicksal der im Magen auftretenden Bakterien die Versuchsanordnung so gut als möglich den im Körper gegebenen Verhältnissen angepasst. In Pergamentpapierschläuche wurde Bouillon, Nährgelatine oder ein Ge- misch von Bouillon, Fibrin und Würfeln von Eiereiweiß gefüllt und die Füllungen aus Reinkulturen von Magenbakterien geimpft; die Schläuche mit Fibrin und Eierwürfeln erhielten außerdem noch einen Zusatz von sterilisierter Pepsinlösung. Diese permeablen Schläuche wurden dann bei Körpertemperatur der Dialyse gegen 0,036 bis 0,540, Salzsäure unterworfen. So konnte, ähnlich wie im Magen die Schleim- haut allmählich mehr und mehr Säure an den Inhalt abgibt, von der Gillespie, Bakterien des Magens. 437 Pergamentwand aus die Säure nach und nach in den Nährboden diffundieren. Von Zeit zu Zeit wurden von den Nährsubstraten und der Außenflüssigkeit Proben genommen und analysiert. Zur Prüfung kamen 24 Pilzarten, die G. aus frisch entnommenem Mageninhalt ver- sehiedener Individuen isoliert hatte; hierunter Sareina ventriculi, Bac- terium coli commune, Saccharomyces cerevisiae, Proteus vulgaris, Baeillus subtilis, Micrococcus candicans, Bacillus fluorescens liquefaciens, Asper- gillus niger, Bacterium lactis aörogenes. Außerdem wurden noch Staphylo- coccus pyogenes aureus und Micrococceus prodigiosus herangezogen. G. gelangt auf Grund seiner Beobachtungen zu folgenden Schluss- sätzen: Im menschlichen Magen gedeihen sehr viele Mikroorganismen, und viele können auf dem Mageninhalt gezüchtet werden, selbst wenn derselbe sehr stark sauer ist. Sind im Mageninhalt organische Säuren vorhanden, so lassen sich aus ihm Bakterien isolieren, welche auf passenden Nährböden dieselben organischen Säuren produzieren. Diese Bakterien sind Säuren gegen- über sehr resistent. Salzsäure, welche an Proteinstoffe gebunden ist, wirkt schwach bacterieid im Vergleich zu freier Salzsäure. Bakterien in großer Masse schädigen die Pepsin- und ‚Pankreas- verdauung. Obgleich die Fettsäuren stark antiseptisch wirken und die Pankreas- fermente wahrscheinlich noch unterstützen, so schmälern sie doch die Pepsinwirkung auf die Chlorhydrate der Proteine. Pathogene Mikroorganismen, die im allgemeinen sehr empfindlich gegenüber der Salzsäure sind, können den Magen ungefährdet passieren, wenn sie mit einer reichlichen und eiweißreichen Mahlzeit eingeführt werden. Viele nicht pathogene Pilzarten passieren den Magen meistens ungeschädigt, nur zeitweise werden sie darin zurückgehalten. Hiermit steht in Einklang, dass die Darmbakterien nach Zahl und Art be- ständig wechseln. Obgleich die Bakterien die Pepsinverdauung nicht unterstützen und auch die Wirkung des Pankreas behindern, wenn sie in großer Zahl im Duodenum vorhanden sind, so sind sie für die Vorgänge im Dünndarm doch von großem Nutzen, sofern sie die Fäulnisprozesse beschränken. Dies scheint widersinnig, dürfte aber einleuchten, wenn man in Betracht zieht, dass grade diejenigen Bakterien am leichtesten den Magen intakt verlassen, welehe sehr widerstandsfähig gegen saure Reaktion sind und welche selbst Fettsäuren produzieren, und dass die Fettsäuren die Entwicklung der Fäulnisbakterien hintanhalten. Stärkere Fäulnis im Darmkanal beruht daher entweder darauf, dass im Magen die Fäulniserreger in zu geringer Zahl, oder darauf, dass die säure- bildenden Organismen in zu großer Zahl abgestorben sind. Hm Be) 0 Gillespie, Magenverdauung der Eiweißkörper. Die Milchsäure, welche in den ersten Stadien der Verdauung auf- tritt, ist ein Produkt von Mikroorganismen. Ebenso werden die bei Magenektasie vorkommenden Säuren: Milch- säure, Essigsäure, Buttersäure und Bernsteinsäure von Mikroorganismen erzeugt, die in dem wenig beweglichen Mageninhalt wuchern. Oscar Schulz (Erlangen). A. Lockhart Gillespie, On the gastric digestion of proteids. Journal of anatomy and physiology, Vol. XXVII, p. 195 ff. Die stufenweise vor sich gehende Umwandlung, welcher die Eiweiß- stoffe bei der Magenverdauung unterliegen, sucht Verf. im Sinne folgen- der Vorstellung zu erklären. Die Eiweißmoleküle haben ringförmige Struktur, ähnlich dem Benzolmolekül, nur dass das Ringmolekül hier aus 8 Gliedern besteht. Jedes dieser Glieder ist eine komplexere Atomgruppe, welche in ihrer Konstitution bei dem Uebergang von Eiweiß in Pepton intakt bleibt. Bezeichnet man eine solche Atom- gruppe, welche vierwertig sein möge, mit «, so veranschaulicht das Schema j a=dqa TREE —:0 4 — | | ud Gr \ da= die Struktur des Eiweißmoleküls. Das nicht koagulierte wasserlösliche Serumalbumin kann aufgefasst werden als H,0 H,0 H,0 H,0 | ) | | qa a GI) \ / H,0 — a a — ı a — H,0 | | | | H,O — a a ——— dd a — H,0 \ / \ / aA d—=—(A | | | | H,0 H,O H,0 H,O Serumalbumin oder 80, -+ 12 H,O. [Es ist nicht ersichtlich, wie sich Verf. die Bindung von H,O an a vorstellt. Nimmt man statt dreier Doppel- bindungen in jedem Ringe drei einfache Bindungen an, so geht die Formel des Serumalbumins über in HF os (de) Gillespie, Magenverdauung der Eiweißkörper. H'OBE H-0H H OH M:0H \/ \/ \% N a 7 d (er zn HL \ h \ oH>« a —— {a a< OH Br | | | OH —ı U — (d a \ / \ / a di ———— 9 4 —— 0 / /\ N /\ ErOH7 ER OH H 0E.H:-0H Diese Schreibweise wäre jedenfalls korrekt. Auch die Formeln für das Aecidalbumin und die Chlorhydrate der Albumosen und Peptone müssten in ähnlicher Weise geändert werden. Ref.] Wird Serumalbumin durch Erhitzen koaguliert, so spaltet es Wasser ab und geht über in ! \ _—— f \, | ER. \ 1 — 164 \ — N N, — f koaguliertes Serumalbumin Unter der Einwirkung des Pepsins und der Salzsäure entsteht aus Albumin, indem 6H,0 dureh 6HCI ersetzt werden, zunächst Aeidalbumin, aus 8a, + 12H,0 wird Sa, + 6H,0 + 6HCl. Die fortdauernde Fermentwirkung führt dann zur Trennung des Doppelringes und zur Bildung der Albumosen H,0 HCl H,O nn | | | Wi a a / \ HCl—a a—H,0 H,0—a a I | I | H,0—a a— HCl H,0—a a—H,0 \ / \ / Ir) Ga | | | | HCl H,0 H,0 H,0 Protoalbumosen — 4a, + 4H,O + 4HC1 und 4a, + 8H30. Schließlich spaltet sich der achtgliederige Ring, und es entstehen Deuteroalbumosen und endlich Peptone: 440 Kalischer, Neurologische Mitteilungen. HCl H,O | | a HCI HCl N N | | H,0—a a— HU ( — | | H,0 H,0 | | HCI HCl Deuteroalbumose Pepton Ueber das Pepton führen Fermentwirkung und hydrolytische Spaltung bei der Magenverdauung nicht hinaus. Unterwirft man Pepton stärkeren chemischen Agentien, so zerfällt der Atomkomplex @ in Amidosäuren und andere einfachere organische Stiekstoffverbindungen. Der Wiederaufbau von Eiweiß aus Peptonen und Albumosen nach deren Resorption, der wohl schon in der Magenwand zu Stande kommt, ist die Umwandlung der einfacheren Moleküle in die höheren, aus d&, + 2 H,O + 2 HCl wird durch partielle Dehydratation, Säure- abspaltung und Ringschließung Sa, + 12 H,O zurückgebildet. Bei der Magenverdauung nach einer überwiegend aus Eiweißstoffen bestehenden Mahlzeit wird zunächst viel Salzsäure gebunden; denn es lässt sich, obwohl die Drüsen der Schleimhaut reichlich Salzsäure secernieren, in der ersten halben Stunde keine freie Säure nachweisen. Erst wenn die Albumosen und Peptone keine HCl mehr fixieren können, fallen die Proben auf freie Säure positiv aus. Auf Grund der Be- stimmungen der Gesamt-HCl und der freien HCl im Mageninhalt lassen sich vier Stufen des Verdauungsprozesses unterscheiden: 1) Gesamtacidität gering; HCl an Eiweiß gebunden vorhanden, freie HCl fehlt; Peptone in der Regel nachweisbar. Dauer 10 Minuten. 2) Beträchtliche Aecidität; Peptone und alle Albumosen vorhanden; keine freie HCl; bisweilen geringe Mengen von Milchsäure. Dauer etwa !/, Stunde. Acidität noch größer als vorher; der größte Teil der HCl an Peptone und Albumosen gebunden, daneben freie HCl; Milch- säure verschwindend. Dauer bis zur dritten Stunde. 4) Acidität abnehmend; mehr freie HCl als gebundene; Menge der freien HCl 0,05 bis 0,1°/,. Dauer von der dritten bis zur fünften Stunde. Oscar Schulz (Erlangen). os Se, Neurologische Mitteilungen. Contributions a l’etude des ganglions eerebro-spinaux, par A. van Gehucehten, Prof. d’anatomie & l’universit6 de Louvain. Buxelles 1892. Aus den Untersuchungen G.’s, sowie aus dem Vergleiche mit den Ergebnissen anderer Autoren ist zu entnehmen, dass die Nervenzellen Kalischer, Neurologische Mitteilungen. 441 der Spinalganglien der meisten Fische bipolar seien, wobei der eine Axenzylinderfortsatz nach dem kückenmark, der andere nach der Peripherie zu läuft. Die Nervenzellen der Spinalganglien der übrigen Vertebraten sind bei erwachsenen Tieren alle unipolar; der eine Fort- satz teilt sich in verschiedener Entfernung von der Zelle in einen zentralen und peripherischen Ast. Bei den Cyelostomen findet man beide Formen und außerdem noch Zwischenformen. Dasselbe Ver- halten zeigen die Spinalganglien der Säugetier-, Vögel- und Reptilien- Embryonen. In einem bestimmten Entwicklungsgrade sind alle Nerven- zellen der Spinalganglien bipolar, später nimmt die Zelle eine andere Form an und wird unipolar. Die Zellen in den Spinalganglien der Fische bewahren definitiv eine Gestalt, welche die der höheren Verte- braten nur vorübergehend zeigen. Jede Zelle gibt jedenfalls auf die eine oder andere Weise zwei Fortsätzen ihren Ursprung, welche zu Axenzylindern einer zentralen schlanken und einer peripherischen Nervenfaser werden. Die Spinalganglien bei den Vertebraten bilden den Ursprungskern für die sensiblen spimalen Nervenfasern, sowohl der zentralen wie der peripherischen. Ausgenommen davon sind nur die Fasern, welche, ohne sich mit einer Zelle zu verbinden, durch die Spinalganglien hindurehgehn. — Die Ganglien des Trigeminus, Glosso- pharyngeus und Vagus sind in allen Punkten mit den Spinalganglien vergleichbar; auch das Ganglion des N. acustieus ist einem Spinal- ganglion vergleichbar, aber die Nervenzellen dieses Ganglions haben sich permanent die Form von bipolaren Zellen erhalten, eine Form, welche die anderen Cerebrospinalganglien, mit einziger Ausnahme der Fische, nur vorübergehend besitzen. Les cellules nerveuses du sympathique chez quelques mammiferes et chez I’homme, par A. van Gehuchten, Prof. d’anatomie & P’universite de Louvain (Extrait de la Revue „La Cellule“, T. VIIL, Fase. 1, 20 avril 1892). Verf. hat mit der von Ramon y Cajal modifizierten Golgi’schen Methode das obere Cervikalganglion beim erwachsenen und neuge- borenen Hunde, bei der neugeborenen Katze und bei dem menschlichen Embryo untersucht. Es kommt zu dem Schlusse, dass die Nerven- elemente des Sympathieus in allen Punkten denen des Cerebrospinal- systems vergleichbar seien; wie diese, besitzen sie zwei Arten von Fortsätzen a) kurze oder Protoplasma- oder zur Zelle hinleitende, und b) lange oder Axenzylinder- oder von der Zelle fortleitende Fortsätze. Die Protoplasmafortsätze sind in verschiedener Anzahl vorhanden. Am häufigsten sieht man an ihnen eine oder zwei gelbliche Teilungsstellen, bevor sie zwischen den benachbarten Zellen endigen; bisweilen indessen bleiben sie ungeteilt; sie endigen immer frei. Die baumartige Ver- ästelung um die Zelle ist aceidentell und hat nicht die Wichtigkeit, welche Ramon y Cajal ihr zuteilt. Jedes nervöse Element besitzt 449 Kalischer, Neurologische Mitteilungen. nur einen Axenzylinderfortsatz, welcher sich in eine Nervenfaser fort- setzt. Sur la fine anatomie des ganglions du sympathique, par Sala. Arch. ital. de Biologie, Bd. XVII. Die vorliegenden Untersuchungen wurden an dem Ganglion cervi- cale inferior von Tierföten unter Benutzung der von Ramon y Cajal angewandten Methoden und geringer Modifikation der Härtung ange- stellt. Die nervösen Zellen des Sympathicus sind multipolar; sie haben eine variable Anzahl von Protoplasma-Fortsätzen und nur einen ein- zigen nervösen oder funktionellen Fortsatz, der ungeteilt bleibt. In jedem Sympathieus-Ganglion gibt es zwei Arten von Nervenfasern; die eine Art teilt sich nieht, ist mit Anschwellungen versehen, hat einen geschlängelten Verlauf und bildet mehr oder weniger dicke Bündel, die das Ganglion in allen Richtungen durchziehen; die andere Art hat stärkere Fasern (ohne Anschwellungen), die zahlreiche, immer feinere, sich sehr stark teilende Kollateralen entsenden. Die nach dem, an zweiter Stelle erwähnten Schema gebauten Nervenfasern sind weniger zahlreich als die anderen und treten fast ausschließlich in den Ver- biudungsästen zwischen dem Sympathieus-Ganglion und den Nerven- stämmen des Zentralnervensystems auf. Die ungeteilt bleibenden Fasern sind die nervösen Verlängerungen der Sympathieuszellen. Beide Faser- arten bilden im Ganglion sehr feine Verschlingungen und Netze, die die ganze Ausdehnung des Ganglions einnehmen und alle Zwischen- räume zwischen den Zellen ausfüllen. Es existiert im Sympathicus, ebenso wie Golgi in den Zentralorganen des Rückenmarks es nach- wies, eine Bildung von diffusen Verschlingungen, deren Fäserchen nicht allein die Zellen, sondern auch die nervösen Fortsätze und ihre feinsten Anastomosen umschlingen; aber nur die nervösen Fasern in ihren beiden verschiedenen Erscheinungsformen nehmen an diesen Netzbildungen teil; die Protoplasmafortsätze beteiligen sich daran niemals (im Gegensatz zuRamon y Cajal); sie teilen sich häufig, aber ihre perizelluläre Anordnung ist ein aceidentelles Vorkommnis ohne erhebliche Wichtigkeit. The cerebral commissures in the marsupialia and monotremata, by Johnson Sgmingtone M. D. Lecturer on Anatomy, Minto House, Edinburgh. Journ. of Anatomy and Physiology, Vol. XXVII, p- 69—84. Nach den Untersuchungen von S. kommt bei den Aplacentalia wohl eine Commissura hippocampi vor (entsprechend der Lyra des Menschen oder der Fornixkommissur anderer Wirbeltiere), aber das weitere Kommissurengebilde der höheren Wirbeltiere, der Balken, fehlt bei ihnen. Die Vorderhirnkommissuren der Marsupialia und der Mono- tremata bieten mehrere Merkmale durch die sie sich von denjenigen Kalischer, Neurologische Mitteilungen. 445 der Placentalia unterscheiden. 1) Die vordere Kommissur ist ebenso sroß und gewöhnlich viel größer als irgend eine andere Querkommissur des Vorderhirns und sie verbindet die gesamten Rinde der beiden Hemisphären mit Ausnahme der Gyri dentati und Hippocampi majores. 2) Sie haben kein wirkliches Corpus callosum. 3) Die obere Kom- missur (Balken nach Osborn und anderen Autoren) ist ausschließlich eine Kommissur für die Gyri dentati und Hippocampi majores. Bei den Wirbeltieren mit Placenta hingegen ist 1) die vordere Kommissur viel kleiner als die anderen Querkommissuren und sie breitet sich nie auf die dorsale Fläche der Hemisphären aus, oder gar auf den dorsalen Teil der medialen Hemisphärenwand. 2) Besteht ein wirklicher Balken und daneben 3) eine Commissura hippocampi oder Fornixkommissur. — Sur les alterations du syst&me nerveux et peripherique produites par l’inanition aigne, par Peri. Arch. ital. de Biol., XVII, H. 2. Bei der makroskopischen Prüfung des Zentralnervensystems von verhungerten Kaninchen, Katzen und Hunden sind nur geringe Ver- änderungen sichtbar; sie bestehen in venöser Stase und sehr wenig ausgesprochenem Oedem; hin und wieder zeigte sich auch in der Dura spinalis venöse Stase, die in einzelnen Fällen sogar sehr stark aus- gesprochen war. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab sich, dass die Veränderungen um so deutlicher waren, je länger das Tier am Leben geblieben war; sie waren nicht atrophischer Natur; Degene- rationen fanden sich nur angedeutet; die Ganglienzellen hatten normales Aussehen. Auch die Purkinje’schen Zellen im Kleinhirn, die von anderen Autoren stark verändert gefunden wurden, zeigten keine Ab- weichungen. Blieb dagegen das Tier längere Zeit am Leben, so zeigten sich einige Zellen in den Vorderhörnern hyalin degeneriert und die Gefäße von Blutkörperchen gefüllt und umgeben; die von Coä@n ge- schilderte Proliferation auf dem Endothel konnte nicht gefunden werden. Diese abweichenden Resultate sind auf Rechnung der heutigen, ver- vollkommneten histologischen Methoden zu setzen. Am peripherischen Nervensystem (N. ischiadieus) ergab sich eine Verringerung des Myelins, besonders an den länger am Leben gebliebenen Tieren. Der Axen- zylinder zeigte keine Strukturveränderung. — Zur Frage über Innervation der Gefäße, von Dr. J. Jegorow. Aus der Gesellschaft von Neuropathologen und Psychiatern an der Universität Kasan. Sitzung am 18. Oktober 1892. Als Versuchsobjekte dienten dem Verfasser Frösche, die zu den physiologischen Versuchen kurarisiert wurden. Die mikroskopische Beobachtung der Blutzirkulation geschah entweder an der Schwimm- haut der Hinterextremität oder am Mesenterium des Frosches. Die Nerven wurden mechanisch und elektrisch gereizt; zur histologischen - Untersuchung wurden die Gefäße mit Osmiumsäure behandelt, in 444 Kalischer, Neurologische Mitteilungen. Spiritus gehärtet u.s. w. Die Schlüsse aus den Untersuchungen gehen dahin, dass die vasomotorischen Fasern für die Hinterextremitäten des Frosches durch den Brust- und Bauchteil der sympathischen Ketten gchen. Im Niveau des Lendengeflechts bilden sie mit diesem Geflecht Verbindungszweige und ziehen hierauf längs der Wandung der Gefäße zu den Gefäßen der Schwimmhaut der Hinterextremitäten. Die vaso- motorischen Nervenfasern erscheinen vom Spinalsystem gesondert; die rechtsseitigen stehen in keiner Verbindung mit den linksseitigen. Außer den in den Sympathieusketten und in den Gefäßwandungen verlaufen- den vasomotorischen Fasern sind irgend welche andere derartige Fasern für die Gefäße der Hinterextremitäten weder im Sitzbeingeflecht, noch im N. ischiadieus oder N. cruralis vorhanden. In der Wandung der Gefäße (Aorta, Mesenterialarterie) verteilen sich die Nerven auf 2 Ge- flechte; ein oberflächliches in der tiefen Schieht der Adventitia und ein tiefes, teils auf, teils zwischen den Muskelelementen der Museularis der Gefäßwand emgebettet. An verschiedenen Stellen finden sich in der Gefäßwandung, im Niveau der äußeren Fläche der Muskelschicht, zuweilen auch zwischen den Muskelelementen der letzteren Nerven- zellen in der Form von Haufen oder Ganglien; die Zellen sind groß, mittelgroß und klein. Die Ganglien sind von Nervenfasern umgeben, die zu ihnen ziehen. Die Reizung der sympathischen (vasomotorische Fasern enthaltenden) Nerven in peripherer Richtung bewirkt in den Gefäßen der Schwimmhaut der Hinterpfote der entsprechenden Seite anfangs Beschleunigung des Blutlaufs; hierauf fängt das Lumen der Gefäße an, sich zu verengern; darauf folgt Verlangsamung des Blut- stromes, die Gefäße ziehen sich bis zum Verschluss ihrer Lumina zu- sammen und die Blutzirkulation sistiert ganz. Nach dem Aufhören der Reizung gehen diese Erscheinungen in umgekehrter Reihenfolge vor sich, und die Blutzirkulation wird wieder hergestellt. Die be- schriebenen Veränderungen im den Gefäßen der Sehwimmhaut sind nicht gleich stark bei der Reizung verschiedener Sympathicuszweige; die stärkste Wirkung wird erzielt bei der Reizung des 3. und 4. Ver- bindungszweiges rechts, die geringste bei der Reizung des 1., 2. und 3. Verbindungszweiges links. Um gleich starke Effekte zu erhalten, muss bei wiederholter Reizung der Vasomotoren die Reizung bedeutend verstärkt werden; widrigenfalls wird der Effekt schwächer, tritt später ein ete., alles das zeugt von schneller Ermüdung der Nerven. Aelhn- lich sind die Verhältnisse an den Mesenterialgefäßen bei Reizung der sympathischen Nerven. — Die Endapparate der Geschmacksnerven, von Prof. C. Arnstein. Aus der Gesellschaft der Neuropathologen und Psychiatern an der Universität Kasan. Sitzung am 2. November 1892. Während Fusari und Panasci nach der Golgi’schen Methode fanden, dass die zentralen Elemente der Schmeckbecher, die soge- Kalischer, Neurologische Mitteilungen. 445 nannten Schmeckzellen mit Nervenfäden in Verbindung stehen, konnte Arnstein durch Untersuchungen mit Methylenblau nach der Ehr- lich’schen Methode eine derartige Verbindung nicht feststellen resp. widerlegen. Nach der Einführung einer 4proz. Methylenblaulösung in die Blutbahn eines’ chloroformierten oder kurz vordem getöteten Ka- ninchen erfolgte die Färbung beim Luftzutritt nach einigen Minuten. Nur durch Zerzupfen und Isolationspräparate konnten die näheren Ver- hältnisse der intraepithelialen Fäden zu den Zellen in den Schmeck- bechern festgestellt werden. Die Nervenfäden begleiten die Deckzeilen der Schmeckbecher, indem sie an den kändern derselben vom Grunde des Bechers bis zu seiner Oeffnung verlaufen und hier entweder mit freien Endverdiekungen oder ohne solche enden. Auf ihrem Wege geben die Nervenfäden dünne Zweige ab, welche zum anderen Rande der Zellen gehen, hier ihren Weg längs der Zelle fortsetzen und frei an der Oeffnung des Schmeckbechers enden oder am Rand der Zelle umbiegen und auf die dem Becherlumen zugekehrte Fläche gehen, wobei sie sich während ihres Verlaufes wiederholt teilen und mit anderen, ähnlichen Zweigen sich verflechten. Sowohl die Deck- wie die zentralen Elemente (die sich nicht färben) der Schmeekbecher werden von gefärbten Nervenfäden umflochten, welche im Niveau der Schmeekbeeheröffnungen frei enden. Die Härchen oder Stäbchen der zentralen Zellen werden ebenso wenig wie die Zellen selbst durch Methylenblau gefärbt. Die in die Schmeckbecher eintretenden Nerven- fäden gehen nie in zentrale Fortsätze der zentralen Schmeckzellen über, sondern legen sich an der ganzen Strecke nur ihnen an und enden im Niveau der Oeffnung des Schmeckbechers frei, ohne über die Schmeckbecheröffnungen hervorzurageu. Ueber die Rindenzentren Sphineteris ani et vesicae. Nach Ver- suchen von Dr. J. Meyer und Prof. W. v. Bechterew. Neurologisches Centralblatt vom 1. Februar 1893. Durch eine sinnreiche Anordnung der Versuche an narkotisierten Tieren mittels Elektodenreizung der Hirnrinde gelang es nachzuweisen, dass das Zentrum für die Kontraktionen Sphineteris ani etwas nach hinten von der Kreuzfurche, im hinteren Sigmoidalwindungsabsehnitt liest, und zwar näher zu dessen äußeren als zu seinem inneren Rande. Das Zentrum für den Sphineter vesicae befindet sich im äußeren Teil des hinteren Sigmoidalwindungsabschnittes unmittelbar hinter dem äußeren Ende der Kreuzfurche. Ueber die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel, von Prof. Kraepelin. Der erste Abschnitt des Buches („Methodik“) erhebt sieh weit über eine Angabe der speziell zu den folgenden Versuchen angewendeten Methoden und ist eine Art von Einleitung zu einer Individual-Psyehologie. 446 Kalischer, Neurologische Mitteilungen. Kr. stellt dabei die außerordentliche Veränderlichkeit des untersuchten Objektes bei diesen psycho-physischen Untersuchungen in den Vorder- grund und bemüht sich, diejenigen Veränderungen in unserem Seelen leben, die wir sonst nur durch das trügerische Hilfsmittel der Selbst- beobachtung in ganz allgemeinen Umrissen zu schildern vermögen, nunmehr in bestimmten Zahlenwerten auszudrücken und auf gewisse sehr einfache Elementarstörungen zurückzuführen. Neben der Schwierig- keit, ganz gleiche äußere Versuchsbedingungen herzustellen, kommen besonders die nicht zufälligen Veränderungen in Betracht, welche der psychische Zustand durch die Versuchsarbeit selbst ohne den Einfluss von Medikamenten erleidet (Schwankungen der psychischen Leistungs- fähigkeit). Erst nach Prüfung der auch normaler Weise vorkommenden Schwankungen der Leistungsfähigkeit der Versuchspersonen konnte man die Beeinflussung durch Medikamente erforschen. Die Zeitmessungs- methoden sowie die Versuche mit einfachen Aufgaben, mit Assoziationen, Addieren, Auswendiglernen werden eingehend erörtert. Die Unter- suchungen wurden in Bezug auf die Beeinflussung durch Alkohol, Paraldehyd, Chloralhydrat, Morphium, Aether, Chloroform und Amyl- nitrit angestellt und in einem Koordinatensystem dargestellt. In diesem sind unter den Abseissen die Zeiten, unter den roten Kurven die zen- tralen motorischen, unter den blauen Kurven die zentralen sensorischen und intellektuellen Vorgänge, unter Hebung der Kurve die Verlang- samung, unter Senkung die Erleichterung der Funktion zu verstehen. Bei dem Alkohol ist außer der Auffassungs- und Urteilsstörung eine Steigerung der zentralen motorischen Erregbarkeit (also nicht einfacher Wesfall von Hemmungen) festzustellen. Die Beschleunigung der ein- fachen, und Wahlreaktionen, der Lesegeschwindigkeit, des Wieder- holens, die Steigerung der Dynamometerwerte weisen auf eine Er- leichterung der motorischen Innervation hin und lassen sich aus einer Schwächung des Urteils psychologisch nieht erklären. Die Morphium- wirkung tritt dadurch im Gegensatz zu allen anderen Arten der psychischen Beeinflussung, dass bei ihr die Auffassung äußerer Ein- drücke sofort erleichtert wird, während die Ausführung des Wahlaktes in ganz ähnlichem Tempo erschwert wird. Für die Lehre von den Erschöpfungspsychosen sind die Untersuchungen von besonderem Werte, die sich auf die Ermüdbarkeit und Widerstandsfähigkeit beziehen. — Contributo alla fisiologia dei lobi prefrontali dei cervello e alla chirurgia cerebrale, von Dr. Rosolino Colella. Aus der psychiatrischen Klinik der Universität Neapel. Verf. teilt 3 Fälle mit und kommt nach Betrachtung von Tier- experimenten und der zusammengestellten Fällen der Litteratur zu dem Schlusse, dass die destruktiven Läsionen der Lobi praefrontales weder dauernde Lähmungen noch Krämpfe bedingen; treten solche ein, so sind sie als Fernwirkungen zu deuten. Bleibende Störungen Kalischer, Neurologische Mitteilungen. 447 der allgemeinen Sensibilität oder der Sinnesorgane werden dureh die genannten Läsionen nicht hervorgerufen; der anfänglich nach der Läsion beobachtete Torpor in den verschiedenen Arten des Empfindens ist ein transitorisches Phänomen und entsteht durch einen Perzeptions- defekt, durch eine psychische Hyperästhesie. Die Präfrontallappen sind das Gebiet der höchsten psychischen Funktionen. Die Zerstörung keiner Zone der Hirnrinde beim Menschen und den ihm verwandten Tieren hat so schwere Folgen in Bezug auf Abschwächung aller psychischen Kundgebungen; es handelt sich dabei um einen Ausfall an Initiative und Zielbewusstheit, an Lebhaftigkeit und Spannkraft, an Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Selbst ausgedehnte Läsionen der Stirngegend des Menschenhirns sind nicht tötlieh und sogar mit einer restitutio ad integrum verbunden, indem andere Hirmteile kompensa- torisch eintreten. An der Hand von 81 Fällen der Litteratur (seit der antiseptischen Wundbehandlung) ‘ergibt sich für die Hirnchirurgie, dass zufällige oder chirurgische Läsionen keines Teiles irgend einer Windung der Hemisphären tötlich seien, und dass stets nach einer gewissen Zeit durch eintretende Kompensation eine fast völlige Restitution der durch die Läsion selbst bedingten Ausfallserscheinungen eintrete. — Report on an experimental investigation of the nerve roots which enter into the formation of the Brachial Plexus of the dog. J. S. Risien Russell. The British med. Journ., 28. Mai 1892. R. untersuchte die Nervenwurzeln erst durch elektrische Reizung, sodann mittels Durchschneidung, ferner durch die Degenerationsmethode und endlich durch Ausschaltung einer bestimmten Wurzel oder mehrerer Wurzeln während eines epileptiformen Krampfes in der Extremität. Die durch Reizung einer ganzen Nervenwurzel erzielte kombinierte Bewegung ist wohl koordiniert und hängt von der Thätigkeit einer synergisch wirkenden Muskelgruppe ab. Die kombinierte Wirkung lässt sich in einzelne Faktoren zerlegen, wenn in denselben Nerven- wurzeln Antagonisten vorhanden sind. Diese einfachen Bewegungen stehen in einem bestimmten Verhältnis zu der Nervenwurzel und zum Rückenmarkssegment z. B. Beugung des Ellbogens wird immer eine Wurzel höher erzielt als Streckung. Fasern für eine bestimmte Be- wegung haben immer dieselbe Lage in eimer bestimmten Nervenwurzel z. B. Extension des Handgelenkes wird bewirkt durch ein Nerven- faserbündel im oberen Teile, Flexion durch ein Bündel im unteren Teile derselben Wurzel. Jedes Nervenfaserbündel, welches eine einzige einfache Bewegung in einer Nervenwurzel besorgt, bleibt in seinem Verlauf zu dem Muskel oder zu den Muskeln, die solche Bewegung hervorbringen, für sich, ohne sich mit anderen motorischen Nerven- faserbündeln zu mischen. Die Muskeln, welche von einer bestimmten Nervenwurzel innerviert werden, liegen an der anderen und hinteren Fläche der Extremität d. h. Fasern für die Antagonisten liegen in 448 Figdor, Heliotropische Empfindlichkeit der Pflanze. derselben Wurzel. Die Nervenfasern des einen Bündels überwiegen die des anderen derselben Wurzel, so dass mit einem elektrischen Strom, welcher alle Fasern einer Wurzel gleich reizt, gewisse Muskeln zu stärkerer Kontraktion, gebracht werden als andere. Das Ueber- wiegen er Muskelaktion in einer Wurzel ist in dieser Wurzei konstant. Es ist möglich, durch Reizung eines einzigen Faserbündels in einer Wurzel die Kontraktion eines einzigen Muskels allein hervorzurufen. Der nämliche Muskel wird immer in mehr als eiuer Wurzel repräsen- tiert, gewöhnlich in zwei und in ungleichem Maße. Wenn der näm- liche Muskel von zwei Wurzeln Fasern bezieht, so sind die durch die eine Wurzel innervierten Muskelpartien nicht auch von der anderen Wurzel innerviert. — Waller’s Beobachtung, dass, wenn eine Nerven- wurzel auf der distalen Seite von Intervertebral-Ganglien durchschnitten ist, keine Degeneration von Fasern im der hinteren Wurzel zwischen Ganglion und Mark gefunden wurde, ist nicht bestätigt. Denn solche Degeneration besteht und drängt zu der Annahme, dass dort gewisse Nervenfasern sind, welehe hinsichtlich ihrer trophischen Versorgung nicht von den Ganglien abhängig sind, sondern aus einem anderen Rückenmarkssegment oder von der Peripherie herstammen. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 3. Februar 1893. Das w. .M. Herr Prof. J. Wiesner überreicht eine im pflanzenphysio- logischen Institute der k. k. Universität in Wien von Dr. W. Figdor ausge- führte Arbeit, betitelt: „Versuche über die heliotropische Empfind- lichkeit der Pflanze“. Auf Grund messender Versuche wurde die untere Grenze der heliotropi- schen Empfindlichkeit von Keimlingen zahlreicher Pflanzenarten ermittelt. Als Lichtquelle diente die Flamme eines Mikrobrenners, der durch unter konstantem Drucke stehendes Leuchtgas gespeist wurde. Die Tiefe der Dunkelkammer gestattete eine Herabminderung der Leuchtkraft bis auf eirca 0.0003 Normal- kerzen. Im großen Ganzen wurde gefunden, dass die Sonnenpflanzen schon im Keimlingsstadium weniger lichtempfindlich sind als die Schattenpflanzen. So liegt beispielsweise die untere Grenze der heliotropischen Empfindlichkeit der Keimlinge von Xeranthemum annuum (Somnenpflanze) bei 0.015, die der Keim- linge von, Lunaria biennis (Sehattenpflanze) noch unter 0.0003 Normalkerzen. Einsendung gen , für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf V ’ersendung g des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Eduard Besold, Leip:ig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kel. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 20. August 1893. Nr. 15 u. 16. Inhalt: Loesener, Ueber das Vorkommen von Domatien bei der Gattung Ilex. — Weismann, Das Keimplasma, I. — Römer, Vorticella vaga, eine neue ungestielte Vorticelle aus der Umgebung von Jena. — Ergebnisse der Plankton- Expedition, II. — Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tier- reich. — Stieda, Ueber die Homologie der Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. — Capparelli, Zur Frage des experimentalen Pankreas- diabetes. — Friedländer, Ueber das sogenannte Verbrennen der Haut. — Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie, — Bauer, Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogel- eiern. — Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Ueber das Vorkommen von Domatien bei der Gattung lex. Von Dr. Th. Loesener. Durch eine neue Art der Glazion’schen Sammlung aus Brasilien, deren Zugehörigkeit zur Gattung Z/ex mir ursprünglich unsicher schien, da sie teils in sterilen Exemplaren, teils im solchen mit jungen, noch gänzlich unentwickelten Blütenknospen gesammelt war, die sich aber neuerdings auf Grund eines von Ule (Nr. 2471) m der Serra de Caraca gesammelten Fruchtexemplares als eine ausgezeichnete neue Art aus der Verwandtschaft von Ilex buxifolia Gard. erwies, wurde ich ver- anlasst, der Frage nach dem Vorkommen von Domatien bei dieser - Gattung etwas näher zu treten). Lundström gibt in seiner ausführlichen Abhandlung über diesen Gegenstand?) für die Gattung Ilex zweierlei Arten von Acarodomatien an. Erstens beobachtete er bei zwei brasilianischen Arten?) (Herb. 1) Hier muss ich zugleich mein aufrichtiges Bedauern ausdrücken. bei Zusammenstellung meiner Dissertation „Vorstud. Monogr. d. Aquifol.* die Ab- handlung von Lundström nicht im Original gelesen, denselben daher sowohl bezüglich der Species, um die es sich handelt, als auch bezüglich der Form der Domatien selbst missverstanden und seine Angaben bestritten zu haben. 2) Lundström, Pflanzenbiolog. Studien, II, 1887. Die Anpassung der Pflanzen an Tiere, S. 23. 3) Also nicht I. Aquifolium, wie ich irrtümlich aus dem Referat in der Bot. Ztg. entnehmen zu müssen glaubte, zumal ich nicht vermuten konnte, dass Lundström bei seiner biologischen Arbeit würde unvollständig bestimmtes Herbarmaterial berücksichtigt haben. AIL. 29 oe 450 Loesener, Domatien bei der Gattung Ilex. Regnell, Ser. III, Nr. 398 und Nr. 4244 leg. Mosen) an der Blattbasis deutliche Zurückrollung der Blattspreite. Die erste der beiden an- geführten Pflanzen ist er sapitofolia Reiss., die zweite eine Varietät (I. ocrodonta heiss.) der sehr variablen Dex theezans Mast. Wie weit diese Angabe, auf die der Autor übrigens selbst nieht viel Gewicht legt, der Wahrheit entspricht, vermag ich nicht zu entscheiden. Die Umrollung geht indessen an beiden Exemplaren selbst nach der Basis zu, wo sie nur stärker ist als im oberen Teile des Blattes, nieht über die Randpartien der Spreite hinaus. Wenn Lundström nun auch in diesen umgerollten Blattrandteilen Reste von Acarinenhäuten be- obachtet hat, so bedarf die Auffassung jener als Domatien noch inso- fern der Bestätigung, als auch ihm doch nur getrocknetes Material _ vorgelegen hat, das Verhalten der Blättränder der oben angeführten az Arten im lebenden Zustande somit noch unbekannt ist. — Wenn aber seine Ansicht richtig ist, dann dürfte der plötzlich in der Nähe der - Blattbasis bedeutend breiter zurückgeklappte Teil des Blattrandes > bei Dex euyabensis heiss. und einigen andern Arten ebenfalls dieser * Funktion dienen. Dies lässt sieh aber nur an lebendem Materiale ent- scheiden. Anders dagegen verhält es sich mit der zweiten Angabe Lund- ström’s, welche, trotzdem sie sich gleichfalls nur auf Herbarmaterial sründet, gänzlich unbestreitbar ist. Die Art, um die es sich handelt (Herb. Regnell Nr. 2808 leg. Mosen) ist Yex Pseudobuxus Reiss., mit weleher ich /. peduncularis Reiss. für identisch halte. Dieselbe be- sitzt häufig in der Nähe der Blattbasis jederseits am Rande ein zurück- geklapptes Zähnchen, das zweifellos die Funktion eines Domatiums besitzt (vergl. Lundström |. ce. Taf. II Fig. 2). Bei jener oben angeführten neuen Art (Glaz. Nr. 7575 u. 15899), welche ich nach ihren Vulgärnamen Zer Congonhinha nennen will, fand ich nun ganz ähnliche Domatien ausgebildet, wie sie Lundström für J. Pseudobuxus angibt. Dieselben sind zwar beträchtlich Kleiner als bei letzterer, wie auch die Blätter jener nieht halb so groß sind als die von 7. Pseudobwxus; durch den Platz aber, den sie einnehmen, und durch ihre Organisation dürften sie ihren Bewohnern emen noch sicheren Schutz gewähren, als die Domatien von I. Pseudobuxus. Sie werden ebenfalls durch kleine nach der Blattunterseite zurückgeschla- gene Zipfelchen gebildet und befinden sich unmittelbar dort, wo die Blattspreite in den Blattstiel übergeht. Der äußerste Rand des Zipfels berührt daher fast die Mittelrippe, so dass das Domatium ungefähr die Form einer Düte hat. In einigen fand ich außer Kotballen und Pilz- sporen 1—3 kleine rundliche hellgelbe Körperchen (%), welche viel- leicht Ei- oder Larvenhäute einer Acarina sein könnten. Dass diese Gebilde bei I. Pseudobuxus wie bei I. Congonhinha als Domatien anzusehen sind und nicht etwa als gewöhnliche Blattzähnchen oder -zipfelehen, die nur durch das Eintroeknen sieh zurückgerollt N Loesener, Domatien bei der Gattung llex. 451 haben, zeigt eine genauere morphologische wie anatomische Betrach- tung. Da Lundström diese Verhältnisse bei seiner Art schon be- sprochen hat, kann ich mich hier auf. J. Congonhinha beschränken. +70 Fig. 1. A = Blatt von Ilec Congonhinha Loes.; d— Domatium; B = Blatt- be) & ’ ) basis derselben Art, das Domatium der einen Seite aufgeklappt. Fig. 2. Blattbasis von Ilexr Congonhinha mit unvollkommen ausgebildeten Domatien d. Die Blätter sind zwar auch abgesehen von den beiden domatien- bildenden Zähnchen nicht vollständig ganzrandig (wie übrigens auch die von I. Pseudobusxus nicht immer!), sondern oberhalb der Mitte der Spreite mit einigen wenigen kleinen Sägezähnehen versehen. Es dürfte nun immerhin selten vorkommen, dass die Spreite emes Blattes un- mittelbar an der Basis jederseits emen Zahn oder Lappen besitzen und dann eine Strecke lang ganzrandig verlaufen sollte, um erst wieder an der Spitze gesägt zu erscheinen. Es deutet also sehon der räum- liehe Abstand dieser beiden basalen Zähne von den übrigen darauf hin, dass sie besonderen Funktionen dienen müssen. Ferner aber unterscheiden sie sich auch in Größe und Form von den gewöhnlichen Sägezähnchen der oberen Blatthälfte. Sie sind mehr als doppelt so groß und abgerundet, während letztere spitz sind. Sie finden sich nicht auf allen Blättern, sondern bei einigen Exemplaren fehlten sie gänzlich, auch an den 2jährigen Blätteru. Sie gehören somit noch nicht zu den artbildenden Charakteren dieser Species, während da- gegen die oberen Sägezähnchen, zwar nicht bei Z. Psendobuxus, aber bei I. Congonhinha konstant sind. DIE: 459 lLoesener, Domatien bei der Gattung Ilex. Ob sie zu gleicher Zeit angelegt werden, wie letztere, oder erst später, vielleicht nur nach vorausgegangenem Reize, muss die Entwicklungsgeschichte und die Beobachtung an lebendem Materiale entscheiden. Bei manchen Blättern waren die Zähne nur als eine leichte Erweiterung und Umrollung des Blattrandes ausgebildet. Auch im anatomischen Baue zeigt die Spreite dort, wo sie sich zum Domatium umrollt, nieht unwesentliche Abweichungen von ihrer sonstigen Beschaffenheit in der Nähe des Randes. Die sonst zweischichtige Epidermis der Oberseite, deren untere Schicht aus großen weitlumigen, dünnwandigen Wasserspeicherzellen besteht, wird im Domatium einschiehtig; die Epidermiszellen selbst gehen am äußersten Rande des zurückgeklappten Teiles desselben in diekwandige Papillen über, die sich fast schuppenartig decken. Einige von ihnen sind, wie auch einzelne der Blattunterseite zu pfriemartigen, äußerst schmallumigen emzelligen Filzhaaren ausgewachsen, welche sonst fehlen. Besonders am äußersten Rande des Domatiumzipfels sind diese Haare ausgebildet, wodurch auch der zwischen ihm und dem Mittelmeer freigelassene schmale Zugang fast verschlossen wird. Das Pallissadengewebe der Spreite ist bis fast unmittelbar an den Blattrand zweischichtig und besteht aus sehr schmalen Zellen. Im Do- matium wird es durch gewöhnliche grüne Parenchymzellen ersetzt, die nicht mehr die senkrecht zur Oberfläche gerichtete Streckung zeigen. Das Schwammparenchym ist in dem nicht umgeklappten Teile (a in Fig. 2) des Domatiums zwar noch ausgebildet, welcher auf seiner Unterseite auch noch Spaltöffnungen besitzt. Der umgeklappte Teil (5) dagegen besteht aus einem diehten Parenchym, dessen Zellen, wie auch die der Epidermis der Unterseite, eine deutliche Streck- une nach dem Rande zu, also senkrecht zur Blattmittelrippe gerichtet, zeigen. Lacunen sind nieht vorhanden, und Spaltöffnungen fehlen hier ebenfalls. Die gewöhnlichen Sägezähnehen der oberen Blatthälfte, in denen zwar auch keme deutliche Differenzierung in em besonderes Pallissaden- und Schwammparenehym mehr zu erkennen ist, unter- scheiden sich in ihrem Bau von den Domatienzipfeln erstens durch isodiametrische, nicht gestreckte Zellen, ferner durch das Fehlen der Haare und Papillen und endlich dadurch, dass in sie em Nervenast eintritt, während der Domatiumzipfel nur in dem Teile « von einem Nerven durchzogen wird, dem Marginalnerven des ganzen Blattes, in den umgeklappten Teil dagegen kein Nerv einmündet. Eime andere Deutung dieser Organe halte auch ich für ausge- schlossen. Somit finden Lundström’s Angaben hierdurch eine Be- stätigung und Erweiterung. Doch sind dies die beiden einzigen be- kannten Arten der Gattung Dex, für die solehe Domatien mit einiger Sicherheit als nachgewiesen gelten können, was sich mir bei einer zu (diesem Zweck vorgenommenen Durchsicht meines ganzen Untersuchungs- Weismann, Das Keimplasma. 459 materiales ergab. Hierdurch möge es zugleich entschuldigt werden, wenn ich in meiner ersten Arbeit über diese Gattung Lundström’s Angaben bestritten habe. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung von A. Weismann. Jena, G. Fischer, 1892. I. Die der Grundlegung der Theorie folgenden Abschnitte des Weis- mann’schen Werkes (Buch II—IV) behandeln die Anwendung der Vererbungslehre und zwar speziell auf solche Vererbungserscheinungen, deren Verständnis keineswegs „unmittelbar schon aus der bis jetzt dargelegten Zusammensetzung des Keimplasmas“ gewonnen werden kann; sie umfassen weitaus den größten Teil des ganzen Werkes (S. 124-590). Dieser Umstand schon, ganz besonders aber das feste logische Gefüge, welches die einzelnen Kapitel im Zusammenhange des Ganzen verknüpft, machen es unmöglich, in diesem Berichte aueh nur das Wesentliche mit annähernder Vollständigkeit in Kürze wieder- zugeben. Ref. muss sich deshalb darauf beschränken, Einzelnes mehr beispielsweise herauszugreifen und zu versuchen, dureh passende Hin- weise weniger volles Verständnis als lebendige Anregung zu geben, die bedeutsamen Ausführungen Weismann’s im Original kennen zu lernen. E Zunächst (II. Buch) erörtert Weismann das weitverbreitete Ver- mögen der Tiere, einen verloren gegangenen Teil ganz oder teilweise wieder zu erzeugen, em Vorgang von hoher biologischer Bedeutung, den man als „Regeneration* bezeichnet. Im Zusammenhange mit dieser werden dann die Erscheinungen der ungeschlechtlichen Fort- pflanzung, welche uns in den beiden Formen der Teilung und Knospung entgegentritt, vom Standpunkte der Keimplasmalehre aus- führlich besprochen. Die Thatsachen der Regeneration finden m dem bisher ge- schilderten Aufbau des Keimplasmas keine ausreichende Erklärung, denn derselbe erläutert bloß, „dass alle Teile, die zum ganzen Bion gehören, einmal, nämlich bei der Entwicklung aus dem Ei zur Bil- dung gelangen, nicht aber, dass einzelne von ihnen, wenn sie durch irgend welche äußere Einwirkungen verloren gegangen sind, noch einmal vom Organismus hervorgebracht werden können“. Allerdings vollzieht sich schon dureh den normalen Lebensprozess an jedem Tier ein fortdauernder Verbrauch von Teilen, welche sofort wieder ersetzt werden. Zur Erklärung dieser „physiologischen Regeneration“ wie sie z, B. an dem Epidermisepithel der höheren Vertebraten unaus- ‚gesetzt stattfindet, bedarf es nur des durch die Erfahrung bestätigten 454 Weismann, Das Keimplasma. Hinweises, „dass nicht alle Zellen, welche das Gewebe bilden, zu gleicher Zeit abgängig werden, dass vielmehr mehrere Altersstufen derselben gleichzeitig vorhanden sind, und dass die jüngsten unter be- stimmten Ernährungs- und Druck- Einflüssen stets Jung und vermehrungs- fähig bleiben, so dass sie emen Grundstock bilden, von welehem der notwendige Ersatz für die alternden Zellen fortwährend abgegeben werden kann. Hier wird also durch den Verlust an abgängigen Zellen nicht zugleich der ganze Vorrat an Determinanten dieser Art aus dem Körper entfernt, denn die zurückbleibenden jungen Zellen enthalten diese Determmante*. Anders verhält es sich aber in den Fällen, in welchen die regenera- tiven Prozesse verschiedenartige Bildungen hervorgehen lassen. Besonders geeignete Beispiele dieser Art liefern die Amphibien. Bei diesen Tieren vermag sich die Oberhaut mit ihren Drüsen und Sinnes- organen „von den dem Defekte benachbarten Zellen der Epidermis aus“ neu zu bilden). Diese letzteren produzieren also sehr heterogene Bildungen wie Sinneszellen, Mantelzellen, Drüsenzellen und typische Epidermiszellen, und die Hervorbringung derselben erfolgt wie in der Ontogenese in festbestimmter Anordnung, so dass eine neue normale Oberhaut als Ergebnis resultiert. Da nun Äußere Ursachen — wenig- stens nicht allein — nicht entscheiden können, dass die eine Zelle zur Drüsen-, die andere zur Sinnes-, eme dritte etwa zu einer gewöhn- lichen Epidermiszelle wird, so muss die verschiedenartige Umgestal- tung der jene Oberhaut von Neuem konstituierendon Bildungszellen ihrem inneren Wesen entspringen, d. h. „von den Determinanten, welche in ihnen — bisher in latentem Zustand — enthalten waren und welche nun gereift sind und der Zelle einen spezifischen Charakter aufprägen* abhängen. „Diese Bildungszellen müssen von vornherem verschiedene Determinanten enthalten“. Die Amphibien sind aber auch im Stande, Extremitäten, die ihnen künstlich abgeschnitten oder im freien Natur- stande abgebissen worden sind, wieder zu ersetzen. Hier handelt es sich um weit verwickeltere Vorgänge, da nicht bloß das Knochen- gerüste des Beines, sondern auch seine Muskulatur, seine Gefäße und Nerven etc. regeneriert werden müssen, damit eme leistungsfähige normale Extremität hervorgebracht werde. Die bezüglichen Unter- suchungen ?) haben gelehrt, dass (wie bei der Regeneration der Ober- haut) auch bei der regenerativen Entstehung der Extremität im Wesent- lichen die Vorgänge der Embryonalentwieklung wiederholt werden. Sehen wir der Einfachheit halber von allen Komplikationen ab, fassen wir also bloß die Regeneration emes Organs z. B. des knöchernen Skeletts der Extremität ms Auge, so handelt es sich bei der regenera- 1) P. Fraisse, Die Regenerationen von Geweben und Organen bei den Wirbeltieren ete. Kassel und Berlin, 1885. 2) A. Goette, Ueber Entwicklung und Regeneration des Gliedmaßen- skeletts der Molche. Leipzig 1879. Weismann, Das Keimplasma. 45D tiven Neubildung desselben um Nichts Geringeres als «die „Hervor- bringung einer ganz bestimmten Anzahl ganz bestimmt «vestalteter, bestimmt a neinandergefügter und in bestimm- ten Größenverhältnissen abgemessener, in bestimmter Reihenfolge aufeinander folgender Knochenstücke*, denn ein Triton, welchem ein Stück des humerus z. B. abgenommen wurde, regeneriert nieht bloß diesen Skelettteil sondern das Skelett der ganzen Extremität. Würde also — und des leichteren Verständnisses wegen mag diese Annahme im vorliegenden Falle gemacht werden — die Regeneration des Extremitätenskelettes von einer einzigen Bildungs- zelle, einer Urknochenzelle ausgehen, so müsste in dieser „die ganze Knochenkette des Beimes virtuell enthalten sem, und wir müssten ihr ein Idioplasma zuschreiben, welches nicht nur die Zellen-Nachkommen bestimmter Generationen zu knochenbildenden Zellen stempelt, sondern welches auch die ganze Succession knochenbildender Zellen nach Quan- tität, Qualität und gegenseitiger Anordnung, ja auch nach dem Rhyth- mus bestimmt, nach welchem die Teilungen einander zu folgen haben“ Demnach muss die Urzelle des knöchernen Gerüstes der Amphibien- Extremität mit emem Idioplasma versehen sein, „welches die Deter- minanten für alle folgenden Knochenzellen enthält” d. I. allgemein gesprochen, jede zur Regeneration befähigte Zelle ist neben dem Idioplasma, dureh welches sie bestimmt erscheint, noch mit einem latenten Idioplasma ausgestattet, „welches aus den Determinanten der von ihr aus regenerierbaren Teile besteht“ (Neben -Idioplasina). Diese Annahme ist mit dem geschilderten Bau des Idioplasmas wohl vereinbar. Da die einzelnen, nur im Keimplasma in der Einzahl vorhandenen Determinanten mit dem Fortschreiten der Ontogenese sieh vermehren, für das latente Idioplasma aber nur Deter- ininanten von Teilen in Frage kommen, deren Anlage in relativ spä- terer Zeit erfolgt, „so ist das Material zum Neben - Kdioplasıma Immer vorhanden und wir brauchen nur die Annahme zu machen, dass sich bei jeder Abspaltung einer Stammzelle irgend eines Knochenstücks zugleich ein Teil der für die Folgestücke bestimmten Determinanten als Neben -Idioplasma abspalte und nun inaktiv in der Kernsubstanz der Zelle verharre, bis eine Ursache zur Regeneration eintritt“. Diese Determinanten nennt Weismann „Ersatz-Determinanten“, ihre Gesamtheit, welche als „besondere, wenn auch sehr kleme Gruppe neben dem in sich geschlossenen Id” gedacht werden kann, „Neben- Idioplasma*. Die bisher betrachteten Regenerationsprozesse stellen sich, wie bereits hervorgehoben wurde, als Rekapitulationen der Onto- enese dar und können deshalb, wenngleich sich die Uebereinstimmung beider wohl nicht auf alle Einzelmheiten erstrecken mag, nach seläufigem Vorbild als „palingenetische* Regenerationen bezeichnet werden. In vielen Fällen schlägt aber die regenerative Neubildung 496 Weismann, Das Keimplasma. Wege ein, welehe von der embryonalen Genese mehr oder weniger in wesentlichen Zügen abweichen. Während z. B. die Larven unserer Frösche, die sog. Kaulquappen ihren Ruderschwanz und mit demselben seinen Chordaanteil im derselben Weise wie in der Embryonalentwick- lung auf regenerativem Wege zu entwickeln im Stande sind, ist diese Fähigkeit bei den Sauriern dahin abgeändert, dass der irgendwie ver- lorene Schwanz zwar auch ohne Schwierigkeit regeneriert wird, aber bei diesem Vorgange wiederholt sich nicht die Embryo- genese, da an Stelle des Schwanzmarkes eine „Epithelröhre*, statt des Knochengerüstes der Schwanzwirbelsäule aber em „unsegmentiertes Knorpelrohr* gebildet wird. Um diese „eänogenetischen* Regenerationen im Sinne seiner Theorie verständlich zu machen, nimmt Weismann an, „dass gewisse Determinanten doppelt oder mehrfach neben einander im Keimplasına vorhanden sind, von denen die eine für die Embryonal- Entwicklung, die anderen für die Regeration bestimmt sind und im Voraus in ihren inneren Kräften, besonders in ihrer Vermehrungskraft so eingerichtet, dass sie sich allein oder mit benachbarten „Regenerations-Determinanten* zusammen auf einem bestimmten Entwicklungsstadium als „Neben- Idioplasma* abspalten“. Cänogenetische Abänderungen, mögen sie nun in der ontogenetischen oder in der regenerativen Entwicklung zu Tage treten, setzen notwendig eine phyletische Hervorbildung voraus, können also nach den gemachten theoretischen Aufstellungen nur in der Variation einer Determimante des Keimplasmas ihren Ursprung haben. Wenn m dem letzteren „nur die eine für die Embryogenese bestimmte Determinante vorhanden wäre, so müsste die Embryogenese stets gleichzeitig abändern. Dies ist aber nicht der Fall, folglich muss eine Art von Doppel-Determinante für regenerationsfähige Vererbungs- sticke (Determinaten) im Keimplasma enthalten sein, d. h. zwei ursprünglich identische Determinanten, deren eine für die Embryo- genese, die andere für die Regeneration in Funktion tritt“. Diese An- nahme ist daher auch für die palmgenetische Form der Regeneration nicht zu umgehen. Was nun die Träger der als Neben-Idioplasma zusammengefassten Ersatz -Determinanten, welche also lediglich auf bestimmte äußere keaktionen hin m Thätigkeit treten, betrifft, so liegt kein empirischer Grund vor, derartige Zellen schlechtweg als „indifferente* oder als Zellen „von embryonalem Typus“ zu bezeichnen, denn es widerspricht Niehts der Auffassung, dass auch histologisch differenzierte Zellen mit Neben-Idioplasma begabt sein können. Gleieh- wohl nehmen die regenerativen Bildungsvorgänge in der Regel von Jugendlichen, geweblich nicht scharf determinierten Zellen ihren Ur- sprung wie z. B. aus den dem Ektoderm angehörigen sogenannten interstitiellen (intermediären) Zellen der Hydroiden bald Nesselzellen, bald Nervenzellen, bald typische Epidermiszellen hervorgehen können; Weismann, Das Keimplasma. 457 es wäre aber eine irrige Vorstellung, „wollte man glauben, dass eine bestimmte derartige Zelle eines oder das andere werden könnte. Offenbar enthalten diese Zellen entweder Keimplasma, d. h. sämtliche Determinanten, und dann können sie sich zu Geschlechtszellen ent- wickeln. oder sie enthalten nur die Determinanten der Nesselzellen, Nervenzellen u. s. w., und dann können sie nur Nesselzellen, Nerven- zellen u. s. w., niemals aber Geschlechtszellen werden“. Das Regenerationsvermögen der Tiere gilt wohl allgemein als eine elementare Fähigkeit dieser Lebewesen, die „als eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der ohnehin bestehenden Organisation“ unmittelbar aus dieser letzteren entspringt. Weismann tritt dieser Anschauung ent- geeen; er erblickt in der Fähigkeit der Regeneration lediglich eine dureh Selektion bedingte „Anpassungs-Erscheinung“, eine Auffassung, welche unser Autor dureh interessante Betrachtungen zu begründen sucht. Die gewichtigsten Argumente, die Weismann zu Gunsten seiner Ansicht ins Feld führt, mögen mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung der Frage hier kurz Erwähnung finden. Es ist eme bekannte Thatsache, dass die sonst ausnahmlos ein- tretende Regeneration der Amphibien- Extremität unterbleibt, wenn dieselbe exartikuliert wird d. h. die Bildung einer Bruchstelle nicht stattfindet. Dieses auffällige Verhalten lässt sich mit der Vorstellung, dass das Regenerations- Vermögen der Tiere eine elementare Eigen- schaft derselben sei, nicht leieht vereinigen, wohl aber leuchtet ein, dass ein Fall, welcher im freien Naturstande wohl niemals vorkommt, „von dem Organismus auch nicht vorgesehen, und die be- treffenden Zellen des geöffneten Gelenkes nicht mit den zur Regeneration nötigen Ersatz-Determinanten ausge- rüstet werden“ konnten. Ferner lehrt die Erfahrung, dass das Maß der Regenerationsfähigkeit der einzelnen Organe bei derselben Tierart durchaus verschieden ist und „im erster Limie nach der Aus- gesetztheit“ derselben geregelt erscheint. Endlich lässt sieh nach- weisen, dass innere, unter den natürlichen Existenzbedingungen Ver- stiüimmelungen nieht zugängliche Organe jeglicher Regenerationskraft überhaupt entbehren. Weismann gelangt schließlich zu dem bedeut- samen Ergebnis, „es möchte die allgemeine Regenerations- fähigkeit aller Teile eine durch Selektion herbeigeführte Errungenschaft niederer und einfacherer Tierformen sein, die im Laufe der Phylogenese und der steigenden Kom- pliziertheit desBaues zwar allmählich mehr und mehr von ihrer ursprünglichen Höhe herabsank, die aber auf jeder Stufe ihrer Rückbildung in Bezug auf bestimmte, biolo- gisch wichtige und zugleich häufigem Verlust ausgesetzte Teile dureh speziell auf diese Teile gerichtete Selektions- prozesse wieder gesteigert werden konnte*, 3ei gewissen Gliederwürmern (Lumbriceulus, Nais etc.) wird, wie 155 Weismann, Das Keimplasma. seit Langem bekannt ist, nieht nur das abgeschnittene Schwanzstück regeneriert, sondern dieses letztere selbst ist unter geeigneten Ver- hältnissen im Stande, sich zu emem ganzen, lebensfähigen Wurm- Individuum auf regenerativem Wege zu ergänzen. Teilt man durch einen queren Schnitt z. B. einen Lumbrieulus in zwei Stücke, so reeenerieren sich dieselben an den zunächst offenen Wundstellen wieder je zu einem ganzen Individuum, indem das vordere Stück ein neues Hinterende, das hintere Stück aber em neues Vorderende mit all seinen wiehtigen Organen und Organteilen entwickelt. Da der ausgegebene Sehnitt nahezu an jeder beliebigen Stelle «des langgezogenen Körpers mit dem gleichen Erfolge geführt werden kann, so muss die Möglieh- keit, dass besondere Zellen für die Bildung eines neuen Kopfteiles, audere wieder für «die Hervorbringung eines neuen Schwanzes in irgend welcher Weise vorgesehen seien, von vornherein ausgeschlossen werden. Deshalb nimmt Weismann zur Erklärung «dieser doppelten Fähigkeit jener Bildungszellen, je nach Bedarf einen neuen Kopf oder emen neuen Schwanz zu erzeugen, an, dass in jeder derselben zweierlei Ersatz-Determinanten enthalten sind, „eine für den Aufbau des Kopfes und eine für den des Schwanzes, und dass die eine oder die andere in Thätigkeit gerät, je nachdem die betreffende Zelle von ihrer vor- deren oder von ihrer hinteren Fläche her dem Reiz der Bloßlegung ausgesetzt wird“. In demselben Sinne erläutert Weismann auch die unter allen Tieren wohl im stärksten Maße ausgebildete Regenerationskraft unseres Süßwasser -Polvpen, der Hydra, «deren Leib beliebig sozusagen zer- stückelt werden, und jedes Stück sich wieder zu einer vollkommenen normalen Aydra vegenerieren kann. Den angezogenen Würmern gegenüber zeigt der Süßwasserpolyp demnach auch die bei jenen fehlende Fähigkeit, in der Längsaxe gespalten beide Hälften zu sanzen Individuen auszugestalten. Diese Thatsache nötigt in der oben angeführten Annahme zu der Modifikation, „dass in jeder Zelle drei verschiedene Arten von Determinanten-Gruppen enthalten sind, nämlich solche für das Vorderende, solche für das Hinterende und solche für den Mauerschluss des Körpers“. Im Uebrigen müsste natürlich auch in diesem Falle „die Richtung, von welcher her der Wundreiz wirkt, (die Entscheidung darüber geben, ..... welche Determinanten in Aktivität treten und die Herrschaft über die Zelle übernehmen“. So fügt Weismann auch das Verständnis für diese als „fakultative* bezeiehnete Form der Regeneration zwanglos in den Rahmen seiner theoretischen Vorstellungen ein. Der Erörterung der Regenerationsprozesse schließt Weismann diejenige der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch Tei- lung und Knospung an. Im Anschluss an Ausführungen!) des Ref. hält auch unser Autor dafür, „dass die Vermehrung durch Tei- 1) Zoolog. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog., 4. Bd., 18%. Weismann, Das Keimplasma. 459 lung und dureh Knospung bei Vielzelligen genetisch nicht ausein- ander hervorgegangen sind, und dass auch die Vorgänge selbst sich so wesentlich von einander unterscheiden, dass es sich empfiehlt, sie getrennt zu behandeln“. Was zunächst die Teilungserschemungen betrifft, so bespricht Weismann ausführlich die Teilung der Naiden und Mikrostomeen, um an diesen Beispielen zu zeigen, dass die Erklärung der dabei sich abspielenden Vorgänge unter Annahme der im Neben-Idioplasma ver- einigten Ersatz-Determinanfen vom Standpunkte der Keimplasmalehre aus keine Schwierigkeiten bietet. Hinsichtlich der phyletischen Hervorbildung der Teilung ist Weis- mann der von v. Kennel!) und Lang?) vertretenen Ansicht, dass dieselbe bei den Metazoen von der Regeneration herzuleiten sei, und erbliekt in dem einfachen Zerfall des Lumbriculus „eine Vorstufe der mit hegeneration verbundenen Teilung“ (Naiden). Nicht so einfach liegen die Dinge bei der zweiten, innerhalb ge- wisser Tiergruppen (Unidarier, Bryozoen, 'Tunicaten) ungemein ver- breiteten Form der insexuellen Propagation, der Knospung, da es sich ja bei dieser, wie Weismann in Uebereinstimmung mit der vom Ref. gegebenen?) Begriffsbestimmung ausführt, um einen „Neubildungs- prozess ganzer Individuen“ handelt. Auch hier werden die einschlägigen Vorkommnisse der Reihe nach eingehend diskutiert. Für die Knospung der Cnidarier (Hydroiden) haben von Weis- mann angeregte Untersuchungen!) vor Kurzem das wichtige Ergebnis geliefert, dass die Knospen-Anlagen ausschließlich aus Elementen des Ektoderms des Muttertieres hervorgehen und nicht, wie die herkömm- liche Auffassung annimmt, beiden Körperschichten des Elters ent- springen. Zum Verständnis dieses Verhaltens muss angenommen werden, „dass gewissen Zellen und Zellfolgen des Ektoderms ein Neben -Idio- plasma beigegeben ist, welches sämtliche Determmanten der Art en‘- hält, also Keimplasma ist, wenn es vielleicht auch nieht völlig iden- tisch mit Keimplasma ist“. Weismann nennt diese besondere Art von Neben-Idioplasma „Knospungs-Keimplasma“ (Knospen -Idio- plasma). Als Träger desselben werden nach den vorliegenden Er- fahrungen die sogenannten interstitiellen Zellen in Betracht zu zieheu sein und demnach wenigstens ein Teil derselben mit latentem Knospungs- Keimplasma ausgestattet zu denken sem. Bei der Knospung der Bryozoen treten in die auch vom Ektoderm des Muttertieres durch Zellenwucherung entstehenden Knospenanlagen 1) J). vw. Kennel, Ueber Teilung und Knospung der Tiere (Rede), Dor- pat 1888. 2) A. Lang, Ueber den Einfluss der festsitzenden Lebensweise auf die Tiere ete., Jena 1888. 3) 1. e. 8. 404 4) A. Lang, Ueber die Knospung bei Hydra etc. Zeitschr. f. wiss. Zool., 54. Bd., 1892. 460 Weismann, Das Keimplasma. noch weitere Elemente, sogenannte freie Mesodermzellen ein, um dort Muskeln, Endothelien ete. und, wie es scheint, auch die Gesehlechts- organe zu bilden. Hier liegt also gegenüber der — kurz gesagt — rein ektodermalen Hydroidenknospung ein Beispiel einer von zwei Keimblättern zugleich ausgehenden Knospung vor. Es leuchtet ein, dass bei dieser ekto-mesodermalen Knospungsweise „die Determmanten der Art nicht samt und sonders in einer Zelle als „Knospungs- Idio- plasma“ enthalten sem können, wie bei den Hydrozoen, sondern dass eine Anzahl von Determinanten und zwar diejenigen der Muskeln, Endothelien, Blutkörperchen und vielleicht auch der Geschlechtsorgane gewissen Mesodermzellen des Muttertieres beigegeben sind“. Die angeführten Beispiele der Hydroiden- und Bryozoen-Knospung zeigen wohl zur Genüge, in welcher Weise Weismann die Thatsachen der im Einzelnen freilich sehr verschiedenartigen Knospungsvorgänge zu erläutern sucht. Hinsichtlich des Verhältnisses aber, in welchem Knospungs- Keimplasma und ursprüngliches Keimplasma zu einander zu denken sind, mögen noch em paar Bemerkungen Platz finden. Schon oben wurde angegeben, dass beide „nicht völlig identisch“ sein dürften; wären sie es, so müssten die Vorgänge bei der Knospung und in der Ontogenese vollkommen übereinstimmen. Eine solehe Koineidenz trifitt aber thatsächlich nirgends zu; ja in der großen Mehrzahl der Fälle begegnen wir neben gemeinsamen Zügen mehr oder weniger tiefgreifenden Verschiedenheiten in der Anlage und Aus- gestaltung der werdenden Organismen. Demnach werden die Deter- minanten des Knospen -Idioplasmas zwar gleicher Art mit denjenigen des Keimplasmas sein, aber in ersterem „in emer andern Anordnung, vielleicht auch in andern Verhältniszahlen* enthalten sein müssen; mit andern Worten: „Knospen-Idioplasma und Keimplasma wären also gewissermaßen als „isomere* Idioplasmen auf- zufassen, analog den isomeren chemischen Verbindungen“. Selbstverständlich kann diese Vorstellung zunächst nur für diejenigen Fälle Geltung beanspruchen, bei welchen die Anlagen der Knospen von einem Keimblatt geliefert werden, wie wir dies bei den Hydroiden bezüglich des Ektoderms sahen. Hier können wir, wenn auch der empirische Beleg dafür aussteht, die Anlage einer Knospe auf eine Ektodermzelle projizieren, in deren Knospungs- Keimplasma dann alle Determinanten der betreffenden Art vereinigt sein müssten. Ein besonderes Kapitel widmet Weismann der Darlegung der idioplasmatischen Grundlage des Generationswechsels, einer Erschei- nung, welehe bekanntlich dadurch charakterisiert erscheint, dass die individuelle Entwieklung der Art sich auf zwei Generationen verteilt, von welchen entweder beide (Heterogonie) oder doch wenigstens eine auf dem Wege der Keimbildung sich fortpflanzt; im letzteren Falle wechselt dann die Fortpflanzung dureh Keime mit der ungeschlecht- lichen Propagation durch Knospung ab (Generationswechsel s. str.), Weismann, Das Keimplasma. 461 In beiden Fällen, sofern wir für den Generationswechsel im engeren Sinne die einfache, auf eine Zelle als Ausgangspunkt der Knospung projizierbare Form der ungeschlechtlichen Fortpflanzung zur Grund- lage nehmen, „tritt in dem Kreislauf des Lebens, welcher von der be- fruchteten Eizelle wieder zu ihr zurückführt, zweimal eine Zelle auf, deren Idioplasma sämtliche Determinanten der Art enthält, und es fragt sich, ob diese beiden Idioplasmen als identisch betrachtet und schlechthin als Keimplasma bezeichnet werden können“. Nach dem bereits Gesagten ist zunächst klar, dass das Keimplasma der beiden die Entwicklung vollziehenden Stammzellen nicht iden- tisch sein kann, da, wenngleich das Ergebnis im Wesentlichen das- selbe ist, doch der Gang der Ausbildung Differenzen aufweist. Da „die einzelnen Generationen eimes Generationswechsels selbständig und erblich sich verändern können“, muss weiter die Annahme gemacht werden“, „dass beide Arten von Keimplasma stets gleichzeitig neben einander auf den Keimbahnen weitergegeben werden, und dass ab- wechselnd die eme oder die andere Art aktiv wird“. Schon im „Knospen -Idioplasma* lernten wir ein Keimplasma besonderer Art kennen, welches, obschon es wie das ursprüngliche Keimplasıma sämt- liche Determinanten der Art enthält, doch mit dem letzteren nicht identisch ist. Dasselbe gilt für den Generationswechsel, gleichviel ob wir es mit der typischen Form desselben oder der Heterogonie zu thun haben. Ueberall handelt es sich um Keimplasma „im weiteren Sinne“ d. h. um solches Idioplasma, welches alle Determinanten der Art umfasst. Um aber diese verschiedenen (isomeren) Keimplasmen auseinander halten zu können, ist es praktisch, das ursprüngliche Keim- plasma als „Haupt-* oder „Stamm-Keimplasma* von „Neben- Keimplasmen oder Para-Germoplasmen* zu sondern. %s würde für diesen Bericht viel zu weit führen, den Erörterungen, welche Weismann den einzelnen besonderen Fällen des Generations- wechsels (Daphniden, Aphiden, Cnidarier, Tunikaten) angedeihen lässt, zu folgen. ef. muss sich bescheiden, nur das Ergebnis hier anzu- fügen, dass die Erschemung des Generationswechsels, um im Sinne der Keimplasma-Theorie verständlich zu erscheinen, bloß der freilich unerlässlichen Voraussetzung bedarf, dass „ein Keimplasma mit mindestens zweierlei verschieden gebauten Iden* vorhan- den ist, von welchen alternierend bald die eme, bald die andere in Aktivität tritt und die Art der Entwicklung des werdenden Organismus bestimint. Der letzte Abschnitt des zweiten Buches befasst sieh mit einem sehr wichtigen Teile der „Theorie der Vererbung“, mit der Bildung der Keimzellen. Eine, wenn auch nur flüchtige Kenntnisnahme der Ausführungen Weismann’s über diesen Gegenstand kann hier füg- lieh nicht übergangen werden. Die alltägliche Erfahrung, dass im der ganzen ÖOrganismenwelt 462 Weismann, Das Keimplasma. die Eigenschaften des Elters auf den kindlichen Organismus übertragen werden, ist nur unter der Voraussetzung verständlich, „dass die Keim- zelle, aus welcher das Kind entsteht, genau die gleichen Ide von Keimplasma enthalten kann, welche m der Keimzelle enthalten waren, aus welcher der Elter sich entwickelte; nun erleidet aber das Keim- plasma zahllose Veränderungen während der Entwickelung des Bies zum Elter, wie ist es also möglich, dass dennoch dieselbe Substanz wieder im den Keimzellen des Elters enthalten sein kann ?* Für die Beantwortung dieser bedeutungsvollen Frage gibt es nur eine Alternative: Entweder kann das im Verlauf der Ontogenese in das Idioplasma der Körperzellen des fertigen Tieres umgewandelte Keimplasma der elterlichen Stammzelle von einem Teile oder allen dieser Somazellen in Keimplasma, „von dem es ja indirekt her- stammt“, wieder zurückgeführt werden oder es überträgt sich das Keimplasma der elterlichen Keimzelle direkt auf das Keimplasma der kindlichen Stammzelle. Bekanntlich hat sich Weismann schon vor Jahren in seiner „Hypothese von der Kon- tinuität des Keimplasmas" für die letztere Möglichkeit entschieden. Sie basiert auf der Vorstellung, dass den Körper jedes Tieres zweierlei Zellenarten, somatische oder „Körperzellen* und „Fortpflan- zungszellen* aufbauen, von welchen die letzteren Keimplasma ent- halten, das „direkt von jenem herstammt, welches in der elterlichen Keimzelle enthalten war.“ Damit dies möglich ist, muss bei der Onto- genese ein Teil des im der ehromatischen Substanz des Eikerns ge- gebenen elterlichen Keimplasmas unverändert erhalten und so „be- stimmten Zellfolgen des sich entwickelnden Körpers beigegeben werden. Das beigegebene Keimplasma befindet sich im inaktiven Zustande, sodass es das aktive Idioplasma der Zelle nicht hindert, ihr einen mehr oder minder spezifischen Charakter aufzudrücken. Dasselbe muss sich aber auch ferner noch dadurch von dem gewöhnlichen Zu- stande des Idioplasmas unterscheiden, dass es seine Determinanten fest zusammenhält und sie bei den Zellteilungen nicht in Gruppen in die Tochterzellen verteilt.” Es wird also dieses Neben - Keimplasma „gebunden“ und daher unverändert durch eine wechselnde Anzahl von Zellfolgen fortgeführt, um endlich in einer Zelle im Aktivität zu geraten und dieser damit das Gepräge einer Keimzelle zu verleihen. „Diese Versendung des Keimplasmas von der Eizelle bis zu der Keim- stätte der Fortpflanzungszellen hin geschieht in gesetzmäßiger Weise und dureh ganz bestimmte Zellfolgen hindurch. Diese letzteren hat Weismann schon früher „Keimbahnen* genannt. Für die Riehtigkeit oder doch Zulässigkeit der angeführten Auf- fassung führt unser Autor eine Reihe von embryologischen Erfahrungen an. Bei den Dipteren z. B. sondert die erste Eiteilung die Chroma- tinsubstanz des Eikerns in zwei Hälften, von welchen einerseits die Keimzellen, andererseits die Körperzellen des künftigen "Tieres ab- Weismann, Das Keimplasma. 463 stammen. In der Ontogenese der Daphniden erfolgt jene Sonderung während der Furchung, bei Sagitt« im Gastrula-Stadium; in der Ent- wicklung der Wirbeltiere tritt sie noch später, „aber doch auch noch innerhalb der ersten Hälfte der Embryogenese* ein. Dass die Keim- zellen aber auch erst sehr spät gebildet werden können, lehrt das Beispiel der Hydroiden, bei welchen dieselben „noch gar nicht in der aus dem Ei kommenden Person, sondern erst in den Personen einer viel späteren, durch fortgesetzte Knospung aus jener ersten hervor- gegangenen Generation“ auftreten. Diese Beispiele bezeugen, dass die Entstehung der Keimzellen „in sehr verschiedener Entfernung von der Eizelle* vor sieh gehen kann und dass ferner „die Keimzellen sich keineswegs erst zu der Zeit und an der Stelle bilden, an und zu welcher sie verwendet werden sollen.“ Für den Gegensatz von Körper- und Keimzellen als Grundlage einer Kontinuität des Keimplasmas ist weiter noch die folgende Er- wägung von großer Bedeutung. Es ist eine alte Erfahrungsthatsache, dass mit der Vernichtung der keimbereitenden Organe (Kastration), die Produktion von Gesehlechtszellen endgiltig aufgehoben ist, denn keine Zelle irgend eines anderen Organes ist im Stande, sich, um die erlittene Einbuße zu paralysieren, in eine Keimzelle zu verwandeln. Die Geschleehtsorgane verhalten sich also in regenerativer Beziehung mindestens genau so wie alle Organe von hoher Spezifität (Leber, Gehirn, Niere ete. der Vertebraten und anderer Tiere). Dieses Ver- halten lässt sich nur in der Weise verstehen, dass es den somatischen Zellen an dem zur Hervorbringung von Propagationszellen notwen- digen Keimplasma gebricht, welches eben nicht aus somatischem Idio- plasma erzeugt werden kann. Letzterer Umstand ergibt sich übrigens als eme unabweisliche Konsequenz schon aus der angenommenen Struktur des Keimplasinas, da ja „die Zusammensetzung desselben aus Determimanten, die sich im Laufe der Ontogenese in immer kleinere Gruppen zerspalten, unvereinbar ist mit der Vorstellung eimer Rück- verwandlung somatischen Idioplasınas in Keimplasma.“ Schließlich darf nieht unbemerkt bleiben, dass in neuesten Unter- suchungen, insbesondere denjenigen Boveri’s!) über die Bildung der Urkeimzellen beim Pferdespulwurm (Ascaris megalocephala) bereits wertvolle Beobachtungen vorliegen, welche direkt eine Kontinuität des Keimplasimas befürworten, worauf aber in diesem Berichte nicht eingegangen werden kann. Aus dein Gesagten erhellt, dass die Keimbahnen erstens von sehr verschiedener Länge sind und zweitens hinsichtlich ihrer Lage variieren (Dipteren, Daphniden, Sagitta ete.). Daraus dürfen wir aber die Fol- gerung ziehen: „die Zellen der Keimbahnen müssen etwas voraus haben vor den übrigen Zellenbahnen der Onto- 4) Th. Boveri, Zellenstudien, Ill. H., Jena 1890 und neuestens in Sitz.- Ber. d. Ges. f. Morph. u. Physiol. in München, 8. Bd., 1892, S. 114, 464 Römer, Vorticella vaga. senese, denn sie allein sind befähigt die Urkeimzellen zu bilden, keine anderen.“ Die Bildungsgeschichte der Keimzellen lehrt aber auch, dass die Zellen der Keimbahnen selbst noch keine Keimzellen sind, denn „sie enthalten verschiedene Anlagen in sich, die nach und nach sich abspalten, bis zuletzt nur noch zwei Anlagen übrig bleiben, die dann durch eine letzte Zellteilung auch noch von einander getrennt werden. Demnach bedeuten die Veränderungen, welchen das Idioplasma der Zellen der Keimbahnen während der Onto- genese unterworfen wird, eine bald rascher bald langsamer vorsich- gehende Abspaltung der aktiven Determinanten, die so lange fort- schreitet, bis „zuletzt nur noch Keimplasma übrig bleibt, welches nun die betreffende Zelle zur Keimzelle stempelt.“ Damit sind wir bei der geschlechtlichen Fortpflanzung angelangt, welche ein neues (I1l.) Buch des Weismann’schen Werkes behandelt. (Schluss folgt.) F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Vorticella vaga, eine neue ungestielte Vorticelle aus der Um- sebung von Jena. Von Dr. F. Römer, Assistenten am zoologischen Institut der Universität ‚Jena. Im hiesigen physiologischen Institut fand sich in diesem Frühjahr in einem Aufguss eine freischwimmende Vorticelle, welche mir von Herrn Dr. Verworn zur näheren Bestimmung und Beschreibung gütigst überlassen wurde. Zur Untersuchung benutzte ich mit großem Erfolg die von Jen- sen!) angegebene Methode der Infusorienuntersuchung in Gelatine- lösung. In der von Jensen empfohlenen Stärke (etwa 3°/,), zu gleichen Teilen mit dem die Beobachtungsobjekte enthaltenden Wasser gemischt, zeigten die Vorticellen keine Ortsbewegung mehr, dagegen blieben die Vakuolen und Wimpern noch lange Zeit in Thätigkeit. Auch gelingt es leicht, die Mischung so herzustellen, dass wohl die Lokomotion, nicht aber die Rotation um die Längsaxe aufgehoben wird, so dass bei dem verlangsamten Tempo eine Besichtigung des Tieres von allen Seiten möglich ist. Vorticella vaga besitzt denselben inneren Bau wie andere Vorti- cellen und weicht nur in der äußeren Körperform ein wenig davon ab. Sie ist meist birn- oder glockenförmig, doch kommen auch vereinzelt mehr längliche Individuen vor. Sie ist verhältnismäßig groß und mit bloßem Auge als feines weißes Pünktchen zu erkennen. Größenunter- schiede sind höchst selten; das deutlich abgerundete, kleinere (nicht kontraktile) Hinterende ist wenig breiter als das Vorderende und 14) Paul Jensen, Methode der Beobachtung und Vivisektion von Infusorien in Gelatinelösung. Biolog. Centralblatt, Bd. XII, 1892, S. 556. Römer, Vortccella vaga. 465 durch eine seichte ringförmige Einbuchtung vom übrigen Körper ab- gesetzt. Die Einbuchtung trägt einen vollständig geschlossenen Kranz von Wimpern, welche an Länge und Stärke den adoralen nicht nach- stehen. Das Vorderende ist am Peristom etwas verschmälert, zu- weilen -ein wenig zugespitzt und trägt, wie bei echten Vortieellen, einen ringförmigen Saum, welcher das Peristom wallartig umgreift und bei der Kontraktion völlig überdeckt. In der Tiefe desselben steht die nahezu einen völligen Umgang beschreibende adorale Wimper- spirale. Sie besteht aus zahlreichen feinen, ziemlich langen Cilien und setzt sich auf der Bauchseite bis zu dem seitlieh, etwa in der Mitte des vorderen Körperendes gelegenen Mund fort. Ein Oesophagus ist sehr wenig angedeutet. Außer diesen beiden Wimperkränzen ist der mit einer sehr feinen Cuticula bedecekte Körper nackt. Fig. 1. Vorticella vaga Röm. seitliche Ansicht. P — Peristom; ev = kon- traktile Vakuole; k = Keın; WR = Wimperring. Fig. 2. Zwei Dauereysten von Vorticella vaga. Das Protoplasma der Vorticella vaga ist farblos, zuweilen von einer gelblichen Nuance. Die hyaline, körnchenfreie Rindensehicht ist sehr dünn. Im Entoplasma liegen zahlreiche, das Licht stark breehende Körnehen, außerdem helle Flüssigkeitsräume und Nahrungsvakuolen. Es wurde ein deutliches Strömen des Protoplasmas beobachtet. Der Kern ist bei den einzelnen Exemplaren von etwas verschiedener Form und Lage; ieh fand ihn gewöhnlich hufeisenförmig, doch auch band- und strangförmig in den verschiedenartigsten Verbiegungen. Am le- benden Tier ist er ohne weitere Behandlung deutlich zu sehen, auf seiner ganzen Länge gleich diek und niemals perlsehnurartig einge- schnürt. Er besteht aus einer zarten Kernmembran, aus einer hellen, nieht allzu fein granulierten Substanz und zeigt vielfach bläschen- fürmige, von einer helleren Zone umgebene Einschlüsse. Der Mikro- nucleus liegt ihm seitlich an. Zwei kontraktile Vakuolen liegen im vorderen Körperabschnitt und entleeren sich kurz nacheinander, in der Regel einmal in der Minute. Die Nahrung besteht aus kleinsten Bakterien, sowie aus Fla- XI. Be) 466 tömer, Vorticella vaga. gellaten und wird in großen Mengen aufgenommen, denn oft konnte ich 6—8 Nahrungsvakuolen beobachten. Die Vorticella vaga schwimmt mit dem hintern Körperende voran und jagt stürmisch -ungestüm durch das Gesichtsfeld. Die Vorwärts- bewegung ist aber mehr wälzend und umherschießend, sodass der zurückgelegte Weg ziekzackförmig erscheint. Oft bleibt sie mitten im Schwimmen kürzere oder längere Zeit stehen, um sich mehrmals zu überkugeln oder enge Kreise zu beschreiben. Sie ist dauernd unge- stielt und dieser Zustand ist jedenfalls als eine sekundäre Erwerbung aufzufassen, denn sie stimmt im Bau mit den gestielten Vorticellen vollkommen überein, hat einen wulstförmigen Peristomsaum, lebhafte Kontraktion und schwimmt ebenfalls rückwärts d. h. mit dem nicht kontraktilen Körperende voran. Sodann entspricht die Lage des hin- teren Wimperkranzes der des sogenannten Wimperringes der ge- stielten Vortieellen, zu dem die Enden des vom kontraktilen Stielfaden herkommenden Myonemenbüschels streben. Aus dieser stets sichtbaren ringförmieen Linie entwickelt sich bei den gestielten Vortiecellen nach der Ablösung der hintere Wimperkranz. Die Fortpflanzung geschieht durch Längsteilung des ganzen Indi- viduums, die am verbreiterten Körperende zuerst eimtritt. Ich traf mehrmals Individuen, welche in Teilung begriffen waren, ohne aber die näheren Vorgänge des Teilungsprozesses verfolgen zu können. ie seht sehr schnell vor sich. Eine Konjugation habe ich niemals beob- achtet, obschon ich die Tierehen den verschiedenartigsten Existenz- bedingungen aussetzte und viele Generationen züchtete. Sie scheint also erst sehr spät zu erfolgen. Ein Versuch sie durch Nahrungs- entziehung zur Konjugation zu bringen, führte stets zur Eneystierung. Diese Vorticellen besitzen nämlich in ausgedehntem Maße die Fähigkeit Dauereysten zu bilden. Die Bildung derselben geht in ähn- licher Weise vor sich, wie sie von Rhumbler an Colpoda beschrieben wurde '). Beim Austrocknen des Wassers, bei mangelnder Nahrung oder bei anderen die Existenz bedrohenden Emflüssen scheiden sie diese Dauereysten ab. Man kann das Experiment leicht unter dem Deckgläschen machen. Die Austroeknung darf aber nieht zu schnell vor sich gehen, weil die Tierchen sonst zerfallen und emtrocknen. Auch muss man sie durch eine geeignete Unterlage vor dem Druck des Deckgläschens schützen. Sobald die Verdunstung beginnt, lassen sie von ihrem heftigen Hin- und Herjagen ab und rotieren langsamer um ihre Körperaxe; sie kontrahieren sich oft und lebhaft, ziehen dabei allmählich ihre Cilien ein und runden sich kugelförmig ab. Die Va- kuolen pulsieren anfangs noch regelmäßig, sobald aber äußerlich eine feste Hülle abgeschieden ist, kommen sie zum Stillstand. Die in 4) Ludwig Rhumbler, Die verschiedenen Cystenbildungen und die Ent- wicklungsgeschichte der holotrichen Infusoriengattung Colpoda. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, Bd. 46, 1888, S 549. Ergebnisse der Plankton-Expedition. 46% Dauerkapseln eingeschlossenen Tiere zeigen in ihrer inneren Organi- sation wenig Veränderung. Der Kern behält seine hufeisenförmige Gestalt und ist fast immer sichtbar; die Wandung der Gysten ist außerordentlich diek. Solche Dauerevsten habe ich oft bilden, niemals aber ausschlüpfen sehen, selbst wenn ich ihnen unter dem Deckglas oder in einem Uhrschälchen durch Zusatz von Wasser und frische Nahrung die besten Lebensbedingungen brachte. Die Tierchen sind überhaupt, obschon sie in faulendem Wasser, im Heuaufguss, leben, gegen chemische Veränderungen des Wassers sehr empfindlich. Sie leben meist nur wenige Tage und müssen dureh einen frischen Auf- ‚ dem etwas die Cysten enthaltendes Wasser zugesetzt wird, zu neuem Leben angefacht werden. Ein Aufguss, der sechs bis acht Tage gestanden hat, scheint ihnen am meisten zu behagen, denn dann sah ich gewöhnlich die größte Anzahl der Vorticellen, während Eug- lenen und Rotatorien, die sich ebenfalls in dem Glase befanden, zu jeder Zeit anzutreffen waren. Ebenso sehlüpften Dauereysten, die ich völlig eintroeknen ließ, erst mehrere Tage nach erneutem Wasser- SUSS zusatz aus. Eine ähnliche Vorticelle wurde bereits von Lindner !) aus einem mit organischen Zersetzungsstoffen sehr verunreinigten Brunnenwasser, sowie aus dem Cökalinhalte von Schweinen und den Dejektionen von Typhuskranken in der Umgebung von Kassel beschrieben. Sie kam ebenso wie Vortieella vaga erst nach 5—S Tagen in dem betreffenden Nährsubstrate zum Vorschein und bildete beim Austrocknen in der- selben Weise Dauereysten. Dabei vereinigten sich gewöhnlich inehrere Individuen zu „kleineren oder größeren sareineartigen Gruppen“, was ich niemals beobachtet habe. Lindner erwähnt von ihrer Gestalt nur, dass sie dauernd stiellos sind; leider gibt er auch keine Abbil- dung und keinen Namen. Jena, zoologisches Institut, den 15. Juni 1893. Ergebnisse der Plankton - Expedition. Bd. II. G. a. und K. d. (Lipsius und Tischer. Kiel.) Vanhöffen, Akalephen. Verf. gibt auf Grund seiner Unter- suchungen ein modifiziertes System der Medusen, und geht ferner auf die Verbreitung der Cathammata, d. h. Medusen mit soliden Tentakeln und einfacher Mundöffnung, — denen die Acathammata mit hohlen Tentakeln und langen Mundarmen gegenüberstehen — ein. Als ein- zige echt pelagische Meduse ist Pelagia zu betrachten, da sie eine direkte Entwicklung hat und daher nicht an die Küste gebunden ist. 4) Lindner, Ueber eine noch nicht bekannte Gattung von peritrichen Infusorien. Tagebl. der 59. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte. Berlin 1887. 30* AbS Ergebnisse der Plankton-Expedition. Dahl, Halobatiden. Von der m den Tropenmeeren auf der Wasseroberfläche mit Hilfe behaarter und fettiger Füße herumlaufen- den Hemipterengruppe der Halobatiden gibt Dahl eine Mitteilung. Durch Untersuchung des Materials der Plankton-Expedition kommt er zu dem Schluss, dass die zur Artunterscheidung benutzten Längen- verhältnisse der Fühler und Tarsenglieder sehr schwanken und die Arten daher mit Vorsicht aufzustellen sind. Dahl schildert dann den äußeren Bau der Tiere, gibt eine Tabelle der bisher aufgestellten Arten, fügt eime neue Art von der Expedition hinzu und richtet die Aufmerksamkeit auf einige noch zu lösende Fragen, wie Nahrung und Wirkungsweise der einzelnen Teile der Beine. Lohmann, die Halacarinen der Plankton-Expedition. Erst in den letzten Jahren simd wir durch die Untersuchungen Loh- mann’s und Trouessart’s mit der großen Formenmannigfaltigkeit der Halacarinen bekannt gemacht worden, während bisher nur einige wenige Arten beschrieben waren, die gelegentlich erbeutet wurden. Von den fast ausschließlich das Meer bewohnenden Halacarımen — im Gegensatz zu den fast allein im Süßwasser lebenden Hydrachniden — sind auf der Plankton-Expedition eine Reihe von Arten erbeutet wor- den, und zwar, da die Halacarmen nieht zum Plankton gehören, an den Küsten mit Ausnahme eimiger Fälle, wo die Tiere auf hoher See treibend gefunden wurden. Den größten Teil vorliegender Arbeit nehmen biologische Beobachtungen em, die ein ganz besonderes In- teresse beanspruchen müssen, da Lohmann durch mannigfach kom- binierte Experimente die Lebensbedingungen der Halacarınen erforscht hat. In ihrem Vorkommen sind die Halacarinen abhängig von den Nährgründen und der Beschaffenheit des Meerwassers. Im der Ostsee kommen sie am zahlreichsten auf Florideen (westl Ostsee 13 sp., östl. 9 sp.) vor und sind hier recht gleichmäßig verteilt, dagegen sind Fucus und Seegras Ärmer (6 sp.) und in noch höherem Maße ist dieses der Fall mit dem toten Seegras. Ziemlich reich sind die Tierbänke, die namentlich Halacarus beherbergen, dagegen lebt in den Gebieten mit wechselnder Wasserbedeckung (5 sp.) hauptsächlich Ahombognathus setosus und kommt dort schaarenweise vor. Um ein Bild von der Zahl der Halacarinen zu geben, führt Lohmann an, dass in 10 ccm Florideen, die im Meere eine Bodenfläche von 4 gem eimnehmen, 16 bis 135 Individuen leben, was je nach Ort und Jahreszeit schwankt. Bei Helgoland finden sich Halacarinen auch auf Frecus zahlreich, da derselbe dort dieht mit anderen Algen bewachsen ist, dort fand Loh- mann in den Florideen (10 cem) 35—55 Individuen. Auf den schles- wie’schen Austernbänken sind dieselben Arten wie in der Ostsee vor- handen. An der französischen Küste sind die Lamimarien, Coralli- neen und Florideen am reichsten, aber auch noch in den höher gelegenen Zonen kommen 7 Arten vor. Die pflanzenlosen Felsgründe Ergebnisse der Plankton-Expedition. 469 werden von eigenen Arten bewohnt. In Buchten kommen weniger Arten vor, aber noch im Brackwasser leben emige Arten, und zwar die gleichen, die auch in reinem Meerwasser vorhanden sind. Von den 7 Gattungen sind 3 artenreich: Rhombognathus (7 SP.), Halacarus. (26 sp.), Agaue (6 sp.), während die 4 übrigen Gattungen nur je 1 Art besitzen. Aalacarııs kommt überall an den Küsten vor, ist kosmopolitisch und auch stets zahlreich zu finden. Dagegen ist Agaue mehr südliche Form, während Rhombognathus den Norden be- vorzugt. Was: die Faktoren, die das Vorkommen und die Ver- -breitung bestimmen, anbetrifft, so kommt zunächst die Abhängig- keit von der Nahrung und dem Erwerb derselben in Betracht. Von Algen und deren Säften nährt sich Rhombognathus, während Hala- carus Tiersäfte vorzieht. Jedoch ist die Scheidung nicht ganz scharf durchzuführen, und namentlich ist Rhombognathus als omnivor zu be- zeichnen, wie aus seiner Verbreitung hervorgeht. Das Nahrungsbe- dürfnis ist nicht sehr groß, der Versuch ergab, dass Rhombognathus noch eine Hungerzeit von 1'/, Monaten, sogar 2'/, Monaten unbeschadet überstehen kann. Um die Nahrung zu erwerben, laufen die Hala- ‘arınen suchend auf dem Weidegrund umher, jedoch ist ihre Loko- inotion eine so geringe, dass z. B. Rhombognathus pascens in 1 Stunde nieht einmal 1 m geraden Weges zurücklegt, damit ist aber eme gründliche Ausnutzung des Nährgrundes verbunden. Man findet daher auch die Halacarınen am zahlreichsten, wo die Nahrung am reich- liehsten fließt, nämlich auf den Tierbänken und zwischen fein ver- zweigten Algen. Schwankungen im Salzgehalt ertragen die Halacarinen recht eut, sofern derselbe nieht unter 0,8°/, sinkt, jedoch verhalten sich die einzelnen Arten hiergegen verschieden. Ebenso sind die Halacarinen wenig empfindlich gegen Kälte. Der Versuch ergab, dass — 10° C noch 17 Stunden lang von 50°/, der Versuchstiere gut ertragen wurde, während länger andauernder Frost dieselben tötete. Die emzelnen Arten sind jedoch auch gegen Kälte verschieden empfindlich. Für das Wohlbefinden der Halacarinen ist die Feuchtigkeit unumgänglich notwendig, denn sowie der Panzer trocken wird, tritt Luft unter den- selben und die Tiere sterben, während sie nach dem Versuch auch bei ganz geringer Feuchtigkeit Monate lang leben können. Dem Wechsel vorgenannter Einflüsse sind die Halacarmen na- mentlich am Strande ausgesetzt, wenn sie mit Pflanzen zusammen durch Seegang auf das Land geworfen werden, aber eben die Pflanzen dienen ihnen wieder zum Schutz, da sie namentlich das schnelle Aus- trocknen verhindern, während ihr Schutz gegen Frost geringer ist. Von den Ostseeformen sind 9 eurytherm und euryhalin. Die Entwieklungs-Stadien, von denen meist 3 bewegliche und 3 ruhende vorhanden sind, leben stets frei, Die Eier, von denen Hal- WO) Ergebnisse der Plankton-Expedition. acarus vrhodostigma stets 1, andere dagegen bis 20 reife im Mutter- leibe tragen, werden emzeln oder zu wenigen vereint veisteckt ab- gelegt. Um die Zeitdauer der weiteren Entwicklung zu bestimmen, hat Lohmann die in jedem Monat gefangenen Halacarinen nach der Entwicklungsstufe untersucht und konnte daraus den Schluss ziehen, (lass bei Halacarus spinifer die Entwicklung vom Ei bis zum ge- schlechtsreifen Tier in einem Jahr durchlaufen wird und zwar bedürfen die Eier emer längeren Ruheperiode, die erste Larve läuft nur wenige Tage umher, sodass circa 8 Monate für die Nymphen und die Er- wachsenen übrig bleiben, von denen letztere vom November bis Juni zu finden sind. Bei anderen Arten ist der Verlauf nicht so regel- mäßig. Die Weibchen sind stets häufiger als die Männchen, bei Hal- acarıs capucinus wurden bisher nur Weibehen beobachtet (Partheno- genese?). Bei den Verbreitungsmitteln kommen fast nur passive in Betracht, da die eigentümliche Bewegung der Halacarınen zu wenig ausgiebig ist, um sie größere Strecken zurücklegen zu lassen. Erstens ist der Transport durch andere Tiere zu berücksichtigen, namentlich wenn letztere mit Algen bewachsen sind, wofür Lohmann Beispiele anführt, er fand auch, dass die Halacarinen auf den sie transpor- tierenden Tieren sich weiter entwickeln. Ferner ist die Verbreitung dureh Pflanzen wichtig, da die Halacarinen von diesen nur bei starker Durehsehüttelung (z. B. Brandung) abfallen, indem sie bei Stoß die Beine weit von sich strecken. Durch diese Stellung der Beine wird das Untersinken der Tiere verlangsamt, sodass sie sich auch wieder leicht an anderen Pflanzen anklammern können. Schließlich ist es auch wahrscheinlich, dass Schiffe und Treibeis einen Transport in kleinerem Maße vermitteln. Wenn auf der See die Halacarinen von Pflanzen abgespült werden sie sich noch längere Zeit treibend finden und auch hierüber hat Lohmann Versuche angestellt. Er fand, dass in remem Meerwasser von S—10° C und 1,5°/, Salz eine kleine Hala- :arine: Rhomb. pascens 0,1 m in 61'/, Sekunde sinkt. In Meerwasser, (las noch andere Organismen enthält, wird die Geschwindigkeit na- türlich noch verlangsamt. Die Halacarımen können daher viele Meilen weit mit der Strömung treiben, ehe sie «den Meeresboden erreichen. Auf diese Weise ist der Fund einer Halacarine auf der Plankton -Ex- pedition im Guimeastrom 650 Seemeilen vom nächsten Lande zu er- klären. In den treibenden Pflanzen müssen wir das Hauptverbreitungs- mittel der Halacerinen suchen, (ausgenommen das Sargassım, da dieses bei seiner Loslösung von den Gestaden der westindischen Inseln zu heftig geschüttelt wird und seme Halacarinen verliert), während auf kleinere Strecken hin andere Tiere einen ergiebigen Transport über- nehmen können. In Bezug auf das Verhältnis der Arten zu einander spricht L. aus, dass, je zahlreicher eine Art auf einem Nährgrund ist, desto Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im "Tierreich. N widerstandsfähiger wird sie gegen schädliche Einflüsse sein und dass die Individuenzahl ein direkter Ausdruck für das Gedeihen einer Art ist. Absolut ist aber die Zahl nieht festzustellen wie beim Plankton, da die Existenzbedingungen auf dem Meeresboden zu schwankend sind, daher ist es nur möglich relative Zahlen zu geben. Neben dei Zahl der Individuen ist das Volumen der einzelnen Arten zu berück- sichtigen, da diesem der Stoffwechsel ungefähr parallel gehen wird. Durch Volumenbestimmungen fand Lohmann für die klemste Art Halacarus rhodostigma 0,0012465 kbmm, für die größte Halacarus sp/- nifer 0,056653 kbinm. (Diese Verhältnisse, Individuenzahl und Volu- mina in °/, sind nach einer übersichtlichen Methode auf einer Tafel zusammengestellt, sodass man für ein bestimmtes Gebiet und einen bestimmten Nährgrund das Verhältnis der Arten zu einander auf den ersten Blick sehen kann). Die Untersuchung über die einschlagenden Fragen hat ergeben, dass meist 1-2 Arten vorherrschen, die je nach Ort und Nährerund verschieden sein können. Mit Ausnahme des See- grases überwiegen die Fleischfresser. In dem systematischen Teile besprieht Lohmann außer einigen anderen neuen Formen die 13 von der Expedition gefundenen Arten, von denen 7 neu sind und zeigt, wie weit einzelne Arten ver- breitet sind. So fand sich z. B. Halacarus pulcher n. sp. bei Ber- mudas, Ascension und Sidney, Halacarus lamellosus n. sp. bei Ber- mudas, vor dem Amazonenstrom und bei Sidney. Illustriert ist dieser Teil der Arbeit durch 12 künstlerisch ausgeführte Tafeln von Dr. Kucekuk auf Helgoland. Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. Von Dr. F. Werner in Wien. Bei einer vergleichenden Betrachtung der ungeheuren Formen- mannigfaltigkeit der Tierwelt tritt uns mit großer Häufigkeit jene Erschemung entgegen, welche man als Konvergenz zu bezeichnen pflegt und welche darin besteht, dass phylogenetisch selbständig entstan- dene, also nieht homophyle, wenn auch etwa im Grunde homo- loge, Organe, Färbungen, Zeiehnungen, ja auch Stellungen und Be- wegungen, Schutzmittel und Waffen infolge gleicher Funktion, Lebens- weise, gleichen Aufenthaltsortes u. s. w. in mehr wenig auffallend ähnlicher Weise entwickelt sind. Viele von diesen Konvergenzerschei- nungen fallen in das spezielle Gebiet der nachahmenden Anpassung, also der Mimiery im engeren Sinne. Wir wollen num vorerst untersuchen, unter welchen Bedingungen man eigentlich von Konvergenz sprechen kann; denn die Grenze zwischen der Aehnlichkeit infolge von Verwandtschaft und gleicher Abstammung und der Aehnliehkeit als Folge gleicher funktioneller Anpassung ist oft nur haardünn, so einfach die Sache von vornherein auch aussieht. 4112 Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. Ich werde diese Thatsache an einem Beispiel demonstrieren. Im tropischen Asien leben drei Arten ganz grüner Nattern, die man sei- nerzeit als „Gonyosoma“ zusammengefasst und von der Gattung Co- /uber abgetrennt hat. Es ist dies ©. oxwycephalus, frenatus und pra- sinus. Alle drei sind vollkommen an das Baumleben angepasst und von den anderen Coluber-Arten durch die starke Entwicklung der Bauchkante, ein charakteristisches Merkmal kletternder Schlangen, sowie, wie schon erwähnt, durch die grüne Färbung unterschieden. Es fragt sieh nun: Stammen diese drei Coluber - Arten von einer ein- zigen grünen Form mit starker Bauchkante ab und haben sich dann aus dieser zu drei verschiedenen Formen entwickelt, oder waren drei normale Colubridenarten mit ihren jetzigen Unterscheidungsmerkmalen von einander vorhanden, die sich dann unabhängig voneinander an das Baumleben anpassten, und das grüne Kleid und die Bauch- kante der Baumschlangen erhielten. Die Entscheidung dieser Frage in dem einen oder anderen Sinne zeigt uns die schmale Grenze zwischen der Annahme eines Falles von Verwandtschaft oder Konvergenz; wohlgemerkt nur zwischen den beiden Annahmen, da uns die Sache ja in dem Falle, dass wir die Stammesgeschiehte dieser drei Coluber- Arten kennen würden, keinen Moment zweifelhaft sein könnte. — In ersterem Fall hätten wir eimen Fall von Divergenz; es entstanden drei Formen aus einer bereits ans Baumleben angepassten Stammform und differenzieren sich zu drei Gonyosoma- Arten; im zweiten Falle haben wir einen Konvergenzfall vor uns, indem drei bereits ver- schiedene Coluber-Arten die für ihre dendrophile Lebensweise wahr- scheinlich besten, nützliehsten Eigenschaften (grüne Färbung und Bauchkante) ständig erwarben und dadurch äußerlich so ähnlich wurden. Die beiden Schemata werden den Unterschied noch deutlicher erkennen lassen. I Grüne Gonyosoma -Stammform mit starker Bauchkante. Zahl der Schuppen- reihen? Frenale ? 19 Schuppenreihen 25—27 Schuppenreihen U En —- IT Frenalschild fehlend Frenalschild vorhanden Colnber owycephalus Coluber frenatus Coluber prasinus 16 Coluber frenatus. Coluber prasinus. Coluber oxycephalus. 19 Schuppenreihen. 19 Schuppenreihen. 25—27 Schuppenreihen. Frenale fehlend. Frenale vorhanden. Färbung? Färbung? Zeichnung ? Färbung? Zeichnung ? Zeichnung ? FR ' ae Y grüne Coluber- Gruppe (Gonyosma). Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. 475 Dasselbe finden wir bei der Crotaliden -Gattung Trimeresurus, welche gleichfalls grüne Baumformen enthält ( T. formosus, gramineus und wagleri). Je weiter aber die zu vergleichenden Tiere in der systematischen kangordnung auseimanderstehen, desto geringer erscheint uns die Schwierigkeit der Entscheidung, ob eine gewisse gemeinsame Eigen- schaft, sei es nun die Gestalt eines Organs oder dieses selbst oder seine Verwendung ete. von einer gemeinsamen Stammform ererbt oder selbständig in Anpassung an dieselben Verhältnisse erworben wurde. Wenn wir em Känguruh und eine Springmaus mit gewaltigen Spring- beinen ausgerüstet, dieselbe Springmaus und den Löwen mit emer Schwanzquaste geschmückt sehen, so wird wohl kein Mensch daran denken, dass die Springbeine auf Verwandtschaft zurückführbare ge- meinsame Charaktere des Känguruhs und der Springmaus, bezw. die Sehwanzquaste solehe der Springmaus und des Löwen seien, sondern dass diese Merkmale ihre Aehnliehkeit der ähnlichen Verwendung und Ausbildung allerdings in diesen Fällen homologer Körperteile ver- danken und Jedermann wird dies auch in dem nieht seltenen Falle annehmen, dass die Bedeutung und Verwendung der betreffenden Kör- perteile nicht bekannt ist. Wir würden in vielen Fällen (besonders wenn uns die Ontogenie, Histologie und andere Hilfswissenschaften im Stiche lassen) von gemeinsamen, d. h. von emer gemeinsamen Stammform erworbenen Charakteren sprechen, wenn wir nicht direkt wüssten, dass diese Charaktere polyphyletisch entstanden smd; so z. D. wissen wir, dass sieh bei einer Anzahl von Schlangen aus verschie- denen Familien die großen, regulären Schilder der horizontalen Kopf- oberfläche rückbilden und in zahlreiche kleine schuppenähnliche Schild- chen auflösen, da wir in diesen Familien (Boiden, Pythoniden, Vi- periden, Crotaliden ete.) die Uebergänge von der normalen und dabei sehr ursprünglichen, aus 09 eroßen Schildern bestehenden Pholidos’s bis zu Formen mit beschupptem Kopfe noch erhalten haben (z. B. bei den Viperiden: Azemiophis — Vipera berus, Vipera aspis — Vipera atropos); wären diese ursprünglicheren Formen ausgestorben und nur diejenigen mit beschupptem Kopfe noch erhalten, so wäre es unmög- lich zu sagen, ob z. B. die Crotaliden von einer Stammform mit normaler Pholidosis oder schon von einer schuppenköpfigen Form ab- leiten, da uns hier, wie schon gesagt, die zoologischen Hilfswissen- schaften keine Auskunft geben. — Ich werde nun einige interessantere und merkwürdige Fälle von Konvergenz besprechen; manche von ihnen sind ihrer Bedeutung nach gänzlich unbekannt; die Mimiery-Fälle habe ich von der Besprechung ausgeschlossen. Ich beginne mit der Behandlung der Hornbil- dungen. Vor allem fällt es auf, dass bei allen Hörnern, die uns bei Wir- beltieren und Insekten begegnen, eine bestimmte Lage bemerkbar ist, 1704 Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. soweit es eben Hörner des Kopfes, und nicht, wie es bei Insekten eben nicht selten ist, des Thorax sind. Ob es nun wirkliche hornige, muskulöse, oder endlich chitinige Hörner sind, stets kann man Schnau- zenhörner und Supraorbitalhörner unterscheiden. _Schnauzenhörner (in der größten Mehrzahl der Fälle unpaar!) finden wir bei Rhinoceros, bei Vipera ammodytes, nasicornis, rhinoceros, Ceratophora, bei Chamae- /eon und emigen Batrachiern; ferner von Käfern Oryetes, Copris, Phyllognathus, Odontaeus, Bolboceras, Ontophagus, Sinodendron und vielen Exoten; Supraorbitalhörner bei (Wiederkäuern ?), Cerastes cor- nutus, Vipera persica, Xenophrys, Ceratophrys, Hemiphractus, Bufo; von Käfern bei Onthophagus, Bubas, Odontacus (?). In vielen Fällen sind die Hörner sekundäre Geschlechtscharaktere, besonders bei Käfern; ferner auch bei den Chamaeleonten und Wie- derkäuern. Obwohl Niemand daran zweifeln wird, dass z. B. das Horn des Rhinozeros, ja auch noch das von Ceratophora und der Vi- pera ammodytes, trotz der gleichen Lage, durchaus nichts miteinander zu thun haben und durchaus selbständige Bildungen sind, so ist z. B. die Frage, ob die Schnauzenhörner der verschiedenen Käfer aus der Familie der Lamellicornier homolog sind, nicht so leicht zu beant- worten; so allgemein verbreitet diese Zierde bei ihnen ist, so muss man doch bedenken, dass sie am Ende doch, wie gesagt, ein sekun- därer Sexualcharakter sind, bei den 2 bei weitem der meisten Arten fehlen (bei manchen Gattungen z. B. Pentodon auch den d) und auch bei den £ oft in so sehr verschiedener Entwicklung von unbedeutenden Höckern bis zu centimeterlangen gekrümmten Hörnern innerhalb derselben Art (wie ich namentlich bei Oryetes und Copris konstatieren konnte), auftreten, dass die Annahme der jedes- maligen selbständigen Entstehung dieser Schnauzenhörner wohl be- gründet erscheint. Wenn auch eine geringe Anlage dazu vielleicht bei allen Lamellicorniern, wenigstens den Coprophagen, nachzuweisen sein wird, so sind die Schnauzenhörner selbst und überhaupt die Kopf- (und Thorakal-) Hörner der Käfer im Allgemeinen polyphyletisch. Ebenso sehen wir, dass von Schlangen in der Gattung Cerastes die eine Art (CO. eornutus) nicht selten, die andere (©. vipera) aber kon- stant hornlos ist, dass in der Gattung Vi, era hornlose Arten, solche nit Rostral- und Supraorbitalhörnern vorkommen; dasselbe ist bei Chamaeleon der Fall. — Es gibt Fälle, wo Organe ganz bestimmt homolog sind, trotzdem aber in das Gebiet der Konvergenz gehört. So sind z. B. die Flatter- häute von Galeopithecus, von fliegenden Nage- und Beuteltieren als einfache Hautduplikaturen ihrer Entstehung, Lage und Struktur nach homolog, aber sicherlich in jedem Falle selbständig entstanden, also nicht homophyl; wir dürfen auch noch die Flughaut der Draco-Arten und einen Teil der Fledermaus-Flughaut hier anschließen, obwohl in diesen Fällen die Homologie nicht mehr so vollständig ist. — Wenn Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. 475 wir aber z. B. die Sehwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen der Wirbeltiere vergleichen, so liegt die Sache durchaus nicht mehr so klar zu Gunsten emer Konvergenz-Erscheinung, denn es ist sehr möglich, dass die Schwimmhäute ein uraltes gemeinsames Erb- stück der überhaupt Finger und Zehen tragenden Wirbeltiere sind, und heutzutage die Kontinuität der Schwimmhautbesitzer dadurch un- terbrochen ist, dass die Schwimmhänte in den meisten Fällen infolge Niehtgebrauchs rückgebildet wurden und im Allgemeinen nur den wenigstens teilweise aquatischen Formen verblieben. Wir sehen, dass gerade geologisch recht alte, bezw. anatomisch ursprüngliche Formen entschiedene Wasserbewohner waren und noch sind, wie die Kroko- dile, Pinguine, Schnabeltiere u. s. w. Dass übrigens gelegentlich auch bei landlebenden Tieren die Schwimmhäute durch Funktions- wechsel noch zu Bedeutung und Verwendung kommen, daher nicht der Rückbildung verfallen, zeigt uns z. B. der javanische Flugfrosch Rhaco, horus reinwardtii, der seine enorm entwickelten Schwimmhäute als Fallschirm benützen soll, und die Chiropteren, bei denen übrigens diese Haut in vieler Beziehung eine bemerkenswerte Ausbildung und Differenzierung, namentlich als Tastorgan erfahren hat. Dagegen ist es so ziemlich außer Zweifel, dass die Saugscheiben der Frösche, die m den verschiedensten Familien und Gattungen (Kana, Rhacophorus, Dendrobates, Mantella, Callula, Hyla ete.) vorkommen, polyphyletischen Ursprungs und so oftmal selbständig entstanden sind, als sich Baumtiere aus dem ursprünglichen halbaquatischen Haupt- stamme einer Gattung, Familie oder dergl. entwickelten; wir sehen daher auch im Bau und äußerer Form der Saugscheiben nicht unbe- deutende Differenzen; dass natürlich innerhalb einer natürlichen, durch- wegs Saugscheiben tragenden Gruppe, wie z. B. der Gattung Hyla oder Rhacophorus, diese Saugscheiben einheitlichen Ursprungs sind, ist ziemlich wahrscheinlich, wenn auch durchaus nicht ganz sicher. Höchst merkwürdig sind einige bei baumlebenden Reptilien auftretende Konvergenzerscheinungen. Die erste derselben ist die komprimierte Form des Körpers, die besonders bei den Baumformen unter den Iguaniden und Agamiden (Gonyocephalus) bei Chamaeleonten, ferner bei Dipsadiden (besonders Dipsas cenchoa und ceylonensis) Amı- blycephaliden, Pythoniden (Chondropytkon) und Boiden* (Arphosoma) auffallend ist. Die zweite dieser Erscheinungen ist die Häufigkeit der Querstreifung, die dritte und jedenfalls bei weitem am leichtesten erklärbare die grüne Färbung (Trimeresurus, Dryophis, Xiphosoma, Gonyosoma, Cyclophis ete.), die schwierigste aber die gelbe Bauch- kantenlinie, die ich bei Dryophis prasinus und myeterizans, bei Tri- meresurus formosus, bei Coluber oxycephalus u. a. gefunden habe. kückenkämme kommen zwar bei Baumeidechsen sehr häufig vor, aber auch bei entschieden terrestrischen, wie bei Sphenodon und bei den großen Galopagos-Eidechsen. Greif- und Wiekelschwänze sind nicht +16 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. nur bei Reptilien, sondern auch Säugetieren, sofern sie Baumtiere sind, nicht selten, also bei Affen, Halbatfen, Nagern, kaubtieren, Beutel- tieren, Ameisenfressern, Chamaeleonten, Riesenschlangen, Baumvipern (Atheris und Trimeresurus), und merkwürdiger Weise auch bei emer Eidechse aus der sandbewohnenden Familie der Seineoiden (Corueia zebrata). (Schluss folgt.) Ueber die Homologie der Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. Von Dr. Ludwig Stieda, ord. Professor der Anatomie zu Königsberg i. Pr. Ein Vergleich der vorderen und der hinteren Gliedmaßen der Sängetiere ist wiederholt gemacht worden -— zu verschiedenen Zeiten, von verschiedenen Forschern; das Resultat ist sehr verschieden aus- gefallen. Obwohl man zu dem Schlusse gekommen ist, dass die vor- deren und hinteren Gliedmaßen nieht allein im Ganzen, sondern auch in ihren einzelnen Teilen homolog sind, so sind die Forscher im Ein- zelnen, insbesondere inbetreff der Weichteile, bei weitem nicht einig. — Eine Durchmusterung aller der bisher veröffentlichten Ansichten über die Homologie der Gliedmaßen bietet viel Interessantes dar, doch verzichte ieh in dieser Abhandlung eine derartige Uebersicht zu liefern. Ich beabsichtige später eine kritische Zusammenstellung aller bisherigen Arbeiten, die sich mit der Homologie der Gliedmaßen beschäftigen, an einem andern Orte ausführlich mitzuteilen. Hier gebe ich vorläufig nur meme eigenen Erwägungen und Anschauungen. Ich schränke das Vergleich-Gebiet in gewissem Sinne ein: von einem eingehenden Vergleich des Schultergürtels mit dem Beekengürtel (Hart- und Weichteile) sehe ich ab. Einen Vergleich der Hand mit dem Fuß werde ieh nur so weit in den Kreis meiner Auseinander- setzungen ziehen, als es sich um die nächste Beziehung zum Vorderarm und Unterschenkel handelt. T: Inbezug Auf den Beeken- und Sehultergürtel begnüge ich mich mit dem Hinweis, dass unzweifelhaft Hart- und Weichteile dieser Körperteile homolog sind: auf eine Homologie der einzelnen Teilstücke lasse ich mich hier nicht ein. Jeder Gliedmaße, der vorderen wie der hinteren, liegt bekanntlich eine gegliederte Knochensäule zu Grunde, d. h. jedes Glied zerfällt in einzelne Abschnitte, die dureh Gelenke beweglich mit einander ver- bunden sind. Dabei ist daran zu erinnern, dass die Knochensäule im proximalen Teile der Glieder einfach ist, dagegen im distalen Teile in nebenemander liegende kleime Stücke zerfällt, Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. ATT Vergleichen wir nun das Knochen-Skelett der vordern und hintern Gliedmaßen mit einander, so ist die Aehnlichkeit beider beim ersten Anblick grade mit Rücksicht auf die proximal einfache, distal geteilte Knochensäule sehr auffallend, insbesondere, wenn wir die einzelnen isolierten Knochen betrachten. Es sind einander gleich: Humerus und Femur, Radius und Tibia, Ulna und Fibula, die Knochen der Handwurzel und die der Fußwurzel, die Metacarpalia und die Meta- tarsalia, die Fingerknochen der Hand und des Fußes. Nehmen wir aber zum Vergleich das Knochen-Skelett der vordern und hintern Gliedmaßen in der natürlichen geknickten Stellung, so tritt ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Gliedmaßen hervor. Jede Extremität ist (bei Säugern) mindestens zwei Mal geknickt, aber die Knickungen sind bei der vordern und der hintern Extremität nicht die gleichen. Die stärkste und auffallendste Knickung ist proximal gelegen. Jede der Exiremitäten, die vordere wie die hintere, hat ihre charakteristische Kniekung. Die vordere Gliedmaße zeigt einen nach vorn offenen Winkel; der Scheitelpunkt des Winkels (der Ellbogen) sieht nach hinten. Die hintere Gliedmaße zeigt einen nach hinten offenen Winkel, der Scheitelpunkt des Wimkels (das Knie) sieht nach vorn. Die Scheitelpunkte der Kniekungswinkel sind demnach einander gegenübergestellt. Die Kniekungen (Winkelbildungen) im distalen Ab- schnitt, zwischen Vorderarm und Hand, zwischen Unterschenkel und Fuß, zeigen keine erwähnenswerten Unterschiede. Ich lasse eine Erörterung der Frage nach der Bedeutung der Kniekungen bei Seite; ebenso finde ich hier keine Veranlassung, die Frage zu erörtern, warum das Ellbogengelenk nach hinten, das Knie- gelenk nach vorn gerichtet ist. Dass aber trotz dieser entgegengesetzten Riehtung der Winkel das Ellbogengelenk (Art. eubiti) und das Knie- gelenk (Art. genu) homolog sind, unterliegt keinem Zweifel. Ueber die Homologie der die genannten Gelenke zusammensetzen- den knöchernen Teile sind die Forscher heute einig: der Humerus und der Femur, der Radius und die Tibia, die Ulma und die Fibula sind homolog. Aber wie sind die Weichteile, insonderheit die des Oberarms und des Oberschenkels, zu homologisieren ? Inbetreff der Weichteile des Oberarms und des Oberschenkels ist nun heute in der wissenschaftlichen Welt eine Ansicht geltend, die ich nicht anzuerkennen im Stande bin. Man meint nämlich, dass alle Extensoren der vordern Extremitäten allen Extensoren der hintern Extremitäten und alle Flexoren ebenso allen Flexoren zu vergleichen sind. Infolge dessen homologisiert man die Weichteile der Streckseite des Oberarms und die der Streckseite des Oberschenkels, sowie die Weichteile der Beugeseite des Oberarms und die des Oberschenkels. Dadurch homologisiert man beim Menschen solche Teile, die an der obern Extremität vorn liegen, mit solchen Teilen, die an der untern Extremität hinten liegen. — 475 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. Gegen diese Ansieht insbesondere richtet sich die vorliegende Ab- handlung. Um die gegenwärtig giltige Anschauung darzulegen, gebe ich hier die Ansicht zweier Embryologen, Kölliker und Hertwig, mit ihren eieenen Worten wieder. Bei Kölliker (Entwicklungsgeschichte des Menschen, 2. Auflage, Leipzig 1879, 5. 4857, S 34, Entwicklung des Skelettes des Glieder) heißt es: „Zur Zeit, wo die Extremitäten in den ersten Spuren sichtbar „sind, stellen dieselben wesentlich gleich beschaffene kurze Stummelchen „dar, welche seitlich vom Rumpfe abstehen und, wie die späteren Zu- „stände lehren, ihre Streekseite dorsalwärts und die spätere Radial- „(Tibial-) Seite kopfwärts gerichtet oder am proximalen Rande zeigen. „Mit zunehmendem Wachstum legen sich die Glieder immer mehr „ventralwärts dem Leibe an und stellen sich auch nach und nach „etwas schief nach hinten, so jedoch, dass die vordere Extremität „stärker geneigt ist als die hintere Gliedmaße. Gleichzeitig tritt nun „auch die erste Gliederung auf, mdem Hand und Fuß von der übrigen „Gliedmaße sich abschnüren. Nicht viel später erscheint dann auch „an dem noch sehr kurzen Anfangsteile der eigentlichen Gliedmaße „die erste Andeutung einer Scheidung in zwei Abschnitte dadurch, dass „am Arm der Ellbogen als eine nach hinten gerichtete Konvexität und „am Bein das Knie als eine leiehte Wölbung nach vorn auftritt. — „Mit diesem bereits im zweiten Monat auftretenden Unterschied, der „immer ausgesprochener wird, ist die wichtigste Verschiedenheit beider „Glieder angelegt, und man kann dieselbe mit Humphry (1876) auch „so ausdrücken, dass man sagt, die vordere Extremität rotiere aus „ihrer primitiven lateralen Stellung allmählich um ihre Längsaxe nach „der distalen Seite, während bei der hintern Gliedmaße das Umgekehrte „stattfindet, was dann die weitere Folge nach sieh zieht, dass die „Streekseite* am Arm an die distale, am Bein an die proxi- „male Seite zu liegen kommt. Die eigentlichen Ursachen, welche die „verschiedene Drehung der beiden Glieder bedingen, sind annoch ganz „unklar. — Sei dem wie ihm wolle, so geht aus dem Gesagten auf „jeden Fall so viel mit Sicherheit hervor, dass ursprünglich Arm und „Bein genau dieselbe Stellung haben, und dass die Momente, welche „die spätere verschiedene Lagerung und Krümmung derselben bewirken, „schon in der frühesten Fötalzeit an beiden Gliedmaßen wirksam sind. „Man wird daher der Drehung des Arms nach der distalen Seite „die des Beins nach der proximalen Seite entgegenzustellen haben, „und außerdem auch die früh eintretende Pronation der Hand ins Auge „fassen müssen, um ein Verständnis der bleibenden Verhältnisse zu „zu gewinnen“. Anders ausgedrückt müssen die Homologien der beiden Extremitäten nach ihrer frühesten fötalen Stellung bestimmt werden, und es sind daher alle Exten- sorengruppen eimander gleichwertig und ebenso alle Flexoren- abteilungen, sowie Radius und Tibia und Ulna und Fibula. Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 479 O0. Hertwig (Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen, 4. Auflage, Jena 1893, 5.563) schreibt: „Bei ihrer Vergrößerung legen „sich die Gliedmaßen der Bauchfläche des Embryo an und sind dabei „schräg von vorn nach hinten gerichtet, und zwar die vorderen Glied- „maßen mehr als die hinteren. Bei beiden liegt ursprünglich „die spätere Streckseite dorsal, die Beugeseite ventral. „Sowohl der radiale wie der tibiale Rand mit dem Daumen und der „großen Zehe sind kopfwärts, und der fünfte Finger und die fünfte „Zehe sind schwanzwärts gerichtet“. — Und dann: „Im weiteren Fort- „gang der Entwicklung verändern die beiden Gliedmaßen ihre Aus- „gangsstellung, und zwar die vordere in höherem Grade als die hintere, „indem sie sich um ihre Längsaxe in entgegengesetzter „Riehtung drehen. Auf diese Weise kommt am Oberarm die „Streekseite nach hinten, am Oberschenkel nach vorn zu „liegen, Radius und Daumen sind jetzt lateralwärts, Tibia und große „Zehe medianwärts gelagert. Diese Lagenveränderungen durch Drehung „sind bei Bestimmung der Homologien von vorderer und hinterer Extremi- „täten naturgemäß im Rechnung zu bringen, so dass Radius und Tibia, „Ulna und Fibula einander entsprechen“. Ich vermag diesen Ansichten nicht beizustimmen. Ich finde keine Veranlassung anzunehmen, dass alle Extensoren den Extensoren und alle Flexoren den Flexoren gleichwertig sind. Es ist dies eine Be- hauptung, die nicht bewiesen ist. Man hat aber diesen Satz still- schweigend als richtig anerkannt, um zu erklären, dass am Oberarm die Flexoren vorn, die Extensoren hinten, am Oberschenkel umge- kehrt die Flexoren hinten und die Extensoren vorn liegen. Um diese auffallende Thatsache zu erklären, verfiel man auf die Theorie der Drehung (Rotation) der Gliedmaßen. Man stellte die Hypothese auf, dass der Oberarm allein gedreht sei (Martins, Nouvelle Com- paraison des membres, Ann. des Sciences naturelles, Serie IV, Tom. S, 1857; Gegenbaur, Ueber die Drehung des Humerus Jena’sche Zeitschrift, IV. Bd., Nr. 68, 5.50) oder, dass beide Extremitäten aber in entgegengesetzter Richtung sieh um ihre Längsaxe gedreht hätten. Zu den Anhängern dieser zweiten Theorie gehören außer den oben zitierten Kölliker und Hertwig, noch Hatschek, Humphry u.a. Meiner Ansicht nach bedarf es zur Homologisierung der Weichteile des Oberarms, wie des Oberschenkels nieht der Theorie der Drehung, weder der Drehung emer einzigen, noch der Drehung beider Glied- maßen. Die Drehung der Gliedmaßen um ihre Längsaxe ist eine nicht bewiesene Hypothese. Die Gliedmaßen drehen sich während ihrer Ent- wicklung nieht um ihre Längsaxe. — Gegen die Theorie der Drehung des Humerus, wie sieMartins und später Gegenbaur lehrten, haben sieh verschiedene Autoren ausgesprochen: nächst Lucae, Schmid und andere, insbesondere Albreeht (Beitrag zur Torsions-Theorie des Humerus. 480 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. . Kiel 1576). Gegen die Theorie der Drehung beider Extremitäten hat sich neuerdings Holl eimgehend erklärt (Holl, Ueber die Ent- wicklung der Stellung der Gliedmaßen des Menschen. Wien 18091. Sitzungsberichte der k. Akad. der Wissenschaften, Math.- nat. Klasse). Holl verwirft die Theorie der Drehung vollständig. Ich pflichte den klaren Ausemandersetzungen Holl’s vollständig bei. Eine Homologisierung der Weichteile der Gliedmaßen gibt Holl nicht; ich kann mich daher damit begnügen, ihn als Gegner aller Drehungs- theorien anzuführen. Ich vergegenwärtige mir einen frühen Zustand der Extremitäten: ich kann mir die Extremitäten als längliche, seitlich vom Leibe ab- stehende Platten vorstellen, die eme dorsale und ventrale Fläche, einen kranialen (proximalen, RKölliker) und kaudalen (distalen, Köll.) Rand unterscheiden lassen. Es ist hiernach durchaus selbstverständ- lich, dass die dorsalen Weichteile der vordern Extremitätenplatte den dorsalen Weichteilen der hintern Extremitätenplatte, wie die ventralen Weichteile den ventralen homolog sind. Während der weiteren Entwicklung verändern die ursprünglich seitlich vom Leib abstehenden Gliedmaßen ganz unzweifelhaft ihre Stellung. Holl schildert die Veränderung der Stellung der Glied- maßen des Menschen ausführlich, wobei er ausdrücklich eme Drehung um die Längsaxe ausschließt. Die ursprünglich seitlich vom Leib abstehenden Gliedmaßen werden im Laufe der Entwicklung adduziert, d. h. an den Leib herange- zogen. Wir können diese Veränderung der Stellung an unserm eigenen Körper leicht wiederholen, wenn wir, stehend oder auf dem kücken liegend, die gespreizten Arme an den Leib ziehen und die Beine an einander schließen. Dabei bleiben selbstverständlich die dorsalen Flächen der Extremitäten-Platten dorsal, die ventralen ventral; sie haben ihre Lage nicht verändert, sondern nur ihre Stellung. Eine weitere Ver- änderung der Stellung tritt ein, sobald ein Säugetier sich auf die vier Extremitäten stellt, oder sobald der Mensch auf Händen und Füßen, auf allen Vieren, steht oder geht. Es haben die Extremitäten dabei eine Bewegung um eime frontale Axe, eine Beugung gemacht. Frei- lich riehtet sieh jetzt die dorsale Fläche der Gliedmaßen nach hinten (kaudalwärts), die ventrale Fläche nach vorn (kranialwärts), allein die Fläche selbst, wie die in den Gliedmaßen befindlichen Weichteile, haben ihre Lage zu einander nicht verändert, sondern nur ihre Stel- lung zum Skelett, zum Körper; die Beziehung der dorsalen und ven- tralen Weichteile in beiden Extremitäten hat sich nicht geändert. Ich fasse das Gesagte nochmals kurz zusammen: Die sich ent- wiekelnden Gliedmaßen werden an den Leib herangezogen (adduziert) und machen später eine Bewegung um eme frontale Axe (Flexion), aber keine Drehung um ihre Längsaxe (Rotation). Hiernach ist die am Oberarm vorn befindliche Muskelmasse (biceps Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 4si brachii, eoraco-brachialis, brachialis internus) homolog der am Ober- schenkel vorn befindlichen Muskelmasse (extensor eruris quadri- eeps ete.); beide Gruppen sind ursprünglich ventral und deshalb homolog. Die am Oberarm hinten liegende Muskelgruppe (trieeps brachii) und die am Oberschenkel hinten liegende Muskelgruppe (bieceps femoris ete.) sind ursprünglich dorsal und deshalb homolog. Freilich erscheinen bei dieser Betrachtungsweise nicht die Extensoren den Extensoren und die Flexoren den Flexoren homolog, sondern grade umgekehrt: Die Flexoren des Oberarms und die Extensoren des Oberschenkels, und die Extensoren des Oberarms und die Flexoren des Oberschenkels sollen einander homolog sein — damit ständen wir abermals vor einer auffallenden Thatsache. Warum soll denn aber diese Homologie nicht richtig sein? Warum müssen denn alle Extensoren und alle Flexoren durchaus homolog sen? Warum können denn nicht ebenso «ut die Extensoren einer Gliedmaße den Flexoren der andern Gliedmaße und umgekehrt homolog sein? Die Bezeichnung Extension und Flexion ist doch nur von der Funktion der Muskeln, von ihrer Thätigkeit, hergenommen, und was hat das mit der morphologischen Stellung der Muskeln zu thun? Seit wann ist denn die Funktion eines Organs entscheidend für die Homo- logie? Die ganz willkürlich gegebene Bezeichnung der Muskeln als Ex- tensoren und Flexoren ist nicht einmal ganz richtig, d. h. trifft nicht einmal für alle so bezeichneten Muskeln zu. Ich erinnere an die Auseinandersetzungen und Erwägungen H. Meyer’s inbetreff des Handgelenks -— ich erinnere an seimen vielfach angenommenen Vorschlag, von einer dorsalen und einer volaren Flexion zu reden, ferner an seine Auffassung einer Strecklage der Extremität u. dergl. Uebertrage ieh Meyer’s Anschauungen, die ich für durchaus richtig halte, auf das Ellbogen- und Kniegelenk der Gliedmaßen, so ergibt sich dabei folgendes: Die vordern und hintern Gliedmaßen sind Platten; die Platten gliedern sich, d. h. es tritt ein Gelenk auf. In Folge des Gelenks ist eme Bewegung möglich, und zwar unter der Voraussetzung eines (freien) Zylindergelenks sowohl eine dorsale als auch ventrale Beugung. Die ventral gelegenen Muskeln machen eine ventrale Flexion, die dorsalen Muskeln eine dorsale Flexion möglich; sie können als Flexoren aufgefasst werden. Besondere Extensoren sind nieht nötig, sind vollkommen überflüssig, denn sowohl die ven- tralen als die dorsalen Muskeln sind im Stande, die gebeugten Teile der Gliedmaßen in die Strecklage zu bringen — zu strecken. Man kann sich nun leicht vorstellen, dass vielleicht auf einer sehr frühen Entwicklungsstufe der Wirbeltiere wirklich eine solche freie Bewegung, dorsale und ventrale Flexion möglich gewesen ist. Nun hat sich aber im Laufe der Zeit eine Veränderung herausgebildet — XI. 31 482 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. das Resultat ist: die ursprünglich freie Bewegung ist beschränkt, aus dem freien Winkelgelenk ist em beschränktes geworden. Die vor- dere Extremität hat die dorsale Beugung im Ellbogengelenk eingebüßt und kann nur ventral gebeugt werden. Die hintere Extremität hat die ventrale Beugung im Kniegelenk eingebüßt und kann nur dorsal gebeugt werden. In Folge dessen erscheinen beide Extremitäten ge- kniekt; die vordere Extremität bildet einen nach vorn offenen Winkel, die hintere Extremität bildet einen nach hinten offenen Winkel. Eine Streekung — Hinüberführen in die Strecklage — ist nieht immer möglich. Auf eine Erörterung der Ursachen, auf die Umstände, die eine solehe Umwandlung der Gelenke und damit der Thätigkeit der Muskeln hervorrufen, gehe ich nicht ein. Ich begnüge mich darauf hinzuweisen, dass die vordere Extremität in Folge der Veränderung sich zu einem Greif-Organ, die hintere Extremität dagegen sich zu einer Stütze, resp. einem Geh-Organ umgebildet hat (vergl. Wiedersheim, Ver- gleichende Anatomie, 2. Aufl., Jena 1886, S. 221). Sind nun dureh diese Veränderung die Muskeln andere geworden ? Sind dureh die Beschränkung der Bewegung der Gelenke die Muskeln in ihrer Lage und Stellung verändert? Haben die Knochen ihre Lage verändert? Sind dadurch, dass an der vorderen Extremität die ven- tralen Muskeln das Uebergewicht über die dorsalen, an der hinteren Extremität die dorsalen Muskeln das Uebergewicht über die ventralen gewonnen haben, sind dadurch die Muskeln selbst andere geworden ? Keineswegs. — Dass wir nun, mit Rücksicht auf die veränderte Be- wegung und die dadurch herbeigeführte veränderte Stellung an der vordern Extremität die ventralen Muskeln als Flexoren und die dorsalen Muskeln als Extensoren bezeichnen, an der hintern Extre- mität umgekehrt die ventralen Muskeln als Extensoren und die dorsalen Muskeln als Flexoren, was hat dies mit der morphologischen Bedeutung der Muskeln zu thun? Es sind doch die dorsalen Muskeln dorsal und die ventralen Muskeln ventral geblieben, warum sollen sie nun nicht mehr homolog sen? Wegen der veränderten Thätigkeit doch gewiss nicht — die Bezeichnung Extensoren und Flexoren ist der Thätigkeit der Muskeln angepasst. Was hat die Thätigkeit der Muskeln mit der morphologischen Bedeutung der Muskeln, mit der Homologie zu schaffen ? Ich muss offen gestehen, dass meiner Ueberzeugung nach die Be- zeichnung Extensoren und Flexoren zu der heutigen Auffassung der Gelenk- und Muskelbewegung nicht passt; es wäre zweckmäßig, diese Bezeiehnungen durch andere zu ersetzen, weil sich beim Gebrauch derselben nur Widersprüche ergeben. Ich erinnere an folgendes: An der vordern (oberen) Extremität nennen wir diejenigen Muskeln, die die Hand aus der Strecklage herausbringen, d. h. dorsalwärts beugen, Extensoren, und diejenigen Muskeln, welche die dorsal gebeugte Hand in die Streeklage bringen, d. h. strecken, nennen wir Flexoren; Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 483 danach heißt es die Flexoren oder Beuger strecken die Hand. Sind das keine Widersprüche? Noch ärger sind diese Widersprüche, wenn wir die Bewegung des Fußes im Tibia-Tarsal-Gelenk heranziehen. Hier nennen wir diejenigen Muskein, die den bereits dorsal flektierten Fuß noch mehr dorsal beugen — Extensoren. Es wäre wohl zeitgemäß, derartige Bezeichnungen fallen zu lassen — sie sind nicht mehr lebensfähig, sie stammen aus einer Zeit, in welcher man an die sich daran anschließenden Konsequenzen nieht im Ent- ferntesten dachte. Ich bin fest überzeugt, dass, wenn diese Bezeichnung der Exten- soren und Flexoren nieht existierte, niemand auf die Idee gekommen wäre, alle Extensoren und alle Flexoren für gleichwertig zu halten. Niemand wäre auf die sonderbare Idee verfallen, den Humerus sich drehen zu lassen, um zu erklären, dass die Extensoren des Humerus des Menschen hinten liegen und «die Extensoren des Femur des Menschen vorn. Ich behaupte daher, nicht die Extensoren des Oberarms und die des Oberschenkels, und nicht die Flexoren des Oberarms und die des Oberschenkels sind einander gleichwertig, „homolog*, sondern die dorsalen Muskeln des Oberarms sind den dorsalen Muskeln des Öberschenkels, und die ventralen Muskeln des Oberarms und die ventralen Muskeln des Oberschenkels sind homolog, ganz einerlei, ob diese Muskeln Extensoren oder Flexoren heißen. Und darüber, welche Muskeln für ventral und welche für dorsal zu erklären sind, kann die Ansicht doch nicht zweifelhaft sein. Zu demselben Resultat, dass die Flexoren des Oberarms den Ex- tensoren des Oberschenkels, und umgekehrt die Extensoren des Ober- arms den Flexoren des Oberschenkels zu vergleichen sind, ist Albrecht (l. e.) auch gekommen. Das Resultat meiner Auseinandersetzung ist: Die Annahme, dass der Oberarm allein, oder dass der Oberarm und der Oberschenkel sich während der Entwicklung um ihre Längsaxe gedreht haben, ist nicht erwiesen; die Annahme ist auch überflüssig, weil ohne dieselbe eine Homologie der Weichteile durchführbar ist. Il. Ich wende mich nun zur Betrachtung des zweiten (distalen) Ab- schnittes der Gliedmaßen, zur Betrachtung des Vorderarms nebst Hand und des Unterschenkels nebst Fuß. Inwieweit sind die genannten Abschnitte, Knochen und Weichteile, mit einander zu vergleichen ? Nach den heutigen Anschauungen ist der Radius mit der Tibia, die Ulna mit der Fibula zu vergleichen — alle andern Vergleiche sind mit Recht verlassen worden. Hiebei ist es auffallend, dass bei der- jenigen Stellung, die man der anatomischen Beschreibung der Extremi- 37 £ . ns : But » ; \ 484 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. täten zu Grunde legt, an der vordern Extremität der Radius kranial- wärts und die Ulna kaudalwärts gelegen ist, während an der hintern Extremität umgekehrt die Tibia kranialwärts und die Fibula kaudal- wärts liegt. Gewöhnlich wird dieser Unterschied anders ausgedrückt, indem man sagt: der Radius liegt außen (lateral, die Ulna liegt nach innen (medial) und umgekehrt: die Fibula liegt außen (lateral), die Tibia innen (medial). Es hängt dieser Ausdruck natürlich von der Stellung ab, die man den Extremitäten gibt. Im Uebrigen bleibt der Unterschied bestehen. Noch aufrallender wird dieser Unterschied, wenn man die bezüglichen Weichteile in Betracht nimmt. Es hat das dahin geführt, dass trotz der sicher gestellten Homologie des Radius und der Tibia, doch der die entsprechenden Muskeln versorgende Nerven- stamm am Arm den Namen Radialis, am Schenkel den Namen Peroneus erhalten hat. Wie ist dieser auffallende Unterschied zu erklären? Dadurch, dass die betreffenden Abschnitte, Vorderarm und Unterschenkel, sich nichtin gleicher Stellung befinden. Der Vorderarm ist supinirt, der Unterschenkel ist pronirt. Um emen richtigen Vergleich vor- nehmen zu können, müssen beide Körperteile in derselben Stellung sich befinden; sie müssen beide pronirt sein. Dem pronirten Vorder- arm ist der pronirte Unterschenkel zu vergleichen. Ursprünglich, so können wir uns vorstellen, haben in den Glied- maßen-Platten der Radius sowie die Tibia kranialwärts (lateral), die Ulna, sowie die Fibula kaudalwärts (medial) gelegen. Im Laufe der Entwieklung hat sich in der vordern Extremität der Radius um die Ulna gedreht, so dass die beiden Knochen eine gekreuzte Lage haben. Der Vorderarm ist pronirt. Diese pronirte Stellung des Vorder- arms ist als die natürliche anzusehen; doch kann der Radius wieder in seine frühere Stellung zurückgelangen — der Vorderarm kann supinirt werden. Für die vordere Extremität ist diese veränderte Stellung längst anerkannt. An der hintern Extremität ist die Lagen-Veränderung freilich nieht beobachtet, aber sie muss vorausgesetzt werden. Es hat auch hier früher die Tibia kranialwärts (lateral) und die Fibula kaudalwärts (medial) gelegen; es hat sich dann die Tibia um die Fibula gedreht, so dass ihre Lage nun eme gekreuzte geworden ist. Der Unter- schenkel befindet sich im pronirter Stellung. Allein die Tibia hat nieht — wie der Radius — die Fähigkeit erworben, sich wieder in die andere Stellung zurück zu begeben, oder die Fibula hat die Fähigkeit nie gehabt; der Unterschenkel kann nieht supinirt werden. Die Homolsgie des Vorderarms und des Unterschenkels kann nur dann mit Erfolg durehgeführt werden, wenn der pronirte Vorderarm zum Vergleich herangezogen wird. Ich schalte hier einige Sätze aus der bereits oben zitierten Ab- handlung Holl’s ein, weil ich Hol] für denjenigen Autor halte, der Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 485 jene Behauptung zum ersten Mal präcis aufgestellt und begründet hat. Holl schreibt (l. e. S. 16): „Es ist richtig, dass für die Homo- logie der obern und untern Extremitäten beim Menschen nur das störend eintritt, dass bei supinirten Vorderarm Radius außen, Ulna innen u. s. w. zu legen kommt, während die homologen Gebilde der untern Extremität entgegengesetzt, Tibia innen, Fibula außen zu liegen kommen, und dass, bevor noch Hatschek mit seiner Ansicht auftrat, die Martins-Gegenbaur’sche Theorie von der Drehung des Humerus die Schwierigkeiten beseitigte. Das gilt aber nur für den Menschen, denn bei den übrigen Säugetieren befinden sieh ja die Knochen der vordern und hintern Extremität, wenn man von der entgegengesetzten Stellung des Elnbogen- und Kniegelenks absieht, in gleicher Stellung. — Für die Vierfüßler konnte daher die Drehungstheorie nie Geltung be- sitzen. „So viel mir bekannt“ — schreibt Holl weiter — „und wie auch aus der Lehre der Theorie hervorgeht, wurde die obere Extre- mität immer in der Supinationsstellung des Vorderarms zum Vergleich herangezogen und betont, in «dieser Stellung sei eme Homologisierung unmöglich, denn die Tibia liege innen und die Fibula außen, und beim Vorderarm sei es mit den unzweifelhaft homologen Gebilden, dem tadius und der Ulma, gerade verkehrt. — Es sei gestattet anzuführen, dass die Voraussetzung, die Tibia liege imnen und die Fibula nach außen, auch nieht richtig ist. Ein aufmerksamer Blick auf den Unter- schenkel eines Menschen- oder Säugetier-Skeletts lehrt, dass die Axen beider Knochen nicht parallel sind, sondern sich kreuzen; das obere Ende der Fibula liegt nicht außen, sondern außen und hinten an dem obern Ende der Tibia; auch das untere Ende der Fibula liegt nieht streng nach außen vom untern Ende der Tibia, sondern gering hinten und außen. Kurz gesagt, die Unterschenkelknochen befindet sich in einer Pronationsstellung“. — Und weiter S. 17 heißt es: „Die Supinationsstellung des Vorderarms (beim Menschen ) ist eine erzwungene Lage, und als solche ist sie von vornherein für die Homologisierung der Extremitäten nicht zu verwerten. Die natürliche Lage ist die Pronationsstellung, und betrachtet man diese, so zeigt sich, dass die Gegensätze zwischen Unterschenkel und Fuß einerseits, Vorderarm und Hand anderseits, bedeutend schwächer werden; die Vorderarm-Knochen kommen in eine ähnliche Lage zu liegen wie die des Unterschenkels, und der Daumen nähert sich in seiner Lage bedeutend der der großen Zehe“. — Und sehließlieh 8. 48: „Aus alle dem geht hervor, dass während des embryonalen Lebens an der obern Extremität eine Pronations- stellung des Vorderarms und der Hand sich entwickelt, während an der untern Extremität eime bleibende Pronationsstellung der Unterschenkelknochen und eime Supination des Fußes zu Stande ge- bracht wird“. Ich befinde mieh mit den Ansichten Holl’s in vollkommener Uebereinstimmung. 180 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. Ich muss hiernach das oben gegebene Resultat etwas erweitern. Die ursprünglich seitlich vom Leib abstehenden Gliedmaßen der Em- bryonen werden zuerst im Schulter- und Hüftgelenk adduziert, d.h. um eme sagittale Axe bewegt. (Dazu kommt später bei Säuge- tieren eine Beugung, eine Bewegung um eine frontale Axe.) Dann tritt eine Beugung (Flexion) im Ellenbogen und im Kniegelenk ein, aber in entgegengesetzter Richtung, bei der vordern Extremität nach vorn, bei der hintern nach hinten. Gleichzeitig findet eine Pro- nation der Vorderarme und der Unterschenkel statt, indem sich der Radius um die Ulna, die Tibia um die Fibula dreht. Der Vorderarm behält die Fähigkeit, in die Supinationsstellung zurückzugehen, der Unterschenkel behält die Fähigkeit nieht; er bleibt in pronirter Stellung. Was schließlich den Vergleich und die Homologisierung der Hand und des Fußes betrifft, so lässt sich darüber folgendes sagen: Die Gliederung zwischen Vorderm und Hand ist eme freiere als die zwischen Unterschenkel und Fuß. An der Hand kann sowohl eine dorsale als auch ventrale (beim Menschen volare) Flexion ausgeführt werden; in Folge dessen kann die Hand auch eine Strecklage einnehmen. In dem Gelenk zwischen Unterschenkel und Fuß ist weder eine Streck- lage noch eine ventrale Beugung möglich: der Fuß ist dorsalwärts flektiert, und nur diese Flexion kann etwas vermehrt werden; eine dorsale Flexion ist ausführbar. Es befindet sich demnach der Unterschenkel in fester pronirter Stellung und der Fuß ist dorsal flektiert. Will man daher die obere (vordere) Extremität des Menschen zum Zweck einer Homologisierung mit der unterm (hintern) Extremität vergleichen, so muss man der obern Extremität (des Menschen) die gleiche Stellung geben, wie die untere sie bereits hat: der Vorderarm muss pronirt und die Hand muss dorsälwärts flektiert werden. Es geschieht dies, wenn der lebende Mensch auf allen Vieren geht, wie die Säugetiere. Holl sagt (]. e. S. 20): „Will man die Extremitäten des Menschen in Einklang bringen „mit denen der Vierfüßler, so ist das erste Erfordernis, dass auch der „Mensch in vierfüßiger Stellung betrachtet werde; aber nicht einfach „ın der Weise, dass man ein künstlich gefasstes Skelett auf den vier „Extremitäten zum Stehen bringt, sondern in der Weise, dass der „Lebende den Gang auf Vieren einschlägt. Nach der Lagerung der „Knochen bei diesem kann dann ein Skelett entsprechend hergestellt „werden. In der vierfüßigen Stellung des Menschen gehen die Extre- „mitäten solche Lageänderungen ein, dass ihre Homologie mit denen „der Vierfüßler unschwer durchzuführen ist“. Die primitiven Gliedmaßen sind als Platten anzusehen, die an- fänglich seitlich vom Körper abstehen; man muss an ihnen eine dorsale und eine ventrale Fläche unterscheiden. Im weiteren Ver- lauf der Entwicklung werden die Gliedmaßen an den Leib angezogen, adduziert, wobei eine Veränderung in der Lage der dorsalen und Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 487 ventralen Fläche nicht eintritt. Eine Drehung um die Längsaxe der Gliedmaßen findet nicht statt. — Die Extremitäten gliedern sich in 3 Abschnitte, den Oberarm und Oberschenkel, Vorderarm und Unter- schenkel, Hand und Fuß. Oberarm und Vorderarm bilden mit einander einen ventralwärts (beim Menschen nach vorn) offenen Winkel (Ellbogengelenk). Oberschenkel und Unterschenkel bilden einen dorsal- wärts (beim Menschen nach hinten) offenen Winkel (Kniegelenk). Weder der Oberarm noch der Oberschenkel verändern ihre Lage; in Folge dessen wird am Oberarm die ventrale Fläche zur Beugefläche und die dorsale Fläche zur Streckfläche; umgekehrt wird am Ober- schenkel die ventrale Fläche zur Streckfläche und die dorsale zur Beugefläche. Vorderarm und Unterschenkel verändern ihre Lage; sie nehmen eine Pronationsstellung ein, d. h. der Radius dreht sich um die Ulna, die Tibia um die Fibula, so dass die Knochen gekreuzt liegen, dadurch kommt sowohl am Vorderarm wie am Unterschenkel die ursprünglich dorsale Fläche nach vorn, die ventrale Fläche nach hinten. Die Gliederung zwischen Vorderarm und Hand ist frei, die Hand kann sich sowohl dorsalwärts wie ventralwärts dem Vorderarm nähern (beugen). Der Sprachgebrauch bezeichnet die dorsalen Muskeln als Extensoren, die ventralen als Flexoren, ein bestimmter Grund für diese Bezeichnung liegt nieht vor. Die Gliederung zwischen Unter- schenkel und Fuß ist nicht frei sondern beschränkt; der Fuß kann sich nur dorsalwärts dem Unterschenkel nähern (beugen); der ana- tomische Sprachgebrauch bezeichnet diese Beugung fälschlich als Ex- tension und die betreffenden Muskeln als Extensoren. — Der Fuß kann weder eine Strecklage einnehmen, noch sieh ventralwärts dem Unter- schenkel nähern. — 11. Ich versuche es nun, auf der hier dargelegten allgemeinen Grundlage eine Homologisierung der Weichteile, Muskeln, Nerven und Blutgefäße der Gliedinaßen vorzunehmen. Ich beziehe mich dabei nur auf den Menschen. — Eingehenden vergleichend - anatomischen, sowie embryologischen Studien wird es vorbehalten sein, die Richtigkeit der Behauptungen zu prüfen und für die Einzel-Angaben nähere Begrün- dung zu beschaffen. Dass der Humerus dem Femur homolog ist, unterliegt keinem Zweifel. Entsprechend den vorangegangenen Auseinandersetzungen sind die Muskeln der Beugefläche des Oberarms homolog den Muskeln der Streekfläche des Oberschenkels, und umgekehrt die Muskeln der Streck- fläche des Oberarms homolog den Muskeln der Beugefläche des Ober- schenkels. Wie sind die Muskeln im Einzelnen zu vergleichen? Der M. bi- ceps brachii hat zwei Köpfe, in vielen Fällen auch drei; der dritte Kopf entspringt neben dem Brachialis internus von der Mitte des Humerus; die Sehne heftet sich an die Tuberositas radii. Ich ver- ASS Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. gleiche den Biceps brachii dem M. extensor eruris quadriceps und dem M. sartorius. Der lange Kopf des Biceps ist homolog dem M. rectus eruris, der kurze Kopf des M. bieeps dem M. sartorius. Der dritte Kopf des Biceps entspricht den direkt am Femur herziehenden Vasti; sowie der Biceps am Radius inseriert, so der Quadriceps (und Sartorius) an der Tibia. Die Patella hat kein Homolog am Oberarm, ist sie ein Sehnenknochen, ein sog. Sesambein. Oder aber ist es der M. sar- torius bei Seite zu lassen, und die beiden Köpfe des Biceps brachii sind den beiden Ursprungszipfeln der Sehne des Reetus eruris zu ver- gleichen, der vom Pfannenrande (Tuberositas acetabuli) herkommende Zipfel ist der vom Tuberculum supraglenoidale herziehenden Biceps- Sehne zu vergleichen, und die an der Spina ossis ilei anterior superior entspringende Sehne ist zu vergleichen dem kurzen Kopfe, der vom Processus coracoideus herkommt. Für den M. brachial. int. finde ich am Oberschenkel keinen homo- logen Muskel, da kein vorn liegender Muskel bis zur Fibula hinzieht. Ihn den Köpfen des Vastus zu homologisieren, ist nicht möglich, da die Vasti an.der Tibia, der Brachial. int. aber an der Ulna sein Ende hat. In anderer Hinsicht bereiten die Adduktoren des Oberschenkels Schwierigkeiten; während hier außer dem Peetineus noch 4 Adduktoren beschrieben werden, finden wir am Oberarm nur einen einzigen Muskel, den M. coraco-brachial., der durch seine Richtung und seinen Verlauf jenen Muskeln zu vergleichen ist. An der hintern (dorsalen) Fläche des Oberarms findet sich nur ein großer dreiköpfiger Muskel, M. triceps brachii, der einen von der Scapula und zwei vom Humerus herkommende Köpfe auf- weist. An der hintern (dorsalen) Fläche des Oberschenkels finden sich mehrere Muskeln, M. biceps femoris, M. semitendinosus und M. semimembranosus. Der lange Kopf des Biceps gleicht dem langen Kopf des Triceps, beide kommen von den Knochen des Extremitäten- Gürtels; die beiden kurzen Köpfe des Trieeps brachii kommen von dem Humerus, wogegen der kurze Kopf des Biceps femoris vom Femur entspringt. Der Trieeps setzt sich an das Oleeranon ulnae, der Biceps femoris an das Köpfchen der Fibula an. Für den M. semimembra- nosus und semitendinosus des Oberschenkels finde ich am Oberarm keine homologen Muskeln, es gibt hier keine Muskeln, die vom Schulter- gürtel zum Radius gehen. Ich kann mir nicht versagen, darauf hinzuweisen, dass die bis- herige Anschauung, sowohl die Flexoren als auch die Extensoren des Oberarms und Oberschenkels zu homologisieren, unüberwindliche Schwierigkeiten findet in der verschiedenen Insertion der Muskel-Sehnen. Man kann doch nicht zwei Muskeln als homolog bezeichnen, die von nicht homologen Knochen inserieren! Der Biceps brachii inseriert am tadius und der Biceps femoris an der Fibula. (Fibula und Radius sind nicht homolog.) Der Trieeps brachii inseriert am Oleeranon Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 489 ulnae, und der Quadriceps eruris inseriert an der Tibia (Ulna und Tibia sind nieht homolog); dann müssten Patella und Olecranon ulnae homolog sein, was ganz unmöglich ist. Das Oleeranon gehört zur Ulna und die Patella ist ein Sesambein in der Sehne des Quadriceps eruris, der seine Insertion an der Tibia hat. — Am Vorderarm und Unterschenkel sind die dorsalen Muskeln in folgender Weise mit eimander zu vergleichen: Die Muse. extensor. carpi radialis longus et brevis sind dem M. tibialis anticus, der M. ext. earpi ulnaris dem Muse. peronaeus tertius zu vergleichen; der Peronaeus tertius ist eigentlich ein selbständiger Muskel, der (beim Menschen ) mit dem M. extensor digitorum comm. long. verwachsen ist. Am Vorder- arm haben wir einen M. extensor digitorum comm. und als abgelöste Teile einen M. ext. indieis, ext. digiti minimi und zwei M. extensores pollieis. Am Unterschenkel haben wir einen M. extensor digit. comm. longus und einen M. extensor hallueis; für den M. extensor comm. brevis besitzt die Hand kein Homologon. — An der ventralen Fläche (Beugefläche) des Vorderarms sind die Verhältnisse der Muskulatur nicht so einfach, doch lässt sich immerhin auch hier die Homologie des Vorderarms und Unterschenkels nach- weisen. Der M. flexor carpi radialis ist zu vergleichen mit dem M. tibialis postieus, der M. flexor carpi ulnaris ist den beiden M. peronaei longus et brevis gleich zu setzen. — Die Flexoren der Finger der Hand werden gewöhnlich als sublimis und profundus unterschieden. Bardeleben hat aufmerksam gemacht, dass es richtiger ist, drei zu unterscheiden, superficialis, sublimis und profundus (Ueber die Hand- und Fuls-Muskeln der Säugetiere. Anat. Anz., V. Jahrg., 1390, Nr. 15, 5. 435—444). Er bezeichnet den Muse. palmaris longus als M. flexor digitorum longus superficialis) und ver- gleicht ihn mit dem M. plantaris des Unterschenkels. Den M. flexor dig. sublimis der Hand vergleicht er mit dem M. flexor dig. longus des Beins, und den M. flexor dig. profundus des Arms mit dem M. flexor hallueis longus des Beins.. Bardeleben weist mit Recht darauf hin, dass der hochliegende Beuger der Finger am Radius, der lange Beuger der Zehen an der Tibia ihren Ursprung nehmen, wie der tief- liegende Beuger der Finger an der Ulna und der sog. Beuger der großen Zehe an der Fibula. Man sollte daher den hochliegenden Beuger am Arm Flex. radial. und am Bein Flex. tibial. digit. nennen, sowie die beiden andern Muskeln Flex. ulnaris und Flex. fibularis digitorum. Ich finde diesen Vorschlag sehr annehmbar. — Danach ergibt sich: Arm: Dein. M. palmaris M. plantaris (1. M. flexor digit. superficialis.) M. flex. dig, radialis. M. flex, dig. tibialis. (2. M. flex. dig. sublimis. ) M. flex. dig. ulnaris. M. flex. digit. fibularis, (3, M. flex, dig, profundus. M. flexor hallueis,) 490 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. Der Vorder-Arm kann proniert und supiniert werden, daher gibt es M. pronatores und supinatores; der Unterschenkel kann nicht supiniert werden, daher fehlen diese Muskeln; vielleicht ist jedoch der M. popliteus dem M. pronator homolog. — Dem M. gastroenemius und dem M. soleus des Unterschenkels weiß ich keine Muskeln des Vorder- arms zu vergleichen. Inbetreff der kurzen Fingerbeuger und ihrer Homologie an Fuß und Hand verweise ich auf die oben zitierte Abhandlung Barde- lebens. Ich wende mich nun zur Besprechung der Nervenstämme. Zur Eim- leitung muss ich an die Arbeiten Paterson’s anknüpfen (A. Melvill Paterson, M.D. Professor of Anatomy in University College, Dundee. The position of the mammalian limb; regarded in the light of the innervation and development. Journal of Anatomy and Physiology, Vol. XXIH, 1889, p. 2832— 299). Paterson sieht die Gliedmaßen als Auswüchse der ventralen und lateralen Körperfläche an; infolge dessen kann an jeder Gliedmaße eine dorsale (hintere) und eine ventrale (vordere) Fläche unterschieden werden. Eine Segmentierung ist an ‚diesen Extremitäten-Knospen nicht zu erkennen, trotzdem dieselben mehreren Segmenten des Körpers angehören. Darauf weisen auch die Nerven. Die zu den Gliedmaßen herzutretenden Nervenstämme, die zu einem Plexus vereinigt sind, sind dem ganzen ventralen Aste eines Rückenmarks-Nerven, dem typischen Interkostal-Nerven, zu vergleichen. Jeder Rückenmarksnerv spaltet sich bekanntlich in zwei Aeste, einen dorsalen (hintern) und einen ventralen (vordern); am Thorax heißen diese vorderen Aeste Interkostal-Nerven, und diesen ventralen oder vordern Aesten vergleicht Paterson die zum Plexus sich ver- einigenden Nervenäste; er gibt in der oben zitierten Abhandlung sehr klare und übersichtliche Bilder, die seine Anschauungen erläutern sollen. P. Kisler (der Plexus lumbosacralis des Menschen in den Abh. der naturf. Gesellschaft zu Halle, Bd. XVII, Halle 1892) stimmt den Ansichten Paterson’s bei. Eisler sagt (l. ec. 5.95): „Paterson trägt embryologische und vergleichend-anatomische Thatsachen zu- sammen, um darzulegen, dass man die Plexuswurzeln den ganzen Interkostalnerven gleichsetzen müsse, und das ist auch zweifellos das Richtige“; — und weiter: „So gut gewählt aber Paterson’s Beweis- material ist, kann ich doch seinen Folgerungen nicht zustimmen, denn er sieht die Teilung der Plexuswurzeln in sekundäre dorsale und ventrale Trunei an, wie die Teilung der Interkostal-Nerven in die tami perfor. lateralis et anterior. Nun ist aber der sekundäre dorsale Trunceus der Plexusnerven rein dorsaler Natur, der Ramus_ perf. lateralis des Interkostal- Nerven dagegen spaltet sich stets wieder in einen dorso-Interalen und ventro-lateralen Zweig, deren letzterer rein ventraler Natur ist. So komme ich (d.h. Eisler) zu dem Schlusse, dass der sekundäre dorsale Truneus der Plexusnerven nur dem dorso- Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 491 lateralen Zweig einer Ram. perf. lateralis homolog sein kann, der sekundäre ventrale Truncus dagegen dem ventro-lateralen Zweig des Ramus lateralis und dem Ramus perf. anterior natürlich immer ein- schließlich der zugehörigen Muskeläste. Dann decken sich die Begrifie dorsal und ventral, wie wir sie für die Orientierung am Rumpfe ge- brauchen. mit den gleichen Begriffen an den Extremitäten, letztere in ihrer phylogenetischen und ontogenetischen primitiven Stellung be- trachtet“. — So weit Eisler. Ich gebe zum bequemen Verständnis der Differenz folgende Ueber- sicht: Jeder Nerv. intereostalis zerfällt in Paterson | Eisler See. ventr. | Sec. ventr. Truneus des Zlezus omen Ramus anterior Truneus Sec. dorsaler L : . tventrolat. Truneus des Plexusieinen Ramus lateralis! 5 (dorsolat. Sec. dorsal. Truncus Abgesehen von dieser Differenz zwischen Paterson und Eisler unterscheiden beide in jedem Plexus dorsale und ventrale Nerven, und das ist für meinen Zweck hier zu verwerten. Paterson hat ferner darauf hingewiesen, dass die Plexus- Wurzeln, d. h. die zum Plexus zusammentretenden Nervenstämme teilbar und spaltbar sind, dass man sich darauf stützend, sowohl die Nerven der vordern wie der hintern Extremität auf eine dorsale und eine ventrale Schicht des Plexus zurückführen kann. Paterson hat sieh insbesondere auf den Plexus ischiadieus bezogen; Eisler hat auch diese Entdeckung Pa- terson’s bestätigt. Trotzdem ist hier noch nicht das letzte Wort ge- sprochen: weder ist für die vordere Extremität (Plex. brachialis) noch für alle Nerven der hintern Extremität die gesuchte Zurückführung auf die dorsale und ventrale Schicht des Plexus geliefert. Es sind daher die hier gewonnenen Resultate nur mit gewisser Vorsicht zu verwerten. Weiteren Untersuchungen ist hier noch ein weiterer Spiel- raum gegeben. Für die hintere Extremität liegen Untersuchungen von Eisler und anderen Autoren vor, für die vordere Extremität liegen — so weit meine Keuntnisse reichen — keine Untersuchungen vor. Einige gelegentliche Präparationen, besonders an Kinderleichen, lieferten mir nicht so schnell Resultate, als ich sie erwartete: um die Spaltbarkeit und Teilbarkeit der Nerven zu untersuchen, müssen die Leiehen offenbar sehr sorgfältig vorbereitet sein. Auf diese Unter- suchungen kann ich mich daher nicht beziehen. Imbetreff der obern Extremität des Menschen gibt es sehr bemerkenswerte Mitteilungen von Schwalbe (Lehrb. der Neurologie, Erlangen 1881, S. 915 u. 976). In diesen Mitteilungen werden auch dorsale und ventrale Aeste am Plexus unterschieden, allein hier handelt es sich nicht um Zurück- führung der Aeste auf eine dorsale und ventrale Schicht der Plexus- wurzeln, sondern um ihre Zurückführung auf kraniale (proximale) 492 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. und kaudale (distale) Wurzeln. Auch Eisler beschäftigt sich mit der Beantwortung dieser Frage, ein näheres Eingehen in dieser An- zelegenheit gehört nicht hierher. Ist meine oben gegebene Auseinandersetzung richtig, sind am Oberarm die Beugemuskeln die ursprünglich ventral, und die Streck- muskeln die ursprünglich dorsal liegenden, so müssen danach die dazu schörigen Nerven, sowohl die Muskel-Nerven wie die Haut- Nerven, sich auf eine dorsale resp. ventrale Schieht des Plexus cervicalis inferior zurückführen lassen. — Dass die Nerven des Vorderarms und der Hand gleichfalls in diese Ordnung hineinzuziehen sind, liegt auf der Hand. Als dorsaler Nerv (Muskel- und Haut-Nerv) ist anzusehen: der N. radialis. Er innerviert den M. triceps und die dorsale Muskelgruppe des Vorderarms mit Einschluss der sog. radial gelegenen Muskeln; mit seinen Hautästen verbreitet er sich in der ganzen dorsalen Ausdehnung der oben Extremität von der Achselhöhle bis zum Rücken der Hand. Als ventrale Nerven der obern Extremität sind anzusehen: N. museculo-ceutaneus, N. medianus und ulnaris, N. eutaneus medius und N. eutaneus internus (medialis). Die ventralen Muskeln des Ober- arms werden von N. museulo-cutaneus, die ventralen Muskeln des Vorderarms von N. ulnaris und medianus innerviert. Die Haut wird ventral von den beiden Hautästen, dem Hautast des N. museulo-eutaneus, schließlich von den Hautästen des N. ulnaris und medianus versorgt. Der Beweis, dass die dorsalen Nerven auf eine dorsale Schicht des Plexus, die ventralen Nerven auf eine ventrale Schicht des Plexus zurückzuführen sind, muss noch erbracht werden. Ich wende mich nun zur untern Extremität. Hier liegen die Verhältnisse anders, insofern hier bereits von Paterson, Eisler und andern der Versuch einer Herleitung der Nerven auf die entsprechende dorsale und ventrale Schicht des Plexus lumbo -sacralis gemacht ist. In Berücksichtigung der oben gegebenen Auseinandersetzungen über die Anordnung der Muskeln der untern (hintern) Extremität sind (die Nervenstämme in folgender Weise zu ordnen. Als dorsale Nerven sind anzusehen: Ein Teil des N. ischiadiecus, insbesondere derjenige Teil des Nerven, der sich als N. peronaeus im weiteren Verlauf vom N. ischiadieus ablöst. Bekanntlich ist dieser Teil oft schon am M. pyriformis vom Hauptstamm abgelöst. Der N. ischiadieus innerviert die an der hintern (dorsalen) Fläche des Oberschenkels liegengenden Muskeln: M. biceps femoris, M. semitendi- nosus und M. semimembranosus. Der N. peronaeus innerviert die (dorsalen Muskeln des Unterschenkels (vordere Muskelgruppe gewöhn- lich genannt). Als dorsale Hautäste sind anzusehen: am Oberschenkel der N. eutaneus posterior, und am Unterschenkel der vom N. peronaeus, (N. tibialis antieus) sich ablösende Hautast. Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. 493 Als ventrale Nerven des Oberschenkels betrachte ich den N. eruralis und den N. obturatorius, deren Aeste sowohl die ventral liegenden Muskeln als die darüber sich ausbreitende Haut innervieren. Als ventraler Nerv des Unterschenkels ist der N. tibialis anzu- sehen. Vergleiche ich diese meine Anordnung mit der Uebersicht, die Eisler (l.c. S. 96) gibt, und lege ich der Eisler’schen Tabelle das Schema Paterson’s zu Grunde, so finde ich inbetreff des N. obtura- torius und N. tibialis Uebereinstimmung, insofern beide als ventrale Aeste bezeichnet werden. In gleicher Weise werden übereinstimmend der N. cut. post. fem. und der N. peronaeus als dorsale Aeste aufge- führt. Ein Differenz finde ich nur inbetreff des N. eruralis, der von Eisler (l. e. S. 96) zu den Ram. dorso-laterales gerechnet wird, während ich geneigt bin, den Nerv als ventral aufzufassen. Der N. eruralis bietet auch sonst Schwierigkeit dar. Eisler (l. e. 5. 97) be- obachtete einen spiraligen Verlauf der Faserbündel und sagt: „die distale Extremität führt bekanntlich zum Uebergang aus der ursprüng- lichen, embryonalen Stellung in die definitive, ganz die gleiche Drehung aus, so dass man wohl an eine Abhängigkeit der Torsion der Nerven von der der Extremität denken kann. Die beiden andern großen Nervenstämme des Plexus lumbosacralis zeigen übrigens die gleiche Erscheinung“. Wenn somit alle Nervenstämme diese Torsion zeigen, so wird die Ursache davon doch vielleicht in etwas anderen zu suchen sein, als in der (hypothetischen) Torsion des Oberschenkels um seine Längenaxe. Im Uebrigen verweise ich auf die ausführliche Sehilderung, die Eisler von den N. eruralis (l. e. 5. 47—50) ent- wirft; hier spricht Eisler auch davon, dass im Cruralis selbst eine dorsale nnd eine ventrale Schieht zu unterscheiden sei. Hier müssen weitere Arbeiten eine Lösung der schwebenden Streitfrage schaffen. Hiernach wären die Nerven der obern und untern Extremität in folgender Weise zu homologisieren. Der N. eruralis und der N. obturatorius sind zu vergleichen mit dem N. museulo -cutaneus nebst den Hautnerven. Der N. ischiadieus ist den vereinigten Nervi radi- calis, tibialis und medianis zu vergleichen, der N. tibialis den vereinig- ten N. medianus und ulnaris, der N. plant. int. ist dem N. medianus, dem N. plant. ext., dem N. ulnaris gleich, der N. peronaeus ist dem N. radialis gleichzusetzen. Diese Vergleiche ließen sich wohl noch im Einzelnen weiter durchführen; doch werden die hier gegebenen An- deutungen genügen. Ich wende mich zum Schlusse zu den Blutgefäßen, und zwar nur zu den Arterien. Es scheint, dass die großen Blutgefäße der Extremitäten ursprüng- lich an der ventralen Fläche verlaufen, und dass nur infolge der pronierten Stellung des Vorderarms und des Unterschenkels scheinbar die Arterien ihre Stellung ändern. 494 Stieda, Gliedmaßen der Säugetiere und des Menschen. Es kann gewiss die Art. brachialis der Art. femoralis homologisiert werden. Freilich hat Hochstetter (Morphologisches Jahrbuch, Bd. 16, S. 300-318, 1890) kürzlich den Beweis geführt, dass die Lagerung der Art. femoralis an der vordern Schenkelfläche nieht die ursprüng- liehe sei, sondern dass eigentlich die Art. ischiadica die Fortsetzung der Art. iliaca commun. darstelle. Es hätte sich die Art. femoralis aus einer Anastomose herausgebildet. Unter dieser Voraussetzung ließe sich der Vergleich der Art. brachialis mit der Art. femoralis nur dann halten, dass man auch für die Art. brachialis eine ähnliche Ent- stehung nachweist. Allein derartige Untersuchungen sind für die obere Extremität noch gar nicht angestellt. Um die Arterien des Vorderarms und Unterschenkels zu vergleichen, halte ich es für angezeigt, emige Worte über das Verhalten der Arterien des Unterschenkels unter Rücksicht auf die Anomalien und Varietäten zu sagen. Es ist nicht gerade das Verhalten der Arterie, das am häufigsten vorkommt, das typische. Zahlreiche Beobachtungen über Varietäten der Unterschenkel- Arterien bei Menschen — über die ich an einem andern Ort ausführlich berichten werde — haben mich darüber belehrt, dass die gewöhnliche Beschreibung des Verlaufs der Arterien am Unterschenkel freilich der Mehrzahl der Fälle entspricht, aber doch nicht das typische Verhalten wiedergibt !). Das Hauptgefäß des Unterschenkels ist die Art. peronaea, die längs der Fibula am Lig. interosseum von oben herabzieht; unten teilt die Arterie sich in eine Arteria peronaea anterior und posterior. Von der Art. poplitea geht oben die Art. tibialis anterior, die durch das /wischenknochenland hindurch zu der dorsalen Muskelgruppe sich hin erstreekt, ohne auf den Fuß-Rücken übergehen. Der Art. peronaea anterior durehbricht das Lig. interosseum, gelangt auf den Fußs-Rücken und verbreitet sich daselbst; sie anastomosiert konstant entweder direkt mit der Art. tibialis antica oder durch Vermittlung eines Astes daselbst, der Art. mall. lateralis. Diese Anastomose ist die Ursache, dass die Art. tibialis anterior in der gewöhnlich beschriebenen Weise über den Rücken des Fußes zu den Zehen läuft. Die Art. peronaea posterior tritt in der Fußsohle, zerfällt in eine Art. plantaris lateralis und medialis; sie ersetzt somit die Art. tibialis posterior, die als Nebenast von oben herabzieht, entweder hier aufhört oder mit der Art. peronaea anastomosiert. Diese Anastomose ist die Ursache, warum der gewöhnlichen Beschreibung nach die Art. tibialis weiter unten in die beiden Plantares zerfällt. — Am Vorderarm ist die Art. interossea communis als das Hauptgefäß anzusehen; sie ist der Art. peronaea zu vergleichen. Die Art. interossea eommunis (anterior s. interna) entlässt oben eine 4) Zu vergleichen sind Hyrtl, Ueber normale und abnorme Verhältnisse der Schlagadern des Unterschenkels, Wien 1863; Sussdorff, Die Verteilung der Arterien und Nerven von Hand und Fuß der Haussäugetiere, Stuttgart 1889. Capparelli, Zur Frage des experimentalen Pankreasdiabetes. 495 Art. interossea posterior externa, die durch das Lig. interosseum auf die Dorsal-Fläche des Vorderarıms übergeht, um sich mit dem tiefen Aste des N. radialis in den Muskeln der Streckseite des Vorderarms aufzulösen und endlich in das Rete carpi dorsale überzugehen. Die Art. interossea posterior des Vorderarms ist der Art. tibialis antica zu homologisieren. Die Art. interossea comm. oder ihre Fort- setzung, die Art. interossean interna (anterior) zieht auf dem Lig. interosseum abwärts, gleich der Art. peronaea, geht im das Rete carpi volare über, ein Ast durchbricht das Lig. interosseum und geht als Art. perforans inferior in das Rete carpi dorsale über. Die Art. ra- dialis ist der Art. tibialis zu vergleichen. Die Art. radialis zieht dem Radius, die Art. tibialis der Tibia entlang; im untern Ende des Vorderarms tritt die Art. radialis in das Rete carpi volare, anastomo- siert hier mit dem Ende der Art. interossea interna und gewinnt da- durch die Möglichkeit, den Hohlhand-Bogen zu bilden, während die Art. interossea sich zurückbildet. Die Art. ulnaris ist nur ein Muskel- ast der Art. tibialis posterior zu vergleichen. Zur Frage des experimentalen Pankreasdiabetes. Mitteilung des Prof. Andrea Capparelli. Seit dem Jahre 1890 beschäftigte ich mich mit dem Studium des infolge der Exstirpation der Bauchspeicheldrüse auftretenden Diabetes. Meine erste Mitteilung darüber wurde im Oktober des Jahres 1891 in Rom auf dem Kongresse der inneren Medizin veröffentlicht, wie aus den Akten dieses Kongresses hervorgeht. In dieser meiner ersten Mitteilung gab ich eine Methode an, welche von der zuerst von Mar- tinotti und später von de Dominicis zur Exstirpation des Pankreas angewandten etwas verschieden war, und zwar bestand meine Me- thode darin, die pankreatische Hülle von der eigentlichen Drüse im Schwanzteile zu trennen, die zentralen Gefäße des Organes zu schonen und so keine Ligaturen, wie sie sonst bei Verletzung des Pankreas notwendig sind, anzuwenden. An den Punkten, an welchen die Hülle nicht erreichbar ist, extrahiert man das Pankreas mit Hilfe von Pin- zetten und der Finger in kleinen Bruchstückehen. So habe ich eine weit größere Anzahl von Tieren nach der Operation am Leben er- halten, als die anderen Forscher beobachten konnten. Ich operierte 28 Hunde und nur fünf derselben starben während der ersten vier- undzwanzig Stunden und bald nach der Operation, die anderen star- ben in einem Zeitraum von acht bis fünfundsechzig Tagen. Ich gebrauchte während der Exstirpation keine skrupulöse anti- septische Methode und war zu meinem Bedauern genötigt, die Tiere in wenig sauberen Lokalitäten und mit beschränkter Nahrung zu halten. Das durch die von mir angewandte Methode erzielte Resultat übertrifft das von Hedon, welcher mit seiner Methode nur 35°/, der des Pankreas beraubten Tiere hat überleben sehen. 496 Capparelli, Zur Frage des experimentalen Pankreasdiabetes. In der erwähnten Arbeit kam ich unter anderem auch zu der Schlussfolgerung, dass bei Einspritzung des Pankreasbreies in die Bauchhöhle nach wenigen Stunden sich der Zucker im Urin vermin- (derte und nach und nach fast vollständig verschwand. Der Pankreasbrei wurde stets mit solchen Vorsichtsmaßregeln eingespritzt, dass keinerlei peritonitische Erscheinungen, weder früher noch später, vorkamen. Ich bewies durch Experimente, Autopsien und Argumente, dass die Abnahme des Diabetes ausschließlich der Einspritzung des Pankreasbreies und der Absorption einer Substanz, welche sieh rasch zersetzt, wenn sie aus dem Pankreas ausgezogen wird und so ihre physiologische Aktivität verliert, zuzuschreiben sei. Meine im Oktober 1891 veröffentlichte Arbeit, welche unter an- derem bewies, dass dem Pankreas eine den Blutgefäßdrüsen identische Funktion zukomme, ging der von Hedon voraus, welcher dasselbe beweisen wollte, indem er das Pankreas zwischen die Bauchwände in der Nähe der Haut einpfropfte und auf diese Weise die Entstehung der Glykosurie verhinderte. In meiner der im Oktober 1391 veröffentlichten vorläufigen Mit- teilung folgenden ausführlichen Arbeit!) ist auf Seite 9 buchstäblich gesagt: „ich konnte stets voraussehen, wann sich die Glykosurie früh- zeitig und wann später in den des Pankreas beraubten Tieren zeigen würde und dies auf Grund der Ueberzeugung kleine Pankreasbruch- stückehen frei in der Bauchhöhle oder dem Mesenterium adhärierend zurückgelassen zu haben oder nicht.“ Es war mithin bekannt, dass den lebenden Geweben anhängende Pankreasbruchstückehen die Gly- kosurie verhindern, und von diesem Gesichtspunkte aus lehren uns die Experimente Hedon’s, welche von ihm in den Sitzungen des 11., 18., 25. Juli 1892 in der Akademie der Wissenschaften in Paris ver- öffentlicht wurden, nichts Neues, sondern bestätigen nur die Schluss- folgerungen, zu welchen ich inbetreff der Pankreasfunktion gelangt war. Die Mitteilungen Gley’s über denselben Gegenstand wurden am 23. Juli 1892 der biologischen Gesellschaft mitgeteilt. Jene von Lan - creuse und Thirolois, Studien über das Pankreas, in den Comptes rendus, sind am 16. August 1892 und jene von Minkowki in der Berliner Klinischen Wochenschrift 13892 Nr. 5 veröffentlicht. Meine Arbeit ist mithin in der experimentellen Demonstration, dass das Pan- kreas wie die Blutgefäßdrüsen funktioniert, den eben erwähnten Veröffentlicehungen vorausgegangen. Catania, im März 1893. ZA URS. 37197. In einer kürzlich in dem Archiv für Experimentelle Pathologie und Pharmakologie XXX. Bd. veröffentlichten Mitteilung „Unter- 1) Studi sulla funzioni del pancreas e sul diabete pancratico. Atti dell’ Accademia Gioenia di Catania, 1892. Dapparelli, Zur Frage des experimentalen Pankreasdiabetes. 49% suchungen über den Diabetes mellitus nach Exstirpation des Pankreas“ bemängelt Prof. Dr. C. Minkowski einige meiner Schlussfolgerungen, während er sich mit anderem einverstanden er- klärt, was von mir gefunden wurde. Er glaubt nicht, dass meine Methode der Pankreasexstirpation der seinigen vorzuziehen sei, nur darum, weil ich gestehe, bei der Autopsie zuweilen kleine Pankreas- bruchstückehen vorgefunden zu haben. Augenscheinlich hatte Pro- fessor Minkowski, als er dies behauptete, nicht den italienischen Text meimer ausführlichen Arbeit vor Augen, in welcher die schon oben angeführte Stelle beweist, dass ich die mehr oder weniger voll- kommene Exstirpation ganz genau zu kontrolieren im Stande war. Damit ist der Einwurf widerlegt, dass bei meiner Methode immer Pankreasbruchstückehen zurückbleiben. Wird die Operation sorg- fältig ausgeführt, so ist auch die Exstirpation eme vollständige; es geschah aus Forschungszwecken, um die intermittierende Form des Diabetes näher zu bestimmen, dass ich dieselbe in einigen Fällen nicht mit aller Strenge ausübte. Was die Vorzüge meiner Methode an- langt, so ist die Statistik ein kompetenter Richter. Prof. Minkowski konnte von sechsunddreißig operierten Hunden, welche die Totalex- C stirpation gut überstanden hatten, nur siebzehn für länger als acht Tage lebend erhalten, ich dagegen konnte während meiner ersten Studien des Diabetes von sechzehn operierten Hunden vierzehn für mehr als einen Monat lebendig erhalten. Prof. Minkowski glaubt, dass das von mir durch die Ein- spritzungen des Pankreasbreies in die Bauchhöhle erzielte Resultat nicht annehmbar sei, weil die Operation in den diabetisch gemachten Tieren die Glykosurie modifiziere oder verhindere; diese Thatsache war mir durchaus nicht unbekannt, sondern wurde von mir lebhaft besprochen; ich schützte mich seinerzeit gegen einen derartigen Irr- tum, imdem ich Vergleichungsexperimente mit gesunden Tieren an- stellte, und erst nachdem ich mich von der Unschuld der Einspritzungen bei gesunden Tieren überzeugt hatte, stellte ich mit der größten Sorg- falt fest, dass auch in den operierten Tieren keine Entzündung statt- fand, welche das Resultat der Einspritzungen beeinträchtigen konnte; diese Frage wurde von mir so umständlich besprochen und durch Beobachtungen, Experimente und Autopsien unterstützt, dass sie fast den größten Teil meiner ganzen Arbeit einnehmen und es mir infolge- dessen schwer macht, hier in einigen wenigen Worten die Antwort zusammenzufassen und ich mich darauf beschränken muss, den sich für diesen Gegenstand interessierenden Leser auf meine ausführliche Arbeit hinzuweisen, in welcher ich erklärt habe, warum Hedon und andere Forscher keine positiven Resultate erzielen konnten. Minkowski wirft mir vor, die von den Tieren eliminierte Zucker- menge nicht in Rechnung gebracht zu haben; aber da ich nicht nur Verminderung, sondern auch vollständiges Verschwinden des Zuckers XII. 32 498 Friedlaender, Verbrennen der Haut. bei den Tieren konstatieren konnte, ist jede derartige Einwendung widerlegt. Auch konnte ieh in den von mir angestellten Experimenten auf die Ernährung der Tiere keinen Wert legen, da die totale Beob- achtung einiger Fälle in wenigen Stunden vor sich ging und bevor der Hund gefüttert wurde; übrigens blieb die Nahrung der von mir operierten Tiere stets sowohl qualitativ wie quantitativ vollständig gleich. Ich habe die feste Ueberzeugung, dass die mir gemachten Ein- wendungen nicht möglich gewesen wären, wenn Herr Prof. Minkowski nicht nur einige Punkte meiner Arbeit, sondern dieselbe ganz und in der Sprache, im welcher sie geschrieben wurde, hätte lesen können. Catania, 27. April 1893. Ueber das sogenannte Verbrennen der Haut. Von Benedict Friedlaender in Berlin. Der folgende Aufsatz hat mehr den Zweck, einige bekannte That- sachen zu kombinieren und zu weiteren, besonders experimentellen Forschungen anzuregen, als neue Untersuchungen zu publizieren. Nur Ein Versuch, den ich kürzlich anstellte, ist meines Wissens bisher nicht gemacht worden und dürfte die immerhin willkommene Bestä- tigung einer freilich auch schon vorher äußerst wahrscheinlichen Ver- mutung liefern. Am meisten Gewicht lege ich jedoch auf einen zuletzt mitzuteilenden praktischen Vorschlag auf Grund einer Hypothese, die vorwiegend dem Gebiete der praktischen Heilkunde angehört und Vielen wenig plausibel oder geradezu abenteuerlich vorkommen mag, die mir aber eine experimentelle Prüfung deswegen zu verdienen scheint, weil diese für manche mit nur geringen Schwierigkeiten ver- bunden, im Falle emes positiven Resultats jedoch von erheblicher, praktischer Wichtigkeit sem würde. Jedermann ist das sogenannte „Verbrennen“ der Haut unter dem Einflusse der Sonnenstrahlen wenigstens teilweise bekannt, vielleicht aber eben auch nur teilweise, da nämlich die stärkeren Grade dieser Erschemung nur unter besondern und in Mitteleuropa mit Ausnahme (des Hochgebirges wohl nur seltenen Umständen zur Beobachtung ge- langen. Das ganz allgemein bekannte beschränkt sich vielleicht eben nur auf die Thatsache, dass nach längerem oder häufigerem Aufent- halt im Sonnenschein die unbedeekten Körperteile, gewöhnlich also Gesicht und Hände, eine merklich dunklere, bräunliche bis gelbliche Farbe annehmen. Wer aber häufiger Gelegenheit hatte, beispiels- weise in den Alpen Wanderungen oberhalb der Schneelinie, also in 3000 oder gar 4000 m Höhe zu unternehmen, der weiß, dass dort die „verbrennende* Wirkung der Sonnenstrahlen durchschnittlich viel stärker ist und namentlich auf frisch gefallenem Schnee und bei ganz trockener, klarer Luft eine im Flachlande unbekannte und bei sports- Friedlaender, Verbrennen der Haut. 499 mäßigen Touristen berüchtigte Intensität erreicht. Mir war dies aus eigener Erfahrung seit Jahren bekannt, erst in Verbindung mit dem Studium der Untersuchungen J. Loeb’s über den Eimfluss des Lichts auf Tiere schenkte ich aber der Sache größere Aufmerksamkeit und machte schließlich sogar einigermaßen systematische, zum Teil kei- neswegs angenehme Experimentaluntersuchungen am eigenen Leibe. Da ich deshalb vielleicht annehmen darf, die betreffenden Erschei- nungen, so leicht sie auch sonst zu erzeugen sind und obwohl sie vielen ganz geläufig sein müssen, besonders intim zu kennen, so sei es mir gestattet, diese kurz zu beschreiben. Ich ließ an klaren Au- sust- und Septembertagen 1891, sodann im Sommer des folgenden und endlich im Juni dieses Jahres die Sonnenstrahlen öfters, etwa 10 Minuten bis eine Stunde lang und darüber, (dann freilich mit Un- brechungen) auf die nackte Haut möglichst rechtwinklig auffallen; im ersten Jahre in einer Seehöhe von circa 1900 m, im zweiten ge- legentlich von Seebädern im Mittelmeer, im dritten wiederum in den Alpen, in etwa 1500 m. Dabei glaube ich nun beobachtet zu haben — wegen des veränderlichen Zustandes der Atmosphäre ist eine völlige Exaktheit kaum zu erreichen — dass an manchen Tagen eine viel kürzere Exposition eine stärkere Wirkung hatte, als eine längere an andern Tagen. Ist aber bei unabgehärteter Haut eine kräftige und „typische“ Wirkung eingetreten, so stellt sich diese folgender- maßen dar. Während der Bestrahlung hat man nur eme nicht unan- genehme Wärmeempfindung, die aber auch bei starkem Luftzug fehlen kann. Einige, ich glaube mindestens drei Stunden nach der Einwir- kung beginnt dann eine mitunter sehr heftige Entzündung. Die ge- troffenen Stellen werden hochrot, gegen Berührung äußerst empfindlich und schmerzhaft. Bei sehr starken Graden entwickeln sieh dann massenhafte, helle Bläschen. Die Empfindung erinnerte mich am meisten an diejenige bei Herpes zoster („Gürtelrose*), einer lästi- een Krankheit, «die ich vor vielen Jahren einmal kennen lernte und die nach allgememer Ansicht zu den Hautnerven in Beziehung steht. Jene Entzündung nach Bestrahlung mit Sonnenlicht dauert etwa drei Tage, um dann sehr rasch nachzulassen, wenigstens was den Schmerz anbelangt. Vom dritten oder vierten Tage an — diese Fristen mögen übrigens je nach Umständen und Individuen variieren — löst sich das stratum corneum der Epidermis als äußerst dünnes Häutchen, oft m sehr großen, zusammenhängenden Fetzen ab, während zugleich die rote Farbe ganz allmählich durch braunrot und braun hindurch sich mehr dem Gelblichen nähert. Diese Pigmentierung hielt sich bei mir am Körper regelmäßig viel länger, als im Gesicht; an ersterem war sie mit langsam abnehmender Intensität über ein halbes Jahr lang sichtbar. Solange diese Pigmentierung stark ist, rufen erneute, auch sehr intensive und langdauernde Bestrahlungen zwar eine Zunahme der Bräunung, aber keine Entzündung mehr hervor. Ye) VA 500 Friedlaender, Verbrennen der Haut. Dass das ganze Phänomen eine Wirkung des Sonnenlichts ist, das ist augenscheinlich. Der nächstliegende Gedanke hingegen, der auch im der populären Bezeichnung „Verbrennen“ seinen Ausdruck findet, nämlich dass es eme Wirkung der Wärmestrahlen sei, ist aller Wahrscheinlichkeit nach falsch. Ich erinnere mich nun, vor vielleicht emem Jahre gelesen zu haben, dass bereits Jemand es aus- gesprochen und vielleicht auch bewiesen hat, dass dies sogenannte Verbrennen eine Wirkung der stark brechbaren Strahlen ist. Leider kann ich mieh aber nicht besinnen, wo ich jene Mitteilung fand und von wem sie herrührt; ich glaube aber, es war in einer politischen oder in einer alpin-touristischen Zeitung. Die Priorität hierfür ge- bührt daher jedenfalls nieht mir, aber ich weiß weder den Namen, noch den Ort der Veröffentlichung. Wie sich aber das auch verhalten mag, jedenfalls dürfte jene Behauptung völlig richtig sein. Die Be- weise dafür sind zahlreich. Erstens — auch hier erinnere ich mich nur, diese Mitteilung gelegentlich irgendwo „gelesen zu haben, — sollen Arbeiter, welche sich im ihrem Beruf der ärgsten strahlenden Hitze aussetzen, an Schmelzöfen u. dgl., keineswegs „verbrennen“, wohl aber soll das vorkommen bei solchen, die viel mit elektrischem Bogenlicht zu thun haben; ich vermute, dass das nur vom Bogenlicht ohne die üblichen Glaskugeln gilt, da bekanntlich gerade die stärkst breehbaren Strahlen durch Glas nur sehr unvollkommen hindurch- gehen. Zweitens stimmt diese Erklärung mit den oben angeführten, jedem Hochgebirgsfreunde geläufigen Thatsachen; kürzlich erfuhr ich hier auch, dass Personen, die in den Alpen (Gotthardgebiet) im Früh- jahr, wenn der Schnee noch liegt und die Sonne schon einigermaßen hoch steht, Arbeiten im Freien verrichten, so intensiv gebräunt wer- den, dass sie im tieferen, schneefreien Gegenden als Bewohner einer höheren Thalstufe kemntlich sem sollen. Der emfachste Beweis aber dafür, dass die stärker breehbaren Lieht- und nicht die schwächer brechbaren Wärmestrahlen die Ursache sind, dürfte schließlich schon darin gefunden werden, dass die strahlende Wärme, da wo sie auf- trifft, wohl eben einfach als Wärme zur Geltung kommt, und dass bloße Hitze ohne Sonnenstrahlen bekanntermaßen keine solchen Wirkungen hervorruft. Nach allen Thatsachen scheint übrigens das Maximum der Wirkung erst den ultravioletten Strahlen zuzukommen. Beson- ders sprieht hierfür die „verbrennende* Kraft der Sonnenstrahlen auf großer Höhe in Verbindung mit der Beobachtung, dass die Intensität der ultravioletten Strahlen, gemessen durch die Geschwindigkeit der Entladung einer mit negativer Elektrizität geladenen, amalgamierten Zinkkugel auf dem hohen Sonnblick in Tyrol (eirca 3100 m) etwa doppelt so groß ist, als im der Ebene). Ich bemerke beiläufig, dass 1) Vergl. die von der Gesellschaft „Urania“ herausgegebene Broschüre des Dr. H. Samter über den hohen Somnblick. Friedlaender, Verbrennen der Haut. 501 die Hochländer des äquatorialen Südamerika eine Intensität der Strah- lung aufweisen müssen, die sonst wohl nirgends vorkommen kann. Da man dort in unmittelbarer Nähe des Aequators im einer Höhe wohnen kann, die der Durchschnittshöhe der Gipfel der Berner Alpen (eirca 4000 m) entspricht, so ließen sich dort vielleicht sehr interes- sante physiologische und physikalische, vielleicht auch krankheitssta- tistische Thatsachen sammeln und beobachten. Auch mein eingangs erwähnter Versuch spricht für eine besondere Wirkung der ultra- violetten Strahlen. Ich bedeekte nämlich zwei symmetrische aneinan- dergrenzende Körperstellen mit ziemlich dunkelblauem beziehungsweise ziemlich hellgelbem Glase und exponierte sie den Sonnenstrahlen in eirca 1500 m Höhe, an klaren Junitagen gegen Mittag. Da zeigte sich nun nach an mehreren Tagen fortgesetzten „Expositionen“ von zusammen — nach ungefährer Schätzung — 3—4 Stunden Dauer, dass erstens die glasbedeckten Stellen sehr viel heller Diieben als die nackten... und dass zweitens die Stelle unter dem blauen Glase, wenn auch nur wenig, so doch ganz unzweifelhaft dunkler war, als die angrenzende und symmetrische unter dem gelben. Leider muss ich nun zuge- stehen, dass dieser Versuch deswegen nicht absolut einwandsfrei ist, weil natürlich die unmittelbare Berührung des Glases erstens dureh den Kontakt- Reiz und zweitens namentlich durch die veränderten Wärmeverhältnisse irgend emen Einfluss haben könnte. Deswegen denke ich den Versuch gelegentlich mit Beseitigung jenes Mangels zu wiederholen, womöglich mit elektrischem Bogenlicht, da dieses, wenn es wirklich hinreichend wirksam sein sollte, viel bequemer wäre als das Sonnenlicht. Hierbei wäre dann auch nieht zu vergessen, dass bekanntlich das elektrische Bogenlicht noch Strahlen von einer Brechbarkeit enthält, die dem Sonnenlicht fehlen und denen mög- licherweise eine besonders intensive Wirkung zukommt. Was übrigens die Immunität gegen Hautentzündung nach eingetretener Pigmentierung anbelangt, so liegt die Vermutung nahe, dass eben jene gelblich- bräunliche Farbe die stark brechbaren Strahlen abhält; vielleicht ab- hält von den etwa dagegen besonders empfindlichen Hautnerven, deren Reizung dann auch vielleicht die gürtelrosenartigen, brennenden Schmerzen zuzuschreiben wären. Manche möchten nun auch geneigt sein, die dunklere Farbe der tropischen Menschenrassen damit in Verbmdung zu bringen. Doch will ich das dahingestellt sein lassen und vielmehr zum Schluss die anfangs erwähnte Hypothese auseinan- dersetzen, die ich gelegentlich schon einmal ganz kurz skizziert habe. Es handelt sich um die Vermutung, dass das Licht einen günsti- gen Einfluss auf die Heilung mancher Krankheiten und speziell der Tuberkulose ausübt; ferner um die Hypothese, dass dabei das stark breehbare und speziell ultraviolette Licht die Hauptrolle spielt und drittens um die Idee, ob das elektrische Bogenlieht nicht hierfür 502 Friedlaender, Verbrennen der Haut. nutzbar gemacht werden könne. Der erste dieser drei Gedanken ist nieht neu, wie die Praxis der sogenannten „Sonnenbäder* und die zugehörige, teilweise freilich äußerst wunderliche und offenbar von ganz unzureichendem Wissen zeugende Litteratur beweist; die beiden andern Gedanken glaube ich jedoch zuerst ausgesprochen zu haben. Wohlgemerkt, es handelt sich natürlich um eine bloße Vermutung, die sogar nur wenig Wahrschemlichkeit für sich haben mag, die aber angesichts der Wichtigkeit der Frage einer experimentellen Prüfung seitens praktizierender Aerzte wohl wert sein dürfte, umsomehr als die Versuche keinerlei Gefahr und auch nur wenig Kosten oder Un- bequemlichkeiten mit sich bringen würden. Der Gedanke, dass das Licht mit der Heilung der Tuberkulose etwas zu thun haben könnte, stieg zuerst vor etwas über drei Jahren in mir auf, als ich dureh die Entdeekungen Loeb’s einen Einblick in die so tief eingreifende Wir- kung der Liehtstrahlen auf die Lebensäußerungen der Tiere gewonnen hatte. Dass bisher wenigstens kein irgend zuverlässiges „Spezifikum“ gegen die Schwindsucht existiert, ist eine traurige Thatsache, und ohne uns auf Prophezeiungen für die Zukunft einzulassen, können wir nur das behaupten, dass bislang wenigstens nur Eines den gehegten Hoffnungen proportional zu sein pflegte, nämlich die Enttäuschung. Und dennoch erlebt man Fälle und hört davon, dass eine allem Anschein nach tuberkulöse Lungenkrankheit zum Stillstande, ja zur völligen Heilung gelangte. Ebenso wird berichtet, dass ein erheb- licher Prozentsatz der zur Sektion gelangenden Leichen von Nicht- schwindsüchtigen Spuren zeigt, die auf einen vor langen Jahren ver- laufenen Zerstörungsprozess in den Lungen hinweisen. Nachträglich, dem Dogma der völligen Unheilbarkeit zuliebe, dann behaupten zu wollen, es seien dies eben Fälle anders gearteter Krankheiten ge- wesen, scheint wir wenig logisch. Das Gleiche gilt auch vielfach von der Erklärung durch die „Praedisposition“. Natürlich hüte ich mich, das Vorkommen wirklicher, teilweiser oder völliger „Immunität“ und überhaupt von Verschiedenheiten in der Resistenz gegen 'Tuber- kulose und andere Krankheiten bestreiten zu wollen. Aber ich be- haupte Folgendes: Wenn anders in jenen Fällen ein tuberkulöser Prozess existirte, so beweist eben dies, dass keine Immunität bestand. Wenn anders aber jener Prozess zu einer bestimmten Zeit zum Still- stande und zur Ausheilung gelangte, so wird hierdurch mehr als wahrscheinlich gemacht, dass irgend eine, vermutlich bisher unbe- kannte, deswegen nicht beachtete und nicht mit Bestimmtheit und Absicht herbeizuführende Aenderung im den Lebensbedingungen die Ursache der Heilung war. Nun werden seit langer Zeit eine Reihe von klimatischen Einwirkungen den Schwindsüchtigen empfohlen und es ist selbst für den hartnäckigsten Zweifler wahrscheinlich, dass sie wirklich von günstigem, wenn auch meist nicht völlige Heilung her- Friedlaender, Verbrennen der Haut. 5093 beiführendem Einflusse sind. Man spricht dabei häufig in fast mys- tisch unklarer Weise von diesen Einflüssen; wem aber die Geschichte der Wissenschaften etwas bekannt ist, der weiß, dass solche unbestimmte, schwankende Redensarten ein nahezu wuntrügliches Indieium dafür sind, dass in jenen Fällen der wahre Kausalnexus noch unbekannt ist, obwohl er unter Umständen ganz einfach sein kann. Was hat man z. B., um bei den physiologischen Liehtwirkungen zu bleiben, von dem „Instinkt“ geredet, der viele Nacht- Insekten in die Flammen treibt, bis Loeb zeigte, dass es sich hier um ein Phä- nomen handelt, das gewissen Bewegungen der Pflanzen völlig analog ist. Wie freilich nun der Lichtstrahl auf Pflanzen und Tiere rich- tungbestimmend wirkt, das ist eine andere, noch gänzlieh dunkle Frage. Ebenso habe auch ich keinerlei bestimmte Vorstellung, wie das Lieht und speziell das ultraviolette Lieht dazu kommen mag, auf Tuberkulose einzuwirken. Dass es aber der Fall sei, das halte ich für immerhin hinreichend wahrscheinlich, um die Anstellung von Ver- suchen zu rechtfertigen. Die gegen Tuberkulose empfohlenen Klima-Wirkungen unterscheiden sich nämlich in den meisten Einzelfaktoren, stimmen hingegen überein in der Vermehrung der Intensität des Lichtes und speziell des ultravioletten Lichtes. Man vergegenwärtige sich nur die Be- dingungen des Aufenthalts im Freien statt im Zimmer; auf dem Lande im Gegensatz zur Stadt; demGebirge anstatt m der Ebene; in unserem Winter in Süd-Europa mit seinen längeren Tagen, höherem Sonnenstand und häufigerer Gelegenheit zum Aufenthalt im Freien, anstatt im Norden. Dabei ist das Gebirge kälter als die Ebene, Südeuropa aber wärmer als der Norden. Auch bei den gleichfalls empfohlenen Seereisen ist man meist mehr Licht ausgesetzt als ge- wöhnlieh; ein Liebhaber-Photograph bestätigte mir das übrigens durch seine Beobachtung über die kürzere Expositionszeit auf dem Meere. Allerdings gebe ich nieht nur zu, sondern hebe sogar ausdrück- lich hervor, dass das alles auch einen gänzlich verschiedenen Zusam- menhang haben kann; aber ich meine, dass es ebensogut möglich ist, dass ich Recht habe. Dann aber würde es sich fürwahr um einen Gegenstand von so großer praktischer Bedeutung handeln, dass er für die Mühe der Experimente reichlich lohnte. Was ich nun speziell vorschlagen würde, ist der Versuch, ob eine intensive Bestrahlung mit starkem elektrischem Bogenlicht, even- tuell mit Reflektor, jedenfalls aber ohne Glashülle, die ja grade die stärkst breehbaren Strahlen absorbiert, eine erkennbare physiologische Wirkung auf Gesunde und Kranke ausübt. Natürlich müssten die Augen geschützt, der übrige Körper aber entblößt sein. Weiteres könnte erst der Erfolg der ersten Versuche ergeben, die selbstver- ständlich einige Zeit hindurch fortgesetzt werden müssten, ehe sich ein einigermaßen sicheres Urteil fällen ließe. Schwerlieh oder viel- 504 Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. mehr keimenfalls ließe sich dabei übrigens eine eventuelle Heilwirkung auf direkte Tötung der Tuberkelbacillen deuten, da unsere Gewebe doch zu undurehsichtig sind, wenn auch freilich durchscheinender, als man gewöhnlich glaubt. Aus andern Gründen wäre es aber immerhin interessant festzustellen, wie sich Tuberkelbacillen m Kulturen, die ja dureh Sonnenlicht getötet werden, gegen die verschiedenen Strahlen verhalten; vermutlich werden auch hier die stärker breehbaren sich als die wirksameren erweisen. Hospenthal (Schweiz), im Juni 1893. Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. Von Alpheus Hyatt in Boston. Eines der hervorragendsten Merkmale der jetzigen Bestrebungen in den biologischen Wissenschaften ist die Bemühung der beschreiben- den Termmologie größere Genauigkeit zu verleihen. Professor B. C. Wilder!) eröffnete die Bewegung in Amerika; viele Jahre hindureh blieben seine Bestrebungen unbeachtet, aber jetzt beginnen sie Früchte zu tragen. Wilder und Gage’s Anatomical Technology (1882) legte den Grund, während jetzt Franz Eilhard Schulze?) in einer aus- ausgezeichneten Abhandlung einige allgemeine Grundsätze für den Aufbau einer Terminologie liefert, welche die Beachtung aller Natur- forscher verdienen. Schulze teilt die organischen Körper in 1) Synstigmen (Centro- sigmen Haeckel’s), welche eimen ideellen geometrischen Mittelpunkt haben. Er schlägt vor, diesen „Centrum“ zu nennen, Teile in diesem Centrum „eentran“; ihm nahe oder auch im näher als andre liegende „eentral“ oder „proximal“, die Richtung nach dem Centrum hin „een- trad“ oder „proximad“, vom Centrum entferntere „distal“, die Riehtung vom Centrum fort „distad“, an der Außengrenze gelegene „distan“. Teile, welche auf den gedachten Radien senkrecht stehen, sollen „tangential“ heißen, wenn sie an der Oberfläche „paratangential“, wenn sie im Innern liegen. Ueber den Ausdruck „eentran* spricht sich Prof. Simon Gage in einem Briefe an Dr. Wilder folgendermaßen aus: „Einer der Hauptpunkte, in welehem Schulze über das sonst übliche hinausgeht, ist der Vorschlag der Endung „an“ für die Bezeichnung des absoluten Centrums, der ventralen oder dorsalen Oberfläche u. s. w. Auch Barelay in semem Buche S. 168—173 beobachtet diesen Punkt und 1) A partial revision of anatomical nomenclature, with especial reference to that of the brain. Science II, 1881, pp. 122—126, 133—138. 2) Diese Zeitschrift, XIII, 1 ff. EEG Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. 50) schlägt für diesen Zweck die Endung „en“ vor, als z. B. centren, dorsen, dextren, sinistren u. s. w.“ Die natürliche Entwieklung dieses Gedankens wäre gewesen, eine Unterscheidung zwischen Innerem und Aeußerem zu machen, indem man die Endung „an“ für innere Teile, welche centran oder axian sind, eimführt und die Endung „en“ für periphere Teile beibehält. Doch scheint mir, wie Dr. Wilder vorge- schlagen hat, die Endung „en“ passender für die Bezeichnung innerer Teile nach ihrer Ableitung und dem Sprachgebrauch, während „an“ in eime Reihe mit den Endungen „al“ und „ad“ gehört und nicht dem Gebrauch widerspricht. Mir scheint, dass Schulze nicht ganz be- ständig im Gebrauch der Endung „an“ ist und dass es, nach Wilder’s Vorschlag, viel besser sem würde, centren zu sagen und centran für solche Punkte zu gebrauchen, welche in der Polaraxe («des Körpers liegen }). Die Klasse der als Syustigmen bezeichneten Körper ist nur bei den Protozoen zu finden oder bei den diesen entsprechenden zelligen Elementen der Metazoen. Es scheint mir ein Mangel in Schulze’s System, dass es keine Rücksicht nimmt auf die große Zahl der Wesen, besonders unter den Infusorien, welche eine spiralige Anordnung haben, entweder in einzelnen Teilen oder des ganzen Körpers, öfter auch mehr oder weniger kompliziert mit bilateraler Asvmmetrie. Wenngleich es natürlich wünschenswert ist, ein imaginäres Centrum auch in solchen Fällen anzunehmen, wo kein organisches Centrum be- steht, so kann es doch fraglich erscheinen, ob bei der Beschreibung von Gewebszellen oder von Protozoen der Kern als Centrum betrachtet werden soll. Schulze will in solchen Fällen eine Unterscheidung durch Benutzung eines zusammengesetzten Ausdrucks zulassen; man könnte von dem „Kerncentrum“ sprechen, auch wenn derselbe ganz excentrisch in Bezug auf das geometrische Centrum läge. Sicherlich wäre solche Unterscheidung nützlich, weil sie die Beobachter veran- lassen würde, bei ihren Beschreibungen die Fälle, in denen das geo- metrische und das organische Centrum nicht zusammenfallen, dies hervorzuheben. Doch wird erst die Erfahrung lehren, ob der Gebrauch soleher doppelter Reihen von Bezeichnungen sich nicht als lästig er- weisen wird. 1) Die Ausdrücke axial, distal, ventral, dorsal u. s. w sind einerseits zur Bezeichnung einer unbestimmten, begrenzten Region geeignet, andrerseits sind sie korrelativ, sie bezeichnen die Lage eines Teils in Bezug auf einen anderen. An einem Oberarm z. B. sind die Muskeln distal zum Knochen, der Knochen axial zu den Muskeln, die Arterie distal zur Vene, die Vene axial zur Arterie. Durch an aber soll eiu absoluter Begriff bezeichnet werden; axian z. B. kann an einer Extremität nur etwa der Knochen, distan nur die Haut sein. Zu einer Unterscheidung durch die Endungen en und an liegt keine Nötigung vor; welche von beiden man wählen will, ist gleichgiltig. (Anm. des Herausgebers). 506 Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. 2) Als Syngramme (Centraxonia Haeckel’s) bezeichnet Schulze elliptische, eylindrische, pyramidale u. a., kurz alle solche Körper, bei (denen alle Teile symmetrisch um eme Haupt- oder Prinzipal- Axe verteilt sind. Die Enden dieser bezeichnet er als „Termini“ und leitet davon die Ausdrücke terminal, terminan, terminad ab. Es ist fraglich, ob der Gebrauch von „proximal“ als synonym zu „axial“ zu- lässig ist und ob die eingeschränktere Bedeutung, welche den schon gebräuchlichen Wörtern proximal u. s. w. gegeben wird, vorteilhaft sein wird. In Bezug auf die Bezeichnungen meridian, parameridian, transversan u. Ss. w. wäre die oben schon vorgeschlagene Unterschei- dung innerer und äußerer Teile durch die Endungen en und an gleichfalls am Platz. Sehulze unterscheidet ferner unter den Paratransversanebenen „orale“ und „aborale“, hält aber die Ausdrücke oran, orad, aboran, aborad nur wünschenswert für diejenigen Tiere, welche die Mund- öffnung an einem terminanen Endpol und den Anus an dem entgegen- gesetzten haben. Bei den Poriferen kann man wohl eine Centralaxe annehmen und ebenso ein orales und ein aborales Ende oder, was diesen entspricht, die Ausströmungs- (oder sogenannten Mund-) Oeffnungen und die an- seheftete Basis unterscheiden. Aber die Einströmungs-Oeffnungen, die Digestionssäcke, die Gewebe und die Spieulae des Skeletts sind dureh- sängig in konzentrischen Lagen angeordnet, welche nieht auf Ebenen, die zur Axe parallel angenommen werden, bezogen werden können. Es gibt bei diesen Formen kein organisches Element, dureh welches eine Meridianebene bestimmt werden könnte; sie sind ausschließlich konzentrisch gebaut. Die nämliche Bemerkung trifft auch zu für die Hydrozoen und Aktinozoen und mehr oder weniger für alle Tiere, welche unter dem alten Namen der Radiaten zusammengefasst werden; ihre Teile sind in konzentrischen Lagen angeordnet, durchschnitten von radiären Linien und Ebenen. Wenn Schulze’s System auf diese weit verbreitete morphologische Eigentümlichkeiten Rücksicht genommen hätte, wäre es vollständiger. Eine Meridianebene kann wohl bei den meisten dieser Organismen organisch bestimmt werden, aber diese primitive Teilung des Körpers ist nieht ausgeprägt im Bau der Seiten; diese haben keine Organe, welehe vorteilhafterweise auf parameridiane Ebenen bezogen werden könnten. Alle Teile und Gewebe liegen in konzentrischen, röhrenförmigen, konischen oder kugligen Flächen, welche sekundär von radiären Linien und Ebenen durchschnitten werden. Sehulze’s System nimmt hierauf nicht Rücksicht; doch können seine Meridian- und Transversan-Ebenen vorteilhaft benutzt werden, um etwa vor- handene bilaterale Elemente zu bezeichnen. Man muss gegen das System einwenden, dass es besser geeignet ist für „Bilateralien“ d.h. für Mollusken, Würmer, Myriapoden, Insekten und insbesondre Verte- Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. 504 braten als für einfachere Organismen, Protozoen, Poriferen, Hydrozoen, Aktinozoen, bei denen der symmetrische Bau fehlt oder wenig deut- lich ist. Prof. Wilder hat schon den Ausdruck „peripherad“ als Gegen- satz zu „centrad* benutzt, und nach Schulze’s System könnte „peri- pheran“ als Ausdruck für die distane Oberfläche im allgemeinen ge- braucht werden. Danach würden sieh die Mesenterien der Aktinozoen peripherad von der Medianebene erstrecken. Es ist ferner die Frage, ob nicht eine gute Klassifikation solcher Tiere wie Aktinozoen und Eehmodermen eine Zwischenzone zwischen den eentralen und distalen Regionen unterscheiden sollte. Es würde eine ebensogroße Schwierigkeit bereiten eine eentrale und eine distale Region von einander abzugrenzen als diese beiden Ausdrücke auf zwei Regionen zu beschränken, welche durch eine dritte von einander ge- trennt sind, welche man extra-central nennen könnte mit Bezug auf die Axe und extra-median mit Bezug auf die entsprechende Ebene. 3) Sympeden oder Bilateralien (Zeugiten oder Centripipeden Haeckel’s). Diese haben 3 Axen; die „perlaterale* ist nach Schulze „isopol“ wegen der organischen Gleichheit ihrer Pole. Man könnte sie auch die „aequiradiale* nennen wegen der gleichen Länge ihrer beiden Radien. Die zweite ist die dorso-ventrale; sie ist „heteropol* und könnte auch als „maequiradial“ bezeichnet werden. Die Haupt- axe ist die longitudinale; auch sie ist heteropol. Was in ihr liegt, ist axian, was benachbart, axial, die Riehtung auf sie zu axiad; die- selbe Lage und Richtung können auch als proximal und proximad, die entgegengesetzte Richtung als distad bezeichnet werden. Die beiden Enden der Hauptaxe werden einerseits rostral, andrer- seits kaudal genannt, gleichgiltig ob dieses Ende einen Schwanz auf- weist oder nicht. Diesen Ausdrücken entsprechen die Bezeichnungen rostran, rostrad, caudan, caudad. In einem mir zur Verfügung gestellten Brief des Prof. Gage an Dr. Wilder wird mit Recht eingewandt, dass „Sehulze den Aus- druck „cephalie* verwirft, während er „eaudal“ annimmt. Cephalie ist sicherlich ein natürlicherer Gegensatz zu caudal als rostral, das er statt jenes Wortes vorschlägt. Außerdem ist der Ausdruck schon vielfach im Englischen und emigermaßen auch im Deutschen benutzt worden und sein Gebrauch nimmt immer mehr zu“). Der Haupteinwurf dagegen ist nach memer Meinung, dass die Ausdrücke besser für die Vertebraten passen als für andre Typen und dass sie bei den einfachsten Formen gar nicht passen. Bei erwach- senen Aseidien z. B. gibt es wohl ein rostrales Ende, aber kein caudales; 1) Man könnte das englische „cephalic* mit cephal wiedergeben; eigent- lich sollte es wohl cephalal heißen mit den Nebenformen cephalan, cephalad, was aber ungeschickt erscheint. Anm. d. Herausg. 508 Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. sie haben eine aborale Gegend, aber die orale liegt central oder centran. Hier müsste also für caudal irgend ein andres Wort zur Bezeichnung des dem rostralen entgegengesetzten Pols angewandt werden. Denn es scheint wir gegen allen vernünftigen Gebrauch, Ausdrücke, welche eine bestimmte Bedeutung haben wie cephal und caudal auch auf Körper anzuwenden, welehe keinen Kopf oder eine denselben andeutende orale Oeffnung und keinen Schwanz haben. Ueberall da, wo bei bilateralen Tieren der Mund am Endpol der Hauptaxe sich findet, sehe ich keinen Grund gegen die Anwendung der Ausdrücke oral, oran, orad; wenn er aber dort nieht ist, passen rostral, rostan, rostrad vortrefflich. Wenn der Mund außen und ventran oder außerhalb der Hauptaxe auf irgend einer Oberflächenstelle liegt, wie es bei manchen Typen der Fall ist, so wird die Terminologie möglicherweise genauer, wenn die rostrale und orale Gegend oder Ebene gesondert bezeichnet werden. Auf alle Fälle ist der Vorschlag der Prüfung wert. Schulze bedient sich der Bezeichnung dorsal und ventral für je eine Hälfte des Körpers; die äußeren Flächen selbst heißen dorsan und ventran, die Riehtung auf sie zu dorsad und ventrad. Die per- laterale Axe hat eine dextrale und sinistrale Hälfte, die Enden heißen dextran und sinistran'), die Richtungen dextrad und smistrad. Der Sehnittpunkt der Axen ist das Centrum, welchem die Ausdrücke cen- tral, centrau, centrad entsprechen. Alle Teile, welche in der durch die Haupt- und die Dorsoventralaxe gelegten Ebene liegen, sind „me- dian“ u. s. w. Dieses Wort umd seine Ableitungen medial, mediad scheinen mir keinen Vorzug vor Barelay’s „mesial“ oder Wilder’s „mesal“ zu haben; letzteres scheint mir vorzuziehen wegen seiner Kürze und seiner früheren Emführung. Die äußeren Seitenflächen beider Körperhälften werden als dextran und sinistran, die Riehtung auf sie dureh dextrad und sinistrad be- zeichnet. Demnach sind die beiden Körperhälften selbst sinistral und dextral, dagegen die Hände und Füße dextran bezw. sinistran, die Arme und Beine erstreeken sieh dextrad und smistrad von den dex- tranen und sinistranen Oberflächen unsres Körpers und der rechte Ellenbogen wäre dextral von der Schulter, aber medial von dem Hand- zelenk. Nach Wilder und Gage dagegen wäre der Ellenbogen distal von der Schulter und proximal vom Handgelenk. Medial oder mesal sollen nach ihnen nur auf Teile des Rumpfes beschränkt bleiben oder in Bezug auf die Glieder nur für allgemeine Lageverhältnisse gebraucht 1) Wilder und Gage bedienen sieh des Ausdrucks „aspect* zur Be- zeichnung dessen, was Schulze dureh die Endung „an“, Barclay durch die Endung „en“ ausdrücken. Dagegen ist jedoch einzuwenden, dass jene Be- zeiehnung nicht mononymisch ist. #2 Hvatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminologie. 509 yatt, 5 S werden. Nach dem von Barelay ausgehenden Sprachgebrauch dienen die Ausdrücke distal und proximal ausschließlich für die Anhänge; ersterer bezeichnet das freie, letzterer das angeheftete Ende. Wilder und Gage bedienen sich dieser Ausdrücke in derselben engeren Be- deutung und Comstock thut dasselbe. Dass Sehulze eime solche Einschränkung nicht macht, sondern proximal in demselben Sinne braucht wie central, hängt offenbar mit der strengen Durchführung der Unterscheidung dureh die Endungen al und an zusammen. Comstock!) sagt, dass dorsad, ventrad, cephlad ete. die Rieh- tung in paralellen, unendlichen Linien bedeute. „Mit anderen Worten, diese Ausdrücke müssen in analoger Weise gebraucht werden wie rechts und links“. Konvergierende Linien bezeichnet er, wie ieh ans einem mir gütigst von Prof. Wilder zugesandten kleinen Holzmodell ersehe, als „eaudolaterad*, wenn sie vom Kopfende zu den Seiten gehen, als „cephalomesad*“, wenn sie die entgegengesetzte Richtung haben, als „dorsolaterocephalad*“, wenn sie vom Schwanzende nach den Seiten und dem kücken hin divergieren, u. 8. w. Die durch die Haupt- und die perlaterale Axe gelegte Ebene nennt Schulze frontal (ein mangelhaftes Wort, wie er selbst zugibt). >ie trennt die ventrale Region von der dorsalen; doch gibt Schulze hier nieht die entsprechenden Ableitungen frontan und frontad. Statt ihrer müsste man sagen: dorso-frontal und dorso-frontad, hässliche Wörter und ebenso unangemessene wie ventro-frontal und ventro-frontad. Dagegen reihen sich die Ausdrücke dorsan, dorsad, ventran, ventrad ohne Schwierigkeiten in die Termimologie ein. Es würde natürlicher sein, diese Ebene als laterale, perlaterale oder tergo-frontale zu be- zeichnen. In diesem Falle könnte die Nachbarschaft auf beiden Seiten der Ebene als frontal, tergal und die Richtung nach der Ebene hin als tergad bezw. ventrad, Teile in der Ebene selbst als tergo-frontan bezeichnet werden. Der Ausdruck tergo-ventral würde nieht gegen die Regeln der Terminologie verstoßen und würde sehr gut die Doppel- beziehung dieser Ebene zu den vor ihr und hinter ihr liegenden ven- tralen und dorsalen Teilen ausdrücken. Die dritte dureh die dorso-ventrale und die perlaterale Axe gelegte Ebene ist die transversale; sie trennt die rostrale von der caudalen Abteilung. Teile im ihr heißen transversan, die Riehtung nach ihr hin transversad; für die entfernteren Teile bieten sich die Bezeichnungen rostran, rostral, rostrad, caudan, eaudad bequem dar. Alle Ebenen, welche einer der drei Hauptebenen parallel liegen, werden durch das Vorwort „para“ unterschieden. Wilder und Gage haben schon viele der jetzt von Schulze angenommenen Ausdrücke empfohlen und gebrauchen dieselben jetzt 1) Guide to praetical work in Entomology. Ithaca, University Press., 1882, p. 9. 510 Hyatt, Bemerkungen zu Schulze’s System einer deskriptiven Terminolo gie. sewohnheitsgemäß; aber ihr System war ein Versuch und zielte nicht auf Vollständigkeit ab. Sie gebrauchen auch die Ausdrücke „ental“ und „ektal“, welehe bei Sehulze nicht vorkommen. So z. B. ist die Dura ektal vom Gehirn, aber ental vom Schädel. Ein Teil des Körpers kann zerlegt werden durch ekto-entade oder durch ento-aktade Sehnitte. Auch andere Ableitungen von erros und ezrog scheinen mir eine nütz- liche Verwendung zu gestatten. Ektal, ektans und ektad würden mit Vorteil für Teile zu gebrauchen sein, welche aus der Oberfläche des Körpers hervorragen, wie die Anhänge bei Vertebraten und Urustaceen, die Stacheln der Echinoiden, die Arme der Crinoiden, die Tentakeln der Aktinozoen u. dgl. Solche Teile können aus der distanen oder terminanen, rostranen oder eaudanen, dorsanen oder ventranen Ober- fläche hervorragen. Wird dies angenommen, so würden die Glied- maßen als ektal zu der dextranen und sinistranen Fläche zu be- schreiben sein, die Gelenke würden als ektal oder ental zu dieser Fläche liegend zu bezeichnen sein oder, wenn sie tiefer liegen, durch irgend einen der schon besprochenen Ausdrücke beschrieben werden, als central, proximal, distal. Alle Unterabteilungen ektaler Gebilde könnten dann auf die Körperoberfläche bezogen werden. So wären die Basen der Stacheln bei einem Kehinus ektal zum Körper, aber proximal zu seiner Oberfläche, die Enden der Stacheln hingegen distal zu derselben; jeder Stachel würde sein eigenes Öentrum, seine Öentral- region, seine Prinzipalaxe u. s. w. haben. Bei der Anwendung auf tiefer gelegene Teile, z. B. die strahlenförmig angeordneten Stacheln einer Radiolarie oder die Skelettnadeln von HAyalonema würde der Ausdruck „ental“ für den nach innen von der distanen Oberfläche ge- legenen Teil keine Verwirrung veranlassen, da er in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beschreibung der Stacheln oder Nadeln ge- braucht werden würde. Das Gerüst von Hyalonema würde in dem verwickeltsten Beispiele einen entalen Ursprung haben, distal von der Centralaxe beginnen, durch das Centrum und die aboralen Regionen hindurehgehen und ektad hervortreten, um sieh zu einem Gestell aus- zubreiten, welches geeignet ist, den Schwamm in dem unter ihm liegenden Schlamm zu verankern. Die Stacheln von Arphocantha wür- den ento-ektal sein, indem sie aus eimer centralen Masse entspringen, radiär zu der distanen Fläche ausstrahlen und ektad über dieselbe hinaus in variabler Länge hervorragen. Hierzu bemerkt Prof. Gage folgendes: „Mir scheinen die Vor- schläge betreffend ektal u. s. w. nicht glücklich zu sein. Proximal und distal scheinen mir die Nähe und Entfernung von der Oberfläche, aus der Anhänge entspringen, zu bezeichnen. Dies kann im Bezug auf ein Glied oder auf den Rumpf als Ursprung geschehen. Arme und Beine z. B. sind Anhänge des Rumpfs; Hände und Füße sind distal, die befestigten Enden proximal. Ebenso ist das angewachsene Ende eines Haars proximal, das freie Ende distal. Dies gilt ebenso Bauer, Vogeleier. 514. wenn das Haar auf dem Rumpf, als wenn es auf emem Anhang sitzt. Ich halte den Gebrauch, welehen Sie ursprünglich von den Ausdrücken ektal und ental gemacht haben, für den besten; der Grundgedanke ist ausgedrückt in den Zusammensetzungen Ektoderm und Entoderm*. Diese Kritik von so hervorragender Stelle und mit Berufung auf den Ursprung der Worte ist in Vebereinstimmung mit dem System von Barclay und würden auch für mich überzeugend sein. Ehe ieh je- doch meinen Gedanken aufgebe, möchte ich abwarten, bis die Er- fahrung sieherere Entscheidung herbeiführt. Wenn die Ausdrücke ental und ektal auf Teile ohne Rücksicht auf ihren Ursprung gebraucht werden sollen, nur weil diese Teile innen oder außen gelegen sind, dann können sie offenbar nieht mehr eingeschränkt werden als die Wörter innen und außen. Wenn jemand irgend einen Stachel oder Anhang beschreibt, dann ist die Oberfläche ektal, der innere Teil ental. Wenn er aber den Körper mit Beziehung auf den Anhang beschreibt, so ist der Stachel entweder ektal oder er hat einen Teil, der im Körper steekt, und dann ist dieser ental. Die Gliedmaßen der Verte- braten und Crustaceen können betrachtet werden entweder mit Be- ziehung auf die Oberfläche des Körpers oder auf das Skelett; aber das Skelett von Hyalonema oder die Stacheln der Radiolarien können vom Centrum selbst ihren Ursprung nehmen. Cambridge, Mass., Mai 1808. Ueber das Verhältnis von Eiweiß zu Dotter und Schaale in den Vogeleiern. Von Dr. R. W. Bauer. Die Wägungen wurden an hartgekochten Eiern vorgenommen. Die Eier stammten aus Mitte April a. ec. Dotter Schaale Eiweiß Ei vom Kiebitz (Vanellus eristatus) 22 8 15.8 11/2 g Tag 25 8 178 2038 BT vom Haushuhn (Gallus domesticus) 528 15 g IHe7E Imre DS8S 188g 16° 8 Sta ıg von der Rute (Meleagris gallopavo) 82 8 23 8 JENE 48 8 848 26 gera 49 ° 8 Verfasser würde gern noch andere Vogeleier vergleichenden Wägungen unterziehen und würde sich für Zusendung von Spatzen-, Tanben-, Enten-, Trappen-, Falken- und Raben-Eiern sehr dankbar erweisen. Leipzig, Banfhofstraße 8, III. r. (22. Juli 1893). 512 Wiesner, Untersuchungen anf pflanzenphysiologischem Gebiete. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 18. Mai 1893. Das w. M. Herr Hofrat Professor J. Wiesner überreicht eine Abhandlung: „Photometrische Untersuchungen auf pflanzen physiologischem Gebiete“ I. Orientierende Versuche über den Einfluss der so- genannten chemischen Lichtintensität auf den Gestaltungs- prozess der Pflanzen. Es folgen hier einige der wichtigeren Resultate: 1) Die Bunsen-Roscoe’sche Methode, mittels photographischen Normal- papiers die sogenannte chemische Lichtintensität des Tageslichtes zu bestimmen, kann mit Vorteil benützt werden, um den Gestaltungsprozess in seiner Ab- hängigkeit von der Lichtintensität zu verfolgen. 2) Im Allgemeinen nimmt mit der zunehmenden Lichtintensität das Stengel- wachstum ab, und das Wachstum der Blätter schreitet mit zunehmender Lieht- intensität nur bis zu einer bestimmten Grenze fort, um dann auf einen stationären Wert zu sinken. Doch gibt es Blätter, die sich dem Lichte gegenüber wie Stengel verhalten, und wie es scheint auch umgekehrt; jedenfalls ist der physiologische Unter- schied zwischen Blätiern und Stengeln geringer als bisher angenommen wurde. 3) In der Krone belaubter Bäume nimmt die chemische Intensität des Liehtes von außen nach innen rasch ab. Da chemisch wirksames Licht von sehr geringer Intensität zur normalen Entfaltung der Knospen nicht ausreicht, so wird es verständlich, dass die wintergrünen Gewächse ihre Knospen in die Peripherie der Krone verlegen müssen, während die sommergrünen Bäume auch in der Tiefe der Krone Knospen zur Ausbildung bringen können, da der entlaubte oder im Beginne der Belaubung befindliche Baum genügend starkes chemisches Licht zu den sich entfaltenden Knospen zutreten lässt Die lichtbedürftige Kraut- und Strauchvegetation des Waldes muss aus gleichem Grunde vor der Belaubung der Bäume zur Laubentwicklung gelangen. 5) Der normale Habitus der Sonnenpflanzen geht schon bei relativ hohen chemischen Licehtintensitäten verloren. So beginnt Sempervivum tectorum schon bei einem mittleren Tagesmaximum von 0,04 (bezogen auf die Bunsen- toscoe’sche Einheit) zu etiolieren. 6) Zum Hervorbrechen der Würzelchen von Viscum album ist ein stärkeres Licht als zu dessen Weiterentwicklung erforderlich. 7) Die Blattgröße einer Pflanze ist unter sonst gleichen Verhältnissen einerseits von dem Grade der Luftfeuchtigkeit, anderseits von der chemischen Lichtintensität abhängig. 8) Die untere Grenze der heliotropischen Empfindlichkeit ist bei sehr reaktionsfähigen Pflanzenorganen durch eine Lichtintensität gegeben, welche Bruchteile von Millionsteln der Bunsen-Roscoe’schen Einheit beträgt. Die- selbe liegt beispielsweise für etiolierte Keimstengel der Wicke (Vieia sativa) noch unter dem zehnmillionsten Teil der genannten Einheit. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Öentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIII. Band. 15. September 1893. Nr.17u.18. Inhalt: Wieler, Ueber das Vorkommen von Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. — Haacke, Die Träger der Vererbung. — Castracane, La Riproduzione delle Diatomee. — Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. — Werner, Studien über Konvergenz - Erscheinungen im Tierreich (Schluss). Ueber das Vorkommen von” Verstopfungen in den Gefäßen meno- und dikotyler Pflanzen‘). Von Dr. A. Wieler, Privatdozenten der Botanik an der technischen Hochschule zu Braunschweig. Eine ganze Fülle von Lebensfunktionen der Pflanzen stehen in direkter oder indirekter Abhängigkeit von der Wasserversorgung der letzteren. Es mag hier beispielsweise nur hingewiesen werden auf das Wachstum und die Ernährung der Gewächse. Alle Aenderungen in der normalen Wasserversorgung müssen auch alle diese Prozesse beeinflussen. Eine genaue Kenntnis jener ist deshalb unerlässlich, will man eine klare Vorstellung von den Veränderungen gewinnen, welche durch eine abweichende Wasserversorgung hervorgerufen werden. Leider mangelt uns jene gründliche Kenntnis; was wir wissen, sind nur Bruchstücke, die sich nicht einmal zu einem befriedigenden Ganzen zusammenschweißen lassen. So wissen wir im Gegensatze zu früheren Vorstellungen, dass sich das Wasser in den Hohlräumen der Gefäße bewegt, über die Art und Weise aber, wie das geschieht, sind wir noch im Unklaren; wir sind hier über Hypothesen nicht hinausgekommen. Die Wasserversorgung hängt von mehreren Faktoren ab: von der Art 1) Der nachstehende Aufsatz ist auf Veranlassung von Herm Dr. F, Be- necke d. Z. Direktor der Versuchsstation „Midden-Java“ geschrieben worden und ist zuerst in „Mededeelingen van het Proefstation „„Midden-Java““ te Klaten“ Semarang (G. C. T. van Dorp & Ci.) 1892 erschienen. Von einigen Ergänzungen untergeordneter Art abgesehen, hat der Aufsatz keine Erweiterung erfahren. XIIL. 33 514 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. und Ausgiebigkeit der Wasseraufnahme durch die Wurzeln, von dem regelmäßigen Funktionieren des wasserbewegenden Mechanismus und von der Funktionsfähigkeit der Leitungsbahnen, d. h. der Gefäße. Störungen in einem dieser drei Faktoren müssen die Wasserversorgung wesentlich beeinflussen. Ohne weiteres muss theoretisch die Möglich- keit solcher Störungen für alle genannten Faktoren zugegeben werden, für die Praxis ist die Frage von Wichtigkeit, ob thatsächlich solche Störungen auftreten. Dass eine verminderte Wasseraufnahme in Folge von Dürre statthat, ist bekannt, ob auch aus inneren Ursachen ist bislang nicht geprüft worden. Unsere unzureichende Kenntnis des Mechanismus der Wasserbewegung gestattet uns nicht, für diesen Faktor eine befriedigende Ansicht zu entwickeln. Inbezug auf die Funktions- fähigkeit der Gefäße wissen wir aus mikroskopischen und experimen- tellen Untersuchungen, dass sie vermindert werden resp. verloren gehen kann, indem die Gefäße auf verschiedene Weise verstopft werden können und zwar so vollkommen, dass ein Wassertransport durch sie hindurch zur Unmöglichkeit wird. Da diese Verhältnisse in weiteren Kreisen nicht ausreichend bekannt geworden oder nicht in ihrer ganzen Tragweite gewürdigt zu sein scheinen, so dürfte vielleicht eine Zu- sammenstellung alles dessen, was wir über diese Verstopfungen wissen, von Wert sein. Hierbei beschränken wir uns auf die mono- und dikotylen Pflanzen als die eigentlich gefäßführenden Gewächse. Soweit auch in anderen Gruppen Gefäße auftreten, sind die Pflanzen entweder nicht untersucht worden, oder es wurden bei ihnen keine Verstopfungen entdeckt. Uebrigens wäre eine Uebertragung der sich für Mono- und Dikotyledonen aus den Gefäßverstopfungen ergebenden Konsequenzen auf diese Gewächse leicht ausführbar, so dass dieselben auch gerne unberücksichtigt bleiben können. Unsere Darstellung wird sich also zu erstrecken haben auf eine Beschreibung der Arten der Verstopfungen und ihre Verbreitung, des Entstehungsmodus derselben, ihres Vorkom- mens unter normalen und pathologischen Verhältnissen, der Entstehungs- ursache und der Folgen, welche diese Verstopfungen für die Pflanzen resp. ihre Organe haben. 1. Die Art der Verstopfungen und ihre Verbreitung. Die Verstopfungen der Gefäße können nach den eingehenden Unter- suchungen, welche darüber vorliegen, sehr verschiedener Art sein: a. Verstopfungen durch lebende Gewebe (Thyllen), b. Verstopfungen dureh Gummi, Verstopfungen durch harzartige Stoffe, Verstopfungen durch Ausscheidungen von kohlensaurem Kalk, u . Verstopfungen, deren Natur noch unbekannt ist, oder welche noch nicht näher untersucht sind. e Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 515 Im Folgenden werde ich die einzelnen Verstopfungsarten getrennt aufführen und bei jedem Abschnitt diejenigen Pflanzen namhaft machen, bei welchen sie vorkommen. Ich gebe die Pflanzennamen in alphabetischer Reihenfolge, in der zweiten Columne füge ich den Familiennamen hinzu und in der dritten nenne ich denjenigen Forscher, welcher nach meinem Wissen hier zuerst die entsprechende Verstopfung beobachtete. Am Ende jedes Abschnittes gebe ich die Litteratur an, aus der ich die entsprechen- den Angaben schöpfte. 1. a. Verstopfungen durch Thyllen. Achyranthes Verschaffelti Ampelopsis hederacea W. Aralia papyrifera Hook. „ spinosa L. Aristolochia Clematitis L. „ serpentaria L. „ Sipho L’Herit. Artocarpus integrifolia 1. Arundo Donax L. Asarım europaeum L. Banisteria ingrescens Begonia spec. Betula alba L. Bignonia stans L. „.. .egodeta, DC. Boehmeria polystachya Wedd. „. argentea Guillem. Broussonetia papyrifera L. Bryonia alba IL. Canna . »indica L. Carica Papaya L. Carya amara Mich. „ porcina Nutt. „ tomentosa Nutt. Cassia aleuparra Castanea vesca Gaert. Catalpa springaefolia Sims. Celtis oceidentalis L. Chilianthus arboreus Benth. Coccoloba sp. Coleus Verschafelti Cordia Myxa L. Corypha cerifera Oueumis sativus L. Annarantaceae Ampelideae Araliaceae Aristolochiaceae 5 Artocarpeae Gramineae Aristolochiaceae Malpighiaceae begoniaceae Betulaceae Bignoniaceae > Urticaceae 4 Artocarpeae Oucurbitaceae Marantaceae ” Papayaceae Juglandaceae a ” Papilionaceae Cupuliferae Bignoniaceae Ulmaceae Scerophulariaceae Polygonaceae Labiatae Boraginaceae Palmae Cueurbitaceae Molisch Ungenannter Molisch Ungenannter Molisch b2] Kieser Molisch Karsten Crüger Peter Molisch n Ungenannter Schleiden Molisch Russow Molisch Unger Ungenannter ” ” Molisch ” Praäl Mohl Ungenannter 33* 516 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Cucurbita Pepo L. Cuspidaria pterocarpa D. C. Dahlia variabilis Desf. Diospyros Ebenus KRetz. Elaeagnus angustifolia L. Euphorbia Helioscopia L. Fagus silvatica L. Ficus australis Willd. Carica L. „ indica Roxb. „ leucostieta Spr. „. stipulata Thumb. Fraxinus excelsior L. 22. Ornus, D: Halorageaceae Hedera Helix L. Hedychium Hedychium Garduerianum Heliconia sp. Inula Helenium L. Jatropha Curcas L. Juglans cinerea L. Se mnigna, DL, „ reogiaL. Koelreuteria paniculata Lam. Latania bourbonica Lam. Laurus nobilis L. „ Sassafras L. Leontodon Taraxacum L. Ligustrum vulgare L. Loranthus europaeus L. Wall. Laxopterygium Lorentzii Grieseb. Maclura aurantiaca Nutt. „ tinetoria D. Don. Mansoa offieinalis Maranta setosa Mespilodaphne Sassufras Meissn. Mikania Guaco Humb. Monstera deliciosu Morus alba L. „ eucullata Jacq. „ .migra L: „.. rubra, L, Musa Cavendishii Pat. Einsete Gin. ” Cueurbitaceae Bignoniaceae Compositae Ebenaceae Elaeagnaceae Euphorbiaceae Cnpuliferae Artocarpeae Oleaceae n Halorageaceae Araliaceae Zingiberaceae ” Musaceae Compositae Euphorbiaceae Juglandaceae PD] 2 Sapindaceae Palmae Lauraceae Ph Compositae Oleaceae Loranthaceae Anacardiaceae Artocarpeae ” Bignoniaceae Marantaceae Lauraceae Compositae Aroideae Artocarpeae Musaceae „ Ungenannter Molisch ” ” Ungenannter Mirbel Molisch ” Ungenannter rl Russow Ungenannter „ Unger Molisch Schleiden Molisch ” Horn Ungenannter ” Molisch ” Kieser Molisch Ungenannter Molisch Strasburger Ungenannter ” PD] Praäl Molisch Wittmack Zn Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 517 Musa parasidiaca L. Ochroma Lagopus Sw. Olea europaea 1. Ostrya vulgaris Willd. Passiflora mauritiana Juss. „ quadrangularis L. Paulownia imperialis Sieb. et Zuce. Perilla nankinensis Low. Pharbitis hispida Chois. Philodendron pertusum Kth. „ Arten Phyllanthus sp. Piratinera guwianensis Aubl. Pistacia Lentiscus L. „ atlantica Desf. Plantago media L. Platanus acerifolia W. „ oceidentalis L. a sorientalıs 1%. Populus alba L. mg LT: „ tremula L. Portulacca sp. Prunus Mahuleb L. Pterocarya caucasica Ü. A. Meyer Quercus alba L. Cerris L. „ pedunculata Erh. “ Robur L. „.. sessiliflora Sm. Ihus Cotinus L. „ typhina L. „ viminalis Vahl. Bicinus communis L. kRobinia Pseudacacia L. „ hispida L. »„ viscosa Vent. „ umbraculifera L. Rubia sp. Salix = »Copreo, I. Sambucus nigra L. „ racemosa L. Santalum album L. Schinus molle L. Musaceae Malvaceae Öleaceae Cupuliferae Passifloraceae „ Serophularaceae Labiatae Convolvulaceae Aroideae 2 Euphorbiaceae Artocarpeae Anuacardiaceae Plantaginaceae Platanaceae ”„ Salteineae „ bi) Portulaccaceae Amygdalaceue Juglandaceae Cupuliferae Anacardiaceae n ex Euphorbiaceae Papilionaceae Rubiaceae Salieineae „ Caprifoliaceae >] Santalaceae Anacardiaceae Meyen Molisch ” Ungenannter Stoll Molisch Ph] De Bary Molisch Strasburger Molisch ” 2] Ungenannter Molisch Reess Molisch heess Moliseh ” „ Crüger Wieler Molisch # Molisch Ungenannter De, Bary Böhm Molisch Ungenannter N Moliseh Ungenannter 518 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Sideroxylon cinereum L. Sapotaceae Molisch Solanum tuberosum L. Solanaceae a Sparmannia africana L. Tiliaceae “ Strelitzia Reginae Akt. Musaceae Ungenannter Thunbergia sp. Acanthaceae Crüger Ulmus campestris L. Ulmaceae Molisch „ corylifolia Host. h Ungenannter nn eeliusa W. r Molisch „ Fulva Mich. e Ungenannter „. montana With. E Molisech „. suberoso Ehrb. e Ungenannter Urtica sp. Urticaceue Molisch Vitis vinifera L. Ampelideae Ungenannter Die vorstehenden Angaben sind den folgenden Schriften ent- nommen: De Bary, „Vergleichende Anatomie der Vegetationsorgane“ 1877. Böhm, „Ueber Funktion und Genesis der Zellen in den Gefäßen des Holzes“. Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien. Mathem.-phys. Klasse, 55. Bd., 1867, 2. Abt. Derselbe, „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße“. Botanische Zeitung, 1879 Crüger, „Westindische Fragmente“. Bot. Ztg, 1857. Horn, zit. nach Molisch. Karsten, zit. nach Ungenannter. Kieser, zit. nach Meyen, zit. nach Mirbel, zit. nach v.Mohl, zit. nach a, Molisch, „Zur Kenntnis der 'T'hyllen nebst Beobachtungen über Wund- heilung in der Pflanze“, Sitzungsberichte d. maihem. -phys. Klasse der Wiener Akad. d. Wiss., 1888, 97. Bd., 1. Abt. Peter, zit. nach Molisch. Pra&l, „Vergleichende Untersuchungen über Schutz- und Kernholz der Laub- bäume“. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. Reess, „Zur Kritik der Böhm’schen Ansicht über die Entwicklungsge- schichte und Funktion der Thyllen“. Bot. Ztg., 1868. Russow, zit. nach Molisch. Schleiden, „Grundzüge der Botanik“ I 1842. Stoll, zit. nach Molisch. Strasburger, „Ueber den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen“. Histologische Beiträge Ill. Jena 1891. Ungenannter, „Untersuchungen über die zellenartigen Ausfüllungen der Gefäße“. Bot. Ztg., 1845. Unger, „Ueber die Ausfüllung alteınder und verletzter Spiralgefäße durch Zellgewebe“. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss., mathem.-phys. Klasse, 56. Bd., 1. Abt., 1867. Wieler, „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotyledonen Ge- wächse an der Saftleitung und über die Bedeutung der Anastomosen für die Wasserversorgung der transpirierenden Flächen“. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. 19, 1888. Wittmack, Musa Ensete. Ein Beitrag zur Kenntnis der Bananen. Göt- tinger Dissert., Halle 1867. ” ” Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen, 519 1. b. Gefäßverstopfungen durch Gummi. Acer platanoides L. Adenanthera pavonina L. Aesculus Hippocastanum L. Ailanthus glandulosa Desf. Amorpha fruticosa L. Amygdalus communis L. Artemisia sp. Astragalus gummifer Labill. Baphia nitida Afzel. Berberis vulgaris L. Berberideae Caesulpinia echinatum Lam. Sappan L. Canna Caragana arborescens Lam. Castanea vesca L. Casuarina equisetifolia Forst. „. muricata Rosxb. „. nodiflora Forst. „ quadrivalvis Labill. „sp. (aus Neu- Holland) Cineraria eruenta L’Her. Cordia Boissieri DC. „ sebestina L. „ Myxa L. Coulteria tinetoria Knuth Oytisus Laburnum L. Diospyros Ebenus Retz „ Embryopteris Pers. Kaki L. Kurzii „ Lotus L. „ melanida FPoir. „. montana Rosxb. „ pentamera Wolls. u. F. Müll. „. piüosula Wall „ Poppigiana Alph. DC. „ silvatica Ro«xb. „ Vaceinioides Lindl. virginiana L. Een Fullonum L. Dorema glabra Ebenus cretica L. Acerineae Papilionaceae Sapindaceae Simarubaceae Papilionaceae Amygdalaceae Compositae Papilionaceae Caesalpineae Berberideae Caesalpineae Marantaceae Papilionaceae Cupuliferae Casuarineae ” Composttae Cardiaceae N Caesalpineae Papilionaceae Ebenaceae Er Dipsaceue Umbelliferae Ebenaceae Wieler Prael Wieler Sanio Böhm Sanio Molisch Tsehireh Praöl Böhm Praäl Moliseh Sanıo „ Prael Molisch Pra&äl \ „ Gaunersdorfer Moliseh „ Prael Molisch Wieler Tsehireh Prael 520 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Euclea polyandra E. Mey „ racemosa L. Fagopyrum esculentum Mnch. Fittonia argyroneura Gleditschia triacanthos L. Haematoxylon Campechianun L. Helianthus annuus L. (Hyperecotyl) Juglans regia L. Latania bourbonica Lam. (Blattstielstümpfe) Leucanthemum maximum Pyr. DC. Maba buxifolia Pers. „ inconstans Griseb. „ obovata R. Br. Magnolia grandiflora L. Medicago sativa L. Mimosa Morus alba L. „ rubra L. Periploca graeca L. Phaseolus multiflorus W. (Hypocotyl) Philodendron pertusum Kth. Physocalymna floribundum Pohl Pistacia Lentiscus L. Poyulus canadensis Mich. Primula sinensis Lindl. Prunus avium L. „ domestica L. „ Mahaleb L. „ spinosa L. Pterocarpus Santelin L. fü. Pyrus malus L. Quercus pedunculata Ehrh. Rhamnus cathartica L. Ribes rubrum L. Ricinus communis L. Robinia Pseud’acacia L. Rosifloren Royena glabra L. „ hirsuta L. „ lucida L. Ruellia ochroleuca Mart. Saccharum officinarum Ebenaceae ” Polygonaceae Acanthaceae Papilionaceae Caesalpineae Compositae Juglandaceae Palmae Compositae Ebenaceae . » Magnoliaceae Papilionaceae Mimoseae Artocarpeae ” Asclepiadeae Papilionaceae Aroideae Lythraceae Cassuvieae Salicineae Primulaceae Amygdalaceae rl ” n Papilionaceue Pomaceae Cupuliferae Rhamnaceae Grossulariceae Euphorbiaceue Payilionaceae Ebenaceae „ r] Acanthaceae Gramineae Molisch „ Wieler Molisch Sanio Pra&l Molisch Temme Molisch Wieler Molisch ” ” Wieler b)) Molisch Praöl Sanio Molisch 9) Praöl ” Wieler Molisch Sanio 2 Wieler Sanio Prael Temme bh] Sanio Wieler ” „ Böhm Molisch Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 521 Sambuens nigra L. Caprifoliaceae Wieler Sanseviera Sp. Liliaceae Molisch Sorbus Aucuparia L. Pomaceae Sanio Spiraea- Arten Rosaceae Böhm Swietenia Mahagoni L. Cedrelaceae Pra& Tecoma Ipe Mart. Bignoniaceae s Tilia europaea Desf. Tiliaceae Wieler Ulex europaeus L. Papilionaceae Sanio Veratrum album L. \ Ar „ nigrum L. ( Liliaceae ArthurMeyer Vieia faba L. Payilionaceae Sanio Virgilia lutea „ 5 Vitis vinifera L. Ampelideae Moliseh Xanthoxylon fraxineum Xanthoxyleae Sanio Die vorstehenden Angaben sind den folgenden Schriften ent- nommen: Böhm, „Ueber den aufsteigenden Saftstrom und den Abschluss lebender Zellen gegen äußere Einwirkungen“. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte in Hamburg, 1877. (Nach Ref. Bot. Zeitg. 1877, Sp. 113.) Derselbe, „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße. Bot. Ztg., 1879. Gaunersdorfer, „Beiträge zur Kenntnis der Eigenschaften und Entstehung des Kernholzes“. Sitzungsber. d. mathem.-phys. Klasse der Wiener Akad. d. Wiss.,. 35. Bd... 1..Abt., ‚1882. Meyer Arthur, Archiv der Pharmacie, Bd. 220, 1882. Derselbe, Bemerkung zu dem Aufsatze von B. Frank: „Ueber die Gummi- bildung im Holze und deren physiologischen Bedeutung“. Ber. d. d. bot. Ges., Bd. Il, 1884. Molisch, „Vergleichende Anatomie des Holzes der Ebenaceen und ihrer Verwandten“. Sitzungsb. d. math.-phys. Klasse d. Wiener Akademie d. Wiss., 80. Bd., 1. Abt., 1879. Derselbe, „Zur Kenntnis der Thyllen nebst Beobachtungen über Wund- heilung in der Pflanze“. 1. c. 97. Bd., 1. Abt., 1888. Pra&l. „Vergleichende Untersuchungen über Schutz- und Kern-Holz der Laubbäume“. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. Temme, „Ueber Schutz- und Kernholz, seine Bildung und seine physio- logische Bedeutung“. Landw. Jahrb., Bd. 14, 1885. Tsehirch, „Angewandte Pflanzenanatomie“, 1889, 1. Bd. Sanio, „Vergleichende Untersuchungen über die Elementarorgane des Holz- körpers“. Bot. Ztg., 1863, S. 126. Wieler, „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotyledonen Ge- wächse an der Saftleitung und über die Bedeutung der Anastomosen für die Wasserversorgung der transpirierenden Flächen. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 1. ec. Gefäßausfüllungen harzartiger Natur. Guajacum offieinale L. Zygophyllaceae Praäl Bignonia Leucoxylon L. Bignoniaceae " Syringa vulgaris L. Oleuceae Gaunersdorfer Acer Negunde L. Acerineae Molisch 522 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Das hier als Bignonia Leucoxylon aufgeführte Holz trug den Namen Diospyros chloroxylon. Der anatomischen Verhältnisse wegen kann es das aber kaum sein, und Pra&@l vermutet, dass es Dignonia Leuco- xylon sei. Die Ausfüllungen harzartiger Natur bei Syringa hält Pra&l für Gummi. Die harzartigen Ausfüllungen bei Acer Negundo finden sich im toten Wundholz. Die vorstehenden Angaben wurden den folgenden Publikationen entnommen: Gaunersdorfer, „Beiträge zur Kenntnis der Eigenschaften und Entstehung des Kernholzes“. Sitzungsber. der math.-phys. Klasse d. Wiener Akad. d. Wiss., 85. Bd., 1. Abt., 1882. Molisch, „Ueber die Ablagerung von kohlensaurem Kalk im Stamme diko- tyler Holzgewächse“. 1. ce. 84. Bd., 1. Abt., 1881. Pra&l, „Vergleichende Untersuchungen über Schutz- und Kernholz der Laub- bäume*. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 1. d. Verstopfung der Gefäße durch Ablagerung von kohlensaurem Kalk. Die nachstehenden Angaben rühren ausschließlich von Molisch her. (Ueber die Ablagerung von kohlensaurem Kalk im Stamme dikotyler Holzgewächse. — Sitzb. d. math.-phys. Klasse d. Wiener Akad. d. Wiss., 84. Bd., 1. Abt., 1881.) lagerungen bei Acer campestre L. „ Mlyrienm Negundo L. „ pseudoplatanus 1. „ rubrum L. Acerineae „ „ bi Anonaceae Er fand die Ab- verfärbte Astknoten normales Kernholz totes Wundholz krankes Kernholz normales Kernholz Anona laevigata Martius Splint- u. Kernholz Betula alba L. Betulaccae krankes Kernholz Buxus sempervirens L. Buzxaceae verfärbte Astknoten Oeltis occidentalis L. Ulmaceae krankes Kernholz „ orientalis L. ee Kernholz und totes Wundholz Cornus sanguinea L. Corneaceae normales Kernholz Fagus silvatica L. Unpuliferae norm. Kernholz, ver- färbte Astknoten Pirus mierocarpa Pomaceae normales Kernholz Populus Salveineae verfärbte Astknoten Sorbus torminalis Ur2. Pomaceae normales Kernholz Ulmus Ulmaceae verfärbte Astknoten „ campestris L. . normales Kernholz „ montana With. e N Zygophyllum arboreum Jaeg. Zygophyllaceae LReifholz. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 52) P79] 1. e. Gefäßausfüllungen unbekannter Art. Cornus mas L. Cornaceae Molisch Kernholz. Weiße in prismatischen Stäbchen krystallisierende Körper, welche in Alkohol und Aether löslich, in Schwefelkohlenstoff und Ter- pentinöl unlöslich sind. Fraxinus excelsior L. Oleaceae Wieler Juglans cinerea L. Juglandaceuae } Sorbus Aucuparia L. Pomaceae in gesundem ganz jungem Splintholz von zu Dinekvenen benutzten Zweigen. Es ist möglich, dass eine genauere Unter- suchung doch noch erkennen lässt, dass im allen diesen Fällen oder in einigen Verstopfungen bereits bekannter Art vorliegen, namentlich gilt das von Sorbus (vergl. S. 521). Folgenden Veröffentlichungen sind «die vorstehenden Angaben ent- nommen: Molisch, „Ueber die Ablagerung von kohlensaurem Kalk im Stamme diko- tyler Holzgewächse“. Sitzber. d. math.-phys Klasse d. Wiener Akad. d. Wissensch., 84. Bd., 1. Abt., 1881. Wieler, „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotylen Gewächse an der Saftleitung und über die Bedeutung der Anastomosen für die Wasserversorgung der transpirierenden Flächen. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 2. Entstehungsmodus der Gefässverstopfungen. Der Entstehungsmodus der Verstopfungen muss natürlich je nach der Natur der Verstopfung verschieden sein. 2. a. Entstehung der Thyllen. Die Natur und Entstehungsweise der Thyllen ist im Wesentlichen durch die Untersuchung eines Ungenannten!) aus der botanischen Zeitung 1545 aufgedeckt worden. Seine Angaben wurden von Unger?) und Reess?), im Gegensatz zu Böhm), weleher einen anderen Ent- stehungsmodus behauptete, bestätigt. Neuerdings hat Molisch?’) noch einmal wieder die ganze Frage einer erneuten Untersuchung unter- 1) Ungenannter, „Untersuchungen über die zellenartigen Ausfüllungen der Gefäße“. Bot. Ztg., 1845. 2) Unger, „Ueber die Ausfüllung alternder und verletzter Spiralgefäße durch Zellgewebe“. Sitzungsber. d. Wiener Akademie der Wissensch., 56. Bd., 3 At, S. 701 Ei. 3) Reess, „Zur Kritik der Böhm’schen Ansicht über die Entwicklungs- geschichte und Funktion der Thyllen“. Bot. Ztg., 1868. 4) Böhm, „Ueber Fnnktion und Genesis der Zellen in den Gefäßen des Holzes“. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss., 55. Bd., 1867. 5) Molisch, „Zur Kenntnis der Thyllen, nebst Beobachtungen über Wund- heilung in der Pflanze“. Sitzungsber. d Wiener Akad. d. Wissensch., 97. Bd., 1. Abt., 1889. 594 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. zogen, namentlich auch, um die Ursache der Widersprüche aufzudecken, welche zwischen den Beobachtungen Böhm’s und der anderen Autoren bestehen. Klarer, als es wohl bisher geschehen war, wies Molisch nach, dass die Thyllen nur Ausstülpungen der Parenchymelemente sind, und dass sie nur in seltenen Fällen Zellqualität durch Auftreten von Querwänden erlangen. Die Thylien sind Ausstülpungen der an die Gefäße angrenzenden Parenehymzellen und können in allen Arten Gefäßen auftreten. Je nach der Skulptur der Wand unterscheidet man bekanntlich Ring-, Spiral- und Tüpfelgefäße. Bei den Ringgefäßen haben wir auf der Innenwand der Gefäßmembran in gewissen Abständen Ringe von Zell- stoff, bei den Spiralgefäßen spiralige Verdickungsleisten; bei den Tüpfel- gefäßen ist die ganze Wand der Gefäße stark verdickt mit Ausnahme einer Reihe kleiner Stellen, welche unverdickt bleiben. Diese Stellen werden Tüpfel genannt, sie entsprechen bei den Ring- und Spiral- gefäßen denjenigen unverdiekten Membranstücken, welche sich zwischen den Ring- und Spiralverdiekungen befinden. An diesen Stellen ent- stehen die Thyllen auf den Seiten der Gefäße, wo die Parenchym- zellen an sie angrenzen, indem das gemeinsame Wandstück des Gefäßes und der Parenehymzelle anfängt, in das Innere des Gefäßes hineinzu- wachsen. Bei den Tüpfelgefäßen ist die Basis, mit welcher die Thylle der Gefäßwand aufsitzt, entsprechend der Größe des Tüpfels sehr klein; bei den Ring- und Spiralgefäßen ist sie bedeutend größer. Eine Parenchymzelle kann natürlich mehr als eine derartige Aussackung bilden; auch können von verschiedenen an das Gefäß angrenzenden Parenehymzellen Thyllen ihren Ursprung nehmen, so dass häufig auf gleicher Höhe mehrere Thylien in das Gefäß hineinragen. Dann platten sie sich gegen einander ab und rufen so den Eindruck eines Gewebes hervor. Sie verwachsen mit einander, die Membranen verdicken sich auf der Innenseite, wobei korrespondierende Tüpfel in benachbarten Thyllen entstehen. In manchen Fällen kann die Verdickung der Wand so beträchtlich werden wie bei Sklerenchymzellen. Solche Sklerenehym- thyllen wurden von Molisch!) z.B. im Holz von Mespilodaphne Sassafras und Piratinera guianensis beobachtet. In seltenen Fällen gliedern sich die Thyllen durch Querwände von der Parenchymzelle ab, dann teilt sie sich wohl auch durch Parallelwände weiter, wie Molisch?) das für Cuspidaria pterocarpa und Robinia feststellte. Von der Ausgiebig- keit der Thyllenbildung hängt selbstverständlich die Güte des Ver- schlusses im Gefäß ab. (Fortsetzung folgt.) 1) 1. &. 8'973. DS Haacke, Träger der Vererbung. 525 Die Träger der Vererbung. Von Wilhelm Haacke in Darmstadt. Gelegentlich eines Referates über Weismann’s Werk „Das Keim- plasma“ (Jena 1892) zitiert Herr F. v. Wagner auf S.337 Bd. XIII des „Biol. Centralbl.“ eines der Haupidogmen des Weismann’schen Lehre wonach der Satz, „dass allein in einem Teil der Kernsubstanz die Ver- erbungssubstanz zu sehen ist, durch alle neueren Erfahrungen nur um so fester begründet“ erscheint. Diesem Zitat fügt Herr v. Wagner die folgende Anmerkung bei: „Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die oben zitierte Auffassung dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens am meisten entspricht. Man vergleiche hierzu die ausgezeichnete Schrift ©. Hertwig’s, ‚Die Zelle und die Gewebe‘ (Jena 1892), ins- besondere das Schlusskapitel, in welchem ‚die Zelle als Anlage eines Organismus’ dargestellt ist. Wenn dagegen allerneuestens Haacke (Schöpfung der Tierwelt, Leipzig 1503, S. 57) versichert, die neueren Erfahrungen hätten zu dem ‚Ergebnis‘ geführt, dass der Kern, vor ‚allem ein Organ des Stoftwechsels ist und dass im Plasma selbst der hauptsächlichste Träger der Vererbung gesucht werden muss‘, so kann diese Darstellung den thatsächlichen Verhältnissen doch wohl nicht entsprechend erachtet werden!“ Gegen eine solche Art gelegentlicher Kritik muss ich im Interesse der Gewissenhaftigkeit und Gerechtigkeit wissenschaftlicher Berichterstattung Protest erheben, zumal meime Anschauung durch Herrn v. Wagner’s ungenaues Zitat in ein völlig schiefes Licht gesetzt wird. Herr v. Wagner stellt meine Anschauung derjenigen von O.Hertwig gegenüber, er vergisst aber seinen Lesern mitzuteilen, dass OÖ. Hertwig den Polkörper der Zelle zu den Kernsubstanzen zählt, ich nieht. Nach dieser Richtigstellung bitte ich Herrn v. Wagner, noch einmal die von ihm zitierte Seite 57 meiner „Schöpfung der Tier- welt“ zu vergleichen und einmal genau nachzusehen, was ich eigent- lich gesagt habe. Es heißt dort auf Zeile 19 von unten und folgenden: „Während man früher den Kern der Zelle als ihr wesentlichstes Ge- bilde ansah, haben neuere Forschungen zu dem Ergebnis geführt, dass der Zellleib, der aus Plasma oder Bildungsstoff besteht, eine mindestens ebenso große Bedeutung beansprucht wie der Kern. Man glaubte, dass der letztere der alleinige Träger der Vererbungsstofie sei, aber heute ist es wahrscheinlich geworden, dass er vor allem ein Organ des Stoff- wechsels ist, und dass im Plasma selbst der hauptsächliehste Träger der Vererbung gesucht werden muss. Man hat nämlich neuerdings neben dem Kern noch ein zweites Gebilde im Inneren des Zellleibes entdeckt, das Centrosoma oder den Polkörper, der den eigentlichen organischen Mittelpunkt der Zelle darzustellen scheint“. Ich sollte doch meinen, dass meine Leser aus diesem Zitat eine andere Anschauung von meiner Stellung gegenüber der Frage nach 36. Haacke, Träger der Vererbung. den Vererbungsträgern gewinnen werden, als der Referent des Weis- mann’schen Buchs. Auf alle Fälle möchte ich aber darauf aufmerksam inachen, dass aus dem von mir gegebenen Zitat aus meiner „Schöpfung der Tierwelt“, und dem, was darauf folgt, unzweifelhaft hervorgeht, dass ich den Polkörper nieht zu den Kernsubstanzen rechne, dass ich ihn mit, wie ich glaube, der großen Mehrzahl der heutigen Zellforscher ins Plasma des Zellleibes verlege, ihn aus solchem bestehen lasse, während ihn ©. Hertwig zu den Kernsubstanzen zählt. Ich benutze die Gelegenheit dieser Richtigstellung, um meine An- siehten über die Vererbungsträger kurz darzulegen, und den Nachweis zu führen, dass, um mit Herın v. Wagner zu reden, die Ansicht, wonach die Chromosomen des Kernes die alleinigen Träger der Vererbung sind, „den thatsächlichen Verhältnissen doch wohl nicht entsprechend erachtet werden“ darf. Freilich hätte ich zur Bekämpf- ung dieser Ansicht eigentlich kein Recht, denn in seinem Werke über das Keimplasma sagt Weismann auf Seite 39 u. 40: „Solehe Mei- nungen wie die von der Verteilung der Vererbungssubstanz auf Zelle und Kern kann man nur so lange hegen, als man den Vererbungs- erscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch reeht ferne steht“. Gegen dieses doch wohl etwas zu harte Verdammungsurteil muss ich Widerspruch erheben. Ich habe seit Jahren Untersuehungen über das, was Weismann Amphimixis nennt, an vielen verschiedenen Rassen der Hausmaus angestellt und lange Stammbäume von mehr als3000 Mäusen gewonnen und darf wohl versichern, dass ich durch diese Versuche „den Vererbungserscheinungen selbst“ recht nahe getreten bin. Ich will deshalb auch nicht mit meiner Ansicht zurückhalten, dass Weismann „den Vererbungserscheinungen selbst und ihrer Erklärung noch recht ferne steht“, ja, dass er das Opfer einer großen Selbsttäuschung ge- worden ist; ein Theoretiker, der das zu Erklärende einfach eine Stufe weiter nach rückwärts verlegt, wie Weismann es thut, indem er seinen „Iden“ als verzerrten Miniaturschemen des Organismus nicht nur die präformierten Keime aller derjenigen Eigenschaften zuschreibt, die der fertige Organismus besitzt, sondern auch noch eime stattliche Reihe anderer, setzt sich freilich über die Schwierigkeiten des Problems hin- weg, aber er schafft sie damit nicht aus der Welt. Trotz der eifrigen Versicherungen des Herrn v. Wagner, „dass die elementare Bedeutung des Kerns, resp. seines Chromatins für die Vererbung jedem Zweifel entrückt“ sei, dass das Plasma des Zellkörpers „keinesfalls Vererbungsträger sein“ könne, dass „es keinem Zweifel unterliegen“ könne, dass die Auffassung, welehe die Kernsubstanz als Vererbungsträger ansieht, „dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens am meisten“ entspräche, kann ich nur wiederholt hervorheben, dass ich sehr gewichtige Zweifel an der Richtigkeit dieser Anschauung , die ein Fundament des Weismannismus bildet, hege. Ich befinde mich dabei auch keineswegs allein. Die von Herrn v. Wagner zitierten Haacke, Träger der Vererbung. AA 8 8 Forscher Verworn und Kennel haben sich ähnliche Zweifel inbezug auf die Omnipotenz des Kerns zu äußern erlaubt; dasselbe gilt von Bergh und andren. Man muss sich bei Diskussion der Frage nach den Vererbungsträgern nur darüber klar sein, ob man den Polkörper als Bestandteil des Kerns betrachten will oder nicht. Ich stimme, wie oben gesagt, der Ansicht von OÖ. Hertwig, dass der Polkörper ein Teil des Kerns sei, nicht bei, und will deshalb im folgenden die Chromosomen, die ja nach Weismann die alleinigen Träger der Vererbung sind, dem Polkörper, den ich als einen Teil des extra- nukleären Zellplasmas betrachte, scharf gegenüberstellen, und nunmehr frage ich, wo denn nun eigentlich die Beweise dafür sind, dass die Erbliehkeit allein an die Chromosomen gebunden ist, welche „that- sächlichen Verhältnisse“ der „Darstellung“, die Weismann und der ihm sekundierende Herr v. Wagner von der Omnipotenz der Chromo- somen, beziehungsweise ihrer „Ide* geben, als „entsprechend erachtet werden“ können? Ich muss gestehen, dass ich vergeblich nach diesen Beweisen gesucht habe, sowohl in Weismann’s Keimplasmawerk, als unter den Ergebnissen, welche die neuere Zellforschung geliefert hat; ich bin vielmehr zu der Anschauung gekommen, dass die „that- sächlichen Verhältnisse“, denen zufolge die Chromosomen die alleinigen Vererbungsträger sind, ausschließlich in der Einbildungskraft derjenigen existieren, auf welche die Forschungen über Zellteilung, die so lange und so ausschließlich den Kern ins Auge fassten, einen allzu ein- seitigen Eindruck gemacht haben. Es ist begreiflich und verzeihlich, dass sich in unserer Zeit des übertriebensten Spezialistentums die Zellforscher vor allem durch die augenfälligen Vorgänge an den Chromosomen des Zellkerns fesseln ließen, und dass sie darüber vernachlässigten, dem extranukleären Zellplasma diejenige Aufmerksamkeit zuzuwenden, die es wohl verdient hätte. Ich will also durchaus keinen Vorwurf gegen die verdienten Männer, die sich um die Erforschung (des Zelllebens bemüht haben, erheben, wenn ich bezweifle, dass dem Plasma wirklich diejenige ungeteilte Aufmerksanıkeit zugewendet worden ist, deren die Kern- substanz sich in so hohem Maße erfreut hat. Indem ich dies bezweifle, stehe ich wiederum nicht allein. So sagt Kennel auf S. 52 seines „Lehrbuches der Zoologie* (Stuttgart 1873, 8.52): „Wenn erst wieder das Protoplasma als Hauptsache, der Kern nur als Organulum des- selben angesehen werden wird, kommt man vielleicht dazu, in den Erscheinungen und Strukturverhältnissen des Protoplasmas die mecha- nische Ursache für die verwickelten Vorgänge der Kernteilung zu finden, wobei die achromatischen Zentren eine Hauptrolle spielen mögen, die aus dem Protoplasma hervorgehen, obwohl sie dem Kern im Ruhe- stand, wie es scheint innig anliegen oder sogar von ihm umhüllt sein mögen“. Dieser Anschauung kann ich mich nur anschließen und will nunmehr versuchen den Nachweis zu führen, dass nicht die Chromo- 598 Haacke, Träger der Vererbung. somen, sondern die Polkörper den morphologischen Aufbau der Zelle beherrschen, und deshalb, um meine in der „Schöpfung der Tier- welt“ gebrauchten Worte zu wiederholen, als die „hauptsächlichsten Träger der Vererbung“ angesehen werden müssen. Ich will dabei das auch von mir hochgeschätzte Werk meines Lehrers O. Hertwig über „Die Zelle und die Gewebe“, ein Werk, auf das wir Deutsche mit hecht stolz sein dürfen, benutzen, und an der Hand der von Hertwig gegebenen Abbildungen nachweisen, dass für den Unbe- fangenen das Centrosoma die Hauptrolle im Zellleben spielt. Ich bitte meine Leser, sich folgende Abbildungen in Hertwig’s Buch anzusehen: Auf Seite 47 Fig. 34 ist nach Flemming ein Leukoeyt aus dem Peritoneum einer Salamanderlarve abgebildet, in welchem der außer- halb des Kerns gelegene Zentralkörper durch die ihn umgebende strahlige Sphäre zeigt, dass er es ist, der die Anordnung des Zell- plasmas, also den morphologischen Aufbau des Organismus, welcher ja doch wohl ohne allen Zweifel dasjenige darstellt, was hauptsäch- lich durch eine Vererbungstheorie zu erklären ist, beherrscht. Dasselbe gilt von der nach Solger abgebildeten Pigmentzelle eines Hechtes, Fie. 35 auf 5.48. Diese lehrt, dass keiner der beiden Kerne, sondern dass der Polkörper dem Formenaufbau der Zelle zu Grunde liegt. Auf Seite 149 finden wir unter Fig. 77 eine schematische Darstellung eines Kerns mit dem Polfelde nach Flemming. Hier sehen wir die Chromosomen weit abseits von der Spindel der beiden Polkörperchen gelegen. Fig. 78 auf derselben Seite führt den Kern einer Samen- mutterzelle von Salamandra macılata in Vorbereitung zur Teilung vor. Wir sehen hier die Anlage der Spindel zwischen den beiden Polkörpern und weit ab davon in unregelmäßiger Anordnung die Chromosomen. Die schematische Darstellung der Kernteilung nach Flemming, die wir auf S. 150 u. 151 sehen, und die ohne Zweifel den thatsächlichen Vorgängen entspricht, machen auf den Unbefangenen nicht den Ein- druck, dass die Chromosomen es sind, welche die Anordnung der Zellen im Körper bestimmen, und ebensowenig geht solches aus Fig. 91 auf S. 157 hervor, welche die Kernfigur eines Bies von Strongylocentrotus eine Stunde und zwanzig Minuten nach der Befruchtung darstellt. Auch die recht unregelmäßig angeordneten Chromosomen in den Fig. E u. D auf 8.159, die nach Strasburger Teilungsphasen der Zellkerne von Fritillaria imperialis darstellten, erwecken nicht den Eindruck, dass die Chromosomen eine große Rolle in der Formgestaltung des Organismus spielen; ebensowenig thut dies die Figur f auf Seite 160, die ein Teilstadium der Pollenmutterzelle von Fritillaria persica wieder- gibt. Fig. A auf 8. 163 zeigt uns ein in Umbildung zur Spindel be- griffenes Keimbläschen aus einem frisch abgelegten Ei von Phyllirhoe, aus welchen wiederum hervorgeht, dass bei der Teilung der Zellen, von welcher ja die Anordnung der Zellen im Gesamtorganismus ab- Haacke, Träger der Vererbung. 599 hängt, das Centrosoma die Weisungen gibt, und wer das Schema der Teilung des Froscheies, das Hertwig auf 8. 182 gegeben hat, unbe- fangen betrachtet, wobei er überzeugt sein darf, dass dieses Schema der Wirklichkeit entsprieht, der wird nicht sehr geneigt sein, den Chromosomen eine allzu große Rolle zuzusprechen, ebensowenig wie der, welcher auf S. 191 die Fig. VI, die ein Stadium aus der Bildung der Polzellen bei Ascaris megalocephala schematisch aber jedenfalls richtig darstellt, betrachtet. Fig. A auf 5. 193 ist ebensosehr wie die vorhergenannten geeignet, den Glauben an die Omnipotenz der Chromo- somen inbezug auf den Formenaufbau des Organismus zu erschüttern, und noch mehr gilt dies von den Fig. B u. C auf 5.194 nnd Fig. 130 n. 131 auf S. 195, sowie von Fig. 134 auf S. 197 und Fie. 135 auf 5.198. Auch Fig. 145 auf S. 211, die ein Ei des Embryosackes von Lilium martagon mit seinem in Teilung begriffenen Kern vorstellt, wird dem Unbefangenen ohne weiteres zeigen, dass die Formengestal- tung von den Polkörpern und nieht von den Chromosomen ausgeht. Wir brauchen alle die genannten Figuren nur mit unseren leib- haftigen Augen anzusehen, um uns davon zu überzeugen, dass es lediglich das Polkörperchen ist, welches den Formenaufbau des Orga- nismus beherrscht. Gegenüber dieser Sachlage nimmt sich Weis- mann’s Vergleich des Polkörpers mit einem Pferde recht eigentümlich aus: „Wenn ich aber“, sagt Weismann auf S. 40 vom „Keimplasma“, „zwei entfernte Haufen Getreide auf zwei Wagen lade, vor jeden Wagen ein Pferd spanne und sie zusammen auf einen Platz führen lasse, liegt darin ein Beweis, dass die Pferde auch Getreide sind? Sie sind Bewegungsmittel, und so sind es auch die Centrosomen; ob diese letzteren zugleich auch noch etwas anderes, also Vererbungs- substanz sind, wäre erst noch zu beweisen, und ist wohl kaum un- wahrscheinlicher, als dass die Pferde zugleich Korn seien“. Aus diesem Vergleich geht doch wohl weiter nichts hervor, als dass die Centro- somen eben keine Chromosomen sind, dass aber dennoch die Centro- somen bei der Verteilung der Zellen, also im Formenaufbau des Organismus die Hauptrolle spielen, denn einem Haufen Getreide wird man kaum zutrauen, dass er dieselbe Thätigkeit entfaltet wie ein Pferd. Wie, wenn Weismann’s Getreide Hafer wäre, mit welchen die Pferde gefüttert werden sollen? Weismann’s Vergleich ist doch in der That wenig geeignet, irgend etwas klarer zu machen. Die Polkörper sind nach Weismann dazu da, genaueste Ver- teilung der Vererbungssubstanz zu bewirken. Die Thatsachen lehren aber, dass sie das gar nicht thun, dass es also auf genaue Verteilung der chromatischen Substanz gar nicht ankommt. Bei vielen Tiereiern entspricht die erste Furchungsebene der späteren Medianebene des Körpers, bei vielen andern nicht. Wie stimmt dieses wechselnde Ver- halten zu der Anschauung, dass die Centrosomen eine genaue Ver- ‚teilung der Vererbungssubstanz bewirken, und wie stimmt dazu die AIL. 54 550 Haacke, Träger der Vererbung. Thatsache, dass bei der Reduktionsteilung der Zellen die Hälfte der Chromosomen aus der Zelle entfernt werden, während sie bei der Aequationsteilung halbiert werden? Wie stimmt die „erbungleiche“ Zellteilung, die nach Weismann für die meisten Zellteilungen die Regel ist, mit der „erbgleichen“ Zellteilung bei der ersten Teilung des Froscheies und anderer Tiereier? Aus diesem sehr wechselnden Ver- halten der Centrosomen inbezug auf die Chromosomen geht doch wohl hervor, dass die Verteilung der Kernsubstanz keineswegs durch sie geregelt wird, und überdies teilen sich ja die Chromosomen unabhängig von den Centrosomen. Man wird mir vielleicht entgegnen, dass das, was ich angeführt habe, nieht sehr zu Gunsten der Weismann’schen Anschauung spricht, dass aber Boveri’s Experimente beweisen, dass der Kern der Träger der Vererbung ist. Boveri hat bekanntlich Seeigeleier, die ihres Kernes beraubt waren, mit dem Sperma einer fremden Art befruchtet und daraus Larven dieser letzteren erhalten. Allein mit den Kernen hat Boveri sicher auch die Polkörper entfernt, oder hat er etwa den Nachweis geführt, dass diese in den ihres Kernes beraubten Eiern zurückgeblieben waren? Soviel ich weiss, ist dieser Nachweis nicht geführt worden. Boveri’s Versuche beweisen also nicht das aller- geringste inbezug auf die Bedeutung der Chromosomen oder der Pol- körper für die Vererbung der spezifischen Eigenschaften. Dagegen glaube ich aus meinen Untersuchungen über die Vererbung persön- licher Eigenschaften bei Mäusen den Schluss ziehen zu dürfen, dass ° es sich im Zellleben um eme Symbiose zwischen den Chromosomen eimerseits und dem Polkörper nebst dem extranukleären Plasma andrer- seits handelt. Demnach würde es eine Vererbung der Eigenschaften des Centrosomas beziehungsweise des dasselbe zusammensetzenden Plasmas, und ebenso eine Vererbung der Eigenschaften der Chromo- somen geben. Zu den letzteren oder, wie wir kurz sagen wollen, dem Kern, kommen bei vielen Zellen noch andere Gebilde, die gleichfalls ihre Eigenschaften von Zelle zu Zelle übertragen, und unter denen ich nur die Chlorophylikörper der Pflanzen nennen will. Alle diese neben dem Polkörper in der Zelle befindlichen Gebilde, der Kern, die Chlorophylikörper und andere, vererben, meiner Ansicht nach, die chemischen Eigenschaften der Organismen. Sie alle sind Organe des Stoffwechsels, sie bedingen aber nicht den Formenaufbau des Körpers, oder doch nur insoweit, als der letztere von den chemischen Eigenschaften des Kerns und anderer Gebilde in der Zelle beeinflusst wird. Was nun im Speziellen meine Versuche an Mäusen anlangt, so habe ich aus ihnen die Ueberzeugung gewonnen, dass der Kern vor allem die Vererbung der Farben bewirkt, dass dagegen das Centro- soma beziehungsweise das Plasma, aus welchem es zusammengesetzt ist, die morphologischen Eigenschaften vererbt. Um den Nach- weis, dass es sich wahrscheinlich so verhält, zu führen, muss ich auf meine Züchtungsversuche etwas näher eingehen. x Ä & Haacke, Träger der Vererbung. 53 Ich habe bei diesen ausgedehnten Experimenten zwei Hauptrassen von Mäusen benutzt, die sich durch ihre Eigenschaften in auffälliger Weise unterscheiden. Die eine Rasse ist die, welcher unsere gewöhnlichen weißen Mäuse und die wilden Hausmäuse angehören, die zweite wird durch die japanischen Tanzmäuse gebildet. Die letzteren unterscheiden sich auf den ersten Blick von den Individuen der ersten Rasse. Sie sind kleiner, haben einen längeren Kopf, und zeichnen sich vor allem durch eigentümliche Bewegungen aus. Diese bestehen darin, dass sie unsicheren Schrittes mit wackelndem Kopfe umherlaufen und von Zeit zu Zeit in eine wirbelnde Kreisbewegung geraten. Diese Eigenschaften sind sicher durch das morphologische Gefüge des Plasmas bedingt, denn alle physiologischen Eigenschaften, sofern sie nicht den Chemis- mus des Lebens betreffen, sondern auf Eigentümlichkeiten des Körper- baues beruhen, müssen durch die Träger der morphologischen Eigen- schaften vererbt werden. Wir wollen nun annehmen, wir paarten eine farbige Tanzmaus mit einer weißen gewöhnlichen Maus, die wir im Gegensatz zu der Tanzmaus als Klettermaus bezeichnen wollen. Aus einer solchen Kreuzung erhalten wir junge, auf deren Eigenschaften ich hier nicht näher eingehen will. Wenn wir aber diese Jungen wieder unter sich weiter züchten, so sehen wir Rückschläge eintreten, und die verschiedenen Möglichkeiten, die dabei verwirklicht werden können, können wir uns a priori auf Grund der Annahme konstruieren, dass die morphologischen Eigentümliehkeiten der Mäuse, zu welchen wir diejenigen rechnen, welche das Tanzen bei den Tanzmäusen bedingen, an den Polkörper und sein Plasma gebunden sind, während die Farbe von dem Kern beziehungsweise von dessen Chromosomen abhängt. Die Keimzellen, darch welche sich die aus der Kreuzung hervor- gegangenen Mäuse fortpflanzen, sind einer Reduktionsteilung unter- worfen. Wir wollen nun annehmen, dass sich hiebei sowohl die ver- schiedenen durch die Kreuzung zusammengebrachten Plasmaarten wie- der trennen, als auch die verschiedenen Kernstoffe wieder sondern. Nennen wir das Plasma der Tanzmäuse ? und seine „farbigen“ Kern- stoffe s, das der Klettermäuse k und seine „weißen“ Kernstofte w, so haben wir in den Kreuzungsmäusen £ u. k miteinander verbunden und ebenso s u. w. Bei der Reduktionsteilung der von diesen Kreuzungs- mäusen erzeugten Keimzellen trennt sich wieder £Zvon k und s von w, d. h. in die eine Teilzelle der einer Reduktionsteilung unterworfenen Keimzelle geht t hinein und in die andere k, in die eine s und in die andere w. Da aber Plasma und Zellkern nur eine Symbiose darstellen, da sie also immerhin eine gewisse Unabhängigkeit von einander be- wahren, so kann bei der Reduktionsteilung beispielsweise in einer Zelle mit dem Plasma i der Kernstoff w zu liegen kommen, der vorher im Plasma k lag. Es sind überhaupt 4 Arten von durch Reduktions- teilung halbierten Keimzellen der Kreuzungsmäuse möglich, nämlich: ts, tw, ks u. kw. Diese 4 Arten von reduzierten Keimzellen können 532 Haacke, Träger der Vererbung. sich sowohl in dem Männchen, wie in dem Weibchen eines Pärchens Kreuzungsmäuse, die miteinander Junge erzeugen, befinden. Es ist nun leicht einzusehen, dass die befruchteten Eizellen, aus welchen diese Jungen hervorgehen, eine der folgenden 16 Kombinationen der Vererbungsstoffe ihrer Eltern enthalten müssen nämlich: Esizs: 5) to, 185 9) ks, is; 13 Ko ts: 2) ts, tw; 6) tw, tw; 10) ks, tw; 14) kw, tw; 3) ts, ks; 7) tw, ks; 11) ks, ks; 15) kw, ks; 4) ts, kw; 8) tw, kw; 12) ks, kw; 16) kw, kw. Wir haben es nämlich dabei mit „Variationen mit Wiederholung aus 4 Elementen zur 2. Klasse“ zu thun. Unter diesen 16 Kombi- nationen gibt 1) farbige Tanzmäuse, die dem einen ihrer Großeltern gleichen, 6) gibt weiße Tanzmäuse, die inbezug auf ihre morpholo- gischen Eigenschaften dem einen und inbezug auf ihre Farbe dem anderen der Großeltern gleichen, 2) gibt zwar Tanzmäuse, die aber inbezug auf ihre Farbe eine Mischung der großelterlichen Charaktere zeigen, und dasselbe gilt von 5). Die übrigen Kombinationen bedeuten zum Teil reine Klettermäuse, und zwar solche, die gleich 16) voll- ständig dem einen der Großeltern gleich sind, und andere, welche die Farbe der Großeltern gemischt zeigen, zum andern Teil Kreuzungs- mäuse, und zwar einerseits solche, welche inbezug auf ihre Färbung dem einen der Großeltern gleichen, und andrerseits solche, welche auch die Farben ihrer Großeltern gemischt zeigen. Wenn wir nun in unserem hypothetischen Falle Mäuse der Kombination 1, also farbige Tanzmäuse, unter sich weiter züchten, so dürfen wir nur wieder farbige Tanzmäuse erhalten; züchten wir Mäuse der Kombination 2 untereinander weiter, so können wir sowohl farbige als auch weiße Mäuse bekommen, während wir bei Mäusen der Kombination 6 immer nur weiße Tanzmäuse erhalten können; in allen diesen Fällen erhalten wir aber nur Tanzmäuse. Es ist ebenso leicht theoretisch zu bestimmen, was wir erhalten, wenn wir Mäuse der übrigen Kombinationen unter- einander weiter züchten, so dass ich wohl nieht näher darauf einzu- gehen brauche. Wir können also theoretisch vorher bestimmen was geschehen wird, und zwar auch dann, wenn wir annehmen, dass bei der Reduktionsteilung der von den Kreuzungsmäusen erzeugten Keim- zellen im Tanzmausplasma sowohl farbige als auch weiße Chromosomen zu liegen kommen. Ob die Anzahl der Chromosomen bei den Mäusen bekannt ist, weiß ich nicht, man würde daraus die möglichen Kombi- nationen aufstellen können. Ich glaube aber nicht, dass es oft vor- kommt, dass verschiedene Chromosomen in ein reduziertes Plasma zu liegen kommen, denn meine Versuche sprechen durchaus dagegen. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass die Keimzellen der Mäuse sich genau so verhalten müssen, wie es in unserem hypothetischen Beispiele Haacke, Träger der Vererbung. 935 der Fall ist. Wenn man als erste Generation farbige Tanzmäuse mit weißen Klettermäusen kreuzt, und die Kreuzungsmäuse mit einander paart, so erhält man in der dritten Generation 1) wieder farbige Tanz- mäuse. 2) Weiße Tanzmäuse 3) Farbige Klettermäuse. 4) Weiße Klettermäuse. 5) Gemischtfarbige Tanzmäuse. 6) Gemischtfarbige Klettermäuse. 7) Farbige Kreuzungsmäuse 5) Weiße Kreuzungs- mäuse. 9) Gemischtfarbige Kreuzungsmäuse. Züchtet man jede Art unter sich weiter, so zeigt es sich, dass alle diese Kombinationen ver- wirklieht sein können. Reinfarbige Tanzmäuse erzeugen immer nur reinfarbige Tanzmäuse, weiße reine Klettermäuse immer nur weiße reine Klettermäuse. Durch entsprechende Zuchtversuche lassen sich auch die Mäuse mit gemischten Charakteren wieder in weiße und farbige Tanzmäuse und in weiße und farbige Klettermäuse zerlegen. In vielen Fällen gelangt man sehr bald wieder zu reinrassigen Tieren, d. h. zu Tieren, die ihre Kigenschaften streng vererben ohne jemals wieder kückschläge zu zeigen. Da das Ergebnis meiner Züchtungsversuche an mehr als 3000 Mäusen im schönsten Einklang mit meiner Ansicht über die Bedeutung der Reduktionsteilung der Keimzellen steht, welehe Apomixis, Entmisch- ung, nicht, wie Weismann will, Mischung, „Amphimixis“ ist, und da sie ebensosehr der Annahme entspricht, dass die morphologischen Eigenschaften an das Plasma, die chemischen, also auch diejenigen, welche die Farbe bedingen, an die Kernstoffe gebunden sind, so darf ich wohl einiges Zutrauen, zu meiner Deutung der verschiedenen Rollen, welche Plasma und Kern bei der Vererbung spielen, hegen. Stände Weismann Vererbungserscheinungen wie den von mir beobachteten, die man nur durch planmäßige Züchtungsversuche auf Grund einer leitenden Idee erhalten, aber nicht aus den Werken Darwin’s und anderer Autoren zusammensuchen kann, nicht so ferne, so würde er seine Determinantenlehre und seme Idologie wohl nicht aufgestellt haben: Meine Versuche widerlegen diese Irrlehren direkt. Um das Entstehen weißer Tanzmäuse zu erklären, müsste Weismann doch annehmen, dass in ihrem Plasma farbige Tanzmauside mit weißen Klettermausiden gemischt sind, dass Determinanten der Tanzmauside diejenigen Zellen bestimmen, welche die Eigentümliehkeiten der Tanz- mäuse bedingen, dass dagegen Determinanten der Klettermauside die weiße Farbe bestimmen. Man sollte aber doch wohl glauben, dass bei den Nachkommen solcher Mäuse auch einmal das Umgekehrte ein- treten könnte, dass bei diesen die Klettermausdeterminanten das Gehirn und Tanzmausdeterminanten die Farbe bestimmen; man müsste also, wenn man die weißen Tanzmäuse der 3. Generation unseres obigen Beispiels unter sich weiter züchtet, auch gelegentlich einmal wieder schwarze Klettermäuse erhalten; das ist aber niemals der Fall. Weismann’s Determinantenlehre und Idologie sind also direkt durch die Erfahrung widerlegt; sie lassen sich in keiner Weise mit den von 534 Haacke, Träger der Vererbung. mir beobachteten Vererbungserscheinungen vereinigen, denen Weis- mann näher getreten sein würde, wenn er, anstatt unglückliche weiße Mäuse und ihre Kinder und Kindeskinder bis ins zwanzigste Glied zu entschwänzen, lieber Züchtungsversuche mit den zahlreichen Rassen der Ziermäuse angestellt hätte. Aus meinen Versuchen geht hervor, dass die Farbe nebensächlich ist. Es gibt Tanzmäuse in allen möglichen Farben und Klettermäuse in allen möglichen Farben, und wenn man die Thatsachen über die Macht, die das Centrosoma über die Zelle ausübt, im Auge behält, machen es meine Versuche weiter im hohen Grade wahrscheinlich, dass die morphologischen Eigenschaften an das Centrosoma bezw. an Plasma, wie es im Centrosoma enthalten ist, gebunden ist. Ich hatte also meine guten Gründe dafür, als ich in meiner „Schöpfung der Tierwelt“ sagte, dass Erfahrungen es wahrscheinlich gemacht hätten, dass der hauptsächlichste Träger der Vererbung das Plasma sei; aber diese „Versicherung“, wie sie Herr v. Wagner zu nennen beliebt, gründete ich nicht sowohl auf meine noch nieht veröffentlichten Ver- suche, sondern auf das, was wir über die Thätigkeit des Centrosoma wissen. Ich sagte im Anschluss an meine oben zitierten Worte („Sehöpfung der Tierwelt“ S. 57): „Zu gewissen Zeiten, insbesondere wenn die Zelle ruht oder in Teilung begriffen ist, ordnet sich das Plasma um den Polkörper strahlenförmig an, so dass es offenbar wird, dass von letzteren anziehende Kräfte ausgehen, die dem Plasma diese Anordnung geben. Dadurch, dass zwischen dem Plasma sich noch andere Gebilde befinden, die nicht zu Plasma verarbeitet sind und sich durch andere Färbung auszeichnen, werden die Plasmastrahlungen unter dem Mikroskop sichtbar, wie es die oben wiedergegebene Farb- stoffzelle eines Hechtes, die zwei Kerne besitzt, in schöner Weise zeigt. Nicht einer der beiden Kerne, sondern der zwischen ihnen liegende Polkörper erweist sich als der organische Mittelpunkt der Zelle“. Ich habe dann des weiteren gezeigt, dass sich der morphologische Aufbau des Körpers und die Vererbung erworbener Eigenschaften begreifen lassen, wenn wir uns die Elemente des Plasmas im bestimmter Weise aus gleichen Urelementen, die ich Gemmen nenne, aufgebaut denken, und ich glaube allerdings, dass für jeden Unbefangenen das, was ich in meiner „Schöpfung der Tierwelt“ gesagt habe, geeignet ist, den Weismannismus unmöglich zu machen. Meine „Schöpfung der Tier- welt“ ist eben für Unparteiische bestimmt, und ich mochte meinen Lesern eine Vertiefung in die Mysterien des Weismannismus nicht zu- muten. Für Weismann, das Haupt des Neupraeformismus, und seinen Referenten Herrn v. Wagner wird noch vor Ausgabe des Schlussheftes meiner „Schöpfung der Tierwelt“ ein anderes Werk er- scheinen, das, wie ich hoffe, dazu bestimmt sein wird, den Weis- mannismus auch in den Köpfen derjenigen von Grund aus zu ver- nichten, welchen meine „Schöpfung der Tierwelt“ in zu gemeinver- ständlicher Weise geschrieben ist. 4 F} hd , Y Haacke, Träger der Vererbung. 39 or Ich glaube aber, dassich mich bis zu einem gewissen Grade mitO. Hert- wig verständigen werde, denn er rechnet den Polkörper zu den Kern- substanzen, während ich ihn als Teil des Zellleibes betrachte. Hertwig macht keinen scharfen Unterschied zwischen Polkörper und Chromo- somen, wie ich es thue; er sagt vielmehr auf Seite 277 seines Zelien- werks: „Wie sich hierbei“ (nämlich bei der Uebertragung der erblichen Eigenschaften) „Nuklein und Polsubstanz zum Problem des Idioplasma verhalten, entzieht sich wohl zur Zeit einer Beantwortung“. Hertwig lässt also die Frage, ob im Nuklein oder in der Polsubstanz oder in beiden das die Gestaltung bewirkende Plasma, das Idioplasma enthalten ist, völlig in der Schwebe, und ich muss deshalb gestehen, dass ich nicht begreife, wie Herr v. Wagner dazu kommt, meine Anschauung derjenigen Hertwig’s gegenüberzustellen, da Heriwi & sich für keine bestimmte Ansicht entschieden hat. Um den Nachweis zu führen, dass Hertwig’s Anschauungen und die meinigen nicht in jeder Beziehung unvereinbar sind, will ich eine Reihe von Hertwig’s Ausführungen besprechen. Hertwig sagt S. 271, dass die neuen Vererbungslehren sich da- durch von den alten unterscheiden, „dass sie sich auf einem reichen und wohl gesicherten Schatz zum Teil fundamentaler Thatsachen auf- bauen“. Ich muss dazu bemerken, dass dieser reiche und wohlge- sicherte Schatz von zum Teil fundamentalen Thatsachen, soweit die Vererbung der Gestalt in Betracht kommt, nur die Eigenschaften des Centrosoma betrifft. Dass dieses den morphologischen Aufbau des Organismus beherrscht, sehen wir direkt unter dem Mikroskop; von der Art und Weise, a welche die Eigenschaften des Organismus durch die Chromosomen beherrscht werden, wissen wir thatsächlich nur, dass sie beim Stoffwechsel eine große Rolle spielen. Hertwig sagt ferner (8. 275): „Es wird Sache der zukünftigen Forschung sein, durch Beobachtung und Experiment Beweismaterial für die Richtigkeit der einzelnen Annahmen herbeizuschaffen und da- durch das Gedankengebäude mit sinnlich wahrnehmbaren und daher der Beobachtung und dem Experiment zugänglichen Verhältnissen in Beziehung zu setzen“. Ich wiederhole, dass wir bis jetzt die sinnlich wahrnehmbaren und der Beobachtung zugänglichen gestaltenden Eigenschaften des Centrosomas nur mit dem morphologischen Aufbau, die sinnlich wahrnehmbare Beeinflussung des Plasmas durch den Kern nur mit dem Stoffwechsel des Organismus in Beziehung setzen können. Auf 8. 276 finden wir folgenden Satz O. Hertwig’s: „Wer über- haupt die logische Berechtigung für die Annahme eines besonderen Idioplasma zugibt, wird sich dem jetzt genauer zu begründenden Ge- dankengang, dass die Kernsubstanz die Erbmasse sei, nicht entziehen können. Auch hat diese Theorie den nicht zu unterschätzenden Vorzug, der rein logischen Konstruktion von Nägeli, welche als solche der 536 Haacke, Träger der Vererbung. Beobachtung unzugänglieh und daher nicht fortbildungsfäbig, also auf die Dauer unfruchtbar ist, einen realen Inhalt gegeben und sie dadurch in das Bereich der Beobachtung und weiterer wissenschaftlicher Dis- kussion hineingezogen, sie also fruchtbar gemacht zu haben“. Dem gegenüber muss ich noch eimmal betonen, dass meine Anschauung, wonach das Öentrosoma, beziehungsweise sein Plasma, die Gestaltungs- verhältnisse der Zelle beherrscht, allerdings einen realen Inhalt durch die neueren Zellforschungen erhalten hat, dass es sich aber bei den Theorien über die Bedeutung der Chromosomen für die Vererbung morphologischer Eigenschaften bis jetzt lediglich um rein logische und wohl auch mitunter um rein unlogische Konstruktionen handelt. Ich will jetzt Hertwig’s Gesichtspunkte „für die Hypothese, dass der Kern der Träger der erblichen Anlagen ist“ etwas näher daraufhin prüfen, ob die Chromosomen oder das von Hertwig zum Kern ge- rechnete Centrosoma, oder beide mit emiger Sicherheit als „Träger der erblichen“ Gestaltungsverhältnisse der Organismen bezeichnet wer- den können. Auf Seite 277 seines Werkes sagt Hertwig, dass nur die Kern- substanz den Anforderungen, die man an einen Bestandteil der Ei- und Samenzelle als Träger der Vererbung stellen müsse, genüge, und ferner, dass das Studium der Befruchtungserscheinungen im Tier- und Pflanzen- reich hierfür die untrüglichsten Beweise liefere. Allein, gleich darauf fügt Hertwig hinzu, das Wesen des Befruchtungsprozesses bestehe „darin, dass ein vom Samenfaden und ein von der Eizelle abstammender Kern, ein Samenkern und em Eikern, em jeder begleitet von seinen Centralkörperehen!) sich zusammenlegen und zu einem Keimkern verschmelzen“. Das Studium der Befruchtungserscheinungen hat also nur den Nachweis geliefert, dass entweder der Kern, d.h. die Chromosomen, oder die Gentralkörper, oder auch beide Träger der Vererbung sind; aber dafür, dass die Chromosomen des Kerns es allein seien, wie Weismann will, liegen keineswegs untrügliche, aber auch keine trügerischen, sondern überhaupt keine Beweise vor. „Soweit die genaueste Beobachtung zeigt“, fährt Hertwig fort, „liefern Ei- und Samenkern völlig gleichwertige Stoffmengen zur Bil- dung des Keimkerns, und zwar gleich viel Polsubstanz!), die ich den Kernbestandteilen hinzurechne, und gleich viel Nuklein. Die Gleiehwertigkeit der Polsubstanz hat Fol bewiesen“. Wenn also Hertwig aus den Thatsachen der Befruchtungslehre den Schluss zieht: „da bei der Befruchtung der Kernsubstanzen (Nuklein und Pol- substanz) die einzigen an Masse äquivalenten Stoffe sind, die sich zu einer neuen Anlage, dem Keimkern, vereinigen, so können sie auch allein die von den Eltern auf das Kind iibertragenen Erbmassen sein“, so müssen wir betonen, dass dieser wichtige Schluss nichts darüber 1) Der gesperrte Druck ist von mir. H. a Ta By (do) { Haacke, Träger der Vererbung. aussagt, inwieweit das Nuklein und inwiefern die Polsubstanz an der Vererbung beteiligt sind, und ich möchte Herrn v. Wagner darauf aufmerksam machen, dass auch Hertwig darüber kemen Zweifel ge- lassen hat: „Wie sich hierbei Nuklein und Polsubstanz zum Problem des Idioplasma verhalten, entzieht sich wohl zur Zeit einer Beant- wortung“. Wenn also Hertwig unter Idioplasma denjenigen Stoff versteht, welcher der Träger der morphologischen Eigentümlich- keiten ist, so nimmt er keineswegs die Chromosomen allein, oder auch nur vorwiegend als Träger der Vererbung morphologischer Eigen- schaften in Anspruch. Ich wende mich jetzt dem zu, was Hertwig über „die gleich- wertige Verteilung der sich vermehrenden Erbmassen auf die aus dem befruchteten Ei hervorgehenden Zellen“ zu Gunsten der Anschauung, dass der Kern der Träger der Vererbung ist, vorbringt. „Die Botaniker“, sagt Hertwig auf S. 278, „hängen zum größten Teil der Lehre an, die kürzlich noch de Vries gegen Weismann verteidigt und in den Satz zusammengefasst hat, dass alle, oder doch weitaus die meisten Zellen des Pflanzenkörpers die sämtlichen erb- lichen Eigenschaften der Art im latenten Zustande enthalten. Das- selbe lässt sich auf Grund von Thatsachen von niedrigen tierischen Organismen sagen. Für höhere Tiere kann man den Beweis aller- dings nicht führen; deswegen ist man aber nicht zu der Folgerung gezwungen, dass die Zellen der höheren und niederen Organismen insofern verschieden wären, als die letzteren alle Eigenschaften der Art im latenten Zustand, also die Gesamtheit der Erbmasse, die ersteren dagegen nur noch Teile von ihr enthielten. Denn ebenso nahe liegt der Schluss, dass bei den höheren Tieren das Unvermögen der meisten Zellen, latente Eigenschaften zu entfalten, an den äußeren Bedingungen liegt, z. B. an der zu großen Differenzierung des Zellkörpers, in welche die Erbmasse eingeschlossen ist, und an anderen derartigen Verhältnissen“. Ich sollte eher meinen, dass die Körperzellen der höheren Tiere sich deshalb nicht mehr zu vollkommenen Organismen zu entwickeln vermögen, weil die Erbmasse selbst, nämlich das Plasma, das Centrosoma, das ich als Träger der morphologischen Eigentüm- liehkeiten betrachte, zu stark verändert worden ist, denn es ist nicht einzusehen, weshalb der Kern, beziehungsweise dessen Chromosomen, wenn sie allein Träger der Vererbung wären, nicht auch das sie um- hüllende Plasma einer Nerven- oder einer Muskelzelle als Nahrung benutzen könnten, um sich weiter zu entwickeln, und zu dieser An- schauung stimmt der Ausspruch Johannes Müller’s, den Hertwig zitiert: „Wie kommt es, dass gewisse Zellen der organischen Körper, den andern und der ersten Keimzelle gleich, doch nichts erzeugen können, als ihres Gleichen, d. h. Zellen, aber keineswegs der Keim zu einem ganzen Organismus werden können? wie die Hornzellen zwar neben sich durch Aneignung der Materie neue Hornzellen, die Knorpel- 558 Haacke, Träger der Vererbung. zellen neue Knorpelzellen fin sich bilden, aber keine Embryonen oder Knospen werden können? Dieses kann davon abhängen, dass diese Zellen, wenngleich die Kraft zur Bildung des Ganzen enthaltend, doch durch eine spezielle Metamorphose ihrer Substanz!) in Horn und dergleichen eine solche Hemmung erfahren haben, dass sie sowohl bald ihre Keimkraft am Stammorganismus verlieren und tot geworden sich abschuppen, als auch vom Stamme des Ganzen getrennt, nicht wieder Ganzes werden können“. Ich kann also, inbezug auf die Ver- erbung morphologischer Eigenschaften dem Satze Hertwig’s: „Wenn wir von diesem zweiten Gesichtspunkte aus die Lebensprozesse der Zellen überblicken, so kann es wohl kemem Zweifel unterliegen, dass von allen uns bekannten Zellteilen die Kernsubstanz allein alle geltend gemachten Bedingungen und zwar im vollem Maße genügt“, nur be- dingungsweise beipflichten, denn wir haben, auch wenn wir mit Hertwig das Uentrosoma zum Kern zählen, im Kern eben zwei Sub- stanzen, nämlich die des Polkörpers und die der Chromosomen. Der Polkörper ist der organische Mittelpunkt des Zellleibes, und dieser letztere kann in verschiedenen Zellen sehr verschieden beschaffen sein. Dagegen sagt Hertwig über den Kern das Folgende, das, wie wir hervorheben müssen, doch schließlich nur von dem Chromatin gilt: „In allen Elementarteilen bei Pflanzen und Tieren zeichnet sich der Kern durch eine überraschende Gleichförmigkeit aus: Wenn wir von einzelnen Ausnahmen absehen, die eine besondere Erklärung erheischen, erscheint uns der Kern in allen Elementarteilen desselben Organismus immer nahezu in derselben Form und Größe, während das Protoplasma an Masse außerordentlichem Wechsel unterworfen ist. In einer Endothel- zelle, einem Muskel- oder Sehnenkörperchen, ist der Kern nahezu ebenso beschaffen und ebenso substanzreich, wie in einer Epidermis-, einer Leber- oder Knorpelzelle, während in dem ersten Falle das Protoplasma nur noch in Spuren nachweisbar, im letzteren reichlicher vorhanden ist“. Es ist mir nieht klar, wie etwa ein Anhänger des Weismannismus dieses Verhalten des Chromatins zur Begründung der Lehre verwerten könnte, dass die Chromosomen allein Träger der Vererbung seien; wenn sie es wären, so müssten die Kerne sehr ver- schieden sen, denn nach Weismann’s Anschauung wandern die Biophoren in das umgebende Zellplasma aus um diesem ihre spezifische Natur aufzuprägen. Was das Plasma also an Differenzierung gewinnt, verliert der Kern, und die Kerne müssten deshalb ebenso verschieden sein, wie die Zellleiber; wenn sie es aber nicht sind, so folgt daraus, dass sie eben nichts zu thun haben mit den an das Protoplasma ge- bundenen erblichen Eigentümliehkeiten. Ich kann demnach Hertwig wohl beistimmen, wenn er die komplizierten Erscheinungen des Kern- teilungsprozesses als wichtig für die Beurteilung der Frage, an welche 1) Der gesperrte Druck ist von mir. M. Haacke, Träger der Vererbung. 539 Träger die Vererbung gebunden ist, erklärt, da diese verwickelten Vorgänge ja durch die Polkörper beherrscht werden; ich kann ihm aber nicht beistimmen, wenn er mit Roux „die Kernteilungsfiguren als Mechanismen bezeichnet, welche es ermöglichen, den Kern nicht blos seiner Masse, sondern auch der Masse und Beschaffenheit seiner einzelnen Qualitäten nach zu teilen“. Wo sind denn die Beweise da- für, dass die Zellteilung die Kernmasse in ihre Qualitäten zerlegt? Hat doch wenige Zeilen vor diesem Roux’schen Satz Hertwig selbst hervorgehoben, dass sich der Kern in allen möglichen Zellen durch eine überraschende Gleichförmigkeit auszeichnet! Der Kern kann also, wenn er überall gleich sem soll, gar nicht m seine Qualitäten zerlegt sein. Wie solite er es dann auch fertig bringen, den ganzen Organis- mus zu reproduzieren, wie es doch bei vielen Pflanzen und niedrigen Tieren häufig geschieht? Wenn ich aus einem Haufen Obst, der aus Aepfeln, Birnen, Pflaumen, Nüssen und andern Früchten bunt gemischt ist, die einzelnen Sorten herauslese, also diesen Haufen „seinen ein- zelnen Qualitäten nach teile“, so sehen die Haufen, die ich erhalte, sehr verschieden untereinander und von den gemischten Haufen aus. Beobachten wir bei den Kernen verschiedener Zellen auch nur an- nähernd ähnliches? Und selbst wenn wir es thäten, so würde damit keineswegs bewiesen sein, dass die Vererbung allein an die Zellkerne, d. h. an ihre Chromosomen gebunden ist, denn in allen Zellen steht, wie Verworn und andere gezeigt haben, der Kern im lebhaftesten Stoffwechsel mit dem umgebenden Plasma. Die Schlüsse, die Hertwig aus der gleichwertigen Verteilung der sich vermehrenden Erbmassen zieht, dürfen nach alledem von Weismann und seinen Anhängern nicht dazu benutzt werden, den Beweis zu führen, dass die Vererbung allein an die „Ide“ gebunden ist. Ebensowenig wird Herr v. Wagner zum Beweis seines oben zitierten Satzes das benutzen können, was Hertwig über „die Ver- hütung der Summierung der Erbmassen“ sagt. „Als ein sehr wichtiges Moment in der Beweisführung“, nämlich dafür, dass der Kern der Träger der Vererbung ist, betrachtet Hertwig „die Verhütung der Summierung der Erbmassen bei der geschlecht- lichen Zeugung“. Ich kann diesem Satz nur insofern beipflichten, als die einschlägigen Thatsachen beweisen, dass die Vererbung gebunden sein muss entweder an die Chromosomen, oder an den Polkörper, oder an beide, und es scheint mir, dass die Reduktionsteilung beweist, dass die Vererbung sowohl an die Chromosomen als auch an den Pol- körper gebunden ist, dass sie aber nichts darüber aussagt, welches von beiden der hauptsächlichste Träger der Vererbung, der Träger der Vererbung morphologischer Eigenschaften sei. Ganz dasselbe eilt von der vierten Gruppe der Hertwig’schen Beweise und insbesonders von den Hertwig’schen Sätzen (8. 285): „Die Isotropie des Eies widerlegt das Prinzip der organbildenden Keim- 540 Haacke, Träger der Vererbung. bezirke. Sie ist zugleich ein weiterer Beweis für die Ansicht, dass das Idioplasma nicht im Protoplasma sondern im Kern zu suchen ist“. Hertwig weiß ja nieht zu sagen, wie sich das Problem des Idio- plasma zu der Frage verhält, inwieweit das Nuklein, inwiefern die Polsubstauz als Träger der Vererbung zu bezeichnen sind. Hertwig meint, dass die Isotropie des Kies uns gestatte „einige Schlüsse über den Aufbau des Protoplasma und der Kernsubstanz zu ziehen“. Er sagt, dass auf eine stabilere Anordnung der Kernsubstanz die Kom- pliziertheit der ganzen Kernsegmentierung hinweise. Allein über die Teilungsvorgänge im Innern der Weismann’schen Ide wissen wir niehts; dagegen kennen wir sehr gut den mächtigen Einfluss, den der Polkörper auf die Anordnung des Plasma der Zeile und auf die der Chromosomen ausübt. Wenn wir also irgend welche Schlüsse aus der Kompliziertheit der Kernsegmentierung ziehen wollen, wenn wir für irgend etwas eine stabilere Anordnung annehmen wollen, so müssen wir es vor allem für den Polkörper thun, und ihn als den hauptsäch- liehsten Träger der Vererbung bezeichnen. Daneben gibt es allerdings, um einen Ausdruck von de Vries im unserer Weise zu verwerten, eine Erblichkeit außerhalb des Polkörpers. Diese ist an die Chromosomen gebunden, außerdem aber noch an manche andere Zell- einschlüsse, beispielsweise an die Chlorophylikörper der Pflanzen. Alles in allem genommen gelangen wir zu dem Resultat, dass Herr v. Wagner Hertwig’s Ansicht und die meinige mit nur ge- ringem Recht einander gegenübergestellt hat, dass, um Herrn v. Wagner’s Worte zu gebrauchen, seine „Darstellung den thatsäch- lichen Verhältnissen doch wohl nieht entsprechend erachtet werden“ kann, und ieh darf wohl hoffen, dass das, was ich in meiner „Schöpfung der Tierwelt“ gesagt habe, oder wenigstens das, was ich über die Erklärung der Vererbungserscheinungen in meinem anderen Werke vor- bringen werde, aufmerksamer gelesen wird, als Herr v. Wagner meine „Sehöpfung der Tierwelt“ gelesen hat. Ich habe allerdings wenig Hoffnung, dass Weismann selbst darauf irgend welche Rücksicht nehmen wird, denn er hat den von mir schon im Jahre 1888 in aller Form geführten Nachweis, dass seine Ahnenplasmentheorie unhaltbar ist!), meines Wissens, geflissentlich ignoriert. Herr v. Wagner lobt allerdngs Weismann’s Bescheidenheit, und er zitiert das Göthe’sche Motto „Naturgeheimnis werde nach- gestammelt“, das Weismann, um wiederum Herrn v. Wagner’s Worte zu gebrauchen, „seinem Werke an die Stirne geschrieben hat“. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, dass Weismann’s Bescheiden- heit gelobt wird; im Gegenteil, ich glaube Weismann ist zu be scheiden gewesen, indem er seinem Werke über „Das Keimplasma* das zitierte Motto gab. Nicht „nachgestammelt“ hat Weismann das 1) Vergl. „Biol. Centralbl.“, 1888, Bd. VIIL, Nr. 9 u. Nr. 11. Haacke, Träger der Vererbung. 541 Geheimnis der Vererbung, sondern das von Weismann verfasste Vererbungsdrama, dessen Handlung so bis ins einzelne hinein wohl erwogen ist, das uns von Anfang bis zu Ende durch die Schilderung der erstaunlichen Leistungen der Ide und Idanten, Biophoren und Determinanten in Spannung hält, ist in seiner Weise ein Kunstwerk ersten Ranges. Aber leider legt sein Verfasser, der die luftigsten Höhen der Phantasienwelt erklommen hat, gleichzeitig seinen Werke auch die Bedeutung einer wissenschaftlichen Abhandlung bei. Hätte er es nur als Kunstwerk bezeichnet, so würde unser Beifall ein unbedingter und rückhaltloser sein. Auf alle Fälle dürfen wir, wenn auch nicht hoffen, so doch be- anspruchen, dass Weismann gelegentlich der wohl sehr bald zu er- wartenden Veröffentlichung seiner neuesten Vererbungstheorie alles das, was geringere Leute in Vererbungsfragen vorgebracht haben, be- rücksichtigt, namentlich dann, wenn es seinen Theorien verderb- lieh wird. Wir können uns eben nicht damit begnügen, dass Weis- mann seine Theorien stillschweigend fallen lässt, und dann gelegentlich in einer kleinen enggedruckten Anmerkung, wie er es inbezug auf die Einwürfe Hartog’s auf Seite 571 seines 616 Textseiten zählenden Buches gethan hat, sagt, dass die auf Weismann’s früheren An- sichten logisch konsequent aufgebauten Deduktionen hinfällig würden, weil Weismann „selbst inzwischen zu besserer Einsicht gelangt“ sei. Die Ansichten eines Forschers können richtig oder falsch sem. Sind sie falsch, so haben andere Forscher das Recht und die Pflicht, sie als falsche nachzuweisen, auch auf die Gefahr hin, dass dieser Nach- weis sieh später als „hinfällig“ im Weismann’schen Sinne er- weisen sollte, dass nämlich der betreffende Forscher, ohne sich etwas merken zu lassen, „selbst inzwischen zu besserer Einsicht gelangt“ sein sollte. Sind sie aber richtig, so hat die Wissenschaft das Recht und die Pflicht, sie zu verteidigen, wie es die Biologie heute mit früheren richtigen Ansichten von Weismann thun muss. Denn dadurch, dass Weismann, wie er offenbar meint, „selbst inzwischen zu besserer Einsicht gelangt“ ist, sind diese seine früheren richtigen Ansichten keineswegs „hinfällig“ geworden. Von Herzen gern unterschreibe ich aber Weismann’s Ausspruch: „Auch der Irrtum, wofern er nur auf richtigen Schlüssen beruht, muss zur Wahrheit führen“. Ich werde zeigen, dass Weismann’s auf falschen Prämissen aufgebauter Irrtum mittels richtiger Schlüsse zu der übrigens schon lange feststehenden Wahrheit führt, dass Epigenesis und nicht Präformation oder „Evolution“ die Losung der organischen Entwicklung ist. Herrn v. Wagner habe ich aber noch zu entgegnen, dass „diejenigen Forscher, welche jeden ursächlichen Zusammenhang von Ontogenie und Phylogenie glauben in Abrede stellen zu sollen“, keineswegs „die Vererbungslehre Weis- mann’s a limine ablehnen müssen“. Im Gegenteil! Nichts verträgt sich besser, als Weismann’s Idologie und Determinantenlehre mit 542 Castracane, Fortpflanzung der Diatomeen. der Ansicht, dass zwischen Ontogenie und Phylogenie kein Zusammen- hang besteht, dass die Tierarten selbständige und unabhängige Schöpf- ungen sind. Ich werde in der That in meinem voraussichtlich im September d. Js. im Verlage von T. ©. Weigel Nachfolger in Leipzig erscheinenden Werke „Gestaltung und Vererbung“ den Nachweis führen, dass Weismann’s Vererbungslehre, wenn man sie mit derjenigen Konsequenz zu Ende führt, die Weismann in so hohem Grade aus- zeichnet, die ihn aber immer verlässt, sobald es sich um das Ziehen des Endergebnisses handelt, gebieterisch eine Rückkehr zur alten Ein- schachtelungstheorie fordert, die wir thörichterweise durch Caspar Friedrich Wolff’s epochemachendes Auftreten endgiltig beseitigt glaubten. Darmstadt, den 2. Juli 1393. Ab. Francesco Castracane, La Riproduzione delle Diatomee '). Unter diesem Titel fasst der Verf. die Beobachtungen zusammen, die er in 24jähriger Thätigkeit gesammelt hat. Er beschwert sich wohl nicht mit Unrecht darüber, dass die Systematik noch immer fast allein das Ziel der Diatomeenstudien bilde. Infolge dessen ist die Klassifikation, die sich fast ausschließlich auf morphologische Merkmale stützt, künstlich geblieben. Pfitzer ist der Einzige, der der Biologie Rechnung trug und auch das Endochrom in Betracht zog. Nun ist dieses aber nicht geeignet, der Klassifi- kation zu dienen, wenigstens bis jetzt, da man von seinen Gestalts- veränderungen durch die Sporulation nichts wusste. Dieselbe Diatomee kann einmal plaecochromatisch und ein anderes Mal coceochromatisch sein. Sie wird eben coccochromatisch, wenn sie sich zur Sporulation anschickt. Die Sporulationsform beobachtete der Verf. zuerst an Stria- tella unipunctata, deren Namen sich auf die Anordnung des Endo- chroms in eine einzige centrale Masse bezieht. Unter vielen Exem- plaren mit typischer Anordnung desselben waren auch zahlreiche, deren Endochrom in spindelförmige Körperchen zerfallen war, die sich zu einer regelmäßigen Sternfigur gruppiert hatten. Von den Kör- perchen gingen feine Fäden zur Peripherie der Zelle. Dieselbe An- ordnung des Endochroms beobachtete der Verf. später an Melosira vorians und hier gelang es ihm das Vorhandensein eines Kerns in jedem Körperchen festzustellen. Schon in diesem Stadium besitzen die Sporen kieselhaltige Wände. Dies stellte der Verf. an fossilen Diatomeen fest. Nachdem er die Diatomeen durch Einwirkung kochender Schwefelsäure u. s. w. von allen organischen Resten befreit hatte, fand er runde Formen in der 1) Memorie della Pontifieia Accademia dei nuovi Lincei 1892. er. “ + , £ T h X Castracane, Fortpflanzung der Diatomeen. 549 Mutterzelle, Coseinodisceus punetulatus. Freie Anhäufungen von runden, außerordentlich kleinen Kieselformen, die in den Präparaten von fos- silen Diatomeen häufig sind, sind sehr wahrscheinlich durch Zer- störung des membranösen Sporangiums freigewordene Sporen. Unter fossilen Diatomeen aus Oamaru (Neuseeland) fand Verf. Fragmente von Pyxilla, die scheibenförmige granulierte Sporen, ohne Zweifel Sporen von Coscinodiscus einschließen. Dass die röhrenförmige Py- xilla scheibenförmige Körperchen enthalten kann, hat Verf. seither so oft beobachtet, dass von einem zufälligen Einschluss eines Fremd- körpers keine Rede sein kann. Er schließt deshalb auf eine Art Ge- nerationswechsel und hält Pyxilla nicht für ein Genus, sondern für die Sporangialform von Coseinodiseus. Das Austreten der Sporen aus der Mutterzelle beobachtete der Verf. an einer Pedosphenia. Da die Körperchen in den ersten Augen- blicken um ihre Axe rotierten, konnte deutlich ein rundes und ein rechteckiges Profil beobachtet werden und so der Verdacht ausge- schlossen werden, dass die Körperchen Parasiten seien, wie bei den ähnlichen Beobachtungen O’Meara’s und Rabenhorst’s seimerzeit vermutet wurde. Entwickelungsstadien bis zur erwachsenen Zelle beobachtete der Verf. unter anderem an Mastogloja. An einer Zostera oceanica haftende gelatinöse Massen enthielten zahllose ovale Cysten, von denen eine jede zwei Mastogloja einschloss. Die größten Uysten enthielten völlig erwachsene Exemplare; die kleineren zwei schiffehen- förmige Zellen und so in Abstufungen bis zu den kleinsten. Diese schlossen zwei längliche grüne Körperchen ein, die in Anbetracht der anderen Stadien als Embryonalformen von Mastogloja gedeutet wer- den müssen. An Süßwasserdiatomeen beobachtete der Verf. ebensolche Oysten, die deutlich erkennbare Schiffehen mit blaugrünem Endoehrom und zwei Oeltröpfehen enthielten. Auf Grund dieser Beobachtungen wendet sich der Verf. gegen die, besonders von Pfitzer ausgearbeitete Theorie, derzufolge die Diatomeen des Wachstums unfähig sind und sich deshalb nur durch Teilung vermehren können. Weshalb gerade die Fähigkeit des Wachstums, die doch allen Organismen zukommt, den Diatomeen abgehen soll, ist wahrscheinlich nur aus historischen Gründen abzuleiten. Diese Hypothese geht Hand in Hand mit der Erkenntnis des Kieselpanzers der Diatomeen und wurde erst längere Zeit nach ihrer Annahme durch Pfitzer anders motiviert. Die Pfitzer’sche Hypothese ist kurzgefasst folgende: die Diatomeen wachsen nicht; sie können sich also allein durch Teilung vermehren. Dadurch bleibt die Tochterzelle kleiner als die Mutter- zelle. Wenn die Individuen durch Teilung bis zum Minimum ihrer Gestalt heruntergekommen sind, konjugieren die kleinsten Formen und produzieren ein bis zwei Auxosporen. In der Auxospore entsteht eine 544 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. Diatomee von Maximalgröße und diese beginnt den Cyklus von vorn. Verschiedene Autoren, auch der Verfasser, haben Fälle beobachtet, in denen eine ganze Diatomeenkette, oder auch einzelne Diatomeen durch Einsehluss eimes Fremdkörpers oder auch eines sehr erweiterten Sporan- giums |Auxospore] ihre normale Form änderten. Das wäre nicht möglich, wenn die eben entstandene Diatomee keiner Gestaltsverän- derung fähig wäre. Der Verf. beobachtete außerdem eine Fragilaria- kette von 72 Individuen, die alle exakt gleicher Größe waren, ein mit der Teilungstheorie unvereinbares Faktum. Die Teilung kann über- haupt nur in den Diatomeen vorsichgehen, deren Schalen architek- tonisch ganz gleich und zu einander symmetrisch sind. So ist sie in Cocconeis und Achnanthes unmöglich und auch in den Diatomeen, die wie Asteromphalos zwar gleiche und symmetrische Schalen haben, aber so, dass die homologen Teile alternieren, oder dass die Schalen wie bei Campylodiscus gekreuzte Axen haben. Diese Ansicht wird indirekt insofern von allen bisherigen Beobachtungen über Teilungs- vorgänge bestätigt, als eine Teilung bei den drei genannten Kate- gorien nie beobachtet wurde. Die Schlüsse des Verfassers sind kurzgefasst folgende: Die Teilung ist nicht der eigentliche Reproduktionsvorgang bei den Diatomeen, sondern wie bei allen Organismen, im denen sie auf- tritt, als eine Erweiterung des individuellen Lebens aufzufassen. Die Teilung ist bei den Diatomeen nicht Regel, sondern Ausnahme. Die Diatomeen pflanzen sich durch Sporen fort, die vom Augen- blick ihrer Entstehung an eine kieselhaltige Hülle haben. In Bezug auf das Wachstum verhalten sich die Diatomeen wie alle andern Organismen: sie wachsen, bis sie erwachsen sind. Margherita Traube-Mengarini (kom). Leuchtorgan und Facettenauge. Ein Beitrag zur Theorie des Sehens in grossen Meerestiefen. Von Carl Chun. Nachdem unsere Kenntnisse über Bau’ und Leistung des Facetten- auges durch eine Reihe gehaltvoller neuerer Untersuchungen — vor Allem durch die meisterhaften Studien Grenacher’s und durch die nicht minder hervorragenden experimentellen Beobachtungen Exner’s — einem gewissen Abschluss entgegengeführt wurden, schien es mir von Interesse, auch die Facettenaugen der Tiefsee-Crustaceen in den Kreis der Betrachtung zu ziehen. In dem feineren Bau des Auges spiegelt sich getreu die biologische Eigenart des Tieres wieder und so ist denn die Erwartung, dass die Facettenaugen der Tiefenbewohner Struktur- verhältnisse aufweisen möchten, welche in der Anpassung an die Existenzbedingungen ihre Erklärung finden, nicht getäuscht worden. - Chun, Leuchtorgan und Facettenange. 545 Aus der Reihe der von mir untersuchten Formen greife ich die „Leuchtkrebse*, wie man neuerdings die Euphausien (eine Ordnung der Schizopoden) nennt, heraus. Ich wähle gerade diese Gruppe, weil sie mir einerseits im zahlreichen wohl konservierten Vertretern zur Verfügung stand, die ich mit dem Schwebnetz aus größeren Tiefen erbeutet hatte, und weil andrerseits die Leuchtkrebse von der Ober- fläche an bis in jene Regionen, in welche kein Lichtstrahl vordringt, einen ungemein charakteristischen Bestandteil des Planktons abgeben. Da nun gewisse Gattungen, wie meine früheren Erfahrungen lehren, die Oberfläche, andere wiederum die dunklen Regionen bevölkern, so gelingt es Schritt für Schritt die Umbildungen zu verfolgen, welche in der Angewöhnung an den Tiefenaufenthalt die Facettenaugen be- trafen. Ich will versuchen — so weit es ohne Zuhilfenahme zahl- reicher Abbildungen möglich ist — die Verhältnisse klar zu legen und verweise bezüglich mancher Ausführungen auf eine demnächst er- scheinende ausführliche Publikation. 1. Die Leuchtorgane. Schon den älteren Beobachtern (Dana, Semper, Kroyer) war es aufgefallen, dass bei den Euphausien außer den Stielaugen eigen- artige Sinnesorgane an den Seitenteilen des Thorax und zwischen den vier vordern Abdominalfußpaaren auftreten. Claus!), welcher diese Gebilde 1503 genauer untersuchte und sie so zutreffend schilderte, dass die späteren Beobachter seiner Beschreibung wenig hinzuzusetzen hatten, war durch den augenähnlichen Bau der in Rede stehenden Sinnes- organe so frappiert, dass er sie geradezu als „accessorische Augen“ bezeichnete und damit emer Auffassung Ausdruck gab, welche bis zu beginn der achziger Jahre im Geltung blieb. Einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis des physiologischen Wertes dieser Sinnesorgane bedeutet die Entdeckung von J. Murray?) und G. O. Sars?), dass die vermeintlichen Augen Leuchtorgane re- präsentieren, welche ein intensives phosphoreszierendes Licht aus- strahlen. Sars vermochte zudem auch den Sitz der Liehtentwicklung genauer festzustellen, imdem er den charakteristischen Streifenkörper im Zentrum der kugligen Organe als Erzeuger der Phosphorescenz nachwies. Es gelang ihm diesen Streifenkörper zu isolieren und eine Liehtentwieklung auch noch nach der Operation zu beobachten. Begreiflich, dass in der trefflichen Bearbeitung der vom Chal- lenger erbeuteten Schizopoden, welche uns mit einer Fülle der interessantesten Formen bekannt macht, sich zahlreiche neue Angaben 1) Ueber einige Schizopoden ete. Messina’s. Zeitschrift f. wiss. Zoologie, Bd. 13 S. 446. 2) Narrative of the Cruise of the Challenger, Vol. I, p. 743. 3) The Voy. of H. M. S. Challenger, Vol. XIII, Report on the Schizo- poda, 1885, p. 70—72. Si: 35 546 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. über die Gruppierung der Leuchtorgane finden. Wir entnehmen den- selben, dass unter den Euphausien die Gattungen Euphausia Dana, Thysanopoda M. Edw., Nyetiphanes Sars, Thysanoessa Brandt und Nematoscelis Sars ni, vier thorakalen (je einem Paare an dem Basal- gliede des zweiten und achten Thorakalfußpaares) und vier zwischen den vordersten Abdominalfußpaaren gelegenen unpaaren Leuchtorganen ausgestattet sind. Von Interesse ist weiterhin die Thatsache, dass der Gattung Dentheuphausia Sars mit ihren rudimentären Augen auch die Leuchtorgane fehlen, während bei der aberrantesten Euphausiengattung, nämlich bei Stylocheiron Sars nur drei Leuchtorgane (ein paariges Organ an der Basis des verkümmerten S. Fußpaares und ein unpaares am ersten Abdommalsegment) vorkommen. Da gerade dieser Gattung Stylocheiron in den folgenden Zeilen noch öfter Erwähnung gethan wird, so hebe ich hervor, dass sie durch die Umbildung des dritten thorakalen Gliedmaßenpaares zu kräftigen in eine Scheerenhand aus- laufende Raubfüße und weiterhin durch die monströse Entwicklung der Fühler ausgezeichnet ist. Wenn schon Sars über „the prodigious length of the antennal flagellum* bei Stylocheiron longicorne erstaunt ist (das übrigens bei den Exemplaren der Challenger -Expedition ver- stümmelt war), so überbieten die von mir!) m den Tiefen des Mittel- meeres und Atlantischen Ozeans erbeuteten neuen Arten St. mastigo- phorum und St. chelifer an übermächtiger Entwicklung der Antennen Alles, was Sars über die Challenger -Schizopoden mitteilt. Offenbar steht die verringerte Zahl der Leuchtorgane bei Stylocheiron in Korre- lation mit der überraschend mächtigen Ausbildung des gesamten Spür- apparates. Noch in anderer Hinsicht bringen die Beobachtungen von Sars einen neuen Aufschluss. Claus (l.e. p. 451) war nämlich bei Jugend- formen der Euphausien auf ein Stäbchenbündel aufmerksam geworden, welches an der Unterseite der Stielaugen gelegen ist und von einem hahmen umgeben wird, in dessen Umkreis orange Pigment auftritt. Ueber die 3edeutung und Natur dieser Bildung vermochte Claus nichts bestimmtes auszusagen. NSars weist nun nach, dass es sich hier wiederum um Leuchtorgane handelt, welche bei allen den oben erwähnten Gattungen (mit ke der elle Bentheuphausia) in annähernd gleicher Ausbildung auftreten. In ihrem feineren Baue weichen sie freilich nicht unwesentlich von den thorakalen und abdominalen Leuchtorganen ab; auch ist das von ihnen ausstrahlende Licht intensiver und stetiger. Im Hinblick auf die positiven Angaben von Murray und Sars und auf die bereits im Jahre 1829 publizierten Beobachtungen von J. V. Thompson, welch’ letzterer zuerst auf die prächtige Phos- phorescenz der Euphausien aufmerksam wurde und geradezu (wenn 1) Die pelagische Tierwelt in größeren Meerestiefen, 1887. Bibl. Zoologica, Heft 1, Taf. IV, Fig. 1 (vergl. auch Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. in Berlin, 1889, XXX, Taf. III Fig. 3 u. 4). Öhun, Leuchtorgan und Facettenauge. 547 er auch den Sitz des Leuchtens nicht in die genannten Sinnesorgane verlegte) den Genusnamen „Noetiluea* für die Gruppe vorschlug, muss es überraschen, dass der einzige Beobachter, welcher mit den Mitteln moderner Technik die Leuchtorgane studierte, nämlich Patten!), in einer phantasievollen Publikation zu der früheren Auffassung zurück- kehrt. Nach Patten handelt es sich um echte Augen, welehe die von Außen eingedrungenen Strahlen auf einem Tapetum, wie es viel- fach für die sogenannten leuchtenden Augen von Dunkeltieren charak- teristiseh ist, reflektieren. Indessen bestätigen bereits in einem Zusatz zu der genannten Publikation Mayer und Giesbrecht die Angaben von Murray und Sars. Ich selbst hatte öfter auf nächtlichen Fängen Gelegenheit, mich von der brillanten Phosphoreseenz der Euphausien- gattungen zu überzeugen und vermochte schon an der Zahl der bei dem Konservieren besonders intensiv glühenden Punkte zu beurteilen, ob ich Vertreter der Gattung Stylocheiron oder der übrigen Euphausien erbeutet hatte. Indem ich nun versuche, eme Skizze vom feineren Bau der Leucht- organe zu geben, wird es sich empfehlen zunächst die einfacher ge- stalteten Organe der Stielaugen in Betracht zu ziehen und dann die komplizierteren thorakalen und abdominalen Organe zu besprechen. Fig. 1. Leuchtorgan des Stiel- auges von Nematoscelis rostrata. Längsschnitt. 1) Eyes of Molluses and Arthropods. Mitteilungen aus der 2001 Station Neapel, Bd. 6, 1886, S. 687. 548 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. a. Die Leuchtorgane der Stielaugen (Fig. 1 u. 2). An der hinteren Außenfläche des Facettenauges (als Außenfläche bezeichne ich die der Medianebene abgewendete, als Innenfläche die ihr zugekehrte Augenpartie), zwischen Augenstiel und der die äußersten Facetten abgrenzenden Pigmentschichte liegt bei den oben erwähnten Euphausiengattungen ein relativ ansehnliches konisches Leuchtorgan. Seine Hauptaxe steht bei Zuphausia annähernd senkrecht zur Längsaxe des Körpers, während sie bei den übrigen Gattungen in einem Winkel von etwa 45° schräg zur Längsaxe gerichtet ist. Das Organ kann eine Länge von 0,2—0,4 mm bei einem Querschnitt von 0,12 —0,2 mm erreichen. Die dem vierteiligen Ganglion opticum zugekehrte und ab- gerundete Innenfläche des Organes wird von einem mächtigen para- bolisch gekrümmten Reflektor (rfl) eingenommen. Er setzt sich aus zwei getrennten Schalenhälften zusammen, welche vom Zentrum nach dem Rande zu kontinuierlich an Dieke abnehmen. Am Pole weichen die Schalenhälften, deren Trennungslinie bei der Aufsicht als feiner Spalt erscheint, etwas auseinander, um eine Oeffnung zu bilden, durch welche der Leuehtnerv (n) eintritt. Feine Lamellen, zwischen welche keinerlei zellige Elemente eingestreut sind, setzen als ein das Licht reflektierendes Tapetum den Reflektor zusammen. Bei dem Abblenden des Mikroskopes lässt sich an Glyzerinpräparaten das schwache Irisieren des heflektors nachweisen. Die Seitenteile des Leuchtorganes werden von einem Systeme konzentrisch geschichteter bandförmiger Lamellen (7) gebildet. Zwischen dieselben drängen sich die das Lamellensystem abscheidenden Zellen (») mit ihren langgestreckten, der Peripherie des Stielauges zugekehrten Kernen ein. Bei Stylocheiron und Nematoscelis finde ich das Lamellen- system an der den Facetten zugekehrten Hälfte (2) mächtiger ent- wickelt, als an der gegenüberliegenden (7°); relativ schwach ist es bei Euphausia ausgebildet. Als äußerste Schichte des Leuchtorganes ist auf dem Tapetum ein zinnoberroter Pigmentmantel (pg) entwickelt. Das Pigment ist ungemein empfindlich, blasst bei lebend beobachteten Tieren ab, sobald sie ermatten, und blieb bei keinem der angewendeten Konservierungs- mittel erhalten. Wohl aber lassen sich deutlich die feinkörnigen polyedrischen Pigmentzellen mit ihren rundlichen Kernen nach der Konservierung nachweisen. Den vom Reflektor und den bandförmigen Lamellen abgegrenzten Innenraum erfüllen zahlreiche von einander deutlich sich abgrenzende Zellen mit kugligen Kernen (ce). Durch Druck platten sie sich polye- drisch ab, was indessen nicht ausschließt, dass sie hie und da mit unregelmäßigen Fortsätzen zwischen ähnlich gestaltete Nachbarzellen eingreifen. Die am Außenrande gelegenen Zellen, besonders aber die im Umkreis der Hauptaxe auftretenden sind lang gestreckt und mit mehr oder minder ovalen Kernen ausgestattet; zudem ist ihr plasına- Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. 54) tischer Inhalt grobkörniger, als das ungemein fein granulierte Plasma der dem Tapetum und dem Leuchtkörper anliegenden Zellen. Ein scharfer Gegensatz zwischen beiden Zellkategorien besteht indessen nicht, da sich mancherlei Zwischenformen nachweisen lassen. Offenbar scheiden die dem Reflektor anliegenden Zellen successive die dünnen Lamellen ab, aus welchen derselbe sich aufbaut, während wir die dem Außenmantel des sogenannten Streifenkörpers anliegenden Zell- partien als Bildnerinnen der Leuchtlamellen auffassen dürfen. Fig.2. Querschnitt durch den Streifenkörper von Euphausia pellueida. Den wesentliehsten und eharakteristisehsten Bestandteil der Leucht- organe gibt jenes zentral gelegene „Stäbehenbündel* (fibrous faseiele) ab, dessen Claus und Sars bereits gedachten. Ich möchte indessen vorschlagen, diesen Ausdruck fallen zu lassen und ihn durch die zu- treffendere Bezeichnung „Streifenkörper“ oder „Leuchtkörper“ zu er- setzen. Auf einem Querschnitt durch diese konische Bildung, welehe nach der Entdeckung von Sars das phosphoreszierende Licht aus- strahlt, ergibt sich nämlich, dass wir es mit einem ungemein zierlich angeordneten System radiär ausstrahlender Lamellen zu thun haben (Fig. 2 str). Sie stoßen im Zentrum nicht zusammen, sondern lassen einen Raum frei, weleher von zylindrisch gestreckten Zellen (ce) erfüllt wird. "Die Lamellen können sich hie und da dichotom gabeln und kürzere Lamellen zwischen sich nehmen. Der beigegebene Holzsehnitt mag besser als eine längere Beschreibung diese überraschend feine Bildung illustrieren. Die einzelnen Streifen sind an dem Rande ge- kerbt nnd stellen bei seitlicher Ansicht (im Längsschnitt) feinstreifige langgezogene Coulissen dar. Am Pole des kegelförmigen Streifen- körpers treten meist kürzere Coulissen auf, deren Streifen stärker konvergieren, als diejenigen der Seitencoulissen. Die kerbenförmigen Einschnitte, welche die Streifung bedingen, können so tief einschneiden, dass thatsächlieh ein Zerfall der Coulissen in einzelne Strahlen herbei- geführt wird: ein Verhalten, welches ich bei Euphausia gracilis ver- wirklicht fand. Der Streifenkörper verhält sich gegen Reagentien ziemlich indifferent; auch tingiert er sich nur sehr schwach mit Farb- stoffen. Am ansehnliehsten ist der Streifenkörper bei Kuphausia ent- wickelt, wo er bei einer Länge von 0,2 mm den Innenraum des Organes 550 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. nahezu ausfüllt; nur halb so groß wird er bei Stylocheiron und Nematoscelıis. Am Pole des Reflektors findet sich eine trichterförmige Oeffnung vor, durch welche der Leuchtnerv (n) eintritt. Claus hat diese be- reits bemerkt und vermutet, dass Blutgefäße durch sie hindurchziehen. Dass es sich indessen um einen Nerven handelt, ergibt nicht nur das histologische Verhalten, sondern auch sein Ursprung aus einem ober- halb des Leuchtorganes gelegenen Haufen von Ganglienzellen. Der Nerv verstreicht geraden Weges bis zum Pole des Streifenkörpers, wo ihm meist einige ovale Nervenkerne anliegen. Bei Stylocheiron und Nematoscelis gabelt er sich in der Nähe des Streifenkörpers und ent- sendet zahlreiche in der Längsrichtung verlaufende Aeste (n’), welche zwischen dem inneren Zellgewebe des Leuchtorganes verstreichen und hie und da durch Anastomosen sieh verbinden. Ihre langgestreekten Nervenkerne heben sich scharf von den Kernen des Zellkörpers ab; außerdem markieren sich an Chromosmiumpräparaten deutlich die etwas gebräunten Fibrillenzüge zwischen den polyedrischen Zellen. Sars hebt ausdrücklich hervor, dass die Leuchtorgane der Stiel- augen im Gegensatz zu jenen des Thorax und Abdomens unbeweglich sind. Ich kann seine Angabe nicht bestätigen, da ich an jungen lebenden Exemplaren der Euphausia gracilis deutliche Drehungen der Leuchtorgane wahrnahm. Sie erfolgen derart, dass die Mündung des Organes schräg zur Längsrichtung des Körpers gestellt wird und dem- gemäß den austretenden Lichtkegel in die Region vor den Mundwerk- zeugen fallen lässt. Thatsächlich ist es mir denn auch geglückt mit aller wünschenswerten Klarheit zahlreiche quergestreifte Muskelfasern nachzuweisen, welche von der hinteren Außenseite des Auges in sich kreuzenden Richtungen an das Leuchtorgan herantreten. Vergebens habe ich sie indessen bei Nematoscelis und Stylocheiron gesucht; hier scheint thatsächlich die freiere Bewegung des Stielauges einen Kompens für die mangelnde Eigenbewegung der Leuchtorgane abzugeben. Die Drehung der letzteren wird übrigens dadurch erleichtert resp. ermöglicht, dass ein Blutsinus (sin) allseitig zwischen ihnen und den umgebenden Geweben ausgebildet ist. Er zeigt lediglich am Außen- "ande des Organes längs der angrenzenden Facetten eine Unterbrechung, weil hier die langgestreckten Matrixzellen (2) der Lamellen kontinnier- lich in das Ektoderim übergehen. Von dem die Außenwandung des Organes begrenzenden Blutsinus (sin.) aus erfolgt bei allen untersuchten Formen eine kapillare Gefäß- verästelung in den inneren Zellkörper. Bei Yuphausia treten die sich gabelnden Kapillaren seitlich ein, während sie bei Stylocheiron und Nematoscelis in der Hauptaxe gegen den Streifenkörper aufsteigen, um in dessen Nähe feinere Stämme zu entsenden, welche sich ziemlich weit gegen den Reflektor zu verfolgen lassen. Die Zahl der stärkeren T Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. Hl Kapillaren ist sehr schwankend (3 bis 6); sie münden gegen den Blut- sinus zu in weite, unregelmäßig verstreichende Gefäßlakunen ein. Das hier geschilderte Leuchtorgan der Augen ist seinem femeren Baue nach bisher unbekannt geblieben; was wir über dasselbe wissen, be- schränkt sich auf die knappen Angaben von Claus und Sars über die bei schwächeren Vergrößerungen wahrnehmbaren Formverhältnisse. b. Die thorakalen und abdominalen Leuchtorgane (Fig. 3). Die an den Seitenwandungen des Thorax und auf der Ventral- fläche des Abdomens auftretenden Leuchtorgane unterscheiden sich von den Organen der Stielaugen wesentlich durch Einlagerung eines diop- trischen Apparates in Gestalt einer Linse. Im Allgemeinen sind sie kleiner als die Organe der Augen (0,1 mm bis 0,16 mm) und außerdem von kugliger Gestalt. Sie liegen allseitig von einem Blutsinus (sin.) umgeben in halbkugligen Vortreibungen der Chitinwandung (ek u. ch) und stimmen in den Grundzügen ihres Baues sowohl unter sich, wie auch bei den verschiedenen Gattungen überein. Gewöhnlieh sind die an der Basis des 8. Fußpaares gelegenen Organe etwas größer als die übrigen. Durchweg können sie durch Muskeln gedreht werden und zwar erfolgt bei den abdominalen Organen die Drehung lediglich in der Riehtung der Medianebene. Daher kommt es, dass man an konser- vierten Exemplaren die Mündung der abdominalen Organe in den ver- schiedensten Richtungen bald nach vorn, bald nach unten oder hinten — nie aber nach links oder rechts — gewendet sieht. Die Organe des 8. Fußpaares kehren ihre Mündung schräg nach außen und hinten; sie werden in einer Ebene gedreht, welehe einen Winkel von ungefähr 45° init der Medianebene bildet. Diejenigen des 2. Fußpaares richten ihre Mündung meist rechtwinklig zur Medianebene nach Außen und werden in einer ungefähr senkrecht zur Medianebene gelegenen Ebene bewegt. Der verschiedenen Stellungen und Drehungen der Organe habe ich deshalb ausführlicher gedacht, weil sie, wie späterhin dargelegt wird, in Korrelation mit der eigentümlichen Form des Tiefenauges stehen. Jedenfalls geht aus diesen Darlegungen hervor, dass die Euphausien bei Nacht und in den dunkelen Tiefen mit bemerkens- werter Sicherheit durch die Phosphoreseenz der Leuchtorgane über Objekte orientiert werden, welche unterhalb, rückwärts und seitlich von dem Tiere sich befinden. Erwägt man weiterhin, dass bei energi- schen Sehwimmbewegungen das Abdomen nach abwärts geschlagen wird, so ist es nieht ausgeschlossen, dass Liehtblitze auch die vor dem Tiere befindlichen Regionen erhellen. Hierzu gesellt sich nun noch der von den Organen des Stielauges ausgehende Glanz, welcher, wie aus ihrer Stellung resultiert, vorzüglich diejenigen Objekte beleuchtet, welche von den Thorakalfüßen als Beute gepackt werden. Wenn wir bedenken, dass bei Nematoscelis das zweite, bei Stylocheiron das dritte 552 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. Fußpaar zu mächtigen Raubfüßen mit Stiletten und Scheerenhänden umgebildet ist, so erhellt der Nutzen, welchen die stetige Phosphores- cenz der Augenorgane mit sich bringt. Da nun die letzteren durch Muskeln resp. durch die Bewegungen des Stielauges in verschiedene Stellungen gebracht werden, so scheint es mir nicht ausgeschlossen, dass gelegentlich der vom einen Auge ausgehende Lichtkegel durch die unteren und seitlichen Facetten des anderen Auges wahrgenommen wird. Völlig ausgeschlossen ist es indessen, dass das Tier mit seinen Leuchtorganen die oberen Regionen erhellt. Objekte, welche sieh über ihm oder steil aufwärts vor ihm befinden, wird es — falls es sich nieht umkehrt und die Bauchseite nach oben wendet — niemals durch seine Leuchtorgane belichten können. Der Umstand, dass die oberen Facetten des Schizopodenauges keine Strahlen zu perzipieren vermögen, welche das Individuum selbst erzeugt, mag es in erster Linie bedingt haben, dass gerade diese Partie des Auges von Umbildungen betroffen wird, welche bei den echten Tiefseeformen in besonderem Maße be- merkenswert sind. Fig. 3. Thorakales Leuchtorgan von Nematoscelis rostrata. Längsschnitt durch die Hauptaxe. Was nun den feineren Bau der abdominalen und thorakalen Organe anbelangt, so gelingt es leicht, die den Organen der Stielaugen homo- 4 Y 4 $ = 5 % Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. 900 logen Partien herauszufinden, Ich fasse mich daher kürzer und be- merke zunächst, dass der Reflektor (r/!) kuglig gekrümmt ist und nicht aus zwei Schalenhälften besteht. Auch fehlt ihm eine am Pole gelegene Oeffnung für Eintritt des Leuchtnerven. Er wird völlig um- hüllt von der hochroten Pigmentlage (pg), deren Zellen deutlich nach- weisbar sind. Das Lamellensystem, welches an den Organen der Stielaugen die distalen seitlichen Partien begrenzt, ist zu einem Ringe (a. /.) umge- bildet, weleher die Mündung des Reflektors umkreist. Zwischen den Lamellen des Ringes liegen die Matrixzellen mit ihren Kernen. Die eharakteristische Auszeichnung der Leuchtorgane des Körpers besteht in dem Auftreten eimer homogenen, sehr stark das Licht breehenden Linse (2). Sie schwebt als Kugellinse (Kuphausia), oder als Bikonvexlinse (Nemotoscelis, Stylocheiron) im der Oeffnung des Ringes und wird von großen Zellen (5) abgeschieden, welche sich der Linse dicht anschmiegen. Der Zellkörper (ce), welcher den vom Reflektor, Ring und Linse begrenzten Innenraum ausfüllt, besteht aus polyedrischen Zellen mit großen kugligen Kernen. Meist ordnen sieh die Zellen in zwei kon- zentrische Lagen an, deren äußere den Reflektor, deren innere den leuchtenden Streifenkörper (str.) abscheiden. Der letztere zeigt die- selben Verhältnisse, wie derjenige der Stielaugen, ist jedoch bedeutend kleiner. Bei Nematoscelis und Euphausia konisch gestaltet liegt er mit seiner Basis der Linse dieht an. Völlig kuglig erscheint er bei Stylocheiron; zudem konvergieren hier die Coulissen nach dem Zentrum. Vor Linse und Ring bilden wiederum polyedrische Zellen (c‘) (die Randzellen sind stark abgeplattet) den Abschluss der kugligen Organe. Ueber die Art der Innervierung habe ich erst nach mühsamer Durehmusterung der Präparate an den Thorakalorganen Aufschluss erhalten. Hier geht nämlich ein Nerv (n) von dem entsprechenden Bauchganglion ab, um dann sich gabelnd mit beiden Aesten (n‘) bogen- förmig das Organ zu umgreifen und beiderseits zwischen der Mündung des Reflektors und dem Ringe in den Zellkörper einzustrahlen. Ein Teil des Nerven (n‘) versorgt weiterhin noch die betreffende Extre- mität. Ein Nervennetz im Inneren des Zellkörpers konnte ich nicht nachweisen. Die von den Organen der Stielaugen abweichende Art der Innervierung mag vorwiegend durch ausgiebige Drehung, welcher die Organe von Seiten femer an sie herantretender Muskeln unter- worfen sind, bedingt sein. Die Axe, um welche die Organe gedreht werden, fällt gerade dureh die beiden eintretenden Nervenäste: jede andere Art der Innervierung scheint wegen der unvermeidlich dann eintretenden Zerrungen des Leuchtnerven ausgeschlossen. Die Aehnlichkeit der hier geschilderten Organe mit Linsenaugen ist so frappant, dass man die ältere Ansicht von Claus, es handle sich bei ihnen um „accessorische Augen“, leicht erklärlich findet. 554 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. Neuerdings wurde sie denn auch von Patten, dem einzigen Beob- achter, weleher die Organe an Sehnitten studierte, wieder zur Geltung zu bringen versucht. Ich kann indessen weder seine Schilderung für ausreichend erklären, noch vermag ich seiner ausführlich erörterten An- sicht beizustimmen. Patten hat weder die Pigmentlage gesehen (indem er die Angaben von Sars missversteht, verlegt er den Sitz des Pigmentes in die inneren „Retinazellen“) noch ist ihm die Struktur des Streifenkörpers und des Lamellenringes (er vermutet in ihm einen Ringmuskel) klar geworden, noch auch vermag er über die Innervierung positive Angaben zu machen. Trotzdem wird der Zellkörper einer Retina und der Streifenkörper einer Stäbehenlage gleich gesetzt und die Theorie aufgestellt, dass diese Organe mehr für die Absorption von Lichtenergie, als auf Wahrnehmung von Objekten berechnet sind. Es verlohnt sich nicht, diese Anschauungen eingehend zu er- örtern und so erwähne ich nur, dass ein Linsenauge mit Ciliarmuskel eine für Arthropoden höchst fremdartige Bildung repräsentieren würde. Wo Linsen bei ihnen vorkommen, werden sie durch entsprechende Um- bildung der äußeren Chitinlage hergestellt; nie lösen sie sich ab und rücken sie in die Tiefe. Wollte man durchaus an dem Vergleiche mit Augen festhalten, so könnte man die Linse nur einem Krystallkegel vergleichen und das Leuehtorgan einer modifizirten Einzelfacette homo- logisieren. Da Exner neuerdings ein Tapetum, wie es Leydig zuerst für die Arthropoden bekannt gemacht hat, im Facettenauge der Crusta- ceen nachwies, so wäre es denkbar, dass aus diesem sich der Reflektor hervorbildete. Aber auch diese Annahme, bei welcher natürlich der innere Zellkörper einer Retinula und der Streifenkörper einem modi- fizierten Rhabdom verglichen würde, stößt auf so mannichfache Be- denken — zumal bei Berücksichtigung der des dioptrischen Apparates entbehrenden Leuchtorgane des Auges — dass ich mich der Auffassung von Sars anschließe und die Leuchtorgane als Organe sul generis betrachte). 1) Erst nach Niederschrift dieses Aufsatzes wurde ich mit dem Inhalt einer Publikation von R. Vallentin und T. T. Cunningham über die Leucht- organe der Schizopoden vertraut (The Photospheria of Nyetiphanes Norvegica. Quart. Journ. Micr. Se., Vol. XXVII, 1888, p. 319). Von Interesse sind vor Allem die eingehenden Studien über das Verhalten der Leuchtorgane am lebenden Tiere, aus denen hervorgeht, dass der Reflektor stark grünlich-rosa fluoresziert. Die Verfasser sind sogar geneigt (im Gegen- satz zu Sars) den Reflektor selbst für den Sitz der Lichtentwicklung zu er- klären. Indessen haben mich ihre Ausführungen nieht überzeugt, dass jenes blitzartige Aufleuchten, wie es gerade die für das Experiment verwerteten Linsenorgane auszeichnet, vom Reflektor ausgeht. Sie geben auch am Schlusse ihrer Darlegung zu, dass der helle Schein, welchen an zerquetschten Organen der Reflektor erkennen lässt, verschieden ist von den Liehtblitzen, welche das lebende Tier aus seinen Organen entsendet. Die Bedeutung des Streifenkörpers Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. 555 II. Das Facettenauge. Die Grundform des Facettenauges wird durch ein Kugelauge repräsentiert, dessen Einzelfacetten bei annähernd gleicher Größe radiär von einem idealen Zentrum ausstrahlen. Ein derartiges Stiel- Auge besitzt die Gattung Euphausia. Es gleicht in semer Form und in der Anordnung der Facetten demjenigen der Flachwasser-Mysideen und so mag die treffliche Abbildung Grenacher’s vom Auge der Mysis als Illustration für den Bau dieser Kugelaugen dienen. Nicht unbeträchtlich weichen die Augen der Gattung Thysanoössa und Nematoscelis (Fig. 4) von der gewöhnlichen Kugelform ab. Wie schon die Abbildungen von Sars im Challenger-Werke erkennen lassen, so teilt eine ringförmige Einschnürung das Auge in einen kleineren oberen und in einen umfänglicheren unteren Abschnitt. Das Auge er- langt also eine ungefähre Aehnliehkeit mit demjenigen einiger Libellen (Cordulegaster) und verwandter Insekten. Der obere Abschnitt des Favettenauges wird bei normaler Haltung des Tieres schräg nach vorn oder direkt nach oben gewendet: er vermag also, wie die Er- örterungen auf 8. 550 ergeben, keine Lichtstrahlen wahrzunehmen, welehe von den Leuchtorganen des betreffenden Individuums ausgehen. Ihr Extrem erreicht die Zweiteilung des Auges bei Stylocheiron (Fig. 5), dessen oberer Abschnitt wie ein Teleskop über die seitlichen und unteren Regionen vorgeschoben erscheint. Gleichzeitig bedingt die mächtige Entwicklung des Ganglion opticum bei allen Arten mit ungleichmäßigem Bau der Augen eine der Konkavität des Cepholothorax zugekehrte Auf- treibung. Ein nach den Seitenflächen verstreichender Ringwall (Fig.4 w) (der auch bei Euphausia schwach entwickelt ist) grenzt schon äußer- lich die facettierte Partie von der ganglionären ab. Längsschnitte (d. h. parallel der Medianebene geführte Schnitte) zeigen nun, dass das Vorwölben des oberen Abschnittes dureh eine Verlängerung und Verbreiterung der betreffenden Facetten bedingt wird. Da nun auch gleichzeitig der aus vergrößerten Facetten bestehende Abschnitt dureh einen Pigmentmantel von den seitlichen Facetten sich wäre uns thatsächlich rätselhaft, wenn er nicht den Sitz der intensiven Licht- entwicklung darstellte, Was den morphologischen Teil der Mitteilungen betrifft, so glaube ich einen detaillierteren Einblick gewonnen zu haben. Am wenigsten befriedigt die Darstellung der Augenorgane, Die Verfasser haben das Lamellensystem unterhalb des Reflektors übersehen und die Zusammensetzung des letzteren aus 2 Schalenhälften nicht erkannt. Vor Allem ist ihnen außer der Gefäß- verzweigung auch die Innervierung entgangen und der feinere Bau des Streifen- körpers mit seinem Lamellensystem verborgen geblieben. Zutreffender als Patten schildern sie hingegen die thorakalen und ab- dominalen Organe, wenn ihnen auch u. A. die Art der Innervierung verborgen blieb. 556 Chun, Leucehtorgan und Facettenauge. abgrenzt und ein einheitliches Ganzes bildet, so gebe ieh der Zwei- teilung des Auges der Tiefsee-Schizopoden dadurch Ausdruck, dass ich ein „Frontauge* (mit vergrößerten Facetten) von dem „Seitenauge“ unterscheide. Fig. 4. Längsschnitt durch das Stielauge von Nematoscelis rostrata. ph Leucht- organ. Bei Thysanoössa gregaria und Nematoscelis rostrata ist der Unter- schied in der Länge weniger auffallend, insofern die mittleren Facetten des Frontauges (/) etwa 1!/, mal größer sind als diejenigen des Seiten- auges. Auch die Grenze zwischen Front- und Seitenauge hebt sich hier weniger scharf ab; aber immerhin zeigen bereits hier die Grenz- facetten des Frontauges die Eigentümlichkeit, dass sie rückgebildet werden und der Krystallkegel entbehren (/. rud.). Gleichzeitig fällt es auf, dass die Facetten des Seitenauges von dem Frontauge an bis gegen das Leuchtorgan kontinuierlich an Länge zunehmen. Sehr auffällig ist der Unterschied zwischen Front- und Seitenauge bei Nematoscelis mantis, der größten bisher bekannt gewordenen Ne- matoscelide, welche ich in den Tiefen des östl. Atlantischen Ozeans TER Shun, Leuchtorgan und Facettenauge. BD auffand. An dem schönen Auge derselben messen die Facettenglieder des Frontauges (von dem Cornearande bis zur gefensterten Membran gerechnet) 0,6 mm, während diejenigen des Seitenauges 0,18—0,3 mm lang werden. Hier übertreffen die ersteren um das Doppelte und Drei fache an Länge die letzteren. Die extremste Ausbildung des Frontauges tritt bei der Gattung Stylocheiron hervor. Auch hier markieren sich die verschiedenen Etappen in der Umbildung durch die Arten St. abbreviatum Sars, St. chelifer Chun und St. mastigophorum Chun. Ich glaube wohl nicht zu weit zu gehen, wenn ich das in Fig.5 dargestellte Auge von Stylocheiron mastigophorum als das in morphologischer wie physio- logischer Hinsicht bemerkenswerteste Stielauge aller Arthropoden im Anspruch nehme. Die Facettenglieder des Frontauges erreichen hier die ungewöhnliche Länge von 0,6—0,75 mm (den Maßen sind Schnitte durch ein großes Auge zu Grunde gelegt) während diejenigen des Seitenauges 0,17—0,26 mm messen. Die letzteren werden um das Drei-, ja selbst Vierfache an Länge von den Facettengliedern des Frontauges überboten! Gleichzeitig nimmt auch die Breitendimension der Frontfacetten zu; sie sind bei St. mastigophorum an der Cornea 0,05 mm breit, während die gleichen Maße für die Seitenfacetten 0,025—0,05 mm betragen. Ein Umstand, dessen wir bereits oben gedachten, nämlich die Rückbildung der Randfacetten des Frontauges, tritt bei Nematoscelis mantis und bei den Stylocheiron-Arten in sinnfälliger Weise hervor. Hier fehlen einer reichen Zahl von Randfacetten die Krystallkegel und an ihre Stelle tritt ein aus feinen Schüppehen bestehendes Tapetum (Fig.5 tap.). Höchst auffällig aber ist es, dass die zugehörigen Rhabdome in voller Ausbildung persistieren: eim Verhalten, dessen physiologischer Wert später noch gewürdigt werden soll. Auch die langgestreckten und dicht aneinander gedrängten Retinakerne (n‘) sind erhalten. Was nun zunächst die Eigentümlichkeiten des Auges der Euphau- sien im Vergleiche mit jenem der bisher allein genauer erforschten Mysideen anbelangt, so reduzieren sie sich im Wesentlichen darauf, dass ihnen durchweg Pigmentzellen zwischen den Rhabdomen fehlen. Das Retinapigment wird bei den Euphausien dureh eine Pigmentierung der Retinazellen selbst im Umkreise der Rhabdome ersetzt; eine Pig- mentierung, welche auch auf die Ramifikationen des Sehnerven unter- halb der gefensterten Membran übergreifen kann. In hohem Maße bemerkenswert und charakteristisch für alle echten Tiefseeformen, näm- lieh für Nematoscelis mantis und für alle Stylocheiron- Arten ist nun der Umstand, dass hier das Retinapigment sowohl am Front-, wie am Seitenauge vollkommen fehlt. Jeglichen Pigmentes baar, welches wie ein Schleier bei den bisher bekannt gewordenen Arthropoden die licht- empfindlichen Apparate verhüllt, treten die kKhabdome in unerwarteter Klarheit und Pracht dem Beobachter entgegen. Bevor wir nun den 558 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge, physiologischen Wert des Pigmentmangels erörtern, in dem gerade ein hervorstechender Zug des Facettenauges der Tiefseeformen sich kund Fig. 5. Aequatorialer Längsschnitt durch das Stielauge von Stylocheiron mastigophorum. Die Linie &....y deutet die Richtung des Querschnittes Fig. 7 an. Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. 559 gibt, sei es gestattet, noch des feineren Baues der Einzelfacetten („Facettenglieder* Exner) zu gedenken. Bau der Facettenglieder. Meine Untersuchungen ergaben mir mehrfache Korrekturen der bisher über Schizopoden bekannt gewordenen Verhältnisse und zeigen, dass die Facetten derselben in ihrem Baue viel inniger mit jenen der Dekapoden übereinstimmen, als man annahm. Die chitinige Cornea (e.) ist am Auge der Kuphausia ganz flach gewölbt, während sie bei allen übrigen Gattungen eine für Wasser- tiere fast befremdliche konvexe Krümmung erkennen lässt. Am stärksten — nahezu halbkuglig ausgebildet — tritt sie am Frontauge entgegen. Ganz konstant setzt sich die Kornea aus mindestens zwei schalenförmig ineinandergreifenden Lamellen zusammen. Ich glaubte anfänglich, dass es sich um eime Häutung handle, überzeugte mich indessen späterhin, dass die beiden Lamellen am Rimgwall zusammenfließen und eine bleibende Eigentümlichkeit der Cornea abgeben. Gelegentlich können zwischen den diekeren Lamellen oder äußerlich ihnen aufliegend noch gesonderte dünnere auftreten, so dass die Cornea der Einzelfacette aus mehreren konzentrisch ineinander geschichteten Schalen sich auf- baut; ein Verhalten, welches für den Gang der Liehtstrahlen sicher- lich nicht irrelevant ist. Die Bildungszellen der Cornea (Fig. 5 u. 6 Ayp.) wurden auch von den neueren Beobachtern, unter denen ich speziell auf Parker!) hinweise, übersehen. Sie liegen zu zweien dachförmig über den Krystall- zellen und sind dureh auffällig blasse sichelförmig gekrümmte Kerne (n. h.) charakterisiert. Die letzteren sind äquatorial gelagert und be- Fig. 6. Querschnitte durch die distale Partie der Fa- cettenglieder von Styloch, mastigophorum (Frontauge). Die beiden rechten Facetten zeigen die Hypodermis- und Kıystallzellen in der Auf- sicht; die drei mittleren sind in der Ilöhe der Hypo- dermiskerne, die beiden linken in der Höhe der Krystallkegel geschnitten. x Stellen, _ an denen,lauf tieferen Schnitten die Kerne der Scheidenzellen und Pig- mentzellen liegen. 1) The compound eyes in Crustaceans. Bull. Mus. Comp. Zool Cambridge, Vol. XXI, 1891. 960 Chun, Lenehtorgan und Facettenauge rühren sich nahezu mit ihren einander zugekehrten Polen da, wo die Krystallkegel durch eine trennende Fläche in zwei Hälften geschieden werden. Da man die Bildungszellen der Kornea mit ihren allerdings schwer wahrnehmbaren Sichelkernen bisher übersah (nur Grenacher scheint sie in seiner Fig. 112 anzudeuten), so hat sich allgemein die Auffassung eingebürgert, dass von jenen vier kreuzweise über dem Krystallkegel angeordneten Kernen (n. c.) zwei den Bildungszellen der Cornea, zwei den eigentlichen Krystallzellen zugehören. Nach meinen Befunden ergibt es sich indessen unzweifelhaft, dass den Schizopoden ebenso wie den Dekapoden vier Krystallzellen zukommen. Die beiden unteren Krystallzellen mit ihren fein granulierten halbmondförmigen Kernen (Fig. 6 n. e. inf.) scheiden die zentralen Partien der Krystallkegel ab und bedingen gleichzeitig die erwähnte Zweiteilung derselben, während die oberen Zellen mit gröber granulierten birnförmigen Kernen (n. e. sup.) zur Verdiekung der Kegelwandung beitragen, indem sie mit ihrem Rande die inneren Krystallzellen umgreifen. Bei den Dekapoden liegen die 4 Krystallzellen in einer Ebene und dadurch wird es bedingt, dass die Kegel viergeteilt erscheinen: meines Erachtens der einzige und dabei nicht einmal wesentliche Unterschied zwischen den Facettengliedern beider Gruppen. Die Krystallkegel (con.) weisen eine flache, bisweilen leicht napf- förmig vertiefte distale Basis und einen scharf zugespitzten proximalen Pol, vor dem meist eine sanfte ringförmige Striktur kenntlich wird, auf. Sie sind zweigeteilt und lassen namentlich bei Zuphausia einen stärker liehtbrechenden Kern und schwächer lichtbrechenden Mantel erkennen, ähnlich, wie dies Exner von den mit dem Mikrorefrakto- meter untersuchten Kegeln der Nachtschmetterlinge darstellt. Im Front- auge von Stylocheiron erreichen sie eine Länge von 0,17 mm. Die wabenförmigen Scheidewände der sechsseitigen Facettenprisinen werden zwischen den Krystallkegeln von Zellen hergestellt, deren Kerne zwischen den Kanten der Prismen gelegen sind. Parker nennt diese Zellen „obere Retinulazellen“. Meines Erachtens haben sie keine Be- ziehung zu der Retina und so schlage ich vor, diese Bezeichnung fallen zu lassen und sie durch die zutreffendere Benennung „Scheiden- zellen“ zu ersetzen. Ihre Kerne liegen dieht unter den Sichelkernen; im Frontauge von Stylocheiron (Fig.5 n. v.) rücken sie hingegen als lang oval gestreckte Kerne tiefer herab bis im die Nähe der Pigment- zellen. Die oberen Pigmentzellen (pg. ir.) oder das „Irispigment“ Exner’s ergänzen in proximaler Richtung die von den Scheidenzellen hergestellten Wände. Ihre großen ovalen Kerne liegen ebenfalls zwisehen den Kanten je dreier Prismen. Die Pigmentzellen umscheiden sowohl an dem Front- wie an dem Seitenauge die untere Hälfte, bisweilen auch zwei Drittel der Krystallkegel und lassen nur den zugespitzten Chun, Leuehtorgan und Facettenange. >61 Pol frei. An dem Frontauge von Stylocheiron sind sie hingegen auf- fällig flach und bilden sie vor dem zugespitzten Pol der Krystallkegel einen schmalen Pigmentring. Was schließlich die perzipierenden Elemente des Auges anbelangt, so ist man über die Zahl der eme Retinula (vet) zusammensetzenden Sehzellen bei den Schizopoden noch nicht sicher orientiert. Parker ist in seiner fleißigen Publikation der Wahrheit sehr nahe gekommen, indem er 8 Sehzellen als Konstituenten einer Retinula annimmt, von denen eine rudimentär entwickelt sei. Thatsächlich sind ebenso wie bei Dekapoden 7 Sehzellen um ein RKhabdom gruppiert. Diese Ver- hältnisse treten namentlich am Frontauge so klar und übersichtlich hervor, dass ich mir nicht versagen kann einen Querschnitt dureh das Frontauge von Stylocheiron mastigophorum genau nach mikrophoto- sraphischer Aufnahme zu reproduzieren (Fig. 7). Er ist dieht unter- halb der Krystallkegel geführt, zeigt am Rande noch die Lücken, in welchen die Spitzen der Kegel steckten und lässt im seinen zentralen Partien deutlich das Zusammentreten von je 7 ketimazellen zu einem sechsseitigen Prisma erkennen. ‚con Fig. 7. Querschnitt durch das Frontauge von Stylocheiron mastiyo- phorum in der Höhe der Linie Di a ls BiE.ND. Die ovalen Kerne der Sehzellen (n.r) erfüllen an den Seitenaugen meist den ganzen Zwischenraum zwischen Rhabdomen und Krystall- kegeln; bei Euphausia und an den Frontaugen von Thysanoössa und Nematoscelis rostrata bleibt das innere Drittel resp. Hälfte der Seh- zellen frei von Kernen und endlich rücken sie am Frontauge von Nematoscelis Mantis und Stylocheiron mastigophorum in die Höhe der Krystallkegel, um hier in eine Ebene gestellt ringförmig die Kegel- spitze zu umgeben. An dem Holzschnitte Fig. 7 sind an den Rand- facetten teilweise die Kerne der Sehzellen ersichtlich. Im Umkreis der Rhabdome findet man braunsehwarze Pigmentkörner, wie oben angedeutet wurde, in die Sehzellen der Enphausia-Arten, der Nematos- XTII. 36 569 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. celis rostrata (Fig. 4) und Thysanoössa gregaria eingestreut. Völlig pigmentfrei sind hingegen die Retinazellen von Nematoscelis Mantis und der Stylocheiron - Arten. Die Rhabdome (rh.) lassen bei den einzelnen Arten mancherlei Verschiedenheiten in ihrer femeren Plättehenstruktur erkennen, auf die ich indessen hier nieht eingehe. Sie sind durchweg vierteilig (bei Be- handlung mit schwächeren Chromsäurelösungen findet man sie oft in ihrer ganzen Länge in die 4 Abschnitte gespalten) und bald stabförmig, bald keulenförmig gestaltet. An ihrem proximalen Ende laufen sie sich zuspitzend in einen fadenförmigen Fortsatz aus, der bis zur Basal- membran reicht und an den Rhabdomen der Seitenfacetten (mament- lich an jenen der rückgebildeten Facetten des Frontauges) im einem stumpfen Winkel sich absetzt. Die durch die Zusammensetzung aus Plättehen bedingte Querstreifung ist am feinsten bei Stylocheiron und Nematoscelis, am gröbsten bei Euphausia ausgebildet. Im Zentrum der 7 Retinulazellen zieht sich, wie schon Grenacher bei Mysis beobachtete, ein feiner, stark lichtbrechender Axenfaden («x) von der Kuppe des Rhabtoms bis zur Spitze der Krystallkegel hin. Grenacher neigt der Auffassung zu, dass der Faden eher in Bezieh- ung zu den Krystallkegeln stehe, denn zu den Rhabdomen und auch Parker stimmt dieser Ansicht bei, indem er geneigt ist, ihn für eimen fadenförmigen Fortsatz der Kegel zu erklären. Nach meinem Dafür- halten repräsentiert er entschieden eine den Retinazellen zugehörige Bildung, welche dem stark verdünnten Distalabschnitt der Rhabdome vieler nächtlieh lebender Arthropoden homolog ist. Der Axenfaden schmiegt sich mit kappenförmig verbreiterter Basis der Kuppe der Rhabdome an und endet in einen (bei Thysanoessa besonders schön entwickelten) triehterförmigen Abschnitt, welcher die Spitze der Krystall- kegel konzentrisch umfasst, ohne indessen in organischen Zusammen- hang mit ihnen zu treten. Die Triehterbildung wird dadurch erklärlich, dass die Retinulazellen in der Höhe der Kegelspitzen auseinander- weichen und triehterförmig die letzteren umfassen. Der Axenfaden liegt demgemäß in seiner ganzen Länge im Zentrum der 7 Retinazellen und steht außer Konnex mit den Krystallkegeln und Krystallzellen. Eine von Grenacher und meiner Auffassung durchaus abweichende Anschauung hat sich Patten über den gelegentlich zu einem dünnen Faden reduzierten Rhabdomabschnitt gebildet. Nach ihm bildet er das Bindeglied zwischen dem basalen Rhabdomabschnitt und den Krystallkegeln; er steht nicht nur mit dem ersteren, sondern auch mit den Kegeln in organischer Verbindung. Auf Grund dieses vermeintlich sicher gestellten Befundes werden die Krystallkegel als die distalen Verbreiterungen des Stäbehenelementes, als die perzipierenden Elemente, in Anspruch genommen. Selbstverständlich erhalten in konsequenter Durchführung dieser Ansicht die einzelnen Elemente des Facettengliedes andere Deutung Chun, Leuehtorgan und Facettenange. 563 und Bezeichnung. Vor Allem macht Patten, indem er den faden- förmigen Proximalteil des Rhabdoms für einen Axialnerven erklärt, welcher vom Rhabdom bis zu den Krystallkegeln hinzieht, auf kom- plizierte quere Nervenfibrillenzüge in den Krystallkegeln aufmerksam, welche die wahren perzipierenden Endelemente darstellen sollen. Das Rhabdom erweist sich nach Patten als ein proximaler Fortsatz der Krystallkegel und die Krystallzellen sind die wahren Retinazellen. Auf diese Befunde hin wird die Müller’sche Theorie des musi- vischen Sehens, wie sie von Grenacher und Exner — wenn auch für manche Fälle modifiziert — eingehender begründet wurde, für einen überwundenen Standpunkt erklärt. Jeder Krystallkegel, also jede Einzelfacette, perzipiert ein umgekehrtes von der Cornea entworfenes Teilbild der Umgebung und die alte Gottsche’sche Hypothese wird auf die neuen histologischen Ergebnisse hin wieder zu Ehren gebracht. Die Ansichten Patten’s, bewundert von Manchen, welche, dem modernen Zuge folgend, im der Erforschung feinster histologischer Details das alleinige Ziel zoologischer Bestrebungen erblicken, sind freilich wie ein Blendfeuerwerk versprüht. Keiner der neueren Be- obachter hat die Nervennetze der Krystallkegel gesehen und Manche — so z.B. Watase und Viallanes — haben sich noch speziell be- müht, den Nachweis zu führen, dass Krystallkegel und Rhabdome durchaus differente Bildungen repräsentieren, welche in keinem orga- nischen Zusammenhang stehen. Wenn wir noch hinzufügen, dass Patten in einer neueren Mitteilung sich nicht von dem Zusammen- hang der Khabdome und Krystallkegel bei Insekten überzeugen konnte, so dürfen wir es wohl mit Genugthuung begrüßen, dass die Anschau- ungen von Grenacher und Exner allmählich allgemein Eingang finden. Es würde über den Rahmen dieser Mitteilung hinausgehen, wenn ich noch der ganglionären Elemente des Auges (ga), der Gefäßver- zweigung (va) und Muskel-Insertionen (ma) — so viel Interessantes auch diese Verhältnisse bei den einzelnen Arten darbieten — gedenken wolite. Ich begnüge mich daher mit dem Hinweis, dass die Faser- stränge des Sehnerven (opt) (zwischen denen ein kapillares Gefäßnetz (v»') entwickelt ist) allseitig in die Retina unter Durchbohrung der Basilarmembran einstrahlen. Sie verleihen dem Proximalabsehnitt der Retinulazellen längs der Rhabdome em feinstreifiges Ansehen; ober- halb der Rhabdome verschwindet allmählich die fibrilläre Streifung. Schließlich sei noch erwähnt, dass ein breites aus feinen verfilzten Fasern gebildetes Band von dem Ringwall längs der hinteren Fläche des Frontauges von S/ylocheiron hinzieht und bis zum Leuchtorgan verstreicht. Schwach entwickelt tritt es mit den zwischenliegenden, die Fasern ausscheidenden Zellen bei Nematoscelis hervor (Fig. 4 und Fig. 8 /am.). 564 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. Der Sehvorgang im Auge der Tiefsee-Schizopoden. Die Augen der Euphausien erfüllen alle Bedingungen, welche nach den feinen Beobachtungen Exner’s notwendig sind für das Zustande- kommen eines Superpositions-Bildes, d. h. eines aufrechten Bildes, bei dem die den einzelnen Facettengliedern zugehörigen Liehtmassen in der Ebene der Netzhaut zu einem großen Teile übereinander fallen. Es darf von vornherein erwartet werden, dass ein Superpositionsbild, welches vor dem (den Joh. Müller’schen Vorstellungen entsprechen- den) Appositionsbild den Vorzug größerer Lichtstärke aufweist, im Auge jener Urustaceen Verwertung findet, welche in den dunkelen Tiefenregionen schweben. Im besonderem Maße trifft dies für die Frontaugen von Nematoscelis Mantis und der Gattung Stylocheiron zu, welehe bei der enormen Vergrößerung der Facettenglieder, bei der weiten Entfernung zwischen den Linsenzylindern und Rhabdomen und bei dem Mangel eines Retinapigmentes in vollendeter Weise die Charak- tere von Dunkelaugen erkennen lassen. Die genannten Frontaugen sind überhaupt die vollkommensten Dunkelaugen, von denen wir bis jetzt Kenntnis haben und so dürfte es angezeigt sein, einige biologische Bemerkungen über dieselben einzuflechten. Zunächst verdient die bemerkenswerte Thatsache Erwähnung, dass das Auge der Tiefsee-Euphausien in zwei Abschnitte zerfällt, deren einer — das Seitenauge — die von den Leuchtorganen belichteten Objekte wahrnimmt, deren anderer — das Frontauge — Gegenstände sieht, welche von den Lichtkegeln der dem betreffenden Individuum zukommenden Leuchtorgane nicht getroffen werden. Ich verweise in dieser Hinsicht auf die obigen Bemerkungen über die Drehungen der Leuchtorgane, welche es ausgeschlossen sein lassen, dass die vom Tiere selbst erzeugte Phosphorescenz dem Frontauge direkt dienstbar gemacht wird. Das Frontauge wird, falls die in seinen Gesichtskreis gelangenden Organismen nicht phosphoreszieren, im Allgemeinen nur schattenhaft verschwommene Umrisse wahrnehmen. Dies gilt in be- sonderem Maße für das Frontauge von Stylocheiron mastigophorum, welches bei der geringen Zahl von 30—60 Facettengliedern und bei den relativ weiten Zwischenräumen zwischen den Rhabdomen schwerlich ein detailliertes Bild wahrzunehmen vermag. Weit günstiger ist das große Frontauge von Nematoscelis Mantis mit etwa 300 Facettengliedern und den dicht aneinander gedrängten Rhabdomen für Perzeption spe- zialisierter Bilder eingerichtet. In jeder Hinsicht sind die Seitenaugen mit ihren Tausenden schmaler Facettenglieder, welche nahezu eine Kugelschale bilden, für Wahrnehmung nicht verzerrter und dataillierter Bilder am günstigsten gestellt. Exner verdanken wir außer seinen Darlegungen über die Dioptrik der Facettenglieder auch noch die interessante Entdeckung der Pigment- wanderung im Lieht- und Dunkelauge. Er weist darauf hin, dass bei Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. 565 allen Arthropoden, welche mittels Superpositionsbilder im Hellen und im Dunkeln sehen, sinnfällige Verschiebungen des Iris- und Retina- pigmentes stattfinden. Bei der Belichtung wandert das Irispigment nach hinten (in proximaler Richtung), während umgekehrt das hetina- pigment (oft aus den unterhalb der Retina gelegenen Schichten) bei Crustaceen aufsteigt und die vorderen Enden der Rhabdome umscheidet. Die Folge ist, dass ein großer Teil der einfallenden Strahlen im grell- belichteten Auge absorbiert wird, während sie umgekehrt im Dunkel- auge ungehindert die Retina durchsetzen. Mit Exner’s Befunden stimmen sehr wohl die unabhängig von ihm angestellten Experimente von Frl. Szezawinska') an Crusta- ceenaugen überein. Da ich selbst Gelegenheit hatte, die Präparate der genannten Dame zu studieren und mich von der exakten Dureh- führung der Experimente zu überzeugen, so kann ich in jeder Hinsicht den Ausspruch Exner’s bestätigen, dass die Facettenaugen sich in höherem Grade durch ihre Pigmentwanderungen den verschiedenen äußeren Helliekeiten anpassen, als es das Wirbeltierauge durch seine Iris vermag. Wenn wir uns nun an der Hand der Exner’schen Ergebnisse die Bedingungen versinnlichen, ‚unter denen pelagische Organismen ihre Lebensarbeit verrichten, so dürfen wir von vornherein erwarten, dass Pigmentverschiebungen nur solchen zukommen, welehe an der Oberfläche leben oder gleichzeitig an der Oberfläche und in der Tiefe verbreitet sind, dass hingegen bei allen echten Tiefenbewohnern Pigment- verschiebungen in Wegfall gekommen sind resp. dass die Pigment- verteilung in der für das Dunkelauge charakteristischen Anordnung durchgeführt ist. In denkbar vollkommener und wegen ihrer uner- warteten Sinnfälligkeit mir geradezu überraschender Weise ist dies Verhalten an den Augen von Nematoscelis Mantis und der Stylocheiron- Arten durchgeführt: Das Retinapigment, welches ja überhaupt funk- tionell für Tiefseeorganismen.belanglos wäre, ist m Wegfall gekommen und das Irispigment zeigt konstant die Dunkelstellung. Ich habe nun früher darauf hingewiesen, dass gelegentlich diese Tiefseeformen auch vereinzelt bis an die Oberfläche gelangen und habe auch auf die Be- dingungen aufmerksam gemacht, unter denen dies geschieht. Indem ich bezüglich der letzteren auf meine früheren Ausführungen verweise ?), bemerke ich, dass ich die Augen der von mir bei Tage an der Ober- fläche (bei den Canarischen Inseln) erbeuteten Exemplares von Stylo- cheiron mastigophorum in Sehnitte zerlegte, ohne indessen eine Ver- sehiebung des Irispigmentes wahrzunehmen. Sicherlich schwebte das Exemplar so lange in intensiv belichteten Regionen, dass Pigment- 1) Contrib. ä Petude des yeux de quelques Crustacös. Arch. de Biologie, Vol.X, 1891. (Vergl. namentlich die Figuren 1 u. 2 Taf. XVI und 1, 2, 10, 11 Taf. XVII) 2) Sitzungsber d. Akad. d. Wissensch., Berlin 1889, XXX, S. 550. 566 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. wanderungen hätten eintreten müssen, falls sie überhaupt dem Tiere zukämen. Ebenso habe ich die bei Tag und zwar bei greller Belich- tung mit den Tiefennetzen erbeuteten Exemplare mit jenen verglichen, die ich bei nächtlichen Zügen fing (die Protokolle der Fänge enthalten alle hierauf bezüglichen Daten), ohne dass Differenzen sich ergeben hätten. Das Auftreten von Retinapigment in der Umgebung der Rhabdome und längs der Sehnervenäste bei den Kuphausia-Arten, bei Nematoscelis rostrata und Thysanoössa gregaria deutet hingegen darauf hin, dass diese Organismen sich gelegentlich in belichteten Regionen aufhalten. Wenn nun die hier geäußerten Darstellungen das Richtige treffen — umd ich werde noch darauf hinweisen, dass sie mit den Ergebnissen über die vertikale Verbreitung pelagischer Organismen in Einklang stehen — so gelingt es ein untrügliches Merkmal für die Augen der Tiefsee-Crustaeeen in der Verteilung des Pigmentes zu erkennen. Ich darf es geradezu als das wesentliche Ergebnis meiner Untersuchungen bezeichnen, dass die biologische Bigenart pelagischer Crustaceen ihren getreuen Spiegel im feineren Bau des Auges findet. Pelagisch flot- tierende Schizopoden, welche auf den ständigen Aufenthalt in den dunklen Tiefenregionen angewiesen sind, entbehren des Retinapigmentes. Der Mangel des Retinapigmentes weist unzweideutig auf die Tiefsee- Natur des betreffenden Organismus hin. Was nun die Anorduung des Irispigmentes bei den Tiefsee-Schizo- poden anbelangt, so ergeben sich wesentliche Differenzen zwischen Front- und Seitenaugen lediglich bei den Stylocheiron-Arten. An den Seitenaugen umscheidet es fast den ganzen Krystallkegel, während es an den Frontaugen nur einen schmalen Ring am unteren Drittel der Kegel bildet. Es liegt auf der Hand, dass eine derartige Anordnung des Irispigmentes bei gleichzeitigem Mangel des Retinapigmentes eine Ueberempfindlichkeit des Auges gegen grelle Belichtung bedingt. Das Frontauge bietet uns den konträren Gegensatz zu dem Tagesauge vieler Insekten mit Appositionsbildern dar. Während die letzteren nachtblind sind und in der Dunkelheit nicht sehen, so sind wir wohl im Recht, wenn wir die mit den oben geschilderten Frontaugen aus- gestatteten Crustaceen für „tagblind“ erklären und ihnen das deutliche Sehen in belichteten Regionen absprechen. Gerade dieser Umstand mag es vorwiegend bedingen, dass die genannten Euphausiengattungen belichtete Regionen meiden und an die Tiefe gebannt sind. Als Kompens für den Mangel des Pigmentes ist nun offenbar die für Wassertiere fast befremdliche Wölbung der Cornea eingetreten. Es wäre irrtümlich, aus diesem Verhalten den Schluss zu ziehen, dass die Augen der Tiefsee-Formen nur nahe Gegenstände wahrnehmen. Die Einzelfacette gleicht stets einem auf Unendlich eingestellten astro- nomischen Fernrohr; die Hauptstrahlen gelangen zu dem Rhabdom, gleichgiltig ob die Cornea gewölbt oder flach ist. Wohl aber kommt Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. DIT die sammelnde Kraft der Linse, zumal wenn dieselbe halbkugelig hervor- sewölbt ist, für die Seitenstrahlen in Betracht. Wenn auch der Breehungs- exponent der Cornea sich vielleicht nur wenig von jenem des See- wassers unterscheidet (Unterschiede müssen vorhanden sein, wenn die Corneawölbung überhaupt einen Sinn haben soll), so werden doch die Seitenstrahlen gegen den Krystallkegel gebrochen und durch die eigen- tümliche Wirkung dieser Linsenzylinder den Rhabdomen zugeführt. Die Zusammensetzung der Kornea aus mehreren schalenförmig inein- ander greifenden Chitinlagen trägt sicher dazu bei, die Brechung der schräg einfallenden Strahlen zu unterstützen. Jedenfalls können Strahlen, welche im gewöhnlichen Auge bei mangelnder Krümmung der Cornea durch das Pigment absorbiert werden, den perzipierenden Elementen zugeführt werden: gewiss eine sinnreiche Einrichtung für ein Auge, in dem Alles auf Nutzbarmachen einfallender Strahlen, wenig auf Detaillierung des Bildes ankommt. @2 X ‚0 COLZERN ) Fig. Ss. Querschnitt durch das Rhabdomfeld des Frontauges von Stylocheiron mastigophorum. Die Rhabdome, welche den Facettengliedern des derselben Schnittserie entnommenen Schnittes Fig. 7 angehören, sind durch einen punk- tierten Kreis umgrenzt. N Immerhin ist nicht zu leugnen, dass in den so kärglich mit Pigment ausgestatteten Frontaugen mit ihren nach Art der nächtlich lebenden Insekten enorm verlängerten Facettengliedern sehr starke Zerstreuungs- kreise um die einzelnen Bildpunkte auftreten werden. Exner hat bereits darauf aufmerksam gemacht, dass solche Zerstreuungskreise nieht nur in den Augen mit Superpositionsbild, sondern selbst auch in jenen mit Appositionsbild auftreten müssen und scharfsinnig, wie seine ganzen Darlegungen sind, sucht er nachzuweisen, dass die Zerstreu- 568 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. ungskreise vorzüglich das Erkennen von Bewegungen unterstützen. Es liegt nun auf der Hand, dass in einem Auge mit mangelndem Retinapigment ein schräg auf die Kuppe eines Rhabdomens auffallender Strahl ungehindert in seinem weiteren Verlauf noch benachbarte Rhab- dome treffen und in Erregungszustand versetzen kann. In dem Front- auge mit seinen relativ langen Rhabdomen wird sich ein ungewöhnlich breiter Zerstreuungskreis bilden, welcher dem Tier die Annäherung von Objekten — wenn auch nur in schatthafter Versechwommenheit — verrät. Unterstützt wird dieses Vermögen dadurch, dass in dem Front- auge von Stylocheiron im Umkreis jener Rhabdome, welehe den mit Krystallkegeln versehenen Facettengliedern zugehören, noch eine un- wöhnlich große Zahl von Sehstäben wohl entwickelt und offenbar auch funktionsfähig auftritt, welehe — wie der Verlauf der Axenfäden be- weist — den rudimentär gewordenen Seitenfacetten angehören. Um eine Vorstellung von diesem Verhalten zu geben, so bilde ich im bei- liegenden Holzschnitt Fig. 8 nach einer Mikrophotographie einen Quer- schnitt durch das Rhabdomfeld desselben Auges ab, dessen obere Partie in Fig. 7 wiedergegeben wurde. Man konstatiert, dass die zu den 34 ausgebildeten Facettengliedern gehörigen Sehstäbe nur einen kleinen Teil des gesamten Rhabdomfeldes mit seinen in Kurven angeordneten Rhabdomen abgibt. Würde das Frontauge, statt trichterförmig sieh zu verbreitern, zylindrisch gestaltet sein und nur so viele Rhabdome enthalten, als funktionierende Krystallkegel ausgebildet sind, so müsste ein großer Teil schräg einfallender Strahlen an den Wandungen des Zylinders durch das Pigment absorbiert werden. Bei der vorliegenden Form des Auges treffen indessen schräg einfallende Strahlen die seit- lichen Rhabdome, indem sie gleichzeitig wiederum Zerstreuungskreise bedingen: ein neues Zeugnis dafür, dass im Dunkelauge der Tiefsee- Formen eine möglichst große Zahl einfallender Strahlen für den Seh- vorgang nutzbar gemacht wird. Die Region schärfster Perzeption im Rhabdomfelde wird immerhin jene sein, welche die den funktionierenden Facettengliedern angehörigen Rhabdome umfasst; sie verhält sich — wenn der Vergleich gestattet ist — wie die Macula lutea zur Netz- hautperipherie. Der Abriss, welchen ich über den Bau und die Leistung der Augen von Euphausien gegeben habe, mag vielleicht den Leser überzeugt haben, dass es nur auf dem Wege des Vergleiches gelingt, ein volles Verständnis für die morphologische und physiologische Eigenart der Tiefsee-Augen zu gewinnen. Die Anpassungen, welche dahin führten, dass das für Wahrnehmung bei Tag und Nacht eingerichtete Kugel- auge der Euphausia in ein zweigeteiltes Dunkelauge übergeführt wurde, lassen sich schrittweise verfolgen und ich glaube auch nieht fehl zu greifen, wenn ich annehme, dass die phyletische Entwieklung der Tiefsee-Schizopoden in diesem Verhalten ihren Ausdruck findet. Es Chun, Leuchtorgan und Facettenauge, 569 ’ [o} würde hier zu weit führen, wenn ich diese Ansicht durch einen Ver- gleich der Gesamtorganisation stützen wollte und so begnüge ich mich mit dem Hinweis, dass Nichts im Wege steht, die Vertreter der Gat- tung Euphausia als die primitiveren Forimen in Anspruch zu nehmen, von denen sich die Gattungen Thysanoössa, Nematoscelis und Stylo- cheiron in aufsteigender Reihenfolge ableiten lassen. Was wir über ihre Larvenformen und speziell auch über die Entwieklung ihrer Augen wissen, steht mit der vorgetragenen Ansicht m Einklang. Auch wider- sprieht ihr nicht die mehr und mehr sich einbürgernde Ueberzeugung, dass die Besiedelung der dunkelen Tiefenregionen mit einer eigen- artigen Lebewelt von der Oberfläche bezw. von den littoralen Regionen aus erfolgte. Eine Parallele zu den Umbildungen, welche die Tiefenformen der Euphausien eingingen, bieten uns unter den übrigen Schizopoden die Mysideen dar. Auch bei ihnen gibt das Kugelauge der in den ober- flächliehen Regionen sich aufhaltenden Gattung Mysis den Ausgangs- punkt für eine Reihe von Umbildungen ab, welche in den Tiefsee- Gattungen Euchaetomera Sars und Arachnomysis Chun ihr Extrem erreichen. Die Endglieder der Reihen gehen in dem feineren Bau der Augen sogar noch weiter auseinander, als es bei den Euphausien der Fall ist. Mysis besitzt ein Retinapigment in Gestalt besonderer Pig- mentzellen: die aberranteste Mysideengattung, nämlich Arachnomysis (ich fand diese bizarre Mysidee in größeren Tiefen des Mittelmeeres) weist nur noch das Frontauge auf, dessen Retinapigment völlig ge- schw anden ist, während das rotbraune Irispigment ungemein vergäng- lieh ist. Das Bindeglied gibt die seltene Gattung Euchaetomera ab mit ihrem in ein Seiten- und Frontauge geteilten Facettenauge. So scheinen mir denn diese Studien über das Facettenauge eine Bestätigung für die Anschauungen zu geben, welche ich mir auf Grund früherer Untersuchungen im Mittelmeer und Atlantischen Ozean über die Tiefenverbreitung pelagischer Organismen im Allgemeinen und der Schizopoden im Speziellen bildete. Ich wies nach, dass die Gattung Euphausia von der Oberfläche an bis in größere Tiefen verbreitet ist, während namentlich die Nematosceliden und Stylocheiren einen typi- schen Bestandteil der Tiefenfauna abgeben. Nur äußerst selten — und dann auch wieder unter besonderen Verhältnissen — erbeutet man sie an der Oberfläche, während man fast sicher darauf rechnen kann, dass Vertreter der Gattung Stylocheiron gefunden werden, wenn die Netze in Tiefen von 5001000 Meter versenkt werden. In den Schließ- netzen fanden sich Exemplare von Siylocheiron mastigophorum aus 500, 600 und 900 Metern: aus Tiefen also, in welche nach den neueren Untersuchungen kein Lieht vordringt. Meine Untersuchungen und auf sie gegründeten allgemeinen An- schauungen haben sowohl Zustimmung, wie Widerspruch erfahren. Alex. Agassiz prüfte auf einer neueren Expedition meine Befunde 570 Chun, Leuchtorgan und Facettenauge. und glaubt auf Grund der im Paeifischen Ozean mit dem Tanner- Schließnetz erhaltenen Resultate es in Abrede stellen zu müssen, dass erößere Tiefen als 500 Meter von flottierenden Organismen bevölkert sind. Eine absprechende Kritik meiner Befunde ist gerade von jener Stelle ausgegangen, wo ich die ersten Versuche mit dem von meinem kürzlich verstorbenen Freunde v. Petersen konstruierten Schließnetze unter- nahm, nämlich von Seiten der Neapler Zoologischen Station. Wer indessen glaubt, dass Giesbrecht!) dies auf Grund erneuter Experimente thut — zu denen wohl Niemand die beneidenswerte Gelegenheit aus- giebiger geboten ist, als den Beamten mariner Stationen — oder dass dies auf Grund fundamental verschiedener Anschauungen geschieht, wird sich enttäuscht fühlen. Ein gelegentlich bei dem Aufwinden des geschlossenen Netzes von mir beobachteter fingerbreiter Spalt gibt Veranlassung, dass meinen Versuchen jeglicher Wert abgesprochen wird. Ich glaube nieht müßig gewesen zu sein, um allen Einwürfen zu begegnen und habe das Schließnetz einer völligen Umänderung unterzogen. In dieser neuen Gestalt hat es sich auf meiner späteren Fahrt, vor Allem auch bei zwei Expeditionen, nämlich auf der Plankton- Expedition und auf der Fahrt der „Pola“ bewährt. Hensen brachte noch einen Verschluss an den Bügeln an, welcher jede Bedenken gegen etwaiges Aufireten eines Spaltes ausschließt und ich selbst habe gleich- zeitig eine derartige Verschluss- Vorrichtung, welche sowohl bei dem Aufwinden, als auch Herablassen des Netzes das etwaige Klaffen der Rahmen ausschließt, konstruiert. Ich glaube, dass das Netz in jener Form, wie ich es bereits auf der Naturforscher-Versammlung in Bremen demonstrierte, gegen Einwände frei sein dürfte. Wenn nun auch mein sehnlieher Wunsch, das Netz auf ozeanischen Fahrten erneut in An- wendung zu bringen, nicht in Erfüllung gegangen ist, so kann ieh doch mit Genugthuung darauf hinweisen, dass die Resultate der beiden genannten Expeditionen mit meinen Anschauungen nicht im Wider- spruch stehen. Die Plankton-Expedition macht genau auf dieselben Organismengruppen als Tiefenbewohner aufmerksam, welehe ich bereits als solche in Anspruch nahm. Speziell wird in Tiefen von 600 bis 1000 Metern auf die Schizopoden hingewiesen und ich greife wohl nieht fehl, wenn ich von vornherein annehme, dass unter diesen wiederum die Gattung Stylocheiron eine hervorragende Rolle spielt. Wenn nun in der obigen Kritik vom grünen Tische aus dekretiert wird, dass meine ersten Schließnetzversuche denselben Wert hätten, wie das Fischen mit offenen Netzen, so liegt darin indirekt die nicht beabsich- tiete Anerkennung, dass ich mit unvollkommenen Hilfsmitteln zu rieh- tigen allgemeinen Ergebnissen gelangt bin. Die Fehlerquellen können nicht so groß gewesen sein, wie man den Leser glauben macht, denn der Leiter der Plankton-Expedition, Prof. Hensen, schreibt mir kürz- lich: „Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Befunde unseres Schließnetzes 1) Fauna u. Flora d. Golfes von Neapel, Bd. 19, Pelagische Copepoden, 1892. Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. BYal im Ganzen durchaus die von Ihnen gemachten Befunde des Vorkommens in der Tiefe bestätigen, nur haben wir manche Tiefentiere auch noch an der Oberfläche gefangen“. Die letztere Bemerkung ist mir umsoweniger überraschend, als ich in meinen Berichten darauf hinwies, dass manche Organismen, welche ich im Mittelmeer in der Tiefe fand, im Atlantischen Ozean an der Oberfläche leben und dass weiterhin in monatlich sich wieder- holenden Perioden die tieferen Schichten durch Strömungen aufgewühlt werden und hierdurch Formen an die Oberfläche schaffen, welche auf den normalen Aufenthalt in der Tiefe angewiesen sind. Da nun einer- seits manche der interessanteren Tiefenbewohner so selten sind, dass es ein besonderer Glücksfall wäre, wenn sie in die Schließnetze ge- rieten, da andererseits das gelegentliche Aufsteigen von Tiefenformen die Auffassung bestärken könnte, dass es sich doch nicht um echte Tiefseeorganismen handele, so habe ich mir auf Grund der obigen Untersuchungen über das Facettenauge eine Vorstellung zu bilden ge- sucht, ob auch noch andere Momente uns eine sichere Handhabe für die Beurteilung der biologischen Eigenart von Organismen abgeben. Da muss ich nun gestehen, dass wenige Crustaceen der Tiefsee für den ständigen Aufenthalt in der dunklen Region des Meeres ähnlich günstig ausgerüstet sind, wie manche Euphausiengattungen. Mächtig entwickelte Raubfüße, welche in Scheerenhände enden, ein monströs verlängerter Spürapparat in Gestalt von Antennen mit inren Büscheln von zweizeilig beborsteten Sinneshaaren, Leuchtorgane, welche nach Art von Blendlaternen mit ihren Hohlspiegeln das Dunkel nach ver- schiedenen Richtungen erhellen und große Facettnnaugen, welche zwei- geteilt in sinnfälliger Weise die Merkmale von Dunkelaugen aufweisen: das Alles sind Auszeichnungen, wie sie charakteristischer für einen räuberisch lebenden Bewohner der Tiefsee kaum gedacht werden können. Breslau, Juni 1893. Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. Von Dr. F. Werner in Wien. (Schluss. Die Anpassung an das Wasserleben fördert wieder andere Er- scheinungen zu Tage. Bei Schlangen treten die Nasenlöcher an die Oberseite der Sehnauze (Homalopsiden, Acrochordiden, Hydrophiden und den Wassernattern: Helicops ete.; ferner bei Vipera arietans), wodureh die Möglichkeit geboten ist zu atmen, ohne mehr als das äußerste Minimum des Körpers aus dem schützenden Elemente heraus- zustrecken!). Auch bei Krokodilen ist dies zu bemerken. Auch die Wasserbewohner sind teilweise stark komprimirt (Hydrophiden, teil- 1) Von Säugetieren hat z.B. das Hippopotamus und die Pinnipedier unge- fähr dieselbe Lage der Nasenlöcher und dieselbe Art zu atmen. 972 Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. weise auch Homalopsiden und Acrochordiden, die meisten Fische); doch meistens ist nur der Schwanz durch Kompression zum Ruder um- gebildet |Krokodile, Varaniden, Wassermolche; auch einige Säugetiere (aber bei diesen meist dorsoventrale Kompression!)|; flossenförmige Extremitäten finden wir bei Robben, Sirenen und Walen, Pinguinen, Seeschildkröten, ferner von Reptilien noch bei dem ausgestorbenen Plesiosaurus und Ichthyosaurus, sowie endlich bei den Fischen. — Bei weitem die meisten und auffallendsten Veränderungen werden aber durch wühlende, grabende, unterirdische Lebensweise hervor- gerufen und ich möchte dieselben um so lieber hier besprechen, als sie mir im Zusammenhange noch nirgends erwähnt erscheinen und gerade die Reptilien und Amphibien, die, wie man aus dem Voran- gegangenen ersehen haben wird, die Basis meiner Studien über Kon- vergenz abgegeben haben, eine große Anzahl von Beispielen darbieten und zwar Beispiele für alle Stadien bis zur vollständigen heduktion aller die Wühlthätigkeit störenden Organe ete. Die erwähnten Veränderungen sind folgende: I. Rückbildung der Extremitäten bis zum vollständigen Fehlen: Amphisbaenen (Chirotes, Am; hisbaena); Seincoiden (Ly- gosoma, Ophiomorus, Feylinia), Anguiden (Angwis, Ophisaurus); Tejiden; Pygopodiden, Anielliden; ferner die Apoden unter den Amphibien. II. Rückbildung des Schwanzes. Obwohl man nicht recht einsehen kann, im welcher Beziehung diese Erscheinung zu der Wühlthätigkeit steht, so unterliegt es dennoch keinem Zweifel, dass eine solehe Beziehung wirklich existiert. Der Schwanz ist sehr stark verkürzt bei Typhlopiden und Glaukoniiden, Uropel- tiden, in geringerem Grade bei Ilysiiden und Eryeiden, stärker wieder bei Amphisbaenen und Apoden. III. Rückbildung der Augen, welche bis zu vollständigem Schwunde; bei Typhlopiden, Glaukoniiden, Uropeltiden (klein sind die Augen auch schon bei Eryx und den Ilysiiden); ferner bei Amphisbaenen, Apoden; ferner auch noch bei manchen Sein- eoiden (Feylinia) ete. IV. Aufhören des Unterschiedes in der Bedeckung der Ober- und Unterseite. Bei den meisten der vorher er- wähnten Tiere bemerkbar; die Semeoiden, Anguiden, kurz die ganze Gruppe der grabenden und wühlenden Seimeoiden (im weiteren Sinne Strauchs) und Chaleidier (Straueh) lassen diese Erscheinung bemerken, dass die Schuppen rund um den Körper dieselbe oder nahezu dieselbe Gestalt haben. Bei Ery- eiden und Ilysiiden sind wenigstens die Ventralen schon sehr schmal. Die Begründung der Aufhebung des Unterschiedes zwischen Ober- und Unterseite ergibt sich leicht aus dem Um- stande, dass es für Tiere, welche in der angegebenen Weise leben, kein Oben und Unten gibt. Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. 573 V. Das Rostrale vergrößert sich bedeutend und nimmt häufig eine keil- oder schaufelförmige Gestalt an; letzteres be- sonders bei Eryx, Lytorhynehus, Seineus, Chaleides sepoides, also den Wüstentieren, welche im Sande schwimmen, also emem leicht zu bearbeitenden Medium und deren Gänge nicht bleibend sind, sondern hinter dem Tiere wieder zusammenfallen. Sonst be- sitzen noch Typhlopiden und Glaukoniiden, auch die Uropeltider und Amphisbaenen, sowie verschiedene fußlose Scincoiden ein großes Rostrale; von Schlangen auch noch Prosymna und Temno- rhynehus, Colubriden und Atractaspis (Klapide). Wie die Vergrößerung des Rostrale mit der unterirdisch wühlen- den Lebensweise, so soll das Vorkommen emes oder mehrerer Kränze von Schildehen um das Auge mit der Nahrung (solche Schlangen sind fast ausnahmslos Säugetierfresser) zusammenhängen, indem dadurch der Rachen eine größere Beweglichkeit nach seitwärts erhält und da- durch die Aufnahme so schwierig zu verschlingender Beutetiere wie die Säugetiere und Vögel im Vergleich zu den glatten und leicht rutschenden Amphibien, Fischen und auch noch Reptilien sind, er- möglicht wird. Obwohl diese Annahme nicht ganz feststeht, mdem es wenigstens sehr viele Schlangen gibt, die Säugetierfresser sind, ohne Augenkränze zu besitzen, so hat sie doch Vieles für sich; das wenigstens scheint sicher, dass alle Augenkranzbesitzer auch thatsächlich warmblütige Wirbeltiere fressen. Die merkwürdigen schiefen Rasselschuppen von Cerastes, Echis und Dasypeltis — eine ganz auffallende Wüsten -Konvergenzerschei- nung — dienen wohl vorzugsweise zum schnellen Eingraben in den Sand, indem sie gleichsam als kleime Sandpflüge wirken; ob diese Schlangen das knisternde Geräusch, welches sie mit diesen (mit ge- zähnten Kielen versehenen) Schuppen erzeugen, etwa dazu verwen- den, um kleine Beutetiere, deren Blick sie durch ihre Färbung ebenso wie durch das Eingraben in den Sand vollständig entzogen sind, neu- gierig zu machen und anzulocken, darüber ist mir nichts bekannt, doch hoffe ich noch in diesem Jahre in der algerischen Sahara, wo drei soleher Schlangenarten leben, darüber Beobachtungen anstellen zu können. Konvergenzerschemungen sind aber auch die Glasfenster im un- teren Augenlid von Lacertiden und Seineoiden, welche im Sande leben; die Verwachsung des oberen und unteren Augenlides zu einer das Auge überziehenden Kapsel (bei Schlangen, Geckoniden ete.), ferner wohl auch die horizontalen oder vertikalen Spaltpupillen der Nacht- tiere (bei Halbaffen, Katzen, Eulen, Rhynchocephalen, Geckoniden, Dipsadiden, Amblycephaliden, Viperiden, Crotaliden, bei Pelobates ete. vertikal, bei Hyla, Bufo ete. horizontal). — Sehr merkwürdig ist die Aehnlichkeit, welche das Gebiss gewisser 74 Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. Eidechsen, nämlich der Agamen und wohl auch des Sphenodon mit dem der Raubsäugetiere infolge der Differenzierung des Gebisses, be- sonders durch das Auftreten größerer und kräftiger Eekzähne besitzt; um so merkwürdiger als gerade diese Eideehsen zum großen Teil wenigstens partielle Pflanzenfresser sind. — Was übrigens die letzteren anbelangt, so ist ein auffallender Un- terschied von den Fleischfressern vielleicht durch das ganze Tierreich, wenigstens aber, soweit mir bekannt ist, über Wirbeltiere und Insekten verbreitet; es ist dies die relativ bedeutendere Länge des Darmes, die überall dort bemerkbar ist, wo eben Pflanzen- und Fleischfresser in derselben Tierkategorie nebeneinander vorkommen. Mit der Art der Ernährung im Zusammenhang steht jedenfalls auch die biologische Konvergenzerscheimung, dass Pflanzenfresser in viel kürzeren Zwischen- räumen und auch in größerer Masse Nahrung zu sich nehmen als Fleischfresser; ein Umstand, der besonders bei den im Allgemeinen im Fressen enthaltsamen Reptilien sehr merklich ist. Während z. B. ein Varanus griseus, der von mir mit einem etwas kleineren Uromastrix acanthinurus zusammen im selben Behältnis gehalten wird, in der Zeit von 285 Beobachtungstagen nur 4lmal Nahrung zu sich nahm und bei jeder Fütterung vollständig gesättigt wurde, wurde der Uromastix in der gleichen Zeit mindestens jeden zweiten Tag bis zur Sättigung gefüttert und gab schon nach drei- bis viertägigem Hungern so deut- liche Zeichen von Ermattung und Unbehagen, wie der Varanus kaum nach einer mehrwöchentlicehen Hungerperiode. Sehr bekannt ist jene Konvergenzerschemung der Beuteltiere, welche in der Wiederholung gewisser Placentaliertypen ihren Ausdruck findet, sodass wir dem Gebisse nach Raubtiere und Insektenfresser, Huftiere und Nager unter den Beuteltieren unterscheiden können (ein außerordentlich dem der Nager gleichendes Gebiss besitzt übrigens auch das madagassische Fingertier |Chiromys|, also ein Halbaffe). — Andere Beuteltiere gleichen auffallend Flughörnchen, Spitzmäusen, Halbaffen u. s. w. Gerade bei den Säugetieren wird sich manches noch als Konvergenz herausstellen, was jetzt noch als Verwandtschaft betrachtet wird; so ist es z. B. nieht unmöglich, dass die fliegenden Hunde trotz ihrer weitgehenden Aehnlichkeit mit den Fledermäusen zu den Halbaffen zu verweisen sind, wenn auch einstweilen die Ein- reihung unter jene noch ganz wohl begründet erscheint. Ebenso sind die Untergruppen der Edentaten vorwiegend dureh (teilweise negative) Konvergenzcharaktere zusammengehalten und haben die Faultiere viel- leicht ebensowenig Verwandtschaft zu den Gürteltieren oder Ameisen- fressern, als zu einer anderen Säugetierordnung; hat doch Küken- thal nachgewiesen, dass die einander so ähnlichen Zahn- und Barten- wale nur einer Anpassung an das Leben im selben Medium ihre Aehnliehkeit verdanken, aber ebensowenig unter dieselbe Kategorie eingereiht werden dürfen, als die Sirenen, die „pflanzenfressenden Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. ID Wale“, die schon seit längerer Zeit aus der Cetaceengruppe ausge- schieden sind. Eine merkwürdige und schon vielbesprochene, äußerst weitgehende Konvergenzerscheinung ist die große Aehnlichkeit gewisser Formen der altweltlichen Agamiden und der neuweltlichen Iguaniden; man vergleiche die oft so außerordentlich ähnlichen Dornschwänze, Erd- und Baumeidechsen, Segel- und Kröteechsen beider Erdhälften. Ich möchte noch einige weniger verbreitete, wenn auch nicht un- interessante Konvergenzfälle erwähnen: so die merkwürdige Kopfbil- dung des Chamaeleons, welehe in großer Aehnlichkeit bei der Igna- nidengattung Chamaeleopsis (Corythophanes) auftritt; das Vorkommen der charakteristischen Fischschuppen der Scincoiden bei den Gecko- niden-Gattungen Teratoseineus und Geckolepis, und der Tejidengattung Tretioscineus; die Haftlamellen auf der Unterseite der Zehen von Gecko- niden und Anolis; höchst merkwürdig sind auch die ebenso wie bei den Katzen in eine Scheide zurückziehbaren Krallen gewisser Gecko- niden — die J. v. Fischer mit vieler Berechtigung auch als die Katzen unter den Eideehsen bezeichnet hat — nämlich bei Aeluronyr, Aelurosaurus u. a. Einen gegenüberstellbaren Daumen an den Vorder- und Hinterbeinen wie die Affen und Halbaffen besitzen u. a. auch die Laubfrösche der Gattung Phyllomedusa; überhaupt bedingt gleiche Lebensweise gerade im Bau der Extremitäten eine oft überraschende Aehnlichkeit, wie dies z. B. die vertikal einschlagbaren haubfüße von Mantis, Mantispa und Ranatra, die horizontal einschlagbaren von Squilla und Nepa beweisen, Grabfüße wie beim Maulwurf finden sich nicht nur bei einem Beuteltier, dem neuentdeckten Notoryetes typhlops, sondern auch in noch ganz bedeutender Aehnlichkeit bei der Maul- wurfsgrille. Bei weitem die meisten extremitäten-besitzenden Tiere graben auf dieselbe Art und Weise; sie scharren mit den Vorder- füßen zunächst den Sand oder die Erde von und unter ihrem Kopf weg und auf die Seite und schaffen sie von dort mit den Hinterfüßen nach hinten, was mit einer gewissen Taktmäßigkeit und meist großer Schnelligkeit vor sich geht; die Herausbeförderung des Materials aus dem gegrabenen Loch geschieht in der Regel nicht gleichzeitig mit der grabenden Thätigkeit der Vorderfüße, sondern immer erst nach einiger Zeit, wenn sich eine größere Menge ange- sammelt hat; während der Zeit des Herausschaffens ruht in der Regel die Thätigkeit der Vorderextremitäten. So habe ich verschiedene Säugetiere, Schildkröten, Varane, Semeoiden und Kröten graben gesehen. Sehr häufig sind die Fälle negativer Konvergenz. Solche sind: Das Fehlen der Gaumenzähne bei gewissen Bidechsen und Batrachiern aus Gattungen mit Gaumenzähnen (Lacerta vivipara), das Fehlen des Schlüsselbeins bei verschiedenen Säugetieren, und vieles Andere, was schon bei früherer Gelegenheit erwähnt wurde. Obwohl ich von den niederen Tieren nur wenige Beispiele von Konvergenz erwähnt habe, sind doch auch bei ihnen solehe Fälle nicht 576 Werner, Studien über Konvergenz-Erscheinungen im Tierreich. seltener als bei den Wirbeltieren. Bekannte Erschemungen dieser Art sind unter andern: die bedeutende Achnliehkeit der Myriopoden aus der Gattung Glomeris mit den echten Asseln (Isopoden) unter den Urustaceen, die wohl kaum als nachahmende Anpassung bezeichnet werden kann, wenn auch der gelbe übelriechende Saft, der den @Gl/o- meris-Arten wie überhaupt den Diplopoden eigen ist, für sie ein Schutzmittel ist, das den Landasseln unter den Isopoden fehlt. Gemein- sam ist beiden Formengruppen die Fähigkeit des Zusammenkugelns; eine schützende Fähigkeit, die wir auch beim Igel und Gürteltier finden und die wir gewiss als Konvergenzerscheinung bezeichnen dürfen. Auch die Julus-Arten und ihre großen tropischen Verwandten können sich noch in derselben Riehtung zusammenrollen; bei ihnen ist aber die Bedeu- tung dieses Vorganges, die bei den früher erwähnten Tieren unzwei- felhaft klarliegt, nicht einzusehen, da hier keine weiche Innenseite beim Zusammenrollen durch eine stachlige oder gepanzerte Außenseite geschützt wird; da ja die Juliden fast vollständig gepanzert sind und wenn dies auch nicht der Fall wäre, durch das Zusammenrollen nur einen ganz mimimalen Bruchteil ihres Körpers schützen — es ist bei- nahe lauter Außenseite an ihnen. — Stachlige Außenseite bieten außer den Igeln, Schnabeligeln und der Gruppe der Stachelschweine noch eine ziemliche Anzahl von Tieren dar; wir finden diese wichtige Schutzemrichtung von Reptilien bei Moloch und Phrynosoma, in geringerem Grade bei anderen Agamen und Iguaniden ; bei Fischen und endlich bei verschiedenen Insekten (Flispa, Prionotheca) und bei den Seeigeln, teilweise auch noch bei den Seesternen; in allen diesen Fällen sind diese Stacheln und Dornen wirkliche Sehutz- apparate und man wird dies wohl immer dann annehmen dürfen, wenn man die Oberfläche ziemlich gleichmäßig und reichlich mit der- artigen Stacheln versehen findet. Wo nur wenige, vereinzelte, auf bestimmte Stellen beschränkte Stacheln vorkommen, da haben sie meist den Charakter von Angriffswaffen und wir kommen nun wieder auf das Kapitel „Hörner“, mit denen die Stacheln und Dornen in vielen Fällen zwar durehaus keine anatomische, histologische oder entwieklungsgeschichtliche, wohl aber eine gewisse biologische Ver- wandtschaft besitzen. Als auffallende Konvergenzerscheinungen wären noch die Scheeren der Crustaceen (namentlich Dekapoden) und Arach- niden (Skorpioniden, Pseudoskorpioniden und bei Telyphonus) zu nennen. Je weiter wir die Stufenleiter des Tierreiches hinabsteigen, desto geringer wird unsere Ausbeute an Konvergenzfällen; bei den Proto- zo&en zumal ist wohl nur die Tendenz zur Differenzierung vorhanden und es ist ganz natürlich, dass bei solchen, relativ doch noch so einfach gebauten und sieh noch wenig von einander unterscheidenden Organismen die Tendenz zu sekundärer, nicht auf Verwandtschaft be- gründeter Achnliehkeit sehr gering sein muss. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig, — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. ZIIı. Bard. 15. Oktober 1893. Nr. 19 u. 20. dikotyler Pflanzen (Schluss). — Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse bei Rotatorien. — HKoux, Ueber die Spezifikation der Furchungszellen und über die bei der Postregeneration und Regeneration anzunehmenden Vorgänge. — Ballowitz, Ueber die Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. — Todaro. Arbeiten aus dem anatomischen Institut zuRom. — Schmidt, Zur Blutlehre. — Ellenberger, Handbuch der vergleichenden Histologie und Physiologie der Haussäugetiere. Ueber das Vorkommen von Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Von Dr. A. Wieler, Privatdozenten der Botanik an der technischen Hochschule zu Braunschweig. (Schluss. 2. b. Entstehung der gummösen Verstopfungen der Gefäße. Die Natur und die Entstehungsweise dieser gummösen Gefäßver- stopfungen ist zuerst an den Kirsch- und Aprikosenbäumen näher untersucht worden. Diese leiden bekanntlich häufig an einer Krank- heit, bei welcher Gummi aus dem Stamm oder den Zweigen austritt, an Gummosis. Die Zellwände bestimmter Elemente des Holzes und der Rinde werden in Gummi umgewandelt, nachdem wenigstens im Holzkörper vorher von den normalen abweichende Elementarorgane erzeugt worden sind. Das hier gebildete Gummi, welches schließlich durch Spalten und Risse in der Rinde austritt, hat die bekannte Be- schaffenheit und das Aussehen des Kirschgummis. Die Ursache dieser Erscheinung ist bisher noch vollständig in Dunkel gehüllt; es scheint, dass ein großer Reichtum an Nährstoffen und an Wasser Bedingung dieser Krankheit ist. Hand in Hand mit dieser pathologischen Er- scheinung geht das Auftreten von Gummiausfüllungen der Gefäße in den kranken Holzpartien. Es ist das Verdienst Tr&ecul’s!), zuerst 1) „Production de la gomme chez le Cerisier, le Prunier, ’Amandier, l’Abricotier et le P&cher* (Procös- verbaux des seances de la Societe philomatique pendant l’annde 1862, seänce du 12 juillet 1862 et Journal V’Institut 1862 S. 241). Zitiert nach P rillieux. XIII. BY 378 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. darauf hingewiesen zu haben, dass dies Gummi von dem aus der Desorganisation von Zellwänden entstehenden seiner Natur und seiner Entstehung nach durchaus verschieden ist. Das Gummi stammt nicht aus der Desorganisation der Gefäßwände, sondern wird aus den an- grenzenden lebenden Zellen in die Gefäße abgesondert. Um die beiden Gummiarten verschiedenen Ursprunges zu unterscheiden, schlägt Tre- eul vor, das Gummi der Gefäße im Gegensatz zum Cerasin, dem soge- nannten Kirschgummi, als Cerason zu bezeiehnen. Diese Arbeit scheint ziemlich unbekannt geblieben zu sein, denn die klare Unterscheidung beider Gummiarten vermisst man im den späteren Arbeiten von Wi- sand!) und Frank?), obgleich diese Forscher das in physikalischer Hinsicht abweichende Verhalten des Gefäßgummis wahrgenommen haben. Nach ihnen soll auch dies Gummi aus einer Desorganisation der Wand hervorgehen, was sie zum Teil durch Abbildungen erläutern. Frank allerdings macht diese Einschränkung, dass nur ein Teil des Gummis aus der Membran stammen könne, da die Menge zu groß sei, die übrige Masse aus den Inhaltsstoffen der Zellen herrühren müsste. Ebenso unbekannt geblieben ist augenscheimlich eine Arbeit von Sanio, welche im Wesentlichen Tr&eul’s Angaben bestätigt, ohne dass Sanio seine Untersuchung gekannt zu haben scheint. Sie stimmen vollständig mit den Ergebnissen der neueren Untersuchungen überein, ich lasse deshalb seine Angaben hier wörtlich folgen): „Wigand, der diesen Stoff in den Gefäßzellen von Prunus Avium sah, behauptet, derselbe bestehe aus Gummi und entstände durch Des- organisation aus den Gefäßwandungen. Dieser Stoff ist aber weder Gummi, noch entsteht er aus der Zellenwand. Wäre er Gummi, so müsste er in Wasser aufquellen oder sich gar lösen, was nicht der Fall ist. Da die innerste Verdiekung der Gefäße bei den Amygdaleen spiralig ist, so müssten, wenn sich aheeer: Stoff aus den Verdiekungs- schichten der Gefäße gebildet hätte, die Spiralen zunächst dafür ver- braucht werden, während sie sieh stets nachweisen lassen, selbst wenn man dreen Stoff mittels chlorsauren Kalis und Salpetersäure entfernt hat. Bei UÜlex europaeus fand ich die im Kernholz umge- wandelten Spiralgefäße der Markkrone vollständig mit diesem hier karminroten Stoffe erfüllt, ohne dass die Spiralen dabei verändert gewesen wären. Dieser eigentümliche Stoff kommt meist als mehr oder weniger starker Wandbeleg vor, und bildet außerdem in größeren oder Sana Zwiischenräumen in den Gefäßen mehr oder weniger N „Ueber die Desorganisation der Pflanzenzelle, insbesondere über die physiologische Bedeutung von Gummi und Harz“. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. III, 1863. 2) „Ueber die anatomische Bedeutung und die Entstehung der vegetabi- lischen Schleime“. 1. ce. Bd. V. 3) „Vergleichende Untersuchungen über die Elementarorgane des Holz- körpers“. Bot. Ztg., 1863, S. 126. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 579 dicke bikonkave Scheidewände, seltener füllt er dieses oder jenes Gefäß ganz aus (Prunus spinosa). Manchmal findet man ihn von der Gefäßwandung aus in Form eines rundlichen Tropfens oder kleinen Zapfens ins Innere der Gefäßzelle hineinragend. Bei Virgilia lutea sieht man auf Längsschnitten, dass dieser Stoff über die ringförmigen Reste der die über einander liegenden Gefäßzellen trennenden Quer- wände aus einer Gefäßzelle in die andere kontinuierlich fortsetzt, manchmal in doppelter Lage vorkommt, als wenn ein doppelter Erguss dieses Stoffes stattgefunden hätte; stellweise findet man ihn hier auch reichlicher als halbkugelige Masse ins Innere der Gefäßzelle hinein- 'agend. Alle diese Beobachtungen, namentlich auch die bikonkave Form der Scheidewände, welche einer im dünnen Röhren eingeschlos- senen Flüssigkeit zukommt, beweisen, dass dieser Stoff, der im trockenen Zustande häufig Sprünge zeigt, anfänglich flüssig war. Bei seinem ersten Auftreten ist er farblos, später, wenn das Holz sich in Kern- holz umwandelt, nimmt er verschiedene Farben an, schwefelgelb z. B. bei Ailantus glandulosa, karminrot bei Ulex europaeus, rotbraun bei Prunus domestica, spinosa, Amygdalus coınmunis. Meist ist er homogen, zuweilen aber auch granulös (Castanea vesca). Auch in den Mark- strahlen und dem Holzparenchym, desgleichen im Libriforn und den Tracheiden findet man diesen Stoff. Außer bei den angeführten sah ich ihn auch bei Zanthoxylon fraxineum, Rhamnus cathartica, Sorbus Aucuparia, Periploca graeca, Caragana arborescens, Gleditschia tria- canthos ete.... Was die Entstehung dieses eigentümlichen Inhaltes der Gefäße anbetrifft, so glaube ich nicht zu irren. wenn ich annehme, dass er sich in den Markstrahlen und dem Holzparenchym bildet und von hier aus in die Gefäße gelangt. Er findet sich übrigens nicht allein als Inhalt, sondern durchdringt auch die Membranen. Gegen Reagentien ist er sehr resistent, wird von Aetzkali nicht wesentlich verändert, dagegen, in chlorsaurem Kali und Salpetersäure gekocht, zuerst entfärbt und dann gelöst“. Trotz der Uebereinstimmung der Treeul’schen und Sanio’schen Angaben, gelangte diese Ansicht doch nicht zur Herrschaft. Deshalb unterzog Prillieux!) 1875 die Frage einer erneuten Untersuchung. Er konnte unzweifelhaft feststellen, dass die Gummimassen der Ge- fäße aus den Stärkekörnern der angrenzenden lebenden Zellen stammen, dass sie durch die Gefäßwand hindurch in das Lumen der Gefäße ab- geschieden werden, und dass die Membranen hierbei vollständig un- versehrt bleiben. Obgleich Prillieux diese Thatsache einwurfsfrei bewiesen und seine Ergebnisse durch Abbildungen veranschaulicht hatte, errang sich diese Ansicht doch nieht die allseitige Anerkennung; so beharrte z.B. Frank in seinen 1880 erschienenen „Krankheiten der Pflanze“ bei seiner früheren Meinung. Abermals sehen wir diese 1) Prillieux, „Etude sur la formation de la gomme dans les arbres fruitiers“. Annales des Sciences naturelles, 6. Ser, Bd. 1, 1875. ori Il 580 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Frage in Angriff genommen, und zwar von zwei verschiedenen Seiten. In unabhängig von einander angestellten Untersuchungen kommen Gaunersdorfer!) und Temme?) zu denselben Ergebnissen wie Treeul, Sanio und Prillieux. Gaunersdorfer wurde zu seiner Uutersuchung veranlasst durch die Wahrnehmung, dass verwundete Aeste und Zweige unter dem Ein- flusse äußerer Agentien nicht so leiden, als man erwarten sollte. Eine entsprechende Prüfung zeigte ihm, dass der Holzkörper durch Ver- stopfung der Gefäße mit gummiartigen Massen gegen die Außenwelt abgeschlossen wird. Zugleich färbt sich dieser Holzteil dunkler als das Kernholz, welches mit ihm darin noch eine weitere Ueberein- stimmung zeigt, dass in ihm analoge Verstopfungen der Gefäße auf- treten. Aus dem Grunde nimmt Gaunersdorfer auch keinen An- stand, das dunkler gefärbte verletzte Holz geradezu als Kernholz zu bezeichnen. Als Temme Kirschbäume, welche nicht von der Gummosis be- fallen waren, verwundete, konnte er an den verletzten Stellen genau dieselben Beobachtungen machen. Dasselbe beobachtete er an Gleditschia triacanthos, Quercus pedumeulata, Pirus malus und Juglans regia, welche er in analoger Weise behandelt hatte. Auf Grund seiner experimen- tellen Erfahrungen glaubte er sich berechtigt, seine Ergebnisse zu verallgemeinern. Demnach werden im Holze in Folge der Verwundung die Gefäße verstopft, sei es durch die erwähnten Gummimassen, sei es durch Thyllen. Er erkannte gleichfalls das Uebereinstimmende in der Beschaffenheit dieses Schutzholzes — so nannte er es nämlich — und des Kernholzes. Hieraus schloss er, dass auch die Entstehungs- weise der Gefäßausfüllungen im Kernholz die nämliche sei wie im Schutzholz, wo er sie eingehend verfolgt hatte. Nach so vielen Untersuchungen mit übereinstimmenden Resultaten herrscht über die Entstehungsweise der Gummiverstopfungen heute kein Zweifel mehr. Sie nehmen ihren Ursprung in den an die Gefäße angrenzenden lebenden Zellen, indem das sie bildende Material aus ihnen durch die Wand in das Innere des Gefäßes hineingelangt. Um aber dem Leser eine Vorstellung zu geben, wie diese Ansicht bewiesen worden ist, so lasse ich im Nachstehenden Temme’s Untersuchungen mit seinen eigenen Worten folgen. Hieran schließen sich seine An- gaben über die physikalische und chemische Beschaffenheit der Gummi- massen. Namentlich aus der letzteren geht hervor, dass wir es hier, trotz des in mancher Beziehung abweichenden Verhaltens gegenüber dem gewöhnlichen Gummi mit einer wirklichen Gummiart zu thun 4) „Beiträge zur Kenntnis der Eigenschaften und Entstehung des Kem- holzes“. Sitzb. d. Wiener Akad. d. Wissensch., 85. Bd., 1. Abt., 1882. 2) „Ueber Schutz- und Kernholz, seine Bildung und seine physiologische Bedeutung“. Landw. Jahrbücher, XIV, 1885. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 581 haben. Frank, der in den Berichten der deutschen bot. Gesellschaft!) über die Untersuchungen seines Schülers Temme berichtete, unter- scheidet dies Gummi als Schutzgummi von dem andern. Temme stellte seine Untersuchungen zunächst an Prunus avium an, indem er an jungen Bäumen Flachwunden anbrachte und das ent- stehende Schutzholz von Zeit zu Zeit prüfte. „Nach S—10 Tagen nimmt das Holz im normalen Zustande von srünlichweißer Farbe, an den Wundstellen eine mehr gelbliche bis rötliche Färbung an. Ein Querschnitt durch dasselbe zeigt erstens, dass die Membranen der Holzzellen und Gefäße hier eine sehr blass- rötliche Farbe angenommen haben, aber so schwach, dass nur auf diekeren Querschnitten und besonders im auffallenden Lichte auf der Holzmasse das Kolorit hervortritt. Zweitens und hauptsächlich aber rührt die Veränderung von einer sehr intensiven Färbung der Mark- strahlen her. Letztere haben hier eine braune Inhaltsmasse in Form meist zahlreicher, verschieden großer, aber im Allgemeinen sehr kleiner brauner Körmchen, welche vorwiegend an der Zelle sitzen oder die Stärkekörner umgeben; an stark gebräunten Zellen sind wohl auch die Stärkekörner selbst zum Teil in diese braune Substanz verwandelt, indem sie einen Saum von solcher erkennen lassen, welcher von Jod nicht mehr violett gefärbt wird, oder sie sind auch gänzlich ver- schwunden und durch die braune Substanz ersetzt. Letztere erweist sich nach den unten zu beschreibenden Reaktionen als Gummi, welches hier also als Neubildung im Zellinhalte und zum Teil als Umwandlung der Stärkekörner entsteht. Im Laufe «der Zeit nimmt die, Verfärbung der Markstrahlen immer mehr zu und man bemerkt nach 4—5 Wochen, dass dieselbe nun auch auf das dazwischenliegende Gewebe überge- gangen ist, indem es hier und da und zwar hauptsächlich im der Nähe der Markstrahlen einzelne dunkle Punkte erkennen lässt. Bei näherer Untersuchung erweisen sich diese als die ersten Anfänge der Gummi- bildung in den Gefäßen und Holzzellen. Sie erscheinen als mehr oder weniger gelbliche, mitunter auch farblose, scharf umschriebene, kuglige, flache oder elliptische Tröpfehen, die in das Zelllumen ragen und in größeren oder kleineren Zwischenräumen der dabei vollständig intakten Gefäßwand aufsitzen. Mit zunehmender Größe färben sie sich meist dunkler, wodurch auch das Holz dunkler erscheint, fließen zusammen und verstopfen bei fortschreitenden Wachstum schließlich das ganze Gefäß. Mitunter löst sich der aus den zusammengeflossenen Gummi- tröpfehen entstehende Wandbelag stellenweise von der Membran ab und erfüllt dann in Form eines geschlängelten Bandes das Lumen. Die Gummisekretion beginnt an verschiedenen Stellen zugleich und an diesen in der Regel mit verschieden großer Energie, und zwar treten diese Verhältnisse sowohl auf der ganzen Wundfläche wie in den ein- 4) „Ueber die Gummibildung” im Holze und deren physiologische Bedeu- tung“, Bd. II, 1884. | 582 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. zelnen Gefäßen zu Tage. Auf dem Längsschnitt kann man öfter be- obachten, wie an verschiedenen Stellen Cerasinabsonderungen die Ge- fäßwände zu überbrücken suchen, während an anderen ihnen dies bereits gelungen ist, wodurch ein System von Gummipfropfen und Luftblasen entstanden ist, das sich treffend m’t einer Jamin’schen Kette vergleichen lässt“. Die Untersuchung de. anderen bereits er- wähnten Hölzer lieferte dasselbe Resultat, „nur sind die die Gefäß- 'umina ausstopfenden Sekretionen nicht immer wie bei den Amygda- 'aceen einfache, homogene klare Tropfen, sondern oft aus vielen kleinen Tropfen oder Körnchen zusammengesetzte Aggregate, die in Folge dessen ‘weniger hell, sondern mehr trübe, grau oder schwärzlich er- scheinen. Dass wir es hier überall m der That mit ein und demselben Körper und zwar mit Gummi zu thun haben, geht aus den nachfolgen- den Reaktionen hervor, welche in allen untersuchten Fällen mit den- jenigen des Gummi unserer Steinobstgehölze übereinstimmten. Diese Körper sind unlöslich in kaltem wie in heißem Wasser. Infolge ihrer geringen Imbibitionsfähigkeit verlieren sie auch selbst durch Kochen in Wasser nichts von ihrer ursprünglichen Konsistenz. Das Gummi erscheint dann zwar etwas heller, im übrigen aber unverändert. Es widersteht ferner den Lösungsmitteln Kalilauge, Alkohol, Aether, Schwefelsäure und bei gewöhnlicher Temperatur Salpetersäure, Königs- wasser; durch letztere drei, namentlich durch Schwefelsäure, wird es nur stark gebräunt. Dagegen geht es, wie überhaupt jedes Gummi, beim Behandeln mit Salpetersäure in der Wärme in Lösung, wobei es Oxalsäure und Schleimsäure liefert. Mit ligninhaltiger Cellulose hat es die Eigenschaft gemein, aus einer Fuchsinlösung den Farbstoff auf- zuspeichern, söwie mit Phlorogluein und Salzsäure bei genügend langer Einwirkung intensiv rote Färbung anzunehmen. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass einzelne Ausfüllungen in beiden Fällen oftmals die Annahme der Färbung hartnäckig verweigern, selbst dann, wenn man die Schnitte längere Zeit in den Reagentien liegen lässt. Womit dies zusammenhängt, habe ich nicht näher ermitteln können; möglich ist, dass das verschiedene Alter der Gummiausfüllungen hierbei von Ein- fluss ist. Eine imteressante und überall übereinstimmende Reaktion besteht darin, dass, wenn man genügend dünne Schnitte etwa eine Viertelstunde lang mit verdünnter Salzsäure und chlorsaurem Kali digeriert hat, das Gummi in den Gefäßen und Holzarten zwar noch nicht aufgelöst, aber in einen Zustand übergeführt ist, der in Wasser, Aether unlöslich, aber in Weingeist sehr leicht löslich ist. Dabei er- scheint dieser neue Körper inbezug auf Konsistenz und Form von dem ursprünglichen gar nicht verschieden; nur seine Farbe hat etwas an Intensität verloren und die Chlorwasserstoff-Phlorogluein-Reaktion tritt nicht mehr bei ihm ein. Fügt man tropfenweise Alkohol hinzu, s0 sieht man ihn unter Schaumigwerden verschwinden. Setzt man aber das Digerieren mit Salzsäure und chlorsaurem Kali längere Zeit, etwa Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 583 eine halbe Stunde lang fort, so löst er sich dabei auf. Das Gummi wird also bei dieser Behandlung zunächst in einen seiner Reaktionen nach an die Harze erinnernden neuen Körper übergeführt, dessen chemische Konstitution aber wegen der Schwierigkeiten, die sich der Gewinnung einer größeren Menge desselben in reinem Zustande ent- gegensetzen, sich bis jetzt noch nicht hat feststellen lassen. Jedenfalls handelt es sich um ein Oxydationsprodukt von Gummi“. Dieser chemischen Beschaffenheit entspricht die physikalische. Es sind harte feste Gummipfropfen, die sich aueh in Wasser mit der Prä- pariernadel als knorplige Körper anfühlen. Später kommt Temme noch einmal auf die Frage zurück, woher das Gummi stammt, und in welcher Form es in die Gefäße hineinge- langt. Inbezug auf den ersten Punkt schließt er sich — und Frank mit ihm — ausdrücklich den Ansichten Prillieux’s an, dass die Gummimasse aus den an die Gefäße angrenzenden lebenden Zellen stamme, und dass die Gefäßwand, welcher freilich die Gummitropfen aufsitzen, an der Bildung dieser vollständig unbeteiligt ist. „Der Stoff, welcher zur Erzeugung des Gummis in den Elementarorganen des Holzes dient, diffundiert aus den lebensthätigen Inhalt führenden Zellen durch die Membran in das Lumen jener Organe, wo man ihn zuerst in Form ganz kleiner, meist schwach gelblich gefärbter Gummitröpfehen auf der inneren Oberfläche der Membran sich sezernieren sieht. Die letztere erscheint dabei ebensowenig wie später, wo die Tropfen all- mählich wachsen und zusammenfließen, in Aussehen und scharfer Be- grenzung irgend wie verändert, was ich vielmals auf den dünnsten Sehnitten und mit den stärksten Vergrößerungen sicher konstatieren konnte. Es bleibt also nur übrig anzunehmen, dass die Lieferanten des Materials für die Gummibildung die Nachbarzellen sind. Dass dem thatsächlich so ist, dafür spricht, außer der direkten Beobachtung, noch Folgendes: Einmal der Ort des ersten Auftretens des Sekretes. Es tritt nämlich immer zuerst auf an denjenigen Membranseiten deı Gefäße, die an eime Markstrahlzelle oder eine Zelle der die Gefäße begleitenden Holzparenehymstränge angrenzen, also an Organen des Holzkörpers, welche lebensthätig smd und der Leitung der stickstoff- freien plastischen Stoffe dienen; zweiteus der Umstand, dass die dis- ponible Menge Zellstoff, wie sie in den Membranen der Gefäße zu Gebote steht, nicht ausreichen dürfte, um deren Lumen vollständig mit Gummi zu erfüllen, was bei vorgerückter Gummosis stets der Fall ist; ferner, dass solches Holz seine anfängliche Konsistenz noch besitzt und endlich, dass bei eintretender Gummosis die abgelagerte Stärke in den Organen sich verflüssigt und aus ihnen verschwindet. Der Frage, ob die oben beschriebenen Sekretionen schon als fer- - tiges Gummi in die Gefäße und Holzzellen diffundieren oder aber erst in denselben nach ihrem Austritt aus der Membran zu solehem umge- wandelt werden — lässt sich näher treten, wenn man die Diffusions- 584 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. fähigkeit des Gummis in Betracht zieht. Von diesem weiß man, dass es als kolloidaler Stoff nur äußerst träge diffundiert, und so ist denn die Annahme gerechtfertigt, dass dasselbe erst auf der Gefäßmembran, wo es sezerniert wird, aus einem zugeleiteten diffusionsfähigen Ueber- gangsprodukt entsteht“. 2. e. Entstehung der anderen Ausfüllungen der Gefäße. Ueber die übrigen Verstopfungen ist bislang zu wenig bekannt, als dass ein längeres Verweilen dabei lohnte, Von den unter e. auf- geführten Fällen können wir aus sehr triftigen Gründen vollständig absehen. Die Ausfüllungen der Gefäße durch kohlensauren Kalk sind ursächlich noch nicht befriedigend aufgeklärt. Ueberdies pflegen sie in den seltenen Fällen, wo sie gefunden wurden, aufzutreten, nachdem die Gefäße bereits gewisse Modifikationen erlitten haben, so dass sie in diesen Fällen kaum den Funktionsverlust der Gefäße bedingen. Da aber nur solche Verstopfungen eim höheres Interesse beanspruchen können, welche eine Funktionsstörung der betreffenden Organe herbei- führen, so können wir uns ein näheres Eingehen auf die Kalkablage- rungen an dieser Stelle sparen und sie in den folgenden Abschnitten überhaupt außer Betracht lassen. Die Verstopfungen durch Harz sollen in derselben Weise zu Stande kommen wie die durch Gummi. Ist das nun auch höchst wahrschein- lieh, so ist das vorliegende thatsächliche Material doch nicht aus- reichend, um eine solche Anschauung sicher zu begründen. Aus diesem Grunde und mit Rücksicht atf die geringe Verbreitung der Harzver- stopfungen dürfen wir im weiteren Verlauf unserer Betrachtung von ihrem Vorkommen ganz absehen. Sollte sich herausstellen, dass die Bildung der Harzverstopfungen analog ist derjenigen der Gummiver- stopfungen, so würden sie unter dieselben Gesetze wie diese fallen, so dass alsdann von einer besondern Besprechung derselben gleichfalls Abstand genommen werden könnte. 3. Vorkommen der Gefässverstopfungen. Auf Grund der Ausführungen im letzten Abschnitt beschränken wir uns in diesem und den folgenden Kapiteln auf die Gefäßverstopf- ungen, welche durch Thyllenbildung und Gummiausscheidung hervor- gerufen werden. Wie aus der Verbreitung und der Entstehung der Gefäßverstopfungen durch Thyllen und Gummi hervorgeht, bieten beide manches Uebereinstimmende. So ist z. B. kein prinzipieller Unterschied in der Verbreitung der beiden Arten der Verstopfung vorhanden. Bei manchen Pflanzen kommen ganz gleichwertig beide Verstopfungsweisen vor; ihre Zahl ist freilich nur gering, sie beträgt 13 von den in unseren beiden Listen angegebenen Arten. Bei den meisten Pflanzen kommt allerdings nur eine Art der Verstopfung vor, dann ist dieselbe nach Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 585 Böhm!) aber „für die Pflanzengattung nicht minder charakteristisch wie z. B. ihr Blütenbau“. Vergleicht man die Pflanzen aus unseren beiden Tabellen, so ist es unmöglich, irgend eine Gesetzmäßigkeit zu entdecken, nach weleher sich das Auftreten der Verstopfungen bei den Gattungen und Familien richtet. Eine zweite wesentliche Uebereinstimmung zwischen beiden Ver- stopfungen liegt darin, dass sie beide aus den an die Gefäße angren- zenden Parenchymzellen ihren Ursprung herleiten. Beide entstehen durch einen Akt der lebendigen Zelle. Bei denjenigen Pflanzen, welche sowohl Thyllen als Gummiausfüllungen bilden können, schemt es gleichsam in die Willkür der Zellen gelegt zu sein, was sie produzieren. Daraus darf aber geschlossen werden auch für die Pflanzen, welehe nur eine Art der Verstopfung aufzuweisen haben, dass beide Vorgänge viel Verwandtes haben. Erwägen wir diese Analogien, so drängt sich uns die Frage auf, ob dieselben sieh nieht auch noch auf andere Punkte erstrecken, etwa auf das Vorkommen und die Entstehungsursache. Sind solehe Ana- logien vorhanden, so wären wir berechtigt, beide Arten Verstopfungen gemeinsam in Bezug auf jene Punkte abzuhandeln. In der That scheinen mir die Analogien groß genug zu sein, um diese Behand- lungsform zu wählen. Wie unsere Tabellen erkennen lassen, kommen beide Verstopfungs- arten bei Mono- und Dikotyledonen vor, reichlicher allerdings bei den letzteren, doch mag das vielleicht nur scheinbar sein, indem von letz- teren eine viel größere Zahl Arten geprüft wurde. Die Verstopfungs- weise durch Thyllen ist bei Mono- und Dikotyledonen häufiger als die durch Gummi. Schon aus dem Abselmitt über die Entstehungsweise haben wir geschen, dass die Verstopfungen sowohl bei Verletzungen als auch im normalen Entwieklungsgange der Pflanze auftreten. Es empfiehlt sich, das Auftreten der Verstopfungen unter normalen und pathologischen Verhältnissen getrennt zu beobachten; es empfiehlt sich ferner, in jedem dieser beiden Abschnitte mono- und dikotyle Pflanzen gesondert zu behandeln. Die Notwendigkeit einer gesonderten Behandlung beider Gruppen ergibt sich aus dem sehr ungleichartigen Bau der ihnen zu- gehörigen Pflanzen. Den Monokotyledonen fehlt die sogenannte sekun- däre Holzbildung, das eigentliche Holz. In Folge dessen spielen sich bei ihnen manche Prozesse m ganz anderer Weise ab als bei den Dikotyledonen. Dadurch wiederum sind für beide Gruppen andere Bedingungen für das Auftreten von Verstopfungen gegeben. Wir beginnen mit den Dikotyledonen, haben sie doch numerisch das Uebergewicht in unseren Tabellen. Ueberdies sind sie besser studiert als die Monokotyledonen. Es scheint auch, als wenn das 4) „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße“. Bot. Zeitg., 1879, Sp. 231. 586 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Auftreten von Gefäßverstopfungen in dieser Pflanzengruppe von größerer Bedeutung ist als bei den Monokotyledonen. Bei den in unseren Tabellen aufgeführten dikotylen Pflanzen wurde vorwiegend das sekun- däre Holz und zwar von Stämmen und Zweigen untersucht. Wurzeln sind aus leicht einleuchtenden Gründen nur wenig geprüft worden. So weit sie untersucht wurden (Quercus, Fraxinus, Fagus, Betula ete.) ergab sich, dass sich Thyllen bei dikotylen Bäumen nicht oder nur äußerst selten finden. In großer Menge kommen sie hingegen in Wurzeln krautiger Pflanzen wie Pharbitis hispida vor. Auch in jungen kräftigen Wurzeln von Cxcurbita, Urtica, Rubia. ete. wurden sie be- obachtet ), In Bezug auf Verstopfungen durch Gummi sind die Wurzeln weniger geprüft worden. Gelegentlich der Untersuchung des Holzes sind auch die primären Holzteile der Axen untersucht worden; bei den krautartigen Dikotyledonen beschränkt sich, so weit keine sekun- däre Holzbildung stattgefunden hat, die Untersuchung auf die primären Holzteile. Blätter, Blüten und Früchte wurden bei den Dikotyledonen nicht untersucht, oder so weit sie untersucht wurden, konnten in den relativ schwach entwickelten Holzteilen keine Verstopfungen wahrge- nommen werden. Es scheint m der That, als wenn bei den Dikotyle- donen die Verstopfungen auf die Gefäße der Axenorgane beschränkt sind. Bei den Monokotyledonen, denen es an einer kompakten Holz- masse fehlt, wurden die isoliert verlaufenden Gefäßbündel verschiedener Organe geprüft. So weit die Untersuchung hier reicht, konnte das Auftreten von Gefäßverstopfungen in Wurzeln, Axenteilen und Blatt- stielen festgestellt werden. y 3.a. Verstopfungen der Gefäße im normalen Entwieklungs- gsange der Pflanze. Eine nähere Erläuterung bedarf diese Ueberschrift kaum. Es sollen hier alle die Fälle abgehandelt werden, in welchen Verstopf- ungen auftreten iu Folge normalen Verlaufes der physiologischen Funktionen. Dahin gehört also auch der Verschluss von Wunden, welche durch normalen Blatt- oder Zweigfall, also aus inneren Ur- sachen entstehen. I. Dikotyledonen. Hier sind wesentlich zwei Gruppen von Erscheinungen zu er- wähnen, bei denen normaler Weise Verstopfungen auftreten: Kernholzbildung, Verschluss von Wunden, die dureh normalen Blatt- und Zweig- fall entstehen. Bei vielen Pflanzen bemerkt man auf dem Querschnitt durch ältere Stämme und Aeste, dass das Holz nicht in allen Teilen gleiche Be- schaffenheit hat. Der mittlere Teil pflegt dunkler gefärbt zu sein als 1) De Bary, vergl. „Anatomie der Vegetationsorgane“, 1877 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 587 der ihn konzentrisch umgebende äußere. Jener wird als Kern, dieser als Splint bezeichnet. Die dunklere Färbung des Kernes rührt von einer Speicherung von Farbstoffen unbekannten Ursprunges in den Zellwänden her. Mit der Dunkelfärbung des Kernholzes geht eine Gewichtszunahme desselben Hand in Hand. Sie rührt her von einer Ausfüllung der Gefäße durch Thyllen und Gummi, namentlich durch letzteren Stoff. Dieser Sachverhalt wurde bereits von Theodor Hartig!) ganz richtig erkannt, wenn er auch über die Natur des verstopfenden Körpers im Dunkeln blieb; er bezeichnete denselben als Xylochrom. Dasselbe ist aber identisch mit „Schutzgummi“, wie aus den übereinstimmenden Ergebnissen der Untersuchungen von Böhm?), Molisch?), Gaunersdorfer*) und Temme?°) hervorgeht. Man könnte vielleicht glauben -— und im Allgemeimen ist das auch die in den Lehrbüchern herrschende Ansicht — als wenn die Umwandlung des Splintholzes in das Kernholz plötzlich stattfände; doch ist diese Ansicht irrig. Die Verstopfungen der Gefäße treten bereits im Splintholze auf und bei manchen Pflanzen sogar recht zeitig‘). Gesellt sich dazu kein Farbstoff, so nimmt man mit unbe- wafinetem Auge diese Veränderung natürlich nicht wahr. Einige Be- obachtungen an älteren Stämmen werden das erläutern. - 1) Robinia pseudacacia, 27 Jahresringe, von denen 4 Splintringe sind. Die Gefäße sind bereits im letzten Ringe verstopft”). 2) Eine 110Jjährige Eiche mit 20 Splintringen. Die großen Ge- fäße des vorletzten Ringes waren bereits verstopft®). 3) Quercus americana, 20 Jahresringe mit 3 Splintringen; die Gefäße sind bereits im letzten Ringe verstopft?). 4) Aesculus Hippocastanum, 32 Jahresringe, Verstopfungen bereits im vierten Ringe von außen. Die Zahl der Splintringe ist nicht angegeben, jedenfalls ist sie größer als 47). 1) Allgemeine Forst- und Jagdzeitung, 1857. 2) Bot. Zeitung, 1879. 3) „Vergleichende Anatomie des Holzes der Ebenaceen und ihrer Ver- wandten“. Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss. math.-phys. Klasse, 80. Bd., 1. Abt., 1880. 4). 'c. By A 6) Böhm, „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße“. Bot. Ztg.. 1879, Sp. 231; Ungenannter, „Untersuchungen über die zellenartigen Aus- füllungen der Gefäße“, Bot. Ztg., 1845, Sp. 250; Sanio, Bot. Ztg., 1863, 8.126. 7) A. Wieler, „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotyle- donen Gewächse an der Saftleitung und über die Bedeutung der Anastomosen für die Wasserversorgung der transpirierenden Flächen“. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., XIX, S. 23 d. S. A. 3) A. Wieler, „Ueber den Ort der Wasserleitung im Holzkörper dikotyler und gymnospermer Holzgewächse“. Ber. d. d. bot. Ges., 1888, $. 497, 588 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Wie zeitig diese Verstopfungen übrigens schon in den Gefäßen des Splintholzes auftreten, zeigen Untersuchungen mit kernfreien Zweigen, die zur Ermittlung dieses Zeitpunktes angestellt wurden !). Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind in der folgenden Tabelle zu- sammengestellt worden. Links stehen die Pflanzennamen, in der zweiten Rubrik ist die Zahl der vorhandenen Jahresringe, in der dritten die der verstopften aufgeführt worden. | BR Zahl der Jahres- Zahl der verstopften anzenname ringe | Ringe em = ——: Te Ze —— ee — = neue Faro a. —_— m (rleditschia triacanthos 5 4 Robinia pseudacacia . . ... \ 2 | Ya SAMDUCUS NITTa. » 0a 2 | 1a Juglans cinerea . a | 19 | A2a, Da - 7. ! | Quercus sessiliflora . .... | 4,6 | 2/2, 4 Prasinus 'excelsior shall. van] 4,7 "a, 4, Aesculus Hippocastanım . 2. | 2 1, n ” N 7 3 n ” | 4 2!la | A 1 ” ” I J 2 a Magnolia grandiflora. . . . . | 2 In 9 9 | Sorbus Aucuparia | 9 3 E I Prunus Mahaleb | 7 Ali, Acer platanoides 3 is Diese Zusammenstellung lässt erkennen, dass das Verhältnis zwischen verstopften und unverstopften Ringen für verschiedene Arten ein ungleiches ist, ja dass dies Verhältnis nicht einmal konstant ist für verschiedene Exemplare derselben Speeies. Die Verstopfung der Gefäße schreitet im Holzkörper von innen nach außen vor. Zuerst werden alle diejenigen verstopft, welche den primären Holzteilen angehörten, dann kommen die des sekundären, des eigentlichen Holzes. Das Fortschreiten dieser Verstopfungen findet aber nicht in der ganzen Länge des Baumes in zentripetaler Richtung mit gleicher Geschwindigkeit statt, sondern es treten die Ausfüllungen der Gefäße in den Spitzen der Zweige eher auf als in tieferen Regionen. Einige Beispiele wögen das Gesagte erläutern?). Hierbei ist wohl zu beachten, dass nur diejenigen Ringe aus verschiedenen Höhen mit einander verglichen werden können, welche thatsächlieh gleich alt sind, von der Peripherie aus gezählt die gleiche Nummer tragen würden. 1) Im November 1887 ward ein Zweig von Acer platanoides unter- sucht. An der Schnittfläche mochte er 13 bis 16 Jahresringe zählen SR Wieler. „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotyle- donen Gewächse an der Saftleitung“ u. s. w. RL «E, Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 589 — ein exaktes Zählen war unmöglich, da die Ringe sehr schmal waren und unregelmäßig verliefen — von denen die vier ersten Ringe Verstopfungen enthielten. Ein 3jähriger Seitenzweig aus größerer Höhe zeigte den ersten Ring mit Verstopfungen erfüllt. Hier ist also ein Ring verstopft, der tief unten frei von Verstopfungen ist, ja wo sogar noch ältere Ringe keine Verstopfungen aufweisen. 2) Ein anderes Beispiel von Acer platanoides. 20 em über der Schnittfläche sind drei Jahresringe vorhanden, von denen die primären Gefäßgruppen und die ersten Gefäße des sekundären Holzes verstopft sind. 66 em über der Schnittfläche sind zwei Jahresringe vorhanden, von denen die ältere Partie des sekundären Holzes aus dem ersten Ringe verstopft ist. Hier ist also ein halber Ring verstopft, der 46 em tiefer unverstopft ist. 3) Ein weiteres lehrreiches Beispiel bietet Fraxinus. 5 em über der Schnittfläche ist von vier Ringen nicht einmal der ganze erste Ring verstopft. 43,5 em über der Schnittfläche ist fast alles mit Aus- nahme des letzten Ringes verstopft. 4) Aehnliche Verhältnisse weist Jugluns auf. 13 em über der Schnittfläche sind die drei letzten Ringe unverstopft; 30 em höher sind nur der letzte Ring und das Herbstholz des vorhergehenden unverstopft. 5) Während bei einem untersuchten Sambueus- Zweig im unteren Teile fast beide vorhandenen Ringe unverstopft sind, ist in höherer Region der erste derselben verstopft. Die aufgeführten Fälle mögen zur Illustration des Behaupteten genügen. Zu den normalen Verstopfungserscheinungen gehört auch die Ver- stopfung der Gefäße an allen Stellen, wo sich Blätter und Zweige normal ablösen. Die so entstehenden Wunden werden ganz analog geschlossen wie die künstlich angebrachten. „In der That findet mau unter jeder Blattnarbe die hier unterbrochenen Blattspurstränge in ihren Xylemelementen, besonders in ihren Gefäßen durch Gummi- pfropfen verschlossen, die sich vorwiegend in der durch das Blatt- polster im Bogen nach außen gewendeten Strecke der Blattspurstränge bilden, so dass die letzteren hier regelmäßig eine quer durch sie hin- durchgehende gummifizierte Zone erkennen lassen“!). Die natürlichen Zweigbruchstellen werden in derselben Weise verschlossen. An den Fruchtstielnarben des Birnbaums konnte eine Verschluss der Gefäße durch Gummi nicht beobachtet werden, indem die Wunde hier in einer ganz anderen Weise geschlossen wurde. Möglicherweise stehen mit dem Blattfall auch die im Holzkörper resp. in den Gefäßbündeln der Annuellen beobachteten gummösen Ver- stopfungen der Gefäße im Zusammenhang. Bisher hat die Wissen- schaft auf diesen Punkt ihr Augenmerk noch nicht gerichtet. Pe 4) Temme, „Ueber Schutz- und Kernholz, seine Bildung und seine physio- logische Bedeutung“. Landw. Jahrb., XIV, 1885, 8.473. 590 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. I. Monokotyledonen. Inwieweit Gefäßverstopfungen bei den Monokotyledonen normaler- weise auftreten, ist unbekannt. Nach Molisch!) sollen in den Ge fäßen alter Blattstiele von Musa Thyllen normal auftreten. Auch scheinen dieselben in den Gefäßen der Wurzel reichlich aufzutreten, denn von dem Ungenannten?) werden sie für Musa paradisiaca und von Wittmack?) für Musa Ensete erwähnt. 3. b. Pathologisches Auftreten der Gefäßverstopfungen. I. Dikotyledonen. Jede Verletzung oder Verwundung des Holzkörpers, welcher Art sie auch sein mag, ruft eine Verstopfung der Gefäße hervor. Das so veränderte Holz gleicht so sehr dem Kern, dass diese pathologischen Teile geradezu von manchen Forschern als Kern bezeichnet werden. In Folge von Frost tritt nach Th. Hartig*) und Nördlinger°) pathologischer Kern auf. Letzterer beobachtete eine derartige partielle Kernbildung in Folge Erfrierens an der gemeinen Platane, der Ulme und Colutea. Vom Götterbaum und dem Papiermaulbeerbaum meint Nördlinger, dass aller Kern, welchen sie bei uns bilden, nur patho- logischer Kern sei. Dieselbe Wirkung haben hohe Wärmegrade, wie aus Untersuchungen von Weber®) zu ersehen ist. Er wollte prüfen, ob die Sachs’sche Wasserleitungstheorie, nach welcher sich das Wasser in den Wänden anstatt in den Hohlräumen der Gefäße bewegt, richtig ist. War sie es, so musste die Wasser- bewegung sistiert werden, wenn die Membranen in ihrer Beschaffenheit durchaus geändert wurden, während die Anordnung der Elemente dieselbe blieb. Diese Beschaffenheitsänderung erzielte er dadurch, dass er die Zweige, während sie an den Bäumen blieben, auf eine bestimmte Strecke hin verkohlte. Fahren nach dieser Behandlung die Zweige fort, normal zu transpirieren, so musste sich das Wasser im Hohlraum der Gefäße bewegen. Nach einigen Tagen zeigte sich aber, dass die oberhalb der verkohlten Stelle befindlichen Blätter vertrockneten. Eine mikroskopische Untersuchung lehrte bald, dass dieser Versuch nicht zu Gunsten der Sachs’schen Wasserleitungstheorie gedeutet werden 1) „Zur Kenntnis der Thyllen, nebst Beobachtungen über Wundheilung in der Pflanze“. Sitzber. d. mathem.-naturw. Klasse d. Wiener Akad. d. Wiss., 97. Bd., 1. Abt., 1889, 8. 226. 2) Bot. Zeitung, 1845. 3) „Musa Ensete. Ein Beitrag zur Kenntnis der Bananen“. Gött. Dissert., Halle 1867. 4) Allgemeine Forst- und Jagdzeitung, 1857. 5) „Technische Eigenschaften der Hölzer“. Stuttgart 1860. 8. 33 6) „Ueber den Einfluss höherer Temperaturen auf die Fähigkeit des Holzes, den Transpirationsstrom zu leiten“. Ber. d. d. bot. Ges., IH. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 591 durfte, denn es zeigte sich, dass im dem gesunden Teil des Holzes, wo er an den verkohlten grenzte, die Gefäße vollständig mit Verstopf- ungen ausgefüllt waren. So blieb also immer noch die Möglichkeit, dass nicht die unterbrochene Leitung in der Wand, sondern im Hohl- raum des Gefäßes das Vertrocknen der Blätter herbeigeführt hatte. Verletzungen des Holzkörpers durch Druck und Stoß, selbst wenn er nicht einmal bloß gelegt wird, ruft schon pathologischen Kern her- vor. Beim Perrückenstrauch bewirkt jedes Hagelkorn, das die Rinde Jüngerer Aeste trifft, das Auftreten eines Fleckchens gelben Kernes!). Nach R. Hartig?) kommt es zuweilen vor, dass bei Eichen- ästungen durch die Leiter ein Druck auf das Cambium durch die Rinde hindurch ausgeübt wird. Dann stirbt das Cambium an dieser Stelle ab, und im Holzkörper bildet sich ein kleines Stück pathologischen Kernes. Aehnlich wirkt das Absterben der Wurzel auf die Verstopfung des Holzkörpers des Stammes. Als in Wasserkulturen von Populus canadensis und Vieia Faba das Wurzelsystem, in dem einen Fall wahr- scheinlich durch Alkalischwerden der Lösung, im anderen durch zu hohe Konzentration der angewandten Lösung starb, wurden die Gefäße im Stamme, resp. im hypokotylen Gliede verstopft. Beim Absterben der Eichenäste bleibt die im Stamme steckende Basis gesund, sie fährt fort in die Dieke zu wachsen. An der Stelle im Ast, an welcher ge- sundes und abgestorbenes Holz zusammenstoßen, werden die Gefäße nach R. Hartig?) verstopft, so den Holzkörper gleichsam abschließend. Dies ist übrigens nur ein spezieller Fall der allgemeinen Regel — worunter schließlich alle bisher aufgeführten Fälle fallen — „dass die Gefäße überall dort mit Thyllen oder einer gummiartigen Substanz gefüllt sind, wo gesundes Holz an abgestorbenes grenzt“ *). Vielleicht darf man diese Regel noch erweitern und sie auch auf absterbendes Gewebe ausdehnen. Dann würde wenigstens verständlich werden, warum bei den Amyydaleen die Gefäße mit dem Schutzgummi erfüllt werden, wenn der Baum an der Gummosis leidet, ohne dass eine Ver- wundung stattgefunden hat. Verstopft werden die Gefäße überall dort, wo eine offene Wunde vorhanden ist. Das wird bewiesen durch die Untersuchungen von Böhm°), Gaunersdorfer®) und Temme”). Auch Pra&l®) und 4) Nörd!'nzgerl.c. 2) „Die Zersetzungserscheinungen des Holzes der Nadelholzbäume und der Eiche“. Berlin 1578. S. 140. 3) 1. e. Abschnitt: „Zur Eichenästung“. 4) Böhm, „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße“. Bot. Ztg., 1879, Sp. 231. 5) „Ueber Funktion der Genesis der Zellen in den Gefäßen des Holzes“. Sitzber. d. Wiener Akad. d. Wiss. mathem.-naturw. Klasse, 55. Bd, 2. Abt., 1867. H)alzıe: kr 1. @ 8) „Vergleichende Untersuchungen über Schutz- und Kern-Holz der Laub- bänme“. Pringsh. Jahrb, f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 592 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Moliseh!) haben neuerdings bestätigen können, dass Verletzungen des Holzkörpers „beschleunigend und vermehrend auf die Thyllen- bildung wirken und 'Thyllen auch da hervorrufen können, wo m normalem jungem Holz keine Thyllen vorkommen“ ?). Als Molisch?) 1jährige Triebe verschiedener thyllenbildender Pflanzen wie Sambucus nigra, Vitis vinifera, Ampelopsis hederacea, Aristolochia Sipho, Robina Pseud-Acacia, Morus nigra, Maclura auran- tiaca, Rhus typhina, R. Cotinus, Broussonetia papyrifera, Glyeine sp., Dahlia variabilis, Boehmeria polystachia, Salix-Arten und Sparmannia africana im Freien oder im Gewächshaus beschnitt und nach 4 bis 6 Wochen untersuchte, waren alle Gefäße oder wenigstens ein großer Teil derselben mit Thyllen, teilweise auch mit Gummi verstopft. Natürlich ist es nur ein spezieller Fall, wenn die Stecklinge, die doch nur Zweigstücke mit zwei Schnittflächen sind, die Gefäße oben und unten verstopfen, wie bei der Weide nach Böhm?), wo der Ver- schluss durch Thyllen stattfindet. Doch beobachtete Molisch*) eine Beschleunigung der Thylienbildung in dem oberen Teile des Steck- lings unter der in die Luft ragenden Schnittfläche gegenüber dem in den feuchten Sand oder dem in das Wasser tauchenden Teil. Nach dem Gesagten muss erwartet werden, dass das Bluten aus Schnittflächen blutender Gewächse mit der Zeit aufhört, weil die Schnitt- fläche verstopft wird. In der That gibt Böhm?) an, dass alte Sehnitt- flächen von Rebzweigen durch Thyllen verstopft sind. Ich®) beobach- tete, dass bei dekapitierten blutenden Holzpflanzen (Ribes rubrum, Vitis vinifera, Ampelopsis quwinguefolia, Salix alba, Populus canadensis, Betula alba) Verstopfungen der Gefäße an den Sehnittflächen auftreten. Die mit der Zeit eintretende Verminderung der Blutungsmengen dürfte zum Teil auf solche Verstopfungen von Gefäßen zurückzuführen sein. Bekanntlich hört ja auch mit der Zeit das Bluten aus Bohrlöchern auf, wahrscheinlich weil die Wunde in dieser Weise verschlossen wird. Ebenso wie in den Stamm-, Ast- und Zweigstümpfen treten Ver- stopfungen auch in den abgeschnittenen Zweigen auf, wenn dieselben in Wasser oder in eine wässerige Lösung gestellt werden. Zum Teil darf das schon aus dem Verhalten der Stecklinge gefolgert werden, doch liegen über diesen Punkt noch spezielle Angaben vor. 4) „Zur Kenntnis der Thyllen, nebst Beobachtungen über Wundheilung in der Pflanze“. Sitzber. d. mathem.-naturw. Klasse der Wiener Akad. d. Wiss., 97. Bd., 1. Abt., 1889. 2) Molisch |. e. S. 283. 3) Bot. Zeitung, 1879, Sp. 231. 4) l. c. 8. 284. 5) Bot. Zeitung, 1879. 6) Wieler, „Das Bluten der Pflanzen“; Cohn, Beiträge zur Biologie der Pflanzen, Bd. 6, 1892, 8. 150. | Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 5953 Um zu ermitteln, in welchem Teil des Holzkörpers die Wasser- bewegung vor sich geht, stellte ich!) zwei Reihen von Versuchen an; ich presste eine wässerige Fuchsinlösung unter bekanntem Druck durch den seiner Blätter beraubten Zweig hindurch und stellte beblätterte Zweige in eine wässerige Methylenblaulösung, die in Folge der Tran- spiration der Blätter im Holze aufstieg. So weit der Holzkörper Wasser leitete, färbte er sich, denn diese Farbstoffe werden von der Holzmembran gespeichert, während die nichtleitenden Teile unge- färbt blieben. Hierbei stellte sich heraus, dass im Wesentlichen nur der letzte Jahresring leitet, dieser also auch nur gefärbt ist. Ueber- raschender Weise ist derselbe aber nicht in seiner Totalität gefärbt, sondern die jüngsten Teile desselben pflegen ungefärbt zu bleiben. Die Ursache des Ausbleibens der Färbung liegt wie die mikroskopische Untersuchung ergab, in dem Auftreten von Verstopfungen in den Ge- fäßen, welche während des Versuches entstanden sind. Von den zu den Druckversuchen verwendeten Zweigen wurden mit Sicherheit Ver- stopfungen nachgewiesen bei Acer platanoides, Tilia europaca, Aescuius Hippocastanum, Sambucus nigra, Juglans cinerea, Sorbus Aucuparia, nicht nachgewiesen bei Fraxinus excelsior, Gleditschia triacanthos und Quercus pedunculata, obgleich gewiss auch hier Verstopfungen vor- handen waren, vielleicht weiter aufwärts, an einer Stelle also, wo nicht untersucht wurde. In welcher Höhe des Zweiges die Verstopf- ungen auftreten ist gleichgiltig, die Wirkung inbezug auf die Nicht- färbung ist die nämliche. Die Verstopfungsmasse war vorwiegend Schutzgummi, sicher bei Acer, Tilia, Aesculus, Robinia und Sambucus; zweifelhaft bleibt ihre Natur bei Juglans und Sordus. Von den Zweigen aus den Transpirationsversuchen wiesen mit Ausnahme von der Buche alle untersuchten Verstopfungen auf: Ahorn, Linde, Rosskastanie, Vogel- beere, Apfelbaum und Magnolia. Diese Verstopfungen treten nicht unmittelbar über der Schnittfläche, sondern ziemlich hoch oben im Zweige auf. Sie erscheinen zuerst in den jüngsten Elementen des Holzkörpers und schreiten von dort nach dem Zentrum des Organs fort. Werden die Versuche aber lange genug fortgesetzt, so ist schließlich die ganze wasserleitungsfähige Zone ver- stopft, die Wasserleitung also unterbrochen und damit eine Veran- lassung zum Blattfall gegeben. Eine ausgezeichnete Illustration zu dem Behaupteten lieferte mir ein Versuch mit der Rosskastanie. Ein großer beblätterter Zweig war zum Transpirieren in eine wässerige Fuchsinlösung gestellt worden. Nach einigen Tagen waren sämtliche Blätter abgefallen; die Gefäße in der leitenden Zone waren, wie die mikroskopische Untersuchung lehrte, völlig mit Schutzgummi verstopft. 4) Wieler, „Ueber den Anteil des sekundären Holzes der dikotyledonen Gewächse an der Saftleitung und über die Bedeutung der Anastomosen für die Wasserversorgung der transpirierenden Flächen. Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XIX, 1888. XIII. 33 594 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Die Gefäßverstopfungen können sehr schnell auftreten, wofür einige Beispiele angeführt werden mögen: 1) Am Morgen (etwa 10 Uhr) des 21. Augusts 1886 wurden mehrere Zweige der Rosskastanie aus einem Garten, der von dem Institut etwas entfernt lag, geholt. Um 10 Uhr 15 Min. wurde der erste Druckversuch angestellt; er dauerte bis 12 Uhr. In dieser Zeit sind in der leitenden Region reichlich Gefäßausfüllungen gebildet. Um 12 Uhr 50 Min. wurde ein zweiter Versuch angestellt; er dauerte bis 3 Uhr 15. Min. Der leitende Teil weist reichlich Gefäßausfüllungen auf. Ein dritter Versuch dauerte von 3 Uhr 30 Min. bis 6 Uhr Abends. In den drei letzten Jahresringen sind zahlreiche Gefäßausfüllungen vorhanden. In einem kürzeren als dreistündigen Zeitraume sind bei der Rosskastanie also die Gefäße durch Gummibildung in großer Zahl verschlossen worden. 2) Am 24. August Morgens wurden aus derselben Quelle Zweige von der Robinie geholt. Um 11 Uhr gleich nach Empfang derselben ward der erste Versuch mit halbstündiger Dauer angestellt. Von Gummiausfüllungen ist nichts zu bemerken. Der zweite Versuch währte von 12 Uhr 30 Min. bis 1 Uhr. In den nicht gefärbten Teilen des jüngsten Jahresringes sind Thyllen und Gummiausfüllungen vorhanden. 3) Am Morgen des 23. Augusts wurden analoge Versuche mit Ahorn-Zweigen angestellt. Um 11 Uhr 15 Min. wurde der erste Ver- such von einstündiger Dauer angesetzt. In dem nicht gefärbten Teil des jüngsten Jahresringes sind einzelne Gefäßausfüllungen zu bemerken. Der zweite Versuch dauerte von 35 Uhr 30 Min. bis 6 Uhr. Im unge- färbten Teil des jüngsten Jahresringes sind viele Gefäße mit Gummi erfüllt; auch im gefärbten Teil finden sich bereits Ausfüllungen. 4) Am 25. August Morgens wurden Linden-Zweige geholt und in. Wasser gestellt. Von 3 Uhr 45 Min. bis 6 Uhr und von 6 Uhr 15 Min. bis 7 Uhr 15 Min. waren zwei Versuche im Gange. In beiden Fällen waren in den ungefärbten Gefäßen Ausfüllungen vorhanden. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass ein sehr kurzer Zeitraum genügt, um die Gefäßausfüllungen hervorzurufen. Den Prozess selbst stellt man sich vielleicht nieht unrichtig folgendermaßen vor. Sobald der Zweig aus seinem Verbande gelöst ist, wird in dem jüngsten Teil des sekundären Holzes auf eine bestimmte Strecke hin die Bildung von gummösen Massen oder von Thyllen beginnen. Ersterer Vorgang dürfte voraussichtlich ebenso verlaufen wie der von Temme für die Schutzholzbildung beschriebene. Wird ein soleher in der Gummibildung begriffener Zweig mit Fuchsinlösung injiziert, so werden zunächst in der unteren Partie die Markstrahl- und Parenchymzellen getötet; hier können also keine Gummiausfüllungen resp. Thyllen gebildet werden. In den höheren Teilen hingegen kann die Bildung ruhig fortschreiten und vollendet sein, ehe das Fuchsin bis zu ihr vordringt, da es be- gierig von den Membranen aus der Lösung aufgespeichert wird. Sind Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 595 ı die Gefäße jedoch erst einmal verstopft, so ist ein weiteres Steigen der Lösung ausgeschlossen. Deshalb sind diese Ausfüllungen meistens auch nieht durch Fuchsin gefärbt. Geht jedoch der Verschluss der Gefäße etwas langsamer von Statten, oder steigt das Fuchsin in Folge stärkeren Druckes schneller in die Höhe, so treten auch gefärbte Aus- füllungen auf; doch finden sich alsdann in höherer Region immer noch ungefärbte. Dass diese Verstopfungen thatsächlich während des Ver- suches entstehen, ergibt sich daraus, dass beliebig abgeschnittene Zweige solche Ausfüllungen nicht aufweisen, und dass in den ver- stopften Gefäßen die Flüssigkeit weit hinaufgestiegen ist, was unmög- lich sein dürfte, wenn die Verstopfungen bereits bei Loslösung des Zweiges von der Mutterpflanze existiert hätten. Aus den aufgeführten Versuchen ergibt sich, dass abgeschnittene und in Wasser gestellte Zweige anfangen, derartige Verstopfungen zu bilden. Es steht zu erwarten, dass abgeschnittene Zweige, welche an der Luft liegen, gleichfalls wenigstens bis zu einem bestimmten Grade, solche Verstopfungen bilden. Es ist schon lange bekannt, dass wenn man Wasser durch abge- schnittene Zweige filtriert, die Filtrationsmengen immer geringer werden, bis sie schließlich gleich Null sind. Werden die Zweige nicht in der Luft, sondern unter Wasser abgeschnitten, so wird die Verminderung der Wassermengen freilich auch beobachtet, aber dieselbe wird ver- zögert. Eine zeitweiliee Vermehrung der filtrierten Mengen hat statt, wenn von der Schnittfläche aus eine Lamelle abgetragen wird. Diese letztere Beobachtung erklärt Sachs folgendermaßen. Durch die Her- stellung einer Schnittfläche an den für die Versuche erforderlichen Zweigen wird eine Reihe von Zellen verletzt; ihr Inhalt verbreitet sich über die Schnittfläche, wobei Verstopfung der Gefäße unvermeid- lich sein soll. Bei längerer Berührung mit Wasser findet auf diesem Boden eine üppige Bakterienentwicklung statt; der so entstehende Bakterienschleim soll sich gleich Pfropfen in die Lumina der Gefäße setzen. Stellt man nun eime neue Schnittfläche her, so entfernt man für einige Zeit diesen Bakterienschleim, wodurch die Filtration wieder etwas lebhafter vor sich gehen kann. v. Höhnel!) hat sich bemüht, für diese Behauptung den exakten Beweis zu erbringen, und wie er glaubt mit Erfolg. Vergleicht man jedoch seine Zahlen, so kann man sich dieser Ansicht nicht an- schließen. Durch geeignete Versuchsanstellung schloss er die Bak- terien aus; nichts desto weniger lassen seine Zahlen eine deutliche Verminderung der Filtrationsmengen erkennen, wie aus nachstehender Tabelle ersichtlich ist. Diese müssten aber bei Ausschluss der Bak- terien vollständig konstant werden, denn die durch Anschneiden leben- der Zellen freiwerdenden Plasmamassen verstopfen ja sofort die Ge- 1) „Ueber die Ursache der raschen Verminderung der Filtrationsfähigkeit von Zweigen für Wasser“. Bot. Ztg., 1879. 38 * 596 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. fäße und können nicht erst allmählich zu einer fortschreitenden Ver- stopfung Veranlassung geben. Ostrya Acer virginiana Negundo IT TE —/ Tui rt en = 1)673,2Kem. 2)63,0Kem. 3)175,0 Kem. 4) 223,0 Kem 47,2Kem 73,9Kem Ampelopsis hederacea 303,2 „ 65,2 „ 86,3 „ 78.8:,1n:3042, Sb 132 35h) 43,3 „ 25,640, LOB; 253,2 ” 12,8 ” 25,2 „ 17,5 ” 4,5 ” 4,4 ” 205,9 ) 3,5 h) 14,) ) 11,2 ) 3,0 ” 3,0 ” 192,7 ) 4,0 ” 11,3 o) 0,75 155,0 ” 2,: ” 3,4 ” 0,9 128,0 „ 2% 115,4 „ 35,0 » 57,9 )) Jede Zahl repräsentiert die in 24 Stunden durchfiltrierte Menge Kubikzentimeter Wasser. Nach dem ersten resp. zweiten Tage ist die Verminderung der Filltrationsmengen eine sehr erhebliche, um dann zum Teil langsamer abzunehmen. Meines Erachtens nach sind diese Zahlen nur verständlich, wenn angenommen wird, dass die Gefäße verstopft werden und zwar im Anfang sehr schnell, später langsamer. Auch ohne mikroskopische Untersuchung der Zweige kann man, glaube ich, ziemlich sicher behaupten, dass es so sein muss. Wenn sich Acer Negundo wie Acer platanoides verhält, müssen in den abgeschnittenen Zweigen Verstopfungen aufgetreten sein. Für eine ganze Reihe von Pflanzen wurde festgestellt, dass in den abgeschnittenen und in Wasser sestellten Zweige die Gefäße verstopft werden, es ist deshalb nicht anzunehmen, dass v. Höhnel durch einen sonderbaren Zufall gerade solche getroffen haben sollte, denen diese Fähigkeit fehlt. Außerdem zeigen unsere Tabellen, dass bei Ampelopsis Thyllenbildung, bei Acer Negundo Verstopfungen durch harzartige Stoffe und bei Ostrya vulgaris — ihr dürfte sich Osirya virginiana wohl gleich verhalten — Thyllen- bildung beobachtet worden ist. Wenn nun auch nicht geleugnet werden soll, dass durch den Bakterienschleim eine Verminderung der Filtra- tionsmengen herbeigeführt werden kann, so muss anderseits doch ent- schieden behauptet werden, dass die bedeutende Verminderung in allen derartigen Versuchen mit oder ohne Ausschluss der Bakterien auf das Auftreten von Verstopfungen in den verletzten Zweigen zurückzu- führen ist. Ebenso wie die Holzgewächse verhalten sich auch die Annuellen. Wurden abgeschnittene Sprosse von Medicago sativa in Methylenblau- lösung zur Transpiration gestellt, so trat eine Verstopfung der Gefäße ein, die dem freien Land entnommenen Sprossen fehlte. a en ne Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 597 Molisch!) konnte in Folge von Verwundung Gummiausfüllung bei: Phaseolus multiflorus (Hypocotyl) Fittonia argyroneura Helianthus annuus (Hypocotyl) Ruellia ochroleuca Cineraria eruenta Artemisia sp. Primula sinensis Sanseviera Sp. und Thyllen bei: Boehmeria polystachya A argentea beobachten. I. Monokotyledonen. Dass sich die Monokotyledonen in Bezug auf Gefäßverstopfungen als Folge von Verwundungen genau so verhalten, wie die Dikotyle- donen erhellt aus den Untersuchungen von Molisch!). Schneidet man Stengel von Canna-Arten in Dezimeter lange Stücke und behandelt dieselben zwei bis drei Wochen lang im Warmhaus als Steckling, so sind die Gefäße erfüllt mit Thyllen in den verschiedensten Entwieklungsstadien. Außerdem wird auch noch Gummi in die Gefäße und in die Intercellularräume abgeschieden. Verstopfung der Gefäße durch Gummi bei Verwundungen beobachtete er außer bei Canna bei Philodendron pertusum, Saccharum offieinarum und Latania bourbonica. Ich lasse hier mit des Verfassers eigenen Worten die Darstellung der Verhältnisse beim Zuckerrohr folgen. „Ich kehre nun wieder zur Verstopfung der Gefäße mit Gummi bei krautartigen Pflanzen zurück. Ungemein lehrreich erwies sich in dieser und noch in anderer Beziehung die Untersuchung verletzter Stengel von Saccharum offieinarum. Wurde der Stengel einer im Gewächshause gezogenen Pflanze quer abgeschnitten, so bildete sich in der Region der Wunde nach etwa fünf Tagen ein auffallend roter, den Membranen angehöriger Farbstoff; etwa vier Wochen nach der Verletzung waren die meisten Gefäße auf weitere Strecken vollständig mit Gummi verlegt, welches sich mit Phlorogluein & HCl deutlich rot färbte. Nieht nur die Gefäße, auch Siebröhren und Bastparenehym waren verstopft. Noch eine andere, meines Wissens bisher nieht be- obachtete Thatsache ließ sich feststellen; das unterhalb der Wunde liegende Parenchym nimmt nämlich in Folge der Verletzung nach und nach ein kollenchymatisches Aussehen an. Im normalen unverwundeten Parenehym sieht man davon nichts, hier bilden die Zellen zwischen sich luftführende, auf dem Quersehnitte dreieckig erscheinende Intercellularen. Nach der Verwundung secer- nieren die Zellen in die letzteren Gummi und erhalten, die Intereellularen allmählich ganz verstopfend, das Aussehen von Collenchymzellen. Die gewöhnlich an den Kanten von Collenehymelementen auftretenden Ver- diekungsmassen werden hier durch Gummi repräsentiert“ ?). 4) „Zur Kenntnis der Thyllen, nebst Beobachtungen über Wundheilung in der Pflanze“. Sitzber. d. math,-naturw. Klasse der Wiener Akad. d. Wiss,, 97. Bd., 1. Abt., 1888. a) ke S. 291, 598 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen monc- und dikotyler Pflanzen. Aehnlich wie die verletzten Stengel des Zuckerrohrs verhalten sich die Blattstielstümpfe von Latania bourbonica. Die weiten Gefäße werden mit Thyllen, die engen mit Gummi verstopft. 4. Die Ursachen der Entstehung der Gefässverstopfungen. Bisher haben wir die Verbreitung der Gefäßausfüllungen durch Thyllen und Gummi kennen gelernt, haben wir uns davon überzeugt, dass sie einem Akt der lebenden Zelle ihren Ursprung verdanken, haben wir gesehen, in welchen Pflanzenteilen sie vorkommen und unter welchen Bedingungen sie entstehen, nun haben wir uns zu fragen, wodurch sie hervorgerufen werden. Die Fähigkeit, Thyllen oder Gummi zu bilden, ist auf bestimmte Zellen beschränkt, auf die parenehymatischen Elemente der Gefäßteile und des sekundären Holzes. Diese Fähigkeit kommt aber nicht immer zur Geltung; manche Zellen bilden während ihres ganzen Lebens weder Thyllen noch Gummi, andere bilden normaler Weise das eine oder andere, nachdem sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Immer jedoch kann diese Fähigkeit zur Geltung kommen als Reaktion auf gewisse äußere Eingriffe. In allen diesen Fällen muss der bis dahin existierende funktionelle Zustand der Zelle eine Aenderung erleiden. Die Zelle muss also ein gewisser Anstoß treffen, Thyllen oder Gummi zu bilden. Solcehen Anstoß bezeichnen wir als Reiz, auf den die Zelle in dieser bestimmten Weise reagiert. Manche Zellen werden im Laufe ihrer normalen Entwicklung nicht von einem derartigen Reiz getroffen, andere werden davon getroffen z. B. in der Kernholzbildung. In allen Fällen reagieren aber die Zellen in der angegebenen Weise, wenn sie von einem solchen Reize getroffen werden. Man darf gewiss voraus- setzen, dass derselbe immer von derselben Beschaffenheit sein wird, ob die Gefäßverstopfungen unter normalen oder pathologischen Ver- hältnissen entstehen. Worin besteht nun dieser Reiz? Auf diese Frage ist keine befriedigende Antwort zu geben, da sie einer sorgfältigen experimentellen Prüfung bisher nicht unterzogen wurde. Es liegen weiter nichts als Mutmaßungen vor. Böhm!) geht zur Erklärung der Erscheinung zunächst von dem Auftreten der Verstopfungen an ver- wundeten Teilen des Holzkörpers aus. Bekanntlich führen die Gefäße außer Wasser verdünnte Luft; werden dieselben angeschnitten, so stürzt die atmosphärische Luft im sie hinein, bis der Luftdruck in den Gefäßen so groß ist, wie in der umgebenden Luft. In dieser Spannungs- änderung der Luft sieht Böhm das Reizende; da aber der Stickstoff der Luft auf die lebende Zelle ohne Wirkung ist, so ist in dem plötz- lichen Anwachsen der Partiärpressung des ee der eigentliche 1) „Ueber Funktion und Genesis der Zellen in den Gefäßen des Holzes“. Sitzber. d. math.-phys. Klasse d. Wiener Akad. d. Wiss., 55. Bd., 1867, 2. Abt.; „Ueber die Funktion der vegetabilischen Gefäße“, Bot. Ztg., 1879. ng kart Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 599 Reiz zu suchen. Die Verstopfungen des Kernholzes sollen in ganz derselben Weise zu stande kommen. Böhm will gefunden haben, dass in den Gefäßen des Kernholzes gleichfalls Luft gewöhnlicher Spannung vorhanden ist, wodurch dann auch hier wieder das Auf- treten der Verstopfungen bedingt sein würde. Dieser seiner Meinung schließt sich imnbezug auf die Thyllen Unger!) an: „Wir sehen hier also die Luft und wahrscheinlich vorzüglich den Sauerstoff derselben als Erringer einer Zellwucherung, als welche die Aussackung bereits gebildeter Zellen jedenfalls angesehen werden muss“. Molisch?) lässt seine Ansicht auch gelten, findet sie nur nicht ausreichend, um alle Erscheinungen zu erklären. Gegen die Böhm ’sche Ansicht lässt sich Verschiedenes einwenden. Wenn durch die Steigerung des Luftdruckes in den Gefäßen Thyllen hervorgerufen werden, so müsste hierdurch ein stärkeres Wachstum veranlasst werden als unter Einwirkung der verdünnten Luft. Hierfür fehlt jeglicher Anhalt. Viel eher dürfte man das Gegenteil erwarten; denn wir wissen, dass, falls die Verdünnung nur nicht außerordentlich stark ist, eime Beschleunigung des Längenwachstums bei verdünnter Luft gegenüber dem normalen Luftdruck statthat?). Wie der Luft- druck resp. der Sauerstoffgehalt der Luft auf die Produktion des Gummis aus dem Stärkemehl der Zellen wirkt, ist völlig unbekannt. Mit Recht macht Molisch*) Folgendes gegen die Ansicht von Böhm geltend: „In einem verletzten Zweige bilden sich Thyllen etwa t/,—1 em unterhalb der Wunde sehr häufig, etwas weiter unten schon bedeutend seltener, um schließlich, oft 2—3 em tiefer gar nicht mehr zu erscheinen. Wenn die Aufhebung des negativen Luftdruckes in den Gefäßen die einzige Ursache der Thyllenbildung wäre, dann müsste dieselbe mit Rücksicht auf die bekannte Thatsache, dass die Gefäße zumeist auf viel weitere Strecken, oft meterweit in offener Kontinuität stehen, sich auch auf viel tiefere Entfernungen geltend machen. Dies ist aber wie wir gesehen haben, gewöhnlich nicht der Fall“. Nicht minder spricht gegen Böhm die Beobachtung Pra&l’s®), dass der Verschluss der Gefäße durch Schutzgummi unterbleibt, wenn die Wunde sofort künstlich verschlossen wird. Wenn der Experimentator auch noch so schnell verfährt, das Eindringen der Luft in die Gefäße wird er nicht hindern können. Ebenso spricht gegen Böhm die Thatsache, dass bei manchen Pflanzen (Musa Ensete, Selaginella- Arten) an der verwundeten Stelle 4) Sitzungsber. d. mathem.-phys. Klasse der Wiener Akad. d. Wissensch., 56. Bd., 1. Abt., 1867. 2) 1..c. 9%. Bd, 1. Abt.,. 1888. 3) A. Wieler, „Die Beeinflussung des Wachsens durch verminderte Partiär- pressung des Sauerstoffs‘“. Unters. a d. bot. Institut zu Tübingen, I, 2, 1883. 4) 1. e. 9%. Bd, 1.;Abt., 1888. 5) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 600 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Parenehymzellen in die Intercellulargänge hineinwachsen, wo sich der Luftdruck durch die Verwundung nicht geändert hat!). Bei einer Anthurium-Art beobachtete Molisch sogar ein Hineinwachsen der Parenchymzellen in die Schleimgänge !). Auch werden bei Saccharum nach seinen Angaben die Intercellulargänge an der Wundfläche durch Gummi verschlossen!). Also tritt die Gummibildung auch an einer Stelle auf, wo ein Wechsel im Luftdruck nicht stattgefunden hatte. Nach alledem scheint es mir höchst fraglich, ob auch nur in einem einzigen Falle die Aenderung in der Partiärpressung des Sauerstoffs in den Gefäßen als Reiz für die Bildung unserer Verstopfungen wirkt. Definitiv kann diese Frage erst durch eine experimentelle Untersuchung entschieden werden. Trotzdem Molisch die schwerwiegenden Einwände gegen die Böhm’sche Ansicht geltend gemacht hat, lässt er dieselbe doch gelten, sucht sie sogar durch Hinzunahme eines „Wundreizes“ für die Fälle, wo sie nicht zutrifft, zu stützen. „Der Wundreiz wirkt auf das in der Nähe der Wunde befindliche Plasma und wird von demselben auf ent- ferntere Regionen von Zelle zu Zelle übertragen. Wenn wir uns auch vorläufig über die Natur eines solchen Wundreizes noch keine plausible Vorstellung machen können, so wird uns doch wenigstens einigermaßen begreiflich, warum die Thyllen in der Nähe der Wunde so häufig, entfernter davon aber immer seltener entstehen“. Hiermit wird nichts gewonnen; dass ein Reiz vorliegt, versteht sich von selbst, und es thut nur wenig zur Sache, wenn man ihn „Wundreiz“ nennt. Dass er von der verwundeten Stelle ausgeht, musste gleichfalls vorausgesetzt werden. Hier handelt es sich darum, worm besteht dieser Reiz. Wenn ich Molisch richtig verstehe, so will er sagen, dass in den Fällen, wo die Thyllen als Reaktion auf eine Verwundung entstehen, die Natur des Reizes noch unbekannt ist, dahingegen in den Fällen, wo sie ohne solchen äußeren Eingriff entstehen, durch die Aenderung der Partiär- pressung des Sauerstoffs hervorgerufen werden. Aus dem oben Ge- sagten kann ich mich dieser Ansicht nicht anschließen. Obendrein behandelt Molisch ausschließlich die Thyllen, und doch sind die Ver- stopfungen durch Gummi nicht von diesen zu trennen und unterliegen inbezug auf ihre Bildung denselben Gesetzen wie jene. Derjenige, welcher diese ganze Frage einer erneuten Untersuchung unterziehen sollte, mag auf eine Beobachtung aufmerksam gemacht werden, welche ich gelegentlich meiner Untersuchung?) über den Ort der Wasserbewegung in sekundärem Holz wahrnahm. In den Druck- versuchen traten die Verstopfungen viel eher ein als in den Tran- spirationsversuchen. Jene wurden mit Fuchsin-, diese mit Methylenblau- lösung angestellt. Möglicherweise hat die Natur dieser Stoffe auf die Geschwindigkeit des Auftretens der Stopfungen einen Einfluss gehabt. 1) Molischl. e. 2) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 601 5. Folgen der Verstopfungen der Gefässe. Bei Besprechung der Folgen der Gefäßverstopfung können wir von der Natur dieser Verstopfungen Abstand nehmen außer, wenn sie in Wasser löslich sind; wir brauchen uns deshalb nicht mehr so ängst- lich auf die genauer beschriebenen Thyllen und Gummiverstopfungen zu beschränken. Die Verstopfungen durch kohlensauren Kalk kommen auch hier aus den früher angeführten Gründen nicht in Betracht. Die ersten Verstopfungen, welche man kennen lernte, waren die Thylien; da man die anderen sehr viel später kennen lernte und so das Gleichartige in diesen Erscheinungen nicht zu würdigen vermochte, so konnte es nicht fehlen, dass man die Thyllen als ganz besondere Gebilde betrachtete und sich über ihren Zweck den Kopf zerbrach. Der Ungenannte aus der Botanischen Zeitung), welcher zum ersten Male die Thyllen umfassender und eingehender untersuchte, schrieb denselben die Funktion der Stärkespeicherung zu. Sie sollten also gebildet werden, damit die Pflanze an diesen Stellen über mehr Raum zur Speicherung verfügen konnte. Dem gegenüber betonte Böhm?) dass die Funktion der Thyllen darin bestehe, die Gefäße zu verstopfen, damit die durch die Verletzung aufgehobene Luftverdünnung, seiner Meinung nach ein wesentlicher Faktor für die Wasserbewegung, in ihnen wieder hergestellt werden könnte. In der That ließen nach seinen Versuchen die so verstopften Gefäße weder Luft noch Wasser unter Druck durch. An dieser Ansicht hielt Böhm trotz des Wider- spruches von Reess?) fest und dehnte dieselbe auch auf die Gummi- verstopfungen aus, nachdem er sie kennen gelernt hatte *). Die spä- teren Untersuchungen von Gauner br fors), Tehmen! Pra&l’) und mir®) bestätigten lediglich, dass die Verstopfüngen dürch Thyllen und Gummi einen luft- und aslerdiehten Verschluss bilden. Hiernach mutet es etwas sonderbar an, wenn Molisch°®) gelegentlich seiner Untersuchungen über die Thyllen wieder die Frage nach der Funktion derselben aufwirft. Hierbei kommt er zu dem Schluss, dass den Thylien eine doppelte Funktion zufällt. Auf Grund seiner nach dem Muster von Böhm angestellten Versuche muss er zugeben, dass sie Verstopfungen der Gefäße sind; anderseits möchte er ihnen auch die Funktion der Stärkespeicherung vindizieren, da sie häufig reichlich mit Stärke erfüllt sind. Mir scheint die Berechtigung zu fehlen, von 1) 1845. 2) Sitzb. d. math.-phys. Klasse d. Wien. Akad.d. Wiss., 55. Bd., 2. Abt., 1867. 3) Bot. Zeitung, 1868. 4) Bot. Zeitung, 1879. 5) Sitzb. d. math.-phys. Klasse d. Wien Akad. d. Wiss., 85. Bd, 1. Abt., 1882. 6) Landw. Jahrbücher, 14. Bd., 1885. 7) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 8) Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 9) Sitzb. d. math.-phys. Klasse d. Wien. Akad. d. Wiss., 97. Bd., 1. Abt., 1888. 602 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. einer besonderen Funktion der Stärkespeicherung bei den Thyllen zu sprechen. Da diese nur einen Teil der Parenchymzellen der Gefäß- teile oder des Holzes bilden, die Zellen aber die Fähigkeit besitzen, Stärke zu speichern, so wäre es sonderbar, wenn nicht auch in ihnen Stärke auftreten würde. Dass aber Thyllen gebildet werden, damit das Gewebe im stande wäre, mehr Stärke zu speichern, was allein berechtigen würde, von einer speichernden Funktion zu reden, ist durchaus unv erzchonlich und ist auch nicht von Molisch bewiesen ja nieht einmal behauptet worden. Sicher feststeht auf Grund einwandsfreier experimenteller Unter- suchungen, dass die bisher bekannt gewordenen Gefäßverstopfungen die Gefäße luft- und wasserdicht zu verschließen vermögen. Zweifel- haft kann nur bleiben, ob der von Böhm vorausgesetzte Zweek der richtige ist, ob die Gefäßverstopfungen entstehen, um eine Wieder- herstellung der Luftverdünnung zu ermöglichen. Dies ist nieht wahr- scheinlieh, denn wir sehen die Verstopfungen auch im Kernholz auf- treten; in ihm wird aber die frühere Luftverdünnung nicht wieder hergestellt. Wir haben die Verstopfungen ausschließlich als die Folge gewisser Vorgänge aufzufassen; werden dadurch Verhältnisse geschaffen, allın wieder eine Tuftverdönnuns in den Gefäßen herbeiführen, so kann das der Pflanze nur nützlich sen, wenn die Wasserbewegung davon wirklieh wesentlich abhängen sollte. Für die wissenschaftliche Betrachtung kommt aber einzig das Verhältnis von Ursache und Wirkung in Betracht, und auch nur hierfür sind Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen. Das Hineintragen von Zweckmäßigkeiten richtet immer Verwirrung an. Wir haben uns deshalb auch hier ausschließ- lich die Frage vorzulegen, welche Folgen sich für die Pflanze aus dem Auftreten der Verstopfungen in den Gefäßen ergeben. Sind Gefäße verstopft, so ist der Wassertransport durch sie hin- durch unmöglich geworden oder stark vermindert, wenn der Verschluss etwa nieht vollkommen sein sollte. In allen den Teilen der Gefäß- bündel oder des sekundären Holzes findet ein Wassertransport nicht mehr statt, wo die Gefäße verstopft sind. Das Kernholz ist also von der Wasserleitung ausgeschlossen, ebenso das Splintholz, soweit es verstopfte Gefäße besitzt. In Folge dessen ist bei unseren Holzgewächsen die Wasserbewegung auf den letzten Jahresring, resp. auf wenige der letzten Jahresringe beschränkt. Es ist demnach die leitende Zone der Teil des Holzkörpers, welcher in unmittelbarer Verbindung mit den Blättern steht, denen ja das Holz das Wasser zuzuleiten hat). Entsteht irgendwo im Holzkörper eine Verletzung, sei es im nor- malen Entwieklungsgange der Pflanze etwa durch Blatt- oder Zweigfall, sei es unter pathologischen Verhältnissen, so werden an dieser Stelle die Gefäße verschlossen. Hierdurch wird das Eindringen von Parasiten 4) Wieler, Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd.19, 1888. ES, wann Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 605 verhindert, und die Gewebe werden vor der unmittelbaren Einwirkung der Atmosphärilien geschützt. Als notwendige Folge des Auftretens von Gefäßausfüllungen ergibt sich also bei den Dikotyledonen je nach dem Ort des Auftretens eine Verhinderung der Wasserleitung und ein Abschluss des Organs gegen äußere schädliche Einwirkungen. Dass dieser im Allgemeinen vorteil- hafte Selbstschutz in manchen Fällen für die Pflanze verhängnisvoll werden kann, ergibt sich aus Beobachtungen an transpirierenden Zweigen, welche in Wasser resp. in wässerige Farbstofflösungen ge- stellt worden waren. Durch den Verschluss der Leitungsbahnen ist freilich der schädliche Einfluss von außen abgewehrt, zugleich aber auch die Wasserzufuhr abgeschnitten; in Folge dessen fallen bei diesen Zweigen die Blätter vor der Zeit ab. Besonders schön konnte ich das an einem Rosskastanienzweig beobachten, der in Fuchsinlösung tran- spirierte!). Ausführlicheres über vorzeitigen Blattfall bei abgeschnit- tenen Zweigen findet sich bei Wiesner?). Er wollte feststellen, ob bei in Wasser gestellten Zweigen normale Entlaubung stattfindet. Aus der folgenden Tabelle, welche der Wiesner’schen Publikation ent- nommen ist, ergibt sich, dass die Blätter der abgesehnittenen Zweige eher abfallen als die der an den Pflanzen verbliebenen Kontrollzweige. | IT en IE | < |. To SSo > | 282%) Deus Abgeschnittene BSRe Abfalltermin >25 | SE 9 „25 = = "ie. _ za - N © Zweige von zu> deı SEEN: er Eid >} >]: Du Zu s > un | _ ®, Blätter o_B ee ET fe) ie N | Don 2 ne © Su E> Sm sP® 5 B m = B s—= nn TR = — = m — — > = ee === Ptelea trifoliata . | 16,Sept. | 3.—5. Okt. (4) | 24. Okt. 18 Tage | 38 Tage | 20 Tage Viburnum opulus . 147 Fr 24. Sept. |14. „ 1 27 NE 5: | | | | | | 4 lantana . \17. „ , 25. „ ALEOGE 3.75 33. n 2 Celtis oceidentalis .\1T. » | 4 Okt. 120. „ [17 „ [33 » 116 „ Staphylea pinnata 17. „ |2—7. „ Ö)|18 „ | ISOMı TA ZIER RENNEN ZN Wie aus diesen Zahlenangaben ersichtlich ist, sind die Blätter abgefallen von Pfelea in 18, Viburnum T—8, Celtis 17, Staphylea 18 Tagen, wenn sie sich an abgeschnittenen Zweigen befanden; an den Kontrollzweigen trat dieser Zeitpunkt 13—25 Tage später ein. Auf die Wiesner’sche Erklärung dieser Erscheinung wollen wir hier nicht näher eingehen. Der vorzeitige Blattfall erklärt sich meines 4) Wieler, Pringsh. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 19, 1888. 2) „Untersuchungen über die herbstliche Entlaubung der Holzgewächse‘*. Sitzb. d, math.-phys. Klasse d. Wiener Akad. d. Wiss., 1871, 64. Bd., 1. Abt. 604 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. Erachtens nach aus dem Auftreten von Gefäßverstopfungen. Allerdings hat Wiesner seine Zweige daraufhin nicht untersucht; eine Nach- prüfung seiner Experimente mit anschließender mikroskopischer Unter- suchung würde unstreitig meine Ansicht rechtfertigen. Zufälliger Weise ist von den fünf vorstehenden Pflanzen nur Celtis occidentalis auf das Vorkommen von Verstopfungen untersucht worden, und hier kommen sie in der That vor. Es kann kaum erwartet werden, dass sie in den anderen vier Species fehlen, dann dürften sie aber gewiss auch in unseren Fällen aufgetreten sein. Im Wesentlichen muss das hier für die Dikotyledonen Entwickelte auch für die Monokotyledonen gelten mit den Abweichungen, welche sich aus dem verschiedenen anatomischen Bau beider Pflanzengruppen ergeben. Schon oben habe ich darauf hingewiesen, dass über Be- ziehungen zwischen dem Auftreten von Verstopfungen und bestimmten physiologischen Funktionen bei der unverletzten monokotylen Pflanze nichts bekannt sei. Treten Verstopfungen in sämtlichen Gefäßen aller Gefäßbündel, welche in ein Blatt führen, auf, so muss dasselbe ver- trocknen; bei partieller Verstopfung mag ein Teil des Blattes ver- troeknen oder die Menge des zugeführten Wassers gerade ausreichen, um den Transpirationsverlust zu decken. Bei noch im Wachstum be- griftenen Blättern muss unter diesen Umständen in Folge der ver- minderten Wasserzufuhr das Wachstum verlangsamt werden, weshalb die Pflanze alsdann Blätter von geringerer als der normalen Größe hervorbringen würde. In Bezug auf die pathologischen Verhältnisse muss natürlich für die monokotyledonen Pflanzen dasselbe gelten wie für die dikotyledonen. Wunden werden hier in derselben Weise geschlossen, wodurch die darunter befindlichen Gewebe gleichfalls gegen schädliche Einwirkungen von außen geschützt werden. Unsere Abhandlung über das „Vorkommen von Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen“ zeigt, dass diese Ver- stopfungen in beiden Abteilungen weit verbreitet sind. Sie dürften vielleieht bei jeder mono- und dikotylen Pflanze zu finden sein, wenn auch nicht immer unter normalen Verhältnissen, so doch wenigstens unter pathologischen. So erwähnt Molisch!) z. B., dass er Thyllen bei Fagus silvatica im Holze niemals normaler Weise, sondern nur im Wundholz (Schutzholz) beobachtet habe. Aehnlich dürften sich andere Pflanzen verhalten. Die Verstopfungen selbst können in zwei Gruppen eingeteilt werden, in solche, welche durch die Lebensthätigkeit der an die Gefäße angrenzenden Parenchymzellen hervorgerufen werden, und in solche, welche auf rein physikalischem Wege entstehen. Zu letzteren gehören die Ablagerungen von kohlensaurem Kalk, zu den ersteren die Thyllen, die Verstopfungen durch Gummi und harzartige 4) Sitzb. d. math.-phys. Klasse d. Wien. Akad. d. Wiss., 97. Bd., 1. Abt., 1888. Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanzen. 605 Stoffe. Von physiologischer Bedeutung sind nur die drei letzteren. Die Verstopfungen treten entweder als normale Bildungen auf, so im Kern- und Splintholz vieler Holzgewächse und als Verschluss der durch normalen Laub- und Zweigfall entstehenden Wunden, oder als pathologische Bildungen zum Verschluss zufälliger Wunden. In diesem Falle ist von Molisch!) die Beobachtung gemacht worden, dass eine analoge Verstopfung durch Gummi auch in den Siebröhren von Saec- charum offieinarum vorkommt. Etwas Aehnliches gibt Arth. Meyer?) für die Rhizome von Veratrum album und V. nigrım an. Hier treten derartige Verstopfungen außer in den Gefäßen auch in den obliterierten Siebröhren auf. Ob dies Vorkommen verbreiteter ist, entzieht sich der Beurteilung, da für Monokotyledonen derartige Untersuchungen nur m sehr beschränktem Maße ausgeführt worden sind. Für Dikotyledonen liegen keine einschlägigen Angaben vor, doch hat sich ihr Vorkommen hier möglicherweise der Beobachtung entzogen, da die räumliche Ent- fernung zwischen Gefäßen und Siebröhren bedeutend größer ist als im Gefäßbündel. Immerhin wäre künftig auf diesen Punkt zu achten. Was für Konsequenzen sich daraus für die Pflanzen ergeben, lässt sich nicht übersehen, wo nur eine einzige Angabe bisher vorliegt. Die Folgen der Gefäßverstopfungen für die Pflanze sind sehr klar; durch sie werden einerseits die Wasserbahnen gesperrt, anderseits durch Ver- schluss der Wunden die Gewebe gegen schädliche Einwirkungen von außen geschützt. Die gummösen Verstopfungen sind in chemischer Hinsicht noch außerordentlich ungenügend bekannt. Von den einen wird dieser Körper als Gummi angesprochen, weil er beim Behandeln mit Salpeter- säure in der Wärme Schleim- und Oxalsäure liefert, von anderen (namentlich von Sanio und Arth. Meyer) wird seine Zugehörigkeit zu den Gummiarten angezweifelt, da er in Wasser unlöslich ist und kaum quillt. Zum Unterschiede von den gewöhnlichen Gummiarten und dem Holzgummi wurde es von Frank als Schutzgummi, von Treeul als Cerason bezeichnet. Eine chemische Untersuchung dieses Körpers ist dringend erwünscht. Die Verstopfungen durch Thyllen, Gummi und harzartige Stoffe entstehen durch die Thätigkeit lebender Zellen des betreffenden Ge- webes; Mikroorganismen sind an ihrer Bildung vollständig unbeteiligt. Dasselbe steht zu erwarten von den Verstopfungen unbekannter Natur. An der Bildung der Ablagerungen von kohlensaurem Kalk sind sie gleichfalls nicht mitthätig. Nur in einem einzigen Falle werden außer den erwähnten Verstopfungen solche durch Bakterienschleim wahr- genommen, und dies ist ein Fall, der in der Natur gar nicht vorkommt, nämlich wenn abgeschnittene Zweige in Wasser transpirieren. Auf 4) Sitzungsber. d. math. - phys. Klasse d. Wien. Akad. d. Wiss., 97. Bd,, 4. Abt., 1888. 2) Ber. d. d. bot. Ges., II, 1384. 606 Wieler, Verstopfungen in den Gefäßen mono- und dikotyler Pflanz en. den Plasmamassen, welche beim Anschneiden der Zellen hervorquellen finden die Bakterien einen guten Nährboden, auf welchem sie sich reichlich entwickeln. Dieser Bakterienschleim wird zusammen mit dem Wasser durch den Druck der Luft in die Gefäße getrieben und trägt zu ihrer Verstopfung bei. Das das wirklich der Fall ist, geht aus den Experimenten v. Höhnel’s!) hervor. Er konnte die Filtrations- mengen vermindern, wenn er solchen Bakterienschleim auf frische Schnittflächen strich. Die Kenntnis dieser Verhältnisse ist natürlich für die Methodik notwendig, für die physiologischen Verrichtungen der Pflanze existieren sie aber nicht; denn sie sind etwas rein Zufälliges und Nebensächliches. Die Hauptergebnisse unserer Betrachtung lassen sich in folgende Sätze kurz zusammenfassen: 1) Verstopfungen der Gefäße kommen bei Mono- und Dikotyle- donen vor. 2) Alle Arten Gefäße können verstopft werden: Ring-, Spiral- und Tüpfelgefäße. 3) Die Verstopfungen sind sehr verschiedener Art: Thylien Gummi harzartige Massen Ablagerungen von kohlensaurem Kalk Verstopfungen noch unbekannter Art. Die Verstopfungen durch Thyllen und Gummi entstehen durch einen Lebensvorgang der an die Gefäße angrenzenden Paren- chymzellen. Die Verstopfungen durch harzartige Massen sollen eine analoge Entstehung wie die gummösen haben. Ebenso dürften sich die Verstopfungen noch unbekannter Natur ver- halten. Dahingegen entstehen die Ablagerungen durch kohlen- sauren Kalk wahrscheinlich rein physikalisch. 5) Bakterien sind an der Bildung der Verstopfungen nicht be- teiligt. 6) Die Gefäßverstopfungen sind entweder normal oder patho- logisch. 7) Normal sind die im Entwicklungsgange der Pflanze auftretenden Verstopfungen in den Gefäßbiündeln, dem Kern- und Splintholz, in den Narben abgefallener Blätter und Zweige; pathologisch die Verstopfungen, welche in Folge von außen wirkender Ver- hältnisse auftreten. 8) Die Verletzungen treten vorwiegend in den Axenorganen auf, selten im Wurzeln und Blattstielen. 9) Die Ursachen der Gefäßverstopfungen sind noch vollständig unbekannt. > 1) Bot. Zeitung, 1879. nz Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. 607 10) Die Verstopfungen machen die Gefäße zum Wassertransport ungeeignet. In Folge dessen wird bei den Holzgewächsen die Wasserbahn im Holz auf den letzten Ring oder auf wenige der letzten Jahresringe eingeengt und fallen die Blätter an abgeschnittenen und in Wasser gestellten Zweigen eher ab als am unversehrten Gewächse. Die Verstopfungen schließen an verwundeten Stellen die Ge- webe gegen die Außenwelt ab und schützen sie vor den schädlichen Einflüssen der Atmosphärilien und dem Eindringen von Parasiten. 12) Bei Saccharum officinarum, Veratrum album und YV. nigrum sind auch Verstopfungen der Siebröhren durch Gummi am verwundeten Halm beobachtet worden. 13) Wo in den Siebröhren Verstopfungen auftreten, ist natürlich ihre Leitungsfähigkeit gleichfalls aufgehoben oder wenigstens vermindert. Hamburg, den 10. Oktober 1892. il. Du Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. Eurhyaline Rotatorien der Alpenseen. Von Dr. Othmar Emil Imhof. Aus der ersten Ordnung der Rotatoria, Rhizota habe ich zwei Species zu nennen, die bis jetzt wohl nur in England aus den ersten Fundorten bekannt sind. Nämlich: Floscularia regalis Hds. Aus Torfwasser bei Robenhausen beim Pfäffikersee. Hudson gibt als Aufenthalt: Seen und klare Gewässer, selten, Birmingham, an. Diese Art kommt danach in Wasserbecken von sehr verschiedener Natur vor. Melicerta Janus Hds. Katzensee. Torfgebiet. Hudson und Gosse trennen die Arten des Genus Anuraea in zwei Gattungen: Anuraea s. str. und Notholca. Die kritische Ver- gleichung der Diagnosen dieser zwei Geschlechter ergibt als einziges unterscheidendes Merkmal die Struktur der Körper-Rückendecke. Die Species der Gattung Anuraea haben danach den Rückenpanzer getäfelt oder gefeldert; die Arten des neuen Genus besitzen eine mit längs- laufenden Rippen und zwischenliegenden Rinnen und Furchen ausge- stattete Rückenoberfläche. Die Formen squamula Ebg., biremis Ebg. und hypelasma GSs., deren Rückenfläche glatt und die Species falculata Ebg. und die noch näher zu charakterisierende Zuberosa Imh., deren Rücken gleichmäßig gekörnt oder mit anderen Erhabenheiten gleichmäßig rauh erscheint, passen danach in keine der beiden Gattungen. Die systematische Trennung der Anuraeadae in mehrere Gattungen bedarf wohl einer neuen Bearbeitung, die ich anderwärts versuchen werde. 608 Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. Die nennenswerten Vorkommnisse betreffen die Arten Notholca labis Gss. und Noth. scapha Gss. Auch diese Rotatorien dürften bis Jetzt nur in England, erstere von Hood bei Dundee im Süßwasser, die zweite ebenfalls von Hood aber im Meerwasser in der Tay-Bucht in Schottland gefunden worden sein, so dass neue Fundorte, in Central- europa, Interesse haben möchten. Notholca labis Gss. fand ich in Materialien aus der Ill bei Straß- burg im Jahre 1837 von einem meiner Praktikanten, damals stud. med., Herrn Blind gesammelt. Von der Beschreibung und Abbildung, ge- geben von Gosse, weicht die elsässische Form durch die etwas lang- gestrecktere, gleichmäßig ovale Gestalt und die längeren Seitendornen, etwas länger als die Mitteldornen des Vorderendes ab. Der Ventral- rand des Vorderendes, von @osse nicht beschrieben und abgebildet, zeigt in der Mitte eine ziemlich tiefe Ausbuchtung und verläuft von da in einer wellig gebogenen Linie zu den Seitendornen. Notholca /abis unterscheidet sich von allen Anuraeaden durch die Bildung des Hinterendes, kurz und breit, leicht bogig abgeschnitten, ähnlich einem kurzen Pfannenstiel, wie Gosse schrieb. Die Dimensionen sind an- sehnlich größer. Gosse maß an seinen Exemplaren 0,1174 mm, ich messe 0,216 mm Totallänge, 0,096 größte Breite annähernd in der Hälfte der Gesamtlänge; Länge des Fortsatzes 0,024 mm, Breite des- selben 0,015 mm. Notholca scapha Gss. bis jetzt nur als im Meere lebend bekannt, fand ich an zwei Orten in der Schweiz im Süßwasser. Beide Fund- orte sind von Interesse. Der eine ist das Bünzermoos (440 m ü. M.) im Aargau. Diese früher in floristischer und wohl auch in faunistischer Hinsicht sehr reiche Lokalität wird leider bald infolge künstlicher Ent- wässerung ganz verarmen. Ich hoffe demnächst doch noch ein an- näherndes Bild der Fauna dieses großen Mooses geben zu können. — Der zweite Fundort ist etwas überraschend. Er ist der Daubensee auf dem Gemmipass im Berner Oberland in der ansehnlichen Höhe von 2214 Meter (= 7486 englische Fuß). Ich untersuchte in diesem, „wenn nicht zugefroren, immer leicht bewegten See“, noch wenig am 11. Sep- tember 1891. Perty schrieb: im See selbst ist aber fast kein Leben. Ich habe bei dieser ersten Untersuchung mit dieser Rotatorie nur eine Difflugia und einen COyclops angetroffen. Es kann das Vorkommen dieser Rotatorie etwa mit der Anwesenheit von Pedalion mirum im val Campo, in beinah total vegetationslosem sehr hoch gelegenem Wasser- becken verglichen werden, wenn nicht neuere gründlichere Unter- suchungen andere Ergebnisse zu Tage fördern. Es ist aber besonders hervorzuheben, dass Notholca scapha nunmehr als eurhyalin zu be- zeichnen und dem gegebenen Verzeichnis der sowohl im Süß- als im Meerwasser wohnenden Rotatorien einzureihen ist. Woher diese Notholca scapha stammt und auf welchem Wege sie in den Daubensee gelangt ist, wird wohl nicht leicht zu beantworten sein. Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. 609 Auch von dieser Rotatorie ist die Beschaffenheit des Ventralrandes des Vorderendes noch zu beschreiben. In der Mitte ist ein tiefer weiter Ausschnitt, der jederseits von einem großen Kerbvorsprung begrenzt wird. Gegen die Seitenecken folgen diesem Kerblappen noch zwei kleinere, von denen der äußere der kleinste ist. Ausgebildete Exem- plare — Gosse scheint keine geschlechtsreifen Individuen unter dem Mikroskop gehabt zu haben — lassen sehen, dass die Körperhöhle mit den inneren Organen sich bis nahe in die Seitenränder ausdehnt. Der Nachweis dieses eurhyalinen Vorkommens veranlasst mich die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass bis jetzt das Vorkommen von nieht weniger als 15 eurhyalinen Rotatorien in ansehnlich hoch ge- legenen Wasserbeeken der Centralalpen Europas nachgewiesen ist. Es sind die folgenden, in den beigestellten Seen. Rhizota. Conochilus volvox Ebg. Lac Domaine 1052 Meter, Schönenbodensee 1002, Silvaplanersee 1794, Silsersee 1796, Cavloceio 1908, Cadagno 1921. Bdelloidea. Philodina eitrino Ebg. Seen des St. Gotthard- passes 2093. Rotifer vulgaris Ebg. Schwendisee, vorderer 1148, Murgsee mittlerer 1515, Grimselsee 1852, St. Gotthardpass 2093. Ploima. Illoricata. Synchaeta pectinata Ebg. Poschiavosee 962, Thal- alpsee 1100, Voralpsee 1116, Seealpsee 1142, Schwendisee, vorderer 1148, Campfersee 1793, Lage Bianco 2230, Krocettasee 2270. Polyarthra platyptera Ebg. Poschiavosee 962, lac Domaine 1052, Thalalpsee 1100, Voralpsee 1116, Lensersee (Wallis) 1143, beide Schwen- diseen 1145 und 1148,2, Gräppelensee 1502, Spaneggsee 1458, Oeschinensee 1592, Gü- schafellaseen 1621, 1622 und 1624, oberer Arosasee 1740, St. Morizersee 1767, lae des Chalets 1782 (Chamossaire), mittlerer und oberer Murgsee 1815 u. 1825, Cadagno 1921, Violasee 2163, Wangsersee 2200, lago Bianco 2230, Crocettasee 2307, Schottensee 2342, Schwarzsee 2391 (letzte zwei an den grauen Hörnern), Materdell 2500. Triarthra longiseta Ebg. Seelisbergersee 753, Campfersee 1793. Diglena foreipata Ebg. Unterer Güschafellasee 1621. „ eatellina Ebg. Grimselsee 1852. XIII. 39 610 Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. Loricata. KEuchlanis dilatala Ebg. Unterer Güschafellasee 1621, mittlerer Murgsee 1815, Partnunsee 1874. Cathypna luna Ebg. Todtensee 2144. Colurus uneinatus Ebg. St. Gotthard 2095, Todten- see 2144. Anuraea aculeata Ebg. Seealpsee 1142, Gräppelen- see 1302, Spaneggsee 1458, mittlerer und oberer Güschafellasee 1622 u. 1624. Unterer 2 Murgsee 1673, oberer Murgsee 1825, oberer Splügensee 2270. cochlearis Gss. Seelisbergsee 753, Thalalp- see 1100, Voralpsee 1116, beide Schwendi- seen 1148 und 1148,2, Gräppelensee 1302, Fählensee 1455, Oeschinensee 1592,2, untere Güschafellaseen 1621 u. 1622,53, Murgseen 1673, 1815 u. 1825, Partnunsee 1874, Vil- tersersee 1902, Garschinasee 2189. Notholca longispina Kll. Lungernsee 659, Egeri- see 727, Seelisbergersee 753, Poschiavosee 962, Thalalpsee 1100, Seealpsee 1142, Schwendiseen 1148u. 1148,2, Fählensee 1455, Davosersee 1561,2, untere Güschafellaseen 1621 u. 1622, unterer Murgsee 1673, lac des Chavonnes 1695 (Chamossaire, Waadt), Noir ibid. 1719, oberer Arosasee 1740, St. Moriz- see 1767, Campfersee 1793, Silvaplanersee 1794, Silsersee 1796, lej Marsch 1810, oberer Murgsee 1815 u. 1825, Ritomsee 1829, Engst- lensee 1852, Nair 1869, Partnun 1874, Vil- tersersee 1902, Cavloceio 1908. Unterer Splügensee 2196, lago Nero 2222, lago Bianco 2230, oberer Splügensee 2270, lago Crocetta 2307, Schottensee 2342, Gravasalvas 2378, Schwarzsee 2391, Wildsee 2436, Lej Nair 2456, Tscheppasee 2624, Sgrischus 2640. Notholea scapha Gss. Daubensee 2214 m ü. M. Nach den Regionen der Alpen, die Heer für die Darstellung der Verbreitung der Coleoptera aufgestellt hat, sind die Fundorte der eurhyalinen Rotatorien der Alpenseen folgendermaßen anzuordnen. Imhof, Bemerkenswerte Vorkommnisse von Rotatorien. 611 ET aaITT-TuggekayıyraBTCTı TEE TTESTERTETERBSETTESETTTEERESTTSTONESTTETTEESTOT RER Regionen, in Metern über Meer . . 11650 —1200 112001650) 1650 — 2100 2100— 25202 520— 3000| Conochilus volvoxr Ebg. NEE An Seen _ 4 — —_ 6 Philodina eitrina Ebg. . —_ _ 1 — —_ 1 Rotifer vulgaris Ebg. 1 —_ 3 — _ 4 Synchaeta pectinata Ebg. . 5 — 1 2 — s Polyarthra platyptera Ebg. 7 6 6 7 u 26 Triarthra longiseta Ebg. 1 — 1 — _ 2 Diglena forcipata Ebg. — 1 _ == _ 1 = catellina Ebg. . —_ — 1: —_ — 1 Euchlanis dilatata Ebg. —_ 1 2 1 — 4 Cathypna luna Ebg. — —_ — 1 —_ 1 Colurus uncinatus Ebg. _ —_ 1 1 — 2 Anuraea aculeata Ebg. 1 4 2 1 — s n cochlearis Ebg. 5 5 5 1 —_ 16 Notholca longispina Kll. 3 4 17 10 2 41 s scapha G ss. e — = — 1 — 1 Zahl der Species der Regionen . S 6 12 9 al Bezeichnung der Regionen j montan. subalpin. | alpin. subnival. nival. Total Zahl der Seen in jeder Region . 12 | bi) | 20 16 2 55 Die montane Region habe ich in ihrer unteren Grenze um 100 Meter tiefer angenommen, da die Seen: Lungernsee, Seelisbergsee, Egerisee und Poschiavosee im Gebiet der Berge eingeschlossen liegen. Aus der Zusammenstellung der eurhyalinen Rotatorien nach Regionen ergibt sich eine ganz auffällig weite Verbreitung der 3 Arten: Polyarthra platyptera in 26 Anuraea cochlearis in 16 | Alpenseen. Notholca longispina in 4 Die alpine Region zeigt die reichste Vertretung, 12 von den 15 Species; dann folgt die subnivale mit 9 Species, die montane mit S, die subalpine mit 6 und die nivale mit 1 Art. Es ist hiebei hervor- zuheben, dass in den Regionen, wo die größere Zahl von Rotatorien verzeichnet ist, auch die größere Zahl von Seen untersucht wurde. Die Kenntnisse über das Vorkommen eurhyaliner Rädertierchen und der Rotiferen im allgemeinen in den Alpenseen sind schon ansehn- lieh gefördert worden. Um aber Schlüsse, aus der Verteilung in hori- zontaler und vertikaler geographischer Richtung auf die Möglichkeiten der Art und Weise wie die Ausbreitung erfolgt sein könnte, oder um die gegenwärtige Verbreitung als eine ursprüngliche, seit der Ent- stehung der Seen mit der Erhebung der Gebirge mit gleichzeitigem Ein- und Abstürzen, da und dort später verändert und modifiziert durch nachträgliche, suecessive Bildung neuer Seen, die dann durch die Ab- flüsse aus höher gelegenen Seen, sowie vielleicht auch durch Luft- strömungen und mit atmosphärischen Niederschlägen in diesen neuent- standenen Seen abgesetzte Keime oder lebende niedere Organismen oder auch durch Transport durch wandernde wasserbewohnende Fische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere zu erweisen, welch letztere Bevölkerungsweise gegenwärtig überhaupt in den Vordergrund gestellt wird, zu ziehen, will ich vorher noch andere Gebiete auf die Vertreter dieser Tierklasse untersuchen. Besonders die Wassergebiete der Rhone, im Ober-Wallis, des Tiemo und der Maggia im oberen Teil des Kantons Tessin, erachte ich als wichtig. Ich hoffe vielleicht noch Ende dieses Jahres, jedenfalls im nächsten Jahre einen Gesamtüberblick über die geographische Verbreitung der Rotatorien, vielleicht dann schon in Ver- 39 x [9 77 612 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. bindung mit den Ergebnissen über die Verbreitung anderer Gruppen wirbelloser Tiere, sowie der wasserbewohnenden Wirbeltiere der Alpen- seen den wissenschaftlichen Kreisen vorlegen zu können. Die gegenwärtige Mitteilung, speziell über eurhyaline Rotiferen hochgelegener Gewässer, dürfte das Interesse für Gewinnung neuer und ausgedehnterer Untersuchungsresultate über die Süßwasserbewohner, die gleichzeitig jetzt noch im Meerwasser leben oder mit Meeresbewohnern in nächster Verwandtschaft stehen, neuerdings wachrufen, wie dies auch von anderer Seite durch das Studium der Ostrakoden geschieht. Dass derartige Studien in ausgedehnteren Alpengebieten, wenn auch mehrere Arbeiter sich denselben widmen, nur langsam fort- schreiten können, bedarf wohl kaum erwähnt zu werden. Es sind deren Ergebnisse eben in Geduld abzuwarten. Die Alpen und be- sonders ihre Gewässer, Quellen, Moore, in unterirdischen Räumen an- gesammelte Wasser, kleinere und größere Seen bergen noch manchen wissenschaftlichen Schatz. Diese Schätze zu heben, dazu bedarf es auch vor allem der Zeit, abgesehen von den vielen anderen Faktoren. Ueber die Spezifikation der Furchungszellen und über die bei der Postgeneration und Regeneration anzunehmenden Vorgänge. Von Wilhelm Roux in Innsbruck. Es wird jetzt von zwei Autoren der Versuch gemacht, eine Reihe von Thatsachen, die ich experimentell ermittelt habe, in wesentlich anderer Weise zu deuten, als es von mir geschehen ist. Ich habe aus den bezüglichen Thatsachen gefolgert, dass die normale individuelle Entwicklung von Anfang an ein System bestimmt gerichteter Vorgänge ist, welches in festen Beziehungen zu den Hauptrichtungen des späteren Embryo steht, derart dass jede der ersten vier Furchungszellen nicht bloß einem bestimmten Viertel des Embryo räumlich entspricht, sondern auch für sich im Stande ist, dieses Viertel hervorzubilden. Letzteres schloss ich daraus, dass ich aus halben resp. Viertel- und Dreivierteleiern halbe resp. Viertel- und Dreiviertel-Embryonen erhielt. Diese Art der Bildung des Embryo aus einzelnen selbständig sich ent- wiekelnden Stücken habe ich als Mosaikarbeit bezeichnet. Jede dieser ersten Furchungszellen erhält daher nach meiner Meinung einen dieser besonderen Leistung entsprechenden Teil desjenigen Idioplasson, welches durch die Befruchtung aktiviert worden ist. Dieses Material ist nach meiner Auffassung vorzugsweise im Zellkern enthalten und wird, soweit letzteres der Fall ist, durch die indirekte Kernteilung in entsprechender Weise qualitativ ungleich geteilt. Die beiden An- nahmen dieses letzteren Satzes sind jedoch nicht unerlässlich notwendige Glieder meiner in ihren wesentlichen Teilen experimentell erwiesenen Auffassung. Roux, Spezifikation der Furchuugszellen; Post- und Regeneration. 613 Gegen diese Deutung meiner und danach von anderen Autoren ermittelter weiterer bezüglicher Thatsachen hat H.Driesch auf Grund seiner Deutung der an sich sehr wertvollen Ergebnisse von ihm an Echinodermeneiern angestellter Versuche und 0. Hertwig!) ohne eigene thatsächlichen Unterlagen auf Grund früherer Spekulationen und in Anlehnung an Driesch Einwendungen erhoben, wobei jedoch beide Autoren genötigt waren und auch nicht Anstand genommen haben, die vorliegenden Thatsachen teilweise zu vergewaltigen. Die darauf bezüglichen Verhältnisse sind bereits von mir ausführ- lich dargelegt worden (Nr. 1); und die neuen seitdem von Driesch ermittelten Thatsachen passen durchaus zu der von mir ver- tretenen Auffassung, so dass keine Veranlassung vorliegt, dieselbe abzuändern. Es ist nicht möglich, die vielen Thatsachen und ihre Deutung in der Kürze, die diese Zeitschrift vorschreibt, nochmals zu schildern und kritisch zu erörtern. Aus dem gleichen Grunde halfe ich es auch nicht für der Sache dienlich, dass Driesch jüngst eine vorläufige Mitteilung über seine derzeitige Auffassung (Nr. 9 dieser Zeitschrift) publiziert hat, in welcher er ebenso willkürlich wie mit den Thatsachen auch mit den Gegengründen verfährt, noch dazu ohne dieselben mitzuteilen, so dass der Leser auf D.’s Urteil angewiesen bleibt. Dies veranlasst mich zu einer Entgesnung. Bei der hier nötigen Kürze kann es jedoch nicht der Zweck der folgenden Zeilen sein, den Leser über den ganzen Stand der Streitfragen zu orientieren, sondern ich beabsichtige bloß einige Punkte dieser Aeußerungen D.’s richtig zu stellen und ein Argument von mir etwas weiter auszuführen, als es bisher geschehen war. Da die Diskussion aber fundamentale Fragen der Entwicklungs- mechanik der Organismen betrifft, so darf auch eine so eng beschränkte Behandlung des Themas Interesse beanspruchen; und gerade durch den Widerspruch und das dadurch veranlasste Ziehen weiterer Konse- quenzen wird das Wesen der vorliegenden Probleme beleuchtet und dem allgemeinen Verständnisse näher gebracht. Zunächst sind einige angebliche Berjehtigungen Driesch’s zu berichtigen. Driesch stellt gegen Weismann, Wilson und mich in Abrede, dass er aus einem halben Eehinodermenei eine halbe „Blastula“ er- halten habe. Die genannten Autoren haben dies wohl gleich mir den hier reproduzierten Figuren 5 u. 6 seiner Arbeit (s. Nr.3) entnommen, indem sie dabei das Wort „Blastula“, übereinstimmend mit Selenka’s 1) Jüngst hat O0. Hertwig versucht, seinen Widerspruch nachträglich durch thatsächliches Beweismaterial zu stützen (Sitzungsber. der k. preuß. Akad. der Wiss. zu Berlin, Mai 1893), dessen Unrichtigkeit ich jedoch auf Grund früher angestellter Versuche sogleich darthun konnte (Anat. Anz., 1893, Nr. 18). 614 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. Anwendung desselben auf Echinodermen (s. Nr.4 Taf. VII Fig.60 nebst Erklärung), in der allgemeinen Bedeutung als „Keimblase“, d. h. als rundliches Gebilde mit relativ großer Höhle und entsprechend dünner Wandung gebrauchten, wie es auch bei Vergleiehung zwischen ver- schiedenen Tierklassen allein verwendbar ist. Ein Stadium, welches der viel späteren, von Driesch unter Abweichung von Selenka aus- schließlich als „Blastula“ bezeichneten Bildung entspricht, gibt es z. B. bei Amphibien nicht, so dass diese nach Driesch gar keln Blastula- stadium hätten. Die Bezeichnung „typische Morula“ will D. jetzt ebenfalls will- kürlich auf „das letzte der Blastulabildung (letztere in seiner eben erörterten Auffassung genommen) vorhergehende Furchungsstadium“ beschränken; ein Vorgehen, welches wieder zu „Missverständnissen“ und „Berichtigungen“ Veranlassung geben kann, da dadurch diejenige Bildung, welehe von den genannten Autoren und mir als Blastula bezeichnet worden ist, nach D. noch nicht einmal eine Morula wäre. Weiterhin findet D. es unzutreffend, dass ich bei der Bildung der normalen und der halben Morula von Umordnung des Eimateriales spreche; er sagt: „Was soll die Semimorula mit Umlagerung zu thun haben, wo sie doch gerade die Folge des Liegenbleibens der Zellen am Orte ihrer Entstehung ist“. Ich ersuche den Leser, die linke Hälfte der hier reproduzierten Fig. 6 Driesch’s mit der rechten Hälfte, welch’ letztere die nieht weiter geteilte, nur vielleicht beim Ab- sterben ein wenig mehr gerundete andere Zelle des Zweizellenstadiums darstellt, zu vergleichen. Mir scheint, es muss bei der Umbildung der früheren linken so gestalteten Zelle zu der dargestellten entwickelten Form der linken Eihälfte mit der Furchung zugleich eine sehr erheb- liche und zwar in ihrem Endresultat typische Materialumlagerung vor sich gehen, da die einfache Zelle solid und nieht entsprechend der entwickelten Form ausgehöhlt ist. Von einem Entstehen der Semi- blastula dureh Liegenbleiben des Materiales der entsprechenden Zelle des Zweizellenstadiums, worum es sich hier handelt, kann also wohl nicht die Rede sein. Ob diese typische Materialumlagerung bloß während der einzelnen Zellteilungen oder noch unter nachträglichen Verschiebungen der bereits vollkommen gesonderten Zellen stattfindet, ist hier ohne Bedeutung. In dieser typischen Materialumlagerung zu einer hohlen Halb- kugel bekundet sich nach meiner Meinung sieher das Vermögen dieser einen Zelle, eine wahre Halbbildung zu produzieren. Wenn nach Driesch und Hertwig jede der beiden ersten Furchungszellen beide einander vollkommen gleich sind, und es unter normalen Ver- hältnissen allein dureh die Wechselwirkung dieser beiden Zellen auf- einander bedingt ist, dass jede der Zellen bloß eine halbe Morula hervorbringt, so müsste nach Tötung oder nach Entfernung der einen von beiden Zellen, die andere sich sogleich zu einer ganzen Hohl- Roux, Spezifikation der Furchungszellen ; Post- und Regeneration. 615 kugel entwickeln, wie es nach Wilson beim Amphioxus im gleichen Falle geschieht (ohne dass jedoch aus letzterem Verhalten sicher zu folgern wäre, dass beim Amphioxus diese Zellen schon unter nor- malen Verhältnissen vollkommen einander gleich wären; sondern dieses Verhalten kann auf frühzeitigerem in Thätigkeit treten des nicht durch die Befruchtung, sondern erst durch den Defekt aktivierten Postgenerationsplasson oder auch bloß auf abnormer Verschiebung der Zellen beruhen; s. u. Seite 616)). Aus Driesch’s angeblicher Berichtigung gewinnt der Leser weiter- hin den Eindruck, dass die für die Deutung der ersten Entwicklungs- vorgänge so wichtige Angabe, beim Seeigel entstehe aus dem halben Ei eine echte Semimorula von der Form eimer hohlen Halbkugel, eine ihm von mir gemachte falsche Unterstellung sei; denn die Nicht- hohlheit der Semimorula resp. Semiblastula ist die Grundlage seiner sanzen bezüglichen Erörterungen, ohne welche dieselben keinen Sinn haben; auch sagt er jetzt S. 304 direkt: „Die Semimorula ist also ein als Form in toto gar nicht gekennzeichnetes Gebilde“. Um dem Leser die Möglichkeit zu einem eigenen Urteil zu ge- währen, habe ich Driesch’s bezügliche Figuren u. 6 hier reproduzieren lassen und zwar nach den aus seiner Tafel ausgeschnittenen, dem Manuskripte beigefügten Originalen. Fig. 1. Fig. 5. Nach Driesch reproduziert. Ein Blick auf diese Figuren wird über die Berechtigung des Be- ginnens Driesch’s belehren. Zudem hat D. früher (Nr. 3 8. 167) gesagt: „Die Furchung isolierter Furchungszellen des 2-Zellenstadiums von Echinus mikrotuberculatus ist also eine Halbbildung, wie sie von Roux für operierte Froscheier beschrieben worden ist“. Es war aber der Kernpunkt meiner Beobachtungen, dass die ‘16 Roux, Spezifikation der Furchungszellen ; Post- und Regeneration. J)1D ’ I fo) I fe) Semimorula des Frosches hohl war. Und vorher findet sich bei D. die Stelle: „D'/, Stunden nach der Befruchtung beginnt das eigentliche Interesse des Versuches; indem nämlich im Sinne absoluter Selbst- differenzierung die letzterwähnte Teilung eine typische Hälfte des Sechszellenstadiums, wie es oben (Fig. 1) dargestellt ist, in Erscheinung treten lässt“. Diese Fig. 1 D.’s ist hier unter gleicher Nummer reproduziert und stellt die junge Morula mit großer Furchungs- höhle dar; also ist wohl zu vermuten, dass die „typische Hälfte“ davon auch hohl gewesen sei. D. sagt ferner: „der Halbkeim bot das Bild einer vielzelligen offenen Halbkugel dar, wenn auch die Mündung etwas verengt erschien“. In semer letzten Publikation dagegen sagt er (Nr. 2 8. 305): „Fig. 2 zeigt Bilder der Halbfurchung eines Eehinus- Ries, bei welcher von eimer Semimorula, d. h. einer Halbkugel gar keine Rede sein kann, und bei Sphaerechinus ist das immer so“. Wenn Driesch diese früheren, thatsächlichen Angaben desavouieren will und nach so deutlichen Aussprüchen und Abbildungen die Semi- morula der Eehinodermen als „ein als Form in toto gar nicht gekenn- zeichnetes Gebilde“ bezeichnet, so weiß ich nicht, welche seiner anderen thatsächlichen Angaben wir als so sicher ansehen dürfen, dass er sie nicht auch widerruft. Und ieh habe schon (Nr. 1) betont, dass das Vor- kommen solider, rundlicher Semimorulae neben dem Vorkommen hohler halbkugelförmiger für unsere Frage ohne Bedeutung ist; da die letztere Bildung die typische, besondere gestaltende Kräfte be- kundende Form darstellt, statt weleher durch geringe Störungen der Thätigkeit dieser Kräfte, wie sie bei Halbbildungen leicht vorkommen können, die nichts besonderes repräsentierende erstere Form hervor- sehen kann. Wenn bei Amphioxus und Sphaerechinus die ersten Furchungszellen etwas weniger fest anemander haften als bei anderen Eiern, können geringe Erschütterungen stets die Bildung einer Semi- morula verhindern, auch wenn die Tendenz dazu vorhanden ist. Für Driesch dagegen ist jetzt (Nr. 3 S. 304) „die Halbkugel ein in gewissem Sinne zufälliges Resultat“, das dadurch ent- steht, dass die Zellen der betreffenden Eier „weniger stark an einander gleiten“ als in den anderen Fällen, so dass sie an dem Orte liegen bleiben, wo sie entstanden sind. Es würde richtiger gewesen sein zu sagen: die annähernd kugelige solide Semimorula ist ein m gewissem Sinne zufälliges Resultat, welches dadurch entsteht, dass die Zellen durch abnormes Aneinandergleiten von dem Orte hinweg gekommen sind, an den sie durch die, eine typische Halbbildung pro- duzierenden Kräfte hingelagert worden sind oder bei mangelnden Störungen hingelagert worden wären. Um sich von der Notwendigkeit besonderer, gestaltender resp. ordnender Kräfte bei der Produktion einer hohlen Halbkugel aus einer soliden, sich wiederholt teilenden abgerundeten Halbkugel (wie Fig. 6 linke Hälfte) zu überzeugen, empfehle ich D., aus Thon diese Vorgänge nachzumodellieren und zu Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 617 versuchen, zu welchem Resultat er allein mit dem Mechanismus der Halbierung und Abrundung der Stücke gelangt. Aber wenn auch D. das wesentlichste Charakteristikum der Semi- morula resp. Semiblastula, die halbe Kugelschalenform jetzt in Ab- rede stellt, so bleibt doch noch die gleichzeitige und vollkommen selbständige, ebenfalls auf Eehinodermen bezügliche Beobachtung von K. Fiedler (5), welcher aus einer der beiden ersten Furchungs- zellen, noch dazu nach vollkommener Entfernung der anderen Zelle, in drei Fällen je eine „halbe Blastula“* gewonnen hat, von der er sagt: „die überlebende der beiden ersten Blastomeren lieferte eine aus zahlreichen kleinen Zellen bestehende hohle Halbkugel. Die anfangs weite Oeffnung verengte sich nach einigen Stunden zu- sehends, worauf leider Absterben eintrat“. Die Umdeutung, welche D. zu Gunsten seiner Auffassung mit den Ergebnissen L. Chabry’s an Ascidien vorgenommen hat, ist bereits von D. Barfurth als unzutreffend (6) dargelegt worden. Ebenso rasch fertig wie hier mit Thatsachen ist Driesceh auch auf theoretischem Gebiete, welches wir jetzt betreten. Die Argumen- tationen des Gegners bezeichnet er einfach als unzutreffend und ersetzt den Mangel an Beweisen dafür sowohl wie für seine eigene Auffassung durch apodiktischgeformte Aeußerungen. Er engagiert sich überhaupt noch viel zu sehr für Unbekanntes durch bestimmte sichere Aussprüche über dasselbe. Von zahlreichen auf zu flüchtiger Redaktion beruhenden Unzu- treffendheiten im Ausdruck, welche D.’s Pubklikationen, besonders für einen Gegner seiner Auffassungen trotz nicht zu kondensierter Dar- stellung und übersichtlicher Anordnung des Stoffes, schwerverständlich machen und viel guten Willen sowie reichliche Zuthat eigenen Salzes seitens des gewissenhaften Lesers erfordern, um nicht zahlreiche Wider- sprüche in ihnen zu finden, sowie von nebensächlichen unrichtigen Repro- duktionen meiner Auffassungen sehe ich ab und begnüge mich, die Punkte zu erörtern, denen ein allgemeineres Interesse zukommt. Aus den Beobachtungen von Pflüger, mir und Driesch, dass durch Druck auf das sich teilende Ei und aus Driesch’s eigener Wahrnehmung, dass auch durch Einwirkung abnormer Wärme auf das Ei die Furchung in abnorme Bahnen gelenkt werden kann, folgert Drieseh (Nr.3 5.55) jetzt, im Gegensatz zu seiner früheren Meinung, dass „die normale Furehung keine Selbstdifferenzierung (Roux) ist“. Dies Urteil beruht auf ungenügender Kenntnis der von mir ge- gebenen Definition des Begriffes der Selbstdifferenzierung. Da ich wieder- holt bemerkt habe, dass die richtige Anwendung dieses, für unsere kausalen Forschungen notwendigen Begriffes einige Schwierigkeiten in sich birgt, so will ich ihn hier nochmals erläutern. Das Wort Selbstdifferenzierung und sein Gegenteil die abhängige Differenzierung beziehen sich auf den Sitz der Veränderungsursachen 618 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. eines räumlich oder bloß in Gedanken abgegrenzten, sich ver- ändernden Gebildes. Liegen die Ursachen dieser Veränderungen in dem so abgegrenzten Gebilde selber, so bezeichne ich die Veränderung als Selbstditferenzierung dieses Gebildes, und zwar dies auch dann, wenn zu dieser Veränderung die Zufuhr von Energie, sei es in Form von Wärme, Sauerstoff, flüssiger oder fester Nahrung ete., von außen her nötig ist. Der Ausdruck Selbstdifferenzierung soll sich bloß auf die spezifischen Ursachen der Veränderung, auf die Ursachen der Art, Oertlichkeit, Zeit und Intensität der Veränderung beziehen. Werden diese Eigenschaften der Veränderung nicht durch diese Zufuhr von außen bestimmt, so stellt diese Zufuhr bloß eine, vielleicht unerlässliche, Vorbedingung der Veränderung, aber nicht die spezi- fische Ursache derselben dar; diese Zufuhr kann alsdann auch schon lange vorher stattgefunden haben, ohne dass die Veränderung stattfindet. Ich habe nun früher gezeigt, dass die aus typisch gestaltenden und qualitativ sondernden Vorgängen sich zusammensetzende normale Furchung beim Froscheie auch dann normal verläuft, wenn das Ei auf einer senkrecht stehenden, langsam rotierenden Scheibe fixiert ist, 80 dass also Schwerkraft, Erdmagnetismus, Licht- und Wärmestrahlen in stetig wechselnder Richtung auf das Ei wirken, also keine typisch gestaltenden Wirkungen an ihm hervorbringen können. Es sind somit zum normalen Verlaufe der Furchung keine gestaltenden äußeren Ein- wirkungen nötig; die normale Furehung des Eies ist daher als Selbstdifferenzierung zu bezeichnen, obgleich ein gewisses Maß von Wärmezufuhr unerlässliche Vorbedingung ist. Der normale Ablauf der Furehung ist ferner abhängig von der normalen Gestalt des Eies; da das Ei diese früher erlangte Gestalt aber gleichfalls ohne äußere gestaltende Einwirkungen einhält, sind solche wiederum zur normalen Furchung nicht nötig. Daraus aber, dass Druck und höhere Wärme den gestaltlichen und damit vielleicht auch qualitativen Ver- lauf der Furchung zu ändern vermögen, kann nicht geschlossen werden, dass die spezifischen Ursachen der normalen, gestaltlichen und quali- tativ sondernden Vorgänge der Furchung nicht im Eie selbst gelegen seien. D.’s Widerspruch ist somit hinfällig. Wenn man von Selstdifferenzierung spricht, muss man genau genommen immer das Ganze oder den Teil, welchen man dabei im Auge hat, nennen. Man kann nicht sagen: „die Entwicklung ist Selbst- differenzierung“, denn diese Aeußerung bezieht sich nicht auf ein ab- segrenztes Gebilde oder Stück, sondern auf die Vorgänge der Entwicklung; jede Entwicklung ist Veränderung; und jede Veränderung beruht auf Wechselwirkung, da nichts seinen Zustand von selbst ändern kann. Es ist daher auch nicht richtig ausgedrückt, wenn D., um mir zu opponieren (Nr.2 8.305) sagt: „die direkte (scil. normale) Entwick- Jung ist keine Selbstdifferenzierung sondern korrelative Differenzierung“; Roux, Spezifikation der Furchungszeilen ; Post- und Regeneration. 619 er hätte sagen müssen: die direkte Entwicklung (NB. des Eies) ist keine Selbstdifferenzierung der einzelnen Blastomeren; oder wenn seine Opposition eine allgemeine sein soll, hätte sie lauten müssen: bei der direkten Entwieklung des Eies kommt keine Selbstdifferenzierung ein- zelner Zellen oder Zellkomplexe vor. Das würde dann im Sinne von O0. Hertwig heißen: Die direkte Entwicklung des Eies findet nur unter Wechselwirkungen aller Zellen desselben untereinander statt. Es ist ferner nicht zweekmäßlig und muss zu Missverständnissen führen, dass D. fortfährt, entgegen dem Sprachgebrauche die aus einem halben Ei hervorgegangenen ganzen Embryonen als Teilbildungen zu bezeiehnen, zumal nachdem ich dem Sprachgebrauche entsprechend als Teilbildungen (Meroplasten) halbe-, Viertel- und Drei- viertelembryonen bezeichnet habe. Man nennt nicht ein ganzes fertiges Haus, dass aber bloß aus der Hälfte des ursprünglich dazu bestimmten Materiales erbaut ist, ein Teilgebilde, ein Teilhaus. Die von mir eingeführten Bezeichnungen Halbei-Ganzbildungen (Semiooholo- plasten), Dreiviertelei-Ganzbildungen sind vollkommen bezeichnend und schließen daher jedes Missverständnis aus. Ich werde daher bei ihrer Verwendung verbleiben und glaube, dass die Verwirrungen, die durch D.s Bezeichnungsweise entstehen, ihm zur Last fallen. Die hauptsächlichste theoretische Differenz zwischen Driesch sowie O. Hertwig einerseits und mir anderseits besteht darin, dass erstere Autoren behaupten, die ersten (8 resp. 16 oder 32) Furehungszellen seien in ihrem Wesentlichen vollkommen gleichwertig, nur in Unwesentlichem von einander ein wenig verschieden; jede gliche also wesentlich noch der ganzen Eizelle. D. folgert dies daraus, das aus jeder einzelnen der 2 resp. 4 ersten Furchungszellen infolge Tötung oder Entfernung der anderen Blasto- meren (aber, wie wir sahen, meist erst nach vorgängiger Produktion einer deutlichen Halbbildung) gleichwohl ein ganzes Individuum entsteht; besonders aber leitet er dasselbe aus seinen jüngsten Versuchen ab, in welchen durch Pressen von Echinodermeneiern während der Furchung die Furchungskugeln, wie er mitteilt, so abnorm gelagert waren, dass unter vielen Versuchen jede Zelle neben jeder anderen zu liegen kam, mit dem Erfolg, dass gleichwohl daraus eine normal- gestaltete Pluteuslarve entstand. D. nimmt auf Grund dieses normal-gestalteten Produktes ohne jeden Beweis als selbstverständlich an, dass auch die Bildungsweise desselben die normale sei, dass also die uns unbekannten inneren Vorgänge bei dieser Entwicklung mit den Vorgängen bei der normalen Entwicklung im Wesen identisch seien. Er thut dies, obgleich es genügend bekannt ist, dass gleich gestaltete Produkte auf verschiedenen Wegen hervorgebracht wer- den können, dass z. B. bei der hegeneration nach Selbstteilung er- 620 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration wachsener Tiere oder nach künstlichem Defekt derselben, von bereits Differenziertem aus die fehlenden Teile wieder und daher notwendiger Weise unter wesentlich anderen Vorgängen produziert werden, als bei der Entwicklung aus dem nicht differenziertem Ei; eine Thatsache, die mich zur Unterscheidung zweier Entwieklungsarten (Nr. 11 und 1) ver- anlasst hat: der direkten, bei den höheren Organismen allein die normale Art darstellenden Entwicklung aus dem nicht differenzierten Bi, und der indirekten Entwicklung oder der Entwicklung feh- lender Teile eines Organismus von bereits entwickelten Teilen des- selben aus. Wenn D. den Nachweis erbracht hätte, dass die Vorgänge dieser Gestaltungen wirklich die normalen seien (was aber nicht ohne die Ermittlung dieser Vorgänge möglich gewesen wäre) so wäre sein und O0. Hertwig’s Schluss, dass die ersten S—32 Furchungszellen nicht spezifisch differenziert, sondern gleichwertig seien, vielleicht als zu- treffend zu bezeichnen. Dann bliebe aber absolut unverständlich, dass ich schon vor der ersten Furchung am normal gehaltenen Froschei alle Haupt- richtungen des Embryo sicher vorausbestimmen konnte, und dass bei Opera- tionen am zweigeteilten Froschei nach Zerstörung der von mir als rechte oder linke, bei Anachronismen als cephale oder kaudale Furchungs- zelle erkannten Zelle stets, wie vorausgesagt, ein linker resp. rechter, kaudaler resp. cephaler halber Embryo entstand. Dass ich dies mit Sicherheit voraussagen konnte, beweist, von allen anderen Argumenten abgesehen, absolut sicher, dass diese Bestimmungen bereits getroffen waren, dass also schon die beiden ersten Teilzellen des Eies nicht mehr gleichwertig waren. Es ist selten, dass versucht wird, so unwiderleglichen Argumenten die Beweiskraft abzusprechen. Warum entstand ferner nicht em einziges Mal ein schief zu den Hauptriehtungen abgegrenzter halber Embryo? Ja was müsste über- haupt aus einer typischen halben, hohlen Semimorula, die sich nicht schließt, entstehen, wenn alle Zellen derselben gleiehwertig sind? Sehen wir für jetzt davon ab, dass es noch ganz unbekannt ist, welehe wahre Bedeutung die unter so starken Deformationen des Eies gebildeten Furchungszellen im Verhältnis zu den normalen Furchungs- zellen der Stadien mit gleicher Zellenzahl haben, — für etwas geringere Deformationen habe ieh nachgewiesen (Nr. 9 u. 10), dass eine der drei ersten Furehen noch der Medianebene entspricht — so wäre es die Hauptaufgabe D.s zur Stütze seiner Auffassung gewesen zu be- weisen, oder zum Mindestens auf Grund von Thatsachen wahrschein- lich zu machen, dass die Entwieklungsvorgänge die normalen seien; ohne dieses stehen alle seine, in apodiktischer Form geäußerten Fol- gerungen vollkommen in der Luft; sie beruhen auf einer petitio prineipii. Fe Roux, Spezitikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 691 D. begnügt sich jedoch damit, für die von mir und Chun aus halben Frosch- und Ctenophoren-Eiern erhaltenen halben Embryonen eine Ableitung zu versuchen, die, wie früher gezeigt wurde, an sich schon hinfällig ist und selbst, wenn sie für diese Tiere zutreffend wäre, auf mein Hemitherium anterius des Kalbes (s. Nr. 1 S. 288) und auf die Halbbildungen von Echinodermen und Ascidien (Chabry) nicht anwendbar wäre. Der Versuch, die Echinodermen -Halbbildungen auf die oben dargelegste Weise zu beseitigen ist ebenso missglückt wie derjenige, die Halbbildungen der Ascidien auf dem Wege der Umdeu- tung zu eliminieren. Ich vertrete dagegen die Ansicht (Nr. 1), dass bei den abnormen Verhältnissen halber oder stark gepresster, wie durch manche chemische Mittel z. B. Borsäure, Strychnin (Roux) geschädigter Eier früher oder später abnorme Bildungsvorgänge stattfinden, nämlich Gestaltungsvorgänge, die nicht durch die Befruchtung als solche ver- anlasst sind, sondern welche mit Vorgängen übereinstimmen, die bei der te- und Postgeneration vorkommen und durch den Defekt resp. durch die Störung der normalen Anordnung ausgelöst werden, Vor- gänge bei denen somit idioplastisches Material aktiviert wird und im herrschende Thätigkeit tritt, das bei der normalen Entwicklung gar nicht oder nur in minimaler, regulierender Weise thätig ist. Wir haben ersteren Falles typisch ausgebildete, unzweifelhafte Halbbildungen, die auf einem bei den einen Tieren früheren, bei den anderen späteren Stadium auf einmal beginnen sich zu einem Ganzen zu kompletieren: ob das zunächst bloß durch nachträgliche Um- lagerung und entsprechend nötige Umdifferenzierung oder auch sogleich mit unter Proliferation von Zellen geschieht, macht keinen wesentlichen Unterschied; diese Umlagerung und Umdiffe- renzierung müssen stets zusammen vorkommen und sind das Wesentlichste des Geschehens, ja bei der Regeneration der Hydra und der Postgeneration des Seeigels das ganz oder fast ganz Aus- schließliche; die gleichzeitige Vermehrung von Zellen, die Prelifera- tion, kann daher nur als ein dabei qualitativ nicht wesentlicher Nebenvorgang betrachtet werden. D., der, wie sich inzwischen gezeigt hat, ebenfalls die Entstehung von Ganzbildungen aus Furchungsbruchteilen unter die Gesichtspunkte der Umlagerung und Proliferation gebracht hat, versteht jedoch darunter erheblich Anderes als ich, so dass unsere Differenz nicht, wie er meint, bloß eine scheinbare ist. D. erklärt nämlich diese beiden Vorgänge als prinzipiell verschieden und nimmt an, die Ganzbildung aus Furch- ungsbruchteilen durch Umlagerung käme bloß bei den einen (Eehinodermen, Ascidien, Amphioxus), die Postgeneration durch Pro- liferation bei den anderen Tieren (Frosch, Ctenophoren) vor; und die Ergänzung durch Umlagerung rechnet er, wie sich aus seinen weiteren Folgerungen ergibt, willkürlich zur normalen s. direkten Entwicklung. 622 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. Der Gegensatz zwischen den beiderseitigen Ansichten wird noch da- durch illustriert, dass D. auch beim Amphioxus die Halbei-Ganzbildung durch Umlagerung entstehen lässt, obgleich er Wilson’s Angabe annimmt, dass bei Amphioxus aus dem halben Ei gar nicht zuerst eine Halbbildung intendirt werde, sondern von der ersten Teilung der Halb- eizelle an die Zellordnung einer ganzen Morula vorhanden sei, so dass eine nachträgliche Umordnung der gebildeten Zellen gar nicht nötig wäre. Dasselbe Geschehen wie bei Amphioxus nimmt D., da er etzt die Halbbildung, die echte Semimorula der Eehinodermen verleugnet, auch für diese an. Wir beide verwenden also dieselben Bezeichnungen in wesentlich verschiedener Weise. Driesch’s „Umordnung“ ist ein „mehr zufälliger Akt“, ein „stärkeres Gleiten der Zellen an einander“, wo- durch ein rundlicher Zellhaufen entsteht und wodurch allein nach D.s Auffassung schon die Bedingung zu einer Ganzbildung gegeben ist. Nach meiner Auffassung handelt es sich dagegen bei dem Schluss der Semimorula oder Semiblastula ebenso wie des Hemiembryo um em in Thätigkeittreten ganz neuer, durch die Wirkung des Defektes aktivierter Gestaltungsmechanismen, oder mit anderen Worten um Thätigwerden des Post- und Regenerationsplasson; und es müssen dabei mit der Umordnung der Zellen entsprechende innere, eventuell auch äußere Umdifferenzierungen der bisher aktiven Teile stattfinden. Das Wesentliche der Verschiedenheiten der beiderseitigen Auf- fassungen wird besonders deutlich, wenn wir die Konsequenzen der- selben ziehen: Nach D. müsste aus der hohlen Semimorula des Frosches, wenn wir ihren Defektrand durch Zusammenlegen auch nur passiv geschlossen und auf diese Weise eine in D.’s Sinne ganze Morula aus der halben gemacht hätten, diese letztere sich infolge der jetzigen Lage der Zellen zu einander ohne Weiteres zu einer ganzen Gastrula und einem ganzen Embryo entwickeln. Nach meiner Meinung dagegen würde daraus ein halber Embryo mit zusammengelegtem Defektrande entstehen, sofern nicht inzwischen die Postgenerationsmechanismen thätig geworden sind. Schließt dagegen eine typische hohle Semimorula oder Semiblastula auf einmal ihren Defektrand von selber, so ist das nach meiner Meinung schon der Ausdruck der geweckten Postgenera- tionsthätigkeit. Wäre aber der scheinbare Selbstschluss nach D. bloß durch ein zufälliges, kapillares Zusammengleiten der Zellen (das viel- leicht durch zeitweiliges Einbringen in ein geeignetes Mittel wie 1proz. Kochsalzlösung auch künstlich veranlasst werden kann), bedingt, so entstünde, wenn nicht die Postgenerationsmechanismen geweckt werden, nach meiner Meinung ebenfalls nur ein Hemiembryo mit zusammen- gelegtem Defektrand, nicht ein ganzer Embryo. D. lässt unter den nach seiner Auffassung nicht spezifizierten, einander vollkommen gleichwertigen ersten S—16 oder 32 Furehungs- zellen durch Entstehung etwas stärker gespannter Zellen oder einer sonstigen physikalischen Ungleichheit eine Differenz eintreten und Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 623 damit erst Richtung in das bisher richtungslose Geschehen kommen; und von dieser nach seiner eigenen Meinung „unwesentlichen“ proto- plasmatischen!) Veränderung geht nun das Ganze gerichtete Ge- schehen der Bildung des Embryo aus, indem es dabei vollkommen von der Lage aller Zellen zu diesen zuerst differenzierten Zellen ab- hängt, was aus jeder wird. D. bezieht sich dabei auf rechtwinklige also feste Koordinaten, so dass geradezu die räumliche Lage der Zellen zu einander als solche und damit die Gestalt des ganzen Zell- komplexes, die Gesamtkonfiguration des Gebildes von wesentlichster Bedeutung für die Gestaltungs- und Differenzierungsvorgänge desselben wäre. Demnach könnten annähernd richtige Differenzierungen nur bei normaler äußerer Gestalt eines Gebildes vor sich gehen; und D. scheint zn glauben, mit dieser Betonung der eventuellen differenzierenden Be- deutung der Lage der Zellen ein wesentlich neues Gestaltungsprinzip aufgestellt zu haben. Ich glaube jedoch, so weit dasselbe Richtiges enthält, ist es bereits von jedem vertreten worden, der einmal erntlich über die Regeneration nachgedacht hat. D. kündigt eine ausführ- liche Abhandlung über seine bezüglichen Vorstellungen an. Ich sehe daher von einer Kritik seiner bisher vorliegenden kurzen Aeußerungen ab und werde nur Veranlassung nehmen, weiter unten meine bezüg- lichen, auf die Thatsachen der Post- und Regeneration sich stützenden Auffassungen etwas ausführlicher darzulegen, als es bereits andeutungs- weise (Nr. 8) in meiner Schilderung der Postgeneration der fehlenden Froschhälfte unter Verwendung des Materiales der getöteten Eihälfte geschehen ist. Zunächst seien einige Thatsachen in Erinnerung ge- bracht resp. neu mitgeteilt. Ich habe schon im ersten Beitrag zur Entwicklungsmechanik (Nr. 13 S. 71-75) darauf hingewiesen und es danach weiterhin verfolgt (s. Nr. 10), dass deformierte Eier trotz entsprechend abnormer Gestaltung des 4) Da man jetzt anfängt, einmal wieder die gestaltlichen Leistungen des Protoplasmas bei der Entwicklung im Gegensatz zu denen des Kernes her- vorzuheben, ja bereits zu überschätzen, so sei an die von mir ermittelten That- sachen erinnert (s Nr. 9 u. 12), welche darauf hinweisen, dass die Hauptrich- tungen des Embryo bei Zwangslage zum Teil durch die Gestalt sowie durch die Anordnung der verschiedenen Arten des Protoplasma bedingt sind, indem dasselbe nicht bloß einstellend auf dieKernspindel wirkt, sondern, entsprechend der Längs- und Querstellung der Spindel zur Symmetrierichtung des Protoplasma, die qualitative Natur der ersten Kernteilungen be- stimmt und so bewirkt, dass zum richtigen Protoplasma der Kopfseite auch das richtige Idioplasson des Kernes kommt. Zugleich aber erwiesen seltene Ausnahmen, dass dem Kernmaterial bei diesen Wechselwirkungen doch die größere differenzierende Bedeutung zukommen muss, da einige Mal die Kopfseite des Embryo nicht der normaler Weise entsprechenden Proto- plasmaanhäufung zugewendet war, sondern 90° seitlich dazu oder noch seltener geradezu entgegengesetzt stand. Weiteres siehe Zool. Anz., 1893, Nr. 4311. 6594 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. Ganzen, von einigen lokalen, mechanisch erklärbaren Störungen ab- gesehen, einen innerlich so wohlgebildeten Embryo liefern, als wäre der Embryo erst nach seiner Entwicklung all- mählich passiv zu seiner jetzigen äußeren Gestalt defor- miert worden. Ich werde die bezüglichen Versuche ausführlicher darstellen. Aus ihnen geht hervor, dass eine derartige differenzierende Wirkung der räumlichen Lage der Zellen, wie sie D. anzunehmen scheint, nicht besteht, sondern dass die richtigen Differenzier- ungen wesentlich von Wirkungen per continuitatem et contiguitatem, also von Nachbarschaftswirkungen ab- hängen. Gegen erstere Auffassung spricht auch, wie ich schon (Nr. 1) er- wähnt habe, die große Gruppe derjenigen Doppelbildungen, welche dem von mir formulierten Gesetze der doppelten Symmetrie der Organ- anlagen folgen, indem hier in jedem der beiden mit einander ver- schmolzenen Individualgebilde alle Organe bis zur Vereinigungsebene so normal gestaltet sind, wie an einem normalen Individuum, welchem erst nachträglich die fehlenden Teile abgeschnitten wurden; ein Ver- halten, in welehem keine Wechselwirkung der Teile beider so ausgedehnt mit einander vereinigter unvollkommener Individualanlagen zu einem Ganzen erkennbar ist, sondern nach welchem vielmehr jedes unvoll- kommene Individuum sich für sich entwickelt zu haben scheint. Ehe ich zur Darlegung meiner eigenen Argumentation in Sachen der behandelten Hauptfrage übergehe, sei noch ein unrichtiger Schluss D.s zurückgewiesen. Driesch schließt folgendermaßen (Nr. 2 S. 301): „Der Satz Roux’, dass die direkte normale Entwicklung in den ersten Stadien dureh Selbstdifferenzierung der ersten Furch- ungszellen charakterisiert ist, ist widerlegt durch die Verlagerung der Furchungszellen mit nachfolgender normaler Entwicklung“. (D. musste richtiger sagen: mit nachfolgender Lieferung späterer normal gestalteter Produkte.) Da D. jedoch jetzt selber die sichere Thatsache der Entstehung halber Frosch- und Ötenophoren-Embryonen aus halben Eiern nicht mehr bestreitet und er auch nicht mit Pflüger annimmt, dass diese Gestaltung der Embryonen durch von außen einwirkende Kräfte erfolge, so muss er auch zugeben, dass die gestaltenden Kräfte zur Bildung des halben Embryo in dem halben Ei vorhanden sein müssen; also muss auch nach D.’s Auffassung die Entwicklung dieser isolierten halben Eier Selbstdifferenzierung derselben sein. D.s Wider- spruch gegen meine Auffassung schließt also einen logischen Wider- spruch ein. Auf Grund dieses irrtümlichen Schlusses folgert D. nun weiter: „Ist aber die direkte Entwicklung in ihrem Beginne keine Selbstdifferenzierung sondern korrelative Differenzierung (zu ergänzen ist: der ersten Furchungs- a Are POEETEI FPEVEDETISWTTE VORTE Ballowitz, Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. 025 zellen, s. o.), dann fällt auch jeder (!) Unterschied zwischen ihr und der Totogeneration beim Seeigel, Amphioxus, Ascidie und Siphonophore weg“. Diese Totogeneration lässt D. durch die oben erwähnte mehr „zufällige“ Umlagerung der einander angeblich gleichwertigen Furch- ungszellen zu einem rundlichen Zellhaufen mit nachfolgenden differen- zierenden Wechselwirkungen entstehen. Selbst wenn die direkte Entwicklung wirklich keine Selbstditferen- zierung der ersten Furchungszellen wäre, woraus folgert D., dass dann auch jeder Unterschied zwischen ihr und der von ihm angenommenen Art der Totogeneration wegfällt? D. müsste, nach Eliminierung des oben nachgewiesenen logischen Widerspruches, von seinem Standpunkte aus sagen: bloß isolierte erste Furchungszellen entwickeln sich dureh Selbstditferenzierung, die sich berührenden aber nicht; sondern bei diesen geschieht die Entwick- lung bloß durch gestaltende Wechselwirkungen aller Zellen unter- einander. Dabei müsste er also für die Entwicklung der isolierten Blastomeren zu Körperstücken einen ganz neuen, von der normalen Entwicklung durchaus abweichenden Modus annehmen; und dazu käme als dritter besonderer Modus derjenige der nachträglichen Postgeneration dieser Stücke des Froseh- und Ctenophorenembryo zu ganzen Embryonen. D.’s Auffassung erweist sich also, in ihre Konsequenzen verfolgt, nicht als eine Vereinfachung. Den Modus der Entwicklung einzelner Blasto- meren zu Körperstücken denkt sich D. allerdings überaus einfach. Er sagt (Nr. 2 8. 306): „Bei Frosch und Ctenophore ist die Blastula eine Halbkugel, die eine Ordinate ist ein Durchmesser, die andere ist der auf ihr senkrechte Radius: daher bildet sich hier einHalbembryo, denninderanderen Hälfte des Ordinaten- feldes liegt gar kein Material, auf das dieses bestimmend wirken könnte“. Gewiss eine sehr einfache Art des Entstehens eines halben Organismus, welche aber wohl auf einer entweder zu einfachen oder zu früh resignierenden Auffassung von der Entwieklung beruht. (Schluss folgt.) Ueber die Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. Von Dr. med. E. Ballowitz, Privatdozent und Prosektor in Greifswald. Es ist eine fast allgemein verbreitete Anschauung, dass die als Chromatophoren bezeichneten Pigmentzellen, welche sich in der Haut niederer Wirbeltiere vorfinden und Ursache ihrer Färbung und ihres Farbenwechsels sind, die Fähigkeit besitzen, amöboide, pigmenthaltige Fortsätze auszusenden und einzuziehen. So heißt es z. B. in dem soeben erschienenen Lehrbuche der Zoo- logie von Kennel (1893, 8. 57 und 58): „Als Chromatophoren be- zeichnet man Pigmentzellen, die in hohem Grade die Fähigkeit der Kontraktion und Expansion besitzen. Sie kommen meist in der äußeren XI. 4) 526 Ballowitz, Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. a Haut von Metazoen vor und bewirken dort durch abwechselnde Zu- sammenziehung und Ausdehnung den Farbenwechsel vieler Tiere. Wenn nämlich solche Chromatophoren in einer Schicht in der Haut eines Tieres verteilt sind und bei voller Ausdehnung mit ihren pseudo- podienartigen Ausläufern einander fast berühren, so bedingen sie durch ihre auf eine große Fläche verteilten Farbkörnchen eine gewisse To- talfärbung des Tieres; ziehen sie sich dagegen auf das kleinste Maß zusammen, so ist jede zwar viel intensiver gefärbt, aber verschwin- dend klein.“ Diese Anschauung ist indessen eine irrige. Schon Brücke hat in seiner klassischen Abhandlung über den Farbenwechsel des afrikanischen Chamaeleons (Denkschriften der Akademie der Wissenschaften, Wien, 1852, Bd. IV) bestimmt ausge- sprochen, dass die Verkürzung der pigmenthaltigen, reich verästelten, gegen die Oberfläche gerichteten Fortsätze nur eine scheinbare ist, „indem nur das Pigment in die Tiefe zurücktritt, die Ausläufer selbst aber nicht eingezogen werden, sondern nur entleert dem Auge ent- schwinden.“ Unter dem Einflusse dieser Mitteilung Brücke’s hat auch R. Virchow ausgesprochen (Chromatophoren beim Frosch. Archiv für pathologische Anatomie Bd. VI, 1854, S. 267), dass „der Farben- wechsel auf den Gestaltveränderungen und dem Ortswechsel des Pig- mentes selbst beruht, so zwar, dass die Frösche um so dunkler er- scheinen, je mehr das Pigment in die Fortsätze ausströmt, und um so heller, je mehr es sich auf einzelne Haufen in das Innere der Zell- körper sammelt.“ In der gleichen Vorstellung gelangte auch Lister (On the Cu- taneous Pigmentary System of the Frog, Philos. Transact. Vol. 148, 1859), während Lode zu keiner bestimmten Entscheidung kommen konnte. Der letztere Autor sagt über die Gestaltveränderungen, welche bei Reizung der Chromatophoren der Knochenfische auftreten, Folgendes (Farbenwechsel der Fische. Wiener Sitzungsber. XCIX. Abt. III, 1890, S. 133): „Man bemerkt schon nach etwa !/, Minute (bei elektrischer Reizung der Haut), wie die vorher ziemlich ver- zweigten, sternförmigen Farbzellen allmählich ihre Fortsätze einziehen und zur Kugelgestalt schrumpfen. Hierbei sieht man deutlich, dass das Pigment gegen das Centrum der Zelle wandert; nicht selten blei- ben aber Pigmentkörnchen in den Ramifikationen zurück, sei es dass sich die Protoplasmafortsätze nicht sämtlich zusammenziehen, sei es, dass einzelne Körnehen aus der Protoplasmamasse herausgedrängt werden und in den Räumen, wo früher die Fortsätze lagen, zurück- bleiben, sei es endlich, dass die Bewegung der Körnchen überhaupt nicht darin besteht, dass sie vom Protoplasma mitgeschleppt, sondern dass sie vielmehr innerhalb des Protoplasmas infolge der Erregung von der Peripherie gegen das Centrum gedrängt werden.“ Erst Solger ist es gelungen, an den sogenannten „kontrahierten“ . Ballowitz, Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. 627 Pigmentzellen der Knochenfische, besonders des Härings, die schwer sichtbaren Zellfortsätze, in welche hinein das Pigment bei Expansion der Chromatophore wandert, nachzuweisen und so die Persistenz der Protoplasma-Fortsätze darzuthun. Dieser Forscher schildert das Aus- sehen der Fortsätze folgendermaßen (Ueber pigmentierte Zellen und deren Centralmasse. Mitteilungen des naturwissenschaftlichen Vereines von Neuvorpommern und Rügen, 22. Jahrgang, 1890, S. 11): „Fertigt man Flächenschnitte durch das ganz frische Integument der Infra- orbitalgegend des Herings an und untersucht dieselben dann (vor Verdunstung durch einen das Deckglas umziehenden Wachsring ge- schützt) ohne Zusatzflüssigkeit mit mittelstarken oder stärksten Sys- temen (Apochromat), so wird man an den wohl kaum je ganz fehlen- den kugeligen Pigmentklumpen, den „kontrahierten Pigmentzellen“ der Autoren, an den schwarzen sowohl als an den gelben, einen feinen, farblosen Strahlenkranz bemerken, der den Farbstoffhaufen umsäumt. Die einzelnen pseudopodienartigen Strahlen sind von verschiedener Länge und verschiedenem Kaliber, sie scheinen sich diehotomisch zu verästeln und sich dabei zu unmessbarer Feinheit zu verjüngen. Nach Zusatz von O,6prozentiger Kochsalzlösung und darauffolgender Ein- wirkung eines Tropfens 1Oprozentiger Essigsäure lassen sie sich bald von ihrer Umgebung nieht mehr unterscheiden, während mehr oder weniger von Farbstoff verdeckt, ein feinkörniger Kern oder (meist) mehrere derselben zum Vorschein kommen. Am besten scheinen sich die wimperartigen Fortsätze nach längerer Einwirkung von Müller’scher Flüssigkeit (wenigstens 8 Tage) zu konservieren. Doch wird es auch nach dieser Vorbereitung gut sein, Alkohol zu vermeiden und in Gly- zerin einzuschließen; wenigstens erhielt ich auf die angegebene Weise Präparate, welche, vor 2 Jahren (1888) angefertigt, heute noch das geschilderte Strukturverhältnis zeigen.“ Aehnliches wurde an den dunklen Chromatophoren des Hechtes gesehen. Herr Professor Solger hatte die Freundlichkeit mir seine in Gly- zerin aufbewahrten Präparate zu zeigen; die pigmentfreien Strahlen waren hier noch auf das schönste zu erkennen. Analoge Beobachtungen hat kürzlich auch Biedermann an den Pigmentzellen des Frosches gemacht, scheint aber doch noch nicht ganz schlüssig darüber geworden zu sein, ob die Protoplasmafortsätze auch wirklich als solche erhalten bleiben, wenn das Pigment sich retrahiert. Die an Beobachtungen reiche Schilderung dieses Autors möge hier noch angeführt werden (Ueber den Farbenwechsel der Frösche. Archiv für die gesamte Physiologie Bd. 51, 1392, S. 467): „Unter allen Umständen wird man wohl annehmen müssen, dass das körnige Pigment sich auf praeformierten Bahnen bewegt, sei es dass die einzelnen Körnchen, wie Brücke und Lister meinen, in der farblosen Grundsubstanz an sich unveränderlicher Zellausläufer Ver- 40 * 628 Ballowitz, Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen:. lagerungen erfahren oder dass die nach Art der Pseudopodien von Rhizopoden kontraktilen Zellfortsätze praeformierte Lücken und Spalten der bindegewebigen Grundsubstanz ausfüllen, beziehungsweise sich aus denselben zurückziehen.“ „Zahlreiche und leicht zu bestätigende Beobachtungen weisen darauf hin, dass auch in den dunklen Chromatophoren der Fische und Amphibien eine „Wanderung“ der Körnchen von der Peripherie, bez. aus den Fortsätzen nach der Mitte hin und umgekehrt ganz regel- mäßig vorkommt, wie das schon von Lister vollkommen richtig ge- schildert wurde. Besonders instruktive Bilder liefern wieder die Schuppen mancher Fische, wo ganz oberflächlich sehr große schwarze Pigmentzellen liegen, in deren langen Ausläufern die schwarzen Körn- chen oft in sehr charakteristischer Weise angeordnet sind. Sehr häufig findet man keulenförmige Fortsätze, indem das Pigment am peripheren Ende eine größere Ansammlung bildet, welche mit dem Zellkörper oft nur durch eine einzige Reihe von Körnchen verbunden ist oder wohl auch gänzlich isoliert zu liegen scheint. So findet man nicht selten einen dunklen, abgerundeten oder nur mit Andeutungen von Fortsätzen versehenen Zellkörper, in dessen Umgebung tropfenförmige Pigment- klumpen liegen, deren Zugehörigkeit zu dem ersteren sich nur auf Grund anderer Bilder und aus der relativen Lage erschließen, nicht aber direkt sehen lässt. Auch einzelne Pigmentkörnchen oder kurze teihen von solchen findet man sehr oft scheinbar frei in der Um- gsebung der Zellen. Dass es sich in allen diesen Fällen nicht etwa um Absterbeerscheinungen handelt, geht daraus hervor, dass ganz ähnliche Bilder auch bei Fröschen unter ganz normalen Verhältnissen an blutdurehströmten Hautstellen beobachtet werden können, wie dies schon Lister beschrieb und abbildete. Gerade bei Ayla gehören die keulen- oder tropfenförmigen Anhäufungen von Pigment an den äußersten Enden der Zellenausläufer in einem gewissen Stadium der Expansion zu den ganz regelmäßigen Erscheinungen. Im Zustande größter Kontraktion des Pigmentes bildet dasselbe, wie man besonders schön an durchsichtigen Hautstellen von Rana temporaria sieht, vollkommen runde glattrandige Ballen ohne irgend eine Andeutung von Fortsätzen, während bei Hyla in der Regel noch kurze stumpfe Ausläufer bestehen bleiben. Hier gelingt es nun unter Umständen, besonders an Stellen, wo die Pigmentzellen mehr ver- einzelt liegen, die Zellfortsätze noch eine Strecke weit über die durch das Pigment markierte Grenze hinaus zu verfolgen. Es ist zweck- mäßig das Hautstückchen nach Entfernung der Epidermis mit Pikro- karmin zu färben und dann einige Zeit mit starker Essigsäure zu behandeln, um das Bindegewebe zum Quellen zu bringen. Bei günstiger Beleuchtung lassen sich dann die aus einer ganz homogenen, in ihrem Lichtbrechungsvermögen nur wenig von der Grundsubstanz verschiedenen, pigmentfreien Zellausläufer bisweilen auf größere Strecken hin sichtbar machen. Leider ist es mir nicht Ballowitz, Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. 629 gelungen, dieselben durch irgend eine der üblichen Tinktionsmethoden zu färben und ich bin daher auch nicht in der Lage zu entscheiden, ob die Zellfortsätze auch im pigmentfreien Zustande in allen ihren Ramifikationen erhalten bleiben, wie Lister anzunehmen scheint, oder ob, wie es wahrscheinlicher ist, nur eine ungleich rasche Bewegung verschiedener Teile des Zellplasmas stattfindet, derart, dass es, ähn- lich wie bei Plasmodien und gewissen Rhizopoden, zur Sonderung eines leichter beweglichen flüssigeren „Körnerplasmas“ und eines festeren „Hyaloplasmas“ kommt. Aus diesem letzteren würden dann die pigmentfreien Fortsätze im wesentlichen bestehen, die aber mög- licherweise schließlich auch eingezogen werden.“ Bei meinen Untersuchungen über die Nervenendigungen in den Chromatophoren der Knochenfische habe ich nun einige Beobachtungen gemacht, welche vielleicht als willkommene Bestätigungen der von den zitierten Autoren gemachten Angaben dienen können und un- zweifelhaft erkennen lassen, dass die Veränderungen im Aussehen der Chromatophoren durch Pigmentverschiebungen im Innern des Zellproto- plasmas und nicht durch das Ausstrecken und Wiedereinziehen amö- boider Zellfortsätze verursacht werden. Gewisse Anhaltspunkte geben schon frische, ungefärbte Präparate. Ich beobachtete nämlich an den Chromatophoren, z. B. des Härings, welehe sich durch das Vorhandensein zahlreicher langer, schmaler Fortsätze auszeichnen, dass das Pigment bisweilen nicht vollständig aus den Fortsätzen gegen die Attraktionssphäre him zurückströmte, vielmehr an den äußersten Spitzen einer Anzahl von Fortsätzen, bis- weilen sogar an fast allen liegen blieb. Die scheibenförmige Pig- mentplatte war dann in weiterer Entfernung von einem lockeren Pig- mentkranze umgeben. Interessant war es nun zu beobachten, wie trotzdem das Pigment bei beginnender „Expansion“ der Zelle wieder in die Fortsätze zurückströmte. Es schob sich dabei in diehtgedrängter Masse in die Basis der Fortsätze vor, sodass dann im einem be- stimmten Zeitpunkte nur der mittlere Teil der Fortsätze pigmentfrei und daher unsichtbar war. An den Spitzen der sich in die Fortsätze vorsehiebenden Pigmentmasse sind die Pigmentkörmchen gewöhnlich diehter gedrängt, sodass sie dunkler aussehen. Wird das Pigment retrahiert, so strömen die Körnchen nicht alle gleichzeitig als ge- schlossene Pigmentmasse aus den Fortsätzen zurück, vielmehr geschieht die Rückwanderung allmählich, sodass die Pigmentkörnchen immer spärlicher und die Fortsätze immer lichter werden. Man kann daher unterscheiden, ob die Pigmentmasse sich bei der Fixierung in den Stadien der Expansion oder der Retraktion befunden hat. Der sicherste Beweis, dass die Protoplasma - Fortsätze bis in ihre äußersten Verzweigungen hinein erhalten bleiben, wird aber dadurch gegeben, dass es gelingt, die pigmentfrei gewordenen Fortsätze zu färben. Dies ist mir häufig bei Anwendung der Golgi’schen Methode geglückt. Es hatten sich dann die ganz oder fast ganz pigmentfre; 630 Todaro, Arbeiten aus dem anatom. Institut zu Rom. gewordenen Fortsätze, die so ohne weiteres nieht siehtbar waren, bis in ihre feinsten Verzweigungen hinein gefärbt. Einen interessanten Beweis liefern auch die Nervenendigungen. Wie ich nachgewiesen habe (Verhandlungen der Anatomischen Gesell- schaft zu Göttingen 21. Mai 1893; vgl. auch die ausführliche Arbeit in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie 1895 Bd. 56), sind die Chromatophoren außerordentlich reich an Nerven. An jede größere Pigmentzelle treten gewöhnlich mehrere, bisweilen sogar zahlreiche motorische Nervenäste heran, welche sich alsbald in viele der Zelle dieht angelagerte, meist diehotomische Verzweigungen auflösen. Ein Teil der Nervenverästelungen, die sich durch Anastomosen miteinander in Verbindung setzen, durchdringt die Zelle selbst. Die letzten Aus- strahlungen dieser Verzweigungen enden frei als variköse Fibrillen und versorgen teils den Zellkörper, teils die Fortsätze. An großen, fortsatzreichen Chromatophoren können die „Fortsatzfibrillen“ sehr reichlich sein; sie begleiten eine Strecke weit die Protoplasmaaus- strahlungen. Retrahiert sich nun das Pigment, so bleiben die Nerven- endigungen in dem pigmentfreien Protoplasma liegen und sind hier, gewissermaßen entblößt, auf das übersichtlichste zu überblieken. Die Nervenendigungen werden also durch die Pigmentverschiebungen in ihrer Lage nicht beeinflusst. An solchen Chromatophoren mit retra- hiertem Pigment sind es demnach nur die Nervenfibrillen, welehe die Lage und Richtung der sonst unkenntlich gewordenen Fortsätze einigermaßen angeben. Aus Allem geht zur Evidenz hervor, dass es sich in den schein- baren Gestaltveränderungen der Chromatophoren nicht um amöboide Bewegungserscheinungen der ganzen Zelle, sondern um Pigment- verlagerungen, um ein Ausströmen und Zurückströmen der Pig- mentkörnehen in dem unverändert liegen bleibenden Protoplasma handelt. Ricerche fatte nel Laboratorio di Anatomia normale della R. Universitä di Roma ed in altri laboratori biologiei publicate dal Professore Francesco Todaro, Direttore dell’ Istituto Anatomico di Roma. Volume III, faseicolo I. Indiee: Todaro, Il metodo sperimentale nella scienza della vita; Giuliani, Contributo allo studio della Macrosomia; Mingazzini, Contributo alla eonoscenza degli Sporozoi; Todaro, Sopra lo sviluppo della Seps chalcides. Roma presso la Ditta Dott. Francesco Vallardi, Via Belsiana, Nr. 60. Obige Zeitschrift kehrt nach langer Unterbrechung wieder an das Licht zurück und zwar nicht mehr nur als einfacher Repräsentant des Laboratoriums des Prof. Todaro in Rom, sondern als kepräsentant der italienischen morphologischen Institute. Diese Rückkehr und in neuer Form ist kein Ereignis ohne Wichtigkeit, welches man ohne Todaro, Arbeiten aus dem anatom Institut zu Rom. 651 Bemerkungen vorübergehen lassen kann oder höchstens mit einem mehr oder weniger nichtssagenden Glückwunsch begleitet. Sie erfüllt viel- mehr ein allgemein gefühltes Bedürfnis, endlich eine Zeitschrift zu haben, welche alles das, was Gutes im Felde der menschlichen Ana- tomie, der vergleichenden Anatomie, der wissenschaftlichen Zoologie, der Embryologie u. s. w. in den italienischen Laboratorien hervorge- bracht wird, aufnimmt und so den Fremden leicht macht, sich die italienischen Arbeiten zu verschaffen und mithin auf diese Weise mächtig zur Verbreitung der betreffenden Arbeiten selbst wirkt. Der auf dem biologischen Felde durch seine Forschungen über die Salpen, über die Struktur der Haut der Reptilien, über das Organ des Geschmackes ete. schon so bekannte Name des Direktors ist sichere Bürgschaft für die ernste Richtung, welche diese Zeitschrift einnehmen wird. Da es sich hier um ein Referat in einer nicht einheimischen Zeit- schrift handelt, will ich einige im Auslande wenig bekannte That- sachen nicht verschweigen, da dieselben in Italien, wenn auch niemals zur öffentlichen Kenntnis gebracht, doch tief gefühlt werden. Für mich wie wohl für jeden Italiener, welcher sich obener- wähnten Studienzweigen widmet, war es eine wahre Freude zu er- fahren, dass die erste in Italien entstehende morphologische Zeitschrift einen Mann wie den Prof. Todaro zum Haupte habe und gründet sich diese Freude auf die Thatsache, dass Prof. Todaro nicht nur einer der tüchtigsten Forscher, sondern auch auf den großen Einfluss, den derselbe in höchst gerechter Weise genießt und welchen er stets in wahrhaft großem Maße für alle Studierenden der biologischen Wis- senschaften ohne jedweden Unterschied der Herkunft, der Schule oder der Partei benutzt. Durch ihn und dureh Tommasi-Crudeli, dessen kückkehr in den Obersten Rat (Consiglio Superiore) des öffent- lichen Unterrichts in Italien wir mit gleicher Freude begrüßen, haben Alle jede Art von moralischer sowohl wie materieller Unterstützung erhalten, eine Unterstützung, welche manchem den Weg erleichterte und dazu diente alle redlichen Studierenden im das rechte Lieht zu setzen. Und dieses Verdienst Todaro’s steht für mich höher als jedes andere, besonders wenn ich bedenke, dass, trotzdem ich zu einer verhältnismäßig noch jungen Generation gehöre, ich mich noch ganz gut erinnern kann, wie die Forschungen eines Bizzozero nicht genügend in Italien beachtet wurden und als Golgi trotz seiner Ent- deckung der berühmten Untersuchungsmethode des Nervensystems noch in einem kleinen Dorf lebte etc. Unter den Arbeiten des vorstehenden Bandes möchte ich haupt- sächlich auf die Einleitung „Die experimentelle Methode in der Lebenswissenschaft“ hinweisen. Dieselbe ist so zu sagen das Programm der Zeitschrift und möchte ich sie am liebsten hier ganz wiedergeben können, wenn es nur der Raum gestattete. Auch die von Todaro verfasste, in diesem Bande enthaltene Abhandlung „Ueber 632 Schmidt, Zur Blutlehre. die Entwiekelung der Seps chalcides“ ist eine sehr bemerkens- werte Arbeit, in weleher der Verf. ungemein feine Reifeerscheinungen der Seps-Eier entdeckt und zu dem Resultate gelangt, dass die Be- fruchtung im peritonealen Grübchen, welches sich zwischen dem Eier- stocke und der Tuba befindet, im letzten Augenblicke der Reife des Eies vor sich geht, d. h. im Augenblicke der Transformation der Kern- teilungsfigur in Polkörperchen (wahrscheinlicherweise zweitem) und weiblichen Vorkern; dass von den zahlreichen, in diesem Augenblicke sich in der perivitellinen Flüssigkeit vorfindenden Zoospermien nur ein einziges in das Ei eindringt und sich in einen Spermakern oder männlichen Vorkern verwandelt, während die anderen degenerieren und verschwinden, dass im Stadium der ersten Segmentationsspindel im Keimsehnitte weder andere Kerne noch Köpfe von Zoospermien existieren und dass die Reife und die Befruchtung der Sauropsidieneier im Grunde mit dem übereinstimmen, was wir von den anderen Tieren wissen. Mingazzini’s Abhandlung „Beitrag zur Kenntnis der Sporozoen“ ist hauptsächlich systematischer Art, aber von jener Systematik, die der wisssenschaftlichen Zoologie, welche auf Ana- tomie und Embryologie gegründet ist, angehört. Der Verfasser be- schreibt viele sehr interessante Formen und schließt mit folgender neuen Klassifikation der Coceidien und der Gregarinen: Kuider a kundlich oder eierförmig, unbeweglich, sich . nicht konjugierend, in den Zellen oder in den seine, ar Geweben lebend. durch = : ae ,. (Veränderliche Form, beweglich, gewöhnlich ein Monocysti- a, EIER. t frei. Die Konjugation, wenn dieselbe existiert, Segment dea If Te Ss fast beständig durch Apposition. | Körper gebildet aus zwei Segmenten, deren [ to r) Körper Polyeysti- \vorderes cephaloiä, zuweilen vorne ein ac- gebildet dea eessorisches Segment tragend. Die Konju- aus is wenn sie existiert, fast beständig durch zwei Opposition. oder Körper gebildet aus drei Segmenten, deren mehreren Didy- vorderes cephaloid. Das Individuum resul- Segmenten mophyidea \tiert aus der Konjugation zweier durch Op- position. Schließlich gibt die Abhandlung des Dr. Giuliani die sorgfältige Beschreibung eines Riesen - Skelettes. Catania, Juni 1893. B. Grassi. Alexander Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig, F. €. W. Vogel, 1892, 270 Seiten. Alex. Schmidt hat in diesem Werke nicht allein die Ergebnisse seiner eigenen fast mehr als 30 jährigen mühevollen Forschung über das Wesen und die Bedeutung der Blutgerinnung, sondern auch die Schmidt, Zur Blutlehre. 635 den gleichen Gegenstand behandelnden zahlreichen Arbeiten seiner Schüler zusammengestellt und unter gemeinsame und allgemeine Ge- sichtspunkte gebracht. Den reichen Inhalt des Werkes in einem kurzen zusammenfassenden Referate wiederzugeben, ist unmöglich, wenn man sieh nieht auf eine ganz kurze Anführung der von Alex Schmidt gezogenen Schlussfolgerungen beschränken will. Eine derartige Be- handlung des Referates entspräche jedoch bei der hohen Bedeutung der Alex. Sehmidt’schen Untersuchung für die biologische Forschung auf dem Gebiete der Blutlehre gewiss nicht den Zwecken eines biolo- gischen Centralblattes und es sei daher gestattet, dass im Folgenden ausführlicher auf den Inhalt der einzelnen 20 Kapitel des Werkes ein- gegangen werde. 1. Kapitel: Ueber die Faserstoffgerinnung. Feststellung der Aufgaben. In diesem Kapitel gibt Alex. Schmidt eine kurze Darstellung der bekannten von ihm aufgestellten Germnungstheorie; er formuliert dieselbe folgendermaßen: „In einer Flüssigkeit findet die Faserstoffgerinnung statt, sobald sie Folgendes enthält: 1. gewisse gelöste Eiweilformen (die beiden bekannten Globuline), als Material, aus welchem der Faserstoff entsteht, 2. ein spezifisches Ferment, als Mittel zur Umwandlung dieses Materiales in einen in der Mutterflüssigkeit löslichen Eiweißkörper, zu dessen Eigenschaften es gehört, durch Neutralsalze aus der löslichen in eine (relativ) unlösliche Modifikation übergeführt zu werden, 3. gewisse Mengen von Salzen als Mittel, um die eben erwähnte Ueberführung des fermentativen Umwandlungsproduktes in die unlös- liche Modifikation und damit seine Ausscheidung zu bewirken, 4. die Faserstoffgerinnung ist demnach derjenige Vorgang, bei welchem unter der Einwirkung eines spezifischen Fermentes aus dem erwähnten eiweißartigen Material em an sich in der Mutterflüssigkeit löslicher Eiweißkörper entsteht, welcher aber, wie viele andere kolloidale Stoffe (z. B. die flüssige Kieselsäure), die Eigentümlichkeit besitzt, schon durch sehr geringe Mengen krystalloider Substanzen in die unlösliche Modifikation übergeführt zu werden und sich somit aus- zuscheiden. Diese relativ unlösliche Modifikation des fermentativen Umwandlungsproduktes nennen wir „Faserstoff“. An diese Definition der Gerinnung knüpfen sich folgende wichtige Fragen, mit welchen sich die weiteren Kapitel des Werkes vornehm- lich beschäftigen: 1) „Woher stammen die Globuline?* 2) „Woher stammt das Fibrinferment und unter welchen Einwirkungen wird es von seinem unwirksamen Mutter- stoffe abgespalten?“ 634 Schmidt, Zur Blutlehre. 2. Kapitel: Ueber das Fibrinferment. Nach einer kurzen Zurückweisung der besondeis von Bizzozero und Mosso gegen die von ihm aufgestellte Gerinnungstheorie gemach- ten Einwendungen wendet sich Verf. zum Fibrinferment, indem er folgende Sätze vorausschickt: „L) Es ist eme Thatsache, dass man aus dem lufttroekenen Koagulum des nach stattgehabter Faserstoffgerinnung unter Alkohol gebrachten Blutes oder Blutserums mit Wasser einen Stoff extrahiert, welcher im passenden, an sich durchaus nicht gerinnenden Flüssig- keiten die Faserstoffgerinnuug herbeiführt. 2) Es ist ebenso eine Thatsache, dass das Alkoholkoagulum des zirkulierenden Blutes (welches man zu diesem Zweck aus der Ader direkt in den Alkohol fließen lässt) bei derselben Behandlung ein fast völlig unwirksames Wasserextrakt liefert, dass demnach der wirksame Stoff erst außerhalb des Organismus entsteht, resp. gewaltig zunimmt. 3) Es ist endlich eine Thatsache, dass durch Injektion dieses Stoffes in das Gefäßsystem des lebenden Organismus augenblicklich tötliche Thrombosen herbeigeführt werden können; andrerseits dis- poniert der Organismus nachweislich über eine spezifische Widerstands- kraft gegen seine Wirkungen und vermag ihn schließlich aus dem Blute ganz fortzuschaffen. Hierauf beruht die Möglichkeit der Rettung des Tieres“. Die Gründe, welche Alex. Schmidt veranlassen, diesen Stoff als ein Ferment zu bezeichnen, sind folgende: „L) Unmessbar kleine Quantitäten desselben wirken intensiv koagu- lierend (es wird ein Beispiel als Beweis angeführt). 2) Der in Rede stehende Stoff kann zu wiederholten Malen Ge- rinnungen bewirken. 3) Seine Wirkung auf gerinnbare Körperflüssigkeiteun wird durch antiseptische Mittel nicht im mindesten beeinträchtigt. 4) Er wird durch Kochen seiner wässerigen Lösung unwirksam gemacht, resp. zerstört. 5) Im getrockneten Zustande (als gepulvertes Alkoholkoagulum) verträgt er viel höhere Hitzegrade als in wässeriger Lösung. 6) Eine Temperatur von 35—40° begünstigt in hohem Maße seine Wirkung. 7) Kälte verzögert sie, resp. unterdrückt sie ganz. 3) Seine Lösung erleidet durch Gefrieren nicht die geringste Einbuße an ihrer Wirksamkeit. 9) Sehon geringe Ueberschüsse von Alkalien oder Säuren unter- drücken seine Wirkung; beim Neutralisieren stellt sie sich wieder ein. Größere Mengen von Alkalien oder Säuren zerstören den wirksamen Stoff. 10) Geringe Mengen eines Neutralsalzes begünstigen seine Wirkung, große hemmen, resp. unterdrücken sie. Die Grenze, von welcher an Sehmidt, Zur Blutlehre. 635 diese hemmende Wirkung der Salze beginnt, variiert je nach ihrer Natur und je nach den relativen quantitativen Verhältnissen dieses Stoffes zu dem Substrate der Faserstoffbildung“. Welche geringen Mengen Fermentes genügen, um ausgedehnte und wiederholte Faserstoffgerinnungen zu erzeugen, wird an einem sehr anschaulichen Beispiele bewiesen; mit Recht betont hiebei der Verf., dass auch bei den anderen Fermenten allmählich eine Erschöpfung eintritt. Zu seinen Untersuchungen bediente sich Alex. Schmidt vielfach eines verdünnten sogenannten Salzplasmas, dessen Bereitungs- weise ausführlich geschildert wird; ein derartiges Salzplasma darf, wenn es vorwurfsfrei sein soll, in einer mit 6—8 Vol. Wasser ver- dünnten Lösung bei beliebig lange fortgesetzter Beobachtung keine Spur einer spontanen Gerinnung, Flockenbildung oder dergl. zeigen. Die besonders von Mosso gegen Versuche mit solchem Salzplasma erhobenen Einwände werden vom Verf. im überzeugender Weise als unbegründet zurückgewiesen. Weiterhin zeigt Alex. Schmidt, dass die folgenden von Tam- mann bei seinen Untersuchungen über die Wirkung des Emulsins auf Amyedalin, Saliein und Harnstoff, ferner über die Inversion des hohr- zuckers unter dem Einflusse des Invertins aufgestellten Sätze auch auf die Faserstoffgerinnung anzuwenden sind: „L) Die fermantativen Reaktionen sind unvollständig, führen aber zu keinen Gleichgewichtszuständen, smd also nicht umkehrbar. 2) Der Endzustand der Reaktion ist von der Temperatur und der Konzentration der reagierenden Stoffe abhängig“ Zum Schlusse weist Verf. darauf hin, dass das Verständnis der Faserstoffgerinnung dadurch sehr erschwert wird, dass zwei verschie- dene und doch wieder einander sehr ähnliche Eiweißstoffe hierbei materiell beteiligt sind. Eine Lösung dieser Schwierigkeit findet sich in der Auffassung der fibrinogenen Substanz als eines Umwandlungs- produktes des Paraglobulins, weshalb Alex. Schmidt die Bezeich- nung „Metaglobulin“ für dieselbe vorschlägt. 3. Kapitel: Ueber die in Folge der intravaskulären Injektion von Fibrinferment eintretenden Blutveränderungen. Verf. bespricht hier zunächst die Untersuchungen von Jacovicki, A. Köhler und Edelberg. Wenn auch, wie namentlich die Ver- suche Jacowieki’s gezeigt haben, der Organismus über Vorrichtungen verfügt, durch welche er „l) die Wirkungen des injizierten Fermentes, so lange es als solches im Blute Bestand hat, paralysiert und durch welche er 2) das Ferment selbst über kurz oder lang vernichtet“, so entstehen doch nach der Injektion konzentrierter Fermentlösungen, wie aus den Versuchen Edelberg’s hervorgeht, äußerst intensive und ausgedehnte intravaskuläre Gerinnungen, welche sehr schnell zum Tode 635 Schmidt, Zur Blutlehre. führen, oder wenigstens mehr oder weniger schwere Krankheitserschei- nungen zur Folge haben. Die Verschiedenheit der Erfolge ist dadurch bedingt, dass einer- seits die Fermentlösungen nicht immer die gleiche Wirksamkeit haben, andrerseits die verschiedenen zum Experimente verwendeten Tiere eine sehr verschiedene Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Fibrin- ferment besitzen; so zeigt sich nach Alex. Schmidt z. B. der Hund als außerordentlich widerstandsfähig gegenüber Fermentinjektionen, während Katzen und noch mehr Kaninehen empfindlicher und daher mehr für das Experiment geeignet sind. — Die nach der Injektion größerer Fermentmengen (sofern dieselben nicht den Tod des Tieres herbeiführen) auftretenden Blutveränderungen bestehen in dunkler Färbung, theerartiger Beschaffenheit und mehr oder weniger mangelnder Gerinnungsfähigkeit. Auch das normale zirkulierende Blut enthält stets geringe Ferment- mengen, welche jedoch selbst im Laufe eines Tages relativ bedeu- tenden Schwankungen unterworfen sind. Je größer der Fermentgehalt des funktionierenden Blutes ist, um so geringere Fermentmengen werden im absterbenden Blute entwickelt. 4. Kapitel: Ueber die Beziehung der Faserstoffgerinnung zu verschiedenen Protoplasmaformen. Das fertig gebildete Ferment ist nur in der Blutflüssigkeit enthalten, nicht in den körperlichen Elementen; besonders fermentreich ist das Serum, während z. B. das wässerige Extrakt von ausgepresstem und durch Alkohol gefälltem Lymphdrüsensaft keinen Fermentgehalt besitzt. Die wesentliche Rolle an der Bildung des Fermentes schemt den farblosen Blutkörperehen zuzukommen, indem einerseits filtriertes Plasma sehr langsam gerinnt, anderseits die Gerinnungsenergie mit dem Gehalt an diesen Elementen zunimmt; die im Plasma vorhandenen Körnchen werden auch heute noch vom Verf. als Zerfallsprodukte der farblosen Körperehen angesehen. WUebrigens ist Alex. Schmidt keineswegs, wie vielfach irrtümlicher Weise angenommen wird, der Meinung, dass ausschließlich die farblosen Blutkörperchen als Ferment- bildner aufzufassen seien; vielmehr ist er durch eigene Untersuchungen und diejenigen seiner Schüler zu der Ueberzeugung gelangt, dass auch andere Zellenformen fermentbildend wirken. Doch besteht ein. gewisser quantitativer Unterschied in der Wirkung der verschiedenen Zellen; am meisten Ferment wird dureh Spermatozoen erzeugt, während durch Zusatz von Lymphdrüsenzellen die Fibrinziffer die höchste Steigerung erfährt; aber auch Leber- und Milzzellen, ausgepresster Saft von Froschmuskeln, ja Schimmel- und Spaltpilze (Grohmann) vermögen als Fermentbildner aufzutreten, kurz jedes Protoplasma kann eine Quelle des Fibrinfermentes darstellen und daher in geeigneten Flüssigkeiten Faserstoffgerinnungenbewirken. Schmidt, Zur Blutiehre. 637 Niemals werde im Blutserum durch Hinzufügung von Protoplasma irgendwelche Gerinnung beobachtet. Auch die meisten Transsudate in die Körperhöhlen zeigen eine sehr geringe Gerinnungstendenz und gerinnen sehr spät, weshalb man sie fälschlich überhaupt nicht für gerinnungsfähig hielt und sie daher irrtümlicher Weise mit Serum identifizierte. Thatsächlich stellen diese Transsudate nach Alex. Schmidt verändertes Blutplasma dar, welches jedoch seine Kraft, Protoplasma zu spalten, im Verkehr mit dem Parenchym der Organe teilweise oder gänzlich verloren hat. Alex. Schmidt bezeichnet daher die Transsudate als proplastische Flüssigkeiten, weil sie nieht von selbst gerinnen, sondern erst nach Zusatz von Blutserum oder Fibrinferment. 5. Kapitel: Ueber die in Folge der intravaskulären Injek- tion verschiedener Protoplasmaformen eintretenden Blutveränderungen. Injektion von Zellen (Lymphdrüsenzellen, Eiterzellen ete.) erzeugt ausgedehnte, häufig zum Tode führende Thrombosen. Bei Tieren, welche die Injektion überstehen, zeigt das Blut zunächst auf ganz kurze Zeit (einige Sekunden während der Injektion) eine mächtig er- höhte Gerinnungsenergie, welche jedoch sehr bald in eine Verminde- rung oder selbst gänzliche Aufhebung der Gerinnungsfähigkeit um- schlägt; dabei erscheint das Blut schwarz, theerartig. Parallel mit diesen Erscheinungen geht der vitale Fermöntgehalt des Blutes; jedoch ist die Herabsetzung, bezw. gänzliche Aufhebung der Gerinnungsfähig- keit unabhängig von dem Zurücksinken des vitalen Fermentgehaltes; diese wird vielmehr dadurch bedingt, dass das Blut durch die Zellen- injektion die Fähigkeit verliert, das Ferment außerhalb des Orga- nismus zu erzeugen. Verf. erblickt in diesen Verhältnissen den Aus- druck einer Reaktion des Organismus gegen die eingedrungene Schäd- lichkeit, deren Gefährlichkeit wesentlich auf der übernormalen Steigerung eines vitalen Vorgangs, der in enge Schranken gebannten physiologischen Fermententwicklung beruht. Uebrigens geht von den Tieren, welche eine Zelleninjektion überstanden haben, doch noch nachträglich, auch nach erfolgtem Ausgleich des Fermentgehaltes, ein Teil zu Grunde, ohne dass irgendwelche Thromben im Gefäßsystem nachzuweisen wären. Ob der Tod durch kapilläre Thrombosen in lebenswichtigen Organen, oder durch die konsekutiven Blutveränderungen selbst erfolgt, lässt Verf. dahingestellt. Trotz der Injektion ungeheurer Massen von Leukoeyten sinkt gleichwohl unmittelbar nach der Injektion der Leukocytengehalt des Blutes, um erst später wieder anzusteigen; hiebei treten zunächst kleinere, dann größere lebhaft bewegliche Formen auf. Weiterhin zeigt Alex. Schmidt, dass die eingetretene Gerinnungs- unfähigkeit des Blutes nicht auf emer Veränderung des Protoplasmas, 638 Schmidt, Zur Blutlehre. sondern vielmehr auf einer Veränderung des Plasmas beruht; denn durch Hinzufüguug frischen Protoplasmas zu dem kranken Blute wird dessen Gerinnungsfähigkeit nieht wieder hergestellt; was doch ein- treten müsste, wenn das in dem kranken Blute enthaltene Plasma seine Fähigkeit Protoplasma zu spalten, bewahrt hätte. Wohl aber wird durch Hinzufügung veränderten Blutes zu normalem Plasma eine beschleunigte Gerinnung mit reichlicher Fibrinbildung erzielt, da eben das veränderte Blut sehr reich an protoplasmatischen Substanzen ist, welche von dem normalen Plasma gespalten werden. Schließlich werden in dem Kapitel eine Reihe von Versuchen an- geführt, durch welehe der Beweis erbracht wird, dass es nicht etwa die Gewebszwischenflüssigkeit, sondern thatsächlich die Zellen sind, deren Injektion die geschilderten Blutveränderungen hervorruft. 6. Kapitel: Ueber die Beziehung der roten Blutkörperchen zu der Faserstoffgerinnung. Das Stroma der roten Blutkörperchen wirkt, nachdem dieselben von ihrem Hämoglobin befreit worden sind, ebenfalls koagulierend, d. h. es beschleunigen solche Blutkörperchen die Gerinnung; jedoch sind sie nur wirksam, wenn bereits eine gewisse Menge freien Fer- mentes vorhanden ist, wenn also die Gerinnung schon im Gange ist. Die eigentlichen proplastischen Flüssigkeiten, welche spontan nicht gerinnungsfähig sind (auch Salzplasma), werden durch Zusatz roter Blutkörperehen nicht zur* Gerinnung gebracht. Das krystallisierte Hämoglobin besitzt keinerlei gerinnungserregende Eigenschaften; in der gleichen Weise verhalten sich intakte rote Blutkörperchen, indem der Hämoglobingehalt die koagulierende Wirkung des Stromas auf- hebt. Uebrigens bestehen hinsichtlich der koagulierenden Wirksamkeit des Stromas der roten Blutkörperchen zwischen den einzelnen Tier- species große quantitative Unterschiede. 7. Kapitel: Ueber die in Folge der intravaskulären Injek tion der roten Blutkörperchen, bezw. ihres Stromas ein- tretenden Blutveränderungen. Die Injektion wässeriger Aufschwemmungen durch die Centrifuge gewonnener roter Blutkörperchen, sei es direkt, oder nachdem man dieselben hatte frieren und wieder auftauen lassen, erzeugte stets aus- gedehnte Thrombosen, welche den sofortigen Tod der Tiere zur Folge hatten. Jedoch wirkten nur frische Aufschwemmungen in dieser Weise; ältere riefen nur schwere Erkrankungen hervor (Erbrechen, blutige Ausleerungen, Hämoglobinurie) oder der Tod trat erst nach längerer Zeit ein, ohne dass Thrombosen beobachtet worden wären: es war in diesem Falle die Wirkung des Stromas durch das Oxyhämoglobin auf- gehoben. Die Blutveränderungen sind nach der Injektion roter Blut- körperchen die gleichen, wie nach Injektion anderer Zellformen. Ellenberger, Handbuch der Histologie u. Physiologie der Haussäugetiere. 639 Hämoglobin wirkt nur bei einmaliger Umkrystallisierung noch in ähnlicher Weise, weil es dann noch Stroma-Bestandteile einschließt. Nach zweimaligem Umkrystallisieren wird dasselbe reaktionslos ver- tragen und ohne Störung dureh die Nieren ausgeschieden. Umgekehrt erzeugen ihres Hämoglobins beraubte rote Blutkörperchen sofort tötliche Thrombosen. Also nur die Injektion in Hämoglobin und Stroma zerlegter roter Blutkörperchen wirkt auf das Tier tötlich durch Thromben- bildung; die Injektion intakter roter Blutkörperchen wird vertragen, wenn sie auch Erkrankung hervorruft. Hier findet eben ein allmäh- licher Zerfall der Blutkörperchen statt und der Fermentgehalt des Blutes erfährt daher ebenfalls nur eine allmähliche Steigerung, welche ohne Thrombenbildung vertragen werden kann. (Schluss folgt.) W. Ellenberger, Handbuch der vergleichenden Histologie und Physiologie der Haussäugetiere. Berlin. Paul Parey. 1887—1892. Erster Band: Histologie; bearbeitet von Bonnet, Csokor, Eichbaum, Ellenberger, Schlampp, Flesch, Kitt, Sussdorf, Tereg. — 8. XIV und 765 Stn. 452 Abbildungen. Zweiter Band: Physiologie; bearbeitet von Bonnet, Edelmann, Ellen- berger, Latschenberger, Polansky, Schindelka, Sussdorf, Tereg. 1 Teil: XIV u. 877 Stn. 82 Abbild. — 2. Teil: XV u. 994 Stn. 284 Abbildungen und 4 Tafeln. Wenngleich die Anzeige dieses Handbuches etwas verspätet erscheint, halte ich sie doch für gerechtfertigt wegen der besonderen Eigentümlichkeiten desselben, welche es von den meisten vorhandenen Lehr- und Handbüchern der Histologie und Physiologie unterscheidet. Werke über Histologie berücksichtigen entweder in erster Linie die Ge- webe des Menschen oder sie beziehen sich auf die gesamte Tierwelt, bald das eine, bald ein anderes Tier berücksichtigend, je nachdem gerade dieses dem Verfasser für die zu besprechenden Verhältnisse Vorzüge zu bieten scheint. In diesem Sammelwerke dagegen, welches nach der Absicht des Herausgebers für Tierärzte und Veterinärstudenten, den gebildeten Landwirt, Aerzte, die sich für vergleichende Medizin interessieren, Universitätslehrer der medizinischen Fakultät, Forscher in den Gebieten der Zoologie, vergleichenden Anatomie, Physiologie und Histologie, normalen und pathologischen Anatomie bestimmt ist, sollten die speziellen Verhältnisse der verbreitetsten Haustiere von Einzel- forschern auf grund eingehender eigener Untersuchung dargestellt werden. Ein solches Werk muss sicher allen oben genannten Kategorien von großem Wert sein, besonders dann, wenn es sich darum handelt, sich schnell über eine Spezialfrage, welche in das hier bearbeitete Gebiet fällt, zu orientieren. Dies bezieht sich auf die spezielle mikroskopische Anatomie der einzelnen Organe, welche den größten Teil des ersten Teils (S. 248 bis Schluss) einnimmt. Aus- zunehmen ist hiervon nur der Abschnitt über das Gehörorgan und teilweise der über das Auge, welche wegen Rücktritt des zuerst damit betrauten Be- 640 Ellenberger, Handbuch der Histologie u. Physiologie der Haussäugetiere. arbeiters ganz oder doch zum Teil nur eine kompilatorische Bearbeitung er- fahren konnten. Eine auf Einzelnheiten eingehende Kritik dieser Abschnitte muss sich Referent versagen, da es ihm an der hierzu nötigen Erfahrung in den betreffenden Gebieten fehlt Sie würde aber auch jetzt, nachdem längere Zeit seit der Abfassung der Abhandlungen verstrichen ist, kaum am Platz sein. Jede neue Untersuchung kann in diesem oder jenem Punkte Einzelnes berich- tigen, ohne dass dadurch der Wert des Ganzen beeinträchtigt wird. Die der speziellen Örganlehre vorausgeschickten Abschnitte über mikroskopische Technik, Zellenlehre u. s. w. sollen zur Abrundung dienen, ohne dass sie wie der Haupt- teil des Werkes den Anspruch erheben, auf besondre Originalstudien begründet zu sein. In noch höherem Grade als bei der Histologie pflegen bei der Darstellung der Physiologie in Hand- und Lehrbüchern die Verhältnisse des Menschen in den Vordergrund gerückt zu werden. Wenngleich selbstverständlich Vieles, was in der Physiologie gelehrt wird, am Menschen gar nicht untersucht werden kann, so werden doch alle spezielleren Angaben, über Mechanik der Atmung z. B. und Aehnliches, soweit für den Menschen sie bekannt sind, ausgewählt werden, während die entsprechenden Angaben für Tiere unvollständig und lückenhaft bleiben, selten auch nach irgend einer festen Richtschnur zusammen- gestellt sind. Der Versuch, eine gewisse Vollständigkeit solcher Angaben für einen bestimmten Tierkreis (hier also die Haussäugetiere) zu erzielen, ist gewiss dankenswert. Aber freilich ist ein solcher Versuch mit der größten Schwierig- keit verbunden. Manche physiologische Aufgabe lässt sich am Tier überhaupt nieht lösen — man denke nur an die Physiologie der Sinne. Andre Aufgaben wieder lassen sich mit Erfolg an Warmblütern nicht verfolgen, z. B. die Mehr- zahl derer der allgemeinen Muskel- und Nervenphysiologie. In diesen Fällen wird also der Bearbeiter einer Physiologie der Säugetiere sich genau in der- selben Lage befinden wie der einer Physiologie des Menschen. Auf alles dies muss man Rücksicht nehmen, wenn man die Bearbeitungen der einzelnen Ab- schnitte mit denen andrer Autoren vergleicht Hervorgehoben muss aber werden der umfangreiche Abschnitt über Entwicklung von Herrn Bonnet (Teil 2 S. 295—560) der außerordentlich reiches, ganz und gar auf eigne Beobach- tungen gegründetes und wertvolles Material enthält. Dieser Abschnitt sowie der von Herrn Tereg über tierische Wärme sind auch in Sonder- Ausgaben erschienen. Bei der Durchsicht der einzelnen Abschnitte ist mir natürlich hier und da etwas aufgefallen, was ich anders gewünscht hätte. Ich verzichte jedoch auf eine vollständige Angabe solcher Einzelnheiten und gebe nur Beispiele. Warum nennt Herr Sussdorf (Teil 4, S.250) ein Druckgefäß mit Ausflussrohr und Manometerröhren zur Darstellung des Seitendrucks strömender Flüssigkeit Piezometer? und auf grund welcher Beobachtungen glauben die Herren Po- lansky und Schindelka (Teil2, S.200), dass längere Muskeln zur Vollendung ihres Hubes längerer Zeit bedürfen als kürzere? Die Entdeckung der Hemmungs- wirkung des Vagus durch Eduard und ErnstHeinrich Weber wurde nicht 1875 gemacht, wie Teil 1, S. 301 angegeben ist, sondern schon 1846 von Eduard Weber in seinem berühmten Artikel über Muskelbewegung in Wag- ner’s Handwörterbuch (Bd. 3, 2. Abt., S.42 ff.) veröffentlicht u. s. w. J. Rosenthal. Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIII. Band. 15. November 1893. Nr. 2lu 22. Inhalt: Klebs, Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. — Roux, Ueber die Spezifikation der Furchungszellen und über die bei der Post- regeneration und Regeneration anzunehmenden Vorgänge (Schluss). — Schmidt, Zur Blutlehre (Schluss). — Weismann, Das Keimplasma (Schluss). — Spencer, Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. — Ellenberger u. Baum, Topographische Anatomie des Pferdes. Mit besonderer Berücksichtigung der tierärztlichen Praxis. — Berichtigungen. Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Grewächse. Von Georg Klebs in Basel. Das ganze Leben der grünen Pflanzen steht unter der mächtigen Herrschaft des Lichtes, welches bei der Ernährung eine unersetzliche Rolle spielt, welches das Wachstum, die verschiedenartigen Bewe- gungserscheinungen der einzelnen Individuen oder ihrer Teile beein- flusst. Von vornherein erscheint es selbstverständlich, dass auch die höchste Funktion der Pflanze, die Fortpflanzung, in irgend welcher Weise den Wirkungen des Lichtes unterworfen ist. Indessen sind in dieser Hinsicht nur relativ wenige Beobachtungen gemacht worden, weil überhaupt die Physiologie der Fortpflanzung erst in ihren An- fängen steckt, während über die morphologischen Verhältnisse der- selben ein außerordentlich reiches und interessantes Material von sicheren Thatsachen aufgehäuft worden ist. In einer kleinen lehrreichen Ab- handlung hat Möbius!) die bisher bekannten Angaben über den Ein- fluss des Lichtes auf das Blühen der Pflanzen zusammengestellt. Man erkennt daraus, wie wenige sichere Beobachtungen in dieser Beziehung existieren. Den Arbeiten von Sachs verdanken wir einige wichtige Angaben. Seit längerer Zeit mit der Physiologie der Fortpflanzung beson- ders niederer Pflanzen beschäftigt, möchte ich die Frage nach dem Einfluss des Lichtes kurz behandeln, da ich eine ausführlichere Bearbeitung erst später im Zusammenhang mit andern Erscheinungen 4)M.Möbius, Welche Umstände befördern und welehe hemmen das Blühen ? Mededeeling. Proefstation „Midden-Java“ 1892. Biol. Centralbl., 1892, Nr. 20/21. XIL. 41 542 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. zu geben gedenke. Bei der Behandlung der Frage können wir zu- nächst die ungeschlechtliche Fortpflanzung ins Auge fassen, welche für viele Cryptogamen die Hauptrolle bei der Vermehrung spielt, während die Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung dieser Or- ganismen mehr darin liegt, Dauerzustände zu schaffen, welche die Species bei ungünstigen Lebensverhältnissen erhalten. Die ungeschlechtliche Vermehrung vieler grüner Algen geschieht durch Sehwärmsporen, welche in kleinerer oder größerer Anzahl aus einer Mutterzelle entstehen. Besonders die Abteilung der Fadenalgen enthält zahlreiche Beispiele für diese sehr charakteristische Fortpflan- zungsweise. Wenn man nun untersucht, ob überhaupt und in welehem Grade das Licht für diesen Prozess bedeutungsvoll ist, so erhält man verschiedene Resultate je nach der spezifischen Natur des untersuchten Organismus. Die Beantwortung der Frage ist nicht so einfach, wie es wohl im ersten Augenblick erscheinen könnte; sehr mannigfaltige Versuche sind nötig, um mit Bestimmtheit für einen gegebenen Fall eine klare Antwort zu erhalten. Man ist gezwungen stets die Wir- kungen anderer äußerer Umstände zu berücksichtigen. Das Licht ist wegen seiner Mitwirkung bei der Assimilation der Kohlensäure ein wesentlicher Faktor für die Ernährung, und diese ist die notwendige Voraussetzung für jede Fortpflanzung. Das Licht ist ferner die wiech- tigste Wärmequelle und übt als solche auf alle Lebenserscheinungen tief greifenden Einfluss aus. Man muss daher die Bedeutung der Er- nährung sowie der Temperatur genau kennen, um die spezielle Wir- kung des Lichtes beurteilen zu können. Man wird es ferner nur dann vermögen, wenn zugleich die anderen Faktoren wie Feuchtigkeit, Nährsalzgehalt des Mediums, Sauerstoff beachtet werden. Es gibt jedenfalls Algen, bei welchen das Licht nicht oder nur in sehr geringem Grade die Bildung der Schwärmsporen beeinflusst, während andere Umstände wie gerade die Temperatur, die chemische Beschaffenheit des Mediums sehr viel wichtiger erscheinen. So ist es z. B. der Fall bei der einzelligen Alge Chlorococeum infusionum ‘). Wenn man dieselbe einige Zeit auf nährsalzreichem Substrat in feuchter Luft, bei heller Beleuchtung kultiviert hat, so kann man zu jeder beliebigen Zeit Schwärmsporen erhalten, sobald die Alge in frisches Wasser gebracht wird, gleichgiltig ob dieser Versuch im Licht oder in konstanter Dunkelheit ausgeführt wird. Ebenso verhält sich die Fadenalge Ulothrix zonata ?), welche gewaltige Massen von Schwärmsporen bildet, wenn man sie aus kühlem, lebhaft bewegtem Wasser in wärmeres ruhigeres Wasser überführt. Das Lieht kommt in diesen und ähnlichen Fällen nur durch seine ernährende Wirkung 1) Vergl. darüber Artari, Untersuchungen über Entwicklung und Syste- matik einiger Protokokkoideen. Inaug.-Diss, 1892. 2) Vergl. auch Dodel, Ulothrix zonata. Pringsh. Jahrb., Bd. X. Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 645 > in Betracht; ein besonderer Einfluss auf den Prozess der Schwärm- sporenbildung lässt sich nicht erkennen, weshalb wir auch nieht näher auf denselben eingehen wollen. Bei einer andern Gruppe von Algen scheint zunächst das gleiche Verhältnis zum Lichte zu bestehen, da die Schwärmsporen sowohl in Lieht- wie in Dunkel-Kulturen sich bilden. Bei näherer Untersuchung erkennt man aber einen wiehtigen Einfluss des Lichtes, welcher durch andere gleichzeitig einwirkende Umstände verhüllt sein kann. Das deutlichste Beispiel hierfür bietet Vaucheria sessilis dar, eine Alge, welche ich schon früher !') besprochen habe, ohne indessen genügende Rücksicht auf den Einfluss des Lichtes genommen zu haben. Wenn man Vaucheria in feuchter Luft kultiviert und dann in Wasser bringt, wenn man sie aus nährsalzreicher Flüssigkeit in reines Wasser über- führt, wenn man sie aus lebhaft bewegtem Wasser in ruhig stehendes bringt, immer erhält man Sehwärmsporen und zwar ebenso bei dem normalen Wechsel von Tag und Nacht, wie bei konstanter Dunkelheit oder dauernder Beleuchtung. Trotzdem kann man sagen, dass das Licht unter allen Faktoren am mächtigsten bei der Schwärmsporen- bildung eingreifen kann. Bei Vaucheria gelingt es die verschiedenartigen Wirkungen des Lichtes scharf auseinanderzuhalten. Für alle Versuche, deren Resultat mit möglichst großer Sicherheit eintreten soll, ist die notwendige Vor- aussetzung, dass gut ernährte Kulturen benutzt werden, d. h. Vau- cheria-Rasen, welche bei Gegenwart von Nährsalzen eine Zeitlang heller Beleuchtung ausgesetzt waren. Hat man eine solche Kultur, so ist es möglich dieselbe während mehrerer Wochen im Dunkeln bei gehinderter Ernährung wachsen zu lassen. Sie kann nach einem Auf- enthalt von 14 Tagen im Dunkeln reichlich Schwärmsporen bilden, sogar noch nach 3 Wochen. Die Schwärmsporenbildung erfordert bei gewöhnlicher Zimmertemperatur zwei Tage, sodass also, gute Kulturen vorausgesetzt, die ernährende Wirkung des Lichtes kaum in Betracht kommt. Der Einfluss der Temperatur auf den Prozess ist möglichst genau von mir festgestellt worden. Die Sehwärmsporenbildung erfolgt innerhalb der Temperaturgrenzen von 3—26° C. Im Gegensatz zu anderen bekannten Wirkungen der Temperatur, z. B. auf das Wachs- tum, zeigt sich bei der Schwärmsporenbildung, dass bald nach der Ueberschreitung des Minimums von 3° oder nach dem Zurückgehen unter das Maximum von 26° der höchste überhaupt erreichbare Grad der Schwärmsporenbildung beobachtet wird, wenn aus anderen Ur- sachen dieselbe schon vorbereitet war. Im Allgemeinen förderlich für das Eintreten des Prozesses ist eine niedere Temperatur von 5—12°; Sehwankungen der Temperatur zwischen 12° und 26° üben dagegen 1) G. Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung von Vaucheria sessilis. Verhandl. der Naturf. Gesellsch. Basel. Bd. X. 41* b44 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. keinen wesentlichen Einfluss aus, sodass Vaucheria-Kulturen bei einer mittleren Temperatur von 15° selbst bei Schwankungen von 12—26° unverändert bleiben, sobald alle Umstände vermieden werden, die sonst Schwärmsporen erregend wirken könnten. Daher kommt für Versuche im Zimmer, sei es im Dunkeln, sei es bei hellem diffusem Licht oder selbst bei direkter Sonnenbeleuchtung ein spezifischer Einfluss der Temperatur nicht in Betracht. Um so überraschender ist die Bedeu- tung, welche eine Verminderung der Lichtintensität für den Prozess besitzt. Am einfachsten ist der Versuch die Kultur, ohne an ihr irgend etwas zu ändern, zu verdunkeln. Mit größter Sicherheit erhält man bei normalen gesunden Wasserkulturen eine Menge Schwärmsporen ; aber selbst bei älteren, fast kränklichen Kulturen gelingt der Versuch noch. Doch ist eine völlige Verdunkelung keineswegs notwendig; we- sentlich ist nur eine merkbare Verminderung derjenigen Lichtintensität, welcher die betreffende Kultur während einiger Zeit ausgesetzt war. Bei Anwendung des Tageslichtes lässt sich wegen des beständigen Wechsels der Intensität kein richtiges Urteil darüber gewinnen, wie groß die Differenz sein muss, um deutliche Schwärmsporenbildung zu veranlassen. Da der Versuch auch gelingt bei Anwendung einer künstlichen Lichtquelle, so lässt sich eine genauere Bestimmung machen. Es würde mich hier zu weit führen auf die Versuchsanord- nung ausführlich einzugehen; es genügt die Angabe, dass in der einen Versuchsreihe eine Gasglühlampe Auer’scher Konstruktion, bei einer zweiten 2 solcher Lampen benutzt wurden, welche verbunden mit einem Gasmesser und einem genauen Elster’schen Gasdruckregu- lator Tag und Nacht eine konstante Lichtquelle bildeten. Diese Lam- pen zeichnen sich vor gewöhnlichen Gaslampen dadurch aus, dass sie bei geringem Gasverbrauch viel Licht und relativ wenig Wärme aus- strahlen. Wasserkulturen von Vaucheria wurden 25 cm von der Licht- quelle entfernt gestellt und einige Tage derselben ausgesetzt. Nach- dem ich mich überzeugt hatte, dass keine Schwärmsporenbildung er- folgt war, wurden dieselben Kulturen um 50 em weiter entfernt, so- dass die Liehtintensität auf !/, der früheren Stärke sank. Eine Folge dieser Veränderung war Schwärmsporenbildung. Bei guten empfind- lichen Kulturen genügte bereits eine Verminderung der Liehtintensität auf !/, der früheren Stärke, um das gleiche Resultat zu erhalten. Ebenso gelangen die Versuche mit Vaucheria-Kulturen, welche einige Zeit 50 em von der Lichtquelle entfernt gestanden hatten und dann um 50 em weiter gerückt worden waren. In allen diesen Fällen wirkt die Verminderung der Lichtintensität als Anlass für die Erregung der Schwärmsporenbildung. Nach einiger Zeit beobachtet man genau wie beim Tageslicht das Aufhören des Prozesses, und erst eine erneute stärkere Verminderung z. B. eine vollständige Verdunkelung kann wieder zum neuen Anlass werden. Indessen schon bei der Stellung der Kulturen auf 1m Entfernung von der Lichtquelle, noch auffallen- Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 64) der bei 1,50—2 m, oder bei Benutzung von schwachem Tageslicht bemerkt man, dass eine geringe Lichtintensität als solche begünstigend auf die Schwärmsporenbildung wirkt, sodass dieselbe längere Zeit fortgehen kann. Warum das Licht bei diesen Versuchen in solcher Weise wirkt, lässt sich leider bisher nicht erkennen, ebensowenig wie die Rolle des Liehtes bei andern physiologischen Prozessen erklärt werden kann. Doch erscheint es wichtig zu betonen, dass bei Vau- cheria das Licht nur indirekt beteiligt sein kann. Die Pflanze kann sich mit Hilfe der gewöhnlichen Nahrungsstoffe unabhängig vom Licht ungeschlechtlich fortpflanzen. Der Einfluss der Verminderung der Liehtintensität lässt sich vielleieht in der Weise erklären, dass sie zunächst auf die anderen Zellfunktionen, wie z.B. Ernährung, Wachs- tum wirkt, dieselben in irgend welcher, nieht näher bekannten Art verändert, infolge dessen für die Entfaltung der Schwärmsporenbildung freie Bahn geschaffen wird. Wir hätten nach dieser Annahme es hier mit einem Fall der sog. Korrelationserscheinungen zu thun, welche für das Leben innerhalb einer Zelle von sehr großer Bedeutung sind. Ein anderes Beispiel unter den Algen lässt einen direkteren Einfluss des Liehtes auf die Schwärmsporenbildung erkennen, und das ist der Fall bei Hydrodictyon utricwlatum, dem von mir früher untersuchten Was- sernetz. Wenn ein kräftiges Netz bei günstiger Temperatur in nähr- salzreichem Medium bei heller Beleuchtung kultiviert wird, so ent- steht im ihm eine äußerst lebhafte Neigung zur Schwärmsporen- bildung. Dieselbe erfolgt im wenigen Tagen z. B. nach Ueberführung in reines Wasser. Für den Verlauf des Prozesses muss aber das Licht mitwirken; schon eine zweitägige konstante Verdunkelung ver- hindert die Schwärmsporenbildung. Hier kann von einem Nahrungs- mangel nicht die Rede sein. Vielmehr erhält man den Eindruck, als wenn das Lieht an irgend einer Stelle im Verlauf des Prozesses ein- greifen, vielleicht bestimmte chemische Veränderungen einleiten müsse, welche für ihn notwendig sind. Wichtig ist die Thatsache, dass unter besonderen Umständen bei Anwendung von 1°/, Maltose und einer konstanten Temperatur von eirca 26° Schwärmsporenbildung im Dun- keln stattfinden kann, sodass also die bei normalem Verlaufe not- wendige Rolle des Lichtes ausnahmsweise ersetzt werden kann. Daher ist auch bei Hydrodictyon das Licht noch nieht in so spezifischer, un- ersetzlicher Weise wesentlich wie in später zu besprechenden Fällen. Die angeführten Beobachtungen zeigen, dass das Licht für die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Algen in verschiedenem Grade maßgebend, jedenfalls für eine Reihe Fälle von Bedeutung ist. Un- zweifelhaft werden weitere Untersuchungen in dieser Richtung noch eine Menge neuer Thatsachen aufdecken. Auf die Algen folgen als nächste höhere Klasse grüner Pflanzen die Bryophyten oder Moose. Sie zeichnen sich durch die Fähigkeit aus in der mannigfaltigsten Weise und in äußerst hohem Grade auf 646 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. ungeschlechtlichem Wege sich fortzupflanzen. Das massenhafte Vor- kommen der Moos-Individuen findet dadurch seine Erklärung. So gut wir nun über die Morphologie der Fortpflanzung unterrichtet sind, so völlig mangelt eine Untersuchung der Frage, inwieweit die verschie- denen Formen der Fortpflanzung von äußeren Bedingungen abhängig seien. Seit einiger Zeit mit dieser Untersuchung beschäftigt, welche naturgemäß eine heihe von Jahren in Anspruch nimmt, möchte ich hier nur einige Thatsachen erwähnen, welche sich auf den Einfluss des Lichtes beziehen. Ich will mit den Laubmoosen beginnen, für deren Entwickelungsgang charakteristisch ist, dass die in der Moos- kapsel gebildete Spore bei der Keimung einen algenartigen Vorkeim erzeugt, das Protonema. An diesem entsteht durch seitliche Sprossung die beblätterte geschlechtlicehe Moospflanze. Sehr leicht lässt sich diese Thatsache bei Funaria hygrometrica beobachten, einem sehr ver- breiteten Laubmoose, bei welchem der berühmte Bryologe W. Ph. Schim- per die Keimung schon beschrieben hat, dessen Beobachtungen durch Müller-Thurgau noch erweitert wurden. Für die Untersuchung der Frage, von welchen Umständen die Bildung der Moosknospe an dem Protonema abhänge, wurden Aussaaten von Sporen in verdünnter Nährlösung, auf feuchtem Sand, Torf ete. gemacht. In einigen Wochen entsteht bei heller Beleuchtung ein üppig wachsendes, schön grünes Protonema, welches aus verzweigten Zellfäden zusammengesetzt ist. Die wesentlichste Bedingung für das Auftreten der Moosknospen ist das Licht, und dieses darf nicht unter eine bestimmte Grenze der In- tensität sinken. Wenn man 3—4 Wochen altes kräftiges Proto- nema halbdunkel z. B. im Hintergrunde eines sonst hellen Zimmers aufstellt, so treten an ihm keine Moosknospen auf, während dieselben an den am Fenster stehenden Kulturen sich reichlich zeigen. Eine solche Kultur im Halbdunkel kann ruhig fortvegetieren, sie assimiliert noch, sie wächst noch, aber sie ist nicht im Stande die Moospflanze zu bilden. So besitze ich z. B. sterile Protonema-Kulturen, welche über 2 Jahre alt sind, während unter normalen Umständen das Proto- nema von Funaria zu Grunde geht, nachdem es nach wenigen Wochen die Moosknospen erzeugt hat. Wir haben also hier die interessante Thatsache, dass eine an und für sich rasch vergängliche Jugendform lange, vielleicht sehr lange fortleben kann, wenn sie verhindert wird die höhere Stufe ihrer Entwiekelung zu erreichen. Bei den Algen ist bereits ein solcher Fall bekannt, welcher die Süßwasserfloridee Ba- trachospermum betrifft. Sirodot hat nachgewiesen, dass die Sporen dieser Alge einen Vorkeim bilden, an welchem unter normalen Be- dingungen die Geschlechtspflanze früh entsteht; aber dieser Vorkeim kann auch lange Zeit selbständig vegetieren und ist früher als eine besondere Gattung Chantransia beschrieben worden. Nun hat Siro- dot es wahrscheinlich gemacht, dass diese üppige und selbständige Vegetation des Vorkeims durch schwaches Licht bedingt ist. Wenn Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 647 die experimentelle Untersuchung diese Vermutung bestätigte, so würde eine weitgehende Analogie in dem Verhalten des Vorkeims von Moosen und Batrachospermum bestehen. Goebel!) hat bereits auf diese Ana- logie klar hingewiesen. Die wichtigste Frage, welche sich jetzt darbietet, bezieht sich auf die Art der Einwirkung des Lichtes. Dreiwöchentliches kräftig er- nährtes Protonema besitzt eine große Menge der gewöhnlichen Nahrungs- stoffe, welche für längere Zeit em Leben im Dunkeln ermöglichen, daher kann es nicht Mangel an solehen Stoffen sein, welcher die Bil- dung der Knospen bei schwächerem Licht verhindert, das sogar noch einen gewissen Grad der Ernährung gestattet. Die Annahme drängt sich hier auf, dass für die Entstehung der Moosknospen bestimmte chemische Prozesse notwendig seien, die erst bei einem relativ starken Licht oder wenigstens dann erst in genügendem Grade eintreten. Um Missverständnisse zu verhüten, will ich mich noch etwas näher erklären. Jede Protonema-Zelle besitzt an und für sich die Fähigkeit eine Moos- knospe durch seitliche Sprossung zu bilden; diese Fähigkeit denke ich mir entsprechend den Anschauungen von Nägeli, de Vries u.a. gebunden an einen bestimmt organisierten, materiellen, unsichtbar kleinen Träger, den ich als Anlage bezeichne. Diese Anlage kann sich nur entwickeln, wenn innerhalb der Zelle ein ganz bestimmter Komplex von Bedingungen verwirklicht ist, welcher in gesetzmäßiger Abhängigkeit von der Außenwelt steht. Von äußeren Bedingungen sind neben einer günstigen Temperatur, dem Vorhandensein von Feuch- tigkeit, Sauerstoff, vor allem wichtig die gewöhnlichen, für alle Pflanzen notwendigen Nahrungsstofte, welche teils direkt durch die Assimilation der Kohlensäure wie die Kohlehydrate, teils aus diesen und den der Umgebung entnommenen Nährsalzen gebildet werden. Diese Be- dingungen genügen vollständig für das Wachstum der Protonema- Zellen, für ihre Teilung; sie genügen nicht für die Bildung der Moos- knospen. ‚Jetzt muss intensives Licht eingreifen, chemische Prozesse hervorrufen, Umbildung der Nahrungsstoffe in Stoffe besonderer Art einleiten, welche erst die schlummernde Anlage zur Entfaltung bringen. Man könnte auch daran denken, dass durch das Licht gewisse physika- lische Verhältnisse der Zelle wie z. B. der Zellsaftdruck ete. in be- stimmter Richtung verändert werden. Doch würden auch diese Wir- kungen schließlich auf chemische, vom Licht angeregte Prozesse zurück- zuführen sein. Meine Annahme wird noch durch andere Thatsachen wesentlich gestützt. Schon W. Ph. Schimper beobachtete, dass abgesehnittene Blätter von Fımaria, feucht gehalten, Protonema entwickeln, an welehem Moosknospen entstehen. Die Beobachtungen lassen sich leicht 1) Vergl. Goebel’s interessante Arbeit, Ueber die Jugendzustände der Pflanzen. Flora i889. 648 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. bestätigen, am günstigsten bei Anwendung von verdünnten Nährsalz- lösungen. Die Frage stellt sich ein, ob das Blatt-Protonema sich zum Licht gleich verhalte wie das Sporen-Protonema. Die Untersuchung zeigt die überraschende Erscheinung, dass überhaupt Blatt- und Spo- ren-Protonema verschiedene physiologische Eigenschaften besitzen. An dem letzteren entstehen selbst bei günstigster Beleuchtung erst nach 4-5 Wochen die Moosknospen; an dem Blatt-Protonema zeigen sich dieselben schon in den ersten 8 Tagen. Wichtiger ist es, dass das Blatt-Protonema sehr viel unabhängiger vom Licht erscheint, dass an ihm die Moosknospen bei derselben Beleuchtung entstehen, bei welcher das Sporen-Protonema völlig steril bleibt. Sogar bei äußerst schwacher Beleuchtung, fast im Dunkeln, entwickeln sich an den langen und kaum verzweigten, farblosen Fäden des Blatt-Protonema einzelne Knospen, welche wegen des eintretenden Mangels an Nahrungsstoffen nur küm- merlich bleiben. Wir müssen aus diesen Beobachtungen schließen, dass in den Zellen der Blätter resp. auch des Moosstengels gerade jene Substanzen bereits vorhanden sind, welche für die Bildung der Moosknospen notwendig sind, sodass das Blatt-Protonema gleich dazu im Stande ist, während das Sporen-Protonema diese Fähigkeit erst nach längerer Einwirkung des Lichtes erhält. Sehr wahrscheinlich entstehen aber die betreffenden Substanzen in den Blättern erst durch den Einfluss des Lichtes. Die zweite Abteilung der Bryophyten bilden die Lebermoose (He- paticae), welche bis jetzt sehr scharf von den Laubmoosen geschieden sind. Neben den Unterschieden, welche sich auf die Entwickelung, den Bau der Sporenkapsel beziehen, fällt bei den Lebermoosen ferner der Mangel eines ausgebildeten Protonema sehr auf. Die Sporen mancher Formen erzeugen einen einfachen Keimschlauch, an dessen Spitze die neue Moospflanze entsteht, oder bei anderen Formen tritt ein kurzer bisweilen verzweigter Zellfaden auf, aus dessen Ende die Knospe hervorgeht. Noch abweichender verhalten sich die Lebermoose wie Radula ete., bei welchen die Spore gleich einen Zellkörper bildet, der in die Knospe übergeht !). Gemäß den Untersuchungen von Leit- geb?) ist die Keimung der Lebermoossporen in hohem Grade vom Liehte abhängig. Ein Licht mittlerer Intensität ist im Allgemeinen am günstigsten, während bei schwachem Licht zwar noch ein Keim- schlauch oder Keimfaden gebildet werden kann, welcher aber keine 4) Nur seltene Fälle sind es, in denen ein stark entwickeltes Protonema eines Lebermooses bekannt ist. Sehr interessant ist in dieser Beziehung die Protocephalozia ephemeroides, welche von Spruce entdeckt wurde und auf welche Goebel neuerdings aufmerksam gemacht hat. Das Protonema ist stärker entwickelt als die an ihm sitzenden Geschlechtspflanzen, ähnlich wie bei dem Laubmoos Ephemerum. Vergl. Goebel, Archegoniatenstudien. Flora 1893. 2) Leitgeb, Die Keimung der Lebermoossporen in ihrer Beziehung zum Licht, Sitzungsber. d. Wiener Akad., Bd, 74, 1876. Bas Dia - Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 649 Knospe erzeugt und überhaupt früh zu Grunde geht. Diese That- sachen ließen erwarten, dass bei geeigneter Versuchsanstellung es doch gelingen würde ein steriles Protonema in ähnlicher Weise wie bei Funaria zu erhalten. Sät man die Sporen von Jungermannia bi- cuspidata, porphyroleuca u. a. in verdünnter Nährlösung aus und stellt die Kultur in helles Licht, so entwickelt sich in emigen Wochen aus jeder Spore ein kurzzelliger, zum Teil etwas verzweigter Faden. Bevor noch irgend eine Andeutung von einer Moosknospe zu finden ist, bringt man die Kultur in schwaches Licht, z. B. in den Hintergrund eines Zimmers wie bei den Versuchen mit den Laubmoosen. Langsam wächst der kleine Vorkeim weiter und bildet schließlich verzweigte Fadenknäuel, welche steril bleiben und sich bis jetzt über 9 Monate erhalten haben, sodass wir ein relativ sehr langlebiges und ausnahms- weise entwickeltes Protonema eines Lebermooses gewonnen haben. Wird dasselbe an helles Licht gebracht, so werden nach kurzer Zeit die Moospflänzchen erzeugt. So konnten z. B. bei Chiloscyphus an dem Protonema einer Spore mehrere Pflänzchen entstehen wie bei den Laubmoosen. Dieselben Folgerungen, welche sich bei der Untersuchung der Laubmoose aufdrängen, werden auch für die Lebermoose gelten. Dafür spricht das Gelingen des anderen Versuches mit abgeschnittenen Blättern. Solche von Lophocolea bidentata, in Nährlösung hell kulti- viert, entwickeln zahlreiche Knospen aus den Randzellen ohne vorher- gehende Bildung eines Protonema. Derselbe Versuch gelingt aber auch in einem schwachen Lichte, in welchem das Sporen -Protonema steril bleibt. Auf die zahlreichen andern Erscheinungen der unge- schlecehtlichen Fortpflanzung bei Laub- und Lebermoosen will ich nicht weiter eingehen, da meine Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind. Die angeführten Beobachtungen genügen, um die Wichtigkeit des Lichteinflusses für die Fortpflanzung der Moose deutlich hervor- treten zu lassen. Für die Klasse der Farnpflanzen wird die weitere Forschung ebenfalls den bedeutsamen Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung ungeschlechtlicher Art feststellen. An einem Beispiel will ich einen solchen Einfluss nachweisen, welcher überdies in einer von den Moosen abweichenden Weise sich bemerkbar macht. Sehon mehrere Beobachter wie Hofmeister, Goebel, de Bary u. a. haben gefunden, dass die Geschlechtsgeneration der Farne, das Pro- thallium, die Fähigkeit besitzt mit Hilfe von Adventivsprossen sich zu vermehren, welche meistens aus dem Rande hervorgehen. Bei zahlreichen von mir untersuchten Arten spielt das Licht für diese Ver- mehrung eine wichtige Rolle. Wenn man Sporen z. B. von Polypo- dium aureum auf Torf aussät und dafür sorgt, dass die sich ent- wickelnden Prothallien ohne gegenseitige Berührung ganz frei sich ausbilden können, so entstehen bei heller Beleuchtung die bekannten herzförmigen Blättchen, auf welchen später die Geschlechtsorgane er- scheinen, Bringt man junge Torfkulturen, ohne sonst irgend etwas an b50 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. ihnen zu ändern, in schwaches Licht, so entwiekeln sich nach einiger Zeit eine große Menge von Adventivsprossen durch Auswachsen von Rand- zellen zu kürzeren oder längeren Fäden, welche dann in kleine Flächen übergehen können. Das schwache Lieht ist in diesem Falle der An- lass für diese im intensiven Licht nicht auftretende Vermehrung'). Noch viel lebhafter und eigenartiger vermehrt sich Pteris eretica, bei welchem Farn de Bary die Sprossung beschrieben hat, ohne auf die Bedingungen für diese näher einzutreten. Nimmt man jüngere oder ältere Prothallien dieser Pflanze und kultiviert dieselben in Nähr- lösungen in schwachem Licht, so wachsen oft die Mehrzahl der Rand- zellen zu langen Zellfäden aus, welche ihrerseits sich verzweigen und schließlich vollkommen eine Protonema ähnliche Fadenmasse bilden. Erst bei intensivem Licht gehen die Spitzen dieser Fäden zur Bildung von flächenförmigen Prothallien über. Noch mehr erinnern die Fäden von Pteris an das Fadenprothallium der Farngattung Trichomanes. Goebel?), welcher hier die eigenartigen Verhältnisse der Geschlechts- generation geschildert hat, betrachtet Trichomanes als die niedrigste Form der Farne und schließt dieselbe direkt an die einfachste Moos- form Buxbaumia an. Wenn wir jetzt zu der Frage nach dem Lichteinfluss auf die ge- schlechtliche Fortpflanzung übergehen, so ist zunächst hervorzuheben, dass das Problem noch sehr viel schwieriger und verwickelter er- scheint als bei der ungeschleehtlichen Fortpflanzung, sodass unsere völlige Unkenntnis der inneren und äußeren Bedingungen erklärlich ist. Bei der Mehrzahl der Pflanzen treten die Geschlechtsorgane regel- mäßig auf, sie erscheinen als notwendige Stufen des auf inneren Grün- den beruhenden Entwickelungsganges. Bei niederen Pflanzen macht es oft denselben Eindruck, oder die geschlechtliche Befruchtung tritt sehr unregelmäßig, scheimbar höchst willkürlich auf, sodass es oft ein sroßer Glückszufall ist dieselbe überhaupt beobachten zu können. Doch ist es zweifellos, dass die Außenwelt bei allen Pflanzen in sehr viel höherem Grade als bisher zu vermuten war, für die Bildung der Geschlechtsorgane bedeutsam ist. Meine mehrjährigen Erfahrungen haben mir die feste Ueberzeugung gegeben, dass bei der Mehrzahl der Algen die Sexualorgane unter ganz bestimmten äußeren Umständen auftreten, welche bald leichter bald sehwerer in der freien Natur sich verwirklichen. Diese Umstände genau kennen zu lernen ist zunächst die Hauptaufgabe; hat man sie einmal erforscht, so muss jede Art, auch die sonst selten fructifizierende, jederzeit zur geschlechtlichen Fortpflanzung zu bringen sein. Unter den äußeren Faktoren, welche 1) Ich will noch nicht behaupten, dass derselbe Prozess nicht vielleicht auch durch andere Faktoren herbeigeführt werde. Jedenfalls ist bis jetzt schwaches Licht das einfachste und beste Mittel um die Adventivbildung zu veranlassen. 2) Goebel, Archegoniatenstudien I. Flora 1892. Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 61 in Betracht kommen, spielt jedenfalls das Licht eine wichtige Rolle, nur ist die Entscheidung über Grad und Wirkungsart desselben auch hier viel schwerer zu treffen. Die Schwierigkeit hängt mit der sehr allgemein geltenden Regel zusammen, dass für die Bildung der Sexual- organe eine reichliche Ansammlung von organischen Substanzen not- wendig ist. Dieselbe kann und wird in vielen Fällen dadurch erreicht werden, dass das Nahrung verbrauchende Wachstum behindert wird. Wie seit lange aus den praktischen Erfahrungen der Pflanzenzüchter bekannt ist, dient eine Hemmung des Wachstums in vielen Fällen zur Förderung der Gesehlechtsthätigkeit. Aber außerdem wird eine leb- hafte Ernährung immer eine wichtige Voraussetzung für den Eintritt des Sexual-Prozesses sein, und das Licht wird deshalb an und für sich schon sehr wichtig für die geschlechtliche Fortpflanzung erscheinen. Es wird um so schwieriger sein die besonderen Wirkungen des Lichtes zu erkennen, je verwickelter der Bau der Sexualorgane ist, je längere Zeit für die Bildung derselben in Anspruch genommen wird. Am einfachsten lässt sich die Frage lösen bei niedrig stehenden Algen, bei welchen in wenigen Tagen der Befruchtungsprozess er- folgen kann; das ist der Fall z. B. bei dem Wassernetz, bei welchem bewegliche Schwärmer, die Gameten, erzeugt werden, durch deren Kopulation die Dauerzyste, die Zygote, entsteht. Die Bildung der- selben ist unabhängig vom Licht: selbst nach wochenlangem Aufent- halt im Dunkeln können in den Zellen Gameten erzeugt werden, vorausgesetzt, dass organische Nahrung z. B. Rohrzucker den Zellen zugeführt wird. Trotzdem kann ebenso wie bei der Schwärmsporen- bildung von Vaucheria auch bei Hydrodictyon eine Verminderung der Liehtintensität wesentlich förderlich für die Gametenbildung sein, s0- dass man bei ein und demselben Netz ungeschlechtliche und geschleeht- liche Fortpflanzung hervorrufen kann, bloß dadurch, dass die eine Hälfte hell, die andere dunkel resp. schwach beleuchtet gehalten wird. Auch hier wird die Bedeutung des Lichtes im selben Sinne wie bei Vaucheria aufzufassen sein; die Verminderung der Liehtintensität wird Wachstum, ungeschlechtliche Fortpflanzung behindern und dadurch die Gametenbildung befördern, wenn sonst die für dieselben wesentlichen Bedingungen vorhanden sind. Viel unmittelbarer greift das Licht bei Vaucheria ein; ein üppig ernährter Rasen von Vaucheria sessilis erzeugt in wenigen Tagen bei heller Beleuchtung Geschlechtsorgane. Im Dunkeln entsteht keine Andeutung derselben; das Einzige was sich bisher erreichen lässt, ist die Ausbildung der im Licht angelegten Organe. Es ist nicht nötig die Pflanze zu verdunkeln; schwaches Zimmerlicht wirkt ebenso hem- mend auf die Bildung der Geschlechtsorgane ein, während die Er- nährung, das Wachstum in demselben noch fortgehen können. So ge- lingt es in schwachem Licht mehrere Jahre Vaucheria - Kulturen steril zu erhalten, obwohl dieselben im natürlichen Verlauf der Dinge 652 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. nach einigen Wochen lebhafter sexueller Fortpflanzung abzusterben pflegen. Mangel an Nahrungsstoffen kann bei Vaucheria nicht die Ursache der Sterilität sem; durch keine bekannte organische Substanz lässt sich bisher der Einfluss des Lichtes ersetzen. Vielmehr muss der- selbe hier wie bei den Moosen in spezifischer Weise wirksam sein und zwar hauptsächlich für die erste Entfaltung der in jedem kleinen Vaucheria-Stück enthaltenen Anlage der Geschlechtsorgane. Bei allen Versuchen mit Vaucheria wird vorausgesetzt, dass die sonstigen Bedingungen, welche für die geschlechtliche Fortpflanzung nötig erscheinen, vorhanden sind. Man kann auch auf anderem Wege die Bildung der Sexualorgane hemmen, wenn man z. B. Vaucheria bei heller Beleuchtung einer niederen Temperatur von 0—3° aussetzt, oder wenn man sie in lebhaft fließendem Wasser kultiviert. Indessen kann durch Verminderung der Liechtintensität weitaus am einfachsten und sichersten die geschlechtliche Sterilität von Vaucheria erreicht werden. Ein ähnliches Verhalten wie Vaucheria weisen nach meinen neueren Untersuchungen auch andere Algen auf. Die Konjugationserschei- nungen bei Spirogyra Weberi, Closterium Lumula, Cosmarium Botrytis, die Bildung der Geschlechtsorgane von Oedogonium diplandrum und andern Arten sind gebunden an helle Beleuchtung. Nur lässt sich noch nicht in allen diesen Fällen so klar der spezifische Einfluss des Lichtes erkennen, weil die übrigen äußeren Bedingungen der Art und dem Grade ihrer Wirkung nach nicht so genau erforscht wurden. Auch den Einfluss des Lichtes auf die geschlechtliche Fortpflanzung der Moose will ich hier nieht weiter berühren, obwohl es leicht fest- zustellen ist, dass bei den Lebermoosen wie Lunularia, Marchantia, Pellia, bei Laubmoosen wie Funaria, Barbula die Erzeugung der weib- lichen Sexualorgane durch schwaches Licht behindert wird. Bisher lässt sich aus dieser Thatsache noch kein sicherer Schluss ziehen, denn da bei den Moosen die Bildung dieser Organe längere Zeit erfordert, so kann die Hemmung dureh schwaches Licht auf ungenügender Er- nährung beruhen. Das Gleiche gilt auch bis jetzt für meine Unter- suchungen über den Lichteinfluss auf die Protallien der Farnpflanzen. Es gelingt bei Kultur einiger Arten in schwachem Lieht, diese sonst kurzlebige Geschlechtsgeneration längere Zeit (1 Jahr und darüber) lebend und steril zu erhalten. Ich hoffe später Gelegenheit zu finden ausführlich auf diese Pflanzen zurückzukommen. Von ganz besonderem Interesse erscheint die Frage nach der Rolle des Lichtes bei der geschleehtlichen Fortpflanzung der Phanero- gamen. Eigene Untersuchungen habe ich bis jetzt nicht darüber an- gestellt, ich möchte aber im Hinblick auf die Verhältnisse bei den Kryptogamen die wichtigsten Thatsachen bei den Phanerogamen be- sprechen. Neben manchen mehr gelegentlichen und wenig entschei- denden Beobachtungen sind nur wenige experimentelle Arbeiten er- Li, Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 655 schienen. Vor allem hat Sachs!) auf diesem Gebiete die wichtigsten Forschungen angestellt. Die ersten Untersuchungen von Sachs zeigten, dass Zwiebeln von Hyazinthen, Tulpen, Crocus im Dunkeln getrieben, vollkommen normale Blüten entwieken. Askenasy ?), welcher später ähnliche Versuche anstellte, bestätigte diese Resultate, wenn er auch bei einzelnen Arten z. B. bei dunkelblauen Hyazinthen, bei Antirrhi- num majus eine Schwächung der Farbenintensität beobachtete. Bei anderen Pflanzen dagegen z. B. Tropaeolum majus, Cheiranthus Cheiri, Cucurbita ete. bemerkte Sachs, dass die Blüten sich nicht im Dunkeln normal ausbildeten, obwohl die im Dunkeln wachsenden Triebe fort- fuhren vegetative Organe zu bilden. Daraus folgerte Sachs, dass es bei der Bildung der Blüten nicht auf die Masse der Bildungssubstanz, sondern auf die besondere Qualität derselben ankäme. Er machte eine große Reihe weiterer Versuche, bei welchen die beblätterte Pflanze dem Licht ausgesetzt war, während der Gipfelspross in einen dunklen Behälter eingeführt wurde. Unter diesen Umständen bildeten die vor- hin genannten Pflanzen im Dunkeln normale Blätter und auch Früchte aus. Für Creurbita und Petunia gibt Sachs bestimmt an, dass ein Teil der Blüten erst im Dunkeln überhaupt durch Neubildung ent- standen waren. Diese Versuche beweisen, dass die im Licht assimi- lierenden Blätter alle die für Blätter notwendigen Bildungssubstanzen erzeugen, sodass deren normale Ausbildung im Dunkeln erfolgen kann. Auf der andern Seite lassen aber diese Versuche nicht klar genug erkennen, ob und in welchem Grade das Licht neben seiner Wirkung bei der Ernährungsthätigkeit der Blätter noch eine spezifische Rolle für die Bildung besonderer Blütenstoffe spielt, sodass z. B. Frank?) in seinem neuesten Lehrbuch gerade auf diese Versuche von Sachs hin den Satz aufgestellt hat, dass auf das Blütenwachstum Licht oder Dunkelheit überhaupt ohne Einfluss seien. Noch weniger entscheidend können in der vorliegenden Frage die Beobachtungen anderer Forscher sein. — Kerner) hat z. B. beob- achtet, dass im Schatten stehende Pflanzen wie Epilobium angusti- folium keine Blüten oder nur in geringer Zahl hervorgebracht hatten. Ferner macht Kerner darauf aufmerksam, dass imAllgemeinen Pflan- zenstöcke an ihren beschatteten Teilen vorwaltend Laubknospen, an ihren besonnten Teilen mehr Blütenknospen entwickeln. Einige Ver- suche hat Möbius angestellt. Er kultivierte eine Anzahl Pflanzen wie Borago offieinalis, Phalaris canariensis, Andropogon Ischaemum in Töpfen und stellte einige sonnig und feucht, andere sonnig und 4) Sachs, Gesammelte Abhandlungen über Pflanzenphysiologie 1892; die in Betracht kommenden Arbeiten stammen aus den Jahren 1863—1864. 2) Askenasy in: Botanische Zeitung, 1876. 3) Frank, Lehrbuch der Botanik, Bd.I, 1892. 4) Kerner, Pflanzenleben, Bd. Il, S. 388. 654 Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. troeken, eine dritte Reihe schattig und feucht, eine vierte schattig und trocken. Die Resultate sprechen für einen fördernden Einfluss einer- seits der Trockenheit, anderseits auch des Lichtes. Bei allen diesen und ähnlichen Beobachtungen lässt sich wohl die Folgerung ziehen, dass im Allgemeinen für viele Pflanzen helle Beleuchtung die Blüten- bildung befördert; aber es ist nicht möglich die verschiedenen Wir- kungen des Lichtes dabei klar auseinanderzuhalten. Von entscheidender Bedeutung sind nun in dieser Frage nach dem Lichteinfluss die Versuche von Sachs!), bei welchen die Wir- kungen eines Lichtes geprüft wurden, das seiner ultravioletten Strahlen beraubt war. Sachs kultivierte Pflanzen von Tropaeolum majus inner- halb geschlossener Kästen, deren eine dem Licht zugekehrte Wand durch eine gläserne Cuvette ersetzt war, durch die allein das Licht zu den Versuchspflanzen dringen konnte. Bei den einen Kästen wurde in die Cuvette reines Wasser gegeben, bei den andern eine Lösung von schwefelsaurem Chinin, welche die Fähigkeit besitzt den ultra- violetten Teil des Sonnenspektrums durch Fluorescenz in Strahlen von geringerer Brechbarkeit umzuwandeln, Die Versuchspflanzen erhielten daher bei der einen Reihe der Kästen nur Licht, welchem die ultra- violetten Strahlen fehlten; in Bezug auf Helligkeit war dagegen kein Unterschied gegenüber den Kontrollpflanzen hinter reinem Wasser zu bemerken. Die Versuche, welche während mehrerer Jahre durchge- führt wurden, zeigten, dass die Tropaeolum-Pflanzen hinter der Cuvette mit reinem Wasser zahlreiche Blüten bildeten, während hinter der Chininlösung die Blütenbildung fast vollständig unterdrückt war. So gibt z. B. Sachs an, dass 20 Pflanzen hinter Wasser 56 Blüten ge- bildet hatten, während hinter der Chininlösung an 26 Pflanzen nur eine verkümmerte Blüte entstanden war. Casimir de Candolle?) hat mit der gleichen Pflanze entsprechende Versuche gemacht und die gleichen Resultate erhalten, während die Versuche mit Lobelia Erinus hinter einer Lösung von Aesculin, die ähnlich wie Chinin fluoreseiert, nicht so prägnante Resultate ergeben haben. Die von Sachs beobachtete Thatsache des Einflusses der ultra- violetten Strahlen auf die Blütenbildung ist von sehr großem Interesse; sie ist die erste sicher nachgewiesene, welche eine spezifische Rolle des Lichtes für die geschlechtliche Fortpflanzung kennen gelehrt hat. In welcher Weise und in welchem Stadium der Blütenentwicklung die ultravioletten Strahlen bei Tropaeolum wirksam sind, ist völlig rätsel- haft. Sachs glaubt durch diese Versuche seine schon früher ausge- sprochene Hypothese über die Ursachen der Formbildung bestätigt zu 1) Sachs, Arbeiten des Würzburger Instituts, Bd. III, 1886; vergl. auch seine gesammelten Abhandlungen, Bd. 1, 2) C. de Candolle, Etude sur l’action des rayons ultraviolets sur la formation des fleurs. Archives des science. phys. et nat., T. 28, 1892. ee Klebs, Einfluss des Lichtes auf die Fortpflanzung der Gewächse. 6555 sehen. Er nimmt an, dass in den Blättern neben den gewöhnlichen Nahrungsstoffen durch den Einfluss der ultravioletten Strahlen Stoffe besonderer Art in äußerst geringen Quantitäten erzeugt werden, welche, nach den Vegetationspunkten hingeleitet, gleich Fermenten die dort hinströmende Nahrungssubstanz umwandeln und dadurch die Blüten hervorrufen. Durch die Annahme solcher ungeformter und doch form- bildender Blütenfermente steht Sachs in scharfem Gegensatz zu der heutzutage mehr vorwaltenden und auch von mir vertretenen An- schauung, nach welcher die Form der Blüten auf einer im Vegeta- tionspunkte vorhandenen, bereits irgendwie geformten Anlage beruht. Auf keinen Fall können die Versuche von Sachs in dieser prin- zipiellen und überhaupt zunächst unlösbaren Streitfrage eine Ent- scheidung herbeiführen; es handelt sich um rem hypothetische vor- läufige Anschauungen. Die Versuche mit Tropaeolum können vielleicht in derselben Weise gedeutet werden, wie ich es im Vorhergehenden für die Kryptogamen gethan habe. Man kann die Annahme machen, dass für die Entfaltung der in irgend welcher Form vorhandenen An- lage der Fortpflanzungsorgane neben den gewöhnlichen Nahrungstoffen noch chemische Prozesse besonderer Art thätig sein müssten, welche in vielen Fällen vom Licht abhängig sind. Von großer Bedeutung würde es sein die Versuche von Sachs auf andere Pflanzen auszudehnen, um zu erforschen, inwieweit das Resultat allgemeine Giltigkeit beanspruchen dürfe. Sachs macht selbst darauf aufmerksam, dass die chlorophylifreien Parasiten jedenfalls ihre Blüten in vollständiger Dunkelheit entwickeln. Daher willSachs das für Tropaeolum gefundene Resultat nur für die grünen Pflanzen gelten lassen. Es war für mich eine interessante Frage, wie die von mir untersuchten Kryptogamen sich verhalten. Aus meinen Unter- suchungen geht mit Sicherheit hervor, dass die Intensität des Lichtes die entscheidende Rolle spielt in allen denjenigen Fällen, wo es für die Fortpflanzungserscheinungen überhaupt maßgebend ist. Diese Seite des Problems hat Sachs in seinen Untersuchungen gar nicht be- rührt. Erst in zweiter Linie kommt der Einfluss der Strahlengattung in Betracht. Denn in jeder Strahlengattung vom Rot bis Violett, ge- nügende Intensität vorausgesetzt, erfolgt bei Vaucheria sessilis schließ- lich die Bildung der Geschlechtsorgane. Doch zeigt sich im Allge- meinen, dass die blauviolette Hälfte des Spektrums wichtiger für diesen Prozess ist als die rotgelbe. Hinter einer Lösung von Pikrin- säure, welche für das Auge hell durchsichtig erscheint, werden die Sexualorgane langsamer gebildet als hinter einer Lösung von Kupfer- oxydammoniak, welche fast undurchsichtig erscheint. Dagegen treten hinter Chininlösung in der Mehrzahl der Fälle die Geschlechtsorgane ebenso bald auf wie hinter reinem Wasser. Die von mir gegebene Darstellung unserer Kenntnisse über den Lichteinfluss auf die Fortpflanzung der Gewächse weist erst eine kleine 6556 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regenerätion Anzahl feststehender Thatsachen nach, sie lässt indessen klar er- kennen, dass auch bei dieser wichtigsten Funktion des Pflanzenor- ganismus das Licht mächtig einwirkt, und sie lässt voraussehen, dass die Untersuchungen auf diesem Gebiete einen wesentlichen Teil der Physiologie der Fortpflanzung bilden werden. Ueber die Spezifikation der Furchungszellen und über die bei der Postgeneration und Regeneration ‚anzunehmenden Vorgänge. Von Wilhelm Roux in Innsbruck. (Schluss.) Es sei nun meine Argumentation dem Leser zur Beurteilung dar- gelegt; ich werde mich dabei nur über die bei der Re- und Post- generation im Allgemeinen anzunehmenden Mechanismen etwas aus- führlicher verbreiten. In früheren und späteren meiner Arbeiten habe ich wiederholt die Probleme der Re- und Postgeneration berührt und mich in kurzen Bemerkungen über die dabei nötigen Vorgänge ausgesprochen. Da ich jedoch nicht gerne mehr Hypothesen ausspreche, als für den gerade vorliegenden Zweck unbedingt nötig ist, so habe ich es bisher unter- lassen, meine bezüglichen hypothetischen Auffassungen ausführlieher darzustellen. Jetzt dagegen ist es durch den Widerspruch OÖ. Hertwig’s und H. Driesch’s gegen die Deutung meiner Versuchsergebnisse nötig geworden, die Verschiedenheit der beiderseitigen Meinungen bis in ziemlich ferne Konsequenzen hinein zu verfolgen, und dabei besonders auch die Mechanismen der Regeneration zu berücksichtigen. Ich argumentiere: da sich bei Fröschen, Ctenophoren, Aseidien und Seeigeln die isolierten ersten Furchungszellen zu einzelnen Stücken des Embryo entwickeln können, so ist zu vermuten, dass sie dies auch unter normalen Verhältnissen, d. h. wenn alle Furch- ungszellen in normaler Weise beisammen sind, thun. Dass bei den einen dieser Tiere früher, bei den anderen erst später die Ergänzung der Teilbildungen beginnt, beruht auf früherer resp. späterer, durch den Defekt bedingter erfolgreicher Aktivierung der Postgenerationsmechanismen. Die Thatsache der Postgeneration ist außer allem Zweifel. Ihr Vorkommen wird für halbe Frösche und halbe Ctenophoren sogar von D. nicht in Abrede gestellt. Es scheint mir nach den obigen Darlegungen passender, dass wir auch die Er- gänzung der typischen Halbbildungen der Echinodermen und Asecidien nicht nach D. bloß auf zufälliges stärkeres Aneinandergleiten von Zellen sondern auf Postgeneration, als Ausdruck der Thätigkeit auf die nach- trägliche Herstellung des Ganzen gerichteter Mechanismen, zurückführen, Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regenerätion. 697 obschon die Ergänzung hier bereits auf der Blastulastufe stattfindet und mit dem Schluss der Defektränder beginnt. Für diese Annahme spricht besonders, dass dieselbe Art der Ergänzung, welche mit dem Schluss der Defektränder unter Bildung einer Blase beginnt, nach Nussbaum auch bei der Regeration zerschnittener erwach- sener Hydrae stattfindet. Dass D. neuerdings (nach privater Mitteilung) auch aus den acht unteren und aus den acht oberen Zellen des 16zelligen Echinodermen- Keimes eine ganze Gastrula erhielt, beweist weder für noch gegen die Spezifizität des entwickelten Teiles dieser Zellen etwas; sondern es bekundet nur, dass diese Zellen noch Voll- Postgenerationsplasson enthalten. Ich habe nun weiterhin früher (Nr. 1 5. 294) bereits die Vermutung ausgesprochen, ohne ihr die Begründung beizufügen, dass wesentlich dieselbenMechanismen wie bei derRe- und Postgeneration auch ohne einen Defekt in Thätigkeit treten, wenn, sei es durch verzögerte Laichung, also durch innere Ursachen oder bei hoch- gradiger künstlicher Deformation der Bier, die Furchung hoch- gradig abnorm verlaufen ist, der Art, dass nicht zusammenpassen- des Kernmaterial, eventuell auch Zellleibmaterial in benachbarten Zellen nebeneinander sich findet, somit gleich oder ähnlich, als wenn die richtig gebildeten und gelagerten Zellen nachträglich durcheinander gebracht worden wären. Versuchen wir zur Begründung dieser Annahme jetzt uns vorzu- stellen, was für Korrelationen bei der Re- und Postgenera- tion im Allgemeinen stattfinden müssen, und welches wohl das aus- lösende Moment dieser Vorgänge sein kann. Bei der von mir beobachteten Postgeneration z. B. des Hemiembryo anterior zu einem ganzen Embryo müssen die am Defektrande und noch in einigem Abstand von demselben gelegenen Zellen Leistungen übernehmen, die sie unter normalen Verhältnissen nicht vollbracht haben würden; denn sie produzieren eine hintere Körperhälfte. Dabei müssen nicht bloß Umlagerungen sondern auch Umdifferenzierungen schon dif- ferenzierter Zellen stattfinden. Bei der Postgeneration einer fehlenden linken Körperhälfte von einer rechten aus hat prinzipiell Aehnliches wieder im anderer Weise zu geschehen. Schneiden wir ferner zwei Hydrae, die eine etwas oberhalb der Mitte, die andere etwas unter- halb der Mitte quer durch, so schließt zunächst jedes der vier Stücke den Wundrand durch Zusammenlegen desselben und regeneriert sich dann in einem Tage ohne Nahrungsaufnahme zu einer vollkommenen, aber dem Materialverlust entsprechend kleineren Hydra. An den beiden größeren Stücken wird bei diesen Experimenten die der ursprünglichen Mitte des Tieres entsprechende Zone in dem einen Falle den fehlenden Kopfteil im anderen den Fußteil durch Umlagerung und Umdifferen- zierung produzieren. XIII. 42 058 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. Es hängt also von der Lage des Defektes zum Ganzen resp. von der Lage der Zellen zum Defekt ab, was aus den an der Re- und Postgeneration beteiligten Zellen hervorgeht. Wodurch wird nun die Regeneration ausgelöst? Eine besonders aus Pathologen gebildete Gruppe von Autoren er- bliekt in dem durch den Defekt hervorgebrachten Wegfall des Seitendruckes an der Unterbrechungsfläche das ursächliche Moment der Regeneration. Bei der Hydra aber ist nach Schluss der Wund- ränder ebenso wie bei dem bereits überhäuteten Stumpf einer abge- schnittenen Extremität des Triton oder überhaupt gewöhnlich nach der Ueberhäutung eines Wunddefektes der Seitendruck wieder her- gestellt und gleichwohl finden darnach die spezifischen Vorgänge der Regeneration: die Umdifferenzierung und Umordnung der bisher anders- artig verwendeten und beschaffenen Zellen zu den fehlenden Organen, ohne oder mit gleichzeitiger Proliferation des Weiteren statt. Der Wegfall des Seitendruckes könnte also bloß für die erste Auslösung herangezogen werden, während für die Auslösung und Direktion der folgenden Vorgänge ein anderes Moment in Anspruch genommen werden muss. Es ist wohl natürlicher, dieses zweite Moment, sofern es von Anfang an wirksam sein kann, auch für die erste Aus- lösung schon in Anspruch zu nehmen. Es scheint mir auch ohne diese thatsächliche Widerlegung schon an sich wahrscheinlicher, dass die Auslösung der Regenerations- und Postgenerationsmechanismen, resp. die Aktivierung des Re- und Post- generationsplasson nicht durch solch ein qualitativ unwesent- liches Moment, wie den bloßen Wegfall des Seitendruckes an der Unter- breehungsfläche sondern durch dasWesentlichstedesVorganges, dureh den Wegfall der spezifisch differenzierten Zellen, und somit durch das Fehlen normaler spezifischer Nachbarschaftswirkungen oder min- destens durch Einwirkung abnormer Reize infolge der neuen Nachbarschaft bedingt ist. Die Verminderung des Seitendruckes, also das Vorhanden- sein des zum Ersatz des Fehlenden nötigen Raumes ist dabei nur in dem Falle als eine unerlässliche Vorbedingung, aber nicht als Ursache der Regeneration anzusehen, wo, wie bei den bereits voll ent- wickelten Individuen der höheren Organismen, wie bei uns, die Re- generation viel weniger unter Umdifferenzierung der bereits vor- handenen differenzierten Zellen des regenerierenden Gebildes als vor- zugsweise unter Bildung neuer, besonderen Raum einnehmender Zellen vor sieh geht (s. Nr. 1 8.296). In diesen Fällen kann durch Wegnahme des durch den Defekt gesetzten Raumes, z. B. durch Ver- nähung einer am Rumpfe gelegenen Defektwunde der Ersatz des fehlenden Stückes fast ganz gehindert werden. Doch ist bei diesen Organismen die Regeneration überhaupt quantitativ und besonders qualitativ gering, soweit sie nieht einfach in Aktivitätshypertrophie besteht. . Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 659 pP 8 8 Nach dieser meiner Annahme findet infolge des Fehlens der nor- malen Nachbarschaft oder infolge der abnormen äußeren Einwirkungen zuerst am Defektrand, also an den die Unterbrechungsfläche begrenzen- den Zellen eine Veränderung statt, die zuerst eime Weckung der kegenerationsmechanismen in ihnen veranlasst, der dann Umdifferen- zıerung und Umordnung dieser Zellen folgt. Sobald und in dem Maße als eine Zellreihe verändert ist, wirkt nun sie selber aus den gleichen Gründen, als es vorher geschah, alterierend auf die bisher noch normale, vom Defektrand abgewendete nächste Reihe von Zellen; und solehe Veränderungen schreiten dann stetig vom Defektrande aus fort. Die Summe der zu einer Zeit noch nicht veränderten Zellen stellt den Stammkomplex von normal verbliebenen Zellen des Indivi- duums dar. Dieser wird also eine Zeit lang stetig vom Defektrande aus durch Umdifferenzierung verkleinert, bis in größerer Entfernung vom Defektrande die Veränderung der Nachbarschaft so gering ist, dass sie nicht mehr auslösend wirkt. Bei relativ sehr großen Defekten da- gegen z. B. bei der Regeneration bloß eines kleinen Stückehens der Hydra zu einem ganzen Tier kann der Stammkomplex zeitweilig viel- leieht fast total schwinden, so dass bloß noch eine einzige Zelle dem Zustande des ursprünglichen Individuums entsprieht und die ihr ent- sprechende Nachbarschaft besitzt. Neben dem Ersatz des Fehlenden findet also bei der Regeneration durch bloße Umdifferenzierung eine sehr ausgedehnte Umbildung des Organismus statt. Dies ist ein Nachteil der Methode, der um so be- deutender werden muss, je differenzierter der Organismus ist. Damit steht es vielleicht in Zusammenhang, dass die höher differenzierten Organismen Regenerationsweisen erworben haben, welche mit sehr starker Proliferation und dem entsprechend eingeschränkter Umdiffe- renzierung einhergehen, Mechanismen, die sich aber auch erst bestä- tigen, nachdem das Individuum eine entsprechend höhere Stufe seiner Entwicklung erreicht hat. Zur Umgehung metaphysischer Vorstellungen habe ich angenommen (Nr. 1 8. 302), dass bei der Regeneration in dem Regenerationsplasson, welches nach einem stattgehabten Defekt allein noch das ganze In- dividuum aber nur potentia repräsentiert, infolge von Einwirkung des noch entwickelt und unverändert vorhandenen Teiles bloß diejenigen Regenerationsmechanismen in Thätigkeit treten, welche das nicht mehr im entwickelten resp. unveränderten Zustande Vorhandene herzu- stellen vermögen. Ich muss daher annehmen, dass diese Regenera- tionsthätigkeit von dem im normalen resp. normaleren Zustande Vor- handenen aus bestimmt und fortwährend geleitet wird, wobei neben seitlichen Wirkungen die zentrifugale Wirkungs-Richtung überwiegen wird, sofern man den vom Defektrand entferntesten Punkt des Indi- viduums als Zentrum bezeichnet. Die genauere Bestimmung dessen, 42* 660 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- nnd Regeneration. was zu geschehen hat, findet also vorwiegend in umgekehrter Richtung statt als die Ausbreitung der ersten Anregung zur Re- oder Postgeneration. Ist die Fähigkeit zur Auslösung und Bethätigung von Regeneration nicht an alle Zellen gleich verteilt, sondern gibt es besondere Zellen, welehen allein oder vorzugsweise die Auslösung und Leitung der Regenerationsmechanismen zukommt, wie z. B. vielleicht dem Schlund- ganglion der Schnecke bei der Regeneration des abgeschnittenen Kopfes, so liegen die Verhältnisse komplizierter; doch eignet es sich nicht, dieselben bei unserer Unkenutnis des Thatsächlichen hier des Weiteren zu erörtern. Verbleiben wir daher bei dem zuerst besprochenen, wohl wesent- lieh auf die Postgeneration unserer Halbbildungen passenden Fall, dass alle Zellen derselben Leibesschicht annähernd gleich stark zur Aus- lösung und Bethätigung der Regeneration befähigt sind, und dass die Regeneration überwiegend durch Umdifferenzieruug erfolgt; dabei wird die verschiedene Art dieser Bethätigung im Einzelfalle bloß von der speziellen Lage des Defektes und damit von der Lage der Zellen zu dem neuzubildenden Stück abhängen. Wir haben uns dann Folgendes vorzustellen: Jede distal vom jeweiligen Stammkomplex gelegene Zelle wird von der proximal gelegenen, sei es direkt oder indirekt, differenzierend beeinflusst, unterliegt also der abhängigen Differenzierung; während sie selbst zugleich auf die mehr distal gelegene Zelle differenzierend wirkt. Ein Gleiches wird in geringerem Grade auch zugleich in seit- licher oder gar auch in umgekehrter Richtung stattfinden. In jedem folgenden Momente der Umdifferenzierung müssen diese Nachbarschafts- differenzen sich ändern, anfangs sich vergrößern, später kleiner werden, um schließlich zu schwinden. Dabei müssen die gröberen, formalen und ‘daher sichtbaren Re- generationsveränderungen sich successive vom Defektrand ausbreiten, wie es den Thatsachen entspricht. Die für unsere jetzige Hauptfrage wichtigste Thatsache ist bei den ganzen Vorgängen die, dass regenerative Mechanismen nicht bloß an den den Defektrand begrenzenden Zellen, sondern auch, je nach der relativen Größe des Defektes und in umgekehrtem Ver- hältnis zur Beteiligung von Proliferation an der Regeneration resp. Postgeneration in mehr oder weniger großer Entfernung von dem Defektrande und damit zum Teile auch in Zellen aus- gelöst werden, welche ihre bisherige Nachbarschaft fast ganz oder ganz behalten haben; nur ist diese Nachbarschaft als qualitativ geändert anzusehen. Und eben nur durch diese abnorme Qualität der Nachbarschaft ist es als vermittelt vorstellbar, dass (bei den niederen Tieren oder bei niederen ontogenetischen Entwieklungs- stufen höherer Tiere) so lange Regenerationsthätigkeit ausgelöst und dirigiert wird, bis wiederum jede Zelle normale Nachbarschaft hat. Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 561 Die spezielle Art und Wirkungsweise dieser regenerativen Vorgänge liegt zur Zeit weit außerhalb des Vorstellbaren. Auf die gleiche Weise kann nun meiner Meinung nach auch, ohne das Vorhandensein eines Defektes, bei den Eiern Driesceh’s, welehe infolge von Pressung sich hochgradig abnorm gefureht hatten, die Bildung eines normal gestalteten Embryo vermittelt werden. Bei diesen abnorm gefurchten Eiern liegt, wenn auch nur erst wenig differenziertes, so doch infolge der abnormen Furehung nieht zusammen- passendes Material neben einander; also ist hier eine prinzipiell ähn- liehe Sachlage vorhanden, wie bei der liegeneration in einiger Ent- fernung vom Defektrande. Es ist also anzunehmen, dass daher auch die gleichen Mechanismen, und zwar bei dem gleichen Material und nicht zu großen Abweichungen gleichfalls bis zur Erreichung desselben Endproduktes, d.h. eines normal gestalteten Embryo, thätig werden, resp. thätig bleiben. An den äußeren Formen der Gebilde kann man dies leider nieht erkennen; aber bekanntlich verläuft auch die Regeneration oft unter den Formen der normalen s. direkten Entwieklung, selbst bei der Entwieklung aus dem Stücke eines bereits hoch differenzierten Organismus unter Verwendung dieses differenzierten Materiales, obgleich die inneren Vorgänge notwendig im mancher Beziehung wesentlich andere sein müssen, als bei der normalen Entwicklung aus dem nicht- differenzierten Ei oder seinen, typische normale Vorstufen des zu Bildenden darstellenden Furchungszellen. Da wir oben erfahren haben, dass thatsächlich bereits die beiden ersten Furchungszellen der Frösche, Ütenophoren, Aseidien und Eehinodermen erkennbar verschiedene Gestaftungsfähigkeit haben, indem sie bestimmte halbe Embryonen bildeten und beim Frosch bereits eben- solche Gründe für die gleiche Annahme bezüglich der darauf gebildeten vier Zellen vorliegen, so müssen wir auch bei der Verlagerung dieser Furchungszellen gegen einander in der eben dargelegten Weise damit rechnen. Bei Driesch’s und O. Hertwig’s Annahme von der vollkom- menen Gleichheit dieser ersten Furchungszellen müssten übrigens die normalen Entwicklungsvorgänge noch verschiedener von denen der Regeneration sein, obgleich sich beide unter denselben äußeren Formen vollziehen; D.’s Schluss „von gleichen Produkten auf gleiche Bildungs- weisen“ muss somit direkt als unzutreffend bezeichnet werden; womit seine ganze weitere Schlussreihe ihre angebliche sichere Basis und damit ihre eigene Sicherheit verliert. Da wir somit mit denselben Mechanismen, welche wir für die Re- und Postgeneration anzunehmen triftigen Grund hatten auch die Entwieklung bei den gleichsam ver- lagerten oder nicht normal spezifizierten Furchungszellen stark ge- presster Eier ableiten können, also ohne eine neue besondere Annahme für diesen Fall zu machen, so scheint mir diese Ableitung 662 ‚Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. derjenigen D.’s, welche ganz besondere Annahmen machen muss und sogar das fundamentale Prinzip der Kontinuität der Gestal- tungen von Anfang der Entwicklung an (s. unten S.668 und Nr.1 5.330) durchbricht, vorzuziehen, ganz abgesehen davon, dass Driesch’s und O0. Hertwig’s Auffassung mit unumstößlichen Thatsachen in direktem Widerspruche steht. Meine Auffassung dagegen steht mit allen bezüglichen bekannten Thatsachen im Einklang, ohne es nötig zu haben, ihnen irgend Gewalt anzuthun. Wer sich über die Sachiage genauer zu informieren wünscht, den ersuche ich, meine ausführliche Abhandlung (Nr. 1) einzusehen. Es erhellt, dass die dargelegte Auslösungs- und Bethätigungsweise der Regenerationsmechanismen der Art ist, dass diese Mechanismen überhaupt durch jede nicht unter der Reizschwelle liegende Störung der Anordnung und Beschaffenheit von Zellen in Thätigkeit gesetzt werden müssen, einerlei durch welche innere oder mechanische, che- mische, thermische, elektrische äußere Ursache diese Störung selber hervorgebracht worden ist. Immerhin verkenne ich nicht und habe ich nicht verschwiegen, dass auch das Besondere meiner Auffassung noch viele Probleme einschließt; und ich erkenne an, dass der Widerspruch bei der Behandlung so fun- damentaler und schwieriger Fragen an sich nützlich ist. Er vermindert aber seinen Nutzen und sein Verdienst, wenn er sich in apodiktischen Aeußerungen und in Vergewaltigungen der Thatsachen ergeht, statt alle Argumente, auch die der eigenen Auffassung widersprechenden, ein- gehends zu prüfen und gegen einander sorgfältig und objektiv abzu- wägen. Ich hoffe, die Zukunft wird befinden, dass meinem eigenen Streben nach dieser letzteren Richtung hin der Erfolg nicht ver- Sagt war. Da sich die Entwicklungsmechanik wohl fernerhin mehr und em- gehender als bisher mit den wichtigen und schwierigen Problemen der Regeneration resp. Postgeneration zu befassen haben wird, so scheint es zeitgemäß, dass wir versuchen, uns die bezüglichen Vorgänge noch ein wenig genauer vorzustellen und die zu Grunde liegenden Korrelationen mehr zu analysieren; zumal da auch unter normalen Verhältnissen gleiche oder ähnliche Wirkungen vorkommen werden; außerdem aber, um womöglich die Aufstellung neuer Alternativen an- zubahnen, über welche auf experimentellem Wege eine Entscheidung gewonnen werden kann. Wir haben nach dem vorstehend Dargelegten bei allen regenera- tionsfähigen Organismen, soweit als die erörterten Regenerationswechsel- wirkungen der Teile gehen, neben den funktionellen Wechsel- beziehungen der Teile noch gestaltliche Wechselwirkungen der Teile untereinander als möglich anzunehmen. Während des Ablaufes der normalen Entwicklung kommen dazu noch die normalen ge- en. Roux, Spezifikation der Furchungszellen ; Post- und Regeneration. 663 staltenden Wechselwirkungen. Wie weit beide letzteren Wirkungs- arten identisch, und worin sie von einander unterschieden sind, ist vorläufig nicht zu sagen. Aber beim Anfange der vollkommen normalen Entwicklung aus dem Ei nehmen die den regenerativen Wechselwirkungen entsprechenden Wirkungsweisen, wie es scheint, keinen so großen ge- staltenden Anteil, wenigstens nicht an dem Aufbaue des Organismus aus den einzelnen Vierteln, da jede der vier ersten Zellen sich eine Strecke weit zu einem besonderen Viertel des Embryo selbständig entwickeln kann. Da aber, wenn ein Stück des, wenn auch nur erst sehr wenig weit entwickelten aber immerhin bereits entsprechend differenzierten Ganzen fehlt, rascher oder langsamer die Mechanismen der Ergänzung des defekten Entwickelten in Thätigkeit treten, so müssen trotz dieser selbständigen Entwicklungsfähigkeit doch gestaltliche Wirkungen zwischen diesen Teilen möglich sem. Von derartigen Wirkungen wissen wir aber nicht, wie weit sie im Allgemeinen schon unter nor- malen Verhältnissen stattfinden, oder ob sie überhaupt erst bei Störungen: Defekten, Verlagerungen ete. aktuell werden. Außerdem müssen ebenso rätselhafte Beziehungen zwischen den entwickelten Zellenund dem von ihnen eingeschlossenen Regenerationsplasson möglich sein; diese werden vielleicht auch erst durch die Veränderung, die das Fehlen eines Teiles, resp. die Anwesenheit abnormer Nachbarschaft setzt, geweckt. Da die typische Struktur und Gestalt der Organe sich aus sehr vielen einander funktionell gleichen Zellen zusammensetzt, so kann das angedeutete gestaltliche Leben nicht an die beim funktionellen Leben thätigen Qualitäten der entwickelten Zellen geknüpft sein; sondern es müssen in funktionell gleichen Zellen noch Verschieden- heiten vorhanden sein, welche in gewisser Weise und innerhalb gewisser Grenzen der Lage der Zellen unter den Nachbarn und dieser im ganzen Organ und eventuell des Organes im Organismus entsprechen. Diese Lageeigenschaften entsprechen nun aber, wie ich oben für den auf früher Entwicklungsstufe sehr regenerationsfähigen Frosch- embryo dargethan habe, nicht einer einzigen festen räumlichen Lage jedes Teiles zu den anderen; sondern nicht unmittelbar benachbarte Zellen können, wie zu folgern war, ohne die wesentlichen Differen- zierungsvorgänge zu stören, sehr gegen einander verschoben sein und ein sehr von der normalen Gestalt abweichendes aber dieser Ab- weichung proportional im Innern normal ausgestaltetes Gebilde aus sich produzieren. Dabei werden die Zellen selbst auch entsprechend deformiert sein, behalten aber, und das ist wohl das Bedingende, jede ihre nor- male nächste berührende Nachbarschaft, resp. auch ihre normale Kontinuität mit entfernteren Teilen. Aus der bezüglichen Thatsache eben erschlossen wir, dass die sestaltlichen'Beziehungen der Teile des Embryo nicht 664 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. wesentlich räumliche, an feste gegenseitige Lage in den drei Dimensionen des Raumes gebundene, sondern wesentlich per eontigui- tatem et continuitatem vermittelte, von mir sogenannte Nachbar- schaftswirkungen sind, zu welchem auch eventuelle chemotaktische (Nr. 17), elektrische u. a. anscheinende Fernwirkungen gehören. Wenn dagegen diese Nachbarschaftsbeziehungen gestört würden, dann würde auch die normale Gestaltungsthätigkeit selber gestört und dies erkennbar werden, soweit die Störungen nieht durch die hegenerationsmechanismen sogleich ausgeglichen werden. Ich verkenne nicht, dass die der äußeren Deformation des Embryo eutsprechende Umgestaltung innerer Teile, welche sich nach dieser Auffassung einfach mechanisch aus der passiven räumlichen Ver- 'agerung bei Erhaltung der normalen Kontiguität und Kontinuität der Zellen und aus den Druckwirkungen der wachsenden Teile aufeinander ergibt, auch unter Verwendung eines mystischen Prinzipes räumlicher Lagewirkungen aus den Aenderungen der Gesamtkonfiguration abge- leitet werden kann; nur scheint es mir nieht angebracht, dies bei dem Vorhandensein der anderen Möglichkeit anzunehmen. Wir wollen nun noch die verschiedenen gestaltenden Be- ziehungen unter den thätigen Teilen des Organismus etwas genauer präzisieren und behufs späterer Verwendung mit beson- deren Bezeichnungen belegen. Unter Differenzierung verstehen wir dabei bloß morpho- logische Veränderungen, also formale, strukturelle sowie sogenannte qualitative, immer aber mehr oder weniger lange Zeit bleibende (resp. bei fortschreitender Differenzierung eine Vorstufe anderer blei- bender Aenderungen darstellende) Veränderungen, im Gegensatz zu den bloß funktionellen, einer kurz vorübergehenden Leistung dienen- den und danach sogleich wieder rückgebildeten Veränderungen. Doeh können die funktionellen Veränderungen z. B. in Form der Aktivitäts- hypertrophie und der qualitativen funktionellen Anpassung auch mit bleibenden, also morphologischen Veränderungen (somit mit Differen- zierung) verbunden sein; und soweit fallen auch die an sich rein funktionellen Korrelationen in den Bereich unserer kausalmorphologi- schen Forschung. Es sind zunächst die oben erörterten Unterscheidungen der Vor- gänge der Selbstdifferenzierung, differentiatio sui, und der abhängigen Differenzierung, differentiatio ex alio, auf die dabei thätigen Teile zu übertragen. Als Selbstdifferenzierungsgebilde (Organe, Zellen oder aktive Zellteile (s. Nr. 16 8. 435) resp. aktive Zellderivate) sind zu bezeichnen Gebilde, welche, resp. soweit sie aus in ihnen selber liegen- den Ursachen sich verändern. Dabei ist abgesehen von nötigen äußeren Einwirkungen, welche bloß als Vorbedingungen aufzufassen sind, wie Zufuhr von Nahrung, Sauerstoff und Wärme; dies gilt also nur Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 665 sofern resp. soweit diese äußeren Einwirkungen nicht die spezifische Natur den Ort, die Zeit und Größe der Veränderung bestimmen; die Zeit bestimmen sie nicht, wenn die bezügliche Veränderung nicht früher als normal stattfindet, obschon diese Vorbedingungen bereits früher er- füllt sind; den Ort nieht, wenn sie ausgedehnter verbreitet sind als die bezügliche Aenderung; die Intensität nicht, wenn trotz Schwankungen dieser äußeren Bedingungen die Größe der Veränderungen nicht ge- ändert wird; die Qualität nicht, wenn es sich um reingestaltende Aenderungen und bei qualitativen Aenderungen, wenn es sich nieht um stoffliehe sondern bloß um thermische, mechanische ete. Vorbedingungen handelt. Dagegen wird natürlich der Sauerstoff oder anderes Material, welches mit organischen Teilen in chemische Verbindung tritt, die “ualität dieser Verbindung mitbestimmen, wenn oft auch nur zu einem verhältnismäßig kleineren Teile, als es bei anorganischen Verbindungen geschieht. Als abhängige Differenzierungsgebilde sind Gebilde so lange resp. soweit zu bezeichnen, als ihre Veränderung ganz oder zu einem wesentlichen Teile, d. h. nach Art, Zeit, Ort oder Intensität der Veränderung, von außerhalb des Gebildes bestimmt wird. Sind Art, Ort, Zeit und Größe der Veränderung eines Gebildes alle von außenher bestimmt, ist also die Diiferenzierung desselben ähnlich wie die aus einem Marmorblock gemeißelte Gestalt voll- kommen von den äußeren Einwirkungen abhängig, so kann dieser höchste Grad abhängiger Veränderung wohl als passive Differen- zierung und das Gebilde als passives Differenzierungsgebilde bezeichnet werden. Da Art, Ort, Zeit und Intensität einer Veränderung jedes dureh eine andere Ursache bedingt sein und jede derselben entweder in dem betreffenden Gebilde selber liegen oder ihm von außen zugeführt werden kann, so kann auch eine und dieselbe Veränderung nach einer oder einigen dieser Richtungen hin eine Selbstdifferenzierung und nach anderen hin zugleich eine abhängige Differenzierung des veränderten Gebildes sein, so dass wir vollkommene und unvollkommene Selbstdifferenzierung, differentiatio sui perfeeta et im- perfeeta zu unterscheiden haben. Durch diese vielen Möglichkeiten wird unsere Aufgabe der vollständigen Erforschung aller Ursachen jeder morphologischen Veränderung überaus schwierig und kompliziert. Ferner kommt es vor, dass dasselbe Gebilde sich nach einander bald mehr oder ganz durch Selbstdifferenzierung, bald mehr durch abhängige Differenzierung verändert; und dies nicht bloß bei ver- schiedenen Veränderungen sondern auch bei späteren, aber unter anderen Verhältnissen sich vollziehenden Wiederholungen scheinbar derselben Veränderung. Dasselbe Gebilde kann also bald Selbstdifferenzierungs-,bald abhängigesDifferenzierungs- Gebilde, bald beides zugleich sein. 566 Roux, Spezifikation der Furchungszellen ; Post- und Regeneration. So kann man für die meisten Organe, z. B. Knochen, Muskeln, Drüsen eine erste Periode der Anlage und des seibständigen Wachsens und Erhaltens von einer späteren Periode des funktionellen Lebens unterscheiden, in welcher letzteren weiteres Wachstum und dauernde Selbsterhaltung nur unter dem Einfluss der Ausübung der Funktion stattfinden: eine besonders orthopädisch überaus wichtige aber gewöhn- lich nicht berücksichtigte Verschiedenheit (s. Nr. 18 5. 180 und Nr.9 8.3). Ferner ist oft die Gestaltung eines Organes teils von innen teils von außen her bedingt. So ist z. B. die Entwicklung der spezifischen Struktur der Leber wohl als Selbstdifferenzierung der Leber aufzufassen, die Leber also nach dieser Richtung hin ein Selbstdifferenzierungs - Gebilde; während ihre gleichzeitig ausgebildete äußere Gestalt bei gegebener Masse des Organes bloß einen Abguss des Raumes zwischen den Nachbarorganen, also eine passive Differenzierung darstellt. Aehnliches gilt z. B. für Lungen und Nieren, weniger für Gehirn und Muskeln und zum Teil auch noch für die Knochen (s. Nr. 19). Im Gegensatz zu den in der Selbständigkeit ihrer Differenzierung wechselnden Gebilden, den temporären Selbstdifferenzierungs- gebilden und den temporär abhängigen Differenzierungs- sebilden kann es nun Gebilde, z.B. Zellen oder Zellteile, geben, welche stets der Selbstdifferenzierung unterliegen. Diese seien als perma- nente Selbstdifferenzierungsgebilde, ihr Gegenteil als per- manent abhängige Differenzierungsgebilde bezeichnet. Von Wichtigkeit ist ferner noch neben der Bezeichnung des ab- hängig differenzierten Gebildes die Bezeichnung des diese Thätigkeit ausübenden resp. veranlassenden Gebildes. Gebilde, welche auf andere differenzierend wirken, will ich Ander- differenzierungsgebilde(z.B. Anderdifferenzierungszellen)nennen. Die differenzierende Wirkung kann von einer gleichzeitigen oder eben vorausgegangenen, selbständigen oder unselbständigen Aenderung des differenzierend wirkenden Gebildes abhängen. Es ist aber auch denkbar, dass Gebilde auf andere differenzierend wirken, ohne sich selber dabei morphologisch zu verändern oder unmittelbar vorher verändert zu haben; solche Gebilde würden bei ihren gestaltenden Einwirkungen bloß aufgespeicherte Energie verbrauchen ohne ihre eigene Struktur dabei zu ändern. Selbstdifferenzierungsgebilde, welche, resp. so lange sie nieht auf andere differenzierend wirken, seien als Alleinselbstdifferenzierungs- gebilde oder kürzer als Alleindifferenzierungsgebilde (z. B. Alleindifferenzierungszellen) bezeichnet. Es wird ferner nötig werden, den relativen Grad differenzierender Wirkungen verschiedener Gebilde (z.B. Zellen oder Zellteilen), welche Teile eines und desselben organischen Gebildes sind, zu unter- scheiden. Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 667 Die stärker differenzierend wirkenden Gebilde seien als Dif- ferenzierungs-Hauptgebilde (z.B.Differenzierungs-Haupt- zellen), die schwächeren als Differenzierungs-Nebengebilde (z. B. Differenzierungs-Nebenzellen) bezeichnet. Da z.B. nach Entfernung des Zellkerns der Zellleib der Protisten nicht regenerationsfähig ist, so weist dies darauf hin, dass dem Kern der Rang eines Differenzierungs-Hauptgebildes gegenüber dem Zellleib zukommt. Schon bei der Beurteilung der normalen Bildungsvorgänge wird es wichtig sein, die verschiedene Größe des Wirkungsfeldes und der Wirkungsintensität der Differenzierungs-Hauptzellen und der Differen- zierungs- Nebenzellen zu kennen. Besonders wichtig wird aber diese Distinktion unter abnormen Verhältnissen; denn dann wird oft eine direkte Konkurrenz zwischen den verschiedenen Ander- differenzierungszellen vorkommen, in welcher gewöhnlich die Differenzierungshauptzellen über Ditferenzierungsnebenzellen, unter ab- hängiger Umdifferenzierung letzterer siegen werden. Doch ist es denk- bar, dass auch ein Komplex von Differenzierungsnebenzellen über eine oder einige, in seinen Wirkungsbereich geratene Ditferenzierungs- hauptzellen siegt und sie der eigenen differenzierenden Einwirkung unterwirft. Solcherlei Vorgänge müssen, wie wir oben sahen, in ausgedehntem Maße bei der Re- und Postgeneration angenommen werden. Die dem Stammkomplex der zerschn'ttenen Hydra näher liegenden Zellen werden bei der wirklichen Regenerationsthätigkeit im Allgemeinen sich als Differenzierungshauptzellen zu den distalen Nachbarn verhalten; diese somit als Differenzierungsnebenzellen zu betrachtenden Gebilde werden aber gleichzeitig auf die weiter distalen, dem Defekt näheren Zellen, als Difierenzierungshauptzellen wirken; während vorher bei der Aus- lösung der Regeneration der Prozess der Umänderung die umgekehrte Richtung einschlagen musste. Solche Wirkungen müssen meiner Meinung nach auch schon inner- halb der Breite der normalen Entwicklung infolge der häufigen kleinen Abweichungen, der sogenannten Variationen nötig sein; dies kann der Grund ihrer phylogenetischen Züchtung gewesen sein. So habe ich schon vor Jahren (s. Nr. 9) mitgeteilt, dass nicht selten nach der dritten, wagrechten s. äquatoriellen Furchung des Froscheies die vier kleineren oberen Furchungszellen sich gegen die vier unteren größeren um 45° verschieben, wodurch das entsprechende obere Stück der ersten Furchungsebene, welche die Medianebene des Embryo darstellt um 45° gegen das größere untere Stück verdreht wird. Es schien mir aus den Beobachtungen hervorzugehen, dass unter diesen Verhältnissen die Medianebene des späteren Embryo der Rich- tung des unteren Stückes der Furchungsebene folgte, wonach die unteren vier Zellen die Differenzierungshauptzellen bei dieser Bestim- 58 Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration, > ’ mung, die oberen dagegen nur Differenzierungsnebenzellen darstellen würden. Wird, wie bei sehr starker Pressung während der Furchung der Eier, die Abnormität in der Lagerung oder Beschaffenheit der Furch- ungszellen sehr stark, so können wir nicht wissen, welche Gruppe von Zellen die weitere Entwicklung bestimmen wird; es ist dabei zu- gleich natürlich, dass die Medianebene nicht mehr mit einer der drei ersten Furchungsebenen zusammenfällt (s. Nr. 10). Aehnliches kann mutatis mutandis bei den durch abnorme Wärme veranlassten Abnormitäten der Furchung (s. Nr. 7 S. 12) der Fall sein. Auch hier entzieht sich jedoch das Wesentliche des einzelnen Falles vor- läufig unserer Beurteilung, so dass zur Zeit dieses Beobachtungsmaterial weder zur Stütze für noch gegen eine der beiden einander entgegen- stehenden Auffassungen verwendet werden kann. Infolge dieser Korrelationen ist es natürlich vielfach von der Lage der Zellen zu anderen Zellen abhängig, was aus ihnen wird. Wenn abhängige Differenzierungszellen neben andere Anderdifferen- zierungszellen zu liegen kommen, als es normal geschieht, so wird etwas Anderes aus ihnen als bei der normalen Nachbarschaft. Wenn ein Komplex zusammenpassender Differenzierungs nebenzellen unter Umständen stärker differenzierend wirken kann, als eine geringere Anzahl oder einzelne Difterenzierungshauptzellen, so kann bei Verlagerung letzterer neben oder unter erstere Zellen diese Lageänderung zur Folge haben, dass selbst aus Differenzierungshaupt- zellen etwas Anderes hervorgeht als unter normalen Verhältnissen aus ihnen entstanden wäre. Neben diesen vielfachen differenzierenden Wechselwirkungen dürfen wir aber nicht außer Acht lassen, dass typische Gestaltungen der Organismen nur von typischen Gestaltungen aus reproduziert werden können. Die typische Wiederholung organischer Gestal- tungen setzt eine ununterbrochene Kontinuität typischer Gestaltungen voraus. Zum Wesen einer typischen Gestaltung eines Organismus gehört typische Beschaffenheit und typischer Ort inkl. Zeit der betreffenden Gestaltung. Solche Gestaltung kann daher bloß entweder aus lauter typisch beschaffenem und gelagertem Materiale oder zweitens bei Ver- wendung atypisch beschaffenen oder gelagerten Materiales unter dem bestimmenden gestaltenden Einfluss von Typischem auf dieses atypische Material hervorgebracht werden. Zum Beispiel kann aus Mesenchym- zellen, welche atypische Bahnen gewandelt sind, typische Gestaltung nur unter dem sgestaltenden Einfluss typisch gelagerter Zellen (der epithelialen Keimblätter oder des Mesenchyms) entstehen. Oder wenn nach Friedr. Dreyer die Gestaltung des Radiolariengerüstes durch die Kräfte der Blasenspannungen, also wesentlich einfach physikalisch bedingt ist; so müssen doch, soweit als diese Gestaltung in spezieller Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration 660 Beschaffenheit und Lage bei den Nachkommen in der gleichen Weise wiederholt wird, die diese typische Wiederholung bestimmenden Mo- mente ihrerseits dureh Typisches reproduziert werden. Ueberblicken wir schließlich die vorstehend behandelte Hauptfrage, so könnte es scheinen, der Kampf der Meinungen fände in letzter Instanz darüber statt, ob es wesentlich bloß eine einzige Art der Entwicklung der Individuen gibt, aus welcher dann alle vorliegenden Thatsachen abgeleitet werden können, oder ob zwei wesentlich verschiedene Arten der individuellen Entwieklung vorkommen. Von der Vermehrung durch Knospung ete. haben wir in unserer Erörterung abgesehen. Es hat sich aber gezeigt, dass O.Hertwig undH.Driesch statt einer drei verschiedene Entwickelungsarten annehmen und zugleich mehrere Thatsachen verleugnen müssen, insbesondere die, dass man beim Frosch unter normalen Verhältnissen ausnahmslos bereits vor der ersten Furehung die drei Hauptriehtnngen des Embryo bestimmen kann, sowie dass man sicher vorhersagen kann, ob eine der beiden ersten Furchungszellen nach Zerstörung der anderen Zelle einen rechten oder linken vorderen oder hinteren halben Embryo liefern wird. Diese Auffassung kann demnach nicht richtig sein. Die verschiedenen, nieht von einer einzigen Bildungsweise ableit- baren Thatsachen haben mich dagegen veranlasst, zwei entsprechend verschiedene Bildungsmodi aufzustellen (s. Nr.11 u. 1): Erstens einen Bil- dungsmodus für die normale Entwieklung, den ich als Modus der direk- ten Entwieklung bezeichnete, weil er typisch verläuft; derselbe ist, von speziellen Einzelheiten abgesehen, besonders durch hochgradige Selbstdifferenzierung einiger oder vieler Teile des gefurchten Eies, resp. des Embryo charakterisiert und stellt von Anfang an ein typisches System bestimmt gerichteter differenzierender Vorgänge dar, welches in festen Beziehungen zu den Hauptrichtungen des späteren Embryo steht. Zweitens den Modus der indirekten Entwicklung, welcher bei unserer früheren Kenntnis bloß für die Re- und Postgeneration anzunehmen war, dem sich aber, wie oben dargelegt, auch die Ent- wieklung bei hochgradig abnormer Furchung nach sehr starker Pressung der Echinodermen- und Froscheier und bei sonstigen Störungen einfügt. Diese indirekte Entwicklung ist im Gegensatz zu ersterer charak- _ terisiert durch entsprechend atypischen aber von einem stets vor- handenen, wenn auch nur kleinen, typischen Teile aus geleiteten Ver- lauf und wird vermittelt durch hochgradige regulierende gestaltende Korrelationen der Teile unter einander. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass beiden Entwicklungsarten mannigfache Arten von Korrelationen gemeinsam sind; im Gegenteil die normale s. direkte Entwieklung be- darf bei den häufig vorkommenden kleinen Abweichungen dieser regu- lierenden Korrelationen; so kommen auch bei beiden Entwicklungs- arten Umdifferenzierungen von bereits Differenziertem vor. 6570 Roux, Spezifikation der Furchungszellen,; Post- und Regeneration. Soweit es angemessen ist, für verschiedene Ursachen auch ver- schiedenes Material, also für verschiedene Energie auch verschiedenen Stoff als Sitz resp. Quelle derselben anzunehmen, nehme ich zweierlei Hauptbildungsstoffe an: das Idioplasson der direkten Entwick- lung, welches gewöhnlich durch die Befruchtung, bei Partheno- genesis durch ein anderes, unbekanntes Moment, aktiviert wird; und das Idioplasson der indirekten Entwicklung, welches bei der direkten Entwicklung zeit- und teilweise qualitativ halbiert, teilweise qualitativ ungleich geteilt wird, und welches erst durch einen Defekt an dem bereits mehr oder weniger entwickelten Ganzen oder durch Störung der Anordnung oder Qualität der entwickelten Teile aktiviert wird. Normaler Weise herrscht ersteres Plasson über die nicht selbst- differenzierungsfähigen Teile des Eies; ist letzteres Plasson aktiviert, so vermag es als temporäres Differenzierungshauptplasson die Herr- schaft über bereits Differenziertes zu übernehmen und Umdifferenzierung desselben zu veranlassen. Wir wollen versuchen, noch einen etwas weiteren Einblick in das Wesen der beiderseitigen Auffassungen zu gewinnen, indem wir die zu Grunde liegenden Verschiedenheiten vom Ontogeneti- schen in’s Phylogenetische zurückverfolgen. Die Protisten sind gleich der befruchteten Eizelle der Haupt- sache nach vollkommen selbstdifferenzierungsfähig, denn in demselben Tümpel, also unter wesentlich denselben äußeren Bedingungen, ent- wickeln sich die verschiedensten Protistenformen neben einander, jede in ihrer typischen Weise. Auch Protisten sind einer direkten Ent- wieklung, ausgehend von einer bestimmten Art der Selbstteilung des eneystierten, vereinfachten Individuums fähig; daneben kommt allgemein die Regeneration des entwickelten Individuums, sei es nach typischer Selbstteilung desselben, oder nach zufälligem Defekt vor. Die Verschiedenheiten zwischen beiden Entwicklungsarten mögen dabei quantitativ viel geringer sein als bei den Metazoen; qualitativ aber besteht wieder der Gegensatz zwischen typischer Entwick- lung des typisch Differenzierten aus einem Einfacheren einerseits und Ergänzung eines in bestimmter Weise Differenzierten aber atypisch Defekten von dem bereits differenzierten Zustande aus. Wir haben also auch in diesen Fällen schon die oben unterschiedenen zwei Arten von Idioplasson anzunehmen. Ein vielzelliges Wesen konnte aus diesen einzelligen selbst- differenzierungsfähigen Protisten entstehen, indem die Nachkommen einer Zelle zusammenblieben und sich dabei, wohl zunächst an den Berührungs- flächen, nieht mehr so voll aus differenzierten, wie es beim einzelnen Freileben jeder Zelle geschah. Also durch das Zusammenbleiben wurde veranlasst, dass sich jede der gleichwertigen Zellen nicht mehr zu einem Ganzen entwiekelte. Vielleicht war eine ähnliche Vorstellung die erste Veranlassung zu der Ansicht O. Hertwig’s. Roux, Spezifikation der Furchungszellen; Post- und Regeneration. 671 ‚„ >] g 3 Für die hochentwickelten Metazo&en indess, für welche OÖ. Hertwig (s. Nr. 14 u. 15) diese Entwicklungsart behauptet: für Amphibien und Eehinodermen wie auch für Ctenophoren, Aseidien und Amphioxus ist die Sachlage meiner Meinung nach eine wesentlich andere. Wir dürfen nicht annehmen, dass alle die Eigenschaften dieser hoch entwickelten Tiere bloß durch Hemmung der Ausbildung von Eigenschaften der Protisten, also durch Rückbildung entstanden sind; das würde zu der Auffassung führen, dass wir bloß degenerierte Pro- tisten seien. Im Gegenteile, diese Entwieklung geschah, wenn auch auf Kosten der Vielseitigkeit der einzelne Zeilen, jedenfalls durch Er- werbung vieler neuer Eigenschaften: der spezifischen Gewebs- qualitäten und neuer typischer Gestaltungen durch den Aufbau aus vielen Zellen. Wir stehen somit nun aufs Neue vor der Frage, auf was für allgemeinen Entwicklungsmechanismen die der Ausbildung dieser Qualitäten und Gestaltungen zugrunde liegenden Mechanismen beruhen. Denkbar sind sehr verschiedene Weisen, wenn auch ihre Zweck- mäßigkeit sehr ungleich ist; und alle werden mit Selbstregulation innerhalb gewisser Breite behufs Korrektion unausbleiblieher Störungen arbeiten müssen. Wir wollen aber ermitteln, was thatsächlich ge- schieht. Beim Beginn meiner entwicklungsmechanischen Studien habe ich deshalb die bezüglichen Möglichkeiten: Korrelation, Selbstdifferenzierung und Kombinationen beider erörtert und dann experimentell Sehritt für Schritt den Anteil jedes beider Prinzipien an der wirklichen Entwick- lung bereits eine Strecke weit geprüft. O. Hertwig dagegen hat sich bei seinem jüngsten, ersten entwicklungsmechanischen Versuch unter Uebergebung der bereits vorliegenden Thatsachen sogleich apo- diktisch und ausschließlich für die absolute Korrelation der Teile des Eies unter einander ausgesprochen Dureh sehr frühzeitige Auslösung der Postgenerationsthätig- keit nach dem experimentellen Eingriff wird die gesonderte Prüfung der direkten Entwicklung bei manchen Tieren, so bei Echinodermen und Amphioxus, sehr erschwert; während Frösche und Ctenophoren den Verlauf der direkten Entwicklung eine größere Strecke weit für sich zu verfolgen gestatten und daher für unser bezügliches Studium sich mehr eignen und zuverlässigere Schlüsse gestatten als erstere Tiere, auf deren Verhalten sich H. Driesch vorwiegend, genau genommen ausschließlich stützt !). 1) Während der Drucklegung vorstehender Mitteilung sind neue entwick- Inngsmechanische Studien H. Driesch’s, Nr. VII-X (in den Mitteilungen aus der zoologischen Station zu Neapel, Bd. XI, Heft 1u. 2) erschienen. Die darin mitgeteilten Thatsachen und Erörterungen bieten keine Veranlassung, an den obigen Ausführungen etwas zu ändern. 672 Roux, Spezifikation der Furchungszellen ; Post- und Regeneration. Litteratur. [1] Roux Wilh., Beitrag VII zur Entwicklungsmechanik des Embryo: Ueber Mosaikarbeit und neuere Entwicklungshypothesen. Merkel-Bonnet, Anatom. Hefte, 1893, S. 279-333. [?] Driesch Hans, Zur Theorie der tierischen Formbildung. Biol. Central- blatt, 1893, S. 296 - 312. [3] Derselbe, Entwicklungsmechanische Studien I u. 1I. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, LIIL, 1, 1891. [4) Selenka Emil, Studien über Entwicklungsgeschichte der Tiere. Heft II: Die Keimblätter der Echinodermen. Wiesbaden 1883. [5] Fiedler Karl, Entwicklungsmechanische Studien an Echinodermeneiern. In der Festschr. d. Univers. Zürich f. d. HH. von Naegeli und von Kölliker. Zürich 1891. [6] Barfurth Dietrich, Halbbildung oder Ganzbildung in halber Größe. Anat. Anzeiger, 1893, Nr. 14. [7) Driesch H., Entwicklungsmechanische Studen III—VI. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, LV, 1, 1892. [3] Roux Wilh., Beitrag V zur Entwicklungsmechanik des Embryo: Ueber die künstliche Hervorbringung halber Embryonen durch Zerstörung einer der beiden ersten Furchungskugeln, sowie über die Nachentwick- lung (Postgeneration) der fehlenden Körperhälfte. Virchow’s Arch,, Bd. 114, 1888. [9) Derselbe, Beitrag III zur Entwicklungsmechanik des Embryo: Ueber die Bestimmung der Hauptrichtungen des Froschembryo im Ei und über die erste Teilung des Froscheies. Breslauer ärztl. Zeitschrift, 1885, Nr. 6—9. [10] Derselbe, Ueber die ersten Teilungen des Froscheies und ihre Be- ziehungen zu der Organbildung des Embryo. Anat. Anz., 1893, Nr. 18. [11] Derselbe, Ueber das entwicklungsmechanische Vermögen jeder der beiden ersten Furchungszellen des Eies. Verh. d. anat. Ges., 1892. [12] Derselbe, Beitrag IV zur Entwicklungmechanik: Die Bestimmung der Medianebene des Froschembryo durch die Kopulationsrichtung des Ei- kernes und des Spermakernes. Arch. f. mikr. Anat., 1887, Bd. 29. [13] Derselbe, Beitrag I zur Entwicklungsmechanik: Zur Orientierung über einige Probleme der embryonalen Entwicklung. Zeitschr. f. Biologie, Bd. XXI, 1885. [14] Hertwig Oscar, Urmund und Spina bifida. Arch. f. mikr. Anatomie, Bd. 39, 1892. [15] Derselbe, Aeltere und neuere Entwicklungstheorien. Rede. Berlin 189. [16] Roux W., Ziele und Wege der Entwicklungsmechanik; Merkel-Bonnet, Ergebnisse der Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. II, 1892. [17] Derselbe, Ueber die Selbstordnung der Furchungszellen. Drei Mit- teilungen. Ber. d. med.-naturw. Vereins zu Innsbruck, April 1893. [18] Derselbe, Der Kampf der Teile im Organismus. Leipzig 1881. [19] Derselbe, Das Gesetz der Transformation der Knochen. Kritisches Referat. Berliner klin. Wochenschrift, 1893, Nr. 21 ff. Schmidt, Zur Blutlehre. 673 Alexander Schmidt, Zur Blutlehre. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1892, 270 Seiten. (Schluss.) 8.Kapitel: Ueber die Wechselwirkung zwischen Protoplasma und Wasserstoffsuperoxyd. Wasserstoffsuperoxyd wird von keinem Körper so energisch zer- setzt, als wie von Protoplasma, weshalb dasselbe ein vorzügliches Reagens auf letzteres darstellt. Diese Zersetzung beruht jedoch auf einer Wechselwirkung, indem hiebei die katalytische Kraft des Proto- plasmas allmählich verloren geht. Die verschiedenen Protoplasma- formen zeigen große quantitative Differenzen, wobei die Widerstands- fähigkeit des Protoplasmas und seine katalytische Kraft einander proportional sind. Nach Erschöpfung kehrt übrigens stets die kata- Iytische Kraft allmählich wieder, wenn man das unzersetzte H,O, möglichst vollständig entfernt und !/,—®/,°/, Kochsalzlösung zu dem Zellenbrei setzt; der katalytisch wirkende Stoff des Protoplasmas ist nämlich unlöslieh und verhält sich daher ähnlich wie Platin. Die gleiche Kraft besitzt auch das Stroma der roten Blutkörperchen und zwar wiederum bei den verschiedenen Tierspeeies in verschiedenem Grade. Durch Kochen wird die katalytische Kraft zerstört; ebenso durch konzentrierte Säuren und Alkalien. Je geringer die katalytische Kraft des Protoplasmas ist, um so geringere Mengen von Säure oder Alkali sind zu deren Vernichtung erforderlich. Ferner erleiden diejenigen Protoplasma- und Stromaarten, welche durch H,O,, durch Säuren und Alkalien am leiehtesten zerstört werden, auch am leichtesten unter der bereits im vorigen Kapitel erwähnten Einwirkung des Oxyhämoglobins Einbuße an ihrer Fähigkeit, das filtrierte Plasma u. s. w. zu koagulieren. Hämoglobin wird durch H,O, stets oxydiert; jedoch muss dasselbe durch mehrfaches Umkrystallisieren von allen Stromateilen befreit sein, weil sonst letztere das H,O, zerstören würden. Das Stroma der roten Blutkörperchen schützt also das Hämoglobin vor der Oxydation, indem es den disponibeln O des H,O, verjagt, und die Kraft dieses Schutzes hängt von seiner typischen katalytischen Wirksamkeit und seiner Widerstandsfähigkeit gegen das H,O, ab. In sehr geringem Grade kommt nun diese katalytische Kraft auch der reinen Blutflüssigkeit und den Transsudaten zu; es müssen daher Protoplasmaderivate auch außerhalb der Zellen in der Blut- flüssigkeit vorhanden sein. 9. Kapitel: Ueber die das Fibrinferment von seiner unwirk- samen Vorstufe abspaltenden Protoplasmabestandteile. Die Entwicklung von Fibrinferment findet nur in gerinnungsfähigen Flüssigkeiten statt, vor allem in zellenfreiem Blutplasma und den aus XII. 45 674 Schmidt, Zur Blutlehre. den proplastischen Transsudaten hergestellten künstlichen Gerinnungs- mischungen, sofern diese Flüssigkeiten mit Protoplasma in Berührung kommen. Da nun auch zellenfreies Blutplasma außerhalb des Körpers unter Fermententwicklung gerinnt, so müssen im Plasma selbst zymogene Stoffe bereits gelöst vorhanden sein von welchen das Plasma das Fibrinferment abspaltet. Da ferner der Gerinnungsprozess in der Blutflüssigkeit sowohl hinsichtlich der quantitativen Fermententwiek- lung und Schnelligkeit der Gerinnung, als auch hinsichtlich der Masse des dabei entstehenden Faserstoffes bei Anwesenheit der körperlichen Elemente einen bedeutend großartigeren Verlauf nimmt, so ist nach dem Verf. der Schluss berechtigt, „dass die Gerinnung in strenger Ab- hängigkeit von den Zellen steht, in dem Sinne, dass sie der Flüssigkeit sowohl das Spaltende als das Spaltbare, als auch endlich das eiweiß- artige Material, aus welchem der Faserstoff entsteht, liefern“. Dieses eiweißartige Material wird von den Globulinen dargestellt. Thatsächlieh ist es Alex. Schmidt und seinen Schülern gelungen aus verschiedenenZellenformen, namentlich aus Lymphdrüsenzellen, zweierlei Substanzen darzustellen, von welehen die eine in hohem Grade koagulierend, die andere dagegen gerinnungshemmend wirkt. Erstere Substanz erhält man durch Extraktion von Zellen (am besten Lymphdrüsenzellen) durch Alkohol; doch ist dieselbe auch im Gewebssafte, im Plasma und im Serum in 'geringen Mengen vor- handen. Je geringer die Gerinnungstendenz eines Körpers ist, in um so geringeren Mengen enthält er die Substanz; so enthält z. B. Serum nur bis 0,7°/, und in den typischen proplastischen Flüssigkeiten fehlt sie gänzlich. In einem Lymphdrüsenbrei dagegen bilden diese alkoho- lischen Extraktstoffe nach Demme über 30°/, des Gesamtrückstandes. Fügt man von denselben nur geringe Mengen zu einer gerinnungs- fähigen Flüssigkeit, so wird die Gerinnung in hohem Grade beschleunigt und die Fermentproduktion gesteigert. Durch Siedehitze wird diese koagulierende Wirkung nicht aufgehoben. Das alkoholische Extrakt setzt sich zusammen aus Verbindungen, welche teils nur in Alkohol, teils auch in Wasser und Aether löslich sind; alle diese Verbindungen wirken jedoch koagulierend. Wenn auf gewöhnlichem Wege herge- stellte Fermentlösungen nach dem Kochen noch Gerinnung erzeugen, so geschieht es eben deshalb, weil sie noch Spuren von dem auch in Wasser löslichen Teile des Alkoholextraktes enthalten. Chemisch reine Fermentlösungen erweisen sich, wie Alex. Schmidt zeigt, nach dem Kochen als völlig unwirksam. Verf. hält diese Extraktivstoffe nicht für die Mutterstoffe des Fibrinfermentes, sondern lediglich für die Träger der spaltenden Kräfte des Blutes, aus welchen nicht das Fibrin- ferment hervorgeht, sondern welche durch Spaltung das Fibrinferment erzeugen; er bezeichnet sie daher als zymoplastische Sub- stanzen. Die Verschiedenheit dieser zymoplastischen Substanzen von Sehmidt, Zur Blutlehre. 675 dem Fermente selbst wird vom Verf. in exakter Weise und längerer, im Orignal nachzulesender Ausführung begründet. Das wässerige Zellenextrakt, welches man nach Extraktion der Zellen mit Alkohol gewinnt, zeigt die gegenteilige Wirkung des alko- holischen Extraktes: es wirkt in hohem Grade gerinnungshemmend. Weiterhin zeigt Alex. Schmidt, dass nicht allein die zymoplastischen Substanzen, sondern auch geringe Mengen freien Fibrinfermentes im zirkulierenden Blute sowohl, als auch im übrigen Organismus stets vorhanden sind. 10. Kapitel: Ueber die in Folge der intravaskulären Injek- tion der das Fibrinferment abspaltenden Protoplasma- bestandteile eintretenden Blutveränderungen. Die Injektion geringer Mengen zymoplastischer Substanzen ins Blut erwies sich völlig unwirksam; auch das Blut zeigt nach solehen Injektionen weder sonst, noch hinsichtlich seiner Gerinnungsfähigkeit irgendwelche Veränderungen. Dagegen hat die Injektion größerer Mengen dieser Substanzen (0,45—0,6 pro Kilo lebendes Tier) den so- fortigen Tod der Tiere unter Bildung massenhafter Thromben zur Folge. Der Effekt ist also der gleiche wie nach Injektion der Zellen selbst; auch die Blutveränderungen sind dann die gleichen, jedoch ohne stärkere Abnahme der Leukocyten. 11. Kapitel: Ueber das verschiedene Verhalten der roten und farblosen Elemente bei der Blutgerinnung. Da für die extravaskuläre Blutgerinnung die Wirkung der Zell- substanzen erst zur Geltung kommen kann, wenn dieselben nach Zer- fall der Zellen in die Blutflüssigkeit übergetreten sind, so üben die sehr widerstandsfähigen roten Blutkörperchen auf den Verlauf und die Intensität der Gerinnung nicht den geringsten Einfluss aus. Um- gekehrt wird die Gerinnung durch die Anwesenheit der leicht zerstör- baren und zerfallenden farblosen Blutkörperchen sehr beschleunigt, wobei die Fibrinziffer, namentlich aber die Fermentproduktion eine bedeutende Steigeruug erfährt, ohne dass jedoch gleichzeitig ein Zuwachs an zymoplastischer Substanz in dem Blute ein- träte. Gleichwohl hält aber Alex. Schmidt an der Annahme fest, „dass die zymoplastischen Substanzen der Blutflüssigkeit m letzter Instanz aus Zellen stammen, aber im Kreislauf und nicht bloß aus den im Blute suspendierten Zellen. Denn wie die farblosen Blut- körperchen, so wirken auch alle anderen Formen des Protoplasmas, die spezifisch modifizierten miteingerechnet, auf die Blutflüssigkeit“. Jedenfalls sind bereits im zirkulierenden Blute neben den geringen Fermentmengen auch zymoplastische Substanzen vorhanden; sie werden im Körper, wie auch das Ferment, stets erzeugt, jedoch nur in sehr geringen Mengen; eine stärkere Anhäufung des Fermentes und der 43” 676 Schmidt, Zur Blutlehre. zymoplastischen Substanzen, sowie eine Entfaltung ihrer Wirkung wird durch die regulierenden Kräfte des lebenden Organismus verhindert. 12. Kapitel: Ueber die übrigen zur Faserstoffgerinnung in Beziehung stehenden Bestandteile des Protoplasmas. 1) Allgemeine Methode ihrer Darstellung. Dieselbe beruht auf einer suecessiven Extraktion mit Alkohol, Wasser und 1Oprozentiger Kochsalzlösung. Die Zellen, und zwar die eigentlichen Protoplasmazellen, besitzen nun folgende Eigenschaften, welche man, nachdem sie in der vom Verf. geschilderten Weise zerlegt worden, an den einzelnen Zerlegungsprodukten in verschiedener Ver- teilung wieder erkennt: „L) Sie wirken koagulierend (zymoplastisch). 2) Sie beeinflussen (wie schon seit lange vom Verf. nachgewiesen worden ist) in geradem Verhältnis das Fibringewicht. 3) Sie katalysieren das H,O, unter stürmischer O-Ent- wieklung“. Diese allgemeinen Eigenschaften des Protoplasmas verteilen sich auf seine 4 Zerlegungsprodukte folgendermaßen: „1) Die in Alkohol löslichen Protoplasmabestandteile (zymoplastische Substanz), nebst den zu ihnen gehörigen, außer in Alkohol auch in Wasser oder Aether löslichen sind die einzigen, welche koagulierend, d.h. zymoplastisch wirken; sie beeinflussen das Faserstoffgewicht nicht und verhalten sich gegen H,O, völlig indifferent. 2) Der in Wasser lösliche Protoplasmabestandteil (Cytoglobin) katalysiert energisch das H,O,, wirkt, getrennt von der Zelle, gerinnungs- hemmend, erhöht aber, bei Herstellung gewisser Bedingungen, das Faserstoffgewicht. 3) Der in Wasser unlösliche, in Kochsalzlösung (und in verdünnten Alkalien) lösliche Protoplasmabestandteil (Präglobulin) katalysiert sehr schwach das H,0,, wirkt schwächer gerinnungshemmend als der in Wasser lösliche, beeinflusst aber in demselben Sinne und in noch höherem Grade als dieser das Faserstoffgewieht. 4) Der in H,O unlösliche, nach Beendigung aller Extraktionen übrigbleibende Protoplasmabestandteil (Cytin) katalysiert energisch das H,0,, wirkt also wie das Platin dureh bloßen Kontakt und beeinflusst als solcher weder den Vorgang der Faserstoffgerinnung /noch das Faser- stoffgewicht. Aber aus ihm kann künstlich der in H,O lösliche Proto- plasmabestandteil nachgewiesen werden“. Ein 5. Protoplasmabestandteil, die unwirksame Vorstufe des Fibrin- fermentes, wird nach der hier angewandten Darstellungsmethode zer- stört. Sehmidt. Zur Blutlehre. 677 2) Ueber den in Wasser löslichen Bestandteil des Protoplasmas (Cytoglobın) und dessen Zersetzungsprodukte. Das Cytoglobin wurde vom Verf. aus einer keihe verschiedener Zellformen dargestellt; besonders reichlich erhält man es aus Lymph- drüsenbrei, aus Milz- und Leberzellen. Die Darstellungsmethoden werden für die verschiedenen Zellformen ausführlich erörtert. In der Blut- flüssigkeit fehlen sowohl das Cytoglobin als auch das Präglobulin; ebenso fehlt das Cytoglobin in den roten Blutkörperchen, welche statt dessen Hämoglobin enthalten. Die verschiedenen Eigenschaften beider Körper, des Cytoglobins und des Präglobins, werden vom Verfasser ausführlich geschildert und in vergleichender Weise einander gegen- übergestellt. Weiterhin folgt eine chemische Elementaranalyse des Cytoglobins und seiner Zersetzungsprodukte. 3) Ueber den unlöslichen Grundstoff des Protoplasmas (CUytin) und dessen Zersetzungsprodukte. Nach einer kurzen Darstellung der Gewinnungsmethode des Cytins erfolgt eine eingehende Charakteristik dieses Körpers hinsichtlich seiner chemischen Eigenschaften. Von hohem Interesse ist es, dass unter Einwirkung schwach alkalischer Lösungen (z. B. verdünntem kohlen- saurem Natron) vom Cytin neben anderen Spaltungsprodukten auch Cytoglobin abgespalten wird, und dass man ferner durch Einwirkung von Säuren auf dieses in solcher Weise hergestellte Cytoglobin einen Körper erhält, welcher fast in allen seinen Eigenschaften mit dem Präglobulin übereinstimmt und offenbar nur eine modifizierte Form desselben darstellt. 4) Ueber den Eiweifsgehalt des Protoplasmas. Der Eiweißgehalt des Protoplasmas ist nach dem Verfasser sehr gering, indem Cytin und Cytoglobin nicht als solches zu betrachten sind, vielmehr höher komplizierte Moleküle darstellen; erst bei ihrer Zersetzung wird von diesen Körpern Eiweiß geliefert. Verf. betrachtet als Eiweißkörper nur den spärlichen Extrakt, welehen man nach Er- schöpfung des Zellenbreies mit Alkohol und gründlicher Auslaugung mit Wasser durch Ausziehen mit einer lÖprozentigen Kochsalzlösung erhält. Dieser Extrakt erweist sich nach seinen chemischen Eigen- schaften als ein mit dem Präglobulin identischer Körper. Cytin, Cyto- globin und Präglobulin bilden somit eine genetisch zusammenhängende Reihe von Zellenbestandteilen, welehe man sich ebensowohl auf- als absteigend denken kann; hiebei ist der Eiweißgehalt der (tierischen) Zelle, da er nur durch das Präglobulin dargestellt wird, ein höchst unbedeutender. Dass nicht etwa bei der Alkoholfällung Eiweißkörper koaguliert werden, gehe daraus hervor, dass Verdauungsversuche, welche mit dem durch Alkoholfällung gewonnenen Cytin angestellt wurden, kein greifbares Resultat ergaben. 678 Schmidt, Zur Blutlehre. Von der Bedeutung des Cytins und Cytoglobins für die Zelle spricht sich Alex. Schmidt folgendermaßen aus: „Nicht als wesentliche, spezifische Bestandteile des tierischen Protoplasmas sind diese Stoffe für dasselbe von der allergrößten Bedeutung, sondern als seme Nähr- und Ausscheidungsstoffe, als Stoffe, welche es von außen auf- nimmt und in der Richtung der progressiven Metamorphose in die viel komplizierteren Verbindungen seines Leibes überführt, um sie dann in der Richtung der regressiven Metamorphose zu zerlegen und in einer der aufgenommenen gleichen oder ähnlichen Form wieder auszuscheiden. Dass sich in der tierischen Zelle nur sehr wenig Eiweiß finden lässt, würde ja nur für die Schnelligkeit dieser Assimilationsvorgänge sprechen“. 13. Kapitel: Ueber die gerinnungswidrige Wirkung des in Wasser löslichen Protoplasmabestandteils und seiner Derivate. Das Cytoglobin ist ein konstanter Protoplasmabestandteil, welcher in genügender Menge dem Blute und anderen gerinnungsfähigen Körpern zugesetzt, die Gerinnung unbegrenzt lange verhindert; es paralysiert also die Wirkung der im Blute präexistierenden zymoplastischen Sub- stanzen und hat die gleiche Wirkung, wie verdünnte Alkalien, alkalisch reagierende Salze und, bei hoher Konzentration, die neutralen Alkali- salze (namentlich SO,Ms). Um die Gerinnung in einem durch Zusatz von Cytoglobin gerinnungsunfähig gemachten Blute wieder einzuleiten genügt jedoch ein Zusatz von etwa !/,, Prozent zymoplastischer Substanzen. Auch das Präglobulin wirkt in ähnlicher Weise wie Cytoglobin, jedoch weniger energisch. Dagegen wirkt ein anderes Spaltungsprodukt des Cytoglobins, welches man durch Erhitzen desselben auf 100—110° erhält, ganz in der gleichen Weise wie das Cytoglobin selbst; daraus erklärt es sich, dass eine Cytoglobim -Lösung durch Kochen ihre ge- rinnungshemmende Kraft nieht verliert. Cytin verhält sich im Plasma indifferent. Die gerinnungshemmende Wirkung des Cytoglobins beruht darauf, dass es die Spaltungsprozesse, welchen das Fibrinferment seine Entstehung verdankt, unterdrückt; bei Anwesenheit freien Fermentes wird die Gerinnung durch Cytoglobin nur verzögert. Während die zymoplastischen Substanzen regelmäßige Bestandteile des Blutes, der Zellen sowohl als auch der Blutflüssigkeit, sind, ent- hält dasselbe keine Spur von Cytoglobin. Es findet nämlich in der Zelle selbst stets eine Zersetzung des Cytoglobins statt und gehen nur seine Zersetzungsprodukte aus der Zelle in die Blutflüssigkeit über; zu diesen gehört vor allem das Präglobulin. Aber auch das Präglobulin lässt sich im Blute nicht nachweisen, da es ebenfalls nur ein imter- mediäres Stoffwechselprodukt darstellt, welches im Blute sofort wei- teren, mit außerordentlicher Geschwindigkeit vor sich gehenden Um- wandlungen unterliegt. Schmidt, Zur Blutlehre. 679 14. Kapitel: Ueber die Erhöhung der Faserstoffproduktion in Folge des Zusatzes gewisser Protoplasmabestandteile zum Blute. In diesem Kapitel wird der Beweis erbracht, dass das durch Zu- satz von Cytoglobin oder Präglobulin gerinnungsunfähig gemachte Blut dem natürlichen Zustande des zirkulierenden Blutes entspricht. Dieser Beweis stützt sich auf den experimentellen Nachweis, dass der Eiweißkern des Cytoglobins resp. des Präglobulins in der Blutflüssig- keit in Gestalt eines der bekannten, in ihr enthaltenen Eiweißkörper uns entgegentritt: „Indem man der Blutflüssigkeit durch einen Cytoglobin, resp. Präglobulinzusatz den proplastischen Charakter je nach der Größe dieses Zusatzes mehr oder weniger lange oder auch dauernd wahrt, bereichert man sie in entsprechender Weise an demjenigen Material, aus welchem, sobald die hierzu erforderlichen Bedingungen (Zusatz von zymoplastischen Substanzen. Ref.) sich einstellen, der Faserstoff entsteht; aus dem im Cytoglobin und Prä- slobulin enthaltenen Eiweißmolekül wird also im Blute faserstoffgebende Substanz“. Die beiden Substanzen verschwinden als solche, bevor es zur Ge- rinnung kommt, und es entsteht dafür das Paraglobulin. Beim Präglobulin geht die Umwandlung in fibringebende Sub- stanz leichter und schneller von Statten als beim Cyto- globin, auch ist die Erhöhung der Fibrinziffer eine be- deutendere. Das Blut hat mit dem Präglobulin gewissermaßen leichtere Arbeit, weil der Experimentator bei Herstellung desselben die halbe Arbeit schon gethan hat. Es folgt nun eine genaue Schilderung des auf diese Weise ge- wonnenen Fibrins und weiterhin werden die angeführten wichtigen Sätze durch eine Reihe ausführlich mitgeteilter beweisender Experimente erläutert. 15. Kapitel!’ Ueber das Paraglobulin als Derivat des in Wasser löslichen Protoplasmabestandteils. Versetzt man Serum mit Cytoglobin, so verschwindet letzteres nach eimiger Zeit und an seiner Stelle findet man noch Paraglobulin und Albumin; Präglobulin ist schon nach wenigen Stunden im Serum nicht mehr nachweisbar. Dass hiebei das zugesetzte Cytoglobin und Präglobulin sich thatsächlich in Paraglobulin umwandelt, geht daraus hervor, dass durch Dialyse von seinem Paraglobulin befreites Serum nach Zusatz jener Stoffe wieder Paraglobulin-haltig wird, wenn man zuvor das Serum durch Hinzufügung einiger Tropfen NaOH alkalisch gemacht hat. Bei stärkerer Alkalescenz und in der Wärme wird der Prozess so beschleunigt, dass schon nach wenigen Stunden eine völlige 680 Schmidt, Zur Blntlehre. Umwandlung von '/,—!/, °/, Cytoglobin in Paraglobulin stattfindet; bei Präglobulin geht diese Umwandlung noch schneller vor sich. Es ist dem Verf. so gelungen, das Präglobulin, welches in einem Versuche 0,6, des dialysierten Serums betrug, in wenigen Minuten zum Schwin- den zu bringen und die Flüssigkeit dafür mit Paraglobulin zu über- laden. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass bei der Entstehung von gewissen Blutbestandteilen, speziell des Paraglobulins, aus Zellen- bestandteilen, die Alkalescenz des Blutes von wesentlicher Bedeutung ist; findet nun der langsame Strom der Zellenbestandteile in das Blut in Gestalt des Präglobulins statt, so erscheint es selbstverständlich, dass dieser Atomkomplex bei der im Körper herrschenden Temperatur nur für Augenblicke im Blute Bestand hat und insbesondere im Inhalt der großen Gefäße nicht mehr aufzufinden ist. „Aber er existiert eben in seinen Spaltungs- und Umbildungsprodukten fort und so wie dem einen derselben gewiss eine andere und höhere Bedeutung zukommt, als indem vom Organismus getrennten Blute bei der Faser- stoffgerinnung mitzuspielen, so werden auch den übrigen Produkten Aufgaben im zirkulierenden Blute zufallen, welche wir für jetzt freilich mehr vermuten als präcis zu formulieren im Stande sind“. Auch fibrinogenhaltige Transsudat-Flüssigkeit wird, wenn die fibrinogene Substanz aus ihr entfernt wurde, durch Zusatz von Cyto- globin oder Präglobulin paraglobulinbaltig. 16. Kapitel: Ueber die fibrinogene Substanz als Derivat des Paraglobulins. Die fibrinogene Substanz steht dem Paraglobulin hinsichtlich ihrer chemischen Beschaffenheit ebenso nahe, wie dieses dem Präglobulin. Die fibrinogene Substanz selbst ist wiederum nur eine Vorstufe des Fibrins; nur so erklärt es sich, dass ohne Paraglobulin überhaupt kein Faserstoff entsteht und dass durch Zusatz von Paraglobulin zu Plasma die Faserstoffmenge vermehrt wird. Für die Ursache dieser Spaltung des Paraglobulins hält der Verf. das Fibrinferment, welches also die doppelte Aufgabe hätte, aus dem Paraglobulin die fibrinogene Substanz zu erzeugen und weiter die letztere in das Zwischenprodukt der Faser- stoffgerinnung überzuführen. Nur das Blutplasma, so lange es als solches besteht, vermag jedoch aus dem Paraglobulin die fibrino- gene Substanz zu erzeugen, aus welcher dann im weiteren Verlaufe der Faserstoff entsteht; das Serum vermag die Umsetzung der be- treffenden Zellbestandteile nur bis zur Paraglobulin-Stufe fortzuführen (Cytin, Cytoglobin, Präglobulin, Paraglobulin). Die durch den Spaltungsprozess entstehende fibrinogene Substanz unterliegt sofort unter der weiteren Einwirkung des Fibrinfermentes einem fortschreitenden Verdichtungsprozess, wobei ihre Löslichkeit in verdünnten Alkalien und Säuren abnimmt und sie zugleich mehr und Schmidt, Zur Blutlehre. b81 mehr die Eigenschaft der Fällbarkeit durch Neutralsalze erhält und zwar in velativ unlöslicher Modifikation; schließlich erreicht der Ver- diehtungsprozess den Koagulationspunkt, d. h. denjenigen Grad, bei welchem der natürliche Salzgehalt der betreffenden gerinnbaren Flüssig- keit hinreicht, um die Substanz in unlöslicher Gestalt als Faserstoff zu fällen. Der in fortschreitender Verdichtung befindliche Eiweißkörper wird vom Verf. als „fermentatives Zwischenprodukt der Faserstoffgerinnung“ bezeichnet. Zwischen ihm und der fibrinogenen Substanz gibt es keine scharfe Grenze. „Mit der Zelle beginnend und mit dem Faserstoff endend erhalten wir jetzt die folgende Reihe von auseinander hervorgehenden Stoffen: Cytin, Cytoglobin, Präglobulin, Paraglobulin, fibrino- gene Substanz (Metaglobulin), lösliches Zwischenprodukt der Faserstoffgerinnung (flüssiger Faserstoff), Faser- stoff“. Innerhalb der Gefäßbahn geht unter dem Drucke regulierender Einrichtungen diese Entwicklung nur bis zur Stufe der fibrinogenen Substanz. Die beiden Globuline stellen das wahre Organeiweiß dar, nicht in dem Sinne, dass sie als solche, als Eiweißstoffe in der Zelle präexistieren, sondern als Abkömmlinge viel komplizierterer Zellen- bestandteile. Sie sind zunächst Produkte des Abbaues der Zellen, welche sich im Blute sammeln. Der Faserstoff stammt daher nicht, wie Alex. Schmidt früher angenommen hat, von den farblosen Zellen allein, sondern er ist ein Derivat aller Zellen des Organismus, des Protoplasmas überhaupt und aller seiner Modifika- tionen mit, wie es scheint, einziger Ausnahme der roten Blutkörperchen. 17. Kapitel: Ueber die unwirksame Vorstufe des Fibrin- ferments. Verf. schlägt für den Ausdruck Fibrinferment den Namen Throm- bin vor; die unwirksame Vorstufe desselben bezeichnet er als Pro- thrombin. Da auch im filtrierten, also zellenfreien Plasma eine spontane Fermententwicklung stattfindet, so folgt daraus, dass das Prothrombin auch unabhängig von den Zellen in der Blutflüssig- keit enthalten ist, und da ferner durch Zusatz von Zellen oder von zymoplastischen Substanzen die FermententwickInng im filtrierten Plasma gesteigert wird, so folgt weiter, dass bei der gewöhnlichen, spontanen Gerinnung nicht alles Prothrombin zur Fermentbildung verbraucht wird und somit im Serum des spontan geronnenen filtrierten Plasmas ein Rest von Prothrombin sich vorfindet. Thatsächlich ist es dem Verf. gelungen, namentlich in Rinder- serum, welches sich zu diesen Versuchen am besten eignet, das Pro- 682 Schmidt, Zur Blutlehre. thrombin nachzuweisen. Das wichtigste und bequemste Mittel sich von der Anwesenheit des Prothrombins zu überzeugen und seine Eigen- schaften kennen zu lernen, ist die Dialyse des Serums. Man kann durch dieselbe das Serum seines Thrombingehaltes völlig berauben, so dass es also völlig unwirksam wird, d. h. keine Gerinnung mehr zu erzeugen vermag. Fügt man jedoch zu solchem dialysiertem Serum eine kleine Menge zymoplastischer Substanz, so wird das Serum als- bald wieder wirksam, d. h. es bildet sich wieder Thrombin, welches eben nur durch weitere Spaltung des in dem Serum vorhandenen Prothrombins entstehen kann. Diesen Versuch kann man öfters wieder- holen und es lässt sieh schwer ermitteln, wo die Grenze liegt, bei welcher völlige Erschöpfung des Serums eintritt. Alkalizusatz be- günstigt hiebei die Thrombin-Bildung sehr wesentlich; ja Alkalizusatz allein, ohne zymoplastische Substanz, vermag schon die Spaltung des Prothrombins in Thrombin zu bewirken. Des Weiteren gibt Verf. eine ausführliche Charakteristik der chemischen Eigenschaften des Pro- {hrombins. Obwohl Verf. das Prothrombin, abgesehen von seinem Vorkommen im Serum, nur aus zentrifugiertem Lymphdrüsenzellenbrei darstellen konnte, so hält er dasselbe doch für ein allgemeines Zellenderivat, welches sich ebenfalls in dem allgemeinen Medium, der Blutflüssigkeit sammelt. Die Blutflüssigkeit enthält demnach alles, was zur Faserstoffgerinnung gehört, sogar auch das Throm- bin, das wirksame Ferment, dessen Wirkung durch die im lebenden Körper vorhandenen Hemmungsvorriehtungen jedoch nicht zur Geltung kommen kann. Hinsichtlich der speziellen Rolle der farblosen Blutkörperchen bei der extravaskulären Gerinnung äußert sich Verf. folgendermaßen: „Dennoch erscheint die Faserstoffgerinnung wesentlich durch die farblosen Elemente des Blutes bedingt, — ieh will nicht sagen ver- ursacht, denn die Ursachen liegen schon in der Blutflüssigkeit vorge- bildet; sie wirken auch schon dort, aber die farblosen Blutkörperchen geben dem Prozess extra corpus einen Stoß, der seinen Gang mächtig beschleunigt und zu einem Abschluss führt, der jedenfalls anders ge- artet ist, als der im Organismus vorkommende. Ich meine also, das dem Organismus entnommene Blut würde auch gerinnen, wenn die farblosen Blutkörperchen nieht da wären, aber sehr langsam und allmählich. Ganz langsam würde das Prothrombin gespalten werden, bis die Selbsthemmung sich einstellt, ganz langsam würde die schritt- weise Ueberführung der Globuline zu flüssigem Faserstoff erfolgen, ganz langsam würde dieser den zur Fällung durch die Plasmasalze erforderlichen Verdiehtungsgrad erlangen, und schließlich würde doch ebenso aller Faserstoff, welcher unter den gegebenen Verhältnissen überhaupt entstehen kann ausgeschieden werden, wie bei dem in be- schleunigtem Tempo ablaufenden Prozess“. in ut u. - a a ke Sehmidt, Zur Bilutlehre. 685 Hiebei weist Verf. auf den von verschiedenen Autoren bei der Gerinnung beobachteten Zerfall von farblosen Blutkörperchen hin. 18. Kapitel: Noch einmal über die Fasersto(fgerinnung. & g Besonders geeignet für das Studium des Gerinnungsprozesses er- scheinen nach dem Verf. die sogenannten proplastischen Transsudate, indem sich an ihnen unter bestimmten Bedingungen der Vorgang der Fermentwirkung, sowie derjenige der Fermentabspaltung getrennt be- obachten lassen. Verf. bespricht ferner die Unterdrückungs- und Be- förderungsmittel der Faserstoflgerinnung; von ersteren finden nament- lich die Alkalien, die neutralen Alkalisalze und die gallensauren Alkalien eine besondere Berücksichtigung. Sehr wichtig ist es, dass auch Cyto- globin und Präglobulin, wenn sie in gewissem Ueberschusse vorhanden sind, nicht bloß den Gerinnungsakt, sondern auch die ihm voraus- gehenden Spaltungen, durch welche jene Körper in Paraglobulin über- geführt werden, unterdrücken. Zu den gerinnungsbefördernden Mitteln gehört in erster Linie die Neutralisierung der gerinnungsfähigen Flüssigkeit, vorausgesetzt, dass nicht der Gleiehgewichtszustand zwischen den die Thrombin- Abspaltung bewirkenden und den sie hemmenden Kräften eingetreten ist. Ebenso sind die zymoplastischen Sub- stanzen in gewissem Sinne, wenigstens indirekt, als Beförderungs- mittel der Faserstoffgerinnung zu betrachten; auch begünstigen die- selben die dem Gerinnungsakte vorausgehenden Spaltungsvorgänge. Die besondere Art der Wirkung der zymoplastischen Substanzen wird vom Verf. nochmals in ausführlicher Weise besprochen. 19. Kapitel: Ueber die Reaktion des zirkulierenden Blutes gegen experimentell herbeigeführte Erhöhung seiner Gerinnungstendenz. Es werden zunächst die schon früher (Kap. 5 u. 10) ausführlich dargelegten gemeinschaftlichen (intravaskuläre Gerinnung erzeugenden) Wirkungen der Zellen und zymoplastischen Substanzen auf das zirku- lierende Blut nochmals kurz zusammengefasst. Weiterhin werden die sekundären Blutveränderungen, welche in einer verminderten oder gänzlich geschwundenen Gerinnungsfähigkeit bestehen, erörtert. Die- selben beruhen nach den Untersuchungen des Verf. nicht etwa allein auf einer Zerstörung des Prothrombins oder Thrombins, sondern viel- mehr auf der Entstehung von Widerständen, welche eine weitere Ab- spaltung des Prothrombins sowohl intra, als extra corpus verhindern. Diese Widerstände werden durch die zymoplastischen Substanzen selbst im Blute ausgelöst, wenn sie in zu reichlicher Menge vorhanden sind. „Die rasche Zerstörung des Ferments und die Selbsthemmung der Prothrombinspaltung sind die Mittel, durch welche der Organismus den eventuell verderbenbringenden Wirkungen der zymoplastischen Sub- stanzen bis zu einer gewissen Grenze vorzubeugen vermag“. H84 Schmidt, Zur Blutlehre. Im Anschluss an das Besprochene macht Verf. Mitteilung über die Veränderungen, welche durch intravaskuläre Injektion von Jauche, von destilliertem Wasser und von verdünnter Kochsalzlösung herbei- geführt werden. Ferner werden noch verschiedene Versuchsergebnisse mitgeteilt, welche durch intravenöse Injektion von Cytoglobin- und Präglobulin-Lösungen erzielt wurden. 20. Kapitel: Schluss. In diesem Kapitel zieht Verf. aus den Ergebnissen seiner bis- herigen Untersuchungen sehr interessante allgemeine Schlussfolgerungen für die Funktionen des zirkulierenden Blutes, insbesondere für dessen Beziehungen zur Ernährung der Gewebe. Verf. ist der Ansicht, dass der Aufbau des Cytin-Moleküls nicht mit der Bildung des Fibrinogens seinen Abschluss findet, sondern dass bei der kückkehr der Blutflüssigkeit in das Parenchym der Or- gane dieses Molekül unter der Einwirkung der von ihr umspülten Zellen noch weitere Spaltungen erfährt und dass dann diese Spaltungsprodukte zur Regeneration der Zellen Verwendung finden. Es würden demnach die fibrinogene Substanz, die zymoplastischen Substanzen, das Prothrombin und Throm- bin eine wichtige Rolle bei der Ernährung und Regeneration der Ge- webe spielen und die Faserstoffgerinnung erschiene unter diesen Ge- sichtspunkten als ein ausgearteter Assimilationsvorgang. Anderseits müsse zum Ersatz für das während dieses Assimilationskreislaufes dem gänzlichen Verbrauch und Zerfall unterliegende Material für eine be- ständige Eiweißzufuhr gesorgt sen, welche am wahrscheinliehsten in der Gestalt eines der Blutglobuline erfolge. Weiterhin bespricht Verf. nochmals die Rolle der farblosen Blut- körperchen bei der Blutgerinnung, sowie die Ursachen des proplastischen Charakters des zirkulierenden Blutes. Auf Grund seiner Untersuch- ungen stellt Verf. folgenden wichtigen Satz auf: „Die farblosen Blutkörperchen sind nicht die alleinige Ursache der Blutgerinnung, sondern sie beschleunigen in eminentem Grade durch eine erst extra corpus von ihnen ausgehende Wirkung einen bereits im Gange befindlichen Prozess, welcher auch ohne sie in dem vom Organismus getrennten Blute mit der Faserstoffausscheidung ab- schließen würde*. Wenn die farblosen Körperchen im zirkulierenden Blute nicht ähn- lich wirken, so sei dies wahrscheinlich durch den Zusammenhang des Blutes mit dem Organismus bedingt, dessen regulierende Kräfte im Stande seien den proplastischen Charakter des Blutes gegenüber den, wenn auch stetig, so doch nur in minimalen Mengen zerfallenden weißen Blutkörperchen zu bewahren. Unter der. Einwirkung dieser regulierenden Kräfte könne im zirkulierenden Blute trotz der steten Weismann, Das Keimplasma. bSD Anwesenheit geringer Thrombin-Mengen doch der letzte Akt des Ge- rinnungsprezesses, d. i. die Faserstoffbildung selbst, sowie dessen Aus- scheidung nicht zu Stande kommen. „Das vom Ferment angegriffene Globulinmolekül geht seinem Untergang entgegen oder wird ander- wärts verwertet, es kommt ein neues an die keihe, das dem gleichen Sehieksal unterliegt, kurz die Arbeit des Ferments fängt ewig wieder von Neuem an und findet nie ihr Ende“. Außerdem kommen aber auch diejenigen sicher erwiesenen Zell- bestandteile in Betracht, welche die koagulierende Wirkung des Thrombins verhindern. Hauser. Das Keimplasma. Eine Theorie der Vererbung von A. Weismann. Jena, G. Fischer, 1892. (Schluss. ) 2. Das charakteristische Merkmal der sexuellen Fortpflanzung ist in der „Vereinigung zweier Vererbungssubstanzen in der Anlage zu einem Individuum“ gegeben. Diese Vereinigung erfolgt in dem bedeutungsvollen Vorgange der als ‚Befruchtung‘ bezeichneten Ver- schmelzung „der beiden Kerne der Geschlechtszellen innerhalb der mütterlichen Keimzelle und der beiderseitigen Zellkörper samt ihren Teilungsapparaten“. Weismann erbliekt in diesem Prozesse „eine Einrichtung, um die Vermischung zweier verschiedener Vererbungstendenzen möglich zu machen“. „Die Befruchtung — sagt unser Autor — besteht in der Vereinigung der Vererbungs- substanz, also des Keimplasmas zweier Individuen, und alle die ver- wiekelten und mannigfaltigen Erscheinungen der Differenzierung von zweierlei Arten von Fortpflanzungszellen, die man als weibliche und männliche zu bezeiehnen gewohnt ist, bis hinauf zur Differenzierung der Individuen selbst zu zweierlei Arten: männlichen und weiblichen, nebst den tausenderlei weiteren Anpassungen und Folgeerscheinungen dieser Einrichtungen haben keinen anderen Grund, als den, die Ver- einigung der Vererbungsanlagen zweier Individuen möglieh zu machen“. Bezeichnet man die angegebene Art der Keimplasma-Verschmelzung mit Weismann als Amphimixis, so ist leieht einzusehen, dass Amphi- mixis für sich keineswegs mit Fortpflanzung notwendig verknüpft zu sein braucht. „Zwei Infusorien z. B. legen sich aneinander und ver- schmelzen entweder völlig miteinander zu einem Tier, oder sie ver- schmelzen, nur teilweise und nur für kurze Zeit, senden aber die Hälfte ihrer Vererbungssubstanz sich gegenseitig zu und bewerkstelligen so die Amphimixis“. Anders verhalten sich die Metazoen, denn bei diesen konnte die Amphimixis „nicht durch Verschmelzung der ganzen Individuen“ zu stande gebracht werden; hier musste vielmehr die Aus- 686 Weismann, Das Keimplasma. bildung besonderer, die zu vereinigenden Keimplasmen beherbergender Zellen, der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen erfolgen, welche die Amphimixis „nach Art der Konjugation einzelliger Wesen“ zu vollziehen vermochten. „Diesem Akt der Amphimixis musste aber dann eine Vervielfältigung der ‚befruchteten Eizelle‘ mit Differenzierung der Zellen-Nachkommen folgen, d. h. die Ontogenese eines neuen Individuums, ohne welche die Amphimixis nutzlos gewesen wäre“. Deshalb ist die Verbindung von Amphimixis mit wirklicher Fort- pflanzung bei den Zellentieren eine notwendige und unentbehrliche und stellt sich uns eben als jene fundamentale Erzeugungsform neuer Tiergeschlechter dar, die als ‚geschlecehtliche Fortpflanzung‘ oder nach dem Vorgange Haeckel’s als „Amphigonie“ bezeichnet wird. Sehen wir nun zu, welche Veränderungen der Erwerb der amphi- mixotischen Fortpflanzung im Bau des Keimplasmas hervorrufen musste. Ohne Weiteres ist klar, dass die erstmalige Amphimixis „die Ver- erbungssubstanzen zweier verschiedener Individuen, der Eltern, zu einer, der des Kindes vereinigt“. Die einfache Wiederholung dieses Vorganges müsste nun in jeder folgenden Generation „jedesmal eine Verdoppelung soleher individuell verschiedener Vererbungssubstanzen“ nach sich ziehen und damit „auch die Masse des Keimplasmas und die Zahl der Idanten“ verdoppeln. Dem widerspricht aber direkt die Thatsache, dass „die Idantenzahl bei jeder Art durch alle Generationen hindurch dieselbe bleibt“. Demnach bedurfte das Auftreten der amphi- mixotischen Fortpflanzung einer sich gleichzeitig einstellenden Einrich- tung, durch welche die unbeschränkte Vermehrung des Keimplasmas hintangehalten werden konnte. Eine solche ist nun wirklich „in der ‚Reduktionsteilung‘ des Kernmaterials der Keimzellen vor ihrer Vereinigung“ mittels welcher die infolge der Letzteren in der befruch- teten Eizelle sonst verdoppelte Id-Ziffer auf die Hälfte „reduziert“ er- scheint, gegeben. Wohl mit Recht erblickt Weismann in diesem Thatbestande einen gewichtigen Beleg dafür, „dass wenigstens der Grundgedanke der Keimplasma-Theorie, die Zusammensetznng der Ver- erbungssubstanz aus Iden, ein richtiger ist“. Die „Reduktionsteilung“* darf, soweit die ja so bedeutungs- vollen Ergebnisse der letzten Jahre auf diesem Gebiete erkennen lassen, als ein allgemein verbreiteter Vorgang betrachtet werden. „Für das Ei sind es die sogenannten ‚Richtungskörper -Teilungen‘, welche als ‚Reduktionsteilungen‘ funktionieren, bei den Samenzellen die letzten Teilungen der Samenmutterzellen. In beiden Fällen erfolgt die Re- duktion dadurch, dass die Idanten sich nicht wie bei gewöhnlichen Kernteilungen der Länge nach spalten und dann ihre Spalthälften auf die Tochterkerne verteilen, sondern so, dass die Hälfte der Ge- samtzahl der Stäbehen in den einen, die andere Hälfte in den andern Tochterkern wandert“. Weismann, Das Keimplasma. 687 Aus dem Gesagten erhellt wohl hinreichend, dass mit dem Auf- treten der amphimixotischen Propagation und der bei den Metazoen mit ihr stets verknüpften „Reduktionsteilung“ eine ungemein wichtige Komplikation in der Zusammensetzung des Keimplasmas einhergehen musste. Während nämlich vor der Einführung der geschlechtlichen Fortpflanzung die Kernstäbehen (Idanten) nur gleichartige Iden ent- halten konnten, musste der Erwerb der sexuellen Propagation den Bau des Keimplasmas einer fortschreitenden Umwandlung in dem Sinne unterziehen, dass die Zusammensetzung der Idanten aus ursprünglich völlig gleichartigen in eine solche aus mehr und mehr ungleichartigen, individuell verschiedenen Ide übergeführt wurde. „Auf dieser Zu- sammensetzung beruhen — wie Weismann im Einzelnen ausführlich und scharfsinnig darlegt, worauf aber in diesem Berichte nieht näher eingegangen werden kann — alle diejenigen Vererbungserscheinungen, welche man als Vermischung der Eigenschaften der Vorfahren be- zeichnet, alle Grade und Formen des Rückschlags oder Atavismus“. Auch für die Theorie Weismann’s selbst ist die Thatsache der „Reduktionsteilung“, wie schon flüchtig angedeutet wurde, von nicht geringer Tragweite; denn wäre „das Keimplasma eine unorganisierte, oder auch nur eine ganz gleichmäßige Masse gewesen ohne innere Gliederung, d. h. ohne Zusammenordnung von Einheiten verschiedener Ordnung, so hätte sich ihre stete Verdoppelung durch jede neue Amphimixis einfach dadurch verhindern lassen, dass sie in jeder Keim- zelle nur auf die Hälfte der bisherigen Masse angewachsen wäre. So- bald aber das Keimplasma aus einer bestimmten Zahl von Einheiten bestand, so war eine Verminderung derselben durch bloße Herabsetzung ihres Wachstums nicht erreichbar, ihre Anzahl wäre dabei dieselbe geblieben. Hier konnte also nur die Einführung einer Reduktion dieser Einheiten auf die Hälfte zum Ziele führen, ... .*. 80 erhält die theoretische Vorstellung von der Zusammensetzung des Keim- plasmas aus einem festen System von Einheiten in dem Vorgauge der „Reduktionsteilung“ eine wertvolle empirische Grundlage. Schon im ersten Teile dieses Referates wurde darauf hingewiesen, dass Weismann in den sogenannten Mikrosomen der von ihm als Idanten aufgefassten Chromosomen die diese zusammensetzenden Ein- heiten, die Ide, erblickt. Wie die bisherigen Erfahrungen lehren, ist die Zahl sowohl der das Keimplasma konstituierenden Idanten als auch der den einzelnen Idanten aufbauenden Ide „eine für jede Art fest normierte, schwankt aber bei verschiedenen Arten zwischen ziem- lich weiten Grenzen. Jedes Id eines bestimmten Keimplasmas könnte, wenn es allein in genügender Zahl vorhanden wäre, die gesamte Ontogenese leiten, d. h. jedes Id enthält die sämtlichen Determinanten zu einem Individuum, aber die Ide, welche die Idanten einer geschlecht- lich sich fortpflanzenden Art zusammensetzen, enthalten, wie schon gesagt wurde, nicht genau identische Determinanten, sondern solche, 688 Weismann, Das Keimplasma. welche mehr oder weniger von einander abweichen, so zwar, dass ihre Determinanten mindestens den individuellen Unterschieden der heutigen Art entsprechen. Da nun sämtliche Idarten — wie aus der Mechanik der Kernteilung hervorgeht — in alle Zellen der gesamten Ontogenese übergehen, so muss der Charakter jeder einzelnen in der Ontogenese auftretenden Zelle immer durch einen Komplex von Iden bestimmt werden, so zwar, dass entweder alle oder doch ein größerer Teil der die Idanten bildenden Ide die Konstitution der be- treffenden Zelle, als ihrer Kräfte-Resultante bestimmen“. Es fragt sich nun, welche Bedeutung der „Reduktionsteilung* für die Zusammensetzung des Keimplasmas zukommt, mit anderen Worten, welche Iden bei dem bezeichneten Prozesse dem Keim- plasma entzogen, beziehungsweise belassen werdee. Weismann beantwortet diese Frage auf Grund von an die vorliegenden Erfah- rungen anknüpfenden, theoretischen Erwägungen dahin, „dass die Reduktion der Ide auf die Hälfte nicht im Voraus bestimmte und immer die gleichen Idgruppen von einander trennt, sondern wech- selnde, bald diese, bald jene. Die Folge davon muss sein, dass die Keimzellen ein und desselben Bion ganz ver- schiedene Kombinationen von Iden enthalten, also auch eine ganz verschiedene Mischung der im Keimplasma der Eltern dieses Bion enthaltenen Anlagen“. Demnach haben wir die „Reduktionsteilung“ als ein Mittel zu betrachten, um eine weit- gehende „Mannigfaltigkeit der Anlagenmischungen“ nicht nur zu er- möglichen, sondern auch zu gewährleisten. Die „Reduktionsteilung“ besteht indess bei den Metazoen ganz allgemein in zwei aufeinander folgenden Teilungsakten, von welchen jeder die Zahl der im Keim- plasma enthaltenen Idanten auf die Hälfte reduziert; dadurch würde eine „Viertelung der Normalzahl der Idanten“ sich ergeben müssen, „wenn nicht die Zahl der Idanten in der Mutterzelle vor ihrer ersten Teilung sich durch Spaltung derselben verdoppelte. Also zuerst Verdoppelung, dann zweimalige Halbierung der Idanten- zahl“. „Diese merkwürdige, scheinbar ganz nutzlose Verdoppelung der Idanten mit nachfolgender zweimaliger Halbierung“ betrachtet Weismann als eine Einrichtung, „die Zahl der möglichen Kombina- tionen der Idanten in den Keimzellen ein und desselben Individuums noch weiter zu steigern“, indem z. B. bei Anwesenheit von 8 Idanten 70 Kombinationen erhalten werden, bei vorhergehender Verdoppelung der ersteren aber die Zahl der möglichen Kombinationen schon 266 beträgt u. 8. w. Die Frage, „inwieweit die ganzen Idanten unverändert in ihrer Id-Zusammensetzung von den Keimzellen der einen in die Keimzellen der andern Generation übergehen“, lässt sich zur Zeit begreiflicher Weise nicht entscheiden. Die Erscheinungen der „Reduktionsteilung“ Weismann, Das Keimplasma. 584 weisen allerdings darauf hin, „dass auch die Idanten dabei verändert werden können“. „Für jetzt muss es genügen, zu wissen, dass die Keimzellen eines Individuums sehr viele verschiedene Kombinationen von Iden enthalten, und dass bei mehr- maliger Amphimixis der Keimzellen derselben Eltern wohl niemals ganz die gleichen Kombinationen zusammen- treffen. Daraus ergibt sich die stets wechselnde Kombination elter- licher und vorelterlicher Eigenschaften, wie sie das Charakteristische der amphigonen Vererbung ist“. Hinsichtlich der letztgenannten Vererbung lässt sich über die Frage, „in welcher Weise die beiden von den Eltern herstammenden Keimplasmen sieh in die Leitung der Ontogenese teilen, ..... “ auf empirischen Wege augenblicklich wohl eine Entscheidung nicht fällen; „es sind einzig und allein die Vererbungserscheinungen, welche zu- sammengehalten mit dem, was wir über die Zusammensetzung des amphimixotischen ldioplasmas wissen, zu einer Antwort führen können“. Vergegenwärtigen wir uns, was im Vorausgehenden inbetreff des ver- schiedengradigen Vererbungsgehaltes der Keimzellen ausgeführt wurde, insbesondere auch, dass die Mischung der mütterlichen und väterlichen Ide im Keimplasma der Geschlechtszellen durch die Amphimixis noch bedeutend gesteigert werden, und halten wir damit zusammen „die erfahrungsgemäß bestehende Verschiedenheit der Kinder eines Eltern- paares beim Menschen“, so kann als Grundsatz für die amphigone Vererbung aufgestellt werden: „Mit der Zusammensetzung des Keimplasmas dureh die in der Eizelle zusammentreffen- den väterlichen und mütterlichen Ide ist dielndividualität des Bion gegeben“. Diese Fixierung des künftigen Lebewesens im Akte der Befruch- tung ist weder selbstverständlich noch bis ins Einzelne unabänderlich. Man könnte ja zu der Annahme geneigt sein, dass äußere Einflüsse, wie solche z. B. in der Ernährung gegeben sind, „die Entfaltung und Mischung der elterlichen Charaktere im Kind“ bestimmen. Dieser An- schauung widersprechen aber die Erfahrungen, welche gerade im Be- reiche des Menschen an Zwillingen gemacht werden können. Weis- mann unterscheidet zweierlei Zwillingsarten, zunächst solche — und das ist der häufigere Fall —, „welche sich nicht stärker ähnlich sind, als suecessive Kinder desselben Elternpaares“, sodann aber sogenannte „identische“ Zwillinge, deren Aehnlichkeit einen nahezu an Identität heranreichenden Grad erlangt hat, wie er „noch niemals bei nach- einander geborenen Kindern beobachtet wurde“. Von diesen letzteren Zwillingsformen nimmt Weismann an, dass sie „aus einem und dem- selben Ei und einer Samenzelle entstanden“ seien, während die erstere und häufigere Form wohl von zwei Eiern und daher auch zwei be- fruchtenden Samenzellen herstammen dürfte. Dies vorausgesetzt bieten die Zwillingsbildungen einen empirischen Beleg dafür, „dass die xlll. H 590 Weismann, Das Keimplasma. Qualität der Mischung der Eltern-Ide, wie sie dureh die Befruchtung gesetzt wird, die gesamte Ontogenese im Voraus bestimmt“. Trotzdem bestehen auch unter „identischen“ Zwillingen Unterschiede, freilich von meist so geringem Betrage, dass es schwer hält, sie überhaupt zu bemerken, wenn man nicht darauf ausgeht; gewöhnlich kann einer der beiden Zwillinge allein nur von den eignen Eltern oder Geschwistern richtig erkannt werden, nicht von fremden“. Derartige geringfügige Differenzen können aber immerhin ein Maß des Einflusses abgeben, welchen äußere Agentien auf den Gang der Keimesentwicklung auszuüben vermögen. Aber auch die Erfahrungen, welche man an gewissen Pflanzenbastarden (z. B. den Mischlingen von Digitalis lutea und purpurea) gewonnen hat, bezeugen, „dass in der That die Mischung der elterlichen Idioplasmen während der Ontogenese, obgleich im Allgemeinen von der Befruchtung an fest bestimmt, dennoch im Einzelnen kleinen Schwankungen unterliegt“. Der Befruchtung folgt die Entwicklung. Ref. muss es sich bei dem Umfang, welchen dieser Bericht bereits angenommen hat, leider versagen, auf die scharfsinnigen Ausführungen näher einzutreten, welche Weismann in einem besonderen Abschnitt dem „Kampf der Ide bei Leitung der Ontogenese*, dessen Ergebnis eben Bau und Beschaffenheit des Tochterorganismus vorstellt, widmet. Es handelt sich dabei vielfach um sehr verwickelte Verhältnisse, welche eine kurze Wiedergabe in dem Rahmen eines Referates nicht gestatten. Indem daher auf das Original verwiesen werden muss, soll hier nur die Bemerkung Platz finden, dass Weismann sich — wie auch sonst — nieht auf die tierischen Vorkommnisse beschränkt, sondern auch die einschlägigen Verhältnisse bei den Pflanzen in den Kreis seiner theore- tischen Betrachtungen zieht, wie denn überhaupt eine Theorie der Vererbung, sofern sie den Thatsachen des Naturgeschehens entspricht, für Tiere wie Pflanzen in gleicher Weise Geltung beanspruchen muss. d. Im letzten (IV.) Buche seines Werkes erläutert Weismann „die Abänderung der Arten in ihrer idioplasmatischen Wurzel“. Die Wichtigkeit dieses Gegenstandes an sich und inbezug auf die Ver- erbungslehre unseres Autors im Besonderen wird es rechtfertigen, wenn Ref. auf die hierhergehörigen Ausführungen Weismann’s noch kurz eingeht. Damit mag auch der vorliegende Bericht zum Abschlusse gelangen. Weismann geht zunächst auf die vielberufene Hypothese von der Vererbung erworbener Eigenschaften ein. Als ‚erworbene Eigen- schaften‘ werden alle diejenigen bezeichnet, „welche nieht als Anlagen schon im Keim vorhanden sind, sondern erst durch besondere Ein- wirkungen, die den Körper oder einzelne Teile desselben treffen, ent- stehen“. Diesen „somatogenen“ Eigenschaften stellt Weismann Weismann, Das Keimplasmä. 691 die „blastogenen“ gegenüber, welche ihre alleinige Wurzel in den Keimesanlagen haben“. Erstere umfassen die durch Verletzungen her- vorgerufenen Veränderungen, ferner die infolge von Uebung oder Nicht- übung entstehenden funktionellen Abänderungen und endlich „die auf sogenannten „Mediums“ -Einflüssen beruhenden Abänderungen, wohin hauptsächlich klimatische Variationen gehören“. Die erbliche Uebertragung der im individuellen Leben erworbenen Eigenschaften ist nur unter der Voraussetzung denkbar, dass jede somatogene Abänderung eine entsprechende Modifikation des Keim- plasmas bedingt; dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: „Entweder vorgebildete Leitungswege, auf welchen ein freilich ganz unfassbarer umstimmender Einfluss den Keimzellen zugeführt wird, oder Abgabe materieller Teilchen von Seiten des abgeänderten Organs, die Anteil am Aufbau des Keimplasmas nähmen“. Von diesen beiden Erklärungs- versuchen kann ernstlich bloß der letztere m Betracht kommen und auch dieser, welcher im der Pangenesis-Hypothese Darwin’s seinen prägnantesten Ausdruck gefunden hat, ist durch die seither gemachten Erfahrungen weit überholt. „Nicht die Abgabe allein solcher Keimchen, auch nicht bloß ihr Zirkulieren im ganzen Körper ist es, was diese Hypothese unannehmbar macht, sondern vor Allem die von ihr ange- nommene Zufuhr von Keimehen, d. h. von Keimesanlagen zu dem Keimplasma der Keimzellen“! Mit Recht erkennt Weis- mann in dem Vorgange der Mitose „eine direkte und endgültige Widerlegung der ganzen Vorstellung von der Zirkulation der Keimcehen“. Demnach muss daran festgehalten werden, „dass alle dauernden, d.h. vererbbaren Abänderungen des Körpers von primären Veränderungen der Keimesanlagen ausgehen, und dass weder Verstümmelungen, noch funktionelle Hypertrophie und Atrophie, noch endlich auch Abänderungen, welche durch Temperatur- oder Ernährungs- oder irgend andere Mediums-Einflüsse am Körper hervor- gerufen sind, sich den Keimzellen mitteilen und dadurch vererbbar machen können“. Damit lehnt Weismann natürlich das gewichtigste Bildungsprinzip der Lamarck’schen Abstammungslehre, den Einfluss von Gebrauch und Nichtgebrauch der Teile auf die Umwandlung der Arten ab. Indem also die konsequente Durchführung der theoretischen Auf- stellungen Weismann mit Notwendigkeit dahin führt, den ‚La- marckismus' zu verwerfen, so soll damit freilich nicht jede Ver- erbung der durch Nichtgebrauch oder Gebrauch bedingten Wirkungen überhaupt in Abrede gestellt sein, da ja „Beides, Gebrauch sowohl als Nichtgebrauch auf indirektem Wege zu Abänderung führen kann, Ersteres überall da, wo die Steigerung nützlich ist, Letzteres in allen Fällen, in denen umgekehrt das Organ für die Erhaltung der Art keine Bedeutung mehr hat“. 692 Weismann, Das Keimplasma. Aber auch die Prüfung an der Hand der Thatsachen liefert für die Hypothese von der Vererbung erworbener Eigenschaften kein günstiges Ergebnis. Die angebliche Vererbbarkeit von Verstümmelungen kann füglich als erledigt gelten; es ist auch vornehmlich nur eine Seite, nach welcher hin die in Rede stehende Frage geprüft werden muss, und diese betrifft die durch Medinms - Einflüsse hervorgerufenen Abänderungen; insbesondere sind es die klimatischen Varia- tionen der Sehmetterlinge, hinsichtlich deren eine erneute Darlegung nötig ist, da sie dem äußeren Anscheine nach in der That „als direkte Folge von veränderten äußeren Bedingungen auftreten“. Weismann berichtet nun von interessanten Versuchen, welche er zu dem angegebenen Zwecke an einem weitverbreiteten Angehörigen der Lyeäniden (Bläulinge), dem Feuerfalter (Polyommatus Phaeas L.) angestellt hat'!). Dieses Tier ist in unseren Breiten „auf der Oberseite der Flügel schön rotgoldig glänzend“, in den wärmeren Gegenden des Südens aber bald mehr bald weniger „schwarzbestäubt“. „Der Schmetter- ling fliegt bei uns in zwei Generationen, die sich ganz gleich sind, in Südeuropa aber gibt es Landstriche, z. B. die Riviera di levante, wo die erste Generation rotgolden, die zweite im Hochsommer fliegende schwarzbestäubt (var. Eleus) ist. Da nun auch bei uns in besonders heißen Sommern wiederholt schwärzlich angeflogene Exemplare ge- fangen worden sind, neben gewöhnlichen, und da ferner im äußersten Süden des Verbreitungsgebietes . .... . beide Generationen schwärzlich gefärbt sind, so scheint auf den ersten Blick die Sache so aufzufassen zu sein, als ob es sich hier um eine einfache und einmalige Wärme- wirkung handle, als ob der Schmetterling bei mittlerer Wärme rein rot, bei starker schwarzbestäubt ausfiele“. Die Züchtungsversuche Weismann’s haben nun gelehrt, dass die angeführte Schlussfolge nicht zutreffen kann: nicht um eine somatogene Eigenschaft, die vererbt wird, handelt es sich, „sondern der abändernde Einfluss, hier die Temperatur, trifft in jedem Individuum zugleich die Flügel- anlage also einen Teil des Somas, und das Keimplasma der in dem Tier enthaltenen Keimzellen. In der Flügelanlage der jungen Puppe verändert er dieselben Determinanten, wie in den Keimzellen, nämlich diejenigen der betreffenden Flügelschuppen. Die erstere Abänderung kann sich nieht auf die Keimzellen übertragen, sondern sie bezieht sich nur auf die Flügelfärbung dieses einen Individuums, die andere aber überträgt sich auf die folgende Genera- tion und bestimmt somit die Flügelfärbung derselben, soweit diese nicht wieder durch spätere Temperatureinflüsse modifiziert wird“. Hält man damit die von Weismann wiederholt beobachtete That- sache zusammen, dass bei saisondimorphen Schmetterlingen wie der bekannten Vanessa prorsa-levana „der umstimmende Einfluss der Wärme 1) Die Publikation der ausführlichen Arbeit über diesen Gegenstand ist „einer späteren Gelegenheit“ vorbehalten. Weismann, Das Keimplasma. 693 oder Kälte nur dann eintritt, wenn er im Beginn der Puppenperiode einwirkt“, so gelangen wir zu dem bedeutungsvollen Ergebnis, dass in dem Prozesse „der Auseinanderlegung der Determi- nanten“ eine Phase vorkommt, in welcher diese letzteren den umwandelnden Einflüssen der Temperatur am zu- gänglichsten sind. So lehren die Experimente Weismann’s, dass auch die klima- tischen Varietäten der Schmetterlinge, welche bislang „nur gewaltsam“ mit den theoretischen Aufstellungen unseres Autors sich in Einklang setzen ließen und deshalb für eine Vererblichkeit erworbener Eigen- schaften zu sprechen schienen, der zielbewussten experimentellen Unter- snehung sich als bedeutsame Belege gegen diese Vorstellung erweisen. Die gemeine Erfahrung, „dass das Kind nie identisch ist mit dem Elter, sondern sich immer von demselben mehr oder weniger stark unterscheidet“, bildet die Grundlage für die Erscheinung der ‚Varia- tion‘, welehe somit ein integrierender Teil der Vererbung ist, denn jede Vererbung schließt Variation in sieh ein“. Die hohe Bedeutung dieser „individuellen“ Variationen leuchtet sofort ein, wenn wir uns daran erinnern, dass in ihnen ja das Material gegeben ist, aus welchem die Natur auf dem Wege der Selektion die ganze unendliche Mannigfaltigkeit der Lebewesen hervorgebracht hat. Es handelt sich also um individuelle Abänderungen erblicher Natur, denn nur solehe können auf dem Wege der Selektionsprozesse zur Hervorbringung neuer Arten verwendet werden. Da aber — wie ge- zeigt wurde — im individuellen Leben erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden, müssen diese Variationen ferner auch blastogene Ab- änderungen darstellen. Welche Ursachen bedingen nun die individuellen Variationen ? Weismann beantwortet diese wichtige Frage dahin, dass „die erb- liehe individuelle Variabilität auf ungleiche äußere Einflüsse zu be- ziehen“ sei; dabei erhebt sich aber sofort die Schwierigkeit, „wieso derartige Einflüsse erbliche Verschiedenheiten hervorbringen können, wenn somatogene Abänderungen nieht vererbbar sind, denn äußere Einflüsse wirken zunächst, und viele von ihnen sogar ausschließlich auf den Körper und nicht auf die Keimzellen“. Zunächst ist, wenn aueh nicht „die letzte Wurzel der individuellen Variabilität, wohl aber ihre Erhaltung und stete Umgestaltung zu den für Selektion erforderlichen Mischungen“ in der Amphimixis ge- geben, weleher „in ihren beiden Formen der Konjugation der Einzelligen und der geschleehtlichen Fortpflanzung der Vielzelligen die Bedeutung einer Variationsquelle“ innewohnt, die fortgesetzt eine unendliche Mannigfaltigkeit in der Kombination individueller Modifikationen hervorruft. Allem die Amphi- mixis vermag nur die bereits vorliegenden Variationen in einer Art zu ihren stets wechselnden Kombinationen zu gebrauchen, sie ist 694 Weismann, Das Keimplasma. aber nicht im Stande, selbst neue Variationen hervorzubringen. Dem- nach muss die „letzte Wurzel“ der erblichen Abänderungen „in einer direkten Einwirkung der äußeren Einflüsse auf die Biophoren und Determinanten liegen“, welche „während ihres beinahe unausgesetzten Wachstums steten Schwankungen in ihrer Zu- sammensetzung unterworfen sind“. Mögen dieselben zunächst auch von sehr geringem Betrage sein, so liegt im ihnen doch der Ausgangspunkt für die umfassenderen Modifikationen der Determinanten, „welche sich uns als sichtbare individuelle Variationen dar- stellen“, mit anderen Worten: Aendern viele gleichartige Determi- nanten nach derselben Richtung hin ab, so ist damit eine erbliche individuelle Variation geschaffen. Die stete Veränderlichkeit in der Beschaffenheit der Determinanten basiert auf der gleichen Grundlage, welche für die gesetzmäßige Aus- einanderlegung der Determinanten im Keimplasma bereits aufgezeigt wurde: „auf der ungleichen Zusammensetzung der Elemente der wach- senden Substanz“. Auf die Zusammensetzung aus vielen verschieden- artigen Biophoren, „welche auf verschiedene Wachstumseinflüsse un- gleich reagieren“, ist also die unausgesetzt fluktuierende Beschaffenheit, kurz die Variabilität der Determinanten zu beziehen. So geringfügig diese kleinsten Abänderungen auch erscheinen mögen, sie stellen doch das Material dar, „aus welchem durch Amphimixis in Ver- bindung mit Selektion die sichtbaren individuellen Varia- tionen hervorgehen, durch deren Steigerung und Kombinierung dann die neuen Arten entstehen“. Der letztere Erfolg kann in zweifacher Weise erreicht werden. Im einfacheren Falle brauchen wir uns nur vorzustellen, dass, „indem die lange Zeit hindurch gleichsinnig einwirkende Ursache die erste leichte Abänderung gewisser Determinanten verstärkt“, diese Abände- rung so gesteigert werde, dass „schließlich eine ganz überwiegende Majorität sämtlicher Ide die abgeänderte Determinante enthält“. Hier würde die Artbildung also dadurch erzielt werden, dass in erster Linie der andauernde Einfluss eines äußeren Mediums wie z. B. der Wärme abändernd auf die Besehaffenheit der Determinanten wirkt. Daraus ergibt sich ohne Weiteres, „dass junge Artcharaktere durch eine nur geringe Majorität abgeänderter Determinanten vertreten sind, alte Artcharaktere aber durch eine sroße“, Die unendliche Mehrheit der Abänderung beruht indess auf Selek- tionsprozessen. Die durch — wie wir sahen — äußere Einflüsse un- ausgesetzt bedingten kleinsten Schwankungen in der Beschaffenheit nicht bloß — wie man annehmen darf — einzelner sondern wohl aller Determinanten liefern in unerschöpflicher Fülle minimale Variationen, welche zu jeder Zeit zur Verfügung stehen, sie sind aber zu geringfügig, als dass „Naturzüchtung mit ihnen operieren“ könnte. Weismann, Das Keimplasma. 695 Weismann ist nieht der Meinung, „dass das, was wir an Variationen sehen können, schon das direkte Resultat jener kleinsten Schwankungen der einzelnen Determinanten ist; sie können wohl erst das Summationsprodukt vieler solcher Schwankungen sein“. Erst dort, wo eine größere Anzahl in gleichem Sinne abge- änderter Determinanten zusammentrifft, wird die Variation an dem betroffenen Charakter augenfällig werden. Eine derartige Zusammenlagerung gleichsinnig veränderter Deter- minanten wird leicht dadurch bewirkt werden können, dass einzelne Determinanten „verschiedener Ide und Individuen durch Reduktions- teilung und Amphimixis m einem Keimplasma vereinigt und zu einer Majorität verbunden werden“. „Eine Menge von Abänderungen von Art zu Art werden lediglich auf der Abänderung einzelner oder vieler Determinanten beruhen (Umfärbungen einzelner Teile oder des ganzen Körpers)“. Viele Abänderungen verdanken aber auch zugleich einer Zunahme der Gesamtzahl der Determinanten ihre Entstehung. Eine derartige Vermehrung der Determinanten kann ja ohne Bedenken mit dem äußeren Einfluss besonders günstiger Ernährung in Verbindung gebracht werden. „Die bedeutenderen Abänderungen der Arten, alle Vergrößerung von Teilen, alle Höher - Differenzierung von Organen muss damit verbunden sein, und die Summierung ver- doppelter Determinanten einzelner Ide wird ebenso wie die bloß qualitative Abänderung derselben durch Reduktionsteilung und Amphi- mixis so lange summiert werden können, bis die Abänderung sichtbar wird, und Naturzüchtung eingreifen kann“. Die Umwandlung der Arten wurzelt also in der Abänderung „ein- zelner, vieler, häufig wohl aueh der meisten Determinanten“ und damit auch der aus ihnen sich aufbauenden Ide. „Je mehr die Umwandlung einer Art vorschreitet, um so zahlreiehere Determinanten werden um- gewandelt, und in um so zahlreicheren Iden. Dennoch liegt es gerade in dem alles beherrschenden Selektionsprinzip selbst, dass die Umwand- lung aller Ide nur äußerst langsam erfolgt, dass also das Keim- plasma einer jungen Art oft noch ganze unabgeänderte Ide der Stammart enthalten kann, ältere Arten aber wenigstens doch noch einzelne unabgeänderte Determinantengrappen in manchen Iden“, d. h. „das Keimplasma einer Art besteht immer zum größeren Teil aus den Art-Iden, zwischen welehen aber einige mehr oder weniger intakte Vorfahren-Ide enthalten sind, und zwar um so zahlreichere, je jünger die Art ist“. — Am Schlusse dieses Berichtes angelangt, läge es in verlockender Nähe, das ganze, freilich nur flüchtig, durchmessene Gedankengebiet noch mit einem zusammenfassenden Blieke prüfend zu überschauen. tef. verzichtet darauf. Die Natur des Gegenstandes brachte es mit sich, dass in dem nun abgeschlossenen Referate nur das Aller- wesentlichste und dieses oft nur skizzenhaft mitgeteilt werden 696 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuehtwahl*. konnte, Manches wie z. B. die Erscheinungen des hückschlages u. a. gänzlich übergangen werden musste. Dieser Umstand rechtfertigt jenen Verzicht. Der Mangelhaftigkeit seiner Arbeit ist Ref. sich wohlbewusst; vielleicht darf er aber sein stetes Bestreben, den Autor selbst sprechen zu lassen und so dem Leser auch die äußere Gewähr gewissenhafter Berichterstattung zu sichern, als emen Vorzug seines Berichtes in An- spruch nehmen. ‚Jedenfalls möchte er hoffen, dass aus seinen Dar- legungen die Ueberzeugung sich dem Leser mitteile, die Vererbungs- lehre Weismann’s, wie sie in seinem Werke ‚das Keimplasma‘ entwickelt ist und bis ins Einzelne ausgeführt vorliegt, ist eine echt wissenschaftliche Leistung, die Gedankenarbeit eines Meisters der Forschung. F. v. Wagner (Straßburg i. E.). Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Von Herbert Spencer. Jeder, der sieh mit psychologischen Untersuchungen beschäftigt, kennt die Versuche von Weber über den Tastsinn. Dieser fand, dass die verschiedenen Teile der Hautoberfläche große Abweichungen in der Fähigkeit zeigen, Rechenschaft von den berührten Gegenständen zu geben. Gewisse Teile, welche zu lebhaften Empfindungen Anlass geben, vermitteln geringe oder gar keine Vorstellung von der Größe oder Form der sie erregenden Dinge; während andere Teile, welche viel weniger starke Empfindungen veranlassen, deutliche Vorstellungen von den durch Berührung erkennbaren Eigenschaften selbst verhältnis- mäßig kleiner Gegenstände liefern. Diese Verschiedenheiten im Unterscheidungsvermögen des Tastsinns stellte er sinnreich in be- stimmten Maßen dar. Er berührte die Haut mit den mehr oder weniger von einander entfernten Spitzen eines Zirkels. Waren die Spitzen weniger als 2 mm von einander entfernt, so fühlte die Spitze des Zeigefingers nicht zwei Spitzen; die beiden Spitzen schienen eine einzige zu sein. War hingegen der Zirkel so weit offen, dass die Spitzen mehr als 2 mm von einander entfernt standen, dann unter- schied die Spitze des Zeigefingers die zwei Spitzen. Ebenso fand er, dass der Zirkel bis zum Spitzenabstand von 60 mm geöffnet sein muss, damit die Mitte des Rückens die zwei Spitzen von einer unterscheiden konnte. Das will sagen, dass auf diese Weise gemessen die Spitze des Zeigefingers 30 Mal so viel Unterscheidungsvermögen des Tastsinns hat als die Mitte des Rückens. Zwischen diesen Extremen fand er Abstufungen. Die Volarseiten der zweiten Fingerglieder können Abstände nur halb so gut unter- scheiden, als es die Spitze des Zeigefingers vermag, Die innersten Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 697 Glieder können noch weniger unterscheiden, stehen aber in dieser Be- ziehung mit der Nasenspitze auf gleicher Stufe. Die Spitze der großen Zehe, der Handteller und die Wange haben alle gleichmäßig den fünften Teil des Unterscheidungsvermögens der Zeigefingerspitze; der untere Teil der Stirne hat nur halb so viel als die Wange. Der Hand- rücken und der Scheitel sind nahezu gleich, indem sie nur den vier- zehnten oder fünfzehnten Teil der Fähigkeit des Zeigefingers haben die Lage eines Gegenstandes zu beurteilen. Der Schenkel nahe beim Knie hat eher weniger und die Brust noch weniger; der Zirkel muss mehr als 35 mm offen sein, damit die Brust zwei Spitzen von einander unterscheiden könne. Was kann man aus diesen Verschiedenheiten schließen? Wie sind sie im Lauf der Entwicklung entstanden? Wenn „natürliche Zucht- wahl“ oder das Ueberleben des Geeignetsten als die Ursache angegeben wird, dann muss nachgewiesen werden können, auf welche Weise jeder dieser Grade der Begabung seinem Besitzer zu solchem Vorteil ge- reichte, dass sie nicht selten direkt oder indirekt zur Erhaltung seines Lebens beitragen konnte. Wir können vernünftigerweise annehmen, dass ohne einen differenzierenden Prozess alle Teile der Oberfläche die gleiche Fähigkeit besitzen relative Lagen wahrzunehmen. So große Unterschiede in ihrem Wahrnehmungsvermögen können nicht ohne irgend eine Ursache entstanden sein. Und wenn die behauptete Ursache die natürliche Zuchtwahl ist, dann muss man beweisen können, dass der größere Grad der Fähigkeit, den der eine Teil vor dem andern besitzt, nicht nur zur Erhaltung des Lebens geführt hat, sondern auch dazu, dass ein Individuum, in welchem eine Veränderung bessere An- passung für die Bedürfnisse erzeugt hat, dadurch sein Leben bewahrte, während andere zu Grunde gingen; und dass die Nachkommen, welche diese Veränderung erbten, durch den überkommenen Vorteil befähigt wurden sich besser zu vermehren als die Nachkommen der Individuen, die diese Vorteile nicht besaßen. Kann dieses oder etwas Aehnliches bewiesen werden ? Dass die größere Empfindlichkeit der Zeigefingerspitze auf diese Art entstanden ist, mag durch einen halbwegs einleuchtenden Grund bewiesen werden können. Solche Empfindlichkeit ist eine wichtige Hilfe der Handverrichtung und mag zuweilen einen lebenerhaltenden Vorteil gewährt haben. .Beim Verfertigen von Pfeilen oder Fischhaken mag ein Wilder, der diese Fähigkeit in besonderem Grade besaß, da- durch in den Stand gesetzt worden sein seine Nahrung zu erwerben, wo es einem andern nicht gelang. Auch im zivilisierten Leben mag eine Näherin mit gut geeigneten Fingerspitzen möglicherweise einen bessern Verdienst haben als eine mit stumpfen Fingern; obwohl dieser Vorteil nieht so groß ist als es scheint. Ich habe gefunden, dass zwei Damen, deren Fingerenden mit Handschuhspitzen bedeckt waren und deren Empfindlichkeit dadurch von 2 mm Zirkelweite auf 3—4 mm 598 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“, herabgegangen war, nichts Bemerkenswertes in der Schnelligkeit und Güte beim Nähen einbüßten. Eine Erfahrung, die ich an mir selbst machte, kann hier angeführt werden. Ehe ich aufhörte mich mit Lachsfang zu beschäftigen, hatte ich öfters bemerkt, was für ein Stümper ich im Ansetzen und Abnehmen der künstlichen Fliegen ge- worden war. Da das Tastvermögen meiner Fingerspitzen, das ich kürzlich untersuchte, dem Weber’schen Maßstab gleichkommt, so ist es klar, dass diese Abnahme der Handgeschicklichkeit, die mit dem höhern Alter eingetreten war, von der verminderten Feinheit der Muskel- Koordination und des Drucksinns herrührte und nicht der Abnahme des Tastsinns zuzuschreiben war. Doch legen wir keinen zu großen Wert auf diese Einwände, sondern nehmen wir an, dass diese große Empfindlichkeit der Zeigefingerspitze durch Ueberleben des Begabtesten entstanden sein mag, und schränken wir die Beweisführung auf die andern Verschiedenheiten ein. Wie steht es mit der Vorder- und Rückseite des Rumpfes? Lässt sich irgend ein Vorteil davon ableiten, dass die letztere einen feineren Gefühlssinn hat als die erstere? Die Nasenspitze hat dreimal so viel Unterseheidungsvermögen als der untere Teil der Stirne. Lässt sich nachweisen, dass diese Fähigkeit irgend einen Vorteil gewährt? Der Handrücken hat kaum mehr Unterscheidungsvermögen als der Scheitel und nur den vierzehnten Teil desjenigen der Fingerspitze. Woher kommt dies? es könnte gelegentlich einen Vorteil gewähren, wenn der Handrücken uns etwas Genaueres über die Formen der berührten Oberflächen sagen kann. Woher sollte der Schenkel nahe am Knie zweimal so empfindlich sein als die Mitte des Schenkels? Und schließlich warum sollten die Mitte des Vorderarms, die Mitte des Schenkels, die Mitte des Nackens und die Mitte des Rückens alle auf der niedersten Stufe stehen, indem sie nur den dreißigsten Teil der Empfindlichkeit der Zeigefingerspitze besitzen? Wenn man beweisen wollte, dass diese Verschiedenheiten durch natürliche Zuchtwahl entstanden sind, müsste man erst beweisen, dass solche kleine Abweichung in einem der Teile, wie sie in einer Generation entstanden sein mag — sagen wir !/,, Extrabetrag — einen bemerkenswerten Beitrag zur Selbsterhaltung geliefert habe; und dass diejenigen die sie geerbt hatten, dadurch auch ferner so bevor- zugt waren um sich besser zu vermehren als diejenigen, die im Uebrigen ihnen gleich, gerade diesen einen Zug weniger ausgebildet besaßen. Glaubt Jemand dies beweisen zu können? Wenn aber diese Verteilung in der Feinheit des Tastsinns nicht durch Ueberleben der Geeignetsten erklärt werden kann, wie kann sie erklärt werden? Die Antwort ist, dass diese Verschiedenheiten so- gleich erklärt werden können, wenn dabei eine Ursache mitgewirkt hat, welche die Biologen jetzt meistens nicht kennen wollen oder leugnen. Diese Ursache ist die Vererbung erworbener Charaktere. u Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*“. 699 Um dies vorläufig weiter zu begründen habe ich einige Versuche an- gestellt. Es ist ein allgemein verbreiteter Glaube, dass die Finger des Blinden, welche mehr im Tasten eingeübt werden als die Finger derer, die sehen können, ein feineres Unterscheidungsvermögen erwerben, be- sonders die Finger solcher Blinder, welche erhabene Schrift zu lesen gelernt haben. Da ich diesem allgemein verbreiteten Glauben nieht ohne Weiteres trauen wollte, habe ich neuerdings zwei Knaben, einen von fünfzehn Jahren und einen jüngern, in der Blindenschule der Upper Avenue Road untersucht und fand den Glauben begründet. Ich fand, dass beide Knaben die Zirkelspitzen schon bei einem Abstand von weniger als 2 mm unterscheiden konnten. Sie hatten eine dieke grobe Haut; und zweifellos würde ihr Unterscheidungsvermögen ohne dieses Hindernis ein noch größeres gewesen sein. Später fiel mir ein, dass ein besserer Beweis von solchen Personen zu erlangen wäre, deren Fingerspitzen für Tastempfindungen geübt seien, nicht nur gelegentlich wie beim Blinden durch das Lesen, sondern den ganzen Tag über in Ausübung ihrer Beschäftigung. Die Thatsachen ent- sprachen der Erwartung. Zwei geübte Schriftsetzer, an denen ich die Versuche machte, waren beide im Stande die beiden Spitzen bei einer Entfernung von nur 1'/, mm zu unterscheiden. Hiermit haben wir den deutlichen Beweis, dass dauernde Uebung der Tastnerven zu höherer Entwicklung führt’). 1) Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine sehr wichtige Folgerung ver- zeichnen. Die Entwicklung des Tastsinns, die in solchen Fällen stattfindet, kann nicht auf die Fingerspitzen beschränkt sein. Wenn wir uns die ge- trennten empfindlichen Flächen, welche einzeln von einander unabhängige Em- pfindungen abgeben, als ein Netzwerk vorstellen (nicht gerade als ein scharf abgegrenztes Netzwerk, sondern vermutlich ein solches, bei welchem die äußersten Fasern jedes Teils mehr oder weniger in die angrenzenden Teile übergehen, so dass die Trennung unbestimmt ist) so ist es klar, dass, wenn durch Uebung das Gewebe weiter ausgebildet wurde und die Maschen des Netzwerks kleiner wurden, eine Vervielfältigung der zum Zentralnervensystem ziehenden Fasern stattgefunden haben muss. Wenn zwei aneinanderstoßende Felder durch Ver- ästelungen einer einzigen Faser versorgt werden, so würde die Berührung einer jeden dem Bewusstsein die gleiche Empfindung zuführen: es könnte keine Unterscheidung zwischen zwei Spitzen, die die beiden Felder berühren, statt- finden. Damit Unterscheidung stattfinde, muss eine gesonderte Verbindung zwischen jedem Flächenteil und demjenigen Teil der grauen Hirnsubstanz be- stehen, welcher die Eindrücke empfängt. Noch mehr, es muss in diesem Central- Aufnahmeteil eine größere Zahl getrennter Elemente geben, die bei ihrer Er- regung getrennte Gefühle vermitteln. Hieraus folgt, dass diese höhere Fähigkeit des Tastunterscheidungsvermögens eine periphere Entwicklung, eine Vermehrung der Fasern des Stammnerven und eine größere Verwicklung des Nervenzentrums einschließt. Es ist kaum zu bezweifeln, dass analoge Veränderungen unter analogen Bedingungen in allen Teilen des Nervensystems stattfinden — nicht nur in seinen Anwendungen auf die Sinnesorgane sondern in allen seinen höhern Anwendungen bis hinauf zu den höchsten. 700 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*“. Wenn nun erworbene Strukturveränderungen erblich sind, so sind die oben angeführten verschiedenen Kontraste die sichtbaren Folgen davon; denn die Abstufungen in der Feinheit der Tastempfindungen entsprechen den Abstufungen der Tastübungen der verschiedenen Teile. Abgesehen von den Kleidern, welche nur große Oberflächen mit ge- ringen und unbestimmten Unterschieden darbieten, hat der Rumpf kaum irgend welchen Verkehr mit andern Körpern und er hat nur ein ge- ringes Unterscheidungsvermögen, aber dieses ist größer auf der Vorder- seite als auf dem Rücken, der Thatsache entsprechend, dass Brust und Bauch häufiger von den Händen berührt werden. Dieser Unter- schied ist möglicherweise zum Teil von niederen Geschöpfen ererbt; denn, wie wir bei Katzen und Hunden sehen, ist der Bauch für die Füße und die Zunge viel leichter zu erreichen als der Rücken. Nicht weniger stumpf als der Rücken sind die Mitte des Nackens, die Mitte des Vorderarms und die Mitte des Schenkels; und diese Teile haben nur seltene Erfahrungen inbezug auf unregelmäßige Fremdkörper. Der Scheitel wird gelegentlich von den Fingern berührt wie auch der kücken der einen Hand von den Fingern der andern; aber keine dieser Oberflächen, die nur doppelt so viel Unterscheidungsvermögen haben als der Rücken, wird häufig benutzt um Gegenstände zu berühren, noch viel weniger um sie zu untersuchen. Der untere Teil der Stirn, obgleich feiner empfindend als der Scheitel, entsprechend der etwas häufigern Berührung mit den Händen, ist weniger als ein Drittel so empfindlich als die Nasenspitze; und offenbar hat diese sowohl durch ihr relatives Hervorstehen als aueh dureh ihre Berührung mit geruch- verbreitenden Gegenständen und durch die häufige Benutzung des Taschentuchs bedeutend größere Erfahrung im Tasten. Gehen wir zu den innern Handflächen über, die als Ganzes genommen weit häufiger Berührungen ausüben als der Rücken, die Brust, der Schenkel, Vorder- arın, Stirn oder Handrücken, so ersieht man aus Weber’s Stufenleiter, dass sie viel feiner empfinden und dass die Grade des Unterscheidungs- vermögens der verschiedenen Teile mit ihrer Tastthätigkeit in Ueber- einstimmung sind. Die Handflächen haben nur ein Fünftel so viel Empfindlichkeit als die Zeigefingerspitzen; die innern Flächen der Fingerglieder zunächst der Handflächen haben nur ein Drittel so viel, während die innern Flächen der zweiten Glieder halb so fein em- pfinden. Diese Fähigkeiten entsprechen den Thatsachen, dass während die innern Teile der Hand nur dazu gebraucht werden, die Dinge zu sreifen, die Fingerspitzen in Thätigkeit kommen, nicht allen, wenn die Dinge gefasst werden, sondern wenn solche und besonders wenn kleinere Dinge gefühlt und gehandhabt werden. Man braucht nur die relativen Thätigkeiten dieser Teile beim Schreiben, Nähen, Befühlen von Stoffen zu beobachten um zu sehen, dass allen andern Teilen voraus die Fingerspitzen und besonders die Zeigefingerspitzen die mannigfaltigste Uebung haben. Wenn dann solche besondere Empfind- Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 701 lichkeit, die durch eine Thätigkeit, wie sie der Schriftsetzer ausübt, erworben wurde, erblich ist, dann hat man die Erklärung für diese Abstufungen der Tastempfindlichkeit. Ohne Zweifel haben einige, denen Weber’s Ergebnisse bekannt sind, den Beweis, den er von der Zungenspitze herleitet, sozusagen auf der Zunge gehabt. Dieser Teil überragt alle andern an Unter- scheidungsvermögen des Tastsinns: um das Doppelte in dieser Rich- tung die der Zeigefingerspitze. Die Zungenspitze kann Punkte unter- scheiden, die nur 1 mm von einander entfernt sind. Woher diese beispiellose Empfindlichkeit? Wenn Ueberleben des Bestausgestatteten die Ursache dafür ist, dann müsste gezeigt werden können, welches die erlangten Vorteile waren; und ferner dass die Vorteile groß genug waren um auf die Erhaltung des Lebens Einfluss auszuüben. Außer dem Geschmackssinn hat die Zunge noch zwei dem Leben dienliche Funktionen. Sie setzt uns in Stand die Speise während des Kauens hin und her zu bewegen uud sie befähigt uns viele zur Sprache gehörige Artikulationen zu vollführen. Aber was hat die ungemeine Empfindlichkeit der Zungenspitze mit diesen Funktionen zu schaffen ? Die Speise wird nicht von der Zungenspitze sondern von dem mittleren Zungenteil bewegt; und selbst wenn die Spitze stark bei diesem Vor- gang beteiligt wäre, müsste immer noch bewiesen werden, dass ihre Geschicklichkeit im Unterscheiden zweier Spitzen die nur 1 mm von einander entfernt sind, für diesen Zweck von Nutzen wäre, was nicht bewiesen werden kann. Es kann in der That gesagt werden, dass der Tastsinn der Zungenspitze zur Entdeckung fremder Körper in der Speise, wie Pflaumenkerne und Fischgräten dient. Aber solche außer- ordentliche Empfindliehkeit ist für diesen Zweck unnötig. Eine den Fingerspitzen gleiche Empfindlichkeit würde genügen. Und selbst wenn solche außerordentliche Empfindlichkeit von Nutzen wäre, könnte sie nicht die Ursache sein, dass die in etwas höherm Grade damit aus- gestatteten Individuen die andern überlebten. Es genügt einen Hund zu beobachten, der kleine Knochen zerkaut und ungestraft scharf- kantige Stücke verschlingt, um zu sehen, dass nur ein geringer Bruch- teil der Sterblichkeit damit verhindert würde. Und inbezug auf die Sprache? Auch hier kann kein Vorteil nachgewiesen werden, der aus der außerordentlichen Empfindlichkeit entspränge. Um s auszusprechen muss die Zunge teilweise an den Abschnitt des Gaumens nächst den Zähnen gelegt werden. Aber die Berührung braucht nur eine unvollkommene zu sein und auch die Stelle ist unbestimmt, kann bis zu einem Zentimeter und mehr zurückliegen. Beim sch muss die Berührung nieht mit der Spitze sondern mit der oberen Fläche der Zunge ausgeübt werden und muss eine unvoll- kommene sein. Obgleich bei der Aussprache der Liquidae die Zungen- spitze und Zungenränder gebraucht werden, so ist doch keine genaue Lage der Spitze nötig sondern nur eine leise Berührung des Gaumens. 702 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. Für das (englische) tk wird die Zungenspitze zusammen mit den Zungenrändern benutzt; aber es ist keine genau abgepasste Lage dazu nötig weder inbezug auf die Zahnränder noch auf die Verbindungs- stelle der Zähne mit dem Gaumen, wo der Laut ebensogut erzeugt werden kann. Obgleich für 2 und d vollkommene Berührung der Zungenspitze und Ränder mit dem Gaumen erfordert wird, so ist den- noch die Berührungsstelle nicht bestimmt und die Spitze spielt dabei keine wichtigere Rolle als die Seiten. Wer die Bewegungen seiner Zunge beim Sprechen beobachtet, wird finden, dass kein Fall eintreten kann, in welchem die Lage so exakt sein müsste, dass sie mit der sroßen Empfindlichkeit, welche die Zungenspitze besitzt, im Einklang wäre: für die Sprache ist diese Gabe unnütz. Selbst wenn sie nützlich wäre, ist noch nicht bewiesen, dass sie durch Ueberleben des Begab- testen sich entwickelt habe; denn obgleich vollkommene Aussprache von Nutzen ist, so hat unvollkommene Aussprache selten solche Wirkung, dass sie Jemanden an der Erhaltung seines Lebens hinderte. Wenn er ein guter Arbeiter ist, so wird dem Deutschen seine Verwechslung desdundp!) nicht nachteilig sein. Ein Franzose der statt 2} immer 2 (tönendes s) ausspricht, hat als Musik- oder Tanzlehrer keinen geringern Erfolg, als wenn er die englische Aussprache vollkommen beherrschte. Selbst eine so unvollkommene Sprache wie sie infolge eines gespaltenen Gaumens entsteht, legt dem Menschen kein Hindernis in den Weg emporzukommen, wenn er sonst befähigt ist. Freilich als Parlaments- kandidat mag er Schwierigkeiten haben oder als „Redner“ für die Arbeitslosen (die oft nicht wert sind beschäftigt zu werden). Aber im Kampf ums Dasein ist er dadurch nicht in dem Maße behindert, dass er unfähiger wäre als Andere sich und seine Nachkommenschaft zu erhalten. Es ist also klar, dass wenn selbst diese beispiellose Em- pfindlichkeit der Zungenspitze zur vollkommenen Sprache nötig wäre, doch diese Anwendung nicht wichtig genug ist um durch natürliche Zuchtwahl entwickelt worden zu sein. Wie ist aber diese auffallende Eigenschaft der Zungenspitze zu erklären? Ohne Schwierigkeit, wenn man Vererbung erworbener Eigen- schaften annimmt. Denn die Zungenspitze hat mehr als alle andern Körperteile Gelegenheit, ununterbrochene Erfahrungen zu sammeln über kleine Oberflächenunregelmäßigkeiten. Sie ist in Berührung mit den Zähnen und bewusst oder unbewusst ist sie fortwährend mit deren Untersuchung beschäftigt. Es vergeht kaum ein Moment, wo ihr nicht Eindrücke von angrenzenden aber verschiedenen Gegenständen über- mittelt werden, entweder von den Oberflächen der Zähne oder deren 1) Die Engländer schreiben bekanntlich die Verwechslung tonloser und tönender Konsonanten allen Deutschen ohne Unterschied zu. Richtig ist, dass diese Verwechslung in ganz Mitteldeutschland (Schlesien, Sachsen, Thüringen, Franken) allgemein verbreitet ist, während sie im übrigen Deutschland sich vorzugsweise beim Auslaut zeigt. Anm. d. Herausg. Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 705 Rändern; und sie bewegt sich fortwährend hin und her zwischen ihnen. Es ist damit kein Vorteil verbunden. Die Lage der Zunge macht ein- fach eine andauernde Untersuchung fast unvermeidlich; und durch die andauernde Untersuchung wird dieses einzig dastehende Unterschei- dungsvermögen entwickelt. So bewährt sich das Gesetz durchgängig vom höchsten Grad der Empfindlichkeit der Zungenspitze bis zum niedersten Grad an der Rückseite des Rumpfes; und eine andere Er- klärung des Faktums scheint nicht möglich. „Jawohl, es gibt noch eine andere Erklärung“ höre ieh Jemanden sagen: man kann es durch Panmixie erklären. Gut, erstens da die Erklärung durch Panmixie in sich schließt, dass diese Abstufungen der Empfindlichkeit unter Abnahme von Nervensubstanz entstanden seien, so liegt der Erklärung eine unbewiesene und unwahrscheinliche Voraussetzung zu Grunde; und zweitens, wenn selbst diese Schwierig- keit nicht bestünde, so kann man bestimmt annehmen, dass Panmixie keine Erklärung dafür wäre. Sehen wir uns die Sache etwas näher an. Es war nicht ohne Grund, dass Bentham sich gegen bildliche Ausdrücke erklärte. Bildliche Sprache im Allgememen, so wertvoll sie in Poesie und Rethorik ist, kann nieht ohne Gefahr in der Natur- wissenschaft und Philosophie angewandt werden. Der Titel von Darwin’s großem Werk liefert uns ein Beispiel, welche irreleitende Wirkungen sie haben kann. Er lautet: „Ueber die Entstehung der Arten durch natürliche Zuehtwahl oder die Erhaltung der begünstigten Rassen im Kampfe ums Dasein“. Hierin sind zwei Redefiguren enthalten, die beide zusammen eine mehr oder weniger irrtümliehe Vorstellung erzeugen. Der Ausdruck „natürliche Zucht- wahl“ wurde gewählt um damit eine Art Paralelle mit künstlicher Zuchtwahl, wie sie von Züchtern ausgeübt wird, darzustellen. Aber Wahl setzt Willensthätigkeit voraus und gibt den Vorstellungen des Lesers eine falsche Riehtung. Diese Richtung wird noch begünstigt dureh die Worte im zweiten Titel, „bevorzugte Rassen“; denn Etwas, das bevorzugt wird, setzt die Anwesenheit eines Bevorzugenden voraus. Ich will nicht sagen, dass Darwin selbst nicht die irreleitenden Be- deutungen seiner Worte erkannt habe oder dass er nicht selbst vermied von ihnen irregeleitet zu werden. Im Kapitel 4 des „Ursprung der Arten“ sagt er, dass wörtlich genommen, „natürliche Zuchtwahl“ ein falscher Ausdruck sei und dass die Personifikation der Natur nieht einwandsfrei sei; aber er nimmt an, dass die Leser und diejenigen, die seine Ansichten annehmen, bald lernen sich vor falscher Anwen- dung zu hüten. Hier wage ich anzunehmen, dass er sich irrte. Und meine Gründe dafür sind, dass selbst sein Schüler, Mr. Wallace, — nein, nicht sein Schüler, sein Mitentdecker, dem dauernde Ehre ge- bührt — augenscheinlich durch sie beeinflusst wurde. Wenn er z. B. bei Bekämpfung einer meiner Ansichten sagt, dass „gerade dasjenige, was für unmöglich gehalten würde durch Abänderung und natürliche 704 Ellenberger u. Baum, Topographische Anatomie des Pferdes. Zuchtwahl, wieder und wieder durch Abänderung und künstliche Zuchtwahl ausgeführt worden sei“, so scheint er unzweifelhaft zu folgern, dass die Vorgänge analog sind und auf gleiche Weise wirken. Dies ist nun nicht der Fall. Sie sind nur innerhalb sehr enger Grenzen analog; in der überwiegenden Mehrheit der Fälle ist natürliche Zueht- wahl nicht im Stande das auszuführen, was künstliche Zuehtwahl vermag. (Schluss folgt.) W. Ellenberger und H. Baum, Topographische Anatomie des Pferdes. Mit besonderer Berücksichtigung der tierärzt- lichen Praxis. Erster Teil: Die Gliedmaßen. Gr. 8. IX und 290 Seiten. 82 Abbildungen. Berlin. Paul Parey. 1893. Die Anatomie des Pferdes wird zwar dem experimentierenden Physiologen seltner von praktischem Nutzen werden als die uns früher angezeigte Anatomie des Hundes von denselben Verfassern. Immerhin aber wird das vorliegende Werk gelegentlich auch über den Kreis derer, für die es zunächst bestimmt ist, gebraucht werden können. Die Vorzüge des früheren Werkes: Sorgfalt der Arbeit und Darstellung, vorzügliche Ausstattung, vortreffliche Holz- schnitte u. s. w. kommen auch dem neuen Werke in höchstem Maße zu. Hoffentlich gelingt es dem bewundernswerten Fleiß der Herren Vff. uns bald die Fortsetzungen, Kopf, Hals und Rumpf des Tieres in gleich vollendeter Darstellung zu bieten. Abgesehen von dem rein praktischen Nutzen solcher monographischer Bearbeitungen der Anatomie einzelner Tiere liefern sie auch dem vergleichen- den Anatomen wertvolles, weil zuverlässiges Material für seine Studien. Es ist deshalb zu wünschen, dass auch die Anatomie andrer Tiere in gleicher Weise bearbeitet werden möge. P. Berichtigungen. In dem Aufsatze von Herrn Loesener „Ueber das Vorkommen von Domatien bei der Gattung Ilex“ in Nr. 15 u. 16 sind wegen zu spätem Ein- treffen der Korrektur folgende Fehler stehen geblieben; man bittet solche be- richtigen zu wollen: Auf S.449 Zeile 12- von unten lies „Glaziou* statt „Glazion“. » »40 „ 4°, oben‘ „ ' „Mart.“ statt '„Mast“. ATHEBAHO.E md n „ „Blattränder“ statt „Blättränder“. »„ „450 „ 41 „ unten „ „sichereren“ statt „sicheren“. ei ee 9 u „ „Blättern“ statt „Blätteru“, n„ „452 „ 18 „ oben „ „Mittelnerv“ statt „Mittelmeer“. un ADDON ar RAKG, 4 3, mi,» Statt, „Fig 2% Verlag von Eduard Besold (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der kgl. bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Hierzu eine Beilage der Verlagsbuchhandlung H. Bechhold Frankfurt a.|M. Biologisches Oentralblatt Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XII. Band. 1. Dezember 1893. | Nr. 29, Inhalt: Spencer, Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“ (Fortsetzung). — Haacke, Ueber die Entstehung des Säugetieres. — Ergebnisse der Plankton- Expedition. Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Von Herbert Spencer. (Fortsetzung. ) Um dies zu sehen braucht man nur die Natur zu entpersonifizieren und sich zu erinnern, dass, wie Darwin sagt, Natur „nur die Aggregat- thätigkeit und das Aggregatprodukt vieler Naturgesetze (Kräfte) ist“. Künstliche Zuchtwahl kann einen eigenartigen Zug herausgreifen und ihn, mit Vernachlässigung anderer Züge der betreffenden Individuen, in aufeinanderfolgenden Generationen verstärken durch auswählende Aufzucht. Denn für den Züchter oder Liebhaber macht es nichts aus, ob die Individuen im Uebrigen gut konstituiert sind. Sie mögen nach der einen oder der andern Seite so ungeeignet für den Kampf ums Dasein sein, dass sie ohne die menschliche Fürsorge bald verschwinden würden. Andererseits, wenn wir die Natur betrachten als das, was sie ist, eine Vereinigung verschiedener Kräfte, unorganischer und orga- nischer, einige günstig für die Erhaltung des Lebens und viele im Gegensatz zu seiner Erhaltung — Kräfte die blind wirken — so sehen wir, dass es keine solche Auswahl für diesen oder jenen Zug gibt; sondern dass es nur eine Auswahl solcher Individuen gibt, welche durch die Gesamtheit ihrer Züge am besten fürs Leben ausgestattet sind. Und hier will ich bemerken, dass der Ausdruck „Ueberleben des Bestgeeigneten“ von Vorteil ist, da er nicht die Vorstellung von irgend einer Eigenschaft erweckt, die mehr als andere erhalten und verstärkt werden soll, sondern vielmehr die Vorstellung von einer all- gemeinen Anpassung für alle Zwecke wachruft. Das ist in der That XIII. 45 706 Spencer, Unzulängliehkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. der Vorgang, den allein die Natur ausüben kann — das Lebenlassen derjenigen Individuen, die am besten geeignet sind die sie umgebenden Hilfsmittel zum Leben zu verwerten und am geeignetsten, sie umgebende Gefahren zu bekämpfen oder zu vermeiden. Und während dieser Aus- druck die große Masse derjenigen Fälle umfasst, in welchen die gut- konstituierten Individuen sich erhalten, umfasst er auch jene besondern Fälle, die man sich bei dem Ausdruck „natürliche Zuchtwahl“ vor- stellt, wo die Individuen im Kampf ums Dasein über andere siegen mit Hilfe besonderer Eigenschaften, die zu Wohlergehen und Nach- kommenschaft führen. Man achte wohl auf die Thatsache, die uns hier besonders angeht, dass das Ueberleben des Geeignetsten irgend einen nützlichen Zug nur dann verstärken kann, wenn dieser Zug zum Wohlergehen des Individuums oder der Nachkommenschaft oder beider in besonders hohem Grade führt. Es kann keine Verstärkung irgend einer Besonderheit des Körperbaues durch natürliche Zuehtwahl stattfinden, wenn nicht innerhalb aller der nur wenig von einander abweichenden Eigenschaften des Organismus dieser durch die Zunahme jener Eigenschaft so weit bevorzugt wird, dass dadurch eine erheblich stärkere Vermehrung der Familie entsteht, als in andern Familien. Veränderungen, die dies nicht erreichen, so vorteilhaft sie aueh sonst sein mögen, verschwinden wiederum. Wir wollen dies an einem be- stimmten Fall nachweisen. Scharfer Geruchssinn kann bei einem Hirsch dadurch, dass er nahende Feinde frühzeitig bemerkt, so sehr zur Erhaltung des Lebens beitragen, dass bei sonst gleichen Bedingungen ein damit in besonderem Grade begabtes Individuum möglicherweise sein Leben länger erhält als andere und unter seinen Nachkommen einige gleich oder noch besser begabte hinterlässt, welche ihrerseits in manchen Fällen die Ver- änderungen verstärkt übertragen. Es ist somit klar, dass diese sehr nützliche Eigenschaft durch natürliche Zuchtwahl entwickelt werden kann. Dasselbe kann aus gleichen Ursachen der Fall sein für Schärfe des Blicks und Feinheit des Gehörs. Allerdings dient, wie wir nebenbei bemerken, solche besondere Sinnesbegabung deshalb nicht leicht der Zuchtwahl, weil sie der ganzen Herde von Nutzen ist, ausgenom- men wenn es sich um einen im Kampfe siegreichen Bock handelt. Aber wenn wir den Fall setzen, dass ein Glied der Herde aus irgend einem Grund, wegen besserer Zähne oder größerer Muskelkraft des Magens oder besserer Absonderung der Verdauungssäfte, im Stande ist eine nicht seltene Pflanze zu fressen und zu verdauen, die die andern nicht mögen, so kann diese Eigentümlichkeit, wenn es an Nahrung mangelt, zu besserer Selbsterhaltung beitragen und zum bessern Aufbringen der Jungen, wenn das Individuum ein Muttertier ist. Aber wofern nicht diese Pflanze reichlich vorhanden und der daraus erwachsende Vorteil ein großer ist, können die Vorteile, welche andere Glieder der Herde von andern kleinen Veränderungen gewinnen, Spencer, Unzulängliehkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. 707 von gleichem Wert sein. Das eine hat außergewöhnliche Behendigkeit und überspringt emen Abgrund, den andere nicht zu nehmen vermögen. Ein anderes hat längeres Haar im Winter und kann der Kälte besser widerstehen. Wieder ein anderes hat eine Haut, die von Ungeziefer weniger belästigt wird, und kann mit geringerer Unterbreehung grasen. Dies hat eine besondere Geschicklichkeit Nahrung unter dem Schnee zu entdecken; wieder ein anderes hat besondere Klugheit bei der Wahl eines Schutzes gegen Wind und Regen entwickelt. Damit die Ver- änderung, welche die Fähigkeit verleiht eine bis dahin ungenutzte Pflanze zu genießen, eine Eigenschaft der Herde und eventuell einer Abart werde, ist es unerlässlich, dass das Individuum, bei dem sie vor- kommt, mehr oder bessere Nachkommenschaft oder beides besitzt als die verschiedenen andern Individuen, die jedes ihre kleinen Vorzüge besitzen. Wenn diese andern Individuen, jedes von ihren kleinen Vor- zügen, Nutzen ziehen und sie einer gleich großen Anzahl von Nach- kommen übertragen, so kann keine Zunahme der betreffenden Ab- änderung eintreten: sie muss bald vernichtet sein. Ob Darwin diese Thatsache im Ursprung der Arten anerkannt hat, kann ich mich nicht erinnern, jedenfalls hat er es in seinen „Tieren und Pflanzen im Zustande der Domestikation* durch stillschweigende Folgerung gethan. Indem er von den Abarten bei den Haustieren spricht, sagt er, dass „Jede eigentümliche Abänderung verloren gehen würde durch Kreuzung, Rückfall und das zufällige Zugrundegehen der abgeänderten Individuen, wenn sie nicht sorgfältig vom Menschen behütet würde“ (Vol. ii, 292). Was Ueberleben des Besiausgestatteten in Fällen wie der von mir angeführte thut, besteht darin, alle Fähigkeiten auf einer gewissen Höhe zu halten, indem solche Individuen, die in irgend einer Beziehung: unter dieser Höhe sind, zu grunde gehen. Entwicklung einer bestimmten Fähigkeit kann nur dann stattfinden, wenn diese Fähigkeit ganz be- sonders wichtig ist. Es scheint mir, dass viele Naturforscher that- sächlich dies außer Acht gelassen haben und annehmen, dass natürliche Zuchtwahl jeden vorteilhaften Zug verstärken könne. Jedenfalls ist es eine weitverbreitete Ansicht. Die Betrachtung dieser Ansicht, zu welcher der vorstehende Ab- schnitt die Einleitung bildet, soll uns nun beschäftigen. Diese Ansicht betrifft nicht die direkte Zuchtwahl sondern das, was mit fragwürdiger Logik „umgekehrte Zuchtwahl“ genannt wurde — die Zuchtwahl, welche nicht Verstärkung eines Organs sondern Abnahme desselben bezweckt. Denn da es unter gewissen Bedingungen von Vorteil für ein Individuum und seine Nachkommen ist, irgend ein Gebilde von größerem Umfang zu besitzen, so kann es unter andern Bedingungen, besonders wenn das Organ unnütz wird, vorteilhaft sein es in kleinerem Umfang zu haben. Denn auch, wenn es nicht im Weg ist, sind sein Gewicht und die Kosten seiner Ernährung schädliche Belastungen des Organismus. Aber nun kommt die Wahrheit, auf welche ich Nach- 45 * 708 Speneer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. druck lege. Gerade so wie direkte Zuchtwahl ein Organ nur in ge- wissen Fällen verstärken kann, so kann umgekehrte Zuchtwahl es auch nur in gewissen Fällen vermindern. Ebenso wie das von einer Abänderung erzeugte Anwachsen so muss auch das von einer solehen erzeugte Abnehmen ein solches sein, dass es merklich zur Erhaltung und Fortpflanzung beiträgt. Es ist z. B. begreiflich, dass wenn der lange und kräftige Schwanz des Känguru überflüssig würde (z. B. wenn die Species etwa genötigt wäre, einen mit Unterholz gefüllten gebirgigen und felsigen Wohnort zu wählen) eine Abänderung, ‚die den Schwanz merklich verkürzte, dem mit ihr ausgestatteten Individuum ent- schiedenen Vorteil bringen würde. In Zeiten, in denen es an Nahrung mangelt, könnte dessen Ueberleben dadurch verursacht werden, während Individuen mit langen Schwänzen sterben. Aber die Ersparnis der Ernäh- rung müsste schon sehr bedeutend sein, ehe solches Resultat einträte. Nehmen wir an, das Känguru habe in dieser neuen Wohnstätte keine Feinde; und nehmen wir an, dass infolge dessen scharfes Gehör nicht inbe- tracht kommt, große Ohren keinen größern Vorteil gewähren als kleine. Würde ein Individuum mit kleineren Ohren als gewöhnlich besser fort- leben und sich fortpflanzen als andere Individuen, infolge der erwor- benen Ersparnis in seiner Ernährung? Dies voraussetzen heißt voraus- setzen, dass die Ersparnis von ein oder zwei Gran Protein im Tag das Schicksal des Känguru entscheiden würde. Vor langer Zeit besprach ich dieses Thema in den „Grundzügen der Biologie“ ($ 166), indem ich als Beispiel das Kleinerwerden des Kiefers wählte, das aus dem Gedrängterstehen der Zähne gefolgert wurde und das jetzt durch Messungen bewiesen worden ist. Hier ist die Stelle: „Es gibt keine funktionelle Ueberlegenheit im zivilisierten Leben, die ein kleiner Kiefer vor einem großen Kiefer voraus hätte, die man als Ursache für das häufige Ueberleben der kleinkiefrigen Individuen angeben könnte. Der einzige Vorteil, den man dem kleineren Kiefer zuschreiben könnte, ist der Vorteil der sparsameren Ernährung; und diese ist nicht bedeutend genug um die Erhaltung der Menschen, die ihn besitzen, zu begünstigen. Die Gewichts- abnahme des Kiefers und der mitwirkenden Teile, die im Lauf vieler tausend Jahre entstanden ist, beträgt nicht mehr als einige Unzen. Diese Abnahme muss unter die vielen Generationen verteilt werden, die in der Zwischenzeit gelebt haben und gestorben sind. Nehmen wir an, dass das Gewicht dieser Teile um eine Unze in einer Generation abgenommen habe (was ein großes Zugeständnis ist), so kann dennoch nicht behauptet werden, dass eine Unze weniger Gewicht, die ein Mensch zu tragen, oder eine Unze Gewebe weniger, die er zu ernähren hat, merklich auf das Schicksal des Menschen einwirken könne. Und wenn es dies nie that — nein, wenn es nicht ein häufiges Ueberleben kleinkiefriger Individuen verursachte, während großkiefrige Individuen starben, so konnte natürliche Zuchtwahl die Verkleinerung des Kiefers und seiner angrenzenden Teile weder verursachen noch begünstigen“, Als ich dies im Jahr 1864 schrieb, ließ ich mir nicht träumen, dass ein Vierteljahrhundert später die hier untersuchte und als unmög- Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 709 lich ausgeschiedene für die Degeneration angenommene Ursache, nieht allen als eine Ursache sondern als die Ursache und die einzige Ursache erklärt würde. Dies ist aber geschehen. Weismann’s Theorie der Entartung durch Panmixie besteht darin, dass wenn ein Organ früher auf dem notwendigen Umfang durch natürliche Zucehtwahl erhalten wurde und nun nicht länger diesen Umfang be- hält, weil es keinen Nutzen mehr hat (oder weil ein kleinerer Umfang ebenso nützlich ist) dies zur Folge habe, dass unter den Größever- änderungen, die von Generation zu Generation stattfinden, die kleineren fortwährend erhalten bleiben und dass auf diese Weise der Teil kleiner werde. Und diese Schlussfolgerung ist gemacht, ohne dass die Frage aufgeworfen wurde, ob die Ernährungsersparung durch die Verkleine- rung merkbar das Ueberleben des Individuums und die Vermehrung seines Stammes beeinflusst habe. Um seine Hypothese deutlich zu machen und den Weg für die kritische Beurteilung zu bereiten, will ich das Beispiel anführen, das er selbst bringt, indem er die behauptete Abnahme dureh Panmixie der gleichfalls behaupteten Unwirksam- keit auf die Abnahme durch Niehtgebrauch gegenüberstellt. Das Bei- spiel liefert ihm der Proteus. Was die an dunkeln Plätzen gefundenen „blinden Fische und Amphibien“ anbelangt, ‘die nur rudimentäre Augen haben „die unter der Haut verborgen sind“, schließt er, sei es schwierig die Thatsachen dieses Falles mit der gewöhnlichen Theorie in Uebereinstimmung zu bringen, dass die Augen dieser Tiere einfach durch Nichtgebrauch degeneriert seien. Nachdem er Beispiele schneller Degeneration von Organen, die außer Gebrauch gesetzt waren, gegeben hat, folgert er, dass wenn „die Wirkungen des Nichtgebrauchs so auffallend in einem einzelnen Leben seien, man sieher erwarten müsse, im Fall solche Wirkungen übertragbar seien, dass alle Spuren eines Auges ver- schwinden müssen, in einer Species, die im Dunkeln lebt“. Das ist ohne Zweifel ein sehr verständiger Schluss. Die Thatsachen zu er- klären bei der Hypothese, dass erworbene Eigenschaften erblich seien, scheint sehr schwierig. Eine mögliche Erklärung jedoch mag ange- führt werden. Es scheint ein allgemeines Gesetz der Organisation, dass die Dauerhaftigkeit von Geweben im Verhältnis steht zu ihrem Alter — dass während Organe von verhältnismäßig neuem Ursprung nur vergleichungsweise oberflächlich Wurzel fassen in der Konstitution und leicht verschwinden, wenn die Bedingungen ihrer Erhaltung nicht günstig sind, Organe von altem Ursprung tiefgehende Wurzeln in der Konstitution haben und nicht leicht verschwinden. Da sie frühe Ble- mente des Typus waren und fortgesetzt als Teile desselben erzeugt wurden während einer Periode, die sich über viele geologische Epochen ausdehnte, so sind sie verhältnismäßig beständig. Was das Auge an- belangt, so entspricht es dieser Beschreibung, indem es sich als ein sehr frühes Organ erweist. Doch indem wir mögliche Auslegungen 710 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. fahren lassen, wollen wir annehmen, dass hier eine Schwierigkeit be- steht, eine Schwierigkeit wie unzählige andere, welche die Entwick- lungserscheinungen uns darbieten, z. B. die Erwerbung einer Ge- wohnheit wie die der Vanessa-Larve, die sich mit dem Schwanz aufhängt und sich dann in eine Puppe verwandelt, die ihren Platz ein- nimmt — eine Schwierigkeit die mit einer Menge anderer zukünftiger Lösung harrt, wenn eine gefunden werden kann. Lassen wir es als sicher gelten, sage ich, dass hier ein ernstliches Hindernis für die Hypothese besteht; und wenden wir uns zur gegenüberstehenden Hypothese um zu sehen, ob sie nicht Schwierigkeiten begegnet, die noch bei weitem ernster sind!). Weismann schreibt: „Die Höhlen von Krain, in welchen der blinde Olm und so manche andere blinde Tiere leben, gehören der Juraformation an, und wenn wir auch den Zeitpunkt nicht genau angeben können, wann die Besiedelung derselben, z. B. durch den Proteus, stattgefunden hat, so zeigt doch schon der niedere Bau desselben, dass dies zu einer weit zurückgelegenen Zeit geschehen sein muss, seit welcher viele Tausende von Generationen dieser Art sich gefolgt sind. So wird man sich nicht wundern können darüber, dass die Rückbildung des Auges einen schon ziemlich hohen Grad erreicht hat, auch wenn man die- selbe lediglich aus dem Nachlass der konservierenden Wirkung der Natur- züchtung ableiten wollte. Dies ist indessen nicht einmal nötig, denn es kommen bei der Verküm- merung eines Organs durch Nichtgebrauch noch weitere Motive in Betracht, nämlich die höhere Ausbildung anderer Organe, die Ersatz für den Verlust des schwindenden Organs leisten sollen, oder auch nur einfach die Vergrößerung angrenzender Teile. Schon diese Letztere allein, wenn sie wenigstens irgend einen Vorteil bietet, sollte wohl das durch Auslese nicht mehr auf seiner Höhe gehaltene Organ mehr und mehr zusammendrücken und ihm den Raum weg- nehmen“. Hierzu will ich zunächst bemerken, dass die eine Ursache in zwei verwandelt wurde. Die Ursache ist als eine abstrakte vorgetragen und dann nocheinmal als eine konkrete, als ob es eine andere wäre. Es ist augenscheinlich, dass wenn durch Kleinerwerden des Auges eine Ernährungsersparung erreicht wird, man stillschweigend folgert, dass die ersparte Nahrung zu einem oder dem andern nützlichen Zweck 1) Während der Korrektur dieses Aufsatzes, erfahre ich, dass der Proteus nicht ganz blind ist und dass seine Augen einen Nutzen haben. Es scheint, dass wenn die unterirdischen Ströme, die er bewohnt, ungewöhnlich angewachsen sind, einige Individuen der Species aus den Höhlen herausbefördert werden ins Freie (wo sie zuweilen gefangen werden). Es heißt auch, dass das Tier lichtscheu sei; diese Eigenschaft ist vermutlich in der Gefangenschaft beobachtet worden. Nun ist es klar, dass unter den Individuen, die ins Freie kommen, diejenigen, welche sichtbar bleiben, leicht von Feinden gefangen werden können, während diejenigen, welche den Unterschied zwischen Licht und Dunkelheit bemerken, sich in dunkle Orte flüchten und lebend bleiben. Also besteht die Neigung der natürlichen Zuchtwahl darin die Abnahme der Augen bis über jenen Grad hinaus, bei welchem sie noch Licht und Dunkelheit unterscheiden können, zu verhindern. So ist die scheinbare Anomalie erklärt. Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. zkıl verwandt werde; und darlegen, dass die Nahrung für die fernere Ent- wieklung von Kompensationsorganen gebraucht wird, verändert einfach die unbestimmte Behauptung eines Nutzens in die bestimmte Behaup- tung eines solchen. Es sind nicht zwei Ursachen in Thätigkeit, ob- gleich die Sache so dargestellt ist, als wären es zwei. Aber indem wir dies bei Seite lassen, wollen wir uns im Einzelnen den Vorgang vorstellen, der nach Prof. Weismann’s Meinung in Tausenden von Generationen die beobachtete Verminderung der Augen bewirken kann: der Vorgang besteht darin, dass bei jedem folgenden Stadium der Veränderungen Abnahme in der Größe der Augen statt- finden müssen, kleinere oder größere, als die vorher erreichte Größe und dass vermöge der Ersparung diejenigen mit den kleineren fort- während übrig bleiben und sich fortpflanzen statt derjenigen mit den größeren. Um diese Voraussetzung genügend würdigen zu können, müssen wir Zahlen benutzen. Um ihr jeden möglichen Vorteil zu ge- währen, wollen wir annehmen, dass es nur zweitausend Generationen waren, und außerdem nehmen wir an, dass statt nur auf ein rudimen- täres Organ reduziert zu sein, das Auge ganz verschwunden sei. Für wie groß sollen wir den Betrag einer Veränderung halten? Wenn die Meinung ist, dass der Prozess gleichmäßig in jeder Generation sich abspielt, so ist die stillschweigende Folgerung, dass irgendein Vorteil für die Individuen dadurch entstanden ist, dass die Augen um !/yooo Gewicht weniger haben; das wird doch kaum behauptet werden. Um die Hypothese nicht in Nachteil zu setzen, wollen. wir uns denken, dass in langen Pausen verkleinernde Veränderungen im Betrag von Y,, Unze in hundert Generationen stattfinden. Das ist schon fast eine zu lange Zwischenzeit um angenommen zu werden; wenn wir jedoch die aufeinanderfolgenden Verkleinerungen uns als häufigere und um so viel kleinere vorstellen, so ist der Wert eines jeden zu unbedeutend. Wenn wir bei Ansicht des kleinen Kopfs des Proteus annehmen, dass jedes seiner Augen ursprünglich etwa 10 Gran gewogen habe, würde der Betrag von !/,, alle hundert Generationen ein Gran ausmachen. Nehmen wir an, dass dieses aalförmige, em Fuß lange und etwas über einen halben Zoll dieke Amphibium drei Unzen wiegt; eine sehr mäßige Schätzung. In diesem Fall würde die Verkleinerung !/.40 vom Ge- wicht des Tierchens betragen; oder der Bequemlichkeit halber wollen wir sagen !/;ooo, wodurch auf jedes Auge etwa vierzehn Gran kämen!). 1) Ich finde, dass das Auge eines kleinen Stint (der einzige geeignete kleine Fisch, den ich hier in St. Leonards bekommen konnte), etwa !/,,, seines Gewichts hat; und da die Augen bei jungen Fischen unverhältnismäßig groß sind, würde das Auge beim ausgewachsenen Stint vermutlich nicht mehr als !/,oo seines Gewichts betragen. Indem ich die äußerst vollkommenen Tafeln durchsehe, die das Bibliograph. Institut in Leipzig über diesen kiemenverlieren- den Proteus und andere Amphibien veröffentlichte, finde ich, dass in dem da- selbst dargestellten nächsten Verwandten, dem kiemenbehaltenden Axolotl, der Durchmesser des Auges weniger als die Hälfte desjenigen des Stints be- 712 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. Bis zu diesem Betrag würde also jede gelegentliche Abnahme dem Organismus zu Gutekommen. Die Ersparnis inbezug aufdas Gewicht würde bei einem Geschöpf, das nahezu das gleiche spezifische Gewicht wie sein Medium hat, unendlich klein sein. Die Ernährungsersparnis bei einem rudimentären Organ, das nur aus unthätigem Gewebe besteht, würde ebenfalls nur nominell sein. Die einzige merkliche Ersparnis würde in dem ursprünglichen Aufbau der Gewebe des Tieres sein; und Weis- mann’s Hypothese schließt in sich, dass die Ersparnis dieses tau- sendsten Gewichtsteils durch Kleinerwerden der Augen so sehr der übrigen Organisation des Tiers zu Gute kommen würde, dass es eine merklich größere Aussicht auf Ueberleben und eine merklich größere Nachkommenschaft habe. Kann irgend Jemand diesen Schluss gelten lassen ? Freilich können die obigen Zahlenangaben nur ungefähre sein; aber ich denke, dass keine vernünftigen Abänderungen derselben am allgemeinen Resultat etwas ändern. Wenn wir finden, dass die Augen, statt vollständig verschwunden zu sein, thatsächlich nur rudimentär sind, so wird die Sache schlimmer. Wenn wir statt 2000 Generationen 10,000 annehmen, was in Anbetracht des wahrscheinlich hohen Alters der Höhlen eine viel richtigere Voraussetzung wäre als die andere, so wird die Sache noch schlimmer. Und wenn wir größere Veränderungen aunehmen — sagen wir Verkleinerungen um den vierten Teil — die nur in Zwischenräumen von vielen hundert oder tausend Generationen vorkommen, was keine sehr vernünftige Annahme ist, so würde die gemachte Folgerung dennoch nicht zu verteidigen sein. Denn die Er- sparung von dem zweihundertsten Teil seines Gewichts könnte nicht merklich sein Ueberleben und die Vermehrung seiner Nachkommen- schaft beeinflussen. „Aber das alles gehört nicht zur Sache“ werden manche sagen. „Umkehr der Zuchtwahl ist nieht dasselbe wie Aufhören der Zucht- wahl und nur letztere oder vielmehr ihre Folgen können richtig als Panmixie bezeichnet werden. Die vorhergehenden Betrachtungen lassen deshalb Weismann’s Lehre genau auf demselben Fleck“. trägt und also einen viel geringern Teil der Körperlänge ausmacht: Das Ver- hältnis beim Stint ist '/,, der Länge und beim Axolotl ungefähr !/,, (sein Körper ist auch massiger als der des Stints). Wenn wir also das lineare Verhältnis des Auges zum Körper in diesem Amphibium zu halb so viel annehmen als das Verhältnis beim Fisch, so folgt daraus, dass das Verhältnis der Masse des Auges zur Masse des Körpers nur ein Achtel beträgt. Danach würde das Gewicht des Auges des Amphibium nur !/,.0 das des Körpers betragen. Es ist also keine unbillige Schätzung das anfängliche Gewicht der Proteusaugen auf !/,o00d des Körpergewichts anzunehmen. Ich kann hinzufügen, dass Jeder, der auf das Bild des Axolotl einen Blick wirft, sehen wird, dass wenn die Augen bei einer einzigen Veränderung gänzlich verschwänden, die dadurch erlangte Ernährungsersparung keinen merklichen physiologischen Einfluss auf den Organismus haben könnte. Spencer. Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 715 Hierauf habe ich zunächst zu erwiedern, dass ich nach genauer Durchsicht aller Stellen, welche im Register von Weismann’s Essays unter dem Wort „Panmixie* angeführt sind, zu keiner anderen Vor- stellung von diesem Begriff gelangen konnte als der oben mitgeteilten, obgleich es mir, wie ich gestehe, unverständlich blieb, wie die Be- zeichnung auf den Prozess passe. Zwei Behauptungen sind es, in denen die Ansichten Weismann’s gipfeln: 1) Schwankungen um den Mittelwert nach beiden Richtungen haben bei den Höhlen bewohnenden Tieren Degeneration des Auges zur Folge, und 2) ein rudimentäres Organ wird durch natürliche Zuchtwahl zum Sehwinden gebracht. Die Erwähnung der Schwankungen nach beiden Richtungen hat nur einen Sinn, wenn die natürliche Zuchtwahl aus ihnen einen Vorteil gewinnt, indem sie die Variationen nach der Seite des Kleinerwerdens aufrecht erhält. Wenn die Degeneration der Augen in den Höhlen bewohnenden Tieren durch Panmixie und das vollkommne Verschwinden nur durch die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl soll zu stande kommen können und wenn dies auf der Ersparnis von Nährmaterial für andre wichtige Organe beruhen soll, dann ist offenbar „Panmixie“ gleichbedeutend mit der Bevorzugung der Variationen nach der Seite des Kleinerwerdens und zwar aus dem Grunde, weil damit eine Er- sparnis an Nährmaterial gewonnen wird. Trotzdem ist das nicht das, was Weismann unter „Panmixie“ versteht; vielmehr denkt er dabei an allgemeine Kreuzung und nimmt an, dass diese, sobald ein Organ überflüssig geworden ist, Degeneration desselben herbeiführe. Auch Dr. Romanes hat behauptet, dass wenn natürliche Zuchtwahl auf- höre, die Größe eines Organs aufreeht zu erhalten, weil dasselbe nutz- los geworden ist, so dass die Abweichungen mit erheblicher Verklei- nerung nieht mehr durch den Tod der Individuen, in denen sie auf- treten, eliminiert werden, die Kreuzung solcher Individuen mit andern die Wirkung habe die Verkleinerung des Organs bei der ganzen Species herbeizuführen. Darauf habe ich zu erwiedern, dass ich diese Bedeu- tung der Panmixie nicht anerkennen kann, weil ich annehme, dass die Abweichungen nach oben und unten in einem Organ, sobald natür- liche Zuehtwahl nicht mehr auf dasselbe einwirkt, einander gleich sein und sich gegenseitig die Wage halten müssen. So wie Dr. Romanes die Hypothese auslegt, enthält sie die Voraussetzung, dass die Ab- weichungen nach unten überwiegen und nieht durch Abweichungen nach oben ausgeglichen werden. Warum sollte das sein? Wenn es keine größeren Abweichungen nach oben gibt, dann ist die Hypo- these von der Panmixie stichhaltig. Aber wodurch wird das bewiesen ? Vielleicht wird angenommen, dass wegen der Unkosten, welche jedes Organ dem ganzen Organismus verursacht, die Tendenz zur Ver- größerung stets geringer sein muss als die zur Verkleinerung. In diesem Falle müsste sich das Gleiche auch in der Zu- oder Abnahme der Größe des ganzen Körpers zeigen, welche nur von dem Verhältnis 714 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. der Ernährung und der Ausgaben abhängt. Bei jeder Species müssen die Größen der einzelnen Individuen, alle anderen Bedingungen als gleich vorausgesetzt, sich entsprechend dem Aufwand für Wachstum und Erhaltung des Gleichgewichts gestalten. Vorausgesetzt dass Zu- nahme der Körpergröße keinen Nachteil bringt, wird Ueberfluss an Nahrung oder geringerer Aufwand an Kraft zur Beschaffung derselben Zunahme der Körpergröße zur Folge haben, Mangel an Nahrung hin- gegen oder vermehrte Anstrengung umgekehrt zur Verkleinerung führen. Und was für den Körper als Ganzes gilt, muss (wenn wir den Einfluss von Gebrauch und Niehtgebrauch ausschließen) auch für jedes einzelne Organ gelten: so lange die Unterhaltung konstant bleibt, müssen die Variationen nach oben und nach unten gleich häufig und gleich groß sein. Es ist nieht mehr Grund zur Annahme, dass die letzteren über- wiegen, als zu erwarten, dass der ganze Körper mehr an Größe ab- als zunehmen werde. In der That wird bei reichlicher Nahrung, z. B. bei Haustieren, welche nutzlose Massen von Geweben produzieren, zu erwarten sein, dass ein nutzlos gewordenes Organ eher zunehme als abnehme, woraus dann Bildungen wie die der Schlappohren bei vielen derselben, welche mit Atrophie der Hebemuskeln kombiniert sind, folgen können. Noch eine mögliche Erklärung muss erwähnt werden. Man könnte sagen, dass wenn ein überflüssig gewordenes Organ nicht mehr durch natürliche Zuchtwahl in Ordnung gehalten werde, die Plus- und Minus- Variationen desselben zwar bei der Geburt nach Zahl und Größe ein- ander gleich sein mögen, dass aber daraus nicht folge, dass dies auch zur Zeit der Geschlechtsreife in gleichem Grade der Fall sei. Es könnten vielleicht zur Zeit der Reife diejenigen Individuen, bei denen die größten Minus- Abweichungen eingetreten sind, in größerer Anzahl vorhanden sein als diejenigen, bei welchen die größten Plus- Abweichungen vorkamen; in diesem Falle müsse die allgemeine Kreu- zung wegen der größeren Zahl der Individuen mit verkleinertem Organ zu einer Abnahme desselben bei der ganzen Species führen. Ich gebe die Folgerung zu, wenn die Voraussetzung zutrifft. Aber welche Be- dingungen müssten wohl erfüllt sein, wenn wir annehmen sollen, dass zur Zeit der Geschlechtsreife die Individuen mit verkleinerten Organen an Zahl überwiegen? Doch nur, wenn die Vergrößerung des Organs die Individuen so sehr benachteiligt, dass die Sterblichkeit unter ihnen größer ist als unter den Individuen mit kleinerem Organ. So kommen wir denn auf einem anderen Wege zu ‚demselben Argument, welches wir schon oben behandelt haben. Dort sahen wir, dass nur dann die Verkleinerung des Organs zu einem dauernden Species-Charakter werden kann, wenn aus ihr ein das Leben erhaltender Vorteil und somit eine überwiegende Fortpflanzung der betreffenden Individuen hervorgeht; jetzt finden wir, dass nur, wenn die Verkleinerung eine geringere Sterblichkeit in der Zeit von der Geburt bis zur Geschlechtsreife zur Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. 7» Folge hätte, eine dauernde Verkleinerung durch die allgemeine Kreu- zung oder Panmixie herbeigeführt werden könnte. Und wie im ersten Fall wird auch im zweiten diese Voraussetzung nur selten wirklich zutreffen. Zugleich mit dem Nachweis der Unzulänglichkeit der natürlichen - Zuchtwahl für die Erklärung von Strukturveränderungen, die nicht in hervorragender Weise das Leben fördern ($ 166 der Principles of Biology ) habe ich noch eine andere Unzulänglichkeit festgestellt. Ich habe be- stritten, dass die relativen Kräfte zusammenwirkender Teile allein durch Ueberleben der Tauglichsten geordnet werden könnten; und besonders da, wo es sich um zahlreiche Teile und kompliziertes Zu- sammenwirken handelt. Als Beispiel wurde angeführt, dass die un- geheuer entwickelten Geweihe, wie die des ausgestorbenen Irischen Elehs, die über einen Zentner wiegen, mit dem massiven Schädel, der sie trägt, nicht an dem äußersten Ende des gestreckten Nackens ge- tragen werden könnten, ohne viele und große Veränderungen der an- grenzenden Knochen und Muskeln des Rückens und der Brust; und dass ohne Kräftigung der Vorderbeine gleichfalls ein Mangel beim Kämpfen und in der Fortbewegung sich zeigen würde. Daraus wurde gefolgert, dass wir ein plötzliches Anwachsen aller dieser Teile im Verhältnis zu den sich vergrößernden Geweihen nieht annehmen können und dass wir auch nicht voraussetzen können, dass sie durch aufein- anderfolgende Veränderungen gewachsen seien, ohne zugleich anzu- nehmen, dass das Tier durch das Gewicht und durch Ernährung von Teilen, die vorerst nutzlos sind, in Nachteil versetzt würde — überdies würden diese Teile auf ihren ursprünglichen Umfang zurückverändert werden, ehe die andern notwendigen Veränderungen erfolgt wären. Wenn in Erwiederung meiner Ansicht behauptet wurde, dass zu- sammenwirkende Teile zugleich sich verändern, so führte ich That- sachen an, die mit dieser Behauptung nicht übereinstimmten — die Thatsache, dass die blinden Bachkrebse aus den Kentucky-Höhlen ihre Augen, aber nicht die Stiele, die sie tragen, verloren haben; dass das normale Verhältnis zwischen Zunge und Schnabel bei gewissen ge- züchteten Taubenvarietäten verloren gegangen ist; dass infolge man- gelnden Zusammengehens in der Abnahme der Kinnladen und Zähne bei verschiedenen kleinen Schooßhunden ein großes Engstehen der Zähne verursacht wurde (The Factors of Organie Evolution, p.12, 13). Und ich folgerte dann, dass wenn zusammenwirkende Teile, die so gering an Zahl und so eng miteinander verbunden wie diese nicht miteinander sich verändern, es ungerechtfertigt sei zu behaupten, dass zusammen- wirkende Teile, die sehr zahlreich und entfernt von einander sind, sich zugleich verändern. Ich bekräftigte sodaun meine Behauptung durch ein ferneres Beispiel — das von der Giraffe. Indem ich still- schweigend die Wahrheit anerkannte, dass der ungewöhnliche Bau dieses Tieres in seinen ansehnlichsten Zügen die Folge des Ueberlebens 716 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. des Tauglichsten sei (denn es wäre lächerlich, wenn man annehmen wollte, dass das Bemühen hohe Zweige zu erreichen, die Beine ver- längern könnte) erläuterte ich von neuem die Hindernisse für eime gleichzeitige Anpassung. Ohne mich bei dem Einwand aufzuhalten, dass Anwachsen irgendwelcher Bestandteile der Vierfüßer außer Ver- hältnis zu den andern mehr Unheil als Vorteil verursachen würde, wies ich nach, dass die gleichzeitige Anpassung aller Teile, die er- forderlich ist, um den Bau der Giraffe nützlich zu machen, noch größer ist als es zuerst scheint. Das Tier hat einen grotesken Gallop, der von der großen Verschiedenheit der Länge der Hinter- und Vorderbeine herrührt. Ich wies nach, dass die Art der Thätigkeit der Hinterbeine beweist, dass die Knochen und Muskeln alle in ihren Verhältnissen und Anpassungen verändert werden. Wenn es nun schwer genug ist zu glauben, «dass alle Teile der Vorderbeine sich gleichzeitig durch geeignete Abänderungen jetzt dieses dann jenes Teils einander an- gepasst haben, so wird es ganz unmöglich anzunehmen, dass auch alle Teile der Hinterbeine sich zu gleicher Zeit aneinander und an alle Teile der Vorderbeine angepasst hätten, und ich fügte hinzu, dass die nicht gleichzeitige Anpassung selbst eimes einzigen Muskels sehr üble Folgen haben musste, wenn große Eile erforderlich war beim Fliehen vor einem Feind. Seitdem ich diese Betrachtung mit diesem neuen Beispiel im Jahr 1886 wiederum veröffentlicht hatte, ist mir niehts mehr vorge- kommen, was als Erwiderung angesehen werden könnte; und ich könnte, wenn Ueberzeugungen den Beweisen folgten, die Sache auf sich beruhen lassen. Es ist richtig, dass Herr Wallace in seinem Darwi- nismus meinem erneuertem Einwand Beachtung geschenkt hat und, wie schon gesagt, behauptet hat, dass Veränderungen wie die oben angeführten, durch natürliche Zuchtwahl stattfinden könnten, da solehe Veränderungen durch künstliche Zuchtwahl stattfinden, eine Behaup- tung die, wie ich nachwies, eine Gleichartigkeit des Verlaufs bei den beiden Vorgängen voraussetzt, die nicht besteht. Aber ich will nun, statt diese Behauptung noch länger nach derselben Richtung hin zu begründen, einen etwas andern Weg einschlagen. Es wird zugegeben, dass wenn irgend eine Veränderung in einem Organ sich vollzieht, etwa durch Vergrößerung, welche das Tier fähiger zur Befriedigung seiner Bedürfnisse macht, und wenn, wie es gewöhn- lieh der Fall ist, der Gebrauch des Organs von der Mitwirkung anderer Organe abhängt, die Veränderung gewöhnlieh nicht eher von Nutzen ist, als bis die mitwirkenden Organe sich verändert haben. Wenn z. B. am Schwanz eines Nagetiers’ eine Veränderung stattfindet, die durch allmähliches Anwachsen den ruderförmigen Schwanz des Biebers erzeugt, so wird nicht früher ein Vorteil damit verbunden sein, als bis auch gewisse Veränderungen in der Form und der Masse der an- grenzenden Wirbel und ihrer Muskeln und wahrscheinlich auch in den Speneer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. IRT Hinterbeinen stattgefunden haben, die sie in den Stand setzen den Rückwirkungen der durch den Schwanz erteilten Schläge zu wider- stehen. Und die Frage ist, durch welchen Vorgang diese zahlreichen Teile, die in verschiedenem Grade einer Veränderung unterliegen, gleich- zeitig den neuen Anforderungen angepasst werden — ob Abänderung und natürliche Zuchtwahl allen diese Neuordnung bewirken können. Es gibt drei denkbare Wege, auf denen die Teile möglicherweise sieh gleichzeitig verändern können: 1) wenn sie alle zugleich und in gleichem Maß wachsen oder abnehmen; 2) wenn sie alle zugleich wachsen oder abnehmen, aber nicht ihre frühern Verhältnisse zu ein- ander bewahren oder irgend andere besondere Verhältnisse annehmen; 3) wenn sie auf solche Weise und in solchem Grade sich verändern, dass sie vereint dem neuen Zweck dienstbar gemacht werden. Be- trachten wir diese verschiedenen Möglichkeiten genauer. Und vor Allem, was haben wir unter zusammenwirkenden Teilen zu verstehen? Im allgemeinen Sinn sind alle Organe des Körpers zusammenwirkende Teile und werden wechselseitig mehr oder weniger einer Veränderung unterworfen, wenn eins verändert wird. In einem engeren Sinn, der mit unserem Gegenstand in direkterem Zusammen- hang steht, können wir, wenn wir die Schwierigkeiten vermehren wollen, das ganze Gefüge von Knochen und Muskeln als zusammen- wirkende Teile ansehen; denn diese sind derartig verbunden, dass irgend eine beträchtliche Veränderung in der Thätigkeit einiger eine Veränderung in der Thätigkeit der meisten andern zur Folge haben würde. Man braucht nur zu beobachten, wie bei einer großen Kraft- anstrengung zugleich mit einem tiefen Atemzug eine Ausdehnung der Brust und eine Spannung des Bauchs stattfindet um zu sehen, dass außer den direkt beteiligten verschiedene Muskeln zugleich angespannt werden. Oder wenn man an Hüftweh leidet, wird der Versuch einen Stuhl zu heben ein sehr unangenehmes Bewusstsein davon verursachen, dass nicht nur die Arme sondern auch die Rückenmuskeln dabei be- teiligt sind. Diese Beispiele zeigen, wie die Bewegungsorgane mit- einander verbunden sind, so dass veränderte Thätigkeit einiger ganz entfernte andere beeinflussen kann. Aber ohne von dem Vorteil Gebrauch zu machen, den diese Aus- legung der Worte uns liefern würde, wollen wir als zusammenwirkende Organe diejenigen betrachten, die sichtlich solche sind — die Organe der Fortbewegung. Was sollen wir von den Vorder- und Hinterbeinen der auf dem Land lebenden Säugetiere sagen, die ganz enge und un- ausgesetzt zusammenwirken? Verändern sie sich zusammen? Wenn dies der Fall ist, wie konnten dann so abweichende Formen erzeugt werden wie diejenigen des Känguru mit seinen langen Hinter- und kurzen Vorderbeinen und diejenigen der Giraffe, bei der die Hinter- beine klein und die Vorderbeine groß sind — wie kommt es, dass, von demselben ursprünglichen Säugetier abstammend, diese Geschöpfe in ent- gegengesetzter Richtung die Verhältnisse ihrer Glieder verändert haben ? 718 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. Nehmen wir nun wieder die Gliedertiere. Vergleichen wir eines der niederen Klassen mit seinen Reihen fast gleichgroßer Glieder mit einem der höhern Klassen, einem Krebs oder Hummer, mit einigen sehr kleinen und emigen sehr großen Gliedern. Wie konnte dieser Gegen- satz im Lauf der Entwicklung entstehen, wenn Gleiehmäßigkeit in der Veränderung vorausgesetzt werden soll? Aber nun wollen wir den Sinn der Phrase noch enger fassen, um ihr eine günstigere Auslegung zu geben. Statt getrennte Glieder als zusammenwirkend zu betrachten wollen wir die Bestandteile desselben Glieds als zusammenwirkend betrachten und fragen, was entstehen würde, wenn sie sich zugleich veränderten. Im diesem Falle könnten die Vorder- und Hinterbeine eines Säugetiers in ihrer Größe verschieden werden, ohne es in ihrem Bau zu werden. Wie sind in diesem Fall die Verschiedenheiten zwischen den Hinterfüßen des Känguru und des Elephanten entstanden? Oder wenn gegen diesen Vergleich etwas eingewendet wird, weil diese Tiere zu den äußerst verschiedenen Klassen der placentalen und aplacentalen Säugetiere gehören, wollen wir uns an das Kaninchen und den Elephanten halten, die beide zu der ersteren Klasse gehören. Nach der Evolutionshypothese stammen beide von der gleichen Urform ab; aber die Verhältnisse der Teile sind so ungemein ungleich geworden, dass die korrespondierenden Glieder von einem Unachtsamen kaum als solche erkannt werden; an scheinbar entsprechenden Stellen beugen sich die Glieder nach ent- gegengesetzten Seiten. Ebenso ausgeprägt oder noch ausgeprägter ist die entsprechende Thatsache bei den Artikulaten. Nehmen wir das Glied des Hummers, das mit einer Klaue versehen ist, und ver- gleichen wir es mit dem entsprechenden Glied eines niedrigeren Glieder- tiers oder mit dem entsprechenden Glied seines nahen Verwandten, des Felsenhummers, so wird es uns deutlich werden, dass die Teilabschnitte des Gliedes im einen Fall ungeheuer verschieden sind in ihrem gegen- seitigen Verhältnis von denjenigen des andern Falls. Unbestreitbar also sehen wir, wenn wir die allgemeinen Thatsachen des organischen Baues betrachten, dass die gleichzeitig erfolgenden Veränderungen in den Teilen der Glieder nicht derart waren, dass sie einen gleichen Betrag von Veränderung erzeugen, sondern dass sie im Gegenteil überall Ungleichheiten erzeugen. Ueberdies müssen wir uns erinnern, dass die Erzeugung von Unähnlichkeiten unter zusammenwirkenden Teilen eine hauptsächliche Quelle der Entwicklung ist. Wäre es nicht so, dann könnte nicht dieser Fortschritt von der Gleichartigkeit des Baues zur Ungleichartigkeit stattfinden, worauf die Entwicklung beruht. Wir gehen jetzt zu der zweiten Voraussetzung über: dass die Ver- änderungen in zusammenwirkenden Teilen unregelmäßig stattfinden oder in so unabhängiger Weise, dass sie in keinem bestimmten Ver- hältnis zu einander sind, sagen wir gemischt. Das ist die Voraus- setzung, welche am besten den Thatsachen entspricht. Em Blick auf Haacke, Entstehung des Säugetieres 19 die Gesichter um uns liefert uns deutliche Beweise. Viele Gesichts- muskeln und einige von den Knochen sind sichtbar znsammenwirkend; und diese verändern sich gegeneinander in solcher Weise, dass in jeder Person eine andere Zusammensetzung entsteht. Was wir im Gesicht vor sich gehen sehen, können wir wohl mit Recht auch in den Gliedern und allen andern Teilen voraussetzen. In der That braucht man nur Menschen zu vergleichen, deren Arme von der gleichen Länge sind, und darauf zu achten, wie kurz die Finger der einen und wie schlank die des andern sind; oder es genügt die Ungleichheit im Gang der Vorübergehenden zu beachten, die aus kleinen Unregelmäßigkeiten des Baues entstehen, und man wird überzeugt sein, dass die Verhältnisse zwischen den Veränderungen zusammenwirkender Teile Alles mehr als feststehende sind. Und, wenn wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Glieder beschränken, wollen wir sehen, was geschehen muss, wenn durch gemischte Veränderungen, Glieder teilweise verändert werden müssen um statt für die eine Funktion für eine andere taug- lieh zu werden — wieder neu angepasst zu werden. Damit der Leser die Beweisführung vollkommen verstehen könne, muss er hier mit Geduld einigen anatomischen Details folgen. (Schluss folgt.) Ueber die Entstehung des Säugetieres. Von Wilhelm Haacke in Darmstadt. il. Im Jahre 1887 habe ich in dieser Zeitschrift unter dem meinem heutigen Aufsatze vorangesetzten Titel einige Ideen über die Umstände und Ursachen entwickelt, die zur Entstehung von Säugetieren aus niederen Wirbeltieren geführt haben mögen. Meine Ausführungen haben Beachtung gefunden, und ich bin deshalb, da ich meinen da- maäligen Ideengang nicht aufrecht erhalten kann, genötigt, meine mo- difizierten Anschauungen darzulegen und zu begründen. Ich habe mich seit dem Jahre 1888 fünf Jahre lang eingehend mit lebenden Tieren zu beschäftigen gehabt, und deren tägliche Be- obachtung hat mir die unumstößliche Ueberzeugung gegeben, dass die Einrichtungen der Organismen, oder wenigstens deren überwältigende Mehrzahl, sich nur verstehen lassen auf Grund der Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften. Ich bin fest überzeugt davon, dass nur eine Rückkehr zu den Grundzügen der Schöpfungstheorie Lamarek’s der Biologie frommen wird, und dass unsere Wissen- schaft, falls sie nicht in Stagnation geraten soll, einem großen Teile der darwinistischen Anschauungen den Abschied geben muss. Sobald sich einmal erst die Ueberzeugung Bahn gebrochen hat, dass nur die Annahme einer Vererbung erworbener Eigenschaften die Schöpfungs- geschichte der Organismen in befriedigender Weise zu erklären ver- 720 Haacke, Entstehung des Säugetieres. mag, wird die Biologie aus dem Entwickelungsstillstand herauskommen, in welchem sie sich schon seit Jahren befindet; und wenn nicht alle Anzeichen trügen, so steht ein baldiger Umschwung in den Grund- anschauungen der Biologen bevor. Was mich anbelangt, so habe ich nicht bloß durch die Beobach- tung lebender Tiere, die von den meisten Zoologen allerdings als gänz- lieh wertlos betrachtet zu werden scheint, die Ueberzeugung gewonnen, dass die Organe des Tierkörpers den vererbten Wirkungen des Ge- brauchs und Nichtgebrauchs ihren Ursprung verdanken, sondern ich glaube auch in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ (Leipzig 1395) gezeigt zu haben, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften eine Naturnotwendigkeit ist. Das habe ich zwar schon seit Jahren erkannt; wenn ich aber noch irgendwie daran gezweifelt hätte, so würde Weismann’s Buch über „Das Keimplasma“ auch meine stärksten Zweifel beseitigt und ihre Wiederkehr unmöglich gemacht haben. Ich glaube, dass nichts so sehr den Umsehwung zu Gunsten eines geläuterten Lamarckismus und zum Nachteile des orthodoxen Darwinismus beschleunigen wird, als Weismann’s nunmehr in ex- tenso vorliegende Theorie. Um die wirklichen Ursachen der Veränderungen der Organismen kümmert sich der Darwinismus bekanntlich nicht, und auch ich habe das nicht gethan, als ich im Jahre 1837 über die Entstehung des Säugetieres schrieb. Da ich mich von den Fesseln, die der orthodoxe Darwinismus der Wissenschaft angelegt hat, freigemacht habe, so kann ich nicht um die Erklärung hin, dass Koken (Die Vorwelt und ihre Entwicklungsgeschichte, Leipzig 1893, S. 516) Recht hat, wenn er die Geologie nicht für meine frühere Hypothese der Säugetierent- stehung verantwortlich gemacht wissen will. Es ist zwar auch nicht meine Absicht gewesen, die Verantwortlichkeit dafür irgend Jemand außer mir selbst aufzubürden, und dem entspreche ich nunmehr, wenn ich die Entstehung des Säugetieres von neuen Gesichtspunkten aus zu beleuchten suche. Mein früherer Gedankengang war etwa der folgende: 1) Zu allen Umbildungen der Organismen sind geologische Veränderungen der Erdoberfläche nötig gewesen. 2) Die Säugetiere sind Warmblüter, welche die natürliche Zuchtwahl nur in enem kalten Klima heranzüchten konnte. Die Entstehung des Säugetieres fällt also in eine Zeit mit kaltem Klima, und zwar, da man die ältesten Säugetiere in der Trias findet, wahr- scheinlieh in diejenige Periode, die man als permische Eiszeit gedeutet hat. In jener permischen Eiszeit wurden Tiere mit eigen- warmem Blut herangezüchtet, was den ersten Schritt zur Säuge- tierentstehung bedeutete. 3) Zur Festhaltung der Körperwärme musste eine Einrichtung getroffen werden, welche durch die natürliche Zuehtwahl in Gestalt eines Haarkleides herangezüchtet wurde. Haacke, Entstehung des Säugetieres. 7 4) Dieses Haarkleid musste, um nicht schädigenden Einflüssen, insbesondere zu großer Feuchtigkeit, ausgesetzt zu sein, eingefettet werden, was durch Talgdrüsen geschah, die zu diesem Zwecke herangezüchtet wurden. 5) Zur Regulierung der Bluttemperatur, namentlich zur Verhin- derung einer zu beträchtlichen Blutwärme, mussten andere Drüsen entstehen, deren Sekrete auf der Haut verdunsteten und somit diese und das Blut abkühlten. Aus diesem Grunde wurden Schweiß- drüsen herangezüchtet. 6) Die Vorfahren der Säugetiere legten Eier, zu deren Aufnahme ein Brutbeutel herangezüchtet wurde; in diesem wurden die Eier ausgebrütet, nachdem die Körperwärme der betreffenden Tiere eine genügend hohe geworden war. 7) Die im Brutbeutel ausgekrochenen Jungen hielten sich eine Zeit lang der Wärme wegen in ihm auf und fingen an, das Sekret der in ihn mündenden Hautdrüsen aufzulecken, und zwar zunächst das der Schweißdrüsen. Diese wurden von der natürlichen Zuchtwahl zu Mammardrüsen herangezüchtet. 8) Zwischen diesen Drüsen waren Talgdrüsen gelegen, die in der Folgezeit gleichfalls zu Ernährungsorganen der Jungen herangezüchtet wurden und zur Entstehung echter Milchtiere führten. Die ur- sprünglich aus Schweißdrüsen hervorgegangenen Mammarorgane bil- deten sich dagegen zurück. Ich will diese acht Punkte nunmehr der Reihe nach besprechen, um zu zeigen, dass die Theorie der natürlichen Zuchtwahl nicht im Stande ist, Lieht auf die Entstehung des Säugetieres zu werfen, und dass mein hier kurz skizzierter Ideengang von 1887 sehr wesentlicher Modifikationen bedarf. 1) Der Satz, dass jeder Veränderung im Tier- und Pflanzenreiche eine Veränderung der Erdoberfläche vorhergehen muss, lässt sich nicht aufrecht erhalten. Zwar bin auch ich der Ansicht, dass die Um- wandlung der Organismen in letzter Linie durch die Wechselwirkung des Plasmas mit den äußeren Einflüssen zu Stande kommt; aber eine solche Wechselwirkung besteht fortwährend, und die Organismen können sich deshalb auch umbilden, ohne dass irgendwie nennens- werte geologische Veränderungen eintreten. Diese Umbildung erfolgt mit Hilfe der konstitutionellen Zuchtwahl. Unter der Bezeich- nung konstitutionelle Selektion oder Gefügezuchtwahl habe ich in meinem Werke „Gestaltung und Vererbung“ diejenige Art der Auslese begriffen, welche die Konstitution der Organismen, d. h. deren größere oder geringere Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse betrifft. Was auch sonst immer die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl sein mag, soviel steht fest, dass diejenigen Individuen, die am wenigsten leicht durch äußere Einflüsse geschädigt werden können, die größte Aussicht auf Fortbestand und auf Vererbung ihrer Eigenschaften haben, während die von schlechter Konstitution durch den Kampf ums Dasein zu Grunde XII. EN 129 Haacke, Entstehung des Säugetiere». gerichtet werden. Da thatsächlich viel mehr Individuen erzeugt wer- den, als zur Fortpflanzung gelangen, da somit irgendwelche Art der Auslese stattfinden muss, so dürfen wir annehmen, dass diese Auslese in erster Linie die Konstitution betrifft, zumal es hauptsächlich die Jugendstadien der Organismen sind, die am leichtesten zu Grunde gehen. Dieser Umstand beweist, dass es weniger diejenigen Eigen- schaften sind, die sich erst an dem erwachsenen oder nahezu er- wachsenen Organismus zeigen, welche den Fortbestand der Arten garantieren oder in Frage stellen, als vielmehr die Eigenschaften der Jugendstadien. Die letzteren sind aber hauptsächlich solche, welche die Konstitution betreffen, denn die übrigen Eigenschaften sind in der frühesten Jugend nur noch sehr wenig ausgesprochen. Wenn also eine konstitutionelle Zuchtwahl stattfindet, so werden durch sie Indi- viduen zur Fortpflanzung bestimmt, die sich durch die Festigkeit ihres plasmatischen Gefüges vorteilhaft von den übrigen unterscheiden. Ich habe in dem oben zitierten Werk den Nachweis geführt, dass durch konstitutionelle Zuehtwahl sowohl die Größe als auch die Form der Organismen im Laufe der Generationen verändert werden muss. Die Organismen werden größer und ihr Bau wird ein komplizierterer. Es ist nun klar, dass eine solche konstitutionelle Selektion zu jeder Zeit vor sich gehen kann, ohne dass historische Veränderungen auf der Erdoberfläche stattzufinden brauchen. Jedes Individuum wird zwar durch die Einflüsse der Außenwelt nach dieser oder jener Rich- tung hin verändert, aber zu diesen Veränderungen sind die gewöhn- lichen Existenzbedingungen vollständig genügend. Auch durch sie wird eine genügend große Variabilität garantiert, sodass die Gefüge- zuehtwahl jeder Zeit zwischen gut und schlecht konstituierten Indi- viduen zu wählen hat. Finden geologische Veränderungen größeren Umfangs statt, so wird zwar die Umbildung der Organismen rascher vor sich gehen als sonst, aber wenn sich auch keine geologischen Veränderungen erheblichen Betrages auf der Erde vollziehen, so muss doch eine langsame Umbildung der Organismen erfolgen, desto lang- samer, je kleiner das Wohngebiet der betreffenden Organismenart ist, desto schneller, einen je größeren Umfang es hat. Welche Verän- derungen die konstitutionelle Zuchtwahl bei den Tier- und Pflanzen- arten bewirkt, habe ich des Näheren in dem zitierten Werke darge- legt; ich muss auf meine dortigen Ausführungen verweisen. 2) Aus den genannten Gründen brauchen wir uns auch weiter keine Mühe zu geben, die geologische Periode namhaft zu machen, in welcher die Säugetiere entstanden sind. Ich habe früher die per- mische Zeit, und zwar eine Eiszeit, als die Entstehungsperiode der Säugetiere bezeichnet, muss aber dieses nunmehr zurücknehmen und als möglich zugestehen, dass noch in den vorpermischen Schichten Reste von Tieren gefunden werden können, die wir wohl oder übel zu den Säugetieren stellen müssen. Eine darauf gerichtete Hoffnung scheint mir allerdings auf schwachen Füßen zu stehen, weil es keinem Haacke, Entstehung des Säugetieres. 723 Zweifel unterliegen kann, dass die ältesten Säugetiere und ihre noch nieht als Säuger zu bezeichnenden Vorfahren außerordentlich kleine Tiere waren, kleiner vielleicht als unsere Zwergspitzmaus. Die Geo- logie wird uns also schwerlich Aufschluss über die ältesten Vorfahren der Säugetiere geben, und ich wenigstens bin der Nötigung überhoben, eine bestimmte geologische Periode als Entstehungszeit der Säugetiere namhaft zu machen. So wenig wie ich dieses kann, vermag ich eine Wirbeltiergruppe als die Stammgruppe der Säugetiere zu bezeichnen. Die großen Hauptabteilungen des Tierreichs und die Klassen inner- halb jeder Hauptabteilung haben sich schon sehr frühzeitig von einan- der gesondert, man darf wohl sagen, dass Amphibien und Reptilien, Säugetiere und Vögel gemeinsame Vorfahren haben, aber mit ebenso großem Recht behaupten, dass aus einem ausgesprochenen Amphibium oder Reptil kein Säugetier und Vogel mehr werden konnte. Alles, was wir über die Tiere wissen, drängt zu einer solehen Annahme hin. Alle Bestrebungen, die größeren Abteilungen des Tierreichs genetisch zu verknüpfen, sind, das dürfen wir uns nicht verhehlen, kläglieh gescheitert. Wir wissen, um nur einige Beispiele zu nennen, nichts über die Abstammung der Echinodermen, der Krebse, der Insekten, der Mollusken und der Ringelwürmer; wir wissen absolut nichts über die Herkunft der Wirbeltiere und sind nicht im Stande, irgend etwas über die Vorfahren der Amphibien und Reptilien, der Vögel und Säuge- tiere auszusagen. Es stellt sich immer mehr heraus, dass diese Tier- stämme höchstens an ihrer Wurzel zusammenhängen, dass wir aber von diesem Zusammenhang nicht das Geringste wissen. Es kann sich für uns nur darum handeln, die einzelnen Momente, die zur Bildung von Säugetieren, von Vögeln und anderen Tieren geführt haben, phy- siologisch verstehen zu lernen, dagegen nieht darum, die großen Tier- gruppen von unbekannten Vorfahren abzuleiten. Ich glaube nun den Nachweis führen zu können, dass die Ent- wieklung von warmblütigen Tieren aus kaltblütigen auch in einer Erdperiode vor sich gehen kann, wo keine Veränderungen des Klimas eintreten. Konstitutionelle Zuchtwahl muss, wie ich in meiner „Ge- staltung und Vererbung“ nachgewiesen habe, die Körpergröße be- trächtlieher werden lassen. Nun können wir uns die Tiere vorstellen als Descendenten einer Urform, die eine aus einer Zellenschicht be- stehende Hohlkugel darstellte. Durch die im Laufe der Stammes- geschichte veränderte Gestalt der Plasmaelemente musste diese Hohl- kugel, wie ich in dem genannten Werke nachgewiesen habe, in eine andere Form übergehen. Es mussten Einstülpungs- und Einfaltungs- prozesse an der kugelförmigen Zellschicht vor sich gehen, die zur Bildung von Organen führten. Je fester das Gefüge der Tiere wurde, je mehr ihre Körpergröße zunahm, desto komplizierter mussten diese Einstülpungen und Faltenbildungen nebst den Verwachsungen, die mit ihnen Hand in Hand gingen, werden. Auf dem Wege einer Aus- 45 * 724 Haacke, Entstehung des Säugetieres. stülpung mit nachfolgender Faltenbildung ist aber, wie die Embryo- logie lehrt, auch die Lunge der Wirbeltiere entstanden. Die Um- stände, welche zur Ausbildung einer Lunge geführt haben, kann ich hier nicht näher berühren; ich verweise in Bezug darauf auf das, was ich in dem 19. Kapitel meiner „Schöpfung der Tierwelt“ (Leip- zig, 1895) darüber gesagt habe. Genug, dass sich ein Sack bildete, in welchem sich Luft sammelte. Durch die Wechselwirkung, in welche seine Zellen und das ihn durchströmende Blut mit der auf- genommenen Luft traten, wurde dieser aus einer Ausstülpung des Darmrohres hervorgegangene .Sack zu einer Lunge umgebildet. Die Lunge ist bei den Amphibien und manchen Reptilien im Wesentlichen ein hohler Sack geblieben, dagegen bei den Vögeln und Säugetieren zu einer kompakten, schwammartigen Masse geworden, deren Ent- stehung zurückzuführen ist auf eine enorme Vergrößerung der inneren Oberfläche des ursprünglichen Sackes durch Faltenbildung. Den Ur- sprung dieser Faltenbildung schreibe ich der konstitutionellen Zucht- wahl zu, welche nicht nur die Organe des Körpers zu vergrößern trachtete, sondern auch fortgesetzte Faltenbildungen bewirkte. Man kann vielleicht fragen, warum die Amphibien und viele Reptilien nicht auch eine schwammartige Lunge gleich den Säugetieren und Vögeln haben, und darauf wäre zu antworten, dass die beiden letzteren Klassen von vornherein in eine andere Entwicklungsrichtung hinein- gedrängt worden sind als die Amphibien und Reptilien, dass infolge der Gestalt, welche die konstitutionelle Zuchtwahl den Plasma- Elementen der Warmblüter gab, an dem Körper der Letzteren schon viel frühzeitiger eine starke Faltenbildung stattfand, als sie bei den Am- phibien und Reptilien möglich wäre. Eine solche Annahme würde freilich involvieren, dass Vögel und Säugetiere wenig mit Amphibien und Reptilien zu thun haben, und das ist auch meine oben dargelegte Ansicht. Die Blutwärme der Säugetiere lässt sich auf die Vergrößerung der Lunge bei ihren Vorfahren zurückführen. Die innere Oberfläche der Lunge wurde durch die Faltenbildungen stark vergrößert, sodass hier eine ausgiebige Wechselwirkung zwischen dem Atemorgan und der atmosphärischen Luft eintreten konnte. Die Thätigkeit der Lunge musste aber auch ihrerseits dazu beitragen, das Organ zu vergrößern, denn Zellen, die eine starke Thätigkeit entfalten, werden gut ernährt und können sich deshalb auch lebhafter teilen als andere. Da aber das plasmatische Gefüge der Säugetiere den sich vergrößernden Körper, insbesondere die Lunge, zu fortgesetzten Faltenbildungen zwang, so musste sich die Lunge auch aus diesem Grunde fortwährend vergrößern. Dadurch aber war die Möglichkeit zu einem lebhaften Stoffwechsel gegeben. Der Verbrennungsprozess im Körper musste infolge der aus- giebigen Luftzufuhr, die durch die Vergrößerung der Lungenoberfläche ermöglicht war, ein viel lebhafterer werden und er hatte eine Er- höhung der Bluttemperatur zur unmittelbaren Folge. Aus den kalt- Haacke, Entstehung des Säugetieres. 725 blütigen Vorfahren der Säugetiere wurden infolge von Vergrößerung der inneren Lungenoberfläche Warmblüter, und das konnte deshalb geschehen, weil die Vorfahren der Säugetiere sehr kleine Tiere waren, deren Lungenoberfläche im Verhältnis zur Körpergröße eine sehr be- trächtliche Ausdehnung hatte, während bei denjenigen Reptilien, die gleichfalls eine kompaktere Lunge erhielten, der Körper viel zu große Dimensionen hatte und dadurch eine Erhöhung der Bluttemperatur vereitelte. 3) Die Entstehung eines Haarkleides aus irgendwelchen Ober- hautgebilden, die sich bei den Vorfahren der Säugetiere fanden, lässt sich, wie ich glaube, auf die höhere Blutwärme der Säugetiere zurück- führen, und dasselbe würde für das Gefieder der Vögel gelten. Da- durch, dass das Blut eine hohe Temperatur erhielt, mussten die Haut- gebilde der Warmblüter stärker gereizt werden, als früher. Denn während die Temperatur der umgebenden Luft bei den kaltblütigen Vorfahren der Warmblüter auf Hautgebilde traf, die keine von der Umgebung verschiedene Temperatur hatten, wurde nunmehr eine von warmem Blut durchströmte Haut den Einflüssen der Außenwelt aus- gesetzt. Die Abkühlung, welche sie notwendigerweise erfahren musste, hatte eine starke Durchblutung und deshalb eine ausgiebige Ernährung der Hautorgane zur Folge, und die Vorläufer der Haare wuchsen deshalb zu denjenigen Gebilden aus, die für die Säugetiere so charak- teristisch sind. Der Beweis dafür, dass eime große Verschiedenheit zwischen der Temperatur des Blutes und der der Umgebung zu einer starken Ausbildung der Oberhautgebilde führen muss, lässt sieh ex- perimentell liefern. Ich habe im Zoologischen Garten in Frankfurt a.M. während eines Zeitraums von fünf Jahren sehr viele Tiere tropischer Länder auch im Winter, und zwar auch an Tagen, wo das Thermo- meter 20 Grad Celsius unter 0 zeigte, im Freien gehalten und gefun- den, dass diese Tiere viel stärker behaart wurden, als die Individuen derselben Arten in anderen zoologischen Gärten, wo man die Tiere im Winter in zum Teil geheizten Häusern hält. Aufßserdem aber wissen wir ja, dass Polartiere einen viel diehteren Pelz haben, als Tiere wärmerer Gegenden. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass Ab- kühlung der Haut bessere Ernährung dieses Organs und demgemäß eine stärkere Ausbildung der Oberhautgebilde zur Folge hat. Ab- kühlung der Haut ist aber nur bei Warmblütern möglieh. Die Ent- stehung eines Haarkleides ist also eine unmittelbare Folge der Warm- blütigkeit, und das Haarkleid hat sich wahrscheinlich Hand in Hand mit der Letzteren entwickelt. Ueber die Natur der Hautgebilde, die bei den Vorfahren der Säugetiere Vorläufer der Haare waren, wage ich nieht irgend eine Vermutung auszusprechen. 4) Es ist möglich, dass die Entstehung der Talgdrüsen gleich- falls auf die erhöhte Bluttemperatur zurückzuführen ist, in ähnlicher Weise wie die Entstehung des Haarkleides. Eine von warmem Blut durchströmte Haut erlitt durch die Reize, welche die Temperatur der 726 Haacke, Entstehung des Säugetieres. Luft auf sie ausübte, stärkere Anregung zur Thätigkeit als die Haut eines Kaltblüters, und da der Stoffwechsel der Warmblüter ohnehin ein lebhafterer ist als der der Kaltblüter, so werden die Talgdrüsen schon von vornherein eine größere Thätigkeit entfaltet haben, als ihre Vorläufer bei den kaltblütigen Vorfahren der Säugetiere. Gewiss sind die Abscheidungen der Talgdrüsen von großem Nutzen für das Haar- kleid, weil sie die Haare einfetten und dadurch vor den schädliehen Einflüssen der Nässe schützen, aber trotzdem glaube ich nicht, dass die Eigenschaften der Talgdrüsen durch die natürliche Zuchtwahl herangezüchtet worden sind. Ich glaube vielmehr, dass die Haare sich direkt an die Ausscheidungen der Drüsen angepasst haben, und dass sie andere Eigenschaften haben würden, wenn es keine Talg- drüsen gäbe. Die Entstehung der Drüsen überhaupt haben wir uns auf folgende Weise zu erklären: Der Tierkörper musste, weil die Ble- mente seines Plasmas eine bestimmte Form hatten, sich in bestimmter architektonischer Weise entwickeln. Dadurch wurde die Lage der einzelnen Zellen im Körper eine sehr verschiedene, sowohl was ihr Verhältnis zu den übrigen Zellen als auch zu der Außenwelt anbelangte. Da nun vermöge ihrer Lage die einen Zellen in dieser, die andeın in jener Weise in Anspruch genommen waren, so trat eine Differenzierung von Nerven, Muskeln, Verdauungsorganen u. s. w. ein, und Drüsen bildeten sich an solchen Stellen, die durch keine anderen Aufgaben in Anspruch genommen waren. Hier entwickelten die Zellen eine be- sonders starke exkretorische Thätigkeit. Dabei wird es sich ursprüng- lich lediglich um die Ausscheidung von Stoffwechselprodukten gehan- delt haben. Diese konnten nun entweder schädliche oder nützliche, oder auch indifferente sein, aber in allen Fällen hatte sich der Körper, in welchem oder auf dessen Oberfläche sie abgeschieden wurden, mit ihnen abzufinden und sich ihnen anzupassen. So hat der Körper die Abscheidungsprodukte der Leber und anderer Drüsen sich dermaßen zu Nutzen zu machen gewusst, sich ihnen in so hohem Grade ange- passt, dass er nicht mehr ohne sie auskommen kann, und ebenso wird es auch mit den Talgdrüsen gewesen sein. Haare und Talgdrüsen haben sich infolge der Umbildung der Säugetiervorfahren zu Warm- blütern wahrscheinlieh gleichzeitig entwickelt, und die Absonderung der Talgdrüsen hat die Form und die sonstigen Eigenschaften der sich zugleich mit ihnen entwickelnden Haare beeinflusst. Wären keine Talgdrüsen entstanden, so hätten die Haare andere Eigenschaften an- genommen; sie hätten sich auch dann mit den Einflüssen der Um- gebung ins Gleichgewicht gesetzt, und wir würden sie in diesem Falle wahrscheinlich nieht weniger als zweckmäßig bewundern, als wir es jetzt thun. Es ist keineswegs zu verwundern, dass die Haare in Ab- hängigkeit von den Talgdrüsen geraten sind, und es ist deshalb gar nicht nötig, die natürliche Zuchtwahl zur Erklärung dieser Abhängig- keit heranzuziehen. Ein leidenschaftlicher Raucher wird gewiss den Tabak als eine vortreffliche Gottesgabe betrachten; er würde sich aber ng Haacke, Entstehung des Säugetieres. Ti 57 auch wohl befinden, wenn es keinen Tabak gäbe. Sein Stoffwechsel würde dann ein etwas anderer sein, und er würde sich auch dann mit der Welt abfinden. Aehnlich ist es mit den Haaren. Auch sie würden ohne Talgdrüsen bestehen; sie würden, wenn es diese nicht gäbe, nicht m Abhängigkeit von ihnen geraten sein. Da sie sich aber von vornherein den Ausscheidungen der Talgdrüsen anpassten, so können sie den Hauttalg ebensowenig entbehren wie der Raucher den Tabak oder der Morphinist seine Spritze. 5) Gleichfalls auf den infolge der Warmblütigkeit erhöhten Stoff- wechsel ist die Entstehung der Schweißdrüsen zurückzuführen. Auch ihrem Sekrete und den durch dessen Verdunstung herbeigeführten Wirkungen hat sich der Säugetierkörper angepasst. Er würde aber auch ohne sie auskommen können, wenn sie überhaupt nicht entstan- den wären. Sie fehlen ja bei den Vögeln, die doch auch warmblütig sind. Der Drüsenreichtum der Säugetierhaut erklärt sich vielleicht aus einer großen Neigung zur Bildung von Einstülpungen, welche, wie wir gesehen haben, auf die Form der Plasmaelemente zurückzu- führen sein würde. 6) Die Entstehung eines Brutbeutels auf dem Wege der natür- lichen Zuchtwahl vermag ich mir nicht mehr vorzustellen, ebenso- wenig wie ich es früher vermocht habe; indessen habe ich damals das Beispiel der Darwinisten befolgt, die ja zufrieden sind, wenn sie an einem Organ irgend eine zweckmäßige Einrichtung oder den Schatten einer solehen nachgewiesen haben. Ich kann mir nicht vor- stellen, wie die Vorfahren der Säugetiere zufällig darauf gekommen sein sollten, ihre Eier zu bebrüten. Die Entstehung der Brutpflege müsste man sich doch vom Boden der Zuchtwahllehre aus so vor- stellen, dass etliche Individuen auf ihren Eiern herumsaßen, andere da- gegen nicht, und dass die Nachkommen der Ersteren überlebten, während die der Letzteren zu Grunde gingen. Wenn sich Jemand vorstellen kann, dass Tiere, bei denen keine Spur von Brutpflege vorhanden ist, plötzlich ohne irgend welchen Grund, ohne Bewusstsein und ohne Absicht auf ihren Biern, die sie bis dahin sich selbst überlassen haben, herumzuhocken anfangen, so beneide ich ihn um seine Phantasie. Ebensowenig begreife ich, dass die Vorfahren der Säugetiere sich zufällig veranlasst ge- fühlt haben sollten, ihre Eier in einen sich bildenden Brutbeutel hineinzusteeken. Wie die Entstehung eines solehen Brutbeutels durch natürliche Zuchtwahl zu Stande gekommen sein soll, sehe ich nicht ein, denn seine Anfänge konnten nicht von einem so ausschlag- sebenden Nutzen für die betreffenden Tiere sein, dass davon der Fortbestand der letzteren abhing. Die Entstehung des Brutbeutels ist aber nur dann schwierig zu begreifen, wenn man sich nicht von der allzusehr vergötterten Zuchtwahllehre freimachen kann. Ich denke mir seine Entstehung folgendermaßen: Wo wir unter den niederen Wirbeltieren, beispielsweise bei Fischen und Amphibien, Fürsorge für die abgelegten Eier antreffen, ist es in 128 Haacke, Entstehung des Säugetieres. den allermeisten Fällen das Männchen, das sich der Eier an- nimmt und sich um sie bekümmert, nicht aber das Weibehen. Die Entstehung dieser männlichen Brutpflege ist aber vom Boden der Zucht- wahllehre aus völlig unbegreiflich. Wie sollte das Männchen dazu gekommen sein, ohne irgend /welche Absicht die Eier zu bewahren oder sie mit sich herumzuschleppen? Die Sache liegt vielmehr so, dass das Männchen sich ebenso absichtlich und ebenso bewusster Weise um die Eier gekümmert hat, wie es etwa seiner Nahrung nachgeht. Die Eier bereiteten ihm Vergnügen, denn es ist nieht unwahrscheinlich, dass von den sich entwickelnden Eiern ein Duft ausgeht, ähnlich dem des Weibehens, und dass das Männchen dabei angenehme Nervenerregung empfindet. Solches dürfte verursacht haben, dass es anfing, die Eier zu bewachen oder mit sich herumzutragen. Es hat sich dann direkt an die so entstandene Brutpflege angepasst und die dadurch erworbenen körperlichen und geistigen Eigenschaften später auf das Weibehen über- tragen. Das Männchen ist dem Weibchen in der Entwicklung voraus- gegangen. Ich glaube also, dass es, bei den Wirbeltieren wenigstens, zuerst das Männchen war, das die Brutpflege ausübte. Wo wir männ- liche Brutpflege unter den Vögeln finden, handelt es sich stets um tiefstehende Repräsentanten der betreffenden Vogelgruppe. Ich habe es an gefangenen Nandus oft genug beobachtet, wieviel Vergnügen ihnen die von den Weibehen gelegten Eier bereiten. Sie werden nicht müde, damit herumzuspielen, und ich glaube deshalb auch, dass es bei den Vorfahren der Säugetiere die Männchen waren, die sich zuerst der von den Weibchen gelegten Eier annahmen und sie mit sich herum- trugen. Dazu stimmt auch, wie sich neuerdings gezeigt hat, dass die Mammardrüsen der männlichen Echidna außerordentlich groß sind. Wären Brutpflege und Mammarorgane zuerst von den Weibchen er- worben, und wären die Mammardrüsen erst von diesen auf die Männ- chen vererbt worden, so würde man große Mammardrüsen am aller- wenigsten bei den tiefstehenden Säugetieren finden. Ich glaube also, dass die Entstehung des Brutbeutels auf den Umstand zurückzuführen ist, dass bei den Vorfahren der Säugetiere das Männchen die von den Weibehen gelegten Eier mit sich herumtrug. Nun habe ich in meiner „Schöpfung der Tierwelt“ den Nachweis zu führen gesucht, dass die Säuger von Tieren mit langen Hinterbeinen und kurzen Vorderbeinen abstammen, Geschöpfen, die eine halb auf- rechte Körperhaltung, wie wir sie etwa bei den Eichhörnchen finden, einnahmen. Dass wir zu diesem Schlusse kommen müssen, werde ich durch eingehende Tabellen über die Längenverhältnisse der Vorder- und Hintergliedmaßen bei den Säugetieren darzulegen suchen; hier gehen wir von der Annahme aus, dass meine Ansicht, dass die Hinterbeine der Säugetiervorfahren sehr lang und die Vorderbeine sehr kurz waren, richtig ist. Wenn nun solche Tiere ihre Eier mit sich herum- trugen, so werden sie sie an denjenigen Körperstellen aufbewahrt haben, Haacke, Entstehung des Säugetieres. 7129 wo sie am wenigsten leicht verloren gehen konnten, und das wird am Unterleib der Fall gewesen sein. Wenn die Tiere eine hockende Stel- lung gleich dem Eiehhörnehen einnahmen, so war vor allem der Schooß zum Festhalten der Eier geeignet, und am Unterleibe entstehen, wie man am eignen Körper beobachten kann, bei einer derartigen Haltung leicht Falten, die bei den Vorfahren der Säuger geeignet gewesen sein dürften, die Eier einigermaßen festzuhalten. Waren sie das, so konnten sie sich durch festgesetzten Gebrauch und die Vererbung seiner Wir- kungen zu einem Brutbeutel ausbilden. Der Brutbeutel wäre demnach eine direkte Erwerbung der Säugetiervorfahren: seine Entstehung ist im Lamarek’schen und nieht im Darwin’schen Sinne zu erklären. 7) Infolge der erhöhten Hautthätigkeit, die durch die Ausbildung des Brutbeutels und durch den Aufenthalt der Eier und der jungen Tiere in ihm direkt hervorgerufen wurde, bethätigten auch die in ihn ausmündenden Hautdrüsen eine lebhaftere Thätigkeit. Weshalb es indessen zunächst die Schweißdrüsen waren, die sich besonders stark entwickelten, vermag ich nicht zu sagen; genug, dass ihre Aus- scheidungen stark genug wurden, um von den Jungen aufgeleckt werden zu können. Diese Letzteren haben sich direkt an diese Art der ersten Ernährung angepasst; sie sind dadurch zu saugenden Tieren geworden, und da sie vermöge der Gestalt des Brutbeutels, die eine ungleiehmäßige Verdunstung der Hautsekrete zur Folge haben musste, besonders an denjenigen Hautstellen leckten und später sogen, wo die Verdunstung nicht schnell genug eintreten konnte, so sind die Mammar- drüsen hier lokalisiert worden. Durch den außerordentlich großen Reiz, den die saugenden Jungen auf die Drüsen ausübten, wurde deren Absonderung eine immer stärkere. Ihr Plasma löste sich gewisser- maßen fortwährend in seine Bestandteile auf, wodurch eine rasche Er- setzung des Plasmas, eine starke Ernährung der betreffenden Zellen herbeigeführt werden musste, und das Sekret konnte deshalb nährende Eigenschaften annehmen, die sich durch fortgesetzten Gebrauch der Drüsen immer mehr ausbilden mussten. Dem von dem Drüsen aus- geschiedenen Sekret hat sich dann der Stoffwechsel der jungen Säuge tiere direkt angepasst. 8) Es konnte deshalb nicht fehlen, dass die zwischen den zu Mammarorganen gewordenen Schweißdrüsen liegenden Talgdrüsen in Folge des fortwährend auf sie ausgeübten Reizes sich gleichfalls stärker ausbildeten und gleichfalls zu Mammardrüsen wurden. Weshalb sie die Schweißdrüsen später in der Entwicklung überholt haben, weshalb diese letzteren im Bereiche der Mammardrüsen endlich gänzlich ge- schwunden sind, vermag ich freilieh nicht zu sagen; indessen darf man wohl hoffen, dass wir später eine befriedigende Erklärung dafür finden werden. Der Brutbeutel und die Milchdrüsen sind also auf den direkten Gebrauch der Organe zurückzuführen; sie sind zuerst vom Männchen er- worben und später durch Vererbung auf das Weibchen übertragen worden, 730 Haacke, Entstehung des Säugetieres. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es noch heute Säuge- tiere gibt, bei welchen sich männliche Brutpflege findet. Ein solches Tier ist möglicherweise der auf Neuseeland lebende Waitoteke. Neu- seeland hat eine außerordentlich alte Fauna, und es ist deshalb nicht unmöglich, dass das einzige dort ursprünglich heimische Landsäuge- tier noch auf einer sehr tiefen Entwieklungsstufe des Säugetierstammes steht. Ich habe schon früher die Vermutung ausgesprochen, dass solehes der Fall ist, und möchte diese Vermutung dahin erweitern, dass der Waitoteke ein Säugetier mit männlicher Brutpflege ist. Wenn man einmal des Waitoteke habhaft geworden sem wird, wird es sich entscheiden, ob ich mit meiner Vermutung das Richtige getroffen habe, und wenn das der Fall sein sollte, so würden auch diejenigen Zutrauen zu meinen Schlussfolgerungen gewinnen, die sie heute als zu gewagt, mindestens als überflüssig betrachten. Dass aber solehe Betrachtungen wirklich überflüssig seien, vermag ich nicht zuzugeben; dagegen gestehe ich gerne ein, dass alle solche Spekulationen in hohem Grade gewagt sind. Aber neben denjenigen Naturforschern, die sich vorsiehtig weiter tasten, um nur ja nichts aus- zusprechen, was sie später zu wiederrufen haben müssten, Forschern, deren Exis!enzberechtigung von niemand so sehr anerkannt wird, wie von mir‘, muss es auch andere geben, die sich nicht scheuen, der Wissenschaft auf ihre Weise durch kühne Hypothesenbildungen zu dienen. So lange nur scharf zwischen Hypothese und Thatsache unter- schieden wird, kann die Hypothese der Wissenschaft nur von Nutzen sein, weil sie zur Entdeekung neuer Thatsachen anregt. Dazu ist auch, glaube ich, der Hypothesenbau, den ich hier vorgeführt habe, geeignet. Wenn wir uns erst einmal von den Fesseln des zur Zeit auf die Spitze getriebenen Darwinismus frei gemacht haben, werden wir auch wieder dazu kommen, nach den bewirkenden Ursachen der Formbildung zu suchen, und ich möchte mir hier kurz anzudeuten erlauben, in welcher Weise ich mir die biologische Forschung der Zukunft vorstelle. Durch die von mir berührten Momente, die nach meiner Ansicht zur Entstehung des Säugetieres beigetragen haben, wird eine ganze Reihe von physiologischen Fragen eröffnet, die der experimentellen Behandlung zugänglich sind. Man wird Beobachtungen darüber anzu- stellen haben, in welcher Weise Organe durch neue Thätigkeiten, zu welchen man sie experimentell zwingt, umgebildet werden, und man wird dabei die histologischen Veränderungen verfolgen müssen, die sie erleiden. Man wird ferner die vergleichende Anatomie mit der ver- gleichenden Physiologie verbinden, Stufenfolgen von Organen aufzu- stellen versuchen und die einzelnen Glieder dieser Stufenfolgen mit einander vergleichen. Aus der Beobachtung lebender Tiere wird sich eine vergleichende Entwicklungsgeschiehte der Lebensäußerungen ent- wiekeln. Immer und überall wird man aber nach direkten Ursachen suchen und dadurch die Biologie zu einer wahren Wissenschaft machen. Dagegen wird man es als zwecklos erkennen, die großen Gruppen Haacke, Entstehung des Säugetieres. Tl des Tierreichs genetisch zu verknüpfen. Die vergleichende Anatomie wird den von ihr vielfach gemfachten Missgriff einsehen, der dazu ge- führt hat, in vielen Fällen Organe verschiedener Tiergruppen — ieh erinnere nur an die trichterförmigen Nieren, die sich bei Ringelwürmern und anderen Tieren finden — stammesgeschichtlich mit einander in Beziehung zu bringen. Man wird einsehen, dass dergleichen Organe sich sehr wohl unabhängig von einander bilden konnten. Vielleicht schwebt aber dem Leser die Frage auf den Lippen, weshalb ich bei diesen Anschauungen dazu komme, mir die Entsteh- ungsgeschichte des Säugetiers im einzelnen auszumalen. Aber ich muss betonen, dass ich nieht den Versuch unternommen habe, das Säugetier auf irgendwelche andere uns bekannte Wirbeltiere zurück- zuführen. Ueber die Vorfahren der Säugetiere weiß ich nichts, und ich bin überzeugt, dass man auch in Zukunft nichts darüber wissen wird. Dagegen dürfte es wohl erlaubt sein, sich die einzelnen physio- logischen Momente klar zu machen, die zur Entstehung des Säugetiers geführt haben. Einen anderen Zweck haben meine Ausführungen nicht. Dass solche Betrachtungen aber nicht ohne Nutzen sind, glaube ich durch eben diese Betrachtungen gezeigt zu haben. Sie weisen darauf hin, wie notwendig es ist, uns nicht mit der Aufstellung von inehr oder minder unsicheren Stammbäumen zu begnügen, wie sehr es geboten ist, solche mit dem allergrößten Misstrauen zu betrachten. Die Phylogenie der Zukunft wird, davon bin ich fest überzeugt, ihre Hauptaufgabe nicht in der hypothetischen Verknüpfung großer Tiergruppen suchen, sondern einerseits die Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb kleinerer Tiergruppen aufzuklären und durch die Aufstellung von Entwicklungsreihen zu Entwicklungsgesetzen zu gelangen trachten, andrerseits sich die Momente klar machen, die zur Ausbildung der Organe und ihrer Thätigkeit geführt haben. Sie wird dabei die wohl- feilen Erklärungsversuche des Darwinismus verschmähen und überall auf die bewirkenden Ursachen zurückgehen. Ich verkenne nicht, dass die alte bisher übliche Phylogenie, die sieh mit der Aufstellung von Stammbäumen zufrieden gab und sich um physiologische Erklärungen nicht kümmerte, der Wissenschaft den allergrößten Nutzen gebracht hat. Aber ich bin ebenso fest davon über- zeugt, dass sie uns ihre hauptsächlichsten Dienste bereits geleistet hat, und dass in Zukunft nicht mehr viel von ihr zu erwarten ist. Grade sie hat sich auch zu wenig um das Leben und Treiben der Tiere ge- kümmert, zu wenig die Erklärungsmomente benutzt, welche die geo- graphische Verbreitung der Tiere zu geben geeignet ist. Die geo- graphische Verbreitung der Tiere lässt sich aber nur aus der Geschichte der Erde verstehen, und damit komme ich wieder auf den Ausgangs- punkt unserer Betrachtungen zurück. Koken hat neuerdings eine Trennung der paläontologischen und der biologischen Forschung befürwortet. „Die Paläontologie“, sagt er, „soll sich aber bewusst bleiben, dass ihre Resultate gewonnen sein 132 Ergebnisse der Plankton - Expedition. müssen durch Beobachtung an den Resten der Vorwelt bei strengster Beachtung des geologischen Alters. “Die vermeimtlichen Gesetze der Öntogenie und der Biologie dürfen niemand beeinflussen, von diesem Pfade abzuschweifen und in Verallgemeinerungen sein Glück zu suchen, welche nur zur Hälfte geistiges Eigentum sind und den Prägestempel der biologischen Wissenschaften tragen. Es wird nichts dadurch ge- fördert, dass wir ihre Gedanken zu illustrieren suchen; wo aber die Resultate unserer und ihrer Arbeit zur Deckung kommen, während beide selbständig von verschiedenen Ausgangspunkten sich dem Ziele zubewegt haben, da ist durch Rechnung und Gegenrechuung das Faeit gesichert. Nicht ein einziges der an lebendem Materiale, bei der Zer- sliederung von Tieren und Pflanzen abgelesenen sog. Gesetze der Ent- wieklungsgeschichte ist vor dem Vorwurf des Cireulus vitiosus ge- siehert. Die Biologie bannt die Erkenntnis in das räumliche Element der Ebene, weil sie sich nicht über die Gegenwart zu erheben vermag, und erst die Paläontologie eröffnet die richtige Perspektive in die Ver- sangenheit“. Es wäre ein Unglück für unsere Wissenschaft, wenn sie Anschau- ungen, wie Koken sie hier ausspricht, teilen wollte, und ein Unglück wäre es auch, wenn die Paläontologie sich der Mitwirkung der Biologie an der Lösung ihrer Probleme berauben wollte. Was aber auch immer die Paläontologie thun mag, die Biologie wird die Forschungs- resultate der Geologie und der Geographie zur Lösung ihrer eigenen Aufgaben weder entbehren wollen noch entbehren können. Die Tier- welt unseres Planeten hat sich Hand in Hand mit der Erde entwickelt, und wenn wir nieht auf die Erforschung ihrer Geschichte verzichten wollen, so können wir eines Zusammenarbeitens mit Geologie und Geographie nicht entraten. Ich glaube aber auch, dass es für die Paläontologie besser sein wird, Koken’s Ratschlägen nicht zu folgen, sondern die Lösung ihrer Aufgaben mit Hilfe der von der Biologie erforschten Gesetze der Formenbildung, der Organthätigkeit und des tierischen Haushalts zu versuchen. Denn so vieler Cireuli vitiosi sich die Biologie auch schuldig gemacht haben mag, die Paläontologie hat deren nicht weniger aufzuweisen. So lange keine Skelette entdeckt werden, die ohne Nerven und Muskeln herumlaufen, so lange wird man auch einem lebenden Tiere größere Bedeutung für die Erkenntnis der Gesetze des Lebens zugestehen, als dem Bruchstücke eines ver- witterten Vorweltknochens. Darmstadt, den 23. September 1893. Ergebnisse der Plankton -Expedition. Bd. II G. b. Dr. Ortmann, Dekapoden und Schizopoden der Plankton- Expedition. Ortmann hat in einer umfangreichen Arbeit die Systematik der genannten Krebse, ihre horizontale wie vertikale Verbreitung sowie die allgemeinen planktologischen Fragen an der Hand des ihm vor- Ergebnisse der Plankton- Expedition. 133 liegenden Materiales behandelt. Aus dem systematischen Teile, der ohne Tafeln — es sind deren 7 beigegeben — nicht gut darzustellen ist, entnehmen wir nur einige Daten. Ortmann schließt sich Boas an, indem er die ältere Einteilung in Dekapoden und Schizopoden verlässt, und dafür die Ordnungen der Euphausiden, Mysiden und Dekapoden setzt, da letztere Einteilung „ein ganz unerwartetes Licht auf die bisher nach sehr vorworrenen Thatsachen der larvalen Ent- wicklung der Krebse zu werfen“ geeignet ist. Von den Euphausiacea sind 5 der bisher bekannteu 7 Gattungen gefunden mit 26 Arten von denen 7 neu sind. Von den Mysidacea sind 19 Gattungen bekannt, 4 davon sind gefunden, davon 2 neu. Zu diesen 4 Gattungen gehören 5 Arten, 2 davon sind neu. Von den Dekapoda sind 45 Gattungen mit 66 Arten, davon 6 neu, von der Plankton-Expedition erbeutet. Im ganzen sind also 54 Gattungen nam- haft gemacht mit 97 Arten unter denen 15 neue sich befinden. Dazu kommen noch die Larven. Besonders wertvoll ist das Material der Plankton - Expedition für Fragen über die Verbreitung der Organismen, hier der genannten 3 Ordnungen, da auf der ganzen Fahrt systematisch und in verhältnis- mäßig geringem Abstande von einander Stichproben dem Ozean ent- nommen sind, die trotz der bespöttelten Vertikalfischerei ein gewaltiges Material geliefert haben. Die Euphausiden sind weit verbreitet, zum größten Teil tropisch und subtropisch. Einzelne, wie Kuphausia pellucida, sind fast kosmo- politisch und fanden sich sogar in der Irminger-See und dem Labrador- strom. Manche Arten sind echt nordische Tiere, wie — Thysanoessa longicaudata. Was die vertikale Verbreitung anbetrifft, so sind die Euphausiden vorzugsweise OÖberflächenbewohner, auch diejenigen, die früher als Tiefseekrebse angesehen wurden. Damit soll nicht in Ab- rede gestellt werden, dass manche Arten, z. B. solche der Gattung Stylocheiron, in größere Tiefen bis 1500 m hinabsteigen, aber ebenso werden sie auch an der Oberfläche des Meeres beobachtet. Für einige Arten ist das Vorkommen in Tiefen von 400—800 m durch Schließnetz- funde wahrscheinlich gemacht. Die Mysiden, die nur wenig Vertreter auf der Hochsee haben, sind wie die Euphausiden im tropischen wie subtropischen Teile der Ozeane fast überall zu finden. Jedoch kommt Sirella thompsoni auch in gemäßigten Meeren vor; Caesaroınysis hispida ist hochtropisch, aber bisher nur in Tiefen von 200400 m gefunden, während die übrigen Öherflächentiere sind, von denen man aber noch nicht die Tiefengrenze der Verbreitung kennt. Von den Dekapoden sind die Sergestiden und namentlich die Gattung Sergestes sehr weit verbreitet, außer im Atlantischen, ist sie im Großen Ozean gefunden. Meist finden diese Krebse sich in tropischen und subtropischen Meeresteilen, nur Sergestes arcticus macht eine Aus- nahme, indem er nur im kalten Teile des Atlantie, nördlich vom Golf- 7134 Ergebnisse der Plankton - Expedition. strom vorkommt, außerdem aber auch an der Küste der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, wo er aber in größerer Tiefe, also auch in kaltem Wasser, zu leben scheint. In größere Tiefe steigt die Gat- tung Sergia hinab. Die beiden Arten der Gattung Aceies scheinen auf Flussmündungen beschränkt zu sein, die eine fand sich im Tocantins, die andere war aus dem Ganges bekannt. Weit verbreitet ist dagegen Lueifer, der an der Oberfläche gefangen wurde, während sich in der Tiefe nur 1 Larve fand. Andere Arten, die bisher für Tiefenbewohner gehalten wurden, wurden auch in oberen Wasserschichten gefangen. Interessant sind ferner die Sargassum-Bewohner. Von den 5 bekannten Arten sind 2 auch im Pacifie gefunden: Leander tenuicornis und Nautilograpsus minutus. Außerhalb der Sargassosee lebt auch Virbius acuminutus, freischwimmend findet sich Neptunus sayi, so dass nur Latreutes ensiferus an das Vorkommen des Sargassum gebunden ist. Eben diese 5 Arten hat der Challenger, nach kritischer Sichtung seiner Angaben, erbeutet, denn unter den 13 von ihm angeführten Sar- gassobewohnern finden sich zweifelhafte und echt pelagische Dekapoden. Ein sehr heikles Kapitel bilden die Larven-Formen, da dieselben meist nicht auf die erwachsenen Tiere zurückzuführen sind. Herr Ort- mann hat aber mit großem Geschick die Aufgabe — :o weit es natür- lich möglich war — gelöst und geht in einem längeren Abschnitt auf die Larven ein. Es war natürlich nicht zu umgehen manchen Larven vorläufige Namen zu geben, wie das auch bisher geschehen ist; es ist eben ein Studium des Krebses vom Ei bis zum Erwachsenen nötig, um die Zugehörigkeit einer Larvenform festzustellen. Jetzt ist es oft nicht einmal möglich eine Larve in eine bestimmte Gattung einzureihen, sondern man ist angewiesen, größere Gruppen aus ihnen zu bilden. Man muss unterscheiden 1) Krebse!) ohne Brutpflege, dazu ge- hören die Euphausiden und niedere Dekapoden, z. B. Penaeiden, bei welchen die Larve frühzeitig aus dem Ei heraussehlüpft um eine Metamorphose durehzumachen, ehe sie eine den Aeltern ähnliche Ge- stalt erhält und 2) Krebse mit Brutpflege, das sind Eueyphiden und Reptantia (dazu gehören Loricatı, Homaridea, Thalassinidea und Brachyuren); bei diesen entwickelt sich die Larve im Ei so weit, dass sie beim Auskriechen den Erwachsenen ähnlich ist. Letzteres ist auch der Fall bei den Mysiden. Nachdem Verfasser die gefundenen Larvenformen geschildert hat, geht er auf die horizontale und vertikale Verbreitung derselben ein. Die Larven, die zu den pelagischen Euphausiden und Sergestiden ge- hören, müssen natürlich dieselbe Verbreitung haben, wie die Erwach- senen: „sie kommen in allen Meeren vor, vorwiegend aber in den tropischen“. Ueber die vertikale Verbreitung sei nur erwähnt, dass Acanthosoma einmal im Schließnetz sich fand zwischen 3250—3450 m. 1) Unter Krebse sind hier stets nur die 3 in dem vorliegenden Werke be- handelten Ordnungen der Euphausiacea, Mysidaceae und Decapoda zu ver- stehen. Ergebnisse der Plankton - Expedition. 735 Dagegen bieten die Larven der Küstenformen ein größeres Interesse dar, da sie durch besondere Verhältnisse auf die hohe See hinaus- getrieben werden, wie sich dieses namentlich an der Brasilianischen Küste zeigte im Südäquatorialstrom. Gegenüber der hier beobachteten Formenmannigfaltigkeit ist die Tocantiusmündung arm an Arten, da die Jungen der dort lebenden Dekapoden keine ausgedehnte freie Larvenentwicklung durchmachen, wie Verfasser schon bei seinem Aufenthalt in Ostafrika beobachten konnte. Einige Larvenformen (5) wurden nur im Südäquatorialstrom an der Brasilianischen Küste gefunden. Andere (5) wurden hier und im Floridastrom, also von Westindien kommend, gefangen, was dadurch leicht erklärlich ist, dass die Küsten von Westindien und Brasilien die gleichen Dekapoden aufweisen. Wiederum andere (4) sind dem Süd- äquatorial- (Brasilien) und dem Nordäquatorialstrom (Cap Verden) gemeinsam. 2 Arten finden sich zugleich im Süd-Nordäquatorial- und Floridastrom. Eigene Arten haben die Cap Verden (2), während solche im Floridastrom fehlen. In nordischen Meeren fanden sich 4 eigene Arten. In der Sargassosee, die die Bedingungen der Hochsee am reinsten zeigt, sind 5 Formen beobachtet, die sich aber auch in der Küsten- nähe häufig fanden. Außerdem waren vereinzelt Formen in einiger Entfernung von der Küste anzutreffen, nirgends fand sich aber eine typische Hochseelarvenform, so dass „wir also die Dekapodenlarven als einen ganz charakteristischen Bestandteil des Küstenplanktons an- sehen können“. In einem weiteren Abschnitt geht Verfasser auf die quantitative Verbreitung von Schizopoden und Dekapoden ein und be- sprieht zuerst die in warmen Meeren allgemein verbreitete Gattung Siylocheiron. „In fast allen Vertikalnetzfängen ist sie vor- handen und zwar durchweg in einer Gleichmäßigkeit, die in Erstaunen setzt. Dabei scheinen sich die einzelnen Arten ebenfalls gleichmäßig zu verteilen und gegenseitig zu ersetzen, so zwar, dass, wenn an der einen Stelle die eine (oder einige) Art die Gattung repräsentiert, an einer anderen, oft benachbarten Stelle eine andere Art dies thut“. Dieser Satz verdient um so größere Beachtung als er von unparteiischer Seite ausgesprochen ist und einen neuen Beweis für die Richtigkeit der Hensen’schen Methode, sowie für seine Theorie der gleichmäßigen Verteilung des Plankton im Meere erbringt. In einer Tabelle sind diese Verhältnisse angegeben, sowie auf einer Karte graphisch dargestellt. Es ergibt sich, dass von 74 Fängen nur 9 keinen Stylocheiron enthielten, davon liegen 4 Fänge dicht am Lande. Das Mittel aus allen Fängen stellt sich auf 3,5 Individuen. Dabei zeigte es sich, dass die Sargassosee nicht ärmer war als die Strömungs- gebiete. Verfasser glaubt die Ursache der gleichmäßigen Verbreitung darin zu erblieken, dass Stylocheiron erst in einiger Tiefe vorkommt, also von den wechselnden Verhältnissen der Oberfläche unabhängig ist. 736 Ergebnisse der Plankton - Expedition. In gleicher Weise ist die quantitative Verteilung von vier Euphausia- Arten untersucht. Auffallend ist die Armut des Floridastromes und der Sargassosee, während die drei südlichen Strömungen, Nord- und Süd- äquatorial- und Guineastrom ganz besonders reich sind. An der Nord- grenze des Südäquatorialstromes wurde auch einSchwarm der im kälteren Gebiet vereinzelter vorkommenden Euph. pellucida beobachtet, während die anderen Arten durch diese an einer Stelle ganz verdrängt waren. Von Lueifer reynaudi wird nachgewiesen, dass er auf der ganzen Strecke vom Floridastrom bis Südäquatorialstrom sehr gleichmäßig verteilt war, nur in letzteren größere Schwankungen aufwies, die mit den Schwankungen der Volumenkurve zum Teil zusammenfallen. Die Larven litoraler Dekapoden zeigen an der Küste naturgemäß Maxima, die an der englischen Küste, in dem von der Küste kommen- den Floridastrom, bei den Cap Verden und an der Brasilianischen Küste gelegen sind. Für die drei ersten ist die Küstennähe direkt maßgebend, während für das vierte Maximum Verfasser einen Unterstrom von der Küste her annimmt. In einem letzten Abschnitt behandelt Verfasser die Faunen- gebiete im Atlantischen Ozean. Es sind deren drei: 1) Tocantins- mündung, 2) Küste, 3) Hochsee, von denen die beiden letzten sich durchdringen und daher schwer zu trennen sind. Die Tocantinsmündung zeigt den Typus einer großen Fluss- mündung, indem sich ein schroffer Wechsel der Lebensverhältnisse bemerkbar macht. Das prägt sich auch in der Krebsfauna aus, es treten nämlich neben Larven drei charakteristische Arten auf. Inbezug auf das Küstenplankton sind drei Gebiete zu unter- scheiden: der Norden, der östliche und westliche Teil der Tropen. Die Krebsfauna des Nordens weist auf die englische Küste hin, während die Mehrzahl der tropischen Larvenformen fehlen, die gerade für das litorale Plankton der Tropen charakteristisch sind, wobei zu bemerken ist, dass die amerikanische Seite sich durch größeren Reichtum vor der afrikanischen auszeichnet. Das Hochseeplankton, das vielfach noch litorale Beimischungen enthält, wird durch die Euphausiden, die Mysiden-Gattungen: Siriella, Euchaetomera und Caesaromysis und durch die Mehrzahl der Sergestiden charakterisiert. 2 Provinzen sind zu unterscheiden: der kalte Norden mit Thysanoessa longicaudata und Sergestes arcticus und die warme Provinz, welcher Lucifer eigentümlich ist, sowie die meisten Sergestiden, Euphausiden und die Mysiden. Schließlich kann man im warmen Ge- biet das der Stromstille (Sargassomeer) und das der Ströme unter- scheiden, von denen das erstere arm an Individuen, während das letztere sehr reich ist. Nur einzelne Arten sind auf einen Ozean beschränkt, der Haupt- weg zum > der Arten ist wohl der um > een der Guten Biologisches Oentralblatt unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. der Botanik Prof. der Zoologie herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Ziysalogien in Erlangen. 24 "Nummern v von je 19 "Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 16 Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XIII. Band. 15. Dezember 1893. Nr. 24. Inhalt: Spencer , Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“ che Field, Ueber die Art der Abfassung a enehfäidher Litteraturverzeich- nisse, — Emery, Zusammensetzung und Entstehung der 'Termitengesellschaf- ten. — Knauthe, Zwei Fälle von latenter Vererbung der Mopsköpfigkeit bei Cyprinoiden. — An unsere Leser. Die Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Von Herbert Spencer. (Schluss.) Stellen wir uns eine Art Vierfüßer vor, deren Individuen seit un- geheuer langer Zeit gewöhnt sind, sich auf verhältnismäßig glatter Oberfläche fortzubewegen, wie z. B. die Prairiehunde von Nord-Amerika; und stellen wir uns vor, dass Zunahme ihrer Zahl einen Teil von ihnen in eine Gegend getrieben habe, welehe viele Hindernisse für die leichte Fortbewegung darböte — die, sagen wir, bedeckt ist mit ver- modernden Stämmen gestürzter Bäume, wie man sie im Urwald findet. Geschicklichkeit im Springen muss dann eine nützliche Eigenschaft werden; und gemäß der Hypothese, mit der wir beschäftigt sind, wird diese Geschicklichkeit durch Auswahl vorteilhafter Veränderungen er- zeugt. Welches sind die erforderlichen Veränderungen? Ein Sprung kommt in der Hauptsache dadurch zu stande, dass die hintern Ex- tremitäten so gebeugt werden, dass alle Gelenke spitze Winkel bilden und dann plötzlich gestreckt werden; das kann Jeder bei einer Katze, die auf einen Tisch springt, beobachten. Die erste notwendige Ver- änderung ist also ein verstärktes Wachstum der Streckmuskulatur der hintern Extremitäten. Ihre Zunahme muss wohlproportioniert sein, denn wenn die Strecker des einen Gelenkes viel stärker werden als die des andern, so ist die Folge ein Zusammenknicken des zweiten Gelenkes, wenn die Muskeln sich gleichzeitig kontrahieren. Aber wir wollen dieses große Zugeständnis machen und annehmen, die Muskeln variierten gleichmäßig; welche weitern Muskelveränderungen sind zunächst not- wendig? Bei einem Sohlenläufer tragen hauptsächlich die Metatarsal- XIU. 47 138 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. knochen den Rückstoß des Sprunges, obgleich die Zehen auch beteiligt sein mögen. Bei einem Zehenläufer dagegen bilden fast ausschließlich die Zehen den Stützpunkt und wenn sie den Rückstoß eines höhern Sprunges tragen sollen, muss die Beugemuskulatur, welche sie nieder- drückt, entsprechend vergrößert werden, sonst misslingt der Sprung, weil ein fester Stützpnnkt fehlt. Die Sehnen müssen ebenso wie die Muskeln verändert werden, unter andern die zahlreichen Sehnen, die sich an die Zehen und ihre Phalangen ansetzen. Kräftigere Muskeln und Sehnen verursachen größere Spannung an den Gelenken; und wenn diese nicht verstärkt werden, wird bei einem kräftigern Sprung das eine oder andere verrenkt werden. Nicht nur die Gelenke selber müssen so verändert werden, dass sie größerer Gewalt widerstehen, sondern auch die zahlreichen Bänder, die ihre Teile zusammenhalten. Ebensowenig können die Schäfte der Knochen unverstärkt bleiben, denn wenn sie nur gerade für die früher vorgekommenen Bewegungen stark genug sind, werden sie heftigere nicht aushalten können. So sind es, nicht zu reden von den notwendigen Veränderungen am Becken wie in den Nerven und Blutgefäßen, an Knochen, Muskein, Sehnen, Bändern, mindestens fünfzig verschiedene Teile an jeder hintern Ex- tremität, die sich vergrößern müssen. Ueberdies müssen sie sich in verschiedenem Maße vergrößern. Die Muskeln und Sehnen der äußern Zehen z. B. brauchen nicht so verstärkt zu werden wie der innern. Nun müssen aber in ihren verschiedenen Wachstumstadien alle diese Teile gut im Gleichgewicht erhalten bleiben, wie Jedermann sich vor- stellen kann, wenn er sich an verschiedene Unfälle aus seiner Er- fahrung erinnert. Unter meinen eigenen Freunden weiß ich einen, der sich beim Lawntennisspiel die Achillessehne zerrissen hat; einen andern, der beim Hochheben seiner Kinder sich einige Muskelfasern in der Wade zerriss; einen dritten der sich beim Ueberspringen einer Hecke ein Band seines Kniegelenks zerriss. Solche Vorfälle zusammen mit den Erfahrungen, die Jeder mit Verstauchungen gemacht hat, zeigen, dass bei den äußersten Anstrengungen, denen die Glieder dann und wann unterworfen werden, einzelne Teile, die nicht ganz die notwendige Festigkeit besitzen, nachgeben. Wie nun wird dieses Gleichgewicht erhalten? Wir nehmen an, die Streckmuskeln hätten alle in der rich- tigen Weise sich verändert; ihre Veränderungen sind unnütz, wenn nicht auch die andern mitwirkenden Teile ebenfalls im richtigen Maße sich verändert haben. Nein, es ist noch schlimmer. Nichts zu sagen von dem Nachteil, der aus dem vermehrten Gewicht und Nahrungs- bedürfnis entspringt, werden sie nur die Ursache von Unheil sein, indem sie die übrigen Organe beschädigen, wenn sie sich mit über- mäßiger Kraft kontrahieren. Und dann, welche Zeit wird es erfordern, bis die übrigen Organe in Uebereinstimmung gebracht sind? Sagt doch Darwin von den Haustieren: „Jede besondere Abänderung würde gewöhnlich verloren gehen durch Kreuzung, Rückschlag ete. ..... Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*, 7139 wenn sie nicht sorgfältig vom Menschen erhalten würde“. Im Natur- zustand würden also günstige Abänderungen der Muskeln, lange ehe eines oder einige der mitwirkenden Organe entsprechend variieren könnten, wieder verschwinden und zwar sehr lange bevor alle es könnten. Zu dieser nieht zu überwindenden Schwierigkeit kommt eine noch weniger zu überwindende, wenn ich so sagen darf. Es handelt sich nicht nur um Vergrößerung von Organen, sondern auch um Formänderungen derselben. Ein Blick auf Säugetierskelette zeigt uns, wie unähnlich die Formen der entsprechenden Knochen ihrer Glieder sind, und zeigt, dass sie bei jeder Gattung eigens umgeformt wurden, je nach den aus den verschiedenen Gewohnheiten entspringenden verschiedenen An- forderungen. Die Aenderung im Bau der nur zum Laufen und Traben geeigneten Hinterbeine in solche Hinterbeine, die auch zum Springen geeignet sind, umfasst daher außer dem Stärkerwerden der Knochen auch Veränderungen in deren Form. Nun sind die zufälligen Form- veränderungen, die in emem Knochen vor sich gehen können, zahllos. Wie lang wird es also dauern, bis diese ganz besondere Veränderung, die den Knochen für seine neue Thätigkeit geeigneter macht, statt- gefunden hat? Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass jede der vielen erforderlichen Veränderungen in Form wie Größe der Knochen ausgeführt sei, ehe alle andern wieder verloren gegangen sind? Da die Wahrscheinlichkeit, dass der Erfolg nieht eintritt, schon unberechen- bar groß ist, wenn wir nur die Größenveränderungen der Teile beachten, wie sollen wir den Grad von Unwahrschemlichkeit bezeichnen, wenn wir auch die Formveränderungen in Rechnung ziehen? „Wahrhaftige, es genügt, so viel Schwierigkeiten aufzutürmen‘“, wird der Leser sagen. Keineswegs. Es bleibt noch eine Schwierig- keit, die unmessbar größer ist als die genannten. Wir haben die zweite Hälfte des Sprunges und die Vorkehrungen dafür vollständig über- gangen. Nach dem Aufsprung kommt der Absprung; und je größer die Kraft ist, mit der der Tierkörper hinaufgeworfen wird, desto größer die Kraft mit der er niederfällt. Also, wenn das besprochene Tier solche Veränderungen an seinen hintern Extremitäten erlitten hat, dass es sich höher hinaufschleudern kann, ohne irgend welche Veränderungen an seinen vordern Extremitäten durchgemacht zu haben, so wird der Erfolg sein, dass beim Niedersprung die Vorderbeiue nachgeben und es auf die Nase fällt. Die Vorderfüße müssen also gleichzeitig mit den Hinterfüßen verändert werden. Aber wie? Vergleichen Sie die ausgesprochen gebeugten Hinterbeine einer Katze mit den fast geraden Vorderbeinen, oder vergleichen Sie den leisen Sprung auf den Tisch mit dem Aufplumpsen der Vorderpfoten, wenn sie vom Tisch herunter- springt. Sehen Sie, wie verschieden die Thätigkeit der Vorder- und der Hinterbeine ist und wie ungleieh ihr Bau. Auf welche Weise soll also die erforderliche gleichzeitige Anpassung vor sich gehen? Selbst AT“ 740 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. wenn es sich nur um Größenverhältnisse handelte, würden wir keine Antwort wissen; denn die schon angeführten Thatsachen zeigen, dass gleichzeitig Vergrößerungen in den Vorder- und Hinterbeinen nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden dürfen; und in der That ein Blick auf die verschiedenen Menschenrassen, bei denen die Verhältnisse der Arm- zu den Beinlängen beträchtlich differieren, zeigt uns dies. Aber es handelt sich nicht allein um Größenverhältnisse. Um den verstärkten Stoß beim Niedersprung auszuhalten, müssen die Vorderbeine in ihrem Bau durchaus verändert werden. Wie bei den Hinterbeinen müssen sich viele verschiedene Teile in vielen verschiedenen Richtungen in Größe und Form ändern. Und mehr noch. Auch der Schultergürtel und die ihm zugehörigen Muskeln müssen verstärkt und umgeformt werden. Fassen wir also alle Erfordernisse zusammen. Wir müssen annehmen, dass durch natürliche Zuchtwahl aus verschiedenen Ab- änderungen die Teile der hintern Extremitäten in Größe, Gestalt und Verhältnis einander angepasst werden; dass die Teile der Vorder- extremitäten zusammen ähnlich verwickelte aber andersgeartete Ver- änderungen eingehen, und dass die beiden Gruppen zusammengehöriger Abänderungen pari passu verlaufen. Wenn, wie man annehmen darf, die Wahrscheinlichkeit Millionen gegen eins ist, dass die erste Gruppe von Veränderungen nicht zu stande kommt, dann darf man annehmen, dass die Wahrscheinlichkeit Billionen gegen eins ist, dass nicht die zweite Gruppe in fortwährender Anpassung an die erste gleichzeitig mit ihr sich vollendet. Es bleibt uns nur noch die dritte mögliche Art der Anpassung zu besprechen. Man kann sich vorstellen, dass obgleich durch die natür- liche Zuchtwahl aus verschiedenen Abänderungen diese Anpassungen nicht hervorgebracht werden können, sie gleichwohl in die richtigen Wege gelenkt werden. Auf welche Weise? Voraussetzen, dass sie gelenkt werden, heisst voraussetzen, dass das Ziel irgendwo beschlossen worden ist; und dass diese Veränderungen gleichzeitig diesem Ziel gemäß stattfinden, heisst voraussetzen, dass diese Veränderungen ein beschlossenes Werk sind. In diesem Fall kommen wir zum Teil auf die herkömmliche Voraussetzung, und wenn wir es zum Teil thun, können wir es ebenso gut ganz thun — können wir ohne Rückhalt zur Lehre von der speziellen Schöpfung zurückkehren. Was ist also die einzige haltbare Auslegung? Wenn solche Struktur- veränderungen, die, wie wir gesehen haben, in jedem Individuum durch Funktionsveränderungen stattfinden können, in irgend einem Umfang auf die Nachkommenschaft übertragbar sind, dann sind alle diese gleichzeitigen Anpassungen, von den einfachsten bis zu den kompli- ziertesten, erklärt. In manchen Fällen genügt die Vererbung erwor- bener Eigenschaften an sich zur Erklärung der Thatsachen; in andern Fällen genügt sie in Verbindung mit der Auswahl günstiger Abände- rungen. Ein Beispiel für die erste Klasse ist der eben betrachtete Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“, 741 Fall von Veränderung, ein Fall für die zweite Klasse ist der früher angeführte Fall von der Entwicklung der Hörner beim Hirsch. Wenn durch irgend eine besondere von selbst sich bildende 'Verdiekung oder durch eine neuentstandene Zacke ein Vorteil für die Verteidigung oder den Angriff gewonnen wurde und wenn dann die, durch das Schwingen der etwas schwereren Hörner erzeugte verstärkte Muskulatur und der verstärkte Bau des Nackens und Brustkastens in größerem oder geringerem Grad vererbt werden und durch mehrere Generationen hin- durch zu der nötigen Extrastärke gelangt sind, dann ist es möglich und vorteilhaft, dass eine fernere Verstärkung der Hörner stattfindet und eine fernere Verstärkung des Apparates, der sie zu tragen hat, und so ununterbrochen fort. Nur durch solchen Prozess, bei welchem jeder Teil an Stärke zunimmt im Verhältnis zu seiner Funktion, können zu- sammenwirkende Teile im richtigen Verhältnis erhalten werden und immer von Neuem übereinstimmend werden um neuen Anforderungen gewachsen zu sein. Genaue Betrachtung der Thatsachen hat mehr wie je die Ueberzeugung bei mir befestigt, dass es nur die zwei Alternativen gibt — entweder Vererbung erworbener Eigenschaften oder keine Entwick- lung. Diese entschieden ausgesprochene Meinung wird von Seiten Mancher einer nicht weniger entschiedenen Einrede begegnen, welche die Mög- lichkeit bestreitet. Es wurde neuerdings behauptet und von Vielen ge- glaubt, dass Vererbung erworbener Eigenschaften nicht stattfinde. Es heißt, Weismann habe bewiesen, dass auf einem frühen Stadium der Entwicklung eines jeden Organismus zwischen denjenigen Bestand- teilen desselben, welche sein individuelles Leben bedingen, und denen, welche zur Erhaltung der Species bestimmt sind, ein derartiger Unter- schied bestehe, dass Aenderungen in den einen keinen Einfluss auf die andern ausüben können. Wir wollen diese Lehre genauer be- trachten. Weismann gründet seinen Satz auf das Prinzip der physiologischen Arbeitsteilung und nimmt an, dass die erste Arbeitsteilung bestehe in einer Teilung zwischen solchen Abschnitten eines Organismus, welche dem individuellen Leben dienen, und solchen, die der Fortpflanzung dienen. Ausgehend von „dem ersten vielzelligen Organismus“ sagt er: „so wird die einfache Gruppe in zwei Zellgruppen geteilt, welche wir die somatische und die reproduktive nennen wollen — die Körper- zellen, im Gegensatz zu denen, welche der Reproduktion dienen“ (Ab- handlungen über Vererbungen [engl. Ausg.| S. 27). Obgleich er zugibt, dass diese Differenzierung „im Anfang keine absolute war und es thatsächlich auch heute nicht immer ist“, be- hauptet er dennoch, dass die Differenzierung eventuell eine vollständige in dem Sinne wird, dass die somatischen Zellen oder diejenigen, die den Körper im Ganzen ausmachen, mit der Zeit nur eine begrenzte Fähigkeit der Zellteilung behalten, während die reproduktiven Zellen 42 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. eine unbegrenzte Fähigkeit dafür haben; und auch in dem Sinn, dass eventuell jede Verbindung zwischen beiden aufhört mit Ausnahme der- jenigen, welche mit der Nahrungsversorgung der reproduktiven Zellen zusammenhängt, welche die somatischen Zellen besorgen. Das Er- gebnis dieser Beweisführung ist, dass in Ermangelung eines Zusammen- hangs Veränderungen in den somatischen Zellen, welche das Individuum ausmachen, nicht die Natur der reproduktiven Zellen beeinflussen können und daher nicht auf die Nachkommenschaft übertragen werden können. Das ist die Theorie. Lassen Sie uns jetzt einige Thatsachen betrachten, bekannte und unbekannte. Pasteur kam durch seine Untersuchungen zu dem positiven Schluss, dass die Seidenwurmkrankheiten erblich sind. Die Uebertragung von Mutter auf Kind geschieht nicht durch etwaige Befleckung der Außen- seite des Eies durch den Körper der Mutter, während es gelegt wurde, sondern entsteht durch Ansteckung des Eies selbst — durch Eindringen des parasitischen Organismus. Verallgemeinerte Beobachtungen über die Febrine genannte Krankheit gestatteten ihm durch Untersuchung der Eier zu bestimmen, welche angesteckt waren und welche nicht, indem gewisse Fermveränderungen die kranken von den gesunden unterschieden. Noch mehr — die Ansteckung wurde durch mikros- kopische Untersuchung des Eiinhalts festgestellt: als Beweis führt er Folgendes von Dr. Carlo Vittadini an: „Il r&esulte de mes recherches sur les graines, ä l’&poque ou commence le developpement du germe, que les corpuscules, une fois apparus dans l’oeuf, augmentent graduellement en nombre, & mesure que l’embryon se de&veloppe; que dans les derniers jours de l’ineubation, l’oeuf en est plein, au point de faire croire que la majeure partie des granules du jaune se sont transforme&s en corpuscules. Une autre observation importante est que l’embryon aussi est souill& de corpuscules, et & un degr& tel qu’on peut soupgonner que l’infection du jaune tire son origine du germe lui-m&me; en d’autres termes que le germe est pri- mordialement infeete, et porte en lui-m&me ces corpuscules tout comme les vers adultes, frappes du m&me mal“). So ist also die Substanz des Eies und selbst sein innerster Lebens- teil für einen Parasiten durchdringbar, der groß genug ist, um unter dem Mikroskop sichtbar zu sein. Es ist selbstverständlich auch für die un- sichtbaren Proteinmoleküle durchdringbar, aus denen seine lebendigen Gewebe sich bilden und durch deren Absorption sie zunehmen. Aber nach Weismann ist es nicht durchdringbar für jene unsichtbaren Protoplasmaeinheiten, aus welchen das lebendige Gewebe des mütter- lichen Organismus besteht; Einheiten die, wie wir annehmen müssen, aus verschieden angeordneten Proteinmolekülen zusammengesetzt sind. Also Großes kann hindurchpassieren und Kleines kann hindurch, aber Mittelgroßes kann nicht hindurch! a 1) Les maladies des Vers ä soie par L. Pasteur, 1. 39. Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl®. 743 Eine Thatsache ähnlicher Art, die leider bekannter ist, mag zu weiterm Beweis angeführt werden. Es handelt sich um Ueber- tragung einer Krankheit, die nicht selten bei ungeregelter Lebensweise vorkommt. Die höchste Autorität für diese Krankheit in Beziehung auf die ererbte Form ist Herr Jonathan Hutchinson; und in folgendem gebe ich einen Auszug aus einem Brief, den ich von ihm erhielt und den ich mit seiner Zustimmung veröffentliche: „leh glaube nicht, dass ein irgendwie berechtigter Zweifel obwalten kann, dass eine große Mehrheit derer, die an erblicher Syphilis leiden, die Ansteckung vom Vater erleiden. ... Es ist eine Regel, dass wenn ein Mann heiratet, bei dem keine lokale Verletzung zurückgeblieben ist, bei dem aber der Ansteckungs- stoff nicht ausgerottet ist, die Frau augenscheinlich gesund bleibt, während ihr Kind krank wird. Es ist zweifellos, dass das Kind das Blut seiner Mutter infiziert, aber es entstehen dadurch gewöhnlich nicht sichtbare Symptome von Syphilis. .... Ich bin sicher, hunderte von syphilitischen Kindern gesehen zu haben, deren Mütter, so weit ich es beurteilen konnte, nie ein einziges Symptom aufwiesen“. Sehen wir jetzt, wohin es uns führt, wenn wir Weismann’s Hypo- these annehmen. Wir müssen schließen, dass während die reproduktive Zelle thatsächlich durch einen abnormen lebenden Bestandteil im väter- lichen Organismns angegriffen werden kann, jene normalen lebenden Bestandteile, aus welchen das lebende Protoplasma des väterlichen Organismus besteht, sie nicht angreifen können. Oder wenn ange- nommen wird, dass beide eindringen, dann ist die stillschweigende Fol- gerung, dass während der abnorme Bestandteil die Entwicklung derartig beeinflussen kann, dass Strukturveränderungen verursacht werden (wie die der Zähne), der normale Bestandteil keine Strukturveränderungen verursachen könne!)! Wir gehen jetzt zu einem in der Laienwelt wenig, aber in der naturwissenschaftlichen Welt sehr bekannten Beweis über, freilich auch bei letzterer so unvollständig bekannt, dass er unterschätzt wird. In der That werden vielleicht Viele, wenn ich ihn vorbringe, in Ge- 1) Merkwürdig genug bezieht sich Weismann auf die syphilitische An- steckung der reproduktiven Zellen und erkennt sie an. Indem er über Brown- Sequard’s Fälle von ererbter Epilepsie spricht (die ich, wie ich gestehe, nicht zu Schlussfolgerungen heranziehen möchte), sagt er: „Was die Epilepsie anlangt, so kann man sich leicht vorstellen, dass die Uebertragung irgend eines spezifischen Organismus mittels der reproduktiven Zellen stattfinde, wie es bei Syphilis der Fall ist* (S. 82). Es ist bekannt, dass Epilepsie häufig durch irgend einen peripheren Reiz verursacht wird (es genügt selbst ein kleiner Fremdkörper unter der Haut) und dass zu den peripheren Reizungen, die die Ursache sein können, auch ungenügende Verheilung gehört. Obwohl nun beiBrown-Sequard’s Fällen eine durch lokale Verwundung verursachte periphere Reizung im elterlichen Organismus die offenbare Quelle war, nimmt Weismann willkürlich an, dass die Nachkommenschaft durch „irgend einen spezifischen Organismus“ infiziert worden sei, der die Epilepsie erzeugte. So ist, obgleich das epileptische Virus wie das syphilitische sich im Ei festsetzt, dennoch das elterliche Protoplasma ausgeschlossen! 144 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. danken „Oho“ rufen. Die Thatsache, die ich meine, ist in Abbildungen dargestellt, die im Museum des College of Surgeons aufbewahrt werden und die ein Füllen zeigen, das von einer nicht ganz rasseechten Stute mit einem rasseechten Hengst geboren wurde — ein Füllen das Merk- zeichen des Quagga trägt. Die Geschichte des merkwürdigen Füllens wird vom Earl of Morton, F. R. S., in einem Brief an den Präsi- denten der Royal Society (am 23. Nov. 1820 vorgelesen) mitgeteilt. Er sagt, dass vom Wunsch geleitet aus dem Quagga ein Haustier zu ziehen und, da er nur ein männliches aber kein weibliches Exemplar hatte, er ein Experiment gemacht habe. „Ich versuchte die Zucht von einem männlichen Quagga und einer jungen kastanienbraunen Stute, siebenachtel arabisches Blut, die nie vorher trächtig war; das Resultat war ein weiblicher Bastard, jetzt fünf Jahre alt, der sowohl in Gestalt wie Farbe deutliche Merkmale seiner gemischten Abstammung auf- weist. In der Folge überließ ich die siebenachtel arabische Stute Sir Gore Ouseley, der sie von einem sehr schönen schwarzen Araberhengst belegen ließ. Gestern morgen besah ich die Abkömmlinge in Gestalt eines zweijährigen Stutenfüllen und eines einjährigen Hengstfüllen. Sie haben die Merkmale der arabischen Abstammung so ausgesprochen, als man bei fünfzehn - sechszehntel arabischem Blut erwarten kann; es sind schöne Exemplare dieser Zucht; aber sowohl in ihrer Farbe als in ihrem Mähnenhaar zeigen sie auffallende Aehn- lichkeit mit dem Quagga. Ihre Farbe ist braun und gleich dem Quagga mehr oder weniger dunkler gezeichnet Beide sind ausgezeichnet durch den dunklen Streifen, der am Rücken entlang läuft, die dunklen Streifen, welche quer über das Vorderteil und über die Rückseite der Beine laufen“). Lord Morton erwähnt dann noch verschiedene andere Mittei- lungen. Dr. Wollaston, der dermalige Präsident der Royal Society, der die Tiere gesehen hat, bestätigte die Genauigkeit der Beschreibung, und wie man aus seinen Bemerkungen ersieht, bezweifelte er nicht die angeführten Thatsachen. Aber genügende Ursache zu zweifeln ist vorhanden. Ganz natürlich muss die Frage aufgeworfen werden — wie kommt es, dass ähnliche Resultate nieht in andern Fällen be- obachtet worden sind? Wenn in einer Nachkommenschaft gewisse Züge erzeugt werden, die nicht vom Vater herrühren, sondern vom Vater einer vorausgegangenen Nachkommenschaft, woher kommt es dann, dass solche anomal ererbte Züge nicht bei Haustieren oder gar bei Menschen beobachtet werden? Wie kommt es, dass die Kinder einer Wittwe vom zweiten Mann keine nachweisbaren Aehnlichkeiten mit dem ersten Mann haben? Auf diese Fragen scheint keine ge- nügende Antwort erteilt werden zu können; und in Ermanglung einer Antwort muss man Skeptizismus wenn nicht gar Unglaube für be- rechtigt halten. Und doch gibt es eine Erklärung. Vor vierzig Jahren wurde mir eine Thatsache bekannt, die durch ihre bedeutsamen Verwicklungen 1) Philosophical Transactions of the Royal Society for the Year 1821, Part I, p. 20—24. Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 145 Eindruck auf mich machte, und daher wie ich vermute, mir im Ge- dächtnis geblieben ist. Sie war veröffentlicht worden im „Journal of the Royal Agrieultural Society, vol. XIV (1853), p. 214 et seq. und betrifft gewisse Resultate, die durch Kreuzung französischer Schafe mit englischen erzielt wurden. Der Autor der übersetzten Mitteilung, Herr Malingie-Nouel, Direktor der landwirtschaftl. Schule in La Charmoise, berichtet, dass wenn französische Zucht (inbegriffen die Blendling-Merinos) mit englischer gekreuzt wurde, die „Lämmer folgende Resultate aufweisen. Die meisten gleichen der Mutter mehr als dem Vater; einige zeigen keine Spur vom Vater“. Wenn wir die Erfahrung an den Mongrels mit den folgenden Thatsachen in Verbindung bringen, so ist es ziemlich klar, dass die Fälle, in denen die Lämmer keine Aehnlichkeit mit dem Vater hatten, solche waren, in denen die Mutter von reiner Rasse war. Indem Herr Nouel von den Kreuzungsresultaten in der zweiten Generation mit 75 Prozent englischem Blut spricht, sagt er: „Die Lämmer gedeihen, haben ein schönes Ansehen und machen dem Züchter Freude .... aber kaum sind die Lämmer ent- wöhnt, so fängt ihre Gesundheit, Kraft und Schönheit an zu ver- fallen. ... .. Zuletzt versagt die Konstitution, es bleibt verkrüppelt sein Leben lang“. Die Konstitution hat sich als eine nicht feste, den Erfordernissen nicht gewachsene erwiesen. Wie ist es also Herrn Nouel gelungen eine wünschenswerte Kombination der schönen englischen Rasse mit der verhältnismäßig schwachen französischen zu erlangen ? Er wählte ein Tier aus einer „Herde, die ursprünglich aus einer Mischung zweier ausgesprochener Rassen dieser Provinzen (Berry und La Sologne) her- vorgegangen war und diese verband er mit Tieren aus einer andern gemischten Rasse ..... Blendlingen aus Tourangelle und eingeborenen Merinos aus la Bauce und Touraine, und erhielt eine Mischung aus allen vier Rassen „ohne ausgesprochene Merkmale, und ohne Beständigkeit ...... die aber den Vor- teil hatte, dass sie an unser Klima und unsere Behandlung gewöhnt war“. Wenn man eine dieser „Schafmütter aus gemischtem Blut mit einem reinen New-Kent Bock zusammenthut, so erhält man ein Lamm, das fünfzig Hundertstel reinstes altenglisches Blut und je zwölfeinhalb Hundertstel von vier verschie- denen französischen Rassen enthält, welche letztere einzeln durch das Ueber- gewicht des englischen Bluts verloren gehen und zuletzt ganz verschwinden und nur den veredelten Typus auf die Nachkommenschaft übertragen... Alle erzeugten Lämmer glichen sich auffallend untereinander und Engländer selbst hielten sie für Tiere ihres Landes“. Herr Nouel fügt die Bemerkung hinzu, dass wenn die so erhal- tene Zucht in sich weiter gezüchtet wurde, die Merkmale der franzö- sischen Rassen verloren blieben. „Einige leise Spuren“ könnten von Sachverständigen entdeckt werden aber auch diese „verschwanden bald“. So erhalten wir den Beweis, dass verhältnismäßig reine Konsti- tutionen über sehr gemischte Konstitutionen in der Nachkommenschaft die Oberhand gewinnen. Es ist nicht schwer den Grund davon zu er- kennen. Jeder Organismus strebt darnach sich den Lebensbedingungen anzupassen; und alle Strukturen einer Gattung, die durch zahlreiche 746 Speneer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*. Generationen an Klima, Nahrung und verschiedene lokale Einflüsse angepasst ist, haben sich zu harmonischer Uebereinstimmung gebildet, die dem Leben in dieser Umgebung günstig ist: das Resultat ist, dass in der Entwicklung jedes jungen Individuums Alles darnach strebt die geeignete Organisation zu erzeugen. Anders ist es, wenn die Art in eine Umgebung von anderm Charakter versetzt wird, oder wenn sie semischtes Blut hat. In dem erstern Fall werden die Organe, die zum Teil nicht zu den Erfordernissen des neuen Lebens passen, teil- weise die gegenseitige Uebereinstimmung einbüßen; denn während die eine Einwirkung, sagen wir des Klimas, wenig sich verändert, kann die andere, sagen wir der Nahrung, ne ver Singer werden; und in Folge en müssen die gestörten Beziehungen der Organe ihrem ursprünglich steten Gleichgewicht Eintrag thun. Im andern Fall wird aber eine noch größere Störung des Gleichgewichts eintreten. In einem Mischling wird sich die Konstitution, die sich aus jeder der zwei Quellen herleitet, so lang wie möglich wiederholen. Hieraus ent- steht ein Konflikt in dem Bestreben zwei, mehr oder weniger, ungleiche Strukturen zu entwickeln. Diese Bestrebungen gehen nicht harmonisch zusammen, sondern erzeugen teilweise mangelhafte Zusammenstellungen der nn Und nich wird dr wo es sich um eine Zucht handelt, in welcher die Züge verschiedener Linien vereinigt sind, eine Organisation entstehen, die so voll kleiner Mängel inbezug auf Struktur und Thätigkeit ist, dass es ihr schwer werden wird das Gleichgewicht zu behaupten; deshalb kann es feindlichen Einflüssen nicht so gut widerstehen und seine eigenen in der Nachkommenschaft nicht auf- recht erhalten. Was die Eltern aus respektive reiner und gemischter Rasse anbelangt, die einzeln darnach streben, ihre eigene Struktur in der Nachkommenschaft wieder zu erzeugen, so können wir bildlich sagen, dass ein in sich getrenntes Haus dem, dessen Glieder in Ein- Eraoht, leben, nicht widerstehen kann. Wenn dies nun der Fall ist bei den reinsten Rassen, die sich an ihre Wohnstätten und Lebensgewohnheiten nur seit einigen Hunderten von Jahren angepasst haben, was sollen wir sagen, wenn es sich um eine Rasse handelt, die während zehntausend und mehr Jahren eine stetige Lebensweise in den gleichen Wohnstätten hatte, wie es beim Quagga der Fall ist? In diesen muss die Beständigkeit der Konsti- tution eine derartige sein, wie sie nicht annähernd bei einem Haustier vorkommen kann. Mögen die Konstitutionen von Lord Morton’s Pferden relativ noch so beständig gewesen sein im Vergleich mit ge- wöhnlichen Pferden, so muss man doch bedenken, dass die arabischen Pferde selbst in ihrer Heimat wahrscheinlich im Lauf sich folgender Froberungen und Auswanderungen von Volksstämmen mehr oder we- niger vermischt wurden und dass sie den Bedingungen des gezähmten Zustands unterworfen wurden, die sich sehr von den Bedingungen ihrer ursprünglich wilden Lebensweise unterschieden, und dass die Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. TET englische Zucht die störenden Wirkungen des Wechsels von Klima und Nahrung des Ostens zum Klima und der Nahrung des Westens zu bestehen hatte und dass daher die in Frage kommenden Hengst und Stute nicht im Entferntesten das vollkommene Gleichgewicht besitzen können, wie es bei dem Quagga durch eine seit hundert Jahrhunderten harmonische Zusammenwirkung erzeugt worden ist. Daher das Resultat. Und daher zugleich die Erklärung der Thatsache, dass analoge Er- scheinungen unter den meisten Haustieren oder unter uns selbst nicht erkennbar sind, da beide relativ gemischte und gewöhnlich außer- ordentlich gemischte Konstitutionen haben, die, wie wir bei uns selbst sehen, Generation auf Generation entstanden sind, nicht durch Bildung eines Mittels von zwei Eltern sondern durch Vermengung der Züge des einen mit Zügen des andern, bis keine solche zusammenwirkenden Bestrebungen unter den Bestandteilen mehr bestehen, die eine Wieder- holung zusammengesetzter Struktureinzelheiten in der Nachkommen- schaft verursachen. In der Erwartung, dass die angeführte Anomalie bei dem Quagga- ähnlichen Fohlen ungläubig aufgenommen werden würde, habe ich über die Sache näher nachgedacht; und ich hatte diese Erklärung gefunden, ehe ich zu dem College of Surgeons Museum sandte (selbst konnte ich nicht gehen) um die Einzelheiten und den Nachweis der Protokolle zu erhalten. Als mir eine Abschrift des Berichts aus den Philosophical Transaetions übermittelt wurde, war ihm die Angabe beigefügt, dass ein angehängter Bericht vorhanden sei, dass bei Schweinen eine gleiche Thatsache beobachtet worden sei. Auf meine sofortige Anfrage ob der Vater ein Wildschwein gewesen sei, erhielt ich die Antwort — „das weiß ich nicht“. Natürlich ver- schaffte ich mir den Band und fand da, was ich erwartete. Es war enthalten in einem Aufsatz von Daniel Giles, mitgeteilt von Dr. Wollaston, der seine „Sau und ihre Nachkommenschaft“ betraf und besagte dass „sie aus einer wohlbekannten schwarzweißen Gattung des Herrn Western, Abgeordneter für Essex, stammte. Vor etwa zehn Jahren that ich sie mit einem Eber aus einer wilden Art zusammen, der eine dunkle kastanienbraune Farbe hatte und den ich gerade aus Hatfield House erhalten hatte; bald darauf ist er durch Zufall ertrunken. Die erzielten Ferkel (die ihr erster Wurf waren) hatten mit beiden Eltern Aehnlichkeit, aber in einigen überwog stark die braune Farbe des Ebers. Die Sau wurde später zu einem Keuler aus Herrn Western’s Zucht ge- bracht (der wilde Eber war längst tot). Das Resultat war ein Wurf von Tieren, von denen einige, wie wir mit großem Erstaunen bemerkten, gefleckt und deutlich in kastanienbrauner Farbe gezeichnet waren, welche beim ersten Wurf überwogen hatte“. Herr Giles fügt hinzu, dass bei einem zweiten Wurf von Schweinen, deren Vater aus Herrn Western’s Zucht war, er und sein Amtmann in einigen eine Wiederkehr der kastanienbraunen Farbe zu bemerken glaubten, dass aber die „Wiederholung eine viel weniger vollkommene 48 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwanl“. sei, als ich wünschte“. Er fügt auch hinzu, dass im Lauf einer lang- jährigen Erfahrung er nie die leiseste Erscheinung von kastanien- brauner Farbe in Herrn Western’s Zucht gesehen habe. Wie groß ist die Wahrscheinliehkeit, dass diese beiden anormalen Resultate unter diesen besondern Umständen als eine Zufälligkeit ent- standen seien? Gewiss ist die Wahrscheinlichkeit gegen ein solches Zusammentreffen ungemein groß. Das Zeugnis ist in beiden Fällen so gut, dass selbst abgesehen’von dem Zusammentreffen, es unver- ständig wäre es zu verwerfen; das Zusammentreffen zwingt erst recht zur Annahme. Die eine Beobachtung stützt die andre und zugleich ergibt sich eine gemeinschaftliche Deutung der merkwürdigen Erschei- nung und eine Erklärung für das Nichtvorkommen unter gewöhnlichen Umständen. Und was müssen wir nun angesichts dieser Thatsachen sagen? Einfach, dass sie vernichtend für Weismann’s Hypothese sind. Sie beweisen, dass es nichts mit der behaupteten Unabhängigkeit der reproduktiven Zellen ist; sondern dass die beiden Arten von Zellen in enger Gemeinschaft sind. Sie beweisen, dass während die reproduk- tiven Zellen sich vermehren und sich während der Entwicklung des Embryos ordnen, etwas aus dem Keimplasma in die Masse der soma- tischen Zellen, die den elterlichen Körper ausmachen, übergeht und ein dauernder Bestandteil desselben wird. Ferner nötigen sie zur An- nahme, dass etwas von diesem eingeführten Keimplasma, das überallhin verbreitet ist, in den später gebildeten reproduktiven Zellen einge- schlossen wird. Und wenn wir auf diese Weise eine Erklärung dafür erhalten, dass, indem die etwas andersgearteten Einheiten eines fremden Keimplasmas in den Organismus eindringen, sie auch die in der Folge gebildeten reproduktiven Zellen durchdringen und auf die Gewebe der aus ihnen entstehenden Individuen einwirken, so ist die Folgerung ge- stattet, dass Gleiches mit denjenigen eingeborenen Einheiten vor sich geht, die durch veränderte Funktionen etwas abgeändert wurden: es muss eine Tendenz zur Vererbung erworbener Eigenschaften bestehen. Nur noch einen Schritt mehr haben wir zu machen. Es bleibt die Frage, wo ist der Sprung in’ der Annahme, auf der Weismann’s Theorie beruht. Wenn, wie wir sehen, die aus ihr gemachten Folge- rungen den Thatsachen nicht entsprechen, dann ist entweder die Schluss- folgerung ungiltig oder die ursprüngliche Behauptung falsch. Indem wir alle Fragen betreffs der Folgerung beiseite lassen, genügt es hier die Unrichtigkeit der Voraussetzung nachzuweisen. Hätte er sein Werk während der ersten Jahre der Zellenlehre geschrieben, so würde die Voraussetzung, dass die Vermehrungszellen, aus welchen die Metazoen und die Metaphyten bestehen, vollständig abgetrennt werden, vernünf- tigerweise keinem verständigen Zweifel begegnen können. Aber jetzt ist Ungläubigkeit nicht allein gerechtfertigt sondern Verneinung not- wendig. Etwa vor zwölf Jahren ist die Entdeckung gemacht worden, Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl*, 7149 dass in vielen Fällen pflanzliche Zellen untereinander durch Proto- plasmafäden verbunden sind — Fäden, welche das innere Protoplasma der einen Zelle mit dem innern Protoplasma der sie umgebenden Zellen verbindet. Es ist als ob die Pseudopodien von eingeschlossenen Rhizo- poden vermischt wären mit den Pseudopodien angrenzender einge- schlossener Rhizopoden. Wir können vernünftigerweise nicht annehmen, dass das so gebildete zusammenhängende Netzwerk von Protoplasma erst entstanden sei, nachdem die Zellen ausgewachsen waren. Diese protoplasmatischen Verbindungen müssen den Prozess der Zellteilung überlebt haben. Die Folgerung ist, dass die Zellen bei Bildung der Embryopflanze ihre protoplasmatischen Beziehungen aufrecht erhielten, während sie sich vermehrten, und dass solche Verbindungen über alle folgenden Vermehrungen fort sich erhielten, eine Folgerung die, wie ich glaube, bei Untersuchungen über keimenden Palmsamen bestätigt wurde. Aber auch eine Reihe von Thatsachen, die uns die Zellen- strukturen von Tieren in ihren frühen Stadien darbieten, führt zu demselben Schluss. In „Monograph of the Development of Peripatus Capensis“, schreibt Herr Adam Sedgwick, F. R. S., Lehrer der tierischen Morphologie zu Cambridge, folgendermaßen: „Alle Eizellen, die ektodermalen sowohl wie die entodermalen, sind unter- einander durch ein feines Protoplasmanetz verbunden“ (S. 41). „Der Zusammenhang der verschiedenen Zellen des sich teilenden Eies ist primär und nicht sekundär; d h. bei der Spaltung trennen sich die Segmente nicht vollständig von einander. Aber sind wir berechtigt in diesem Fall über- haupt von Zellen zu sprechen? Das vollständig geteilte Ei ist ein Syneytium; es gibt keine Zellgrenzen und es waren keine in irgend welchem Stadium“ (S. 41). „Es wird mit jedem Tag klarer, dass die Zellen, aus denen die Gewebe der Tiere zusammengesetzt sind, nicht isolierte Einheiten, sondern dass sie untereinander verbunden sind. Ich brauche nur an die bekannte Verbindung zu erinnern, die zwischen den Bindegewebszellen, den Knorpelzellen und den Epithelzellen besteht u. s. w. Und nicht nur sind die Zellen eines Gewebes untereinander verbunden, sie können auch mit Zellen anderer Gewebe ver- bunden sein“ (8. 47—48). „Endlich, wenn das Protoplasma des Körpers ursprünglich ein Syneytium ist, so unterscheidet sich die Teilung der Generationsprodukte nicht wesentlich von der innern Sporenbildung eines Protozoons und die Vererbung von Eigen- tümlichkeiten, die zuerst bei dem Elter erschienen sind, auf den Sprössling wird, wenn auch nicht erklärt, doch weniger geheimnisvoll; denn da das Proto- plasma des ganzen Körpers zusammenhängt, so muss man natürlich annehmen, dass eine Veränderung in der molekularen Konstitution irgend eines Teils wit der Zeit sich durch die ganze Masse ausbreitet“ (S. 49). Herrn Sedgwick’s spätere Untersuchungen bestätigen diese Schlussfolgerungen. In einem Brief vom 27. Dezember 1892 sind folgende Stellen enthalten, die er mir erlaubt zu veröffentlichen: „Alle embryologischen Studien, die ich seit jenen, auf die Sie sich be- ziehen, gemacht habe, befestigen mich mehr und mehr in der Ansicht, dass die Verbindungen der Zellen bei Ausgewachsenen nicht sekundäre sondern 750 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuehtwahl“. primäre Verbindungen sind, aus der Zeit herrührend, wo der Embryo eine ein- zellige Struktur war...... Meine eigenen Untersuchungen über diesen Gegen- stand haben sich auf die Arthropoden, Elasmobranchier und Vögel beschränkt. Ich habe gründlich die Entwicklung von wenigstens einer Art jeder dieser Gruppen untersucht und ich war nie im Stande ein Stadium zu entdecken, in welchem die Zellen nicht im Zusammenhang untereinander gewesen wären. Und ich habe unzählige Stadien untersucht vom Beginn der Teilung aufwärts“. Also die behauptete Unabhängigkeit der Reproduktionszellen existiert nicht. Das Soma — um Weismann’s Benennung für den Inbegriff der den Körper bildenden Zellen zu brauchen — ist, mit Mr. Sedg- wiek’s Worten „eine zusammenhängende Masse von mit Vakuolen durchsetztem Protoplasma“; und die Reproduktionszellen sind nichts weiter als Teile desselben, die kurze Zeit, bevor sie zur Ausübung ihrer Funktionen gebraucht werden, abgetrennt wurden. So ist die Weismann’sche Theorie zweifach widerlegt. Auf induktivem Weg haben wir gezeigt, dass eine Uebertragung von Eigen- schaften aus den somatischen Zellen zu den Reproduktionszellen statt- findet, während er sagt sie könne nicht stattfinden; und auf deduktivem Weg wurde uns gezeigt, dass diese Uebertragung eine natürliche Folge der Verbindung zwischen den beiden ist, auf welche er nicht Rücksicht nimmt: seine verschiedenen Folgerungen sind von einer falschen Voraus- setzung ausgegangen. Aus dem Titel dieses Aufsatzes und aus einem großen Teil seines Inhalts werden neun Leser unter zehn den Schluss ziehen, dass er gegen Darwin’s Ansichten gerichtet sei. Sie werden erstaunt sein, wenn sie hören, dass er im Gegenteil gegen diejenigen gerichtet sei, die mit Darwin’s Lehre nicht übereinstimmen. Denn die Erblichkeit erworbener Eigenschaften, die zu leugnen jetzt in der biologischen Welt Mode geworden ist, wurde von Darwin vollständig anerkannt und oft behauptet. Diejenigen der vorgeführten Argumente, die Dar- win’s Ansichten berühren, folgern einfach, dass die Evolution, die ihm anfangs unwichtig erschien, aber deren Wichtigkeit er allmählich einsah, als er älter wurde, noch wichtiger ist, als er selbst zuletzt annahm. Die Neu-Darwinisten hingegen erkennen diese Ursache überhaupt nicht an. Man soll nicht glauben, dass diese Erklärung einen Vorwurf für die Andersmeinenden als solche enthalte. Wenn ich bedenke, wie wenig Rücksicht auf Autoritäten ich selbst gewöhnlich bewiesen habe, so wäre es albern mich irgendwie nachteilig über diejenigen zu äußern, die gewisse Darwin’sche Lehren aus Gründen verworfen haben, die ihnen ausreichend erschienen. Aber während ihre unabhängige Denk- weise eher gelobt als getadelt werden soll, so ist doch, glaube ich, zu bedauern, dass sie sich nicht vor einem lang bestehenden Irrtum bewahrt haben. Es ist ein allgemeiner Zug der menschlichen Natur eine Entschuldigung zu suchen, wenn man im Unrecht ist. Die ange- griffene Selbstachtung sucht sich zu verteidigen, und Alles dient ihr Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. 51 zu diesem Zweck. So kam es, dass, als die Geologen und Biologen sich dem Angriff ergaben, der auf sie durch die „Entstehung der Arten“ gerichtetwar, nachdem sie früher der Ansicht waren, dass alle Arten Orga- nismen aus besonderen Schöpfungsakten hervorgegangen seien, sie ihren Irrtum zu verkleinern suchten, indem sie auf die Mängel der andern Seite hinwiesen. „Gut, aber jedenfalls hatte Lamarck Unrecht. Es ist klar, dass wir recht hatten, seine Doktrin zu verwerfen“. Und so gelang es ihnen durch gebührende Betonung der Thatsache, dass er die „Natürliche Zuchtwahl“ als Hauptnrsache nicht ansah und indem sie zeigten, wie irrig einige seiner Erklärungen waren, ihren eigenen Irrtum in milderem Licht erscheinen zu lassen. Es ist wahr, sie hatten den Glauben, dass in aufeinanderfolgenden Perioden der Erdgeschichte alte Floren und Faunen abgeschafft und andere eingeführt wurden, so etwa, um Prof. Huxley’s Bild zu brauchen, als wenn ein Tisch hin und wieder umgeworfen und ein neues Spiel Karten aufgelegt würde. Und es ist richtig, dass Lamarck indem er diesen albernen Glauben verwarf, Gründe für die Thatsachen anführte, von denen einige albern sind. Aber in Folge der obenbeschriebenen Empfindung wurden seine haltbaren Ansichten vergessen und nur seine unhaltbaren blieben im Gedächtnis. Diese einseitige Schätzung wurde traditionell, so dass diejenigen jetzt häufig mit versteckter Verachtung behandelt werden, die vermuten, dass irgend etwas Wahres in den Schlussfolgerungen eines Mannes sein könne, dessen allgemeine Vorstellung zum Teil ver- nünftig war, während zu gleicher Zeit die allgemeinen Vorstellungen seiner Zeitgenossen vollständiger Unsinn waren. Hieraus erklärt sich das unschöne Verfahren und hieraus kommt die verschiedene Behand- lungsweise der Lamarck’schen und der Weismann’schen Anschau- ungen. „Wo sind die Thatsachen, die die Erblichkeit der erworbenen Eigen- schaften beweisen? fragen diejenigen, die sie leugnen. Nun, erstens könnte man die Gegenfrage stellen — wo sind die Thatsachen die sie widerlegen? Wenn nicht nur der allgemeine Bau der Organismen, sondern auch viele der in ihnen entstandenen Abänderungen erblich sind, so ist sicherlich die natürliche Folgerung, dass alle Abänderungen erblich sind; nur wenn einige sagen, dass die Erblichkeit auf diejenigen beschränkt sei, die auf eine bestimmte Weise entstanden sind, so liegt ihnen die Pflicht ob zu beweisen, dass die auf andere Weise entstan- denen nicht erblich seien!). 1) Ich vermute, dass man die Nichtvererbung der Verstümmelungen als einen Beweis dieser Art anführen wird. Die erste Antwort ist, dass der Be- weis streitig ist. Man vergisst, dass um einen giltigen Beweis der Nichtver- erbung von Verstümmelungen zu haben, es nötig ist, dass beide Eltern Ver- stiimmelungen erlitten haben, was nicht häufig vorkommt. Wenn dies nicht der Fall war, dann würde, wenn wir die Vererbung von Verstümmelungen gelten lassen und andere Ursachen unbeachtet lassen, ein gleiches Streben vorhanden 752 Spencer, Unzulänglichkeit der „natürlichen Zuchtwahl“. Schließlich sind auch Thatsachen vorhanden, welche die Erblich- keit erworbener Eigenschaften beweisen. Alle diejenigen von Darwin angeführten zusammen mit andern dergleichen, bleiben bestehen, wenn wir finden, dass die Erklärung durch Panmixie unhaltbar ist. In der That, wenn selbst diese Hypothese haltbar wäre, würde sie auf jene Fälle nieht anwendbar sein; da bei den Haustieren, die künstlich gefüttert und oft überfüttert werden, der vermutete Vorteil durch Er- sparnis nicht als Beweis dienen kann; und da bei diesen Fällen die Individuen nicht natürlich ausgewählt werden im Kampf ums Dasein, bei welchem gewisse Züge von Vorteil sind, sondern kunstvoll vom Menschen ausgewählt werden ohne Rücksicht auf solche Züge. Sollte darauf hingewiesen werden, dass die bezeichneten Thatsachen nicht zahlreich seien, so kann man erwidern, dass es keine Leute gibt, deren Beschäftigungen und Zerstreuungen nebenher solche Thatsachen ans Tageslicht bringen; und dass sie vermutlich ebenso zahlreich wären wie diejenigen, die für Darwin’s Hypothese nützlich gewesen sind, wenn es keine Züchter und Liebhaber und Gärtner gegeben hätte, welche in Verfolgung ihres Vorteils und ihrer Liebhabereien ihm Beweise geliefert haben. Man kann hinzufügen, dass die erforderlichen Thatsachen wahr- scheinlich nicht zahlreich sein können, wenn Biologen sich weigern darnach zu suchen. Sehen wir nun, wie der Fall liegt. Natürliche Zuehtwahl oder Ueberleben des Tauglichsten ist fast ausschließlich wirksam in der ganzen Pflanzenwelt und in der ganzen niedereren Tierwelt, die durch relative Passivität charakterisiert wird. Aber mit dem Aufsteigen zu höhern tierischen Typen verbinden sich ihre Wirkungen in zunehmendem Grad mit denen, die durch Vererbung erworbener Eigenschaften erzeugt wurden; bis dann bei Tieren von verwickeltem Bau die Vererbung er- worbener Eigenschaften eine wichtige, wenn nicht die hauptsächlichste Ursache der Entwicklung wird. Wir haben gesehen, dass natürliche Zuchtwahl keine Veränderungen in den Organismen bewirken kann, außer solche, die in beträchtlichem Grad direkt oder indirekt zur Ver- sein für das Vorkommen und nicht Vorkommen der Verstümmelung beim Ab- kömmling. Doch es ist noch eine andere Ursache; das Streben nach Rückfall, das immer nach der Richtung wirkt, die individuellen Eigenschaften einzu- schränken, indem es zu den Eigenschaften der Vorfahren zurückkehrt. So dass, wenn selbst die Vererbung von Verstimmelungen zu erwarten wäre (und ich meinesteils muss sagen, dass ihr Vorkommen mich überrascht), sie ver- nünftigerweise nur als Ausnahme betrachtet werden darf: es sind hier zwei starke einander entgegenwirkende Tendenzen vorhanden. Aber zweitens muss bemerkt werden, dass die Erblichkeit oder Nichterblichkeit der Verstümmel- ungen außerhalb der Frage liegt. Die Frage ist, ob Veränderungen der Teile, die durch Veränderungen der Funktionen entstanden sind, vererbt werden oder nieht. Und da werden wir bei Wiederlegung ihrer Niehtvererbung auf Fälle verwiesen, bei welchen die Veränderungen der Teile nicht durch Verände- rungen der Funktionen erzeugt wurden, sondern auf andere Weise! Field, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. 53 mehrung des Stammes führen; sie ergibt also nicht die verschiedenen Aenderungen, welche man ihr zugeschrieben hat. Und wir haben ge- sehen, dass sie keine Erklärung für die gleichzeitige Adaptation der zusammenwirkenden Teile gibt, selbst wenn das Zusammenwirken relativ einfach ist und noch weniger, wenn es kompliziert ist. Anderer- seits sehen wir, dass wenn gleichzeitig mit der Uebertragung von ge- schlechtlichen und artlichen Eigentümlichkeiten eine Tendenz zur Ueber- tragung von Veränderungen, die auf einem bestimmten Wege entstanden sind, vorhanden ist, dies umsomehr a priori wahrscheinlich macht, dass alle Veränderungen, wie sie auch entstanden sein mögen, das Bestreben haben überliefert zu werden. Wir kennen eine Anzahl von Thatsachen, welche dies bestätigen, und zeigen, dass erworbene Charaktere vererbt werden — eine so große Zahl von Thatsachen, als erwartet werden kann, wenn man die Schwierigkeit der Beobachtung und den Mangel an Nachforschung bedenkt. Hierzu rechne man noch die Thatsachen, welche ich im Anfange dieser Abhandlung erwähnt habe, betreffend die Verteilung des taktilen Unterscheidungsvermögens. Wie wir ge- sehen haben, können sie nicht erklärt werden durch Ueberleben des Geschicktesten aber sehr wohl durch Vererbung erworbener Charaktere. Und hier will ich noch hinzufügen, dass diese Schlussfolgerung deut- lich verstärkt wird durch eine der Methoden der induktiven Logik, welche unter dem Namen der konkurrierenden oder sich begleitenden Umstände bekannt ist. Denn durch die ganze Reihe der Abstufungen im Wahrnehmungsvermögen sahen wir, dass der Betrag des Eiffekts proportional ist dem Betrag der vorausgesetzten Ursache. Ueber die Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. Von Dr. Herbert Haviland Field. Das Maiheft dieser Zeitschrift enthält eine deutsche Uebersetzung der höchst beachtungswerten Vorrede, welche M. Ives Delage (92) seiner Schrift über die Embryologie der Spongien vorrausschickt. Die Klage, welche Verf. gegen den gewöhnlichen Mangel an Uebersicht- liehkeit in unseren naturhistorischen Abhandlungen erhebt, ist sicher- lich vollkommen berechtigt; und es unterliegt ferner keinem Zweifel, dass seine äußerst wertvollen Winke wohl geeignet wären dem Uebel- stand abzuhelfen. Es ist daher sehr zu wünschen, dass möglichst viele Naturforsscher sich seine Worte zu Herzen nehmen. Indessen vermisse ich in den Erörterungen Delage’s die Berück- sichtigung eines Punktes, betreffs dessen eine bessere Methodik glaube ich sehr leicht zu erlangen wäre, wenn nur einmal die allgemeine Aufmerksamkeit darauf gelenkt wäre. Ich brauche hier keine Worte über den Wert einer klaren und genauen Angabe der Literaturquellen zu verlieren. Man fällt ja schon ein schweres Urteil über einen Autor, XIII. 48 754 Field, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. welcher in dieser Hinsicht nachlässig gewesen ist. An dieser Stelle handelt es sich lediglich um eine Besprechung der geeignetesten Me- thodik. Jede Litteraturangabe zerfällt naturgemäß in zwei Teile: 1) in den vollen Titel der Abhandlung, nebst eventuell dem Namen der Zeitschrift und Bandzahl; 2) in einen diese Abhandlung bezeiehnenden Vermerk, welcher in den Text neben dem Namen des Autors einge- führt wird. Betrachten wir nun die üblichen Methoden der Ausführung. Die einfachste bringt den Titel unten in eine Anmerkung — Fuß- note — auf welche man durch das Zeichen *) verwiesen wird. Für ganz kurze Aufsätze, vorläufige Mitteilungen u. dgl. ist gegen dieses Verfahren wenig einzuwenden. Allein bei größeren Abhandlungen muss man entweder ein lästiges Wiederholen des ganzen Titels bei jedem Zitat vornehmen, oder es entsteht der „a. a. O.* Unfug, gegen welchen jeder Leser, der sich für die betreffenden Angaben überhaupt interessiert, zu protestieren das Recht hat. Selbst in den prachtvollen Neapeler Monographien wird diese Methode — vielleicht dürfte ich bekanntlich sagen — angewendet, obgleich das Uebel in den letzten Publikationen durch die jedesmalige Hinzufügung der Seite der Mono- graphie, wo der Titel zu finden ist, abgeschwächt wird. In anderen Fällen wird diese Hilfe nicht gewährt, ja das Aufsuchen des „loe. eit.“ sogar dadurch erschwert, dass der Name des Autors nur im Text figuriert; in der Anmerkung liest man einfach „Arch. f. mikr. Anat. Bd. XX“ u. s. w. Ich kann nicht glauben, dass meine Erfahrung vereinzelt dasteht, wenn ich sage, dass diese Manier der Literatur- anführung mir stundenlange unnötige Arbeit gekostet hat. Ich könnte eine bedeutende Abhandlung nennen, in welcher der „angegebene Ort“ eines Zitates nirgends zu finden ist. Lange Zeit hindurch hoffte ich doch endlich die Stelle mit einer mir damals unbekannten Beob- achtung zu entdecken, bis ich mich endlich überzeugen musste, dass der Verf. den Titel durch ein kleines Versehen einfach nicht angeführt hatte! Hier trifft sicherlich die Bemerkung Delage’s zu: „Es scheint wahrhaftig, als ob ein Jeder sich möglichst bemühte in seiner Ab- handlung das Nachsuchen von Aufschlüssen, die ein Anderer benötigt, zu erschweren.“ Diese Art der Literaturanführung ist nichts weniger als passend für jede größere Schrift; darüber kann kein Zweifel herrschen. Eine andere Methode besteht darin, dass die Titel in einem besonderen Anhang, einer Bibliographie, zusammengestellt werden, wobei Jeder mit einem auf den Text bezüglichen Zeichen versehen wird. Die Reihen- folge der Arbeiten in diesem Verzeichnis wird geregelt: 1) nach der Stelle des ersten Auftretens eines Zitates im Text, 2) chronologisch, nach dem Jahre ihrer Erscheinung, oder 3) alphabetisch nach den Autorennamen. Die erste Anordnung bietet keinen Vorteil über die beiden anderen, es sei denn eine gewisse Leichtigkeit ihrer Herstel- Field, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. 755 lung. Für den Leser aber entsteht die Unbequemlichkeit, dass ohne auf den Text zurückzugehen ein Nachschlagen in einer solchen Biblio- graphie äußerst umständlich ist. Diese Manier ist durchaus zu ver- werfen: das Interesse des Lesers muss hier maßgebend sein. Die zwei anderen Anordnungen haben ja beide ihre Berechtigung, und es wird, glaube ich, auf den einzelnen Fall ankommen, welche Reihenfolge vorzuziehen wäre. In Betreff des auf den Text zurück- weisenden Zeichens aber ist entschieden eine Reform wünschenswert. Dasselbe ist nach der beliebten Manier eine der Stelle in der alpha- betischen oder chronologischen Reihenfolge entsprechende Nummer, also ein nichtssagendes Merkmal. Dieser Beziehungsweise gegen- über steht nun die Methode, deren Mark (81) sich bediente und welche jetzt vielfach in Amerika in Verwendung ist. Das hier ge- brauchte Prinzip liegt so nah und bietet so viele bedeutende Vorteile, dass es wahrhaftig Wunder nehmen muss, dass es nicht schon längst allgemein eingeführt worden ist. Das System besteht darin, dass dem Namen des Autors statt der üblichen arbitrarischen Nummer das Jahr der Publikation in abgekürzter Form folgt, z. B. Mark (81). Falls mehrere Schriften eines Autors aus demselben Jahre zitiert werden, fügt man der Jahreszahl einen kleinen Indexbuchstaben zu: v. Graff (82 et 82a). Die Vorteile einer derartigen Prozedur liegen auf der Hand. Erstens: der Leser erkennt sofort, ohne besonders nachzuschlagen, einen sehr wichtigen Charakter des Aufsatzes, und zwar in welchem Jahr er erschien, ob also die Angaben von einer Periode seit der Ein- führung der neueren histologischen Methoden stammen, ob Verfasser seine Untersuchung wohl unter Kenntnis einer gewissen anderen Ent- deckung angestellt habe, u. dgl. m. -— kurzum man hat auf den ersten Blick eine oft genügende Einsicht in die Natur des betreffenden Aufsatzes. Zweitens: eine bedeutende Raumersparnis wird dadurch er- reicht, denn die Zeit der Veröffentlichung ist ein so wesentliches Moment in der Beurteilung einer Schrift, dass der Verfasser gewöhn- lich genötigt ist, sie ohnehin anzuführen. Dieses System enthebt ihn dieser Aufgabe. Drittens: für Einen, der die Literatur des Gegenstandes schon gewissermaßen beherrscht, wird das Nachschlagen ganz überflüssig. Um diesen Punkt evident zu machen, genügen schon einige Beispiele. Ich vermute, dass die Mehrzahl meiner Leser im Stande sein werden, ohne Schwierigkeit folgende Abhandlungen zu erschließen: (Eisig (88), Chun (80), Balfour (78), Goette (75), Oellacher (73), Rolph (76). Im Verlauf des Textes würde dies natürlich viel leiehter und mit größerer Sicherheit geschehen. Ferner: wenn die Methode einmal eingeführt wäre, würde bald ein Jeder die Jahreszahl in Verbindung mit der Abhandlung sieh denken lernen. Dieser Zweek ist, wie mir 48° 756 Field, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. scheint, maßgebend für die Verteilung der Zeichen in Fällen, wo mehrere Arbeiten} eines Autors die gleiche Jahreszahl tragen. Es wäre demgemäß besser die Hauptarbeit ohne Index-Buchstaben zu bezeichnen ge- genüber etwaigen vorläufigen Mitteilungen, Auszügen oder Nachträgen. Es wäre besser keine bestimmte Regel aufzustellen, sondern es sollte einem Jeden freigelassen werden, diese kleineren Zeichen in der Weise zu verteilen, welche ihm im einzelnen Falle mit Rücksicht auf das Geläufigwerden und das Erschließen am passendsten scheint. Viertens: durch die Anwendung dieser Methode werden die nach- teiligen Konsequenzen etwaiger Lücken im Verzeichnis zum großen Teil aufgehoben; kennt man das Jahr der Publikation, so wird es selten schwer sein, den Titel durch anderweitige bibliographische Mittel zu erfahren. Es fragt sich sogar, ob nicht vielleicht durch die Zentralisierung und Vervollkommnung unserer Jahresberichte das Be- dürfnis nach einem so ausführlichen Verzeichnis hinfällig wäre. Fünftens: die Herstellung einer Bibliographie nach diesem Prinzip ist sehr erleichtert. Bald lernt man die Jahreszahlen auswendig, so dass man beim Schreiben nur selten nachzuschlagen hat. Während man bei der üblichen Methode niemals die einzutragende Nummer wissen kann, bis das Manuskript ganz fertig geschrieben ist, kann man bei der andern sofort die Jahreszahl mit jedem Zitat eintragen und braucht sich gar nicht um etwaige Einschiebungen und Veränderungen zu bekimmern. Ein bestimmter Fall wird dies klar machen. In den neuen von Mer- kel und Bonnet herausgegebenen Ergebnissen der Anatomie und Entwickelungsgeschichte erschien unter anderen eim sehr wichtiges embryologisches Referat, welches sich durch eingehende kritische Be- sprechung der gesamten Literatur des Gegenstandes auszeichnet. Es ist unleugbar, dass es in den meisten Punkten eine sehr genaue Er- örterung darstellt. Allein im ersten Kapitel gibt der Referent nicht weniger als 38 Litteraturangaben, von welchen keine einzige richtig ist! Ein Autor wird außerdem zitiert und mit einer auf die Bibliographie verweisenden Nummer versehen, der gar nicht in dem Verzeichnis erwähnt wird. Solche Verwirrungen sind offenbar haupt- sächlich die Folge einer nachträglichen Veränderung in der Reihen- folge der angeführten Arbeiten, aber mit dem hier befürworteten System wären ähnliche Fehler bei nur mäßiger Sorgfalt absolut aus- geschlossen. Zum Schlusse erlaube ich mir nur noch zu erwähnen, dass diese Methode sich auch ganz vorzüglich für Lehrbücher eignet. In der Abfassung von derartigen Werken verzichtet man bekanntlich auf nähere Litteraturangaben im Text wegen Raumersparniss. Allein ich habe ausgerechnet im Falle zweier hervorragender im Laufe ver- gangenen Jahres herausgegebener Lehrbücher, welche natürlich immer- hin große Litteraturverzeichnisse enthalten, dass die Durchführung dieser Methode mit einem positiven Raumgewinn verbunden wäre. Field, Art der Abfassung naturwissenschaftlicher Litteraturverzeichnisse. 757 Denn, wie oben ausgeführt, werden viele anderweitige Zeitangaben erspart. Um die Auführung des Systemes zu veranschaulichen, lasse ich ein nach diesem Prinzip alphabetisch und chronolologisch angeordnetes Litteraturverzeichnis !) sämtlicher hier erwähnter Abhandlungen folgen. Den Titel habe ich vollständig wiedergegeben; den Namen der Zeit- schrift in abgekürzter Form; die darauffolgende römische Zahl be- zeichnet den Band, woran die genaue Ortsangabe (Seitenzahl) sich in arabischen Ziffern anschließt; wo „Serien“ zu unterscheiden sind, wer- den sie vor der Bandzahl eingeschaltet, und zwar eingeklammert. Diese Anordnung entspricht mithin einem Vorschlag, welcher im der Form eines Prospektus bei der Begründung des Bull. de la Soeidte zoologique de France von M. R. Blanchard den Zoologen unter- breitet wurde. Bibliographie. Balfour, F. M. (78). A Monograph on the Development of Elasmo- branch Fishes. xi + 295 pp., 20 Pls., 9 woodeuts. London: Macmillan & Co. 1878. Chun, €. (80). Die Ctenophoren des Golfes von Neapel und der an- grenzenden Meeres-Abschnitte. Fauna und Flora des G. von Neapel, I. Monogr., xviii + 313 pp., 16 Taf. in Lith., 22 Holz- schnitten. Leipzig: Engelmann. 1880. Delages, Y. (92). Embryog&nie des &ponges. Developpement post- larvaire des &ponges silieieuses et fibreuses marines et d’eau douce. Arch. Zool. Exp6r. et GEn. (2) X, 345—498, Pl. XIV—XXI, 1892. Eisig, H. (87). Monographie der Capitelliden des Golfes von Neapel und den angrenzenden Meeres-Abschnitten nebst Untersuchungen zur vergleichenden Anatomie und Physiologie. Fauna u. Flora d. G. v. Neapel, XVI. Monogr., xxvi + 906 pp., 20 Holzschn., 37 Taf. in Lith. Berlin: Friedländer. 1887. Goette, A. (75). Entwicklungsgeschichte der Unke (Bombinator ig- neus). viii + 964 pp., mit Atlas von 22 lith. Tafeln. Leipzig: Voss. 1875. Graff, L. v. (82). Monographie der Turbellarien. I. Rhabdocoelida. vii + 441 pp., 12 Holzschn., Atlas mit 20 Taf. Leipzig: Engel- mann. 1882. Ueber Rhodope Veranii Kölliker (82a). Morph. Jahrb., VIII, 73—84, Taf. II, 1882. 1) Ein solches doppeltes Litteraturverzeichnis dient natürlich hier nur um die Verwendbarkeit des Systems für die beiderlei Anordnungen zu zeigen. Bei der praktischen Verwertung des Prinzipes würde man nur die eine ge- brauchen. Wohl aber könnte man, wenn es darauf ankommen sollte, neben der einen Reihenfolge auch die andere anzugeben, eine einfache Liste in der abgekürzten Form folgen lassen: Oellacher (73) Balfour (78) Graff (82) Goette (75) Chun (80) Eisig (87) Rolph (76) Mark (81) Delages (92). 758 Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. Mark, E.L. (81). Maturation, Feeundation, and Segmentation of Limax campestris Binney. Bull. Mus. Comp. Zool., VI, 173—625, Pl. I—4, Oct. 1881 Oellacher, J. (73). Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochen- fische nach Beobachtungen am Bachforelleneie III.—V. Zeitschr. f. wiss. Zool.,, XXIII, 1—115, Taf. I-IV, 30. Jan., 1873. Rolph, W. (76). Untersuchungen über den Bau des Amphioxus lan- ceolatus. Morph. Jahrb., II, 87—164, Taf. V—VII, 1876. 1873. Oellacher, Josef. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Knochenfische etc. (wie oben). 1875. Goette, Alexander. Entwicklungsgeschichte der Unke ete. 1876. Rolph, W. Untersuchungen über den Bau des Amphioxus lan- ceolatus etc. 1878. Balfour, Franeis Maitland. A Monograph on the Develop- ment of Elasmobranch Fishes etc. 1880. Chun, Carl. Die Ctenophoren des Golfes von Neapel etc. 1881. Mark, Edward Laurens. Maturation etc. of Limax ete. 1882. Graff, Ludwig von. Monographie der Turbellarien etc. a. idem: Ueber Rhodope Verani Kölliker ete. 1837. Eisig, Hugo. Monographie der Capitelliden etc. 1892. Delages, Yves. Embryogenie des eponges etc. Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesell- schaften. Prof. B. Grassi e Dr. A. Sandias, Costituzione e sviluppo della Societä dei Termitidi. Osservazioni sui loro costumi. Con un’ appendice sui Protozoi parassiti dei Termitidi e sulla famiglia delle Embidine. Catania 1893. Atti dell’ Accademia Gioenia di Sc. nat. (4) Vol. VI e VII, 150 pag, 5 tav. Die Lebensgeschichte der Termiten ist noch in mancher Beziehung eine „terra incognita“. Es wird deswegen jeder Biologe diesen neuen, besonders wertvollen Zusatz zu unserer Kenntnis der ältesten gesellig lebenden Insekten freudig und dankbar begrüßen. — Mit großem Fleiß und Geschick beobachtete Grassi, und von ihm geleitet sein Schüler Sandias, die beiden in Sizilien einheimischen Arten Calotermes flavi- collis und Termes lucifugus. Am Vollständigsten sind die Untersuch- ungen an Calotermes geworden, was Verf. besonders dem Umstand verdankt, dass kleine Individuengruppen dieser Species, mit feuchten Holzstückchen in eine Glasröhre eingeschlossen und an einem warmen Ort gehalten, z. B. in der Westentasche getragen, längere Zeit lebendig bleiben und sich wie in einem normalen Nest zu verhalten scheinen. Haupt- bedingungen für; das Gedeihen einer Termitengesellschaft sind Wärme und Feuchtigkeit; letztere darf nicht zu stark und auch nicht zu ge- ring sein; im der Regulierung derselben liegt die größte Schwierigkeit des Experimentierens mit Termiten, wie überhaupt der meisten Unter- suchungen über Biologie der Insekten. Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. 759 Eine Calotermes-Gesellschaft kann enthalten: a) Indifferente Larven, welche sich sowohl zu Soldaten-Larven als zu solchen von Geschlechtstieren weiter entwickeln können. b) Larven und Puppen von Geschlechtstieren, charakterisiert durch das Auftreten von Flügelanlagen. c) Soldatenlarven und fertige Soldaten, welche sich sowohl aus den indifferenten Larven (a) als aus den sub b aufgeführten Formen entwickeln können. d) Geflügelte Geschlechtstiere. e) Ein echtes Königspärchen mit Flügelstummeln. f) Larven von Ersatzgeschlechtstieren und aus denselben ent- wickelte Ersatzkönige und -Königinen. Diese Larven können sowohl aus den Larven (a) wie aus den verschiedenen sub b aufgeführten Stadien entstanden sein. Die neugebornen Larven haben 10 gliedrige Fühler, deren drittes Glied unbehaart und länger als die übrigen ist; es zerfällt später in 3 Glieder. Die Zahl der Fühlerglieder wächst dann nach und nach um je eines bis zu 19, die die erwachsenen Geschlechtstiere besitzen. Larven mit 13gliedrigen Fühlern können bereits Flügelanlagen be- sitzen, oder ihre Bildung beginnt erst im 14 resp. 15gliedrigem Sta- dium. — Die sich zu Soldaten entwickelnden Larven bekommen bald einen diekeren, mehr abgerundeten Kopf. Die Soldaten sind einander nicht gleich: es gibt kleinere und größere, und dieser Unterschied hängt davon ab, in welchem Stadium die Larven der Reihe a—b ihre Differenzierung zu Soldaten begonnen hat. Dieses lässt sich sowohl an der Zahl der Fühlerglieder als an der verschiedenen Größe leicht erkennen: außerdem wurden mehrfach junge Soldaten mit Flügelanlagen, welche später rückgebildet werden, beobachtet. Die kleinsten Soldaten finden sich nur in ganz jungen Kolonien. Auch die Ersatzgeschlechtstiere können aus verschiedenen Stadien der Larvenreihe gezüchtet werden. Gewöhnlich werden zu dieser Zucht ausgewachsene Larven und Nymphen verwendet. Aus indifferenten Larven gebildete Individuen haben 14—15 Fühlerglieder, keine Flügel- anlagen und nur Spuren von Augenpigment. Solche mit 15—19glie- drigen Fühlern haben mehr oder minder große Flügelanlagen und schwarz pigmentierte Augen. Zum königlichen Stand erhobenen Puppen werden die Spitzen der großen Flügelanlagen abgenagt. Alle Ersatz- geschlechtstiere von Calotermes sind hellgelb gefärbt; nur die Augen sind dunkel. Echte Könige und Königinen sind bekanntlich in ihrer Jugend geflügelt gewesen; sie sind dunkel gefärbt und tragen dreieckige Flügel- stummel; sie wachsen langsam und erreichen niemals die enorme Ent- wicklung des Hinterleibes, die bei manchen anderen Termiten - Arten vorkommt. Erst nach mehreren Jahren erreichen sie ihre Maximal- 760 Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. größe und kommt die helle Intersegmentalhaut zwischen den dunklen kücken- und Bauchplatten des Abdomens zum Vorschein. Der größte König war 10 mm lang; die größte Königin 14 mm. — Echten sowie Ersatz-Königen und Königinen fehlten immer die letzten Fühlerglieder, wahrscheinlich wurden sie abgebissen. Einmal beobachtete Grassi die Begattung des königlichen Paares. Was die Morphologie von Calotermes betrifit, soll noch erwähnt werden, dass die Vermehrung der Fühlerglieder nicht aus einer in- differenten Wachstumszone stattfimdet, sondern, aus der wiederholten Teilung des dritten und vierten Gliedes. Ueber diese Teilung ist noch manches unklar geblieben. — Alle unreifen Individuen tragen am 9. (scheinbar 8.) Abdominalstermit ein Paar Fortsätze, welche den Genital- anhängen der Männchen entsprechen und nur den erwachsenen weib- lichen Individuen (echten sowie Ersatz-Königinen) fehlen, indem sie bei der letzten Häutung abgeworfen werden. Die Gründung eines Oalotermes-Nestes geschieht durch ein Pärchen von Geschlechtstieren. Solche Pärchen findet man oft einzeln oder zu mehreren beisammen mit Eiern und jungen Larven in feuchtem totem Holz. Ein im August geflogenes Paar ist am Ende des Herbstes folgenden Jahres, also nach 14--15 Monaten, umgeben von 15—30 In- dividuen verschiedenen Alters, darunter große Soldaten und Larven mit kleinen Flügelanlagen. Die Entwicklung eines Soldaten kann noch in demselben Jahr, in welehem er aus dem Ei ausschlüpfte, vollendet werden. Die eines geflügelten Geschlechtstiers braucht mehr als ein volles Jahr. Das Leben der Könige und Königinen dauert mindestens 4—5 Jahre. — In einer größeren Kolonie findet man durchschnittlich einen Soldaten auf je 20 andere Individuen. Immer ist ein einziges Königspaar vorhanden. Sind überzählige Könige und Königinen einge- führt worden, so werden dieselben bald getötet. Eine verwaiste Kolonie nimmt dagegen ein fremdes Königspaar (oder beim fehlen des Königs oder der Königin allein ein entsprechendes Exemplar) gerne an. Sind der König und die Königin oder eines von beiden gestorben oder entführt worden, so werden bald eine Anzahl Larven zu Ersatz- geschlechtstieren gezüchtet. Aber am Ende findet man in der Kolonie wieder nur ein Pärchen, wobei eines derselben oder beide an ihrer hellen Körperfarbe als Ersatzkönig resp. Königin sich erkennen lässt. Echte sowie Ersatz- Könige und Königinen von Calotermes sind gegen ihresgleichen eifersüchtig und kämpfen unter einander; auch der Rest des Termitenvolkes zeigt sich gegen überzählige königliche Individuen feindlich gesinnt. Es scheint, dass die Termiten einen besondern Sinn für Zahlenverhältnisse besitzen, da sie die Zahl der verschiedenen Sorten von Individuen in der Kolonie sehr genau zu regulieren wissen und sich, je nach dem Bedürfnis, mit Soldaten und Geschlechtstieren versehen. Es gibt bei Calotermes kein besonderes königliches Gemach. König- Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. 761 liehe Individuen leben mit ihrem Volke und nehmen ebenso wie jedes junge Tier am Bau des Nestes und an der Brutpflege teil. Nur die Soldaten können an den meisten Arbeiten nieht mitwirken, weil ihre langen Mandibeln sie dazu unfähig machen; sie können nicht das Holz nagen, und sogar nicht ordentlich fressen: deswegen werden sie meist von anderen Termiten gefüttert. Ihre Rolle ist hauptsächlich die Ver- teidigung der Kolonie, und zwar treten sie gewöhnlich erst dann in Thätigkeit, wenn ein gefährlicher Feind bekämpft werden muss; ihre scheerenartigen Oberkiefer sind aber dann wirklich furehtbare Waffen Die Soldaten benutzen ihre Mandibeln auch zum tragen von Eiern und junger Brut. Calotermes-Nester sind einfach in Holz gegraben; meist sind die Wände der Gänge nieht mit Kot überzogen, dieses geschieht nur wo das Holz nicht fest genug scheint. — Termes lucifugus ist in seiner Bauart weiter fortgeschritten. Während Calotermes nur feuchte Stellen abgestorbenen Holzes bewohnt, setzt Termes seine Gänge auf ganze Bäume, trockene Stellen nicht verschmähend fort. Feine Kanäle dringen durch dünne Wurzeln in die Erde, so dass es schwierig wird sie zu verfolgen. Dadurch, sowie mittels freier Galerien, welche Termes aus Kot, erbrochenem Material, Holzspähne ete. zu bauen im Stande ist kann sich eine Kolonie auf mehrere Pflanzen erstrecken; ihre Grenzen sind deswegen schwierig festzustellen. Die Zahl der Individuen einer T’ermes-Kolonie ist eine sehr große; ihre Gesamtmasse kann über ein Liter ausmachen, was vielen tausend Tieren entspricht. Die Zusammensetzung der Bevölkerung ist von der eines Calotermes-Nestes verschieden, denn: 1) gibt es einen besonderen Arbeiterstand; 2) fand Grassi niemals ein echtes Königspaar, sondern eine Anzahl geschlechtsreifer Tiere, welche Verf. als Komplement- königliche Individuen bezeichnet; sie bieten die Gestalt von Larven geflügelter Tiere, vor dem Puppenstadium, d. h. ihre Flügelanlagen sind kürzer als jene der Puppen. — Werden diese Tiere aus einem Neste herausgenommen, so werden Ersatz-königliche Individuen ge- züchtet, welche genau wie die Komplement-Geschlechtstiere aussehen können, aber auch oft eine geringere Flügelentwicklung zeigen; manch- mal sind dagegen diese Ersatz-Geschlechtstiere zum Teil dunkel pig- mentiert. Sehr merkwürdig ist der Umstand, dass gewöhnlich nur Königinen getroffen werden; nur zweimal fand Grassi einen erwach- senen König, während männliche Larven von Ersatz-Geschlechtstieren in Anzahl gebildet werden. Da die Samentasche der Weibehen mit Sperma gefüllt ist, so bleibt Parthenogenese ausgeschlossen; wahr- scheinlich leben die Männchen nur kurze Zeit. Im Termes-Nest können folgende Sorten von Individuen vor- kommen: a) Sehr junge, indifferente Larven, bis 2 mm lang, mit 11—12glie- drigen Fühlern. 762 Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. b) Larven von 2'/,—3°/, mm, mit 12—13gliedrigen Fühlern; von diesen gibt es: a) solehe mit größerem Kopf: junge Arbeiter; sie können zu erwachsenen Arbeitern und Soldaten werden. 8) solehe mit kleinerem Kopf. e) Individuen von 3°/,—4 mm und 14gliedrigen Fühlern. Sie zer- fallen in folgende Reihen: «) Junge Arbeiter entstanden aus den Individuen sub a«; sie können zu erwachsenen Arbeitern und Soldaten werden — Soldaten. #) Kleinköpfige Larven mit kleinen Flügelanlagen und solche ohne Spur von Flügeln. d) Individuen von 4—6!/, mm mit 15—16gliedrigen Fühlern, und zwar: «) Junge Arbeiter — Soldaten. ß) Kleinköpfige Individuen mit größeren Flügelanlagen, ent- standen aus beiden sub # aufgeführten Formen des vorigen Stadiums. y) Kleinköpfige Individuen ohne Flügelanlagen: Larven von Ersatz- und Komplement- Geschlechtstieren. e) Nicht flugfähige Individuen mit 17—18gliedrigen Fühlern: «) Erwachsene Arbeiter und Soldaten. #) Puppen der ersten Form, mit großen Flügelanlagen nnd wenig entwickelten Genitalien. y) Puppen der zweiten Form, mit kurzen Flügelanlagen und stark entwickelten Genitalien (Larven von Ersatz-Geschlechts- tieren). d) Larven von Komplement- und Ersatzgeschlechtstieren ohne Flügelanlagen. Zu diesem Stadium gehören auch einzelne Soldaten mit Flügelanlangen, welche wahrscheinlich aus #-Individuen des Stadium d entstanden sind. f) Geflügelte Geschlechtstiere. g) Verschiedenartige Komplement- und Ersatz-Geschlechtstiere, mit oder ohne Flügelanlagen. Charakteristisch für alle zu dieser Reihe gehörige Individuen ist die lange und quergerichtete Be- haarung des Abdomens. Ein Teil der Ersatzgeschlechtstiere hat braune Pigmentflecken. Andere, welche aus beinahe fertigen ge- flügelten Individuen gezüchtet wurden, sind gleichmäßig braun gefärbt und die Spitzen ihrer Flügel sind abgenagt. Die Fühler- spitzen aller königlichen Personen sind wie bei Calotermes ab- gestutzt. Nur einmal fand Grassi, sechs Monate nach der Zeit des Aus- schwärmens ein Pärchen von geflügelt gewesenen Termes lucifugus, und zwar ohne Larven und Eiern. Neue Kolonien gelingt es aus ge- Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. 765 flügelten Tieren, in mit faulem Holz halbgefüllten Gefäßen künstlich zu züchten. Dass das gleiche auch in der freien Natur stattfinde glaubt Verf. nicht; vielmehr entstehen die neuen Nester durch Koloni- sierung, d. h. durch Abtrennung eines Teiles einer Termitengesellschaft, wonach der verwaiste Abschnitt der Bevölkerung sich bald neue Er- satzgeschlechtstiere züchtet!). Die Vermehrung der Termiten durch Komplement- und Ersatz- Geschlechtstiere vergleicht Grassi wie F. Müller mit der Kleisto- gamie, wobei die geflügelten Männchen und Weibehen den normalen Blüten entsprechen würden. Diese Vergleichung wird noch treffender in Folge der Beobachtung Grassi’s, dass beiderlei Geschlechter meist nieht zu gleicher Zeit aus einem Nest ausschwärmen. Dadurch wird die Paarung unter Blutverwandten gehindert, die Kreuzung von Ge- schlechtstieren aus verschiedenen Nestern dagegen begünstigt. Die Verhältnisse von Termes würden solchen Pflanzen entsprechen, von welchen normale Blumen zwar noch gebildet, aber aus ihnen keine Samen produziert werden. Aus den oben aufgeführten Thatsachen erhellt schon zur Genüge, dass die Termiten im Stande sind die Bildung der Soldaten und der verschiedenartigen Geschlechtstiere zu regulieren. Auf welche Weise dieses geschieht ist eines der interessantesten Probleme der Termiten- Biologie. Betrachten wir das Gesamtbild der Entwicklungsgeschichte beider eben besprochener Termiten-Arten, so ergibt sich daraus die Existenz einer Stammreihe von aufeinanderfolgenden Stadien, welche von den kleinsten indifferenten Larven, durch weiter entwickelte mit Flügel- anlagen zu den Puppen und geflügelten Geschlechtstieren führt. Diese Reihe können wir als die normale und ursprüngliche betrachten. Aus derselben entsprossen in verschiedenen Höhen abweichende Zweige nach zwei Richtungen. — Durch stärkere Entwicklung des Kopfes und der Mundwerkzeuge, mit Hemmung in der Ausbildung der Ge- schlechtsdrüsen entstehen die Soldaten und Arbeiter. — Durch vor- zeitige Reifung der Geschlechtsdrüsen (Neotenie), verbunden mit Hem- mung in der Entwicklung der Flügelanlagen und des Pigments, die verschieden gestalteten Komplement und Ersatz-Könige und -Königinen. Es ist Grassi gelungen nachzuweisen, dass solche Unterschiede in der Entwicklungsbahn von der Nahrung abhängen. Es ist also notwendig, dass wir uns mit der Nahrung der Termiten eingehender beschäftigen. Die hierauf bezüglichen Untersuchungen wurden be- 1) Diese Resultate lassen sich mit denen von Lesp&s, welcher in Süd- frankreich mehrfach echte Königspaare traf, nicht gut in Einklang zu bringen. Eine erneute Untersuchung der französischen Termes lucifugus wäre deswegen sehr wünschenswert. 764 Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. sonders an Calotermes angestellt, womit aber Termes in allem Wesent- lichen übereinstimmt. Die Termiten zernagen totes Holz und fressen die dadurch ge- bildete Spähne. Ein Teil der eingeführten Nahrung wird wieder aus- gebrochen und von anderen Individuen verspeist. Auch Termitenkot wird sehr gerne gefressen, sowohl im trockenen als im frischen Zu- stand. Um den frischen Kot zu bekommen, betastet eine Termite das Hinterende einer anderen mit ihren Fühlern und Palpen und nimmt das in Folge dieser Berührung entleerte Würstchen auf, um es zu fressen. Manche sonderbare Handlung der Termiten wird auf dieses Begehren und Fressen von Kot zurückgeführt. Ein Teil des gefressenen Kotes wird zwar wieder erbrochen und als Baumaterial verwendet, das meiste wird aber weiter durch den Darm befördert. — Animale Speise wird nieht verschmäht: es werden die bei der Häutung abge- worfenen Exuvien, sowie der Leib toter Termiten ihrer Art, selbst königlicher Personen gerne verzehrt. Derart werden oft kranke In- dividuen noch lebend gefressen. Soldaten von Calotermes zeigen sich manchmal besonders grausam und greifen, wenn das Nest gestört wird, wütend um sich, Freunde und Feinde nicht unterscheidend. Es sei hier bemerkt, dass Calotermes im Neste eingedrungene Termes-Arbeiter tötet aber nicht frisst. Der Speichel ist ein sehr wichtiger Bestandteil der Nahrung der Termiten. Oft sieht man Termiten den eigenen Speichel, welcher aus der Unterlippe quillt, aufsaugen; dieses Sekret wird aber auch an andere Individuen abgegeben. Neugeborene und ganz junge, welche noch nicht Holz kauen können, werden nur mit Speichel gefüttert. So lange sie keine andere Kost bekommen, bleibt ihr Abdomen durch- sichtig. Wenn sie später anfangen Holzspähne, Erbrochenes und Kot zu fressen, so erscheint an ihrem Hinterleib ein gelblicher Fleck, welcher einem stark erweiterten Hinterdarmanhang entspricht, der von Nahrungsresten erfüllt ist und zahlreiche parasitische Protozo@n ent- hält. Bei der Häutung wird die Cuticula des Hinterdarmes mit ihrem Inhalt abgeworfen. Die Parasiten sterben vor der Häutung um bald nachher wieder zu erscheinen. — Manchmal schlürfen die Termiten auch Wasser. Merkwürdigerweise enthält der Darm der sich zu Ersatzgeschlechts- tieren entwickelnden Larven, sowie der fertigen Ersatzkönige und -Königinen keine Parasiten. Diese Tiere werden, wie die junge Brut nur mit Speichel gefüttert. Die rasche Entwicklung der Geschleehtsdrüsen scheint also von der besonderen wohl nahrhafteren Speise abhängig zu sein. Vielleicht kommt auch die Abwesenheit der Parasiten und der mit ihrer Vermehrung verbundenen Dehnung des Hinterdarmanhanges, welcher dann auf die Geschlechtsdrüsen drückt in Betracht. — Außer den Ersatzgeschlechts- tieren und deren Larven, enthalten alle Termiten, ja sogar die echten Emery, Zusammensetzung und Entstehung der Termitengesellschaften. 765 Könige und Königinen Protozo@n, wenn auch in geringer Menge. Die ge- flügelten Geschlechtstiere tragen solche beim Ausschwärmen mit sich fort. Wodurch die Bildung der großköpfigen Arbeiter- und Soldaten- Larven eingeleitet wird, und warum bei Termes ein Teil derselben zu Arbeitern, ein Teil zu Soldaten sich entwickelt konnte nicht klar- gestellt werden. Soldaten sind eine höher differenzierte Form, denn ihre Larven sind in ihrer Bildung einem Arbeiter sehr ähnlich. Als gesellige Tiere besitzen die Termiten die Fähigkeit gewisse Empfindungen eimander mitzuteilen. Vielleicht dient dazu die öfter zu beobachtende Berührung mit den Antennen. Besonders wichtig scheinen zitternde Bewegungen zu sein, welche sehr oft ausgeführt werden. Die Soldaten von 7. /ueifugus können auch durch Reibung des Kopfes gegen den Thorax ein besonderes „Krik“ hervorbringen; dieses Geräusch kann man auch hören, ohne dass die Termiten gestört werden, z. B. beim Anlegen des Ohres an einem von denselben bewohnten Baum- stamm. Die durch das Zittern hervorgerufene Schwingungen werden von Holz des Nestes geleitet und mit Hilfe der in den Tibien vorhan- denen Tympanalorgane wahrgenommen. Thatsache ist, dass diese Schwingungen andere Termiten herbeizurufen gebraucht werden. Calotermes flavieollis und Termes lucifugus verhalten sich gegen einander feindlich. Dagegen kann man nach Belieben (abgesehen von königlichen Individuen von Calotermes) Termiten in ein fremdes Nest der eigenen Art versetzen; sie werden in gleicher Weise wie Mitbürger der Kolonie behandelt. — Feindseligkeit besteht also nur zwischen verschiedenen Arten, nicht unter verschiedenen Gesellschaften derselben Art. Termiten haben also nur Speciesgefühle, aber kein Nationalgefühl. Nach Diskussion der bis jetzt von anderer Seite bekannt gemachten Beobachtungen, hält es Grassi für wahrscheinlich, dass alle Termiten- gesellschaften in ihrer Zusammensetzung auf einen der beiden in Si- zilien lebenden Typen zurückgeführt werden können. a) Kolonien, an deren Spitze die Begründer des Nestes, ein König und eine Königin, die früher Flügel besessen haben, stehen. Wird eine solche Kolonie verwaist, so züchtet sie ein Paar von Ersatz-königlichen Individuen, d. h. ein neotenisches Pärchen. b) Kolonien, welche mehrere neotenische Königinen enthalten, während Könige nur zeitweise vorhanden sind. Diese Ge- schlechtstiere sind nicht die Begründer des Nestes, sondern sie wurden von einem abgetrennten Teil einer älteren Kolonie ge- züchtet. Ersterer Zustand ist im Verhältnis zum zweiten als primitiv zu bezeichnen. Dasselbe ergibt sich aus der morphologischen Vergleichung von Calotermes und Termes: die geringe Entwicklung der Calotermes- Königin, ihre aus wenigen Röhren zusammengesetzten Ovarien, das 766 Knauthe, Vererbung der Mopsköpfigkeit bei Cyprioniden. Vorhandensein von Augen bei gewissen Soldaten, die Nicht -existenz eines besonderen Arbeiterstandes dürfen als primitive Charaktere be- trachtet werden, die wohl nieht auf Degeneration zurückgeführt werden können. Ich habe hier nur die hauptsächlichsten Ergebnisse dieses an wert- vollen Bemerkungen reichen Werkes referiert und besonders Anato- misches beinahe ganz bei Seite gelassen. Dafür verweise ich den Leser auf das Original. In einem Anhang, werden die parasitischen Protozo@n des Termiten- Darms ausführlich beschrieben. Ueber ihre Fortpflanzung wurde bis jetzt nichts sicheres festgestellt. Ein zweiter Anhang behandelt die Anatomie und Biologie der Embidinen, namentlich der Embia Solieri Ramb. — Diese Art wird nie geflügelt und lebt in seidenartigen Röhren in Erdspalten und unter Steinen. Die Fäden werden mittels der Vorderbeine gesponnen und der dazu verwandte Stoff kommt aus Drüsen, welche in diesen Beinen ihren Sitz haben und am ersten Tarsalglied ausmünden. Die Man- dibeln des Männchens sind schmal und gekrümmt, denen des Weibchens unähnlich. Nach der inneren Anatomie, ist Embia von den Termitiden sehr verschieden und scheint sich am Meisten den Orthopteren sensu strieto zu nähern. — Grassi möchte die Embidinen, als eine den echten Orthopteren gleichwertige Gruppe, neben diese aufgestellt wissen. GC. Emery (Bologna). Zwei Fälle von latenter Vererbung der Mopsköpfigkeit bei Cyprinoiden. In der Zeitschrift „Der zoologische Anzeiger“ von Prof. J. Viet. Carus, Nr. 415, S. 110 brachte ich eine kurze Notiz über einen durch mich selbst beobachteten Fall von latenter Vererbung. Ich erzielte von je zwei wohl- gestalteten Z' und 2 vom Moderrapfen, deren Großeltern Mopsköpfe gehabt, deren Eltern aber durchaus normale Tiere gewesen, 20 Stück den „Ahnen“ ähnelnde neben 190 regulären Nachkommen. Obwohl ich nun ganz geringe Hoffnung hatte von diesen einsömmerigen Fischen (92er Frühbrut) heuer schon Abkömmlinge zu erzielen, las ich doch die letzteren, also die durch 3 Generationen hindurch normalen Cyprinidae sehr sorgfältig auf, sortierte sie wiederholt und setzte sie schließlich in die erste Hälfte einer an Daphniden, Copepoden u. s. w. reichen Lehmpfütze. Die zweite Abteilung derselben — zwischen beiden war eine diek mit Cement über- strichene hohe Ziegelmauer aufgeführt —, besetzte ich mit genau ebenso vielen gleichaltrigen gewöhnlichen Raapfenlauben, die ich der Güte des Prinzen zu Carolath verdanke, um etwaigen auf Prof. A. Nehring’s Untersuchungen am Schweineschädel basierenden Einwürfen von vornherein begegnen zu können. Es sind wider Erwarten, wenngleich spät, noch einige Tiere in 1, ich be- obachtete 4 2 und etwa 6—8 Z', zur Fortpflanzung geschritten und haben neben 160 normalen 6 den Urgrosseltern gleiche, also mopsköfige Nach- kommen gezeitigt, der größte Teil der einzigen Brut war teils temporären Knauthe, Vererbung der Mopsköpfigkeit bei Cyprinoiden. 7167 Einflüssen erlegen, teils von den Geschwistern der Alten, auch wohl diesen selbst, aufgefressen worden. In Abteilung II findet sich unter 250 Stück Brut auch nicht ein einziger Mopskopf vor. Indessen haben die im „Zoologischen Anzeiger“ erwähnten erwachsenen 2 d und 2 von Leucaspius, die Großeltern der Jungbrut in Abteilung I, heuer wieder gelaicht, aber nur 8 Prozent mopsköpfige Nachkommen- schaft gezeitigt. Angeregt durch die wahrhaft klassische Abhandlung von Professor Dr. Fr. Heincke über „Variabilität und Bastardbildung bei Cyprinoiden* in der Festschrift zum siebenzigsten Geburtstage von Rud. Leuckart habe ich neuerdings vornehmlich die Schlundknochen von dem hier massenhaft vorhan- denen Gründling (Gobio fluviatilis v. Cuv.) genau untersucht, und dabei unter gegenwärtig ca. 340 Schlundknochen einige hübsche, wichtige Abnormitäten notieren können. Vorausschicken möchte ich dabei, dass ich früher schon, darauf machte ich 1838 bereits in der Zeitschrift „Der zoologische Garten* von Noll, Frank- furt a. M., sowie 1890 im „Zoologischen Anzeiger“ von Prof. J. Viet. Carus, Leipzig aufmerksam, von diesem Weißfische ab und zu Exemplare in den Wässern des Zobten auffand, deren dritter ungeteilter r. in der P. dors. ver- knöchert, verdickt und genau in derselben Weise gesägt war, wie das Prof. Kner in seiner Arbeit über den „Flossenbau der Fische“, Sitzungsber. der K. k. Akademie der Wissensch. in Wien so schön für Barbus vulgaris skizziert. Ich denke dabei an „atavistischen Rückschlag* und war höchlichst erstaunt, als der Gobio mit der sub Nr. 5 zu nennenden Zahnformel diese Abnormität sehr deutlich ausgeprägt zeigte. Nach Heckel und Kner, v. Siebold, Jeitteles, &ünther, Benecke, Fatio, Schulze und anderen Autoren sind die Dent. fauc. bei Gobio fluvia- tilis Cuv. angeordnet: 2.5—5.2 oder 3.5—5.3. Abnormitäten aus den Gewässern bei Schlaupitz: I) 2.35—5.3.2.” (Letztere rechts, nur Rudimente, wie sie Heinckel. c. Tab. VIII Fig. 6, 7 für Cyprinus carpio L. abbildet.) I) 1.3.5—5.5.2. (Links und ein Zahn der 3. Reihe rechts Stumpfe, der andere rechts rudimentär angedeutet.) IN) 3.5—5.3.1. (Rudiment.) IV) 125—5.21. V) 1.2.3.5-5.3.1.1. (Die Zähne der 4. Reihe Rudimente.) Bei dieser letzteren wolle man außer dem im vorausstehenden Gesagten freundlichst die Notiz von Dr. Vict. Fatio „Faune des Vertebres de la Suisse“, Poissons, Iere part., Geneve vergleichen, dass er einmal bei Barbus vulgaris die Formel 1.2.3.5—5 3.2.1 auffand, ebenso wie Prof. Dr. Heincke |. c. bei einem echten „wilden“ Cyprinus carpio aus Kampen in Holland auf dem rechten Schinndknochen 3.1.1.1. (ef. S. 71 u. Fig. 13a Tab. VIII.) Wir können aus diesen interessanten Funden, die sich ja mit Sicherheit vermuten lassen, wenn überhaupt die Descendenztheorie richtig ist, so schreibt mir Herr Prof. Heincke gütigst, folgern, dass Gobio mit Barbus, Carassius, Cyprinus ete. eine Gruppe bildet, die einen gemeinsamen Vorfahr hat, wie das sich ja auch aus dem sonstigen Körperbau annehmen lässt. Schlaupitz, Kr. Reichenbach u. d. Eule, 1. Nov. 1893. Karl Knauthe. 768 An unsere Leser, An unsere Leser. Das Biologische Centralblatt beendet mit der vorliegenden Nummer seinen XII. Jahre gang. Redaktion und Verleger sind seit Anbeginn des Erscheinens stets "eifrig bestrebt gewesen, das Centralblatt einer immer gedeihlicheren Entwickelung entgegenzuführen und die Erfolge dieser Bemühungen sind auch nicht ausgebl ieben. Die Verbreitung des Biologischen Centralblattes ist heute eine größere, wie sie wohl ein anderes Fachblatt der biologischen Wissenschaften aufzuweisen haben dürfte. Der bevorstehende Beginn des XIV. Jahrganges gibt uns nun Veranlassung eine kKeihe von Aenderungen in der Herausgabe des Centralblattes eintreten zu lassen, dureh welche wir glauben, noch besser den Zwecken des Blattes zu dienen. Es soll zunächst eine Vergrößerung des Umfanges stattfinden, derart, dass zwar wie bisher jährlich 24 Nummern erscheinen, in gewissen Zwischenräumen aber einzelne dieser Nummern einen stärkeren Umfang erhalten, je nach der Fülle des vorhandenen Materiales, das in den letzten Jahren in immer steigender Menge uns zugegangen ist.. Die Umfangsvermehrung soll pro Jahrgang ungefähr 100 Seiten betragen. Des Weiteren von jetzt ab die einzelnen Nummern des Central- blattes beschnitten und in Umschlag geheftet erscheinen, wodurch wir hoffen den Wünschen unserer Leser entgegenzukommen. Freilich ist es nicht zu vermeiden, dass zugleich mit diesen Ver- besserungen auch eine geringe Erhöhung im Preise eintritt und zwar von 16 Mark auf 20 Mark. Es haben sich seit Gründung des Central- blattes die gesamten Herstellungskosten so wesentlich erhöht, dass jetzt, zumal bei der Vermehrung des Umfanges eine geringe Preissteigerung für uns eine Notwendigkeit ist. Hierzu kommt, dass das Centralblatt ursprünglich nicht auf "die Beigabe komplizierter Abbildungen berechnet war, im Laufe der Jahre an uns jedoch immer erhöhte Ansprüche auch in dieser Hinsicht herantreten. Wir haben denselben immer bereit- willigst entsprochen und hierfür keine Kosten gescheut. Wenn es je- doch auch künftig so bleiben soll, so bedürfen wir auch hierfür der kleinen Erhöhung des Abonnementspreises. Das Biologische Centralblatt bleibt trotzdem im Verhältnis das billigste unter den Blättern ähnlicher Richtung. Wir glauben somit die Hoffnung aussprechen zu dürfen, dass auch nicht Einer unserer bisherigen Freunde uns wegen der Preisänderung untreu werden wird, glauben vielmehr, dass die neuen Maßregeln zu einer noch gedeih- licheren Entwickelung und hiermit immer größeren Verbreitung des Centralblattes unter den Vertretern der biologischen Wissenschaften führen werden. Wir werden von jetzt ab durch die Vermehrung des Umfanges auch in der Lage sein, die uns zugehenden Beiträge schneller zu ver- öffentlichen als bisher und hoffen, dass uns dies außer unseren bis- herigen Mitarbeitern auch noch manchen neuen zuführen wird. Leipzig, 15. Dezember 1893. Die Verlagsbuchhandlung Eduard Besold (Arthur Georgi). Verlag, von , Eduard. Besold. (Arthur Georgi) in Leipzig. — Druck der Een bayer. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Hierzu eine Beilage der Renger’schen Buchhandlung, Gebhardt & Wilisch in Leipzig, betr. Brass, Atlas zur allgemeinen Zoologie und vergleichenden Anatomie. Alphabetisches Namen -Register. Agassiz 570. Albrecht 479, 483. Altuchow 25 fg. Ambronn 202. Andre 247. Apstein 330. Arnstein 444. Askenasy 635. Aubert 107. Balfour 128 fg. Ballowitz 625. v. Bär 72. Barclay 36, 504. v. Bardeleben 489. Barfurth 617. de Bary 650. Bauer R. W. 511. Bay 37. Bechterew 445. Bellevoye 246, 252. Belmonde 62. Belt 282. van Beneden 135, 285. Bergh 527. Bernard 215. Berthold 342. Biedermann 627. Bier 94. Birge 352. Bizzozero 238 fg., 634. de Blainville 342. Blanchard 757. Blochmann 10. Boas 733. XIII, Bobretzky 8. Bodenstein 371. Boettger 9. Böhm 523, 585. Bokorny 271. Bonnier 169, 264. Bordet 187, 212. Borgert 329. Bossingault 114. Boveri 285, 307, 410, 463, 508, 530. Braem 146, 311. Brandt 125, 403. Braune 285. Brown -Sequard 405, 411, Brücke 626. Büchner 151. Buczynski 432. Bülow 294. Burckhardt 427. Bütschli 11, 16, 224, 312. de Candolle 654. Capparelli 314, 495. Carter 120 fg. Castracane 542 fg. Chabry 297. Chaussier 36. Chun 306, 544. Claparede 234. Claus 432, 545. Cleland 3. Coen 443. Cohnheim 187. “ Colella 446. Comstock 509. Contejau 81. Cornay 345. Cunningham 554. Dana 545. Darwin 176, 397, 703. Decaux 113. Delage 317, 753. Dellavalle 130 fg. Detmer 167. Dineur 210. Dingfelder 423. Dohl 329, 468. Dreyer 329 fg. Driesch 146 fg, 296, 613, 656 fg. Dröscher 158. Dulk 263. Dybowski 120. 185,333 , Edelberg 635. Ehrenberg 223. Eisig 372. Eisler 490 fg. Ellenberger 639. Eltving 117. Emery 150, 189, 371, 397, 433. Engelmann 175, 209. Erlanger 7. Errera 117. Eschricht 38. Exner 544 fg. 4) 170 Alphabetisches Namenregister. Fiedler 124, 617. Heider 432. Korschelt 432. Field 753. Heincke 767. Kowalevski 8. Flemming 528. Hensen 321 fg. Krabbe 193 fg. Floquet 24. Herbst 14. Kraepelin 445. Fol 9 fg., 18, 536. Hermann 387. Krohn 144. Forel 39, 152, 280, 407, 414. Herrick 355. Kroyer 545. Dee 20,27 Hertwig 0. 14 fg., 285, Kühne 207 fg. Frank 578 fg., 653. 291 fg., 307 fg., 337, Kümmel 321. Frankland 170. 478, 525 fg., 613, 6ö6fg. Kunkel 204. Frenzel 238. Hertwig R. 14 fg., 288, a Ei en Lacaze - Duthiers 10. Froriep 4. Hochstetter 357, 494 BanleE Fürbringer 342. v. Höhnel 595. Lancreuse 496. Fusari 444. Hoter 185, 219. Lande 432. Holl 480, 485. Landois 39. Hood 607. Lang 289, 459. Gabaritschewsky 212. Huber 243. Laurent 120. Gage 504. Hudson 607. Lauterborn 94. Galton 333. Humphrey 479. Leber 211. Ganie 132. Hutchinson 743. Lecoq 123. Gaunersdorfer 580. Huxley 222, 345. Leist 169. van Gehuchten 440, 441. Hyatt 504. Leidy 293. Gegenbaur 11, 132 fg., 429. Leitgeb 648. Giard 132. Lespes 763. Giesbrecht 547, 570. Jacovicki 635. Leuekart 126. Giuliani 632. Jäger 94. Leydig 359. Gley 496. Jegerow 443. Lieberkühn 120 fe. 1168. Goebel 647 fg. Jensen 464. v.Linden, Maria (Gräfin) 81. Goette 120fg., 312, 3ö6fg. v. Ihering 4%. Lindner 467. Gosse 234, 607. Ihmori 118. Linne 247. v. Graff 293. Jijima 292. N 312. Grassi 758 fg. Imhof 233, 354, 607. Lister 626 fg. Grenacher 544 fg. Johannsen 37. Loeb 499. Grobben 144. Jourdain 11. Loew 273, 385. Gruber 219. Joyeux-Laffuie 10. Lode 626. Grünau 171. Julin 135. Lohmann 330, 468. Gürber 94. Jumelle 161 fg. Lockhart - Gillespie 436, Guignard 336. 438. Gulick 406. Lösener 449. Keller 97, 161, 193, 257. Lubarsch 211. Kennel 294, 336, 459, 527, Lubbock 39. Haacke 204, 337, 525, 719. 625. Lucae 479. Haberland 341. Kerner 86, 653, Lueiani 60, 179, 206. Haeckel 297. Kingsley 432. Ludwig 224 fg. Haceius 375. ' Klebs 641. Lundström 449 fg. Hallez 292, 312. Kleinenberg 80. Lutjanow 213. Hartig 537 fg. Kobert 387. Lwoff 40, 176. Hatschek 11, 238, 479. Köhler 635. Hedon 495 fg. Koken 720, 731. Macdonald 131. Hegler 267. Kölliker 312, 478 fg. Mac -Murrich 12. Alphabetisches Namenregister. Malbrane 372. Marchi 62. Marshall 124. Martius 479. Massart 187, 212. Maurer 358, 360 fg. Mayer 114, 547. Mayser 371. Mazzarelli 9. Meinert 231. Merrem 342. Metschnikow 185. de Meuron i0 fg. Meyer 445, 481. Mingazzini 632. Minkowski 497. Möbius 641, 653. Molisch 523 fg., 587 fg. Möller 282 fg- Mosso 634. Müller F. 413 Müller J. 537. Müller - Thurgau 646. Murray 545 fg. Nägeli 334. Nathusius 425. Nehring 766. Nitzsch 346. Noll 194. Nusbaum 356, 429 fg., 657. Nussbaum 149. Oddi 62. Oltmann 172. O’Meara 543. Ortmann 732 fg. Ott 293. Owen 343. Packard 432. Panasci 444. Parker 341, 562. Panum 38. Pasteur 742. Paterson 490 fg. Patter 547 fg. Pavesi 356. Peri 443. Perty 608. Petr 121. Pfeffer 98, 211, 267. Pfitzner 542 fg. Plateau 275 fg. Polansky 640. Pourfour du Petit 63. Prael 599 fg. Preyer 216. Priep 120. Prillieux 579 fg. Pruvot 8. Rabenhorst 543. Rabl 8 fg., 358. Ramon y Cajal 441. vom Rath 65, 239. Recklinghausen 187. Reess 523. Reichenbach 432. Reinhard 238. Rhumbler 466. Riehard 120. Riley 255. Rissmüller 262. Ritzema Bos 131, 244, 255. Roland 63. Römer 464. Romanes 713. Rosenthal 73. Rothert 176 fg. Roule 434. Roux 297 fg., 336, 539, 612, 656. Rückert 77, 389. Rudniew 358. Russel 447. Sachs 31, 641 fg, Sala 442. Salensky 126. Sandias 758 fg. Sanio 578. Sanson 425. Sarasin 11 fg., 363 fg., 562. Sars 545 fg. Schiller- Dietz 423. aa Schindelka 640. Schimper 258, 646. Schmid 479. Schmidt A. 632 1g., 673 fg. Schmidt L. 295. Schulze F.E. 1, 368, 504 fg. Schütt 322 fg. Schwalbe 491. Schwendener 193 fg., 266. Schwink 357 fg. Sedgwick 749 fg Seeliger 135. Seiller 366. Selenka 613 fg. Seligo 352. Semper 288, 545. Sernow 25 fg. Sgmingtone 442. Sibbera 38. Sirodot 646. Solger 366, 626. Spence 648, 706. Spencer 333, 696, 737. St. Hilaire 342. Stieda 476. Stokes 223 fg. Strasburger 172, 208, 341, 528. Sussdorf 640. Susta 158. Szezawinska 569. Tammann 655. Taylor 387. Temme 580 fg. Thaer 423. Theel 18. Thirolois 496. Thoma 187. Thompson 546. Todaro 631. Traube -Mengarini 30. Treceul 577 fg. Trimen 413. Ule 449, Ulianin 128 fg. Unger 523, 599. Urbanowiez 348. 49 * 702 Vallentin 554. Vanhöffer 467 fg. Vejdovski 123. Verworn 207 fg., 527, 539. Viallanes 563. Vialle 170. Virchow 626. Voigt 249. Vollenhofen 255. de Vries 272, 309, 334, 537. Wagner 168 fg., 287 fg., DAbrEE. Wallace 399, 413, 703, 716. Waller 448. Wasmann 39, 151 fg., 416. Watase 563. Weber M. 374, 590, 696. Weismann 65 fg., 186, 271, 2% fg., 331 fg., 389 fg., 126 25... 613 I 685 fg., 709 fg., 740 fg. Weltner 149. Wehmer 261 fg. Wend 255. Werner 81, 83, 415, 471, 571: Wiedersheim 428. Wieler 513. Wierzeiski 120 fg. Wiesner 176, 603. Wigand 578. Wilder 428, 504. Alphabetisches Namenregister. Wilhelm 425. Wilekens 420. Wilson 151, 298, 304 fg., 374,613 18. Wolff 281, 542. Wright 371. Wroughton 39. Wundt 213. Wüthrich 266. Zacharias 23, 155, 355. Zelinka 12, 224. Ziegler H. E. 11, 239, 358, 411, 416. Zykoft 119 fg. Alphabetisches Sachregister, x. Abranus brama 382. Acanthosoma 734. Acanthocystis flava 377, spinifera 377, turfacea 377. ‚Lcerina cernua 382. Acetes 734. Acinea grandis 379, lemnarum linguifera 379, simplexz 379. Acranthes 544. Aconitum Iycoctonum 195. Acroperus leucocephalus 380. Actinophrys sol 377. Actinosphaeridium pedatum 377. Actinosphaerium Eichhorni 377. Adaption, pflanzlicher Gewebe an Zug- kräfte 266 fg. A4eolosoma quaternarium 386. Aerophilus 276. Agave 469. .Agrostemma githago 179. Agrotis praecox 279. Atlanthus glandulosa 579. Akalephen 327, 467 fg. Akanthometriden 327. Alaimus primitivus 379. Alburnus lucidus 382. Aleiopiden 330. Algen, Fortpflanzung 642 fg. Allium cepa, Heliotropismus 179. Alona testudinaria 3831. Alonopsis elongata 380. 4Amara 255. 379, Ameisen, Lautäußerungen 29; Nester 280 fg.; zirpende und springende 189 fg. Amöben 185 fg., 206 fg.; A. proteus 377, verrucosa 377. Amphibien, Gerüche 88. Amphimixis 335, 685 fg. Amphioxus, Entwicklung 44, 78. Amphipoda (im Plöner See) 381. Amygdalus communis 579. Analauge 10. Anatomie, Lehrbuch von Rauber 32. Anergates 414. Anguilla vulgaris 382. Ankonschaf 409. Anodonta tumida 381, variabilis 381. Antischonum majus 653. Anuren, Entwicklung der Lebergefäße 356 fe. Anuraea aculeata 386, 607, cochlearrs 386, 610, curvicornis 380, heptodon 380, longispina 380. Anurida maritima 276. Aplı,sia, Urniere 9. Appendieularien 330. Apterostigma 283, Mölleri 285, pilosum 284, Wasmanni 234. Arachnomysis, Anpassung 571 fg. Arcella vulgaris 377. Arenaria abietina 169. Argulus foliaceus 381. Aromia moschata 88. Arzneimittel, Einfluss auf psychische Vorgänge 446. 7 774 Ascaris 307, bivalens 286, megalo- cephala 312, 336, 463, var. univa- lens 285. Ascomorpha agtlis 380, amygdalum 380. Asellus aquaticus 381 Asplanchna bryodonta var. helvetica 380. Astacus 432. Astasie 62. Asteromphalus 323 (Anpassung); 544. Asthenie 61. Asymmetrie, der Hemisphären 51. Atavismus, bei Pflanzen 268 fg. Atax crassipes 381. Ataxie, cerebelläre 61. Atmung, Einfluss der Wärme bei Pflan- zen 167; der Temperaturschwan- kungen 167 fg. Atmungsvorrichtungen, Tiere 83. Atonie 62. Atta coronata 2832, discigera 282, hystrix 282. Aulostomum gulo 379. Avena sativa, Heliotropismus 176 fg. Axona versicolor 381. Axolotl, Keimblätterbildung 46 tg.; Augen 711 fg. gepanzerter B. Bacteriastrum 323. Barbitistes serricauda 82. Batrachospermum 646. Bdelloidea 609. Becherzellen 366. Becken- und Schulter - Gürtel, Homo- logie 476. Befruchtung, defin. 335; B. 685 fg. Berberis vulgaris 171. Bentheuphausia 546, Bewegungen der Pflanzen 87 tg. Biophoren 340. Bipalpus vesiculosus 380. Blaps mortisaga, Geruch 88. Blut, Bedeutung für die Entwicklungs- geschichte 400 fg. Blutkörperchen, weiße, Verhalten zur Blutgerinnung 94. Blutlehre 632 fg., 673 fg. Blutwärme, Entwicklung 728. Bombinator igneus 356, pachypus 88. Sachregister. Bosmina coregoni 380, cornuta 380, longirostris 380, longispina 380. Brachymyrmex Heen 436. Brehm’s Tierleben 190 fg. Bressa’scher Preis 64. Brustbein, system. Bed. bei Vögeln 342 fg. Brutbeutel, Entwicklung 727. Bryophila muralis 279. Bufo viridis 88. Bythinia tentaculata 10 fg., 380. Bythotrephes longimanus 381. Ü. Caesaromysis hispida 733 fg. Cairius moschata, Geruch 87. Callidina parasitica 379. Calosoma sykophanta 88. Calotermes flavicollis 758 fg. Camponotus ligniperdus, rungen 39 fg. Campylodiscus 544. Canalis neurenterieus 79. Capulus hungaricus 9. Carabus, Geruch 88, auratus 276, 382. Caraganus arborescens 609. Carchesium polypinum 378, spectabile 378. Cardiocondyla 414. Cassidaria echinoptera 8. Castanea vesca 579. Castrada radiata 379. Cathypna laxa 610. Canthocamptus staphylinus 381. Centropyzis aculeatus 377. Centrosomen, Herkunft 285 fg., Be- deutung 336. Ceratium balticum 326, cornutum 378, fusca 326, hirudinella 378, labra- doricum 326, tergestinum 326... Cerebrospinalganglien 440. Ceriodaphnia (Cladocera) 354 fg.; (. pulchella 380. Cetonia durata, Geruch 88. Chaetocerus 323. Chaetogaster 295, diaphanus 379. Chaetonotus brevispinosus 225, hystrix 226, larus 233, maximus 226 fg., Schultzei 225, spinulosus 225. Chalcides 84. Lautäuße- Sachregister. Challengeriden 330. Chantransia 646. Characeen, Beziehung zu den Maränen 156. Charakterpflanzen 326. Cheiranthus Cheiri 653. Chemotaxis (Chemotropismus) 211. Chilodon ceueullulus 378. Chlorococcus infusionum 649. Chorda dorsalis 79 fg. Chromadora ratzeburgensis 379. Chromatinsubstanz 337 fg. Chromosomen, Beziehung zur erbung 336, 526. Chydorus sphaericus 381. Chiloscyphus 649. Cilix spinula (Mimikry) 279. Cinosternum odoratum 87. Circoporiden 330. Cladocera (im Plöner See) 380. Cladophora glomerata 158. Clavellina 135. Claviceps purpurea 266 Clepsine complanata 379, heteroclita 379. Closterium Lunula 652. Cneorrhinus albicans (Mimikry) 278. Cobitis barbatula 382, fossilis 382. Coeeidien, Klassifikation: Coccinella septempunctata, Geruch 88. Cocconeis 544. Codonella lacustris 378. Coelenteraten (im Plöner See) 379. Coelopus tenuior 380. Coleps viridis 378. Coleoptera (im Plöner See) 381. Colpoda 466. Coluber frenatus 412, oxycephalus 472, prasinus 472. Colurus uncinatus 610. Commissuren des Großhirns 442. Conochilus volvox 610. Copepoda (im Plöner See) 381. Coregonus albula 382, maraena 192, 382, Verbreitung 156 fg. Coriandrum sativum 179. Coronella austriaca 415. Corucia zebrata 476. Coseinodiscus 323 fg., punctulatus 543. Cosmarium Botrytis 652. Cothurnia erystallina 378. Cottus gobio 382. Ver- Craspedoten 327. Crassopus fodiens, Geruch 87. Crustaceen, Anpassung 327. Oryptobranchus 370. Ctenophoren 327. Cuceullanus elegans 312. Curvipes rotundus 381. Cuspidaria pterocarpa 514. Uyclamen europaeum (Vakuolenwand) 274. Uyclas 11. Oyclidium glaucoma 378. Uyphoderia ampulla 377. Uyclops fimbriatus 381, oithonoides 381, simplex 381, strenuus 381, viridis 331. Uyphomyrmezx auritus 284, strigatus 284. Uyprinoidea, Mopsköpfigkeit 766. Uyprinus carpio 363. 382. Uypris vidua 381. D. Daphnia hyalina 380, pellueida 380. Dasydytes longisetosum 227, saltitans 227 fg. Deckzellen 364. Dekapoden, der Plankton - Expedition 732 fg. Dendrocoelum punctatum 379. Dendrocometes paradoxus 379. Descendenz- und Vererbungstheorie 3I7 8: Determinanten, Verhältnis zu Biophoren 392 fg. Diaphanosoma Brandtianum 380. Diaptomus graciloides 381. Diatomeen, Anpassung ans Plankton- leben 323, Reproduktion 542 fg. Dichenia aprilina 279. Dicotyles torquatus 87, 94. Dideminum styliferum 130. Didemniden, Entwicklung 136 fg. Didemnum cereum 141 fg., gelatinosum 132. Didynium nasutum 378. Difflugia acuminata 377, constrieta 377, pyriformis 377. Diglena catellina 609, foreipata 609. Diglossa 276. Dinobryon divergens 377, sertularia 377, stipitatum 377. den 776 Dinocharis pocillum 380. Diplosoma Listen 130, spongiforme 130, Diplosomiden 131 fg. Distaplium magnilarva 130, 133. Dolichoderus bituberculatus 281 (Nest- bau). Doliolum 144. Dondersia bengalensis 8. Dorylaimus stagnalis 379. Dotterhautbildung 14 fg. Dreissenia polymorpha 159, 381. Drosera (Vakuolenwand) 275. Dryops 276. Reyneri 131, E. Echinoderes, system. Stellung 238. Eiweiß, Verhältnis zu Dotter Schale in Vogeleiern 511. Eledone moschata 80. Elektrizität, pflanzliche 204 fg. Embia Solieri 766. Encephalometer v. Sernow 25. Endothel der Blutgefäße 358. Energetik der Pflanzen 98. Entstehung neuer Eigenschaften 410 tg. Entwicklung der Blätter, Lichteinfluss Id. Entwicklungsmechanische Studien von Driesch 146 fg. Ephippigera vitium 82. Epilepsie, Vererbung 411. Epilobium angustifolium 653. Epistylis plicatilis 378. Ephydatia fluviatilis 120 fg., Mülleri 119 fg. Ergasilus 381. Erregbarkeit der Amöben (Tropismus) 212 fg. Esox lucius 382. Euchaetomera 569, 736. Euchlanis dilatata 610, triquetra 380. Euglena viridis 378. Eumeus 84. Euphausia 545, gracilis 549 fg., pellu- cida 549, 733, 736. Euphausiden 733 fg. Euplotes charon 378, patella 378. Eurias chlorana 279, Eurycercus lamellatus 380. und Sachregister. Evernia prunastri 165 fg. Exzessive Eigenschaften 418, Eybrychius aquatilus 361, velatus 93. Eyrythemora lacustris (= Temorella intermedia) 381. F. Facettenauge, Beziehung zum Sehen in großen Meerestiefen 544 fg., 555 fg. Fagus silvatica 171. Farbe der Hochseetiere 328. Fasciolaria trapezium 88. Faserstoffgerinnung 633 fg, 673 fg. Faunengebiete im atlant. Ozean 736. Fernwirkung, physiologische, Ursache 147. Fettpflanzen, Atmung und Assimila- tion 107. Fiber cibethecus, Geruch 87. Fische, Ernährung durch Mikroorganis- men 155 fg Flatterhäute 471. Flechten, Gaswechsel 161 fg. Fliegende Fische 327. Florengebiete (Florenreiche) und -Pro- vinzen der Hochsee 315. Floscularia campanulata 379, muta- bilis 379, regalis 607. Formbildungstheorie 296 fg. Formicoxenus 414. Fortpflanzung, der Pflanze, Einfluss des Lichts 641, durch Teilung, Knos- pung 458 fg. Fragilaria 544. Fritillaria 330. Frühreife, von Haustieren 425. Funaria hygrometrica 646. Furchung 301 fg. Furchungszellen, Spezifikation 612 fg., 656 fg. Fureularia aequalis 380. Fußspurenzeichnung 60. Futteränderung bei Insekten 255. %. Galictis, Gerüche 87. Galvanotropismus 209 fg. Gammarus pulex 381. Gasteropoden, Embryologie 7; G. im Plöner See 381 fg.; Litteratur 13. Sachregister. Gasterosteus pungiceus 382. Gastrochaeta ciliata Grimm, system. Stellung 234. Gastrotricha, Organismus 223 fg.; @. (im Plöner See); @., System 235. Gastrula eircumcreta 312. Gastrulation, Begriff 43. Gaumenbein, systematische Bedeutung bei Vögeln 345. Gefäße, Innervation 444 (sefäßverstopfung, Entstehen 577 tg., Vorkommen 584 fg. Gehörswahrnehmungen der Ameisen 40. Gemmulae, Bau und Entwicklung bei Spongilliden 119 fg. Gentiana verna 169. Geologische Verhältnisse, Beziehung zur Organbildung 721 fg. Geometra papilionaria 279. Geophilus maritimus 276, submarinus 276. Geotaxie 176. Gerda fixa 378. Gerüche, tierische 86. Geschlechtscharaktere 399 tg. Geschlechtsdimorphismus 413 fg. (seschmacksnerven, Endapparate 444. Gifte, Verhalten der Pilzsporen gegen G. 2069 1R. Giftwirkungen, 385 fg. Gigantiopsis destructor IR. Giraffe, natürliche Zuchtwahl 716. Glaucus 327. Gleditschia triacanthus 579. Glenodinium acutum 378. Gobio fluviatilis 382, 767. Gonoptera lipatrix 279. Gonyosoma, Konvergenz 472 fg. GFordius aquaticus 379. Gossleriella 326. Gregarinen, Klassifikation 632. Gummosis 579 fg. Gyrator hermaphroditus 379. Gyrinus natator 88. natürliches System H. Haare, Ursprung 360 fg. Haarkleid, Entstehung 725. Halias prasinana 279, quercana 779. Halobatiden 468. Halacarinea 468. Halacarus capueinus 470, lamellosus 471, pulcher 471, rhodostigma 470, spinifer 470. Halosphaera 325. Haplochlorophyten 324. Harpalus aeneus 256, ruficornis 255. Hautausschlag der Knochenfische, Be- ziehung zu den Haaren 363, 373. Hautdrüsen, Entwicklung 362 fg. Hautparasiten bei Fischen 23 fg. Haut, Permeabilität 30; H., „Verbren- nen“ 498 fg. Hautsinnesorgane, Zusammenhang mit Gehörapparat 371 fg., mit Haaren 359 fg. Heliotrichum 324. Heliotropismus 176 fg., 208, 448, 512. Heliozoa 377. Helix Waltonia 11. Hemidasys Class 234. Heterocope appendiculata 381. Heteropoden, Anpassung 327. Hieracium pilosella 171. Hochseeplankton 736. Homologie der Gliedmaßen bei Säuge- tieren und Menschen 476 fg. Horizontale Verbreitung größerer Plankton - Organismen 328. Hornbildungen als Konvergenzerschei- nungen 473 fg. Hudsonella picta 380. Hyalodaphnia cristata 3380; H. eweul- lata 380; H. var. kahlbergensis 380; H. var. vitrea 380. Hydra fusca 379; H., Knospungsvor- gänge, Verhältnis zur Keimblätter- lehre 289. Hydrangea Otaska, scheinungen 204. Hydrachnidae (im Plöner See) 331. Hydrodictyon utriculatum 645. elektrische Er- J. Janthina, Anpassung an d. Hochsee 327. Ichthydium 223 fg. Ichthyophthirius eryptostomus 23 fg. Iden, Idanten, Beziehung zur Ver- erbung 392 fg. “18 Idioplasma 334; Id. Nägeli’s 334, 338. Idus melanosus 382. Tlex buxifolia449, congonhinha 450 fg., europaeus 578, peduncularis 450, pseudobuxus 450, sapitofolia 450, theezeus var. acrodonta 450, Vor- kommen von Domatien 449 fg. Immunität, Vererbung 402. Inanition. Einfluss auf das Nerven- system 445. Infusoria (im Plöner See) 378. Innervation der Gefäße 443. Insekten, Geruch 88. Instinkt, Entstehung 416. Intelligenz und Instinkt 151 tg. Inzucht 406. Iris aurea 270, germanica 270, pallida 268. Isopoda (des Plöner See) 381, Embryo- genie und Histogenie 429 fg. Jungermannia biscuspidata 649. K. Kalksalze, Bedeutung für die Pilanze 258 fg. Karpfen, Nahrung 158. Keimbezirke, organbildende 146 tg. Keimblätter, Bildung 40 fg., 76. Keimplasma, Beziehung zur Vererbung 331 fg., 389 fg., 685 fg., Variation 404 fg., 453 fg. Keimzelle, Bildung 461 fg. Keronia polyporum 378 Kleinhirn, zur Physiologie 60. Knochenfische, Keimblätter-Bildung 48. Koffein, Reagenz auf Albumin zur Darstellung der Vakuolenwand 274. „Kohlrabihäufehen“ in Ameisenrestern 283 fg. Konvergenz -Erscheinungen im Tier- reich 471 fg., 571 fg. Korrespondierende Formen der Hoch- seeflora 326. Krebse, Larvenformen 734. Küstenplankton 736. L. Lacerta, Keimblätterbildung 77. Lacrimaria olor 378. Lagenophrys ampulla 378. Lamellana perspicua (Mimikry) 277. Sachregister. Lamellibranchiaten, Plöner See) 381. Lasius fuliginosus 281. Latreutes ensiferus 734. Laubblätter, Entleerung vor dem Ab- fallen 201 fg. Laubmoose 646 fg. Leander tenuicornis 734. Lebergefäße, Entw. bei den Anuren 356 fg. Lebermoose 648 fg. Leitpflanzen 326. Lepidoderma 225, 379, ocellatum 380, squamata 226 fg. Leptocephalus 327. Leptoclinum fulgidum 278, glutinosum 278. Leptodora hyalina 381. Leptophrys vorax 377. Leuchtorgane, Bez. zum Sehen in großen Meerestiefen 544 fg. Leueiscus rutilus 158, 382. Leukoeyten 187. Licht, Einfluss auf Pflanzen 168 tg., 512, 641 fg., auf Tuberkulose 501 fg. Ligia oceanica 429 fg. Limnaea auricularia 381, ovata 381, palustris 381, stagnalis 381. Limnesia maculata 381, undulata 381. Lymnochlide flos aquae 322. Limnophilus rhombicus 82. Liometopum microcephalum , 281. Lionotus anser 378. Litodactylus leukogaster 93. Litteraturverzeichnisse, Art der Ab- fassung naturwissenschaftlicher L. 753 fg. Lobus praefrontalis 446. Lobelia Erinus 654. Locusta viridissima 82. „Lokalformen“ von Hochseepflanzen 326. Lophocolea. bidentata 649. Lota vulgaris 382. Loxophyllum meleagris 378. Lucernaria (Mimikry) 277. Lueilia sericaria 416. Lumbricatus 294 fg., variegatus 379. Lungen, Entw. 724. Luperina vireus 279. Urniere 11, (im Nestbau Sachregister, M. Magen, Bakterien 436 fg., Verdauung von Proteinen 438. Magnesiumsalze, Bed f. d. Pflanze 260 fg. Majo Squinado, embryonale Entw. 348 fg., 432. Makronychus 276. Makrostoma hystric 379. Mallomonas acaroides 378. Männliche Brutpflege 730. „Massenformen“ der Hochseetlora 326. Mastigocerca carinata 330, capucina 380, scipio 380. Mastigophora 377. Mastogloia 543. Medusettiden 330. Melicerta Janus 607. Menopoma 370. Mermis aquatilis 379. Mesostoma Ehrenbergii, Eier 292; M. viridatum 379. Mes lodaphne sassafras 524. Metagenesis, Entstehung bei Tunicaten 126 fg. Metopidia lebadella 330, ovalis 380. Mieralymna 276. Microstoma 291 tg., giganteum 379, lineare 293, 379. Mikronukleus bei Ichthyophthirius 24. Milchdrüsen 729. Mimikry 277. Mineralische Nährstoffe der Pflanzen 2azufe. Miszellen, zoologische 83. Molge cristata 88. Moma orion 279. Monomoria destructor 435, floriola 435. Monomorium Pharaonis (Pharao- Ameise 244 fg., 435. Monopyleen 327. Moose, Einfluss des Lichts auf die Fortpflanzung 645 fg. Morelia argus 87. Moschus moschiferus, Geruch 87. Muskeltonus 66. Mycetomyxza Zopfiü 377. Myogala moschata, Geruch 87. Myırmica ruginodis, Schrillorgan 40. Myrmiciden 40. caudatum 293, Mysiden 733 fg. Mysis (Mimikry) 278, 432, 569. Mysxosphaera 329. N. Nähte, des Schädels, Verh. zu den Windungen 26, 51. Nais 295, elinguis 379. Nandus 728. Nassula ornata 378, persicinum 378. Naturauslese (Selektion) Rolle und Wirkungsweise 417. Naturwissenschaftliche Abhandlungen, Art der Abfassung 317. Nautilograpsus minutus 734. Nematodes (im Plöner See) 379. Nematoscelis 546 fg., mantis 556, ro- strata 547 fg. Nephelis octoculata 379. Neptunus Sayi 7134. Nervenendigungen der Chromatophoren 630, der Haut 367 tg. Nesaea luteola 381, nodata 381. Neritina 10, fluviatilis 381. Nestor, Eigenschaftsänderung 418. Nomenklatur, Bezeichnung der Lage und Richtung im Tierkörper 1, 504 fg., biologische 33 fg., Litteratur 37 fg. Notholka acuminata 380, labis 608, longispina 610, scapha 608, 610. Notommata brachyota 380. Nyetiphanes 546, norwegica 594. v. Oecophylla smaragdina (Nestbau) 281. Odontomachus hämatodes 190. Oedogonium diplandrum 652. Oicopleura 330. Oligochaeta (im Plöner See) 379. Oncidium celticum 10. Oniscus murarius 429 fg. Ontogenie, Verh. zur Regeneration 237 fg. Ophisaurus apus 8). Ophrydium Eichhorni 378. Orientierungstorsionen der Blätter und Blüten 193 fg., Ursachen 198. Orosphäriden 330 Orthagoriscus 327. 80 Orthotrichum affine 166. Öscillariaceen (im Plankton) 324. Ostracoda (im Plöner See) 381. Ovibos moschatus 88. R. Pachycondyla flavicornis 190. Paludina vivipara 10 Pandorina morum 378. Pankreas, Aufbewahrung und Zube- reitung des P.-Saftes 314 fg. Pankreasdiabetes, experimenteller 495 fg. Panmixie 709. Pangenesis von de Vries 334. Panzertiere 83 fg. Papilio Merope, Polymorphismus 413, turnus 413. Paramaeecium aurelia 3718. Parapodopsis 432. Paraponera 1%. Parmula Browni 119. Pedosphenia 543. Pelagia 467. Pelobates fuscus 88. Penthiana pruniana (Mimikry) 279. Perca fluviatilis 332. Peridineen 324. Peridinium tubulatum 378. Periploea graeca 579. Perlorgane 363. Peronema trichophorum 378. Peronospora viticola 266. Pertusaria communis 163 fg. Petromyzon, Keimblätterbildung 45. Petunia 653. Pflanzenasche, Analyse 262 fg. Pflanzenozeanographie 325. Pflanzenphysiologie, Abhandlungen 31. Pflanzenphysiol. Fortschritte 97 fg., 161 fg., 193 fg},! 2BVHE: Pflanzenwachstum, Einfluss der Phos- phaternährung 382 fg. Pflanzenwelt der Hochsee 323. Phacus pleuronectes 378. Phagocytismus 187. Phakotus lenticularis 378. Phalaris canariensis, Heliotropismus 176. Phaloenia thymiaria 279. Sachregister. Phäodarier 330. Pharao-Ameise, Verbreitung 248, 435. Pheidole megacephala 435. Philodina aculeata 379, eitrina 609, roseola 379. Phlogosine Leber’s 211. Phosphorescenz 327. Photographie, Anleitung 256. Phototropismus bei Protisten 209. Phryganeiden (Selbstverstümmlung der Larven) S1. Phykomyces nitens A117, 174. Physalia 327. Physcia ciliaris 164 fg., parietina 163 fg. Physophora 327. Phytophthora infestans 266. Pigmentzellen, Bewegungserscheinun- gen 625 fg. Pilzgärten der Ameisen 282. Pilzsporen, Verhalten gegenGitte 265fg. Piratinera quianensis 524. Pisces (im Plöner See) 382. Piscicola 379, geometra 379. Pisidium nitidum 381. Plagiophototaxie 173. Plagiophototropie 175. Plagiostoma quadrioeulatum 379. Pianaria fusca 379. Plankton 157; P.-Expedition, Reise- beschreibung 321 fg., 467 fg. Plantoniella sol 323, 326. Planorbis carinatus 381, corneus 381. Pleuroxus truncatus 381. Plexus brachialis 447. Ploima, Vorkommen 609. Plöner See 93. 377 fg. Pluteus 305. Pocken 375 fg. Polkörper, Beziehung zurVererbung 525. Polyarthra platyptera 609. Ponera punctatissima var. androgyna 404, 414. Polyceles nigra 379. Polyommatus Phaeas 692. Polyphemus pediceulus 381. Polypodium aureum 649. Polyrrhachis jerdoni (Nestbau) 281. Pompholy& sulcata 380. Porcellio scaber 434. Porphyroleuca 648. Postgeneration 612, 656 fg. Sachregister . Potamogeton (crispus u. natans), Bez. zum Laichgeschäft 156. Prenolepsis longicornis 435. Primula sinensis (Vakuolenwand) 274. Processus uncinatus der Vögel 342. Prorodontes 378. Proteus, Panmixie 709. Protocephalozia ephemeroides 648. Protopterus annectens, Nervensystem 427 fg. Protuberantia oceipitalis interna, Verh. zur externa 27. Prunus avium 578, domestica 579, spt- nosa 579. Pseudalius inflexus, schichte 321 fg. Pseudopus Palasii 366. Pteris ceretica 650. Pterodina patina 380, truncata 380. Puccinia graminis 266. Pyrocysteen 324. Pyrosoma 144. Pyxilla 534, baltica 323. Entwicklungsge- Q. Quercus pedunculata, Elektrische Er- scheinungen 205. R. Radiolarien 327. kamalina farinacea 163, fraxinea 164. Rana temporaria (Entw. der Blutge- fäße) 357, Pigmentzellen 628. Raphidiophrys pallida 377. Regeneration 453 fg., 612 fg., Begriff 299 fg., 656 fg., Verh. zur Ontogonie 287 fg. Reptilien (Geruch) 87, Konvergenz- erscheinungen bei baumlebenden R. 475. Rhabditis nigrovenosa 312. Rhacophorus reinwardtü 475. Rhamnus cathartica 579. Rhamnusium ambustum 413 fg. Rhizopoda 377. Rhodeus amarus 373. Rhombognathus pascens 469, setosus 468, Rindenzellen 365. Rindenzentrum des vesicae 445. 413, salicıs Sphineter ani, s1 Rippen, der Vögel, system. Wert 342g. Rizosolenia 323, semispina 323. Robinia 524, pseudacacia 196. Rotatoria (im Plöner See) 379, 607 fg. Rotifer vulgaris 379, 609. Rozites gongylophora 283. Rückschlagserscheinungen, bei pallida 265 fg. Risselkäfer (wasserlebende) 93. Iris S. Saccharum offieinarum 605. Sacculus, system. Stellung 234. Saga serrata 82. Salamandra maculosa 88. Salpingoeca minuta 378. Sargassum 325, S.-Bewohner 734. Säugetiere, Entstehung 719 fg., der Hochsee 329. Saugscheiben, als Konvergenzbildung 475. Saxifrayga moschata 169. Scardinus erythrophthalmus 158, 382. Scaridium longieaudatum 380. Schädel, system. Bedeutung bei Vögeln 344 fg. Schenkelporen der Eidechsen 374. Schilder- und Schuppenzahlen, Korre- lation bei Schlangen 91. Schizopoden d.Plankton-Expedition732. Schwarmbildung der Plankton - Orga- nismen 328. Schweißdrüsen 727. Schwimmhäute 474. Sceincoiden 84, Sehen in der Tiefsee 544 fg. Seitenorgan, Zusammenhang mit Ge- hör 371. Selachier, Keimblätterbildung 76. Selbstverstümmelung bei Tieren 81 fg. Semimorula 303 fg. Sensibilität der Amöbe 214 fg. Seps-Eier, Entwicklung 632. Sergestes arcticus 733 fg. Sergia 734. Sida erystallina 380. Simocephalus vetulus 380. Siphonophoren 327. Sirella Thompsoni 733. Sitz der Seele 218. > 782 Solenophrya crassa 379. Solenopsis geminata 4536. Sorbus aucuparia 579. Sorex murinus (Geruch) 87. Speciescharaktere, Wesen 399 fg. Sphaerechinus 303 Sphaerium corneum 381. Spirogyra majuscula 260, Weberi 652. Spirochona gemmipara 378. Spongilliden, Gemmulae 119. Sporozoen 632. Squalius cephalus 158. Staurophrya elegans 379. Stenostoma leucops 293, 379, unicolor 379. Stentor coeruleus 378, niger 378, poly- morphus 378. Stielaugen, Leuchtorgane 548 fg. Striatella unipunctata 542. Strombidium turbo 378. Stylaria lacustris 379. Stylocheiron abbreviatum 557, longi- corne 546 fg., mastigophorum 557 fg., Verbreitung 733 fg. Stylonychia mytilus 378. Sympathieuszellen 441 fg. Synaseidien, Entwicklung 126 fg. Synchaeta grandıs 380, pectinata 380, 609, tremula 380. Synedra thalassothrix 323, 326. Synura wvella 378. T. Tagfalter, Mimikry 279. Talgdrüsen, Entstehung 725 fg. Tamandua didactyla, Geruch 87. Tapinoma melanocephalum 435. Tastsinn, Verhältnis zur natürlichen Zuchtwahl 696 fg. i Taxus baccata 171. Teredo 11. Termes lueifugus 758 fg. Terminologie 1, 33, Bemerkung zu Schulze’s System 504 fg. Termitengesellschaften 758. Tetramorium auropunctatum 435, gui- neense 435, simillimum 435. Thalassicollae 327. Theora plicata 380. Thermischer Tetanus der Amöben 207. Sachregister. Thermotropismus der Amöben 208. Thyllen, Ursache von Verstopfungen bei Pflanzen 515, 523. Thysanoessa 546, 555, gregaria 556, longicaudata 733 fg. Thysanopoda 546. Tigmotropismus, negativer und posi- tiver 207. Tinca vulgaris 382. Tintinnen 327. Tomopteriden 330. Tophrocampa, system. Stellung 234. Topographie, craniocerebrale 25, 50. Tortrix viridana 279. Trachelius ovum 378. Triarthra longiseta 609, var. limnetica 380 Trichodermium 322 fg. Trichodina pediceulus 378. Trichomanes 650. Trifolium alpinum 169. Trimeresurus formosus 473, gramineus 473, Wagleri 473. Tripyleen 327. Trochospongilla 121. Trochophora 238. Tropaeolum majus 179, 653 fg. Trophische Funktion des Kleinhirns 62. Tropidonotus 87. Tulipa (Vakuolenwand) 274. Tunikaten 327, Metagenesis 126 fg. Turbellaria diploblastica 292; T. (im Plöner See) 379. Turbonella Schultze 234. Tusearoriden 330. erinaceus, (Gemmulä U. Ulothrix zonata 642. Umbildungen des Organismus 720 fg. Umbilicaria pustulata 163 fg. Untertauchen luftatmender Tiere 275 fg. Uredineen, Verhalten gegen Gifte 266. Urniere der Gasteropoden 7 fg. Uroleptus piscis 378. Ursprung des Lebens 216. Urzeugung 341. Uroglena volwox 378. Ustilagineen, Verhalten gegen Gifte 266. Sachresister. ” Vaceinium Myrtillus 169, uliginosum 169, Vitis Idaea 169. Vakuolenwand der Pflanzenzellen 271. Valvata 10. Vanessa prorso -levana 692. Variolo - Vaccine 375 fg. Vaucheria 174, 642 fg., sessilis 651 fg. Vegetationsbilder 326. Vellejus dilatatus 416. Velletia lacustris 381. Veratrum album 605, nigrum 605. Vererbung 65 fg., 331, 389, 397, 410 fg., 420 fg. 423 fg., 525, 685, 690, 719, 766. Versehen Schwangerer 72. Verstopfungen in Pflanzengefäßen 513 fg., 586 fg. Vesperugo discolor, Geruch 87. Vieia faba, Heliotropismus 179. Viola, Orientierungsbewegungen 201 fg. Virbius acuminatus 734. Virgilia lutea 579. Vivipara vera 3831. Viverra, Geruch 87. Vögel, Morphologie und Systematik 342, der Hochsee 329. Volvox globator 378, photometrische Bewegungen 172. Vorstufen des Lebens 179 fg.. 206 fg. 785 Vortex coronarius 379. Vorticella brevistyla 378, chlorostigma 373, convalaria 378, nebulifera 378, vaga 464 fg. W. Waitoteke, männl. Brutpflege 730. Widerstandsfähigkeit der Pflanzen gegen Austrocknen 264 fg. Wistaria 196. Würmer, Anpassurg an die Hochsee 327, (im Plöner See) 379. X. Xanthotrichum 324. Xanthoxylon fraxineum 579. Zabrus 255. Zahlenformen der Hochseeflora 326. Zamenis, Artenaufzählung 92. Zellteilung, Arten 338. Zellvermehrung und Zellersatz 238 fg. Zostera oceanica 543. Zymoplasma 411 fg. Zuchtwahl, natürliche, Unzulänglich- keit 696, 706 fg, 737 fg. NINE: Be ats EB eu Dune) oe Area RT iiormianien Alla N KIRTDRELE SE 247 Be: Re } Par IE ö N PO TnE ana re a u Bee 37 aaa. As R far Bro airR 12292 ern Ber Nr re ao m Ar ginn Bent, arten KR ei ee ST" A Ur X WA TED 4 at rat Da ET YE , SUBSTT, a ‚nd Ku ehe N ie Bee Bi FE, x“ ZU PP 2 er Kah Suse negen eh eyihsuntetch EINE PEN eh ar. tie Vale nina lageiarlloN ei ' „RL ee Sc zahlt es BEE. dat at 0 Ma A 12 h ii f eg De „a8 nl '< ‚auiB8 ss ar or PER 5 IRRE. a Br en 5 i£ ki, Bi: USER BZ f Ne TAREHER er . Saale ‚ea, wrllsinuckk Auer 2 oh 2X ELLE sh baneanlnala? aresnılat BR PEN TEN SUNG veant ‚er dTE. lo ce a I Be 35% sehlidenoltarauet. En inkai ai Oh rn une vorn „ jr BR Eee at ER & N Trorgm ano AsılanaY e rg wi ns gta u KO: ar RR Be Hemei) alu wine. 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