fen TER rg Enge anna nun ug: an n « ucn aaa rege Pr% unge ine klar De Be Eee EEE PRESSEN DREI TEN TREE RURNEARIORFHRR a B r Er & b S N DEN Te rs Ei eng tet tmng . r raue ha A ir no PONTE EIER EN Pre Er PER ETDBTEN Ba A AITER 1 SETSTE SATTE) BAD BERN WEINE aan e i i - nd en Sum .r - ’ u R ES ln FFIR 4 MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY, [ne — Received Accession No. *,* No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratory without the permission of the Trustees. $ wr S 2» er Biologisches Centralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Professor in Erlangen Professor in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. kehtrzehnter Band. 1898. Mit 80 Abbildungen. Leipzig. Verlag von Arthur Georgi. 1898. EN RK. b. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Fr. Junge (Junge & Sohn) in Erlangen. Inhaltsübersicht des achtzehnten Bandes O = Original, R = Referat. Seite v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung, II O . 4 v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht die sogenannten Urnieren der Gasteropoden O 11 Emery, Instinkt, Intelligenz Sr ng ar ERIC, 47 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen ei A Ei poden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung O0. . . . 2... .,3...24, 33, 69, 113 Bogdanoff, Ueber das Vorkommen und die N der eosinophilen Granulationen O . 26 Rauber, Lehrbuch der Menue Er he IR 31 Häcker, Pelagische Polychätenlarven O gps N 3 Simroth, Ueber die mögliche oder wahrscheinliche He der ınetrie der Gastropoden 0) ug 54 Ritzema Bos, Zur Lebensgeschichte des Maufees o - “1.68 Laloy, Die ungeschlechtliche Fortpflanzung bei den Fran anen h) 11:0 Simroth, Ueber die Bewegung der Lungenschnecken, ein Wort der Ent- gegnung 0) SUR 86 Eisler, Zur Frage der ER 0": 92 en Ueber Modderula hartwigi Frenzel, — Modderita Bar wige — Achromatium oxaliferum O0... .. > 99, 3 Chun, Die Beziehungen zwischen dem arktischen Ka a eben een ur ah h DIET IE R 98 Migula, System der Baktones Handhsich 1a Wir olesre, Kutwick- lungsgeschichte und Systematik der Bakterien R. le BAR Fischer, Vorlesungen über Bakterien R . x 104 Ecker’s und Wiederheim’s Anatomie des Hrosches, au Erna eilanen Untersuchungen durchaus neu bearbeitet von Dr. Gaupp R 104 v. Wagner, M. v. Bocks Behauptungen über die Beziehungen von Tei- lung und Knospung im Tierreich OÖ. 130 Ortmann, Ueber Keimvariation O a 139 N Uutersuchungen über die Sn aslgehene von Paludsen Mumara B,. on INNERE 497 Auerbach, Zur ehren ehe Ks steile; Sanenfiden von a vivipara R hiht: 157 Zacharias, Mitteilungen über Atheya Zara Br un. 2; Bu N Zach. O h 4 hs 161 Zacharias, Zur Kenntnis der Disomsonkora von Beten Ö 166 Imhof, Dos der Seen R Hy: 169 Lauterborn, Ueber die zyklische em anane Tmmeishhen REN ö 173 Sabussow, Zur Histologie der Geschlechtsorgane von Triaenophorus » nodulosus Rud. O end el Heidsalge® 183 v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ nnd „Epigenese* OÖ i 188 Verhandlungen des internationalen medizinischen Kongresses in Moskau 192 IV Inhaltsübersicht. Seite Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, eine Antwort an Herbert SPRenLCerL.R... . ua, 203 Dahl, Der Maulwurf R. 208 Deutscher Verein für öffentliche ER Ä 206 Belajeff, Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den eh gamen und den CUryptogamen im Lichte der neuesten Forschungen O0 209 Apäthy, Die Halsdrüsen von Hirudo medieinalis L, mit Rücksicht auf die Gewinnung des gerinnungshemmenden Bökreta 0 218 Gräfin M. v. Linden, Neue Untersuchungen über die Entwicklung der Schuppen, Farben und Farbenmuster auf den Flügeln der Schmetter- linge und Motten RO... 229 Baur, Ueber die chemische Theorie der: lebendigen Stihetanz 0 239 Keller, Biologische Studien O . . LEGE 241, 545 Keller, Fortschritte aufdem Gebiete det Pflänkenpiysiblogie und -biologie R 245, 668, 689 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai und eine mutmaß- liche Homologie der Haare und Zähne O. 3 257 Zykoff, Ueber die Bewegung der Hydra fusca L. o 270 Giesenhagen, Ueber die Forschungsrichtungen auf dem Gebiete der Pflanzenmorphologie R 273 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihte Entstehting the Vermehrung 0 286 Bachmann, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön R 299 Bäuer, Ueber das Doppelei des Haushuhnes OÖ . 304 Händbuch der Anatomie R. ; : 304 Küster, Zur Kenntnis der Bicrhois 0 29 2UB Hirth, Energetische Epigenesis und Episenehinche Endfpteförhen ins- besondere Merksysteme und plastische Spiegelungen R . . .. 311 Trautzsch, Die geographische Verbreitung der Wirbeltiere in der Grön- land- und Spitzbergensee, mit Berücksichtigung der Beobachtungen Nansens.0 HEOSSHRBIBN BT Pieffer, leonlapie Ein Händbneh Kor Töltei vom Stoffwechsel und Kraftwechsel in der Pflanze R . Ä 1 33) Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolbwiiem 0. 337 Kohlwey, Arten und Rassenbildung R . j 317 Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte R 380 Krüger, Kurzes Lehrbuch der medizinischen Chemie mit Einkchllins dr medizinisch-chemischen Methodik R . al, 384 Lidforss, Zur Physiologie des pflanzlichen Zeükeres Ri. 385 Orschansky, Ueber die Erblichkeit R 386 Tscehugunow u. Anikin, Ueber die Karride der Wirbelsäule R 396 Lorenz, Lehrbuch der Bekien wissenschaftlichen Genealogie R 402 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge R . . . . . 409, 444 Bilonitzt Gerloff, Professor Plateau und die Blum enchöorte 0 417 Merk, Vom Fett im Allgemeinen; vom Hautfett im Besonderen OÖ . 425 Brunner v. Wattenwyl, Betrachtungen über die ge der Insekten R IR SER URRPTVABG Delage, La structure du Prkapia sinn e: a Ehlokos sur . PHeredit6 et les grands problemes de la Biologie En Ri, ‚459 Ai1ebp Entgegnung 0,0%, > nnd 4 REN 465 Inhaltsübersicht. V Seite Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? R 469 Brandt, Das Hirngewicht und die Zahl der peripherischen Nertbhfäsem in ihrer Beziehung zur Körpergröße OÖ. h 475 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Netvensleihkiiten R 188, 536 Mez, Mikroskopische Wasseranalyse R . ’ 507 Wiesner, Elemente der wissenschaftlichen Botanik R i . 509 Silvestri, La fecondazione in una specie animale fornita di Sperinatdeet immobili R . 510 Behrens, Tabellen zum Eepiakch. bei miltfosköpigcheni "Arbeiten R. IT Helm, Katalog der Vögel Badens R. 512 Peck and Harrington, Observations on the Plankton ofPüget Sonhd 0 913 Zimmer, Ueber tierisches Potamoplankton O 522 Schröder, Planktologische Mitteilungen O 525 France, Der Organismus der Craspedomonaden R 2 PRESSEN EDER, Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen 0 .... . 552, 808 Nusbahi, Zur ne des Misodektis! bei dan parasi- tischen Isoppden O*. "N, *. R AT; Duncker, Bemerkung zu dem Aufkete von ©: c. Bampua: „The Varia. tions and Mutations of the Introduced Littorina“ O. k 569 Zukal, Die Ceratifikation (Verhornung) bei Myxomyceten und Myk6: bakterten Orr Aa 8% RR ba rege 573 Wasmann, Eine neue Reflextheorie A Ametssnikpank o ala 578 Cohn, Die willkürliche Bestimmung des Geschlechts R . 589 Schäfer, Die Vererbung R B 590 Trautzsch, Stammbürtige Blüten ihre Adiliegen R. 590 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte 594 Preisausschreibung . : 592 Jacobi, Die Resnltate der Adttebtän Borkthtinzeti fiber den Ort nd ir Bedingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze O . { 993 Ihle, Ueber die Phylogenie und systematische Stellung der Pintopetibd 0 603 Bel nater. Beiträge zur Kenntnis der Mundteile der Hymenopteren. I. Apidae R j 609 v. Bock, Zur Abwehr u Prof Bi von a o 614 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen O . 5 625 vom Rath, Können bei Säugetieren die Geschwister desselben Warten von verschiedenen Vätern abstammen? O0 . 637 Samassa, Bemerkungen über die Methode der Selssinhden u lungsgeschichte 0. _. nl aan 6 Nagel, Ueber flüssige Sirahlenfikter 0 649 Jayne, Skelett der Katze R. . . . 656 Kathariner, Werden die fliegenden Skenakteklingen von 1 Vögeln derfaheer 0 680 Stieda, Einige Bemerkungen über die Homologie der Extremitäten 0 . 682 Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen R . 2 687 Simroth, Nachträgliche Bemerkung zu dem Aufsatz „über die liche oder wahrscheinliche Herleitung der Asymmetrie der Gastropoden* O0 695 M. v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei ne häusen O, 697 Apäthy, Boah ngan zu Garnomal? 8 Dale meiner Dehes von den leitenden Nervenelementen 0 VI Inhaltsübersicht. Seite Zacharias, Ueber einige interessante Funde im Plankton sächsischer Fischteiche O . . . 714 Zschokke, Borsehmenberichte aus lan hiolowiaclen Senken; zu _ Plön R 718 D,ubois,.Verglaichende Physiologie... tr. 104 Sea nern ir ars a l2D Professor Dr. Theodor Eimer O1 Tata RN Hansen, Die Energidenlehre von Sachs O0. .... 725 een u. Schreiber, Beiträge zur Kenntnis der sog. Eilekonprsen der Orustaceenembryonen O. . „us scheu 1 Klebs, Zur Physiologie der ne A Dilse R ER IRERO 746 Steiner, Die Funktionen des Centralnervensystems und ihre Phylogenese R 749 ae Inzucht und ‚Vermischung beim. Menschen .. ,„ . 2.0... .74 Gaupp, Herbert Spencer R . . Br N Ra ARE: a Bokorny, Lehrbuch der Baßnzenbhseielonen. R N PRTERREN AL 752 Weismann, Ueber Germinal-Selektion, eine Quelle bestimmt ters Version Ba ek 753 Mazzarelli, Bemerkungen über die a ale ne ea en Deren der Dp:leiopranchier DRIN. OR sr hie a hererren keit ON Höber, Neue Methoden der Blurinteräuchänk R EN a er Kanerline, Praktikum der wissenschaftlichen ee R nad 184 Knauthe, Der Kreislauf der Gase in unseren Gewässern 0. . . ... 785 Kennel, Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel O .... 810 Cr Medrbban NR Researches on the formative Property of kopen 9, 813 T.ornier, Be zu ae Artikel rien Bi Seen die Ge- schwister desselben Wurfes von verschiedenen Vätern abstammen? O 814 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie O . . ER Her.) Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chrömakigs o li Ba Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiologische Bedeutung O 843 Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze R 874 Kobloprugee; Der Atavismns Br ir ägern- Muenster alla rare NASE eriwie, ‚Die Zelle’ und, die Gewebe, Hi). 2u ya Hr Mitteilungen aus der biologischen Station zu Christiania: 1. Wille, Beschreibung einiger aa aus norwegischen Süß- wasserseen . . . a a Be 2. Johannessen, ee De Ei, ne we en Wr Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: 1. R v. Wettstein, Systematik der Tallophyten . . . N A0B 2. Wiesner, Beiträge zur Kenntnis des photochemischen KRiihlan im li tischen Gebiete, x. =. DU vu nn Sul nn LS EHRE ER ETHANOL Beriehtigungen. S. 417 Zeile 20 v. o. lies: „Referenden“ statt: „Referenten“. 3. bl HIN 95 vo hes: nichtiger-tt statt! wichieer". SAD Lay un 4 v. o. lies: „Syllis“ statt: „Lyllis“. 3-621.:.% 8 v. o. lies: „Schwämmen“ statt: „Schwärmer*. 8.621 ,„ 20 v. u. lies: „Clavellinen“ statt: „Clarellinen“. Biologisches Uentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. Januar 1898. Mr. 1 Inhalt: v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung, U. — v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht die sogenannten Urnieren der Gasteropoden. — Emery, Instinkt, Intelligenz und Sprache. — Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern - Verschmelzungen bei den Rhizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung. — Bog- danoff, Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granu- lationen. — Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen, zen = SED Abermals nach kurzer Zeit sind wir in der traurigen Lage, den Verlust eines hochgeschätzten Mitarbeiters betrauern zu j| müssen. Am 29.November 1897 starb zu Heidelberg unerwartet i nach kurzer Krankheit Herr Dr. Freiherr R. v. Erlanger, ; a. 0. Professor der Zoologie, 2 im 33. Lebensjahre. Seine uns kurz vorher zugegangenen beiden letzten Arbeiten veröffentlichen wir in dieser Nummer. Ein ® | dankbares Andenken an seine der Wissenschaft geleisteten Dienste @ und seine Mitarbeit an unserm Blatt werden wir ihm stets bewahren. \ = Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. Von R. v. Erlanger, a. o. Prof. in Heidelberg. II. Ueber die Befruchtung und erste Teilung des Seeigel- Eies. In der letzten Zeit ist gerade das Seeigelei mehrfach Gegenstand eingehender Untersuchungen bezüglich der Befruchtung und der ersten , Teilung gewesen, ohne dass die verschiedenen Autoren, welche es studiert haben, zu übereinstimmenden Resultaten gelangt wären. Namentlich gehen die Ansichten über die Natur der Centralkörper XVIH. 1 ) v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. sehr auseinander. Ich selbst habe das Seeigelei im Laufe der letzten vier Jahre wiederholt untersucht, mit anderen Objekten verglichen und meine Anschauung gelegentlich in verschiedenen Arbeiten kurz mitgeteilt, doch bleiben immer noch zahlreiche und nieht unwesent- liche Lücken in meinen Beobachtungen vorhanden, welche ich nach und nach auszufüllen hoffe. Mittlerweilen gestatten mir meine Unter- suchungen dennoch Stellung zu zwei Fragen zu nehmen, welche ich hier ganz kurz erörtern möchte, nämlich: erstens die Frage nach der Natur der Centralkörper, zweitens die Frage von dem Mechanismus der Mitose, beide hauptsächlich auf Grundlage des Echinodermeneies. Ich habe vorzugsweise die Bier von Sphaerechinus granularis be- nutzt, doch musste ich zum Studium der Richtungsspindeln die Eier von Asterias glacialis verwenden, da bekanntlich beim Seeigel im Gegen- satz zum Seestern die Richtungskörper vor der Eiablage gebildet wer- den. Ich konnte nun bei den Seesterneiern und gelegentlich an den Seeigeleiern konstatieren, dass beide Richtungsspindeln deutliche Pol- körperchen zeigen, wie dies übrigens für das Seesternei bereits von Matthews!) festgestellt worden war. Da heutzutage die Existenz von Pol- resp. Centralkörpern fast allgemein zugegeben wird, speziell aber für die Richtungsspindel parthenogenetischer Eier bezweifelt wor- den ist, untersuchte ich mit Herrn Dr. Lauterborn das partheno- genetische Ei der hädertiere und fand bei Asplanchna Brightwellii sehr deutliche Centrosomen an den Polen der Richtungsspindel, sodass, meiner Ansicht nach, das Vorhandensein von Üentrosomen an den Riehtungsspindeln der Metazoen im Allgemeinen mehr als wahrschein- lich sein dürfte. Dagegen ist es mir bis jetzt nicht gelungen, die Persistenz des oder der Gentralkörper des inneren Poles der zweiten Richtungsspindel der Echinodermen in der Nähe des reifen Bikernes zu beobachten. Ehe ich auf die Befruchtung zu sprechen komme, muss ich einiges über den Bau des Eiprotoplasmas vorausschicken. Dasselbe besitzt nach meinen Erfahrungen ein feinschaumiges Gefüge, welches ich schon vor mehreren Jahren am lebenden Objekte beobachten konnte, wobei zahl- reiche Granula und unregelmäßige kleine Vakuolen an konservierten Material das Cytoplasma durchsetzen; die Eioberfläche weist eine relativ dünne Alveolarschicht auf, welche gleichfalls im Leben sichtbar ist. Der reife Eikern liegt in der Nähe der Eioberfläche und zeigt eine Außenschicht (Membran?), sein Inneres wird von einer schaumig ge- bauten achromatischen Gerüstsubstanz (Linin der Autoren) erfüllt, in welche Chromatinkörner eingelagert sind (Fig. 2), außerdem enthält ‚er einen oder zwei Nukleolen. Auf diesem Stadium dringt das Sperma- 1) E.B. Wilson and A. P. Matthews, Maturation, Fertilisation and Polarity in the Echinoderm Egg ete. Journ. Morph., X, 1895. v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. 5 tozoon in das Ei ein (Fig. 1), wobei ein deutlicher Empfängnishügel gebildet wird, dessen Protoplasma von Körnern frei ist. Das Sperma- tozoon (Fig. 1) besitzt einen spitzkugelförmigen Kopf, an dessen Vorder- Fig. 2. ende ein Knöpfehen sitzt, an das hintere stumpfe Ende des Kopfes schließt sich das halbkugelförmige Mittelstück an, welchem die Geißel oder Schwanz anhängt. Während der Samenfaden tiefer eindringt, verstreicht der Empfängnishügel und bald bildet sich an derselben Stelle eine kraterförmige Einstülpung, welche dann ebenfalls ver- schwindet. Ob der Schwanz des Samenfadens in das Ei aufgenommen wird, oder nicht, konnte ich bislang nicht feststellen, jedenfalls gelang es mir nicht den Schwanz innerhalb des Eies nachzuweisen. Nun rückt der Samenfaden in der von Wilson!) beschriebenen Weise nach dem Eizentrum hin, wobei zunächst der Kopf vorausgeht; dann umgiebt sich das Mittelstück mit einer deutlichen Strahlung, während es sich etwas vom Kopfe entfernt, mit welchem es zunächst noch mit einem chromatinhaltigen Faden verbunden bleibt (Fig. 2). Das Mittelstück zeigt schon eine Zusammensetzung aus zwei stärker färbbaren Bläschen, welehe durch eine lichtere Partie zusammengehalten werden, das ganze Gebilde hat jetzt eine bohnenförmige Gestalt. Die Drehung des Samen- fadens vollzieht sich derart, dass das Mittelstück, mit der zunehmen- den Strahlung, dem Kopfe, oder Spermakern, vorausgeht. Während die Strahlung zunimmt, schrumpft das Mittelstück etwas zusammen und die beiden dunklen Körper in demselben rücken weiter auseinander. Mittlerweilen ist der Eikern (weiblicher Pronukleus) nach dem Ei- mittelpunkte zu vorgerückt und stark angewachsen, doch bleibt seine Struktur im Wesentlichen dieselbe. Im Laufe seiner Wanderung schwillt auch der Spermakern an, sein Gefüge lockert sich, indem der zu- nächst scheinbar homogene Chromatinklumpen sich aufbläht und das ge 4 v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. Chromatin in Gestalt feiner Körner, auf das jetzt sichtbar werdende achromatische Ge- rüstwerk sich verteilt (Fig. 3). Bald liegen die beiden Keim- kerne neben einander, unter- scheiden sich aber sehr we- sentlich durch ihre relative Größenverhältnisse, indem der Eikern den Spermakern um ein 4—bfaches übertrifft. Das Mittelstück, welches dem Spermakern vorausgeeilt war, kommt nun zwischen die bei- den Keimkerne zu liegen, seine färbbaren Hälften sind jetzt weit aus einander gerückt, hängen aber noch durch einen färbbaren Faden zusammen, die Strah- lung hat eher abgenommen. Die Hälften des Mittelstückes rücken nun immer weiter auseinander, bis der Verbindungsfaden einreisst, und begeben sich je an den entgegengesetzten Pol des ersten Furchungskernes, welcher aus der Verschmelzung des Samen und Ei- kernes hervorgeht, mit anderen Worten, jede Hälfte des Mittelstückes wird zu einem Centralkörper des ersten Furchungskernes. Aus dem eben geschilderten Verhalten des Mittelstückes bei der Befruchtung dürfte sich ergeben, dass das ganze Mittelstück zu den beiden Central- körpern der 1. Furchungsspindel wird; doch sprechen meine Präparate keineswegs dafür, dass die Strahlung um das Mittelstück direkt aus der Substanz desselben hervorginge, sondern dafür, dass das Mittel- stück eine Anziehung auf das umgebende Protoplasma ausübt, wo- durch dessen Alveolen sich zu Längszügen, welche gegen das Mittel- stück hin centriert sind, anordnen. | Oefters entsteht nämlich durch Einwirkung der fixierenden heagen- tien eine Schrumpfung um den Spermakern und das Mittelstück, so dass das Eiplasma sich von ihnen zurückzieht, dann kann man gar keinen Zusammenhang zwischen dem Mittelstück und den „Strahlen“ nachweisen, nicht einmal spurenweis, was doch der Fall sein müsste, wenn die Strahlen aus der Substanz des Mittelstückes hervorwachsen würden. Wie das Mittelstück sich zum einheitlichen oder doppelten Centroma der Spermatide verhält,. könnte natürlich nur durch Unter- suchung der Spermatogenese festgestellt werden, jedenfalls entspricht der Spitzenknopf nicht dem Centralkörper, wie Field!) behauptet, da der Spitzenknopf (Fig. 2) noch nachweisbar ist zu einer Zeit, wo die 4) On the morphology and physiology of the Echinoderm Spermatozoon. v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. d Strahlung um das Mittelstück bereits aufgetreten ist!). Weiter zeigt das kontinuierliche Verfolgen des Mittelstückes bis zur Teilung und dem Auseinanderrücken seiner Hälften zu den Polen des 1. Furchungs- kernes, dass es wirklich ein EN Spermocentrum giebt, was für ü das Ascaris-Ei letzthin von Carnoy?) bestritten wird und dass die Centrosomen nicht ausgestoßenen Nukleolis ent- sprechen, wie derselbe Autor behauptet. Zwar habe ich im Spermakern keinen Nukleolus beobachtet, wohl aber im reifen Eikern (Fig. 2 u. 3) und im Furchungskern (Fig. 4). Der zunächst rundliche Furchungskern streckt sich bald in die Länge; an je- dem Kernpol befindet sich ein Centrosom, welche auf diesem Stadium gewöhnlich eine Zusammensetzung aus mehreren Bläs- chen oder Alveolen zeigen [wie auch das Photogramm VI von Wil- son?)|. Jedes Centrosom ist von einer Strahlung (Polstrahlung) um- geben, welche nach gewissen Fixierungsmethoden (Sublimat-Eisessig) unmittelbar vom Üentralkörper auszugehen scheint, während nach Fixierung mit Ösmiumgemiseben (Flemming, Hermann, vom Rath) die eigentliche Strahlung von einer kugligen Anhäufung von fein- wabigen körnerfreiem Protoplasma ausgeht, welche den Centralkörper umgiebt (Fig. 4). Die „Strahlen“ selbst ließen sich bei allen von mir angewendeten Fixierungsmethoden in Alveolenreihen auflösen. Der Furchungskern zeigt eine deutliche Außenschicht; ob dieselbe wirklich einer Membran entspricht, möchte ich nicht entscheiden, da ich nicht in der Lage war lebendes Material daraufhin zu untersuchen. Das Kerninnere wird von einem achromatischen Gerüstwerk durchzogen, welches einen schaumigen Bau aufweist; in diesem sind Chromatin- körner eingelagert, auch sind meistens mehrere Nukleolen sichtbar. Die vakuolenartigen Zwischenräume zwischen den Lamellen des achro- matischen Gerüstwerkes dürften voraussichtlich im Leben mit Flüssig- 2) Carnoy et Lebrun, La fecondation chez l’Ascaris megalocephala. La cellule, X.III, 1897. 3) E. B. Wilson, Archoplasm Centrosom and Chromatin in the Sea Urchin Egg. Journ. of Morph., XI, 1895, b v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. nukleäre „Centralspindel“ zwischen den auseinanderweiechenden Oentro-- somen des 1. Furchungskernes nachzuweisen. Sollte ich ein derartiges Gebilde übersehen haben, so kann es nur sehr transitorischer Natur sein, da die eigentliche Furchungsspindel, d. h. die Spindel mit Aus- schluss der Polstrahlungen aus dem Kern hervorgeht. Fig. 6. Die eimleitenden Schritte zur Spindelbildung bestehen darin, dass die Centroplasmen Sphären der Autoren, d. h. die kugligen, körner- freien Protoplasmaanhäufungen um jeden Centralkörper, sich abflachen und den Kernpolen sich anschmiegen (Fig. 5), wobei die Kernaußen- schicht an den Polen verschwindet. Gleichzeitig nimmt die Polstrah- lung stark zu und es findet eine leichte Interferenz oder Ueberkreuzung der Strahlen im Aequator der Kernperipherie statt. Bald nähern sich die Kernpole (von den Öentralkörpern aus gemessen) einander, unter stetiger Vergrößerung der Centroplasmen und der Strahlung (Fig. 6), doch interferieren die Strahlen der Pole nicht mehr miteinander, son- dern sind von einem mit gewöhnlichen, nicht strahlig differenzierten Eiplasma erfülltem Zwischenraum getrennt. Unterdessen bilden sich die distalen Portionen der achromatischen Gerüstsubstanz des Furchungs- kernes zu „Spindelfasern* um, während die äquatoriale Portion das Chromatin in sich konzentriert; dabei verschwinden die Kernvakuolen und die Kernaußenschicht allmählich. Auf diese Weise kommt schließ- lich eine gedrungene Spindel (Fig. 7) zu Stande, deren „Fasern“ ganz aus Kernsubstanz hervorgehen und aus Alveolenzügen achromatischer Gerüstsubstanz bestehen. Im Aequator der Spindel befindet sich jetzt alles Chromatin in Gestalt zahlreicher, kurzer und leicht gekrümmter v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. 7 Fäden, den Chromosomen, welche noch nicht regelmäßig zu der Aequa- torialplatte gruppiert sind; Nukleolen waren schon auf dem vorher- gehendem Stadium nicht mehr nachzuweisen, auch die Kernhülle ist vollständig verschwunden. Fig. 7. Der Vergleich zwischen Figuren 4—7 lässt zwei Thatsachen er- kennen, auf welche ich hinsichtlich der Mechanik der Mitose großen Wert lege; erstens, dass das Volumen des Kernes stetig unter Verlust von Kernsaft (Schwund der Kernvakuolen) zurückgegangen ist, während zweitens das Volumen der ÜCentroplasmen im gleiehen Maße zugenom- men hat. Von jetzt ab rücken die Spindelpole wieder auseinander, ohne dass die Spindel deshalb schlanker würde, da ihr äquatorialer Durchmesser ebenfalls zunimmt (Fig. 8). Die chromatischen Elemente bilden jetzt eine Aequatorialplatte und teilen sich, um nach den ent- gegengesetzten Polen zu wandern; weiter sind die „Spindelfasern“ leicht wellig, während sie auf dem vorhergehendem Stadium gestreckt waren. Interessant sind die Veränderungen in der Struktur der Centro- plasmen, welche besonders nach Fixierung mit Osmiumgemischen her- vortreten, während dieselben an Sublimatmaterial weniger prägnant sind: das früher feinschaumige Gefüge der Centroplasmen hat sich allmählich stark gelockert und ist zu einer grobschaumigen geworden; um den Centralkörper treten diekwandigere besonders färbbare Alveolen auf (Fig. 8), welehe von Reinke!), im Anschluss an Fol2), für die 1) Untersuchungen über Befruchtung und Furchung des Eies der Echino- dermen. Sitzungsber. Akad. Wiss., Berlin 1895. 2) Recherches sur la fecondation et le commencement de l’henogenie. Mem. d. l. soe. phys. et d’hist. nat. de Geneve, XXVI, 1879. 8 v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. wirklichen Centralkörper ge- halten worden sind. Diese Bläschen nehmen während der Wanderung der Tochterchro- mosomen nach den Polen an Zahl zu und gruppieren sich um das nun geteilte Centrosom zu einem nieren- oder linsen- förmigen Gebilde (Figur 9); Fol (l. e.) hat diese Verhält- nisse richtig beschrieben und abgebildet, jedoch die wirk- lichen ÜCentralkörper über- sehen. Im Aequator des Ver- bindungsfasernsystemes treten ebenfalls größere Alveolen auf, welche zusammen die Anlage des recht ansehnlichen Zwischenkörpers bilden. Dieser erreicht das Maximum seiner Ausdehnung, wenn die Tochterchromosomen auf das Fig. 10. zugehörige Centroplasma gestoßen sind (Fig. 10) und sich zu Bläschen aufblähen, welche untereinander verschmelzend die Tochterkerne bilden. In der Mitte eines jeden, mittlerweilen senkrecht zur Spindelaxe ab- seplatteten Centroplasmas bemerkt man eine kleine Spindel, an dessen Polen die Tochtercentrosomen liegen. Nun tritt auch die Zellteilung ein, welche durch die Bildung der ersten Furche sich geltend macht (Fig. 11). In der früheren Spindelaxe im Mittelpunkt der Furchen- ebene ist der zusammengeschrumpfte Zwischenkörper mit einigen Resten der „Verbindungsfasern“* zu sehen. Die jetzt einheitlichen und an- v. Erlanger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung* ) Fig. 11. schwellenden Tochterkerne liegen nun ganz in den sehr locker ge- fügten und unregelmäßig begrenzten Centroplasmen drin. Die kleinen Spindeln des vorhergehenden Stadiums sind verschwunden und es ist mir von nun ab nicht geglückt, die Centralkörper aufzufinden, welche, wie die Prophasen der zweiten Teilung lehren, zu den Polen der Toch- terkerne wandern. Auf dem letzten hier abgebildeten Stadium (Fig. 12) sind die Tochterkerne stark angeschwollen und kugelrund, während die sie umgebenden ÜCentroplasmen in Rückbildung begriffen sind und bedeutend an Volumen eingebüßt haben; man sieht noch einen schwachen Rest des Zwischenkörpers, jedoch nichts mehr von den Verbindungs- fasern. — Aus dem eben mitgeteilten ergiebt sich bezüglich der Central- körper, dass die beiden Richtungsspindeln Centrosomen besitzen, dass aber der-Polkörper des inneren Poles der zweiten Richtungsspindel verschwindet: anderseits gehen durch Teilung des Mittelstückes des Samenfadens die Polkörper der ersten Furchungsspindel hervor, welche kurz vor der Bildung der T'ochterkerne sich wiederum teilen. Ferner entsprechen die Gentroplasmen oder „Sphären“ durchaus nicht riesig angeschwollenen Centralkörpern, wie Boveri!) angiebt, auch liegen die Centralkörper nach Bildung der Aequatorialplatte innerhalb der Anhäufung von Bläschen, die den centralen Teil des Centroplasmas einnehmen und welche Reinke (l. e.) für die wirklichen Central- körper hält. Ich stimme aber bezüglich der Deutung der Central- 1) Ueber das Verhalten der Gentrosomen bei der Befruchtung des Seeigel- Eies etc. Verh. phys.-med. Ges., Würzburg, 'XXIX, 1895. 10 v. Erlauger, Zur Kenntnis der Zell- und Kernteilung. körper des Echinodermeneies mit Kostanecki!) überein, jedoch mit dem Unterschied, dass ich auf gewissen Stadien einen feineren Bau der Centralkörper, welehe dann aus mehreren Bläschen bestehen, er- kenne, endlich finde ich die Oentralkörper nicht kugelrund, sondern unregelmäßig gestaltet, oft linsen- oder nierenförmig. Was die Mechanik der Mitose anbelangt, so sprechen meine Er- fahrungen entschieden gegen die Heidenh ain’sche Theorie der cen- trierten Radien, welche für das Eehinodermenei von Reinke und Kostanecki (loc. eit.) eifrig verfochten wird. Ich sehe, und hierin stimmen meine Resultate mit allen früheren Beobachtungen sowie auch mit den Beschreibungen Reinke’s und den Abbildungen Kosta- necki’s überein, dass die Spermastrahlung erst allmählich um das Mittelstück des Samenfadens entsteht und während der Kopulation der Keimkerne sich mit dem ÜCentrosomen teilt, welche nach den Polen des 1. Furchungskerns rücken. Sollten einzelne Strahlen wirklich einmal die Eioberfläche berühren, so setzen sie niemals hier an, auch schließt das Fehlen sogenannter „Zugfasern“ bei der Mitose des See- igeleies die Anwendung der Muskelfadentheorie auf die Bewegung der Chromosomen bei diesem Objekte aus, auch wenn sonst die Wirkungs- weise der „Zugfasern“ ihrem Namen entspräche, was ich nicht glaube. Der Verlauf der Mitose bei diesen und anderen Objekten scheint mir vielmehr darauf hinzudeuten, dass die Kern- und Zellteilung die Folge eines Flüssigkeitsaustausches zwischen dem Kern einerseits und den Centralkörpern und Uentroplasma anderseits, mithin auf Spannungs- differenzen zurückführbar sein dürfte. Dafür spricht das umgekehrt proportionale Größenverhältnis des Kernes einerseits und der Üentro- plasmen und Polstrahlungen andrerseits, welches man an verschiedenen lebenden Objekten und speziell am Seeigelei [Furchungszellen Zieg- ler?)| verfolgen kann. Ich glaube den Schluss ziehen zu dürfen, dass in den Prophasen der Mitose sowohl die Centrosomen als auch der Kern Flüssigkeit aus dem Uytoplasma anziehen, was sich erstens durch das Anwachsen beider Gebilde, zweitens durch das Auftreten einer Strah- lung um die Centralkörper, zuweilen auch um den Kern dokumentiert. Jenes Anwachsen erreicht aber schließlich ein Maximum, worauf eine Wechselwirkung zwischen den Centroplasmeu, welche die Central- körper durch Einwirkung auf das umgebende Protoplasma um sich gebildet haben, und dem Kern derart stattfindet, dass die Kernaußen- schicht plötzlich oder allmählich verschwindet, der Kern stetig an Volumen abnimmt, sein achromatisches Gerüstwerk sich zur Spindel, oder einem Teil derselben, umformt, und das Chromatin in einem 1) Untersuchungen an befruchteten Echinodermeneiern. Krakau 1895. Ueber die Gestalt der Centrosomen im befruchteten Seeigelei. Anat. Hefte, 1896. 2) Untersuchungen über die Zellteilung. In: Verh. d. deutsch. Zool. Ges., 1895 v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht „Urnieren der Gasteropoden*. 11 Grundwerk achromatischer Kernsubstanz die Chromosomen bildet, wäh- rend die Centroplasmen sich auf Kosten der Kernflüssigkeit vergrößern und die Polstrahlungen entsprechend zunehmen. Der umgekehrte Pro- zess vollzieht sich im Verlauf der Tochterkernbildung, da die Chro- mosomen sich zu Bläschen aufblähen, welche untereinander verschmel- zend, die rasch anwachsenden Tochterkerne erzeugen, in welchen das Chromatin wieder verteilt wird, während jeder Tochterkern sich mit einer Außenschicht umgiebt. Gleichzeitig nehmen die Centroplasmen und die Polstrahlungen stetig an Größe ab, bis dieselben, wenn die Mi- tose beendet ist, ganz, oder zum allergrößten Teil verschwinden. Den hier entwickelten Anschauungen gemäß dürfte in den mitt- leren Phasen der Mitose ein enges Verhältnis zwischen den Üentro- plasmen inklusive Centralkörpern und dem Kern, beziehungsweise der Kernspindel herrschen, während in den Prophasen und während des Aufbaues der Tochterkerne die Wechselwirkung ausbleibt, die Teilung der Centralkörper stattfindet und öfters zwischen dem geteilten Cen- tralkörper eine extranukleäre (ausschließlich eytoplasmatische) Central- spindel gebildet wird, welche in manchen Fällen, aber dann erst viel später, in Beziehung zum Kern treten kann. Ich gelange aber, durch das Studium der Mitose unter normalen Verhältnissen, zum gleichen Schluss, den Boveri letzthin!) auf experimentellem Wege am gleichen Objekt gezogen hat, dass nämlich die Öentralkörper auf gewissen Sta- dien der Mitose eine gewisse Unabhängigkeit vom Kern zeigen, ohne damit die ursprüngliche (phylogenetische) Abhängigkeit des Uentral- körpers vom Kern in, Abrede stellen zu wollen. Weiter scheint mir die Zellteilung selbst ebenfalls durch die erwähnten Druckschwan- kungen in Gentroplasma und Kern bedingt zu sein. Tritt doch die Zell- teilung bei der Mitose erst dann ein, wenn die Toochterkerne, wenig- stens der Anlage nach gebildet sind und zeigt die Furchungsebene stets ganz bestimmte Lagerungsbeziehungen zur Axe der Sihindel, le als ein System von Kraftlinien aufgefasst werden muss. Dass der Kern eine wichtige Rolle bei der Zellteilung des Echinodermen- eies spielt, lehren die letzten Experimente Boveris?), nach welchen das Vorhandensein von Kernsubstanz für das Zustandekommen der Zellteilung unerlässlich sein soll. Heidelberg, den 8. September 1897. 1103] Zusätze zu meiner Uebersicht die sogenannten Urnieren der Gasteropoden. Von R. v. Erlanger. In dem erwähnten Aufsatz (diese Zeitschr. Bd. XIII Nr. 1 1893, p. 714) gab ich teils auf Grund eigner Untersuchungen und unter Be- 4) Zur Physiologie der Kern- und Zellteilung. Sitzungsber. d. phys.- med. (ses., Würzburg 1897. 2.6 12 v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht „Urnieren der Gasteropoden“. rücksichtigung aller mir zugänglichen Arbeiten anderer Forscher eine Uebersicht über die urnierenartigen Organe bei den Mollusken. Später!) teilte ich diese Organe in drei Gruppen: 1. inNephrocyten?), aus wenigen großen Ektodermzellen zusammengesetzte äußere Urnieren; 2. Nephrocysten, bläschenförmige, mesodermatische ringsum ab- geschlossene innere Urnieren; 3. Nephroasken, innere schlauch- förmige Urnieren, die mit der Außenwelt und der Furchungshöhle (Schizopel) durch je einen Porus kommunizieren und zum Teile we- nigstens mesodermatischen Ursprungs sind, während der ausführende Teil des Organs aus einer Ektodermeinstülpung hervorgeht. Der- artige Einteilungen haben natürlich nur einen provisorischen Wert, doch glaube ich, dass sie insofern eine praktische Bedeutung bean- spruchen können, als dadurch späteren Untersuchern ein Ueberblick und Anhaltspunkte gewährt werden; dies zur Kritik von Grobben?), welcher die Unterscheidung in „Nephrocysten“ und „Nephroasken“ beanstandet, da es sich in diesen beiden Gruppen um morphologisch gleichwertige Gebilde handelt und Gruppenbildungen nur auf Grund morphologischer Differenzen vorgenommen werden sollen. Später studierte ich selbst die Urnieren der Süßwasserpulmonaten und teilte das Ergebnis jener Untersuchung in dieser Zeitschrift (Bd. XIV, 1894, p. 491—494) kurz mit. Die ausführliche Arbeit er- schien in den Archives de Biologie ?), begleitet von einer neuen Ueber- sicht der Litteratur über urnierenartige Organe bei den Mollusken, in welcher die Ansicht Heymons°) über die Natur eines analen Ex- kretionsorganes von Umbrella mediterranea kritisiert wurde. Ich setzte auseinander, dass ich mit Mazzarelli, der sich eingehend mit der Systematik, Anatomie und Embryologie der Opisthobranchier beschäf- tigt hat, die „Nephrocysten“ der Opisthobranchier für Urnieren halte, während wir in dem Organ, welches Heymons bei Umbrella mit den „Nephrocysten“ oder äußeren -Urnieren der marinen Prosobranchier homologisiert, die Anlage der definitiven Niere erblicken. Als Gründe für diese meine Ansicht, führte ich an, dass die (anale) Lage des fraglichen Organs bei Umbrella und seine Unpaarigkeit jede Homo- logie mit den äußeren Urnieren der Prosobranehier ausschließen. Hey- mons hat meine Kritik einer besonderen Erwiderung‘) wert erachtet 4) Verh. Ges. deutsch, Naturf. u. Aerzte, 66. Vers., Wien 1894. 2) Nicht Nephrocysten wie im Neapler Jahresbericht für 1895 Mollusken S. 38 irrtümlicher Weise steht. 3) Verh. Ges. deutsch. Naturf. u. Aerzte, 66. Vers., Wien 1894. 4) T. XIV, 1805, S. 127—138. 5) Zur Entwicklungsgeschichte von Umbrella mediterranea Lam. in: Zeit- schrift f. wiss- Zool., LVI, 1893, S. 245 —298. i 6) Bemerkungen zu den von v. Erlanger veröffentlichten „Etudes sur le developpement des Gastropodes pulmones. in: Zool. Anz., XVII, Jahrg. 1895, Ss. 400—402. v. Erlanger. Zusätze zn meiner Uebersicht „Umieren der Gasteropoden“. 15 und beanstandet den ihm von mir gemachten Vorwurf, dass er die Angaben Mazzarelli’s') über die Nephrocysten der Aplysia-Larve falsch verstanden hätte, während er dieselben in seiner Arbeit doch eingehend berücksichtigt habe. Ich nehme diesen Vorwurf gern zu- rück; ich hätte statt „missverstanden“ schreiben sollen, dass Hey- mons, meiner Ansicht nach, nicht genügenden Wert auf die Ver- hältnisse bei Ap/ysia gelegt hat, denn bei dieser Form besitzt die Larve sowohl Nephrocysten als auch ein anales Exkretionsorgan, welches dem fraglichen Gebilde bei Umbrella vollkommen entspricht und wenn man mit Trinchese?) und Mazzarelli die Nephro- eysten als Urnieren betrachtet, muss doch das fragliche Organ etwas anderes sein. Freilich hält Heymons die Homologie der Nephro- eysten mit den äußeren Urnieren der Prosobranchier für zweifel- haft, jedoch betrachte ich die Lage der Nephroeyten und Nephro- eysten in der Nähe des hinteren Randes des Velarfeldes (außerhalb desselben) für ausschlaggebend, dabei erscheint mir die wechselnde Entfernung der Nephrocysten vom Velarfelde, auf welche Mac Mur- rich?) aufmerksam macht, nebensächlich, es genügt mir nochmals hervorzuheben, dass „Nephrocyten“, „Nephroeysten“ und „Nephro- asken“ stets in der Nähe und außerhalb des Velarfeldes, analwärts, aber in beträchtlicher Entfernung des Afters liegen, während die An- lage der definitiven Niere bei den Gasteropoden stets in der Nähe des Entoderms zu finden ist. Heymons macht zwei Einwände gegen meine Auffassung gel- tend. Auf meine Bemerkung, dass das fragliche Organ der Umbrella unpaar ist, während die Urnieren der Gasteropoden paarig sind, ant- wortet Heymons, dass das fragliche Organ paarig angelegt wird und zuweilen bei der Larve paarig erhalten bleibt. Dieser Einwand verursacht mir deshalb keine Schwierigkeiten, weil ich selbst für Pa- ludina*) nachgewiesen zu haben glaube, dass bei dieser Form die bleibende Niere paarig angelegt wird und die eine Anlage später rückgebildet wird, ähnliches berichtet auch Mazzarelli für Aplysia (loe. eit.), somit stehen Heymons Befunde keineswegs im Wider- spruch zu meiner Ansicht. Weit wichtiger ist der zweite Einwand von Heymons, dass das fragliche Organ der Umbrella aus dem Ektoderm stammt, während der sezernierende Teil der bleibenden Gasteropodenniere mesodermatischer Abkunft ist; ich werde später auf 1) Intorno al preteso occhio anale delle larve degli Opisthobranchi. in: Rendicondi d.R. Ace. d. Lincei, I, 2 Ser., 1892 und Monografia delle Aplysiidae del golfo di Napoli. Napoli 1893. 2) Materiali per la fauna maritima italianea. Aeolididae e famiglie affini: Atti accad. dei Lincei, 11, 1883. 3) A contribution to the embryology of the Gasteropods. Stud. biol. la- boratory Johns Hopkins. Baltimore, 3, 1886. 4) Zur Entwicklung von Paludina vivipara, I. Morph. Jahrb., 17, 1891, 14 v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht „Urnieren der Gasteropoden“. diesen Punkt zurückkommen. Heymons verwahrt sich schließlich dagegen, die von Mazzarelli und mir vertretene Anschauung wider- legen, oder seinen eigenen Erklärungsversuch als den einzig richtigen darstellen zu wollen, konstatiert aber (wie mir scheint mit einer ge- wissen Genugthuung ), dass meine Mitteilungen unsere bisherigen Kennt- nisse über das fragliche Organ nicht bereichert haben. Hierzu wäre zu bemerken, dass ich in der betreffenden Arbeit nur die Süsswasser- pulmonaten nach eigenen Untersuchungen behandelt habe, die urnieren- artigen Organe der übrigen Mollusken, mit Ausschluss der Prosobran chier, von denen ich mehrere Vertreter daraufhin untersucht hatte, vergleichend auf Grundlage der Arbeiten anderer Forscher besprach. Meine Deutung des fraglichen Organs der Umbrella basierte auf den Mitteilungen Mazzarelli’s über Aplysia. Ich hatte Mazzarelli’s Präparate gesehen und hielt ihn als Kenner der Opisthobranchier für berechtigt das fragliche Organ der Umbrella in derselben Weise, wie das entsprechende Organ der Aplysia zu beurteilen und mit der bleibenden Niere von Capulus zu homologisieren. Ich fügte hinzu, dass wenn das fragliche Organ der Umbrella nicht der definitiven Niere entspräche, es nur ein Gebilde sui generis, von noch unbekannter mor- phologischer Bedeutung sein müsse. Mittlerweile ist eine Arbeit von Mazzarelli') erschienen, welche ganz speziell das fragliche Organ der Opisthobranchier, oder nach unserer gemeinsamen Anschauung die definitive Niere, zum Gegenstand hat. Mazzarelli hat die Larven einer Anzahl verschie- dener Opisthobranchierspezies untersucht und gefunden, dass die defi- nitive Niere (welche in der Lagerung und Beschaffenheit durchaus dem fraglichen Organ der Umbrella entspricht) bei allen Arten vor- kommt. Sie ist sackförmig, liegt links vom Enddarm und mündet links vom After durch einen Porus nach Außen. Die Entwicklung der bleibenden Niere wurde bei Philine aperta und Gasteropteron Meckelii studiert. Die erste Anlage wird von einer großen Zelle gebildet, welche dem Mesoderm eingelagert ist und einer ähnlichen Zelle bei Umbrella entspricht, die Heymons für eine Ektodermzelle hält. Die große Zelle gehört ursprünglich dem Entoderm an, löst sich aber bald von dem Verbande los, rückt in die Furchungshöhle hinein und wird von kleinen Mesodermzellen umgeben; später findet man statt der sroßen Zelle deren zwei, von etwas ungleicher Größe, doch hat Maz- zarelli nicht nachweisen können ob die zweite durch Teilung der ersten, oder aus der Vergrößerung einer der umliegenden kleinen Meso- dermzellen hervorgeht. Bei Aplysia dagegen ist die zweite Zelle, welche sich der ersten anschließt, eine große Entodermzelle, die sich vom inneren Keimblatt ablöst und vor der Torsion links vom Enddarm 1) Intorno al rene secondario delle larve degli Opistobranchi. in: Boll, d. Soc. di Nat. in Napoli, IX, 1895. v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht „Urnieren der Gasteropoden“. 45 liegt, während die erste, ebenfalls vor der Torsion, rechts vom End- darm liegt. Jede Zelle würde demnach einer Nierenanlage entsprechen und beide liegen nach ihrer Vereinigung und nach der Torsion links vom Enddarm. Der eigentliche Nierenschlauch, in welchem die beiden Entodermzellen liegen bleiben, entsteht aus den die beiden Zellen umgebenden Mesodermzellen, und setzt sich später durch eine kleine Invagination des Ektoderms mit der Außenwelt in Verbindung. Im Verlauf der Bildung des Nierensackes legt sich dem Fundus derselben ein Häufehen von Mesodermzellen an, in dessen Mitte bald eine Höhle entsteht; dieses Gebilde ist das Pericard, mit dessen Höhle der Nieren- sack durch eine Oeffnung sich in Verbindung setzt. Weiter ließ sich die Entwieklungsgeschichte der definitiven Niere der Opisthobranchier leider nicht verfolgen, da es bis jetzt nicht gelungen ist die Larven länger am Leben zu halten, doch glaube ich, dass die hier kurz mit- geteilten Beobachtungen von Mazzarelli unsere gemeinsame Ansicht, dass das anale Exkretionsorgan der Opisthobranchier, mithin auch der Umbrella, der definitiven Niere entspricht, ganz bedeutend gefestigt haben. Nach Mazzarelli wäre der entodermatische Ursprung der beiden ursprünglichen Nierenzellen als ein abgekürzter Entwicklungs- modus zu deuten, während der eigentliche Nierensack unzweifelhaft direkt aus dem Mesoderm hervorgeht, mit Ausnahme des ausführenden ektodermatischen Porus. Hochwichtig für die Beurteilung der ganzen Frage ist der Zusammenhang des Nierenschlauches mit dem Pericard, da ein solcher Zusammenhang zwischen der unpaaren definitiven Niere der Gasteropoden stets nachweisbar ist. Ich habe schon öfters betont, dass, während die bleibende Niere der Mollusken in die sekundäre Leibeshöhle (Pericard) mündet, die „Nephroasken“ mit der primären Leibeshöhle (Furchungshöhle, Schizozoel) kommunizieren, wie ich für die Urnieren von Bythynia!) und der Süßwasserpulmonaten?) auseinandergesetzt habe: auch für Paludina glaube ich dasselbe be- haupten zu können. In dieser Beziehung verhalten sich die Land- pulmonaten ähnlich wie die Süßwasserpulmonaten, denn ich habe für Helix und Limax die innere Oeffnung der Urnieren in das Schizozoel mit Gewissheit feststellen und somit die diesbezüglichen Angaben Saras- sins?) bestätigen können. Neuerdings beschreibt Stauffacher‘) eine Mündung der Urniere von Cyelas cornea in das Schizozoel mittels einer wimpernden Zelle. 1) Zur Entwicklung von Bythynia tentaculata. Mitt. d. Zool. Stat. zu Neapel, X, 1892. 2) loc. eit. 3) P.u. F.Sarassin, Aus der Entwicklungsgeschichte von Helix Waltonii. Ergeb. Naturf. Ceylon, 1884—86, 1. Bd, Wiesbaden 1888. 4) Die Urniere bei C'yelas cornea (Lam.). Zeitschrift f. wissensch. Zool,, 63. Bd., 1897. 16 v. Erlanger, Zusätze zu meiner Uebersicht „Urnieren der Gasteropoden‘“ Ich muss hier ganz kurz auf die Untersuchungen von Stauf- facher eingehen, da seine Resultate einigermaßen von denen Zieg- ler’s!) abweichen. Zunächst möchte ich Stauffacher gegenüber betonen, dass ich die Urniere von Cyclas nicht auf Grundlage eigener Beobachtungen im vergleichenden Teile meiner Arbeit besprochen habe, sondern ausschließlich nach den Angaben Ziegler’s. Während aus dem Ziegler’schen Aufsatze nicht mit Klarheit hervorgeht, ob die Urniere von Cyelas in Ein- oder Zweizahl vorkommt, soll dieses Organ nach Stauffacher unpaar sein, ein Resultat, welches deshalb sehr merkwürdig ist?), weil ja die Lamellibranchier im Gegensatz zu den meisten Gasteropoden symmetrisch gebaut sind. Ein weiterer Gegensatz zwischen Ziegler und Stauffacher besteht darin, dass Stauffacher den mittleren Teil der Urniere (Hauptstück) aus zwei großen Zellen mit zwei trichterförmigen Fortsätzen bestehen lässt, während Ziegler nur eine große Zelle gefunden hatte, sodass ich im vergleichenden Teile das Hauptstück der Urniere von Cyelas der kiesenzelle von Planorbis und Limnaeus (auf Grund der Ziegler’- schen Arbeit) gleichsetzte. Nach der Untersuchung von Stauffacher zu schließen, wären die Differenzen in der Struktur der Urniere von Oyclas einerseits und der Süßwasserpulmonaten andrerseits viel erheb- lichere, als ich im Anschluss an die Beschreibung von Ziegler an- genommen hatte, doch finde ich darin nichts befremdendes, da die Urniere der Landpulmonaten in ihrem Bau noch mehr von der Urniere der nahe verwandten Basommatophoren abweicht. Der auseinandergesetzte prinzipielle Gegensatz zwischen den Be- ziehungen der Urnieren zum Schizozoel und der bleibenden Niere zu der sekundären Leibeshöhle (Coelom) zeigt aufs deutlichste, dass das anale Exkretionsorgan der Opisthobranchier, wegen seiner Beziehungen zum Pericard, der definitiven Niere entspricht. Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Conklin?) die Homologie des exkretorischen Organs vom Umbrella (nach Heymons) mit den äußeren exkretorischen Zellen von Orepidula (Nephrocyten mihi) für sehr zweifelhaft hält, ohne dieselbe absolut in Abrede stellen zu wollen. Ich lege um so mehr Wert auf die betreffenden Ausführungen Conk- lin’s, als dem amerikanischen Forscher meine Erörterungen über die urnierenhaltigen Organe der Mollusken unbekannt zu sein scheinen. Heidelberg, den 4. Oktober 1897. [110] 1) Die Entwicklung von Cyclas cornea (Lam.). Ibid- 41, 1885. 2) Ob die Urniere bei anderen Lamellibranchiern ebenfalls unpaar ist oder nicht, konnte ich aus der bisherigen Litteratur über diesen Gegenstand nicht mit Sicherheit entnehmen. 3) The embryology of Crepidula. Journ. of Morph., XII, 1897. Emery, Instinkt, Intelligenz und Sprache, FT Instinkt, Intelligenz und Sprache. Bemerkungen zur neuen Schrift E.E Wasmann’s: „Instinkt und Intelligenz im Tierreich“ '), Von €. Emery. Das von meinem Freunde E. Wasmann S. J. vor 6 Jahren ver- öffentlichte Buch über „diezusammengesetztenNester und die gemischten Kolonien derAmeisen“ hat, besonders in Bezug auf die darin geäußerten Ansichten über Instinkt und Intelligenz, zu mancherlei Widerspruch Veranlassung gegeben. Ich ließ in dieser Zeitschrift?) eine Entgegnung auf Wasmann’s Anschauungen er- scheinen, auf welche er ebendaselbst ?) kurz erwiderte. Ich hielt es damals für unzweckmäßig die Polemik weiter zu führen, heute aber nicht mehr; da Wasmann meine Erörterungen in seiner neuen Schrift Punkt für Punkt bestreitet und wiedergelegt zu haben meint, so könnte weiteres Schweigen von meiner Seite als eine Erkenntnis der Nieder- lage betrachtet werden. Ich habe aber nicht die Absicht Wasmann’s Arbeit einer durch- laufenden Kritik zu unterwerfen, sondern ich will mich damit begnügen, die Argumente, welche er gegen mich anwendet, zu bestreiten, ganz abgesehen davon, ob sonstige, vom Verf. vertretene Anschauungen mir richtig zu sein scheinen oder nicht. Zunächst muss festgestellt werden, worin ich mit Wasmann übereinstimme und worin wir von einander abweichen. — Wir nehmen beide an, dass die Tiere, außer einer Anzahl angeborener, mehr oder minder komplizierter, manchmal scheinbar intelligenter, aber in Wirk- lichkeit durchaus automatischer Triebe, auch in größerem oder ge- ringerem Maß fähig sind, auf Grund eigener Erfahrung Kenntnisse zu erwerben, welche sie zur Leitung zweckmäßiger Handlungen benutzen. Solche auf Erfahrung beruhende Kenntnisse und Handlungen nenne ich „intelligente“: Wasmann bezeichnet sie als „sinnliches Erkenntnis- und Strebevermögen“ und rechnet sie mit den vorigen zum Instinkt. — Der Mensch besitzt, wie wir beide an- nehmen, ein sehr viel höheres psychisches Leben als die höchsten Tiere. Worin besteht aber der Unterschied zwischen Menschen- und Tierintelligenz? oder, wie Wasmann sich ausdrückt, zwischen dem Geistesleben der Menschen und dem Sinnesleben der Tiere? Dieses ist der eigentliche Gegenstand des Streites, Dem Tier kommen nach Wasmann nur Sinnes- und Gehirnthätigkeiten zu; dem Menschen außerdem die eines immateriellen Geistes. Diesem mysteriösen 4) Ergänzungshefte zu den „Stimmen aus Maria-Laach“, Nr. 69, Frei- burg i. Br., 1897. 2) 13. Bd., Nr. 4—5, 1893. 3) 15. Bd., Nr. 17. XVIl. 2 Emeıy, Instinkt, Intelligenz und Sprache. 1 ao Geist werden eigentümliche Fähigkeiten der Menschenseele zuge- schrieben: Verstand und freier Willen. Ob der Wille des Menschen frei sei und in welchem Sinn, liegt außer dem Bereich unseres Streites, welcher sich auf die Verstand- oder Intelligenzfrage beschränkt. Nach W. unterscheidet sich das „sinnliche Erkenntnis- und Strebe- vermögen“ der Tiere von der menschlichen „Intelligenz“ hauptsächlich durch zwei negative Eigenschaften. 1. Kann das Tier aus seinen einzelnen Sinneswahrnehmungen keine allgemeinen Begriffe abstrahieren. 2. Kann das Tier zwar zweckmäßig handeln, ist aber des Zweckes seiner Handlung sich nicht bewusst. Was den ersten Punkt betrifft, halte ich daran fest, dass es nicht möglich sei, zu erkennen, inwiefern die Tiere allgemeiner, d. h. ab- strahierter Vorstellungsbilder für ähnliche, oft wiederkehrende Sinnes- und Gemütswahrnehmungen fähig sind. — Der Jäger (um ein Bei- spiel Wasmann’s zu benutzen), welcher mit seinem Hund einen Hasen sucht, geht ebensowenig wie sein vierfüßiger Gehilfe dem abstrahierten Begriff eines idealen Hasen nach; darin hat W. völlig recht; sie ver- folgen beide einen bestimmten Hasen. Aber in ihrem Hirn haben beide eine Vorstellung des Hasen, welche mehr oder weniger allgemein ist, je nach der Zahl und Mannigfaltigkeit der von jedem bisher wahr- genommenen Hasen. Ein solcher allgemeiner Begriff wird gebildet etwa wie die Galton’schen Gesamtphotographien einer Menschen- gruppe, worin die Charaktere der einzelnen Individuen gegen die der Gesamtheit schwinden. Durch Eliminierung desIndividuellen wird derart das Gemeinsame hervorgehoben und eine Ab- straktion geschaffen. Solange nun der Jäger den gejagten Hasen nicht gesehen nat, schwebt ihm das nebelhafte allgemeine Hasenbild vor; ebenso empfindet wohl der Hund, so lange er nach einer Spur sucht, ein komplexes, verallgemeinertes Geruchsbild aller früher ge- rochenen Hasen; ist er aber auf die Spur gekommen, so verwandelt es sich in das bestimmte Geruchsbild des gerade gejagten Hasen. Ein anderes Beispiel wird meinen Gedanken besser klarlegen. — Der Hund hat wie jeder Mensch vielerlei grüne Sachen gesehen: die vetina-Empfindung der grün erscheinenden Lichtstrahlen hat sich in beider Gedächtnis eingeprägt, abgesehen von der Gestalt und sonstiger Beschaffenheit der gesehenen, grünes Licht ausstrahlenden Gegenstände. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass der Hund (und viele andere Tiere) erkennen kann, dass z. B. die grün angestrichene Bank im Garten und das daneben wachsende Gebüsch die gleiche Farbe haben. Ein solehes Urteil verlangt aber, dass das Tier einen abstrakten Be- griff der Elementar - Empfindung „Grün“ besitze. Beweisen kann ich Emery, Instinkt, Intelligenz und Sprache. 19 dieses zwar nicht, aber mein Gegner kann auch nicht beweisen, dass dem nicht so sei. Zu höheren Abstraktionen kommt wohl der Mensch kaum, ohne den Gebrauch der Sprache, ohne welche eigentliche Syllogismen auch nicht möglich sind. Deswegen syllogisieren die Tiere (wie W. richtig bemerkt) nicht. Aber darüber weiter mehr. j Was den zweiten Punkt betrifft, könnte ich eine Anzahl merk- würdiger Katzen- und Hundegeschichten erzählen, welche kaum anders als durch Annahme eines bewussten Zweckes der Handlung erklärt werden dürften. Da aber am Ende solche Geschichten, welche sich auf hervorragende Genies ihrer Art beziehen, angezweifelt werden könnten, so will ich mich mit der Anführung ganz allgemein bekannter, jeden Tag wiederkehrender Handlungen begnügen. — Wenn der Hund mit der Pfote an der Hausthür kratzt, ist er zweifellos des Zweckes bewusst, sich hören zu lassen, damit ihm aufgemacht werde; er ist dazu nicht abgerichtet worden, sondern er hat dieses Mittel selbst ausgedacht und ausgeführt. — Und wenn die Katze, welche ein be- sonderes Geräusch aus dem Speisezimmer wahrgenommen hat, die Thüre geschlossen findet, und, um hereiazukommen, auf einen Baum klettert, und zum Fenster hineinspringt, so benutzt das Tier seine genaue Kenntnis der Ortsverhältnisse, um zweckbewusst rechtzeitig zur Mahlzeit einzutreffen. — Wenn nun einem Tier (wie in Lubbock’s und Wasmann’s Experimenten an Ameisen), um sich aus der Not zu helfen, dieses oder jenes Mittel nicht einfällt, welches uns Menschen noch so naheliegend zu sein scheint, so dürfen wir nicht daraus schließen, dass das Tier keinen Verstand besitze und nicht fähig sei, bewusst zweckmäßig zu handeln. Die bekannte Geschichte des Co- lumbus-Eies zeigt, wie von Menschen die einfachsten ungewöhnten Hilfsmittel schwer gefunden werden. Ich bin also überzeugt, dass Tiere bewusst ecke lag handeln können und sich dadurch, auch im Sinne Wasmann’s, als intelligent erweisen !). Ich habe in meiner früheren Streitschrift behauptet, das höhere Abstraktionsvermögen des Menschen sei die Folge der Sprache, d. h. der Fähigkeit, das aus einer Summe von Sinnesbildern abstrahierte Allgemeine zu einem phonetischen, oder graphischen, oder sonst sinn- lich wahrnehmbaren Symbol zu verkörpern. Die Sprache ist eine be- sondere Hirnthätigkeit, wodurch hauptsächlich der Mensch sich vor 1) Mit der Frage, ob höhere Wirbeltiere einen höheren Grad der Intelligenz (wie Forel sich ausspricht eine größere Plastizität) besitzen als Ameisen oder nicht, will ich mich, da sie zum Streit zwischen mir und W. nicht gehört, hier nicht befassen.: Auch hier stehe ich aber auf der Seite Forel’s gegen Was- mann. 9% ni 20 Emery, Instinkt, Intelligenz und Sprache. den übrigen Tieren auszeichnet. Dadurch habe ich aber nicht be- haupten wollen, dass der Begriff dem Worte nicht vorangehe und erst in Folge des letzteren entstehe. Das Wort wird zum Ausdruck des Begriffes geschaffen; es wird aber, als scharf wahrnehmbares konkretes Sinnesbild oder Symbol, zu weiterer Geistesarbeit, bei minder deut- licher oder sogar verwischter Wahrnehmung des entsprechenden Be- griffes, nochmals verarbeitet. Dadurch entstehen weitere, allgemeinere Begriffe, für welehe wiederum neue Worte geschaffen werden müssen. Der Gebrauch der Sprache verlangt eine besondere Organisation des Gehirnes, besondere Hirnorgane, ohne deren Vorhandensein die Sprache nicht erlernt werden kann. Darum konnte der Pudel Van nicht sprechen lernen!). Wir erkennen eben im Menschen das Ende einer langen phyletischen Reihe, bei welcher das Sprachorgan des Hirnes sich allmählich entwickelte und zugleich die Sprache sich aus anfangs unbewussten, später bewussten Gemütsäußerungen durch Laute, wie sie viele Tiere ausstoßen, langsam ausbildete?). Nun führt Wasmann gegen meine Anschauungen den Fall von Laura Bridgman an. Gerade dieser Fall spricht ganz entschieden für mich. Sobald das Mädchen die Symbole der taktilen Sprache kennen lernte „belebte sieh ihr Gesicht mit einem mensch- liehen Ausdrucke“ Sie war von jenem Moment an im Stande, ihre Erkenntnisse sprachlich zu versinnlichen und die Organe der Sprache und der logischen Verbindung der Begriffe fingen an in ihr zu arbeiten. Die Erwerbung der Sprache verwandelte sie vom Tier zum Menschen. Der Fall Voit, den Wasmann ebenfalls gegen mich aufführt, beweist überhaujt nichts. Dem Kranken fehlte zwar die Fähigkeit, Worte zu sprechen, aber nicht zu schreiben. Er war also im Besitz, der erlernten graphischen Symbole und konnte dieselben an der Stelle der phonetischen verwerten. Hiermit glaube ich abschließen zu können. lch behaupte also gegen Wasmann: 1. dass es, wenn nicht bewiesen, doch sehr wahrscheinlich ist, dass Tiere allgemeine (abstrahierte) Begriffe aus ihren Sinneswahr- nehmungen bilden. Da aber das Gegenteil ebenso wenig nachgewiesen werden kann, so ist es nicht zulässig, ein derart unbegründetes Urteil zur scharfen Scheidung von Mensch und Tier zu verwenden. 1) Auch mancher mikrocephale Idiot lernt nie sprechen und benimmt sich überhaupt minder intelligent als ein Hund. 2) Man vergleiche W. H. J. Bleek, Ueber den Ursprung der Sprache. Weimar 1868, 8°, 72 S. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 24 2. Dass Tiere zweifellos in manchen Fällen nicht nur zweekmäßige, sondern zugleich zwecekbewusste Handlungen ausführen. 3. Dass die Sprache, d. h. die logische Benutzung sinnlicher Symbole von abstrahierten Begriffen den Hauptcharakter der mensch- lichen Intelligenz bildet. Unter Sprache verstehe ich den Komplex jener Hirnthätigkeiten, welche zur Bildung der Worte und zu deren Gebrauch zusammenwirken; ihnen liegen besondere Hirnstrukturen zu Grunde, Die Sprache ist zugleich Produkt und Beförderungsmittel des Ver- standes. Ein Weiterführen des Streites mit Wasmann wäre von meiner Seite zwecklos. Die Divergenz unserer Anschauungen beruht auf total verschiedener Auffassung der Welt und der Menschennatur. Die Haupt- frage, ob der Geist des Menschen nur eine höhere Entfaltung ‘einer bei den Tieren vorhandenen Anlage darstellt, oder im Gegenteil etwas ganz besonderes, neu hinzugekommenes und allen anderen Lebewesen fehlendes, ragt weit über die Intelligenzfrage hinaus; die Antwort, welche auf jene Hauptfrage gegeben wird bestimmt die ganze Rich- tung der Forschung und beeinflusst dadurch die Resultate derselben. [107] Zellleib-, Schalen- und Kern- Verschmelzungen bei den Rhizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung. Von Ludwig Rhumbler in Göttingen. (Mit 14 Abbildungen.) Die Kopulation der Heliozoe Actinophrys zeigt nach Schaudinn!) eine so außerordentlich weitgehende Uebereinstimmung mit den Be- fruchtungsvorgängen der Metazoen, dass Niemand an der vollständigen Homologie beider Vorgänge zweifeln wird. Bei denRhizopoden hingegen, welche ohne Zweifel die Stammformen der Heliozoen enthalten, ist offenbar in vielen Fällen die Aehnlichkeit mit dem Metazoenbefruchtungsprozess noch eine weit geringere. Der Vorgang ist hier mannigfachen Variationen bei den einzelnen Gruppen unterworfen, er hat bei den verschiedenen Formen einen sehr ver- schiedenen Grad der Ausbildung erreicht. Gerade die Variationen in den Paarungserscheinungen einer systematisch so niedrig stehenden Tier- gruppe wie die Rhizopoden, welche voraussichtlich die allerursprüng- lichsten „Tiere* — ich sage nicht „Organismen“ — sind, die wir kennen, scheinen mir ein besonderes Interesse beanspruchen zu dürfen. 1) F. Schaudinn, „Ueber die Kopulation von Actinophrys sol Ehrbg.“ In: Sitzungsber. k. preuß. Akad. d, Wiss., Berlin 1890, S.83—89, 6 Textfig. 99 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- nnd Kern-Versckmelzungen bei Rhizopoden, Sie lassen vielleicht erkennen, auf welche Weise sich die komplizierteren Konjugationsvorgänge und die Befruchtungsvorgänge der Metazoen aus einfacheren Verhältnissen entwickelt haben. Wer in den Naturvorgängen das Resultat einer freiwaltenden Teleo- logie erblickt, wird sich auch vorstellen können, dass Zellen, die sich durch lange Reihen ihrer Stammesgeschichte hindurch ungehindert durch alleinige Teilung vermehrten Bakterien, mit einem Mal das Bedürfnis und mit ihm zugleich auch das Vermögen erlangt hätten, sich gegenseitig auf- zusuchen, ihre Zellleiber zusammenfließen zu lassen, ihre Kerne zu teilen und zwar anders als sonst, nämlich unter Reduktion der chromatischen Substanzen und ihre geteilten Kerne zur Vereinigung zu bringen. Wer aber an eine allmähliche Entwicklung der Organismenwelt unter dem Einfluss der natürlichen Zuchtwahl glaubt, wird auch an eine allmäh- liche Hervorbildung des so sehr verwickelten Befruchtungsvorganges im Laufe der Stammesgeschichte glauben müssen. Die nachstehende Arbeit soll untersuchen, wie weit sich die bis jetzt bekannten verschiedenartigen Paarungsvorgänge bei den Rhizopoden in eine aufsteigende, d. h. von einfacheren Vorgängen zu komplizierteren führende Reihe bringen lassen und ob die so gewonnene Reihe eine wirklich phylogenetische genannt werden darf. 1. Blofse Annäherungserscheinungen und Aneinanderlagerungen ohne Ver- schmelzung der Zellleiber (CUytotropismus). Roux!) hat vor einiger Zeit auf die merkwürdige Thatsache auf- merksam gemacht, dass künstlich auseinandergesprengte Furchungs- zellen aus den frühesten Entwicklungsstadien des Froscheies (kana fusca) sich durch amöboide Lageveränderungen wieder miteinander vereinigen, wenn sie nahe genug zusammenliegen. Man hat zwar eingeworfen, dass dieser von Roux als „Cytotropismus“ bezeichnete Annäherrungsvorgang keine „vitale*“ Erscheinung zu sein brauche, sondern dass es sich dabei möglicherweise um passive grob mecha- nische, nicht an ein lebendes Substrat gebundene Erscheinungen han- deln könne; auch die Fettaugen auf einer Fleischbrühe träten ja ge- legentlich zusammen, wenn sie nahe genug aneinander zu liegen kämen. Nach eigenen noch nicht veröffentlichten Untersuchungen an den Furchungszellen von kana fusca, Triton taeniatus und Triton alpestris muss ich eine derartige Auffassung des Cytotropismus auf das Ent- schiedenste zurückweisen. Abgestorbene Furchungszellen treten eyto- tropisch nie zusammen, außerdem ist die Bewegungserscheinung der Furchungszellen, die zum Wiederzusammentritt derselben führt, so charakteristisch, dass man an eine passive zufällige Aneinandernäherung der Furchungszellen nicht glauben kann. Als ich meine Untersuch- 1) W. Roux, „Ueber den Cytotropismus der Furchungszellen des Gras- frosches*. Arch. Entwicklungsmech., Bd. I, 1894, 8.43 ff.. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 253 ut ungen über den Cytotropismus der Furchungszellen begann, glaubte auch ich die Auffassung des Cytotropismus als Lebenserscheinung um- stoßen und mechanisch sehr einfache, auch für jede anorganische Masse unter gleichen Bedingungen geltende Verhältnisse als Erklärung der auffälligen Erscheinung heranziehen zu dürfen. Ich wurde sehr bald eines Anderen belehrt, als ich Roux’s Versuche wiederholte, und ich bin überzeugt, dass es auch Anderen so gegangen wäre, wenn sie ihre Einwürfe auf eigene Versuche zu gründen versucht hätten. Es liegt mir im Uebrigen Nichts ferner, als die Erscheinungen des Cytotropismus aus der Reihe physikalischer Vorgänge herausrücken zu wollen; im Gegenteil bin ich überzeugt, dass beim Cytotropismus im Grunde wirklich sehr einfache physikalische Gesetze in Wirksam- keit sind, nämlich die auch für zähe Flüssigkeiten geltenden Ober- flächenspannungsgesetze. Diese Gesetze treten aber an einer äußerst kompliziert strukturierten (physikalisch und chemisch komplizierten) Substanz :in Wirksamkeit: Ohne diese Kompliziertheit, die sich mit anorganischer Materie nicht leicht erreichen lassen wird und sie auch dem abgestorbenen Organismus nicht mehr zukommt, kein Cytotropismus. Ich bin zur Ueberzeugung gekommen, wie hier nicht näher aus- geführt werden kann, dass von den sich eytotropisch nähernden Zellen Substanzen an das umgebende Medium abgegeben werden, welche wechselseitigen chemotropischen Einfluss auf die sich einander nähern- den Zellen haben (ef. Roux); es handelt sich um eine chemotropische Wechselwirkung zwischen beiden Zellen. Substanzen, welche von der einen Zelle abgegeben werden, bewirken chemische Umsetzungen auf der Oberfläche der anderen Zelle und umgekehrt. Die chemischen Umsetzungen lagern die chemischen Stoffe zu neuen, vorher nicht vor- handenen chemischen Verbindungen zusammen, dadurch muss sich die Molekularattraktion der Oberflächensubstanzen, d. h. die Oberflächen- spannung, verändern, sie muss größer oder kleiner werden, je nach- dem die Molekularattraktion (Kohäsion) der neu entstandenen Ver- bindungen größer oder kleiner ist als sie in den vorher vorhandenen Substanzen war. Die Veränderung wird da am stärksten sein, wo die Moleküle der von der einen Zelle abgegebenen chemotropisch wirk- samen Substanz am dichtesten an die Oberfläche der anderen Zelle herantreten, d. h. an dem Punkte der betreffenden Zelle, welcher der anderen am nächsten gelegen ist. Bewirkt das Chemotropikum eine Herabminderung der Oberflächenspannung an der betreftenden Stelle, so wird sich diese Stelle unter dem größeren Druck der weniger oder garnicht vom Chemotropikum beeinflussten Oberflächenpartien gegen die andere Zelle vorbeugen, und eventuell, bei ausreichender Wirksam- keit des Chemotropikums, wird die ganze Zelle bis zur Berührung mit der anderen Zelle fortgezogen (positiver Chemotropismus Roux); bewirkt es eine Steigerung, so wird sich die Zelle von der anderen 94 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. wegbeugen, sie wird sich von ihr zu entfernen suchen (negativer Cytotropismus Roux). Diese Erklärung, welche den cytotropischen Mechanismus in die Oberfläche verlegt, lässt sämtliche als „Tropismen“!) bezeichneten Lebenserscheinungen der Zellen auf einen gemeinsamen Grund zurückführen, nämlich auf chemische Umsetzungen bezw. pbysi- kalische Lageveränderungen der Moleküle in der Oberflächenschicht der Zellen. Die Sonne kann chemische Veränderungen auf der Zell- oberfläche ebenso bewirken, wie irgend eine chemische Substanz beim Ohemotropismus. Die chemischen Umsetzungen bei verschiedenen äußeren Einflüssen, bei Lichteinfluss, Elektrizität u. s. w. können in tausenderlei Weise verschieden sein, ohne dass die Reaktions- weise des Organismus auf diese Einflüsse hin selbst in denselben tausenderlei Weisen verschieden sein könnte. Ganz grundverschiedene Einwirkungen werden nackte Zellen vom Orte der Einwirkung weg- treiben, wenn diese Einwirkungen die Oberflächenspannung der Zelle steigern, sie werden das gemeinsame Bewegungsbild der negativen Tropismen hervorrufen; und umgekehrt wird ein positiver Tropismus immer da eintreten, wo in den Einzelfällen vielleicht ganz grundver- schiedene Einwirkungen die Oberflächenspannung der nackten Zelle an der Einwirkungsstelle herabmindern. Dass ein Organismus auf einen Einfluss nur dann reagieren kann, wenn dieser Einfluss irgend- welche Umänderungen in dem Organismus hervorbringt, ist klar; sonst könnte man ja überhaupt nicht von Einfluss reden. Die Reaktions- fähigkeit von chemisch komplizierten Substanzen wird um so größer sein, je labiler, je geneigter zu Umsetzungen die zur Komplikation zusammengetretenen Einzelsubstanzen sind. Die lebenden organischen Substanzen enthalten offenbar zahlreiche sehr labil gebaute Stoffe und unterscheiden sich hierdurch von den meisten anorganischen Stoff- gemengen; es werden sich daher mit letzteren ähnliche, auf denselben Gesetzen beruhende Erscheinungen der Annäherung und Abstoßung nicht leicht erreichen lassen. Bis jetzt sind sie jedenfalls noch nicht erreicht, denn das Zusammentreten der Fettaugen auf der Fleischbrühe, das OÖ. Hertwig zum Vergleich mit dem Cytotropismus heranzuziehen geneigt ist, beruht auf anderen Ursachen. Sofern man das Zusammen- treten der Furchungszellen als die für den Cytotropismus wesentliche Erscheinung ansieht, und außer Auge lässt, dass die zusammentreten- den Zellen vor ihrer künstlichen Trennung bereits mit einander im Verbande gewesen sind, kann man den Cytotropismus auch bei Rhizopoden beobachten. 1) Ueber die Mannigfaltigkeit und Bedeutung dieser Tropismen gewinnt man am besten einen Einblick durch die Abhandlungen von Curt Herbst: „Ueber die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese“. In: Biolog. Centralblatt, Bd. XIV, Nr. 13-22. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 25 Wenn zwei Individuen der sich äußerst träge bewegenden Amoeba verrucosa zufällig einander sehr nahe gekommen sind, etwa so nahe, dass sie nur noch um die Hälfte ihres gewöhnlichen Durchmessers von einander entfernt liegen, dann gewahrt man sehr häufig an den einander zugekehrten Seiten der Amöben, ein langsames Vorfließen von breiten, stark abgeplatteten Pseudopodien, welche die Tiere schließ- lich bis zur gänzlichen Berührung zusammenführen kann. Der Be- rührung, die anfänglich nur in einem oder in mehreren Punkten statt- findet, folgt eine Aneinanderlagerung der Tiere mit breiter Fläche !). Die Aneinanderlagerung der Tiere, die oft mehrere Stunden oder Tage lang währt, manchmal aber bald wieder aufgegeben wird, führt ebensowenig wie der Cytotropismus der Furchungszellen zu einer voll- kommenen Verschmelzung der beiden Amöben. Schon an den lebenden Tieren lässt sich deutlich erkennen, dass jedes Tier sein Ektoplasma, das bei Amoeba verrucosa bekanntlich hautartig den Weichkörper um- giebt, auch an der Berührungsfläche in der gewöhnlichen Ausbildung beibehalten hat; deutlicher tritt dies noch an konservierten Tieren hervor. Bei letzteren tritt oft sogar wieder eine vollständige spaltförmige Trennung in der Berührungsfläche auf, welche bei lebenden Tieren nicht vorkommt und offenbar einer Schrumpfung der beiden Weichkörper zu- zuschreiben ist. Die Tiere waren also nur auf das engste aneinander gelagert, nicht aber zu einem gemeinsamen Ganzen verschmolzen. Individuen, die längere Zeit in Aneinanderlagerung verharren, können weitere Amöben in ihren Verband aufnehmen; es entstehen so ganze Aggregate bezw. Nester von Amöben (Fig. 1), von denen ein- zelne von mir beobachtete über fünfzig Einzelamöben enthielten. Fig. 1. Fig. 1. Schnitt durch ein cyto- tropisches Amöbenaggregat von Amoeba verrucosa Ehrbg. OH = Öscillarien - Hülldecke. A = zusammengelagerte Amöben. Conserv.: Zenker’sche Flüssig- keit. Färbung mit Heidenhain’s Eisen-Hämatoxylin-Methode. Größe des Aggregats 0,9 mm. 1) Die gegenseitigen Berührungsflächen sind zu Anfang der Aneinander- lagerung meist noch wellenartig hin und her gebogen, so dass die warzenartig vorgeschobenen Pseudopodien der einen Amoebe in die Vertiefungen der anderen eingreifen und umgekehrt; allmählich pflegen sich dann aber Erhebungen und Vertiefungen auf den Berührungsflächen beider Amöben abzuebenen, so dass die Amöben dann wie durch eine senkrechte Scheidewand getrennt erscheinen. 96 Bogdanoft, Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen. Ein solches Aggregat habe ich über vierzehn Tage in einer feuchten Kammer gehalten, ohne dass sich während dieser Zeit Amöben aus dem Verbande losgelöst hätten. Die Außenfläche des Amöbenaggregates war von einem dichten Filz lebender Oscillarien umkleidet, der sich wie eine Hülle um das- selbe herumlegte und es vor Austrocknung zu schützen schien; denn das Aggregat war am oberen Verduns’ungsrande des Kulturgefäßes oberhalb desWasserspiegels entstanden, und der Oseillarienfilz sog wie Filtrierpapier der Verdunstung entsprechend neues Wasser nach dem Aggregat hin. Es lag nahe, an die Syneytien der Myxomyceten zu denken und die Aggregate für Vorbereitungsstadien zur Fortpflanzung (mit Schwärmern etwa) anzusehen; doch konnte ich an den Tieren, auch nachdem sie mit Zenker’scher Flüssigkeit abgetötet und mit Heidenhain’s Eisenlack-Hämatoxylinverfahren auf Schnitten gefärbt worden waren, keinerlei Veränderungen an Kern oder Weichkörper wahrnehmen, die auf die beginnende Fortpflanzung hätten schließen lassen. Wenn auch hiermit durchaus nicht ausgeschlossen ist, dass der- artige Veränderungen noch später hätten eintreten können, so zeigt die mitgeteilte Beobachtung und die Untersuchung der Schnitte doch zur Genüge, dass Amoeba‘verrucosa durch eine an den Cytotropis- mus erinnernde Zusammenführungsbewegung zur Aneinanderlagerung von Einzelindividuen gebracht werden kann, bei welcher die zusammen- gebrachten Individuen nicht mit ihren Leibesmassen verschmelzen, son- dern nur mit ihrer äußersten Oberflächenschicht (wie die Furchungs- zellen) leieht verkleben. Solche Amöbennester erinnern an die im nächsten Abschnitt zu erwähnenden plastogamisch verbundenen Actino- phrys-Aggregate, bei denen ja auch keine besonderen Vorgänge im Weichkörper der verbundenen Tiere beobachtet werden konnten. Die plastogamischen Aggregate werden aber durch die Verschmelzung der Ektoplasmaschiehten inniger zusammengehalten als die besprochenen cytotropischen Aggregate. (Zweites Stück folgt.) Ueber das Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen. Vorläufige Mitteilung. Von Dr N. Bogdanoff. (Aus dem histologischen Institut der kaiserlichen Universität zu Moskau.) Im Laufe des letzten Jahres habe ich auf Anregung und unter der Leitung des Herrn Professors Ogne w einige Beobachtungen ge- macht, welche, wie es mir scheinen will, über das Wesen und die phy- siologische Bedeutung der eosinophilen oder «-Granulationen (Ehrlich) einiges Licht verbreiten können. ‚Bogdanoft, Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen. 27 Die Anwesenheit dieser Granulationen in weißen Blutkörperchen zog schon längst die Aufmerksamkeit vieler Beobachter auf sich (Wharton Jones im Jahre 1846, MaxSchultze, Rindfleisch und andere). Die Einen hielten die Granula für Fett oder fettartige Substanz, die anderen, z.B. Ranvier, beschreiben „runde, glänzende Körnchen, welche nicht alle von derselben Natur sind; einige er- scheinen fettiger Natur, andere aber färben sich mit Karmin und sind den Granulationen ähnlich, die sich in roten Blutkörperchen der Amphibienlarven befinden“ (Trait& technique d’Histologie). Seit Ehrlich’s Arbeiten erregte die Frage von den Zellgranu- lationen, den eosinophilen besonders, allgemeines Interesse und unter- lag einer ausführlichen Bearbeitung, vorzüglich von Seiten der Kliniker. Da ich hier keine Möglichkeit habe, in die Auseinandersetzung des Inhalts dieser Arbeiten einzugehen, will ich nur sagen, dass, was die wesentlichen Eigenschaften der eosinophilen Granulationen anbetrifft, sie wenig Neues zu Ehrlich’s Anschauungen beigefügt haben. Wie wir wissen, zeigten Ehrlich und Schwarze, dass eosinophile Granulationen weder Fett noch Hämoglobin sind und, wahrscheinlich, „keine Eiweißkörper“ (Farbenanalytische Untersuchungen etc. S. 10). Schwarze sagt: „nur drei Eigenschaften möchten wir hier als für spätere Untersuchungen wichtig anführen, 1. dass der Körper (der eo- sinoph. Gran.) wasserhaltig ist, 2. dass er im Wasser etwas quillt, 3. dass er bei hohen Temperaturen (über 160° C.) eine halbe Schmelzung erleidet, der Art, dass die normal isolierte Körnung hier- bei zu einer homogenen, wachsartigen zusammensintert“ (l. e. S. 95). Die Anschauungen über die Entstehung dieser Granulationen stehen auch nicht ganz fest. Ehrlich hält sie für „Produkte ‚einer eigenartigen sekretorischen Thätigkeit der Zellen“ (l. ce. 8. 16), Tettenhammer (Anat. Anz. Bd. VIII Nr. 6 u. 7) und einige andere lassen die eosinophilen Granulationen aus den degenerierenden Kernen entstehen, Sacharoff (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 45) betrachtet dieselben als Nucleolen. Nach seiner Meinung entstehen die eosino- philen Zellen durch Phagoeytose: die Leukocyten sollen die Kerne auffressen, welche aus den neugebildeten rothen Blutkörperchen heraus- gekommen sind, und die Nucleolen dieser Kerne sollen in eosinophile Körnchen sich verwandeln. Aus allem hier gesagten folgt, dass über die Bedeutung der eosi- nophilen Granulationen noch Vieles dunkel bleibt; dieselben haben aber ohne Zweifel eine bestimmte Bedeutung, wie wir nach ihrer Ver- breitung unter verschiedenen Klassen der Wirbeltiere und nach der Bestimmtheit der morphologischen Eigenschaften schließen müssen. Bei meinen Untersuchungen benutzte ich Tiere mit großen Zell- elementen; ich untersuchte nicht nur Blut, sondern auch jene Organe, wo physiologisch eosinophile Zellen in großer Menge zu finden sind 3S Bogdanoff, Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen, b) und, wie man glauben kann, ihren Ursprung haben. Besonders wurde das Knochenmark der Wirbeltiere in Beziehung zu den eosinophilen Granulationen auf verschiedene Weise untersucht. Ich benutzte das Blut und die Leberrandschicht des Axolotl, das Knochenmark der Herbst- und Winterfrösche und verschiedener warm- blütiger Tiere (Kaninchen, Schafe, Katzen, Ratten, Hunde und Affen). Dabei wurde bei Hunden dasKnochenmark durch wiederholte, arterielle Blutentziehungen und Milzexstirpation in den Zustand einer möglichst hohen funktionellen Thätigkeit übergeführt. Die Methodik. Zur Fixation benutzte ich ein Gemisch von gleichen Teilen 5proz. Lösung Kali bichromiei mit gesättigter Sublimatlösung in 0,6 pCt. NaCl (nach Nikiforoff), in welchem die Präparate 14—24 Stunden blieben, wonach sie in Paraffın eingebettet und mit Hilfe eines Mikrotoms in dünne Schnitte zerlegt wurden. Auch wurde Osmiumsäure und verschiedene Gemische derselben gebraucht. Für kaltblütige Tiere benutzte ich Flemming’sche und Hermann’sche Flüssigkeiten, für Knochenmark der Warmblütigen ausschließlich die Hermann’sche Flüssigkeit, in welcher die Objekte S— 10 Tage blieben. Zugleich wurden auch zerzupfte und deckglastrockene Prä- parate gefertigt und mit dem Nikiforoff’schen Aether-Alkohol Ge- mische fixirt. Zur Färbung der osmierten Präparate diente Saffranin; die in Sublimat (resp. in Sublimat + Kal. bichr.) fixierten Präparate wurden nach M. Heidenhain, Ehrlich-Biondi und mit Häma- toxylin-Eosin gefärbt. Auch andere Färbungen gebrauchte ich in ein zelnen Fällen. Die Leberrandschicht der gut gefütterten Axolotlen ist an eosino- philen Zellen sehr reich, deren Granulationen (in den mit Sublimat- Kal. bichr. fixierten Präparaten) alle charakteristischen Färbungsreak- tionen zeigen. In Präparaten, die mit Osminmgemischen fixiert und mit Saffranin gefärbt sind, zeigen die Granulationen verschieden- artige Färbung. In einer und derselben Zelle erscheinen die Körn- chen von gleicher Größe und dabei sind die einen von Osmium scharf geschwärzt, die anderen aber mit Saffranin gefärbt und endlich haben einige gelb-bräunliche Färbung, als ob sie den Uebergang von den mit Saffranin gefärbten zu den schwarzen zeigen. Dabei sind die Kernnucleolen rot gefärbt und nach der Färbung und Größe den roten eosinophilen Körnchen außerordentlich ähnlich. Die meisten Beobachtungen an kaltblütigen Tieren wurden an dem Knochenmarke aus dem Femur der Frösche gemacht, das ich in einer der obengenannten Flüssigkeiten fixirte. An Längsschnitten kann man sich leicht überzeugen, dass der peripherische Teil dieses Knochenmarkes in gewissem Grade immer einen thätigen Charakter bewahrt und aus leukoeytenähnlichen Elementen besteht; denn näher dem Centrum sind alle interkapillären Räume mit großen Fettzellen gefüllt. In der Bogdanoff, Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen. 2% peripherischen Schicht enthalten sehr viele, man kann sagen die mei- sten Zellen, typische eosinophile Granulationen; zuweilen sind diese eosinophilen Zellen gruppenweise, zuweilen aber auch einzeln verteilt. An osmirten Präparaten kann man sich überzeugen, dass auch hier die Körnehen verschiedenen Charakter haben, und sich teils schwarz, teils rot (mit Saffranin), teils gelbbräunlich färben. Also gelingt es, Aehnliches, wie an der Leberrandschicht der Axolot/, zu beobachten, und zwar gelingt es hier, sich eineVorstellung über das weitere Schick- sal der eosinophilen Granulationen zu machen, weil auf der Grenze der peripherischen Schicht Uebergangsformen von eosinophilen Zellen zu typischen Fettzellen sich befinden. Schon in der peripheren Schicht kann man bemerken, dass der Kern der eosinophilen Zellen peripherisch liegt und an die Zellen- membran gepresst ist; ferner, dass diese Zellen mit der Anhäufung eosinophiler Granulationen in denselben wachsen und zwei- bis dreimal ihre gewöhnliche Größe übertreffen, sodass sie typischen Fett- zellen gleichen. Die Körnchen selbst beginnen dabei sich mit Eosin schwächer zu färben; zuweilen kann man auch beobachten, dass sie in homogene Klümpchen zusammenschmelzen, die Fetttropfen ganz ähn- lich sind, aber die Eigenschaft, sich mit Eosin zu färben, nieht ver- lieren. An den mit Osmium fixierten Präparaten kann man auch manchmal Klümpcehen finden, welche ihrem Aussehen nach Fettropfen ganz ähnlich sind, aber mit Saffranin sich färben lassen. In mit Sublimat fixierten Präparaten zieht Alkohol und Chloroform das Fett heraus, wobei sich größere und kleinere Vakuolen zeigen; bei mögliehst kurzer Bearbeitung mit Alkohol und Chloroform wird nicht alles Fett herausgezogen. In solchen Präparaten kann man das Fett mit Osmium oder Chinolinblau, und die eosinophilen Granulationen mit Eosin färben, wobei in einer und derselben Zelle sich sowohl Fett als auch eosinophile Granulationen erweisen. Aus allen diesen Beobachtungen kann man schließen, dass die Anhäufung der eosinophilen Granulationen in der Zelle ein vorläufiges Stadium beim Uebergange in Fettzellen ist; dabei verwandeln sich die eosinophilen Körnchen von selbst in Fettkörnchen, und nachher fließen sie in Tropfen zusammen. Nur selten schmelzen die eosinophilen Körn- chen, ehe sie sich in Fett verwandeln, in Klümpehen zusammen. Die Untersuchungen über das Knochenmark der warmblütigen Tiere haben im allgemeinen die an Fröschen erhaltenen Resultate be- stätigt. Bei Anwendung zulässiger Vergrösserungen kann man auch hier die Leukocyten mit oben beschriebenen dreierlei Körnchen auf- finden. Man konnte auch bemerken, dass bei jungen Tieren die Menge der eosinophilen Zellen im Knochenmark im allgemeinen kleiner war als bei den erwachsenen. 30 Bogdanoff, Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen. Untersuchungen an Hunden sollten erklären, ob die Zahl der eosinophilen Zellen im thätigen Knochenmark sich vergrößert oder vermindert und wie dabei sein Fettgehalt sich verhält. Dafür machte ich jungen Hunden von '/, bis zu 1 Jahr,, einigen nach vorläufiger Milzexstirpation, alle 5 Tage wiederholte (bis Gmal) arterielle Blut- entziehungen und fand dabei, dass im Knochenmark, welches auf diese Weise zu möglichst hoher funktioneller Thätigkeit gefördert war, die Fettmenge sich scharf verminderte. Die dem Knochenmarke eigen- tümlichen großen Fettzellen fehlen fast vollkommen; man findet Fett nur in Form von feinsten Körnchen in einigen Iymphoiden Zellen. Dabei vermindert sich auch die Zahl der eosinophilen Zellen und ver- srössert sich die Zahl der sich neubildenden roten Blutkörperchen. Früher habe ich schon Sacharoff’s Ansicht erwähnt, deren Nachprüfung in meine Arbeit eingehen sollte. An dem zur höchsten Thätigkeit angeregten Knochenmark der Hunde gelang es mir, trotz aller Mühe, keine Thatsache zu erhalten, welche die Kernausstoßung bei neugebildeten roten Blutkörperchen beweisen könnte; im Gegen- teil, alles sprach für eine Kernauflösung (im Sinne E. Neumann’s und Anderer). Auf solche Weise könnte man eher von einer „eigen- artigen Sekretion“ (nachEhrlich) als von Phagocytose sprechen. Nichtsdestoweniger verliert die von Sacharoff gestützte Theorie, dass die eosinophilen Granulationen aus Kernnucleolen sich bilden, ihre Bedeutung nicht; man kann ungezwungener annehmen, dass die Nucleolen aus dem Kern ins Protoplasma austreten (was schon Gaule, Galeotti, Ogata u. a. annahmen), als dass der Kern aus der Zelle herausgestoßen und nach Zerfall durch Phagoeyten gefressen wird (wie es Sacharoff, welcher ausschließlich mit auf Deckglas getrockneten Präparaten arbeitete, beschreibt). In dieser Beziehung kann man außer der oben erwähnten Aehn- lichkeit in der Größe und Färbung der Nukleolen und eosinophilen Granulationen (an mit Saffranin gefärbten Präparaten) und außer der acidophilen Färbung der Nukleolen nach Ehrlich-Biondi noch das eigenartige Verhalten zur Färbung nach M. Heidenhain anmerken. Die Nukleolensubstanz färbt sich dabei außerordentlich scharf, fast schwarz und behält diese Färbung sogar nach langsamer Entfärbung in Eisensalz, wenn sich das Chromatinnetz fast ganz entfärbt. Ebenso verhalten sich auch die eosinophilen Granulationen, sodass sie nach Größe und Färbung den Nucleolen ähnlich sind. Es wäre erwünscht, den chemischen Charakter der Substanz, aus welcher die Granulationen bestehen, genauer zu bestimmen. Es gelang mir nicht künstlich eine Substanz zu erhalten, welche in optischer Be- ziehung und im Verhalten gegen Farbstoffe mit eosinophilen Granu- lationen änliche Eigeuschaften besäße. Aber bei Untersuchungen von dotterreiehen A:olot!-Larven, Ovarialzellen der Hunde und von Gemischen Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Bu aus Hühnereiweiß mit Hühnereidotter beobachtete ich Bilder, welche an die oben erwähnten Beobachtungen über eosinophile Körnchen sehr erinnern. Im Darmtraktus der Axolotllarven (nach Fixation mit Flem- ming’scher oder Hermann’scher Flüssigkeit) liegen zwischen den Zellen bald größere, bald kleinere Dotterkügelchen, welche sich auch innerhalb der Zellen befinden, wobei sie oft anGröße den eosinophilen Körnchen gleichen. Dabei kann man auch hier Dotterkügelchen und Dotterkörnehen beobachten, welche von gleicher Größe und gleich- förmig sind, aber von denen die einen schwarz, die anderen mit Saffranin mehr oder weniger gefärbt sind. Im Protoplasma der Ovarialzellen von Hunden fand ich gleichfalls rote und schwarze Kugeln (resp. Tropfen), während in mehr atrophierten Zellen aller Dotter durch Fett ersetzt war. Aehnliche Kugeln finden sich auch im Hühnereidotter, welcher mit Eiweiß gemischt, durch Wärme fixiert, mit Hermann’scher Flüssigkeit bearbeitet und in Schnitte zerlegt war. In mit Sublimat fixierten Präparaten färben sich die Dotterkügel- chen acidophil (nach Ehrlich-Biondi und mit Hämatoxylin-Eosin) und bei der Färbung nach M. Heidenhain nehmen sie eine inten- sive schwarzblaue Färbung an und entfärben sich sehr schwer, ganz wie Nukleolen und eosinophile Granulationen. Dieses Verhalten gegen verschiedene Färbungen erinnert an die Ranvier’sche Bemerkung und lässt vielleicht vermuten, dass eosino- phile Granulationen dotterähnliche Kernsekretionsprodukte sind in Zellen, die bis zu gewissem Grade ihren embryonalen Charakter be- wahrt haben. Bei geringem Verbrauch verwandelt sich die eosino- phile Substanz in Fett, welches wie Dotter als Nahrungsmaterial dient. Zum Schlusse sei es mir gestattet, dem verehrten Herrn Professor J. Ognew nochmals meinen herzlichsten Dank auszusprechen. [100] A. Rauber, ord. öfftl. Professor in Jurjew (Dorpat), Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 5. Auflage. 2 Bände. Mit 1608, zum Teil farbigen Textabbildungen. Preis 35 Mk. Leipzig, Arthur Georgi, 1897. Dem im Sommer dieses Jahres erschienenen ersten, ist bald der zweite und letzte Band des oben genannten Werkes gefolgt. Hervorgegangen aus dem bekannten Lehrbuche der Anatomie von Quain-Hoffmann, hat es seit seinem Bestehen mancherlei Wandlungen erfahren, bis zuletzt Professor Rauber die Bearbeitung allein übernahm. Bisher durfte es in verhältnis- mäßig kurzer Zeit fünf Auflagen erleben — für ein anatomisches Lehrbuch ein gewiss nicht häufiges Vorkommen, und zugleich ein beredter Beweis für seine Brauchbarkeit. Wenn nun auch, um mit den Worten Henle’s zu reden, 39 Rauber, Lehrbuch der Anrstoirfie des Menschen. es eines Buches eigene Sache ist, sich über seine Existenzberechtigung auszu- weisen, so verdient doch das vorliegende um mancher Eigentümlichkeiten und Vorzüge willen eine kurze Besprechung. Die neu erschienene Auflage hat eine gänzliche Umarbeitung erfahren, und mit dem ursprünglichen Werke wenig mehr gemein, als eine Anzahl herüber- genommener Abbildungen. Der Herr Verf. konnte das Buch durch übersicht- liche Verwertung und kritische Sichtung des von der Forschung der letzten Jahre so reichlich zu Tage geförderten Materiales sehr viel reicher ausgestalten, als frühere Auflagen. Gleichwohl wurde eine Volumszunahme vermieden, einer- seits durch knappe und prägnante Art der Darstellung, dann aber auch durch minder breite Behandlung des topographischen Teils bei den einzelnen Organsystemen, von denen in dieser Hinsicht nur das Notwendigste gesagt wurde; wir meinen, mit Recht, da die topographische Anatomie einen be- sonderen Lehrgegenstand ausmacht, und eine eigene, ausführlichere Behand- lung erheischt, die sich nicht nebenher in einem Lehrbuche der syste- matischen Anatomie geben lässt. Neben der geschichtlichen Darstellung der Entwicklung unserer Wissenschaft, ist auch der biologische Zusammenhang der naturwissenschaftlichen Disziplinen, insbesondere der zwischen tierischem und pflanzlichem Leben in einem besondern Kapitel erläutert worden. Die allge- meine Anatomie erfuhr eine eingehende, auf den modernen Errungenschaften der Gewebelehre fußende Behandlung, und auch der plastischen Anatomie, be- ziehungsweise der Lehre von den Körperproportionen konnte eine angemessene Berücksichtigung zuteil werden. Jedem Abschnitt über ein Organsystem geht die zusammenfassende Besprechung der bezüglichen entwicklungsgeschicht- lichen und vergleichend-anatomischen Verhältnisse voraus; nachdem solcher- gestalt das morphologische und physiologische Verständnis für die höhere Form angebahnt wurde, wächst diese gleichsam vor dem geistigen Auge des Lesers aus dem gegebenen Boden heraus, eine Art der Darstellung, deren Vorzüge augenfällig sind. Am Schlusse jedes Abschnittes findet sich dann die wesent- lichste einschlägige Litteratur angegeben. Eine besonders ausgiebige Bereiche- rung wurde dem Kapitel über das Central-Nervensystem zuteil, indem hier neben des Verfassers eigenen auch die Ergebnisse der zahlreichen neuen Arbeiten vonRamön y Cajal, van Gehuchten, v. Lenhossek u.a. kritische Ver- wertung fanden. Durch eine reiche Anzahl teils eigener, teils aus den besten Atlanten herübergenommener Abbildungen, von denen nicht wenige farbig aus- geführt wurden, macht das Buch die Benützung anderer anatomischer Bild- werke entbehrlich; auch kommt ihm die Verwendung der neuen anatomischen Nomenklatur zugute. So entspricht das Rauber’sche Werk allen Anforderungen eines guten Lehrbuches, indem es bei mäßigem Umfang Alles auf unsere Wissenschaft be- zügliche in übersichtlicher Darstellung und ansprechender Form bietet, ohne den Leser mit theoretischem Material zu überladen oder durch breite Behand- lung kontroverser Dinge zu ermüden; es hat neben voller Berücksichtigung des praktischen Bedürfnisses das Bestreben, zu einer wissenschaftlichen Auf- fassung der Anatomie hinzuleiten und den innigen Zusammenhang aller bio- logischen Disziplinen darzuthun. [126] Tübingen, im Dezember 1897. Disselhorst. Verlag von Arthur Georgi (vormals Eduard Besold) in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Öentralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Januar 1898. Nr. 2. Inhalt: Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei den Khizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung (2. Stück). — Häcker, Pelagische Polychätenlarven. — Simroth, Ueber die mögliche oder wahrscheinliche Herleitung der Asymmetrie der Gastropoden. — Ritzema BoS, Zur Lebensgeschichte des Maulwurfs. Zellleib-, Schalen- und Kern - Verschmelzungen bei den Rhizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu. phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung. Von Ludwig Rhumbler in Göttingen. 2. Aneinanderlagerung von Rhizopoden unter Verschmelzung des Weichkörpers, aber ohne Verschmelzung der Kerne. —= Plastogamie, (Zweites Stück.) Während sich bei dem vorbeschriebenen Cytotropismus zwei Zellen bis zu gegenseitiger Aneinanderlagerung einander nähern, ohne dass bei nur oberflächlicher Verklebung der äußersten Körperschicht eine eigentliche Verschmelzung der beiden Zellleiber eintritt, findet eine solche Verschmelzung bei derjenigen Paarungserscheinung statt, die man in neuerer Zeit als „Plastogamie“* bezeichnet hat. Für sie ist die Verschmelzung der Zellleiber bei Wahrung der Selbständigkeit der in den Zellleibern gelegenen Kerne charakteristisch; die Kerne der zusammengetretenen Zellen verschmelzen nicht mit einander. Soweit die Plastogamie für sich allein auftritt und sich nicht mit der später zu besprechenden Karyogamie oder Cytogamie vereinigt, ist sie bloß ein temporärer Vorgang, d. h. die Tiere trennen sich wieder von ein- ander, nachdem sie kürzere oder längere Zeit verschmolzen waren. Die Plastogamie ist beobachtet: bei Actinophrys, wo nach Schau- dinn’s Beobachtungen 2— 30 Individuen mit einander verschmelzen können, bei Actinosphaerium (Johnson) und bei mehreren Testaceen, wenigstens insoweit als bei 2—3 mit einander konjugierten Tieren XVII. B) 54 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. eine Kernverschmelzung, während der Dauer der Beobachtung von ihrer ersten Auffindung bis zu ihrem Auseinandertreten nicht wahr- genommen werden konnte. Ich habe mehrere hundert von plastogamisch verbundenen Difflugia lobostoma neuerdings wieder sorgsam geprüft. Unter hundert Einzel- tieren fanden sich fast immer 2—3, welche in Konjugation mit ihren Schalenmündungen aneinander gelagert waren; rüttelte ich eine große Zahl [manchmal 2—300 Stück!)] am Grunde eines Uhrschälchens zu- sammen, so stieg nach kurzer Zeit die Zahl der im Uhrschälchen ent- haltenen Konjugationspaare auf ca. 6—10°/,. Die dichte Zusammen- lagerung der Tiere hatte augenscheinlich ihre wechselseitige Aneinander- lagerung gefördert. In der Regel waren zwei Tiere zusammengetreten, manchmal drei, höchst selten vier; mehr wie vier Tiere habe ich weder bei Difflugia lobostoma noch bei sonst einer solitär lebenden Testacee jemals in Plastogamie gefunden. Wenn man eine große Anzahl von Difflugia lobostoma im Uhr- schälchen aufgesammelt hat, so wird man, sobald die Einzeltiere nach dem Ansammeln ihre Pseudopodien wieder ausstrecken?), auch die eventuell vorhandenen plastogamisch verbundenen Paarlinge ihre Pseudopodien ausstrecken sehen. Ihre Pseudopodienbildung bezw. die Gestaltsveränderungen der Pseudopodien sind aber bei den Paarlingen meist unverkennbar hastiger als bei den Einzeltieren, und die Länge ihrer Pseudopodien überragt oft um das Doppelte die Länge der Einzeltiere. Man gewinnt ganz den Eindruck, als ob die Tiere sich möglichst schnell aus der wechselseitigen Verschmelzung wieder frei zu machen suchten. Der Versuch durch künstliche Aneinanderlagerung zweier Tiere, sie zur Plastogamie zu veranlassen, misslang; die Tiere streckten bei etwa 10 Versuchen ihre Pseudopodien nach entgegengesetzten Seiten aus und entfernten sich dann von einander; ob sich die Pseudopodien dabei gelegentlich berührten, weiss ich nicht, da die Pseudopodien die Schalenmündung der kugligen Schale nach unten ziehen, so dass die Schale den um die Mündung herumgelegenen Schauplatz verdeckt, auf dem die Pseudopodien zunächst ihr Spiel treiben ?). 1) Diese Massen lebender Tiere wurden durch einfaches Dekantieren der in ein Uhrschälchen überfiührten Grundprobe des Kulturgefäßes, in welchem die Difflugien lebten, gewonnen. Da die Difflugienschalen meist sehr schwer sind, gelingt das Dekantieren in der Regel außerordentlich leicht; man kann sie bei geringer Uebung und einiger Vorsicht fast ohne jede Beimengung von Fremdkörpern erhalten. 2) Difflugia lobostoma streckt meistens schon wenige Minuten nach dem Aufsammeln ihre Pseudopodien wieder aus; sie unterscheidet sich hierdurch von sehr vielen anderen Difflugien, die oft stundenlang nach der Erschütterung, welche die Aufsammlung mit sich bringt, in ihre Schale zurückgezogen bleiben. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 35 Bei Pontigulasia ineisa Rhblr., die eine für solche Bevbachtungen günstigere Schalenform besitzt, sah ich mehrere Male eine direkte aus- giebige Berührung der Pseudopodien zweier zusammengeratener Tiere eintreten, ohne dass eine Verschmelzung der Pseudopodien bezw. Plasto- gamie der beiden Tiere eintrat. Ein plastogamisch verbundenes Paar von Difflugia lobostoma, das ich mit Hilfe einer Glasnadel auseinanderlöste, vereinigte sich nicht wieder, obgleich ich die auseinander getrennten Tiere wieder recht nahe, etwa auf ?/, Schalendurchmesser zusamwmengeschoben hatte. Zuerst rückten die Tiere nach der Trennung noch etwas auf- einander zu, später entfernten sie sich von einander; beide Tiere wichen sich gegenseitig aus. Verworn!) hatte früher mit Difflugia urceolata denselben Ver- such aber mit entgegengesetztem Resultat angestellt (wie viel derartige Versuche gemacht wurden, giebt Verworn leider nicht an). Seine getrennten Paarlinge vereinigten sich wieder miteinander. Künstlich aneinander gelagerte Einzeltiere konnte auch er nicht zur Vereinigung bringen. Verworn schloss daher, dass nur auf bestimmten Stadien eine Konjugation möglich, dass sie dann aber auch notwendig sei. Die Notwendigkeit wurde aus dem Wiederzusammentritt getrennter Paarlinge geschlossen. Mein negativer Erfolg bei dem angegebenen Versuch lehrt, dass nicht unter allen Umständen eine Wiedervereinigung getrennter Kon- juganten erfolgt, selbst wenn sie sich in einer der Wiedervereinigung günstigen Lage befinden. Mit Pikrinschwefelsäure oder mit Sublimatgemischen konservierte Paarlinge von sehr verschiedenen Difflugienspecies, die ich im Laufe des vergangenen Jahres in gewissen Zeiträumen aufsammelte, ließen keinerlei Veränderungen im Bau ihres Zellleibes und ihres Kernes er- kennen. Dieselben Variationen der Schalen und der Kerne, die man bei den Einzeltieren antrifit, sieht man in den Paarlingen vereinigt; ein Tier mit kleinerer Schale mit einem Tier mit größerer Schale; ein Tier mit größerem Kern und ein Tier mit kleinerem Kern, Tiere mit gleichgroßen Schalen, Tiere mit gleichgroßen Kernen, ein Tier mit viel Nahrungskörpern mit einem Tier mit wenig Nahrungskörper und alle sonstigen Kombinationen. Die Kerne der Paarlinge zeigen die gewöhnliche Konstruktion; es lässt sich nicht nachweisen, wie dies nach den Untersuchungen Schau- dinn’s bei der von mir weiter unten als „Cytogamie“ bezeichneten Konjugation gewisser Foraminiferen der Fall ist, dass nur Tiere mit gleichen Kernstadien sich plastogamisch verbinden. Eine Auswahl in Betreff ganz bestimmter Kernstadien findet bei der Plastogamie der Difflugien offenbar ebensowenig statt als eine Auswahl in Betreff der 1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 46, 1888, S. 455 —470. 3* 36 KRhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden Größe der Schale oder in Betreff irgend eines anderen der Unter- suchung bis jetzt zugänglichen Faktors. Wie nebensächlich der augenblickliche Zustand von Sarkodeleib und Kern der Paarlinge für die Plastogamie sein wird, geht daraus hervor, dass die Plastogamie auch dann eintreten kann, wenn sich andere besondere Vorgänge an den Paarlingen abspielen, oder wenn sich kurz zuvor besondere Vorgänge an beiden oder an einem von ihnen abgespielt haben. So können plastogamisch zusammengetretene Verbände von Actino- phrys (ef. Schaudinn |. c.) zur im nächsten Abschnitt besprochenen Karyogamie schreiten, ohne dass der normale Vorgang der Karyo- samie durch die plastogamische Vereinigung irgendwelche Abände- rungen erfährt. Die plastogamische Kolonie wird später zu einer Zu- sammenhäufung von Cysten, die ganz wie die während der gewöhn- lichen Karyogamie entstehenden Cysten aus der Verschmelzung von Kern nnd Plasmaleib bloß je zweier Individuen entstanden sind; auf die Ausbildung der Cysten und des Cysteninhaltes hat die gleichzeitig mehrfache Plastogamie keinen weiteren Einfluss. — Mit ihren Mün- dungen aneinanderliegende Diffiugiengehäuse, die einen gemeinsamen Deckel zwischen sich abgeschieden und dadurch in den Cystenzustand übergetreten sind, wie ich solche schon früher von Difflugia bacilli- fera P&n. beschrieben habe), sind offenbar kurz vor ihrer Eneystierung plastogamisch in Verbindung gewesen. Fig. 2.. Fig. 2. Ein Doppeltier (D) und ein einfaches Individuum (Z) von Difflugia lobostoma Leidy in plastogamischer Verbindung. N = Kerne; p$ = perinukleäre Sarkode; Na = Nahrungskörper; Oe, u. 0, = die beiden Oeffnungen der Doppelschale (D). Das Präparat ist im optischen Durchschnitt dargestellt. Conserv.: Pikrinschwefelsäure. Färbung: Methylgrün-Eosin. 1) Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd. 61, 1896, T. IV, Fig. %. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 37 Beachtung darf auch das Fig. 2 abgebildete Konjugationspaar von Difflugia lobostoma beanspruchen. Hier ist ein Doppelindividuum mit einem gewöhnlichen in plastogamische Verbindung getreten. Man sieht, dass die Plastogamie unter ganz verschiedenen Be- dingungen und in sehr ungleichen Lebensperioden eintreten kann, dass sie aber auf die Lebensäußerungen der Tiere keinen bis jetzt nach- weisbaren Einfluss auszuüben vermag. Einmal glaubte ich einer typischen Umbildung des Plasmaleibes während der Plastogamie auf der Spur zu sein. Ich sah bei Difflugia lobostoma nämlich die perinukleäre Sarkode, die bei den normalen Tieren eine sehr scharf abgegrenzte, stark färbbare um den Keru herumliegende Sarkodeschicht darstellt, anfangs Mai in den plasto- gamischen Paaren zu einzelnen Tropfen zerfallen, welche nach allen Richtungen hin in dem Zellleibe des Tieres zerstreut lagen. Was hier anfangs Mai für die Paarlinge von Difflugie lobostoma zum Gesetz geworden schien, hatte ich früher schon einmal bei Difflugia globu- losa Duj. gesehen und abgebildet (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 61, T.1V, Fig. 21). Das bestärkte mich in meiner Vermutung, zumal der Zerfall des Makronukleus bei der Konjugation der Infusorien vielleicht eine ver- lockende Parallele zu bieten vermochte. Als ich aber Einzeltiere zu derselben Zeit konservierte, fand ich in den meisten derselben den gleichen Zerfall der perinukleären Sar- kode und in wenigen Tagen war die ganze Kultur, obgleich sie bis dahin sich prächtig entwickelt hatte, gänzlich ausgestorben. Der Zer- fall der perinukleären Sarkode ist augenscheinlich das erste Anzeichen des Sterbens gewesen und hatte zur Plastogamie keine grundsätz- lichen Beziehungen; er ist ja, wie gesagt, auch zu anderen Zeiten, in denen ich viele Paarlinge aushob, nicht angetroffen worden. Die Paar- linge schienen sich im übrigen in der Kränkelungs- und Aussterbe- periode prozentarisch vermehrt zu haben, ich traf öfters 12-—-14 unter hundert Einzeltieren. t Die Plastogamie ist oftenbar auch mit keinerlei prinzipiell not- wendigen Folgevorgängen für die zusammen- und wieder auseinander- getretenen Tiere verknüpft. Trotzdem aber wäre es zu weit gegangen, der Plastogamie über- haupt jegliche Wirkung auf die bei ihr beteiligten Tiere absprechen zu wollen. Schon die Hast und die Intensität mit der die Pseudopodien vor dem Wiederauseinandertreten der Tiere ausgeschickt werden, lassen auf irgend welche gegenseitige Einwirkungen schließen; außerdem ist es von vorherein aus rein physikalischen Gründen wahrscheinlich, dass bei der Verschmelzung der zähflüssigen Amöbenkörper Stoffe von dem einen Tier in das andere übertreten, sofern nicht beide, was so gut wie ausgeschlossen ist, genau identische Zusammensetzung besitzen. 38 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden, Ein solcher gegenseitiger Substanzaustausch, von dem wir die ersten Spuren schon bei dem Cytotropismus antrafen, wird in Folge der os- motischen Gesetze eintreten, auch beruht ja die Verschmelzung an sich schon auf Vermengung der beiderseitigen Körpersubstanzen zum mindesten an den Verschmelzungsstellen. Die während der Plastogamie ausgetauschten Stoffe besitzen aber offenbar noch keine bestimmende oder ändernde Bedeutung für die weiteren Lebensvorgänge der wieder getrennten Tiere. Wie dem Cytotropismus haftet auch der Plastogamie der Rhizo- poden im Gegensatz zu wirklichen Befruchtungsvorgängen noch der Charakter des mehr Zufälligen an. Ich glaube, dass sich auch dafür eine Erklärung finden lässt, warum die Tiere bei wechselseitiger Berührung zuweilen mit einander verschmelzen, in der Regel aber nicht. Es wird das ganz davon ab- hängen, mit welcher Kraft die Pseudopodien gegen einander stoßen, unter welchem Winkel sie zusammentreffen, wie groß ihre Oberflächen- krümmung, wie groß ihre gegenseitige Berührungsfläche ist welche Oberflächenspannung die Pseudopodien zur Zeit ihrer Kollision be- sitzen, ob vielleicht zufällig Fremdkörper (bezw. Verunreinigungen) zwischen die Berührungsflächen eingeschoben worden sind oder nicht, d.h. es kommen Verhältnisse in Betracht, die auch sonst für Ver- schmelzungen flüssiger oder zähflüssiger Substanzen maßgebend sind. Von diesem Standpunkte aus lässt sich auch verstehen, dass unter gewissen Bedingungen die-Verschmelzungsfähigkeit der Individuen ins- gesamt eine Steigerung erfahren kann!); z. B. wenn durch innere Um- wandlungen die Oberflächenspannung der Pseudopodien eine für die wechselseitige Verschmelzung günstige Veränderung erfahrenhat, wie dies während der oben erwähnten Aussterbeperiode der Difflugia lobostoma der Fall gewesen sein mag, oder wie dies normaler Weise vielleicht dann eintritt, wenn die Zeit für wichtigere Vorgänge gekommen ist, die eine Verschmelzung der Weichkörper, d. h. Plastogamie zur Vor- bedingung haben, wie wir das bei der Cytogamie der Foraminiferen und vor der Karyogamie andrer Rhizopoden antreffen werden. Ohne voraufgegangene Plastogamie konnte sich selbstredend die wichtige Karyogamie nicht entwickeln, die Plastogamie hat die Ent- wicklungsbasis für die höheren Befruchtungsvorgänge abgegeben, wenn sie auch selbst noch nicht als Befruchtungsvorgang bezeichnet werden kann, so lange sich nicht noch andere bedeutungsvollere Vorgänge ihr zugesellen. 1) Von vornherein erscheint es wahrscheinlich, dass manche Rhizopoden- species leichter als andere zur Plastogamie zu bringen sein werden, je nach- dem ihr Protoplasma eine größere oder geringere Oberflächenspannung normaler Weise besitzt. (Drittes Stück folgt.) Häcker, Pelagische Polychätenlarven. 39 Pelagische Polychätenlarven. 2. Zur Biologie der atlantischen Hochseeformen. Von Prof. Dr. Valentin Häcker in Freiburg im Breisgau. Im Herbst 1896 ist mir im Auftrag von Herın Geheimrat Hensen und durch Vermittlung von Herrn Dr. Apstein das Wurmlarven- Material der deutschen Plankton-Expedition zur Bearbeitung über- sandt worden. Eine vorläufige Sortierung und Zählung desselben war bereits durch Herrn Dr. Apstein vorgenommen worden und außer- dem fand ich bereits den größeren Teil des Materials in Canadabalsam oder Glyzerin eingeschlossen vor: es war mir daher, Dank diesen Vorarbeiten, die Aufgabe erheblich erleichtert, mich in diese Formen- welt hineinzuarbeiten. Die Resultate der Untersuchungen werde ich in nächster Zeit in den „Ergebnissen der Plankton-Expedition*!) vor- legen können. An dieser Stelle möchte ich nur eine kurze Uebersicht über die im Hochsee-Plankton vorkommenden Polychäten-Larven, und zwar im Wesentlichen von biologischen Gesichtspunkten aus, geben. Die Polychäten?) sind bekanntlich im Allgemeinen Bewohner der unterzeeischen Küstenregionen, von welchen aus zahlreiche Arten sich bis zu beträchtlichen Meerestiefen ausgebreitet haben?). Von einem großen Teil derselben, vor Allen von vielen festsitzenden Formen, werden die dotterreichen Eier innerhalb einer Laichgallerte abgelegt, welche den „Embryonen“ während der ersten Entwicklungsvorgänge als schützen- der Aufenthalt dient. Unter Aufbrauch des beträchtlichen Dottermaterials beginnen dieselben sich zu strecken, und, im Laufe einiger Tage und Fig. A. Aricia-Larve beim Verlassen der Laichgallerte, Seiten- ansicht (Salensky). in allmählicher Folge, eine geringe Anzahl von homonomen, meistens gleichmäßig mit Wimperreifen ausgestatteten Segmenten zu entfalten. Wenn der Dottervorrat nahezu verwertet und die Mundöffnung aus- 4) Die pelagischen Polychäten- und Achätenlarven der Plankton-Expedition. ro, d,. PlL-Exp, .B@. II, H, d.-.1898. 9) Vergl. zu diesen einleitenden Ausführungen meinen früheren Aufsatz: Pelagische Polychätenlarven. Zur Kenntnis des Neapler Frühjahrs- Auftriebs. Zeitschr. f. wiss. Zool., 62. Bd., 1896, S. 93 ff. 3) Vergl. E. Ehlers, Beiträge zur Kenntnis der Vertikalverbreitung der Borstenwürmer im Meere. Zeitschr. f, wiss. Zool., Bd. 25, 1875, sowie M’In- toff’s Challenger-Report. 40 Häcker, Pelagische Polychätenlarveu, gebildet ist, verlassen die polytrochen „Larven“ (Fig. A) die Schutz- gallerte, um in der Nähe der Brutstätte, während einiger Tage, eine freischwimmende oder kriechende Lebensweise zu führen. Dann gehen sie, im Fall der tubikolen Formen, zur Festsetzung und Röhrenbildung über. Dieser Entwicklungsmodus, den wir beispielsweise bei Aricia foetida finden, kann als direkt bezeichnet werden, er vollzieht sich ohne einen weitergehenden Ortswechsel, ohne eine eingreifende Ver- änderung in den äußeren Lebensbedingungen, und im Zusammenhang damit auch ohne die Ausbildung besonderer provisorischer Larven- organe. Bei den meisten erranten Formen und bei zahlreichen Tubikolen liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Es dürften ernährungs- physiologische Vorteile sein, welche eine ganze Reihe verschiedener Polychätengruppen, in anscheinend selbständiger Weise, zum zeitweisen Uebergang zur pelagischen Lebensweise und zur Einführung der Me- tamorphose veranlasst haben. Eine Betrachtung der Beschaffenheit der Bier führt zu dieser Auffassung: die Eier dieser Formen pflegen eine geringere Größe zu haben und enthalten an Stelle des grob- scholligen, mit Pigmenten durchsetzten Dotters ein mehr feinkörniges, durchsichtiges Material. Die ersten Entwieklungsvorgänge vollziehen sich, im Gegensatz zu den erstgenannten Formen, sehr rasch, die spärlichen mütterlichen Reservestoffe werden schnell verbraucht und die jungen Trochophoren verlassen nach wenigen Tagen oder gar Stunden die Laichgallerte. Bald ist auch der dreigliedrige Ver- dauungskanal funktionsfähig und die Larven gehen sofort dazu über, die vegetabilischen Plankton-Organismen, die einzelligen Algen und Diatomeen, als Nahrung aufzunehmen. Um aber den vertikalen Orts- veränderungen ihrer Nahrung folgen zu können, müssen sie auch ihrer- seits mit einem gewissen Maß von Steig- und Schwebvermögen aus- gestattet sein (Fig. B): der Wimperreif des Kopfsegments wird zu Fig. B. Polyno&-Metatrochophora. einem ' mit kräftigen Schlageilien ausgestatteten Schwimmapparat, das Kopfsegment selbst bildet sich zu einer blasig aufgetriebenen Schwimmglocke um und stellt nunmehr das hauptsächliche Organ für Bewegung, Steuerung und Gleichgewichtserhaltung dar. Außer- Häcker, Peläagische Polychätenlarven. 4 dem” wird 'es bei manchen Formen mit einer größeren Anzahl von verschiedenartigen Sinnesorganen ausgerüstet, welche teils die Vor- läufer der definitiven Organe, teils provisorischer Natur sind. Ge- wissermaßen unter dem Schutz des derartig umgebildeten Kopf- segments bringt die Larve eine bestimmte, meist das halbe Dutzend nieht überschreitende Anzahl von Segmenten zur Anlage und ersten Ausbildung, um sodann nach einer vielleicht mehrwöchentlichen pe- lagischen Lebensweise, unter regressiver Metamorphose des Kopfes, zum Grundleben überzugehen. Derartige Verhältnisse finden wir unter den erranten Formen bei Nephthys, unter den Tubikolen bei Eu- pomatus. Fig. ©. Magelona-Larve von den Kapverden. Fig. D. Nereis-Nectochäta („National“ - Ausbeute). Den Trochophoren und Meta-Trochophoren kommt ein nicht un- erhebliches aktives Schwimm- und Steigvermögen zu: man sieht sie in spiraligen Bögen sich aufwärtsschrauben oder in mehr unregel- mäßigen Touren, nach Art der Ostracoden, im Wasser sich bewegen. Jedoch ist ein so einfaches Bewegungsorgan, wie der Schlageilien- apparat des Kopfsegmentes, selbstverständlich nur dann ausreichend, wenn es sich, wie in den angeführten Beispielen, bloß um eine kürzere Dauer der pelagischen Lebensweise, um ein geringes Wachstum während 42 Häcker, Pelagische Polychätenlarven. dieser Zeit handelt. Soll es dagegen der Larve ermöglicht werden, ihre pelagische Lebensweise auf einen längeren Zeitraum auszudehnen oder gar zur animalischen Nahrung überzugehen, so muss das primi- tive Bewegungsorgan in irgend einer Weise verstärkt oder ersetzt werden. Dies kann in verschiedener Weise geschehen: entweder wird, wie bei Polygordius, die Schwimmglocke in exzessiver Weise aus- gebildet und so in Stand gesetzt, eine größere Anzahl von Segmenten, einen ganzen langen Wurmkörper zu tragen, oder es wird, wie bei vielen Spioniden, der Schlageilienapparat des Kopf- und Analsegments unterstützt durch eine kräftigere Ausgestaltung der Wimperbögen der dazwischen gelegenen Segmente'!); drittens kann, unter Verzicht- leistung auf den Wimperapparat, die Larve die Fähigkeit erhalten, durch aalartig schlängelnde Bewegungen sich schwimmend_ fortzu- bewegen (Magelona-Larve Fig. C) oder endlich, sie kann, gleichfalls unter kückbildung des primitiven Bewegungsorgans, in den primären Segmenten die Ruder und Schwimmborsten zur Entfaltung bringen und, so ausgestattet und zu lebhafteren Bewegungen befähigt, einen längeren Zeitraum hindurch an der Oberfläche ein räuberisches Leben führen (Neetochäten der Polynoinen, Stereiden u. a. Fig. D). Die meisten dieser Larven sind aber sowohl durch das Maß ihres Schwimmvermögens, als auch durch die Zeitdauer ihrer Entwicklung normaler Weise auf den Aufenthalt in den littoralen Regionen und Flachseegebieten angewiesen: die Polygordius-Larve ist noch niemals außerhalb der eigentlichen Küstenregion gefischt worden, und die Spionidenlarven (einschließlich der Magelona-Larve), sowie die Necto- chäten der erranten Formen bilden geradezu einen charakteristischen Bestandteil des littoralen Planktons, dessen vertikale Bewegungen sie ihrerseits begleiten. Welche Larvenformen treten nun in das Hochseeplankton ein? Es möge hier, um gleich von vornherein das Bild, welches uns das Material der Plankton-Expedition darbietet, übersehen zu können, zum Vergleich auf eine andere Formenwelt hingewiesen werden, deren Vor- kommnisse und Bestandteile jedermann geläufig sind. Die Gesamt- Ornis eines begrenzten Gebietes setzt sich im Wesentlichen aus dreierlei Bestandteilen zusammen, die wir als einheimische Formen, als regelmäßige Passanten und als gelegentliche Irrlinge be- zeichnen können. Eine ganz homologe Zusammensetzung tritt nun, wie ich glaube, wieder hervor, wenn wir die Polychäten- Fauna der 1) Bei der Speio-Larve zeigen nur die Bauchwimperbögen der „inter- trochalen“ Segmente die histologische Beschaffenheit des Prototrochs und End- paratrochs, während die wohl hauptsächlich respiratorischen Funktionen dienen- den Rückenwimperbögen wesentlich verschieden gestaltet ee. Vergl. Pel. Polych., S. 149. Häcker, Pelagische Polychätenlarven. 43 eigentlichen Hochsee, und zwar sowohl die fertigen, geschlechtsreifen Formen als auch die Larven, ins Auge fassen. . Auch hier haben wir in erster Linie Formen vor uns, welche, so viel wir wissen, mindestens während der Fortpflanzungszeit ständige Bewohner, also sozusagen einheimische Glieder des Hochsee - Gebietes sind. Es sind dies verschiedene pelagisch lebende Formen, welche der Familie der Phyllodociden und einigen nahestehenden Gruppen, den Lopadorhynchiden, Aleiopiden, Tomopteriden und Typhloseoleeiden, teilweise auch den Aphroditiden zugehören. Was nun speziell die Larven dieser Formen anbelangt, welche also auch ihrerseits eigent- liche Hochseeformen darstellen, so hat Reibisch!) auf die interes- sante Thatsache aufmerksam gemacht, dass die meisten derselben, im Unterschied von den Phyllodoeidenlarven des littoralen Planktons ?), sehr frühe ihre für einen schweren Nahrungserwerb ungeeigneten Wimperkränze abwerfen, um möglichst zeitig ihrer weniger dicht ver- teilten Beute mittels gut entwickelter Sinnes- und kräftig ausge- bildeter Bewegungsorgane nachgehen zu können (Fig. #). Ich möchte diese Larvenformen in der Weise charakterisieren, dass dieselben das Trochophora- und Metatrochophorastadium mehr oder weniger voll- ständig unterdrückt haben und direkt zum Nectochätastadium über- gegangen sind: sie stellen also gegenüber den Nectochäten des litto- ralen Planktons gewissermaßen eine noch weiter differenzierte An- passungsstufe dar. Bezüglich des Wenigen, was wir im Uebrigen von diesen Formen wissen, kann ich auf die Arbeit von Reibisch verweisen. Fig. &. Nectochäta einer Pelagobia (Reibisch). Den „regelmäßigen Passanten“ würden nun, zweitens, solche Formen parallel zu setzen sein, welche nur während einer bestimmten Lebensperiode, während eines bestimmten Abschnitts der Larvenzeit als regelmäßige Gäste des Hochsee-Planktons auftreten. Wollen wir jenen Vergleich mit der Ornis eines Landes noch mehr im Einzelnen ausführen, so würde daran zu erinnern sein, dass von einer Anzahl nordischer Raub- und Wasservögel häufig nur die jugendlichen Indi- viduen als regelmäßige Passanten und Wintergäste in unsre Gegenden kommen. 4) J. Reibisch, Die pelagischen Phyllodociden und Typhloscoleeiden der Plankton-Expedition. Ergebn. d. Plankton-Exp., Bd.2, H, e. Kiel u. Lpz., 189. 2) Bezüglich einzelner Ausnahmen vergl. Reibisch, 1. e., S.34 u. 41. Häcker, Pelagische Polychätenlarven. H> un Die betreffenden Larvenformen werden niemals oder nur ausnahms- weise in den littoralen Gegenden angetroffen, während umgekehrt die jüngeren Stadien und ebenso die zugehörigen erwachsenen Tiere — bis jetzt wenigstens — noch nicht im Hochseeplankton angetroffen wor- den sind. Eine weitere Vermehrung unserer Kenntnisse könnte allerdings vielleicht in diesem oder jenem Punkte eine Modifizierung obiger Sätze erforderlich machen; vorderhand aber lässt sich jedenfalls feststellen, dass von gewissen Formen thatsächlich ganz bestimmte, durch eine bestimmte Segmentzahl charakterisierte Larvenzustände, und zwar nur diese, im Hochseeplankton vorgefunden worden sind. Es lässt sich zweitens zeigen, dass diesen Formen gewisse Eigentüm- lichkeiten des Bewegungsapparats und anderer Organe zukommen, durch welche sie von der großen Mehrzahl der littoralen Formen unterschieden werden und welche als Anpassungen an ein regelmäßiges und länger dauerndes Hochseeleben aufzufassen sind. Es würde dann drittens anzunehmen sein, dass durch irgend welche im Tier selbst oder außerhalb desselben gelegene Faktoren, etwa durch besondere, in bestimmten Tiefen herrschende Strömungsverhält- nisse, diese „Hochsee-Larven“ am Ende ihrer Metamorphose in nor- maler und regelmäßiger Weise an ihre Brutstätten zurückgeführt werden. Als derartige typische „Hochsee-Larven*“ kann ich nach meinen Untersuchungen nur die Angehörigen von zwei Gruppen anerkennen, von welcher die eine schon längst unter dem Habitus-Namen Mitra- ria bekannt ist (Fig. F und G), während die andere, deren syste- matische Stellung übrigens, sowenig wie die der Mitraria, bis jetzt sicher festgestellt werden kann, die ähnlich gebildete Bezeichnung Rostraria führen mag (Fig. H und J). Die zu diesen beiden Gruppen gehörenden Formen sollen weiter unten etwas eingehender besprochen werden. Die dritte Gruppe von Hochsee-Vorkommnissen stellen die „Irrlinge“ dar. An verschiedenen Hochsee-Stationen der Plankton-Expedition, aber immer mehr vereinzelt, selten in einer Reihe hintereinanderfolgender Fänge, sind die Larven verschiedener erranter und tubikoler Poly- chäten, sowie einzelner Achäten gefunden worden. Dieselben zeigen in keiner Weise einen äußerlichen Unterschied gegenüber den Formen, welche das gewöhnliche littorale Larven-Plankton zusammensetzen, und es darf wohl vor Allem angenommen werden, dass sie gleichen Ursprungs sind, dass sie also der Küstenzone entstammen und unfrei- willig durch Strömungen vom Lande abgetrieben worden sind. Für die entsprechenden oder identischen Formen des littoralen Planktons muss aber wohl angenommen werden, dass sie bezüglich der Dauer ihrer Metamorphose, bezüglich ihrer gesamten morphologischen Häcker, Pelagische Polvehätenlarven. An y 5 J +) und physiologischen Verhältnisse dem Leben in der Ufer- und Flachsee- region genau angepasst sind. Unter normalen meteorologischen und Ernährungs- Verhältnissen werden sie nach Ablauf des pelagischen Trochophora-, Metatrochophora- und Neetochäta-Stadiums gewisser- maßen von selber sich auf den Boden senken und zur Lebensweise der erwachsenen Tiere übergehen können. Nun sind aber die Lebensverhältnisse auf hoher See entschieden andere, als in den Küstenregionen, es werden ganz andere Anforde- rungen an die Bewegungs-, Verteidigunee!. Sinnes- und Ernährungs- organe gestellt: die Veränderungen) welche die eigentlichen Hockiken- Larven, die Phyllodoeiden, die Mitrarien und die Rostrarien gegenüber der Masse der Küstenformen zeigen, sind ein Beweis dafür. Treffen wir daher irgend eine der Küstenformen dann und wann auch im Hochsee-Plankton an, so ist wohl keine andere Erklärung möglich, als dass es sich um eine Wirkung der großen Strömungen und der Abtrifft handelt, und da die Larve keinerlei Anpassungen an ein regelmäßiges Hochseeleben zeigt, so wird sie im Allgemeinen nach Ablauf einiger Entwicklungsphasen zu Grunde gehen. Solche Wurmlarven bilden also ein Homologon zu den Seestern-Larven, den Bipinnarien und Brachiolarien, welche auf hoher See, z. B. dort, wo sich in der Sargasso-See Hin- und Rückfahrt kreuzten, gefischt wur- den!). Auch diese müssen von der Küste stammen und durch Strö- mungen in die Hochsee abgetrieben worden sein. Diese „Drift-Larven“ stellen also die „verlorenen Kinder“ ihres Geschlechtes dar, einen Teil des von den Küstentieren produzierten, unrettbar zu Grunde gehenden Nachkommen - Ueberschusses. Ebenso wie der durch abnorme meteorologische Verhältnisse ins Binnenland verschlagene Seevogel nur durch Zufälligkeiten wieder an die Brut- stätten seiner Species zurückgeführt wird, so werden auch diese Larven nur zufälligerweise ihrem eigentlichen Schicksal, dem Untergang, ent- sehen können. Aber die Vorteile der zeitweisen pelagischen Lebens- weise scheinen für die Polychätenlarven so große und so begehrte zu sein, dass ihnen gegenüber die durch die Abtrifft notwendig herbeige- führten, zweifellos enormen Verluste nicht in Betracht kommen ?). Es ist nun allerdings fraglich, ob diejenigen Larven schon als „Drift-Larven“ zu bezeichnen sind, welche z. B. im Südäquatorialstrom, 1) Vergl. Ergebn. d. Plankt.-Exp., Bd. I, A (Reisebeschreibung), S. 25. 2) Es wird erlaubt sein, vergleichsweise auch auf die Bedeutung und das Schicksal des Sargasso-Tangs hinzuweisen. Vergl. O0. Krümmel, Reise- beschreibung der Plankton-Expedition. Erg. d. Plankt.-Exp., Bd. I, A, S. 132: „Ueberdies ist das Endschicksal jedes treibenden Krautzweiges sicher immer dasselbe: die Bryozoen umspinnen mit ihren Kalknetzen die Schwimmblasen und deren Stiele, die schließlich spröde werden und im Seegang abbrechen, worauf das Kraut versinkt, da es an sich schwerer als Wasser ist“, 46 Häcker, Pelagische Polychätenlaryen. nördlich der brasilianischen Küste, zwischen der Insel Fernando Noronha und der Mündung des Tocantins, gefunden wurden, als der „National“ sich während dreier Tage in 100—150 Seemeilen Abstand vom Lande hielt. Hier treten die Larven von Polynoinen, Phyllodoeiden, Euni- ciden, Nereiden (Fig. D) und verschiedenen Spioniden, außerdem eine sroße Menge von Sigunculidenlarven auf. Während für diese Larven in Anbetracht der Landnähe die Möglichkeit bis zu einem gewissen Grade bestehen dürfte, dass sie noch innerhalb der Grenzen des hori- zontalen Verbreitungsgebietes der Arten, also über Tiefen sich be- finden, welche von denselben noch bewohnt sind, muss diese Wahr- scheinlichkeit wohl gänzlich in Abrede gestellt werden für die ver- einzelten Befunde in den östlichen Teilen des Südäquatorialstroms, im Guineastrom, in der Sargassosee und Irmingersee. Wenn hier hin und wieder Spioniden-, Nereiden- oder gar Terebellidenlarven gefunden worden sind, so können diese Vorkommnisse doch wohl nur als ver- irrte, abgetriebene Individuen betrachtet werden. Nur eines Fundes soll hier noch speziell gedacht werden, weil eine Besonderheit desselben die Vermutung erwecken könnte, dass hier eine „Hochseelarve“ vorliege. In der Sargassosee fand sich eine Terebellenlarve, deren Gallerttönnchen sich auf der langen Reise mit den Gitterkugeln und Skelettstücken von Radiolarien vollständig .im- prägniert hatte. Ich glaube aber nicht, dass es sich hier um eine charakteristische Eigentümlichkeit einer besonderen, dem Hochseeleben speziell angepassten Terebellen-Form handelt, sondern um eine natür- liche Wirkung des abnormen Lebens im Hochsee-Plankton. Ich komme nun noch einmal auf die zweite Gruppe von Hochsee- Vorkommnissen zu sprechen, welche als eigentliche „Hochsee-Larven“ zu bezeichnen sind. Es sind dies, wie gesagt, die Mitrarien und Rostrarien. An Mitrarien wurde vom „National“ im Wesentlichen zweierlei Formen erbeutet: einmal kleine, im Durchmesser 0,12 mm große Formen, mit einfach-stachelförmigen Borsten. Solche Formen wurden stets nur im eigentlichen Küstengebiet, in Häfen und Flussmündungen (Hafen von St. Georges auf den Bermudas, Mündung des Tocantins) gefunden und entsprechen in der Gestalt den Mitrarien, die man z.B. bei Neapel und Triest zu fischen pflegt. Daneben fanden sich nun größere, im Durchmesser 0,25 mm große Formen, welche mit prachtvollen Fächern besonders gestalteter Borsten ausgestattet sind. Diese Formen wurden ausschließlich auf offener See, im nördlichen Teil des Golfstroms (»Mitraria skifera<), im Süd- äquatorialstrom nördlich der brasilianischen Küste, vor allem aber im Floridastrom und in der Sargassosee, mehrere hundert Seemeilen nördlich und östlich von den Bermudas, in einer großen Zahl hintereinander Häcker, Pelagische Polychätenlarven. | 47 folgender Fänge erbeutet (»Mitraria Mülleri«). Eine der letztgenannten ähnliche Form ist bis jetzt nur von Johannes Müller!) im Herbst bei Messina gefischt worden, doch dürfte ein derartiger Fund dem Hochsee-Charakter dieser großen Mitrarien keinen Eintrag thun, da ja bekanntlich die Meerenge von Messina gegenüber den andern Mittel- Rıe A” »Mitraria skifera«. Fig. @. »Mitraria Mälleri«. 4) J. Müller, Ueber verschiedene Formen von Seetieren. Müll. Arch., 1854. 48 Häcker, Pelagische Polychätenlarven. meerstationen auch in anderer Hinsicht eine besondere faunistische Stellung einnimmt. Die eine der Hochsee-Mitrarien (Fig. F) et in wenigen Exemplaren im nördlichen Teil des Golfstromes, etwa 150 Seemeilen vom Land, gefischt worden. Sie besitzt außer den einfachen nadelförmigen Borsten eine größere Anzahl von Hauptborsten, welche fast vollkommen die Gestalt von norwegischen Schneeschuhen (Skiern) haben. Ich habe ihr daher die Bezeichnung »Mitraria skifera«!) gegeben. Eine andere Hochsee-Form, »Mitraria Mülleri« (Fig. G), ist aus- gezeichnet durch den mehrfach gelappten Glockenrand und besitzt außer den nadelförmigen Borsten zwei prachtvolle, aus großen flach- kolbenförmigen Borsten bestehende Fächer. Am Ende der Kolben, meist unsymmetrisch, befindet sich ein fingerförmiger Fortsatz, dessen Basis von schuppenförmigen Zähnchen umgeben ist. Bei einzelnen Borsten ist dieser an der Basis beschuppte Fortsatz auf Kosten der kolbigen Anschwellung zungenförmig ausgewachsen, wodurch Bildungen entstehen, die zu den Ski-ähnlichen Borsten hinüberführen. Bei den im Norden von Bermudas im Floridastrom gefundenen Individuen war sehr häufig ein Nachersatz der kolbenförmigen Borsten zu beobachten (s. Figur @), während andrerseits bei den östlich in der Sargassosee gefischten eine bedeutende Reduktion in der Zahl der kolben- und skiförmigen Borsten wahrzunehmen ist. Wie erwähnt, hat J. Müller eine ähnliche Form bei Messina gefunden: dieselbe besal einen buch- tigen, aber in eine geringere Zahl von Lappen geteilten Glockenrand, lei, blutrot gefleckt war ?), und war gleichfalls sowohl mit nadel- als mit kolbenförmigen Borsten ausgerüstet. Mit Rücksicht auf das Vorkommen dieser Formen in der Hochsee und — wenn wir von Müller’s Befund absehen — auf ihr Fehlen im eigentlichen Küstengebiet ist wohl anzunehmen, dass dieselben, speziell die »M. skifera« und »Mülleri«, als ältere Entwicklungs- zustände von kleineren, mit einfachen Nadelborsten ausgestatteten Larven, nach Ausbildung der großen Borstenfächer sich in regel- mäßiger Weise der Hochsee anvertrauen?). Es fragt sich nun, ob thatsächlich auch irgend welche Attribute derselben mit dieser Lebens- weise in Zusammenhang gebracht werden können, ob ihnen speziell ein besonderes aktives Schwimmvermögen zugesprochen werden darf. 4) Die Anführungszeichen »—« sollen bedeuten, dass es sich um eine provisorische Larvenbezeichnung handelt. 2) Dies ist die einzige auf die Pigmentierung der in Frage stehenden Formen bezügliche Notiz. 3) Im Hafen von St. Georges auf Bermudas, also im Centrum des Ver- breitungsgebietes der Mitraria Mülleri, wurden beiläufig in außerordentlicher Menge sehr kleine Mitrarien mit einfachen Nadelborsten gefischt. Häcker, Pelagische Polychätenlarven, 49 Wie ich glaube, spielen wohl die großen kolben- und skiförmigen Borsten, abgesehen von ihrer allenfallsigen Bedeutung als Verteidigungs- organe!), beim passiven Treiben und Balancieren, im Sinne einer Ober- flächenvergrößerung, eine wichtige Rolle, während ein größeres Maß von aktiver Bewegungsfähigkeit möglicherweise in den Kontraktionen des Glockenrandes begründet ist. Doch möchte ich das Letztere natür- lich nur mit der größten Reserve angedeutet haben. In viel ausgesprochener Weise, als die Mitrarien, zeigt eine zweite Gruppe von jugendlichen Polychäten den Charakter von eigentlichen „Hochseelarven“. Diese Formen, welchen ich nach der Gestalt des vorderen Kopfabschnittes und in Analogie zum Ausdruck „Mitraria“ die Habitusbezeichnung Rostraria geben möchte, sind in vier ver- schiedenen, aber einander doch sehr nahe stelienden Typen ausschließ- lich in der Hochsee angetroffen worden. Fig. H. Fig. H. »Rostraria oxyrhina«. Fig. J. »Rostraria galeatas. 4) Joh. Müller (Ueber die Jugendzustände einiger Seetiere. Monatsber. d. k. preuß. Akad., 1851, 8.468) berichtet von einer Mitraria, dass sie die Borsten zuweilen plötzlich radial in einer horizontalen Ebene aus- breitet, wenn sie erschreckt wird. XVII. 4 50 Häcker, Pelagische Polychätenlarven. Die allgemeinen Kennzeichen der Rostrarien sind folgende (Fig. H und J): Der Kopf ist verlängert und hat die Gestalt einer Hecht- schnauze, eines Helms oder Schiffsbuges (rostrum); die Oberlippe überwölbt in Form eines Mützenschirms die Mundöffnung; Augen- flecke sind jederseits 1—3 vorhanden; dorsal, am hinteren Kopfrand sind dicht nebeneinander zwei große Fühler inseriert, welche mit einem Wimperbande oder einer tiefen Wimperrinne, beziehungsweise mit beidem, versehen sind und in Folge einer einseitigen Anordnung der Muskulatur bei den meisten Formen schraubenzieherförmig zu- Sammengezogen werden können; das erste dem Kopfe folgende, zuweilen halsartig eingeschnürte Segment trägt ein Paar Borsten- bündel mit außerordentlich langen, freien (auf den Präparaten stroh- halmartig geknickten) Borsten; der stumpf kegel- oder torpedoförmige Wurmkörper besitzt im Uebrigen noch 5 bis 6 Segmente, welche am Hinterrande mit schwachen Bauch-Wimperbögen, beziehungsweise auch mit Drüsenfeldern versehen sind; die Anlagen der dorsalen und ven- tralen Ruder mit ihren Cirren und Borstenbündeln kommen sehr langsam uud ungleichmäßig zur Entfaltung, bei zwei der Formen (darunter die Fig. H abgebildete) schreiten in dieser Hinsicht die hin- teren Segmente den vorderen voran; die Borsten der dorsalen Bündel sind, soweit überhaupt ausgebildet, sehr fein und strohhalm- artig, bei einer der Formen besitzen dieselben in beträchtlichem Abstand von der Spitze einen längeren Seitenzahn; das Schlundrohr ist durch eine von der dorsalen Seite her einspringende Falte rinnen- förmig umgestaltet; die Wandung des sackförmigen Mitteldarms zeigt ein wabiges Ansehen, indem die polygonalen, mehrschichtig ge- legenen Zellen großenteils von einer gallertartigen Inhaltsmasse ange- füllt sind, während der Kern in dem äußeren schmalen Plasmabeleg enthalten ist; der Anfangsabschnitt des Enddarms stellt eine blasen- förmige, derbwandige Erweiterung dar, in welcher häufig die Reste der Nahrung, die Schalen von Diatomeen und Radiolarien, zu finden sind; am Anus befindet sich bei einer Form ein unpaarer Cirrus. Es würde sich nun darum handeln, die Berechtigung für die Be- zeichnung der Rostrarien als „Hochseelarven“ nachzuweisen. Weder an den europäischen Küsten, noch in den vom „National“ unter- suchten atlantischen Häfen, Inselgebieten und Flussmündungen, noch endlich an den zahlreichen Stationen der westafrikanischen Küste, an denen Herr Marinestabsarzt von Schab von S.M. S. „Falke“ Poly- chätenlarven gefischt hat, wurden Formen gefunden, welche sich mit den oben beschriebenen decken. Allerdings enthält die „Falke“ - Aus- beute einige Larven, welche in verschiedenen Punkten (Gestalt der Oberlippe und des Schlundes, Ansatz der Fühler, Anzahl der Segmente, Beschaffenheit der Borsten) deutliche Anklänge an die Rostrarien zeigen, aber eine große Zahl der den vier atlantischen Formen ge- Häcker, Pelagische Polychätenlarven. 51 meinsamen Charaktere kommt bei den littoralen Formen in Wegfall. Vielleicht können uns diese littoralen Formen einmal genaue Anhalts- punkte liefern für die definitive systematische Unterbringung der Rostrarien, doch soll in dieser Hinsicht in unsrer kurzen Uebersicht nur so viel angedeutet werden, dass dieselben vermutlich in die Nähe der Disomiden (Mesnil) oder Amphinomiden zu stellen sind. Im Speziellen ist das Vorkommen der Rostrarien folgendes: eine Form, die »Rostraria biremis=: 31,9; als Mittel für die Durchmesser der einfachen Kerne Se 3 r ist demnach = 15,95; dieses r mit / 2 multipliziert (15,95. 1,26) ergiebt 20,097. Man sieht wie dieser Wert dem erwarteten (20,9) nahe kommt; die Abweichung lässt sich zur Genüge aus Unsicherheiten in der Messung, aus der vielleicht nicht genügenden Anzahl derselben und Jaus dem Umstande er- klären, dass die Kerne manchmal nicht ganz kuglig sondern ellipsoid sind. Die vermutete Kernverschmelzung ist aber auch durch diese Rechnung so gut wie außer Frage gestellt. 2) Als anormal auszunehmen sind eventuell Boveri’s (89 u. 95) bekannte experimentelle Versuche mit Echinus-Eiern, wo ein Spermatozoenkern kernlose Eifragmente zur Erzeugung von Larven zu veranlassen scheint, indem er für sich allein die Rolle des Furchungskerns übernimmt. Diese Auslegung, die Boveri seinen Versuchen giebt, ist aber in neuerer Zeit durch Seeliger’s Studien (94 u. 96) wieder fraglich geworden, und Boveri (95) hat selbst be- Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 79 Zuschuss in sich aufnimmt und dass sie dann den Kern der anderen Zelle an Stelle ihres eigenen Kernes einsetzt und ihren eigenen Kern ausstößt oder umgekehrt; während wir die Verschmelzung von Kernen nach einer Verschmelzung von Zellen in weitester Verbreitung bei den Befruchtungsvorgängen im ganzen Organismenreiche eintreten sehen; sei es, dass die zusammengetretenen Zellen gleich groß sind, wie z. B. bei Aectinophrys, vielen einzelligen Algen ete. [= Isogamie Har- tog')] oder dass sie von sehr ungleicher Größe sind wie Sperma und Ei der Metazoen [= Anisogamie; speziell für das Ei = Oogamie; Hartog ibidem|. Die Doppelschalen verdanken also ihre Entstehung einer Kopulation, d h. einer vollkommenen, dauernden Verschmelzung zweier Individuen, welche mit „Karyo- samie“ d. h. mit Kernverschmelzung verbunden ist. Wenn es nun auch späteren Erörterungen zufolge durchaus wahr- scheinlich ist, dass die in den Doppeltieren festgestellte Karyogamie mit einer Reduktionskörperbildung verbunden ist, so lässt sich doch jetzt schon mit großer Wahrscheinlichkeit behaupten, dass die Reduk- tionskörperbildung der Karyogamie nicht bei allen Rhizopoden not- wendig voraufgehen muss, sondern dass sie auch später stattfinden kann. Die ZeitfolgevonReduktionskörperbildung und Karyo- gamie ist bei einigen Rhizopoden noch nicht genau fixiert. So habe ich?) zweimal Cyphoderien in gegenseitiger Aneinanderlagerung gefunden, von denen zwar die eine ganz ohne Frage kurz vorher eine Kernteilung (vielleicht eine Reduktionsteilung) durchgemacht, die andere ebenso sicher aber schon lange Zeit hindurch eine Kernteilung nicht mehr erlebt hatte. Es kann für ausgeschlossen gelten, dass es sich bei diesen Aneinanderlagerungen um Plastogamie gehandelt habe, weil die Cyphoderien, wie ich gleichfalls an der früheren Stelle mitgeteilt habe, sich sofort wieder von einander trennen, wenn man sie durch tont, dass eine Nachprüfung und Vervollkommnung seiner Experimente sehr erwünscht sei. Th. Boveri (89): „Ein geschlechtlich C. Seeliger (9): „Giebt es ge- erzeugter Organismus ohne mütter- schlechtlich erzeugte Organismen liche Eigenschaften“. Berichte der ohne mütterliche Eigenschaften ?* Gesellsch. f. Morphol. u. Physiol., Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. I, München 1889, S. 73. 1894, S. 203— 223, Taf. VIIT— IX, Derselbe (95): „Ueber die Befruch- 3 Textflguren. tungs- und Entwicklungsfähigkeit Derselbe (96): „Bemerkungen über kernloser Seeigeleier und über die Bastardlarven der Seeigel“. Arch. Möglichkeit ihrer Bastardierung“. f. Entwicklungsmech., Bd. III, 1896, : Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. II, S. 477-526, Taf. XXIHI—XXV, ..8..8394—443, Taf. XXIV u. XXV. 10 Textfig. 1) The Quart. Journ. of mier. science, Vol. 33, 1892. p. 1-75. 2) Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 61, 1895, S. 46—79. SO Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. segenseitiges Aneinanderrücken zur künstlichen Verklebung gebracht hat. Ich habe damals bereits vermutet, dass das mit der Kernteilung rückständige Tier seine Kernteilung (Reduktionsteilung) nach- holen würde, und dass dann der frisch geteilte Kern dieses Tieres mit dem schon kurz vor dem Zusammentritt der Tiere geteilten Kern des anderen Tieres verschmelzen würde. Diese Vermutung gewinnt dureh eine Beobachtung Jiekeli’s die größte Wahrscheinlichkeit. Jickeli!) fand zwei Exemplare von Difflugia globulosa Duj. Mundöffnung gegen Mundöffnung mit einander vereinigt. Die eine Schale war viel durchsichtiger als die andere, beide waren mit Proto- plasma erfüllt. Nach 48 Stunden wichen die beiden Schalen wieder auseinander. Die helle Schale war gänzlich leer. Im Plasma der dunkeler gefärbten Schale fanden sich dagegen nach Konservierung und Färbung zwei ganze und ein in Zerfall begriffener Kern. Ich vermute, dass das hellschalige Individuum kurz vor dem Zusammen- tritt der beiden Tiere eine Teilung (daher: helle Schale) durchgemacht hatte, dass dann Plastogamie der beiden Tiere erfolgte und während der Plastogamie erst die Reduktionsteilung des Kernes vom dunkel- schaligen Tier eintrat, deren abgestoßene Kernhälfte in dem zerfallenen Kern vorlag, während die für die Karyogamie bestimmte Kernhälfte neben dem eingeführten Kern des hellschaligen Tieres den zweiten intakten Kern darstellte. Höchst wahrscheinlich wäre nach diesen Vorgängen Karyogamie (vielleicht unter Bildung einer Doppelschale eingetreten), da Difflugia globulosa sonst nach meinen Erfahrungen stets einkernig ist. Fig. 10. Optischer Durchschnitt durch ein Kopulationspaar von Difflugia glo- bulosa Duj. Der Kern des Indivi- duums I bewegt sich nach demjenigen von II hin. Die beiden Kerne sind annähernd gleich groß. N = Nahrungskörper, zum Teil aus- gestoßen (N,). pS — perinukleäre Sarkode. ?, fragliche Gebilde frei im Gehäuse- raum von Il. Geh, leere Gehäuse kleiner Difflugien als Bausteine benutzt. 245 Vergr. ea. : Ich selbst besitze einen Paarling von derselben Difflugia globu- l!osa Duj. im Präparat, der in der zusammengeflossenen Sarkode beider 4) Zool. Anz., VII. Jahrg., 1884, S. 449. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 81 Tiere zwei intakte Kerne deutlich zeigt, von denen der eine aus der Schale des einen Tieres in die andere Schale übergewandert ist und sich gegen den anderen Kern hin bewegt hat. Die beiden Kerne be- sitzen dasselbe Aussehen und sind ungefähr gleich groß. Entweder haben sie beide schon ihre Reduktionsteilung bereits hinter sich, oder sie haben sie beide noch zu erledigen. Die in der Fußnote S. 78 aufgestellte Berechnung für Difflugia lobostoma lässt gleichfalls auf eine Verschmelzung noch nicht reduzierter Kerne schließen. Auf alle Fälle sind also bei den Rhizopoden speziell bei den - Testaceen noch Variationen in der Aufeinanderfolge von Reduktions- teilungen und Raryogamie vorhanden, die der Zuchtwahl die Möglich- keit an die Hand gegeben haben, die günstigste Folge von Reduk- tionsteilung und Karygamie auszusuchen, und sie in die feste Form zu bringen, wie sie „vielleicht“ bei der unter den Testaceen sehr hoch stehenden Zuglypha bereits vorkommt, „sicher“ nach Schaudinn’s Untersuchung bei der Heliozoe Actinophrys vorhanden ist, und wie sie dann weiterhin für die Befruchtung der Metazoeneier als allgemeine Regel gilt. Wie aus der vorgeführten Deutung der Doppeltiere hervorgeht und wie ihre schon jetzt festgestellte weite Verbreitung unter den Testaceen nahelegt, spielt die zu ihrer Entstehung führende Kopulation augenscheinlich eine wichtige Rolle im Lebenszyklus der Testaceen. Der geringe Prozentsatz ihres Vorkommens den gewöhnlichen Einzel- individuen derselben Species gegenüber weist darauf hin, dass ihre Entstehung nur dann und wann, und nicht sehr häufig in den Lebens- zyklus der Tiere eingeschaltet ist; denn dass die Doppeltiere normal weiter leben und einfache Tochtertiere erzeugen, darf aus dem Doppel- tiere geschlossen werden, das Baumaterial zu einer neuen Tochter- schale und zwar bloß an einer seiner Mündungen aufsammelte. Wir werden zu Wechselverhältnissen zwischen Fortpflanzungs- und Kopu- lationsvorgängen hingewiesen, wie sie uns von den Infusorien her zur Genüge bekannt sind; wie bei ihnen wird man voraussichtlich zu manchen Zeiten mehr Doppelindividuen antreffen als zu andern, man wird Kopulationsperioden und Fortpflanzungsperioden unterscheiden können. Die von mir lebend beobachteten Doppelindividuen stammten alle aus dem Frühjahr!); doch muss ich durchaus dahingestellt sein 1) Ich habe schon früher (Zeitschrift f. wiss. Zool., Bd. LXI, 1895, S. 104) für Difflugia pyriformis Perty angegeben, dass die Schalen lebender Tiere obgleich sie kein sekundäres Schalenwachstum besitzen, im Frühjahr größer sind, als im Sommer und Herbst. Vielleicht deutet auch diese Thatsache auf eine Bildung von Doppelschalen im Frühjahr hin, was ganz besonders interes- sant wäre, weil es dann nahe läge, dass die Schalen bei den periodischen Ver- mehrungen nach und nach an Größe abnehmen, dass also auch in dieser Beziehung ähnliche Verhältnisse vorlägen wie bei den Infusorien. XVIH. 6 82 Khumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden, lassen, ob sie nicht auch zu anderen Zeiten vorkommen, da ich dureh andere Arbeiten verhindert war, in diesem Sommer und Herbst mit der nötigen Sorgfalt nach ihnen zu suchen und da überdies meine Kulturen an Individuenzahl sehr abgenommen haben bezw. vollständig ausgestorben sind. 4. Die Cytogamie und die Fortpflanzungsarten der Foraminiferen. Eine Verschmelzung der Zellleiber ohne Karyogamie kommt auch bei einigen Foraminiferen vor. Schaudinn hat sie bei Patellina corru- gata Will und Discorbina globularis d’Orb festgestellt !). Sie trägt hier aber anscheinend nicht den Charakter des Zufalls und des Be- deutungslosen wie bei den Testaceen, sie stellt sich hier vielmehr als eine gewöhnliche Einleitungserscheinung der Vermehrung durch Em- bryonenbildung dar. Wegen dieser Besonderheiten subsumiere ich diese Vorgänge nicht unter den Begriff der „Plastogamie“, sondern wähle für sie den neuen Ausdruck „Cytogamie“. Bei Patellina kann die Fortpflanzung zwar auch ohne voraufgegangene Vereinigung von zwei oder mehr Tieren stattfinden; sehr häuflg rücken aber zwei, auch drei, vier, selbst fünf Patellinen vor der Fortpflanzung mit ihren Schalen aneinander und verkitten sie, da wo sie sich gegensei- tig berühren; dann treten die Weichkörper der zusammengekitteten Tiere aus der Schale hervor und vereinigen sich im Schutze der Nabelhöhlen der zusammengekitteten Schalen zu einer gemeinsamen Plasmamasse, welche dann sich in mehrere Embryonen zerteilt. In allen Fällen waren die Tiere bei Beginn der Verschmelzung ein- kernig. Nach der Verschmelzung trat die Kernvermehrung ein. Um die auf diese Weise vermehrten Kerne bildeten sich die Embryonen. Fig. 11. Zwei cytogamisch vereinigte Individuen (Iu. II) von Patellina corrugata Will. in der Embryonenbildung be- griffen, von unten gesehen. D = neben den Schalen. ab- selagerte Detritushaufen. E = Embryonen. N = Kern derselben. Nach Schaudinn. 1) Sitzungsber. d. Gesellsch. naturf. Freunde zu Berlin, Jahrg. 1895, Nr. 10, S. 179-190. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 83 Es wurden weder bei lebenden noch bei konservierten Tieren in irgend einem Stadium des Kopulationsprozesses auch nur Andeutungen von Kernverschmelzungen beobachtet. Aehnlich verhält sich Discorbina. Zwei kopulierende Tiere legen sich mit ihren Basalseiten so aneinander, dass die beiden Mündungen gegenüberliegen. Die Mündungen werden dabei häufig durch Resorp- tion der sie umgebenden Schalenmasse sehr erweitert, auch können die Wände beider Schalen an anderen Berührnngststellen resorbiert werden, so dass die Weichkörper durch breite Plasmabrücken in Ver- bindung stehen. Bei der Verschmelzung sind auch hier die kopulie- renden Tiere einkernig, bei den kopulierten Tieren erfolgt die Kern- vermehrung und Embryonenbildung in beiden Individuen gleichzeitig. Während aber Patellina nach der Verschmelzung sofort zur Fort- pflanzung schreitet, kriechen die kopulierten Discorbinen noch lange Zeit umher und nehmen Nahrung auf, ehe die Fortpflanzungsvorgänge eintreten. Durch die Verkittung der Schalen, welche die geschilderten Vor- gänge einleitet, entstehen auch hier wie bei den Testaceen Doppel- formen. Wie bei den „Zwillingsschalen“ der Testaceen handelt es sich um ausgebildete selbständige Schalen, welche sekundär mit einander verkittet worden sind. Baar 12. Koppelschale von Testularia folium Park. u. Jones. - so V erap rg1 , Diese Aehnlichkeit ist aber bloß eine äußerliche, während näm- lich bei den Zwillingsschalen der Testaceen die zweite Schale nur als gelegentliches Baumaterial und offenbar nur leer aufgenommen wird, treten hier zwei oder mehr lebende Tiere znsammen und verkitten ihre Schalen, um die Vereinigung ihrer Weichkörper zu erleichtern. Es ist daher zweckmäßig, die zusammengelagerten Schalen der be- treffenden Foraminiferen mit einem besonderen Namen zu belegen; ich bezeichne sie als „Koppelschalen“. 6 84 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden, Solche Koppelschalen hat schon H. B. Brady!) bei Textularia folium Park und Jones und bei mehreren Spezies von Discorbina aufgefunden, er deutete sie irrtümlicher Weise als Fortpflanzungssta- dien (84, pag. 357), indem er meint, dass ein Individuum das andere aus sich hervorknospen lasse, wie dies bekanntlich bei der Testacee Euglypha der Fall ist. Früher hatte schon Moebius?) solche Koppelschalen gleichfalls von Textularia folium beobachtet und sie richtig auf Konjugation zurückgeführt). Von besonderem Interesse ist der Umstand, dass Schaudinn eine Verschmelzung zweier Paiellinen zu Koppelschalen durch An- näherung nur dann erzielen konnte, wenn sich der Kern beider Tiere im Ruhezustand in der Embryonalkammer befand; Verschmelzung der Tiere erfolgte nie, sobald das eine andere Kernverhältnisse darbot als das andere Versuchstier. Für die Cystogamie der Foraminiferen ist also charakteristisch, dass sie sofort oder später Embryonenbildung zur Folge hat und dass in beiden konjugierenden Tiere gleiche Kernverhältnisse als Vorbedingung erforderlich zu sein scheinen. Die Cytogamie der Foraminiferen dürfte, wie die Bildung der Doppelschalen bei den Testaceen eine bedeutsame Episode in der Lebensgeschichte der Foraminiferen darstellen; die jedenfalls ab und an in die gewöhnlichen Fortpflanzungsperioden ebenso eingeschaltet werden muss, wie die Konjugation in die Teilungsgenerationen der In- fusorien. 1) Merkwürdigerweise sind die von Moebius sowohl als die von Brady abgebildeten verkoppelten Schalen in ihrer Größe sehr ungleich; Moebius fand sogar in jedem der von ihm konstatierten vier Fälle, dass die größere Schale zweimal soviel Kammern als die kleinere hatte. Die Abbildung bei Brady (loc. eit. Taf. XLII Fig.5) zeigt gleichfalls die Verkoppelung von zwei sehr ungleich großen Schalen, die beiden Schalen haben aber annähernd gleiche Kammerzahl (Fig. 12). Ich habe Koppelschalen von Testularia fokum in großer Menge in Grundproben von Süd- und West- Australien gefunden, welche Herr E. H. V. Matthews in Yorktown (Süd- Australien), die Güte hatte, mir zu- zusenden. Obgleich auch bei diesen Exemplaren öfters eine große und eine kleine Schale mit einander verkittet sind, so kommen doch ebenso häufig auch Koppelpaare aus gleich großen Schalen vor. Dasselbe gilt von den Koppel- schalen einer neuen Verneuilina aus denselben Grundproben, die ich anderwärts zu beschreiben gedenke. Offenbar spielt bei der Verkoppelung der Schalen weder die Größe der Schalen noch ihre Kammerzahl eine hervorragende Rolle. Von Discorbina besitze ich bloß eine Koppelschale, welche aus ungleichgroßen Individuen besteht. 2) Chall. Rep. Zool., Vol. IX, 1894. 3) „Foraminiferen von Mauritius“. Berlin 1882. S. 92. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 85 Auch bei Discorbina kommt nämlich, wie Schaudinn schon früher !) nachgewiesen hat, Embryonenbildung ohne voraufgegangene Cytogamie vor. Wir stoßen hier auf zweierlei Arten der Vermehrung, die eine mit voraufgegangener Cytogamie, die andere ohne solche. Außer bei Patellina, Discorbina und Textularia habe ich auch bei einer Spirillina Koppelschalen angetroffen; von anderen Genera sind sie bis jetzt noch nieht angetroffen worden; ich halte es auch nicht für wahrscheinlich, dass sie noch in weiterer Verbreitung vorgefunden werden. Bei der Häufigkeit, welche sie bei ein und derselben Spezies oft erreichen (bei Textulari«e 25°/, und darüber), hätten sie voraus- sichtlich auch bei anderen Arten gefunden werden müssen, wenn sie auch dort eine regelmäßige Erscheinung vorstellten. Bei anderen Foraminiferen, welche zu den Genera: Polystomella, Rotalia, Truncatulina, Calcarina, Cycloclypeus, Peneroplis nnd Orbi- tolites gehören, kommt zwar gleichfalls eine doppelte Fortpflanzungs- weise vor; sie verläuft aber in ganz anderer Weise. Außer der ge- wöhnlichen Embryonenbildung vermehren sich die letztgenannten Fora- miniferen nämlich durch Schwärmerbildung. Embryonen und Sehwärmerbildung wechseln in größeren oder kleineren Perioden mit- einander ab. Diejenigen Schalen, welche von den Embryonen ihren Ursprung genommen haben, zeichnen sich in der Regel durch eine sroße Embryonalkammer aus. Man hat sie deshalb als megalosphä- rische Schalen bezeichnet. Diejenigen Schalen aber, welche von den Schwärmern abgeleitet werden müssen, besitzen meist eine sehr viel kleinere Embryonalkammer und sind auch, bei den Milioliden wenig- stens nach einem anderen — augenscheinlich höheren Typus (Rhumb- Fig 13. Koppelschale von Spirillina vivipara Ehrbg. Iu. II = die beiden cyto- samisch verbundenen Schalen. E, = Embryonalkammer von 1. E, = Embryonalkammer von ll. ; 400 azer,: rgI 7 1) Biol. Centralblatt, 1894, S. 162. Ss6 Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. ler!) — aufgewunden, als die megalosphärischen Schalen. Wegen der kleinen Embryonalkammer hat man sie als mikrosphärische Formen bezeichnet. Wie aus den Schwärmern die mikrosphärischen Schalen ihren Ausgang nehmen, ist im Einzelnen noch nicht sichergestellt, wenn auch nach den vorliegenden Thatsachen (vgl. Schaudinn) an die Herkunft der mikrosphärischen Schalen von den Schwärmern an sich nicht zu zweifeln ist. Lister), dem wir neben Schaudinn die Aufklärung über die Fortpflanzungsverhältnisse der Foraminiferen zu danken haben, hat die Vermutung ausgesprochen, dass die Schwärmer mit- einander konjugieren, bevor sie die mikrosphärische Schale aufzu- bauen beginnen; ich habe mich ?), weitere Gründe beibringend, dieser Vermutung Lister’s angeschlossen. Schaudinn hat die Kopulation von Schwärmern direkt bei dem zwar nicht zu den Foraminiferen selbst gehörigen aber ihnen doch nah verwandten und ebenfalls eine doppelte Fortpflanzungsweise besitzenden Hyalopus?) beobachtet. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass auch die zuletzt angeführten Foraminiferen abwechselnd eine Vermehrung ohne Konjugations- erscheinungen und eine Vermehrung, bei der Konjugation stattfindet, in mehr oder minder regelmäßigen Zeitperioden durchmachen. (Viertes Stück folgt.) Ueber die Bewegung der Lungenschnecken, ein Wort der Entgegnung. Von Dr. H. Simroth. Als ich vor achtzehn Jahren mich mit schwerem Herzen entschloss, die Theorie von den extensilen Muskelfasern, die sich mir bei der Untersuchung der Schneckenlokomotion aufgedrängt hatte, zu ver- öffentlichen, geschah es in der Hoffnung, zur Nachprüfung des nicht eben leichten Problems anzuregen, und in der Erwartung, auf viel- fachen Widerspruch zu stoßen. Im Allgemeinen hat wohl inzwischen die morphologische Seite der Zoologie, speziell die Malakozoologie, die besten Kräfte absorbiert; und was für physiologisch - biologische Fragen frei bleibt, findet an den elementarsten Vorgängen noch so viel zu thun, dass für die Beschäftigung mit einer speziellen und be- schränkten physiologischen Ausprägung zunächst kaum Zeit bleibt. Gelegentlich ist wohl einmal meine Theorie erwähnt und mit ein paar Zeilen nebenbei abgethan worden, aber eben nur nebenbei und flüchtig und dann an Objekten, welche meiner Meinung nach in keiner Weise 1) Verhandl. der deutsch. zool. Gesellschaft, 1897. 2) Phil. Trans. Roy. Soc. London, Vol. 186, 1895, p. 401—453. 3) Zool. Centralblatt, S. 449. 4) Sitzungsber. Gesellschaft naturf. Freunde, Jahrg. 1894, Nr. 1, Nr. 21. Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. 87 zu einer entscheidenden Antwort geeignet sind, so von Graber, Haller, Thiele. Ich glaube aber das Gebiet nach seinen Grenzen so weit durchschritten und abgesteckt zu haben, dass es zum minde- sten notwendig ist, sich auf demselben gründlich zu orientieren, bevor man sich mit flüchtigen allgemeinen Vorstellungen über die Schwierig- keiten hinweghilft. Da begrüßte ich denn die Arbeit von Dr. Car!), welche in ausführlicherer Weise auf das Thema eingeht, mit Freuden. Leider aber finde ich bei genauer Lektüre, dass sie für mich nicht überzeugend sein kann; und so wenig ich ein Freund überflüssiger Fehden bin und zumeist die Zurückweisung eines kritischen Angriffs der klärenden Zeit überlasse, so möchte ich in diesem Falle doch nicht schweigen, damit auch nicht ein „consentire videtur“ aufkommen könne. Herr Car hat die Liebenswürdigkeit, meinen Schluss, dass die Längsmuskulatur auch bei der Lokomotion der Limnaeen die Haupt- sache leistet, ausdrücklich anzuerkennen, sie soll aber durch dorso- ventral gerichtete Fasern auf das Wesentlichste unterstützt werden. Den Kernpunkt indess übergeht er, er betont nicht, dass diese Längs- fasern nach seiner Auffassung wie gewöhnliche Muskeln kontraktil sind, nicht aber, wie ich annehmen zu sollen glaubte, extensil, dass sie sich also auf Reiz verkürzen und nicht verlängern. Er hält bloß eine Hypothese in meiner Ableitung für bedenklich, die Myosingerin- nung nämlich, und darauf möchte ich zunächst eingehen. Für mich war an und für sich diese Gerinnung vollständig neben- sächlich, oder kam doch in zweiter Linie. Das erste war die durch die verschiedensten Untersuchungen und Ueberlegungen gewonnene Ueber- zeugung, dass nur, wie schon die älteren französischen Arbeiten an- nehmen, die Längsmuskeln das Gleiten besorgen können. Da aber dieses in einer unausgesetzten Verlängerung der Sohle am Vorderende besteht, bei entsprechender Verkürzung am hinteren, so blieb nur übrig, diese Längsmuskeln, entsprechend dem von hinten nach vorn über die Sohle gleitenden Wellenspiel, für extensil zu halten, so dass sie sich stetig vorn verlängern und hinten verkürzen. Der Versuch, dieses auffällige Verhalten mit den allgemeinen Muskeltheorien in Einklang zu bringen, führte dann weiter zur Zu- hilfenahme der Myosingerinnung. Auch wenn ich darin mich geirrt haben sollte, würde ich erst durch neue durchschlagende Argumente dazu gebracht werden können, die Annahme von der Extensilität auf- zugeben. Die Gerinnung aber habe ich herangezogen, weil sie sich von allen Einzelerscheinungen des thätigen Muskels am schärfsten dokumentiert. Ueber Muskelwirkung als den energischsten Ausdruck tierischer Wesenheit eine begründete Ansicht zu entwickeln, gehört 1) Dr.Lazar Car in Agram, Ueber den Mechanismus der Lokomotion der Pulmonaten,. Diese Zeitschrift, XVII, 1897, S. 426—438. S8 Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. bekanntermaßen zu den schwierigsten Problemen schlechthin, die man ohne Ueberhebung den entwicklungsmechanischen Ableitungen an die Seite stellen darf; und man kann mit Verworn recht wohl darauf hinweisen, dass es ungefähr so viel Muskeltheorien giebt als Muskel- forscher. Ich bin absichtlich dieser Schwierigkeit möglichst aus dem Wege gegangen und habe nur an die Gerinnung als an das Phäno- men mich gehalten, das man am leichtesten bei jeder Muskelkontrak- tion wahrnimmt und das sich, wie ich glaube, nirgends besser ad ocu- los demonstrieren lässt, als an geeigneten Schneckensohlen, nament- lieh der von Limax maximus in seinen massenhaften Varianten. Die Gerinnung ergiebt sich aus der Erhärtung jedes thätigen Muskels so gut, wie aus der Totenstarre, beim Limax aber trennt sich die durch- scheinende Substanz der weißen Muskelsohle in dem Augenblick, wo die Wellen entstehen, augenblicklich in eine fast durchsichtige Grund- substanz und in die Wellen, die so gut wie undurchsichtig sind und in dem Kanal, den die Mittelsohle darstellt und der oben von der Fußdrüse und von Quermuskelschichten überdeckt wird, als feste Quer- brücken erscheinen, die nach vorn fortschreiten. Sie werfen einen Schatten im Innern der Sohle, bald nach vorn, bald nach hinten, je nach dem Standpunkt der Lampe oder Lichtquelle. Mehr Schwierig- keiten macht schon die Annahme, dass der eigentliche Charakterstoff, auf dem die Gerinnung beruht, bei der Koagulation einen größeren Raum einzunehmen strebt, ähnlich dem Wasser. Doch scheint die eigentümliche Aufquellung jedes Muskels und jeder Muskelfaser im Moment der Thätigkeit kaum besser erklärt werden zu können als durch die Vorstellung, dass eine in ein Rohr eingeschlossene, ihr Vo- lumen vergrößernde Substanz sich der Kugelform zu nähern strebt, d. h. innerhalb derselben Umhüllung einen möglichst großen Raum einnimmt; denn die Kugel hat von allen Körpern mit demselben In- halt die kleinste Oberfläche. Für die Art, wie ich bei schneller Lei- tung des Nervenreizes die Verkürzung des Muskels, bei langsamer aber die Verlängerung ableitete, und wie sich die langsame Nerven- leitung aus der Geschwindigkeit der Wellen ergab, muss ich auf meine früheren Arbeiten verweisen; erwähnen will ich das einigermaßen pa- rallele, aus der Physiologie bekannte Phänomen, dass ein übermäßig belasteter Muskel auf einen Nervenreiz hin sich gleichfalls verlängern kann anstatt sich zu verkürzen. Bei dem allen habe ich schon eine Voraussetzung gemacht, welche auf Herrn Car’s Untersuchungsgang nicht zutrifft, ich habe mich näm- lieh auf Stylommatophoren bezogen, anstatt auf Basommatophoren. Das ist aber für die Beurteilung in erster Stelle maßgebend. Ich we- nigstens habe meine Untersuchungsmittel‘ für unzulänglich erklären müssen, an irgend einer Wasserschnecke die Mechanik des lokomo- torischen Wellenspiels aufzuhellen. Die einzigen Formen, bei denen . Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. sg man auf Erfolg reehnen kann, sind die, welche die verschwommenen Wellen, die sieh ursprünglich mehr oder weniger diffus über die ganze Sohle ausbreiten, auf einer höheren Arbeitsteilung in eine bestimmte Anzahl regelmäßig verteilter Querwellen zusammenfassen. Das ge- schieht aber nur unter dem Einflusse des Landlebens, bei dem die ganze Körperlast zu bewegen ist, während das Wasser den allergröß- ten Teil des Körpergewichtes trägt und mithin an den Bewegungs- mechanismus viel geringere Anforderungen stellt. Schon aus diesem Grunde haben wir uns nur an die Stylommatophoren zu halten und unter diesen wieder an diejenige Gruppe, welche die Differenzierung in der Sohle am weitesten getrieben hat, an die Aulakopoden, welche die Seitenfelder von dem mittleren lokomotorischen durch Längsrinnen scharf abgrenzen. Zu ihnen gehört aber bekanntlich Limax. Nur bei derartigen Formen halte ich eine eingehende Erörterung für ersprieß- lich, weil es nur hier möglich ist, die Untersuchung bis zu der Schärfe zwingender Beweisgründe durchzuführen. Alle übrigen Vorstellungen können meiner Meinung nach weiter nichts sein als mögliche Kombinationen, die man schwerlich über ihren Wahrscheinlichkeitswert hinaus diskutieren kann. Wenn ich mich auf eine kurze Auseinandersetzung mit Herrn Car’s Anschauung einlasse, so geschieht es hauptsächlich, um ihre Unwahrscheinlichkeit zu erweisen. Denn so viel ich sehe, halten die einzelnen Faktoren, aus deren Zusammenwirken er die Lokomotion herleitet, vor genauerer Prüfung nicht Stand. Er nimmt erstens die oben erwähnten dorso- ventral gerichteten Fasern zu Hilfe, und zwar solche, die bei Limnaea überall in der Sohle vorhanden sein sollen, ohne mit dem System des von der Spindel ausstrahlenden Retraktors zusammenzuhängen. Es mag schwer sein, bei der Schlammschnecke die einzelnen Muskel- bündel genau auf ihren Ursprung zurückzuführen, da weder die Wellen geordnet, noch der Spindelmuskel kräftig aus der Haut herausgeschält ist, wie bei den Stylommatophoren. Ich verweise daher auf die Ab- bildung, die ich von der Fußmuskulatur des Limax cinereoniger gab, und die im Großen und Ganzen an die Verhältnisse der Turbellarien, welche in der Bewegung den Gastropoden am ähnlichsten sind, er- innert (Ztschr. f. wiss. Zool. XXXH T. XV]). Hier sehen wir haupt- sächlich über dem Epithel der Mittelsohle Längsmuskelbündel, die- jenigen, welche ich als lokomotorisch und extensil deute, sodann ver- einzelte Längsmuskelbündel im ganzen Fuß zerstreut, welche die seitlichen Biegungen des Körpers oder die Verkürzung der ganzen Schnecke bewirken, sodann ein System von dorsoventralen Bündeln, die auf beiden Leibesseiten herabsteigen, so dass jedes System, das der rechten wie der linken Körperhälfte, über die ganze Sohlenbreite weg ins Epithel ausstrahlt. Es werden also allemal diejenigen Bündel welche am meisten nach der Mediane zu liegen und die Leibeshöhle 90 Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. " begrenzen, am weitesten nach der Gegenseite abgelenkt. Somit haben wir unter der Leibeshöhle in der Mitte lediglich schräge Bündel, welche sich von links und rechts kreuzen. Am lebenden Tiere finden diese Bündel einen beredten Ausdruck in einer eigentümlichen Re- traktion der weißen Mittelsohle, welche vollständig zwischen den ein- ander bis zur Berührung sich nähernden schwarzen Seitenfeldern ver- schwindet. Von eigentlich dorso-ventralen Muskeln ist in und über der ganzen Mittelsohle nichts zu spüren. Wenn aber bei dieser hoch- differenzierten Gleitsohle die Lokomotion ohne dorsoventrale Fasern zu stande kommt, so ist ein gleiches auch für die Limnaeensohle zu fordern; zum mindesten ist nicht ohne zwingenden Grund anzunehmen, dass sich hier eine Ausnahme vorfindet. Der zweite Punkt ist noch leichter zu erledigen. Herr Car hat offen ar die Limnaeen auf ihre Wellen nur beim Gleiten an der Ober- fläche beobachtet, er hat sie nicht an der Glasfläch; untersucht. Das würde auch nicht viel geholfen haben, denn man sieht dann an der Sohle nichts besonderes. Bei der in umgekehrter Lage schwimmenden Schnecke aber lässt sich in keiner Weise beurteilen, ob die Weilen- berge oder die Thäler auf die gerade wirksamen Muskeln fallen. Da muss man wieder zu den Stylommatophoren greifen. Und doch hätte vielleicht auch die Beobachtung jeder Wasserschnecke gezeigt, dass die gleitende Sohlenfläiche am Glase sich hinschiebt, ohne dass an irgend einer Stelle, worauf gerade das wunderliche Gleiten beruht, eine Lösung von der Unterlage statthat, ein Zwischenraum sich bildet. Sobald aber ein kontinuierlicher Zusammenhang zwischen Sohlenfläche beim Kriechen erhalten bleibt, fallen Herrn Car’s Deduktionen, die mit einer durch die dorsoventralen Muskelfasern bewirkten Abhebung einzeiner Sohlenpunkte rechnen, von selbst in sich zusammen. Nun liegt !mir nichts ferner, als eine absprechende Kritik von Herrn Car’s Arbeit. Mir scheint nur, worauf es hier vor allem an- kommt, dass er sich im Objekt vergriffen hat. Und darauf möchte ich im Interesse weiterer Studien, zu denen anzuregen mir am Herzen liegt, hinweisen. Wer die Gastropodenlokomotion studieren will, muss zu Stylommatophoren greifen, bei denen die höchst eigenartige Be- wegung des Gleitens, die — von dem Wimperspiel niederer und klei- nerer Tiere abgesehen — nur noch bei Landplanarien in ähnlicher Vollkommenheit vorkommt, ihren höchsten Ausdruck gefunden hat, er muss die Wellen an der frei gehaltenen Sohle studieren, um ihr Hervortreten über den Körperumriss hin.us zu erkennen (im Gegen- satz zu Herın Car’s Vorstellung), er muss am Glase kriechen lassen, um die Fläche mit den Wellen klar beobachten zu können, er muss Aulakopoden nehmen, um ein pigmentfreies lokomotorisches Feld beobachten zu könnea, er muss ferner Gehäuseschnecken mit Be- lastung arbeiten lassen, um einerseits den Ursprung der lokomo- Simroth, Bewegung der Lungenschnecken. 91 torischen Wellen und ihr Verhältnis zum Nervensystem. (— das Phä- nomen der „stabilen“ Wellen —), andererseits die Wirkung des Spindelmuskels zu studieren, und zwar jeden Faktor experimentell getrennt. Soweit bin ieh, wie ich glaube, früher mit aller Bestimmt- heit gekommen, und trotz manchen Nachdenkens sehe ich noch keinen andern Weg. Vielleicht könnte man den experimentellen Einblick da- durch noch etwas weiter treiben, dass man sich an tropische beschalte Aulakopoden wendete, große Zonitiden u. dgl.; vielleicht bietet schon die südosteuropäische Gattung Zonites selbst einen passenden Angrifis- punkt. Indess sind mir doch keine derartigen bekannt, außer den kleinen Vitrinen u. dergl., die ein so vollkommen pigmentloses loko- motorisches Feld besäßen wie die echten Limaces, die in dieser Hin- sicht geradezu ideal sind. Wenn ich zwei Punkte präzisieren darf, welche durch histologische Analyse und Experiment zunächst noch festzustellen sind, so weise ich auf folgende hin: den Anteil der Blutschwellung und das Ver- halten des lokomotorischen strickleiterförmigen Nervennetzes. Dass die Hämolymphe zur Schwellung der Sohle mitwirkt, ist sicher, bei den Vaginuliden gelang der Nachweis der Stauung am deutlichsten (Simroth, Ueber einige Vaginula-Arten, Zool. Jahrb. Abteilung f. System. ete. V); aber es ist in keiner Weise aufgeklärt, ob und in- wieweit Schwellung bei der Erzeugung der ein.elnen Welle mitwirkt. Bezüglich des Nervensystems, das völlig automatisch - sympathisch wirkt, so lange das Gleiten anhält, ließe sich vielleicht das Centrum feststellen, welches das Spiel auslöst und es dann wieder hemmt und seinen Gang unterbricht. Die experimentelle (und histologische) Unter- suchung müsste wohl die Pedal- und die Pleuralganglien ins Auge fassen. Auf einige kleine Missverständnisse Herın Car’s bezüglich des ieichteren Problems, wie die Schnecken an der Oberfläche des Wassers hingleiten, als wenn sie fest wäre, muss ich noch eingehen. Es sind seit meiner Erörterung des Themas, die bei der Untersuchung der Lo- komotion nebenbei mit abfiel (Zeitschr. f. wiss. Zool. XTXVI), eine Anzahl Arbeiten über den Gegenstand erschienen, meist ohne meine Darstellung zu kennen. So viel ich weiß, ist neues dadurch nicht weiter hinzugefügt worden. Ich brauche wohl die Abweichungen in Herrn Car’s Auffassung nicht im einzelnen anzuführen. Das Ver- mögen läuft auf ein von der Sohlenfläche abgeschiedenes Schleimband hinaus, das dem der Landschnecken vollkommen entspricht. Nur muss die Schnecke gelernt haben, ihren Fuss an der Oberfläche auszubreiten. Das Band, der Schwimmer, haftet stets in ganzer Länge an der Sohle und rückt nur hinten über dieselbe hinaus, im Verhältnis der Ab- scheidung. Das Schleimband wird zunächst nicht vom Wasser benetzt, sondern schwimmt auf dem Wasser, ohne eine Wasserschicht über 49 Eisler, Zur Frage der Extremitätenhomologie. sich zu haben. Je länger der Schwimmer wird, um so größer ist die Stabilität. Im Anfang, wo er noch nicht über das Hinterende hinaus- ragt, also wo noch kein freier Schwimmer vorhanden ist, hat die Schnecke natürlich die meisten Schwierigkeiten und sinkt bei beweg- tem Wasser leicht unter. Sie lässt ihre nach oben gekehrte Sohlen- fläche trichter- oder kahnförmig einsinken, was vermutlich rein un- willkürlich durch den Zug des Spindel- oder Schalenmuskels bewirkt wird, da es demselben noch an einer Fläche fehlt, an der er sich aus- breiten könnte. Die Einsenkung drückt aber das spezifische Gewicht herab. Selbstverständlich ist sie von der Schleimschieht ausgekleidet, nicht aber von einem losgelösten Bande überdeckt. Genau wie sich viele Landschnecken an dem Sohlenschleimbande, das immer als Spur hinter ihnen zurückbleibt, mehr oder weniger hoch von Gegenständen durch die Luft herablassen können, je nach ihrer Schwere, sowie nach der Menge und Zähigkeit des Schleims, können sich viele Wasser- schnecken an einem Schleimband, das sich mehr fadenartig auszieht, in die Tiefe lassen; und wenn sie von einer untergetauchten Wasser- pflanze zur andern übergehn, bleibt ebenso ein Band als Schleim- spur, das sich wohl auch von manchen Haftpunkten loslöst und freier ausspannt. Schwimmer und untergetauchte Bänder können von der erzeugenden Schnecke so gut wie von anderen als Unterlagen beim Kriechen benutzt werden. Das Schicksal der Schleimbänder ist jedenfalls, allmählich im Wasser aufzuquellen und somit zu verschwin- den. Wie lange sie sich in ihrer Kontinuität nachweisen lassen, ist wohl noch nicht festgestellt. Schließlich mag noch bemerkt werden, dass es systematische Grenzen für das Schwimmvermögen innerhalb der Gastropoden, soweit sie Gleitsohlen haben, nicht zu geben scheint. Wenn die Last nicht gar zu groß ist, wenn das Wasser ruhig bleibt und der Schleim reichlich genug fließt, vermögen nicht bloß die Wasser- lungenschnecken an der Oberfläche zu kriechen, als ob sie Balken hätte, sondern selbst relativ so enorm schwere Formen wie Neritina und Conus. Leipzig. Im Oktober 1897. [117] Zur Frage der Extremitätenhomologie. Von Dr. P. Eisler. Qui tacet, consentire videtur, — in diesen Verdacht möchte ich nicht geraten, nachdem Herr Prof. Stieda letzthin!) wiederum für seine neue Theorie der Extremitätenvergleichung energisch eingetreten ist und meine ebenso wie Melzer’s Auffassung — „eigentlich nur 4) Ueber die Homologie der Brust- und Beckengliedmaßen. Diese Zeit- schrift, Bd. XVII, Nr. 20. Eisler, Zur Frage der Extremitätenhomologie. 95 alte“ Hypothesen — als „auf durchaus irrigen Anschauungen begründet und deshalb vollkommen unhaltbar“ bezeichnet hat. Dass er dabei ‚gegenüber meinem oppositionellen „Antrag“ einfache, nicht einmal motivierte Tagesordnung ohne Diskussion vorschlägt, müsste im Grunde für mich sehr deprimierend sein. Aber wir befinden uns glücklicher- weise nicht im Parlament: in der Wissenschaft gehören wir ja wohl Alle der Fortschrittspartei an und erachten ebensowenig Majoritäts- beschlüsse für bindend, als wir uns unter das Joch eines blinden Autoritätsglaubens zwingen lassen, nach P. Albrecht’s kampfes- freudigem Wahlspruch „Hypothese gegen Hypothese!“, bis wir die Ueberzeugung gewonnen haben, dass der jeweils höchstmögliche Grad von Wahrscheinlichkeit erreicht ist. Dass Herrn Stieda’s Hypothese uns diese Ueberzeugung gebracht hat, wage ich bis auf Weiteres an- zuzweifeln. Ich habe meinen früheren Ausführungen!) über die Homo- logie der Extremitäten und meiner dabei ausgesprochenen Kritik der Anschauung Stieda’s nichts Neues hinzuzufügen, aber ich kann des- halb doch noch nicht auf jede fernere Auseinandersetzung verzich‘en, nachdem mich diese Angelegenheit durch eine Reihe von Jahren intensiv beschäftigt hat. Vorläufig möchte ich mir an dieser Stelle nur erlauben, einige bescheidene Fragen an Herrn Prof. Stieda zu richten, die mir — und vielleicht auch noch Anderen — bei der Lektüre seiner letzten Abhandlung aufgestoßen sind und die in der Diskussion über seinen Vortrag auf der Braunschweiger Naturforscherversamm- lung ihren Platz gefunden hätten, wäre ich nicht am Erscheinen ver- hindert gewesen. 1. Waren in den von Hrn. Stieda supponierten steifen, rechtwinklig vom Körper abstehenden Urplatten der Extremitäten bereits auch Weich- teile, besonders Muskeln um das axiale Skelett angelegt? — Wenn ja, 2. Hat man in diesem Stadium bereits eine Sonderung in eine dorsale und eine ventrale Schicht anzunehmen? — Wenn ja, 3. Ist auch für die Nerven der Muskein bereits in diesem primi- tiven Stadium eine Trennung in eine dorsale Schicht für die dorsale Muskulatur, in eine ventrale Schicht für die ventrale Muskulatur ein- getreten? — Wenn ja, _ 4. Ist in diesem Urstadium die dorsale (bezw. ventrale) Muskel- masse der kranialen Extremitätenplatte en bloc homolog der dorsalen (bezw. ventralen) Muskelmasse der kaudalen Platte? — Wenn ja, 5. Wie ist es zu erklären, dass der Trieceps brachii von dem dorsalen N.radialis, die ihm homolog gesetzten Mm. semitendinosus, semimembranosus und biceps long. femoris von dem der ventralen 1) Die Homologie der Extremitäten. Abhandl. d. naturf. Ges. zu Halle, Bd. 19, Heft 3 u. 4, 1895. - - Biolog. Centralbl., Bd. XVI, 1896. — Diskussion zu Herrn Stieda’s Vortrag über dies Thema auf der 9. Versamml. d. anat, Ges. in Basel, 1895. 94 Eisler, Zur Frage der Extremitätenhomologie. Nervengruppe angehörigen N. tibialis innerviert werden, und nicht, wie zu erwarten wäre, von dem dorsalen N. peroneus? Dass ferner der dem ventralen Biceps brachii homologisierte Quadriceps femoris bei Ornithorhynchus von dem gleichen Nerven versorgt wird, wie der von Stieda als dorsaler Muskel anerkannte Tibialis antieus? — 6. Besteht ein Bedenken, in der primitiven Extremitätenplatte eine Innervation des kranialen Randes durch weiter kranial aus dem hückenmark abgehende Nerven, des kaudalen Randes durch weiter kaudal abgehende Nerven anzunehmen? — Wenn nicht, 7. Darf man erwarten, dass an der fertigen Extremität die Nerven ihre orientierende Bedeutung behalten haben? — Wenn ja, 8. Wie ist es dann zu erklären, dass der laterale Umfang des Ober- schenkels, der doch nach St. in der primitiven Extremitätenplatte Kranialrand war, -thatsächlich von weiter kaudal gelegenen Nerven versorgt wird als der mediale? 9. Ist die Pronation und Superpronation der Unterschenkelknochen im Sinne Stieda’s durch freies Spiel irgendwelcher Kräfte oder speziell durch Muskelzug zu Stande gekommen zu denken? — Wenn letzteres, 10. Sind noch Reste der dabei thätig gewesenen Pronatoren an der Tibia, der Superpronatoren an der Fibula vorhanden? 11. Bedeutet die Superpronation an Tibia und Fibula eine Dreh- ung: des Unterschenkelskeletts gegen den Oberschenkel um 180°? — Wenn ja, 12. Lag dann im Primitivzustande die jetzige Wadenmuskulatur in der Fortsetzung des Quadriceps femoris? 13. Konnte eine solche erhebliche Drehung vor sich gehen, ohne Spuren in der Anordnung der Weichteile zurückzulassen ? — Wenn nicht, 14. Wie kommt es, dass die Innervation des Unterschenkels nicht um 180° gegen die des Oberschenkels gedreht oder verschoben ist? — 15. Werden wir in der ausführlicheren Arbeit genaueres über die- jenigen Vierfüßler erfahren, bei denen der Unterschenkel noch in Supina- tion (also Fibula medial zur Tibia unter dem medialen Femurkondyl) oder in einfacher Pronation (Fibula hinter der Tibia gekreuzt) steht? 16. Werden wir bei dieser Gelegenheit vielleicht erfahren, worauf sich die „allseitig anerkannte Anschauung“ von der Homologisierung der Tibia und des Radius, der Fibula und der Ulna, der Großzehe und des Daumens im besonderen gründet? — Die Beantwortung dieser wenigen und einfachen Fragen wird, wie ich überzeugt bin, Herr Prof. Stieda auch einem strikten Gegner seiner Anschauung nicht versagen, zumal sie ihm bei seinem gesicherten Standpunkt keine Schwierigkeiten bereiten kann. Wir dürfen dann hoffen, der Wahrheit wieder einen Schritt näher gekommen zu sein. Halle, den 21. Oktober’ 1897. Lauterborn, Ueber Modderula hartwigi. 95 Ueber Modderula hartwig Frenzel. Von Dr. Robert Lauterborn. (Aus dem zoologischen Institut der Universität Heidelberg.) Unter dem Namen Modderula hartwigt hat J. Frenzel kürzlich in dieser Zeitschrift !) einen sehr interessanten Organismus beschrieben, den er im Schlamm des Müggelsees bei Berlin fand. Diese Modderula hat die Gestalt eines Ellipsoids; der Hauptdurchmesser schwankt zwischen 12 bis 50 u, der kürzere Durchmesser zwischen 9 bis ca. 30 a. Unter der festen, doppelkonturierten und stark lichtbrechenden Membran liegen kleine, stark glänzende und farblose Kügelchen, die im Centrum einen dunklen Punkt erkennen lassen und wahrscheinlich aus Schwefel bestehen. Den Hauptbestandteil der Modderula bilden jedoch große stark glänzende Klümpehen, welche den ganzen Zellraum derart dicht ausfüllen, dass weder von Plasma noch von einem kernartigen Gebilde irgend etwas zu sehen ist. Trotzdem kann kaum ein Zweifel bestehen, dass Modderula wirklich ein Lebewesen ist, denn sie bewegt sich ohne Hilfe sichtbarer Loko- motionsorgane wie Geißeln, Cilien oder Pseudopodien ruckweise und drehend dahin, ein Umstand, der eine Verwechselung mit anorganischen Gebilden wohl sicher ausschließt. Wie man sieht, ist Modderula, wie Frenzel mit Recht hervorhebt, ein höchst merkwürdiger Organismus: aber er ist nicht neu. Ich kenne ihn seit dem Jahre 1891, wo ich ihn zuerst im Schlamme des Altrheins bei Neuhofen (zwischen Ludwigshafen und Speyer) entdeckte, und schon damals fielen mir die eigenartigen Iuhaltskörper sowie die Bewegung auf. In der Folgezeit demonstrierte ich den eigenartigen Organismus auch auf dem zoolog. Institut Heidelberg und überließ ihn Herrn Dr. W. Schewia- koff, der ihn zum Gegenstand eingehender Untersuchungen machte, welche er in seiner Habilitationsschrift *) niederlegte. Schewiakoff gab 1893 dem neuen Organismus den Namen Achromatium ozaliferum und hat diese Bezeichnung somit die Priorität vor dem vier Jahre später von Frenzel vorgeschlagenen Namen Mod- derula hartwıigti. Darüber, dass Modderula mit Achromatium identisch ist, kann gar kein Zweifel bestehen, wenn man die Angaben Frenzel’s mit denen Schewiakoff’s und den Abbildungen des letzteren vergleicht. Nach Schewiakoftf’s Darstellung ist Achromatium (Modderula) umschlossen von einer der Pellicula der Protozoen vergleichbaren Mem- bran, welche einige Mal eine sehr feinwabige Struktur erkennen ließ. Auf diese folgt nach innen zu eine ca. 1 u dicke Rindenschicht, welche aus einer einfachen, radiär zur Oberfläche angeordneten Wabenlage besteht und wohl als Alveolarschicht betrachtet werden kann. Die Hauptmasse des Achromatium bildet jedoch der große „Centralkörper“, welcher all- seitig von der Rindenschicht umschlossen wird; er färbt sich mit Dela- field’schem Hämatoxylin bedeutend intensiver als Membran und Rinden- schicht. Der „Centralkörper“ lässt einen weitmaschigen wabigen Bau 1) J. Frenzel, Neue oder wenig bekannte Süßwasserprotisten. I. Mod- derula hartwigi n. g. n. sp. In: Biol. Centralbl., Bd. XVII (1897), S. 801—808. 2) W. Schewiakoff, Ueber einen neuen bakterienähnlichen Organismus des Süßwassers. Mit einer Tafel. In: Verhandl d. med.-naturh. Vereins Heidel- berg, 1893, 36 Seiten. 96 Lauterborn, Ueber Modderula hartwigi. erkennen, doch die Struktur tritt im Leben meist nicht hervor, da die Binnenräume der Waben prall erfüllt sind mit dem stark lichtbrechenden Inhaltskörpern, die nach Schewiakoff’s mikrochemischen Untersuchungen Caleiumoxalat enthalten!). Außer diesen großen Klumpen fanden sich dem Maschenwerk des Oentralkörpers noch zahlreiche kleine Kügelchen eingelagert, welche sich mit Delafield’schen Hämatoxylin rötlich färben uud wohl den Frenzel’schen „Schwefelkörnchen“ entsprechen. Die Vermehrung von Achromatium erfolgt durch Querteilung, deren Verlauf Schewiakoff beschrieben und abgebildet hat. Frenzel saı nur einmal ein Exemplar seiner Modderula, welches in der Mitte eingeschnürt war, und schloss hieraus, obwohl er den Vorgang nicht zu Ende beobachtete, richtig auf Querteilung. Was mir an Frenzel’s Mitteilung etwas auffallend war, ist der Umstand, dass er nur so wenige (8) Exemplare seiner Modderula sah. Ich habe diesen typisch limikolen Organismus in allen bisher untersuchten Gewässern der Oberrheinebene beobachtet, soweit dieselben schlammigen Grund hatten und hier zu allen Jahreszeiten, allerdings in wechselnder Häufigkeit. Am zahlreichsten fand ich Achromatium im Altrhein bei Neuhofen. Hier sind die Tiefen von 5—6 m bedeckt von einem feinen Schlamm, der zahlreiche charakteristische Diatomeen (Surrella_ cal- carata, 5. splendida, S. biseriata, Campylodiscus noricus, Stau- roners acuta ete.), Beggiatoen, Uyanophyceen (Aphanotheca prasina, Merismopedia), Rhizopoden (Amoeba, Difflugea, Gromia), Heliozoen (Actinosphaerium) sowie eine Reihe von Flagellaten und Ciliaten enthält. In Gesellschaft dieser Organismen fand sich auch Achromatiıım sehr häufig vor und oft in solcher Menge, dass eine kleine Quantiät des Schlammes in Uhrschälchen isoliert, noch einige Zeit am Boden des Schälchens viele Hunderte von Achromatien in Gestalt eines grauen Staubes lieferten, wie schon bei Schewiakoff angegeben ist. Das Vor- kommen von Achromatium ist aber keineswegs an die größeren Tiefen gebunden; ich fand es auch in den Diatomeenrasen an seichten Stellen, dann am Boden von 'Torf- und Lehmgruben, ja sogar in den Sphagnum- Sümpfen der Gebirge?) und auch in dem Schlamm, welcher die Büsche submerser Wasserpflanzen wie Utricularia, Myrriophyllum ete. zu um- hüllen pflegt. So fand ich es im. November dieses Jahres im Grunde eines Teiches, dessen Boden mit zerfallenden Characeenrasen bedeckt war, so häufig, dass in dem Sammelglas das Wasser nach Absetzung des Schlammes staubartig getrübt war. 1) Frenzel berichtet, dass er in einem Exemplar seiner Modderula statt des stark lichtbrechenden Inhalts krystallartige Gebilde sah, welche kurz- und breitstäbehenförmig, auch tafelförmig und zu zweien oder dreien vereinigt waren. Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass diese Gebilde nichts anderes waren als beim Absterben der Zelle auskrystallisiertes Caleiumoxalat, welches nach Schewiakoff in zerdrückten oder durch Hitze etc. abgetöteten Exemplaren sehr leicht aus dem in Lösung übergegangenen Inhaltskörper aus- kıystallisiert und zwar in rhomboidenähnlichen oder tafelförmigen Krystallen, unter denen sich oft Wachstumsformen oder Zwillige finden. Ein Vergleich der von Schewiakoff auf Fig. 19 abgebildeten Krystalle mit der Schilderung Frenzel’s dürfte diese Auffassung bestätigen. 2) So z. B. in den Hochmooren bei Landstuhl (Rheinpfalz) und wenn mich meine Erinnerung wicht trügt, auch in den Mooren auf den 983 m hohen Gipfel des Hohloh (Schwarzwald). N Modderula hartwigi = Achromatium oxaliferum. 97 Was die systematische Stellung der Modderula anbelangt, so hat Frenzel dieselben als einen eigenartigen, gänzlich abseits stehen- den Organismus bezeichnet und dessen Zugehörigkeit zu Tier- oder Pflanzen- reich unentschieden gelassen. Bis zu einem gewissen Grade stimme ich Frenzel bezüglich der isolierten Stellung unseres Organismus bei, glaube aber doch, dass er bei dem jetzigen Stande unseres Wissens am besten in die Nähe der Bakterien gestellt wird, wie dies auch Schewiakoff gethan hat. Wenn Frenzel zwar in der Gestalt und deren Starrheit (Unveränderlichkeit), ferner in der Membran, in dem Mangel eines sicht- baren Kernes sowie in der wahrscheinlichen Vermehrung durch Querteilung eine gewisse Aehnlichkeit der Modderula mit den Bakteriaceen (Schizo- myceten) erkennt, dann aber fortfährt; „Die erhebliche Größe, die Art und Weise der Bewegung und die Gestaltung des Zellinhalts bilden da- gegen wieder gewichtige Unterschiede, die eine Angliederung an die Bak- teriaceen nicht gut zulassen“ — so scheinen mir die angeführten Gründe wenig stichhaltig. Die ansehnliche Größe kann doch kaum als Hindernis einer Verwandtschaft mit Bakterien betrachtet werden, da ja auch gewisse Schwefel- „Bakterien“ ebenfalls eine relativ sehr beträchtliche Größe er- reichen. Auch bezüglich der eigenartigen Bewegung dürften sich wohl einige im Schlamm unserer Gewässer lebenden bis jetzt aber noch kaum eingehends studierten bakterienartigen Organismen heranziehen lassen; so z.B. eine von mir im Altrhein bei Neuhofen entdeckte und von Bütschli!) geschilderte und abgebildete Form, deren kettenartig aneinandergereihte Individuen genau ebenso ohne sichtbaren Lokomotionsorgane dahingleiten, wie Achromatium-Modderula. Dass schließlich die Gestaltung des Zell- inhaltes sogar direkt auf einer Verwandtschaft mit den „Schwefelbakterien“ hinweist, haben Schewiakoff’s Untersuchungen wohl zur Genüge dar- dargethan. [25] Ludwigshafen a. Rhein, 27. November 1897. Modderula hartwigi — Achromatium oxaliferum Schewiakoff (?). In Nr. 22 des „Biolog. Centralblattes“ vom 15. Nov. 1897 beschreibt Prof. Joh. Frenzel in einem nachgelassenen Aufsatze einen bakterien- ähnlichen Organismus, den er für den Vertreter einer neuen Protisten- gattung hält. Als solcher ist er unter dem Namen Modderula aufgeführt worden. Nach der eingehenden Schilderung von Frenzel scheint das betreffende Wesen aber kaum von dem Bakterium verschieden zu sein, welches W. Schewiakoff im Jahre 1893 zum Gegenstande seiner Habili- tationsschrift gemacht und Achromatium oxaliferum genannt hat. Hierfür sprechen mehrere Momente. 1. Der Fundort. Frenzel fand seine Modderula im Grundschlamme des Müggelsees, Schewiakoff sein Achromatium in Schlammproben aus dem Altrhein bei Neuhofen. 2. Die Gestalt und die Größenverhältnisse. Nach Frenzel ist die Modderula ein ellipsoidisches Körperchen von 25—835 u Länge und 9—30 u Durchmesser, je nach den verschiedenen Exemplaren. Schewiakoff giebt dem gegenüber eine Länge von 15—43 u und eine 4) 0. Bütschli, Weitere Ausführungen über den Bau der Bakterien und Cyanophyceen, Leipzig, Engelmann, 1895. XVIH. 7 98 Chun, Beziehungen zwischen dem arktischen und antarktischen Plankton. Breite von 9—22 u an. Auch er spricht von „ellipsoidischen Exem- plaren“. Beide betonen dabei, dass der beobachtete Organismus von einer verhältnismäßig dicken und festen Membran begrenzt sei. Ebenso heben beide Autoren hervor, dass im Innern des fraglichen Organismus ziemlich große (stark lichtbrechende) Klümpchen enthalten seien, die dicht ge- drängt bei einander liegen. | 3. Fortpfanzungsweise. Sowohl Frenzel als auch Schewia- koff beschreiben in ausführlicher Weise die Teilung, welche quer zur Längsaxe erfolgt und zwar so, dass die beiden Hälften noch eine zeitlang durch eine Substanzbrücke verbunden bleiben. 4. Bewegungsart. Um eine Vorstellung von der Ortsveränderung der Modderula zu geben, vergleicht Frenzel sie in dieser Hinsicht mit den Diatomeen. Schewiakoff wendet denselben Vergleich an und er- wähnt dabei auch noch die Öscillarien. Beide Forscher charakterisieren die Bewegung als „ruckweise erfolgende“. Nach dieser vierfachen Uebereinstimmung unterliegt es wohl kaum mehr einen Zweifel, dass Modderula mit Achromatium identisch ist und dass der letztere Name, als der ältere, zur ausschließlichen Bezeichnung dieses Organismus verwandt werden muss. E. 0. [24] C. Chun, Die Beziehungen zwischen dem arktischen und antarktischen Plankton. 64 Seiten. 1 Karte. Stuttgart, Erwin Nägele, 1897. 2 Mk. 80 Pf. Chun’s Schrift, die auf die Beziehungen zwischen der Bevölkerung des nördlichen und südlichen Eismeers ein neues und interessantes Licht wirft und gleichzeitig recht eindringlich für eine weitere Erforschung des marinen Plankton spricht, umschreibt zuerst die drei großen Faunengebiete der Meere. Dem W.armwassergebiet des atlantischen und indo-pacifischen Ozeans stehen die durch kalte Strömungen beherrschten arktischen und antarktischen Regionen gegenüber. Faunistisch sind die Grenzen der drei Zonen scharf gezogen, da ja, wie die Hensen sche Planktonexpedition dies in hohem Maß ergeben hat, die Temperatur in erster Linie die Ver- teilung pelagischer Organismen beherrscht. Für die Tiergeographie besitzt indessen die Thatsache größte Wichtigkeit, dass da, wo die kalten polaren Strömungen auf dem Warmwassergebiet entstammende Ströme stoßen, Misch- gebiete entstehen. In ihnen gleichen sich die physikalischen Gegensätze aus, und sie können daher den Lebewesen sowohl der arktischen, als der warmen Meere bis zu einem gewissen Grade zur Heimat werden. So schieben sich zwischen kalte und warme Stromgebiete weite Flächen ein, gleichzeitig bevölkert von Organismen des kalten und warmen Wassers und vielleicht anch eigentümliche Tierformen beherbergend. Diese Mischgebiete aber sind nach ihrer Lage nicht ein für alle Mal fest begrenzt. Sie verschieben sich mit dem Wechsel der Jahreszeit und der herrschenden Windrichtung. Solche Verschiebungen spielen sich be- sonders deutlich an der Ostküste der vereinigten Staaten, wo der Golf- strom auf den Labradorstrom stößt, ab; sie fehlen aber auch nicht an der europäischen Küste des atlantischen Ozeans. Im Winter werden arktische Leitformen — besonders Appendikularien — bis an die deutschen Ufer geführt. Diphyes arctica durch Vanhöffen in der Baffinsbai gesammelt, erschien im Frühjahr 1895 in der Nordsee, während die typische Warm- Chun, Beziehungen zwischen dem arktischen und antarktischen Plankton. 99 wasserform Physophora hydrostatica gelegentlich bis zu den Lofoten treibt. Wieweit nördlich Organismen des Golfstroms vordringen, lässt sich nach unseren heutigen Kenntnissen noch nicht definitiv beantworten. Ebenso sind die Mischgebiete der südlichen Hemisphäre leider noch fast völlig unbekannt. In einer kurz und übersichtlich gefassten Charakterisierung wird das pflanzliche und tierische Plankton der arktischen Meere geschildert. Die pelagische Flora, deren Bedeutung als Bereiter der Urnahrung hoch zu schätzen ist, zeichnet sich durch die ungeheure Individuenfülle der auf- tretenden Diatomeen und Peridineen aus, während die Zahl der Species relativ beschränkt bleibt. Im Gegensatz zu der unbegrenzten Variations- tendenz der Warmwasserformen lässt sich an den pelagischen Pflanzen der arktischen Meere eine große Konstanz und Monotonie des Habitus nicht verkennen. Ueber die pelagische Fauna des Nordpolarmeers fehlt uns noch eine genügende Orientierung. Immerhin ist Chun an Hand des Bekannten im stande, eine all- gemeine Uebersicht zu geben. Er durchgeht die einzelnen, in Betracht fallenden 'Tiergruppen, unter besonderer Berücksichtigung der Leitformen und berichtet über geographische Verbreitung, Vorkommen, wichtige Funde, Wanderungen und Verschiebungen der hauptsächlichen Vertreter. Spezielle Erwähnung, als auffallende und prächtige Glieder des nordischen Plankton, verdienen die Ötenophoren und Akalephen. Sie können als Leitformen gelten. Mit Ausnahme von Mertensia ovum dringen die Kammquallen weit nach Süden vor und zeugen so für die ausgedehnten Strömungen der arktischen und warmen Gewässer längs der Küste Skandinaviens. Trotzdem sind diese Ctenophoren als rein arktische Planktonorganismen zu betrachten: sie leben im Smithsund unter 81° nördlicher Breite und fehlen sicher in allen wärmeren Teilen des Golfstroms. Von ganz be- sonderer Wichtigkeit, wie später noch ausführlieh bewiesen wird, ist das Auftreten von Sagıtta hamata Möb., im nördlichen Eismeer. Copepoden, Pteropoden und Appendikularien fallen im polaren Plankton schon numerisch, durch gewaltige Individuenzahlen, schwer ins Gewicht. Die Appendiku- larien hängen von der Existenz des ihnen zur Nahrung dienenden pflanz- lichen Plankton ab; auch sie liefern typische Leitformen. Galeocerdus areticus Fab. und Laemargus borealis Scoresby, zählen als Vertreter der Selachier zur arktischen, pelagischen Lebewelt. Als allgemeiner Charakterzug lässt sich für das nordische Plankton aus den einzelnen Daten leicht herauslesen: die auffällige Armut an Arten und der überraschende Reichtum an Individuen, Doch gilt die Individuen- fülle nicht für alle auftretenden Species; manche erscheinen nur in sel- tenen Exemplaren. Ganze Ordnungen und Familien von Planktontieren, welche die warmen Stromgebiete bevölkern, bleiben den nordischen Meeren fremd (Charybdaeiden, Rhizostomen, Alciopiden, Oxycephaliden, Phronimiden, Mysideen, Heteropoden, Salpen, Pyrosomen). Ausgeschlossen sind auch die an der Oberfläche vor dem Wind treibenden Physalien, Velellen, Por- piten und Janthinen. Der von Eis bedeckte arktische Ozean erlaubt das Vorkommen dieser durch eine spezielle passive Bewegungsweise charak- _ terisierten Organismen nicht. 7% A400 Chun, Beziehungen zwischen dem arktischen und antarktischen Plankton. Da die sessilen Bewohner der Polarmeere meistens eine direkte Ent- wicklung durchlaufen, fehlen dem Plankton die freischwimmenden Larven- formen. Von den pelagischen Tiergruppen stellen sich im Norden sowohl primitive, als auch hoch differenzierte Vertreter ein; es darf nicht ohne weiteres angenommen werden, dass das Plankton des kalten Wassers die Stammformen für die Warmwasserfauna umschließe. Für das Zooplankton wiederholt sich das Merkmal der niederen pelagischen Pflanzen: Konstanz der Charaktere. Im Wasser von niedriger Temperatur geht die Neigung zur Varietätenbildung nur wenig weit. Mit den pelagischen Warmwasserbewohnern teilen die freischwimmen- den Organismen des Nordens die Periodizität des Auftretens, wie sich das an Beispielen — Diatomeen, Appendikularien — zeigen lässt. Auch lokale, von Stromgebiet zu Stromgebiet in der Planktonzusammensetzung gleichzeitig auftretende Differenzen fehlen nicht. Der ceircumpolaren Aus- dehnung mancher Lebewesen setzt indessen das zu Eisfeldern zusammen- schließende Pakeis keine Grenze. Höchst verschieden verhalten sich die Planktonarten des Nordens in Bezug auf ihr Vordringen nach Süden. Während einige, gegen steigende Temperatur und auch gegen Aus- süßung des Wassers wenig empfindlich, sich scheinbar schon den warmen Stromgebieten angepasst haben, oder im Begriff sind in den Mischgebieten heimisch zu werden, -bleiben andere ausschließlich hocharktische Leit- formen der kältesten Wasserregionen. Zu den ersteren, nach Süden sich ausbreitenden Tieren gehört vor allen Calanus finmarchicus; auch gewisse Rippenquallen sind schon ständige Gäste der Nord- und Ostsee geworden. Auf der anderen Seite dringen Warmwasserformen weit nach Norden vor und geben einen nicht unbeträchtlichen Prozentsatz der Bewohner kalter Stromgebiete ab (Sagetta hexaptera). Zu den eurythermen Arten stellen die Copepoden relativ das größte Kontingent. Noch weniger bekannt als das arktische Plankton ist die pelagische Welt der antarktischen Meere. Chun führt die in dieser Richtung fest- stehenden 'Thatsachen an. Der Diatomeenreichtum ist auch in den süd- lichen Polarmeeren ein sehr bedeutender. Höchste Beachtung verdient das Faktum, dass arktische Leitformen, wie Friteillarıa borealis Lohm. und Sagitta hamata Möb., auch das antarktische Plankton charakterisieren. Im allgemeinen dürfte die pelagische Welt des Südpols an Reichtum derjenigen des Nordpols noch überlegen sein. Dieses Verhältnis ließe sich leicht erklären, da ja das südliche Eismeer, im Gegensatz zum nörd- lichen, mit den großen Ozeanen in offener Verbindung steht und ferner drei gewaltige Ströme gegen den Aequator sendet. So entstehen Misch- gebiete weitesten Umfangs, die den Faunenaustausch mächtig fördern. Es darf deshalb nicht verwundern, dass auch im antarktischen Gebiet Warmwassertiere, wie ÜUalanus propinguus, vorkommen. Die gegen niedrige Temperatur empfindlichen Charybdaeiden, Rhizostomen, Cestiden fehlen auch dem antarktischen Plankton, das sich ferner negativ durch die Abwesenheit von Phronimiden, Oxycephaliden, Mysideen, Heteropoden, Pyrosomen, Dolioliden und Salpen kennzeichnet. So ergiebt sich schon eine weitgehende Uebereinstimmung im Charakter von arktischem und antarktischem Plankton. Die Konvergenz zwischen Chun, Beziehungen zwischen dem arktischen und antarktischen Plankton. 101 nördlicher und südlicher pelagischer Fauna spricht sich aber besonders deutlich in dem Umstande aus, dass an den beiden weit auseinander liegen- den Lokalitäten Parallelgestalten und nahe verwandte, vikarierende Formen aus den verschiedensten Tiergruppen in größerer Zahl auftreten. Es fällt schwer, dieses Verhältnis einzig auf die Rechnung der Anpassung an die- selben Lebensbedingungen — Temperatur — in den zwei verschiedenen Gebieten zu setzen. Vielmehr liegt ler Gedanke nahe, nach einem gene- tischen Zusammenhang des Plankton von Nord- und Südpol zu suchen, und das umsomehr, als ein ähnlicher genetischer Konnex für arktische und antarktische Litoralfauna von der Tiergeographie schon längst an- genommen wird. Allerdings darf Jauch nicht verschwiegen werden, dass die von Pfeffer betonte enge Verwandtschaft der die Küsten des nörd- lichen und südlichen Polarmeers bewohnenden Tierwelt nicht von allen Seiten ohne Vorbehalt anerkannt wird. Ortmann macht darauf aufmerk- sam, dass kein einziger „bipolarer“ Dekapode bekannt sei. Wenn aber für die Litoralfauna die Artidentität nördlicher und süd- licher Polarformen erst noch ganz sicher zu stellen ist, liegen für das Plankton die Verhältnisse wesentlich anders: Sagzıtta hamata Möb. und Fritillaria borealis Lohm. entsprechen sich an beiden Polen vollkommen. Zwischen den zwei Verbreitungsbezirken beider Arten dehnen sich weite Gebiete warmen Wassers aus, denen beide Species als Oberflächenbewohner nicht angehören. Lohmann neigt sich mit Pfeffer, angesichts der be- rührten tiergeographischen Thatsachen, der Auffassung zu, dass die polaren Faunen die vor der klimatischen Sonderung des Meers allgemein verbrei- teten und gegen niedere Temperaturen resistenten Arten enthalten. Damit ist der Anstoß gegeben zu der geforderten genetischen Erklärung des Zu- sammenhangs zwischen arktischer und antarktischer pelagischer Tierwelt, deren Konvergenz nicht völlig befriedigend als Anpassungserscheinung an ähnliche Bedingungen gedeutet werden kann. Wenn aber Pfeffer die Verbindung zwischen den beiden polaren Faunen geologisch weit zurückverlegt, so sucht Chun, in äußerst an- regender Weise, gegenüber diesem einstigen 'Zusammenhang eine noch heute existierende Verbindung zwischen dem Plankton beider Pole zu beweisen. Pfeffer nimmt an, dass vor der Tertiärzeit die Tierwelt eine all- gemeine, nicht nach Zonen gegliederte Verbreitung besaß. Erst mit der zu Beginn des Tertiärs eintretenden klimatischen Sonderung, zog sich die Warmwasserfauna nach dem Aequator zurück mit Ausnahme derjenigen Formen, die sich den Existenzbedingungen in den kalten Stromgebieten anzupassen vermochten. Gegen diese Auffassung tragen die Geologen, und speziell Frech, schwerwiegende Bedenken. Sie weisen darauf hin, dass eine „allgemeine Fauna“ für keine Epoche der Erdentwicklung an- genommen werden darf, und dass für die Littoralfaunen ein doppelter Verbindungsweg von Pol zu Pol offen steht. Der eine Weg führt durch die Tiefsee, deren niedrige Temperatur die Ausbreitung polarer Tiere ermög- licht und dadurch die zwei scheinbar so scharf und so weit getrennten Faunen miteinander in Beziehung setzt. „Bipolare“ Gattungen beleben denn auch in der That die tropische Tiefsee, Für Formen aber, die diese erste Straße nicht benützen können, führt ein zweiter Weg von Pol zu Pol an der Küste von Nord- und Südamerika hin, längs welcher die kalten arktischen und antarktischen Ströme verstreichen. 102 Migula, System der Bakterien. Wenn so die Bipolarität der littoralen Tierwelt eine einleuchtende Erklärung findet, bietet die Hensen’sche Planktonexpedition eine Anzahl Daten, welche die Auffindung eines noch heute wirkenden genetischen Zusammenhangs auch für die pelagische Lebewelt beider Pole ermöglichen. Chun’s Ansichten über die vertikale Planktonverteilung im Meer fanden durch die Expedition im allgemeinen weitgehende Bestätigung. In kalten wie in warmen Gebieten lebt eine etwa in den 200 oberen Metern lokalisierte Oberflächenfauna, deren Vertreter aber auch in größere Tiefen hinabsteigen können. Die tieferen, lichtlosen Regionen beherbergen eine an Zahl äußerst reiche pelagische Lebewelt, welche nie, oder nur in seltenen Fällen an der Oberfläche erscheint. Dieser oberen Etage der freischwimmenden Tiefenfauna gehören Schizo- poden mit zweigeteilten Dunkelaugen, Sergestiden, augenlose Halocypriden und einige Copepodengattungen an. Noch tiefere Schichten, bis zum Meeresgrund endlich, werden von einer leider noch sehr wenig bekannten Fauna bevölkert. In ihr spielen die Tiefseesiphonophoren — Auronecten und Rhizophysiden — eine wichtige Rolle; daneben fehlen aber auch nicht Crustaceen und wohl noch andere Geschöpfe. Nach ihrer Zusammensetzung ist die pelagische Tiefenfauna der Warm- wassergebiete nicht einfach identisch mit der polaren Oberflächenfauna. Sie besteht vielmehr aus drei verschiedenen Elementen, aus von der Ober- fläche niedersinkenden Tieren, aus eigentümlichen Tiefseegestalten, „Leit- formen“ der Tiefe, die der Oberfläche fehlen, und endlich aus polaren Oberflächenbewohnern. Zu der letzten, für Chun’s Betrachtung äußerst wichtigen Kategorie gehört Sagitta hamata Möb. Eine Reihe von Tiefenfängen giebt für sie eine Bindebrücke zwischen arktischem und antarktischem Vorkommen unterhalb aller von warmen Strömungen beherrschten Gebiete an. In jenen Tiefen steigt die Temperatur nicht über 5,2°, sie nähert sich also dem Wärmegrad des kalten Oberflächenwassers, in dem S$. kamata in hohen Breiten lebt. Für andere polare Oberflächentiere scheinen ähnliche Verhältnisse zu gelten. | Noch heute geht somit ein Austausch zwischen der arktischen und antarktischen pelagischen Fauna vor sich; die Wanderung wird wohl ver- mittelt, durch uns noch unbekannte, in den tiefen Kaltwasserschichten verlaufende Ströme. Wenn nach den Ausführungen von Chun eine noch heute sich vollziehende Mischung beider Faunengebiete in hohem Grade wahrscheinlich gemacht wird, so können wir gleichzeitig zur Erklärung des Auftretens identischer oder vikarierender Tierformen einer Hypothese entbehren, die sich auf die noch ungenügend bekannten vortertiären Klima- verhältnisse stützt. F. Zschokke (Basel). [119] W. Migula, System der Bakterien. Handbuch der Morpho- logie, Entwicklungsgsgeschichte und Systematik der Bakterien. 41. Band. Allgemeiner Teil. 368 Seiten mit 6 Taf. „Jena (G. Fischer) 1897. Preis 12 Mk. Die Zahl der im Jahre erscheinenden bakteriologischen Handbücher ist eine sehr große, aber merkwürdigerweise sind es fast nur Mediziner, rr ee Migula, System der Bakterien. 105 die ein derartiges Werk schreiben. Die neuere Botanik beginnt erst jetzt sich wieder mehr den Bakterien zuzuwenden nnd hat in den letzten Jahren manche schöne Resultate erzielt. Migula war einer der ersten unter den jüngeren Botanikern, welche die Bedeutung der Bakterien für die gesamte Botanik erkannten und seine langjährigen Arbeiten auf diesem Gebiet befähigen ihn ganz besonders zur Abfassung eines so groß ange- legten Werkes. Der allgemeine Teil, welcher den vorliegenden ersten Band füllt, bringt eine vollständige Einleitung im das Studium der Bakterienkunde und entspricht gleichzeitig durch seine große Vollständigkeit und Zuver- lässigkeit dem auf dem Titel genannten Namen „Handbuch“. Der ungeheure Stoff an Litteratur, der für die Zusammenstellung zu verwerten war, tritt aus den jedem Kapitel beigegebenen Uebersichten über die einschlägigen Arbeiten hervor. Man würde aber fehl gehen, wenn man das Buch als bloße Litteraturkompilation betrachten wollte; fast jede wichtigere Angabe hat Verf. selbst nachgeprüft, zahlreiche selbständige, bisher unveröffent- lichte Forschungen von ihm sind in den einzelnen Kapiteln enthalten und zeugen von dem großen Fleiß, der dem Buche gewidmet wurde. Verf. gliedert den Stoff in 3 Abschnitte: 1. historische Entwicklung der Bakteriensystematik, 2. Morphologie und Entwicklungsgeschichte und 3. biologische Merkmale. Der 2. Abschnitt, der am meisten den Botaniker interessieren wird, beschäftigt sich mit der äußeren und inneren Morphologie der Zelle, der Sporenbildung und den Fragen der Pleomorphie und Variabilität. Das letztere Kapitel ist von ganz neuen Gesichtspunkten aus bearbeitet worden, da die bisherigen Anschauungen veraltet sind. Im 3. Abschnitt werden die Kulturmethoden und die Stoffwechsel- produkte der Bakterien besprochen. Besondere Kapitel sind bestimmten Bakteriengruppen, wie Schwefel-, Eisen- und Stickstoffbakterien gewidmet, ebenso wie die Einflüsse von Licht, Temperatur und Sauerstoff eingehend beleuchtet werden. Das Kapitel über Parasitismus und Pathogenität ist für den Botaniker durch die kritische Zusammenstellung der bisher als sicher erkannten Bakterienkrankheiten der Pflanzen wichtig. Vielleicht wird in den Kreisen der medizinischen Bakteriologen das Buch wenig Anklang finden, weil scheinbar die botanische Methodik zu sehr in den Vordergrund geschoben wird. Aber gerade deshalb ist das Buch den Bakteriologen besonders zu empfehlen, weil nicht genug betont werden kann, dass nur botanische Forschungsmethoden die Systematik der Bakterien wirklich zu fördern vermögen. Deshalb knüpft auch Verf. immer an die älteren Untersuchungen von{Cohn und seinen Schülern" an und berücksichtigt die neueren Forschungen nur dann, wenn sie sonst noch Bestätigung gefunden haben. Und gerade” diese kritische Benutzung der Litteratur macht das Buch wertvoll. Die Behandlung des oft spröden Stoffes ist eine sehr geschickte, so dass die Lektüre angenehm und anregend ist. 6 gut ausgeführte Tafeln begleiten das Werk und bringen eine große Zahl von Originalaufnahmen des Verf. Lindau (Berlin). [114] 104 Fischer, Vorlesungen über Bakterien. A. Fischer, Vorlesungen über Bakterien. 186 Seiten mit 29 Abb. Jena (G. Fischer) 1897. Preis 4 Mk. Während das Buch von Migula ein ausführliches Handbuch der Bakterienkunde ist, will Fischer nur eine abgerundete Darstellung des Stoffes geben, die gleichsam ein kurzer Leitfaden zur Einführung sei soll. Von diesem Standpunkt aus sind manche Kapitel zu beurteilen, wo ein ausführliches Lehrbuch ein weiteres Eingehen auf die Litteratur geboten hätte. In 17 Vorlesungen führt Verf. den gesamten Stoff vor. Jede Vor- lesung bietet ein abgerundetes Ganze. Entsprechend der Tendenz des Buches als kurze Einführung ist von vorherein darauf verzichtet, noch unfertige Resultate darzubieten. Nur gesicherte T'hatsachen und gut ge- stützte T'heorien sind deshalb vorgetragen. Gegenüber Migula bietet Verf. mehrfache Abweichungen, die schließlich in der vollständigen Verschieden- heit ihrer systematischen Anordnung der Formen gipfeln. Es wäre vielleicht gut gewesen, wenn Fischer daher außer seinem System noch ein anderes reproduziert hätte, da das seinige bisher wenig Anklang gefunden hat. Im allgemeinen also ergänzen sich die Bücher von Fischer und Migula; für den Studierenden, der sich nur oberflächlich über den Stand der heutigen Bakteriologie orientieren will, ist natürlich Fischer’s Buch empfehlenswerter, während es als Grundlage für weitergehende Studien nicht ausreicht. Für den Botaniker bietet das Buch dadurch, dass es aus den übrigen Pflanzenklassen fortwährend Vergleiche heranzieht und damit manches eigentümliche Verhalten der Bakterien erst ins rechte Licht setzt, vielerlei Anregung dar und wird gewiss dazu beitragen, das jetzt etwas stief- mütterlich behandelte Gebiet wieder mehr zu Ansehen zu bringen. [115] Lindau (Berlin). A. Ecker’s u. R. Wiedersheim’s Anatomie des Frosches, auf Grund eigener Untersuchungen durchaus neu bearbeitet von Dr. Ernst Gaupp. I. Abt.: Lehre vom Skelett und vom Muskelsystem, Braunschweig 1896, 8, 229 Stn., 114 Figuren. II. Abt., 1. Hälfte: Lehre vom Nervensystem, Braunschw. 1897, 8, 234 S., 62 Fig. Die in allen physiologischen und zoologischen Instituten rühmlichst bekannte Anatomie des Frosches erscheint in ganz neuem Gewand. Ein flüchtiger Blick schon in die beiden bisher erschienenen Hefte lehrt, dass dieselben „durchaus neu bearbeitet“ sind. Die erste Abteilung ist von 139 auf 229 Seiten, die Zahl der Abbildungen von 96 auf 114 vermehrt: diese letzteren sind aber zum größeren Teil ganz neu und auch der Rest mit augenscheinlichen Verbesserungen umgezeichnet. Noch auffallender ist die Vermehrung des Stoffes in der 2. Abteilung: waren früher dem gesamten Nervensystem 57 Seiten gewidmet, so wird es nun in einem stattlichen Heft von 234 Seiten mit 62 Figuren geschildert. Diese außerordentliche Vermehrung des Stoffes beruht nicht auf einer übermäßigen kleinlichen Genauigkeit, mit der die alten Angaben vermehrt wären, sondern zum größten Teil auf einer Erweiterung der Ziele, die dem Werke gesetzt sind und zwar in zweierlei Hinsicht: es ist die Physio- logie der Bewegungen und die vergleichende Anatomie mit in den Bereich der Betrachtung gezogen, Gaupp, A. Ecker’s und R. Wiedersheim’s Anatomie des Frosches. 105 Der Physiologie sind kleine Betrachtungen über die Funktion der Gliedmaßen und der hauptsächlichsten Muskelgruppen gewidmet, die der genauen anatomischen Schilderung der Knochen und der Gelenke oder der einzelnen Muskeln als Einleitung vorangestellt sind; dazu kommt noch bei jedem einzelnen Muskel Angabe seiner Funktion und seiner Inner- vation. Dass dabei der Bearbeiter auch die gewissenhafteste Nachprüfung der alten Angaben nicht versäumt hat, dafür zeugt die Entdeckung des höchst sinnreichen Mechanismus der Froschatmung, die eine,Frucht seiner nach- prüfenden Untersuchungen ist und die er in einigen kurzen Notizen des Buches niedergelegt hat!). Da dem Frosch die Fähigkeit fehlt, seinen kleinen Thorax durch Muskelkraft zu erweitern, muss er die Einatmung dadurch bewirken, dass er die Luft zunächst in seine außerordentlich weite Mundhöhle ansaugt und dann durch Verengerung derselben in die Lungen hinabpresst. Die Erweiterung und Verengerung der Mundhöhle bewerkstelligen die an ihrem Boden und an der Kehle liegenden Muskeln; damit die Luft aber hinuntergepresst werden kann, muss die Mundhöhle nach außen fest verschlossen sein. Den Schluss des Maules besorgen die Kaumuskeln, die 4 „Heber des Unterkiefers“, deren Wirkung durch das falzähnliche Ineinanderpassen der Kiefer erleichtert wird; nun müssen aber auch noch die Nasenlöcher verschlossen werden und dass dies thatsächlich geschieht, lässt sich leicht beobachten. Ecker hatte (wie alle anderen Autoren) eigene Nasenmuskeln beschrieben, die diesen Schluss oder (nach anderen) wenigstens die Oeffnung der Nasenlöcher bewerkstelligen sollen. Gaupp konnte diese Muskeln nicht wieder auffinden, aber entdeckte den folgenden Mechanismus für den Verschluss der äußeren Nasenlöcher?): - an dem vorderen Winkel des Unterkiefers (der Symphyse der ossa den- talia maxillae inf.) befindet sich ein kleiner nach oben gerichteter Vor- sprung, das tubereulum praelinguale. Wird dieses nach oben, gegen die beiden Zwischenkieferknochen gedrückt, so geben dieselben nach, indem sie nach oben und etwas auseinander ausweichen. Diese Bewegung über- trägt sich durch die aufsteigenden Fortsätze (partes faciales) der Zwischen- kiefer auf die cartilagines praenasales superiores, die nach außen gedrückt werden. Diese sind mit den Nasenflügelknorpeln und mit letzteren mit dem Hauptteil des Nasenskeletts durch dünne Stiele derart verbunden, dass der gemeinsame Stiel dem vertikalen, die cart. praenasales sup. und cart. alares den horizontalen Aesten eines T sich vergleichen lassen. Daher drehen sich, bei einer Bewegung der cart. praenasales sup. nach außen, die cart. alares um den biegsamen gemeinsamen Stiel nach innen. Da diese die Nasenlöcher von vorne und seitlich begrenzen, werden durch ihre Verschiebung die letzteren wie mit einer Klappe geschlossen. So bewirkt also fester Schluss des Maules zugleich auch Verschluss der Nasen- löcher. Verstärkt und gesichert wird diese Wirkung der Kaumuskeln freilich noch durch einen besonderen Muskel (m. submentalis), der aber nicht an der Nase liest, sondern ganz vorn quer über den Winkel des Unterkiefers gespannt ist. Bei seiner Kontraktion zieht er die beiden 1) Ausführlich im Arch. f. Anatomie u. Physiologie, Anat. Abt., 1896. E. Gaupp, Zur Lehre vom Atmungsmechanismus beim Frosch. 2) Wie G. anführt hatte schon Dug&s diesen Mechanismus gekannt, aber nicht genau beschrieben und immerhin noch Muskeln als Nasenöffner ange- nommen. 106 Wettstein, Systematik der Thallophyten. Aeste desselben gegeneinander und rotiert sie zugleich ein. wenig um ihre Axe, da er sich am untern Rande derselben ansetzt: dadurch. wird das tuberculum praelinguale nach oben vorgedrängt und somit bei gleich- zeitigem Schluss des Maules der Verschluss der Nasenlöcher gesichert. Die Oeffnung derselben geschieht einfach durch die Elastizität der tor- quierten Knorpel. Der vergleichenden Anatomie sind ebenfalls einleitende Bemerkungen bei der Schilderung der Körperteile, der Muskelgruppen und der Nerven- plexus gewidmet. Besonders bei jedem einzelnen Skelettteil ist die Homo- logie mit dem Skelett der andern Wirbeltiere genau erörtert. Hervor- gehoben sei hier die gründliche Schilderung des Primordialkraniums, die mit Abbildungen nach Wachsmodellen erläutert ist, welche der Bearbeiter selbst nach mikroskopischen Schnitten durch Köpfe junger Frösche modelliert hat. Für die Bearbeitung des Nervensystems stand eine viel umfangreichere neue Litteratur zur Verfügung als über Skelett und Muskulatur. Herr G. hat auch hier alle Angaben nachgeprüft mit Ausnahme jener schönen Resultate über den feineren Bau des Oentralnervensystems, die Pedro Ramön und Cl. Sala mit der so äußerst diffieilen Golgi’schen Methode erreicht haben. Besoudere Bedeutung für den vergleichenden Anatomen sowohl wie für den Physiologen hat die ausführlichere Darstellung des feineren Baus und besonders des Faserverlaufes im Centralnervensystem. Dieses ganz neue Kapitel ist geradezu dafür berechnet, weiteren Forschungen zur Grund- lage zu dienen, indem auf alle noch zweifelhaften Punkte und offenbaren Lücken unseres Wissens hingewiesen wird. Der außerordentlich genauen Schilderung des peripheren Nervensystems ist überall das Bestreben an- zumerken, alle Fragen die bei Untersuchungen zur Nervenphysiologie an den Anatomen gerichtet werden können, im voraus zu beantworten. Zum Schlusse sei darauf hingewiesen, welcher Dienst der vergleichen- den Anatomie und Physiologie überhaupt durch eine derartig genaue Schilderung eines Typus erwiesen wird. So ist nur zu wünschen, dass ungeachtet der großen Arbeit, die auch hier die Nachprüfung aller alten Angaben und ihre Ergänzung durch neuere Untersuchungsmethoden ver- ursachen wird, in nicht zu langer Zeit das Werk durch das Erscheinen der Gefäß- und der Eingeweidelehre vervollständigt werde. W. [125] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Sitzungsberichte des Deutschen naturw.-mediz. Vereines für Böhmen „Lotos“, 1896, Nr. 8. Prof. Dr. R. v. Wettstein besprach: Die Systematik der Thallo- phyten mit besonderer Berücksichtigung der Abhandlung von J. Sachs „Phylogenetische Aphorismen und über innere Gestal- tungsursachen oder Automorphosen*!). Bei dem die heutige Systematik charakterısierenden Streben nach Er- kenntnis des phylogenetischen Zusammenhanges der großen Gruppen des Pflanzen- reiches bereiten die Beziehungen der großen Abteilung der Siphonogamen (Phanerogamen) zu den Pteridophyten und weiterhin zu den Bryophyten keine wesentlichen Schwierigkeiten. Die graduelle Steigerung des morphologischen Baues bei Betrachtung der Formenreihe: Bryophyta—Pteridophyta isospora— 1) Physiologische Notizen, X, „Flora“, 82. Band, S. 173—223. Wettstein, Systematik der Tallophyten. 107 Pteridophyta heterospora— Gymnospermae— Angiospermae, sowie die vollkommene Homologie der einzelnen Organe lässt heute kaum einen Zweifel darüber auf- kommen, dass alle diese Gruppen in einem genetischen Zusammenhange stehen, der in der Zusammenfassung derselben als Cormophyten seinen systema- tischen Ausdruck findet. Anders verhält es sich bezüglich des Einblickes in die Phylogenie der sogenannten Thallophyten. Es fehlt zwar nicht an Ver- suchen, die sich darbietenden Schwierigkeiten durch geistvolle Reflexionen zu überwinden'!), es kann aber trotzdem bei unbeeinflusster Betrachtung der That- sachen nicht geleugnet werden, dass es derzeit nicht möglich ist, die Gesamt- heit der Thallophyten als Glieder einer Entwicklungsreihe in genetischen Zusammenhang zu bringen. Viel natürlicher als dieser Versuch, die gesamten Thallophyten in eine Formenreihe zu bringen und der induktiven Forschung entsprechender ist daher der Versuch, zunächst größere Gruppen von zweifel- loser genetischer Zusammengehörigkeit innerhalb der Thallophyten zu unter- scheiden und erst nach Feststellung dieser Gruppen die Frage aufzuwerfen, ob dieselben genetisch zusammengehören oder nicht. Die ersten derartigen Versuche gehen auf das Jahr 1872 zurück. Bis dahin galt die alte Einteilung in Pilze, Algen und Flechten, wenn auch in den letzten Jahren die selbständige Stellung der Flechten durch die Forschungen von De Bary, Schwendener u. a. in Frage gestellt worden war. F. Cohn gebührt das große Verdienst zuerst ?) darauf hingewiesen zu haben, dass die Unterscheidung der Pilze und Algen eine rein künstliche, auf ein biologisches Moment hin begründete sei, ‘ und eine Neueinteilung der T'hallophyten nach der Gesamtheit der morpho- logischen Merkmale gefordert zu haben. Cohn entsprach dieser Forderung durch Aufstellung der Klassen der Schizosporeen, Zygosporeen, Basidiosporeen, Ascosporeen, 'letrasporeen, Zoosporeen, Oosporeen. Zwei Jahre später ver- öffentlichte Sachs?) ein nach denselben Grundsätzen aufgebautes System der Thallophyten, das die vier Klassen der Protophyten, Zygosporeen, Oosporeen, Carposporeen umfasste. Dieselben Grundideen lagen den, einen weiteren Aus- bau der beiden genannten Systeme darstellenden Thallophyten - Systemen von Fischer‘) und Winter’) zu Grunde. In allen diesen Systemen lag etwas sehr Bestechendes, sie setzten an Stelle der als zweifellos unnatürlich er- kannten beiden großen Reihen der Algen und Pilze eine neue Einteilung und sie brachten einige Formen der „Algen“, welche zu gewissen „Pilzen“ zweifel- los in genetischen Beziehungen stehen (z. B. Siphoneen — Saprolegniaceen, Schizomyceten—Cyanophyceen) denselben als parallele Entwicklungsstadien nahe. Andrerseits kann es keinem Zweifel unterliegen, dass alle diese Systeme zu weit gingen, sie brachten Trennungen und Vereinigungen von Algen- und Pilzgruppen hervor, die jedem Unbefangenen als ganz unnatürlich erscheinen mussten, und so blieb denn der Rückschlag nicht aus, der sich darin äußerte, dass die meisten neueren Systeme die alten Gruppen der Pilze und Algen wieder aufnehmen®). Und doch ist dies nur ein scheinbarer Rückschlag, in 1) Vergl. z. B. Haeckel, Systematische Phylogenie der Protisten und Pflanzen, I. Teil, Berlin 1894, 2) Hedwigia 1872, p. 18. 3) Lehrbuch der Botanik, 4. Aufl., S. 248, 1874. 4) In Sachs Lehrbuch a. a. 0, 9) Hedwigia 1879, p. 1. 6) Z. B. De Bary (1881), Falkenberg (1882), Eichler (1883), War- ming (1884), Engler (1892). Ä 108 Wettstein, Systematik der Tallophyten. Wirklichkeit kennzeichnen diese neueren Systeme einen weiteren Fortschritt, . da sie dem von Cohn, Sachs etc. betonten Gesichtspunkte Rechnung tragen, indem sie entweder die beiden großen Reihen der Algen und Pilze einander nicht mehr als einheitliches Ganze gegenüber stellen, sondern in wesentlich verschiedene Gruppen zerteilen (Eichler, Warming, De Bary, Falken- berg) oder indem sie gewisse in sich geschlossene Formenreihen von der Hauptmasse der Algen und Pilze ganz ablösen. Am weitesten geht in dieser Hinsicht Engler, der!) einerseits die Myxomyceten als Myxothallophyten von den übrigen Thallophyten ganz ablöst, und andrerseits die Schizophyta, Dino- flagellata, Bacillariales den Gamophyceen (Gesamtheit der „Algen“ exkl. Cyano- phyceen, Diatomeen und Dinoflagellaten) und Fungi (Gesamtheit der „Pilze“ exkl. Schizomyceten und Myxomyceten) als gleichwertige Gruppen gegenüber- stellt. Es erscheint mir sicher, dass er dadurch den natürlichen Verhältnissen in viel höherem Maße Rechnung trug, als alle seine Vorgänger. Es ist nun gewiss sehr interessant, dass jetzt nach Ablauf von über 20 Jahren Sachs auf das von ihm 1874 aufgestellte System wieder zurück- kommt und dasselbe in einer, wie mir scheint, sehr bemerkenswerten Art modifiziert. Er thut dies in der im Titel dieser Zeilen genannten Abhandlung. Ich betone zunächst, dass es sich für Sachs nicht um eine ganze Verarbeitung der seither gewonnenen morphologischen Erkenntnisse im systematischen Sinne handelte, ich betone dies, weil sonst bei Beurteilung seiner Anschauungen ein ganz anderer Maßstab angelegt werden müsste, sondern dass, wie schon der Titel besagt, aphoristische Bemerkungen über Phylogenie und insbesondere über deren Beziehung zu inneren Gestaltungsursachen vorliegen. Als in syste- matischer Hinsicht bedeutsamste Forderung erscheint mir die nach Unter- scheidung von „Architypen“ im Pflanzenreiche. Als Architypus bezeichnet Sachs eine Gruppe von Organismen, deren Glieder unter sich zweifellos ver- wandtschaftliche Beziehungen haben, von deren Gliedern aber keines nach- weisbar mit irgend einem Gliede eines zweiten Architypus verwandt ist?). Mir erscheint diese Forderung als eine vollberechtigte, nur die objektive Unter- scheidung solcher Architypen stellt die phylogenetische Systematik auf eine objektive, induktiv gewonnene Basis, nur sie ermöglicht dadurch, dass sie nur wirklich Zusammengehörendes zusammenfasst, einen Einblick in die Gestal- tungsursachen, deren Folge die Phylogenie ist. Diesem letzteren Zwecke dient in erster Linie die Unterscheidung von Architypen, welche Sachs vornimmt und ihm ist auch die vorliegende Abhandlung insbesondere gewidmet. Ich will hier auf diesen Teil der Abhandlung nicht näher eingehen°), sondern vielmehr anführen, welchen direkten Gewinn die Systematik der Thallophyten — und um diese handelt es sich nach meinen einleitenden Worten zunächst — aus der von Sachs vorgenommenen Unterscheidung von Architypen ziehen kann. Sachs unterscheidet als Gruppen, die er „mit genügender Sicherheit als Architypen betrachtet“, folgende: 1) Syllabus, große Ausg., 1892. 2) In diesem Sinne entsprechen die Architypen Sachs’ etwa den großen Klassen des Tierreiches, wie sie die moderne Zoologie unterscheidet. Ich glaube, dass sich im Deutschen statt des Wortes „Architypus“ gut die Be- zeichnung Stamm anwenden ließe. 3) Möchte aber Allen, die sich für entwicklungsmechanische Fragen interes- sieren, die Lektüre der Abhandlung wärmstens empfehlen. Wettstein, Systematik der Tallophyten. 409 „4. Cyanophyceen (mit den Schizomyceten als Schizophyten). 2. Phaeophyceen. 3. Rhodophyceen. 4. Konjugaten (inkl. Bacillariaceen). 5. Siphoneen. 6. Archegoniaten, an die sich die Mono- und Dikotylen als große Ab- zweigungen anschließen“. Außerdem vermutet Sachs (S. 199), dass unter den „Chlorophyceen“ noch mehrere Architypen stecken. Ueber diese 6 Architypen seien mir folgende Bemerkungen gestattet: Die Aufstellung der Cyanophyceen im weiteren Sinne als eigener Architypus ist zweifellos berechtigt. Wir haben da Organismen vor uns, die in keiner Weise mit Angehörigen anderer Architypen zusammengehören, Diese selbständige Stellung fand auch vielfach in den bisherigen Systemen (Cohn, Sachs 1874, Engleri, wenn auch nicht so prägnanten, Ausdruck. Der Archi- typus der Spaltpflanzen, Schizophyten!) zeigt eine Gliederung in zwei Reihen, in eine selbständig assimilierende, die der Schizophyceae, und in eine apo- chlorotische, die der Schizomyceten. Auch in der Unterscheidung der Phaeophyceen und Rhodophyceen als eigene Architypen möchte ich Sachs unbedingt beipflichten. Es ist in der That heute nicht möglich, irgend welche genetische Beziehungen zu anderen „Algen“ nachzuweisen ?). Einen wesentlichen systematischen Fortschritt sehe ich in der Aufstellung des Architypus der Konjugaten. Es ist gewiss, dass die Konjugataceen von den übrigen „Chlorophyceen“ ganz wesentlich verschieden sind, dass ver- bindende Formen zwischen ihnen und diesen ganz fehlen. Immermehr stellen sich dagegen Beziehungen der Konjugataceen zu den Diatomeen heraus. Die Verbindung beider Gruppen zu einem Architypen und Loslösung von allen anderen „Algen“ ist gewiss berechtigt, nur möchte ich glauben, dass auch die Peridineen diesem Architypus einzuverleiben sind°). Nicht beipflichten kann ich Sachs in der Aufstellung des Architypus der Siphoneen. Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, dass der ganze Aufbau einer Vaucheria etwas ganz fundamental Verschiedenes von dem Aufbaue einer Ulothrix, eines Oedogonium ist. Anders erscheint aber die Sache, wenn man Vaucheria im Zusammenhange mit den anderen Chlorophyceen betrachtet. Der Mangel des inneren Zellwandgerüstes schwindet als Merkmal der Siphoneen, wenn man die den Vaucheriaceen zweifellos sehr nahe stehenden Dasyclada- ceen und Valoniaceen in Betracht zieht und die Vielkernigkeit des Zellinnern 4) Ich möchte diese, auch schon von Sachs in Parenthese vorgeschlagene Bezeichnung dem Namen Cyanophyceen entschieden vorziehen, da letzterer doch nur für die assimilierende Reihe gebraucht werden kann; vergl. auch Engler Syll. S.XX. 2) Die Beziehungen einzelner „Rotalgen“ zu Schizophyceen oder Chloro- phyceen dürften eher für eine Abtrennung derselben von den Rhodophyceen und eine Zuziehung zu den Schizophyceen resp. Chlorophyceen sprechen, als für engere verwandtschaftliche Beziehungen der Rhodophyceen überhaupt zu den Schizophyceen und Chlorophyceen. 3) Auch in diesem Falle kann der Name Conjugatae als Bezeichnung für den Architypus kaum verwendet werden, da er im engeren Sinne schon ver- geben ist, ich möchte den Architypus Zygophyta nennen. 110 Wettstein, Systematik der Tallophyten. verbindet die Siphoneen inniger, als es im ersten Momente erscheint, mit den Hydrodietyaceen und Cladophoraceen. Zur Ausscheidung der Siphoneen als eines eigenen Architypus dürfte Sachs durch den derzeitigen, noch unfertigen Zustand der Algensystematik veranlasst worden sein, die den Siphoneen eine sehr isolierte Stellung anweist. Diese isolierte Stellung ist aber die Folge des Umstandes, dass die Systematik der Chlorophyceen bisher eine Reihe recht natürlicher Gruppen (z. B. Volvocineen, Tetrasporaceen, Hydrodietyaceen etc.) unterschied, aber die Beziehungen dieser Gruppen zu einander nicht klarstellte. Ich glaube, dass sich solche Beziehungen finden lassen, die die Gesamtmenge der Chlorophyceen (mit Ausschluss der Konjugaten) als phylogenetisch zu- sammengehörig erweisen und auch den Siphoneen innerhalb dieser großen Pflanzengruppe eine natürliche Stellung auweisen. Ich begnüge mich hier mit diesen Andeutungen mit dem Vorbehalte, auf diese Frage noch ausführlich zurückzukommen!). | In der Auffassung des 6. Architypus schließe ich mich unbedingt Sachs an. Die scharfe Abgrenzung der Archegoniaten gegenüber den „Thallophyten“ halte ich gegenwärtig noch für eine Forderung objektiver Forschung. Ob ein phylogenetischer Anschluss der Archegoniaten an die heutigen Thallophyten und wo er zu konstatieren ist, das halte ich zur Zeit noch für eine nicht definitiv beantwortete Frage. Klare Beziehungen zwischen der vielgenannten Colaeochaete und den Archegoniaten sind doch nicht vorhanden. Nur möchte ich in der Auffassung dieses 6. Architypus um einen Schritt weiter als Sachs gehen, ich füge die Angiospermen ohne weiters demselben ein, was aber das Fallenlassen des Namens „Archegoniaten“ zur Folge hat, der wohl dann: durch den viel älteren und vollkommen zutreffenden Namen „Cormophyta“ er- setzt werden kann. Versuche ich es nun, meine Stellung zu den von Sachs aufgestellten 6 Architypen zu präcisieren, so möchte ich sagen: ich halte die Forde- rung nach Unterscheidung von Architypen für eine vollberech- 4) Nur um mich unterdessen nicht dem Vorwurfe grundloser Behauptungen auszusetzen, gebe ich im Folgenden ein allgemeines Schema für den phylo- genetischen Zusammenhang der Chlorophyceen, wie ich ihn annehme: Characeae Oladophoraceae Siphoneae Hyorodictyaceae a Protococcaceae Volvocaceae Tetrasporaceae Ba Pleurococcaceae Oonfervoideae Calaeochaete Er I TREE. Wettstein, Systematik der Tallophyten. 1441 tigte und tür größter Beachtung seitens der Systematiker wert, ich pflichte der Aufstellung von 5 der von Sachs unterschie- denen Architypen mit geringen Modifikationen (Erweiterung des Umfanges der 4. und 6., Nomenelatur) vollkommen bei, nur bezüglich der Aufstellung des Architypus der Siphoneen muss ich einen abweichenden Standpunkt einnehmen. Mit der Ausscheidung der 5, respektive 6 Architypen ist aber — und dies betont Sachs selbst — noch nicht die Gesamtzahl der im heutigen Pflanzen- reiche vertretenen Typen geklärt. Wir vermissen in den aufgezählten Archi- typen die Myxomyceten, wir vermissen die Hauptmasse der Thallophyten, näm- lich die nach Ausschluss der Konjugaten und Siphoneen verbleibenden Chloro- phyceen, die nach Ausschluss der Schizomyceten verbleibenden Pilze. Bezüglich der Myxomyceten ist Sachs, vergl. S. 205, geneigt, sie nicht für Urformen, sondern für rückgebildete zu halten, er scheint der Ansicht zu- zuneigen, dass sie einem Architypus angehören, in dem sie die apochlorotische Parallelreihe zu gewissen „Algen“ darstellen. Ich möchte dies nicht glauben; wir finden unter der Gesamtheit der „Algen“ nicht eine einzige Form, die auch nur die geringsten Beziehungen zu den Myxomyceten aufweisen würde. Dagegen finden wir auffallende Beziehungen derselben zu Tieren (Nudoflagel- laten und Rhizopoden). Ich sehe daher die Myxomyceten innerhalb des Pflanzenreiches als einen ganz selbständigen Architypus an, damit allerdings im Wesentlichen durchaus nichts Neues behauptend, da den Myxomyceten schon früher, z. B. von Engler a a. 0, eine vollständig selbständige Stellung angewiesen wurde. Schwieriger ist die Aufklärung der Stellung der Chlorophyceen (mit der oben erwähnten Einschränkung) und der Pilze (exkl. Schizomyceten). Sachs ist geneigt, die Pilze durchwegs als apochlorotische Parallelbildungen von „Algen“ anzusehen, aber durchaus nicht als einheitliche Gruppe, sondern seiner Ansicht nach „sind die verschiedenen Pilzreihen nur ebenso viele apochloro- tische Abzweigungen verschiedener algologischer Architypen“. Er nimmt also an, dass in den „Chlorophyceen“ mehrere Architypen stecken, dass die Pilze mehreren Architypen angehören. Er macht auch bezüglich Einzelnheiten Andeutungen; er stellt sich vor, dass geradeso, wie die Schizo- myceten von den Schizophyceen (Cyanophyceen) abzuleiten sind, sich die Phycomyceten zu den Siphoneen verhalten, die Ascomyceten zu den Rhodo- phyceen. Ich bin in diesem Punkte ganz anderer Anschauung, aus der Begründung meiner Ansicht werden sich die Einwände, die ich gegen Sachs erheben möchte, von selbst ergeben. Wie ich schon oben andeutete, giaube ich mit viel Sicherheit behaupten zu können, dass die Chlorophyceen in dem oberwähnten eingeschränkten Um- fange einem Architypus angehören, als dessen, allerdings weitzurückreichende, Ausstrahlungen die heute existierenden Familien erscheinen. Anderseits haben die großartigen Untersuchungen Brefeld’s und seiner Schule in bis vor Kurzem noch ungeahnter Weise die Beziehungen der großen Gruppen der Pilze zu einander klar gelegt, so dass die Trennung der Pilze in verschiedene Archi- typen sich wohl nur schwer rechtfertigen lässt. Eine weitere Frage ist die, ob die Chlorophyceen einem anderen Archi- typus als die Pilze angehören, oder ob dieselben als apochlorotische Parallel- reihe der Algen innerhalb desselben Architypus anzusehen sind. Ich glaube 112 Wettstein, Systematik der Tallophyten. das Letztere und zwar deshalb, weil unzweideutige Beziehungen zwischen ein- zelnen Pilzen und einzelnen Algen existieren, es sind dies dieselben Bezieh- ungen, deren Erkenntnis schon 1874 Sachs zur Aufstellung seines Systemes bestimmte, die ihm jetzt zum Teil (in Folge der Abtrennung der Siphoneen von den anderen Chlorophyceen) zur Annahme des polyphyletischen Ursprunges der Pilze bringen. Es sind dies die Beziehungen der Oomyceten zu den Sipho- neen, der Chytridineen zu den Protokokkaceen. Während einerseits diese Be- ziehungen für die Zugehörigkeit der Chlorophyceen und Pilze zu demselben Architypus sprechen, beweist der Mangel anderer derartiger Beziehungen?) auch wieder indirekt, dass nur 1 Architypus da zu unterscheiden ist. Ich möchte also die Chlorophyceeen und Pilze nach Ausschluss der mehrfach erwähnten Familien einem Architypus zurechnen, die Pilze stellen dabei die nur in den Anfängen mit der Algenreihe im Zusammen- hange stehende apochlorotische Entwicklungsreihe dar. Demselben Architypus sind naturgemäß die Flechten zuzuzählen. Ich würde für diesen Architypus, der gewissermaßen den Kern der alten Thallophyten darstellt, den Namen Euthallophyta vorschlagen. Versuche ich es schließlich — der von Sachs ausgegangenen Anregung Folge leistend — die Architypen, die sich meiner Ansicht nach im Pflanzen- reiche unterscheiden lassen, zu präcisieren, so komme ich zu folgendem Schema, zu dem ich nur zu bemerken habe, dass ich mir eine ausführliche Begründung desselben vorbehalte: Chlorophylllose resp. hlorphyllhaltige Ä nit mehren Architypen: ge I. Myxophyta ') °) — Myxomycetes Schizophyceae — II. Schizophyta — Schizomycetes Bacillariaceae — III. Zygophyta —_. 72) Peridineae Conjugatae Rhodophyceae — IV. Rhodophyta 3 24 Phaeophyceae u V. Phaeophyta _ Chlorophyceae u VI. Euthallophyta — Eumycetes VII. Cormophyta 1) Eine recht anschauliche und klare Uebersicht dieser Forschungsergeb- nisse findet sich in Tavel, Vergleichende Morphologie der Pilze, 1892. 2) Die mehrfach angenommenen Beziehungon zwischen Ascomyceten und Rhodophyceen kann ich nicht finden, den Analogien zwischen diesen beiden Gruppen stehen die zweifellos innigeren Beziehungen der Ascomyceten zu den Zygomyceten und Basidiomyceten entgegen. 3) Es ist im Hinblick auf die Berechtigung der Aufstellung von Archi- typen gewiss von hohem Interesse, dass nach dem vorliegenden Schema drei Mal, vielleicht vier Mal, Beziehungen zum Tierreiche bei verschiedenen Archi- typen, nämlich bei I, III, VI, ev. auch Il. vorhanden sind. - 4) Andeutung einer apochlorotischen Formenreihe bei den Peridineen (Gymnodinium, Polykrikos, Glenodinium - Spec.). Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Euueloe® in Erlangen. 24 Nummern ı von je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle ‚Buchhandlungen und Postanstalten. XvIn. Band. 15. Februar 1898. Nr. a Inhalt: Ehumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-V erschmelzungen bei den Khizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung (4. Stück und Schluss). — v. Wagner, M. v. Bocks Behauptungen über die Beziehungen von Teilung und Knospung im Tierreich. — Ortmann, Ueber Keimvariation. — Auerbach, Untersuchungen über die Spermatogenese von Paludina vivipara. — Auerbach, Zur Entstehungs- geschichte der zweierlei Samenfäden von Paludina vivipar a. Zellleib-, Schalen- und Kern- Verschmelzungen bei den Rhizopoden und deren wahrscheinliche Beziehungen zu phylogenetischen Vorstufen der Metazoenbefruchtung. Von Ludwig Rhumbler in Göttingen. (Viertes Stück und Schluss.) 5. Theoretische Verwertung der zusammengestellten Thatsachen. Für alle Konjugationserscheinungen ist natürlich Grundbedingung, dass die Zellen, welche miteinander konjugieren sollen, zusammen- treffen, d. h. dass sie sich gegenseitig finden. Das Zusammentreffen der konjugierenden Zellen ist bei den Rhizopoden offenbar schon auf dieselbe Weise gesichert, wie bei dem Befruchtungsakte der Metazoen; chemotropisch wirksame Substanzen führen augenscheinlich in der bei den Rhizopoden niedersten Konjugationsstufe des „Cytrotopismus“ die konjugierenden Zellen ebenso zusammen, wie sie auch die Vereinigung von Ei und Sperma leiten. Man hat sich zwar an die Vorstellung seh ähm, dass bei der Metazoenbefruchtung dem Sperma der Weg durch ein bloß einseitig vom Ei abgeschiedenes Chemotaktikum gewiesen würde, weil durch Pfeffer’s bekannte Untersuchungen die führende Wirkung chemotro- pischer Substanzen auf das Sperma direkt nachgewiesen worden ist; während noch keine Versuche bekannt sind, welche umgekehrt auch die Anwesenheit einer auf das Ei wirkenden chemotropischen Sub- stanz innerhalb des Spermas aufgefunden hätten. Ich halte es aber XVII. 8 414 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. für äußerst wahrscheinlich — für diejenigen Fälle, wo ein Empfäng- nishügel dem herantretenden Sperma entgegengestreckt wird, sogar für so gut wie sicher — dass auch das Sperma eine für das Ei chemo- tropisch wirksame Substanz während seines Suchens nach dem Ei ab- giebt, denn durch eine derartige gegenseitige Aufeinanderrückung würde die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens von Ei und Sperma außerordentlich gesteigert. Das Sperma wird unter keinen Umständen wegen seiner Kleinheit und wegen der geringen Quantität chemotro- pisch wirksamer Substanz, die es voraussichtlich bloß enthalten kann, das ihm gegenüber gewaltige Ei zu sich heranziehen können, aber wenn es nahe genug an das Ei herangerückt ist, macht sich das in ihm enthaltene Chemotaktikum doch dadurch geltend, dass es die Oberflächenspannung an der Berührungsstelle herabmindert und dass sich deshalb alsdann die Eioberfläche hier pseudopodienartig als Em- pfängnishügel vorwölbt. Woher sollte das Ei bei der Bildung des Em- pfängnishügels merken, dass das Sperma herankommt, wenn das Sperma nicht durch Abgabe gewisser Substanzen selbst seine Ankunft meldete. Aber selbst wenn der Besitz der chemotropisch wirksamen Substanz bloß einseitig beim Ei läge, würde hierdurch die Homologie zwischen dem Herantreten des Spermas an das Ei und zwischen dem Cytotropismus der khizopoden nicht zerstört. Denn beide Erscheinungen könnten auch durch eine chemotaktische Wirkung von bloß einer Zelle aus mechanisch- physiologisch erklärt werden, wie aus den früheren Erörterungen (p. 24) entnommen werden kann. Ich halte den bei Rhizopoden beobachteten Cytotropismus für die erste Vorstufe, für die erste Vorbedingung zur Ausbildung jedes weiteren Befruchtungsaktes. Sobald die eytotropisch zusammengeführten nackten Zellen zur Aneinanderlagerung gebracht worden waren, war auch die Möglich- keit zu einer Verschmelzung der Zellen, mit anderen Worten zur Plastogamie gegeben. Die zähflüssigen Leiber der nackten Zellen mussten unter solchen Umständen nämlich dann verschmelzen, wenn ihre Oberflächenspannung nicht groß genug war, um einer vielleicht mehr oder weniger energischen Berührung gegenüber die Verschmel- zung zu verhindern. Was kann aber die Oberflächenspannung zweier aneinandergelagerten Amöben zu gewissen Zeiten so herabgemindert haben, dass sie an den Berührungsstellen zusammenflossen, während sie doch zu anderen Zeiten, wenn man sie künstlich aneinander- bringt, und während sie auch mit andersartigen Amöben nicht ver- schmelzen? Ich glaube, dass die Wirkung derselben von den Zellen abgege- benen chemotropisch wirksamen Substanzen, welche dieZellen im Cyto- tropismus zusammenführen (cf. oben pag. 23), auch die Verschmel- zung besorgen konnte. Es werden durch die Einwirkung dieser Sub- 2 2 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 145 stanzen an den Berührungsflächen chemisch identische Verbindungen sehr leicht entstehen können; die Oberflächenspannung der aneinander- gelagerten Flächen konnte somit = 0 werden und die Verschmelzung war dadurch gegeben. Huppert!) hat in neuerer Zeit gezeigt, dass die Zellen verschie- dener Lebewesen jedenfalls verschiedene chemische Eigenart be- sitzen, und Jensen?) ist es sogar gelungen zu zeigen, dass die che- mische Konstitution ein und derselben Zelle bei sonst gleichem Aus- sehen zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene sein muss. Es lässt sich hieraus begreifen, warum bei Berührungen nackte Amöbenkörper nicht zu allen Zeiten und nicht unter jeden Umständen, fremdartige Amöbenkörper aber überhaupt nicht miteinander verschmelzen. Wenn zwei Individuen der Amoeba verrucosa trotz des bei ihnen beobachteten Cytotropismus bei gegenseitiger Berührung nicht mitein- ander verschmelzen, so wird das der eigentümlichen hautartigen Be- schaffenheit ihres Ektoplasmas zuzuschreiben sein. Da zur Verschmelzung zweier aneinander liegenden Amöbenkörper bloß eine ausreichend geringe Oberflächenspannung notwendig ist, und da, wie aus den angeführten Untersuchungen Jensen’s geschlossen wer- den darf, die Oberflächenspannung eines nackten Rhizopodenkörpers zu verschiedenen Zeiten eine verschiedene sein muss, so ist es erklär- lich, dass plastogamische Verschmelzungen, von eytotropischer Annähe- rung abgesehen, auch dann eintreten können, wenn andere Umstände die Spannung in der Oberflächenschicht der Amöben genügend herab- setzen (cf. pag. 38). Hierdurch haftet der Plastogamie noch der Charakter einer ge- wissen Zufälligkeit an, sie kann zu sehr verschiedenen Zeiten ein- treten. So wenig zeitlich fixiert demnach die Plastogamie bei den Rhizopoden erscheint, so ist doch kein Zweifel, dass sie die Ent- wicklungsbasis für die weiteren Befruchtungsvorgänge abgegeben hat. Ohne voraufgegangene Verschmelzung der Zellleiber (Plastogamie) war natürlich eine Verschmelzung von Kernen (Karyogamie) nicht mög- lich; wie hätten die Kerne verschiedener Individuen zur Vereinigung kommen sollen, wenn nicht ihre Zellleiber bereits eine Verbindung eingegangen gewesen wären. Die Plastogamie ist die zweite Vorstufe für die weitere Ausbildung des Befruchtungsaktes. Die Verschmelzung der Zellleiber während der Plastogamie musste aus rein physikalischen Gründen (osmotische Gesetze) einen gesteiger- ten Austausch von Substanzen zwischen den zusammengetretenen Zellen bewirken, da die Körpermassen derselben nicht mehr durch verdichtete Oberflächenschichten getrennt waren. 4) Huppert, „Ueber die Erhaltung der Arteigenschaften“. Prag 1896. 2) Arch. d. ges. Phys., Bd. 62, 1895, S. 172—200. g* 416 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. Unter manchen vielleicht sehr gleichgiltigen Substanzen, welche hier von der einen Zelle in die andere wahrscheinlich übertraten, mögen nun einige gewesen sein, welche nicht nur in die lebende Ma- terie der Tiere aufgenommen wurden, sondern die in den aus der Kon- jugation hervorgegangenen Tieren, einerlei ob die Tiere auch nach der Konjugation zu einem Tiere verschmolzen weiterlebten, oder ob sie nach der Konjugation wieder auseinandertraten, eine hervorragende Rolle zu spielen im Stande waren. Zwar lässt sich über die speziellere Bedeutung und Art dieser Stoffe vorläufig eine befriedigende Theorie nicht aufstellen, immerhin aber wird die Annahme erlaubt sein, dass von allen wechselseitig aus- getauschten Stoffen die am wertvollsten waren, die nach dem Aus- tausch in die Kerne der Tiere aufgenommen werden konnten. Die hervorragende Rolle, welche den Kernen bei den höheren Befruch- tungsvorgängen zukommt, und die Ueberzeugung, dass die Plastogamie und die höheren Befruchtungsvorgänge dem Prinzip nach ähnlichen Zwecken, wenn auch in sehr verschiedenem Grade dienen, machen diese Annahme sehr wahrscheinlich. Es ist ja a priori unbestreitbar, dass der Kern während des Le- bens der Zellen Substanzen aus dem Zellleibe aufnehmen muss, wie sollte er sonst wachsen. Sind aber während der Plastogamie Sub- stanzen aus einem anderen Tiere in den Zellleib übergetreten, so können sie geeigneten Falls auch von hier aus in dem Zellkern auf- genommen werden. DieStoffaufnahme desKerns aus demZellleib heraus scheint zur Zeit der Kernteilung ganz außerordentlich gesteigert zu sein. Es ist nämlich eine ganz bekannte Erscheinung, dass bei Eintritt der Kernteilung der Kern sich mehr oder weniger mächtig aufbläht, und es ist schon von verschiedenen Seiten (Flemming, Sche wia- koff, Rhumbler) die wohlbegründete Vermutung ausgesprochen worden, dass die Aufblähung des Kernes auf den ersten Stadien seiner Teilung dem Eindringen von Zellleibflüssigkeit in den Kern zuzuschrei- ben ist. Bei Pigmentzellen kann man sogar die direkte Wahrneh- mung machen, dass vor der Kernteilung im Zellleib gelegene Pigment- körnchen während der ersten Stadien der Kernteilung in das Kern- lumen hineingeschwemmt werden, sobald sich die Kernmembran auf- gelöst hat; hierdurch ist die Flüssigkeitsaufnahme des Kerns ad ocu- los demonstriert, und wenn ich auch in einer früheren Arbeit!) diese Flüssigkeitsaufnahme als einen zur karyokinetischen Teilung mecha- nisch notwendigen und durch die vorausgehenden Zellveränderungen (Ausbildung der Astrosphäre) selbst mechanisch begründeten und me- ' 4) Arch. f. Entwieklungsmech., Bd. III, 1896, 8.527—623 und Bd. IV, 1897, S. 659-730. Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 117 chanisch verständlichen Vorgang dargestellt habe, so wird man doch annehmen dürfen, dass in der mechanischen Bestimmung die Bedeu- tung dieser Flüssigkeitsaufnahme von Seiten des Kerns noch nicht er- schöpft ist. Im Uebrigen ist die Flüssigkeitsaufnahme von Seiten des Kerns zu Beginn seiner Teilung keineswegs auf die Karyokinese be- schränkt, auch bei der Teilung der Foraminiferen, die offenbar bei den verschiedenen Gruppen in verschiedener Weise vor sich gehen kann, tritt eine manchmal außerordentlich erhebliche Flüssigkeitsauf- nahme ein, so habe ich z. B. bei Saccammina eine recht bedeu- tende Flüssigkeitsaufnahme des Kerns zu einer Periode konstatieren können, die offenbar ganz kurze Zeit vor der Fortpflanzung und der damit wahrscheinlich verbundenen simultanen multiplen Kernvermeh- rung lag. Diejenigen Foraminiferenkerne, welche sich nach den Schaudinn'’schen multiplen Teilungstypen vermehren, nehmen sogar nach den Beobachtungen Sehaudinn’s die Flüssigkeit aus dem um- sebenden Zellleibplasma in Gestalt deutlich sichtbarer Vakuolen auf, be- vor sie in mehrere Kerne zerfallen. Ich halte den Uebertritt vonFlüssigkeit aus demZell- leib in den Kern hinein vor der Kernteilung für eine all- gemein verbreitete prinzipiell wiehtige!) Erscheinnng, von der vielleicht bloß einige weniger bedeutungsvolle direkte Kern- teilungen eine Ausnahme machen. Da nun der Kern zur Zeit seiner Teilung nach der vorge- tragenen Ansicht im ausgiebigsten Maße Substanzen aus dem Zell- leibe in sich aufnimmt, so mussten plastogamische Zellleibkonjuga- tionen dann am wirksamsten sein, wenn sie in möglichster Nähe einer Kernteilungsperiode eintraten, denn dann konn- ten die gegenseitig ausgewechselten Zellleibsubstanzen am schnellsten und sichersten (während der Aufblähung des Kerns) in die Kerne 4) Ich möchte daran denken, dass der in Teilung begriffene Kern durch die Flüssigkeitsaufnahme sein für die nächste Zellgeneration wichtiges Gepräge erhält, so dass erst während des Teilungsaktes bestimmmt wird, was aus den neu entstehenden Tochterzellen werden wird. Es ließe sich auf diese Weise leicht eine Vorstellung gewinnen, wie aus einer Zellgeneration eine andere von ihr verschiedenartige Zellgeneration hervorgeht; auch ließe sich, wie mir scheint, eine weit einfachere Vorstellung des gesamten Vererbungsapparates auf Grund der gemachten Anschauungen gewinnen, als sie z. B. Weismann’s Theorie enthält. Aus ein und derselben Art von Kernsubstanzen können auf längerem oder kürzerem Wege ganz verschiedene Substanzen zn verschiedenen Kern- teilungsperioden dadurch hervorgehen, dass zu den verschiedenen Zeiten die Zellleibflüssigkeit, die vor der Kernteilung in den Kern eintritt, eine ver- schiedene ist. Der Kern bestimmt mit den Einwirkungen der Umgebung den Zellleib, d. bh. dessen Verhalten, seine weitere Ausbildung und seine Arbeit. Der Zellleib wiederum bestimmt die Zeit und Besonderheit der Kerne der folgenden Generation. Weitere Begründung in späteren Arbeiten. 4418 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. aufgenommen werden. Wir sehen, dass es zweckmäßig sein musste, die Plastogamie in möglichste Nähe der Kernteilungs- periode zu verschieben. Wir gewinnen ein Verständnis dafür, dass die Zuchtwahl aus einfacher Plastogamie die Cytogamie der Foraminiferen hervorbilden konnte, denn die Cytogamie ist ja, bei Lichte besehen, nur eine ausschließlich in die Vorperiode der nach- folgenden Kernteilungen verschobene Plastogamie. Auch verschiedene Abstufungen der Cytogamie werden sich vor- aussichtlich bei den Foraminiferen noch auffinden lassen, sie sind z. T. schon gefunden; so findet nach den Untersuchungen Schau- dinn’s die Cytogamie bei Discorbina offenbar früher statt als bei Pa- tellina, denn die Koppelpaare der Discorbina kriechen noch lange umher, bevor sie sich fortpflanzen und bevor die hierzu notwenige Kernvermehrung eintritt, Patellina schreitet nach der Cytogamie direkt zur Fortpflanzung. Ich glaube, dass Patellina hierin den höheren Standpunkt einnimmt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens hat die Verschmelzung der Einzeltiere eine Vermin- derung der Speziesvertretungen in dem Kampf ums Dasein zur Folge; zwei oder mehr zusammengetretene Individuen werden in diesem Kampfe in den meisten Fällen wie eines behandelt werden, von Feinden z.B. wird ein solches Aggregat meist mit einemmale vernichtet werden. Für die Spezies muss es also von aprioristischem Standpunkte aus be- trachtet von Nutzen sein, wenn die Individuen von einander getrennt bleiben, sie strebt ja allenthalben nach einer möglichsten Vermehrung und Ausbreitung ihrer Individuen, und die Verschmelzungen sind die- sem Streben entgegen. Wo Verschmelzungen von Individuen ein- traten und sich im Kampf ums Dasein als zeitweise wiederkehrende Erscheinung, wie bei den besprochenen Konjugationsvorgängen, erhal- ten haben, da muss die Verschmelzung einen ganz besonderen Nutzen mit sich gebracht haben, der größer war als der Nachteil, den die Verschmelzung für die Spezies in sich barg. Es war aber auch dann nützlich die Verschmelzung auf eine möglichst kurze Periode zu be- schränken. Je rascher und vollkommener der Austausch der nutz- bringenden Substanzen sich vollziehen konnte und je schneller die Herabminderung der Speziesvertretungen durch Wiederauseinander- treten der verschmolzenen Individuen oder gar wie bei den Foramini- feren durch Ausbildung einer weit größeren Zahl neuer Individuen beseitigt werden konnte, desto nützlicher musste es für die Spezies sein. In dieser Richtung ist aber Patellina augenscheinlich weiter ge- kommen als Discorbina. Zweitens: Wenn die Bedeutung der Verschmelzungserschei- nungen in dem Austausch von irgendwie!) verschiedenartigen Sub- 1) Ich lasse es ganz dahingestellt, worauf die Verschiedenheiten beruhen, ob in der stofflichen Zusammensetzung oder in Struktureigentümlichkeiten. Die Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden, 119 stanzen zwischen den verschmolzenen lieren zu suchen ist, wie ja allgemein angenommen wird, dann wird es vermutlich auch von be- sonderem Werte gewesen sein, wenn die Tiere vor ihrem Zusammen- treten Zeit hatten, die Tauschsubstanzen möglichst individuell charak- teristisch auszubilden. Eine frühzeitige Verschmelzung wird aber aus naheliegenden Gründen der Ausbildung von charakteristischen, individuell ausgebildeten Austauschsubstanzen in den beiden Tieren entgegengear- beitet haben, beide Tiere stehen ja während der Verschmelzungszeit unter denselben äußeren Verhältnissen, Nahrung, Licht, Wärme ete, Also auch aus diesen Gründen scheint mir die kürzere Beschränkung der Verschmelzungszeit bei Patellina eine höhere Stufe darzustellen, als die Ausdehnung derselben über eine gewisse Lebensperiode bei Discorbina. Nach den vorliegenden Betrachtungen würde sich also für Plasto- gamie und Uytogamie der gemeinsame Zweck ergeben, dass in den auf die Plastogamie und Cytogamie folgenden Zellkerngenerationen die zwischen den verschmolzenen Zellen ausgetauschten Substanzen und die schon vorher in den Kernen anwesenden Substanzen gemein- sam vorhanden sind. Es liegt auf der Hand, dass auch die für die Weiterbildung des Befruchtungsaktes wichtige Kernverschmelzung denselben Erfolg haben muss, und dass es auch hier am zweckmäßigsten war, wenn die hier als neue Erscheinung auftretende Verschmelzung der Kerne möglichst bald nach einer voraufgegangenen Teilung der beiden zur Verschmelzung gelangenden Kerne eintrat, weil die Kerne während ihrer Teilung die maßgebenden Austauschsubstanzen am aus- giebigsten in sich aufnehmen und weil diese Substanzen bei möglichst baldiger Kernverschmelzung am wenigsten einseitiger, d. h. bloß von dem eigenen Zellkern vermittelter Benutzung ausgesetzt sein werden. Jeder Kern hat sich bei seiner letzten der Karyogamie vorauf- gehenden Teilung mit den Austauschstoffen seines eignen Zellleibes beladen. Die bezweckte Vermengung der beiderseitigen Ladungen musste sich offenbar um so rascher bewerkstelligen lassen, je näher die Kerne nach erfolgter Zellleibvereinigung aneinanderrückten und je geringere Hindernisse die Kernmembranen 'dem gegenseitigen Aus- tausch der wichtigen Ladungen entgegensetzten. Rückten die Kerne, bevor ikre Kernmembran nach der letzten Teilung!) ihre frühere Annahme eines Austausches von absolut in jeder Beziehung gleichen Substanzen wäre natürlich ganz ohne Sinn und könnte für sich allein mechanisch niemals _ erklärt werden. 1) In den meisten Fällen wird bekanntlich die Kernmembran während der Kernteilung aufgelöst, um erst nach Ausbildung der Tochterkerne wieder zu erscheinen. Bei den Testaceen (Fuglypha, Oyphoderia) bleibt die Membran zwar erhalten, sie verliert aber ihre frühere Festigkeit und wird offenbar in einen 420 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. Festigkeit wieder erlangt hatten, bis zu ihrer Berührung aneinander oder löste sich die Kernmembran an der Berührungsstelle der Kerne auf, oder schwanden die Kernmembranen bevor die Kerne zusammen- kamen oder besaßen schließlich die Kerne schon zur Zeit der Zell- verschmelzung keine Membran mehr, so musste offenbar in diesen Vor- gängen die ideal beste, weil rascheste und gründlichste Vermengung der wichtigen Substanzen erreicht sein. Man kann ‘sich daher leicht vorstellen, wie die Zuchtwahl allmählich solchen Fällen den Vorzug gab, wo eben geteilte Kerne zusamentraten, die nach der kurz vor- aufgegangenen letzten Teilung ihre Kernmembranen noch nicht wieder in die nörmale Festigkeit zurückgeführt hatten; es lässt sich leicht begreifen, dass die Zuchtwahl in der aufgegriffenen Richtung zur Kern- verschmelzung führen musste, die durch den Mangel einer Kern- membran oder durch den zähflüssigen Zustand derselben ermög- licht war. Während die Cytogamie der Foraminiferen aus einer kurz vor der Kernteilung stattgefundenen Plastogamie ihren Ursprung ge- nommen hat, ist die Karyogamie durch die natürliche Zuchtwahl aus solchen Plastogamien entstanden, welche kurz nach stattgefun- dener Kernteilung eintraten. Die Kernversehmelzung, deren phylogenetische Entstehung sich also auf Grund der vorgetragenen Anschauungen sehr wohl verstehen lässt, und die sich als Grundprinzip in allen höheren Befruchtungs- vorgängen!) wieder findet, brachte aber ein neues Motiv in die Kon- jugationsvorgänge. In dem aus der Karyogamie hervorgehenden Kern und in dessen Descendenten waren nämlich außer den ursprünglichen, jedem Einzelkern angehörigen Kernstoffen nicht nur Zellleibstoffe aus beiden Konjuganten (wie bei der Cytogamie), sondern auch die Kern- stoffe des anderen Konjuganten vorhanden. Neue Vorteile scheinen aus der direkten Zusammenfügung der Kernsubstanzen selbst erwach- sen zu sein, denn auf sie hat sich die Zuchtwahl ganz besonders ge- worfen, sie ist ja in den Lebenskreislauf der weitaus meisten Orga- nismen (nicht aller: cf. Parthenogonese) als notwendiges Glied auf- genommen worden. Ursprünglich ist offenbar die Karyogamie noch immer mit einer sleichzelligen Plastogamie verbunden gewesen, wie bei Kuglypha und bei Actinophrys, wo zwei gleich große Konjuganten (d. h. Zellen) zusammentreten; da aber der Kern nach kurz voraufgegangener Tei- lung die wesentlichen Austauschstoffe besaß, um deretwillen nun die flüssigen, wenn auch sehr zähflüssigen Zustand übergeführt, der eine Ver- schmelzung der Kerne in diesem Zustand erleichtern muss. 1) Die parthenogenetischen Befruchtungsvorgänge sind offenbar als Rück- bildungen autzufassen, auf die ich vorläufig nicht weiter eingehe, Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 421 Karyogamie weiter gezüchtet wurde, so ist es leicht verständlich, dass die Zuehtwahl ihr Hauptziel auf die Vereinigung der Kerne und nicht auf diejenige gleich großer Zellleiber richtete. Es ist bekannt, dass sie bei der Befruchtung der Metazoen schließlich den Zellleib der männlichen Zelle auf ein Minimum reduziert hat, um ihm durch geringere Belastung das Aufsuchen der weiblichen Zelle zu erleichtern, welche wegen der notwendigen Nahrung und des notwendigen plasmatischen Baumaterials für ihre späteren Zelldescendenten, d.h. für den Embryo, einer massigen Ausbildung des Zellleibes nicht entbehren konnte; es ist auch bekannt, dass sich zwischen der karyogamischen Konjugation gleich großer Zellen nnd derjenigen von der so auffallend kleinen Sperma- und der relativ so großen Eizelle alle phylogenetischen Zwischenstufen bei den niederen Organismen (z. B. bei den Infusorien und den Algen) finden, so dass ich hierauf nicht näher einzugehen brauche. Während nach der einfachen Plastogamie die konjugierten Zellen ohne weiteres wieder auseinandertreten konnten, nachdem sie ihre Austauschstoffe ausgewechselt hatten, weil auch nach der Konjugation noch für jede Zelle ein Kern vorhanden war, so war dies nach der Karyogamie nicht möglich, weil üie beiden verschmolzenen Individuen zusammen bloß einen gemeinsamen Kern besaßen. Erst nachdem der Verschmelzungskern eine Teilung durchgemacht hatte, konnten aus dem Verschmelzungsprodukt wieder zwei Zellen entstehen, die nun entweder, bei den Protozoen, als die Stammeltern einer neuen Zell- generation auseinander gingen, oder als erste Furchungszellen, bei den Metazoen, in Zusammenhang blieben. Ueber die Bedeutung des Zusammentretens der Kernsubstanzen lässt sich ein sicherer Aufschluss aus dem bis jetzt vorliegenden Material nicht gewinnen. Man wird sie vielleicht mit Weismann in der Schaffung neuer Vererbungstendenzen (durch die Mischung der mütterlichen und väterlichen Vererbungstendenzen) suchen dürfen. Ich will hier aber auch garnicht die Bedeutung des Befruchtungsaktes näher diskutieren, sondern wollte nur zu zeigen versuchen, wie sich die Vorgänge der Befruchtung aus einfacheren Vorgängen ableiten lassen. Von den Kernstoffen wird nach unseren heutigen Anschauungen dem Chromatin eine ganz besondere Wichtigkeit zugeschrieben. Auf alle Fälle ist das Chromatin derjenige Bestandteil des Kerns, dessen Verhalten sich während des Zelllebens bis dato wegen seiner leichten Sichtbarmachung durch künstliche Färbungsmittel am besten kontrol- lieren lässt. Es hat sich nun gezeigt, dass in gewissen Perioden des Kerns, zur Zeit der Kernteilung nämlich, dass Chromatin in ganz be- stimmter, für jede Zellenart typischer Form, in Stäbehen-, Schleifen- oder Kugelgestalt auftritt und dass die Zahl der so entstehenden Ge- bilde, die bekanntlich als Chromosomen bezeichnet werden, gleichfalls 422 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. für jede Zelle eine typische ist. Aus diesem Verhalten des Chromatins und aus der peniblen Accuratesse, mit welcher während der hier nicht weiter zu besprechenden indirekten Kernteilung jedes einzelne Chromo- som seiner Länge nach in zwei Chromosomen gespalten wird, damit jeder Tochterkern wieder seine Normalzahl von Chromosomen erhält, lässt sich zum Mindesten schließen, dass das in den Chromosomen enthaltene Chromatin einen Bestandteil des Kerns darstellt, der nicht bloß durch seine irgendwie oder irgendwo im Zellkern untergebrachte Quantität im Haushalte des Zellorganismus wirkt, sondern der in einer gewissen Struktur, zu einer bestimmten Zahl von organähnlichen Ge- bilden, den Chromosomen nämlich, in gewissem Grade individualisiert vorhanden sein muss, wenn Zelle und Zellkern ein normales Leben führen sollen. Wenn nun während der Karyogamie zwei Zellkerne miteinander verschmelzen, und jeder Kern bei dieser Verschmelzung seine übliche Zahl von Chromosomen mitbringt, so müssten eigentlich die aus der Karyogamie hervorgegangene Kerngenerationen eine doppelt so große Zahl von Uhromosomen aufweisen, als die früheren Kerngenerationen, welche den karyogamisch verbundenen Kernen voraufgegangen sind. Bei der Befruchtung des Metazoeneies wird einer solchen Ver- dopplung bekanntlich durch die Reduktionsteilungen gesteuert, welche den Kernen der Geschlechtsprodukte schon vorher zur Zeit ihrer Reifung die Hälfte der sonst üblichen Chromosomenzahl fort- nehmen, so dass die kopulierenden Geschlechtskerne die Normalzahl von Chromosomen wieder zusammenfügen, da jeder von ihnen die Hälfte der Normalzahl zur Kernverschmelzung mitbringt. Die Reduk- tionsteilungen gehen am reifenden Ei bekanntlich unter der Erschei- nung der Richtungskörperbildung vor sich, d. h. von den bei den Tei- lungen entstehenden Tochterkernen wird einer, dem Zerfall preis- gegeben, nach Außen abgesetzt, und nur einer bleibt im Ei zurück, um die Kopulation mit dem Spermakern vorzunehmen. Bei den Rhizopodenkernen war es bis jetzt nicht möglich, die Zahl der Chromosomen sicher festzustellen; man weiß daher nicht, ob auch hier eine Herabsetzung der Chromosomenzahl auf die Hälfte statt- findet, bevor die Karyogamie eintritt. Wohl .weiß man aber, dass der Richtungskörperabstoßung des Metazoeneies entsprechende Vorgänge auch bei den Rhizopoden und Heliozoen vorkommen. Niemand wird zweifeln, dass die von Bloch- mann bei Kuglypha (ef. S. 75) beobachtete Abstoßung einer Kern- teilhälfte in einer vom Weichkörper neu erbauten aber von ihm wieder verlassenen Schale, und gar die von Schaudinn für Actinophrys festgestellte Ausstoßung von Kernteilhälften vor der Karyogamie, mit der Abstoßung der Richtungskörperchen der Metazoeneiern eine zu Homologieschlüssen zwingende Aehnlichkeit besitzen. Schaudinn hat Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 125 in richtiger Erkenntnis dieser Homologie die bei Actinophrys abge- stoßenen Tochterkerne als Reduktionskörper bezeichnet '). Kann man sich aber eine Vorstellung davon machen, warum und auf welche Weise sich diese höchst merkwürdigen Reduktionsteilungen aus anderen Vorgängen entwickelt haben und lassen sich bei den Rhizopoden, die ja stufenweise Uebergänge zu der Karyogamie in ihren Reihen erkennen ließen, vielleicht auch Uebergänge zu der Ab- setzung der Reduktionskörper auffinden ? Fig. 14. Erzeugung und Abstoßung eines Krüppelindividuums von Hu- glypha alveolata Duj. a) Aus der Schale des durch Knos- pung vom Muttertier I entstandenen Tieres II beginnt das Plasma sich zurückzuziehen. Im Grunde der Schale sitzt es noch fest und umschließt hier den etwas in die Länge ge- zogenen Kern n,. b) Die letzte Plasmabrücke zwischen dem Muttertier I und dem Tochter- tier II ist durchgerissen; der Kern n, ist abgestorben. rn, — im Muttertier zurückbleibender Tochterkern; cV = kontraktile Va- kuole;, x = Nahrungskörper. Nach Blochmann. Zur Beantwortung dieser Frage scheint mir das von Blochmann beobachtete Verhalten der Zuglypha von Wichtigkeit zu sein. Es wird hier bei der Ausstoßung des Kerns noch eine vollkommene Schale auf- gebaut (Fie. 14); es macht den Eindruck als ob ein vollkommen nor- males Tochtertier aus dem Muttertier hervorsprossen sollte, dem Toochter- tier wird dann aber der ganze oder doch fast der ganze (Fig. 14) Protoplasmaleib von der Mutter wieder entrissen, das Tochtertier wird dadurch zum Krüppel und stirbt mit dem ihm übermittelten Tochter- kern ab. Nun wissen wir durch die Untersuchungen Maupas’ über die Konjugation der Infusorien, dass diese Protozoen, wenn sie an der Konjugation verhindert werden, allmählich der Degeneration anheim- fallen und zu Grunde gehen. Die Teilungen liefern mit der Zeit mit anderen Worten, wenn sich nicht Konjugation von Zeit zu Zeit zwischen sie einschiebt, krüppelhafte Individuen, die nicht mehr zu leben im Stande sind. 1) Von ‘der Bezeichnung „Richtungskörper* wurde Abstand genommen, weil die Abstoßungsstelle in keiner Beziehung zur Teilungsebene der nächsten Zellteilung steht, während bei den meisten Metazoen eine derartige Beziehung vorliegt. IR 424 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. Während nun bei den Infusorien sich die Verkrüppelung allmäh- lich an den durch die Teilungen aneinander gereihten Generationen geltend macht, tritt sie offenbar bei Euglypha in einer zeitlich zu- sammengedrängten Form auf; die Teilungsfähigkeit wird bis zum äußersten ausgenutzt und der Defekt, welcher durch die Teilungen in dem Haushalte des Tierkörpers eintritt, macht sich mit einem Male geltend, indem ein nicht mehr lebensfähiger Krüppel zu- letzt erzeugt wird. Wenn schon früher die Richtungskörperchen der Metazoen von Bütschli als Abortiveier, als verkrüppelte Eier, angesehen worden sind, so ist die Reduktionskörperbildung von Euglypha meiner Ansicht nach ein zwar aus weiter Ferne herbeigeholter aber trotzdem in seiner Klarheit bis jetzt einzig dastehender Beleg für diese Ansicht. Man sieht hier noch, dass ein gleiches Individuum erzeugt werden sollte, es gebrach aber dem durch die Teilungen geschwächten Tierorganis- mus an Kraft zwei Individuen lebenskräftig auszugestalten, eins ward zum totgeborenen Krüppel, und nur das andere blieb lebensfähig, aber wohl auch nur dann lebensfähig, wenn es mit einem anderen Tier in Karyogamie treten konnte. Ich halte, kurz gesagt, die Abstoßung der Kernteilhälften, wie sie uns bei Zuglypha in ursprünglichster Form, bei Actinophrys und bei den Metazoen in abgekürzter Form in der-Riehtungskörperbildung vor- liegt für das Produkt derselben krüppelhaften Teilungen, wie sie auch bei den Infusorien, wenn auch in allmählicherem Eintreffen sicher kon- statiert sind, sobald die Konjugation und die mit ihr verbundene Karyogamie ausbleibt. Wie nun diese krüppelhaften Teilungen während der Reduktions- körperbildung schon bei den Rhizopoden oder später zu genau nor- mierten, die Halbzahl der Chromosomen herbeiführenden Reduktions- teilungen geworden sein mögen, das lässt sich bei unserer heutigen Unkenntnis über die Chromosomenzahl bei den Rhizopoden nicht ent- scheiden. Bei den Metazoen gemachte Erfahrungen müssen heran- gezogen werden, wenn man sich auch hier eine Stufenleiter allmäh- licher Entwicklung konstruieren will. Die Reduktion der Chromosomenzahl ist offenbar dem- selben Verkrüppelungsvorgang zuzuschreiben, der auch die Ab- setzung einer nicht vollausgebildeten Tochterzelle während der Reduk- tionskörperbildung veranlasst hat. Wie oft auch das Gesetz von der Konstanz der Chromosomen- zahl im ganzen Bereich der Metazoen Bestätigung gefunden hat, so ist es doch nicht ohne Ausnahme. Gelegentlich trifft man Zellen, die während ihrer Teilung eine abnorme Chromosomenzahl zur Aus- bildung bringen, so sind nach vom Rath'): „Bei Generationen nach 1) ef. vom Rath, „Ueber die Konstanz der Chromosomenzahl bei Tieren“, Biol. Centralbl., Bd. XIV, 1894, S. 469. ‚Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 195 Verletzungen und ebenso bei den oft schnell aufeinander folgenden Kernteilungen der Sexualzellen pathologisch veränderte Mitosen mit abnormer Chromosomenzahl keineswegs besonders selten“. Bei den Pflanzen scheinen Unregelmäßigkeiten in der Chromosomenzahl sogar recht häufig vorzukommen. Da die gelegentlichen Ausnahmen also keineswegs auf gewisse Zellen beschränkt sind, und da sie unter besonderen Verhältnissen besonders zahlreich auftreten können, so wird man vielleicht annehmen dürfen, dass auch bei den krüppelhaften Teilungen, welche durch die voraufgegangene andauernde Teilungsarbeit verursacht waren, die Zahl der Chromosomen nicht immer dieselbe war, wie bei den gewöhnlichen, mit normaler Tochterzellenbildung endenden Teilungen; ja Schwankungen in der Chromosomenzahl mögen bei den krüppelhaften Kernteilungen, bei denen ja irgendwelche Störungen im Organismus mitwirkten, besonders häufig gewesen sein. Unter den Krüppelteilungen mit abnormer Chromosomenzahl wer- den dann diejenigen die günstigsten gewesen sein, welche die Hälfte der Chromosomenzahl normaler Teilungen auf- wiesen, weil dann durch die Verschmelzung zweier Kerne die Normal- zahl wieder erreicht wurde, die für das Wohlgedeihen der Zellen von großer Wesentlichkeit ist, wie man aus der weiten Verbreitung einer Konstanz der Chromosomenzahl schließen muss. Zellen, welche vor der Karyogamie während ihrer Krüppelteilungen aus irgend welchen Ursachen zufällig gerade die Hälfte ihrer Chromosomen im Kern zu- rückgehalten hatten, waren nach der Karyogamie höchst wahrschein- lich lebenskräftiger als solche, welche eine x-beliebige Chromosomen- zahl nach der Krüppelteilung enthielten; sie vererbten ihre Eigentüm- lichkeit auf ihre Descendenten, so mag sich allmählich die Reduktions- teilung mit genau formierter Chromosomenzahl (Hälfte der Normalzahl) aus Teilungsvariationen hervorgebildet haben. 6. Zusammenfassung. Der erste Ursprung des Befruchtungsaktes der Metazoen kann bis zu den Rhizopoden zurück verfolgt werden. In dem Vermögen, zeitweise auf Artgenossen chemotropisch wirk- same Substanzen abscheiden zu können, war die Möglichkeit zu einer gegenseitigen Aneinanderlagerung von nackten Zellen der gleichen Art gegeben. „Uytotropismus“. Der von keiner Membran umschlossene Protoplasmaleib der Rhizo- poden, trug die physikalische Möglichkeit in sich, mit anderen ihm durch den Cytotropismus angelagerten Protoplasmakörpern der gleichen Art zu verschmelzen. „Plastogamie*. Bei ursprünglich mehr oder weniger zufälligen, oder wenigstens noch nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebundenen Verschmelzungen 126 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- nnd Kern-Versckmelzungen bei Rhizopoden. der Protoplasmaleiber traten in Folge der Verschmelzung und in Folge der osmotischen Gesetze Substanzen von dem einen Tier in das andere über und umgekehrt. Unter diesen Substanzen waren solche, welche den verschmolzenen Tieren gewisse Vorteile, wahrscheinlich eine höhere Lebensenergie, mitteilten. Im Kampf ums Dasein werden daher die- jenigen Tiere bevorzugt, die während der Verschmelzungen mög- lichst vorteilhafte Stoffe in sich aufzunehmen und an das andere Tier abzugeben im Stande waren. Die Verschmelzungen verloren daher allmählich den Charakter des bloß „Zufälligen“ und wurden nach und nach zu „notwendigen“ Vorgängen. Von den, zwischen den Zellen während der „Plastogamie“ aus- getauschten Stoffen waren offenbar diejenigen die wirksamsten, die von dem Kern assimiliert oder sonst wie in seine Struktur aufgenom- men werden konnten. Da nun der Kern während seiner Teilung in ausgiebigstem Maße Substanzen aus dem Zellleibe aufnimmt, so waren diejenigen Plastogamien die vorteilhaftesten, welche kurz vor oder kurz nach einer Kernteilungsperiode eintraten. Beider Cytogamie der Foraminiferen wurde die Plastogamie vor die während der Fortpflanzung gesteigerte Kernteilungsperiode verlegt. Zu einer Karyogamie kam es bei der Cytogamie nicht, weil die Kerne während ihrer Teilung schon die ausgewechselten Stofle in sich aufnehmen konnten. Ganz anders verhielt es sich aber dann, wenn die Vereinigung der Zellen kurz nach der Kernteilung statt- fand. Nach der Kernteilung hatte jeder Kern aus seinem eignen Zell- leib die zum Wechseltausch bestimmten Substanzen in sich aufgenom- men, sollte daher der Wechseltausch selbst stattfmden, so mussten nach der Plastogamie die Kerne möglichst schnell in nahe Ver- bindung treten. Den größten Vorteil aus der „Plastogamie nach voraufgegangener Kernteilung zogen diejenigen Individuen, die ihre Kerne möglichst nahe aneinanderbrachten und bei denen die Hinder- nisse zum Austausch der in den Kernen enthaltenen Stoffe am gering- sten waren, solche Kerne die beim Austausch nieht den Widerstand der Kernmembran zu überwinden hatten, die also vielleicht noch von der kurz vorher stattgehabten Kernteilung her eine stark gelockerte oder gar keine Membran mehr besaßen. Waren aber während der Plastogamie membranlose Kerne im Vorzuge, weil ihre Annäherung den größten Nutzen brachte, so werden allmählich Individuen gezüchtet worden sein, die zur Zeit eines länger oder kürzer andauernden Kern- membranmangels sich plastogamisch verbanden und dann die Kerne möglichst nahe, schließlich bis zur Berührung aneinandertreten ließen. Bei der Berührung verschmolzen dann die membranlosen Kerne miteinander, anfangs vielleicht mehr oder weniger zufällig, später mehr und mehr notwendig, weil die Kernverschmelzung den Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden, 197 innigsten wirksamsten Austausch der Tauschsubstanzen gestattete und weil deshalb die Individuen am besten fortkamen, bei denen Kern- verschmelzung „die Karyogamie* stattgefunden hatte. Aber bevor es zur Karyogamie kam, waren die Protoplasmaleiber der Vorahnen schon an die Plastogamie gewöhnt, sie konnten ohne die Austauschstoffe der Plastogamie auf die Dauer keine lebensfähigen Individuen erzeugen, sie brachten krüppelhafte Descendenten hervor, wenn sie die Austauschstoffe über größere Fortpflanzungsperioden hin entbehren mussten. Auch die an Karyogamie gewöhnten Zellen tragen noch die Folgen von der Angewöhnung der Vorahnen an die notwendig gewordenen Austauschstoffe, ihre letzten Teilungen sind krüppelhaft. Die selben Teilungen, während der die Kerne vor der Karyogamie die Austauschsubstanzen aus dem eignen Zellleib "aufsaugen, setzen auch die Reduktions- bezw. die Richtusgskörperchen ab. Die Karyogamie ist ein Prozess, der neben den Vorteilen, die er in sich birgt, den Nachteil hatte, dass er durch die Kernverschmelzung die Zahl der Individuen im Kampf ums Dasein während der Zeit der Verschmelzung auf die Hälfte herabminderte. Unter den anfänglich und bei manchen Rhizopoden noch heute stattfindenden Verschmelzungen „zu verschiedener Zeit“ wurde das Minimum der Notwendigkeit bevor- zugt. Die Karyogamie wurde schließlich so lang verschoben als irgend möglich, sie trat erst dann ein, wenn sich schon das Krüppelhaftwerden der Zelldescendenten Geltung verschaffte; so wurden die Krüppel- teilungen bezw. Krüppelknospungen der Actinophrys und der Eizellen der Metazoen vielleicht auch der Eug/ypha und die Karyo- gamie derselben zu kurz aufeinanderfolgenden Vorgängen, zu Vorgängen, von denen der eine den andern notwendig machte, wenn Weiterleben der Art gesichert werden sollte. Wenn ich die Reduktionskörper — bezw. die Richtungskörper- bildung somit auf eine Verkrüppelung zurückführe, so soll damit durch- aus nicht gesagt sein, dass sie für das Ei bezw. für die Rhizopoden, von dem sie abgestoßen werden, nicht trotzdem eine tiefgreifende Be- deutung haben könnten. Im Gegenteil muss eine solehe Bedeutung wohl deshalb angenommen werden, weil die Aufeinanderfolge zweier Krüppelteilungen (zweimalige Richtungsteilung) bei den Metazoen eine so typische Regel geworden ist und weil auch während der Konju- gation der Infusorien eine zweimalige Teilung der Mikronuklei statt- findet!). Es ist klar, dass die phylogenetisch überkommenen Vorgänge, wenn es auch Verkrüppelvorgänge waren, unter der Zuchtwahl in garnicht absehbarer Weise nutzbar gemacht werden konnten. Ich 1) Scheinbar ganz nutzlos und deshalb auch nicht immer vorhanden ist nur die abermalige Krüppelteilung des ersten Richtungskörperchens außerhalb des Eies. 428 Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. habe aber nur die phylogenetische Seite der Befruchtung beleuchten wollen, und bin der Frage nach der Bedeutung der Einzelvorgänge absichtlich nach Möglichkeit aus dem Wege gegangen, weil ich die Beantwortung dieser Frage für weit schwieriger und zur Zeit für kaum erreichbar halte. Die Spermatozoen der Metazoen verraten ihre Krüppelnatur da- durch, dass sie auf die Dauer nicht lebensfähig sind — sie vermögen sich nicht zu ernähren — was jede andere lebenskräftige Zelle, ob Protozoe, ob Nervenzelle, Muskelzelle ete. ete., stets kann. Das für den Aufbau der Spermatozoen verwendete organische Material, zur selbständigen Fortführung des Lebens ebenso unzureichend, wie bei den Richtungskörpern '), wurde nur noch zu einem Zwecke nutzbar gemacht, zur Aufsuchung des Eies und seines Kernes, zur Ermöglich- ung der Karyogamie, welche aus zwei Todeskandidaten wenigstens eine neue lebenskräftige und entwicklungsfähige Zelle, das befruchtete Ei, zusammenschmolz. Die Karyogamie brachte weiterhin im Gegensatz zur Plastogamie den neuen Faktor einer Zusammenhäufung der Chromosomen beider Kerne mit sich. Die Konstanz der Chromosomenzahl ist aber für das Gedeihen des Zelldescendenten von großer Bedeutung, das darf man aus ihrer weiten Verbreitung schließen. Die Zuchtwahl wird somit danach gestrebt haben, die Konstanz der Chromosomenzahl auch nach der Karyogamie wieder zu erreichen. Ob ihr das bei den Rhizopoden in allen Fällen und wie ihr das möglich geworden ist, lässt sich leider aus den bei den Rhizopoden vorliegenden Be- obachtungen, die bislang über die Zahl der Chromosomen noch keine Auskunft zu geben vermochten, nicht folgern. Man wird aber viel- leicht annehmen dürfen, dass die letzten krüppelhaften Teilungen Schwankungen in der Chromosomenzahl mit sich brachten, wie sie anderwärts bei Zellen der verschiedensten Art unter besonderen Um- ständen beobachtet worden sind. Unter derartigen Schwankungen wären dann diejenigen Teilungen als die günstigsten ausgewählt wor- den, die nur die Hälfte der üblichen Chromosomenzahl mit sich brachten, weil bei darauf stattfindender Verschmelzung zweier Kerne, dann die Normalzahl wieder erreicht war. Ich glaube nicht, dass in den vorgetragenen Anschauungen über die phylogenetische Entwicklung des Befruchtungsaktes, wie er sich 1) Wenn die Richtungskörper nicht gleichfalls zu Spermatozoen umge- wandelt werden, so liegt das wohl nur daran, weil ihre Berührung mit dem Ei die Gefahr einer Selbstbefruchtung (Inzucht) zu dringend gemacht hätte. Gelegentlich werden ja ausnahmsweise Richtungskörper, wie sonst nur Sperma- tozoen zur Befruchtung benutzt (cf. Brauer, Artemia. Arch. mikr. Anat,, Bd. 43). Rhumbler, Zellleib-, Schalen- und Kern-Verschmelzungen bei Rhizopoden. 199 in höchster Vollkommenheit bei der Heliozoe Actinophrys und viel- leicht auch bei der Testacee Euglypha unter den Rhizopoden vorfindet, wie er aber außerdem bei weiterer Forschung sich noch sehr viel weiter verbreitet in dieser primitiven Tiergruppe ergeben dürfte, irgendwelche Lücke vorhanden oder dass irgend eine Lücke durch eine unerlaubte Annahme ausgefüllt worden ist. Gewiss ist es ein Mangel meiner Erörterungen, dass sie die ver- muteten phylogenetischen Zwischenstufen des Befruchtungsaktes nicht einer durch Descendenz zusammenhängender Rhizopodenreihe entnehmen konnte. Ich bin weit davon entfernt, Amoeba verrucosa für eine direkte Ahnin der Difflugia lobostoma und diese wiederum für die Ahnin der Euglypha zu halten, noch viel weniger bin ich natürlich geneigt, die Heliozoe Actinophrys von den genannten Testaceen, oder um zu dem Befruchtungsakt der Metazoen zu gelangen, die Metazoen von Heliozoen ableiten zu wollen. Diesem Mangel lässt sich aber bei unseren heutigen Kenntnissen sicher nicht entgehen und es ist auch zweifelhaft, ob er in Zukunft gehoben werden kann, da ja auch die Ahnen Zeit zu Weiterbildungen und besonderen Umänderungen in diesen Vorgängen gefunden haben müssen, während sich ihre Des- cendenten an höher stehende Befruchtungsakte gewöhnten. Auf der anderen Seite aber glaube ich, dass der gerügte Mangel thatsächlich nicht so groß ist, als er auf den ersten Blick erscheinen mag. Da die besprochenen Variationen, wie heute schon festgestellt ist, durchaus nicht nur an bestimmte Rhizopodengruppen gebunden sind !), sondern hier und dort im Reiche der Rhizopoden auftreten, cf. Eu- glypha und Actinophrys, so darf man schließen, dass die Möglichkeit, den Befruchtungsakt in bestimmter Richtung zu variieren den Rhizo- poden allgemein zugeschrieben werden darf. Unter den als möglich erkannten Variationen habe ich dann diejenigen ausgesucht?), die 4) Nicht einmal an die Rhizopoden allein; so kommen die bei Actinophrys beobachteten Vorgänge auch bei den Gregarinen vor, wie aus den Unter- suchungen Wolters’ hervorgeht. 2) Nicht alle bereits bekannten Variationen des Befruchtungsaktes sind in die vermutete Entwicklungsreihe eingeschoben worden, die Cytogamie der Foraminiferen z. B. nicht, sie hat offenbar nach einer von dem Befruchtungsakt der Metazoen wegführenden Richtung hin variiert; noch mancherlei andere von der Hauptrichtung aberrante Variationen mögen im Laufe der Zeit bei den Rhizopoden bekannt werden. Sollten nicht vielleicht die beiden Kerne der Amoeba binucleata Gruber ihren Ursprung einer dauernden Plastogamie ohne Karyogamie zu danken haben, und somit auf eine neue Variante hin- deuten. Auch bei der Konjugation der Infusorien liegt ein in besonderer Richtung variierter Befruchtungsakt vor, die besondere Richtung ist hier schon durch die Existenz von Makro- und Mikronuklei bedingt. Wie sich hier der kom- plizierte Konjugationsakt aus den einfacheren Geschehnissen bei den Rhizo- XVII. 3) 130 v. Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. sich am engsten ohne jegliche Lücken aneinanderschlossen, von der Ueberzeugung ausgehend, dass die dichtgeschlossenste Reihe dem Gang der Natur, die keine Sprünge macht, am meisten entspräche, und dass die am engsten gegliederte Reihe deshalb die wahrscheinlichste wäre. Phylogenetische Spekulationen erheben sich ja nur selten über das Niveau der „Wahrscheinlichkeit“ in die „Gewissheit“ empor. Ge- wissheit wird man über die Phylogenie des Befruchtungsaktes wohl kaum jemals erlangen; das muss bei Beurteilung der ganzen Frage und dieses Aufsatzes in Berücksichtigung gezogen werden. Göttingen, 2. Oktober 1897. M. v. Bocks Behauptungen über die Beziehungen von Teilung und Knospung im Tierreich. Von Dr. Franz von Wagner, a. 0. Professor an der Universität Gießen. In dem vor kurzem erschienenen 2. Hefte des 31. Bandes der „Jenaischen Zeitschrift für Naturwissenschaft“ veröffentlicht M. v.Bock poden hervorgebildet haben mag, wird sich wohl erst dann mit Wahrschein- lichkeit vermuten lassen; wenn man auch innerhalb des Bereiches der Infusorien die Variationen des Vorganges näher kennt. Sicher werden auch bei ihnen recht erhebliche Variationen nicht fehlen. Sehr auffällig muss es erscheinen, dass bei einigen sehr häufigen und in großer Menge auftretenden Infusorien Konjugationszustände überhauptnoch nicht beobachtet sind; 30 z.B. bei der weit verbreiteten Colpoda cucullus, oder bei denim Wiederkäuermagen so massenhaft vorkommenden Infusorien. Was die Colpoda cucullus anlangt, so möchte ich die Vermutung aussprechen, dass bei diesem niedrigstehenden holo- trichen Infusor ein der Konjugation entsprechender Vorgang in dem merk- würdigen Entwicklungsgang versteckt liegt, den ich vor einigen Jahren für dieses Infusor beschrieben habe (Zeitschr. f. wiss. Zool,, Bd.46, 1888, S.540—601). Es ist doch sehr auffällig, dass die jungen Colpoda-Schwärmer zwei bis vier Kerne besitzen, während die größeren durchaus einkernig sind. Sollten nicht ursprünglich allgemein vier Kerne vorhanden sein und dann nach Analogie der anderweitig beobachteten Infusorienkonjugationen und der Richtungskörper- ausstoßung drei Kerne eingehen. Vermutlich wären dann die Kerne der Schwärmer Abkömmlinge des ursprünglichen Mikronukleus und der Makro- nukleus, der sich ja in der Sporocyste nicht nachweisen ließ, wäre als bereits während der Encystierung zerfallen anzusehen. Ich erinnere mich sehr genau, einmal eine tiefe Einschnürung in einer Schwärmeramöbe angetroffen zu haben, die ich anfänglich für den Beginn einer Teilung ansah, die ich dann aber einer zufälligen Kontraktion des Amöben- körpers zuschrieb, weil die Einschnürung ohne weiter sichtbare Folgen ver- strich und die ich deshalb in meiner Arbeit nicht weiter erwähnt habe. Heute glaube ich, dass ich damals zwei konjugierte Schwärmamöben gesehen habe, ° deren definitive Verschmelzung in dem Ausgleich der Einschnürung vorlag. Durch diese Konjugation würde die eigentümliche Entwicklungsgeschichte den Konjugationsvorgängen andrer Infusorien noch wesentlich näher gerückt. v. Wagner, Teilung und Knospung im 'Tierreich. 131 eine im zoologischen Institute der Universität München ausgeführte Arbeit „Ueber die Knospung vonÜhaetogaster diaphanus Gruith.“, in welcher meine seinerzeitigen Darlegungen!) über die Unterscheidung von Teilung und Knospung bei den Metazoön und die Beziehungen der genannten beiden Formen ungeschlechtlicher Fortpflanzung zu einander einer ebenso abfälligen wie kurzen Kritik unterzogen werden. Ich hätte keine Veranlassung, auf diese Kritik einzugehen, zumal ich nach Kenntnisnahme derselben über die in Rede stehende Materie ge- ‚nau ebenso denke wie vorher, wenn nicht die eigenartige Methode, mit welcher der Verfasser seine Ansichten vorträgt, mich in die un- erquickliche Notlage einer Erwiderung versetzte, die ich sonst mit Vergnügen vermieden hätte. Zunächst wird wohl jeder Kundige Ausführungen gegenüber, die auf kaum mehr als zwei Druckseiten einen Gegenstand abthun wollen, über welchen bereits eine umfangreiche Litteratur vorliegt, von vorn- herein sich skeptisch verhalten; müssen ja doch die natürliche Folge solcher Kürze Aufstellungen sein, die, gleichviel ob sie kritischen oder positiven Inhalts sind, ausreichender sachlicher Begründung ent- behren, ein Fehler, der auch durch einen hohen Grad von Selbst- bewusstsein in der Aeußerungeigener Ansichten nichtausgeglichen werden kann. Ich bedaure, v. Bocks Darlegungen nach beiden, eben gekenn- zeichneten Richtungen hin beanstanden zu müssen. Dass ich hierzu befugt bin, werden ein paar Beispiele zur Genüge erweisen. Bezüglich der Definitionen, welche bisher zur Unterscheidung von Teilung und Knospung aufgestellt worden sind, erklärt v. Bock mit lapidarer Bestimmtheit: „Sie sind oft ebenso kompliziert wie ungenau und ge- nügen in sehr vielen Fällen zur Aufstellung einer festen Grenze nicht“. Für die Berechtigung dieses Verdammungsurteils über die Bestrebungen früherer Forscher ist nicht ein Wort beigebracht. An einer anderen Stelle dekretiert v. Bock, „dass alle die verschiedenen Formen un- geschlechtlicher Vermehrung durch Uebergänge mit einander ver- bunden sind und eine scharfe Grenze zwischen einer Teilung und Knospung in der äußeren Erscheinung dieser Vorgänge, möge man sie nun definieren, wie man will, überhaupt nicht existiert. Fast jede der gegebenen Definitionen passt nur auf einen oder einige Fälle. Sobald man sie aber anwenden will, um die ganze große Menge der verschiedenen ungeschlechtlichen Vermehrungsweisen daraufhin zu prüfen, sieht man sich alsbald von ihrer Unzulänglichkeit überzeugt.“ Diese drei Sätze enthalten ebensoviele, bei einiger Kenntnis der ein- schlägigen Literatur doch nicht ohne weiteres als selbstverständlich und deshalb zutreffend hinzunehmende Behauptungen, vielmehr sub- jektive, erst zu begründende Auffassungen, für die auch nicht einmal der Versuch einer Beweisführung unternommen wird. Der Leser soll 4) Zool. Jahrb,, Abt. f. Anat. u. Ont., 4. Bd., 1890, S. ee 439 v. Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. sich dabei beruhigen, dass es so ist, wenn v. Bock es sagt. Doch genug davon. Ich wende mich ändert zu denjenigen Bemerkungen v. Bocks, die speziell gegen meine Aufstellungen gerichtet sind. Unser Autor leitet dieselben mit folgenden Worten ein: „Es fragt sich nun vor allen Dingen, welchen Zweck diese ganze Diskussion über die Be- griffe „Teilung“ und „Knospung“ hat. Es kann sich hier entweder darum handeln, nur verschiedene Erscheinungsformen eines und des- . selben, wesentlich gleichartigen Vorganges zu klassifizieren und kurz zu bezeichnen, oder es können in der Teilung und Knospung ihrem Wesen nach weit von einander abweichende Prozesse erblickt werden.“ Darauf habe ich zu erwidern, dass der Zweck der Bestrebungen, Teilung und Knospung bestimmt zu definieren und dadurch von einander zu unterscheiden, genau derselbe ist, welcher zunächst jeder Klassi- fikation zoologischer Phänomene zu Grunde liegt und auch in den Fällen zur Geltung kommt, in welchen die betreffenden Phänomene nur in ihren extremen Ausbildungen scharf von einander geschieden sind. Die Frage, ob Teilung und Knospung „verschiedene Erscheinungs- formen eines und desselben, wesentlich gleichartigen Vorganges“ dar- stellen oder nicht, hat vorerst mit der rein klassifikatorischen Fest- stellung dessen, was als Teilung und was als Knospung zu betrachten ist, nichts zu thun. Dass in der Teilung und Knospung zwei in ihrem äußeren Ablaufe differente Formen ungeschlechtlicher Propagation vorliegen, beweist erstlich der historische Gang unserer Kenntnisse von diesen Prozessen, der eben zur Unterscheidung von Teilung und Knospung geführt hat, sodann aber auch das thatsächliche Verhalten, da doch vernünftigerweise niemand in Abrede stellen kann, dass die Knospung einer Hydra oder Bryozo& und die Teilung eines Lumbriculus, Chaetogaster, Nuis oder Microstoma in ihren äußeren Erscheinungen durchaus verschiedene Vorgänge sind. Und gäbe es auch zweifellose Uebergänge zwischen Teilung und Knospung, so würde damit die Unterscheidung dieser beiden Formen insexueller Fortpflanzung ebenso wenig gegenstandslos werden, wie etwa die Klassifikation des tierischen Systems durch Aufdeckung von Zwischenformen oder die Einführung anatomischer oder ontogenetischer Kategorien durch den Thatbestand von Uebergängen überflüssig gemacht werden. Zudem könnte die oben bezeichnete Frage, ob Teilung und Knospung nur zwei Erscheinungs- formen desselben Vorganges seien oder nicht, eine sachgemäße Be- antwortung doch erst dann finden, nachdem man darüber schlüssig geworden, was Teilung und was Knospung ist, wenigstens „so lange wir — wie v. Bock meint — über das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlechtlichen Vermehrung noch so wenig wissen wie heute.“ Diese Mangelhaftigkeit unseres Wissens fruktifiziert unser Autor in einer Weise, die eine nähere Beleuchtung verdient. v.'Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. 4133 Wegen jenes Mangels erscheint es v. Bock nämlich „ganz un- gerechtfertigt“, dass ich zwei „verschiedene, in wesentlichem Gegen- satz zu einander stehende Arten“ der ungeschlechtlichen Fortpflanzung ‚annehme. Ich will mich nicht dabei aufhalten, dass die Aufstellung zweier verschiedener, als Teilung und Knospung unterschiedener insexueller Prolifikationsweisen selbstredend nicht meine Erfindung ist, sondern von mir vorgefunden wurde, auch darauf im Augenblicke kein Gewicht legen, dass es mit dem angeblich wesentlichen Gegen- satz, in welchen ich Teilung und Knospung setzen soll, eine ganz andere Bewandtnis hat, als v. Bock infolge allzu flüchtiger Durch- sicht meiner bezüglichen Ausführungen ‘meint, ich möchte nur kon- statieren, dass ungenügende Einsicht in „das eigentliche Wesen und die Ursachen“ bestimmter Vorgänge nach v. Bock es als „ganz un- gerechtfertigt“ "erscheinen lässt, nach dem äußeren Bilde ihres Ab- laufes eine Unterscheidung dieser Vorgänge schärfer durchzuführen, die schon längst auf Grund der Beobachtung thatsächlicher Vorgänge vollzogen worden war. Mir scheint es vorerst, „so lange wir über das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlechtlichen Ver- mehrung noch so wenig wissen wie heute“, das einzig Mögliche zu sein, sich an das sinnenfällige Geschehen zu halten, die Ueberein- stimmungen und Verschiedenheiten zwischen den verschiedenen un- geschlechtlichen Prolifikationsweisen genau festzustellen und so eine möglichst breite Grundlage zu schaffen, von welcher aus die Frage nach Wesen und Ursachen der insexuellen Propagation einer Beant- wortung wenigstens näher gebracht werden könnte. In der Frage nach Wesen und Ursachen der ungeschlechtlichen Fortpflanzung liegt aber natürlich mit eingeschlossen jene andere Frage, ob Teilung und Knospung wesenseins oder verschieden sind. Unser Autor meint also, dass unser mangelhaftes Wissen nicht einmal gestatten darf, so ver- schiedene Vorgänge wie die typische Knospung eines Nesseltieres oder einer Bryozo& und die mannigfach variierten Teilungsweisen der Würmer scharf aus einander zu halten, diese als Teilung, jene als Knospung einander gegenüber zu stellen, wenigstens nicht „in wesentlichem Gegensatz“. Ja, ob der Gegensatz ein wesentlicher, weniger wesent- lieher oder unwesentlicher ist, darüber kann man doch nichts ent- scheiden, „so lange wir über das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlechtlichen Vermehrung noch so wenig wissen wie heute.“ Doch v. Bock verkündet ja, wie wir schon wissen, „dass alle die verschiedenen Formen ungeschlechtlicher Vermehrung durch Ueber- gänge mit einander verbunden sind und eine scharfe Grenze zwischen einer Teilung und Knospung in der äußeren Erscheinung dieser Vor- gänge, möge man sie nun definieren, wie man will, überhaupt nicht existiert.“ Ich will mich wieder nicht dabei aufhalten, dass für diese sehr bestimmt formulierte Behauptung kein Beweis erbracht, sondern 134 v. Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. nur die weitere, ebenfalls ohne jede Begründung vorgebrachte Be- hauptung aufgestellt wird, dass „man“ bei Anwendung jedweder Defi- nition von Teilung und Knospung „alsbald von ihrer Unzulänglichkeit überzeugt“ wird, ich frage vielmehr, was bewiese der Nachweis, dass es Formen ungeschlechtlicher Fortpflanzung gäbe, die weder typische Teilungen noch typische Knospungen darstellten, sondern Züge von Beiden vereinigten und sich so als Zwischenformen zwischen diesen bekundeten, für die Entscheidung der Frage nach Wesen und Ursachen der insexuellen Propagation und damit für die andere Frage, ob Teilung und Knospung wesenseins sind? Ich fürchte, sehr wenig, denn solehe Uebergangsformen wären in der bezeichneten Richtung nur dann vonBedeutung, wenn ein phyletischer Zusammenhang derselben mit dentypischen Ausbildungen von Teilung und Knospung aufgezeigt werden könnte, eine Bedingung, die heutigen Tags, wie jeder Kundige weiss, keines- wegs zutrifft. Deshalb bewiese eine „Teilungsknospung“ oder „Knos- pungsteilung“ z. B. bei den Cnidariern durchaus nichts für die Knos- pungen der Bryozo@n oder die Teilungen der Würmer, ja sie bewiese ohne weiteres nicht einmal etwas hinsichtlich der Knospungen und Teilungen der Cnidarier selbst. Das Gesagte wird. wohl genügen, um zu erkennen, dass es keineswegs, wie v. Bock behauptet, „ganz ungerechtfertigt“ ist, „so lange wir über das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlechtlichen Vermehrung noch so wenig wissen wie heute“, an der überkommenen Unterscheidung zweier als Teilung und Knospung bezeichneten Arten ungeschlechtlicher Fortpflanzung festzuhalten; ja im Interesse künftiger besserer Einsicht in Wesen und Ursachen der insexuellen Propagation wird es sogar wünschens- wert erscheinen, Teilung und Knospung schärfer aus einander zu halten, als dies früher der Fall gewesen ist. Jedenfalls pflegt Ordnung eher zum Ziele zu führen als chaotischer Wirrwar. Wie wir schon wissen, ist es für v. Bock eine ausgemachte Sache, dass Teilung und Knospung durch Uebergänge mit einander verbunden sind und daher eine scharfe Grenze zwischen beiden nicht besteht. Dagegen zu streiten, wäre ohne näheres Eingehen auf die bezüglichen Vorgänge selbstverständlich wertlos, übrigens auch nicht angebracht, da v. Bock für seine Behauptungen die Beibringung von Beweisen für überflüssig erachtet; indes ist die einfache Frage, ob Teilung und Knospung scharf unterscheidbar seien oder in einander übergehen, für die Beurteilung von Wesen und Ursachen der insexuellen Propagation überhaupt gleichgiltig, denn wenn zwei in ihrem äußeren Ablaufe differente Vorgänge durch einen dritten, der Merkmale von beiden in sich vereinigt, klassifikatorisch verbunden sind, so ist doch damit in keiner Weise etwa bewiesen, dass alle diese Vorgänge wesenseins sind, namentlich nicht, wenn diese Vorgänge in sehr ver- v. Wagner, Teilung.und Knospung im Tierreich. 135 schiedenen Tierstämmen auftreten und sich unter nicht minder ver- schiedenartigen Bildungsgesetzen vollziehen. Trotzdem bringt v. Bock das ergötzliche und für den Logiker interessante Kunststück fertig, den für die Auffassungen der früheren Autoren so folgenschweren Mangel an Einsicht in „das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlechtlichen Vermehrung“ für sich durch den einfachen Hin- weis darauf, dass seiner Meinung nach Teilung und Knospung nicht scharf zu unterscheiden sind, zu erledigen und — diesmal allerdings bescheidener als sonst — zu sagen: „Ich glaube also annehmen zu können, dass wir in den verschiedenen ungeschlechtlichen Vermehrungs- weisen nur verschiedene Erscheinungsformen eines wesentlich gleich- artigen Vorganges zu erblicken haben“, und das, wohlgemerkt, obwohl „wir über das eigentliche Wesen und die Ursachen der ungeschlecht- lichen Vermehrung noch so wenig wissen“. Sapienti sat. Um das gekennzeichnete Verfahren v. Bocks, soweit es sach- licher Natur ist, zu verstehen, bedarf es nur des Hinweises, dass unser Autor gerade in den Fehler verfällt, vor dem ich seinerzeit warnte, nämlich von Teilung und Knospung im generellen Sinne zu sprechen. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn v. Bock auch diese meiner Aufstellungen nicht gelten lassen will, in der Be- kämpfung derselben mir aber einen Beleg für die Berechtigung und Notwendigkeit jener Aufstellung liefert, wie ich in der That keinen besseren hätte wünschen können. Unser Autor vermeint meinen Satz, dass man nicht befugt sei, von Teilung und Knospung in generellem Sinne zu handeln, mit einem Beispiel abthun zu können. Er sagt: „Ich glaube aber auch z. B., dass die Fähigkeit, Lichteindrücke zu perzipieren, resp. Augen zu entwickeln, in verschiedenen Tierstämmen selbständig aufgetreten ist, und halte mich doch für berechtigt, im generellen Sinn vom „Sehen“ zu sprechen. Vorausgesetzt also, dass ein Vorgang, eine Lebensäußerung im ganzen Tierreich in analoger Weise auftritt, sehe ich nicht ein, weshalb man ihn nicht mit einem allgemein gültigen Ausdruck bezeichnen, nicht im generellen Sinn von ihm reden soll.“ Ich bestreite v. Bock nicht einen Augenblick das Recht, von den Sehorganen der Tiere in dem angegebenen Zusammenhange im generellen Sinne zu sprechen, wohl aber be- streite ich durchaus, dass meine bezüglichen Ausführungen in solchem Zusammenhange gegeben worden sind. Ich werde dies alsbald durch möglichst wörtliche Wiedergabe meiner Darlegungen nach dieser Riehtung darthun, wenngleich es eigentlich — drei Dezennien nach Darwin! — selbstverständlich ist, dass bei dem Versuch, Teilung und Knospung schärfer zu unterscheiden, nicht der Wunsch, irgend eine in ihrem Werte vielleicht recht zweifelhafte Klassifikation vorzunehmen, maßgebend gewesen sein konnte, sondern das phylogenetische Moment der Entstehung und Hervorbildung der einzelnen Formen insexueller Propagation leiten musste. 156 v. Wagner, Teilung und Kngspung im Tierreich. Ich sagte: „Nicht besser steht es mit dem zweiten Moment, ob Teilung und Knospung im generellen Sinne aufgefasst werden können. Dass sowohl die verschiedenen Teilungen wie die mannigfaltigen Knospungen von ihrem erstmaligen Auftreten durch die Tierreihe hin- durch vererbt worden, demnach als phyletische Einheiten zu betrachten wären, wird niemand behaupten wollen. Aber auch bezüglich ihrer Entstehung können Teilung und Knospung nicht aus den gleichen ur- sächlichen Bedingungen hervorgegangen sein. „Für die Reihe derjenigen Prolifikationen, welche als Knospungen zu bezeichnen sind, kann aus den uns vorliegenden Thatsachen ein gleichartiger Ursprung nicht ersichtlich gemacht werden, im Gegen- teil dürften die Knospung der Salpen und die der Bryozo@n höchst wahrscheinlich spezifische Erwerbungen innerhalb der betreffenden Stämme darstellen. Wenn auch über die Art der Hervorbringung dieser Erwerbungen zur Zeit eine sichere Entscheidung nicht möglich ist, so haben doch die umfassenden Untersuchungen von Seeliger zur Genüge gezeigt, dass die Bildungsgesetze der Knospung für die Bryozo@n völlig anders geartet sind als diejenigen für die Tunicaten. „Bezüglich der ganz aberranten Knospung von Syllis ramosa habe ich schon oben bemerkt, dass die wirksamen Ursachen ihres Ursprungs wohl ohne Bedenken in den Besonderheiten ihrer eigentümlichen Lebensweise gesucht werden dürfen!). „Die Knospungen der Cnidarier ermangeln, wie es scheint, keines- wegs eines mehr gleichartigen Charakters, welcher wohl auf eine ge- meinsame Entstehungsursache hindeuten mag. „Wenngleich somit die Bedingungen, unter welchen die mannig- faltigen Knospungen in den verschiedenen Tierphylen entstanden sein mögen, dermalen zum großen Teil noch ein Gegenstand bloßer Ver- mutungen sind, so bietet doch das Thatsächliche derselben in den einzelnen Fällen oder Reihen so heterogene Befunde dar, dass die Berechtigung, von der Knospung im generellen Sinne zu handeln, zum Mindesten nicht erwiesen ist. „Das Gleiche trifft für die Teilung zu. „Die Strobilationsformen derselben bei den Cnidariern und Würmern, welche mit Vorliebe mit einander verglichen werden, haben in Wahr- heit nur eine mehr äußerliche Aehnlichkeit. Bei der hohen Ueberein- stimmung, welche im wesentlichen alle Teilungen der Würmer zeigen, wird man dieselben als eine auf eine einheitliche Grundlage hin- weisende Hervorbringung auffassen müssen, ‘für welche innerhalb des Stammes dieser Tiere selbst und ihrer besonderen Verhältnisse die Bedingungen des Ursprungs jener Prolifikationen gegeben waren. Und ebenso darf wohl auch für die Quallen-Strobila dieser Gesichtspunkt 4) Vergl. hierzu die seither erschienene Notiz Oka’s, Zool, Anz., 18. Bd., (1895), S. 462—464, v. Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. 431 geltend gemacht werden, gleichviel ob man dieselbe nun mit Claus aus der Stolonenknospung ableiten will oder nicht. „So gelangen wir zu dem Endergebnis, dass die übliche Vor- stellung von der so nahen Verwandtschaft von Teilung und Knospung in den Thatsachen keine Rechtfertigung findet, vielmehr die Sonderung der insexuellen Propagationen der Metazo@n in Teilung und Knospung nicht nur eine begriffliche Bedeutung, sondern auch eine reale Grund- lage besitzt. „Die ungeschlechtlichen Fortpflanzungen in den einzelnen Tierstämmen sind unabhängig von einander aus innerhalb dieser gelegenen Bedingungen hervorge- gangen, so dass, was etwa für eine einzelne oder einen Komplex gleichartiger Prolifikationen wahrscheinlich gemacht werden kann, für andere Propagationen durch Teilung oder Knospung keine Ver- bindlichkeit in sich schließt.“ Ich glaube, klarer, als dies aus den vorstehenden Worten hervor- geht, lässt sich nicht darthun, dass der Ausdruck „generell“ im phylogenetischen Sinne von mir gebraucht wurde. Der Einwand v. Bocks trifft deshalb meine Ausführungen ganz und gar nicht; er behauptet etwas, was ich nicht bestritten habe und widerlegt nicht, was ich ausgesprochen habe. Zu meiner Aeußerung, dass die ungeschlechtlichen Fortpflanzungs- weisen in den einzelnen Tierphylen als selbständig entstandene Pro- zesse aufzufassen seien, fügt v. Bock auch den Satz bei: „Letzteres Moment will ich zwar nicht in Abrede stellen, obgleich es mir nicht gerade bewiesen zu sein scheint.“ Man wird mir eine besondere Be- gründung erlassen, wenn ich diese Bemerkung als eine nichtssagende Phrase übergehe. Ich habe schon oben gegen den wesentlichen Gegensatz, in welchen ich nach v. Bock Teilung und Knospung zu einander setzen soll, Einspruch erhoben. Eine gewisse Rechtfertigung desselben liegt bereits in den früher ausführlich zitierten Darlegungen, nun soll aber noch, wieder möglichst wörtlich, dem Leser vorgelegt werden, was ich thatsächlich über diesen Gegensatz ausgesprochen habe. Ich sagte: „Indem alle Prolifikationen, welche sich auf den natürlichen Begriff der Teilung zurückführen ließen, in eine Abteilung gebracht wurden, erschloss sich auch für die außerhalb jener Reihe verbleibenden Fort- pflanzungsformen ein gemeinsamer Grundzug in der Besonderheit des dabei auftretenden Wachstums. Diese Scheidung zweier weit ver- breiteter Arten insexueller Propagation ist indes nicht bloß aus dem praktischen Gesichtspunkte ordnender Uebersichtlichkeit beizubehalten, sie entbehrt auch nicht eines tiefer liegenden Sinnes: Die innige Verwandtschaft von Teilung und Knospung ist wenigstens in dem Maße, wie sie heute so vielfach angenommen wird, 138 v. Wagner, Teilung und Knospung im Tierreich. eine Fiktion.“ Ich bemerke dann weiter, dass es mir „selbstredend“ nicht einfällt, „jede Beziehung zwischen Teilung und Knospung ver- neinen zu wollen,“ und erläutere dies in einer Fußnote mit folgenden Worten: „Ich meine hier nicht bloß den durch die Gemeinsamkeit der- selben Grundursachen bedingten Zusammenhang, sondern auch jenen, welchen etwa der Nachweis mit sieh brächte, dass eine bestimmte Teilung auf eine bestimmte Knospung in ihrer Entstehung zurück- geführt werden könnte oder umgekehrt.“ Und zwei Seiten vorher be- kenne ich mich sogar zu der Anschauung, dass das Vermögen zu ungeschlechtlicher Fortpflanzung und die Fähigkeit zu regenerieren, „Jedenfalls auf denselben allgemeinen Grundursachen beruhen“ dürften, eine Auffassung, die ich in der seinerzeit ge- gebenen strikten Form heute — nebenbei gesagt — gewiss nicht wieder aussprechen würde. Dies alles hindert aber v. Bock nicht, seine Leser glauben zu machen, dass ich „in der Teilung und Knospung ihrem Wesen nach weit von einander abweichende Prozesse“ erblicke, sie als zwei „verschiedene in wesentlichem Gegensatze zu einander stehende Arten“ insexueller Propagation auffasse. Meiner Aufstellung, dass man Teilung und Knospung wohl von einander unterscheiden könne, setzt v. Bock, wie wir schon wissen, die bestimmte Versicherung entgegen, dass dies nicht möglich sei. Ich habe schon oben angegeben, dass und warum ich es ablehnen muss, mich über diesen Gegenstand mit meinem Kritiker auseinander zu setzen. Auch wird es niemand als eine Begründung des von v.Bock erhobenen Widerspruches erachten, wenn gesagt wird, dass ein Mangel von Zwischenformen zwischen Teilung und Knospung „nur scheinbar“ vorliege, insofern „es eben zwischen zwei Begriffen, die sich gegen- seitig ausschließen, zwischen etwas Normalem und etwas von der Norm Abweichendem keine Uebergangsstufen giebt und geben kann.“ Zudem überhebt mich die Art der Berichterstattung über die Dar- legungen anderer Forscher, die sich unser Autor zu eigen gemacht hat, der Verpflichtung, v. Bocks Angriffen gegenüber meinen bezüg- lichen Standpunkt zu verteidigen. Immerhin dürfte es aber für weitere Kreise von Interesse sein, die Art der Berichterstattung v. Bocks an einem Beispiel in volles Licht gesetzt zu sehen, um die Gewissen- haftigkeit und Glaubwürdigkeit meines Kritikers festzulegen. Auf 8.146 berichtet v. Bock seinen Lesern: „Auch v. Wagner, welcher an dem Beispiel des ‚Stentor den Unterschied zwischen Teilung und Knospung klar zu machen sucht, scheint mir gerade mit diesem Beispiel einen Beleg dafür geliefert zu haben, wie schwierig es ist, ‘eine feste Grenze zu finden. Man lese nur seine Definition des „diffe- rentiellen Wachstums“, welches eine Knospung charakterisieren soll, und man wird finden, dass sie sich gerade ebenso gut auf den Stentor anwenden lässt, welcher sich ja nach v. Wagner durch Teilung u Ortmann, Ueber Keimvariation. 139 = _ vermehrt.“ In dieser Darstellung wird behauptet, dass ich den Unter- schied von Teilung und Knospung an dem Beispiel des Stentor er- läutere, ferner die Vorstellung erweckt, dass nach meiner eigenen Definition dessen, was ich als „differentielles Wachstum“ bezeichnet habe, der Stentor durch Knospung sich fortpflanze, ich aber trotzdem behauptete, das genannte Infusor pflanze sich durch Teilung fort, endlich die Meinung verbreitet, dass die von mir versuchte Unter- scheidung von Teilung und Knospung auch für die Protozoön Geltung haben soll. Von alledem ist thatsächlich absolut nichts wahr. Das Charakteristische der Teilung lege ich an den Fort- pflanzungserscheinungen der Amöben, ferner der Cysten bildenden Infusorien und endlich des Sitentor dar. Diesen Beispielen gegenüber erläutere ich die Knospung an dem Prolifikationsprozess der Podophryen, speziell das „differentielle Wachstum“, welches die typische Knospung kennzeichnet. Bei diesen Auseinandersetzungen kam es mir, wie ich hervorhebe, nur darauf an, „an der Hand einiger charakteristischer Beispiele Fortpflanzungsverhältnisse einfachster Art kurz zu betrachten, welche für das Verständnis der insexuellen Propagation der Metazoön _ nicht ohne Wert sind.“ Ich sagte weiter ausdrücklich, dass sich meine bezüglichen Darlegungen „lediglich auf die Metazo@n beziehen und für diese allein Geltung beanspruchen.“ Im Anschluss an diese Worte erklärte ich ferner „ausdrücklich“, „dass ich mich bezüglich der Protozo@ön rückhaltlos der Meinung derjenigen anschließe, welche Teilung und Knospung bei diesen einfachsten Tierformen in einander übergehen sehen und deshalb eine strenge Scheidung derselben inner- halb dieses Tierstammes ablehnen.“ Es ist überflüssig, diesen That- sachen etwas hinzuzufügen. Doch genug der unerquicklichen Beschäftigung mit v. Bocks Kritik, die ich mit Rücksicht auf die Art, mit welcher unser Autor dabei zu Werke zu gehen für gut fand, nicht zu umgehen vermochte. Ueberdies meine ich, dass es auch im allgemeineren Interesse gelegen ist, über die Methode v. Bocks, Kritik zu üben, nicht stillschweigend hinwegzugehen, denn es wäre in hohem Maße bedauerlich, wenn eine derartige unsäglich oberflächliche und leichtfertige Methode der Kritik und Problemlösung sich in unserer Wissenschaft einbürgerte! Auf den empirischen Teil der Arbeit v. Bocks über die „Knospung“ von Chaetogaster einzugehen, behalte ich mir für einen anderen Ort vor. Gießen, Anfang November 1897. [120] Ueber Keimvariation. Von Dr. Arnold E. Ortmann, Princeton University, N. J. In einer vor Kurzem erschienenen Arbeit!), die den Zweck hatte, 1) OnNatural Selection and Separation. Proc. Americ. Philos. Soc., Aug.1896. 140 Ortmann, Ueber Keimvariation. meine Stellungnahme zu der Frage der „Entstehung der Arten“ zu kennzeichnen, habe ich vier Hauptprinzipien (Variation, Vererbung, Naturzüchtung und Separation) angenommen, die es uns ermöglichen, eine Vorstellung über die „Entstehung der Arten“ zu machen, d.h. über die allmähliche Umwandlung derLebewelt und die Entwicklung der jetzt lebenden Arten aus ihren geologischen Vorläufern. Ich habe dort ganz besonders betont, dass es nicht möglich ist, ein einzelnes dieser vier Prinzipien herauszugreifen, und es als das wichtigste oder gar alleinig wirksame hinzustellen, sondern dass alle vier zusammen- wirkend gedacht werden müssen, und dass jedes derselben in einer ganz speziellen, beschränkten Weise wirkt. Ich habe nachzuweisen gesucht, dass diese meine Ansicht eigentlich nichts Neues ist, sondern dass sie sich im Wesentlichen mit Darwin deckt, vielleicht nur mit den einzigen Ausnahmen, dass ich mit Pfeffer den Selektionsvorgang mir etwas anders vorstelle, und dass ich das Prinzip der Separation — das ich M. Wagner entnehme — in einem schärferen und etwas modifizierten Sinne fasse, und es für das Darwin’sche Prinzip der Divergenz — das bisher allgemein übersehen wurde — substituiere. Bei der Zusammenfassung meiner Ansichten !) habe ich mich in Bezug auf das erste Prinzip, die Variation, zu einer Doktrin bekannt, die der jetzt in gewissen biologischen Kreisen herrschenden durchaus entgegensetzt ist, nämlich zu der alten Lamareck-Darwin’schen Annahme, dass Variationen durch direkte Einwirkung äußerer Reize auf das Individuum während seiner Lebenszeit entstehen, und dass solche Variationen vererbt werden können. Ich habe ausdrücklich be- merkt, dass ich diese Annahme zunächst als „Arbeitshypothese* auf- gefasst wissen will, habe mich aber gegen die gegenteilige Ansicht, dass nur „angeborene“ oder „Keimes“-Variationen vererbbar seien, sehr entschieden wenn auch ohne nähere Motivierung dieser Ansicht, geäußert ?). Es ist der Zweck der folgenden Zeilen, diese meine Ansicht näher zu begründen. Ich werde mich hierbei im Wesentlichen an die Schriften des Hauptvertreters der von mir bekämpften Richtung halten — Weismann — und wenn auch dieser schon von anderer und viel- leicht berufenerer Seite in ausgedehntester Weise kritisiert worden ist, so glaube ich doch, im Folgenden einigen Punkten in Weismann’s Theorien näher zu treten, die bisher noch nicht im Einzelnen geprüft worden sind. Ich muss bemerken, dass meine a. a.O. gegebenen Ausführungen über die Würdigung der drei letzten der genannten Prinzipien durch 1)10c. ©. D. 166, A 2) Dieselbe Ansicht habe ich beiläufig schon früher ausgesprochen, vergl. Grundzüge der marinen Tiergeographie, 1896, p.30 und Americ. Journ. of Sci. July 1896, p. 69. Zu A Ortmann, Ueber Keimvariation. 141 die Vorstellungen, die wir uns über die Entstehung der Variation machen, durchaus nicht berührt werden. Und in der That können wir finden, dass alle nicht in Vorurteilen befangenen Descendenz- - theoretiker — mögen sie nun sich mehr auf die Darwin’sche oder auf die Weismann’sche Seite neigen — es offen zugeben, dass beide Annahmen über die Entstehung der vererbbaren Variationen möglich und denkbar sind: die Entwicklung der Lebewelt geht genau nach denselben Gesetzen vor sich, mag nun das Material, das für die ver- schiedenen Agentien die Angriffspunkte bietet, die variierten Formen, durch Keimesvariation oder durch Veränderung im Soma des Indivi- duums geliefert werden. Wir können also, ohne dass die Wirkungsweise der Vererbung, Selektion und Separation dadurch beeinflusst wird, beide Ansichten als gleichberechtigt neben einander bestehen lassen — so lange wir sie eben nur als „Ansichten“, als „Annahmen“ betrachten, die weder bewiesen noch widerlegt sind, resp. weder bewiesen noch widerlegt werden können. Sobald wir jedoch diese Ansichten näher analy- sieren, d. h. nach einer causalen Erklärung für die Variation in jedem Falle suchen, dann liegt die Sache anders, und ich glaube durch eine solche Analyse nachweisen zu können, dass die Annahme einer Keimes- variation teilweis gänzlich allen logischen Anforderungen zuwiderläuft, teilweis, wo sie äußerlich in eine logisch zureichende Form gekleidet ist, direkt auf den Thatsachen widersprechenden Voraussetzungen beruht. I. Zuallererst müssen wir den Begriff der Keimvariation und über- haupt des Keimes uns völlig klar machen. Es ist das durchaus nicht überflüssig, da wir sehen werden, dass Weismann selbst diese Be- griffe nicht klar fasst, ja selbst thatsächlich Dinge als „Keime“ be- zeichnet, die unmöglich Keime sein können. Was ist Keimesvariation, und wie unterscheidet sie sich von anderer Variation? Die Keimesvariation wird vielfach auch mit anderen Namen be- zeichnet: man nennt sie auch „spontane“ oder „congenitale“, „ange- borene „Variation. Ersterer Ausdruck hebt aber gerade einen ange- nommenen Charakter derselben hervor, der, wie wir sehen werden, logisch sinnlos ist; der andere‘ kann zu Missverständnissen Anlass geben: der Ausdruck „Keimesvariation“ dürfte entschieden für die Sache vorzuziehen sein. | Wie in diesem Namen liegt, und wie es auch Weismann ver- standen haben will, unterscheidet sich die Keimesvariation von anderer Variation, der „somatischen“, dadurch, dass sie im Keim, im Gegen- satz zum Soma, stattfindet. Es ist dies der fundamentale Unterschied, den Weismann zwischen den Somazellen und den Keimzellen, dem somatischen und dem Keim-Plasma, macht. Bei dieser Ansicht, die schon von verschiedenen Seiten bekämpft wurde, am erfolgreichsten 4142 Ortmann, Ueber Keimvariation. wohl von O0. Hertwig!), halte ich mich nicht weiter auf, da es zu- nächst nicht von Belang ist, ob wir diese Unterschiede, die Weis- mann in das Keimplasma hineinlegt, anerkennen oder nicht. Was für uns hier wichtig ist, ist das, dass in der individuellen Entwicklung der Lebewesen ein steter Kreislauf sich vollzieht: vom Keim zum erwach- senen Geschöpf, das wieder Keime hervorbringt. Der Keim bildet so- mit in diesem Kreislauf ein gewisses Stadium, und zwar ist es beim Einzelwesen das allererste Stadium. Von dem elterlichen Individuum lösen sich beim Fortpflanzungsakt körperliche Teile ab, die entweder für sich allein, oder meist. nach Vereinigung mit einem ähnlichen, von demselben oder anderen Individuen abgelösten Teil (sexuelle Fort- pflanzung), die Anfänge, die Keime zu je einem neuen Individuum bilden. Sobald diese Ablösung vollzogen ist, resp. sobald die Ver- schmelzung solcher abgelösten Teile stattgefunden hat, liegt ein Keim vor. Dieser Keim entwickelt sich nun weiter. Er geht durch eine Reihe von Umänderungen durch, bis er schließlich zu einem Indi- viduum derselben Art wird, das sich dann weiter fortpflanzt. Das Wesen der Weiterentwicklung liegt nun in der organischen Verände- rung des Keimes. Die Keimzelle teilt sich, vermehrt sich, und bildet allmählich den Körper des neuen Individuums. Wann hört der Keim nun auf, ein Keim zu sein? Offenbar, sobald die erste Veränderung auftritt, sobald er sich thatsächlich entwickelt. Da diese Weiter- entwicklung — abgesehen davon, dass Ruhepausen eintreten können — jedenfalls kontinuierlich sich an die Keimbildung anschließt, so können wir sagen: sobald ein Keim sich gebildet hat, verliert er auch seine Eigenschaft als solcher, insofern in ihm Vorgänge stattfinden, die seine Weiterentwicklung bedingen. Der Ausdruck Keim wird somit zu einem abstrakten Begriff, er bedeutet nichts als den „Anfang“ in einer Ent- wicklungsreihe, und wir können nur dann von Keimen im konkreten Sinne sprechen, wenn wir uns denken, dass die Entwieklung im Mo- mente der Keimbildung sistiert wird. Es ist dies die einzig mögliche Auffassung für den Begriff des „Keimes“, da es absolut undenkbar ist, den Keim an einer beliebigen anderen Stelle der individuellen Ent- wicklung aufhören zu lassen. Dies also müssen wir festhalten, dass ein Individuum nur beim allerersten Anfang, im Augenblicke seines Entstehens, als Keim an- gesehen werden kann: in jedem späteren Stadium ist es eben kein „Keim“ mehr! Was kann nun „Keimesvariation“ sen? Natürlich nur eine solche Variation, die mit der Keimbildung zusammenfällt, die vor- handen ist, sobald der Keim fertig ist, nicht vorher, die aber auch nicht erst später eintritt. Die Keimesvariation kann nur eine Variation 1) Zeit- und Streitfragen der Biologie, Heft 1, 1894, S. 75 ff. Hertwig sagt (S. 76): „Nach unserer Auffassung ist der hervorgehobene Gegensatz nur künstlich in sie hineinphilosophiert worden“. Ortmann, Ueber Keimvariation. 143 sein, die in dem Augenblicke auftritt, wo die Existenz eines neuen In- dividuums beginnt. Die Annahme einer Keimesvariation bedeutet also, dass wir ein beliebiges, abweichendes Verhalten eines Individuums von seinen Artgenossen darauf zurückführen, dass in diesem Individuum als Keim, d. h. in dem Augenblicke, wo seine Existenz begann, plötz- lich dieses veränderte Verhalten auftrat, wenn auch nur potentiell. Es schließt diese Annahme es ausdrücklich aus, dass vor der Ent- stehung des „Keimes“, d. h. in seinen Erzeugern, diese Aenderung bereits vorhanden war, und ebenso wird dadurch ausgeschlossen, dass diese Variation nach der Keimbildung in irgend einem Stadium der individuellen Entwicklung eintreten kann). Die Behauptung nun, dass es eine solche „Keimesvariation“ giebt, führt uns sofort zu der Frage, wie eine solche Variation überhaupt denkbar ist, wie sie entstehen kann. Diese Frage lässt sich auf drei- fache Weise beantworten, und ist auch thatsächlich auf dreifache Weise beantwortet worden. II. Viele Forscher, die die Existenz einer „Keimesvariation“ an- nehmen, drücken überhaupt keine Ansicht darüber aus, wie diese ent- stehen mag. Man begnügt sich damit, die Variationsfähigkeit als eine charakteristische Eigenschaft des Keimplasmas und überhaupt der lebenden Substanz, als einen Teil des allgemeinen Lebensgeheimnisses anzusehen, und es wird dabei die weitere Annahme gemacht, dass bei dieser Variation äußere Einflüsse nicht mitspielen. Es heisst das mit anderen Worten: es ist dies eine Eigentümlichkeit der lebenden Sub- stanz, dass sie dazu fähig ist, zu variieren, und diese Fähigkeit be- thätigt sich in thatsächlicher Variation, sobald durch den Vermehrungs- oder Fortpflanzungsakt der Anfang eines neuen Individuums gegeben wird: durch die einfache Thatsache, dass ein Keim sich bildet, va- riiert die lebende Substanz, die das Wesen des neuen Geschöpfes ausmacht. Dieser letztere Satz, der unmittelbar aus der scharfen Definition des Keimes sich ergiebt, wird im allgemeinen von den Vertretern der Keimesvariation (ich nehme hier Weismann ausdrücklich aus) nicht erkannt. Es wird einfach angenommen, dass die Thatsache der- Va- riation in einer inneren, uns unverständlichen Eigenschaft der leben- den Substanz begründet, dass sie „spontan“?) ist, ohne dass man versucht, näher hierauf einzugehen. Wir werden hier einfach vor das berüchtigte „Ignorabimus“ gestellt. Wenn aber schon hier die Grenze 4) Wir sehen jetzt auch, warum der Ausdruck „kongenitale* oder „an- geborene“ Variation unklar ist. „Angeboren* macht die Variation vom Augen- blick der „Geburt“ abhängig, der aber für gewöhnlich in eine spätere Zeit fällt, wie die „Keimbildung*. 2) Diese Auffassung wird eben durch den Ausdruck „spontane“ Variation gekennzeichnet. 444 Ortmann, Ueber Keimvariation. des menschlichen Erkennens gezogen werden soll, und zwar nur einer willkührlichen Annahme zu Liebe!), so muss die Wissenschaft als solche energisch dagegen protestieren und muss verlangen, dass erst einmal der Versuch gemacht wird, die Frage der Entstehung der Va- riation von einer anderen Seite anzugreifen. Dazu kommt nun noch, dass eine derartige Annahme über den Ursprung der Keimesvariation logisch völlig widersinnig ist. Es handelt sich hier offenbar darum, die Erklärungsgründe für diese angenommene Thatsache der Keimes- variation aufzufinden. Die Erklärungsgründe zerfallen in zwei Haupt- kategorien: causae materiales und causae efficientes. Die hier be- sprochene Annahme behauptet nun, dass bei der Entstehung von Keimesvariationen nur die eine Kategorie mitspielt, die causwe materiales, nämlich die Eigenschaft der organischen Substanz, variieren zu können. Diese ecausa materialis — die ja von Jedermann als wirklich vorhanden angesehen werden muss — kann aber unmöglich die einzige sein, und es müssen unweigerlich causae efficientes ebenfalls mitwirken. Diese letzteren werden aber von den Vertretern dieser Ansicht überhaupt nicht berücksichtigt, ja sogar bisweilen ausdrücklich ausgeschlossen ?). 1) Diese Annahme wird vielfach nur gemacht, um sich mit der „herrschen- den“ Ansicht in der Biologie nicht in Widerspruch zu setzen, oder weil sie von anderen Autoren als Axiom aufgestellt wurde, die als „große Zoologen“, „geistreiche Denker“ einen Ruf haben! 2) Ein typisches Beispiel hierfür liefert F. v. Wagner in dem Artikel: Einige Bemerkungen zu O0. Hertwig’s Entwicklungstheorie (Biolog. Central- blatt, Nov. 1895, S. 777—784). Hertwig hatte den Unterschied der causa materialis und efficiens an einem Beispiel dargelegt (ohne jedoch diese termini technici anzuwenden). Wagner sah sich nun dazu veranlasst, gerade dieses Beispiel, das an Klarheit nichts zu wünschen übrig lässt, zu kritisieren, wobei er zu dem überraschenden Resultat kam, dass diese Unterscheidung eine falsche sei, dass nur die causae materiales als Ursachen anzusehen seien! Auf diese „vortreffliche Klarlegung“ durch Wagner bezieht sich nun Weismann in einer Anmerkung zu seiner Schrift „Ueber Germinalselektion“ (1896, S. 48, Anm. 2), indem er außerdem im Haupttext die Bemerkung macht: Hertwig habe die „Bedingungen“ und die „Ursachen“ der Entwicklung „verwechselt“, während doch thatsächlich Hertwig sein Beispiel nur anführt, um den Unter- schied, den Weismann hier zwischen „Bedingung“ und „Ursache“ entdeckt hat, dem Leser anschaulicher zu machen! — Dieselben nichtssagenden und unverstandenen Schlagworte („cause“ und „condition“) gebraucht v. Graff in dem Artikel: „Zoology since Darwin“ (Ann. Rep. Smithson. Institut, 1896, p. 486) und sucht so glauben zu machen, dass Hertwig widerlegt sei. — Uebrigens führt Weismann (Aeußere Einflüsse als Entwicklungsreize, 1894, S. 3) ein gauz analoges Beispiel an (Winterschlaf des Murmeltiers), indem er aufs Haar genau denselben Fehler macht, wie Wagner, und die Existenz von causae efficientes leugnet! Dass es ihm thatsächlich gänzlich entfallen ist, was eigentlich „causae efficientes“ sind, geht aus einer anderen Stelle der letzteren Schrift (S. 24) hervor, wo er die „causae efficientes“ für verschieden erklärt von dem „auslösenden Reiz“!!! ÖOrtmann, Ueber Keimvariation. 145 Das ist aber ein grober Verstoß gegen alle Grundsätze der Logik, und gerade auf diese Annahme, dass Keimvariation nur durch die Konstitution des Plasmas bedingt sei, bezieht sich meine in der Ein- leitung ausgesprochene Behauptung, dass diese „allen logischen An- forderungen zuwiderläuft“. III. Ich habe schon obeu angedeutet, dass Weismann — ohne sich indessen klar dessen bewusst gewesen zu sein!) — in den eben gerügten Fehler nicht verfallen ist. Er führt nämlich wirklich außer der causa materialis, der Konstitution des Keimplasma, eine causa efficiens bei der Keimesyariation ein. Er fragt sich, wie bei der von ihm angenommenen komplizierten Struktur des Keimplasmas es er- möglicht werden kann, dass thatsächlich Variationen entstehen, und kommt zu der unter seinen Voraussetzungen jedenfalls zulässigen An- nahme, das nirgends anders die Ursache zu suchen ist, als im Keim- bildungsorgane selbst: er führt die Entstehung der Variation auf die Fortpflanzungsvorgänge, und zwar zunächst auf die „Amphimixis“, (Kreuzung, Amphigonie) zurück. Ich werde jedoch hier nachzuweisen suchen, dass die von ihm angenommene Wirkungsweise der Amphimixis vollständig unrichtig ist, dass sie den Thatsachen widerspricht, kurz, dass die Amphimixis gerade das Gegenteil von dem bewirkt?), was Weismann von ihr verlangt, und ferner, dass selbst diese von ihm angenommene Wirkung unzureichend ist, die Entstehung der Variation zu erklären?). Weismann’s Vorstellung von der Wirkungsweise der Amphimixis ist die folgende. Mehrfach hebt er es ausdrücklich hervor, dass es sich bei der Konjugation oder Befruchtung „um eine Vermischung der Vererbungstendenzen zweier Individuen handelt“. Aus diesem Satz), dessen Richtigkeit wohl von Niemandem in dieser allgemeinen Fassung bestritten werden dürfte, leitet nun Weismann die Folgerung ab, dass durch diese Vermischung gerade neue Verschiedenheiten hervor- gerufen werden. Dieser letztere Satz, der nach der populären An- wendung der Begriffe „Vermischung“ und „Verschiedenheit“ geradezu absurd erscheint, ist aber, wie Weismann behauptet, die ganz natür- 1) Das geht zur Genüge aus der vorigen Anmerkung hervor! 2) Ich habe dies in der im Eingange erwähnten Schrift: 1. ce. S. 181 An- merkung, und schon früher, in: Grundzüge der marinen Tiergeographie, 1896, S. 30, angedeutet. 3) Dessen war sich Weismann wohl bewusst, und er giebt auch in späteren Arbeiten (vgl. unten S. 151 ff.) diese Auffassung der Amphimixis als „Quelle“ der Variation auf. Indessen ändert er nichts an seiner Ansicht über ihre Wirkungsweise, und es ist deshalb angezeigt, hierauf im Folgenden etwas näher einzugehen. „.4) Vergl. Amphimixis oder die Vermischung der Individuen, 1891, S. 127, und ebenda; S. 10 und 14. XVIH. 10 146 Ortmann, Ueber Keimvariation. liche Folgerung aus dem ersteren. Er schließt nämlich folgendermaßen: da die bei der Befruchtung sich vermischenden „Vererbungstendenzen“ der elterlichen Teile in jedem Individuum verschieden sind, so dass es kaum zwei Individuen geben dürfte, die dieselben Vererbungs- tendenzen enthalten, und da ferner auch die von jedem Individuum produzierten Sexualprodukte unter sich verschieden sind, so muss jedesmal das Resultat der Kreuzung ein anderes sein, d. h. die einzelnen fertigen Keime sind sämtlich von einander verschieden, und durch den wiederholten Vorgang der Amphimixis müssen immer wieder neue Keime mit neuen Variationen auftreten, so dass dieser Vorgang that- sächlich zu einer Variationsquelle wird. Weismann schließt dies Argument dann damit, dass er noch eine „causa finalis“ einführt'): die Aphimixis erweist sich durch diese ihre Wirkungsweise für das Bestehen der Art als nützlich, und deshalb ist sie zu einer in der Organismenwelt so weit verbreiteten Erscheinung geworden. Beide Ansichten Weismanns, die über die Wirkungsweise der Amphimixis einerseits, und die über ihren Nutzen andererseits, sind grundfalsch. 5 1. Nehmen wir an, dass alle Voraussetzungen Weismann’s über den Bau des Keimplasmas, besonders die Verschiedenheit der Vererbungstendenzen, richtig seien, und fragen wir uns dann, was wird wirklich geschehen, wenn Amphimixis einsetzt? Es ist sehr wohl denkbar, dass dann durch diesen Vorgang die verschiedenartigen Keim- plasmen in verschiedener Weise „durcheinander gemischt“ werden. Können aber so „neue“ Verschiedenheiten entstehen? Wie haben wir uns überhaupt das „Durcheinandermischen“ vorzustellen? Offenbar so, dass durch die Verschiedenheiten der elterlichen Sexualzellen und die verschiedenen einzelnen Kreuzungsakte die Möglichkeit von ver- schiedenartiger Kombination der Vererbungstendenzen gegeben wird: die fertigen Keime enthalten die Vererbungstendenzen der Eltern in den verschiedensten Kombinationen. Dabei ist aber hervorzuheben, dass sie nur solche Vererbungstendenzen enthalten können, die auch in den Eltern vorhanden waren. Finden sich die elterlichen Tendenzen zu solchen Kombinationen zusammen, so müssen diese Kombinationen 4) Es scheint Weismann völlig unbekannt zu sein, dass die causa finalis durchaus nicht genügt, das Vorhandensein einer Erscheinung in der Natur zu erklären. Das „Nützlichkeitsprinzip“ hat ja in seiner übertriebenen Selektions- lehre eine so ausgedehnte Anwendung gefunden, dass er sich völlig dabei be- ruhigt, wenn er die „Bedeutung“ eines Vorganges, d. h. seine „Zweckmäßig- keit“ erkannt zu haben glaubt: er übersieht es fast durchgehends, dass diese causa finalis nur das Bestehen einer Einrichtung erklärt, nicht aber deren Ent- stehen. — Vergl. hierzu (in Bezug auf den „Zweck“ der Amphimixis) Pfeffer, Die inneren Fehler der Weismann’schen Keimplasma-Theorie (Verh. Naturw. Ver. Hamburg, 1894), 8. 14 ff. | Ortmann, Ueber Keimvariation. 447 stets zu den möglichen gehören, d. h. sie können keine Elemente ent- halten, die vorher nicht auch in den Eltern vorhanden waren. Mit anderen Worten: die durch die Amphimixis herbeigeführten neuen Kombinationen müssen innerhalb der Grenzen der gegebenen Möglich- keit liegen, und die letzteren werden bestimmt durch die thatsächlich in den Eltern repräsentierten Verschiedenheiten. Für jede Kreuzung stellen also die beiden Eltern die äußersten Enden einer Kombinations- reihe dar, zwischen denen alle neuen Keimeskombinationen liegen müssen: die Keime sind intermediär zwischen den von den Eltern markierten Extremen. Sie sind allerdings nex, aber nur in einem be- schränkten Sinne, insofern sie neue Kombinationen von gegebenen Elementen darstellen: neue Elemente enthalten sie aber nicht. Wieder- holte derartige Kombinationen können nur ein Resultat haben: dass die extremen Formen der Kombination, die nahe den beiden Enden der Reihe liegen (d.h. dem einen oder dem anderen der beiden Eltern sich am stärksten nähern), allmählich immer seltener werden, dass dagegen diejenigen Kombinationen, die ungefähr in der Mitte zwischen beiden Extremen liegen, am zahlreichsten werden: diese letzteren ähneln sich untereinander ausserordentlich und müssen sich allmählich immer ähnlicher werden. Das Resultat der Amphimixis ist demnach, dass die reine Vererbungstendenz des Vaters oder der Mutter mehr und mehr verschwindet, dass an ihre Stelle eine gemischte Tendenz tritt, und dass bei fortgesetzter Amphimixis an Stelle der ursprünglich vorhandenen Extreme eine Reihe von Kombinationen tritt, die aller- dings von zahlreicheren unter einander verschiedenen Individuen ge- bildet wird, die aber sich unter einander viel näher stehen, als die Eltern sich unter einander standen. Es wird also allerdings die Zahl der Variationen vermehrt, aber die Stärke der gegenseitigen Ver- schiedenheit wird vermindert, und das bedeutet nichts anderes, als dass Amphimixis die bei den Eltern vorhandenen Verschiedenheiten auszugleichen sucht. Das ist aber gerade das Gegenteil von dem, was Weismann annimmt! Blicken wir uns in der Natur um, und untersuchen wir, ob dieser theoretisch abgeleitete Satz sich bestätigt! Da sehen wir, dass überall das Kind ein intermediäres Verhalten gegenüber den elterlichen Ver- schiedenheiten verkörpert: es neigt sich zwar bisweilen bald mehr nach der einen, bald nach der anderen Seite, wo aber bei den Eltern wirklich gegensätzliche Verschiedenheiten vorhanden sind, bildet das Kind stets eine Vermittelung derselben. Die besten und einleuchtendsten Beispiele hierfür finden wir bei der Bastardbildung, wo die Ver- schiedenheit der „Vererbungstendenzen*“ der Eltern offenbar das Maximum erreicht, bei dem überhaupt noch Amphimixis möglich ist. Was ist nun das Resultat der Amphimixis, z. B. von Pferd und Esel? Doch wohl stets ein Maultier oder Maulesel! Niemals etwas anderes! 10* 148 Ortmann, Ueber Keimvariation. Nun ähneln sich doch aber diese Kreuzungsprodukte sicher mehr unter einander, als Pferd und Esel sich ähneln; das ist es aber, was wir nach unserer theoretischen Betrachtungen verlangen müssen. Der Unterschied zwischen Pferd und Esel wird durch Vermischung beider abgeschwächt, es entstehen intermediäre Geschöpfe, die ja allerdings neu sind, die aber alle unter einander sich ähnlicher sind, als die Eltern es waren, und die alle etwas Gemeinsames haben, dass sie nämlich intermediär zwischen den Eltern sind. Eine fortgesetzte und allgemeine Kreuzung der Pferde und Esel der Welt würde bald die reinen Stammformen verschwinden lassen, an deren Stelle dann eine Mischform tritt. Ist es etwa denkbar, dass aus der Kreuzung von Pferd und Esel etwas „Neues“ entstehen könnte, etwas, das nicht Maultier oder Maulesel ist, und das dann, wie Weismann es will, von der Selection ergriffen und weiter gezüchtet werden kann, weil es eventuell befähigt sein mag, an andere Lebensbedingungen sich anzupassen, wie die sind, auf die Pferd und Esel angewiesen sind? Kann aus der Kreuzung der letzteren ein Zebra, eine Kuh oder ein Pegasus hervorgehen? Kann bei der Kreuzung eines Weissen und eines Negers ein Eskimo oder Neuseeländer entstehen? Die Thatsache, dass Amphimixis nur eine Abschwächung der Verschiedenheiten der Eltern bewirkt, und dass sie stets ein bestimmtes, zwischen den Eltern in Bezug auf deren Verschiedenheiten intermediäres Produkt hervor- bringt, ist jedenfalls über jeden Zweifel erhaben, und im vollsten Um- fange durch die wirklich in der Natur vorkommenden Beispiele erhärtet!). Die Weismannsche Ansicht über die Wirkungsweise der Amphi- mixis widerspricht also den Thatsachen. Es muss ferner noch darauf hingewiesen werden, dass sich Weismann auch mit sich selbst in Widerspruch setzt, und zwar ın einer Weise, die für seine Gewohnheit zu denken ganz charakteristisch ist. Nach ihm wirkt die sogenaunte Panmixie so, wie ich es oben für die Amphimixis angegeben habe: gewisse variierende Charaktere werden unter gewissen Umständen durch die Wirkung der Kreuzung mehr gleichmäßig gemacht. Weismann stellt es so dar: wenn Plus- und Minus-Variationen eines Charakters unter gewissen Umständen zur Kreuzung kommen, so verschwinden allmählich die Plus-Variationen, „sie sinken von ihrer Höhe herab“, und wenn noch mehr Minus- Variationen vorkommen, die in die Amphimixis eintreten, so tritt in Bezug auf den betreffenden Charakter eine Reduktion ein: er sinkt immer tiefer. Das ist genau dasselbe, was wir oben für die Amphimixis festgestellt haben, nur in anderen Worten ausgedrückt. Ich halte des- halb auch diese Auffassung der Panmixie im Weismann’schen 1) Vergl. Proc. Americ. Philosoph. Soe., Aug. 1896, p. 181 Anmerk., und das ebenda gegebene Citat aus Darwin, Ortmann, Ueber Keimvariation. 149 Sinne für durchaus richtig‘). Wie unterscheidet sich die letztere nun aber von der Amphimixis? Weismann sagt selbst?): „Ich verstehe bekanntlich unter Panmixie die Wirkung des Aufhörens der Selektion in Bezug auf einen Teil“. Wo liegt denn hier nun der Unterschied’? Nach Weismann’s eigner, und mehrfach wiederholter?) Versicherung im Selektionsvorgang! Aber nicht in der Form der Kreuzung, der Amphigonie! Die Amphimixis soll also nach Weismann durch die Kreuzung aus gegebenen Verschiedenheiten neue Verschiedenheiten bilden, die Panmixie dagegen durch Kreuzung gegebene Verschieden- heiten abschwächen, und letzteres soll deshalb möglich sein, weil gewisse Individuen, die im ersten Fall in Folge von Charakteren, die ihre Vernichtung bedingen, nicht an der Kreuzung Teil nehmen, im letzteren Falle zugelassen werden! Im ersteren Falle werden ge- wisse Variationen von der Kreuzung ausgeschlossen, im zweiten werden sie zugelassen, und deshalb hat in beiden Fällen die Kreuzung selbst eine gegenteilige Wirkung! Der Kreuzungsvorgang an sich ist in beiden Fällen absolut derselbe, nur ein vorangehender Vorgang, der der Selektion, der mit der Kreuzung sonst gar nichts zu thun hat, war verschieden! Weismann kommt also thatsächlich hier dazu, folgende Absurdität als richtig anzunehmen: Amphimixis wirkt, wenn eine gewisse, durch Naturzüchtung beschränkte Zahl von Variationen vorhanden ist, eben durch die Kreuzung solcher Variationen, die da sind, als Erzeugerin von neuen Variationen; wenn dagegen durch Aufhören der Naturzüchtung, bei der Panmixie, noch weitere Variationen zur Kreuzung zugelassen werden, dann tritt die gegenteilige Wirkung ein, dann werden — anstatt dass nun noch mehr „neue“ Variationen entstünden, wie man erwarten sollte — jene nunmehr vorhandenen Variationen ausgeglichen! 2) Wie steht es nun mit dem angeblichen Nutzen, der nach Weismann’s Annahme in der Amphimixis liegt? Er sagt, dass diese für die Existenz der Art, für ihre Anpassungsfähigkeit an neue Existenz- bedingungen von Wichtigkeit ist‘). Das heißt weiter nichts anderes als: für die Existenz der Art ist es vorteilhaft, wenn sie sich an neue Existenzbedingungen anpasst, und deshalb ist es für sie nützlich, wenn möglichst viel Individuen und diese in möglichst mannigfacher Weise vom normalen Verhalten abweichen, da diese abweichenden 1) Es liegt aber immerhin noch in den Ausführungen Weismann’s über die Panmixie ein Fehler: er unterscheidet nämlich nicht das Optimum und Maximum, an einer Stelle sagt er sogar direkt, dass das Maximum auch stets das Optimum sei. 2) Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, 1895. 8.7. 3) Vergl. ibid. S.14; Ueber Germinal - Selektion, 1896, S. 34. 4) In: Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung, 1886, S.55, spricht er von dem „unermesslichen Vorteil der Anpassungsfähigkeit der Artan neue Existenz- bedingungen“. 450 Ortmann, Ueber Keimvariation. Exemplare gerade die sind, die sich eventuell an die neuen Be- dingungen gewöhnen, und dann durch Selektion erhalten . bleiben können. Es setzt dies voraus, dass solche neuen Bedingungen stets vorhanden sind, dass gewissermaßen für die Art die Notwendigkeit vorliegt, sich umzuändern. So haben wir uns die Lage der Dinge doch wohl nicht vorzustellen. Für den Bestand einer Art ist es zu- nächst wichtig, dass die äußeren Existenzbedingungen, denen dieselbe angepasst ist, bestehen bleiben und letzteres ist im Allgemeinen der Fall, d. h. die Veränderungen in der Umgebung sind — wie ja jetzt von kompetenter Seite allgemein angenommen wird — ausserordent- lich langsam. Eine zweite Bedingung für die Fortexistenz einer Art ist es, dass ihre Individuen an diese Bedingungen angepasst sind, d. h. dass sie eine gewisse Summe von Merkmalen zeigen, die eben diese Anpassung kennzeichnen, und dass diese Merkmale möglichst unverändert bleiben, da eventuell irgend eine Abweichung schädlich werden könnte. Und ferner ist es wichtig, dass jede Art aus einer möglichst großen Zahl von solchen gleichmäßig angepassten Individuen besteht: eine Art, die in zahlreichen Individuen vorhanden ist, ist eben eine blühende, kräftig existierende; gerade die Individuenzahl ist eines der Kriterien der Existenzfähigkeit, und ein Zurückgang der Art, ein beginnendes Aussterben zeigt sich zuallererst an der Ab- nahme der Zahl der Individuen!). Somit gelangen wir gerade zu dem Gegenteil von dem, was Weismann für vorteilhaft für den Bestand der Art ansieht, und wohl Jedermann dürfte es zugeben, dass es für die Fortexistenz irgend einer Tierform am vorteilhaftesten ist, wenn sie von möglichst vielen und gleichmäßigen Individuen repräsentiert wird, und dass es schädlich sein würde, wenn möglichst viele Indi- viduen durch Keimesvariation in Folge von Amphimixis von dem normalen Verhalten abweichen. Der Weismann’sche Satz von dem Nutzen, der in der Amphimixis liegen soll, ist also völlig ungerecht- fertigt, und dies springt noch mehr in die Augen, wenn man ihn in eine etwas andere Form fasst. Weismann sagt nämlich thatsächlich mit diesem Satz: Für die Existenz einer Art ist es am vorteilhaftesten wenn sie sich verändert, oder: das Bestehenbleiben einer Art wird am besten gesichert, wenn die Art nicht bestehen bleibt! Zu solchen Ab- surditäten führt die Analyse gewisser Weismann’scher Behauptungen! ?). Nach dem, was wir oben gesehen haben, bewirkt die Amphimixis gerade das Gegenteil, nämlich ein Ausgleichen von etwa vorhandenen Abweichungen, und gerade hierin liegt ihre „Bedeutung“. In der „Er- 1) Gelegentlich kann gerade die Abnahme der Zahl die Ausrottung herbei- führen. Vergl. Stejneger’s Ansicht über das Aussterben der Labradorente (Camptolaimus labradorius), zitiert von Lucas, in: Rep. U. S. Nation. Mus. for 1889, 1891, p. 637. 2) Vergl. Pfeffer Il. ce. 8.15: „in dem gegenwärtigea Kampf ums Dasein sollen die Eigenschaften der zukünftigen Nachkommenschaft Vorteil bringen“! Ortmann, Ueber Keimvariation. 151 haltung des Durchschnitts“!) liegt der Nutzen, die causa finalis der Amphigonie, die Ursache, warum die sexuelle Fortpflanzung in der Organismenwelt eine so weit verbreitete Erscheinung ist. . Weismanns Einführung der Amphimixis, um das Entstehen der Keimesvariation zu erklären, beruht also auf falschen Voraussetzungen über das Wesen der Amphimixis. Hierzu kommt aber dann noch, dass die Annahme des Entstehens der Keimesvariation durch Amphimixis, die Bezeichnung letzterer als „Variationsquelle“, logisch mangelhaft ist: Es handelt sich hier um die Erklärung von Verschiedenheiten, wir wollen wissen, wie die Verschiedenheiten der Keime entstehen, und wenn dann Weismann uns sagt, dass die Amphimixis diese Verschiedenheiten dadurch erzeugt, dass sie mit verschiedenem Material arbeitet, so müssen wir dann sofort weiter fragen: wo kommt dieses verschiedene Material her. Nach Weismann’s Ansicht kann die Amphimixis nur bereits vorhandene Verschiedenheiten benutzen, kann sie verändern, komplizieren, vermehren, jedenfalls aber erzeugt und schafft?) sie dieselben nicht. Die Frage nach dem Entstehen der Variationen bleibt also bei dieser Annahme völlig ungelöst, und schon aus diesem Grunde ist die Amphimixis-Theorie Weismann’s zu verwerfen. IV. Es ist schon oben darauf hingewiesen worden, dass Weis- mann sich dieser Unzulänglichkeit seiner Amphimixis-Theorie bewusst geworden ist. Alle seine Ansichten beziehen sich auf seine fundamentale Annahme, dass vererbbare Variationen nur im Keim auftreten, und dass dieselben niemals auf Veränderungen des Soma der Eltern zurück- zuführen seien, oder anders ausgedrückt: dass die Ursache der Keimes- variation nicht in den Eltern, in der Beeinflussung der Eltern durch äußere Einflüsse liegen könne. Dass diese Annahme thatsächlich die Grundlage seiner ganzen Theorie ist, giebt Weismann selbst direkt zu®). Aber diese Ansicht hat sich bei ihm im Laufe der Zeit ganz erheblich geändert. Es ist interessant, zu sehen, wie er dem Gegen- teil mehr und mehr Konzessionen macht, und schließlich sich in einem 1) Vergl. Grundzüge der marinen Tiergeographie, S. 32. 2) Der Anfang einer der neuesten Schriften Weismann’s (Germinal- Selektion, 1896, S. 1) lautet: „Wie viele... . Einwürfe sind nicht gegen die Selektionstheorie erhoben worden... .. Von dem .... Poltern Richard Owen’s an.... bis zu der Opposition unserer Tage hin, die da meint, Selektion könne nicht schaffen, sondern nur verwerfen, und die nicht zu sehen vermag, dass sie eben gerade durch das Verwerfen wirklich schaffend wirkt“. In den letzten, von mir hervorgehobenen Worten — die ja allerdings eine schöne rhetorische Wendung bilden — liegt aber derselbe, oben schon ange- deutete Fehler, und es ist charakteristisch, dass Weismann mit einem solchen Fehler glauben machen will, er habe jene Einwürfe gegen seine Selektionslehre vernichtet! 3) Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, 1895, Vorwort S. IV. 152 Ortmann, Ueber Keimvariation. Gedankengang bewegt, der absolut auf Lamarck-Darwin’schem Boden steht!): allerdings versucht er dabei stets noch den Schein zu wahren, als handele es sich dabei um seine alte Theorie der Keimesvariation. Den ersten Schritt in dieser allmählichen Aenderung seiner Mei- nung that Weismann bereits im Jahre 1886. Er deutet nämlich an?), dass äußere Einflüsse direkt die Keimzellen treffen und Ab- änderungen des Keimplasmas hervorrufen können. Er widmet diesem Gedanken jedoch keine besondere Diskussion, sondern begnügt sich mit dem sehr subjektiven Urteil, dass er dies „nicht ganz in Abrede“ stellt, aber „glaubt“, „dass sie (die äußeren Einflüsse) am Zustande- kommen erblicher individueller Ckaraktere keinen Anteil haben“. Dieser Satz, der an und für sich äußerst unklar ist, ist indessen in einer Hinsicht interessant; er schließt hier ausdrücklich die Wirksam- keit der „äußeren Einflüsse“ aus. Eine viel bestimmtere Ansicht spricht Weismann dann in seinem großen Werke: Das Keimplasma, 18923), aus. Zunächst ändert er hier ausdrücklich seine Meinung in Bezug auf die Amphimixis als „Variationsquelle*: sie ist jetzt nur noch für die „Erhaltung und stete Umgestaltung“ (der individuellen Variabilität) „zu den für die Selektion erforderlichen Mischungen“*) von Bedeutung. Die „letzte Wurzel“ der individuellen Variabilität liegt indessen „in einer direkten Einwirkung der äußeren Einflüsse aufdie Biophoren und Determinanten“?°). Zu dieser Ansicht kommt er auf Grund seiner Experimente über Wärmewirkung auf Schmetterlinge, und er giebt zu, dass es hier thatsächlich das „Ansehen“ habe, als ob sich erworbene Eigenschaften des Soma vererben, d. h. das Soma wird durch gewisse äußere Ein- wirkungen verändert, und die folgenden Generationen zeigen dieselben Veränderungen. Nach seiner Meinung beruht aber das Auftreten dieser selben Veränderungen in folgenden Generationen nicht darauf, dass die somatischen Abänderungen der Eltern direkt auf die Nachkommen übertragen werden, sondern dass®) „der abändernde Einfluss“ sowohl „einen Teil des Somas“ als auch „das Keimplasma der in dem Tier enthaltenen Keimzellen“ trifft. Jene Abänderungen des Somas über- tragen sich nicht, wohl aber die des Keimplasmas. Es variieren also Soma und das Keimplasma der Keimzellen unabhängig von einander, aber parallel und gleichzeitig mit einander, aber nur die Variation des Keimplasmas ist für die Veränderung der Nachkommenschaft maßgebend. 1) Ich sehe davon ab, dass er die Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften für einzellige Organismen voll und ganz zugiebt, vergl. Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektionstheorie, 1886, S. 38. 2) Ibid. S. 26. 3) Besonders Kapitel 14 ff. 2).1..0,58. BALL 9) 1. 0.. 8.9044. 5). c. 8. 026. Ortmann, Ueber Keimvariation. 153 Es ist schon früher, durch Lester Ward, behauptet worden, dass diese Ansicht Weismann’s auf dem Boden der Lamarck- Darwinschen Theorie steht. Weismann verwahrt sich allerdings hiergegen'), indem er einfach sagt, dass Lester Ward „sich irre“. Trotzdem halte ich diese Ansicht durchaus für richtig, und werde dies hier beweisen. Was die Lamarck-Darwin’sche Theorie behauptet, ist weiter Nichts, als dass äußere Einflüsse, die auf ein Individuum wirken, Aenderungen in der organischen Beschaffenheit desselben herbeiführen können, und dass diese Aenderungen vererbbar seien, d. h. in den folgenden Generationen wieder auftreten können. Dies ist aber jetzt genau die Ansicht von Weismann. Um sein Beispiel anzuführen‘°): Bei dem Schmetterlinge Polymmatus phaeas bewirkt erhöhte Tempe- ratur (äußerer Einfluss) ein Auftreten von schwärzlicherer Färbung (Aenderung der organischen Beschaffenheit), und Weismann glaubt ferner, dass diese Eigenschaft (schwärzere Färbung) bei den folgenden Generationen infolge jener Temperaturerhöhung wieder auftreten kann. Soweit deckt sich Weismann’s Ansicht absolut mit der Lamarck- Darwin’schen Theorie. Sie ist indessen doch nicht völlig identisch mit ihr, da nämlich Weismann einen Schritt weiter geht. Die Theorie von der Vererbung erworbener Eigenschaften behauptet weiter nichts, als dass die Wirkungen solcher äußeren Einflüsse bei der folgenden Generation wieder erscheinen können; wie dies möglich ist, darüber sagt sie zunächst nichts weiter aus, als dass „Vererbung“ hierbei im Spiele sei. Die Weismanns’che Annahme behauptet genau dasselbe, nur geht sie weiter, und sagt etwas über das „Wie?“ aus, indem sie eine Theorie darüber giebt, wie wir es uns zu denken haben, dass diese „Vererbung“ vor sich geht. Weismann setzt sich also durchaus nicht mit der Theorie der Vererbung erworbener Eigenschaften in Widerspruch, sondern nimmt sie voll und ganz an, dagegen wider- spricht er anderen Theorien, die über das „Wie“ der Vererbung auf- gestellt worden sind, und zunächst würden wir hier an die Pangenesis- Theorie Darwin’s zu denken haben, und ferner widerspricht er durch- aus seiner älteren Ansicht, die ausdrücklich die Wirksamkeit äußerer Einflüsse als Ursachen der Veränderung in Abrede stellt. Nach dieser Ansicht findet zuerst Variation der Keime statt, und dann erst erfolgt eine Anpassung der Variationen (durch Selektion); jetzt sind die äußeren Verhältnisse die direkte Ursache der Variation. Wir müssen hierbei noch etwas verweilen, da dieses Ueberein- stimmen Weismann’s mit einer Theorie, die er von Anfang an ver- worfen hatte, und die er immer noch bekämpft, trotzdem er sie voll und ganz acceptiert hat, höchst interessant ist. Weismann leugnete die Vererbung erworbener Eigenschaften, er leugnete es, dass die 2, %: c, 8.056, 2) Vergl. 1. c. S. 524. 154 Ortmann, Ueber Keimvariation. Veränderungen, die wir bei irgend welchen Tieren erblich auftreten sehen, als Wirkungen äußerer Einflüsse anzusehen seien. Dies war der Grundgedanken aller seiner Theorien. Die Frage nach der Ent- stehung vererbbarer Variationen beantwortete er dann dahin, dass er eine Keimesvariation annimmt. Nach ihm variieren zuerst die Keime, und dann erst erfolgt durch Selektionsprozesse die Anpassung an die äußeren Existenzbedingungen, eine Annahme, die der anderen Theorie, die die äußeren Existenzbedingungen zur Ursache der Variation macht, direkt entgegengesetzt ist. Was nun Weismann unter Keimesvariation versteht, sagt er nirgends ausdrücklich. Es ist äusserst wichtig, dies zu konstatieren, da in der ungenügerden Klarheit hierüber der ganze Fehler versteckt ist, wie wir gleich sehen werden. Aus Weismann’s Amphimixis-Theorie haben wir indessen zu entnehmen, dass er that- sächlich den Begriff des Keimes so fasste, wie wir ihn oben definiert haben, d. h. als den Anfang eines neuen Individuums. Durch die Amphimixis sollen die Keime gebildet werden, und zwar soll 'es in der Wirkungsweise der Amphimixis liegen, dass verschiedene, variierte Keime produziert werden, so dass thatsächlich mit dem neuen Keim der Anfang eines neuen Individuums und eine neue Variation gegeben wird. Diese letztere Ansicht wurde aber schließlich für Weismann selbst unhaltbar, und nun giebt er es zu, dass äußere Einflüsse bei der Entstehung einer vererbbaren Variation von Wirkung sein können; bei dieser vererbbaren Wirkung darf aber nun und nimmer das Soma der Eltern beteiligt sein, das würde einem Teil seiner grundlegenden Annahme widersprechen, und Weismann sucht sich nun aus diesem Dilemma zu retten, indem er behauptet, die Wirkung der äußeren Einflüsse erstrecke sich auf das Keimplasma der in dem Muttertier enthaltenen Keimzellen. Dieses Keimplasma ist nun von ihm genügend definiert worden, und wir wissen genau, was er sich darunter vor- stell. Wir wissen aber auch, dass dies „Keimplasma“ sich durchaus nicht mit den „Keimen“ deckt, und dass die „Keimzellen“ auch nicht mit den „Keimen“ im obigen Sinne identifiziert werden können. Aus der „Keimesvariation“ wird jetzt eine „Keimplasmavariation“! Im Gegensatz zur ersteren, die nur im Keim, d. h. beim Anfang eines neuen Individuums stattfinden kann, kann die letztere jederzeit, also auch in dem im elterlichen Tier vorhandenen Keimplasma eintreten, denn nach Weismann ist ja dies Keimplasma kontinuierlieh, geht ununterbrochen, aber auch unabhängig und unbeeinflusst vom Soma durch die Reihen der Generationen hindurch. Hiermit hat Weismann seine Ansicht vollkommen geändert. Nicht mehr die Keime variieren, die Variationen sind nicht mehr „an- geboren“, sondern dieselben können zu jeder Zeit in einem Individuum auftreten, indem sich das in ihm befindliche „Keimplasma“ ändert. Und ferner sind die Variationen nicht mehr „spontan“, nicht mehr unabhängig von den äußeren Verhältnissen, sondern sie werden durch Ortmann, Ueber Keimvariation. 155 die letzteren direkt verursacht und geleitet. Durch diese Aenderung seiner Ansicht stellt sich Weismann vollkommen auf den Boden der Lamarck-Darwin’schen Theorie, denn er nimmt jetzt den Grund- gedanken der letzteren an, dass nämlich die äusseren Einflüsse als Ursachen der Veränderungen anzusehen sind, und dass diese Verände- rungen bei den Nachkommen wieder auftreten können. Die letztere Erscheinung, die für gewöhnlich durch das Wort „Vererbung“ charak- terisiert wird, wird nun von Weismann weiter erklärt, und zwar mit Hilfe seiner Keimplasmatheorie, die somit — wie es auch der Titel seines großen Werkes angiebt — eine „Theorie der Vererbung“ ist, sonst aber auf die Theorie über die Entstehung der Variation keinen weiteren Einfluss hat. Weismann ist sich offenbar über die Schwenkung, die er that- sächlich ausgeführt hat, durchaus nicht klar geworden. Er hebt es allerdings hervor, dass er nunmehr den „äußeren Einflüssen“ eine gewisse Rolle zugesteht, aber die Substitution der „Keimplasmavaria- tion“ für die „Keimesvariation“ geschieht ganz unversehens, und somit hat es äußerlich den Anschein, als ob noch seine ursprüngliche Ansicht unverändert oder nur schwach modifiziert beibehalten wäre. Ja, in einer der allerneuesten Arbeiten!) geht er direkt auf seine alte Auf- fassung zurück. Dort giebt er nämlich die Wirkung äußerer Einflüsse auf die Eltern zu, aber er erklärt die Vererbbarkeit derartiger Aende- rungen dadurch, dass „auf solche Reize der Organismus vorher ein- gerichtet“ (S. 16) ist, und dass „der Schein einer Umwandlung durch äußere Einflüsse entstehen kann, während dieser Einfluss... . doch nur die Rolle des auslösenden Reizes spielt“ (S. 18), während „die eigentliche Ursache in der Abänderung der Keimesanlagen, hervor- gerufen durch Selektionsprozesse“ liegt. Nun, dies ist eben seine alte Ansicht, nur etwas konfus?) ausgedrückt. Dann sprieht Weismann wieder in seiner „Germinalselektion“?) durchweg von Vorgängen, die im Keimplasma, während der Entwicklung, stattfinden, aber nicht mehr von der Keimesvariation, wie sie oben definiert wurde. Hier steht er also wieder auf dem Standpunkt, den er im „Keimplasma“ (1892) ver- trat. Aus dem allen dürfte aber hervorgehen, dass — obgleich sich Weismann über seine eignen Ansichten noch nicht recht klar ge- worden ist — er doch, trotz aller Schwankungen, neuerdings sich ent- schieden dahin neigt, die Wirksamkeit der äußeren Einflüsse auf die Entstehung der Variation anzuerkennen, und dass er somit sich in 4) Aeußere Einflüsse als Entwicklungsreize, 1894. 2) Die Konfusion liegt in dem Gegensatz von „auslösender Reiz“ und „eigentlicher Ursache“: erstere würde also eine „uneigentliche Ursache“ sein, die in der Logik unbekannt ist. Wie er sich die Abänderung der „Keimes- anlagen“ (hier ebenfalls ein unklarer Ausdruck!) durch „Selektionsprozesse“ denkt, ist vollkommen unverständlich. 3) Ueber Germinalselektion, 1896. 156 Ortmann, Ueber Keimvariation. Uebereinstimmung bringt mit der Lamarck-Darwin’schen Theorie. Dies berührt seine Vererbungstheorie nicht, und dieselbe würde even- tuell neben der Lamarck-Darwin’schen Theorie, die sich auf die Entstehung der Variation bezieht, bestehen können. Ihre Annehmbar- keit hängt aber davon ab, ob wir Weismann’s Vorstellungen über das Keimplasma acceptieren. Ich gehe auf diese Frage hier nicht weiter ein, verweise jedoch auf Hertwig’s Diskussion !) derselben, in der die „Keimplasmatheorie“ schwer erschüttert wird. Wir sind zu einem, fast möchte man sagen, unerwartetem Ergebnis gekommen. Wir haben gesehen, dass der Hauptvertreter der Theorie von der Keimesvariation seine Ansichten mit der Zeit so umgeändert hat, dass er schließlich thatsächlich mit der von ihm so lange und so heftig bekämpften Theorie der „Gebrauchsvererbung“ in Ueberein- stimmung gekommen ist. Allerdings sträubt er sich dagegen, diese Thatsache anzuerkennen, ich habe aber oben nachzuweisen gesucht, dass nur in Betreff der Frage der „Vererbung“, aber nicht mehr in Betreff derjenigen der „Entstehung der Variation“, Weismann sich von den älteren Theoretikern (besonders Darwin) unterscheidet. Weis- mann giebt es vollkommen zu, dass äußere Einflüsse („bionomische Einflüsse“) derartig ein Tier verändern können, dass die Abänderungen bei den Nachkommen wieder erscheinen. Wie dies geschieht, dafür hat er seine eigne Theorie. Zu dieser Meinungsänderung wurde offenbar Weismann dadurch gedrängt, dass er die Unhaltbarkeit seiner Amphimixis-Theorie einsah, und ich habe oben ausführlich auseinandergesetzt, dass diese Theorie die Entstehung von Variationen nicht erklären kann. Es bleibt also nur noch die einfache Annahme der Existenz von „spontaner“ Keimes- variation übrig, die auch thatsächlich von einzelnen Autoren gemacht wird, und von dieser habe ich gezeigt, dass sie unserem logischen Bedürfnis nicht genügen kann, ja gerade ein wesentliches logisches Erfordernis ausdrücklich ausschließt. Wie wir die Sache auch drehen und wenden, die Idee der Existenz einer Keimesvariation, des Auftretens von neuen Abänderungen in den Keimen neuer Individuen, unabhängig von einer eventuellen Beein- flussung der Eltern, ist ein Unding, und sie bewegt sich entweder in einem logisch unzureichenden Gedankengang, oder — wo man formell versucht hat, dem Bedürfnis unserer Denkgesetze zu genügen — da beruht sie auf ganz verkehrten, den Thatsachen widersprechenden Voraussetzungen. Das heißt mit anderen Worten: nach dem Stande unserer jetzigen Kenntnis und auf Grund unserer Regeln des Denkens ist der Begriff der Keimesvariation, des ersten Auftretens von Varia- tionen im Keim, eine Unmöglichkeit. Es bleibt uns also nichts weiter übrig, als zu der anderen Theorie zurückzukehren, die aussagt, dass 1) Zeit- und Streitfragen der Biologie, Heft 1, 1894. Auerbach, Ueber Paludina vivipara. 457 neue Variationen dadurch entstehen, dass die äußeren Existenzbeding- ungen die Individuen während ihrer Lebenszeit umändern, und dass diese Veränderungen auf die Nachkommen übertragen, d. h. vererbt werden können. Wie dies geschieht, das ist eine andere Frage. Ich will zum Schluss versuchen, die obigen Resultate in aphoristi- scher Form zu kondensieren, indem ich nochmals betone, dass es sich um die Frage nach der Entstehung der Variationen handelt, der Variationen, die durch Vererbung fixiert, durch Naturzüchtung erhalten, und durch Separation zu getrennten Arten ausgebildet werden können!). 1. Jede neue Abweichung eines Individuums vom normalen Ver- halten der Art ist zurückzuführen auf eine Reaktion des Organismus auf äußere Einflüsse (bionomische Bedingungen), denen das Individuum während seiner Lebenszeit ausgesetzt ist. 2. Gleiche Eltern produzieren gleiche Nachkommen. 3. Sind in den Keimen bereits Verschiedenheiten vorhanden, so muss die Ursache hierfür in den Eltern liegen: es fand also schon Vererbung statt. Eine spontane Keimesvariation, ohne entsprechende vorangehende Beeinflussung der Eltern ist unmöglich. 4. Die Möglichkeit einer Vererbung der von den Eltern erworbenen Veränderungen muss zugegeben werden. Princeton University, October 1897. [118] Leopold Auerbach, Untersuchungen über die Spermatogenese von Paludina vivipara. Jenaische Zeitschr. f. Naturwissenschaften, Bd. XXX, N. F,, XXIII, S. 405. Derselbe, Zur Entstehungsgeschichte der zweierlei Samen- fäden von Paiudina vivipara. Jahresbericht der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur. Zoologisch-botanische Sektion. Sitzung vom 5. März 1896. Auf den merkwürdigen Dimorphismus der Samenfäden unserer ein- heimischen Wasserschnecke: der Paludina vivipara hat Siebold vor nunmehr 60 Jahren bereits hingewiesen. Er unterschied die beiden Arten von Samenfäden als „haarförmige“ und „wurmförmige“. Verf. hatte schon früher diese Objekte mit seinen rotblauen Doppelfärbungen behandelt (s. die Arbeit des Verf.: Ueber einen sexuellen Gegensatz in der Chro- matophilie der Keimsubstanzen. Sitzungsber. der Berl. Akad. d. Wissen- schaften, 1891, referiert in diesem Centralblatt, Bd. XI, Nr. 23) und ge- funden, dass die haarförmigen Spermien in ihren tinktionellen Reaktionen sich ganz ebenso verhalten wie alle anderen normalen Samenfäden, indem der spiralige Kopf sich blau, der Schwanz rot färbt, dass hingegen an der großen wurmförmigen Art der Samenfäden nicht der kleinste blau- gefärbte Teil zu finden ist. Aber gerade der die blaue Farbe annehmende Teil aller Samenkörper besteht nach des Verf. Forschung aus den wesent- lichen spezifischen Substanzen des Zellkernes, der vom Verf. sog. kyano- philen Kernsubstanz, und aus ihrem Fehlen in den wurmförmigen Elementen durfte man auf einen Mangel an befruchtender Kraft derselben schließen. Dies stimmt auch mit den früheren Ermittelungen Brunn’s, nach welchen die wurmförmigen Spermien überhaupt nicht in Eier eindringen. Um diesen Fragen genauer nachzuforschen, unternahm Verf. eine sorgfältige Untersuchung der gesamten Spermatogenese von Paludinaq 1) Vergl. Proc. Americ. Philos. Soc., Aug. 1896, p. 188, 458 Auerbach, Ueber Paludına vivipara. vivipara. Verf. benützte hierbei meistens seine bekannten Doppelfärbungen und stellte seine Untersuchungen teils an Schnitten, teils an Ausstrich- bezw. Zupfpräparaten an. Das Hodengewebe von Paludina setzt sich aus schlauchförmigen Blindsäcken zusammen, deren Wandung zu äußerst, abgesehen von sehr dünnen zwischen den Schläuchen sich hinziehenden Bindegewebsschichten, von einer fast homogenen, mit sparsamen Kernen besetzten Haut gebildet wird. Die Innenwandung der Schläuche ist mit einer kontinuierlichen Schicht eines zarten Protoplasmas überzogen, das eine Anzahl großer eigen- tümlicher Kerne einschließt, Aus diesem Wandbelage der Hodenschläuche entstammen nun die Spermatogonien. Sie sind entweder primär aus dem Keimlager hervorgesprossen oder aus einer intermediären furchungsähn- lichen Proliferation der dort befindlichen Zellen hervorgegangen. Nach ihrer Ablösung sind die jungen Spermatogonien kugelförmige, eventuell und vorübergehend durch Pressung polyedrische Zellen. Diese treten bald in eine eigentümliche vom Verf. genau untersuchte und beschriebene mito- tische Teilung, welcher im Hoden nun noch drei andere folgen. Diese weiteren Zellteilyngen verlaufen im Großen und Ganzen so wie die erste. Es wiederholen sich die gleichen Erscheinungen in immer kleinerem Maß- stabe: das Schleifen- und das Faserspindelstadium und eine einem Dyaster entsprechende Phase. Stets wird ein Nebenkern gebildet, und stets schließt eine Teilung mit einem bläschenförmigen Ruhezustande des Kernes ab. Da man nirgends eine Schichtung oder Aufreihung der verschiedenen Zell- generationen findet, vielmehr bei jedweder Art der Schnittrichtung stets auf ein buntes Durcheinander der verschiedenen Entwicklungsstufen trifft, so war Verf. genötigt, allein aus der verschiedenen Größe der Samenzellen auf die Anzahl der Generationen zu schließen. Verf. fand bei seinen Messungen in den Präparaten 5 Größenstufen von folgenden Durchmessern: 1. 13—14 u, 2. 10—11 mw 3. 8—9 u, 4. 6—7 m 5. 5—6 u. Die mittleren Durchmesser betrugen also für jede der 5 Größenstufen 13,5; 10,5; 8,5; 6,5 und 5,5 u. Die hieraus berechneten Zellvolumina würden betragen: für die erste Stufe 1288, für die zweite 606, für die dritte 322, die vierte 144, die fünfte 87 Kub.-u. Da nun jede folgende Generation - an Volumen ungefähr der Hälfte der vorigen Generation entsprechen muss, so ergäben sich, wenn man die Zellen der ersten Generation als 1288 Kub.-u groß annimmt, für die folgenden 4 Generationen die Volumina von 644, 322, 161 und 80 Kub.-u, also annähernd die Zahlen, welche Verf. durch Messung erhalten hat, Die hiernach berechneten theoretisch berichtigten Durchmesser müssten für die einzelnen Generationen 13,5; 10,7; 8,55; 6,75 und 5,35 betragen, was sehr gut mit den vom Verf. gemessenen Größen übereinstimmt. Während die aus der ersten Generation, den Spermatogonien, hervorgegangenen zweiten, dritten und vierten Genera- tionen als Spermatocyten bezeichnet werden, belegt Verf. die Zellen der fünften Generation, die dazu bestimmt sind durch Umgestaltung zu den haarförmigen Spermien zu werden, mit der Bezeichnung: Spermioblasten. Die Ausgestaltung der Samenfäden selbst aus den Spermioblasten bietet viel des Interessanten. Durch Verdichtung des Cytoplasma ent- wickelt sich ebenso wie bei den früheren Mitosen ein sich lebhaft rot färbender Nebenkern, reichlich halb so groß wie der Kern, an den er sich anlegt und in allmählich immer größerer Ausdehnung anschmiegt. Die Linie, welche durch die Mittelpunkte des Kernes und des Nebenkernes Auerbach, Ueber Paludina vivipara. 159 bestimmt ist, erweist sich bald als Axe der Zelle, die dann auch zur Axe des Samenfadens wird. Am anderen dem Nebenkern gegenüberliegenden Ende der Zellaxe setzt sich ein abgeplattetes Körperchen fest, das vom Nebenkern sich abgespalten hat und längs des Kernumfanges außerhalb desselben nach der entgegengesetzten Seite der Zelle gewandert ist. Der Kern verdichtet sich jetzt mehr und wird allmählich ein kompakter Körper, und ebenso verkleinert sich die Zelle selbst im Ganzen, sodass der Zwischen- raum zwischen Kern und Zellmembran nicht weiter wird. Es liegen nun in der Axe der bläschenförmigen Zelle hintereinander 3 kugelige solide Körperchen: vorn das sich rot färbende vom Nebenkern stammende an die Vorderseite gewanderte Teilchen, welches die Anlage des Spitzen- stückes darstellt, in der Mitte die sich blau färbende Kernkugel und hinten der inzwischen viergeteilte Nebenkern. Nun tritt die erste Spur des Schwanzes in Erscheinung, welcher als ein äußerst feiner fadenförmiger Auswuchs aus der Zellmembran hervorsprosst. Dieser „primäre Schwanz- faden“ repräsentiert nicht die Anlage des ganzen künftigen Schwanzes, sondern nur des hinteren etwa ?/. des Schwanzes ausmachenden Abschnittes. Die weiteren Vorgänge laufen im Wesentlichen nur auf Längsstreckung der nunmehr schon vorhandenen Teile hinaus. Die ganze Zelle erhält zunächst Birnenform, der Kern beginnt sich in der Richtung der Axe auszustrecken und schiebt den ihm vorn anliegenden Protoplasmakörper und damit auch den vorderen Pol der Zellmembran vor sich her. Ebenso streckt sich der hinter dem Kern liegende Protoplasmateil allmählich zu einem Stäbchenkörper, der die Hauptmasse des vorderen Schwanzabschnittes wird, und dadurch wird auch die hintere Hälfte der Zellmembran in die Länge gezogen und zu einem ihn umgebenden Schlauch umgewandelt. Wenn der jetzt zylindrische Kern eine Länge von etwa 5 u erreicht hat, spitzt er sich an seinem vorderen Ende zu. Auch das vor ihm liegende bisher noch rundliche Cytoplasmaklümpchen streckt seinerseits eine Spitze nach vorn hinaus und wird so zu einem erst stumpfen, dann schlankeren Kegel, dem späteren Spitzenstück. In diesem Stadium werden die Spermien schon spontan beweglich und bekommen damit die Fähigkeit zur Ortsbewegung. Inzwischen sind auch die Anlagen der wurmförmigen Spermien bis zu einem gewissen Grade entwickelt worden. Die sich in diese umbilden- den Samenzellen durchlaufen ebenfalls einen mitotischen Prozess mit Knäuel- stadium, Schleifen-, Faserspindel- und Dyasterstadium. Von hierab tritt aber eine Divergenz der Weiterentwicklung ein. Die 4 gebildeten Karyo- somen weichen nämlich, anstatt zusammenzutreten und unter rückläufiger Umwandlung die Bildung eines neuen Zellkernes einzuleiten, seitlich aus- einander und zerfallen dabei jedes in je 2 kleinere in das Cytoplasma eingebettete Stücke. Diese zerfallen wieder und immer weiter in immer kleinere Körnchen und schließlich so feine Stäubchen, dass man sie nicht mehr einzeln zu erkennen vermag und ihre Anwesenheit bei Doppeltink- tionen nur durch einen bläulichen Anhauch des im übrigen sich rot färben- den Cytoplasma wahrnimmt. Ein Zellkern in morphologischem Sinne ist also nicht mehr vorhanden, inzwischen hat sich aber durch einzelne Ver- dichtungen im Cytoplasma und durch Zusammentreten derselben schließ- lich ein großer wohlabgegrenzter Innenkörper gebildet, der bei Doppel- färbungen sich lebhaft rot tingiert und vom Verf. als Cytoplasmakern bezeichnet wird. Dieser bildet sich nun allmählich zu dem Axenstrange und im vorderen Abschnitt zu dem Centralteile des Köpfchens dieser Art 160 Auerbach, Ueber Paludina vivipara. von Samenfäden aus. Nach und nach wird die ganze Zelle spindelförmig und streckt sich successive zur Schnurform aus. Wenn die beiden Arten von Samenfäden, die bis jetzt beschriebenen Stufen der Entwicklung durchgemacht haben, tritt nach der Untersuchung des Verf. eine Reihe von Erscheinungen ein, welche auf eine Funktion der wurmförmigen Spermien hinweisen. Diese üben nämlich einen ge- wissen Einfluss auf die weitere Entwicklung der anderen Samenelemente aus, Die halbfertigen, aber jetzt beweglich gewordenen haarförmigen Spermien zerstreuen sich mehr im Innern der Höhlung des Hodenschlauches in welcher inzwischen eine Menge der wurmförmigen Samenkörper aus- gebildet worden ist, die sich gruppenweise und parallel zu einander zu Bündeln zusammengelagert haben, in denen die einzelnen Individuen alle einander gleich gerichtet mit dem vorderen Ende nach derselben Seite gewendet sind. In diese vorläufig noch locker gefügten Bündel schlüpfen nun die halbfertigen haarförmigen Spermien und lagern sich in die Fugen zwischen die weit größeren wurmförmigen Gebilde. Durch engeres Zu- sammenschließen werden die haarförmigen Spermien bald in diesen Gemenge- bündeln fest eingebettet, sodass jeder dieser kleinen Samenfäden ringsum von einer Anzahl der großen eingeschlossen und von allen Seiten mit einem solchen in Berührung ist. Nunmehr beginnt eine zweite Periode der Ausgestaltung der haar- förmigen Spermien. Der Kopf zieht sich zunächst wieder zu einer Kugel zusammen, die nur vorn mit einem feinen Spitzchen besetzt ist. Diese Spitze wächst allmählich auf Kosten der Kugel zu einem immer längeren dünnen Spieße aus, welcher, wenn er eine gewisse Länge erreicht hat, vom vorderen Ende beginnend eine Anzahl Einbiegungen bekommt, die sich nach und nach zu Spiralwindungen ausweiten, bis schließlich der ganze Pfriemen in Korkzieherform übergegangen ist. Ist dieses Stadium der Entwicklung erreicht, so lockern sich die Bündel wieder etwas, und die einzelnen jetzt beinahe fertigen haarförmigen Elemente bewegen sich in den nun erweiterten Fugen zwischen den wurmförmigen Spermien nach vorn, um sich im vorderen "Teile des Gemengebündels als quere Reihen neben einander zu ordnen. Diese Reihen rücken nun gleichmäßig vor und wandern zwischen den Köpfen der wurmförmigen Spermien gänzlich aus dem Bündel aus, welches jetzt unter Zerstreuung auch seiner wurm- förmigen Elemente zu existieren aufhört. Die ausgewanderten haarförmigen Spermien gruppieren sich ihrerseits zu neuen Bündeln, in denen sie ihre schraubenförmigen Köpfe dicht neben einander legen, sodass diese zu- sammen eine kegelförmige Masse bilden. Mit dieser Spitze stellen sie sich senkrecht zur Wandung des Hodenröhrchens, sich sogar ein wenig in. das hier befindliche Keimlager einsenkend und verharren in dieser Stellung längere Zeit, bis sie schließlich auseinanderfahren und ihre ein- zelnen Mitglieder als reife, befruchtungsfähige Samenfäden entlassen. Es besteht also zwischen den beiden Samenelementen ein ganz un- verkennbares eigentümliches physiologisches Verhältnis derart, dass die wurmförmigen Spermien einen Einfluss auf die Ausbildung der haarförmigen ausüben. Ob dies die einzige Funktion der wurmförmigen Gebilde ist und ob darin allein ihre Lebensaufgabe beruht — das zu erforschen, muss weiteren Untersuchungen überlassen bleiben. Kionka (Breslau). [26] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Gentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. März 1898. Nr. 5, Inhalt: Zacharias, Mitteilungen über Atheya Zachariasi Brun. und Rhizosolenia longiseta Zach. — Zacharias, Zur Kenntnis der Diatomeenflora von Berg- gewässeru. — Imhof, Fauna der Seen. — Lauterborn, Ueber die zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. — Sabussow, Zur Histologie der Ge- schlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. — v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese*. — Verhandlungen des internatio- nalen medizinischen Kongresses in Moskau. — Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, eine Antwort an Herbert Spencer. — Dahl, Der Maulwurf. — Deutscher Verein für Öffentliche Gesundheitspflege. Mitteilungen über Atheya Zachariasi Brun und ARhizosolenia longiseta Zach. Von Dr. Otto Zacharias in Plön. Im Sommer des Jahres 1392 konstatierte ich im Großen Plöner See das Vorkommen der sonst ausschließlich nur als marin bekannten Gattungen Atheya und Rhizosolenia in je einer Species, deren Reprä- sentanten sehr zahlreich in den zu jener Jahreszeit (Juli) gemachten Planktonfängen zu finden waren. Bei der äußerst zarten Beschaffen- heit und großen Durchsichtigkeit dieser zur Klasse der Diatomeen ge- hörigen Organismen ist es wohl begreiflich, dass dieselben bisher von allen Beobachtern übersehen werden konnten. Ich verdanke ihre Ent- deckung auch lediglich nur dem Umstande, dass ich das Plankton hier ununterbrochen und ganz speziell in Betreff seiner tierischen und pflanz- lichen Bestandteile zu untersuchen pflege, wozu es anderwärts an Zeit und Gelegenheit gebricht. Um nun aber anderen Forschern — nament- lich den Planktologen — die Auffindung und Identifizierung der beiden in Rede stehenden Schwebwesen zu erleichtern, veröffentliche ich hier eine möglichst naturgetreue Abbildung derselben, wobei ich zugleich hervorhebe, dass es die wenigste Mühe kostet, sich von der Anwesen- heit der beiden Formen zu überzeugen, wenn man kleine Portionen von Plankton auf einem Objektträger (oder Deckgläschen) eintrocknen lässt. Sie lassen sich auf diese Weise viel sicherer erkennen, als bei der noch so aufmerksamen Durchsicht frischen Materials. XVII. 11 469 Zacharias, Atheya Zachariasi Brun und Rhizosolenia longiseta Zach. Atheya Zachariasi Brun. — Das Aussehen dieser limnetischen Bacillariacee ist in Fig. 1 veranschaulicht. Der Panzer ist von ab- Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. — ee Br seplatteter Gestalt und sehr dünnwandig; seine Länge beträgt etwa 100 « bei einer Breite von 20 « und einer Höhe von 5—6 «u. Hinten und vorn ist derselbe bogenförmig ausgeschnitten, so dass 4 zipfelartige Fortsätze entstehen, welche in die etwa 70 « langen Borsten auslaufen. Was die feinere Struktur des Panzers anbelangt, so habe ich diese in meiner früheren Beschreibung, als „parallel gestreift“ geschildert, was jedoch nicht richtig ist. An Trockenpräparaten, die ich damals (1892) leider nicht zu Rathe gezogen habe, sieht man aufs deutlichste, dass die sogenannten Zwischenbänder zwar parallele Grenzlinien besitzen, aber gleichzeitig auch, dass sie von hüben und drüben nach Art einer Verzahnung in einander greifen. Die Chromatophoren sind in obiger Figur nicht mitgezeichnet. Dieselben sind von goldgelber Farbe und zu vieren um den Zellkern gruppiert, der im Mittelfelde des Zacharias, Atheya Zachariasi Brun ud Rhizosolenia longiseta Zach. 163 Panzers gelegen ist. Im Protoplasma der Atheya sind stets auch noch einige größere Fetttropfen vorhanden. Rhizosolenia longiseta Zach. — Auf diese Species beziehen sich die Figuren 2—4. Der Panzer ist bei derselben gleichfalls etwas abgeplattet und daher kommt es, dass die Breite der Exemplare, je nachdem man sie von der einen oder der anderen Seite sieht, zwischen 4 und 6 « schwankt. Im Uebrigen ist die Gestalt der Zelle in Fig. 2 wiedergegeben. An beiden Enden ist dieselbe zugespitzt und jeder- seits mit einer langen (anscheinend hohlen) Borste versehen, die sich unmessbar fein nach oben zu verdünnt. Beide Borsten sind von an- nähernd gleicher Länge; doch habe ich auch mehrfache Verschieden- heiten in dieser Beziehung beobachtet. Dasselbe gilt von ‘der Zelle selbst, wie aus nachfolgender Zusammenstellung der Messresultate hervorgeht, die ich an den Rhizosolenien des Edeberg-Sees (bei Plön) erhalten habe. Länge der Zelle in u. Länge der beiden Borsten in u. [Ki 32 132 33 110 132 110 110 121 110 132 121 110 110 99 145 110 110 143 110 121 154 17 121 165 110 110 165 143 154 165 ZW 58 176 121 121 Aus diesen Maßangaben ist zu entnehmen, dass es sowohl kurze ‚ Zellen mit langen Borsten, als auch lange Zellen mit kurzen Borsten bei der vorliegenden Speeies von Rhizosolenia giebt. In vielen Fällen sind aber die Borsten auch unter sich noch verschieden, wie unsere Tabelle gleichfalls ausweist. Der Panzer von Rhizosolenia zeigt eine ähnliche Verschränkung der Gürtelbandzungen (Fig. 3), wie wir dies bei Atheya antrafen. Bei letzterer ist diese Struktur aber viel deutlicher wahrzunehmen, als hier, wo wir eine sehr schiefe Beleuchtung (bei entsprechender Tief- stellung des Spiegels) anwenden müssen, um die Felderung mit einiger Schärfe zu erkennen. Am 15. November (1897) fischte ich aus dem Edeberg-See auch mehrere Exemplare, bei denen sich Dauersporen gebildet hatten. Das sind länglich ellipsoidische Körper (Fig. 4) von 20—22 u Länge und 10 « Durchmesser, ihre Farbe ist goldgelb und rührt offenbar von den miteingeschlossenen Chromatophoren her, die bei. Rhizosolenia EL? 464 Zacharias, Atheya Zachariasi Brun und Rhizosolenia longiseta Zach. longiseta in der Zweizahl vorhanden sind. Die Spore hat ihre Lage im mittleren Teile der Zelle. Ich fand immer nur eine einzige bei den betreffenden Exemplaren vor. Bei den übrigen November-Rhizosolenien war auch die Fortpflanzung durch Teilung im vollen Gange, welche ich in Fig. 2 dargestellt habe. In meiner Zeichnung sieht man von oben her auf die Teilungs- stelle, wogegen Bruno Schröder!) kürzlich eine mehr seitliche An- sicht davon gegeben hat. Jede der beiden Tochterzellen behält an dem einen Pole die mütterliche Endborste bei, an dem andern aber bildet sich eine neue aus, die — wie auch unsere Figur zeigt — stets von der einen Zellhälfte auf die gegenüberliegenden sich erstreckt und schließlich bis zur Ansatzstelle der Mutterborste dieser schwesterlichen Hälfte reicht, von der natürlich ganz dasselbe, nur im umgekehrten Sinne, gilt. Mit Rhizosolenia longiseta nahe verwandt ist die gleichfalls im Süßwasser vorkommende Khizosolenia eriensis H. Sm., von der ich aber nur die Varietät comensis (aus dem Öomer See) durch eigene Anschauung kenne. Bei dieser ist die Zelle viel breiter (15—18 u), während sie in der Länge (70 u) etwa mit Zongiseta übereinstimmt. Dagegen sind die Endborsten von comensis bei weitem kürzer, als bei unserer Species, nämlich nur 35—40 u lang. — Als ich seinerzeit Rhizosolenia longiseta und Atheya zusammen in derselben Planktonprobe vorfand, hielt ich beide für Repräsentanten der gleichen Gattung und hatte für letztere schon den Namen Rhizosolenia quadriseta bereit. Der bekannte Diatomeenforscher Graf. F. Castra- cane in Rom war ebenfalls dieser Ansicht und hatte nichts gegen meine Klassifikation einzuwenden. Prof. J. Brun aber, der das frag- liche Objekt genauer studierte und mit ähnlichen Formen sorgfältig verglich, entschied sich endlich dafür, es der Gattung Atheya anzu- schließen. Die enge Verwandtschaft der beiden Gattungen geht aber schon daraus hervor, dass einer der besten Kenner der Rhizosolenia-Gruppe, nämlich H. Peragallo, den Ausspruch gethan hat?), man könne die Vertreter des Genus Atheya betrachten als hervorgegangen aus einer längseitigen Verschmelzung von zwei Rhizosolenien. Fundorte für Atheya und Rhizosolenia. Beide Species wurden, wie schon eingangs bemerkt, zunächst von mir im Großen Plöner See entdeckt; bald darauf stellte ich ihre An- wesenheit auch für den Kleinen Plöner See fest. Seitdem habe ich Atheya noch in folgenden holsteinischen Seebecken aufgefunden: im 1) Berichte der deutsch. bot. Gesellsch, XV. Bd., 1897, Taf. XVII, Fig. 2. 2) Monographie- sur les Rhizosolenies, 1892. Zacharias, Atheya Zachariasi Brun und Rhizosolenia longiseta Zach. 165 Einfelder See bei Neumünster, im Belauer- und Schierensee, sowie im Gr. Madepröcker- und im Stocksee. Ferner im Heidensee und im Trammersee bei Plön. Auch in dem berühmten (von Geibel besungenen) Ukelei-See konnte ich sie nachweisen. Ich konstatierte Atheya neuerdings auch im Ratzeburger See und im Schaalsee; desgleichen im Müggelsee bei Berlin und im Parksee zu Wörlitz (bei Dessau). Nach einer mir zu Teil gewordenen Mitteilung von Dr. Martin Schmidt (Geolog. Landesanstalt) kommt Atheya auch im Oberen See bei Gützow (Hinterpommern) vor und Dr. Seligo konstatierte sie auch für ver- schiedene westpreußische Seen. Auch in norwegischen Wasserbecken ist sie bereits gefunden worden. Lauterborn entdeckte sie 1895 in Altwässern des Oberrheins. Dazu kommen aber auch noch kleinere Gewässer, wie z. B. der Teiecb im Breslauer botanischen Garten, wo Atheya unlängst von Br. Schröder gefunden wurde. Ich selbst wies sie in jüngster Zeit auch für ein Gewässer des Berliner Tiergartens nach. Rhizosolenia besitzt eine nicht minder weite Verbreitung, denn sie kommt meistenteils an denselben Oertlichkeiten vor, wie Atheya. DBe- merkenswert war ihre massenhafte Anwesenheit im Edebergsee b. Plön während des Monats Dezember. Ob dies immer so der Fall ist, kann ich nicht sagen, weil ich es im vorigen Jahre zuerst beobachtet habe. Rhizosolenia ist neuerlich auch in einigen fließenden Gewässern konstatiert worden, so z. B. von Bruno Schröder bei Gelegenheit einer Untersuchung des Planktons der Oder und von mir selbst bei Durchmusterung eines Planktonfanges aus der Dahme (bei Berlin). In letztgenanntem Flusse war sie recht zahlreich vorhanden. Von Rob. Lauterborn ist übrigens Rhizosolenia longiseta schon vor einigen Jahren aus dem fließenden Wasser des Rheinstroms gefischt worden, was ich hier anzuführen nicht versäumen will!). Dass auch sonst noch eine große Anzahl tierischer und pflanzlicher Planktonwesen in unseren Flüssen heimisch ist und in denselben ein förmliches Potamo- plankton bildet, werde ich in dem VI.-Jahresberichte der Plöner Biologischen Station des Näheren darlegen). Am 17. Dezember (1897) konstatierte ich bei den Rhizosolenien des Edebergsees deutliche Kettenbildung, insofern die Zellen auch nach erfolgter Teilung vielfach zu vieren beisammenblieben und so einen stabförmigen Familienverband bildeten. Mehrere Male bemerkte ich auch derartige Vereinigungen, die aus 6 Zellindividuen bestanden. Bei längerem Abstehen des frischgefangenen, lebenden Materials lösten sich die Ketten; das Gleiche geschah bei Anwendung von Formol und anderen Konservierungsmitteln. Bruno Schröder, der Khizosolenia 1) Berichte der deutsch. bot. Gesellschaft, XIV. Bd., 1896. 2) Erscheiut Ende Februar im Verlag von Erwin Nägele in Stuttgart. 166 Zacharias, Zur Kenntnis der Diatomeenflora von Berggewässern. longiseta unlängst (Sommer 1897) gleichfalls zu beobachten Gelegen- heit hatte, hebt ausdrücklich hervor, dass er nichts von Kettenbildung habe entdecken können. Biol. Station zu Plön, 15. Dez. 1897. [28] Zur Kenntnis der Diatomeenflora von Berggewässern. Mitteilung von Dr. Otto Zacharias in Plön. Im Juli (1896) unternahm ich eine neue Forschungstour an die beiden Hochseen des Riesengebirges, welche unter dem Namen des Großen und Kleinen Koppenteichs allgemein bekannt sind. Dieselben liegen in etwa 1200 m Höhe und stellen eigentlich nur riesige Felsen- cisternen dar, die durch Regen- und Schmelzwasser gespeist werden. Mit der neuen Exkursion verfolgte ich den Zweck, meine langjährigen Beobachtungen an diesen Bergseen zum Abschluss zu bringen. Außer- . dem unternahm ich bei derselben Gelegenheit eine Exploration der sogenannten Weißen Wiese (1400 m) auf dem Riesengebirgsplateau, wobei es sich darum handelte, das in den dortigen Sümpfen und Moor- tümpeln vorhandene Algenmateriel in möglichster Vollständigkeit zu gewinnen. Dazu kam weiterhin noch eine erstmalige Untersuchung der 3 schwer zugänglichen Kochelteiche, die auf dem Trümmer- felde vor der Großen Schneegrube (in eirca 1250 m ü.M.) gelegen sind. Der Gesichtspunkt, der mich bei allen diesen Arbeiten leitete, war eine genaue Feststellung des in den genannten Berggewässern vor- findliehen Bestandes an Pflanzen und Tieren, um dadurch eine sichere Basis für Vergleiche mit den echt alpinen Hochseen zu schaffen, von denen namentlich diejenigen deskhätikons dureh Prof. FritzZschokke in Basel neuerdings bezüglich ihrer Organismenwelt untersucht worden sind!). Aber dieser Forscher berücksichtigte bisher vorwiegend nur die Fauna auf seinen Streifzügen, wogegen ich in jüngster Zeit auch stets bestrebt war, die Vertreter der Algenflora in den Seen und Moorlöchern des Riesengebirges zu ermitteln. Es ist augenscheinlich, dass hierdurch das biologische Bild solcher Wasseransammlungen ganz wesentlich vervollständigt wird und dass wir durch die nähere Kenntnis der floristischen Verhältnisse auch Aufschluss über die Ernährungsweise der an jenen Lokalitäten angesiedelten Tierspecies erhalten. Ich ver- weise diejenigen, welche sich für die von mir erzielten Ergebnisse näher interessieren, auf die im 4. Teile der Plöner Forschungsberichte (1896) darüber erschienenen Referate, denen jetzt noch Spezialabhand- 1) et. F. Zschokke, Faunistische Studien an Gebirgsseen. Verhandl. der naturf. Gesellsch. in Basel, 9. Pd, 1890. — Derselbe, Die zweite zoolog. Exkursion an die Seen des Rhätikons. Ibid. 10. Bd., 1892. — Derselbe, Die Fauna hochgelegener Bergseen. Ibid. 11. Bd., 1895. ie Zacharias, Zur Kenntnis der Diatomeenflora von Berggewässerın. 167 lungen algologischen Inhalts von Bruno Schröder (Breslau) und Dr. Otto Müller (Berlin) gefolgt sind }). Im Ganzen sind aus dem von mir zusammengebrachten Material 154 Species von Algen bekannt geworden, die für das hiesengebirge bisher noch nicht registriert waren: die Diatomeen sind hierbei aus- geschlossen. Um nun aber in die Mamnigfaltigkeit dieses Teils der Mikroflora gleichfalls einen tieferen Einbliek zu thun, entnahm ich sowohl den Koppen- als auch den Kochelteichen reichliche Schlamm- proben, deren Beschaffung ziemlich mühevoll war, wie sich Jeder, der die betreffenden Lokalitäten kennt, leicht vorstellen wird. Aus den Koppenteichen z. B. wäre ohne Zuhilfenahme eines Kahns kein Grundschlick zu erlangen gewesen und es bedurfte somit erst der umständlichen Heraufschafiung eines solchen durch Träger, um die Probenentnahme mittels des Schöpf-Lothes zu ermöglichen. Ich bin für die Herleihung und den Transport von zwei solchen Fahrzeugen, von denen das eine am Großen, das andere am Kleinen Koppenteiche vielfach benutzt wurde, dem reichsgräflich - schaffgottschen Kameral- direktor Herrn Sanitätsrat Dr. Collenberg zu besonderen Danke verpflichtet, den ich auch an dieser Stelle nochmals zum Ausdruck bringen möchte. Das auf diese Art gewonnene Diatomeenmaterial übergab ich Herrn Dr. Otto Müller in Berlin zur Bestimmung und dieser hatte die Güte, es einer sehr eingehenden Bearbeitung zu unterziehen und eine genaue Bestimmung der darin vorkommenden Arten vorzunehmen. Ich möchte nicht verfehlen, die interessanten Resultate, zu denen Dr. Müller an der Hand der beschafften Grundproben gelangt ist, hier mitzuteilen. Bezüglich des Weiteren muss ich auf die Originalabhand- lung verweisen, welche (nebst Tafel) in der I. Abteilung des VI. Bandes der Plöner Forschungsberichte soeben zur Publikation gelangt ist. Zunächst sah sich Dr. Müller veranlasst zu konstatieren, dass die Diatomeenflora in den Kochelteichen sowohl wie in den Koppen- teichen „eine äußerst reichhaltige Entwicklung“ zeige. Es wurden in diesen 5 Gewässern 193 Arten und Varietäten festgestellt, welche sich auf 20 Gattungen verteilen. Von diesen zierlichen Pflanzenwesen leben im Großen Koppenteiche . .. 9 Kleinen Koppenteiche . . . 78 Koeleltäiehtl zT stysiiy Baldml0l Meer ltuch- IE? E Wine: Err24rT6 Rookelteich HL} Huldyivrge0s 85: Die Gattung Navieula ist in allen Teichen am zahlreichsten ver- treten; von deren Untergattungen die Pinnularien und Neidien. Eine sehr vollständige Entwicklungsreihe bildet der Formenkreis der Pinnu- 1) Vergl. Forschungsberichte aus der Biolog. Station zu Plön, 6. Teil, I. Heft, 1898. Erwin Nägele, Stuttgart. 468 Zacharias, Zur Kenntnis der Diatomeenflora von Berggewässern. laria viridis im Gr. Koppenteiche, bezw. in Kochelteich I und Il. Der I. Kochelteich enthält ferner eine sehr interessante Uebergangsreihe (vgl. die Originalabhandlung Dr. Müller’s) zur Sippe der Divergentes und lässt Schlüsse auf das nähere verwandtschaftliche Verhältnis einiger Formen zu. Die Sippe der Distantes findet sich in den drei Kochel- teichen stark, in den beiden Koppenteichen aber nur schwach ver- treten. Die Neidien sind auch und mit vielen Uebergängen im Gr. Koppenteiche und im ersten Kochelteiche vorhanden. Im Gr. Teiche überwiegt der Formenkreis des Neidium Iridis, im ersten Kochelteiche herrscht dagegen die Gruppe des Neidium affine vor. Neidium. bisul- catum bewohnt alle fünf Teiche mehr oder weniger häufig. Die Sippe der Capitatae ist in allen Teichen vertreten und kommt in vielfachen Varietäten vor. Die Sippe der Tabellarieae (Pinn. gibba und Pinn. stauroptera) findet sich häufiger nur in den Koppenteichen. Anomoeoneis ist ebenfalls eine Bewohnerin der letzteren. Nach den Navieuleen weist die Gattung Eunotia die zahlreichsten Arten und Varietäten auf; es herrschen aber die beiden Formenkreise Eunotia pectinalis und Eunotia praerupta vor. Zwei Arten aus den Kochelteichen sind neu. Hiernach folgen die Gattungen Melosira, Gomphonema, Fragilaria, Stauroneis, Surirella, Cymbella und F'rustulia; alle andern sind nur durch wenige Arten repräsentiert. Ceratoneis arcus kommt im Kleinen Koppenteiche, Peronia erinacea im Großen Koppenteiche vor. Die letztgenannte Art ist für Deutsch- land neu. Von besonderem Interesse ist aber das Vorkommen von Stenop- terobia anceps in den beiden Koppenseen. Diese merkwürdige und seltene Art ist bisher ausschließlich in Nordamerika, sowie im Puy de Döme und in Cornwall aufgefunden worden. Ueber ihre systematische Stellung bestehen noch Zweifel. Auffallend ist das Fehlen mancher Gattungen, welche in vielen Teichen der Ebene zu den allergewöhnlichsten Vorkommnissen zählen. Abgesehen von vereinzelten Arten fehlt die große Gattung Nitzschia. Amphora ist in den Koppenteichen nur mit einer einzigen Art ver- treten (ovalis); ebenso Epithemia und Achnanthes. Meridion findet sich nur im Kleinen Koppenteiche. Synedra, Cocconeis, Cymatopleura und Campylodiscus fehlen gänzlich; desgleichen die Untergattung Pleurosigma. Der Höhenlage entsprechend ist der allgemeine Charakter der Diatomeenflora in den Koppen- und Kochelteichen subalpin oder sub- arktisch. Die starke Entfaltung der Eunotien, der Pinnularien aus den Sippen der Divergentes, der Distantes sowie der Neidien ist den größeren Erhebungen und den nördlichen Gegenden eigen. — Was schließlich noch die Größen- und Tiefenverhältnisse der in Imhof, Fauna der Seen. 169 - Rede stehenden 5 Teiche anbetrifft, so verhält es sich mit denselben wie folgt. } Der Gr. Koppenteich besitzt ein Areal von 6,5 ha und eine mittlere Tiefe von 8 m; der Kl. Koppenteich hat eine Fläche von 29ha und ist durchschnittlich nur 3 m tief. Hinsichtlich der bis jetzt überhaupt noch nicht ausgemessenen Kochelteiche vermag ich auf Grund eigener Ermittelungen nachstehende Angaben zu machen: Länge Breite Tiefe Temperatur I. Kochelteich: . 70-80 m 30-35 m 1--1.5 m= 58°€ II. Kochelteich: . 40-50m 30 m 1-15m 55°C III. Kochelteich: . 40 m Tem 0,21 mare Die Temperaturen beziehen sich auf den 30. Juni 1896. Vierzehn Tage später waren alle drei Kochelteiche schon viel wärmer; die Temperatur im ersten betrug am 14. Juli 8,7°, im zweiten 4,2° und im dritten 12,5° C. Hiernach sind dieselben bei weitem kühler als die Koppenseen, mit Ausnahme des Teiches Nr. III, der sich bei seiner geringen Tiefe leicht erwärmt, aber ebenso schnell wieder durchkältet. Bezüglich der Reihenfolge möchte ich noch bemerken, dass Teich Nr. I sich am weitesten vor der Gr. Schneegrube befindet, während Teich Nr. II die Mitte einnimmt und Teich Nr. III dicht beim Grubeneingange, also zu innerst, gelegen ist. [29] Fauna der Seen. Referate von Dr. Oth. Em. Imhof. I. Seen der europäischen Türkei und Montenegro’s. In den Jahren 1891, 1892 und 1894 hat Herr Direktor Professor Dr. F. Steindachner pelagische Untersuchungen in Seen der europä- ischen Türkei vorgenommen, in diesem Gebiete, dessen niedere Tierwelt der Gewässer noch total unbekannt war. Die Bearbeitung des gesam- melten Materiales führte Herr J. Richard in Paris aus. Zwei Publi- kationen in den Notizen der Annalen des k. k. naturhistorischen Hof- museums in Wien, Bd. VII p. 151—153 und Bd. XII p. 63—66 geben uns das interressante Ergebniss. Das klarste Bild giebt die tabellarische Zusammenstellung I (S. 172). Diese ersten Untersuchungen zeigen Ueberein- stimmung der pelagischen Fauna mit derjenigen der anderen Seen der europäischen Alpengebiete, wobei das Vorkommen besonders von As- planchna helvetica, Daphnella brachyura und Leptodora hyalina so- wie die allgemeine Verbreitung des (yclops Leuckarti bemerkenswert ist. Als dem Gebiet eigen angehörend, aber bisher nur im Janinascee beob- achtet, hat der Fund des neuen Diaptomus Steindachneri Reh. beson- deren Wert. Im Doiransee wurden Embryonen von Cyeladiden beob- achtet. Neue Forschungen, namentlich zu anderen Jahreszeiten (Beschiksee, Doiransee, Ostrowosee im September 1891, Wentroksee und Ochrida im Oktober 1891, Scutarisee August 1894, Janinasee Oktober 1892 unter- sucht) werden unzweifelhaft neue Resultate liefern. Imhof, Fauna der Seen. 170 m |m — ZEN Fr ar) fe) ne} — ri "oma mnanannarnae U UOWWONIOA 999-SSI9a M 998 10[yNundq so]ppndF UOISUHISY 290% EEE LEE u EEEBEn "WR WO0OER' uraBdıV ld Soakoun-n ee > BSBuns eh Boneiıuan, vazetn = ns oo = u) m o®° < - e wn "NW 048570086 UBIPUOK) UOA NB9IBIA 99spuny 99SJ9IILQ-TOISLIN 008€ 76 [03sL1) “Id T u]fe}sL1) "LO4sU9LIPIOU "U99S € " SOAIQIJUON *T SOIILMOM I9ISZIBEMYIS nn "N 0076 70088 SLIBA UOA NBOYRII 39JU0A J9.184n®’J ULBJOPe N N 'n WW 0081 "WR N 6GL08 "WW 0061 :D4990P9]) OP [yBzuvy "WI O smantonyds snıopky) "IIT Snnbrıxa "YIST SNSWXI SNXOAMIT "BIS DDIanb 'SIS 92409809 "Sp’T seufp »uoly "ON Sn79yda909na] Sn«ado4ay "WIN SIULO9LINSAR 29.204907 "NW "I 'O snn29a snypydaaowag "IPpyasS »snygo . "NW TO PDuo.onwm Sı10g9J0ydnaSı 'SIS DJayaynd pruydmpor.4s,) WI oO purdsıduo) wruydacr Wa Oo Pummzsh.io npıg "199S-u9dIY-19A0AuS Ace})) vung "DIIDISN.L,) "DIIOPB) Dpodo4yny 171 Imhof, Fauna der Seen. F6erSeorl« "x rn ce T L € Re I ) I R 87201 zLroa Fr HOLE. I TIER HEN FE] DyTTc er 1012.19 Te .“ > [> [2 rat | a U VB RP a En nn Er En UHAMILOT U9I9FIPRIO9N AOP [URZIRIOT, 1E40,L "IIN P4hasod "TIN PIngDaun.«g PonuumT "»podo.«3Is0H TIA SUPW»IB smaoyderaıy 79 .auabuo9 “av 2aomog snguby "WI SNIPI09R0f "TO 9A SNDU1IS09S2.1D I saısngod sn.«odospkrz "AO Snusoum snydıyorf "I 0910unD Dda "IS DIDUR.MD DaLLO,) "yy9S s2.uSn9n] 1m980,) S%1.194) "DPOdDXaLL "DISNTONT "».131d03]09 "»ıordewarf "ur op Ay.) vanb9agalalT I zond snaimwundg wpodıyduy :»podado,) a9p [ılezuy "ZIM SUL1o9gu9p "AIN afım2Pg snwordarr SID snynurnu snadwpsoyyun/) "Ayuy snumpkhy soprouoypo "YOM SnID.«ogoyd "98T Snunydpıp "OST snnua.«gs "SIT SNUNLIDUL "IST SNIDIN.«.AOS "up snosnf "if sepaua sdoppin) "»podado,) 172 Imhof, Fauna der Seen. Il. Seen der Alpen Savoyens. Außer den tiefergelegenen großen Seen Annecy und Bourget in Ober- Savoyen war die Wassertierwelt der zahlreichen Alpenseen noch völlig unbekannt. Meeresgebiete. Ge- schlossene L Aegeisch. [Adriatisch.| Wasser- Meer gebiete Pelagische Fauna der Seen der europäischen Türkei und Montenegro’s. "Doiransee Ochridasee Scutarisee Ostrowosee Janinasee Wentroksee Protozoa. Dinoflagellata Ceratium longicorne Prt. | | | o» Vermes. Rotatoria Asplanchna helvetica Imh. Anuraea cochlearis G8s. longispina Kl. Arthropoda. Urustacea. Uladocera. Daphnella brachyura Lvn. [4] Daphnia pulex de Gr. Hyalodaphnia Jardinei vitrea Kr. | Bosmina longirostris OÖ. F. M. li] Chydorus sphaericus OÖ. F. M. Leptodora hyalina Ull. | Copepöda. Cyclops strenuus Fsch. serrulatus Fsch. Leuckarti Srs. une hyalinus Rhb. .“] Diaptomus coeruleus Fsch. Steindachneri Reh. | MHu,m KHeWDOm m DL A N RT 364 Im letzten Jahre erschien eine erste Erforschung der Fauna hochge- legener Gewässer von R. Blanchard und J. Richard: Sur la faune des lacs &leves des Hautes-Alpes.. Die Untersuchungen wurden schon im Jahre 1888 in den Monaten August, September und Oktober im Bezirk Briancon zwischen Grenoble und Turin in ansehnlich hochgelegenen klei- neren stehenden und fließenden Gewässern uud besonders in 24 zum Teil noch ziemlich großen Seen gemacht. Vorliegendes Referat giebt das Forschungsergebnis über die Seen-Fauna wieder. Die: tabellarische Zu- sammenstellung II zeigt das Gesamtbild der Alpen-Seen-Fauna dieses Ge- bietes. In die Tabelle nicht aufgenommen sind Protozoen, Coelenteraten und Vertebraten. Auffallender Weise ist gar nichts über Rotatorien in der Abhandlung zu finden. Die Vertretung der Tiergruppen ist folgende: Protozoa. Infusoria. Suctoria. Dendrocomotes paradoxus Stn. Rochesee. Coelenterata. Hydrozoa. Tubularia. Hydra fusca Inden Seen: Gimont, Roche und Ascension. Hydra viridis Rochesee. Vermes. Annelides. Hirudinea. Helobdella stagnalis Grand Charvia und Rochesee. Haemopis sanguisuga Rochesee. Herpobdella octoculuta Rochesee. Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. 473 Brynzoa. Plumatella lucifuga Rochesee. Arthropoda. Crustacea. Coladocera. 14 Spezies in 19 Seen. Copepoda. 10 s 1 Var. in 22 Seen. Amphipoda. 2 “ in 6 Seen. Hexapoda. Hemiptera 4 5 in 11 Seen. Coleoptera. 1 . in 11 Seen. Mollusca. Gasteropoda. 2 in 2 Seen. Vertebrata. Pisces. Phoxinus laevis montanus im Sarailleysee. Amphibia. Rana temporaria in den Seen: Madelaine. Lautaret, Pontet; 4 Seen des Plateau de Paris: 1 ohne Namen, Schwarzsee, 1. Moutieressee und nordöstlicher der Dreiergruppe; Plateau de Gondran, See ohne Namen; Plateau d’Alpavin, Rochesee und Dunkelsee. Die reichste Vertretung und allgemeinste Verbreitung weisen somit die Cladoceren und Copepoden auf, aber gar keine neuen Formen. Cladocera. Weite Verbreitnng haben: Daphnia longispina ©. F.M, in 10 Seen. Alona affnis Ldg. in 14 Seen. Pleuroxus exsisus F'sch. in 9 Seen. Chydorus sphaericus OÖ. F.M. in 14 Seen, 5 verschiedene Arten beherbergen 5 Seen. 4 2 Seen. Keine Cladoceren fanden sich in 5 Seen: Madelaine, Lautaret, 1. Plat. de Paris und Sarailley. Copepoda. Die weiteste V erbreitung haben: Uyelops serrulatus Fsch. in 7 Seen. Diaptomus denticornisWıiz, in 11Seen. Nur in 2Seen fanden sich keine Copepoden: Mouiieres 2. u . Sarailley. Von den Hexapoden ist die Hemiptere Corixa carinata Shl. in 7 Seen be- merkenswerth. Von den Coloptera sind Agabus Solieri Ab. in 5 Seen. Helephorus glacialis Vll. in 4Seen hervorzuheben. Ueber die zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. Von Dr. Robert Lauterborn. Während wir über die Fortpflanzung der Daphnoiden seit Weismann’s grundlegenden Arbeiten relativ gut unterrichtet sind, ist unsere Kenntnis der Fortpflanzungsverhältnisse der Rotatorien noch äußerst lückenhaft. Die gewöhnliche Anschauung geht im All- gemeinen dahin, dass die Dauereier vorwiegend am Beginne der kälteren Jahreszeit gebildet werden — daher der Name „Winter- eier“, — oder man lässt Dauereier das ganze Jahr hindurch vorkommen; eine systematische Untersuchung über eine Gesetzmäßigkeit im Wechsel der geschlechtlichen und parthenogenetischen Fortpflanzung ist jedoch, soweit meine Kenntnis reicht, im Freien, d. h. an Rädertieren unter ihren natürlichen Existenzbedingungen, noch niemals versucht worden. Aus diesem Grunde dürften auch die Beobachtungen, welche ich während eines Zeitraumes von mehr als sechs Jahren (1891—97) an limnetischen Rotatorien des Oberrheins angestellt habe, nicht ohne Interesse sein, da sie für eine Reihe von Formen den Nachweis erbringen, dass auch hier (ähnlich wie bei Daphnoiden) die Geschlechtsperioden, das Auftreten von Männehen und damit zusammenhängend die Bildung 174 Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. resistenter Dauereier, periodisch erfolgt und an bestimmte Zeiten des Jahres gebunden ist, die aber keineswegs immer mit dem Beginne der kälteren Jahreszeit zusammenfallen. Die Zahl der von mir in den Altwassern und Teichen des Ober- rheins bis jetzt nachgewiesenen limnetischen Rotatorien beträgt 41 (ohne die Varietäten). Von diesen sind 21 perennierend, d.h. sie kommen das ganze Jahr hindurch mehr oder weniger häufig vor. Es sind dies folgende: Conochilus Volvox Ehrb. Conochilus unicornis Rouss. (im Sommer am häufigsten). Asplanchna priodonta Gosse. Sacculus viridis GOSSse. Asplanchna Brightwellii Gosse. Sacculus saltans Bartsch. (im Sommer am häufigsten). Synchaeta pectinata Ehrb. Synchaeta tremula Ehrb. (in der kälteren Jahreszeit am häufigsten). Triarthra longiseta Ehrb. Polyarthra platyptera Ehrb. Notops hyptopus Ehrb. (in Teichen). Hudsonellapygmaea|C alm]|(inder wärmeren Jahreszeit am häufigsten). Brachionus pala Ehrb. Brachionus angularis Gosse. Anuraea cochlearis Gosse. Anuraea aculeata Ehrb. mit Varietäten. Notholca longispina Kell. (im Winter häufiger). Notholca acuminata Ehrb. Notholca striata OÖ. F. M. ) besonders in der kälteren Jahreszeit!) Notholca labis Gosse. Nothölca heptodon Perty (im Winter weniger selten als im Sommer). Neben diesem Stamm eurythermer Rädertiere giebt es noch eine beträchtliche Anzahl anderer, die ich schon früher?) als „Sommer- formen“ bezeichnet habe, da ihre Hauptentfaltung auf die wärmere Jahreszeit fällt und sie in Winterplankton (Mitte November bis Mitte März) völlig fehlen. Zu diesen stenothermen Arten, denen sich noch einige besondere Sommervarietäten perennierender Arten an- schließen, gehören: Conochilus dossuarius Huds. Floscularia mutabilis Bolton. Floscularia pelagica Rouss. Synchaeta sp. (ähnlich Synchaeta grandis Zach.). 1) Notholca acuminata, N. labis und N. striata sind alle durch Uebergänge mit einander verbunden. 2) R. Lauterborn, „Ueber die Winterfauna einiger Gewässer der Ober-’ rheinebene etc.“. In: Biol. Centralbl., Bd. XIV (1894) 5. 390. - | Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. 175 Synchaeta stylata Wierz. Polyarthra platyptera Ehrb. var. euryptera Wierz. Chromogaster testudo Lauterb. Chromogaster euirassis Hood. spec. Gastroschiza flexilis Jägersk. Gastroschiza lynceus Ehrb. spec. Mastigocerca capucina Zach. u. Wierz. (M. hudsonii Lauterb.). Mastigocerca setifera Lauterb. Mastigocerca stylata Gosse. Mastigocerca pusilla n. sp.?). Rattulus bicornis Western. (? Coelopus similis Wierz.). Pompholyx sulcata Huds. Pompholyz complanata Gosse. Schizocerca diversicornis v. Dad. Anuraea cochlearis var. tecta Gosse. Anuraea cochlearis var. hispida nov. var. Anuraea cochlearis var. irregularis nov. Var. Anuraea hypelasma Gosse. Brachionus lineatus Skorikow (Br. punctatus Hempel). Pedalion mirum Hudson. Ebenfalls stenotherm, aber auf die kältere Jahreszeit beschränkt, erwiesen sich in meinem Untersuchungsgebiete Rhinops vitrea Hudson und Triathra mystacina Ehrb., die ich nur von Ende Oktober bis in den März hinein fand. Da ich aber diese beiden Formen bis jetzt nur in einem einzigen Gewässer — hier allerdings mit auffallender Regel- mäßigkeit Jahre hindurch immer um dieselbe Zeit — beobachtete, kann ich nicht sagen, ob es sich hier um wirkliche „Winterformen“ handelt, so lange Beobachtungen aus anderen Gegenden fehlen; sehr wahrscheinlich scheint es mir nicht. Die oben aufgezählten „Sommer- formen“ dagegen erwiesen sich während der sechs Beobachtungsjahre in einer sehr großen Anzahl von Wasserbecken der Oberrheinebene sowie des Schwarzwaldes und Pfälzer Waldes in ihrem zeitlichen Vorkommen so ausnahmslos an die wärmere Jahreszeit gebunden, dass die Bezeichnung „Sommerformen“ für sie wohl zu Recht be- stehen dürfte, um so mehr als Apstein?) meine Beobachtungen in Seen Holsteins bestätigte und auch die Periodieitätstabellen, welche O. Zacharias über limnetische Organismen des Plöner Sees gegeben hat, bei den identischen Arten befriedigende Uebereinstimmung zeigen. Soweit ich bis jetzt bei diesen „Sommerformen“ das Auftreten 1) Die Beschreibung und Abbildung der hier erwähnten neuen Rotatorien erfolgt an anderer Stelle. 2) C. Apstein, Das Süßwasserplankton, 1896. — Von den von mir |. c. als „Sommerformen“ bezeichneten acht Rotatorien hat Apstein sieben eben- falls nur in der wärmeren Jahreszeit gefunden, 176 Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. von Männchen sowie die Bildung von Dauereiern beobachten konnte, erfolgte dieselbe nureinmalimJahre und zwar als Abschluss einer langen keihe aufeinanderfolgender parthenogenetischer Generationen gegen das Ende der Vegetationsperiode, hauptsächlich von Ende August bis Mitte Oktober; nach diesem Zeitpunkt verschwinden die genannten Arten nach und nach völlig, um erst im nächsten Frühjahr oder Sommer wieder aufzutauchen, sobald die Temperatur des Wassers eine be- stimmte — für die einzelnen Arten verschiedene — Höhe erreicht hat. Eine besondere Erwähnung unter diesen „Sommerformen“ verdient Pedalion mirum Huds. Diese eigenartige Rädertierform bewohnt, wie ich schon früher!) bemerkte, außer dem freien Rhein und den größeren Altwassern besonders Teiche und Lehmgruben, wo sie zu geeigneten Zeiten sogar recht häufig auftritt. Die ersten Exemplare sah ich nie vor Mitte Juni; die letzten gegen Ende Oktober; das Maximum der Häufig- keit fällt auf August und September, um welche Zeit man auch gar nicht selten Weibehen mit zahlreichen anhängenden Männcheneiern und mit einem der charakteristischen Dauereier antrifft. Bei zahlreichen Weibehen von verschiedenen Fundorten habe ich im August und September eine sehr schöne Färbung beobachtet: der Vorderrand besonders in den Zellen die Hypodermis erschien zart rosa gefärbt und an der Basis des unpaaren ventralen Ruderarmes befand sich ein intensiv rosaroter Fleck, welcher selbst nach wochenlangem Liegen in Formol noch deutlich zu erkennen war. Die ganze Erscheinung er- innerte sehr an die „Schmuckfarben“ der Daphnoiden?). Die „Sommerformen“ wären demnach also mono- zyklisch?), wenn wir diese von Weismann für die Daphnoiden eingeführte Bezeichnung in Anwendung bringen wollen. ‚ Als monozyklisch erwiesen sich bis jetzt auch die beiden bereits erwähnten Winterformen Rrhinops vitrea Huds. und Triarthra mystacina Ehrb. Sie haben ihre Sexualperiode im Februar und März und ver- schwinden nach Ablage der Dauereier, . um erst nach Ablauf einer ungefähr siebenmonatlichen Ruhezeit Ende Oktober wieder im freien Wasser zu erscheinen. 4) R. Lauterborn, Ueber Periodizität im Auftreten und in der Fort- pflanzung einiger pelagischer Organismen des Oberrheins und seiner Altwasser. In: Verh. d. Naturhist. med. Vereins, Heidelberg 1893; dann in: Beiträge zur Rotatorienfauna des Oberrheins und seiner Altwasser. In: Spengel’s Zool, Jahrbücher, Bd. VII (1893). 2) Auch bei anderen Rotatorien habe ich bisweilen Färbungen beobachtet. So fand ich z.B. mehrere Male Exemplare von Anuraea cochlearis, die in der Kopfregion ziemlich intensiv violett gefärbt waren; auch die Eier trugen die- selbe Farbe. Außerdem sah ich violette Eier bei Polyarthra platyptera (bei der auch das Ovar gefärbt war) und bei Brachionus militaris. 3) Nur Anuraea hypelasma habe ich bis jetzt einmal auch im Juni mit Dauereiern gefunden und zwar in einem Moortümpel des Pfälzer Waldes bei Landstuhl. Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien, 177 Bei den perennierenden Rotatorien, soweit ich deren Sexualperioden bis jetzt beobachten konnte, verhält sich dieSache insofernanders, als bei ihnen dasAuftreten vonMännchen wiedieBildung vonDauereiern zweimalodermehrere Male im Verlauf eines Jahres erfolgt. Während bei den erstgenannten Formen mit der Bildung von Dauereiern der Lebenszyklus der be- treffenden Arten überhaupt abgeschlossen ist und dieselben auf längere Zeit völlig aus dem Plankton verschwinden, setzt bei den perennierenden Formen die Bildung von Dauereiern zwar dem Lebenszyklus mehr oder weniger zahlreicher Individuen ein Ziel, ohne jedoch die Art als solche aus dem Plankton zu tilgen, da neben den „Geschlechts- weibehen“ stets noch Jungferweibcehen vorkommen, die auf genetischem Wege den Bestand erhalten. Es giebt somit unter den perennierenden hotatorien sowohl di- zyklische als auch polyzyklische Arten, je nach der Zahl der Sexualperioden. Es scheint mir nicht ohne Interesse, dass die be- treffenden Formen zum grössten Teil zu jenen hädertieren gehören, welche auch in den kleinsten Teichen und Tümpeln vorkommen, während die Hauptmasse der monozyklischen Arten mehr die freien Wasser- flächen größerer Teiche und Altwasser bevorzugt. Aehnliche Verhältnisse fand Weismann bei den Daphnoiden. Ob sich auch azyklische Arten finden, d. h. hädertiere, die sich ununterbrochen partheno- genetisch vermehren, wie dies von gewissen Daphnoiden (Dosmina, Chydorus) behauptet wird, ist mir sehr fraglich, obwohl ich von einer Anzahl limnetischer Rädertiere bis jetzt noch keine Dauereier kenne. Zu den dizyklischen (in einigen unten erwähnten Fällen viel- leicht auch polyzyklischen) Arten gehören einige der häufigsten limne- tischen Rotatorien wie Asplanchna priodonta Gosse, Asplanchna Bright- wellii Gosse, Triarthra longiseta Ehrb., Palyarthra platyptera Ehrb. Symchaeta pectinata Ehrb. Bei ihnen fällt die erste Sexual- periode auf das Frühjahr (besonders auf den Monat April), die zweite aufden Herbst (besonders auf den September und Oktober); während der kältesten Wintermonate habe ich bei ihnen (ebensowenig wie bei einem anderen Rädertier) niemals ein Männchen oder ein Dauerei gesehen. Ich halte es hierbei nicht für überflüssig zu bemerken, dass alle meine Beobachtungen keineswegs nur an einem einzigen Ge- wässer, sondern an einer ganzen Reihe Wasserbecken mit sehr ver- schiedenen Existenzbedingungen — seeartigen Altwassern, Teichen, geradezu frappierende Uebereinstimmung im Eintreten der Dauerei- bildung zeigten, was vermuten lässt, dass Beobachtungen an anderen Orten zu ähnlichen Resultaten führen dürften. Im Einzelnen verlaufen die Sexualperioden der dizyklischen Räder: XVII. 12 178 Lauterborn. Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. tiere!) nach zahlreichen Einzelbeobachtungen ungefähr in folgender Weise: Asplanchna priodonta Gosse. Die ersten Männchen erscheinen manchmal bereits in den letzten Tagen des März, werden aber erst im April häufiger; um diese Zeit beginnt auch die Bildung von Dauer- eiern, die sich bis in den Mai hinein fortsetzen kann. Im Juni und Juli habe ich während der sechs Beobachtungsjahre niemals ein Dauerei gesehen. Die zweite Sexualperiode beginnt Anfang August wieder mit dem Auftreten von Männchen, denen bald die Dauereier folgen; etwa von Mitte September bis Ende Oktober sind in allen untersuchten Gewässern Männchen und Dauereier am häufigsten, einzeln findet man sie noch bis gegen Ende des November. Soweit ich bis jetzt beurteilen kann, ist die Zahl der Männchen und der Dauereier bildenden Weibchen in der herbstlichen Sexualperiode viel beträchtlicher als in der des Frühjahres. In meiner oben zitierten Arbeit über die Periodizitätsverhältnisse ete. habe ich bereits darauf hingewiesen, dass man zur Zeit der Sexualperioden manchmal Asplanchna- Weibehen findet, die gleich- zeitig ein Dauerei und mehrere Embryonen im Uterus enthalten; in einer Anmerkung fügte ich (l. e. pag. 13) hinzu: „Bei einer wieder- holten Durchsicht meines konservierten Materiales scheint es mir, als ob sich diese Embryonen zu Männchen entwickelten“. Diese Be- obachtung vom Jahre 1893 habe ich in der Folgezeit noch sehr oft be- stätigen können und auch neuerdings, bei Gelegenheit unserer gemein- schaftlichen Studien über die ersten Entwickelungsvorgänge des befruchte- ten und unbefruchteten Rotatorieneies, fanden von Erlanger und ich wohl sicher schon mehr als hundert solcher Asplanchna-Weibchen, deren Uterus neben einem Dauerei (immer unmittelbar am Ovar) eine Anzahl von Eiern und Embryonen enthielt, die sich durch eine Reihe charak- teristischer Eigenschaften zweifellos als männlich dokumentierten. Bei dieser Gelegenheit wurde auch festgestellt, dass die Dauereier wirk- lich befruchtet sind, da wir in ihnen nicht nur das eingedrungene Spermatozoon und seine Umbildung zum männlichen Vorkern fanden, sondern auch die Kopulation der beiden Vorkerne beobachten konnten. Während man bisher fast allgemein annahm, dass ein Rädertier- weibehen entweder nur parthenogenetische „Sommereier“ oder nur Männcheneier oder nur Dauereier produziert, folgt aus meinen oben mitgeteilten Beobachtungen, dass bei Asplanchna zweierlei Weibchen vorkommen: solche die parthenogenetische Sommereier und solche die (ebenfalls auf parthenogenetischem Wege) Männcheneier produzieren, 1) Für Asplanchna priodonta, A. Brightwellü, Triarthra longiseta habe ich die zweimalige Bildung von Dauereiern bereits 1893 nachgewiesen und dies in meiner Arbeit über die Periodizitätsverhältnisse ete. durch Auszüge aus meinem Tagebuche belegt. Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. 179 welch letztere sich im Fall einer Befruchtung zu Dauereiern umbilden. Diese letzte Thatsache scheint mir darum von besonderem Interesse, weil Maupas für BAydatina senta ähnliches angiebt und es sich somit wahrscheinlich um eme allgemeine Erscheinung bei Rotatorien handelt. Bemerkt sei übrigens noch, dass M. Nussbaum!) es für vorläufig noch nicht entschieden hält, „ob, wie Maupas vermutet, männliche Sommereier durch Befruchtung zu Dauereiern werden“ (]. e. pag. 306). Für Asplanchna dagegen ist, wie gesagt, die Thatsache zweifellos und nicht schwer zu konstatieren, da hier die Entwickelung der Eier im Innern des Weibehens vor sich geht und man infolge- dessen manchmal ein vollständig entwickeltes hartschaliges Dauerei neben einem vollständig ausgebildeten Männchen in ein und demselben Uterus neben einander liegen sieht. Asplanchna Brightwellii Gosse schließt sich bezüglich der Zeit des Auftretens von Männchen sowie der Bildung von Dauereiern ganz an A. priodonta an. Triarthra longiseta Ehrb. Diese häufige Art hat ebenfalls zwei Sexualperioden: die erste im März, April und teilweise noch im Mai, die zweite von Ende Juli bis in den Oktober, einmal traf ich auch schon Anfangs Juli ein Dauerei, was vielleicht darauf hindeuten dürfte, dass in einigen Gewässern auch Polyzyklie vorkommt. Am häufigsten fand ich Dauereier im April — so trug z.B. am21. April1891, wo Triarthra longiseta im Altrhein Neuhofen sehr häufig war, fast jedesWeibchen eines der charakteristischen Dauereier — und dann Ende September und An- fangs Oktober. Diese herbstliche Sexualperiode fand ich sogar an Triathren eines lichtlosen Brunnens auf Helgoland ausgeprägt, wo Ende August und Anfangs September 1895 neben zahlreichen Jungfernweibcehen einige Weibchen mit kleinen Männcheneiern sowie Dauereiern zur Be- obachtung gelangten ?). Polyarthra platyptera Ehrb. Auch hier beginnt die Frühjahrs- Sexualperiode schon im März, wo man einzelne Weibchen die kleinen Männcheneier herumschleppen sieht; bald folgen Dauereier, die im April und Anfangs Mai am häufigsten sind?). Von Juni ab findet sich dann die robuste Sommervarietät var. euryptera Wierz. Die zweite Sexualperiode erstreckt sich von Ende Juli bis Ende Oktober, wo- 4) M. Nussbaum, Die Entstehung des Geschlechts bei Hydatina senta. In: Archiv für mikr. Anatomie, 1897, S. 227— 308. 2) R. Lauterborn, Beiträge zur Süßwasserfauna der Insel Helgoland. In: Wissenschaftliche Meeresuntersuchungen, herausgeg. von der Kommission zur Erforschung der deutschen Meere etc., N. F., Bd. 1 (1894) S. 217. 3) Im August und September sah ich neben Weibchen, welche die gewöhn- lichen bestachelten Dauereier mit sich herumschleppten, auch solche die große dunkle Eier mit gefalteter Hülle trugen; ich konnte über die Bedeutung der letzteren noch nicht ins Klare kommen. 12* 180 Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. bei das Maximum der Häufigkeit von Männchen und Dauereiern auch hier auf Mitte September bis Mitte Oktober fällt. Bemerken will ich noch, dass ich einmal auch am 8. Juli Männ- cheneier sowie ein Dauerei notiert habe; Apstein (Süßwasserplankton S. 159) fand Männchen- und Dauereier auch im Juni und Juli. Poly- arthra ist somit wahrscheinlich in einzelnen Gewässern auch poly- zyklisch. Sychaeta pectinata Ehrb. Von dieser Art beobachtete ich Dauer- eier bis jetzt nur in den Monaten April und dann von Ende Juli bis zum Oktober, wie bei den vorhergehenden mit einem Maximum der Häufigkeit im September. Außer diesen Rädertieren habe ich auch bei folgenden perennierenden Formen Dauereier beobachtet, ohne jedoch mit Sicherheit entscheiden zu können, ob hier Dizyklie oder Polyzyklie vorliegt. Brachionus pala Ehrb. Ich sah Männcheneier und Dauereier von März bis Mai, im Juli und im September, Oktober. Wohl polyzyklisch. Bbrachionus angularıs Gosse bildete Dauereier im April, Juni, August, Oktober und November. Wohl ebenfalls polyzyklisch. Anuraea aculeata Ehrb. Dauereier gelangten zur Beobachtung im Februar, April (an einer Reihe von Fundorten gleichzeitig) und Juni. Die Mehrzahl der Weibehen, welche ich mit Dauereiern be- obachtete, zeichneten sich dadurch aus, dass die Hinterdornen des Panzers von ungleicher Länge waren oder auf einer Seite vollständig fehlten. (Ehrenberg’s Anuraea valga). Von folgenden Rädertieren habe ich bis jetzt nur eine Sexual- periode im Jahr beobachtet, doch halte ich es für sicher, dass sich bei ihnen auch noch zu anderen Zeiten, Dauereier werden nachweisen lassen. Hudsonella pygmaea (Calm.). Von dieser prächtig gefärbten Art fand ich Dauereier bis jetzt nur Ende Oktober. Dieselben sind 72 w lang, 50 u breit, an Gestalt oval und auf ihrer ganzen Oberfläche mit kurzen Borsten besetzt. Sie werden frei in das Wasser abgelegt im Gegensatz zu den sog. „Sommereiern“, die ich in der Regel den kugelförmigen Kolonien von Uroglena Volvox oder den Bäumchen von Dinobryon angeklebt fand. Diese Gewohnheit, ihre Eier an andere limnetische Organismen zu befestigen, besitzt, wie beiläufig erwähnt werden mag, auch Mastigocerca capueina Zach. u.Wierz. (M. hudsonvi Lauterb.), welche ihre Eier gern an Asplanchna klebt'). Synchaeta tremula Ehrb. Dauereier wurden bis jetzt nur im November beobachtet. In dem nämlichen Monat sahı ich zahlreiche 1) Eine ähnliche Neigung besitzt nach Apstein (Süßwasserplankton S. 160-161) das von ihm Diurella tigris Bory genannte Rädertier, welches seine Eier an Melosira-Fäden befestigt. Die Apstein’sche Diurella ist übrigens nicht identisch mit der Form, welche ich früher fraglich als Diurella tigris und in der vorliegenden Arbeit als Rattulus bicornis Western. (? Coelopus simrlis Wierz.) aufgeführt habe. Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. 481 Individuen, bei denen die dorsale Kutikula in Längsfalten gelegt war und die neben dem medianen Auge noch zwei kleine Pigmentflecke besaßen. Sacculus viridis Gosse. Von dieser besonders in Teichen nicht seltenen Art habe ich Dauereier im April notiert. — Durch die vorstehenden, für manche Arten ja noch mehr oder weniger lückenhaften Beobachtungen, dürfte wohl der Beweis erbracht sein, dass ein systematisch Jahre hindurch betriebenes Studium der Dauereibildung bei Rotatorien ein noch kaum bebautes Feld für biologische Forschung bietet, das dereinst sicher für unsere Auffassung der geschlechtlichen und parthenogenetischen Fortpflanzung seine Früchte tragen wird. Gerade die limnetischen oder pelagischen Formen scheinen mir be- sonders günstige Untersuchungsobjekte zu sein, da sie sehr weit ver- breitet sind und meist in großen Mengen vorkommen, so dass man in kurzer Zeit viele hunderte von Individuen durchmustern kann. Allerdings sind sie auf der anderen Seite experimentellen Untersuchungen wenig zugänglich, da sie für ihre normale Entfaltung ausgedehnter freier Wasserflächen bedürfen und sich darum in ihrer überwiegenden Mehrzahl nur schwer kultivieren lassen werden. Eins scheint mir jedoeh jetzt schon ziemlich sicher, nämlich dass der Eintritt der Sexual- perioden keineswegs ausschließlich von direkt einwirkenden äußeren Ursachen abhängig, sondern in erster Linie im Entwiekelungsgang der einzelnen Arten begründet ist und nur sekundär durch äußere Einflüsse modifiziert wird. Eine derartige Auffassung steht allerdings im Gegensatz zu den Resultaten, die Maupas!) und M. Nussbaum bei ihren Experimenten mit Hydatina senta erhalten haben. Nach Maupas ist nämlich die Erhöhung der Temperatur der regulierende Faktor, welcher das Auftreten der Männchen (und damit die Bildung von Dauereiern) bewirkt, während Nussbaum der Ansicht ist, dass ungenügende Ernährung der Weibchen innerhalb einer gewissen Ent- wickelungsphase das Auftreten von Männchen bestimmt. Ich will nun die Richtigkeit der so interessanten und wichtigen Beobachtungen dieser beiden Forscher durchaus nicht bestreiten, so lange dieselben sich nur auf Aydatina beziehen. Dieses Rädertier bewohnt nämlich vorzugs- weise und meist in Gesellschaft von Kuglena, Chlamydomonas Pfützen, Regenlachen, Strassengräben etc., also minimale Wasseransammlungen, welche der Gefahr einer wiederholten Austrocknung besonders aus- gesetzt sind. Wenn wir uns nun vergegenwärtigen, wie leicht und wie rasch solche ephemere Gewässer von den warmen Sonnenstrahlen aufgesogen werden, wobei natürlich auch die zu Gebote stehende Nahrung?) immer knapper wird, so drängt sich wohl der Gedanke 1) E. Maupas. In: Comptes rendus de l’Acadömie francaise, Tome 113, 14. September 1891. 2) Bei hoher Temperatur und beginnender Austrocknung enzystieren sich 182 Lauterborn, Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. auf, dass die Fähigkeit von Hydatina bei Erhöhung der Temperatur resp. mangelhafter Ernährung Männchen zu bilden, eine ganz spezielle Anpassung an ihre eigenartigen Lebensbedingungen ist, welche den Zweck hat, stets rechtzeitig vor Beginn der Eintrocknung die Bildung befruchteter Dauereier zu sichern, welche allein eine längere Trocken- periode zu überdauern vermögen und so den Bestand der Art in dem betreffenden Wasserbeeken erhalten. Für die überwältigende Mehrheit jener Rotatorien jedoch, welche nicht austrocknende Gewässer oder gar die weiten Wasserflächen größerer Teiche und Seen bevölkern, dürfte sich ein Einfluss erhöhter Temperatur oder mangelhafter Er- nährung auf das Erscheinen von Männchen kaum nachweisen lassen. Denn wäre die Anschauung von Maupas richtig, so müsste man die meisten Männchen im Sommer vermuten, während dieselben doch, wie wir sahen, am zahlreichsten im Frühjahr und besonders im Herbst auftreten. Auch von einem Mangel an Nahrung kann bei den hier speziell behandelten limnetischen Arten keine Rede sein, da zur Zeit der beiden Sexualperioden das Plankton stets Nahrung in Gestalt von Algen, besonders Diatomeen, Flagellaten (Dinobryon, Ceratium, Peridinium ete.) in Hülle und Fülle birgt, während gerade zu der Zeit, wo die Quantität des den hotatorien als Nahrung dienenden Planktons am geringsten ist, nämlich im Januar und Februar, von mir niemals Männchen beobachtet wurden). Meine eigenen im Freien angestellten Beobachtungen haben in mir allmählich die Anschauung reifen lassen, dass bei den Rotatorien das Auftreten von Männchen und damit die Bildung befruchteter Dauereier an bestimmte Generationen gebunden ist. Ich stelle mir vor, dass die aus den Dauereiern ausschlüpfenden Weibchen die Fähigkeit besitzen, sich durch eine Reihe von Generationen hindurch auf parthenogenetischem Wege fortzupflanzen; nach einer gewissen, von den Existenzbedingungen der einzelnen Arten abhängigen verschiede- nen Zahl parthenogenetischer Generationen erlischt allmählich die Fähigkeit der ungeschlechtlichen Reproduktion und es stellt sich ein Befruchtungsbedürfnis ein, vergleichbar etwa dem Kopulationsbedürfnis der Infusorien nach einer langen Reihe ungeschlechtlicher Teilungen. Dieses Befruchtungsbedürfnis äußert sich darin, dass an Stelle der größeren Sommereier zahlreiche kleine Männcheneier auftreten, die befruchtet zu Dauereiern werden. Als Stütze für diese Auffassung lässt sich vielleicht der Umstand verwerten, dass das Ovar der Männchen- und Dauereier bildenden Weibchen von Asplanchna in der That ge- die Euglenen und ballen sich zu Klumpen zusammen, so dass sie von den Hydatinen nicht gefressen werden können, wie Nussbaum bei seinen Ver- suchen unliebsam bemerken musste. 1) Ausgenommen die oben erwähnte Rhinops vitrea und Triarthra mysta- cina (Februar). Sabussow, Geschlechtsorgane von Zriaenophorus nodulosus Rud. 183 wisse später zu schildernde Verschiedenheiten von dem Ovar der ge- wöhnlichen Weibehen aufweist und dass bei der genannten Gattung nach Ausbildung des Dauereis das Ovar, d. h. Keim- und Dotterstock, degeneriert. Bei den monozyklischen Rotatorien wird die Zahl der auf- einanderfolgenden parthenogenetischen Generationen im Allgemeinen eine größere sein müssen als bei den di- oder gar polyzyklischen und dürfte sich hiebei, wie schon oben angedeutet, wohl eine gewisse Abhängig- keit von der Beschaffenheit der Gewässer, also eine indirekte Be- einflussung des Auftretens der Sexualperioden von äußeren Einflüssen, nachweisen lassen. Dass bei den dizyklischen Rotatorien der Zeitraum zwischen dem Beginn der frühjährlichen und herbstlichen Sexualperiode ein viel kürzerer ist, als zwischen der herbstlichen und frühjährlichen, dürfte sich kaum als Einwand gegen eine bestimmte Anzahl partheno- genetischer Generationen geltend machen lassen, da ja, wie wir aus den Untersuchungen von Maupas und Nussbaum wissen, die Ver- mehrung bei erhöhter Temperatur viel rascher vor sich geht. Die im Vorstehenden geschilderte Auffassung ist, was ich zu be- achten bitte, bis jetzt lediglich eine Hypothese, die aber doch wohl einige Berücksichtigung verdient. Eine Entscheidung über ihre Be- rechtigung wird nur mit Hilfe experimenteller Untersuchungen möglich sein und diesen hoffe ich in nicht allzuferner Zeit näher treten zu können. 1124] Ludwigshafen a. Rhein, 16. November 1897. Zur Histologie der Geschlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. Von H. Sabussow in Kasan. Vor einigen Jahren beschäftigte ich mich mit dem Studium des feineren Baues des Cestoden- und Trematodenkörpers. Bei diesen Untersuchungen wandte ich, um die Histologie des centralen und peri- pheren Nervensystems dieser Würmer zu entziffern, die neueren Methoden der Chromsilberimprägnation nach Golgi und der intravitalen Färbung mit Methylenblau an. Die hierbei gewonnenen Ergebnisse über den Bau des peripheren Nervensystems und der Muskelbildungszellen stimmen fast vollkommen mit denjenigen von Blochmann, Zernecke und Bettendorff überein, weshalb ich mich hier darauf beschränken will, nur die Thatsachen, welche mir über den feineren Bau der Ge- schlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus zu ermitteln gelang, in Kürze mitzuteilen. 1. Der Bau des Cirrusbeutels und des Cirrus. Der Cirrusbeutel von Triaenophorus nodulosus ist ein muskulöser Sack, welcher das Ende des Samenleiters umgiebt und in seinem 484 Sabussow, Geschlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. Inneren das Kopulationsorgan, den Cirrus, beherbergt. Die Gestalt des Cirrusbeutels ist ungefähr retortenförmig. Sein distales Ende ist kugelförmig erweitert, während sein proximaler Abschnitt zylindrisch ist; dabei ist die Axe des Organs in ihrem mittleren Teile etwas ge- krümmt. Fig. 1. Horizontalschnitt durch den Anfangs- teil des Cirrusbeutels und des Cirrus. 0b — Cirrusbeutel. Cr = :Cirrus. My, — Myoblasten der longitudinalen Muskel- fasern des Cirrusbeutels. My, — Myoblasten der Längsmuskelschicht des Cirrus. Vd = Vas deferens, Vergr. ca. 41/150. Die Wand des Cirrusbeutels (Fig. 1, Cb) besteht hauptsächlich aus zwei Muskelschichten: einer äußeren, mächtigen Lage von Längsmuskel- fasern und einer inneren, dünnen Schicht von Ringmuskeln. Die Ring- muskelfasern sind oft sehr spärlich vorhanden und haben, wie es scheint, eine untergeordnete Bedeutung. Auf der Außenfläche des Cirrus- beutels erkennt man an Schnitten stets, in diehter Reihe zusammen- gedrängt, eine Menge von verhältnismäßig großen, kolbenförmigen Zellen, welche eine epithelartige Anordnung haben. Diese Zellen be- sitzen einen rundlichen, nicht besonders stark tingierbaren Kern und ein faseriges Protoplasma: es sind das die Muskelbildungszellen, die Myoblasten der longitudinalen Muskelschicht {My,). Die morphologische bedeutung dieser Zellen wurde neuerdings bei Diploposthe levis von Jacobi richtig erkannt, während Fuhrmann sie bei Taenia depressa für epitheliale Elemente hielt. Am kuglig erweiterten Teile des Cirrus- beutels sind die Myoblasten in mehrere Schichten angeordnet, besonders um die Einmündungsstelle des Vas deferens herum. Den Zwischen- raum zwischen den Wänden des Cirrusbeutels und dem Cirrus füllen Parenchymzellen aus, unter denen sich die spärlich vorhandenen Myo- blasten der Ringmuskulatur des Cirrusbeutels und radiäre Muskel- fasern befinden. | Der Cirrus (unter welcher Bezeichnung ich mit M. Braun die im Uirrusbeutel liegende Fortsetzung des Vas deferens verstehe) ist gleich- falls eine vorzugsweise muskulöse Bildung (Cr). Die Muskulatur ist hier besonders mächtig am dorsalen, flaschenförmig erweiterten Teile entfaltet und nimmt allmählich gegen das proximale Ende zu ab. Der Sabussow, Geschlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. 185 erweiterte Teil des Cirrus besteht aus zwei Muskelschichten, einer äußeren Längsschicht und einer inneren Querschicht. Die Quer- oder Ringfaserschicht ist dünner als die sie umgebende Längsschicht, welche hauptsächlich die Verdickung des erweiterten Cirrusteiles verursacht, und zeigt nach dem Lumen des Cirrus hin ringförmige Falten, die von einer dünnen Cutieula bedeckt sind. Diese Falten werden im zylindrischen Teile des Cirrus allmählich niedriger um bald darauf vollkommen zu verschwinden, so dass die Innenfläche des Cirrus dann von der dünnen Cutieula allein bedeckt ist. Was den Ursprung der inneren Cutieula des Cirrus betrifft, so rührt sie meiner Meinung nach jedenfalls von einer stark ui Epithelzellenschicht her. Bei den jüngeren Gliedern der Bandwurm- kette ist nämlich das Lumen des Cirrus von echten Epithelzellen aus- gekleidet. Bei völlig entwickelten und in Reifung begriffenen Gliedern aber drängen sich die verlängerten Zellkörper mit dem Kerne wahr- scheinlich durch die Muskelschiehten hindurch bis in die Region der Myoblasten, von denen sie hier nicht mehr unterscheidbar sind. Ganz ähnliche Verhältnisse wurden neuerdings von Jander!) am Trieladen- pharyux beobachtet. Dort wo der Cirrus in die Genitalkloake einmündet, erweitert sieh sein Lumen etwas, und an ‘dieser Stelle sitzen der inneren Cutieula feine Härchen auf. Fig. 2. Horizontalschnitt durch den mittieren Teil des Cirrusbeutels und des Cirrus von Triaenophorus nodu- losus. Präparat nach der Golgi’schen Methode, Nz — polygonale Zelle (motorische Nervenzelle ?) Mf = Muskelfasern des Cirrus. Vergr. ca 141/300. Die Außenfläche des Cirrus nimmt eine dichte Lage von Myo- blasten ein, welchen die Muskelfasern ihren Ursprung verdanken (My,). Diese Myoblasten wurden von einigen Autoren wie Zschokke, Krä- mer, Lönnberg, v. Linstow, entweder für Epithelzellen halfen, 1) Dr. R. Jander, Die Epithelverhältnisse des Trieladenpharynx, Zool. Jahrb., Abt. f. Anat., X. Bd., 2. Heft, 1897, 1856 Sabussow, Geschlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. die nach außen. von der kutikularen Bekleidung der Lichtung des Cirrus liegen, oder sie wurden für drüsenartige Zellen erklärt, und eine Einmündung derselben in das Cirruslumen angenommen. An Golgi-Präparaten waren die Muskelfasern (Fig. 2, Mf) und die Myoblasten des Cirrusbeutels und des Cirrus fast stets gut im- prägniert. Wie das für diese Methode charakteristisch ist, hatten sich natürlich nicht alle Myoblasten, sondern ein Teil derselben gefärbt. Hier und dort kann man an solchen Präparaten polygonale Zellen (Fig. 2, Nz) beobachten, welche, selbst auf der Außenfläche des Cirrus- beutel sitzend, lange variköse Fortsätze durch die Muskelschichten des Cirrusbeutels und zwischen die Parenchymzellen hindurch zu den Muskelfasern des Cirrus schicken. Außerdem haben diese Zellen noch einen Fortsatz, welcher ins Parenchym eindringt, hier aber sich nicht weiter verfolgen lässt. Vielleicht haben diese Zellen die Bedeutung von motorischen Nervenzellen, jedoch ist das vorläufig bloß eine Ver- ınutung, da ich ihren Zusammenhang mit Nerven nicht direkt beobach- ten konnte. 2. Der Bau der Vagina. Die Vagina (Fig. 3) ist bei Triaenophorus nodulosus innen von Epithelzellen ausgekleidet, welche in der Nähe des Ovariums fast zylindrisch sind, gegen die Genitalkloake hin aber an Höhe allmählich Fig. 3. Fig. 4. 7 on m © Fig. 3. Horizontalschnitt durch die Vagina von Triaenophorus nodulosus. My Myoblasten der Muskelfasern der Vagina; Pz = Parenchymzellen. Vergr. ca. 1/150. Fig. 4. Die Vagina von Triaenophorus nodulosus von einem Geflechte der imprägnierten Zellen umgeben. — Präparat nach Golgi. Nz — motorische Nervenzelle (?); Cf —= Centralfortsatz derselben. Vergr. ca. 1/300. Sabussow, Geschlechtsorgane von Triaenophorus nodulosus Rud. 187 abnehmen und schließlich vollkommen flach werden. Das Plasma dieser Zellen ist feinkörnig und färbt sich ziemlich stark. Die Kerne haben eine ovale Gestalt und sind etwas dunkler als die Kerne der benachbarten Myoblasten und Parenchymzellen. Diese Epithelschicht geht in die innere Cutieularschieht der Genitalkloake über. Die Härchen, welche nach Steudener') das Lumen der Vagina bekleiden sollen, habe ich nicht gesehen. Die Muskulatur der Vagina ist bei Triaenophorus sehr undeutlich. Die Muskelfasern sind sehr dünn und sehr spärlich vorhanden. Die Myoblasten (Fig. 3, My), welche diese Muskelfasern produzieren, sitzen der Außenfläche der Vagina in Form einer diehten Schicht von ziem- lich großen, radiär gestellten Zellen auf, welche von manchen Autoren als Drüsenzellen betrachtet worden sind. Sie sind oft birnförmig und haben ein blasses Protoplasma mit faseriger Struktur. Gegen die Genitalkloake hin erweitert sich die Vagina und ver- engert sich plötzlich vor ihrer Mündung in die erstere, um sich an ihrem äußersten Ende dann wiederum etwas zu erweitern. Diese Verhältnisse wurden schon von Sograff im Allgemeinen richtig angedeutet. An Präparaten, welche nach der schnellen Methode von Golegi angefertigt wurden, erhält man folgendes Bild vom Baue der Vagina (Fig. 4). Sie erscheint hier als ein zylindrisches Rohr, das von einem Geflechte schwarz gefärbter Zellen umgeben ist (Fig. 4, N2). Diese Fig. 5. Fig.5. Die Endverzweigungen mit den Endplättchen einer motorischen Nervenzelle (?) an der Vaginawand. Präparat nach Golsgi. Zeiss. Homog. Immers. Apo- chromat. 2. Oe. 12. Zellen liegen im Parenchym in einigem Abstande von den Wänden der Vagina und haben zahlreiche gewundene Fortsätze, welche zur Vagina gehen, sich in mehrere Nebenäste zerfasern und auf der Vagina- wandung knopfartig endigen (Fig.5, Edp). Bei stärkerer Vergrößerung erscheinen die Endästehen der Fortsätze als Ketten von Varikositäten, an deren Enden sich kleine kugelförmige oder ovale Bildungen be- 1) Die Abhandlung von Steudener (Untersuchungen über den feineren Bau der Cestoden. Abh. d. naturf. Ges, Halle, Bd, XIII) war mir leider unzu- gänglich, 185 v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese*, finden. Die Verzweigungen der Fortsätze und Endästchen sind dureh- aus unregelmäßig. Es fragt sich nun, was für eine morphologische Bedeutung haben diese mit verzweigten Fortsätzen versehenen Zellen? Man könnte sie wohl für Muskelbildungszellen oder Myoblasten halten, jedoch sind dafür die Zellkörper von den Vaginawänden zu weit entfernt, indem die Myoblasten, wie wir sahen, den letzteren unmittelbar aufliegen. Ferner könnten diese schwarz imprägnierten Zellen Parenchymzellen sein, welche sich bei der Anwendung der Golgi’schen Methode ge- wöhnlich auch gut färben. Einer solchen Deniihe aber steht meiner Meinung nach ein wichtiges Argument im Wege, nämlich das Vor- handensein jener eigentümlichen Endigungen ihrer letzten Verzweig- ungen. Diese Endigungen sind denjenigen ganz Ähnlich, wie sie als motorische im hückziehmuskel des hinteren Fühlers bei Helix pomatia von Samassa dargestellt werden |Fig. 28, 29 auf Taf. 34|'). Aehn- lich ist auch die Endigungsweise der motorischen Nervenfasern in der glatten Muskulatur bei den höheren Tieren?). Daher halte ich es für sehr leicht möglich, dass auch die kopfartigen Endigungen an der Vaginawand von Triaenophorus nodulosus (Fig. 5) als motorische End- plättchen und die Zellen selbst als motorische Nervenzellen, welche die Muskelschiehten innervieren, aufzufassen sind. Immerhin aber möchte ich eine solche Auffassung nur mit der größten Reserve .aus- gesprochen haben, "da ich die Verbindung der zentralen Fortsätze der beschriebenen Zellen mit den Längsstämmen des Nervensystems nicht nachweisen konnte. Hier will ich noch hinzufügen, dass in den Wänden der Genital- kloake eine große Menge von Sinneszellen vorkommen. Diese Zellen haben einen langen, peripheren Fortsatz, welcher in der Cutieula mit einem Endbläschen versehen ist, wie dies auch bei anderen Sinnes- zellen des Oestoden - Integuments der Fall ist. [127] Kasan, November 1897. Ueber die Begriffe „Evolution* und „Epigenese*“. Von Dr. Franz von Wagner, a. 0. Professor an der Universität Gießen. Im 16. Bande dieser Zeitschrift (1896, S.368—371) hat P. Samassa einen kurzen Artikel unter dem vorstehenden Titel veröffentlicht, ın welchem dargelegt werden soll, dass ich in meiner kurz vorher von zierten Kritik der Frfwicklunestheorie OÖ. Hertwig’s?) die genannten 1) P. Samassa, Ueber die Nerven des augentragenden Fühlers von Helix pomatia. Zool. Jahrb., Bd. VII, 1894. 2) R. S. Bergh, Vorlesungen über die Zelle und die einfachen Gewebe, 1894 (S. 156). | 3) Diese Zeitschrift, Bd. XV, 1895, 8..777 ff. v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“, 189 Begriffe in einem Sinne gebraucht hätte, „der von dem herkömmlichen völlig abweicht“. Nach meiner Ansicht sei die Evolution jene Lehre, „die die Ursachen der Entwicklung in den Keim verlegt, während die Epigenese sie in den äußeren Umständen sucht“, thatsächlich aber wäre der mit dem Ausdrucke „Epigenese“ verbundene „gebräuchliche“ Begriff „die Annahme, dass die verschiedenen Teile des Organismus nicht auf die Wirkung verschiedener Teile in der Anlagesubstanz zu- rückzuführen sind, sondern dass während der Entwicklung selbst erst eine zunehmende Komplikation entsteht“. Am Schlusse seiner Aus- führungen erhebt Samassa ferner den Vorwurf gegen mich, „v. Wag- ner hätte daher doch mindestens bemerken und begründen müssen, dass und warum er das thut“. Ich hatte ursprünglich die Absicht, auf diese Kritik Samassas nicht besonders, sondern in einem bestimmten Zusammenhange und dann ausführlich zu erwidern. Da ich nun zu meinem Bedauern von Tag zu Tag weniger abzusehen vermag, wann dies würde geschehen können, will ich, um nicht durch beharrliches Schweigen den Anschein zu erwecken, als ob ich die oben näher bezeichneten Ausstellungeu Samassas einfach als eine zutreffende Korrektur eines von mir be- gangenen Versehens stillschweigend hingenommen hätte, im Folgenden, wenn auch nur kurz, den Standpunkt präzisieren, welchen ich seiner- zeit in der in Rede stehenden Streitfrage eingenommen habe und genau ebenso auch heute festhalte. Man wird es nicht als eine allzu vermessene Annahme betrachten können, wenn ich bei Abfassung eines Artikels, der sich speziell gegen die von OÖ. Hertwig hauptsächlich im ersten Hefte seiner „Zeit- und Streitfragen der Biologie“ aufgestellte Entwicklungstheorie!) richtete und diesen Umstand schon durch den Titel „Einige Be- merkungen zu OÖ. Hertwig’s Entwicklungstheorie“ in unzweideutiger Weise zum Ausdruck brachte, glaubte voraussetzen zu dürfen, dass der Leser einer solchen Arbeit vorher von dem Inhalte der betreffenden Schrift ©. Hertwig’s Kenntnis genommen haben werde Wenn ich in dieser Voraussetzung irrte, so muss ich die Schuld an diesem Irrtum nicht nur für meine Person ablehnen, sondern notwendigerweise dem- jenigen auferlegen, der durch Außerachtlassung des Selbstverständ- lichsten sich als der „mit dem Gegenstande minder Vertraute“ erweist. Denn wer über O. Hertwig’s Entwieklungstheorie orientiert ist und dann meine kritischen Bemerkungen zu derselben liest, wird nicht einen Augenblick, wie Samassa befürchtet, „der Täuschung ver- fallen“, weil ich die Ausdrücke „Evolution“ und „Epigenese“ lediglich im Sinne desjenigen gebrauche, dessen Auffassung ich bekämpfe, im Sinne ©. Hertwig’s. 2) Vergl. 0. Hertwig, Präformation oder Epigenese? (1894), besonders den II. Teil: Gedanken zu einer Entwicklungstheorie der Organismen (S. 97 ff.). P2 190 v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. Um dies zu beweisen, genügt es, hier diejenigen Sätze aus O. Hert- wie’s Aufstellungen wörtlich anzuführen, in welchen dieser Forscher selbst mit aller wünschenswerten Klarheit das Charakteristische seiner Entwicklungstheorie dargelegt hat: „Auch von unserem Standpunkt aus bedürfen wir zur Erklärung des Entwieklungsprozesses der einzelnen Orga- nismenarten verschiedener Arten von Anlagesubstanzen, die eine außerordentlich hohe Organisation besitzen und vermöge derselben in spezifischer, das heißt: ihrer Art entsprechender Weise auf das Feinste auf alle äußeren und inneren Reize reagieren, von denen sie an den ver- schiedenen Punkten des dureh Zellteilung wachsenden Organismus getroffen werden. „In diesem Sinne können wir mit Nägeli sagen: »Die Eizellen enthalten alle wesentlichen Merkmale ebensogut wie der ausgebildete Organismus, und als Eizellen unterscheiden sich die Organismen nicht minder von einander als im entwickelten Zustande. In dem Hühnerei ist die Species ebenso vollständig enthalten als im Huhn, und das Hühnerei ist von dem Froschei ebenso weit verschieden, als das Huhn vom Frosch«. Wie Mensch, Nagetier, Wiederkäuer und wirbelloses Tier in ihrer Organisation mehr oder minder tiefgreifende, uns äußer- lich wahrnehmbare Uuterschiede darbieten, so müssen auch die von ihnen abstammenden Geschlechtszellen, insofern sie die Anlagen des späteren ausgebildeten Zustandes darstellen, durch die Beschaffenheit der Anlagen in entsprechender Weise von einander unterschieden sein, ‘nur dass die unterscheidenden Momente jetzt auf einem unserer Wahr- nehmung noch verschlossenen Gebiete liegen. „In der Annahme einer spezifischund zwar schon sehr hoch organisierten Anlagesubstanz als Ausgang für die Entwieklung stimmen wir mit den Evolutionisten überein; aber wir haben im besonderen von dieser Substanz eine sanz andere Vorstellung als sie, indem wir ihr nurEigen- schaften, die mit dem Begriff und dem Charakter der Zelle zu vereinbaren sind, nicht aber die zahllosen Eigenschaf- ten zusehreiben, die erst durch Vereinigung vieler Zellen unter Mitwirkung äußerer Bedingungen hervorgerufen werden. „Haacke hat in seinem kürzlich erschienenen Buch: Gestaltung und Vererbung, einen Zweifel laut werden lassen, ob nicht meine Auf- fassung der Entwicklung selbst eine präformistische sei: »Für den Begriff des Präformismus komme es nicht darauf an, dass man im Keim ein mikroskopisches Abbild des fertigen Organismus erblickt, sondern man brauche nur, wie Hertwig es thut, eine vorgebildete Anordnung qualitativ vorgebildeter Idioblasten in der Gesamtanlage v. Wagner, Ueber die Begriffe „Evolution“ und „Epigenese“. 191 anzunehmen, um mit vollen Segeln in den Hafen des Präformismus hineinzusteuern«. „Dem gegenüber kann ich nur betonen, dass meine Stellung eine vermittelnde ist, ebenso wie die Stellung von Nägeli, von de Vries, Driesch u. a., indem wir, was in der Lehre von der Evolution und Epigenese gut und brauchbar ist, aus beiden herauszuziehen und zu verschmelzen gesucht haben. „Evolutionistisch kann man die Theorie nennen, weil sie als Grundlage des Entwicklungsprozesses schon eine spezifisch nnd hoch organisierte Anlagesubstanz an- nimmt, epigenetisch dagegen ist sie, insofern nur dureh Erfüllung zahlloser Bedingungen, zu denen ich nament- Behrauch die mit der,„ersten -Zellteilung .beginnenden chemischen Prozesse hinzurecehne, dieAnlage allmählich von Stufe zu Stufe sich umgestaltend wächst, um schließ- lich zum fertigen Entwicklungsprodukt zu werden, das yon seiner ersten Anlage so verschieden ist, wie die aus- gebildete Pflanze und das ausgebildete Tier von der sie aufbauenden Zelle“ '). Und Weismann gegenüber sagt OÖ. Hertwig: „Wir dagegen machen die Entfaltung der Anlagen abhängig von Be- dingungen oder Ursachen, die außerhalb der Anlagesub- stanz der Eizelle liegen, aber trotzdem in gesetzmäßiger Folge durch den Entwicklungsprozess produziert werden. Wir erkennen solche erstens in den Wechselbeziehungen, in welche dieZelleneines Organismus, während siedurch Teilung anZahl zunehmen, ineiner sich stetig verändern- den Weise zu einander treten, und zweitens in den Ein- wirkungen der den Organismus umgebenden Außenwelt“?). Dass ich mich in meinen Ausführungen, die sich doch von vorn- herein :als kritische Bemerkungen zu der Entwicklungstheorie O. Hert- wig’s ausweisen, bezüglich der Ausdrücke „Evolution“ und „Epigenese“ den Formulierungen dieses Forschers einfach anzuschließen hatte, bedarf als eine für jeden Einsichtigen selbstverständliche Sache keiner besonderen Begründung. Es ist und bleibt deshalb bei der gegebenen Sachlage auch ganz und gar gleichgiltig, ob Weismann oder Roux, welche Samassa gegen mich zitiert, die Ausdrücke „Evolution“ und „Epigenese“* in einem anderen Sinne, als dies OÖ. Hertwig gethan hat, gebraucht haben oder gebrauchen oder nicht. „Aus dem vorstehenden geht doch wohl zur Genüge hervor“, dass es nicht richtig ist, wenn Samassa behauptet, ich hätte die Worte „Evolution“ und „Epigenese“ mit einem neuen „Begriffsinhalt“ aus- 1). e. 8.131 ft. 2) 1. e. 8. 99. 499 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. gestattet, „der von dem herkömmlichen völlig abweicht“; damit ist aber auch der von diesem Autor gegen mich erhobene, eingangs an- geführte Vorwurf als gegenstandslos hinfällig. Wenn demnach Sa- massa an dem „Begriffsinhalt“ der Worte „Evolution“ und „Epigenese“, wie sie von mir nach dem Vorgange O. Hertwig’s angewendet wurden, Aussetzungen zu machen sich gedrungen fühlt, muss ich ihn schon bitten, dieselben in Zukunft nieht an mich, sondern an die Adresse OÖ. Hertwig’s richten zu wollen. [121] Gießen, Anfang November 1897. Verhandlungen des internationalen medizinischen Kongresses in Moskau. 19.— 26. August 1897. (Anatomie, Anthropologie und Histologie). Es war eigentlich die Bildung von drei Sektionen, je einer für Anatomie, Anthropologie und Histologie, vorgesehen, aber auf den Vorschlag der Professoren Waldeyer und Stieda wurden die 3 Sek- tionen zu einer einzigen vereinigt. I. Sitzung 9./20. August. Die erste vereinigte Sitzung fand am 20. August statt. Die Herren Prof. Sernow, Anutschin und Ognew begrüßten die Anwesenden, die beiden ersten in französischer, der letzte in deutscher Sprache. Prof. Sernow wies auf die Bedeutung der internationalen Kon- gresse hin, sie wirkten mit zur Befestigung des Friedens zwischen den Kultur-Reichen und beförderten die Annäherung der Völker an einander. Prof. Ognew betonte die wiehtigen Dienste, die Europa in Betreff der Kultur- Entwicklung dem russischen Reiche geleistet hätte; dank diesen Diensten konnten die heutigen wissenschaftlichen Fortschritte erreicht- werden. | Prof. Anutschin skizzierte die heutige Lage der Kutlnepsluail ihre Ziele und ihre höchsten Aufgaben. Alle drei drückten den Anwesenden ihren Dank für das zahlreiche Erscheinen aus. Zu Ehrenpräsidenten der Sektion wurden gewählt die Herren Prof. Waldeyer (Berlin), Stieda (Königsberg), Romiti (Pisa). 1. Prof. Waldeyer (Berlin) sprach: über die Notwendigkeit einer einheitliehen (lateinischen) anatomischen Nomenklatur, und berichtete über die Arbeit der Kommission der anatomischen Ge- sellschaft. Es sei der Wunsch der Kommission, dass namentlich in der Litteratur die lateinischen Ausdrücke der Nomenklatyr zur: An- Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. 193 wendung kommen; daneben hätten die verschiedenen Nationen selbst- verständlich die Freiheit, die Bezeichnungen in ihrer eigenen Sprache nach Belieben zu benutzen. An der sich anschließenden Diskussion beteiligten sich Professor Romiti (Pisa) und Privatdozent Dr. Schrutz (Prag). 2. Prof. Stieda (Königsberg) sprach über das Vorkommen der Stirn-Naht und der Stirn-Fontanellknochen beim Menschen. Auf Veranlassung des Vortragenden untersuchte einer seiner Zu- hörer, Herr Dr. Springer, das Vorkommen der Stirn-Naht und der Stirnfontanellknochen an den Schädeln der Königsberger anatomischen Sammlung. Die Stirnnaht ist mehrfach untersucht worden, von Welcker, Anutschin, Jaschtschinsky, Popow u. a. In Betreff der Häufig- keit des Vorkommens der Stirnnaht kommt Springer zu dem Er- gebnis, dass eine Sutura frontalis in 8,6%, sich finde. Dieses Ergebnis stimmt mit den Resultaten anderer Forscher im Allgemeinen. Auf- fallend ist, dass die Seitenhälften des Stirnbeins nicht immer regel- mäßig mit dem Scheitelbein zusammenstoßen, sondern dass in unregel- mäßiger Weise das rechte Scheitelbein nicht nur mit dem rechten, sondern auch mit dem linken Stirnbein, und das linke Scheitelbein nicht nur mit dem linken, sondern auch mit dem rechten Stirnbein sich verbindet. Den Grund für diese Unregelmäßigkeiten sieht der Verfasser in dem Auftreten von accessorischen Knochenkernen im Be- reich der Stirnfontanelle; je nachdem die accessorischen Knochenkerne mit. dem einen oder andern der hier zusammenstoßenden Knochenränder sich vereinigen, entsteht je eine andere Kombination der Naht. 3. Prof. Jacques (Nancy). Giebt es im Herzen der Säugetiere intra-myokordiale Nervenzellen, die denjenigen Zellen gleichen, die man in den Darmwandungen antrifft? Zu welcher Kategorie ge- hören die Nervenzellen, die unter dem Perikardium am Herzen der Säuger liegen? Giebt es verschiedene Typen dieser Zellen ? 4. Prof. Lombroso (Turin). Ueber die Einflüsse des Kli- ' mas auf die anthropologischen Typen. Bei einer Vermischung zweier Rassen kann die neu hinzugekom- mene Rasse die charakteristischen Kennzeichen der älteren wohl ändern, aber später tritt der frühere Typus unter dem Einfluss der verschie- denen klimatischen Bedingungen und überhaupt der Umgebung, wiederum bei einem gewissen Teil der Bevölkerung hervor. In anderer Hinsicht werden die verschiedenen Typen (Rassen) indem sie unter gleichen Bedingungen leben, einander immer mehr gleich. 5. Prof. -Arnstein (Kasan). Zur Frage nach der Inner- vation der Drüsen. | XVII 13 494 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. Der Vortragende, der seit vielen Jahren sowohl selbst als auch unter Mitwirkung seiner Schüler sich mit den Nervenendigungen im Gebiete der Drüsen beschäftigt, giebt in großen Zügen die allgemeinen Resultate seiner Untersuchungen. 6. Dr. Arbo (Christiania). Ueber den Schädelindex in Norwegen, über die topographische Verteilung und die Beziehung des Schädelindex zur Körpergröße. Dr. Arbo sprach über die Ergebnisse von Untersuchungen, die er über die Form des Schädels und die Körpergröße in Norwegen gemacht hat. Er erläuterte seinen Vortrag durch eine Reihe von Karten. Es ergiebt sich, dass die Bevölkerung des westlichen ge- birgigen Norwegens sich durch ihre Brachycephalie (Kurzköpfig- keit) auszeichnet und einen geringeren Körperwuchs besitzt als die Bevölkerung des östlichen und südöstlichen Teils von Norwegen. Diese Thatsache ist auf Grund von Beobachtungen an 22—23jähr. Rekruten und Soldaten (circa 12000 Individuen) gemacht worden. Man darf schließen, dass die brachycephale Bevölkerung Norwegens durch eine Vermischung mit den hierher gedrängten Lappen entstanden sei, die einst — anderswo gelebt hätten (jetzt sind sie nur im nördlichen Nor- wegen zu treffen). Die Bevölkerung des östlichen Norwegens hat mehr den reinen germanischen Typus sich bewahrt. Die Professoren Stieda, Anutschin und Sergi weisen auf die Wichtigkeit ähnlicher Arbeiten für die einzelnen Gebiete hin. 7. Prof. v. Luschan (Berlin). Der Vortragende demonstrierte eine Reihe von Schädeln der alten Bewohner der Insel Teneriffa. Alle Schädel zeigen im Gebiet der Scheitelknochen mehr oder weniger beträchtliche Löcher, die — wie es scheint — durch Trepanation an Lebenden entstanden sind. Wahrscheinlich trepanierte man die lebenden Individuen auf Grund gewisser unklarer Anschau- ungen, z. B. zur Heilung von „Besessenen“, um den bösen Geist aus dem Hirn einen freien Ausweg zu gestatten. Es sind derartige Vor- urteile und Ansichten bei vielen Völkern zu finden — man hoffte durch Trepanation eine Heilung gewisser Krankheiten, z.B. der Epilepsie. II. Sitzung 21./9. August. 8. Prof. Debierre (Lille) über Polydaktylie. Ist die Poly- daktylie — das Vorkommen überzähliger Finger und Zehen — eine Missbildung d. h. eine pathologische oder eine atavistische Erschei- nung? Das heißt: ist die Polydaktylie eine Rückkehr zum Typus ent- fernter Vorfahren der Menschen, zum Typus von Tieren mit 6—7 Fort- sätzen an den Extremitäten? Der Vortragende teilte eine Reihe von Erwägungen mit, denen zufolge die Polydaktylie nicht für ein .atavisti- sches Vorkommen zu halten sei, Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskan. 195 ‚Herr M. Bartels (Berlin) stimmte dieser Ansicht bei. Prof. Hasse (Breslau) stimmte gleichfalls der Ansicht bei, dass der größte Teil aller Fälle von Polydaktylie als Missbildung aufzu- fassen sei, dass aber in einzelnen Fällen eine derartige Erklärung nichts bedeute; deshalb sei es notwendig, die Möglichkeit des Atavismus zuzulassen. 9. Prof. Stieda (Königsberg i. Pr... Ueber die Homologie der Brust- und Beckengliedmaßen. Stieda stellt eine ganz neue Theorie über den Vergleich der Extremitäten auf. Im Gegensatz zu der alten Ansicht, dass die Ex- tensoren der’oberen und der unteren Extremität ebenso wie die Flexoren einander zn vergleichen seien, behauptet Stieda, dass man ohne Rücksicht auf diese funktionelle Aehnlichkeit den Vergleich auszuführen habe. Es handle sich weder um eine Drehung im Sinne Martins, noch um eine Drehung im Sinne der Embryologen, sondern nur um eine Knickung der Extremitäten im Ellenbogen- resp. Kniegelenk in verschiedener Richtung, beim Arm nach vorn, beim Knie nach hinten; dabei seien die Muskeln in Rücksicht auf ihre Lage (vorn oder hinten) zu homologisieren, aber nicht in Rücksicht auf ihre Funktion. Beim Vergleich des Vorderarms und Unterschenkels sei der Vorderarm zu pronieren, weil der Unterschenkel sich in perma- nenter Pronation befinde. Der Vortragende gab dann eine kurze Uebersicht über die ver- schiedenen Theorien: Vieg D’Azyr, Bourgery und Cruveilhier, Martins, Flourens, die Theorie der Embryologen. Prof. Juan Barria Caballero (Santiago de Compostela) hatte auch einen Vortrag über dasselbe Thema angekündigt, war aber nicht erschienen. 10. Prof. P. Parra (Mexiko): Ueber die Homologie der oberen und unteren Extremitäten. Der in französischer Sprache von einem andern Mitgliede der Versammlung verlesene Aufsatz gab nichts Neues. 11. Prof. Sergi (Rom): Ueber den Unterschied in der Form des Schädels bei der Kurgan-Bevölkerung im zen- tralen Russland und bei der jetzigen Bevölkerung. Prof. Sergi nimmt an, dass die Form des Schädels unveränder- lich sei; die verschiedenen Formen seien nur Typen, die seit Urzeiten unverändert geblieben sind. Die scheinbare Veränderung der Schädel- form einer Bevölkerung (aus einer dolichocephalen, langen in eine brachycephale, kurze) ist bedingt durch die Wanderungen der Völker, dadurch, dass ein Typus durch den andern verdrängt wird. Das ist auch in Zentral- Russland der Fall gewesen, 15” 496 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. An diese Mitteilungen schloss sich eine sehr lebhafte Diskussion, an der sich Dr. Block, Dr. Arbo u. a. beteiligten. Prof. Anutschin wies darauf hin, dass die Beantwortung dieser Frage nicht so leicht, im Gegenteil sehr schwierig sei. Prof. Debierre bemerkte, dass vom Standpunkte der Evolutionstheorie die Möglichkeit einer Veränderung der Schädelform in den aufeinander folgenden Generationen nicht zu leugnen sei. 12. Dr. Elkind: Ueber Sergi’s Schädeltypen in ihrer Beziehung zum Index des Schädels. Der Vortragende hat seine Studien an Material des anthropologischen Museums in Moskau an- gestellt: er untersuchte Mongolen-Schädel, Kurgan-Schädel aus Mittel- Russland und aus dem Gouv. St. Petersburg. Es stellte sich dabei heraus, dass die Typen Sergi’s in den allerverschiedensten Schädel- gruppen vorkommen, dass sie zu einem Teil der Größe des Cephal- index entsprechen, zum andern Teil aber nicht. Es scheint deshalb dem Vortragenden, dass Sergi’s Schädel-Einteilung nicht im Stande sei, die Kraniologie in Bezug auf die Erklärung typischer Eigentüm- lichkeiten und auf die Evolution des Schädels zu fördern. Die Klassi- fikation Sergi’s könne aber in Betreff der Schädel-Beschreibung sehr nützlich sein, indem die Hauptverschiedenheit des Schädels mit be- stimmtem Ausdruck bezeichnet würde, so dass von einer ausführlichen Beschreibung abgesehen werden könne. 13. Dr. Mies (Köln): Ueber Länge, Masse, Rauminbhalt und Dichte des menschlichen Körpers. Die Bestimmung des Gewichts und Rauminhalts geschieht mittels einer bestimmten Wage, auf welcher das Individuum gelagert und in eine mit Wasser gefüllte Wanne getaucht wird; das ausfließende Wasser giebt die Möglichkeit, Gewicht und Rauminhalt des Körpers zu bestimmen. Hierbei wird dem Individuum eine besondere Maske von Kautschuk vors Gesicht gelegt, die Maske hat eine Röhre, durch welche das Individuum auch unter Wasser atmen kann. — Nach 129 Beobachtungen an 79 Indi- viduen bestimmte der Vortragende das spez. Gewicht = 1018—1082. II. Sitzung 11./23. August. 14. Prot. Ant. Kolossow (Warschau): Ueber die Bezieh- ungen der Epithelzellen unter einander innerhalb der Drüsen. Der Vortragende berichtet in sehr ausführlicher Weise mit Demonstration vortreffliecher mikroskopischer Zeichnungen über den feineren Bau der Epithelzellen und die Beziehungen derselben sowohl unter einander als auch zu den andern Zellen — Stützzellen, glatte Muskelfasern. Er schildert die Existenz von interzellulären Brücken zwischen den Zellen, z. B. in der Leber, Schilddrüse u. a. Organen, und erörterte die morphologische Bedeutung dieser Zellbrücken, Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. . 197 Ob die beschriebenen Zellbrücken auch eine physiologische Bedeutung haben, z. B. Fortleitung der Reize, sei noch zu ent- scheiden. 15. Prof. v. Luschan (Berlin): Ueber die Anthropologie in Klein-Asien. In Klein-Asien sind als seßhafte Völker zu finden: die Türken, Griechen und Armenier, und außerdem 2 Nomadenvölker, die Kurden und Araber. Zuerst erörtert der Vortragende die Frage, ob auch „kleine Leute“ in Klein-Asien vorkommen, wie Kollmann sie für die Schweiz beschrieben habe. Er lässt die Frage unbeant- wortet, aber hebt hervor, dass sie zu beantworten nicht leicht sei, weil hier leicht Verwechselung vorkommen könnte. Es gebe 4 ver- schiedene Arten kleiner Menschen, nämlich 1. wirkliche Pygmäen, 2. rhachitische Zwerge, 3. Cretins, 4. kleine schwache Leute, die viel- leicht am besten als Kümmerformen zu bezeichnen wären. Es scheint, dass gerade diese letzte am leichtesten mit den Pygmäen verwechselt worden seien. Die Schädelformen in Klein- Asien findet Luschan in folgender Weise verteilt. Er beobachtete 2 Haupttypen: ein Typus mit breitem, kurzem und hohem Schädel, der andere Typus mit schmalem, langem und niedrigem Schädel. Beide Typen kommen bei allen 3 Nationen Klein-Asiens vor, bei Türken, Griechen und Armeniern, doch scheinen bei den Armeniern die Leute mit brachycephalen Typus vorzuwalten. Luschan hält den brachycephalen Typus für den älteren, man be- gegne ihm schon auf den Darstellungen (Basreliefs) der Hetiten, des ältesten Kulturvolkes. Der andere dolichocephale Typus muss den von Süden aus Arabien eingewanderten Semiten zugeschrieben werden. Die Kurzschädel sind die Eingeborenen des Landes, die Langschädel sind die Eingewanderten. Der Vortragende demonstriert zwei Schädel, die die charakteristische Eigenart der beiden Typen aufzeigen. In der sich daran anschließenden Diskussion sprach Prof. Sergi sich dahin aus, dass, im Gegensatz zu Luschan, der langköpfige Typus der ältere sei — so sei es in allen Gegenden am Mittelmeere: die Langschädel sind überall die Ureinwohner, die Kurzschädel sind die Eingewanderten. Professor Virchow bemerkt, dass der vorgezeigte brachycephale Schädel seiner Meinung nach als ein deformierter anzusehen sei; der Schädel besitze nämlich ein abgeflachtes Hinterhaupt. Es könne das vielleicht der Einfluss der Wiege sein, -— der Gebrauch von Wiegen, in denen die Kinder fest gebunden liegen, sei vielfach im Orient, namentlich im Kaukasus, verbreitet. Prof. Luschan bestreitet das Vorhandensein einer Deformation des Schädels, um so mehr, als er während seiner Reise durch Klein- Asien derartige Wiegen nicht gesehen hat. 4198 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. Prof. Sergi (Rom) findet gleichfalls an dem betreffenden Schädel keine Deformation; er bemerkt, dass er eine ähnliche Abflachung des Hinterhaupts an den Köpfen einiger der Anwesenden demonstrieren könne. | Prof. Anutschin meinte, dass es sehr schwierig sei, nach einem Schädel sich eine ganz bestimmte Vorstellung zu machen, um so mehr, als die Abflachung nicht scharf ausgesprochen ist und sich genau in der Mitte des Hinterhaupts befindet. Im Allgemeinen sei eine der- artige Abflachung des Hinterhaupts, wie dieselben von den Wiegen herrühren, eine sehr gewöhnliche Erscheinung an den Schädeln aus dem Turkestan. Man träfe sie auch an den Schädeln aus dem Kau- kasus, doch sei sie hier fast immer asymmetrisch, so dass das Hinter- haupt wie abgeschnitten aussieht. 16. Prof. Debierre (Lille) machte einige Bemerkungen über die Ossifikation des ersten Halswirbels (Atlas). 17. Dr. Weinberg (Dorpat) spricht über die Furchen und Windungen des Gehirns. Der Vortragende hat 160 Hirne von Esten, Letten und Polen in Bezug auf die Furchung untersucht. Als Ergebnis stellt der Vor- tragende die Ansicht auf, dass einzelne Formen der Furchen und Windungen (fissura oceipitio-temporalis, fiss. calcarina u. s. w.) sich bei den einen Völkerschaften häufiger fänden, als bei den andern. Prof. Waldeyer bemerkt dazu, dass es für die Feststellung der Rasse - Unterschiede der Furchen sehr wünschenswert sei, das Hirn neugeborener Kinder zu untersuchen; aber ebenso unumgänglich not- wendig sei es auch, eine Einigung in Betreff der Haupttypen der Hirnfurchen zu erzielen. 18. Dr. Dupre& (Paris): Ueber die Beteiligung der oberen Extremitäten beim Gehen. Mit Rücksicht auf die bekannte That- sache, dass manche Menschen beim Gehen auch die oberen Extremi- täten mitbewegen, hin- und herschwanken, behauptete der Vortragende, dass dies eine Erinnerung an den früheren Gebrauch der Extremitäten beim Gehen auf allen Vieren sei. 19. Dr. Jwanowski (Moskau): Ueber einige Körpermaße bei den Mongolen. IV. Sitzung 12./24. August. 20. Prof. Luschan demonstriert einen neuen kraniometrischen Zirkel, und weist einen v. Poll erfundenen Apparat vor, mit dem der Raum-Inhalt des Schädels durch eine in den Schädelraum einge- führte Kautschuk-Blase gemessen werden soll. 21. Prof. Rudolf Virchow: Ueber einen Schädel der Stein- zeit (Dorf Wolossowo bei Muriomi). Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. 199 | Der Schädel ist einst durch den Grafen Uwarow aufgefunden und von der Gräfin Uwarowa zum Zweck einer eingehenden Unter- suchung an Herrn Prof. Virchow gesandt worden. Die Eigentüm- lichkeiten des Schädels sind seine beträchtliche Größe und besonders starke Entwicklung der einzelnen Knochen, seine Breite (brachycephaler Schädelindex 83), eine breite, gut entwickelte Stirn, große Augen- höhlen, niedriges, aber breites Gesicht mit mäßig großem Unterkiefer. Im Allgemeinen weist der Schädel kein Zeichen einer niedrigen Rasse auf; er ist ein sicherer Beweis für die Existenz einer brachycephalen Rasse in Russland zur Zeit der Epoche des Steinalters. 22. Prof. Virchow: Die Querdurchmesser des Gesichts (Breiten-Indices).. Der Vortragende sprach über die verschiedenen Quermaße des Gesichts, namentlich über die sog. Jochbreite; ferner über die beste Art, die verschiedenen Maße zu nehmen, und über die verschiedenen Typen, die die verschiedenen Schädel in Rücksicht auf die betreffenden Maße darbieten. Welcher Punkt soll gewählt werden, um die Gesichtsbreite zu bestimmen? Es sollen bei der Festsetzung die verschiedenen Interessen der Anatomie, der Ethnographie, der Wissenschaft wie der Kunst ge- wahrt werden. Am Wangenbein sei der untere Rand hart an der Grenze zwischen dem Os malare und dem Os maxillare zu wählen. Aber die Naht läuft nicht gleichmäßig, so dass sie sich bald medial, bald lateral vom vorspringenden Punkte befindet. Welchen Knochen soll man zum Ausgangspunkte der Messung machen? das Os malare oder das Os maxillare? An Lebenden kann man das gar nicht unter- scheiden. 23. Dr. Sehrutz (Prag): Das Verhalten der Blutgefäße im Bereich der Bursae mucosae der Hände. 24. Prof. Stieda (Königsberg): Ueber die vermeintlichen Tyson’schen Drüsen. Der Vortragende berichtet auf Grund der Untersuchungen eines seiner Schüler, des Dr. Sprunk, dass in der Glans penis des Mannes keine Talgdrüsen vorkämen. Das, was die Autoren für Talgdrüsen gehalten hätten, seien eigentümliche Papillen in der Corona glandis. Auf dem anatomischen Kongress in Gent (April 1897) hätten seine Mitteilungen bei Prof. v. Kölliker heftigen Widerspruch gefunden. Kölliker sei sehr energisch für die Existenz von Talgdrüsen im Bereich der Glans penis eingetreten, er habe auch bezügliche Präparate demonstriert. Stieda muss aner- kennen, dass die von Kölliker vorgelegten Präparate deutlich die Talgdrüsen an der Oberfläche der Glans penis erkennen ließen; aber an der Corona glandis seien keine Drüsen sichtbar gewesen. Er hält daher an der Ansicht fest, dass die Gebilde der Corona glandis keine Talgdrüsen, sondern Papillen seien. 300 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. Prof. Waldeyer (Berlin) bemerkt dazu, dass er durch einen seiner Zuhörer, Dr. Saalfeld, gleichfalls die Glans habe untersuchen lassen: in der Glans hätten sich einige Talgdrüsen gefunden, an der Corona aber keine. 25. Dr. Kalischer (Berlin): Ueber die Sphineteren der Harnblase. Der Vortragende, der seine Untersuchungen in Berlin unter Leitung Waldeyer’s im I. anatomischen Institut angestellt hat, erörtert unter Vorweisung vieler Tafeln und Zeichnungen das Vor- handensein von glatten und quergestreiften Muskelfasern am Ausgang der Blase und am Beginn der Harnröhre. Vor der Prostata hat die Harnröhre einen kleinen Ring glatter Muskeln; dahinter aber setst sich die glatte Muskulatur nur an der hinteren Wand bis zum Trigonum vesicae fort. Anders ausgedrückt: die Harnröhre ragt mit ihrer hinteren Wand bis in die Blase hinein. Die Muskulatur des Trigonum steht mit der Blasen-Muskulatur nicht in Verbindung, wohl aber, wie bemerkt, mit der glatten Muskulatur der Harnröhre. Der Vortragende bezeichnet diese glatte Muskulatur als Sphincter urethrae trigonalis oder einfach als Sphincter trigonalis. Die quergestreifte Muskulatur wurde bei Männern, wie bei Weibern untersucht. Die Harnröhre des Mannes ist wie die Pars membranacea bis zur Prostata von einer ringförmigen Muskelmasse umgeben, die der Vortragende M. urethralis nennt; bei diesem Muskel unterscheidet er drei Teile: eine Pars anterior s. Cowperi, eine Pars media und eine Pars posterior s. prostatica. In der Pars media umgeben die Muskelfasern die Harnröhre kreisförmig; nach vorn und nach hinten erleidet die kreisförmige Anordnung einige Abweichung. Die Pars anterior tritt vorn an die Faserzüge des M. bulbo -cavernosus heran, ohne sich jedoch mit ihm zu vereinigen. Die Verbindung mit dem Anal-Muskel gestaltet sich etwas kompliziert. Der Vortragende schlägt eine Reihe verschiedener Namen vor, um die verwickelten Verhältnisse zu bezeichnen. Der Harnröhren-Muskel, M. urethralis, der Weiber ist in ge- wissem Sinne einfacher als bei Männern: eine P. posterior fehlt; nur ein Pars anterior und Pars media sind vorhanden. V. Sitzung 13./25. August. 26. Prof. Waldeyer (Berlin): Ueber Hirn-Windungen. Der Vortragende sprach über die Art und Weise der Entstehung der Win- dungen, über den Unterschied der Windungen bei verschiedenen Ge- schlechtern, über den Unterschied bei Neugeborenen, Knaben und Mädchen, über gewisse Typen der Windungen und über Rassen-Kenn- zeichen der Windungen. / Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. 201 Die Gründe der Entstehung der Windungen sieht W. in einer ein- seitigen Entwicklung verschiedener Neuronen; dies hat zur Folge, dass einzelne periphere Hirnteile sich schneller entwickeln. Da nun das Gehirn in eine feste Kapsel (Schädelkapsel) eingeschlossen ist, so ist die Oberfläche des Gehirns genötigt Falten zu bilden. — In Betreff der Tiere, die eine glatte Hirnoberfläche haben, müssen wir uns vor- stellen, dass das Wachstum der Schädelkapsel parallel der Entwick- lung des Hirns einherschreite. Was den Geschlechtsunterschied der Hirnwindungen anbelangt, so konnte der Vortragende weder bei Erwachsenen noch bei Neugeborenen sich von ihrer Existenz überzeugen; ebenso wenig war der Vortragende im Stande, einen besonderen Typus des Hirns an Verbrechern anzu- erkennen. 27. Prof. Anutschin teilt mit, dass zwei an die Sektion einge- schickte Abhandlungen: Dr. Denicker (Paris) über die europäischen Rassen, Dr. L. Niederle (Prag) über die anthropologische Ent- stehung der Slaven, wegen der Abwesenheit der Autoren und aus Zeitmangel nicht zur Mitteilung gelangen können. 28. Prof. Anutschin demonstriert die von Prof. J. Kollmann (Basel) eingesandte Büste eines weiblichen Individuums. In der Schweiz ist bei Auvergne am Neufchateller See ein der neolithi- schen Epoche der Steinzeit angehöriger Schädel gefunden worden; auf Grund dieses Schädels ist die weibliche Büste modelliert. Um diese Büste zu formen, seien auf den Schädel und auf verschiedenen Stellen des Gesichts die Haut und Muskellagen aufgetragen worden, gleichzeitig seien die verschiedenen Formen und Maße der Stirn, Nase und Augen, Jochbein, Unterkiefer u. s. w. dabei berücksichtigt worden. Das Ergebnis sei die Büste eines Weibes mit niedrigem und breitem Gesicht, mit vortretenden Backenknochen und breiter Nase gewesen — aber im Allgemeinen eines Weibes mit einer Physiognomie, wie man sie auch heute noch antrifft. 29. Dr. Eismond (Warschau): Ueber Zellteilung. 30. Dr. Choronschizky (Schawli im Gouv. Kowno): Ueber die Entstehung der Milz und des dorsalen Pankreas bei Necturna (Monopoma)). 3l. Dr. Ter-Terjanz (Berlin): Ueber den Kern der oberen Trigeminus-Wurzel. Der Vortragende untersuchte im Berliner I. anatom. Institut unter Waldeyer die Nervenzellen des sog. oberen Trigeminus-Kernes. Hinsichtlich dieser Zellen ist neuerdings zwischen Golgi und Kölliker eine Differenz entstanden. Golgi hat auf Grund neuer Untersuchungen die Zellen im Anschluss an die Ergebnisse der älteren Autoren als 202 Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau. blasig bezeichnet — Kölliker dagegen erklärt die Form dieser Zellen für multipolar. Der Vortragende schließt sich der Ansicht Kölliker’s an. | | 32. Dr. Solowirsky: Ueber die Anomalien der Nieren- Venen. | 33. Prof. Ognew (Moskau): Ueber die Stützsubstanz der Retina. 34. Dr. Rahon (Paris): Ueber die Bestimmung der Körpergröße der vorgeschichtlichen Rassen mit Berücksichtigung der langen Ex- tremitäten - Knochen. Der Vortragende konnte viele hundert Extremitäten-Knochen aus- messen: Knochen aus der paläolithischen und neolithischen Epoche, aus alten Begräbnisstätten u. s. w. Er gelangte zu der Ueberzeugung, dass die Körpergröße der Individuen der Steinzeit sich etwas von der Körpergröße der Jetztzeit unterschied — die Körpergröße habe im Mittel 1,62 m betragen, vielleicht noch weniger. Er steht damit im Gegensatz zu Broca und andere Autoren, die den Leuten der vor- geschichtlichen Zeit eine beträchtliche Körpergröße zugeschrieben hatten. Zum Schluss der Sitzung ergriff Prof. Waldeyer im Namen der fremden Gäste des Kongresses das Wort: Alle anwesenden Fremden seien völlig befriedigt von dem Kongress — sie hätten mit Freude wahrgenommen, dass im Mittelpunkte Russlands, in Moskau, ausge- zeichnet eingerichtete wissenschaftliche Institute beständen, dass die wissenschaftliche Arbeit lebhaft gefördert werde, dass die Fremden jetzt nicht erschienen wären, um zu lehren, sondern eher, um zu lernen. Es sei daher zu beklagen, dass die meisten Fremden mit der russischen Sprache nicht vertraut seien. Es müssen von Seiten der Fremden die ausgezeichnete Organisation des Kongresses und der liebenswürdige Empfang anerkannt werden; er spreche allen russischen Kollegen, ins- besondere den Leitern der Sektionen, seinen innigen Dank aus. Die Professoren Ognew, Sernow und Anutschin dankten ihrerseits dem Prof. Waldeyer als dem Vertreter der fremden Gäste für den regen Anteil, den die Fremden an der Thätigkeit der Sek- tionen genommon hätten. Zum Schluss dieses Referates ist noch zu erwähnen, dass Prof. van Gehuchten (Löwen) in der Sektion für neurologische und psychische Krankheiten am 9.j21. August einen 1!/, Stunden langen Vortrag über den Bau der normalen Nervenzelle hielt — auf Grund seiner eigenen umfassenden Untersuchungen. Im Anschluss daran berichtete Professor Marinesco (Buckarest) über die patho- logischen Veränderungen der Nervenzelle. [123] Stieda (Königsberg i. Pr.). Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. 203 A. Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage, eine | Antwort an Herbert Spencer. Jena, Gust. Fischer, 1895. Die vorliegende Abhandlung, eine Antwort auf H. Spencer’s Ar- tikel in der Contemporary Review vom November 1894: „Weismannism once more“, hat Weismann lediglich deshalb veröffentlicht, weil er in der That der Ansicht war, seiner Sache noch bessere Stützen geben zu können, als es früher geschehen war. Die Studie beschäftigt sich mit dem Nachweis, dass das Lamarck’sche Prinzip, die Abänderung der Arten durch die Vererbung von Gebrauch und Nichtgebrauch, nicht nötig, für viele Fälle nicht möglich ist; ferner enthält sie eine Fortbildung der Weismann’schen Theorieen, die seither von ihm in einer weiteren Schrift ausführlicher dargelegt worden ist!). Zunächst wendet sich Weismann gegen die Art des Spencer’schen Angriffs, wobei er nicht ohne Schärfe auf Spencer’s „no reply“ bezüg- lich der von ihm (Spencer) gestellten Fragen treffend meint: „Eine wissenschaftliche Diskussion ist kein Examen rigorosum, bei welchem jede Frage des gestrengen Herrn Examinators eine Antwort erheischt, son- dern es handelt sich für jede der streitenden Parteien darum, ihre An- sicht klar zu machen und als die richtige zu erweisen. Wie sie das thun will, ist ihre Sache.“ Sodann geht W. auf die Frage nach der Wirkungsweise der Panmixie näher ein. Man hat gegen seine Auffassung eingewendet, sie setze voraus, dass die „Minus“-Variationen durchschnittlich die „Plus“-Variationen eines Organes überträfen; dies sei aber nicht erwiesen. Dagegen führt Weismann aus, dass, einmal, die Variationenen nicht nur das Organ als Ganzes beträfen, sondern auch dessen Komponenten, und jede Störung im Verhältnis der Teile zu einan- der sei eine Verschlechterung eines vollkommenen Organs, dass, zum andern, nicht der Durchschnitt der Geborenen, sondern derjenige der Ueberlebenden in Betracht käme, und bei diesen wirke eben die Natur- züchtung auf Alles nicht überflüssige konservierend; — ein Organ ist also, sowie es überflüssig ist, gegen früher im Nachteil. Den Einwurf aber, warum die Variationen nach „Klein“ die nach „Groß“ überwiegen in Bezug auf das ganze Organ, erkennt er als be- rechtigt an. Um ihn zu beantworten, hat er einen weiteren Ausbau seiner Theorie unternommen. Der „Kampf der Teile“ im Organismus, jenes Prinzip, das W. Roux zuerst in der Wissenschaft zur Geltung ge- bracht hat, muss, wenn es überhaupt existiert, auch zwischen den von Weismann postulierten Bestandteilen des Keimplasmas, den Deter- minanten, bestehen. In Bezug auf das Variieren in der Richtung von Groß und Klein gestalte sich die Sache so, dass, wenn ein Organ, weil Selektion nicht mehr eingreift, ins Schwanken kommt, die Plusvariationen durch Selektion eliminiert werden, die Minusvariationen nicht. — Es greift also die Selektion, will dem Referenten scheinen, doch ein. — Den Minus- varianten entsprechen schwächlichere Determinanten im Keimplasma, diese 1) Ueber Germinalselektion, eine Quelle bestimmt gerichteter Variation. Jena, G. Fischer, 1896. 204 Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. sind im Kampf um die Nahrung mit den Determinanten anderer Organe im Nachteil — ihre Nachkommen werden somit schwächlich sein, und so müssen die Determinanten, einmal auf die schiefe Ebene gekommen, immer weiter nach abwärts gleiten, das Organ immer kleiner werden, schließlich verschwinden. Würden auch zunächst einzelne der Determinanten einer Gruppe auf Kosten der geschwächten in Folge günstigerer Ernährungs- verhältnisse stärker werden — es müssten dann einzelne Teile des unter- gehenden Organes sogar an Größe (sicherlich an relativer) zunehmen, und dergleichen lässt sich bei irrelevant gewordenen Organen wie Ref. zu- fügen möchte, konstatieren, z. B. bei Schmetterlingsflügeln —, so muss doch die Ernährung der ganzen Gruppe ungünstiger sich gestalten, da ein Kampf der Determinantengruppen unter einander natürlich auch statt- haben muss, und der einen partiell geschwächten die übrigen intakt gegen- überstehen. Man wird Weismann zugeben müssen, dass diese Erklärung sich ungezwungen aus dem von ihm angenommenen Bau des Keimplasmas ableitet und dass sie weiter trägt als das von Spencer angenommene Lamarck’sche Prinzip, „weil sie nicht bloß Wirkung des Nicht- gebrauchs erklärt, welche in dem Nachlasse aktiver Funktion besteht, sondern a jenen [Fall], bei welchem die frühere biologische Bedeutung eines Teils nur in seiner Anwesen- heit lag.“ Da es sich aber in dem Streite nicht um die bessere oder schlechtere theoretische Erklärung einer Annahme handle, sondern darum, ob die Thatsachen zu einer Annahme stimmen, wendet sich Weismann diesen zu. Hat Spencer gegen das schon von Darwin gegen die Lamarck’- sche Theorie verwendete Beispiel Weismann’s von den sterilen Arbeitern der Ameisen etwas thatsächliches vorgebracht oder die von Weismann angeführten Thatsachen unschädlich gemacht? Wenn aber W.’s Satz: „Die sterilen Arbeiter der Ameisen haben sich in vielen Teilen har- monisch verändert, sowohl in positivem, als in negativem Sinne, obwohl bei ihnen von Vererbung überhaupt keine Rede sein kann, also auch nicht von Vererbung erworbener Eigenschaften“, richtig ist, so bleibt Spencer’s Prinzip widerlegt. Dass zur Erklärung einer harmonischen Veränderung verschiedener Teile das von ihm früher herbeigezogene Roux’sche Prinzip der Intra- selektion nicht ausreiche, giebt Weismann zu: die Hauptfrage bleibe immer: Woher kommen die nötigen Variationen? Spencer hat gemeint, wenn Weismann die Vererbung erworbener Charaktere nicht an- nehme, müsse er sich, „auf ein zufälliges Zusammentreffen der Tausende von günstigen Abänderungen berufen, welche gleichzeitig erforderlich seien“. Weismann aber glaubt es gäbe noch einen dritten Weg: einen indi- rekten Zusammenhang zwischen der Nützlichkeit einer Va- riation und ihrem wirklichen Auftreten. | Wie bei der Panmixie die Konkurrenz der Determinantengruppen von Weismann als Ursache der fortlaufenden Abnahme eines Organs zur. Erklärung herangezogen wurde, so auch hier, um eben die fortschreitende Variation zu erklären. Dass die Keimesvariationen, der Zeit nach, den funktionellen Ab- änderungen der Organe nicht nachfolgen, sondern ihnen vorhergehen, ist Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. 205 auch nach der früheren Theorie Weismann’s notwendig gewesen. Wenn er indes sagt: „die grobe Regulierung des Zweckmäßigen wird durch Personen-Selektion bewirkt, — —; die feine Einstellung der Variationen aber wird durch Selektionsvorgänge zwischen den Elementen des Keimes selbst bewirkt, — —“ so glaubt Referent, dass es doch nicht angängig ist, die durch die Steigerung des Charakters bedingten Variationen als feinere Einstellung der gröberen Regulierung entgegenzustellen, denn es handelt sich dabei überhaupt um keine Einstellung. Des weiteren ist zu betonen, dass das Auftreten der ersten, der Personalselektion unterliegen- .den Varietäten nach wie vor ein zufälliges sein muss, wenn auch nicht verkannt werden soll, dass durch Einführung des neuen Prinzips eine Reihe längst festgestellter Thatsachen unserm theoretischen Verständnis bedeutend näher gebracht ist. Werden die Minusvariationen eines Organs (einer Determinanten- gruppe) durch Personalselektion eliminiert, so wird dadurch die Durch- schnittsstärke oder Animilationskraft der Gruppe nach oben verschoben, die dieser Ueberernährung entsprechende Steigerung muss fortschreiten und zwar bis eben Personalselektion die Plusvarianten trifft und, möchte Referent hinzufügen, der Prozess muss an Intensität immer zunehmen, denn je größer die eine Gruppe auf Kosten der andern wird, desto leichter wird sie ihnen die Nahrung wegnehmen können und sich damit verstärken. Weismann betont, dass die Thatsachen, welche künstliche Züch- tungsversuche ergaben, diese Theorie der durch Selektion gerichteten Keimes-Variation entsprächen, — und steht nicht an zu erklären, es „würde auch die genialste Zuchtwahl niemals die Steigerung eines Charakters hervorbringen können, wenn nicht dadurch zugleich Vorgänge im Keim- plasma selbst eingeleitet würden, welche diese Steigerung mit sich bringen *, — worin sich eine große und erfreuliche Konzession gegenüber denen kund giebt, welche wiederholt auf Grund eben der Thatsachen die Unzuläng- lichkeit der Personalselektion betont hatten, Nach diesen Ausführungen wendet sich der Autor mit ungewohnter Schärfe wieder Spencer’s Angriffen zu. In dieser Polemik findet sich folgender Passus: „Ist nicht das Keimplasma des befruchteten Eies that- sächlich aus einer festen und gleichen Anzahl mütterlicher und väterlicher Stäbchen (Chromosomen) zusammengesetzt, wie zuerst Eduard von Be- neden hervorgehoben hat? und setzt sich nicht jedes dieser Stäbchen wieder thatsächlich aus einer Anzahl von Kugeln zusammen, welche meine Theorie als „Ide“ auffasst.“ Es will dem Referenten scheinen, als ob es bei dem Stande, den die Zelllehre vor zwei Jahren hatte, erst recht nach dem, auf dem sie jetzt ist, nicht gut angängig sei, das Chro- matin einfach als allein wesentlichen Bestandteil der Zelle anzusehen, denn es dürfte heutzutage wohl kaum Jemanden geben, der die ganze Zelle gewissermaßen als unter der Botmäßigkeit des Chromatins stehend ansieht, so etwa als Behausung dieser allein wesentlichen Substanz. Die Thatsachen zwingen doch immer mehr zu der Auffassung, dass das Archo- plasma samt Centralkörnern das kinetische Centrum der Zelle, der Kern, von dem das Chromatin ein Bestandtheil ist, das Stoffwechselcentrum der- selben sei; und dann giebt es doch bei den Umbildungen des Kernes während der physiologischen Differenzierung der Zellen, resp. deren verschiedenen 206 Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. Funktionsstadien vielerlei Dinge, welche das Chromatin einem so raschen Wechsel unterworfen zeigen, wie man es doch kaum für eine allein leitende Substanz in der Zelle annehmen kann. Wir meinen, man sollte bei der Auseinandersetzung von T'heorieen keine Bilder wählen, welche als unzutreffend angesehen werden müssen; — wenn auch dadurch der Richtigkeit der theoretischen Erwägungen kein Abbruch geschieht. Weismann selbst hat ja in letzter Zeit genugsam betont, wie das Bild eben nur gewählt ist, um den Inhalt der Theorie anschaulich darzustellen; — dass Weismann selbst natürlich nicht etwa die Chromatinkörnchen, welche eine Schleife zusammensetzen, als leib- haftig sichtbare Ide ansieht, darf ich wohl als selbstverständlich an- nehmen. Bei dem von Weismann wiederum angezogenen Fall von den sterilen Hymenopteren und Termitenarbeitern handelt es sich nach seiner Ansicht nicht um eine direkte Folge der Fütterung, wenn ein steriles Individuum entsteht, sondern das Futter wirkt nur als Auslösungsreiz für das Aktivwerden der Arbeiteranlange. Nach Weismann’s oben refe- rierten Ausführungen müssen natürlich die entsprechenden Determinan- tengruppen, welche aktiv sind, stärker ernährt werden, — denn jede Thätigkeit bedingt einen erhöhten Stoffwechsel, — im Laufe der Zell- senerationen müssen sie immer mehr die Anlagen für fruchtbare Tiere überwiegen, es müssen also die für die sterilen charakteristischen Merk- male mit fortschreitender Entwicklung des Tieres immer mehr hervortreten, Wie ist es nun aber zu denken, dass Larven für sterile Formen bei veränderter Fütterung ungestimmt werden können, so dass fruchtbare Tiere aus ihnen entstehen ? Dem Referenten scheint, dass dieser Punkt von Weismann hätte ausführlich erörtert werden müssen. Bei den Arbeiterovarien von Ameisen handelt es sich nicht um in der Entwicklung zurückgebliebene Organe, sondern um anders angelegte, mit weniger Eiröhren ausgestattete. So wenig durch mangelhafte Er- nährung die Zahl der Beine und Flügel eines Insektes, ebensowenig könnten die, so viel wir wissen, bei den Insekten vor den Extremitäten angelegten Eiröhren der Zahl nach geändert werden. Der Typus des Arbeiterovariums ist im Laufe der Phylogenese ein anderer geworden, nicht im Verlauf der ÖOntogenese. Sieht man von dem Einwand einer frühzeitigen Rückbildung in Anpassung an die Funk- tion ab, so ist doch zu bemerken, dass die Verhältnisse so liegen, dass nicht zweierlei Anlagen, für Arbeiterin oder Weibchen, von denen die eine, oder die andere aktiv wird, angenommen zu werden brauchen, um die Thatsachen theoretisch zu erläutern. Warum sollte nicht ein einheit- liches Keimplasma auf verschiedene Ernährungsreize verschieden reagieren können ? Bezüglich der bei einzelnen Ameisen vorkommenden Zwischenformen und Größendifferenzen der Arbeiter bleibt Weismann auf dem Stand- punkt, den er schon früher eingenommen, und hier wird man sicher all- gemein ihm zugeben müssen, dass seine Theorie gerade diese Erscheinungen einfacher und präciser erklärt als irgend eine andere, bekannte Theorie, Unseres Erachtens liefern Weismann’s Ausführungen den vollstän- digen Beweis, dass Vererbung von Gebrauch und Nichtgebrauch bei der Weismann, Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. 207 Entstehung der sterilen Hymenopteren- und Termitenformen keine Rolle gespielt haben kann. ° Dass wir aber zweierlei Anlagen im Keimplasma annehmen müssten um die Thatsachen zu erläutern, dürfte doch wohl an diesen Beispielen nicht zu erweisen sein; namentlich die Variationen, welche Weismann nach Forel’s Angaben ansführlich bespricht, könnte man sehr wohl als Argumente gegen seine Theorie verwenden. — Dass die Verhältnisse ge- wisser Schmetterlinge, deren Weibchen gar keine oder verkümmerte Flügel haben, mit der Flügellosigkeit der sterilen Ameisen nicht zusammenge- worfen werden dürfen, wie Spencer es gethan, ist leicht einzusehen. Die Männchen aller dieser Schmetterlinge sind ja geflügelt und, — möchten wir hinzufügen —, wenn, wie bei Psychiden, Parthenogenese vorkommt, so entstehen aus dieser eingeschlechtigen Brut stets nur flügellose Weib- chen, ein Verhalten, das theoretisch uns von Interesse erscheint. Nachdem W. nochmals dargelegt, wie eben der Polymorphismus sich durch seine Annahme der Ide wolıl erklären lasse, „während mit einer gleichartigen Keimmasse, wie sie Spencer annimmt, sich Nichts weiter anfangen lasse, so wenig, als wenn man dieselbe Keimsubstanz für sämt- liche Arten annehmen wollte“, — ein Ausspruch der dem Referenten bei genauerem Zusehen nicht haltbar scheint, — schließt er diesen "Teil der Polemik. Er zeigt dann, dass der von Spencer als direkter Beweis für eine Vererbung funktioneller Abänderung angeführte Fall der Pandschab, eines indischen Stammes, der gewisse, schon beim Foetus auftretende Eigen- tümlichkeiten des Beinskelettes besitzt, die den Leuten das Hocken am Boden möglich machen, keineswegs nur eine Erklärung nach Spencer’s Anschauung zulässt. Wenn auch in tropischem Sinne die Gelenke durch die Funktion gebildet werden, thatsächlich geht die Umgestaltung der Form zeitlich der Abänderung der Funktion voraus. „Wie sollte auch sonst die Umbildung der Gelenke bei Gliedertieren stattfinden, bei weleheu das Gelenk unmöglich durch das Funktionieren gebildet werden kann, da es erst in Thätigkeit tritt, wenn es fertig und völlig erhärtet, dann aber auch nicht mehr veränderbar ist?“ Zum Schlusse fasst er noch einmal die Gruppen von Thatsachen kurz zusammen, welche der Lehre von der Entstehung neuer Arten durch die Vererbung von Gebrauch und Nichtgebrauch schroff entgegenstehen: 1. Die oft höchst komplizierten Instinkte bei zahlreichen Insekten, welche nur einmal im Leben ausgeübt werden und von allen ihren Vorfahren nur je einmal ausgeübt wurden. 2. Das Schwinden bloß passiv funktionieren- der Teile. 3. Die positiven Abänderungen solcher Teile, wozu vor Allem die mannigfaltigen Verhältnisse des Hautskeletts der Arthropoden und dann die zahllosen diesbezüglichen Erscheinungen in der Pflanzenwelt gehören. 4, Die Neutra der Ameisen, Bienen und Termiten. Eine angefügte Erwiderung auf eine Aeußerung Lord Salisbury’s benützt Weismann um einmal hervorzuheben, dass wir geradezu sagen dürfen, „da die drei sie bedingenden Faktoren, Variation, Vererbung und Kampf ums Dasein, als existierend nachgewiesen sind, so resultiert daraus mit Notwendigkeit die Existenz einer Naturzüchtung. Aber im einzelnen Fall vermögen wir ihr nicht zu folgen, weil uns dazu die thatsächlichen 208 Dahl, Der Maulwurf. » Daten fehlen und immer fehlen werden.“ — Ob dem immer so sein werde, möchte Referent bezweifeln. — Des weiteren muss die Natur- wissenschaft, deren Aufgabe es doch ist, die Erscheinungen aus den physischen Kräften abzuleiten, wenn sie einen Erklärungsgrund gefunden zu haben glaubt, diesen annehmen; wobei sich jeder Naturforscher darüber- klar ist, wie gering unsere Erkenntnis ist, wie sehr wir, sowie wir den Dingen auf den Grund gehen wollen, zu Hypothesen uns wenden. Die Entwicklung der Organismen ist für uns heutzutage 'Thatsache, nur für die Kräfte, welche sie zu Stande gebracht, sind wir auf 'Theorieen ange- wiesen. Aber auch da nicht ganz, möchte ich dem oben erwähnten Satze Weismann’s mich anschließend hinzufügen, denn die Abänderung von Arten durch Selektion ist als bewiesen anzusehen, nur über die Tragweite des Prinzips schwebt noch der Streit. Sei dem aber, wie ihm wolle — „eine zweckthätige Kraft unter die Entwicklungsursachen auf- zunehmen, wie Lord Salisbury es andeutet, wird dem Naturforscher niemals gestattet sein, weil er damit die Voraussetzung seines Forschens preisgäbe: die Begreiflichkeit der Natur“. Was aber jenseits der Welt der Erscheinungen liegt, ist Metaphysik und damit hat sich die Naturwissenschaft direkt nicht zu befassen. [27] Erlangen, Dezember 1897. A. Spuler. Der Maulwurf. Der Unterzeichnete gestattet sich darauf aufmerksam zu machen, dass Untersuchungen über die Lebensweise des Maulwurfs, wie sie Herr Ritzema Bos veröffentlicht (diese Zeitschr. Bd. XVIII, S. 63), eingehender schon früher (Schriften des naturw. Vereins f. Schleswig-Holstein, Bd.6 (1885) S. 111 und Zool. Anzeiger, 1891, S. 9) veröffentlicht sind. Wenn Herr Ritzema Bos die neueste Auflage von Brehm’s Tierleben statt der alten angesehen hätte, dann würde er auf diese Publikationen aufmerksam geworden sein. Fr. Dahl. [42] Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Die diesjährige Jahresversammlung wird in den Tagen vom 14. bis 17. Sep- tember in Köln stattfinden; folgende Verhandlungsgegenstände sind vor- erst in Aussicht genommen: 1. Deutsches „Seuchengesetz“. — 2. Ueber die Notwendigkeit einer regel- mäfsigen „Beaufsichtigung der Benutzung der Wohnungen“ und deren behörd- liche Organisation. — 3. Die bei der „Reinigung städtischer Abwässer“ zur An- wendung kommenden Methoden. — 4. Die öffentliche Gesundheitspflege im „Eisen- bahnbetrieb*. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. - Buch- ; druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, - Biologisches Üentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. März 1898. Nr. 6. Inhalt: Belajefl, Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Phanerogamen und den Cryptogamen im Lichte der neuesten Forschungen. — Apäthy, Die Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L., mit Rücksicht auf die Gewinnung des gerinnungshemmenden Sekrets. -— Gräfin M. v. Linden, Neue Untersuchungen über die Entwicklung der Schuppen, Farben und Farbenmuster auf den Flügeln der Schmetterlinge und Motten, — Baur, Ueber die chemische Theorie der lebendigen Substanz, Die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Phanero- gamen und den CUryptogamen im Lichte der neuesten Forschungen. Von Wl. Belajeff. (Rede, gehalten in der Jahresversammlung 1897 der Warschauer Naturforscher- gesellschaft.) Der überaus rasche und durchschlagende Erfolg des berühmten Darwin’schen Werkes „Ueber die Entstehung der Arten“, welches im Jahre 1859 erschien, wurde zweifellos dadurch bedingt, dass seine - Entwicklungstheorie auf guten Boden fiel; denn die leitenden Gedanken - dieser Lehre boten für Viele nichts Unerwartetes und die Gemüter waren bereits darauf vorbereitet. Der Hauptinhalt der Darwin’schen Lehre ist die Idee von der Einheit der ganzen organischen Welt, den verwandtschaftlichen Be- ziehungen zwischen den Organismen, die ein Produkt der allmählichen Entwickelung, Vervollkommnung und Anpassung der ursprünglich ein- fachen Formen bilden. Allein auf Grund zahlreicher vergleichend- anatomischer Untersuchungen, die sowohl das Tier- als auch das Pflanzenreich betrafen, drängte sich diese Idee schon von selbst auf. Sie wurde gewöhnlich nicht ausgesprochen, war jedoch zwischen den Zeilen herauszulesen; sie bildete die natürlichste Schlussfolgerung und gleichzeitig die einzige logische Erklärung der in der Wissenschaft angesammelten Thatsachen. Die Darwin’sche Lehre war ein Ver- such, die Entwicklung der organischen Welt, die Ursachen ihrer all- XVII. 14 2140 Belajeft, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. mählichen Vervollkommnung zu erklären, aber die Idee eines inneren Zusammenhangs zwischen den Organismen war schon durch eine ganze Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts nahe gelegt worden. Auf dem Gebiete der Botanik hat die hervorragendste Unter- suchung, durch welche sich der wenn auch nicht direkt ausgesprochene Gedanke einer Verwandtschaft der Organismen wie ein roter Faden hindurchzieht, Wilhelm Hofmeister, einen der genialsten Forscher unseres Jahrhunderts, zum Verfasser. Wilhelm Hofmeister ver- öffentlichte schon im Jahre 1851 eine Arbeit unter dem Titel: „Ver- gleichende Untersuchungen der Keimung, Entfaltung und Fruchtbildung höherer Kryptogamen und die Samenbildung der Coniferen“, in welcher er die außerordentliche Regelmäßigkeit der successiven Veränderungen in Form und Struktur der Pflanzenorganismen von den Moosen bis zu den Coniferen incl. schildert. ° Auf diese Arbeit, die mit Recht eine bahnbrechende genannt wird, folgte eine ganze heihe Untersuchungen, die zur Vervollständigung des von Hofmeister entworfenen Bildes beitrugen. Das Ergebnis dieser Arbeiten bildete eine erschöpfende Darlegung des allmählichen Uebergangs von den sog. Kryptogamen oder Sporenpflanzen zu den Phanerogamen oder Samenpflanzen, die keinen Zweifel mehr an ihrer nahen Verwandtschaft aufkommen ließ. Alle von Hofmeister zu seinen Untersuchungen verwandten Pflanzen, von den Moosen bis zu den Phanerogamen einschließlich, zeigen den regelmäßigen Wechsel zweier verschiedener Generationen: einer ungeschlechtlichen, sporenbildenden und einer geschlechtlichen, Antheridien und Archegonien bildenden. Bei den Moosen ist die zweite Generation besonders entwickelt. Das, was wir gewöhnlich als Moos bezeichnen, ist eben die geschlechtliche Generation. Bei den Laub- und einigen Lebermoosen ist sie in Stengel und Blätter differenziert. Diese Generation trägt sackförmige Organe, die Antheridien, in denen die sog. Spermatozoiden (sich frei bewegende Zellen) entstehen, und kolben- förmige Organe — die Archegonien, die aus einem unteren erweiterten sog. ventralen Teile und einem langen, engen Halse bestehen. Der er- weiterte Teil des Archegoniums enthält eine große Zelle, von welcher sich nach dem Halse zu eine kleine Zelle, die sog. Bauchkanalzelle, abtrennt. Der Archegoniumhals ist von einem Kanal durchzogen, welcher anfänglich einen centralen Strang von Zellen enthält, die sich später auflösen, indem ihre Wände sich verschleimen. Dieser Schleim tritt durch eine Oeffnung an der Spitze des Archegoniumhalses aus und lockt dadurch die Spermatozoiden an, die durch den Archegonium- kanal bis zur Eizelle vordringen. Die Eizelle beginnt nach ihrer Ver- schmelzung mit dem Spermatozoid zu wachsen, teilt sich und bildet das sog. Sporogonium. Das Sporogonium ist die ungeschlechtliche Generation der Moose. Dasselbe stellt eine Kapsel mit Sporen dar. w. . Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. 211 Die Sporen entleeren sich aus dieser Kapsel und beginnen zn keimen. Aus ihnen bildet sich wieder eine geschlechtliche Generation, die bei "den Laubmoosen aus Stengel und Blättern besteht, bei den meisten Lebermoosen aber das Aussehen eines grünen Thallus hat. In der Pflanzengruppe, die Hofmeister zu seinen Untersuchungen "gewählt, nehmen die Moose die niedrigste Stufe ein. Die nächstfolgende höhere Stufe bilden die Pterodophyta, zu denen die echten Farne, die Schachtelhalme und Lycopodiaceen gehören. Bei den Moosen herrscht, wie wir gesehen, die geschlechtliche Generation vor, bei den Farnen die ungeschlechtliche. Bei den Farnen teilt sich letztere in Stengel, Wurzel und Blätter, und das, was wir gewöhnlich unter Farnkraut verstehen, ist eben diese ungeschlechtliche Generation. Sie erzeugt, wie bei den Moosen, Sporen, die bei der Keimung der geschlechtlichen Generation den Ursprung geben. Die geschleehtliche Generation ist hier stark redueiert: sie erscheint meistens als grüner Thallus, der etwas an den Thallus der Lebermoose erinnert. Bei den Moosen ist nur die geschlechtliche Generation selbständig, da nur „der belaubte Stengel (dieser Generation) wurzelt. Die sporenbildende Genera- tion zieht ihre Säfte aus jenem“. (Vergl. Untersuchungen S. 140). Bei den Farnen sind beide Generationen so weit selbständig, dass jede derselben mit dem Boden zusammenhängt: die geschlecht- "liehe vermittelst haarähnlicher Organe, der Rhizoiden, die unge- schlechtliche — vermittelst der Wurzeln. Die geschlechtliche Ge- neration der Farne wird Prothallium oder Vorkeim genannt und trägt auf ihrer unteren Seite sowohl die schlauchförmigen Antheridien, als auch die kolbenförmigen Archegonien. Der Halsteil der Archegonien ist hier bereits weit kürzer als bei den Moosen, und ihr erweiterter Teil tritt nieht aus dem Prothallium hervor, sondern ist im Prothallium- gewebe eingesenkt. In dem erweiterten Archegoniumteile finden wir auch hier die große Eizelle und die kleine Bauchkanalzelle vor. Das- selbe Verhältnis zwischen den zwei mit einander wechselnden Gene- rationen finden wir in allen drei Gruppen der Pleridophyta, d. h. bei den echten Farnen, den Schachtelhalmen und den Lycopodiaceen. Bei einigen Arten der letzten Gruppe büßen jedoch die Prothallien die Gestalt eines blattförmigen grünen Organs ein und werden knollen- förmig, d. h. bilden einen mehr oder weniger abgerundeten gelblich- weißen Zellkomplex. Bei den Prothallien der Schachtelhalme macht sich die Tendenz bemerkbar, sich in nur Antheridien tragende und nur Archegonien tragende Prothallien zu differenzieren. Unter den Farnen im weiteren Sinne (Pteridophyten) giebt es je- doch 2 Gruppen, die sich wesentlich von den übrigen Formen unter- scheiden. In beiden Gruppen zerfallen die Sporen in große, Makro- sporen, und in kleine, Mikrosporen. Die eine dieser Gruppen steht den Farnen, die andere den Lycopodiaceen näher, weshalb die zur 14* 9142 Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. ersten Gruppe gehörenden Pflanzen als heterospore Farne, die Pflanzen der zweiten Gruppe als heterospore Lycopodiaceen bezeichnet werden. In der einen wie in der anderen Gruppe bilden die Makrosporen nur Arehegonien tragende, also weibliche Prothallien, die Mikrosporen aber bilden nur Antheridien tragende, also männliche Prothallien. Die Prothallien selbst sind hier bis aufs äußerste reduziert. Bei manchen dieser Pflanzen sind die weiblichen Prothallien noch von grüner Farbe und treten merklich aus den Makrosporen hervor, bei anderen (bei den heterosporen Lycopodiaceen) sind sie nicht mehr gefärbt, knollen- förmig und ragen nur wenig aus den Sporenhüllen hervor. Bei ein- zelnen heterosporen Farnen bilden die weiblichen Prothallien nur ein Archegonium. Die knollenförmigen Prothallien der heterosporen Lyco- podiaceen bilden deren mehrere, aber diese Archegonien ruhen nicht nur mit ihrem erweiterten Teile, sondern auch mit dem Archegonium- halse im Prothalliumgewebe, ohne merklich daraus hervorzutreten. Es haben sich nur wenige heterospore Formen, nur wenige dieser höheren ‚Vertreter der Kryptogamen bis auf unsere Tage erhalten. Wir kennen nur 4 Gattungen von heterosporen Farnen und 2 Gat- tungen von heterosporen Lycopodiaceen. Allein in früheren Epochen waren die hierzu gehörigen Formen in sehr großer Anzahl ver- treten. Sie zeichneten sich dabei durch große Mannigfaltigkeit der Arten und kräftige Entwicklung aus und lebfen gesellig. Jetzt aber bilden sie nur nur noch hier und da zerstreute, schwach ent- wickelte, grasartige Formen, die in geringer Zahl auf der nördlichen wie auf der südlichen Halbkugel vorkommen. Dennoch genügen diese Ueberreste einer ehemals reichen Flora, um sich den Uebergang von den Kryptogamen zu den Phanerogamen vergegenwärtigen zu können. Die Phanerogamen zerfallen in 2 Gruppen: Gymnospermen und Angiospermen. Die ersteren stehen den Kryptogamen entschieden näher und bilden eine aus nur wenigen Arten bestehende Gruppe. Zu den Gymnospermen gehören unsere Coniferen. Ihre oft mächtigen Stämme, die mit Wurzeln und mit einer grüne Blätter-Nadeln tragen- den Krone versehen sind, bilden die ungeschlechtliche Generation und entsprechen vollständig denselben Organen bei den Farnen. Wie bei den heterosporen Kryptogamen, so bilden sich auch hier sowohl Mikro- als auch Makrosporen. Die Mikrosporen sind Pollenkörner, die im Frühjahr so reichlich von unseren Fichten und Tannen ausgestreut werden. Die Makrosporen sind hier unter der Bezeichnung „Embryosack“ bekannt. Sieruhen tief im Innern der Makrosporangien (Samenknospen) der weib- lichen Blüten, welche die bekannten Zapfen darstellen. Sie keimen hier an Ort und Stelle, ohne aus der sie bildenden ungeschlechtlichen Generation hervorzutreten. Bei der Keimung bilden sie, gleich den heterosporen Lycopodiaceen, knollenartige Zellenkomplexe, welche als geschlechtliche Generation, als Prothallium, auftreten. Demnach ent- Belajeff,Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. 213 behrt hier die geschlechtliche Generation, das weibliche Prothallium, der Selbständigkeit: es entwickelt sich im Innern der Makrospore und ist von den Geweben der ungeschlechtlichen Generation umgeben. Es tritt also hier genau das Gegenteil von dem ein, was wir bei den Moosen gesehen haben: dort sitzt die ungeschlechtliche Generation (das Sporogonium) auf der geschlechtlichen Generation; hier dagegen ist die als sogenanntes Endosperm auftretende geschlechtliche Generation in das Gewebe der ungeschlechtlichen eingesenkt. Dieses Prothallium (Endosperm) bildet auch hier Archegonien. Genau wie bei den hete- rosporen Lycopodiaceen entstehen hier nur wenige Archegonien. Sie sind ebenfalls in das Gewebe des Prothalliums versenkt. Der Arche- goniumhals erscheint hier noch mehr reduziert, als bei den Lycopo- diaceen. In dem erweiterten Teile finden wir auch hier, wie bei den Farnen und Moosen, eine große Zelle — die Eizelle — und eine kleine — die Bauchkanalzelle!). ‚Die Entwieklung des weiblichen Prothalliums bei den Gymno- spermen deckt sich also vollkommen mit der Entwicklung der Pro- thallien bei den höheren Cryptogamen. Weniger leicht zu beantworten ist die Fr: age hinsichtlich der ge- schlechtlichen Generation und ihrer Eigenschaften bei den Angiospermen. Bei dieser heute vorherrschenden Pflanzengruppe, die sich durch außer- ordentliche Mannigfaltigkeit der Arten auszeichnet, ist der Bau des sexuellen Apparates von seltener Konstanz und bietet gleichzeitig we- sentliche Abweichungen von dem für die höheren Cryptogamen und Gymnospermen geschilderten Typus dar. Hier scheidet die Makrospore, welche, wie bei den Gymnospermen, als Embryosack bezeichnet wird, noch vor der Entstehung des Prothalliums (des Endosperms) an einem Ende 3 Zellen ab, von denen zwei eine vermittelnde, die dritte aber die Rolle der Eizelle spielt; am anderen Ende desselben werden auch drei oder mehr Zellen abgegliedert, deren Bedeutung nicht aufgeklärt ist 2). Welchen Zellen im Archegonium der Gymnospermen die ver- mittelnden Zellen entsprechen dürften, ist schwer zu sagen. Unmittel- bar nach der Befruchtung der Eizelle beginnt auch hier die Anlage des Endosperms, dessen weiterer Bildungsmodus hier genau derselbe ist, wie bei den Gymnospermen und den heterosporen Lycopodiaceen. Dieser kurze Ueberblick giebt uns eine Idee von der allmäh- lichen Veränderung des weiblichen Prothalliums und der durch sie ge- bildeten Archegonien beim Uebergang von den Kryptogamen zu den Phanerogamen. Aber auch das männliche Prothallium und die 1) E. Strasburger, Die Coniferen und die Gnetaceen. Jena 1872. S. Ikeno, Note preliminaire sur la formation de la cellule du canal chez Cycas revoluta. Tokyo 1896. 2) E. Strasburger, Befruchtung und Zellteilung, 1878; Die Angiospermen und die Gymnospermen, 1879; Zellbildung und Zellteilung, Jena 1880. 944 Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen, sich darauf bildenden Antheridien müssten einen solchen successiven Uebergang aufweisen. Allein die bis zum Jahre 1885 in der Litteratur vorhandenen Daten berechtigten nicht zur Annahme einer derartigen allmählichen Veränderung. Nach diesen Daten zu urteilen, sind die Antheridien der Moose, Farne, Schachtelhalme sackartige Organe mit einer aus einer Zellsehieht bestehenden Wandung und mit Zellen, in deren Innerem sich die Spermatozoiden bildeten. Bei den heterosporen Gefäßkryptogamen erscheinen die Antheridien schon ohne diese Wan- dung. Dies folgte wenigstens aus den Arbeiten von Pfeffer!) Mil- lardet?), Pringsheim®), Arecangeli®) u. a. Bei den Gymno- spermen war bereits keine Spur von einem Antheridium vorhanden, Bei ihnen teilen sich die Mikrosporen (die Pollenkörner) in eine große und mehrere kleinere Zellen. Diese kleinen Zellen sind nicht von Be- deutung und werden resorbiert, die große aber streckt sich zu einem Schlauche, der Pollenschlauch genannt wird, und der Kern dieser Zelle ist bei der Befruchtung mit thätig®). Bei den Angiospermen zerfällt das Pollenkorn in eine kleine und eine große Zelle, letztere wird auch zu einem Schlauche, aber an der Befruchtung nimmt nicht die große, sondern die kleine Zelle teil, wie dies zuerst von Strasburger®) angegeben worden ist. Bei den Cryptogamen erfolgt also die Be- fruchtung vermittelst beweglicher Zellen, der Spermatozoiden, bei den Phanerogamen vermittelst Schläuche. Dies gab die Veranlassung zu einer Einteilung der Pflanzen in Zoodiogamen, d.h. Sporenpflanzen und Siphonogamen — Samenpflanzen. Von der Voraussetzung ausgehend, dass eine solche Verschieden- heit im Bau des männlichen Prothalliums bei den höheren Pflanzen- formen im Vergleich zu der allmälich vor sich gehenden Umwandlung der weiblichen Prothallien höchst unwahrscheinlich sei, stellte ich seit dem Jahre 1884 eine Reihe von Untersuchungen an, die schließlich die Ueberzeugung in mir festigten, dass hinsichtlich der Keimungs- 1) Pfeffer, Die Entwicklung des Keimes der Gattung Selaginella. Bot. Abhandl., I. Teil, 4. Heft, Bonn 1871. 2) Millardet, Le prothallium mäle des cryptogames vasculaires. Strass- bourg 1869. 3) N. Pringsheim, Zur Morphologie der Salvinia natans. Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. III, 1863. 4) D. Arcangeli, Sulla Pibularia ‚globulifera e sulla Salvinia natans. Nuovo Giornale Botanico italiano, Bd. VIII, 1876. 5) E. Strasburger, Coniferen und Gnetaceen, 1872; Die Angiospermen und die Gymnospermen, Jena 1879; Neue Untersuchungen über den Befruch- tungsvorgang bei den Phanerogamen, Jena 1884; Goroscehankin, Ueber die Corpusceula und den Geschlechtsprozess bei den Gymnospermen, Moskau 1880, (russisch). 6) Strasburger, Neue Unters., 8.5. AIR Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen, 915 produkte der Mikrosporen bei den höheren Cryptogamen und Phanero- gamen derselbe, sich mindestens ebenso allmählich, wie bei der Makro- sporenkeimung vollziehende Uebergang zu verzeichnen ist, und dass dieser allmähliche Uebergang einen glänzenden Beweis für die Ver- wandtschaft der Cryptogamen mit den Phanerogamen liefert. Ich begann mit der Untersuchung des Antheridienbaues bei den heterosporen Lycopodiaceen, d. h. bei Selaginella und Jsoötes, deren Antheridium den Untersuchungen Pfefter’s und Millardet’s zufolge keine Zellwandung aufweisen sollte, was mir a priori ganz unwahr- scheinlich schien. Meine Vermutungen bestätigten sicht). Es erwies sich, dass sowohl bei Selaginella wie Isoötes die keimenden Sporen zuerst eine kleine Zelle abscheiden und dann erst das Antheridium bilden. Wie ist nun aber die kleine Zelle aufzufassen? Millardet betrachtet sie als vegetative Zelle des Prothalliums, als letzten Ueber- rest des eigentlichen Vorkeims, auf dem bei den anderen Uryptogamen die Antheridien sitzen. Das Antheridium besteht aus mehreren peri- pherischen, die Wandung bildenden und aus inneren Zellen, in denen die Spermatozoiden entstehen. Die peripherischen Zellen fließen später in einander und bilden eine den Komplex von Centralzellen um- schließende Masse. Nachdem auf diese Weise die vollkommene Uebereinstimmung im Bau der Antheridien bei den heterosporen Lycopodiaceen und der An- theridien anderer höherer Uryptogamen festgestellt worden war, wandte ich mich den heterosporen Farnen zu. Auch hier gelang es mir Wandzellen zu finden, welche die inneren, sog. spermatogenen Zellen bedeckten, aber die Struktur der Prothallien selbst erwies sich hier weit komplizierter ?). Dieselben bestehen aus einer ganzen Reihe vegetativer Zellen, die als Ueberreste des ursprünglichen Prothalliums aufzufassen sind, und aus zwei durch vegetative Zellen von einander getrennten Antheridien. . Dieser komplizierte Bau weist darauf hin, dass der Uebergang zu den Phanerogamen nicht hier, sondern bei den heterosporen Lycopodiaceen zu suchen ist, da bei den Phanerogamen die Struktur des männlichen Prothalliums noch größere Vereinfachung zeigt. Wir haben bereits gesehen, dass die Veränderungen im Bau des weiblichen Prothalliums auch zu Gunsten einer nahen Ver- wandtschaft der heterosporen Lycopodiaceen mit den Phanerogamen sprechen. Es erübrigte noch, die Gymnospermen einer Untersuchung zu unterziehen. In Bezug auf die Gymnospermen war, wie ich bereits 4) WI. Belajeff, Antheridien und Spermatozoiden der heterosporen Lyco- podiaceen, Moskau 1884 (russisch) und Bot. Zeitung, 1885, Nr. 50 u. 51. 2) Wl. Belajeff, Ueber die männlichen Prothallien der Wasserfarne (Hytropterides), Warschau 1890 (russisch). 216 Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. erwähnt habe, bekannt, dass ihre Pollenkörner, die mit den Mikro- sporen gleichbedeutend sind, eine oder mehrere kleine Zellen und eine große Zelle bilden, die zu einem langen, in die Samenknospe ein- dringenden Schlauche wird. Die kleinen Zellen kamen überhaupt nicht in Betracht. Man nahm an, sie würden resorbiert. Es ist mir gelungen, festzustellen, dass wenigstens einzelne derselben ein ganz anderes Schicksal haben. Die Gymnospermen zerfallen in 3 Abtei- lungen: Cyeadeen, Coniferen, Gnetaceen. Zu meinen Untersuchungen eignete sich nur die mittlere Gruppe, die Coniferen. Bei den Abietineen, einer der ältesten Gruppen unter den Coniferen, gliedert das Pollen- korn anfänglich 2 sehr kleine Zellen ab, die, gleich der kleinen Zelle an der Basis des männlichen Prothalliums bei Selaginella und Isoötes, keine weitere Rolle spielen. Wir haben es also hier mit einem Ueber- rest des männlichen Prothalliums zu thun, auf dem sich das Antheri- dium bildet. Der übrige Teil des Pollenkorns besteht aus einer inneren kleinen und einer äußeren großen, die Innenzelle ganz umschließenden Zelle. Wir haben also hier ein Antheridium mit einer noch einfacheren Wandung, als bei den heterosporen Lycopodiaceen, welche nur aus einer einzigen Zelle besteht. Ueberdies spielt hier diese Zelle eine besondere Rolle: sie streckt sich zu einem langen, in das Gewebe der Samenknospe hineinwachsenden Schlauch aus und dringt darin bis zum weiblichen Prothallium und den darin entstandenen Archegonien vor. Die innere Zelle teilt sich bei den Abietineen zuerst in 2 Zellen. Die hintere derselben zerfällt späterhin und befreit die vordere. Die vordere teilt sich in zwei Zellen, die in die Spitze des Schlauches wandern und bis zu den Archegonien vordringen. Aus der Spitze des Schlauches gehen sie in die Eizelle des Archegonium über. Als sog. geherative Zellen treten also hier diese zwei Innenzellen des Antheri- diums auf, die als Homolog der sich in Spermatozoiden verwandelnden Innenzellen des Antheridiums bei Jsoötes und .Selaginella aufzufassen sind. Bei den Cupressineen ist der Bau des männlichen Prothalliums noch einfacher. Die beiden kleinen, das eigentliche Prothallium bil- denden Zellen fehlen hier ganz. Das Pollenkorn verwandelt sich direkt in das Antheridium. Es teilt sich in zwei Zellen, eine innere und eine äußere, welche die Antheridienwand bildet und sich schlauchförmig streckt. Die innere Zelle teilt sich, wie bei den Abietineen, zuerst in zwei Zellen, von denen die hintere resorbiert wird und dadurch die vordere befreit, welche sich nun der Spitze des Schlauches zuwendet und bis zu den Archegonien des weiblichen Prothalliums vordringt. Bei den Abietineen zerfiel diese Zelle noch an Ort und Stelle in 2 Zellen, hier aber teilt sie sich erst, nachdem sie die Archegonien erreicht hat. Bei den Taxineen geht die Vereinfachung noch weiter; die genera- Belajeff, Beziehungen zwischen den Phanerogamen und Cryptogamen. 217 tive Zelle teilt sich in zwei Zellen von ungleicher Größe. Die eine derselben, die kleinere, dringt nicht in das Archegonium ein). Wenn wir uns nun den Angiospermen zuwenden, so finden wir hier dasselbe Verhältnis vor, wie bei den Cupressineen. Hier teilen sich die Pollenkörner gleichfalls in zwei Zellen, eine große und eine kleine, von denen die große, die Wand des Antheridiums bildende Zelle sich schlauchförmig streckt, die kleine aber an die Spitze des Schlauches rückt und in zwei generative Zellen zerfällt. Das Studium der Veränderungen des männlichen Prothalliums zeigt uns also einen noch allmählicheren Uebergang von den Uryptogamen zu den Phanerogamen, als die Untersuchung des weiblichen Prothalliums, da auch die Angiospermen folgerichtig als neues Glied in die Kette dieser allmählichen Veränderungen einzufügen sind. Unter den Gymnospermen ist die Gruppe der Cycadeen jedenfalls die älteste. A priori hatte ich geglaubt, hier noch größere Aehnlich- keit mit den Cryptogamen zu finden, als bei den Abietineen, und gab mir alle erdenkliche Mühe, um das erforderliche Material zu beschaffen. Leider kommen die Cycadeen bei uns nur in Treibhäusern vor, wo sie sehr selten blühen. Außerdem sind die Cycadeen zweihäusige Pflanzen, und man findet äußerst selten gleichzeitig blühende männliche und weibliche Exemplare derselben Gattung. Alle meine Bemühungen waren erfolglos: ich konnte mir kein Untersuchungsmaterial verschaffen. Als Antwort auf meine Bitten und Fragen riet man mir, mich nach Ost- oder. Westindien zu wenden. Auch die Bitten, mit denen ich mich an einige Reisende wandte, führten nicht zum gewünschten Ziel, wenn ich von den Makrosporen von Cycas absehe, die mir Prof. Kamenski zugedacht, von denen ich aber nur 2—3 erhielt, da die Gläser mit dem für mich bestimmten Material unterwegs zerschlagen wurden. Während dessen hatten sich zu den europäischen Forschern auch die Botaniker Japans gesellt,.wo noch unerforschtes Material in Menge vorhanden war und wo die Cycadeen im Freien wachsen. Anfangs dieses Jahres erschienen in den ersten Nummern des Botanischen CGentralblattes zwei Mitteilungen aus Tokio, von Ikeno!) und Hirase?) die neues Licht in den Zusammenhang der Cryptogamen mit den Phanerogamen brachten. Hirase hat das Wachstum des Pollenschlauches bei Gingko, einer den Cycadeen sehr nahe verwandten 1) WI. Belajeff, Zur Lehre von dem Pollenschlauche der Gymnospermen. Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. IX, Heft8 und Bd.XI, Heft 3 und Ueber die Pollenschläuche. Sitzungsprotokolle der biolog. Sektion der Warschauer Naturforschergesellschaft. Sitzung 23. Oktober 1892. (Erschien am 2/14. Nov. 1892). 2) S. Ikeno, Vorläufige Mitteilung über die Spermatozoiden bei C'ycas revoluta. Bot. Centralblatt, Nr. 1, 1897. 3) S. Hirase, Untersuchungen über das Verhalten des Pollens von Gingko biloba. Bot. Centralblatt, Nr. 2 u. 3, 1897. 918 Apäthy, Halsdrüsen von Herudo medicinalis L. Pflanze, untersucht und gefunden, dass die beiden generativen Zellen des Pollenschlauches sich in 2 cilientragende Spermatozoiden verwan- deln. Dieselbe Beobachtung machte Ikeno an dem Pollenschlauche bei Cycas. Auch hier wurden Spermatozoiden gefunden. Somit fällt die Grenze weg, die bisher zwischen den Cryptogamen und den Phanero- Samen gezogen wurde, da man annahm, dass bei den ersteren die Befruchtung sich durch Spermatozoiden, bei den letzteren durch die Pollenschläuche vollzieht, und Hirase bezeichnet die Cycadeen und Gingko mit vollem Rechte gleichzeitig als zoodiogame und als siphonogame Pflanzen. Seinen ‚Worten nach bilden diese Pflanzen „somit einen interessanten Uebergang im darwinistischen Sinne“. Ich kann nicht umhin zu bemerken, dass der berühmte Verfasser der „Vergleichenden Untersuchungen“, die wir Eingangs besprochen haben, diese auffallende Entdeckung vorausgesehen hat. Im Schluss- kapitel seiner Untersuchungen sagt er, dass die Befruchtung bei den Coniferen durch den Pollenschlauch vor sich geht und fügt in Paren- these dazu „in dessen Innerem vielleicht Samenfäden sich bilden“. Hofmeister’s Vermutung hat sich auffallend bestätigt, wenn auch bis jetzt nur für die Cycadeen, nieht aber für die Coniferen. Die Beobachtungen von Hirase und Ikeno fanden in neuester Zeit eine Bestätigung durch die Untersuchungen Webber’s, der die Verwandlung von generativen Zellen des Pollenschlauches bei Zamia in Spermatozoiden verfolgt hat. Hierbei beschreibt Webber die Bil- dung eines eilientragenden Spiralbandes der Spermatozoiden und die aus letzteren entspringenden Cilien fast genau so, wie ich eine ähn- liche Erscheinung bei den Schachtelhalmen und Farnen beschrieben habe, was einen neuen Beweis für die Verwandtschaft der Gefäß- eryptogamen und der Cycadeen liefert!). [36] Die Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L., mit Rücksicht auf die Gewinnung des gerinnungshemmenden Sekrets. Von Prof. Dr. Stefan Apathy in Kolozsvar. Die sogenannten Speicheldrüsen der Hirudineen nenne ich Halsdrüsen wegen ihrer Lage im Hirudineenkörper, welche ich wei- ter unten ausführlich beschreiben will. Das Sekret dieser Drüsen wird vom gesogenen Blut selbst gelöst und in den Darm des saugenden Blut- 5 4) wi. Belajeff, Arbeiten der k.'St. Petersb. Naturf. Gesellsch., Bd. XXVII, Lief. 4, Jahrg. 1896, Nr.1: „Ueber die Uebereinstimmung in der Spermatozoiden- Entwicklung bei den Tieren u. Pflanzen“ (russisch mit deutschem Resume, S. 36); Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. XV, Heft 6: „Ueber den Neben- kern in den spermatogenen Zellen (8. 337) und „Ueber die Spermatogenese bei den Schachtelhalmen (8. 339). — H. J. Webber, Peeuliar struetures oceurring in the pollen tube of Zamia. Botan. Gaz., Vol. XXIII, Nr. 6, June, 1897. — H. J. Webber, The development of the antherozoids of Zamia. Bot. Gaz., Bol XRIV, Nr.1, June, 1897, Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medicinahs L. 219 egels mitgenommen, während das Blut vor der Drüsenmündung vorbei- strömt; dieses Sekret macht das gesogene Blut ungerinnbar. Bekanntlich versuchte zuerst J. B. Haycraft!) 1884, den ge- rinnungswidrigen Stoff aus dem medizinischen Blutegel zu extrahieren. Der nach seinem Verfahren gewonnene Extrakt verhindert in der That die Gerinnung des Blutes wenigstens bis zu einem gewissen Grade, einerlei ob man den Extrakt mit dem einem Wirbeltier (z. B. Kaninchen) entnommenen Blut mischt, oder ihn dem Tier selbst injiziert. Im letzteren Falle dauert die Wirkung verhältnismäßig kürzere Zeit, da der Extrakt durch die Nieren bald ausgeschieden wird, wobei der ge- rinnungswidrige Stoff mit unveränderten Fähigkeiten in den Harn übertritt und daraus wieder zu extrahieren ist. Seitdem haben zahlreiche Forscher Versuche mit dem Blutegel- extrakt gemacht, und auch von einer klinischen Verwendung desselben ist wiederholt die Rede gewesen. Den Blutegelextrakt stellt man all- gemein nach dem Verfahren von Hayeraft her. Ich habe aber in einer unlängst erschienenen Arbeit über die Beschaffenheit und Funktion der Halsdrüsen von Hirudo medicinalis?) ausführlich dargethan, dass das Verfahren von Hayeraft in gewisser Hinsicht unvollkommen ist. Erstens verarbeitet er nur einen kleinen Teil des Körperstückes des Blutegels, in welchem sich die Halsdrüsen befinden, zweitens beutet er nicht einmal den benutzten Teil vollkommen aus. Deshalb hat man bei den bisherigen Experimenten zur Herstellung eines gar nicht genug wirksamen Extraktes viel mehr Blutegel ver- braucht, als notwendig gewesen wäre. Die hauptsächliche Ursache davon ist, dass Hayeraft über die Lage und die Natur der Gewebselemente, die den gerinnungswidrigen Stoff liefern, nicht gut unterrichtet gewesen ist. Er kannte und fand auch nicht, trotzdem er sie suchte, die spezifischen Drüsen, welche das betreffende Sekret liefern. Und doch waren die Halsdrüsen zur Zeit seiner Experimente bereits bekannt. Da er keine spezifischen Drüsen zu finden vermochte, so glaubte er, dass in erster Linie die Epithel- zellen der Mundhöhle den fraglichen Stoff herstellen, und deshalb hat er bloß die Kopfenden der Egel verarbeitet. Aus diesem negativen Resultat in Betreff der Bildner des Sekrets folgte dann notwendigerweise auch, dass er an mikroskopischen Präparaten nicht verfolgte, wie die zur Bereitung des Extraktes benutzten Reagentien auf die Gewebs- 1) J. B. Haycraft, Ueber die Einwirkung eines Sekretes des offizinellen Blutegels auf die Gerinnbarkeit des Blutes. Arch. f. exper. Pathol., Bd. XVII, (1884), S. 209— 217. 2) Stefan Apäthy, Die Beschaffenheit und Funktion der Halsdrüsen von Hirudo medicinalis, mit Rücksicht auf die klinische Verwendung ihres Sekretes,. — In der deutschen Revue des Ertesitö, Sitzungsberichte der medizinisch-naturwissenschaftlichen Sektion des Siebenbürgischen Museumvereins, I, Medizinische Abteilung, Bd. XIX (1897, XXIL Jahrg.), S.37—77, Taf. IV—VI. 220 Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L. ‚elemente, die den gesuchten Stoff produzieren, einwirken, und ob sie auch im Stande sind, diesen Stoff aus den Zellen wirklich und voll- kommen zu entfernen. Sogar einer der letzten Experimentatoren auf diesem Gebiete, Eguet (s. meine erwähnte Abhandlung) war in dieser Richtung nicht weiter gekommen. Es ist ihm bekanntlich gelungen darzuthun, dass das durch Injektion von Blutegelextrakt ungerinnbar gemachte Blut eines Tieres während der Wirkungsdauer des Extraktes auch keinen Thrombus um Fremdkörper in der Blutbahn bildet. Aber nach Eguet’s Berechnung bedurfte es eines Extraktes von S0O—90 Blutegeln, um das Blut eines 130 Pfund schweren Menschen vorübergehend vor Thrombenbildung zu schützen. Ich glaube indessen, dass bei dem richtigen Verfahren in der Herstellung des Extraktes viel weniger Blutegel genügen müssten, um ein bedeutend günstigeres Resultat zu erzielen. Eguet führte seine Versuche auf der Klinik des Professor Sahli in Bern aus, und, wenn ich gut unterrichtet bin, so wird daselbst in dieser Richtung weiter experimentiert. Prof. Sahli beauftragte im Herbste des vergangenen Jahres den bekannten chemischen Präparator, Herrn €. Fr. Hausmann in St. Gallen, für ihn ein größeres Quantum von Blutegelextrakt herzustellen. Bevor er seine Arbeit begonnen hat, betrat Hausmann endlich den Weg, auf welchem schon Hayeraft in seinen sonst ausgezeichneten und bahnbrechenden Experimenten hätte schreiten sollen; er wandte sich nämlich um Aufklärung an einen Zoologen vom Fach. Er erbat von mir Antwort auf folgende Fragen. Was für ein Organ ist es, welches den gerinnungswidrigen Stoff liefert, und wo liegt es? Produzieren jene Organe das Sekret fortwährend, oder hängt ihre Thätigkeit vom ausgehungerten Zustande des Tieres, von der Verdauung, von der Jahreszeit ete. ab? Ist darauf das Alter des Tieres von Einfluss oder nicht? Macht die Species oder die Rasse der verarbeiteten Blutegel einen Unterschied in Betreff der Menge des gewinnbaren Extraktes? Alle diese Fragen sind um so wichtiger, als die Kosten der Herstellung des Extraktes in erster Linie von ihrer Beantwortung abhängen, und der Kostenpunkt bei Versuchen im Großen, beziehungsweise bei einer eventuellen klinischen Verwendung des Ex- traktes unmöglich außer Acht zu lassen ist. Ich selbst hatte mich schon seit langer Zeit mit diesen Fragen beschäftigt und hatte die zu ihrer Beantwortung notwendigen Versuche und Beobachtungen während der Bearbeitung meiner seit vielen Jahren vorbereiteten großen Monographie der Hirudineen bereits angestellt. Ich brauchte also die von mir verlangten Angaben bloß aus meinen Notizen und Zeichnungen zusammenzustellen. Ich lasse aber diese Zusammenstellung nicht bloß private Ratschläge bleiben, sondern ich veröffentliche sie hiermit, weil ich dadurch auch späteren Experimen- tatoren einen Dienst erweisen zu können glaube. Sie können ja nicht 7 Apäthy, Halsdrüsen von Herudo medicinalis L. 31 einmal in der zoologischen Fachlitteratur alle notwendigen Angaben vorfinden, und manche vorhandenen bedürfen einer Richtigstellung oder Ergänzung. Sogar die bis jetzt in jeder Beziehung beste und ausführlichste Beschreibung der Halsdrüsen, nach ihm Speicheldrüsen, von Leuckart!) giebt z. B. ihre Lage bei Airudo nicht ganz genau an. Es heißt nämlich S. 626 nur, dass die Drüsenzellen über den ganzen, mehrere Millimeter langen Oesophagus verbreitet sind. In Wirklichkeit reichen die Drüsenzellen viel weiter als der Oesophagus nach hinten und verbreiten sich, wie wir gleich sehen werden, oft über eine mehr als 10 Millimeter lange Strecke im perivisceralen Binde- gewebe. Hier will ich indessen, um nicht allzuviel Raum in diesem Blatte in Anspruch zu nehmen, bloß meine Ergebnisse kurz mitteilen. Aus- führlicheres, mit Figuren illustriert, findet der Leser in meiner oben erwähnten Abhandlung. Dort wurde, nach einem geschichtlichen Ueberblick des Gegen- standes und nach einer eingehenden Kritik der Versuche Hayeraft’s, gezeigt, dass das Produkt von anderen Drüsen oder überhaupt Zellen, als von den Halsdrüsen, während des Saugens gar nicht in das Blut, geschweige denn in die vom Blutegel gebissene Wunde gelangen Kann. Der gerinnungswidrige Stoff kann also nichts anderes, als das Produkt der Halsdrüsen sein. Mit diesen haben wir uns zu beschäftigen, mit ihrer Lage im Körper des medizinischen Blutegels, mit ihrer Beschaffenheit und mit der Natur ihres Sekretes, mit den Verhältnissen der Entstehung des letzteren und mit seinem Verhalten gegenüber den bei dem Herstellen des Extraktes benutzten Medien. Was nun zunächst ihre Lage betrifft, so befinden sich die Hals- drüsen, eine große Anzahl von kolossalen einzelligen Drüsen, iu sämtlichen Genera der Klasse Hirudinea im engeren Sinne (nach mir) lediglich in den Somiten ‚des Praeclitellums, das heißt in dem VII, VIII. und IX. Körpersegment (die Segmente nach meinem Verfahren a zählt). Diese Somite bilden eben den sogenannten Hals der Hirudineen, mit anderen Worten das Körperstück, welches unmittelbar auf die Kos region, auf den Saugnapf, folgt und dicht vor dem eigentlichen Gürtel (Clitellum) liegt. Besagte Somite habe ich auch in den halbschematischen Figuren 1 (das vordere Körperende eines großen, mäßig gestreckt 16 em langen Herudo medicinalis von oben, zweifach vergrößert) und 2 (das- selbe von der Bauchseite gesehen) mit den entsprechenden römischen Zahlen bezeichnet ?), und die Halsdrüsenzellen Adr sind innerhalb der mit einem Sternchen bezeichneten Grenzen in Form von kleinen Kreisen angedeutet. 1) R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen etc. Zweite, völlig umge- arbeitete Auflage, Bd. I, 5. Lief., Leipzig 1894. 2) Vom X. "Somit an sind in Fig. 1 auch die Tastkegelchen der ersten Ringe des Somits (s.r) angedeutet, und zwar nicht nur die 8 dorsalen, sondern auch die von oben eigentlich kaum sichtbaren 2 lateralen. 399 Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medieinalis L. Die mit Sekretkügelchen zum Teil stets vollgepfropften Ausführungs- gänge der Halsdrüserzellen (baug in Figur 1, Bündel von Aus- führungsgängen) erstrecken sich im mäßig gestreckten oder ruhenden Blut- egel nach vorne ungefähr bis in die Höhe der Ringfurche, welche den 2. und 3. Ring der Bauchfläche von einander trennt, die Ringe von der ventralen Lippe, vom hinteren Rande des Saugnapfes gezählt (Fig. 2, vrs). Um mich noch genauer auszudrücken, so liegt die rostralste (vorderste) Stelle der Firste des dorsal in der Medianebene liegenden Kiefers (mk in beiden Figureu), welcher weiter nach vorne reicht, als die beiden seitlichen (lateralen, tu. /kl), in der Regel etwas vor der Grenze desVI.u. VII. Somits, und auf dieser Firste reihen sich die vordersten Mündungen von Halsdrüsenzellen. Hinten hören die Körper der Halsdrüsenzellen meist etwa 7 Ringe vor. der männlichen Geschlechtsöffnung (der vorderen von beiden, in der ventralen Medianlinie: g in Figur 2) auf, das heißt sie erstrecken sich bei Hirudo selten über die hintere Grenze des IX. Somits, hinein in das erste Clitellumsomit, ja sie reichen gelegentlich nicht einmal bis zur Mitte des IX. Somits, Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medieinalis L. 225 In dieser Beziehung kommen nämlich ziemlich große individuelle (von der Rasse unabhängige) Schwankungen vor. Indessen kann man so viel allgemein behaupten, dass die Halsdrüsen mindestens noch die ersten Aussackungen des Mitteldarmes (md in Figur 1) umgeben und nicht schon am hinteren Ende des Oesophagus (oe) aufhören. Letzterer reicht ja nicht viel über die Mitte des VIII. Somits nach hinten. Die Körper der Halsdrüsenzellen pflegen dort aufzuhören, wo die pigmentierten Zellen der Bothryoidalgefäße (bx, als kleine schwarze Punkte angedeutet) an- fangen in größerer Menge aufzutreten. Stets giebt es aber eine gewisse Region (meist das ganze IX. Somit, gelegentlich schon das hintere Ende des VIIl.), wo man Bothryoidalzellen und Halsdrüsenzellen gleichzeitig, mit einander vermischt, antrifft. Vorne fangen die Drüsenkörper in der Höhe der mit dem Schlund- ring |s”s, der supraoesophageale Teil desselben in Fig. 1, sr« der intra- vesophageale in Fig. 2!)| verbundenen visceralen Nervenschlinge (vns in Figur 1, mit drei Ganglienknötchen, je eines für jeden Kiefer) an auf- zutreten, ja in beträchtlicherer Anzahl erst im VIII. Somit, d. h. hinter dem 6. Ringe der Bauchfläche, vom ventralen Saugnapfrand gerechnet. Aber ein großer Teil der langen Ausführungsgänge ist, wie gesagt, mit Sekretkörnchen stets vollgepfropft, und, da das fertige Sekret sich in erster Linie in den Ausführungsgängen befindet, so müssen gerade diese für die Gewinnung eines stark wirkenden Sekrets von der größten Wich- tigkeit sein. Dazu kommt noch, dass die Ausführungsgänge der am weitesten von den Kieferrändern, der Mündungsstelle, nach hinten ent- fernten Drüsenzellen den eigentlichen Drüsenkörper an Masse weit über- treffen, und der Drüsenkörper schon ganz leer sein kann, gerade wo der Ausführungsgang vom fertigen Sekret am meisten gefüllt ist. Aus diesem Umstande ist es zu erklären, dass Haycraft einen stark wirkenden Extrakt erhalten konnte, trotzdem er den größten Teil des Drüsenkomplexes unbenützt gelassen hat. Er ging nämlich, wie schon erwähnt, von der irrtümlichen Voraussetzung aus, dass das Sekret, welches die Blutgerinnung verhindert, von den Epithelzellen der Mundhöhle und des Schlundes geliefert wird. An einer Stelle sagt er, dass er den „Schlund und die Mundhöhle“ des Blutegels, also den Vorderkörper zerschnitten und behandelt hat; aber aus anderen Stellen seines Aufsatzes (s. hierüber meine erwähnte Abhandlung) vermute ich, dass er kaum mehr, als die ersten 7 Somite, höchstens noch einen Teil des VIII. Somits benutzt hat. Er verwandte demnach zu seinen Experimenten auch einen Körperteil, die ersten 6 Somite, welche gar kein Sekret von der gesuchen Art liefern, ja deren Sekret während des Saugens überhaupt nicht in Berührung mit dem Blute kommen kann. Hingegen benutzte er vom richtigen Körper- teil kaum ein Drittel. Aber gerade das vordere Drittel davon, und dieses enthält die Ausführungsgänge der Halsdrüsen und mit diesen sehr viel fertiges Sekret. | 1) g.7 ist das erste, 9.8 das zweite, g.9 das dritte Ganglion des Bauch- Stranges u. Ss. w. 9.7 das erste, weil die den Bauchganglien äquivalenten 6 vordersten Ganglien zur Bildung des Schlundringes zusammengerückt sind, welcher den 6 ersten Körpersomiten entspricht; g.7 entsprieht dem VII. Somit u. 8. w. In Figur 2 sind auch die Längskommissuren, die Konnektive, des Bauchstranges angedeutet. 224 Apäthy, Halsdrüsen von Birudo medicinalis L. Dem Gesagten gemäß, kann ich das zu benützende Körperstück für die Praxis der Gewinnung des Sekretes in der folgenden Weise angeben, falls das Sekret möglichst rein gewonnen werden soll. Man schneide znnächst die Saugnapfregion, den Kopf, ab (d. h. das vorderste, bei mittel- großen, nämlich in mäßiger Streckung 8—10 cm langen — etwa 3 g schweren und 4 oder mindestens 3 Jahre alten — Individuen ungefähr 5 mm lange Stück des Körpers). Den Schnitt führe man etwa 1—1!/, mm hinter dem ventralen, hinteren Rande des Saugnapfes vertikal durch den Körper und werfe den so abgetrennten Körperteil als unbrauchbar oder wenigstens überflüssig weg. Dann trenne man das (bei mittelgroßen In- dividuen etwa 10 mm lange) Körperstück mit den Halsdrüsen durch einen Schnitt ungefähr 5 mm vor der männlichen Geschlechtsöffnung (der vorderen von beiden in der ventralen Mittellinie befindlichen) vom übrigen Körper und benütze es allein. Für die Praxis wird indessen wahrscheinlich ein weniger reiner Extrakt der Halsdrüsen auch in der Zukunft genügen, als welchen man durch die ausschließliche Verwendung des VII., VIII. und IX. Körper- somits erhält, und dann braueht man nicht erst die Kopfregion abzu- schneiden, sondern man benutzt den ganzen Vorderkörper, den man un- sefähr bei der männlichen Geschlechtsöffnung vom übrigen Körper trennt. Mit anderen Worten: man benützt ein bei mittelgroßen (in mäßiger Streekung 8—10 cm langen) Tieren 18—20 mm langes Stück des vor- deren Körperendes. Erstens beeinträchtigt nämlich das Sekret der übrigen Drüsen, die in die Saugnapfhöhle münden, die Wirkung der Halsdrüsen sicher nicht, im Gegenteil besitzen nach Haycraft’s Versuchen auch diese eine gewisse gerinnungswidrige Eigenschaft. Ein die Wirkung der Halsdrüsen. paraly- sierender Einfluss ist auch für die tiefer liegenden subepidermalen Drüsen, deren Sekret sich auf der Außenfläche des Saugnapfes ergießt, und für die epidermalen Drüsen, die, wie überall, so auch in der Kopfregion, auf der Körperoberfläche münden, nicht wahrscheinlich. Letztere und zahl- reiche Drüsenkörper der ersteren sind übrigens ebenso wie in der Kopf- region auch in dem VII., VIII. und XI. Somit vorhanden; die Beimischung ihres Sekrets zu dem Extrakt könnte also nicht einmal bei der ausschließ- lichen Verwendung dieser Somite ganz vermieden werden, außer man müsste vorher den ganzen Hautmuskelschlauch entfernen, um bloß die innerhalb der Längsmuskulatur, im perioesophagealen Bindegewebe, zwischen den - Faserbündeln der äußeren Schlundmuskulatur und im perivisceralen Binde- gewebe des vordersten Mitteldarmabschnittes liegenden Halsdrüsen zu be- halten. Dies ließe sich aber in der Praxis nicht durchführen. — Dagegen dürften die Drüsen des Olitellums ?), wenn man auch von diesem ein Stückchen mit abschneiden würde, eo ipso keine größere Bedeutung für die Qualität des Extraktes haben. Sie befinden sich ja gewöhnlich in der Ruhe, sind meist überhaupt noch nicht ausgebildet, oder sie sind, wenn solche auch früher einmal schon ausgebildet waren, gewöhnlich ganz leer, zum Teil in Rückbildung begriffen. Nur bei der Eiweißabsonderung . 1) Der Inhalt der hier erwähnten fünferlei Drüsen ist sowohl morpho- logisch als auch hinsichtlich seines tinktoriellen Verhaltens ganz verschieden und sehr deutlich gekennzeichnet (s. meine erwähnte Abhandlung). Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo mediecinalis L. 295 für die zu legenden Eier und bei der Eikapselbildung!) treten sie in Thätigkeit, wodurch die Haut des Clitellums stark anschwillt. Aber eben zu dieser Zeit steht die Tätigkeit der Halsdrüsen gewisser- maßen still; sonst ist sie ganz unabhängig von der Jahreszeit. In der Eavsenschäft kann die Eikapselbildung, wenn die Egel auch weiblich geschlechtsreif sind und sich in Gesellschaft von männlich reifen Indi- viduen befinden, Jahre lang ausbleiben. Tiere, die zur Eikapselbildung (zum Coconlegen) mehr oder weniger bereit sind, findet man im Freien von Juni bis Oktober, am häufigsten im August. Sie sind an ihrem ge- schwollenen, nach vorne und hinten auch äußerlich mehr als sonst ab- gegrenzten Olitellum leicht zu erkennen. Diese benütze man für die Gewinnung des Extraktes lieber nicht. Sollte freilich der Halsdrüsen- Extrakt mit der Zeit vielleicht auch klinisch verwertet werden, so wären auch eventuelle Nebenwirkungen des Extraktes von anderen mit extrahierten Drüsen und sonstigen Gewebs- bestandteilen in Betracht zu ziehen. Daun müsste man eben die chemische Isolierung des Halsdrüsensekrets versuchen, denn eine anatomische Iso- lierung der Halsdrüsen selbst ist im frischen Zustande unausführbar, was aus ihrer Lage und Beschaffenheit zur Genüge erhellt. Die Halsdrüsen sind nämlich einzellige Drüsen, welche, wie er- wähnt, sämtlich nach Innen von der Längsmuskelschichte der Leibeswand (Im in Fig. 1 u. 2), in das periviscerale Bindegewebe eingestreut und mit den äußeren longitudinalen und radialen Muskelbündeln des Oesophagus untermengt sind. Man kann an ihnen den Körper und den deutlich ab- gesetzten Ausführungsgang unterscheiden. Der Körper der Drüsenzelle ist kugelig, von einem Durchmesser, welcher zwischen 40 bis 80, seltener 100 u, variiert; oder er ist etwas ellipsoidisch, mit der längsten Axe gegen den Ausführungsgang gerichtet. Meist ist er aber in Folge des Druckes der benachbarten Gewebsbestand- teile mehr oder weniger unregelmäßig. Die Drüsenkörper treten, wie ebenfalls schon erwähnt, erst in der hinteren Hälfte des VII. Somits auf und sind auch hier nur noch in geringer Anzahl zwischen den Bündeln der Ausführungsgänge weiter hinten liegender Drüsenzellen, oder neben diesen Bündeln, in das Bindegewebe eingestreut. Nach hinten nimmt ihre Zahl allmählich zu und erreicht meist etwa an der Grenze des VIII. und IX. Somits das Maximum. Hier sind sie eventuell so dicht gelagert, dass sie in einer dicken Schichte den ganzen Darm ringförmig umgeben; nur hier und da wird der Drüsenring von den in dieser Höhe schon spär- licher gewordenen Faserbündeln der äußeren Oesophagnomuskulatur oder bloß von dorsoventralen und perlateralen Muskelzügen unterbrochen. Von dieser Stelle nach hinten vermindert sich aber die Zahl der Drüsenkörper sehr rasch, und meist schon vor dem Anfange des X. Somits versch win- den die Halsdrüsen vollkommen. Stets findet man neben jungen Drüsenzellen und den verschiedenen 4) Ich meide den gewöhnlich auch hier benutzten Ausdruck Cocon und reserviere diesen für die von den Insektenlarven u. dergl. bereiteten Hüllen, in welchen das Puppenstadium durchgemacht wird. Die Eikapsel von Herudo enthält bekanntlich mehrere Eier, die von Pontobdella, einer anderen Hirudinee, bloß ein Ei. XVIIL. jr 15 226 Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medicinalıs L. Uebergängen sowohl mit fertigen Sekretkörnchen vollgepfropfte, als auch schon ganz leere Drüsenkörper. Das fertige Sekret besteht aus ziemlich gleich, etwas über 1 Mikromillimeter (0.001 mm) großen, kugeligen, scharf umschriebenen Körnchen. Geeignet zum Entleeren wird diese Körnchenmasse da- durch, dass die Körnchen quellen und mit einander zusammenfließen, da- bei auch ihr tinctorielles Verhalten im mikroskopischen Präparat (vielleicht ihre chemische Natur) ändern. Die fertigen Sekretkügelehen nehmen einen kleineren oder größeren, aber stets stark überwiegenden Teil des Drüsenkörpers für sich allein in Anspruch und sind nicht in die Maschenräume eines etwa gleichmäßig verteilten Drüsensomatoplasmas eingelagert. Das unregelmäßig- und grob- wabige Somatoplasma mit dem oft verkümmerten Kern befindet sich meist in dem dem Ausführungsgange entgegengesetzten Segment des Drüsen- körpers und ist gegen den Sekretraum bald mit ebener, bald mit stark konkaver Fläche scharf abgegrenzt. Einzelne von hier ausgehende Somato- plasmabalken, die sich verzweigen, durchsetzen indessen den Sekretraum, sind aber meist erst nach Entleerung des Sekrets gut zu sehen. Nach der Entleerung des Sekrets bleibt im Drüsenkörper eine dünne Flüssigkeit, wahrscheinlich eine Lösung von Albumose zurück, welche z. B. durch Sublimatfixierung gefällt wird und in den Schnitten in Form von sehr feinen, aber oft zu Klumpen zusammengeklebten, im früheren Sekretraum unregelmäßig gelagerten staubförmigen Körnchen er- scheint. Diese Körnchen, von welchen der frühere Sekretraum ziemlich voll sein kann, sind aber nicht nur viel kleiner und unregelmäßiger als die Sekretkügelchen, sondern sie zeigen auch ein ganz anderes färberisches Verhalten als die Sekretkügelchen und deren Vorstufen in der Drüsen- zelle.. Nach einer gewissen Zeit verschwinden sie allmählich aus dem Drüsenkörper, welcher selbst noch sehr lange ungeschrumpft, scheinbar leer, nur von einem groben Somatoplasmagerüst durchsetzt, stehen bleibt. Die genauere Schilderung aller dieser und der noch zu berührenden Verhältnisse findet der Leser ebenfalls in der erwähnten Abhandlung, mit Rücksicht auf die morphologischen und tinctoriellen Unterschiede zwischen diesen und anderen Drüsenzellen von Herudo. Die Ausführungsgänge richten sich — nach einem kleineren oder größeren Umweg, wenn sie nicht vom vorderen Pole des Drüsenkörpers ausgehen — rostrad (nach vorne) und verlaufen meist ziemlich geschlängelt (im kontrahierten Tier stark gewunden). Sie sind bald kürzer (aber immer viel länger als der Drüsenkörper), bald länger bis sehr lang, je nach der Lage des Drüsenkörpers.. Nach kurzer Strecke vereinigen sie sich mit anderen anfangs zu kleineren Bündeln, und diese dann zu größeren, und endlich entstehen drei große Bündel, je eines für jeden Kiefer. Die drei großen Bündel sind im Querdurchschnitt zuerst unregelmäßig, dann gegen das Lumen des Öesophagus abgeplattet, endlich oval, mit der längeren Achse des Ovals radiär gegen das Lumen des Oesophagus ge- richtet. Zwei von ihnen haben, wie die betreffenden Kiefer, in die sie schon eingetreten sind, eine laterale und mehr ventrale Lage (/kl und Ikr in Figur 1 und 2); das dritte befindet sich über dem Oesophagus, genau in der Medianebene (im Mediankiefer mk). Sie bilden den größten Teil der sonst muskulösen Wülste, die, seitlich abgeplattet, in das Lumen des Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L. p.2 7 Oesophagus hervorragen und so in die ebenfalls radiär gestellten Kiefer- platten übergehen !). Die Ausführungsgänge münden sämtlich genau an der Kante der Kieferplatten, zwischen zwei hohen Leisten von verdickter Cuticula. Diese Cuticulaleisten fassen die Reihe von Zähnen, die der Kiefer trägt, zwischen sich, dienen zu ihrer Befestigung beim Sägen der Wunde und bedecken sie bis zur scharfen, aus einer besonderen, äußerst harten Substanz be- stehenden Spitze (richtiger Schneide). Die Ausführungsgänge sind in ihrer ganzen Länge, welche dem Gesagten gemäß je nach der Lage ihres Drüsen- körpers mehrere, bis über 10 Millimeter betragen kann, ziemlich gleich, etwa 6—8 u dick, im Querdurchschnitt kreisförmig. Nur an ihrem Ende verringert sich ihr Lumen, da dort, in der Kante der Kiefer, die zahlreichen Ausführungsgänge auf einen verhältnismäßig sehr geringen Raum zusammen- gedrängt sind. Die zwei Cuticulaleisten und je zwei benachbarte Zähne umgeben ampullenartige, eiförmige Hohlräume, und in jeden mündet eine größere Anzahl von Ausführungsgängen, welche also nicht jede für sich die Cuticula durchbohren (aber auch nicht schon vorher miteinander ver- schmelzen). In diesen Hohlräumen erkennt man noch die einzelnen hervorge- pressten Sekretstrahlen, welche die Form des Ausführungsganges bis zum Rande der Ampulle behalten können. Meist zerfließen sie erst außer- halb dieser. Der Prozess des langsamen Hervorpressens des Sekrets dauert, un- abhängig vom Saugakte, vielleicht fortwährend. Oft enthält das Ende eines Ausführungsganges bereits zum Entleeren geeignetes Sekret, die Sekretkügelchen darin sind schon gequollen und mit einander ver- schmolzen, während im caudaleren Teil des Ganges und im Drüsenkörper das Sekret noch in Form von gleich großen, scharf umschriebenen Kügel- chen vorhanden ist. Auch kann der Drüsenkörper und der caudale Teil des Ausführungsganges schon leer von Sekret sein, während der rostrale Teil noch voll von fertigem Sekret ist. Viel häufiger findet man aber, dass Drüsenkörper und Ausführungsgang Sekret auf gleicher Bildungsstufe enthalten oder bereits gleich leer geworden sind. Die Drüsen, welche die Sekretbildung noch nicht be- gonnen haben, sind viel kleiner und länglicher als die schon thätigen und besitzen einen in der Mitte des Zellkörpers gelegenen chromatin- reicheren, auch etwas größeren Kern. Ihr Drüsenkörper und ihr Aus- führungsgang bis zur Mündung ist von ganz gleichem großwabigem Somato- plasma gefüllt, dessen Wabenwände von einer eigentümlich reagierenden Substanz in dünner Lage bekleidet werden; der Inhalt der Wabenlumina besteht aus einer wasserähnlichen, sich nicht färbenden Flüssigkeit. Jene Substanz ist vom späteren Sekret gänzlich verschieden und zeigt Reak- tionen, die an das Mucin erinnern, Zuerst tritt das Sekret im rostralen Ende des Ausführungsganges auf, und das Somatoplasma wird von dem 4) InFigur1i sind die drei Kiefer in einem ventraleren, in Fig.2 dorsaleren frontalen Durchschnitt gezeichnet, als es dort der Ebene des angedeuteten supravesophagealen Teiles des Schlundringes srs, hier dem infraoesophagealen Teile desselben entspricht. Ueberhaupt gibt Fig. 1 die Kiefer in einer mehr ventralen, Fig. 2 mehr dorsalen Ansicht: ein durch andere Rücksichten ge- botener Gegensatz zur Ansicht des abgebildeten Tieres. 15* 398 Apäthy, Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L. sich allmählich vermehrenden Sekret von der Drüsenmündung her zurück- gedrängt. Das Sekret, welches zunächst aus ziemlich weit von einander liegenden minimalen, aber immer deutlich begrenzten Körnchen und aus einer strukturlosen Zwischensubstanz (Flüssigkeit) besteht, ist von jener mueinähnlichen Substanz von Anfang an grundverschieden; es zeigt aber auch von denen des fertigen Sekrets verschiedene Reaktionen. Die Thätigkeit der Halsdrüsen ist unabhängig von der Jahres- zeit, nur während der Winterruhe im Freien tritt wahrscheinlich ein Still- stand ein; in der Gefangenschaft geht die Sekretion im Sommer und im Winter in gleicher Weise vor sich. Sie ist unabhängig von dem nüch- ternen oder vollgesogenen Zustand und auch vom Alter des Tieres, insofern, als man schon nach kaum einen Monat nach dem Ausschlüpfen aus der Ei- kapsel, bei nicht einmal gestreckt ganz 2 cm langen Individuen große Drüsenzellen mit fertigem Sekret findet und solche auch bei den größten Tieren, die mehrere Jahre wiederholt Eikapseln gelegt haben, nicht vermisst. Indessen hängt vom Alter das Verhältnis der Zahl der noch unthätigen und der bereits erschöpften Drüsenzellen zu der Zahl der mit fertigem Sekret gefüllten ab. Bei kleinen Tieren bis zu 5 oder 7 cm Länge in mäßiger Streckung (1—3 Jahre alt) sind die noch nicht thätigen, aber schon aus- gebildeten, mit offenem Ausführungsgang versehenen (nicht mehr embryo- nalen) Drüsen sehr zahlreich, und die erschöpften ziemlich selten. Bei noch kleineren Tieren (unter 1 Jahr) sind die Drüsenzellen noch nicht alle fertig, obwohl manche, wie gesagt, schon fertiges Sekret enthalten; sehr viele sind, zwar schon differenziert und bei sorgfältiger Untersuchung als angehende Drüsenzellen sogar bei eben ausgeschlüpften Individuen schon erkennbar, noch unausgebildet. Bei diesen kann ich das charak- teristische Stadium der fertigen aber noch ruhenden Drüsenzelle in meinen Präparaten verhältnismäßig selten erblicken. Bei großen Tieren von über 12 cm Länge (nicht selten über 10 Jahre alt) sind dagegen junge Drüsenzellen kaum mehr zu finden, die große Mehrzahl bilden die leeren, in einem mehr oder weniger vorgeschrittenen Stadium der Rückbildung. Drüsenzellen mit fertigem Sekret sind bei mittelgroßen Tieren am zahl- reichsten. Eine postembryonale Neubildung von Halsdrüsenzellen findet also bei Hirudo kaum statt. Die schon beim Ausschlüpfen aus der Eikapsel wohl sämtlich vorhandenen, zum Teil aber — ich wieder- hole es — noch sehr wenig auffallend differenzierten, kaum als solche erkennbaren Drüsenzellen treten nacheinander, allmählich in Thätigkeit und erschöpfen sich, ohne zu regenerieren. Dementsprechend ist auch die Entleerung des Sekrets so all- mählich, sie geschieht in so kleinen Portionen, dass das Tier auf keiner postembryonalen Stufe seines (bis zu 20 Jahre) langen Lebens das fer- tige Sekret ganz entbehrt. Nach langer Gefangenschaft und langem Hungern nimmt die Zahl der leeren Drüsenzellen verhältnismäßig mehr zu, als es dem Alter des Tieres entsprechen würde; dabei nimmt aber auch die Verhält- niszahl der noch unthätigen Drüsen zu den thätigen zu. Die Erklärung dieser Erscheinung ist offenbar, dass die Drüsenzellen, die ihre 'Thätig- keit schon begonnen haben, ihr Sekret auch in der Gefangenschaft und bei längerem Hungern entleeren, hingegen treten ruhende Drüsenzellen nicht in entsprechender Anzahl in Thätigkeit. M. v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u. Motten. 299 Aus der Thatsache, dass das Tier, welches sich mit Blut *vollsaugt, dazu nicht all sein fertiges Sekret verbraucht (s. meine zitierte Abhandlung), kann man wohl ebenfalls folgern, dass das Sekret eine außerordentlich grosse Wirksamkeit besitzt und verhältnis- mäßig sehr geringe Mengen des Extraktes zum Verhindern der Gerinnung des Säugetierblutes genügen müssen, vorausgesetzt, dass es auch möglich sein wird, mit dem Extrakte das Halsdrüsensekret in ungeschwächtem Zu- stande zu gewinnen und die Halsdrüsen ganz auszubeuten. Nicht einmal das Erstere scheint bis jetzt geschehen zu sein. In Betreff des Letzteren, so glaube ich in meiner wiederholt erwähnten Arbeit bewiesen zu haben, dass das Haycraft’sche Verfahren nicht ganz befriedigend genannt werden kann, auch daun nicht, wenn man dabei das richtige Körperstück des Egels verwendet. Im Falle einer vollkommenen Ausbeutung der Halsdrüsen dürfte der Extrakt von £+—5 Blutegeln meines Erachtens schon so viel leisten, als was man bis jetzt bei einem Verbrauche von 80 Stücken erreichen konnte. Viel- leicht können die am angegebenen Ort mitgeteilten Resultate meiner mikroskopischen Untersuchungen der Halsdrüsen unter der Einwirkung verschiedener Reagentien als Fingerzeigen dienen für Forscher, die weitere Experimente zum Verbessern des Verfahrens bei der Gewinnung des Blut- egelextraktes anstellen wollten. Beschaffenheit, Entwicklungsgrad und Leistungsfähig- keit der Halsdrüsen sind bei allen von mir untersuchten mittel- europäischen Rassen von Hirudo medicinalis ziemlich gleich, namentlich habe ich in dieser Beziehung zwischen den Varietäten medicinalis (deut- scher, grauer Blutegel) und offieinalis (ungarischer, grüner Blutegel) keinen Unterschied gefunden. Kurz zusammengefasst, so kann der auf den Saugnapf folgende Körperabschnitt bis zum Gürtel von allerlei Formen der Art Hirudo medieinalis L. in allen Jahreszeiten, in jedem Alter und in jedem Ernährungszustand zur Gewinnung des Halsdrüsensekretes mit Erfolg verarbeitet werden. Am ausgiebigsten werden mittelgroße Tiere mit nicht abgesetztem (geschwollenem) Gürtel, nicht lange nach dem Einfangen aus den Blutegelteichen sein. [31] Kolozsvär, im Dezember 1897. Neue Untersuchungen über die Entwicklung der Schuppen, Farben und Farbenmuster auf den Flügeln der Schmetter- linge und Motten. In kurzer Folge sind über diesen Gegenstand zwei Arbeiten von Alfred Goldsborough Mayer erschienen (I. The development of the wing scales and their pigment in butterflies and moths. II. On the color and color-patterns of moths and butterflies, Cambridge Mass. U. S. A. June 1896, February 1897), deren Ergebnisse en für die Frage nach der Herk sunft der are von allgemeinerem ee sein dürften. Obwohl sich schon sehr viele Forscher mit den von Mayer erörterten Fragen beschäftigt haben, so ist es bis jetzt in vielen Fällen dennoch unmöglich geblieben mit annähernder Bestimmtheit zu sagen, in 930 M.v. Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u. Motten. welcher Weise sich der Prozess der Farbenbildung innerhalb des Puppen- flügels vollzieht und welches die letzten Ursachen sind, die bedingen, dass sich die auftretenden Farben immer in einer ganz bestimmten Weise an- ordnen. Sehr häufig bestehen selbst noch Zweifel darüber, welcher Natur die Farben sind, die wir auf den fertig ausgebildeten Flügeln des Schmetter- lings wahrnehmen. Mayer sucht diesen ebenso interessanten als schwierigen Fragen dadurch näher zu treten, dass er die Entwicklung der Flügel ver- schiedener Schmetterlinge (Danais plexippus Fabr., Pieris rapae L., Vanessa antiopa L., Papilio Turnus L., P. asterias Fabr., Callosoma promethea L., Samia cecropia L.) von der Raupe bis zur Imago ein- gehend verfolgte. Um zur histologischen Untersuchung geeignetes Material zu bekommen, wurden die Tiere in Perenni’scher Flüssigkeit bei 55° C getötet und die Serienschnitte (6,6 u dick) mit Hämatoxylin (nach Klei- nenberg und Ehrlich), mit Ehrlich-Biondi’scher Mischung und Safranin gefärbt. Auf den so hergestellten Präparaten waren, wie es bereits früher Landois und Pankritius beobachtet hatten, die Flügel- anlagen schon bei 4 mm langen Raupen zu erkennen. Sie befanden sich im zweiten und dritten Thorakalsesment und bildeten von 'T'racheen durch- setzte, vielfach gefaltete Ausstülpungen der Hypodermis. Die Flügel- anlagen liegen nicht frei zwischen Hypodermis und Cuticula der Raupe sondern sind stets in eine tiefe Hypodermisfalte eingesenkt, welche den Biegungen des Flügels genau folgt, aber viel dünnere Wände hat als dieser. Zwischen den den Flügel zusammensetzenden Hypodermislagen, von denen die äußere die Oberfläche, die innere die Unterfläche des Flügels bildet, verlaufen Tracheenstämme. Die Flügelmembranen selbst werden von langen zylindrischen Hypodermiszellen gebildet, welche auf dem Längsschnitt des Flügels dichter stehen als auf seinem Querschnitt. Bis- weilen bilden die nach innen gekehrten Enden dieser spindelförmigen Zellen eine doppelte Membran, in welche dann die Tracheen wie in einen Sack eingeschlossen sind. Sobald sich die Raupe verpuppt, dehnt sich der Flügel um das 6fache aus und die Zylinderepithelien der Flügel- membranen verwandeln sich in ein Plattenepithel, dessen Zellen große eiförmige Kerne enthalten, in welchen das Chromatin peripher angeordnet ist. Die vorher von den inneren Enden der Hypodermiszellen gebildeten Membranen sind verschwunden und an ihre Stelle tritt die von Semper zuerst beobachtete dünne „Grundmembran“. Dieselbe legt sich an die Hypodermis an und besteht aus sternförmigen Mesenchymzellen und deren interzellulären Abscheidungen. Ihre beiden Lagen, von denen eine der Oberseite, die andere der Unterseite des Flügels aufgelagert ist, sind durch hohle zylindrische Verbindungsstücke, welche aus Falten der Membran selbst zu bestehen scheinen und häufig Leukocyten enthalten, mit einander verbunden. Jede Hypodermiszelle sendet einen Fortsatz nach der Grund- membran und verbindet sich mit dieser. Der Innenraum der Flügelfalte ist mit Blut gefüllt, welches Blut- körperchen von verschiedener Gestalt enthält. Bei jungen Puppen befinden sich in den rundlich gestalteten Leukocyten oft so zahlreiche Vakuolen, dass der Kern durch dieselben zur Seite gedrängt wird. Mayer hält diese Zellen für degenerierende Blutkörperchen und fand sie weder bei älteren Puppen noch bei Larven. Wahrscheinlich sind sie identisch mit dem „Fettkörper“ Semper’s, da ja nach Schäffer die Leukocyten der Lepidopteren morphologisch gleichbedeutend sind mit embryonalem M. v. Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u.Motten. 231 Fettgewebe, welches sich in der Nähe der Flügelanlagen schon in der Larve bildet. Drei Wochen vor dem Ausschlüpfen des Falters verändern sich bei überwinternden Schmetterlingen die Hypodermiszellen. Ein Teil derselben wird etwas größer, ragt weiter über die Flügeloberfläche empor als die andern und enthält in jeder Zelle eine Vakuole. Aus diesen so ver- änderten Zellen gehen die Schuppen hervor (Schuppenbildungszellen Semper’s). Die eigentümliche Beschaffenheit dieser Bildungszellen legt die Vermutung nahe, dass dieselben identisch sein könnten mit den oben beschriebenen vakuolenhaltigen Leukocyten. Dagegen ist jedoch einzu- wenden, dass die Bildungszellen die Aufgabe haben, später Cuticula abzu- scheiden, eine Funktion, die Mesenchymzellen gewöhnlich nicht eigen ist. Auch andere Gründe sprechen dafür, dass die Schuppenbildungszellen nicht dem Mesoderm, sondern dem Ektoderm entstammen!). Die Schuppenzellen entsenden je einen stumpfen Fortsatz nach außen, während die vorher mit der Grundmembran verschmolzenen Verlängerungen der Hypodermiszellen rückgebildet werden. Die Fortsätze, aus denen die Schuppen entstehen, werden immer größer. Die erwähnten, in den Zellen enthaltenen Vakuolen, scheinen bei Danars plexippus vollkommen zu schwinden und gleichzeitig legt sich die den Flügel bildende Hypodermis in regelmäßige, die Tracheen kreuzende Falten. Jede dieser Falten trägt eine Reihe von Schuppenzellen und ist in ihrer Lage offenbar durch die Anordnung und das Wachstum der letzteren bedingt. Merkwürdigerweise nimmt die Grundmembran des Flügels an dieser Faltung nicht teil, sie erscheint ungefähr acht Tage, ehe der Falter ausschlüpft, in paralleler Richtung zu den Falten gestreift. Die Schuppenzellen enthalten um diese Zeit einen großen sphärisch gestalteten Nukleus und einen stark lichtbrechenden Nukleolus, der von kleinen, gebogenen, aus Chromatin bestehenden Fadenstücken eingeschlossen wird. Die Schuppen selbst bestehen zuerst aus kleinen, flachen, mit Plasma gefüllten Chitinfortsätzen, die anfangs so durchsichtig wie Glas sind, später indessen, sobald das Protoplasma schrumpft und durch Luft ersetzt wird, rein weiß werden. Bei den nicht in Schuppen verwandelten Hypodermis- zellen beobachtete Mayer ein Schwinden der Zellwände und ein Ver- schmelzen des Zellplasmas bei aneinander grenzenden Zellen. Die Kerne dieser so veränderten Zellen sind flach und liegen am inneren Zellende. Jeder Nukleus enthält einen tiefgefärbten Nukleolus und eine Anzahl zer- streut liegender Chromatinfäden. Die von den Schuppenzellen allmählich abgesonderte Cuticula ist anfangs sehr dünn, wird aber um so dicker, je weiter sich der Flügel entwickelt. Ihr Plasma schrumpft mehr und mehr zusammen und lässt 1) Mayer schreibt sich das Verdienst zu, die ektodermale Natur der Schuppenbildungszellen als Erster wirklich erwiesen und deren Homologie mit den Arthropodenhaaren festgestellt zu haben. Dagegen muss indessen einge- wendet werden, dass schon Semper deren epidermalen Charakter erkannt hatte und besonders betont, dass auch die bei Lepidopteren vorkommenden Haare in gleicher Weise wie die Schuppen entstehen. Es bestand beiSemper nur ein Zweifel darüber, wie diese Veränderung in den Epithelzellen vor sich gehe, ob einzelne Epithelzellen sich ganz ablösen und in den Hohlraum der Flügelfalte eintreten, oder ob sie sich der Quere nach teilen, wobei dann der unterste abgeschnürte Teil zur Bildungszelle würde. Diese Frage allein hat durch die Untersuchungen Mayer’s ihre endgiltige Lösung gefunden. 939 M.v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenwechsel der Schmetterlinge u. Motten. als Verbindungsstücke der beiden Schuppenhäute kleine Chitinstäbchen (Chitinbrücken Spuler’s) zurück. An die Stelle des zurückweichenden Plasmas dringt jetzt Luft in die Schuppen ein und verleiht diesen bei auffallendem Licht ein weißes Aussehen, die Schuppe befindet sich im „weißen Stadium“. Diejenigen Schuppen, welche bei der Imago weiß erscheinen, sind nach Mayer jetzt fertig entwickelt und es würden danach in der ÖOntogenie die weißen Elemente der Flügelzeichnung zu den allerältesten zu rechnen sein. Die Skulptur der Schuppen besteht in dieser Periode aus einer Anzahl paralleler Längsstreifen, Rillen, welche sich meist nur auf der Oberseite der Schuppe befinden. Sehr bald nach dem die später bunt gefärbten Schuppen in das „weiße Stadium“ getreten sind, werden sie licht ockergelb, indem Blut in dieselben eindringt, das sich in eine ockerfarbige Flüssigkeit verwandelt. Alle Schuppen erleiden diese Veränderung, deren Ursache Mayer darin sucht, dass inner- halb der Schuppen eine Erneuerung des Blutes ausgeschlossen ist. Das Wesen dieser Veränderung scheint ihm mit dem Vorgang vergleichbar, der sich abspielt, wenn wir einen Tropfen Blut an der Luft trocknen lassen. Das COhromatin der Schuppenbildungszellen schrumpft zu einem festen dunkel gefärbten Knäuel zusammen und befindet sich im Zentrum der Kernvakuole. In vielen Zellen teilt sich der Kern amitotisch, sodass oft 2—5 sphärische Massen von Chromatin in den Bildungszellen liegen, eine Erscheinung, welche wohl die Degeneration der Schuppenzelle anzeigt. Bei Danais plexippus hat Mayer außerdem beobachtet, dass in eine jede der großen Schuppen, die über den Flügeladern oder am Außenrand des Flügels stehen, ein Leukocyt einzudringen pflegt, der sehr bald zer- fällt und darauf schließen lässt, dass das in den Schuppenzellen enthaltene Blut nicht mehr normal beschaffen ist. Für die Färbung der Schuppen ist dieser Vorgang bedeutungslos. Vierundzwanzig Stunden ungefähr be- halten die Schuppen ihre ockergelbe Färbung, dann erst treten die fertigen Farben auf, welche sich immer zuerst an denjenigen Schuppen erkennen lassen, welche zwischen den Adern gelegen sind. Die Intensität der Färbung nimmt ganz allmählich zu, eine schwarze Schuppe ist z. B. zuerst stets graubraun. Der schwarze Farbstoff ist nach Mayer ohne Zweifel ein Produkt des Blutes innerhalb der Schuppen. Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen Gerinnungsprozess, weil das Pigment die ganze Innenfläche der Schuppe überzieht. Diese Beobachtung widerspricht der Behauptung Spuler’s, der die dünne untere Schuppenmembran als stets von Pigment frei zu sein bezeichnet. Von großer Bedeutung für die Frage nach der chemischen Natur der Scehuppenpigmente ist die Beobachtung Landois’, dass das Blut der Lepi- dopteren sich beim Trocknen in der Farbe verändert und Krystalle aus- fällt, dass es ferner der Grundfarbe derjenigen Schuppen ähnlich ist, aus deren Umgebung es genommen wurde. Diese Verfärbung des Blutes an der Luft scheint aber nicht auf einem Oxydationsprozess allein zu beruhen, denn sie vollzieht sich, wenn auch langsamer in Wasserstoff, bleibt indessen sowohl in Kohlensäure als im luftleeren Raum aus. Von diesen Beobachtungen ausgehend, ver- tritt nun Mayer den Standpunkt, dass die Schuppenfarben durch ver- schiedene chemische Prozesse aus dem Blut der Puppen gebildet werden. Diese Annahme wird dadurch sehr wahrscheinlich, dass es Mayer M.v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenwechsel der Schmetterlinge u. Motten. 233 gelungen ist, aus dem Blute verschiedener Schmetterlinge die Schuppen- farben der Falter künstlich darzustellen. Wurde z. B. das Blut von S. cecropia mit konzentrierter Salpetersäure erwärmt, so entstand ein chromgelbes Koagulat, das bei Zusatz eines Ueberschusses von Ammoniak orangerot wurde und dem orangeroten Band, welches bei den Schmetter- lingen der genannten Art auf der Oberfläche des Hinterflügels verläuft, sehr ähnlich war. Die Schuppen dieses Bandes werden beim Zusatz von Salz- oder Salpetersäure chromgelb, eine Veränderung, welche sich eben- falls bei dem aus dem Blut gewonnenen roten Pigment vollzieht. Auf Grund weiterer Versuche ähnlicher Art kommt Mayer zu dem Schlusse, dass das glänzende Gelb und Rot das Ergebnis mehr oder weniger komplizierter chemischer Prozesse sei, während die gelben und braunen Töne, welche hauptsächlich bei den Heteroceren vorkommen, ein ein- facheres Produkt darstellen, in welcher das Blut schon beim Trocknen an der Luft verwandelt wird. Die Mayer’schen Experimente machen, wie schon erwähnt, diese Annahme sehr wahrscheinlich, ich möchte in- dessen bezweifeln, dass diese komplizierteren Vorgänge bei der Umwand- lung des Blutes in Farbstoffe, wie Mayer annimmt, allmählich durch natürliche Auslese gezüchtet worden seien, Auch über die Art und Weise der Schuppenbefestigung ist Mayer zu Anschauungen gelangt, welche von den meisten bisher aufgestellten abweichen. Er fand, dass die Schuppen durch einen zylindrischen Fort- satz, der in eine enge Tasche eingesenkt ist und, wie Semper beschreibt, die Flügelmembran durchbricht, in dieser fixiert sind. Er konnte weder die von Landois gesehene „Tube“ noch aber den „Schuppenbalg“ Spuler’s!) beobachten. Interessant sind ferner Angaben, welche Mayer über die Ausdehnung der Flügel vor und nach dem Ausschlüpfen des Schmetterlings aus der Puppe macht. Am Schluss des Puppenstadiums » waren die Membranen der Flügel stets noch regelmäßig und scharf ge- faltet. Auf jeder dieser Falten stand eine Schuppe und die Ausdehnung derselben bedingt jeweils die Vergrößerung der Flügeloberfläche beim aus- schlüpfenden Insekt. Die Flügelfläche der Imago von Danais plexippus waren z. B. 48mal größer als die der Puppe. Der zweite Teil der Mayer ’schen Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit den Ursachen der Schmetterlingsfarben. Nach dem Vorgang von Poulton teilt Mayer die Farben ein in solche, die durch Pigmente und solche, die durch Struktureigentümlichkeiten der Scehuppen hervorgerufen werden. Er kommt, wie vor ihm Coste und Urech zu dem Ergebnis, dass Schwarz, Braun, Rot, Orange und Gelb Pigmentfarben; Grün, Violett und Blau in den meisten Fällen Struk- turfarben darstellen. Als Ursache der Strukturfarben betrachtet Mayer die Rillensysteme, welche sich auf der Oberfläche der Schuppen vorfinden. Er fand z. B., dass die Rillen auf den Schuppen von Danais plexippus 2 u, auf den durchsichtigen Schuppen von Morpho 1,5 u, auf den pig- menthaltigen Schuppen desselben Falters 0,75 u, auf den Schuppen von Callidryas eubula 0,9 u von einander entfernt waren und schließt daraus, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die glänzenden Farben dieser Schuppen von dieser feinen Streifung herrühren, da die Liniensysteme auf den 1} Vergl. die Erwiderung Spuler’s. Biol. Centralblatt, Bd. 16, S. 678. 934 M.v. Linden, Schuppen, Farben, Farbenwechsel der Schmetterlinge u.Motten. feinsten Rowland’schen oder Rutherfurt’schen Gittern auch annähernd 1,5 u von einander abstehen. Es scheint Mayer entgangen zu sein, dass sich Walter (Oberflächen- und Schillerfarben, Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1895) entschieden gegen die Auffassung ausspricht, dass die glänzenden Farbeneffekte auf den Insekten- flügeln in derselben Weise wie Gitterfarben zustande kämen. Nach Walter’s Ansicht kann es sich in den angeführten Fällen deshalb nicht um Gitterfarben handlen, weil diese voraussetzen 1. dass das Licht aus einer in ziemlichen Abstand davon befindlichen punkt- oder spaltförmigen Lichtquelle, die mit der Gitteröffnung zusammen ein bestimmt abgegrenztes Strahlenbündel schafft, ein- falle; 2. dass die Striche desselben senkrecht zur Einfallsebene des Lichtes stehen, während doch die schillernden Organe ihre Farbe nach allen Richtungen zeigen. Nach Walter’s Ansicht handelt es sich in allen diesen Fällen um OÖberflächenfarben. Die von der Struktur der Schuppen abhängigen Farben kommen indessen, wie Mayer weiter ausführt, nicht nur durch Brechung der Licht- strahlen zustande. Die weiße Farbe wird z.B. meistens durch Reflexion des auf die lufthaltigen Schuppen auffallenden Lichtes bedingt, wie Leydig zuerst an den silberweißen Schuppen einiger Spinner nachgewiesen hat. Bei den Schuppen von Argynnis setzt Mayer die Anwesenheit einer dem Beobachter zugekehrten polierten Oberfläche voraus. Die schönsten Farbeneffekte entstehen durch Kombination von Pigment- und Strukturfarben. So beruhen nach Mayer die geraniumroten Flecke auf den Hinterflügeln des mexikanischen Schmetter- lings P. zeunis Lucas auf rotem Farbstoff und einem unter gewisser Beleuchtung auftretenden wunderschönen Perlmutterglanz. Sollte es sich hier nicht im Sinne Walter’s um Oberflächenfarben handeln ? Mittels des Spektroskops und des Maxwell’schen Farbenkreisels gelang es Mayer nachzuweisen, dass die meisten Schmetterlingsfarben Mischfarben sind. So besteht z. B. das Weiß der Flügeloberfläche von Pieris rapae aus 17proz. Schwarz, 13proz. Smaragdgrün, 10 proz, Lehmgelb und 60proz. Weiß. Die sogenannten „schwarzen“ Flügel- stellen ergaben sich als dunkle Schattierungen von einem Braun, das seinerseits wieder aus 93proz. Schwarz, 3proz. Lehmgelb, 35 proz. Zinnober und aus 0,5proz. Bezold’s blauvioletter Grundfarbe bestand. Die reinste Farbe fand sich in den Schuppen der kanariengelben Flügelstellen des Papilio Turnus, die nur aus weißem Licht mit einer geringen Beimischung von Gelb zusammengesetzt war. Andere Farben enthalten viel Schwarz, wie das Grau der ÜColoenis dido und die sepiabraune Grundfarbe von Cercyonis alope. Auch die Spektralanalyse des van den Schuppen reflek- tierten Lichtes ergab, dass die Schuppenfarben gemischt und nicht rein sind. Zum Zweck dieser Untersuchungen wurde ein Apparat verwendet, in dem das Licht mehrere Male von Flügelstückchen einer bestimmten Farbe reflektiert werden konnte. Das Sonnenlicht fiel durch einen schmalen Spalt in das Innere des Kastens ein und trat, nachdem es wiederholt von den gewählten Flügelteilen reflektiert worden war, durch einen zweiten auf der gleichen Seite wie der erste angebrachten Spalt wieder aus, um durch ein vor dem Spalt aufgestelltes Spektroskop analysiert zu werden. Ueber die Entstehung der Flügelzeichnung hat Mayer an Flügeln von Callosamia promethea L. und Danais plexippus Fab. Untersuchungen angestellt. Bei Callosamia promethea waren die Flügel den ganzen Winter über bis eirca 10 Tage vor dem Ausschlüpfen des Falters durchsichtig. Von diesem Zeitpunkt an erschienen dieselben M.v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u.Motten. 235 weiß, nach weiteren vier Tagen gleichmäßig schmutziggelb oder hell- braun und bald darauf wurden die Imaginalfarben sichtbar und zwar zuerst an der Flügelunterseite in Gestalt von wenigen dunkelroten Streifen zwischen den in der Diskoidalzelle verlaufenden Adern. Der Augfleck an der Flügelspitze war durch schwache Umrisse angedeutet. Auch auf den Hinterflügeln traten die Farben zuerst an der Unterseite zwischen den Adern auf. Nach fünf Stunden zeigten sich auf der Oberseite der Flügel zwei graue Streifen nahe der Flügelwurzel und eine pigmentbraune Zone, welche sich von dem hinteren Flügelrand gegen die Flügelmitte hin erstreckte. Der Augfleck war jetzt vollkommen sichtbar, aber noch hell gefärbt. Auf der Unterseite der Flügel hatte sich die rote Beschuppung weit ausgebreitet, und umschloss zwei helle Flecke, von denen der eine den weißen Mittelfleck darstellt, der andere von roten Schuppen überdeckt wurde. Es ist bemerkenswert, dass zu dieser Zeit — etwa 12 Stunden, nachdem die ersten Farben sichtbar wurden — die Flügel des Männchens und Weibchens einander vollkommen ähnlich waren, nur die Grundfarbe des männlichen Flügels erschien grau, die des weiblichen mehr zimmtbraun. Im ausgewachsenen Zustand hat das Männchen tiefschwarze, das Weibchen zimmtbraune Flügel. Die Färbung der männ- lichen Imago von Callosamia promethea bildet somit den Ausgangspunkt für die typische Farbe der meisten Saturniden, während das Weibchen sich in seiner Färbung den Vertretern der eigenen Familie anschließt und indem es phylogenetisch eine niedere Entwicklungsstufe darstellt, das Eimer’sche Gesetz der männlichen Präponderanz zum Ausdruck bringt. Bei Danars plexippus, deren Puppenstadium von kurzer Dauer ist, sind die Flügel fünf Tage, ehe der Schmetterling ausfliegt, noch weiß, nach weiteren 48 Stunden werden dieselben schmutziggelb; nur die Stellen, welche auch bei der Imago weiß sind, verfärben sich nicht in der be- sagten Weise. Im nächstfolgenden Stadium zeigen sich schwarze Schuppen jenseits der Diskoidalzelle, die Adern selbst bleiben indessen weiß. Die Grundfarbe der Flügel verwandelt sich nun in Rotbraun, während die schwarze Beschuppung an Ausdehnung gewinnt und auch die Begrenzungen der Adern bildet, die schließlich selbst ebenfalls von ihr iberdeekt werden. Flügelbasis und Submediana sind zuletzt noch die einzigen Flügelteile, welche gelblich erscheinen. Wenn wir hiernach die verschiedenen Ent- wicklungsstufen der Zeichnung bei diesen Schmetterlingen überblicken, so kommen wir zu dem Schlusse, dass die Farben zuerst auf den mittleren Teilen der Flügel auftreten, sich später erst auf den Vorder- und Seiten- rand ausdehnen, der sich ebenso wie die Adern zu allerletzt ausfärbt. Außerdem stellt Mayer auf Grund seiner Studien folgende für die Onto- genie der Zeichnung bei Schmetterlingen giltige Regeln zusammen: Sämt- liche Flecke, welche auf den Flügeln erscheinen, haben die Neigung bilateral-symmetrisch zu sein, sowohl in Form als in Farbe. Die Symmetrieaxe wird jeweils durch eine Linie gebildet, welche durch die Mitte der Flügelzelle verläuft, in welcher der Fleck sich befindet und parallel ist zu den Adern des Flügels. Die Flecke treten selten einzeln, sondern meistens in Reihen auf und stehen in Bezug auf die Zelle, in der sie sich befinden, an homologen Stellen. Häufig ent- stehen farbige Binden dadurch, dass benachbarte Punkte zusammen- fließen und umgekehrt können sich Binden in Fleckenreihen auflösen. Die Reduktion der Binden auf den Flügeln beginnt meistens nur an einem Ende, 936 M.v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u. Motten. seltener an beiden gleichzeitig. Häufig lösen sich die Binden in Punkt- reihen auf, deren Elemente kleiner werden und schließlich verschwinden. Nur äußerst selten tritt eine Reduktion der Binden von deren Mitte aus ein (z. B. Melinaea parallelis). Auch die mittleren Teile einer Fleckenreihe bleiben für gewöhnlich länger bestehen als die äußeren und folgen darin dem Bateson’schen Gesetz, welches aussagt, dass die Endpunkte einer Reihe veränderlicher seien als die mittleren Teile der- selben. Die Lage der Flecken am Flügelrand ist bestimmt durch die Falten des Flügels, eine Regel die von Scudder und Bateson auch für die Augenflecke aufgestellt worden ist. Bei Satyriden und Mor- phiden liegt der Mittelfleck der Augen stets auf deu Flügelfalten, welche die Seitenwandzellen halbieren. Bei einigen Morphiden und Satyriden erscheinen in einer Zelle des Hinterflügels zwei Falten und auch zwei Augflecke. Ist in einer doppelt gefalteten Flügelzelle nur ein Augfleck vorhanden, so liegt er stets auf der ersten Falte. Diese von Mayer abgeleiteten Zeichnungsgesetze werden durch zahlreiche Figuren veranschaulicht und der Verfasser nimmt es als wahrscheinlich an, dass ihnen bestimmte physiologische Ursachen zu Grunde liegen. Bis hierher beschäftigt sich die Mayer’sche Arbeit hauptsächlich nur mit 'Thatsachen, mit den Ergebnissen seiner eigenen Untersuchungen und den Studien anderer, die vor ihm den Fragen nach dem Wesen und der Ursache von Schmetterlingsfarben und Zeichnung nähergetreten waren. In den folgenden Ausführungen, welche die Fragen nach den letzten Ursachen der Schuppenbildung und der Variation in der Färbung der Schmetterlinge behandeln, betritt der Verfasser den Boden der Spekulation und während er noch vorher auf physiologische Prozesse als maßgebendes Moment bei der Anlage verschiedener Zeichnungselemente hinweist, glaubt er jetzt in der natürlichen Zuchtwahl eine Erklärung für die schwierigsten Probleme zu finden. Schon bei Erörterung der Frage, welches die Ursachen gewesen sein mögen, die zur Entwicklung von Schuppen auf den Flügeln der Lepi- dopteren geführt haben, lernen wir Mayer als überzeugten Vertreter der Darwin’schen Theorie kennen. Da die Schuppen dem Insekt keineswegs beim Fliegen dienlich sein können, da sie aber auch keine Bedeutung als Stütze oder Befestigung der Flügelmembran besitzen, so schließt Mayer, dass die Schuppen rein als Farbenträger zu betrachten seien und unter dem Einfluss der natür- lichen Zuchtwahl entstehen mussten. Es ist danach nicht zu verwundern, wenn auch die Entstehung der Zeichnungsformen besonders bei den Heli- coniern — nach dem Vorgang von Bates — auf dasselbe Prinzip, auf Mimiery, zurückgeführt wird. Mayer beruft sich auf die Beobach- tungen Bates und auf deren hypothetische Erklärung durch Fritz Müller. Bates fand, dass manche Vertreter der Familie der Heliconier einen starken und unangenehmen Geruch besitzen und dass diese sowohl von größeren Faltern (Papilioniden) als auch von verwandten Arten in Flügelform und Zeichnung nachgeahmt werden. Wenn nun die Nach- ahmung der Heliconier durch Papilioniden damit erklärt werden mag, dass die ungeschützten Falter durch Nachahmen der geschützten sich selbst ebenfalls dem Auge der Feinde entziehen können, so ist es nicht so leicht, einen Grund dafür zu finden, warum auch schon vorher ge- schützte Arten unter den Heliconiern eine derartige Verkleidung nötig M.v. Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u. Motten. 237 habeu sollten. Fritz Müller vertrat nun die Ansicht, dass diese zweite Art von Mimiery in folgender Weise ebenfalls durch natürliche Auslese zu erklären sei: Er ging von der Annahme aus, dass möglicherweise junge Vögel einen nicht genügend ausgebildeten Instinkt besitzen, um entscheiden zu können, welche Nahrung für sie die passende sei und dass sie diese Unterscheidungsgabe erst im Laufe der Zeit ausbilden müssen. Gesetzt den Fall, die jungen Vögel einer Gegend zerstörten 1200 Indi- viduen einer geschützten Art, ehe sie wissen, was ihnen frommt und was nicht und es befänden sich nun in dieser Gegend 2000 Individuen einer Art A und 10000 einer Art D, so müsste eine jede dieser Arten 1200 Indi- viduen verlieren. Wenn sich dagegen die beiden Arten so ähnlich sehen, dass keine Unterschiede zu bemerken sind, so wird sich der Verlust auf beide im Verhältnis ihrer Individuenzahl verteilen. A wird 200, B 1000 verlieren, A wird also 1000 Individuen = 50°), B 200 — 2°/, der ganzen Individuenzahl retten. Da aber die relative Zahl der Individuen 1:5 beträgt, so ist der Nutzen, der ihnen daraus erwächst — 25:1. Von Blackiston und Alexander wurde dieses Müller’sche Gesetz mathematisch begründet, es fehlen nur leider, wie Mayer selbst hervor- hebt, die Experimente, welche beweisen, dass die jungen Vögel überhaupt in der geschilderten Weise verfahren. Was nun endlich die bei den Heliconiern vorkommenden Zeich- nungsformen betrifft, so fand Mayer, dass sich dieselben auf zwei nah- verwandte Typen, den der Melinaea und der /thomia zurückführen lassen, Die Flügel der Vertreter des Melinaea-Typus sind rotbraun, schwarz und gelb gefärbt, die der Ithomia-Gruppe rotbraun mit gelb; der Flügel ist bei den letzteren durchsichtig geworden. Die meisten Angehörigen der Gruppe Dircennas bilden Uebergänge zwischen beiden Grundformen. Von 400 Arten der Danaid-Heliconiern gehören etwa 125 zum Melianaea- Typus, 160 zu Ithomia, 100 Arten bilden Uebergänge zwischen beiden Grundformen. Die noch übrigen 15 Arten bilden eine besondere Gruppe, mit gelblichen durchsichtigen Flügeln, die am Außenrand grauschwarz umrändert sind. Die hier vorkommenden Farbenvarietäten sind von Mayer übersichtlich in Tabellenform angeordnet worden, es würde indessen zu weit führen, wenn ich auf diese Einzelheiten in der Zeichnung näher eingehen wollte. Den Tabellen sind Farbentafeln beigefügt, welche die Flügelmusterung nach der Keeler’schen Projektionsmethode darstellen. Im Gegensatz zu den Danaid-Heliconiern sind die Hehconius- und Zueides-Arten sehr variabel in der Flügelmusterung, weniger in Bezug auf das Geäder. Schatz und Röber teilen die zu dem Genus Hel- conius gehörigen Schmetterlinge in vier Gruppen: Antiochus, Erato, Melpomene und Sylvanus. Die drei ersten sind durch ihre Zeichnung nah verwandt, während die letzte Gruppe dem Typus von Melinaea sehr ähnlich ist. Die zur Antiochus-Gruppe gehörigen Arten zeichnen sich durch blaue Schillerfarben aus und durch schmale weiße bezw. gelbe Streifen auf den Vorderflügeln, Das Genus Eneides zerfällt auf Grund seiner Färbungscharaktere in drei Gruppen, welche durch die Arten: E. Thales, E. cleobaea, E. aliphaera dargestellt werden. Tales hat noch am meisten Aehnlichkeit mit Heliconius, E. aliphaera ist am höchsten entwickelt, E. cleobaea steht der Sylvanus-Gruppe von Heliconius, oder verschiedenen Melinaea- oder Mechanitis-Arten sehr nahe. 238 M.v.Linden, Schuppen, Farben, Farbenmuster der Schmetterlinge u. Motten. Wie aus den Tafeln (5—8) ersichtlich ist, welche die Flügeldiagramme der Antiochus- und Erato-Arten darstellen, verwandelt sich das Gelb der Zeichnung sehr häufig in Weiß ( Melianea parallelis und Ceratinia leucania). Ebenso beobachtet man, dass gelbe Flügelstellen rotbraun oder rot werden. Mayer schließt daraus, dass diese drei Farben nahe mit einander verwandt sind. In beiden Gruppen, bei den Danaid- sowohl als bei Acracoid-Heliconiern erstrecken sich die Farbenvariationen auf den Teil der Flügel, welcher dem Körper zunächst liegt und fast immer voll- ziehen sich in den homologen Zellen des Hinterflügels dieselben Ver- änderungen wie vorne. Die kleineren gelben Flecke des Heliconierflügels sind mehr zur Bildung von Varietäten geneigt als die größeren, eine Er- scheinung die den Forderungen der Zuchtwahl vollkommen entspricht, da größere Flecke mehr sichtbar und deshalb wichtiger sind als die kleineren. Für die dunkeln Flecken des Flügels trifft diese Regel indessen nicht zu, Die Marginalflecke auf den Vorderflügeln der Danaid-Heliconier zeigen eine ausgesprochene Neigung entweder in der Zahl von 2, 3 oder 6, 7 aufzutreten. Auf den Hinterflügeln erscheinen sie in 4 oder 5 Zahl. Das eingehende Studium der zu den Danaid-Heliconiern gehörenden Gattungen führt Mayer zu Anschauungen über den Ursprung der Melinaea- und I/thomia-Zeichnung, welche im Folgenden noch kurz erwähnt sein sollen. Die Danaid-Heliconier bilden eine der großen Familie der Danaiden nahe stehende Gruppe, und zwar vermitteln den Uebergang - besonders ZLycorea und Itwma. Diese letzteren sind aber sehr wahr- scheinlich Ueberreste der Ahnenform, welche sich vor langer Zeit von den Danaiden getrennt hat, um die Gruppe der Danaid-Heliconier zu bilden und es ist daher von großer Bedeutung, dass diese beiden Formen die Zeichnungstypen darstellen, welche sich bei den Danaid -Heliconiern wiederfinden. Die Lycorea-Arten stellen den Melinaea-Typus, die Itwma- Arten den /thoma-Typus dar. Da aber die Lycorea-Arten ihrer Zeich- nung nach den Danaiden immer noch sehr nahe stehen, so ist anzunehmen, dass der Melinaea-Typus der ursprünglichere, der /thomia-Typus der weiter fortgeschrittenere ist. Das Auftreten des /thomia-Typus erklärt Mayer durch die Annahme, dass am Anfang, als sich die an Individuen- zahl kleine Gruppe von den Danaiden abgetrennt hatte, es nicht von wesentlichem Nutzen für sie war ihren Zeichnungstypus beizubehalten. Es stand ihrer Variationsfähigkeit nichts im Wege und es bildeten sich der Ithomia- und der Melinaea-Typus aus. Erst als sich die Gruppe numerisch ausgedehnt hatte, wurde Mimiery ein wesentlicher Faktor für die Entstehung der Arten, Bei den Heliconiern ist auch heute noch die Varietätenzahl eine relativ geringe, es kommen auf 450 Arten nur 15 Varietäten, während z. B. bei den Südamerikanischen Papilio- niden auf 200 Arten 36 Varietäten fallen. Diese überraschenden Unter- schiede in der Bildung von Abarten finden nach Mayer ihre Erklärung darin, dass sich die Heliconier gegenseitig nachahmen, was bei den Papilioniden nicht der Fall ist und auch hierfür scheint ihm die Fritz Müller’sche Mimierytheorie allein den gewünschten Aufschluss zu geben. Ich selbst kann mich dieser Ansicht nicht anschließen, da der Fritz Müller’schen Mimicerytheorie, wie wir gesehen haben, die feste Basis des Experimentes, der genauen Beobachtung fehlt. Seine Schlussfolgerungen gründen sich, wie Mayer selbst zugiebt, auf eine Möglichkeit, die durch keinen Beweis zur Thatsache erhoben ist. Aber wenn selbst die Voraus- Baur, Chemische Theorie der lebendigen Substanz. 239 setzungen der Fritz Müller’schen Theorien richtig wären, so hätten wir wohl eine Erklärung dafür, dass gewisse Formen unter den Heli- coniern im Kampf ums Dasein bevorzugt sind und erhalten werden, die weit wichtigere Frage blieb indessen nach wie vor ungelöst, die Frage nach den Ursachen, die das Variieren nach einer bestimmten Richtung in seinen Anfängen bedingen. 32] Tübingen, Dezember 1897. Dr. Gräfin M. v. Linden. Ueber die chemische Theorie der lebendigen Substanz. Von Dr. E. Baur in München. Es ist von Autoritäten, wie du Bois-Reymond, Haeckel u. a. die Ansicht vertreten worden, die Vorgänge in der organischen Substanz könnten prinzipiell als chemische verstanden werden. — Wenn ich es versuche, mit den nachfolgenden Bemerkungen dem entgegenzutreten, so wird dadurch freilich keine neue Einsicht geschaffen, sondern nur eine Illusion zerstört. Zwar könnten sich — wie mir Herr Prof. Mach be- merkte — unsere chemischen Einsichten mit der Zeit dahin vertiefen und erweitern, dass sie fähig würden, auch die organischen Bildungsvorgänge zu erklären. Immerhin wird es vielleicht nicht ganz unstatthaft sein, sich die Schwierigkeit zum Bewusstsein zu bringen, welche bei dem heutigen Stande unseres Wissens einer solchen Theorie im Wege stehen. Was den Stoffwechsel betrifft, so mag dieser immerhin nach Art jener abwechselnden progressiven und regressiven Metamorphosen gedacht werden, wie sie z. B. die Salpetersäure bei der Schwefelsäurebereitung durchmacht. Und wenn bei dergleichen periodischen Prozessen ein Stoff seine Menge vermehrt, so kann auch dies noch als ein bestimmter Effekt der chemischen Verwandtschaften, wie wir sie heute definieren, aufgefasst werden. Doch lassen uns alle chemischen Erfahrungen im Stich, wenn wir mit ihrer Hilfe das eigentümliche Streben der belebten Materie nach einem Maximum von Stabilität erklären wollen. Man nennt dies Streben An- passung. Ohne sie gäbe es keine Entwicklung und Vervollkommnung. — Betrachten wir nun den Vorgang einer Anpassung. Das Neugeborene z. B. macht anfänglich die verschiedensten Be- wegungen, bis es die Mutterbrust findet. Meynert hob mit Recht hervor, dass man darin keinen bestimmten, bewussten Willen sehen dürfe. Man bemerkt aber bei der periodischen Wiederkehr des Reizes, dass der be- ginnende Säugling immer unmittelbarer zu den Erfolgsbewegungen über- gehen lernt. Es müssen sich also inzwischen gewisse organische Bildungen in.den Nerven geformt haben, welche eine kurze Brücke zwischen den Magennerven und den zweckentsprechenden Innervationen herstellen. Unser Neugeborenes hat etwas gelernt; es hat sich ein Organ geschaffen. Sollte aber nicht ein lebendes Wesen, insofern es Werkzeuge schafft, den Begriff eines chemischen Aggregates übersteigen ? Wie sollen wir es verstehen, dass eine sich eben ansetzende Horn- haut auf der Sohle eines beginnenden Huftieres immer dicker wird, je mehr sie sich an Sand- und Steinboden abscheuert? Lehrt uns ein Muskel, der, zu öfterem Gebrauch gezwungen, leistungsfähiger wird denn zuvor, nicht, dass der Organismus der Umgebung um so heftiger entgegeu- arbeitet, als diese zerstörend auf ihn einwirkt? Dann aber muss das Leben etwas mehr sein, als ein Chemismus,. 240 Baur, Chemische Theorie der lebendigen Substanz. Man weiß, dass es Anstrengung kostet, etwas zu erlernen, dass diese Anstrengung um so geringer wird, je weiter die Uebung fortschreitet, und dass sie den geringsten Wert erreicht, wenn die fragliche Leistung ab- solute Sicherheit des Erfolges erlangt hat. Es ist dann ein Reflexbogen hergestellt, dessen Funktion keine Aufmerksamkeit mehr erfordert. Was ist nun das für eine Kraft, die zur Herstellung des automatischen Reflex- bogens verwendet wurde? — Vielleicht eine chemische? Die Sache ist eben die, dass wir zwischen Physiologie und Biologie unterscheiden müssen. Die Physiologie stellt die Leistungen der Organe fest. Dabei bleibt sie vor der Erforschung des Lebens stehen. Denn dies letztere, das Leben, zeigt sich in der Organbildung. Es besteht nicht in Mechanismen, aber es bringt sie hervor. Bei der Untersuchung der Wirkungsweise einer fertigen Bildung stößt der Physiolog freilich nur auf chemische und physikalische Kräfte. Das ist eine Erfahrung. Die frühere Vermutung, es bedürfe besonderer „vitaler Affinitäten“, wenn die Pflanzen z. B. Kohlensäure zerlegen, ist hinfällig geworden. Ein Chlorophylikorn, das mit unabänderlicher Regelmäßigkeit aus Kohlensäure und Wasser Stärke erzeugt, vollzieht daher keinen Lebens- prozess, sondern einen chemischen. Ebenso ist es mit allen fertigen Funktionen. „Weder das Blut noch die Nerven sind eigentümlich belebt“, sagt H. Tote. Belebt ist nur das Protoplasma, bevor es sich zu histo- len Gebilden „versteinerte“ (ein Wort W. Wundt’s). Belebt sind die „Energiden“, nicht die „paraplastischen Bildungen* (vergl. Kuppfer, Rektoratsrede, München 1896). Man darf sich hier nicht täuschen lassen, wenn die Physiologie z.B. erklärt, dass die Stoffe der Pseudopodien, nachdem sie bei deren Streckung Oxydation erlitten, „chemotropisch nach Kernstoffen“ werden (Verworn). Denn unsere Frage ist gerade: Woher kommt dieser Mechanismns ? Betrachten wir noch das bekannte Gleichnis du Bois-Reymond'’s. Dieser Forscher sah im Organismus eine Art automatische Fabrik, in die Heizmaterial, Rohstoffe u. s. w. eingehen, während sie Kunstprodukte, Abfälle u. s. w. abgibt. Ich setze nun den Fall, es gelange einmal eine Bestellung an die Fabrik, welche mit der vorhandenen Maschinerie nicht auszuführen ist, ohne dassı man irgendwo einen kleinen Maschinenteil hinzukonstruiert. Was wird nun unser Automat beginnen? Entwicklung ist bei ihm ja wohl ausgeschlossen. — Es ist noch zu bemerken, dass ein Organismus, indem er sich nach seinem „vitalen Erhaltungsmaximum“ (Avenarius) hinbewegt, seine po- tentielle Energie en und dass ihm nicht nur die Fähigkeit, sondern die Nötigung zukommt, seine „Vitaldifferenzen“ (Avenarius) durch Gegen- wirkungen aufzuheben, die zum Uebergarg zur erhaltungsmäßigsten Ab- änderung führen. Würde eine Reaktion eine bestimmte Vitaldifferenz nicht aufheben, so wäre damit eine neue gesetzt; so dass der Organismus so lange von einer Reaktion zur andern übergehen muss, bis er auf den Weg zum Ausgleich des ursprünglichen Reizes gekommen ist. Vielleicht ist es künftigen Forschungen vorbehalten, diese Gesetze unter irgendwie erweiterte ak: zu subsumieren; aber unmöglich unter in eitilbekäinan) [37] Verlag'v von Arthur Georgi in Leipeig — Dre der k. hayen Hof- und Univ, - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch .alle Buchhandlungen und Postanstalten. xVvIl. Band. 1. April 1898. Nr J 7 bei einem Hai und eine mutmaßliche Homologie der Haare und Zähne, — Zykoff, Ueber die Bewegung der Hydra fusca L. Biologische Studien!). Von Dr. Robert Keller in Winterthur. I. Ueber dieAnpassungsfähigkeitphanerogamischer Land- pflanzen an das Leben im Wasser. 4. Myosotis palustris With. Blätter und Stengel der Individuen, die nicht als submerse Wasser- pflanzen leben, sind ziemlich dieht borstig behaart. An unseren snb- mersen Formen, die wir in der Eulach bei Oberwinterthur sammelten, fehlt diese Bekleidung vollständig. Die unteren Stengel- Fig. 17. | Fig. 17. Myosotis palustris (submers). Teil eines Querschnittes durch die Wurzel. 1 = Üentralbündel mit den Leitungselementen. &) 2 — Schutzscheide. LO 3 = Rinde. B, tie 4 — Rindenlücken. SET Verer. 35. 3 sondern mehr oder weniger reichlich verzweigt. Wurzelhaare fehlen 4) Vergl. Biolog. Centralblatt, Bd. XVII, Nr. 3. XVII. 16 242 Keller, Biologische Studien. jedoch. Der Stengel ist ziemlich genau stielrund, an der typischen Form undeutlich kantig. Die Blätter sind im allgemeinen etwas schmäler und namentlich dünner, als an der Landform. In den anatomischen Verhältnissen kommt in weitgehenstem Maße die Abänderung zum Ausdruck, die wir als Anpassung an das Wasser- leben auffassen. 1. Wurzel (Fig. 17). Die Gewebe der Wurzel bestehen aus einem Centralbündel, das die Festigungs- und Leitungselemente enthält und aus den Rindengewebe. Zwischen beiden liegt die das zentrale Bündel umschließende Schutzscheide. Auf dem Querdurchmesser kommen 4 Teile auf die Rinde, 1 Teil auf das Centralbündel. Um dieses sind die Rindenzellen in 2—3 Reihen angeordnet. Das subepidermale Gewebe besteht ebenfalls aus 2—3 Zellreihen. Beide verbinden radiär verlaufende Zellenreihen, zwischen denen die großen Rindenlücken liegen. Ihr größerer Durchmesser kommt dem Durch- messer. des Centralbündels gleich oder übertrifft ihn selbst. Diese anatomischen Verhältnisse wiederholen das Bild eines Wurzel- querschnittes eines echten Hydrophyten. Die Cuticula der Epidermis ist sehr schwach. Fig. 18. Fig. 18. Mwyosotis palustris (submers). Querschnitt durch das Centralbündel der Wurzel. — Schutzscheide. =ıBast! — (Gefäße. Vergr. 350. wo I Sehen wir uns bei stärkerer Vergrößerung ‚das Centralbündel an (Fig. 18), dann sehen wir die Gefäße in undeutlich radiärer Anordnung über die Fläche verteilt. Neben 4—5 größeren Gefäßen, deren Durch- messer zwischen 0,01—0,015 mm beträgt, finden wir 6—7 kleinere Gefäße, die im Querschnitt nnr ca. 0,005 mm messen. Eine sehr weit- gehende Reduktion des Systems der Leitungselemente charakterisiert also das Leitbündel. 2. Stengel. Costantin erwähnt in der zitierten Abhand- lung (4) von unserer Pflanze einfach, dass im Boden eine Verminde- rung der Rindenlücken zu beobachten sei gegenüber den Stengeln, die im Wasser wachsen. Keller, Biologische Studien. 245 Die Größenverhältnisse der den Stengel zusammensetzenden Gewebe werden durch das Wasserleben in hohem Maße beeinflusst. Wir wählen zur Erläuterung der bezüglichen Verhältnisse den Querschnitt einer Landform, dessen größter Durchmesser 2,44 mm beträgt und jenen einer submersen Form mit dem Durchmesser 2,5 mm. Landform Submerse Form Diners? Kinkımm 1,6 mm Gefäßbündel . 0,46 „ 024, Marken. 0,97 „ 0,177 Das Rindengewebe ist also an der Landform viel weniger ent- wickelt als an der submersen; das Gefäßbündelsystem ist wegen der geringeren Entwicklung der leitenden Elemente an der Wasserform auf die Hälfte reduziert. Das Mark ist von geringerem Umfang ge- worden, d. h. das Gefäßbündelsystem ist zentral verschoben. Nicht uninteressant ist es, den unteren und oberen Teil des Stengels ein und derselben submersen Form bezüglich der Verhältnisse der Ge- webe mit einander zu vergleichen. Unterer Stengelteil Oberer Stengelteil kunde. „=: .. 1,’ mm 1,7 mm Gefäßbündelring 0,28 „ 0,23 57 N 2 EN ET re Die zentrale Verschiebung des Gefäßbündelsystems ist also im unteren Teile des Stengels in außerordentlich weitgehender Weise zu beobachten, so dass das typische Verhalten echter Wasserpflanzen nahezu erreicht ist. Die Epidermis wird bei der Land- und Wasserform durch eine Zellreihe gebildet. Während hier die Außenwände der Epidermis- zellen eine Dicke von 0,0036 mm haben, beobachten wir an den Epidermiszellen der Landform eine solche von 0,0058 mm. Diese sind zudem nur !/;—'!/,mal so groß, wie die der Wasserform. Auch die subepidermale Zellreihe besteht bei dieser aus nahezu doppelt so sroßen Zellen, während die übrigen Rindenzellen ungefähr gleich groß sind, d. h. aus Zellen bestehen, deren Durchmesser 0,04—0,07 mm be- trägt. An der Land- und Wasserform sind Rindenlücken zu beobachten, hier aber in ungleich größerer Zahl als dort. Während die größten Rindenlücken der Landform einen Längsdurchmesser von 0,1 mm be- sitzen und einen Querdurchmesser von 0,034 mm, beträgt er an den srößeren Rindenlücken der Wasserform im Mittel 0,16 mm und 0,093 nım, so dass also selbst bei gleicher Zahl der Lücken diese an der sub- mersen Form einen ca. 5mal größeren Raum einnehmen würden, als bei der Landform. Die genaueren anatomischen Verhältnisse des Gefäßbündelsystems bringen unsere beiden Zeichnungen (Fig. 19 u. 20) in überaus sprechen- 16 * 44 Keller, Biologische Studien, der Weise zum Ausdruck. Das Gefäßbündelsystem der submersen Form erscheint auf dem Querschnitt als ein überall fast gleieh breiter Ring. Die bedeutende Reduktion der leitenden Elemente, die nicht nur da- 11820. Fig. 19. Myosotis palustris (submers). Querschnitt durch ein Gefäßbündel des Stengels. Vergr. 350. 1—Rindenzellen; 2=Schutzscheide; 3 = Bast; 4 = Gefäße; 5 = Mark. Fig. 20. Myosotis palustris (Landform). Mittelteil eines Gefäßbündels. Vergr. 350. 1 = Schutzscheide; 2 = Bast; 3 = Xylem; 4 = Mark. Fig. 21. Myosotis palustris (Landform). Blattquerschnitt. Vergr. 350. 1 — Epidermis der Oberseite; 2 = äußere, 3 = innere Pallisadenzellen; # = Schwammparenchym; 5 = Epidermis der Unterseite. Fig. 22. Myosotis palustris (submers). Blattquersehnitt. Vergr. 350. = Oberhautzellen der Oberseite; 2 = Mesophyll; 3 = Oberhautzellen der Unterseite. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 945 durch zum Ausdruck kommt, dass die Gefäße kleiner sind, sondern namentlich auch dadurch, dass sie in viel geringerer Zahl vor- kommen, verwischt die Individualität der einzelnen Bündel. An der Landform springt jeder Gefäßbündel auf den Querschnitt gegen das Mark vor. Auf der Außenseite des Gefäßbündelringes beobachtet man bei der Landform an den den Kanten gegenüberliegenden Stellen einen dünnen Collenehymbeleg. An der submersen Form konnte ich diese Collenchym- zellen nicht beobachten. 3. Blatt. Im Bau der Blätter (Fig. 21 u. 22) zeigen sich die Abänderungen, wie sie nach dem Früheren zu erwarten sind. Das Blatt der Landform ist ca. 1'!/,mal so diek als das submerse. An jenem sind zwei Pallisadenzellreihen unter der Epidermis der Ober- seite zu beobachten. Das Schwammparenchym ist durch große Lücken ausgezeichnet. Der Bau ist also dorsoventral. Der Bau des submersen Blattes ist nahezu isolateral. Die Palli- sadenzellreihe ist in Form verkürzter meist isodiametrischer Zellen erhalten, aber doch nur so unbedeutend von der untersten Lage der Zellen des Schwammparenchyms verschieden, dass im Mesophyli die Gewebedifierenzierung eben nur angedeutet ist. Die Cuticula ist an den submersen Blättern 0,0014 mm dick, d.h. nur ein Drittel so stark, wie an den Blättern der Landform. Von der Fläche gesehen erscheinen die Epidermiszellen mit wel- ligem Rande verbunden. Die Spaltöffnungen fehlen an den submersen Blättern nicht, ihre Zahl ist aber erheblich verringert. [34a] Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Fünftes Stück. — Fortsetzung von Bd. XVII S. 257.) Die Untersuchungen über die Wirkung verschiedener Hefe- rassen bei der Gärung haben zunächst wohl eine eminente prak- tische Bedeutung. Sie erscheinen uns aber auch von Trein wissen- schaftlichem Standpunkte aus bedeutungsvoll genug, um sie gelegentlich auch in diesen Berichten mit zu berücksichtigen. Müller-Thurgan macht im V. Jahresbericht der deutsch-schweiz. Versuchsstation über das Zusammenwirken verschiedener Heferassen bei der Weingärung folgende Mitteilungen. 3 ver- schiedene Rassen von Saccharomyces ellipsoideus, die in Reinkulturen gezogen worden waren, wurden in gleichen Mengen im gleichen Obst- safte ausgesät. Die Gärungsenergie wurde durch die Kohlensäure- abgabe bestimmt. Diese ergab folgendes Resultat pro Liter: 5 346 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie, Heferasse Steinberger 1. Wädensweiler 4. Karthaus 7. Bis zum 2. Tage 1,3 15:8 078 ” ” d. ” 1,8 PB] 10,4 ” 5) vB) ” 2” 4. ” 1 [ R3) ” 21 ,D ” 9,9 ” ” N >. N 26,2 9) 29,9 be] 1 6,9 ” N N 6. ” 32,7 ” 36,2 ” 23,2 N ” ” 8. PR] 40,5 ” 44,0 ” 3 1 R3) ” ” EB] 10. ” 49,3 N 49,2 ” 39,8 ” ” ” 15. ” 47,9 ” 49,5 ” 40,2 ” N N 20. N 48, B) PB) 49, 3 ” 41 ‚2 n Durch die gleichzeitige Wirkung zweier dieser Heferassen würde die Gärungsenergie erhöht. Steinberger U. Wädensweiler. Steinberger u. Karthauä Bis zum 2. Tage 2,38 1.98 7) » D'y 12 Un 8,9 „ 7) n 4. ” 22,3 2) 17,5 n ” ” >. n 30,5 n 26,3 ) N 2) 6. n 31,9 ” 35,2 ” „ 8 45,2 , 41,0 „ N „ Pi „ 48,5 „ 45,5 „ 2) 2) a0 ” | 4) 5 46,8 „ ar, 49,5 „ A,T, Saccharomyces apieulatus ist für die Gärung der Obst- und Trauben- weine nachteilig, da seine Gärungsenergie schon bei verhältnismälig geringem Alkoholgehalt erschöpft ist. Man beovwachtet aber, dass namentlich in trockenen Herbsten an den Trauben die Eigenhefe oft in ganz vorherrschendem Grade durch 8. apieulatns gebildet wird. Für die Praxis wird es also von ganz besonderem Interesse sein, zu wissen, wie die Wirkung dieses Gärungspilzes durch das Zusammen- wirken einer Heferasse von 8. ellipsoideus beeinflusst werden kann. Die nachfolgenden Tabellen orientieren uns darüber. S. ellipsoideus. S. apieulatus. Steinberger 1. Karthaus 7. allein allein Bis zum 2. Tage Tore 0,78 0,7 g ” er) d. ” 7,8 ” 3,0 ” 2,7 ” N ” 4. ” 17,5 N 9,9 ” 6,3 ” pP] ” >. ” 26,2 ” 16,5 PP) 9,0 ” ” ” 6. ” 32, d ” 23,2 ” 1 1 Zi ” ” ” 8. ” 40,9 ” B) 1 ‚D ” 16,5 Pr] ” ” 10. N 45,9 ” 39,8 ” 20,2 ” ” N 15. ” 47,5 ” 40,2 Ph] 27,8 ” ” N 20. ” 48,3 ” =] ‚2 ” 29,2 ” ) ” 25. ”) 48,3 ” 41 3 2 30,0 PD] ” ) 0. PB) 48,3 vr) 42,0 ” 30,2 ” Ei) ” 40. ” 48,3 ” 42,5 „ 30,3 ” ” ” 60. 2 48,3 ” 43,2 ” 30,3 ” Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 947 Steinberg u. S. apiculatus. Karthaus u. $. apieulatus. Bis zum 2. Tage 14 & 0,3 € ” N 3. ” 4,7 ” 2,9 ” ” ” 4. ” 9,2 ” 9,2 r)) N” ” D. ) 15,9 ” 1,8 ” ” ” 6. Ph] 2 r)] 10,5 „ ” r2) 8. h] 30,9 ” 15,0 ” ri „ 10. PD] 98,9 ” 18,7 ” P)) ” 15. PD] 46,0 ” 28,2 ” ” ” 20. ri 48,0 ” 34,6 ” PR ” 25. N 48,3 ” 37,4 ” nn 90 5 48,5 „ 40,0 „ N 9) A. Ph] 48,5 ” 41,2 ” E Sr. ; 48,5 „ 43,2, ” er) Die langdauernde Hemmung bei einer gärschwachen Hefe führt Verf. auf 2 Ursachen zurück. Einerseits ist ein gewisser Alkoholgrad erforderlich, um die Lebensthätigkeit des S. apieulatus herabzudrücken, ihre gärungshemmende Wirksamkeit zu schwächen, und um diesen Alkoholgrad zu erreichen, braucht natürlich eine gärschwache Hefe länger als eine stärkere. Anderseits vermag offenbar eine kräftige Hefe schon bei einer geringeren Abschwächung des S. apiculatus zur Geltung zu gelangen, als eine so gärschwache wie die Karthäuserhefe. Wodurch vermag nun der S. apieulatus die Rassen des S. ellip- soideus in so bedeutendem Maße in ihrer Thätigkeit zu hemmen? Da zu erwarten war, dass die chemische Zusammensetzung der Obst- und Traubensäfte die nächsten Anhaltspunkte für die Erkenntnis der Hem- - mungsursachen geben würde, unterzog Verf. die Obstweine der er- wähnten Gärungsversuche einer Analyse, deren Resultate die nach- folgende Tabelle wiedergibt. Die Angaben verstehen sich pro Liter. Flüchtige Hefe rein Apfel- Säure als und Zucker Alkohol Glyzerin säure Essigsänre trocken bestimmt g g g z g g Bsteimberg 1. . .:2,9 55,6 3,02 8,31 Spuren 2,12 Wädensweil 4 . . 43 54,2 2,87 8,58 ’ 3,19 Beethausı 7.00. 2,52 53,2 2,74 8,04 2 2,96 Steinbg. u.Wädensw. 2,9 55,2 3,09 7,77 nicht bestimmt 3,03 Steinbg. Karth. . . 2,8 55,6 2,95 5 et Rs S. apieulatus . .31T 36. — 7,93 O,41:0= AB Steinbg. u.S.apicul. 15 55,8 2,13 8,31 0,18 2,42 . _Karth. u. S. apieul. 53 541 | 0,42 2.11 Die Tabelle lehrt uns, dass bei einer Heferasse von S. ellipsoideus, der 5. apieulatus beigemengt ist, der Hefegehalt sich nicht unwesentlich vermindert. Es wird also schon diese Hemmung des Hefewachstums notwendig die Gärung verringern. Vielleicht übt der unter der Wirkung 948 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. des S. apiculatus entstandene höhere Gehalt an flüchtiger Säure einen hemmenden Einfluss aus, wenn schon die Menge auch gar gering ist, um einen so bedeutenden Einfluss auf den Verlauf der Gärung verständ- lieh zu machen. Es wäre denkbar, dass die flüchtigen Säuren während der weiteren Gärung mit dem neu entstehenden Alkohol sich zu neutral reagierenden und weniger gärungshemmend wirkenden Aethern ver- bänden. Damit würde sowohl der eigentümliche Fruchtgeschmack der mit zugespitzter Hefe vergorenen Weine im Einklang stehen, als auch der Umstand, dass die Gärungshemnmnng abnimmt, wenn die Thätig- keit der zugespitzten Hefe durch den vorhandenen Alkohol einge- schränkt wird. Die Widerstandsfähigkeit verschiedener Rassen des S. ellipsoideus gegenüher S. apiculatus ist eine sehr ungleiche. Während, z. B. bis zum 8. Tag die Rasse Wädensweil 4 pro Liter 30,4 g Kohlensäure entwickelte und durch Beimengung einer gleichen Hefenzahl von S. apiculatus in ihrer Energie auf einen Drittel herabgesetzt wird, beträgt bei der Hefenrasse Bordeaux 2 die Verminderung der Energie einen Zweitel. Aber auch die Natur des gärenden Saftes ist von wesent- lichem Einfluss auf die Beeinträchtigung der Gärungsenergie durch Zusatz von S. apiculatus. Die oben angegebenen 2 Zahlen beziehen sich auf die Kohlensäureabgabe im Traubensaft. Im Birnensaft dagegen wird für beide Rassen die Gärungsenergie durch die Anwesenheit des S. apiculatus auf die Hälfte herabgesetzt. Steinberghefe 1, die mit S. apiculatus im Traubensaft auf ein Drittel ihrer Leistungsfähigkeit herabgesetzt wird, vermindert dieselbe im Birnensaft auf ein Viertel, Karthaus 7 fast auf ein Fünftel. Die Hemmung kann sich allerdings nach kürzerer oder längerer Zeit mehr oder weniger bedeutend verwischen. Nachfolgende Tabelle illustriert dieses verschiedene Verhalten besonders gut. Im Traubensaft. Im Birnensaft. Wädensweil 4. Steinberg 1. Wädensweil 4. Steinberg 1. Bis zum allein mitapzc. allein mitapzie. allein mit apic. allein mit apie. Adlıse 134. 508 093 36 E Den o64 ıTlares, De NO an To ee BDa, SBg 12 1 Or Ste 15.012 10 EEE A Er a 3 Er nis Eh MAUER an Bea TO 1a 49,6 190° 52.0 Re 2 Top. Be BA a ide 34.0: 22:6° 58.0, 212 48,8. 30,2 46,6 170 broken 10.2 21.00.0200 24b 49,8. dB 43,4 20,0 202% 612,77, 31227028 50,4 36,8 49,6 234 Bi 12.0° 516 8002 51,4 474 51,4. 3932 40. „ 11.0 0 Be 51,4 50,8 5E1.2..48,8 BUN ve, 19,8 7068 WEB, "or 12 51.0 517° 008 0 3) We 3 a EEE N. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 249 Ray’s Studien über die Abänderungen niederer Pilze unter dem Einfluss verschiedener Lebensbedingungen!) verfolgen hauptsächlich zwei Ziele. Sie sollen einen experimentellen Beleg für die außerordentliche Vielgestaltigkeit der Pilze sein, zeigen, wie Formen relativ weitgehender Verschiedenheit nicht notwendig auch spezifisch verschieden sein müssen, sondern auch nur die Produkte verschiedener Lebensbedingungen sein können, die so lange konstant bleiben, als sie unter den gleichen Lebensbedingungen stehen. Sie sollen gleichzeitig aber auch erkennen lassen, welchen Merkmalen einer Art der größte Wert als Charakteristik der Species beizulegen ist, mit anderen Worten, welche Merkmale einer als Typus gedachten Form unter den verschiedensten Lebensbedingungen geringsten Schwan- kungen unterworfen sind, also die zu einer natürlichen Klassifikation verwertbaren Eigenschaften der Art darstellen. Die irgend einer gegenwärtig lebenden Art zukommenden Merk- male sind nicht gleichzeitig erworbene, also gleichalterige. Die später entstandenen Eigenschaften aber hängen jeweilen als Modifikationen der älteren von diesen ab. Die Abänderungen der älteren Charaktere werden also auch die jüngern beeinflussen, während umgekehrt diese abändern können, ohne die erstern, die ältern in Mitleidenschaft zu ziehen. So kann also das experimentelle Studium der Abänderungen einer Art uns in der That auch Aufschluss über den systematischen Wert der Eigenschaften der Art geben, und damit gewinnen diese Variationsstudien nicht nur biologische, sondern auch systematische Bedeutung. | Verf. führte in erster Linie Versuche mit einem Schimmelpilz aus, mit Sterigmatocystis alba van Tieghem. Ein Typus, der schimmligem Käse entnommen wurde, lieferte die Sporen, die in Glykose, in Laevu- lose, in Saccharose, Stärkekleister, auf Rübenschnitten, auf Kartoffel- schnitten, auf Rübensaft, in Nährgelatine, in verschiedenen Salzlösungen wie Kaliumnitrat, Ammoniumnitrat, Kalium- und Ammoniumphosphat- lösungen ausgesät wurden. Die Sporen dieser auf verschiedenen Substraten keimenden Schimmelpilze wurden darauf während einer Reihe von Generationen auf dem gleichen Substrat gezüchtet, so dass also die veränderten Lebensbedingungen ihren Einfluss auch während einer längern Reihe von Generationen geltend machen konnten. Es kann natürlich nicht in der Aufgabe des Referates liegen, die Gesamt- heit der interessanten Beobachtungen zu registrieren. Für unsere Zwecke genügt es, den ändernden Einfluss an einigen wenigen Beispielen zu zeigen. Der Typus der Versuchspflanze bestand aus einem weißen Mycelium. Dasselbe wurde aus fadenförmigen Hyphen gebildet, deren Länge 80 « 1) Ray, Variations des Champignons inferieurs sous l’influence du milieu. in: Revue generale de Botanique, t. IX, 1897. 250 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Ptlanzenphysiologie und -biologie. betrug. Die Hyphen zeigten blasenförmige Erweiterungen, deren Durch- messer zwischen 35—45 u schwankte. Die Basidien besaßen eine Länge von 16—17 u, die Sterigmen von 12—13 u. Die kugeligen Conidien waren von weißer Farbe. Ihr Durchmesser betrug 3,2 «. Verfolgen wir nun zunächst die Abänderungen der Pflanze auf dem durch Rübenschnitten gebotenen Substrat. Der Schimmelpilz ent- wickelt sich hier sehr lebhaft. Schon nach wenigen Tagen ist das Rübenstück von dem weißen Pilzgeflecht bedeckt, das reichlich frukti- fiziert. Dasselbe besitzt nicht in seiner ganzen Ausdehnung den gleichen Charakter. Während die inneren Hyphen des Geflechtes ein ziemlich lockeres Mycelium darstellen, beobachtet man an der Oberfläche ein sehr dichtes Gewebe, ein Stroma, das eine weiße Haut darstellt. Form und Struktur der Hyphen sind in diesen beiden Teilen des Pilzgeflechtes verschieden. Im inneren Mycelium sind sie verkrümmt, vielfach ver- zweigt. Die Zweige stellen seitliche abgerundete Erweiterungen vor. Die Hyphen sind relativ breit, nämlich 42 «. Die quergehenden Scheidewände sind wenig zahlreich, die Glieder der Hyphen demnach sehr lang. Sie nehmen den z. B. die Peronosporeen charakterisieren- den Typus an. In der Nähe der Gefäßbündel des Substrates bilden sich ferner besondere Fäden, vergleichbar den Wurzelhaaren einer höheren Pflanze. Wie diese einem Hindernis sich anschmiegen, so zeigen auch diese Hyphenteile je eine Form, die durch das ihnen entgegentretende Hindernis bestimmt wird. Die Hyphen des Stroma stellen ein dichtes Geflecht dar. Die Zweige gehen nicht bogig, sondern in scharfen, oft rechten Winkeln von den Hyphen ab. Die Breite der Fäden beträgt nur circa ?/, der Breite der Hyphen des inneren Myceliums. Die Wände, die hier sehr zart sind, werden an den Hyphen des Stroma sehr kräftig. Die Scheidewände sind einander sehr genähert, die Hyphenglieder also kurz. Nach außen, segen den freien Teil des Stroma, beobachtet man an den Hyphen- gliedern eine kegelförmige oder keulenähnliche Gestalt. Der Grund des Fruchtkörpers wird durch eine Hyphe gebildet, welche 2—3 mal dicker ist als die oberflächlichen Hyphen des Stroma. Sie ist lang. Gegen das obere Ende werden die Glieder immer gestreckter. Am Gipfel ist sie kugelig angeschwollen. Auf dieser Anschwellung trägt sie zahlreiche breite, keulenförmige aus 2 Gliedern bestehende Basidien. Sie tragen 4—5 schmale Sterigmen. Dieselben tragen eine Reihe rosen- kranzartig verbundener Sporen, deren Dimensionen die gleichen sind, wie sie an der typischen Kultur beobachtet wurden. In Glykose entwickeln sich die Sporen der gleichen Mutterpflanze zu einer anders gestalteten Pflanze. Die den Thallus bildenden Hyphen bestehen aus kurzen, in der Flächenansicht rechteckigen Gliedern, die eine Breite von 3 « besitzen. Die Fruktifikationsorgane bestehen zu- nächst aus einer gradständigen Hyphe, welche in ihrer Form und den Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 251 Größenverhältnissen sich von den Hyphen des Thallus nieht unter- scheidet. Am abgerundeten Ende stehen 3 oder 4 sehr kurze Fäden. An gewissen Präparaten lässt sich an ihnen eine Gliederung erkennen. Diese Glieder sind kugelige Anschwellungen, die nach oben zu an Größe mehr und mehr zunehmen. Noch an andern Stellen erkennt man, dass die größten dieser Anschwellungen von einander getrennt sind. Sie haben eine kugelige Gestalt; sie stellen die Sporen vor, deren Größe wieder völlig analog mit der Sporengröße der Mutter- pflanze ist. | Nachdem diese beiden Kulturen etwas einlässlicher dargestellt wurden, um die bedeutenden Differenzen der aus den Sporen der gleichen Mutterpflanze auf verschiedenen Nährsubstanzen entstandenen Individuen darzuthun, stellen wir die gesamten Versuchsergebnisse nach- folgend tabellarisch zusammen (vergl. S. 252). Die Tabelle lässt uns erkennen, dass jedem Substrat je eine be- stimmte Form entspricht. Die Variabilität des Thallus geht nach zwei Riehtungen. In den einen Fällen besteht er aus ungegliederten Hyphen, in den anderen sind die Hyphen durch quere Scheidewände gegliedert. Daneben sind die relativen Größenverhältnisse einem ganz bedeutenden Wechsel unterworfen. Der Thallus steht zum Substrat jeweilen in einer doppelten Beziehung. Mit einem Teile seiner Hyphen durch- dringt er das Substrat mehr oder weniger, mit einem anderen Teil liegt .er auf demselben. Er befindet sich damit unter verschiedenen physikalischen Bedingungen. Dieselben beeinflussen ihn je in ähnlichem Sinne. Der oberflächliche Teil des Thallus zeigt an den Hyphen- gliedern eine zylindrische Form. In der Tiefe dagegen sind die Kon- turen der Hyphen unregelmäßig. Sie sind häufig da oder dort ange- schwollen, so dass die einzelnen Glieder selbst kugelig werden können. Am Reproduktionsapparat erscheinen, welches auch die Nähr- substanz sei, folgende Charaktere immer. 1. Der aufgerichtete Faden, welcher den Fuß des Vermehrungsapparates darstellt; 2. die Endver- zweigung des Fadens; 3. die rosenkranzartige Anordnung der Sporen und 4. die kugeligen Sporen vom Durchmesser 3,1 u. Thallus und Reproduktionsapparat zeigen unter bestimmten Be- dingungen das Bestreben, sich allseitig gleich zu entwickeln. Wenn der Thallus in ein Substrat eingesenkt ist, so befindet er sich allseitig unter gleichen oder sehr ähnlichen Lebensbedingungen. So hat vor allem seine Ernährung durch die ganze Oberfläche statt. Darauf ist die Anschwellung der Thallusglieder, ihre Neigung, kugelige Gestalt anzunehmen, zurückzuführen. Wenn diese Tendenz nur unvollkommen verwirklicht ist, wenn es nirgends zur wirklichen Kugelgestalt kommt, so ist dies auf die Gegenwirkung der typischen Gestalt des Thallus, die fadenförmige Natur der Pflanze, zurückzuführen. 252 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. ‚a9y9Ip SIgewmjosadrun AOPOIfY) 2 +19} +1494 +14 yuwusoqun J19TZuU91OYFIP JUOIN SunsoT-"ON’HN usapuwaapIaydg ) ywwısequn | Jummsoqun | Jwwmgsoqun u rn T pewyos ‘zıny 1OPoIL9 ywuwrsoqun JaOTzuoLoyIp ON 3unsg7-"ONM | = E98; gg Soyioagl m; “ ie; a n <{ n gr .y A aan Jyaıp Iyaın Surf Ywwmıy uyefon) 9 r" a; -95 TP919 yorq nl TE > 195urf Juuunıy (78) e „07 :enaag -a3 9 :JaLL | “ HE: OT n 9€ n 06Z1 :osur] J0A 9IM a usaqndllyoN "G Sur] A9PoLfı) Re er 25 : gpryPegioqgo (fe : 1.cZt 910% I in 8: Gar 2 nr I el mono | 20 arm uoponey op Inte. 6 Sau nen En a U9PURILIOA a nr a N. 89 | n %r oyleıg « (a) opıymopIayag S gi |SPunmaptegg| PIE Ingg zog] „_oPeLos 31309 uaggruyosuoqny 'g Re , aa) ZANN LOPOLK) | SURT AOPOIL9 7,SCkR SSEURTE J191ZU9.O ug ‚+91 Ha j a u9puBILIoA “ k ri HPuBnopIayag UHTTOMYISIFUR 1APaIfd) f 2 "16 8 :oyeig JIOIZUOAOHFIP FUOIN a gg, :oFur] puoLysF puoryoF "L "2 uojfomyasedue 'zıny ap: > yuwısoqun 19pP0 HPUBMOPIEy9S 1 A . Ne en: a, NEN l : : taaqg.n G Zamg Topomm) 980]nA9TI r 1Oss9WyI.m(d 19po Jww89q Jww1Isogq N y ne ymugsaqun puolyoy JyoIN JUoIN JIOIZU9AOYFIP 4Y9IN 98oyALN u9rodg UAWMSLIOIS uoıpısegq 3doy INA | zwong wnıpoLN | NEAR yaeıeddesuormyynpoadoy | sur[eyqy ss | zurIsqnsıyeN Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 2553 Auf die gleiche Tendenz allseitig übereinstimmender Entwicklung sind die Rundungen am Reproduktionsapparat zurückzuführen. In einer 2. Versuchsreihe prüft Verf. den Einfluss einer sich be- wegenden Flüssigkeit auf die Gestaltung des Pilzes. Es diente als Nährflüssigkeit Mohrrübenbrühe. Unter den gleichen Bedingungen er- folgte die Aussaat und Kultur in einem fixierten und einem bewegten Tubus. Nach Verlauf von 3—4 Tagen beobachtet man im bewegten Gefäß eine Anzahl kleiner, vollkommen kugeliger Massen von gelblich weißer Färbung. Die kleinsten derselben haben einen Durchmesser von ca. 2 mm, die größte von ca. 5 mm. Im fixierten Gefäß be- obachtet man an der Oberfläche kleine, schwimmende Miniaturinseln mit schwacher Fruktifikation. In den bewegten Kulturgefäßen fehlte diese, während die Pilzmasse etwa doppelt so groß ist, wie in den ruhenden. An einem Schnitte durch eine solche Pilzkugel beobachtet man eine feine, vom Centrum ausgehende radiäre Streifung, ferner 2 konzentrische Zonen, von denen die innere durch braune, die äußere durch helle Färbung ausgezeichnet ist. Die Streifung rührt von den radiär angeordneten Hyphen her, die aus den zentral liegenden Sporen entspringen. Von einem Sporenhäufchen aus geht also die Hyphen- entwicklung allseitig vor sich. Werden die Sporen in einer besonders lebhaft sieh bewegenden Flüssigkeit kultiviert, dann entstehen zunächst analoge Bilder. Nach 15—20 Tagen dagegen ändert sich das Aussehen. Die Oberfiäche des Thallus wird glänzend, ähnlich wie eine Elfenbeinkugel. Nach etwa 1 Monat haben die Flächen ein sehr kompaktes Gewebe erzeugt, ein Stroma, das viel dichter ist, als das Stroma einer ruhenden Kultur. Die Zahl der Scheidewände erscheint auch etwa auf das Sechsfache erhöht. Die Dicke der Wände hat ebenfalls zugenommen. Eine eigenartige Veränderung zeigt auch der Fruktifikations- apparat. Er besteht aus kurzen dicken, durch sehr zahlreiche Scheide- wände gegliederten Hyphen. Oben sind sie stark angeschwollen. Sie bilden ein Köpfehen, dessen Durchmesser 29 «u beträgt. Auf demselben stehen die 14 « langen Basidien, darauf die 7 « Sterigmen. Die von ihnen abgeschnürten Sporen haben einen Durchmesser von 3,1 u. Als besonderer Charakter der so lange hinausgeschobenen Fruktifikation erscheint einerseits der solide Aufbau der Organe, ihre besondere Dick- wandigkeit, anderseits die geringe Fruchtbarkeit. Außerdem beobachtet man nun hin und wieder an der Oberfläche der Pilzkugeln kleine, sehr harte schwarze, dem Stroma eingefügte Körper, die aus polygonalen Zellen bestehen. Sie sind durch außer- ordentliche Diekwandigkeit ausgezeichnet. Sie stellen also Bildungen dar, wie sie an Sklerotien beobachtet werden. Vom Momente des Er- scheinens der Sklerotien an erscheint das Wachstum bedeutend ver- zögert. 254 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. In den unbewegten Kontrolkulturen entstanden diese Sklerotien ebenfalls. Sie erschienen aber viel später, erst zur Zeit der Erschöpf- ung der Nährsubstanz. Unter den neuen Lebensbedingungen wurde also die Abänderung des Pilzes nach ganz bestimmten Bahnen gelenkt, welche deutlich die Abhängigkeit der Variation von den Lebensbedingungen verraten. Die Bewegung der Kulturflüssigkeit erhöht die Widerstandsfähigkeit der Pflanze. Durch die Bewegung werden die durch die Nährflüssigkeit gegebenen Bedingungen rings um die Pflanze zu gleichartigen, Ernäh- rung, Beleuchtung, Einfluss der Schwere. Darauf ist die kugelige Gestalt des Pilzkörpers zurückzuführen. Die Geschwindigkeit des Wachstums des Myceliums in der be- wegten Flüssigkeit führt Verf. auf die Wirkung der Schwere zurück. Kann diese stets in gleichem Sinne wirken, dann verzögert sie das Wachstum der Schimmelpilzkultur, wird durch die Bewegung die kon- stante Richtung der Schwere aber aufgehoben, dann muss eine Be- schleunigung des Wachstums erfolgen. Nachfolgende Zahlen beleuchten diese Wirkung der Schwere. Zahl der gekeimten Sporen. Bewegte Kultur 75 | x erzeugten einen langen Keimfaden 5 UERUTZEN 5 %) langen este 14 | ” n n HER R 5 2 „. kurzen 4 Die Länge der Keimfäden war zudem im 2. Fall geringer als im ersten. Interessant ist das Ergebnis einer anderen Versuchsreihe, welche den Einfluss eines Hindernisses in einer bewegten Flüssigkeit auf die Gestaltung der Pflanze darthun soll. In der Rübenbrühe wurde ein Stück Holz fixiert. An ihm setzten sich Sporen fest und keimten in der bewegten Flüssigkeit. Aus ihnen entstand ein Mycelium, das mit gewissen in der Meeresbrandung lebenden Algen große Aehnlichkeit hatte. Die Hyphen sind zu Schnüren vereint, von denen seitlich iso- lierte Hyphen abgehen. Die Schnüre sind sehr fest, die Gestalt genau zylindrisch, die Verzweigungen kurz. Zur Fruktifikation kommt es bei diesen Formen nicht. In einer folgenden Versuchsreihe wird dadurch die Atmosphäre, in welcher der Pilz lebt, modifiziert, dass das Luftvolumen ein be- grenztes ist. Die Wirkung ist eine allseitige Reduktion der Pflanze, verbunden mit einem frübzeitigen Erscheinen der Sklerotien. Die im Voranstehenden erörterten Abänderungen von Sterigmato- cystis alba treten je nicht unmittelbar mit der veränderten Kultur- bedingung auf. Die Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse voll- zieht sich allmählich. Es bedarf einer längeren Reihe von Genera- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 255 tionen, bis schließlich eine Form erzielt ist, die unter den gegebenen Lebensbedingungen nicht mehr abändert. Der Gang der Veränderung vollzieht sich in nachfolgender Weise: Thallus Reproduktionsapparat Dimension a) Dimension der verschiedenen Organe. b) Differenzierung des Fußes. Dabei variieren sein Kopf, Sterigmen und Basidien, die Zahl derselben. ce) Kopfanschwellung. Gruppieren wir nach der Häufigkeit der Abänderungen, wobei « das am häufigsten, 8 das selten und y das nicht variierende Organ bedeutet, so ergiebt sich folgendes: Thallus Reproduktionsapparat a. Dimensionen a. Dimensionen ö. Differenzierung des Fußes. Kopf- anschwellung mit Sterigmen und Basidien. y. Hyphen y. Aufrichtung der die Fruktifikations- (fadenförmige Glieder) organe bildenden Fäden. Endständige Verzweigung. Rosenkranzartige Anordnung der Sporen. Volumen der Sporen. Danach rekonstruiert Verf. die Stammesgeschichte der Art: Bezüg- lich des Thallus erscheinen die fadenförmige und gegliederte Struktur als die zuerst erworbenen Charaktere, für den keproduktionsapparat die aufgerichteten am Ende zu ae angeordneten Sporen sich verzweigenden Fäden. Später entstand die Differenzierung des Fadens zu Fuß mit Kopf, später die Gliederung zu Basidiensterigmen. Aehnlich wie Sierigmatocystis verhalten sich auch andere Pilze, wie Aspergillus und Penieillium. Die Versuche lehrten, dass im All- gemeinen die „Artcharaktere“ die unter verschiedenen Kulturbedingungen wechselnden Eigenschaften sind. Während bei Penicillium die Gattungs- charaktere nicht ändern, sehen wir Sterigmatocystis und Aspergillus unter bestimmten Bedingungen auch ihre Gattungscharaktere verlieren, indem sie zu einem Pinsel sporentragender Fäden werden. Damit nehmen sie den Charakter eines Penicillium an. Es mögen im Anschluss an Ray’s Studien hier auch einige An- gaben über ähnliche Versuche von Schostakowitsch!!) folgen. Mucor proliferus dient ihm als Versuchspflanze. Als typisch bezeichnet 1) Schostakowitsch, Einige Versuche über die Abhängigkeit des Mucor proliferus von den äußeren Bedingungen. in: Flora, Bd. 84, 1897. 956 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. er eine bei 12--18° C auf Brot zur Entwicklung kommende Schimmelart. Seine Versuche ergeben auch, dass die Nährsubstanz auf die Art der Entwicklung des Pilzes von bedeutendem Einfluss ist. Die Größe des Myceliums, wie die Größe der Sporangienträger ist mannigfaltigem Wechsel unterworfen. Während z. B. die Sporangienträger der typi- schen Form eine Höhe von 7 cm erreichen, haben sie in Zuckerlösungen nur eine Hohe von 1,5 em. Während nach den Versuchen von Ray die Sporen von dem abändernden Einfluss ausgeschlossen sind, scheint das Verhalten von Mucor ein anderes zu sein. Die Sporen, welche eine ovale Gestalt haben, sind an der typischen Form 17,5 u lang und 7,5 w breit. Kulturen auf Zwiebeln waren nun dadurch ausge- zeichnet, dass eine Mucor-Form entstand, die sowohl in Bezug auf die Größe als auch auf die Form der Sporen nicht unwesentlich variierte. Neben den runden, ovalen, langgestreckten kann man auch bisquitförmige und unregelmäßige Sporen treffen. Die Größe ändert sich von 3 « im Durchmesser bei kugeligen bis zu 65 « in der Länge bei gestreckten Sporen. Außerdem sind die Sporangienträger durch niederen Wuchs ausgezeichnet. Ein Unterschied zwischen Haupt- und Nebensporangie wird nicht mehr beobachtet. Alle Sporangien haben den Charakter von Nebensporangien. Weiter gehenden Abänderungen ist der Pilz unterworfen, wenn er auf abgekochten Zwetschgenfleisch kultiviert wird. Mycelium und Fruktifikationsorgane erleiden in gleicher Weise Ab- änderungen, welche teils die relativen Größenverhältnisse betreffen, teils die Gestalt. So sind z. B. auch hier alle Sporangien gleichartig, die Sporen sind meist kugelig oder unregelmäßig. Wie verschiedene Nährstoffe, so wirken auch verschiedene Tem- peraturen abändernd ein. Bei 25° liegt das Optimum der Temperatur, bei 32° das Maximum. An Kulturen, die bei 30° erzogen wurden, sind die Sporangienträger nur bis !/, mm hoch. Sie sind reichlich unregel- mäßig baumförmig verzweigt. An vielen Stellen zeigen sie kugelige Anschwellungen, eine Art Verzweigungszentrum, von dem aus 2 bis 3 Zweige sprossen. Diese Anschwellungen sind nichts anderes als umgeformte Sporangien. Nur wenige Sporangien erzeugen unregel- mäßige, kugelige, im Durchmesser 7—14 u große Sporen. Während Ray in der Anordnung der Organe nach dem Grade der Variabilität die Sporen als invariabel in letzte Reihe stellt, erklärt nun umgekehrt Schostakowitsch die Sporen als die am besten auf äußere Einflüsse reagierenden Organe von M. proliferus. Aus der Entstehung von Anschwellungen unterhalb des Sporangiums, wie sie typisch bei Pilolobus beobachtet wurde, einer Abänderung des Mucor, die an Zwetschgenkulturen beobachtet werden, schließt Verf. auf den phylogenetischen Zusammenhang beider Gattungen. [34b] Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 357 Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai und eine mut- maßliche Homologie der Haare und Zähne. Von Prof. Dr. Alexander Brandt in Charkow. Im ‘Jahre 1870 wurde im Saale der Buchhändlerbörse zu Leipzig ein wohl an 6 m messendes, ausgestopftes Exemplar eines Haifisches öffentlich zur Schau gestellt. Dasselbe wurde von mir, in Gemein- schaft mit Prof. Rud. Leuckart, in dessen Laboratorium ich damals als junger Mann arbeitete, in Augenschein genommen. Wir hielten das Tier für eine Selache maxıma, gingen jedoch auf eine nähere Be- stimmung desselben nicht ein. Der durch den Besuch von Zoologen geschmeichelte Impresario machte uns auf ganz unansehnliche, nur wenige Millimeter lange zahlreiche Borsten aufmerksam, mit welchen die Schnauze des Fisches besät war. Ihrer geringen Größe sowohl, als auch ihrer schwärzlichgrauen Färbung wegen stachen sie von der Hautoberfläche so wenig ab, dass sie von jedem nicht gerade beson- ders aufmerksamen Beschauer ohne Zweifel übersehen werden mussten. Schon dieser Umstand schloss eine absichtliche Täuschung des Publi- kums so gut wie aus. Zudem ließen sich auch keinerlei Anzeichen eines Artefakts, wie etwa Spuren von Leim oder Verletzungen der Haut, wahrnehmen. Der Impresario offerierte mir bereitwillig zur _ Untersuchung Proben der in Rede stehenden Borsten. Die betreffenden Proben, drei an der Zahl, mussten unter möglichster Schonung der Haut mit einem Federmesser aus der Haut herausgeklaubt werden. Dieser Umstand, sowie die Härte der Haut mit ihren Verknöcherungen, lässt es begreiflich erscheinen, dass nur mangelhafte, an ihrer Wurzel beschädigte Proben in meinen Besitz gelangten. Sie stellten nicht ganz regelmäßig zylindrische, an ihrer Basis verdickte Stücke dar, deren Durchmesser noch keinen ganzen Millimeter, bei einer Maximallänge von 3,35 mm betrug. Uebrigens waren die Spitzen der Borsten offenbar abgebrochen und mochte, nach der an einem der Stücke bei 30facher Vergrößerung deutlichen Verjüngung zu urteilen, ihre ursprüngliche Länge vielleicht das Doppelte betragen haben. Seit die Borstenproben in meinen Besitz gelangten, sind nunmehr 27 Jahre vergangen, ohne dass sich eine passende Veranlassung zu ihrer Untersuchung gefunden hätte. Erst meine jüngst publizierte Studie über die Hypertrichosis ') brachte mir die unterdessen sorg- fältig aufbewahrten Haiborsten in Erinnerung. Mein jüngerer Kollege Prof. W. Reinhard, in gewohnter Weise gerade mit der Herstellung mikroskopischer Präparate beschäftigt, hatte die Freundlichkeit, sein Heil bei der Bearbeitung meines so spärlich zugemessenen Materials zu versuchen. 1) Ueber die sog. Hundemenschen, bezw. über Hypertrichosis universalis. Biol. Centralbl., Bd. XVII, 1897, S. 161. XVIH. 1%; IH Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. Die „Borsten“ erwiesen sich von einer Härte, dass sie sich selbst nach Behandlung mit Kali causticum nicht schneiden ließen. Die Ur- sache hiervon konnte an Zerzupfungspräparaten ermittelt werden und bestand in der Gegenwart massenhafter Konkremente, welche bei Zu- satz von Säuren zu den Präparaten Gasbläschen ausschieden und mit- hin aus kohlensaurem Kalk bestanden. Erst nach Decaleinierung konnten weitere Pröbchen einigermaßen mit dem Mikrotom geschnitten werden. Ihre derbe Konsistenz sowohl, als auch das so spärliche Material lassen es erklärlich finden, dass gehörig dünne, zusammen- hängende Schnitte nieht gewonnen wurden. Mithin ist das an den Präparaten Ermittelte leider so dürftig, dass ich nahe daran war, von der Publizierung der Befunde ganz Abstand zu nehmen. Den Aus- schlag gab schließlich der Wunsch, diejenigen Kollegen, welche an srößeren Museen arbeiten resp. Gelegenheit haben, Riesenhaie zu unter- suchen, auf die fraglichen Gebilde aufmerksam zu machen. Selbst negativ ausfallende Beobachtungen können als Beitrag zur Phylogenie der Haare, welche immer noch dunkel und zweifelhaft ist, von Wert sein. Das dünnste der drei Pröbehen, welches am meisten einer Borste ähnelte, an seinem stärkeren Ende nur 0,33, an seinem verjüngten bloß 0,23 mm im Durchmesser betrug, ließ, bei 30facher Vergrößerung in toto betrachtet, zwei Schichten, eine hellere zentrale und dunklere, stellenweise pigmentierte peripherische, erkennen. Ein relativ leidlich gelungener, leider immerhin noch dieker und dabei untingierter Längs- schnitt mochte einer tieferen, in der Haut steckenden Partie einer der Borsten angehören. Es lassen sich an ihm zwei Hauptschichten er- kennen. Die innere Schicht zeigt in der einen, wohl als proximale zu deutenden Hälfte ein Maschenwerk von Bindegewebsbündeln. Letz- tere sind meist derb und im wesentlichen aufwärts, der Länge nach gerichtet. In den Zwischenräumen der Längsmaschen befindet sich — wie andere, weniger ausgedehnte, jedoch dünnere Schnitte lehren — ein zarteres Netzwerk von Bindegewebsfasern. In dieses sind rund- liche, deutlich gekernte, zum Teil in Haufen zusammengedrängte Zellen, ferner hin und wieder Pigment- und Kalkkörnchen eingesprengt. Die Gegenwart der letzteren mag einer unvollständigen Decaleinierung zuzuschreiben sein. Die Bindegewebsschicht erscheint nicht allerwärts von der peripherischen streng begrenzt, sondern sendet hier und da Ausläufer in dieselbe. Distalwärts sich verjüngend, scheint sie, gleich- falls ohne scharfe Grenze, in einen weiteren Abschnitt der zentralen Schicht der Borste überzugehen. Dieser zeigt rundlich eckige Zellen, in welchen ein Kern erkennbar ist. Außerdem finden sich in ihnen glänzende Körnchen zweierlei Art: die einen, die Mehrzahl, sind farb- los, rundlich oder eckig und zweifellos Kalkkonkremente, während die andern nur ganz spärlich vertretenen, transparenteren, gelb oder röt- lich gefärbten für Keratohyalin gehalten werden können. In anderen 3randt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 359 Präparaten, welche mit Kali eaustieum bearbeitet wurden, finden sieh innere Schnittfetzen, die allein aus aufgeblähten, kugligen, Kalk- körnchen führenden Zellen von etwa 0,06 mm Durchmesser bestehen. Es lieen sich diese Zellen, gleich den soeben erwähnten, wohl als Markzellen deuten. — Die peripherische oder Rinden-Schicht des der Beschreibung zunächst zur Orientierung zugrunde gelegten Längs- schnittes besteht aus abgeplattet-spindelförmigen Zellen, in denen «ein oblonger, stäbehenförmiger Kern hin und wieder bemerkt werden kann. In diesen Zellen, vielleicht zum Teil auch zwischen denselben, finden sich wiederum Kalkkörperchen und ferner — mehr insularisch — Pigmentkörnehen oder größere Pigmentinseln.. An diünneren, leider nicht zusammenhängenden Schnitten, lässt die in Rede stehende Schicht diese Details deutlicher erkennen, und ein Zerzupfungspräparat einer mit Schwefelsäure behandelten Borste wiederholt recht genau das Bild der Faserschicht eines Säugetierhaares. Sollte, wie ich hoffen möchte, eine Nachuntersuchung eines reich- lieheren und besseren Materials die soeben mitgeteilten dürftigen Be- funde bestätigen, so kämen wir zu dem Schlusse, dass die fraglichen Gebilde des betreffenden Haies in der That Borsten darstellen. Sie unterschieden sich von den typischen Säugetierborsten, so weit dies bisher vorauszusehen, durch eine Einlagerung von Kalkkörnchen in der Papille sowohl, als auch im Fasergewebe. (Nicht knopfförmige, sondern sich allmählich verjüngende, mit der Spitze hoch hinauf ins Mark ausgezogene Papillen kommen bekanntlich auch bei Säugetieren, namentlich in den Schnurrhaaren vor). Die mir hier in Charkow zur Verfügung stehenden litterarischen Hilfsmittel sind zu lückenhaft, um die Frage zu entscheiden, ob sich nicht, namentlich in älteren Quellen, Angaben über das Vorkommen von kurzen Borsten an der Schnauze gewisser Haie vorfinden. Zu meinem Bedauern bin ich nicht einmal im Stande, mich näher über den feineren Bau des Reusenapparats der Selache maxima zu orientieren. Ueber denselben sind mir nur die Aufsätze von Steenstrup!), sowie P. und H. Gervais?) zur Hand. Dieser Apparat wird bekanntlich aus franzenartigen, bezw. kammförmigen Besätzen längs der Kiemen- bögen gebildet und funktioniert offenbar nach Art des Fischbeins der Bartenwale, da der ehemals als angeblicher Menschenfresser so ver- rufene Hai nunmehr anerkannter Weise mit Schwärmen kleiner Tiere fürlieb nimmt. Die ektodermale Auskleidung des Schlundes recht- fertigt zur Genüge unsere vergleichsweise Heranziehung dieser Gebilde. Die einzelnen Strahlen der Reuse bilden steife, jedoch biegsame und 1) Om Gjaellegitteret eller Gjaellebarderne hos Brugden (Selachus mazımus). Overs. over d. K. D. Vidensk. Selsk. Forhandl., 1873, Nr.1, p. 46—-66. 2) Observations relatives ä un Squale pelerin pech& ä Concarneau. Journ. de Zool., V, 1876, p. 319-329, pl. XII—XV. Le? 260 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. elastische, dem Anschein nach hornige Fäden, von 5 bis 6 Zoll Länge. Hannover fand eine bauliche Uebereinstimmung dieser Fäden mit den Hautzähnen der Plagiostomen. Beide Gervais’s bezeichnen sie als „dents filiformes“ und illustrieren diese Deutung durch mikrosko- pische Längs- und Querschnitte. Ihre kurze Beschreibung besagt übrigens nur, die vermeintlichen Barten beständen aus phosphorsaurem Kalk, vergesellschaftet mit etwas kohlensaurem, als erhärtendes Ele- ment in die Maschen einer organisierten Substanz eingebettet, und ob- sleich sie einige Pigmentkörner enthalten, sind die für das Zahnbein charakteristischen Kanälchen darin leicht nachweisbar; mit verdünnter Salzsäure lassen sie sich leicht decaleinieren (p. 325). Die hornartige, also wohl transparente Beschaffenheit und Bieg- samkeit dieser Haibarten lässt einen geringeren Grad von Verkalkung bei ihnen vermuten, als er den Hautzähnen der Haie zukommt. Hierin, sowie in der Pigmenthaltigkeit erinnern diese Barten an die oben be- schriebenen Barten an der Schnauze eines vermutlich zur selben Species gehörigen Exemplars. Wie sich die Struktur der äußeren Bekleidung der Barten verhält, lässt sich aus der zitierten Arbeit nieht entnehmen. Jedenfalls käme eine nochmalige vergleichende Untersuchung der Kiemen- harten der Selache bei einer Umschau nach etwaigen Uebergangsformen zwischen Zähnen und Haaren in Betracht. Auf diversen Abbildungen finden sich auf der Schnauze von Haien Punkte angegeben, so auf denen von Taf. XIII der beiden Gervais’s. Zweifellos beziehen sie sich hier auf die von den Verfassern p. 520 erwähnten zahlreichen Schleimporen. Immerhin wäre es a priori nicht unmöglich, dass gerade diesen Poren im höheren Alter borstenartige Gebilde entsprießen. Zu dieser Aeußerung verleitet mich zunächst ein Analogieschluss von gewissen Verhältnissen bei Cetaceen, diesen eigen- tümlichen Wesen, welche sekundär, oder vielleicht richtiger tertiär, so viele Züge einer ursprünglichen Organisation wiedererworben, dass sogar allen Ernstes der Versuch gemacht werden konnte, sie als eine ursprüngliche Säugetiergruppe zu deuten. Max Weber!) fand am Mundwinkel der erwachsenen Palaenoptera Sibbaldii zahlreiche feine Löcher mit ventralem Epithelzapfen, welchen der Verfasser als rudi- mentäres Haar anspricht. Man wird hierbei notgedrungen auch an die Schenkelfasern brünstiger Eideebsen mit ihren hornartigen Aus- scheidungen erinnert, welche uns Leydig?) und Maurer?) vorführen. Wer weiß, ob die Borsten bei Haien nicht etwa bloß zu periodisch, und zwar im höheren Alter, auftretenden Gebilden gehören. Durch eine 1) Studien über Säugetiere. Ein Beitrag zur Frage nach dem Ursprung der Cetaceen. Jena 1886. 2) Integument brünstiger Fische und Amphibien. Biol. Centralblatt, XI, 1892.48.203: 3) Die Epidermis und ihre Abkömmlinge. Leipzig 1895. Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 261 solche Hypothese ließe es sich vielleicht erklären, dass sie bisher übersehen wurden. Frühe Entwicklungsstufen haben ja Drüsen und Haare gemein. Der den Eindrücken der Außenwelt des sich vorwärts bewegenden Tieres zunächst exponierte orale Pol, mithin die Schnauzen- oder Mund- gegend, ist es, wo die Haare zuerst, und zwar zunächst als Spürhaare, aufgetreten sein mögen. Es wird dieser Satz durch die chronologische Reihenfolge in der Ontogenie des Haarkleides sämtlicher Säugetiere genugsam bewiesen, worüber, wenn ich nicht irre, keinerlei Kontro- versen herrschen. Das höhere phyletische Alter der Spürhaare wird ferner einem allgemein anerkannten Vererbungsgesetze gemäß auch durch die Thatsache bestätigt, dass sie beharrlich, wenn auch mit reduziertem Nervenapparat, beim sonst nackten Embryo zahlreicher Wale auftreten, mithin die geringste Neigung zum Schwund zeigen (Weber |. e. p. 40). Hier dürfte es angemessen sein, der von mir (l.c.) als Promammal- haare gedeuteten Haardecke der Hundemenschen zu gedenken. Zwar sind wir über deren embryonale Entwicklung völlig im Unklaren; doch drängt die Analogie zu der Vermutung, dass auch hier Spürhaare vor- handen sein müssen. Bei kindlichen und erwachsenen Individuen ist vielleicht nicht speziell danach gesucht worden. Die genaueste Be- schreibung einer Hundemenschen-Behaarung lieferte meines Wissens Bartels!) für den 14jährigen Fedor Jewtichjew. „Sehr eigen- tümlieh — so schreibt er — sind zwei dicht beisammenstehende, in Schlangenlinien verlaufende Haare, welche von glänzend schwarzer Farbe und von der Konsistenz der Pferdehaare sind. Sie sind also dicker und dunkler als die Kopfhaare des Knaben. Sie entspringen am rechten unteren Augenliede, mitten zwischen den feinen Haaren, ohne dass die Hautstelle, welche sie trägt, irgendwie verdickt oder gefärbt erschiene“. Die von mir für die Hundemenschen angenommene subpathologische formative Schwäche der Haut ließe sich zur Erklärung der Thatsache heranziehen, dass die Spürhaare dieser Subjekte, trotz ihres phyletischen Alters, für gewöhnlich nicht zu regelrechter, typi- scher Ausbildung kommen. Eine allgemeine Reduktion und verspätete vollkommenere Ausbildung der menschlichen Behaarung überhaupt mag auch die späte Differenzierung von einigen verlängerten Haaren der Augenbrauen erklären, welche bei gewissen Personen auftreten: und von Darwin?) als Tasthaare gedeutet werden. Der Beachtung wert ist eine gewisse gegenseitige Unabhängigkeit der Spür- und Körperhaare. Dieselbe tritt ganz besonders bei den Seehunden zu Tage, bei welchen eine beträchtliche Reduktion der 1) Zeitschr. f. Ethnol., Bd. XVI, 1884, S. (108). 2) Abstammung des Menschen. Stuttgart 1871. S. 20. 2652 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. allgemeinen Körperbehaarung aus funktionell verständlichen Ursachen mit einer ganz ungewöhnlichen Ausbildung der Spürhaare gepaart ist. Ueber den phyletischen Ursprung der Haare wurden bekanntlich mehrere Theorien aufgestellt. Eine noch unlängst besonders beliebte fußt auf der Homologie der Haare mit den Epidermoidalschuppen der Reptilien. Gleich den Haaren werden selbstverständlich auch die Federn von Reptilienschuppen abgeleitet. Neuerdings kommt man be- kanntlich gern auf den uns früher so geläufigen diphyletischen Ursprung der Warmblüter zurück, indem man die Säugetiere von den Saurop- siden trennt und sie als selbständigen Spross der Ichthyopsiden be- trachtet. Eine Erörterung der Frage nach der Homologie von Haar und Feder würde uns hier zu weit führen. Es mögen daher die Vögel abseits liegen bleiben. Als Vorläufer der Haare wurden von Leydig der Perlausschlag gewisser Fische (so namentlich der Oypriniden) und ferner die Aus- scheidungen der Schenkelporen der Eidechsen in Anspruch genommen. Die aus diesen Poren periodisch hervorwachsenden hornigen Epidermis- warzen oder Segel bezeichnet dieser Forscher!) als Uebergangsformen zwischen Wucherungen der Epidermis gewöhnlicher Art und den Haaren. Auch die Hornzapfen der Perlorgane können einem grubenförmigen Keimlager entsprießen. In neuester Zeit macht die Theorie von Maurer?) viel von sich reden. Von einzelnen Gelehrten z.B. Wiedersheim?) und Haeckel®) adoptiert, hat die Maurer’sche Theorie auch eifrige Opponenten?) sefunden, welche zum Teil der althergebrachten Homologie der Haare und Federn mit den Hornschuppen, zum Teil der Homologie der Haare mit Hautdrüsen resp. ihrem Exkrete huldigen. Ich fühle mich nicht berufen, im Nachfolgenden auf die betreffende Kontroverse in ihrem Sanzen Umfange einzugehen. Eins ist sicher, nämlich, dass dieselbe noch nicht zum Austrag gebracht ist und mithin auch Spielraum für ander- 1) Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tübingen 1872. 2) Haut-Sinnesorgane, Feder- und Haaranlagen und deren gegenseitige Beziehungen. Morphol. Jahrb., XVII, 1892, 8. 717. Die Epidermis und ihre Abkömmlinge. Leipzig 1895. | 3) Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. Jena 1893 4) Systematische Phylogenie der Wirbeltiere. Berlin 1895. S. 432. 5) F. Leydig, Besteht eine Beziehung zwischen Hautsinnesorganen und Haaren? Biol. Centralbl.. XIII, 1893, S. 359. C. Emery, ÖOsservat. sui pozi cutanei dei Crocodilli. Mem. Accad. Bologna, T. IV, p. 593. E. B. Poulton, The structure of the Bill and Hairs of Ornithorhynchus paradoxus ete. Quart. Jurn. Mier. se., Vol. 36, 1894, p. 143. F. Keibel, Ontogenie u. Phylogenie von Haar u. Feder. Anat. Hefte, 2. Abt., Bd. V, 1896, S 619. Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 263 weitige Hypothesen frei bleibt. Als eine solche möchte ich die Homo- logie der Haare und Zähne in Schutz zu nehmen versuchen. Die Haare wurden, wie sich schon a priori voraussetzen lässt, schon des öfteren mit den Zähnen verglichen. So betont z. B. Köl- liker?) beiläufig eine Uebereinstimmung, welche sich darin kund giebt, AS — OALHEE ID Fı= JS — SISRPEIL, Stan Schemata zur Homologie der Haare und Zähne. I, II Entwicklung der Hautzähne bei Haien. III, IV, V Entwicklung und Bau der Säugetierzähne. 1—5 Entwicklung und Bau der Embryonalhaare. Aeußere Wurzelscheide. Cement. Dentin. Epidermis, Epithel der Mund- höhle. Innere Wurzelscheide. K -- Haarknopf. O — Schmelzoberhäutchen. P — Pulpa, Papilla. S — Schmelz. SP — Schmelzpulpa. W — Haarwuızel, 1) Entwicklungsgesch., II. Aufl., 1879, S..784. 264 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. dass hier, wie dort die Papille (resp. die Pulpa) nachträglich, d. h. später ns der Haarknopf (resp. der Schmelzkeim) auftritt. Bei seinen phylogenetischen Betrachtungen über die Haare kommt Maurer (Epidermis, S. 318) naturgemäß auch auf die Zähne zu sprechen, allerdings im negativen Sinne. Er meint nämlich, die Zahn- gebilde seien hier ganz auszuschließen. „Wenn auch die Zahngebilde mit ihrem bindegewebigen (Dentin) und ihrem epithelialen (Schmelz) Bestandteil sich in der Mundhöhle sämtlicher Wirbeltiere erhalten haben, so genügt doch nicht der Grund, dass sie bei den genannten Fischklassen (Selachiern und Ganoiden) auf den Schuppen angeordnet sind, um an solche Gebilde die Haare der Säugetiere anzuschließen, denn keine einzige andere Thatsache giebt den geringsten Anhalt zur Vergleichung. Die Thätigkeit des Epithels äußert sich an dessen basaler Fläche, an welcher die Zellen Schmelzprismen abscheiden. Diesen epidermoidalen Hartgebilden kommt frühzeitig schon picht mehr die wesentliche Rolle beim Aufbau des Zahnes zu, die vielmehr von den das Dentin bildenden Odontoblasten übernommen wird. Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse fällt die Möglich- keit der Ableitung ... der Haare von den Zähnen .. . fort“. Die hier mit gesperrter Schrift wiedergegebene Aeußerung möchte doch zu weit gehen, da sich sowohl im Bau, als auch in der Entwick- lung resp. dem Wachstum von Haaren und Zähnen Anhaltspunkte zur Vergleichung ergeben. Selbst im ausgebildeten Zustande ist mutatis mutandis eine gewisse bauliche Uebereinstimmung von Haar und Säugetierzahn nicht zu ver- kennen (Fig. 5 u. V). Bei einem Vergleich beiderlei Gebilde mitein- ander können wir allerdings die Genese gewisser Bestandteile des Zahns nicht aus den Augen lassen. Man wird hierbei zunächst vom Cement ganz absehen dürfen, da dasselbe nieht zum Zahn als solchem gehört, sondern ein benachbartes Hautknöchelchen darstellt. Ferner wird man auch dem quantitativ überwiegenden Zahnbein keine allzu- große morphologische Bedeutung beilegen, sondern dasselbe als peri- phere Verknöcherung der Pulpa betrachten. Hieraus ergiebt sich eine genügende Uebereinstimmung des gesamten inneren Bindegewebszapfens von Haar und Zahn. Der Schmelz (5) entspricht der die Haarpapille unmittelbar überziehenden Cylinderepithelschicht; seine Zellen sind bloß sehr in die Länge gewachsen und versteinert. (Ich schließe mich, wie der Leser sieht, mit nichten der Deutung des Schmelzes als bloße Ausscheidung an. Hierbei fuße ich außer auf den von Waldeyer u.a. vorgebrachten Argumenten noch auf der Erwägung, dass kutikuläre Ausscheidungen, wie z. B. die Muschelschalen, nur an der äußeren — frei zu Tage tretenden oder taschenförmig eingestülpten — Ober- fläche von Epithelien erfolgen). Was die übrigen Teile von Haar und Zahn anbetrifft, so fördert uns ein Vergleich des fertigen Haars mit Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 265 einer Zahnanlage, an welcher der Hals des Schmelzorgans noch weit offen (Fig. 5 u. III). Es ergiebt sich hierbei eine Homologie des Cylinderepithels am proximalen Ende der äußeren Wurzelscheide des Haares (Fig.5, AS) mit der Cuticula dentis, dem Schmelzoberhäutchen (V. 0), diesem verhornt-versteinerten äußeren Epithel des Schmelz- organs. Der Haarknopf (X) nebst der ihm anliegenden Partie der äußeren Wurzelscheide entsprächen hierbei einem noch offenen Schmelz- organ (III). Vergegenwärtigen wir uns ein solches Schmelzorgan, welches auch später offen bliebe, dessen eingedrückter Boden nicht versteinerte und dessen innere kleine rundliche Zellen nicht in das be- kannte gallertige Gewebe übergehen, sondern annähernd den Charakter von Zellen des Rete Malpighii behalten, sich rasch vermehren und in ihrer oberflächlichen Schicht verhornen, so entstände ein Haar mit Knopf, Wurzel und Schaft. Wenn sich in der Axe gewisser Haar- sorten Markzellen differenzieren, so ist dies doch offenbar das Resultat einer modifizierten Thätigkeit des Haarknopfs an dessen Spitze und obne besondere prinzipielle Bedeutung. Was schließlich die sogen. innere Wurzelscheide mit ihrer parietalen (Henle’schen) und zentralen, die Haarwurzel unmittelbar bekleidenden Huxley’schen Schicht an- betrifft, so dürfte ihnen keine prinzipielle morphologische Bedeutung beizumessen sein. Sie bilden meines Erachtens modifizierte Abschup- pungen verhornter Zellen, einerseits des Haarknopfes, andrerseits zum Teil wohl auch der äußeren Wurzelscheide an deren proximalem Ende!). Maurer betrachtet die innere Wurzelscheide als charakteristischen wesentlichen Anteil des Haares und demonstriert ihr angeblich ent- sprechende Zellschiehten an dem die Hautsinnesknospen überragenden Epitelkegel. Tritonen, die aufs Land gegangen und bei denen die Hautsinnesknospen mehr in die Tiefe gesenkt, sollen die entsprechen- den verhornten Zellschichten aufweisen. Solche Zellschichten, so deucht mir, müssen im Umkreis eines jeden beliebigen ein- und wieder zurückgestülpten Derivats der Epidermis vorkommen, falls sie, wie soeben erwähnt, im wesentlichen nichts anders als sich abschelternde Hornzellen darstellen. In den Markzellen des Haares erblickt Maurer (Die Epidermis, S. 325) die verkümmerten Reste der Sinneszellen der Hautsinnesknospen. Abgesehen vom Mangel direkter Beweise, scheint mir diese Auffassung auch vom rein theoretischen Standpunkte nicht wahrscheinlich genug, da gerade das Embryonalhaar sich durch seine Marklosigkeit von dem vorwiegend markhaltigen postembryonalen unter- scheidet. Die von Maurer lediglich aus einer analogen zentralen 1) Die eingehenden unter der Leitung von Hans Virchow angestellten Untersuchungen von Max Günther scheinen mir thatsächlich dieser Deutung nicht zu widersprechen. M. Günther, Haarknopf und innere Wurzelscheide des Säugetierhaares, Berlin 1895. Mit 2 Taf. 9656 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. Lage erschlossene Homologie von Sinnes- und Markzellen ermangelt mithin einer ihr so wünschenswerten Stütze von seiten des biogeneti- schen Grundgesetzes. Uns nunmehr einem Vergleich von Zahn und Haar während ihrer Entwicklung beim Säugetier zuwendend, können wir vorausschicken, dass wir die Zähne schematisch als unmittelbares Produkt der Mundschleimhaut ansehen dürfen, da die sämtlichen Zahnanlagen eines Kiefers gemeinsame Plieca dentalis primitiva doch weiter nichts als eine lokale Vergrößerung der Schleimhaut auf einem schmalen Visceral- bogen repräsentiert. Ferner werden wir die solide zapfenartige Epithel- wucherung (Fig. ZII u. 3), welche der Bildung von Haar wie Zahn zugrunde liegt, als modifizierte Einstülpung, als Hohlschlauch deuten können, ähnlich wie wir es z. B. für die Anlagen der Milchdrüsen- kanäle zu thun berechtigt sind. Es wird diese Auffassung noch da- durch bekräftigt, dass gemäß den Untersuchungen von Poulton (. e.) das Haar von Ornithorhynchus ganz deutlich in einer nach außen offenen Röhre entsteht. Wenn, wie es gewöhnlich dargestellt wird, das Säugetierhaar sich in der Axe eines soliden Epithelzapfens gleich- sam herauszukrystallieren oder herauszuschälen scheint, so haben wir es hier wohl kaum mit einem wirklichen Abspaltungsprozess zu {hun sondern vielmehr mit einer Metamorphose der zentralen Zellen des Zapfens, welch letztere unter dem Einfluss der sich bildenden Papille und der von ihr reichlicher ernährten und sich energisch vermehren- den Zellen des werdenden Haarknopfs stehen. Druckverhältnisse kom- men dabei wohl gleichfalls als wesentliches Moment in betracht. So darf also das Haar als Rückstülpung unter dem Einflusse der Papille, dieser lokalen Oberflächenvergrößerung der Cutis, aufgefasst werden. Aehnliche Betrachtungen lassen sich auch über die Zähne anstellen. Auch sie sind genetisch eine Rückstülpung im Grunde eines Blind- säckchens. Der wesentlichste Unterschied in der Entwicklung von Haar und Zahn besteht darin, dass bei letzterem der Hals der Ein- stülpung sich schließt und der epitheliale Anteil der Zahnanlage als Schmelzorgan sich abschnürt (Fig. /V). Der spätere Durchbruch des in der Tiefe nachwachsenden Zahnes erfolgt daher nicht durch einen offenen Kanal, wie beim Haar, sondern als subpathologischer Prozess unter Verletzung der Schleimhaut. Die Zellen des inneren Epithels des Schmelzorgans versteinern zu Schmelzprismen und hören mithin auf sich zu vermehren. Das Wachstum des epithelialen Zahnanteils hat hiermit sein Ende erreicht. Nur bei den Zähnen mit sogen. un- begrenzten Wachstum bleibt der basale Rand der Schmelzgruppe, d. h. die Umbiegungszone des inneren Schmelzepithels ins äußere, saftig und lebenskräftig. Das äußere Epithel der Schmelzkappe, dies vermutliche Homologon der Zylinderschicht der äußeren Wurzelscheide, verhornt und versteinert gleichzeitig zum Schmelzoberhäutchen (0). Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 267 Die den rundlichen Zellen des Haarknopfs entsprechenden rundlichen zentralen Zellen des Schmelzorgans (die der Schmelzpulpa) scheiden eine reichliche gallertige Zwischensubstanz aus, werden sternförmig, mit ihren lang ausgezogenen pseudopodienartigen Anastomosen eine Art Bindegewebe darstellend, und sind dem Untergange geweiht. Ihre Bestandteile werden wohl von den sich bildenden Schmelzprismen auf- gezehrt. Die nunmehr von einer abgestorbenen Schmelzkappe um- gebene Pulpa dentis richtet ihre trophische Thätigkeit auf das eigene Wachstum an Spitze und Peripherie, indem sie lange, ramifizierte Pseudopodien nebst einer verkalkenden Grundsubstanz (das Zahnbein) erzeugt. Das Anwachsen des Zahnbeins übernimmt, nach Abschluss der Schmelzbildung, das Hervorschieben des Zahnes, seinen Durch- bruch. Was schließlich das Cement anbetrifft, so kommt es bei einem Vergleich von Zahn und Haar in genetischer Beziehung ebensowenig in betracht, wie beim Vergleich ihres Baues. Zur Vervollständigung des bisher Erörterten sehen wir uns ver- anlasst, nunmehr die Zähne der Haie, namentlich die des äußern Integuments, in den Kreis unserer Betrachtungen zu ziehen. Niemand bezweifelt heutzutage die Homologie der Hautzähne der Haie mit den Zähnen der Säugetiere, und doch stimmen beide in Bau und Entwick- lungsweise durchaus nicht völlig überein. Dem Haizahn fehlt das Schmelzoberhäutcehen, da er sich ohne Bildung eines doppelwandigen Schmelzorgans entwickelt (Fig. / u. II). Eine sich vergrößernde Cutis- papille verwandelt sich in ihren peripherischen Schichten in Zahnbein und erhält einen Schmelzüberzug, welcher einfach und allein aus den anliegenden Zylinderzellen der Epidermis hervorgeht. Das Fehlen eines abgekapselten Schmelzorgans giebt einen gewissen Anklang des Haizahns an das Säugetierhaar. Letzteres hält also insofern die Mitte zwischen Hai- und Säugetierzahn, als es eine offen bleibende kanal- artige Einstülpung der Epidermis besitzt. Bei dem Mangel eines sack- förmigen Schmelzorgans fehlt auch für gewöhnlich die Schmelzpulpa. Eine ihr entsprechende Umbildung von Epithelzellen oberhalb der Schmelzprismen ist nichtsdestoweniger keine Unmöglichkeit, da neuer- dings Bloechmann!) bei Embryonen von Spinax nigra das Epithel über den Flossenstacheln ebenso verändert fand wie in der Schmelz- pulpe der Säugetierzähne. — -Einen gewissen Anklang der Haihaut- zähne an die beim Säugetierembryo zuerst auftretenden und mithin phyletisch wohl ältesten Haare möchte ich darin erblicken, dass hier wie dort die Entwicklung durch eine leichte Verdiekung der Cutis ein- geleitet wird, welch letztere die darüberliegende Epidermis hügelartig vorwölbt. Ich berufe mich hierbei für die Haizähne auf OÖ. Hertwig?) 1) Zoologische Anzeiger, 1897, S. 462. 2) Ueber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und der Zähne der Selachier. Morph. Jahrb., I, S. 331, Taf. XII, Fig. 11. 268 Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. und für die Haare auf L. Stieda'). Während auf den darauf folgen- den Stadien (Fig. //) die Zahnpapille in distaler Richtung zu wachsen fortfährt, erhält bei den Haaranlagen (Fig. 2) die zugehörige Epider- misverdiekung die Oberhand, wächst aber in proximaler Richtung fort, um erst später von der nunmehr wieder zu Kräften kommenden Cutis- papille — wie der Boden einer Flasche — eingetrieben zu werden. Von manchen Forschern wird die ursprüngliche Hervorragung der embryonalen Haaranlagen nicht erwähnt?). Feiertag konstatiert dies übrigens auch nur am Kopf, wo die Haare am frühesten angelegt werden, und betont ausdrücklich ihr Fehlen an den übrigen Körper- partien, wo die Haare später auftreten. Dürfen wir uns auf diesen Unterschied völlig verlassen, so können wir ihn phylogenetisch in dem Sinne verwenden, dass die ältesten Haaranlagen auch ein ursprüng- licheres erstes (zahnartiges) Stadium aufgewiesen hätten. Im Obigen wurde der Versuch gemacht, die Haare von den Zähnen abzuleiten. Eine, wie mir scheint, unverkennbare Aehnlichkeit in Bau und Entwicklungsweise könnte dazu führen, das Haar im Wesentlichen als entkalkten Zahn hinzustellen, eine Auffassung, welche wir phylogenetisch mit der wohl so ziemlich erwiesenen allgemeinen Entkalkung des Integuments der Vorfahren unserer recenten Amnioten in Zusammenhang bringen könnten. Man denke hierbei etwa an die Stegocephalen, welche so gern als Glied in der Ahnenkette der höheren Wirbeltiere angesprochen werden. Vorstufen zur Umbildung von Zähnen zu Haaren dürfte man vielleicht in den Strahlen des Reusen- apparats der Selache maxima und in den eingangs besprochenen borstenartigen Gebilden erblicken. Ueber die letzteren liegen leider gar zu dürftige Kenntnisse vor. Scheint auch ein Falsificat entschieden ausgeschlossen, so müssen wir nichtsdestoweniger über das Vorkommen dieser Gebilde bestätigende Beobachtungen abwarten, ehe wir über dieselben ein maßgebendes Urteil fällen. Kollegen, welchen ein reicheres Untersuchungsmaterial zur Verfügung steht, namentlich an größeren Sammlungen thätigen, bleibt es überlassen, das Vorkommen der Barten bei dieser oder jener Art von Haien, in diesem oder jenen (vielleicht nur höheren) Alter, bei diesem oder jenem Geschlecht nach- zuweisen. Nach sonstigen Uebergangsformen zwischen Haaren und 1) J. Feiertag, Ueber die Bildung der Haare. Dorpat 1875. (Disserta- tion unter Leitung und mit Abbildungen von L. Stieda.) 2) Den Erfahrnngen von Waldeyer gemäß beruhten die kleinen Er- hebungen der ursprünglichen Haaranlagen lediglich auf einer Wucheruug des Stratum Malpighii der Epidermis (Atlas der menschlichen und tierischen Haare. Herausgegeben von J. Grimm. Lahr 1884. S. 33). Es wäre vielleicht mög- lich, diese Differenz dadurch zu erklären, dass Waldeyer etwas ältere Sta- dien vor sich gehabt hatte: (?). Be: Brandt, Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai. 369 Zähnen wäre noch anderweitig zu fahnden; so vielleicht in Dermoid- eysten, wo Haare und Zähne ja häufig vergesellschaftet angetroffen werden. Für eine nähere Verwandtschaft beiderlei Gebilde mögen wohl auch ihre sympathischen Beziehungen, ihre unverkennbare Korrelation sprechen. Doch hiervon ist bereits in meinem Aufsatz über die Hunde- menschen die Rede. Bei der Beurteilung der hier angeführten Hypothese wird man nicht außer Acht lassen dürfen, dass der essentielle bauliche Unter- schied zwischen einem Hai- und Säugetierzahn kaum geringer ist als der zwischen jedem dieser Gebilde und einem typischen Säugetierhaar, ferner, dass es mehr verschiedenerlei Haarbildungen gegeben haben kann und vielleicht noch giebt. Der Sprung von den Haien zu den Säugetieren scheint allerdings auf den ersten Blick ein recht gewagter. Doch wird derselbe schon um eine beträchtliche Spanne abgekürzt, wenn wir einen diphyletischen Ursprung der Amnioten gelten lassen. Vögel und Keptilien bleiben hierbei abseits liegen. Ob die heutigen Amphibien ohne weiteres in unsere Ahnenkette einzuschalten, ist gleichfalls recht fraglich. Dass die meisten Fischordnungen, z. B. die Knochenfische, auszuschalten sind, ist mehr als wahrscheinlich. Hingegen dürfen wir die Selachier als ziemlich reine primitive Gruppe betrachten, von der sich nach so und so vielen unbekannten Zwischengliedern die höheren Hauptgruppen der Wirbeltiere abgezweigt. Von den Selachiern könnte eine besondere Entwicklungsbahn zu außen bezahnten, resp. später beborsteten, den Amphibien äbnliehen Wesen geführt haben, von denen ihrerseits die Promammalien abstammten. Die Ontogenese macht es wahrscheinlich, dass die Borsten, und später auch die Haare, zunächst im Gesicht, also im Bereich des Visceralskeiets, als Spürborsten aufgetreten sind und sich von hier aus auf das Schädeldach und schließlich dann auch auf kumpf und Extremitäten verbreiteten. Von den Zähnen nehmen wir an, dass sie sich vom äußeren Integument auf dessen Fortsetzung, die Mundbucht, verbreiteten. Sollte sich die Haarähnlichkeit der Borsten des Reusenapparats und die noch ausgesprochenere der an der Schnauze von Selache maxima bestätigen, so käme die Frage in Betracht, ob die Umwandlung von Zähnen zu Haaren nicht etwa phyletisch in um- gekehrter Richtung, nämlich von der Mundhöhle aus auf die Körper- oberfläche, vor sich gegangen, wobei nur die Kieferzähne als solche erhalten und sogar weiter ausgebildet wurden. Im Gesicht entwickelten sich zunächst die Tasthaare, diese stabilsten von allen Haaren, Ge- bilde, welche selbst bei sonst nackten Cetaceen noch ontogenetisch wiederkehren!). | 1) Ueber Haare oder Borsten bei Walen im postembryonalen Leben scheinen keine direkten Angaben vorzuliegen. Ich ergreife daher die Gelegenheit, hier 270 Zykoff, Bewegung der Hydra fusca L. Zum Schluss noch die allgemeine Bemerkung, dass die mannig- faltigsten Abkömmlinge der Epidermis unter einander mehr oder weniger verwandte Bildungen darzustellen scheinen. Unter diesen Abkömm- lingen sind es namentlich die Drüsen, welche eine große Ueberein- stimmung mit den Haar- und Zahnanlagen der Säugetiere besitzen. Diese Uebereinstimmung trifft hingegen für die Zähne der Haie nicht zu. Hier eröffnet sich ein noch recht weites Feld für phylogenetische Forschungen. [39] Ueber die Bewegung der Hydra fusca L. Von W. Zykoff, Privatdozent an der Universität Moskau, Die ersten ausführlichen Kenntnisse über die Bewegung der Hydren haben wir Trembley!) zu verdanken. Mit der ihm eigenen Beobach- tungsgabe beschreibt er nicht nur diese Bewegungen, sondern stellt sie uns auch in Zeichnungen?) dar. Selbstverständlich schildert er nur, so zu sagen, das Sichtbare, Oberflächliche dieser Bewegung, näm- lich diejenigen von ihren Erscheinungen, die sich mit unbewaffnetem Auge betrachten lassen. Beinahe ebenso, nämlich nur oberflächlich behandelt Marshall?) die Frage bezüglich der Hydra viridis var. Bakeri; er giebt uns Beschreibungen und Zeichnungen*) der gleiten- den, cephalopodenartig kriechenden und nach Art der Spannerraupen kriechenden Bewegung seiner Hydra, ohne jedoch diejenigen Erschei- nungen ausführlich zu berühren, von welchen diese Bewegung begleitet wird, und die sich mit Hilfe des Mikroskopes betrachten lässt. Jeder, der die Hydren beobachtet hat, weiß, dass die Kraft, welche sie ge- brauchen, um sich mit dem Fuße an einem unter dem Wasser be- findlichen Gegenstand zu befestigen, sehr bedeutend ist, und Tremb- ley äußert die höchst richtige Bemerkung, „ce qui leur suffit pour n’etre pas entraines par un mouvement de l’eau m@me considerable“. Wo müssen wir aber den Grund dieser verborgenen Kraft suchen? auf das von Cyamiden borkenartig zernagte Hautstück aufmerksam zu machen, welches mich vor Jahren zu einer Studie über die wahre (normale) Beschaffenheit des Integuments der Rhytina borealis veranlasste. Dieses Hautstück, welches in starkem Verdacht steht, einem Walfische (etwa der Balaena japonica) an- zugehören, war mit spärlichen Haaren besetzt. (Ueber die Haut der nordischen Seekuh. M&em. del’Acad.S. de St. P&tersb., VII. Ser., T.XVII, Nr.7, 1871, p.9). 4) Memoires pour servir & l’histoire d’un genre de Polypes d’eau douce, a bras en forme de cornes, 1744, p. 34—46. 2) u.c. DJe8, 3) Ueber einige Lebenserscheinungen der Süßwasserpolypen und über eine neue Form von Hydra viridis. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 37. 4) 1. c. 670—74, Taf. XXXV1, Fig. 1—)5. Zykoft, Bewegung der Hydra fusca L. 271 In K. C. Sehneider’s bekanntem Werke: Histologie der Hydra fusca u. 8. w.!) lesen wir folgendes: „Der Zweck der Sekretabscheidung ist bekannt... . dasselbe dient als Klebestoff für die Befestigung der Hydra an irgend eine Unterlage“. Nach Schneider lässt sich also das Selbstankleben des Fußes als Grund der Befestigung der Hydra an eine Unterlage betrachten. Ohne die Thätigkeit der Sekretzellen im Fuße der Hydra zu verneinen, sind wir jedoch eher gesonnen der Hydra die Fähigkeit, Pseudopodien hervortreten zu lassen, zuzuschreiben, die ihr als Befestigungsmittel dienen und deren Hineinziehen den Fuß von der Unterlage abreißt. In der That zeigte uns Hamann?), dass die Zellen im Fuße der Aydra die Fähigkeit besitzen, Pseudopodien herauszulassen: dieselben sind immer spitz am Ende. Dennoch muss ich bemerken, dass es mir beim Wiederholen der Beobachtungen von Hamann nie gelungen ist Pseudopodien von der Länge zu sehen, wie er sie uns in seinen Zeichnungen darstellt ?). Die Beobachtungen von Schneider und Hamann erschöpfen aber die Frage über die Befestigung und Bewegung der Hydra nur zur Hälfte. Wie bekannt, kann sich die Hydra, und das betrifft besonders die Hydra fusca mit ihren ungewöhnlich langen Tentakeln, nicht nur mit der Hilfe des Fußes, sondern auch mit den Tentakeln befestigen, was sie auch bei der Bewegung vorwärts zu thun pflegt; ebenfalls beim Hängen an der Oberfläche des Wassers befestigt sie sich mit den Tentakeln an die benachbarten Gegenstände, was wir auf der Zeichnung bei Tremb- ley*) betrachten können; die Befestigungskraft der Tentakeln ist sehr bedeutend, nicht minder als die des Fußes, und diese Fähigkeit ist von äußerster Wichtigkeit für die Jydra, worauf auch Trembley ‚hinweist: „il y a une eirconstance dans laquelle il doit leur importer de leur bras en guise d’ancere et de cables pour n’etre pas entrainds par le mouvement de l’eau. C’est lorsqu’ils sont suspendus & sa.super- fiie“. Aber ungeachtet der vielen Arbeiten über die Hydra hat kem Naturforscher, so viel mir bekannt ist, seine Aufmerksamkeit auf den Grund der Befestigungsfähigkeit der Tentakeln gerichtet; wohl sagt Schneider: „auch treten sekretabscheidende Zellen an den Enden der Tentakeln auf, wenn sich, wie es ab und zu geschieht, der Polyp mit diesen anheftet“®), aber darauf lässt sich erwidern, dass die Hydra sich nicht nur mit den Enden ihrer Tentakeln, sondern 1) Arch. f. mikros. Anat., Bd. 35, S. 391. 2) Studien über Cölenteraten. II. Die Pseudopodienzellen bei Hydra. Jenaische Zeitschrift, Bd. XV. 3) Taf. XXVIL, Fig.5 u. 6 und Taf. XXI, Fig. 15. 4) 1. ec. PLI, Fig.11. eı.L ep. 328. 272 Zykoft, Bewegung der Hydra fusca L. auch mit jödem beliebigen Punkte an denselben befestigt. Stellen wir eine Analogie mit dem Fuße der Hydra fest, so müssen wir ebenfalls das Vorhandensein von Zellen mit heraustretenden Pseudopodien an- nehmen. Fe. 1. Teil eines Tentakels der Hydra: zwischen «a und 5b = der plattere Teil, e — Pseudopodien. Indem ich diesen Gedanken als Ausgangspunkt nahm, vollzog ieh meine Beobachtungen über die Aydra fusca folgender Weise: ich legte sie nämlich ins Wasser auf ein Uhrglas und beobachtete ihre Tentakeln mit Hilfe des vierten Hartnack’s Systems; nach kurzer Zeit bemerkte ich, dass die Tentakel an den Stellen, wo sie sich an das Glas be- festigte, platt, das heißt breiter wurde, und an ihrer Peripherie kamen feine spitze Pseudopodien zum Vorschein, mit deren Hilfe die Tentakel sich ans Glas anklebte; beim Abreißen der Tentakel traten die Pseudo- podien zurück. Also bilden auch hier ebenso wie im Fuße die Pseudo- podien den Grund der Befestigung. Es scheint mir, dass in den Fällen der gleitenden Bewegung der Hydra viridis var. Bakeri, welche uns Marshall beschreibt und in Zeichnungen darstellt, die Ektoderm- zellen ebenfalls Pseudopodien hervortreten lassen; das ist um so wahr- scheinlicher, da bei den Hydropolypen, wie bekannt, das Ektoderm Pseudopodien an das Perisark schickt. Die Fähigkeit der Ektoderm- zellen bei den Hydropolypen, Pseudopodien hervortreten zu lassen, bildet ungeachtet des Umstandes, dass sie epitheliale Muskelzellen sind, einen von den Protozoen geerbten Rest; an ihrem inneren Ende differenziert solch eine Zelle die Muskelfaser als Element einer weit komplizier- teren histologischen Struktur und einer bestimmten physiologischen Funktion, dagegen am obersten freien Ende ist noch die amöbenartige Bewegung vorhanden. Deshalb erlaube ich mir die Meinung zu äußern, dass man keine strenge histologische Grenze zwischen den sogenannten Deckzellen und Sekretzellen bei den Hydropolypen feststellen kann. |122] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 94 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. April 1898. Nr. &. Inhalt: Giesenhagen, Ueber die Forschungsrichtungen auf dem Gebiete der Pflanzen- morphologie. — Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Ver- mehrung. — Bachmann, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. — Mitteilungen aus der biologischen Station zu Christiania: 1. Wille, Beschreibung einiger Planktonalgen aus norwegischen Süßwasser- seen; 2. Johannessen, Physiologische Ernährung der Säuglinge. — Bauer, Ueber das Doppelei des Haushuhnes. — Handbuch der Anatomie, Ueber die Forschungsrichtungen auf dem Gebiete der Pflanzenmorphologie. Von Dr. K. Giesenhagen in München. In den letzten Wochen sind in der botanischen Litteratur zwei hochbedeutsame Werke erschienen, Pfeffer’s!) Pflanzenphysiologie und Goebel’s Organographie der Pflanzen. Beide Werke, von denen zunächst je ein erster Band vorliegt, rühren von Männern her, welche auf der Höhe stehend, wohl berufen sind, der Wissenschaft den Spiegel vorzuhalten und auf den von ihnen bearbeiteten Wissensgebieten der Forschung neue Richtungen und Bahnen zu weisen. Pfeffer’s Physio- logie stellt den weiteren Ausbau eines Wissensgebietes dar, dessen Grundlinien der Verfasser schon in der 1831 erschienenen ersten Auf- lage desselben Werkes abgesteckt und festgelegt hatte. Die Organo- graphie Goebel’s dagegen bringt zum ersten Mal eine Zusammen- stellung der Resultate einer Forschungsrichtung, welche wohl seit Jahrzehnten von einer Anzahl von Botanikern verfolgt wurde, deren Ergebnisse aber bisher noch niemals in ganzem Umfange zu einer auf gesicherter Grundlage aufgebauten Theorie vereinigt worden sind. Das Werk, dessen vorliegender erster Band die allgemeine Organographie 1) Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch der Lehre vom Stofi- und Kraftwechsel in der Pflanze. II. Aufl. Band I: Stoffwechsel. Leipzig. W. Engelmann. 1897. 2) Goebel, Organographie der Pflanzen insbesondere der Archegoniaten und Samenpflanzen. I. Teil: Allgemeine Organographie. Jena. G. Fischer. 1898. XV. 18 374 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. behandelt, ist also in gewissem Sinne eine reformatorische That und seine Erscheinung giebt uns erwünschte Gelegenheit, den Lesern dieser Zeitschrift die verschiedenen Richtungen in der wissenschaftlichen Pflanzenmorphologie, welche gegenwärtig noch Vertreter finden, ver- gleichend darzustellen. Ursprünglich ist wohl die Pflanzenmorphologie nichts mehr ge- wesen als eine bloße Terminologie, eine Hilfswissenschaft für die Systematik, die in exakt definierten Kunstausdrücken ein Verständigungs- mittel für die Beschreibung der Formen der Gewächse liefern sollte. Diese Morphologie ist eine deduktive Wissenschaft, welche von Ideen ausgehend die morphologische Natur des einzelnen Gebildes nach logi- schen Formeln ableitet. Die Ideen im Sinne Platos sind das Primäre, denen sich die realen, in der Natur vorliegenden Einzelfälle unter- ordnen lassen müssen. Wenn nun auch die einseitige Auffassung der Pflanzenmorphologie als einer Hilfswissenschaft der Systematik in neuerer Zeit, besonders seit Göthe mit seiner naturphilosophischen Metamorphosenlehre allgemeinere Ideen in diese Disziplin hineingetragen hatte, unter den Botanikern kaum noch einen ernstzunehmenden Ver- treter gefunden hat, so ist doch die Pflanzenmorphologie bis in unsere Tage vielfach als eine rein idealistische Wissenschaft behandelt wor- den, welche lediglich mit Begriffskonstruktionen operiert. In diesem Sinne ist z. B. auch die allgemeine Morphologie der Pflanzen von Pax!) abgefasst, das letzte größere Lehrbuch der Disziplin; und nicht viel anders wird in dem Lehrbuch der Botanik von Frank?) die Morphologie behandelt. Da das letztgenannte Werk eine Darstellung der Botanik „nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft“ sein will, so kann ich die Prinzipien der idealistischen Morphologie nach den von seinem Ver- fasser vertretenen Anschauungen schildern, ohne auf die historische Entwicklung der einzelnen vorgetragenen Ideen besondere Rücksicht nehmen zu müssen. Frank geht von der Ansicht aus, dass bei der Betrachtung der Pflanzenteile zum Zweck des morphologischen Verständnisses von der Funktion derselben gänzlich abzusehen sei. Zunächst sei nur die Frage zu stellen, wo und wie die Pflanzenteile sich bilden und in welchen räumlichen Beziehungen sie zu einander stehen. Diese Be- trachtungsweise soll zu dem Ergebnis führen, dass die mannigfaltigen Pflanzenteile sich auf einige wenige Grundformen zurückführen lassen. Mit der Unterscheidung dieser Grundformen, welche einzig durch ihre räumlichen Beziehungen zu einander definiert sind, gewinnt Frank die rein morphologischen Begriffe, die für ihn der Gegenstand der 4) Pax, Allgemeine Morphologie der Pflanzen. Stuttgart 1890. 2) Frank, Lehrbuch der Botanik, 2 Bände, Leipzig 1892/93. Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 275 Pflanzenmorphologie sind. Er schreibt weiter!): „Bei dieser Be- trachtungsweise erkennen wir dann wirklich, dass morphologisch gleich- namige Glieder zu sehr verschiedenen Organen im physiologischen Sinne ausgebildet werden. So kann z. B. die Grundform, welche wir als Blatt bezeichnen, in dem einen Falle als grünes Laubblatt, in einem andern als schalenartiges Gebilde wie bei den Schalen der Zwiebeln, in einem dritten Falle als Ranke oder als Dorn, wieder an anderer Stelle, nämlich in der Blüte als Kelch oder Blumenkrone oder sogar als Staubgefäß oder endlich Carpell erscheinen. Und ähn- liches lässt sich auch von den anderen morphologischen Grundformen sagen.. Nimmt man also den Begriff Blatt in diesem abstrakten ver- allgemeinerten Sinne, so kann man die verschiedenen soeben auf- gezählten Gebilde, soweit sie morphologisch unter den Begriff des Blattes fallen, metamorphosierte oder besser modifizierte Blätter nennen“. Der abstrakte Begriif „Blatt“ ist also das Primäre, die Einzel- fälle, welche die Natur darbietet, müssen sich ihm unterordnen. Als die beiden einzigen, begrifflich scharf unterschiedenen selb- ständigen Grundformen der polaren Pflanzen bezeichnet Frank das Rhizom (Wurzeln und wurzelartige Organe) und das Caulom (Sprosse und sprossähnliche Organe). Mit dem Hinzutreten des Phylloms, d. h. des Blattbegrifies und des Trichoms (d. i. der Haarbildungen), welch letztere beide von geringerer Selbständigkeit Anhangsgebilde des Cau- loms (resp. des Rhizoms) sind. Damit ist dann ein Ideenschema gegeben, in welches sich die Pflanzennatur hineinzwängen lassen muss. Selbst die Fortpflanzungs- und Geschlechtsorgane müssen sich in diese Kate- gorien einordnen lassen. Besonders deutlich tritt auch die idealistische Natur der Morpho- logie im Sinne Frank’s hervor in der von diesem Autor vertretenen Auffassung von der Metamorphose der Pflanzen. Nachdem er die Metamorphosenlehre Goethe’scher Richtung als naturphilosophische Verirrung verurteilt hat, verweist er auf C. F. Wolff’s auf die (ontogenetische) Entwicklungsgeschichte gestützte Ansicht, die er mit folgenden Worten charakterisiert: „Die verschiedenen Blätter, die am Stengel aufeinander folgen, sind hiernach nur modifizierte Blätter, wo- bei Blatt einen vom Verstande konstruierten verallgemeinerten Begrift bedeutet, es ist also unter Metamorphose keine reale Umwandlung einer bestimmten Blattform in eine bestimmte andere verstanden, die Metamorphose ist also eine bloße Idee“. Nach einem Hinweis darauf, dass Goethe neben einer solchen ideellen Metamorphose ohne Zweifel in einzelnen Fällen eine reale Umwandlung z. B. der Laubblätter in Keleh- und Blumenblätter angenommen habe, fährt dann Frank fort: „Seitdem die empirische entwicklungsgeschichtliche Forschung in 4,.2.2..0, 0,82% 18* 376 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. der Morphologie herrschend wurde, also besonders seit Schleiden, Mohl, Nägeli, Unger, A. Braun u.a. ist die Metamorphosenlehre vorwiegend in dem von Wolff angebahnten Sinne verstanden worden. Je klarer die neuere Morphologie über die Entwicklungsvorgänge ge- worden ist, um so befremdlicher muss es erscheinen, dass der be- deutendste gegenwärtige Morphologe Goebel jetzt wieder ausdrück- lich von einer realen Metamorphose des Blattes redet ete.“. Wir sehen aus dem letzten zitierten Satz, dass Frank sich mit vollem Bewusst- sein auf den Standpunkt der rein idealistischen Morphologie stellt, obwohl ihm eine schon zu jener Zeit entwickelte abweichende Ansicht bekannt war, als deren hervorragendsten Vertreter wir Goebel kennen lernen. Nach Frank’s Darstellung entstehen am Vegetationspunkt der Sprosse nur indifferente Anlagen, die sich je nach der Beein- flussung der Entwicklung durch innere und äußere Umstände zu einem Laubblatt, Hochblatt, Niederblatt, zu einem Dorn, einer Ranke ent- wickeln. Es ist nötig, hier den Ausdruck „indifferente Anlage“ etwas näher zu prüfen, da demselben von verschiedenen Autoren, wie wir sehen werden, nicht immer die gleiche Bedeutung untergelegt worden ist. Frank versteht unter einer indifferenten Anlage offenbar ein embryo- nales Zellhöckerchen, in welchem seiner sichtbaren und unsichtbaren Organisation nach noch keinerlei Entwicklungsriehtung induziert ist, dem also erst durch den Entwicklungsgang, den es unter dem Einfluss der innern und äußern Umstände einschlägt, sein morphologischer Charakter nachträglich aufgeprägt wird. Blattanlagen im Sinne der von Frank vertretenen Richtung sind also Zellhöckerchen, welche allein dadurch charakterisiert werden, dass die Gebilde, welche dereinst aus ihnen hervorgehen werden, unter den vom Verstande konstruierten Blattbegrift fallen. Ganz ebenso kann der Ausdruck „indifferent“ auch wohl bei Vöchting nur verstanden werden, wenn er sagt!): „Wie schon Vielen vor ihm, so war auch Knight bekannt, dass die ersten Knospen- anlagen indifferenter Natur sind und dass aus ihnen sehr verschiedene Produkte hervorgehen können“ und an derselben Stelle der zitierten Arbeit: „Der wirkliche Beweis, dass der Modus der Ausbildung ursprüng- lich indifferenter Spross- und Wurzelanlagen durch innere Ursachen be- dingt wird, wurde erst durch meine Untersuchungen über Organbildung geliefert, nicht aber von Knight“. In einer Polemik, welche sich über diese Angaben zwischen Vöchting und Goebel entspann, legt dann Vöchting?) selber allerdings dem Ausdruck „indifferent“ eine 1) Voechting, Ueber die Bildung der Knollen. Bibl. botan., Heft 4, p. 21 Anm. 2) Derselbe, Zu Th. Knight’s Versuchen über Knollenbildung. Bot. Zeitung, 1895, S. 82. Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 977 andere Bedeutung unter, er setzt ihn gleichbedeutend mit gleichwertig oder gleichartig, womit dann allerdings gesagt wäre, dass die An- lagen, die er als indifferent bezeichnet, schon bestimmt geartet sind, schon einen besonderen morphologischen Wert besitzen, was mit der gebräuchlichen Bedeutung des Wortes „indifferent“ wohl kaum verein- bar erscheint. Bevor ich nun zu der Schilderung der mit der idealistischen Morphologie vielfach im direkten Gegensatz stehenden Anschauung Goebel’s übergehe, habe ich kurz noch einer besonderen Richtung in der Pflanzenmorphologie zu gedenken, welche ich als die vergleichend- phylogenetische bezeichnen möchte. Sie ist von Strasburger in seinem Lehrbuch der Botanik!) zur Grundlage einer zusammenfassen- den Darstellung der Pflanzenmorphologie gemacht worden. Die folgen- den Sätze aus dem betreffenden Abschnitte des genannten Buches?) werden diese Richtung am besten charakterisieren. „Die botanische Morphologie strebt eine wissenschaftliche Erkenntnis der Pflanzenformen an. Sie erachtet es nicht als ihr Ziel, den Ursachen der Formbildung nachzuforsehen, hält vielmehr ihre Aufgaben für ge- löst, wenn es ihr gelungen ist, eine Form von einer andern abzu- leiten. Die einzige reale Grundlage für die Morphologie giebt somit die Phylogenie*. „Die Gestalt und Gliederung der Pflanzen weist große Verschieden- heiten auf. Die Morphologie sucht das Uebereinstimmende innerhalb dieser Mannigfaltigkeit zu erkennen. Sie erreicht das durch Auf- deckung der den verschieden ausgebildeten Formen gemeinsamen Aus- gangspunkte“. „Sind wir auf Grund phylogenetischer Erwägungen dahin gelangt, für eine Anzahl verschiedener Gebilde einen gemeinsamen Ursprung anzunehmen, so bezeichnen wir die hypothetische Ursprungsform, aus der wir jene Gebilde ableiten, als deren Grundform. Die verschie- denen Abänderungen, welche diese Grundform erfahren hat, sind ihre Metamorphose, dadurch ist die Lehre von der Metamorphose der Pflanzen, die einst nur eine ideale Abstraktion war, auf reale Grund- lage gestellt“. Die in diesen Sätzen charakterisierte Richtung, hat mit der vor- her besprochenen idealistischen Morphologie offenbar mancherlei Be- rübrungspunkte. Auch Strasburger überlässt die Aufgabe, den Ursachen der Formbildung nachzuforschen, der Physiologie, auch er betont ausdrücklich, dass bei der morphologischen Wertbestimmung von der Funktion gänzlich abzusehen sei. Wie steht es aber mit der realen Grundlage, welche angeblich für die Metamorphosenlehre ge- 1) Strasburger, Noll, Schenk, Schimper, Lehrbuch der Botanik für Hochschulen. Jena. 2) 2. 2.0.2.6 u7. 378 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. wonnen sein soll? Wir werden darüber am besten ein Urteil gewinnen, wenn wir uns an ein konkretes Beispiel wenden. Strasburger schildert an drei typischen Beispielen die bei den Lebermoosen auf- tretenden verschiedenen Stufen der Gliederung des Vegetationskörpers. Nachdem er in Biccia fluitans, ein rein thalloses Lebermoos, in Dlasia pusilla, eine thallose Form mit blattartigen Lappen dargestellt hat, führt er Plagiochila asplenioides als eine Form an, bei welcher die volle Gliederung in Stamm und Blatt sich vollzogen hat. Diese Bei- spiele sollen den Gang der Differenzierung des Thallus zum Cormus veranschaulichen. Strasburger will also hier offenbar die „hypo- thetische Ursprungsform“ für Stamm und Blatt gewinnen, die „Grund- form“, als deren Metamorphose wir alle Blätter bei den Moosen und in den höheren Pflanzengruppen anzusehen haben. Wenn wir zunächst bei dem Gedanken verweilen, dass diese Beispielreihe uns zu der Er- kenntnis der Grundform des Moosblattes verhelfen soll, so müssen wir einwenden, dass die Bildungen, welche man als Blätter der foliosen Lebermoose bezeichnet, durchaus keine homologen Organe sind, dass in der Gruppe der Lebermoose die phylogenetische Entwicklung mehr- mals und auf verschiedenen Wegen von thallosen Ausgangsformen zur Ausgliederung von Stamm und Blatt fortgeschritten ist. Eine wirk- liche einheitliche Ursprungsform für das Blatt der Lebermoose kann also nicht existiert haben. Noch misslieher wird die Sache, wenn die bei den Lebermoosen erreichte Biattbildung zugleich die Grundform für die Blätter der höheren Pflanzen abgeben soll, und anders kann es doch wohl nicht verstanden werden, wenn Strasburger, nachdem er noch das erste Auftreten der typischen Wurzeln bei den Pteri- dophyten besprochen hat, fortfährt: „Mit der Differenzierung in Stamm und Blatt und mit dem Auftreten der Wurzeln war die Gliederung vollzogen, die den höheren Cormophyten zukommt. Es handelt sich weiterhin nur noch um mehr oder weniger tiefgreifende Veränderungen jener Grundformen oder Grundglieder des cormophyten Pflanzenkörpers, somit um deren Metamorphose“. Strasburger hat die Schwierig- keit, die seine Definition der Grundformen als phylogenetischer Aus- gangsformen ihm hier bereitet, auch nicht verkannt, er schreibt: „Ob freilich diejenigen Gebilde, die wir mit gleichen Namen in allen Ab- teilungen der Cormophyten belegen, wirklich homolog sind, muss dahin gestellt bleiben. Vor Allem erscheint es kaum möglich, die cormophyte Gliederung bei den Pteridophyten von derjenigen bei den Bryophyten abzuleiten“. Wenn wir nicht die Homologienlehre der Archegoniaten, um deren Sicherung sich auch Strasburger so große Verdienste er- worben hat, gänzlich ignorieren wollen, so müssen wir erkennen, dass die „hypothetische Urform“ oder die „Grundform“ des Blattes, welche Strasburger annimmt, nichts anderes sein kann, als ein durch Ab- straktion gewonnener Begriff, dem nichts Reales entspricht. Wir haben Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 279 also auch hier im Grunde genommen eine Uebereinstimmung mit der idealistischen Morphologie. Während aber die letztere die Definition ihres Blattbegriffes so umfänglich einrichtet, dass alle existierenden Blatt- formen und alle aus Blättern hervorgangenen Gebilde unter demselben sub- summiert werden können, definiert Strasburger seine Grundform so einfach, jdass alle existierenden Blattformen und alle Blattmetamorphosen aus ihr phylogenetisch sich entwickelt haben können. Weder im einen noch im andern Falle kommt dem Begriffe eine Realität zu. Die Metamorphosenlehre ist also auch bei Strasburger im wesentlichen ideale Abstraktion. Ich komme nun zur Darstellung der Anschauungen, welche der Organographie Goebel’s zu Grunde liegen. Historisch betrachtet sind diese Anschauungen heute nicht als etwas völlig Neues zu be- trachten. Wir begegnen ihnen, wenn auch nicht immer klar ausge- sprochen, schon in den Arbeiten Hofmeister’s!); vom philosophischen Standpunkt aus hat ihnen aufgrund scharfsinniger Naturbeobachtungen schon Herbert Spencer?) in den 60er Jahren das Wort geredet; auch Sachs’) hat dieselben als Prinzipien der Pflanzenmorphologie anerkannt. Goebel hat sie an verschiedenen Stellen seiner Werke besonders ausführlich, soweit sie sich auf die Metamorphosenlehre beziehen, in der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der Pflanzen- organe *) dargelegt und im Widerstreit der Meinungen oft mit Nach- druck verteidigt°). Da es sich hier nicht um eine Darstellung der historischen Entwicklung der Forschungsrichtung handelt, so will ich mich im Folgenden nur auf die in der Organographie Goebel’s zum Ausdruck gebrachten Anschauungen beziehen. Zunächst haben wir zu konstatieren, dass Goebel die Aufgabe der Morphologie viel {weiter fasst, als die Vertreter der vorher be- sprochenen Richtungen. Ihm ist die Kenntnis der verschiedenen Er- scheinungsformen der Gliederung des Pflanzenkörpers nur Mittel zum Zwecke. Der eigentliche Gegenstand der Morphologie ist derjenige Teil der Lebenserscheinungen, welcher in den äußern Gestaltungs- verhältnissen des Pflanzenkörpers seinen Ausdruck findet. Er betrachtet die Teile des Pflanzenkörpers nicht bloß als Glieder, sondern als Organe, als Werkzeuge, welche für ganz bestimmte Verrichtungen besonders ausgebildet sind. Die Morphologie darf nicht von der Funktion der Organe absehen, sondern gerade die Aufdeekung der Beziehungen zwischen Form und Funktion hat sie als eine ihrer Hauptaufgaben zu 1) Hofmeister, Handbuch der physiol. Botanik, Bd.I,, 1868. Allgemeine Morphologie. 2) Spencer, Principles of biology, 1864/67. 3) Sachs gesammelte Abhandlungen, II. Bd., 9. Abteilung. Ueber die kausalen Beziehungen vegetabilischer Gestaltung. 4) Schenk’s Handbuch der Botanik, Bd. III, .. 3) Vergl. z. B. Erwiderung. Bot. Zeitung, 1880, S. 414. 280 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. betrachten. „Sie hat nachzuweisen, inwieweit die Organbildung eine Anpassung an äußere Verhältnisse darstellt und von diesen oder von inneren Beziehungen abhängig ist“). Zur Bezeichnung der verschiedenen Pflanzenorgane sind selbst- verständlich gewisse Namen nötig, denen ein definierbarer Begriff zu srunde liegt. Da aber die fruchtlosen Versuche der idealistischen Morphologie gezeigt haben, dass es nicht möglich ist, einfach definierte Grundbegriffe zu finden, welche für alle die verschiedenen Verwandt- schaftskreise Geltung haben, so verzichtet Goebel auf die Anwendung so allgemeiner Bezeichnungen, wie sie das Caulom und das Phyllom der alten Morphologie sind. Er zieht es vor, allgemeinverständliche Bezeichnungen zu verwenden, welchen innerhalb der einzelnen Gruppen eine bestimmte Bedeutung eigen ist, und hält es Licht für seine Auf- sabe, nunmehr nach der einfachsten möglichen Definition für die ge- wählte Bezeichnung zu suchen oder ein einzelnes durchgreifendes Merkmal für die einzelne Organkategorie aufzustellen; vielmehr kommt es ihm darauf an, die Modifikationen der Organbildung innerhalb der einzelnen Gruppen durch Vergleichung aller Charaktere festzustellen. Unter besonderer Berücksichtigung der Funktion unterscheidet Goebel bei den höheren Pflanzen die folgenden Organkategorien: 1. Die Vegetationsorgane und zwar Wurzel und Spross mit ihren Anhangsgebilden, die man als „Haare“ resp. Emergenzen zusammen- fassen mag. 2. Die Fortpflanzungsorgane: Sporangien und Sexualorgane. Bei den höhern Pflanzen ist der Spross meistens in Sprossaxe und Blatt gegliedert. Wobei indess der Ausdruck Blatt nicht nur für homologe, sondern auch für analoge Glieder gebraucht wird. Die flachen Kurztriebe der Floridee Polyzonia jungermannoides, die Quirl- äste der Charen, die verschiedenartigen an einer Axe ausgegliederten Assimilationsflächen der Lebermoose, die Assimilationsorgane der Laub- moose, der Farne und der höhern Pflanzen werden übereinstimmend als Blätter bezeichnet, unter der ausdrücklichen Bemerkung, dass mit diesem Namen über den morphologischen Wert der betreffenden Organe noch nichts ausgesagt ist. Die idealistische Morphologie bestimmte den morphologischen Wert eines Gebildes, wie wir gesehen haben, durch Deduktion aus der Definition der Organbegriffe; z. B. Trichome sind diejenigen über die Oberfläche des Pflanzenkörpers hervorragenden Gebilde, welche an Stelle von Epidermiszellen entstanden sind. Die Sporangien der meisten Farne entstehen aus Epidermiszellen, folglich sind dieselben Trichome. Für die Auffindung der Merkmale, welche dieser Wertbestimmung zu grunde liegen, genügt also die Untersuchung des fertigen Zustandes 41) a. 2.0. p. I. Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 28 am Pflanzenkörper. Die vergleichend - phylogenetische Richtung leitet den morphologischen Wert der Organe einzig aus der Homologie der- selben mit typischen Organen verwandter Arten ab. Auch sie be- gnügt sich mit der Betrachtung der erwachsenen Pflanze und kann ihre Untersuchung auch an totem Material im ganzen Umfang zu Ende führen. Goebel weist nun die Untersuchungsmethoden der beiden älteren Richtungen durchaus nicht zurück. Auch er sucht fest- zustellen, welche Stellung ein Organ, dessen morphologischer Wert erkannt werden soll, in der Gesamtentwicklung der Pflanze einnimmt und welchem Organ einer verwandten Pflanze es entspricht. Aber er begnügt sich mit den so gewonnenen Merkmalen nicht. Ausgehend von dem Satze, dass jede tiefer greifende Gestaltveränderung einer Funktionsänderung entspricht, erörtert er die Frage, durch welchen Umbildungsprozess das Organ, dessen morphologischer Wert zu be- stimmen ist, zustande kam, oder mit andern Worten, welcher Funk- tionswechsel stattgefunden hat. Zu der Konstatierung der Stellungs- verhältnisse an der erwachsenen Pflanze kommen also als wichtige Untersuchungsmethoden noch das Studium der Entwicklungsgeschichte und das Experiment an der lebenden Pflanze in Betracht. Ich will, um den prinzipiellen Unterschied zwischen den verschie- denen Richtungen in der Pflanzenmorphologie nach Möglichkeit klar hervorzuheben, ein konkretes Beispiel anführen. Bei Acer platanoides sind, wie bei zahlreichen Laubbäumen, die Knospen, aus denen sich in der nächsten Vegetationsperiode die jungen Laubtriebe entwickeln sollen, durch braune Schuppen umhüllt. Diese Schuppen stehen in der gleichen Anordnung wie die Laubblätter am Grunde des jungen, in Winterruhe befindlichen Sprosses.. Die idealistische Morphologie schließt aus dieser Stellung der Knospenschuppen, dass dieselben unter den durch die Stellung zur Axe definierten Begriff des Blattes fallen, also metamorphosierte Blätter sind. Die vergleichend-phylogenetische Morphologie konstatiert außerdem, dass bei manchen perennierenden Laubgewächsen, z.B. bei Viburnum, an Stelle der Knospenschuppen, wirkliche Laubblätter stehen, welche während der Winterruhe im Jugendzustande verharren und im Frühling sich normal entfalten. Sie folgert daraus, dass Knospenschuppen und Laubblätter homologe Organe sind, dass bei der gemeinsamen Stammpflanze der Bäume mit Knospen- schuppen und derjenigen mit offenen Knospen am Grunde der Jahres- triebe nur Laubblätter vorhanden waren, aus denen in der einen Nach- kommenreihe im Laufe der phylogenetischen Entwicklung Knospen- schuppen geworden sind. Die Untersuchung der ontogenetischen Ent- wicklung und das Experiment ergeben dagegen das positive Resultat, dass jede Knospenschuppe bei Acer platanoides durch reale Umwand- lung einer Laubblattanlage entsteht. Untersucht man das Organ, welches im ausgewachsenen Zustande eine Knospenschuppe darstellt, 282 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. im Jugendzustande, so unterscheidet es sich nicht von einer normalen Laubblattanlage, d. h. es hat alle Teile, die einem Laubblatt zu- kommen, auch diejenigen, welche an der Knospenschuppe nicht zur Entwicklung kommen, wie z. B. die Blattspreite, in normaler Weise angelegt. Dass dieses jugendliche Organ auch nach seiner innern Organisation die Fähigkeit, zum normalen Laubblatt zu werden, noch besitzt, lässt sich durch das Experiment erweisen. Entfernt man von einem jungen Trieb alle zur Entwicklung kommenden Laubblätter, so wachsen diejenigen Laubblattanlagen der Endknospe, welche im nor- malen Lauf der Entwicklung bestimmt sind, sich in Knospenschuppen zu verwandeln, zu normalen Laubblättern aus. Die Triebe von Acer tragen also im jugendlichen Stadium keineswegs indifferente Blatt- anlagen, sondern Laubblattanlagen, welche durch ihre Gestalt und ihre Fähigkeit zur Laubblattbildung deutlich charakterisiert sind. Wenn einige von ihnen zu Knospenschuppen werden, so handelt es sich um die wirkliche Umwandlung eines Laubblattes in eine Knospenschuppe, welche zu der Funktionsänderung in engster Beziehung steht. Das angeführte Beispiel zeigt uns zugleich, in welchem Sinne Goebel von realer Metamorphose spricht. Er fasst den Metamorphosen- begriff zunächst im ontogenetischen Sinne. Wenn sich zeigen lässt, dass im Entwicklungsgange eines Individuums ein jugendliches Organ bestimmten morphologischen Wertes einen von der Norm abweichenden Entwicklungsgang einschlägt und entsprechend der veränderten Form eine andere Funktion übernimmt, so liegt eine reale Metamorphose vor. Die Abänderung des Entwicklungsganges kann an der Organanlage in verschiedenen Altersstufen auftreten. Die basalen Laubblattanlagen von Lilium candidum entwickeln sich zunächst zu normalen Laub- blättern. Später geht die assimilierende Blattspreite zu grunde, wäh- rend der scheidenförmige Blattgrund zur reservestoffhaltigen Zwiebel- schuppe anschwillt. In dem angeführten Beispiel von Acer platanoides beginnt die Metamorphose viel früher, immerhin aber lässt sich die Laubblattnatur der Organanlagen aus dem Vorhandensein einer Blatt- spreite und durch das Experiment noch sicher erkennen. In andern Fällen trifft die Abänderung des normalen Entwicklungsganges ein noch jüngeres Stadium der Anlage, so dass die eigentliche morpho- logische Natur der letzteren mit unseren Hilfsmitteln nicht mehr dir.kt erkannt, sondern nur durch Vergleichung erschlossen werden kann. Wir können aber offenbar auch in solchen Fällen nicht von indifferen- ten Anlagen sprechen, da zwischen diesen extremen Fällen und den eben angeführten alle Uebergänge existieren. Ja es giebt zahlreiche Fälle, in denen derartige Uebergänge an ein und demselben Pflanzen- individuum nebeneinander zur Beobachtung kommen. So stehen häufig an einzelnen Langtrieben der Berberitze unten Blätter mit dornigen Zähnen, an der Spitze typische fünf- oder dreizählige Dornen, zwischen Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 283 den beiden Extremen alle Mittelformen in sanfter Abstufung!). Diese Erscheinung erklärt sich einfach dadurch, dass die Metamorphose an den ersten Blattanlagen ziemlich spät, an den jüngeren allmählich immer früher eintritt. So lange überhaupt noch ein Stück der Blatt- spreite zur Entwicklung gelangt, ist kein Zweifel, dass die Anlagen, aus denen die Gebilde hervorgehen, wirkliche Laubblattanlagen sind: es wäre doch widersinnig, wenn man in dem extremen Falle, in welchem die Metamorphose der Anlage so früh einsetzt, dass unsere Untersuchungsmittel uns die Erkennung der Anlage als einer Laub- blattanlage nicht mehr ermöglichen, von einer indifferenten Anlage sprechen wollte, oder das Gebilde von allem Anfang an als eine Dornanlage ansehen wollte, während noch das nächstvorhergehende Gebilde derselben Art eine typische Laubblattanlage war, die aber durch frühzeitige Metamorphose zu einem dem typischen Dorn sehr ähnlichen Gebilde erwuchs. Die Frage, welcher Natur die Eigenschaften sind, welche ein äußerlich noch völlig ungegliedertes Zellhöckerehen zur Laubblatt- anlage machen, lässt sich vorerst nur durch eine Hypothese beant- worten. Goebel schließt sich in dieser Beziehung der von Sachs?) vertretenen Ansicht an, dass die formale Verschiedenheit der Pflanzen- organe die Foige einer stofflichen Verschiedenheit ist, dass es in der Pflanze besondere blütenbildende, laubblattbildende ete. Substanzen gebe, durch deren Vorhandensein auch den noch völlig unentwickelten Anlagen ein bestimmter Charakter gegeben wird. Er denkt sich dabei nicht die ganze lebende Snbstanz der jugendlichen Anlage oder des ausgewachsenen Organes aus dem charakteristischen Stoff bestehend, vielmehr nimmt er an, dass vom Protoplasma enzymähnliche Sub- stanzen gebildet werden, durch deren innere Reizwirkung die Form- bildung in den wachsenden Organen beherrscht wird. Durch die Konkurrenz verschiedenartiger Wuchsenzyme?) kommen die Meta- morphosen und unter besondern Umständen auch Missbildungen zu stande. Neben den von den angenommenen Wuchsenzymen ausgehenden inneren formativen Reizen, weiche den morphologischen Wert der An- lage bestimmen, kommen dann für die Formbildung der Pflanzenorgane noch zweierlei Faktoren in Betracht: einmal die Korrelationen d. h. 1) Vergl. A. Mann, Was bedeutet Metamorphose in der Botanik. Disser- tation. München 1894. 2) Sachs gesammelte Abhandlungen, II. Bd., S. 1159. Stoff und Form der Pflanzenorgane. 3) Der Ausdruck Wuchsenzyme ist zuerst von Beyerinck (Bot. Zeitg., 1888, S. 20/21 u. 25) im obigen Sinne gebraucht worden, welcher bei der Unter- suchung von Gallenbildungen zu ähnlichen Schlüssen gelangt, wie Sachs in seiner oben zitierten Arbeit über Stoff und Form. 984 Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. die gegenseitige Beeinflussung der Organe untereinander und ferner die Beeinflussung durch äußere Umstände, die Gravitation, das Licht u. a. m. Die Einwirkung der äußern Agentien ist, soweit dieselbe nicht direkt mechanisch modellierend wirkt, nur als Reiz aufzufassen, d. h. sie bildet nur den Anstoß für eine Veränderung des Entwick- lungesganges, welche zu der Gestaltveränderung führt. In vielen Fällen erscheinen die Gestaltänderungen, welche die Pflanzen unter dem Ein- fluss der äußern Umstände erfahren, als zweckmäßige Anpassungen an die veränderten Verhältnisse. Goebel sucht diese Thatsache durch Selektion zu erklären, indem er annimmt, dass nur diejenigen Ab- hängigkeitsverhältnisse zwischen der Pflanzenform und der Außenwelt sich erhalten haben, welche zweckmäßig waren. Für diese Auffassung spricht die durch Experimente erschlossene Beobachtung, dass in den- jenigen Fällen, wo zwei äußere Faktoren wirken, oft die Anpassung an den einen derselben erreicht wird durch Formänderungen, welche der andere induziert. Die chemisch-wirksamsten Strahlen des Sonnen- lichtes bewirken, dass die Sprosse durch beliotropische Bewegungen ihre Blätter in eine günstige Lichtlage bringen; für die Assimilation kommen aber diese Strahlen nicht in Betracht, sondern vielmehr die im Sonnenlicht mit ihnen verbundenen gelben Strahlen), welche ihrer- seits keine heliotropische Krümmung zu veranlassen vermögen. Die Stellung der Geschlechtsorgane auf der Unterseite der Formprothallien erscheint als eine Anpassung an die Feuchtigkeitsverhältnisse. Der äußere Reiz, der diese Stellung verursacht, geht aber vom Licht aus. Entgegen der exakt beweisbaren realen Metamorphose in dem oben dargelegten Sinne bleibt die Metamorphose im phylogenetischen Sinne stets hypothetischer Natur schon aus dem Grunde, weil anzunehmen ist, dass in den verschiedenen Entwicklungsreihen, welche sich von einer einfachen Stammform aus entwickelt haben, gleiche oder ähn- liche Organdifferenzierung unabhängig von einander eingetreten sei. Goebel sucht das Auftreten solcher Parallelbildungen in verschie- denen phylogenetischen Entwicklungsreihen durch die Annahme er- klärlich zu machen, dass allen Nachkommen von der Stammform her eine begrenzte Anzahl von übereinstimmenden Entwicklungsmöglich- keiten?) vererbt wurde, deren Realisierung in den Gliedern der ver- 4) Die gegenteilige Behauptung von Macagno (Bot. Zeitg., 1874, S. 544) dürfte auf Beobachtungsfehlern beruhen. Ebenso sind die neuerdings von Kohl zum Beweise des Gegenteils unternommenen Experimente wenigstens nach ihrer Beschreibung in den Berichten der deutschen botan. Gesellschaft nicht ausreichend, um die übereinstimmenden Resultate zahlreicher anderer Forscher zu entkräften. 2) Eine ähnliche Ansicht wurde von mir in einer Arbeit über die Ent- wicklungsreihen der parasitischen Exoasceen ausgesprochen; vergl. Flora 1895 Ergänzungsband S. 323 ff. Giesenhagen, Forschungsrichtungen der Pflanzenmorphologie. 285 schiedenen Nachkommenreihen zu verschiedenen Epochen und gänz- lich unabhängig von einander erfolgen kann. Trotz ihrer hypothetischen Natur behält aber auch die Annahme einer Metamorphose im phyletischen Sinne für die morphologische Be- trachtung ihren Wert besonders als eine unserm Kausalitätsbedürfnis entsprechende Grundlage für die Homologienlehre und als Ausgangs- punkt für eine wissenschaftliche Fragestellung. Es ist wohl nicht zu verkennen, dass die von Goebel in seiner allgemeinen Organographie der Pflanzen vertretenen Anschauungen, deren theoretische und lıypothotische Grundlagen ich im Vorstehen- den in kurzen Zügen zu skizzieren versuchte, der wissenschaftlichen Pflanzenmorphologie einen neuen reicheren Inhalt gegeben und ein weites der induktiven Forschung zngängliches Arbeitsfeld erschlossen haben. Der umfangreiche Stoff ist in dem neuen Buche intensiv geistig verarbeitet und in anregender Darstellung dem Leser dargeboten. Der Natur des Werkes als einer ersten Zusammenfassung der Forschungs- resultate auf einem noch verhältnismäßig wenig bearbeiteten weiten Gebiete entspricht es, dass die Behandlung der einzelnen Abschnitte keine gleichmäßige ist. Das Buch ist eben zum größten Teil aus der eigenen wissenschaftlichen Spezialarbeit des Verfassers hervorgewachsen; und gerade, indem es zeigt, wo unter der veränderten Fragestellung Lücken in dem Lehrgebäude der Pflanzenmorphologie sich aufthun, giebt es überall für neue Forschungen Anregung und Fingerzeige. Dem Erscheinen des zweiten Bandes, welcher die spezielle Organo- graphie der Pflanzen behandeln soll, dürfen wir mit Interesse ent- gegensehen. Eine Uebersicht über die in dem neuen Werke dargestellten speziellen Forschungsresultate zu geben, verbietet mir die Rücksicht auf den Raum. Ich halte das auch für überflüssig; jeder, der sich mit den einschläglichen Fragen beschäftigt, wird doch das Buch selber zur Hand nehmen müssen, schon weil es nicht bloß eine Zusammen- stellung des bisher schon Bekannten ist, sondern über manche neue, bisher noch nicht publizierte Original-Untersuchungen des Verfassers berichtet. Auch auf die Behandlung entwicklungsgeschichtlicher Fragen von allgemeinen Gesichtspunkten aus dürfte Goebel’s Werk bald einen Einfluss gewinnen; wenigstens wird es wohl verhindern, dass in Zukunft die gesicherten Resultate exakter Forschung auf dem Gebiete der Pflanzenmorphologie so gänzlich ignoriert werden, wie es in letz- ter Zeit selbst von seiten hervorragender Entwicklungstheoretiker mehr als einmal geschehen ist. [40] 286 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. Von Dr. med. E. Ballowitz, Prof. extraord. der Anatomie an der Universität Greifswald. Ringförmige und durchlöcherte Kerne sind in den verschiedensten Zellenarten mehrfach beobachtet worden. So wurden sie gefunden in den Markzellen und Riesenzellen des Knochenmarkes [J. Arnold'!), Sanfelice?), Denys°) und Andere], in den Riesenzellen der embryonalen Leber von Säugetieren [van der Strieht®), von Kostanecki?’)], in den Lymphdrüsen- und Milzzellen des Menschen |Arnold®)], in den Wanderzellen der Amphibien [Arnold”), Flemming®)], in den Zellen der Milz weißer Mäuse |Arnold?°)], überhaupt in den Elementen normaler Gewebe von Maus und Ratte |[Reinke!P)], in den Leukocyten der Iymphatischen Randschicht 4) J. Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kernteilungen in den Zellen des Knochenmarkes. Virchow’s Archiv, Bd. 93, 1883. Derselbe, Weitere Beobachtungen über die Teilungsvorgänge an den Knochenmarkzellen und weißen Blutkörpern. Virchow’s Archiv, Bd. 97, 1884. 2) Sanfelice, Genesi dei corpuscoli rossi nel midollo delle ossa dei vertebrati, Napoli, Bollet, della Soc. dei naturalisti, 1889. Derselbe, Contributo alla fisiopatologia del midollo delle ossa. Bolle- tino della Soc. d. Naturalisti Napoli, Ser. 1, Vol. 4, 1890. (Citiert nach Flem- ming’s Referat in den Ergebnissen der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, IE DBd., 2.94.) 3) Denys, La cytodierese des cellules geantes et des petites cellules incolores de la moelle des os. La Cellule, Tome II, 1886. 4) van der Stricht, Le developpement du sang dans le foie embryon- naire. Archives de Biologie, Tome XI, 1891. Vergl. auch: van der Stricht, Nouvelles recherches sur la genese des globules rouges et des globules blanes du sang. Archives de Biologie, Tome XII, 1892. 5) von Kostanecki, Die embryonale Leber in ihrer Beziehung zur Blut- bildung. Anatomische Hefte, Bd.I, 1892. Derselbe, Ueber Kernteilung bei Riesenzellen nach Beobachtungen an der embryonalen Säugetierleber. Ebenda Bd. I, 1892. 6) J. Arnold, Ueber Kern- und Zellbildung bei akuter Hyperplasie der Lymphdrüsen und Milz. Virchow’s Archiv, Bd. 95, 1894. 7) J. Arnold, Ueber Teilungsvorgänge an den Wanderzellen, ihre pro- gressive und regressive Metamorphose. Archiv f. mikr.” Anat., Bd. 30, 1887. 8) Flemming, Ueber Teilung und Kernformen bei Leukocyten und über deren Attraktionssphären. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd.37, 1891. Derselbe, Neue Beiträge zur Kenntnis der Zelle. Ebenda Bd. 37, 1891. 9) J. Arnold, Weitere Mitteilungen über Kern- und Zellteilungsvorgänge in der Milz; zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der von der typischen Mitose abweichenden Kernteilungsvorgänge. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 31, 1888. 40) Fr. Reinke, Untersuchungen über die Beziehung der von Arnold beschriebenen Kernformen zur Mitose und Amitose. Inaugural- Dissertation. Kiel 1891. Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 287 der Salamanderleber |Göppert')], in den Bindegewebszellen der Sala- manderlarve [Flemming?)] und von weißen Ratten |Poljakoff?)], in den Lungen- und Bauchfellepithelien der Salamanderlarve (hier nur vereinzelt) |Flemming*)|, im den Epithelzellen einer pathologisch veränderten Harnblase vom Salamander [Flemming°)], in den Epi- dermiszellen von Triton |vyom Rath®)], in dem Epithel von Amphioxus- Larven [Hatscheck’)|;, in den Epithelien des Hodens von Triton [Bellonei°®)] und von Salamandra |Meves’)| und schließlich auch in den Fettzellen des Menschen, der Säugetiere und Amphibien Back"), Unna) Meves!2), H.’Rabl')]. In neuerer Zeit haben die Ringkerne dadurch sehr an Interesse sewonnen, dass ganz bestimmte Beziehungen zwischen ihnen und der Zellsphäre, in. manchen Fällen wenigstens, entdeckt wurden !*), 4) Göppert, Kernteilung durch indirekte Fragmentierung in der Iympha- tischen Randschicht der Salamanderleber. Archiv f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891. 2) Flemming, Zelle. Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, III. Bd., 1893 (1894), S. 108. 3) Poljakoff, Ueber eine neue Art von fettbildenden Organen im lockeren Bindegewebe. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 32, 1888, 5. 138 u. 139. 4) 1. ec. Siehe unter 8) der vorigen Seite. 5) Flemming, Amitotische Kernteilung im Blasenepithel des Salamanders. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 34, 1889. 6) vom Rath, Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Salamandra maculosa. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, Bd. 57, 1893. 7) Verhandlungen der anat. Gesellschaft auf der dritten Versammlung in Berlin, 1889, 8. 13. 8) Bellonei, Sui nuclei polimorfi delle cellule sessuali degli amfıbii. Memorie della R. Accademia delle Scienze dell’ Istituto di Bologna. Seria quarta, Tomo VII, 1886. 9) Meves, Ueber eine Art der Entstehung ringförmiger Kerne und die bei ihnen zu beobachtenden Gestalten und Lagen der Attraktionssphäre. Inaug.- Dissert., Kiel 1893. Vergl. auch Moore, On the Relationship and Role of the Archoplasm during Mitosis in the Larval Salamander. Quarterly Journal of Microscopical Seience, Vol. XXXIV, 1893, p. 181. 10) Sack, Ueber vakuolisierte Kerne der Fettzellen mit besonderer Berück- sichtigung des Unterhautfettgewebes des Menschen. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 46, 1895, 8.431. 14) Unna, Zur Kenntnis der Kerne. III. Lochkerne des subkutanen Fett- gewebes. Monatsh. f. prakt. Dermatologie, Bd. XX, Nr. 11, 1. Juni 1895, S. 605. Derselbe, Ueber die Lochkerne des Fettgewebes. Deutsche Medizinal- Zeitung, Jahrg. 1896, S. 625. 12) Monatshefte f. prakt. Dermatologie, Bd. XX, Nr.11, 1. Juni 1895, S. 607. 13) H. Rabl, Ueber die Kerne der Fettzellen. Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 46, 1896. 14) Für die Lochkerne der Fettzellen trifft dies nicht zu. Hier hat das Kernloch nichts mit einer Zellsphäre zu thun, sondern entsteht nach Sack und Unna in Folge von Vakuolisierung und Durchbruch der Vakuole durch den Kern. | 388 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ıhre Entstehung und Vermehrung. Flemming hat zuerst von den ringförmigen Kernen wandernder Leukocyten der Salamanderlarve beschrieben, dass die Zellsphäre mit den Centralkörpern in dem Bereich des Kernringes gelegen ist. Dabei füllt die Sphäre den Innenraum des Ringes aber nicht aus, sondern liegt ihm stets einseitig gegenüber und dabei nahe am Kern, so- dass „ein Loth, das man sich von ihrem Centralkörper!) gegen die Ebene des Kernringes gefällt denkt, ungefähr in dessen Mitte treffen würde. Sphäre und Kern liegen einander dabei so nahe, dass beim Einblick in den Kernring das Centralkörperchen in diesem zu liegen scheint; jedoch man erkennt an diesen großen Zellen schon durch die Einstellung, dass dies nicht so ist, dass die Sphäre vielmehr an einer Seite des Ringes gelegen ist; sie mag sich vielleicht in diesen mit der zugewendeten Kuppe etwas eindrängen, der Centralkörper liegt aber jedenfalls außerhalb der Mittelebene des Ringes“. Aus den der Ab- handlung beigegebenen Figuren (l. c. Tafel XIV, Fig. 13 u. Fig. 22) wird ersichtlich, dass die Sphäre auch merklich kleiner als der Binnen- raum des Kernringes ist. Schon in einer früheren Mitteilung über Lochkerne im (pathologischen) BlasenepitheldesSalamanders hatte Flemming erwähnt, dassineinigen Fällen anscheinend im Innern der Löcher Differenzierungen des Zell- leibes in Gestalt von Fäden und Körnern auftraten und hatte dort bereits die Vermutung, ausgesprochen, dass diese Dinge der Attrak- tionssphäre entsprechen könnten. Bei dem Vergleich mit den neuen Präparaten von Leukocyten zweifelte Flemming nicht, dass auch bei diesem Blasenepithel Sphären vorlagen, welche aber in Folge der Unzulänglichkeit des damals benutzten Fixierungsmittels (Chromsäure) nur mangelhaft konserviert waren. Ebenso ist Flemming geneigt, in demselben Sinne die Strukturen zu deuten, welche schon Arnold an den ringförmigen Kernen mehr- fach besprochen und gezeichnet hat, und welche darin bestanden, dass in der Mitte der hellen Felder der Kernringe sehr häufig ein glänzen- des Korn gelegen war und einzelne lichte Fädchen in der Substanz der vermeintlichen Vakuole eingebettet erschienen. „Arnold deutete dort allerdings die Entstehung dieser Dinge als eine Metamorphose im Kern selbst und betrachtete offenbar das betreffende Korn und die Fädchen als spezielle Erscheinungen der Fragmentierung und als aus dem Kern hervorgegangen. Da er aber kleinere Objekte vor sich hatte, lässt sich gewiß daran denken, dass es sich auch bei diesen seinen Bildern um Centralkörper und Sphären gehandelt hat.“ (Flem- ming, l. c. pag- 282.) 4) Flemming nahm damals noch an, dass sich in der Sphäre der Leuko- eyten nur ein Centralkörper befände. Inzwischen ist bekanntlich von ihm und M: Heidenhain die Duplizität der Centralkörper bei den Leukocyten als Regel nachgewiesen worden. Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 38J Auch Reinke gelang es, in den Lichtungen von Lochkernen des Peritonäalepithels und von ausgewanderten weissen Blutkörperchen der Ratte vermittelst pikrinsauren Kalis einen kleineren oder größeren run- den Körper leuchtend hellgelb zu färben, von dem er annimmt, dass es die veränderte Sphäre gewesen ist. - In gleicher Weise konstatierten van der Stricht und von Kostanecki') in den Ringkernen der Riesenzellen (embryonale Leber, Knochenmark) die Lage der Sphäre innerhalb des Ringlumens; außer der Sphäre befand sich in letzterem aber noch reichliches Proto- plasma. Nach M. Heidenhain besitzen indessen die Kerne der Riesen- zellen des Knochenmarkes die Form diekwandiger, polymorpher Hohl- kugeln, welche fenster- oder kanalartige Durchbrechungen der Wände zeigen; nur auf Durchschnitten durch die mittleren Teile der Hohl- kugeln erscheinen die Kerne naturgemäss ringförmig. Auch dieser Autor stellte fest, dass die aus bisweilen über 100 Centralkörperchen bestehenden Centralkörper-Hauptgruppen sich innerhalb der Kernhöhle in reichlichem „Endoplasma“ befanden. Außerdem kamen auch Central- körper-Nebengruppen außerhalb der Kernhöhlung zur Beobachtung, die dann stets in Einbuchtungen der äußeren Kernfläche lagen. Von ganz besonderem Interesse sind die Beobachtungen von Meves an den Spermatogonien des Salamanderhodens, weil sie Auf- schluss über die Entstehung dieser Kernformen bringen. Meves fand nämlich, in Bestätigung und Ergänzung der früheren Angaben von Bellonei, dass die Ringkerne in unmittelbarem Anschlusse an die mitotische Kernteilung entstehen und zwar folgendermaßen (l. e. pg. 9). „Bei der mitotischen Teilung der Spermatogonien bildet sich an den Tochtersternen die Membran relativ früh und zwar nicht nur am äußeren Kernumfang, sondern auch im Umkreis des von der Central- spindel passierten Kernbinnenraumes. Auf diese Weise entstehen durch eine Abweichung vom gewöhnlichen Verlaufe der Mitose Ringkerne, welche zunächst noch entsprechend ihrer Entstehung aus Tochtersternen eine radiäre Anordnung des Chromatins um das Kernloch aufweisen und in letzterem anfangs noch den polaren Teil der Spindeifasern be- herbergen. Diese letzteren werden im Endstadium der Mitose, im Dispirem, durch die chromatische Figur hindurch polwärts gegen jeden der beiden Centralkörper zusammengezogen, sodass dadurch die Ringform entsteht. Das Loch dieser Kernringe zeigt gleich nach der Entstehung sehr verschiedene Dimensionen. Zuweilen, bei platten Tochterkernen, ist es so weit, dass die grosse Attraktionssphäre dieser Zellen im kugeligen 4) v. Kostanecki, Ueber Kernteilung bei Riesenzellen nach Beobach- tungen an der embryonalen Säugetierleber. Anatomische Hefte, Bd. I, 1892, Seite 325. XVII. 19 390 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung Zustande bequem in ihm Platz findet. Häufig aber, bei mehr kugeligen Tochterkernen, ist es eng und in der Richtung der Durehbohrung lang gestreckt. Die Kernringe sind nicht überall gleich dick und zeigen außerdem zuweilen an ihrer äußeren Peripherie leichte Einkerbungen“. Aus der sehr genauen Schilderung, welche Meves von diesen Ringkernen und der Lage und Form ihrer Sphäre entwirft, möge noch Folgendes Platz finden. „Das Kernloch scheint während der Rückkehr des Chromatins zum Ruhezustand und auch später noch gewöhnlich seine Gestalt zu ändern; bei ursprünglich in der Richtung der früheren Spindelaxe stark abgeplatteten Ringkernen wird es meist länger und enger, in- dem der Kern aus der Scheibenform, welche er im Stadium des Dis- pirems besaß, in eine mehr kugelige Gestalt übergeht. Häufig findet man grosse, ganz oder nahezu kugelige Kerne, bei welchen nur noch das Loch an eine überstandene Mitose erinnert. Der Durchmesser des Loches ist häufig so gering geworden, dass es seiner Kleinheit wegen sehr leicht zu übersehen ist. Ganz zu verschwinden scheint jedoch das Kernloch bei den Sperma- togonien in den allermeisten Fällen nicht; sondern es erhält sich bis zum Eintritt der nächsten Kernteilung, sei es, dass dieselbe auf dem Wege der Mitose oder der Amitose vor sich geht. Die völlig rekonstituierte Sphäre hat in den einfachsten Fällen die Gestalt eines kugeligen Körpers und liegt nicht selten im Kernloch in der Mittelebene des Kernrings, meistens aber mehr an der polaren Seite des Kernes, entweder so, dass sie mit einer Kuppe in dieses hineinragt, oder ganz außerhalb des Kernrings „dem Innenraum des- selben gegenüber“, also in derselben Weise, wie Flemming es für die Leukocyten angegeben hat. „In demselben Lageverhältnis zum Ringkern findet man aber nicht selten auch kugelige Sphären auf der aequatorialen Kernseite.“ In vielen Fällen jedoch tritt die rekonstruierte Sphäre bei Ring- kernen im Stadium des Dispirems in sehr mannigfaltigen Gestalten auf und kann ei-, birnen- oder kegel- selbst stecknadelförmig aussehen. Der spitze Pol der Sphäre ragt dabei in das Kernloch hinein. Meves ist der Ansicht!), dass alle ursprünglich von der Kugelform abwei- chenden Gestalten der Sphäre, indem ihre Masse sich mehr und mehr rundet und Fortsätze zur Hauptportion eingezogen werden, am Ende in kugelige Gebilde übergehen. Meves?) stellt schließlich die Vermutung auf, dass möglicher- 2) 1er. 18: 2) In einer kürzlich erschienenen Abhandlung über die Entwicklung der wännlichen Geschlechtszellen von Salamandra maculosa (Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 48, 1897, S.24) kommt Meves auf seine früheren Mitteilungen zurück und bringt auf Taf. II seiner Arbeit noch eine Anzahl von Abbildungen, Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 391 weise der Entstehung ringförmiger Kerne im Anschluss an die Mitose eine allgemeinere Bedeutung zukommt, wenn es auch nicht der einzige Weg zu sein braucht, auf welchem Ringkerne entstehen. Noch weiter geht von Kostanecki'), welcher es als eine all- gemeine Erscheinung der Zellteilung (bei Säugetieren) schildert, dass die Kerne der Dispiremphase in Stadien, wo sie an ihrem äußeren Umfang schon eine Membran besitzen, in ihrer Mitte noch eine weite, ungeschlossene, annähernd kreisförmige Oefinung aufweisen, durch welche die noch nicht einbezogenen Centralspindelfasern zum Polfeld hinaufrücken sollen. „Es stellen also die Kerne in der Dispiremphase dann, wo ihre Membran sich am äußeren Umfange zu bilden beginnt, wirkliche „Lochkerne“ dar, wie man sich bei günstiger Lage der Chromosomen-Tochterfigur überzeugen kann.“ Auch Flemming?) erwähnt, dass er einzeln auch Kerne fixer Zellen in Endstadien der Dispiremform mit Löchern gefunden hat. Ueberhaupt scheint Flemming geneigt zu sein, für die Ring- und Lochkernform, die nicht selten z. B. in Bindegewebs-, Endothel- und Epitbeizellen (Lunge), sowie auch bei den Leukocyten ?) im Bauchfell der Salamanderlarve zu finden sind, eine gleiche Entstehung aus Tochterkernen der Mitose in Folge von Durchwanderung der Polkörper und Sphärenteile anzunehmen. Auch die äußerst stark hufeisenförmig gebogenen Tochterkerne, die man in den eben erwähnten Geweben der Salamanderlarve oft genug trifft, können nach ihm so gedeutet werden ®). Entgegen der Meinung von vom Rath?°), wonach derartige Loch- kern-Mitosen als abnorme anzusehen seien und eine weitere Teilungs- fähigkeit der daraus hervorgegangenen Ringkerne sehr unwahrschein- lich sei, betont Flemming®), dass kein Grund vorliegt, „den Mitosen, aus welchen Ringkerne entstehen, einen so gefährlichen Charakter zu geben.“ Flemming fand, „dass an solchen Stellen, wo im Larven- bindegewebe mitotische Tejlungen von Leukocyten reichlich vorkommen, welche die obengeschilderte Entstehung der Ringkerne und die Lage ihrer Sphären bei den großen Spermatogonien des Salamanders illustrieren. 4) von Kostanecki, Ueber die Schicksale der Centralspindel bei karyo- kinetischer Zellteilung. Anat. Hefte, 2. Band, 1892. 2) Flemming, Zelle. Ergebnisse der Anatomie u. Entwicklungsgeschichte, Ba. 1I, 1892 (1893), S. 57. 3) Flemming, Zelle. Ergebnisse der Anat. u, Entwicklungsgeschichte, 1895 (1896), S. 388, Anmerk. 4) Vergl. auch Flemming, Zelle. Ergebnisse der Anat. u. Entwicklungs- gesch., Bd. III, 1893 (1894), S. 108. 5) vom Rath, Beiträge zur Kenntnis der Spermatogenese von Salamandra maculosa. Zeitschr: f. wissensch. Zoologie, Bd. 57, 1893. 6) Flemming, Zelle. Ergebnisse der Anat. u, Entwicklungsgeschichte, Ba. III, 1893 (1894), S. 124. I 399 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. die meisten davon, wenn nicht vielleicht gar alle, mit Lochkernbildung verlaufen. Hierbei werden die Kernlöcher in allen Uebergängen bald groß, bald kleiner, bald ganz winzig gefunden, was doch wohl am nächsten auf ein Wiederverstreichen dieser Löcher zu deuten sein wird. — Es bleibt ja Geschmackssache, ob man die zu Ringform führenden Mitosen abnorm oder atypisch nennen will oder nicht; jeden- falls repräsentieren sie "einen etwas abweichenden Hergang bei der Teilung, der nur bei einzelnen Zellenarten vorkommt, denn bei den meisten lässt sich nichts davon bemerken. Aber dafür, dass diese Ringkernmitosen allgemein Zeichen von Degeneration oder Steril- werden der betreffenden Zellen sein sollten, lässt sich kein Grund er- sehen.“ Hierher gehört auch die Bemerkung von Lauterborn!), dass die Tochterkernfiguren bei Surirella anfangs ringförmig sind. Von den sonst noch über die Genese der Ringkerne geäusserten Ansichten interessieren hier nur die Angaben von Arnold, Denys, Reinke und Hatscheck. Arnold?) hat schon die Möglichkeit erörtert, dass die Ringkerne durch Verschmelzung der beiden freien Enden eines hufeisenförmigen Kerns entstehen können, wie es von Denys?) für die Ringformen unter den Riesenzellen in der That behauptet ist. Reinke glaubt schließen zu können, dass die Lochkerne der Milzzellen aus einer „Speichenform“ der Kerne hervorgehen. Zugleich macht dieser Autor die interessante Angabe‘), dass es ihm am Bauch- fell der Ratte gelungen sei, die Ringkerne willkürlich hervorzurufen. „Wenn man diese Tiere zu Tode chloroformiert und das Mesenterium mit der Luft in Berührung setzt ohne größere Verletzungen, oder in- dem man Kochsalzlösung von etwas geringerer oder etwas höherer Temperatur, als ihre Bluttemperatur ist, in die Bauchhöhle vorsichtig spritzt, so zeigen sich nach einigen Stunden unter den Endothelien und den ausgewanderten Blutkörperchen zahlreiche derartige Ring- kerne, die teilweise sich in zwei oder mehr Hälften zerlegen und wohl schließlich fragmentierte Kerne liefern.“ Reinke vermutet, dass „in Folge der durch den angewandten Reiz hervorgerufenen Veränderung der Sphäre vielleicht die Lochform des Kerns erzeugt wird.“ Es ist sehr zu bedauern, dass Reinke diese Erscheinung nicht weiter ver- folgt und eingehender untersucht hat. 1) Lauterborn, Ueber Bau und Kernteilung der Diatomeen. Verh. des naturhist.-med Vereins in Heidelberg, N. F., Bd. V, Heft 2, 1893. (Citiert nach Flemming, Ergebn. d. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. III, S. 105.) 2) J. Arnold, Beobachtungen über Kerne und Kernteilungen in den Zellen les Knochenmarkes. Virchow’s Archiv, Bd. 93, 1883, S.11. S)il,eB. 251: 4, 0.8: 12. Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 293 Schließlich sei noch die sehr bemerkenswerte Beobachtung von Hatscheck(l.c.)an Amphioxus-Larven erwähnt, welcher die Entstehung der Ringkerne mit der starken Abplattung der Epithelzellen in Zu- sammenhang bringt. „Das äußere Epithel ist an jüngeren Embryonen hoch eylindrisch, wird bei der Larve ausserordentlich stark abgeplattet und später wieder eylindrisch. In dem Stadium der Abplattung sind die Kerne der Zellen nicht etwa nur ausnahmsweise, sondern regel- mäßig derart durchlöchert, dass sie die Form eines platten Ringes annehmen; man findet daneben auch zahlreiche Kerne, wo der Ring an der einen Seite eingerissen ist, sodass er eine kringelförmige oder halbmondförmige Gestalt gewinnt; an Stellen, wo das Epithel sich etwas verdickt, finden sich Uebergänge von diesen Formen zu solchen, die wieder kreisförmigen Umriss zeigen. In den späteren Stadien, wo das Epithel sich wieder verdickt, sind die Kerne wieder alle rund- lich oder oval.“ Auch über das definitive Schicksal der Ringkerne gehen die An- sichten der Autoren sehr auseinander. Die Mehrzahl der Forscher bringt sie mit den amitotischen Vorgängen der Kernvermehrung in Be- ziehung. Arnold und Göppert sehen in ihnen die Vorstufe der unter Vermehrung des Chromatingehaltes der Kerne einhergehenden, sogenannten „indirekten Fragmentierung“, eine Art der direkten Kern- teilung, welche von Arnold als besondere Form der Kernteilung hin- gestellt ist, sich als solche aber wohl kaum aufrecht erhalten lässt. Nach anderen Autoren, z. B. vom Rath, teilen sich die Ringkerne nur durch einfache Kernzerschnürung. v. Kostanecki hat sogar die Behauptung aufgestellt, dass (in der embryonalen Säugetierleber) alle Leukocytenkerne, welche sich durch Kernfragmentierung teilen, erst das Anfangsstadium der Ringform passieren müssen. Auch Solger!) hat kürzlich die von ihm im Epithel vom Cym- bulia aufgefundenen Lochkerne mit amitotischen Vorgängen in Ver- bindung gebracht und sieht in ihnen Degenerationserscheinungen; in dem Loch befindet sich das „Mikrocentrum“ |M. Heidenhain]?). Meves lässt es unentschieden, ob die Ringkerne der Spermatogonien sich mitotisch oder amitotisch teilen können. Flemming?) war an- 1) Solger, Ueber amitotische Teilung eingekerbter und durchlöcherter Kerne (Cymbulia). Tageblatt der 69. Versammlung deutscher Naturforscher nnd Aerzte in Braunschweig, 1897. Dasselbe unter dem Titel „Ueber Kern- zerschnürung und Karyorhexis* in den ausführlichen Sitzungsberichten der- selben Versammlung. Vergl. auch: Deutsche mediz. Wochenschrift, 1897, Vereinsbeilage, S. 197. 2) Nach der Mitteilung Solger’s in den Sitzungsberichten der Braun- schweiger Naturforscherversammlung befinden sich darin „Reste oder Teile der Sphäre von verschiedenem Aussehen, oder häufiger noch in Form eines hellen Hofes mit einem oder mehreren in Hämatoxylin stark färbbaren Körnern“. 3) Flemming, Ueber Teilung und Kernform bei Leukocyten und über deren Attraktionssphären. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891, S. 278. 294 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. fangs geneigt, die Ringkerne als Anfangsformen einer Kernzerschnür- ung anzusehen, unter der Einschränkung, dass sich die Ringe vielfach zu geschlossenen Kernen zurückbilden mögen. Nachdem dieser Autor aber bei Leukocyten und in einzelnen Fällen auch bei fixen Zellen Ring- kerne, sowie auch (bei ersteren) polymorphe, stark hufeisenförmige Kerne gefunden hat, welche sich im Spiremstadium befanden und dabei dieselbe Größe hatten, wie die Kerne umliegender ruhender Zellen, nimmt er an, „dass ebenso wie Zellen mit polymorphen Kernen, auch solche mit aus Mitose entstandenen Ringkernen wieder in Mitose treten können und zwar letztere bald nach Wiederausgleichung der Ringform, bald schon, während diese noch besteht“!). Auch tritt Flemming der Meinung entgegen, dass Kernpolymorphie bei Leukocyten immer ein Anzeichen von Dekrepidität und Sterilität der Zelle wäre. Aus obiger Zusammenstellung geht hervor, dass die eigenartige Kernform der Ring- und Lochkerne in vielfacher Beziehung Interesse beansprucht und noch weit davon entfernt ist, in ihrer Bedeutung ganz klar gestellt zu sein. Ich will mir daher in Folgendem gestatten, einen kleinen Beitrag zu ihrer Kenntnis zu liefern, zumal ich meine Beobach- tungen an einem ganz anderen Objekte, als den früheren Beobachtern vorgelegen, machen konnte. Bei der Untersuchung des Epithels von Salpen hatte ich nämlich Gelegenheit, auch über die Entstehung und das Schicksal von Ring- kernen Aufschluss zu erhalten. Wie ich in einer kurzen Notiz in Nr. 21/22 des XIII. Bandes des anatomischen Anzeigers?) bereits mit- teilte, besitzt bei diesen Tieren der Kern fast einer jeden Zelle des Epithels, welches die Pharyngeal- und Kloakenhöhle, sowie auch die Körperaußenfläche unter der Mantelsubstanz, in einschichtiger Lage überkleidet, eine mehr oder weniger sichelförmige Gestalt, welche durch Zusammenschluss der Sichelenden ringförmig werden kann. Völlig geschlossene Ringkerne sind jedoch selten, unter 100 Kernen wurden durchschnittlich ein bis höchstens zwei Ringe gefunden. Oft sucht man lange vergeblich darnach; findet man einen Ring, so trifft man bei einigem Suchen in seiner näheren oder weiteren Nachbar- schaft gewöhnlich noch einige andere an. Flemming?) hat bei Sala- manderlarven eine ganz analoge Beobachtung gemacht und berichtet darüber, wie folgt. „Sehr auffallend ist das lokal gehäufte Vorkom- men der Leukocyten mit Ringkernen: man findet Stellen, wo unter 1) Flemming, Zelle. Ergebnisse d. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 3, 1893 (1894), S. 124. 2) E. Ballowitz, Ueber Sichelkerne und Riesensphären in ruhenden Epithelzellen. Anat. Anzeiger, XIII. Bd., 1897. Vergl. auch E. Ballowitz, Zur Kenntnis der Zellsphäre. Eine Zellenstudie am Salpenepithel. Archiv f. Anatomie und Physiologie. Anatomische Abteilung, 1898. 3) Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 37, 1891, 8. 277. . Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 295 großen Gruppen von Wanderzellen kein einziger solcher Kern zu sehen ist, und an anderen Orten besitzt fast die Mehrzahl der vorhandenen Leukoeyten diese Kernform. Für diese lokale Prädisposition zum Auf- treten der Ringkerne weiß ich für jetzt keine Erklärung, nur eine Analogie: das ist die, dass auch die Mitosen lokal gehäuft aufzutreten pflegen“. Die Form der Ringe ist im Salpenepithel verschieden. Seltener zeigt der Ring überall gleiche Breite, so dass er sehr regelmäßig und zierlich aussieht; meist ist er etwas unregelmäßig gestaltet, hier und da mit dünnen Stellen versehen, so dass zwei bis vier Verbreiterungen entstehen, welche sich zu stumpfen, abgerundeten Vorsprüngeu von verschiedener Größe ausladen können. Diese Unregelmäßigkeiten be- treffen aber nur die äußere Begrenzung des Kernes, die innere Be- grenzung des Kernloches ist stets regelmäßig und glatt. Allen diesen Ringen ist nun gemeinsam, dass sie stark abgeplattet und daher sehr dünn sind, entsprechend der Dünnheit der ganzen Zelle. Ferner ist das Loch des Ringes sehr regelmäßig, meist rund oder etwas elliptisch und dabei groß. Schließlich wird die ganze Oeffnung des Kernringes stets eingenommen und ganz ausgefüllt von einer großen, mit 2, selten 3—4 Centralkörpern versehenen Sphäre. Die Sphäre stößt dabei ringsherum immer unmittelbar an die Kernsubstanz, nie- mals ist in der Kernöffnung zwischen Kern und Sphäre noch Proto- plasma vorhanden, wie es bei den Ringkernen der Leukoceyten und in den Riesenzellen (siehe oben) beobachtet wurde. Bisweilen erschien die Sphäre durch den Kernring wie etwas eingeengt und in Folge dessen ein wenig kleiner, als gewöhnlich. Eine ähnlich konstante Lagebeziehung der Sphäre zum Kernring hat Flemming!) bei den Leukocyten des Salamanders, wie oben schon angedeutet, gefunden (1. ec. S. 285). „Auch zwischen dem Auf- treten der Kernringformen und der Sphäre muss nach dem, was ich beschrieb, wohl eine Abhängigkeit existieren. Denn die Mitte der Sphäre mit den Centralkörpern liegt ja, soviel ich gefunden habe, stets der Mitte des entstehenden Ringes gerade oder doch ungefähr gegen- über. Wäre das Auftreten des letzteren ganz ohne Beziehung zu der Lage der Sphäre, dann sollte man doch erwarten, auch Ringkerne zu finden, bei denen die letztere statt dessen irgendwo an der äußeren Peripherie des Kernes gelegen wäre. Es wäre ja möglich, dass dieses vorkommt, ich habe es aber noch nie gesehen; und denke mir dem- nach, dass durch die Lage der Sphäre die Stelle der Perforation am Kern in irgend einer Weise prädisponiert sein muss Ob es sich dabei aber um einen direkten, mechanischen Einfluss der Sphäre handelt, lässt sich für jetzt nicht entscheiden“. 1) Archiv f. mikr. Anatomie, Bd. 37, 1891. 996 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. Auch ich habe bei den sehr zahlreichen Ringkernen, welche ich im Laufe meiner Untersuchungen im Salpenepithel aufgefunden habe, die Sphäre niemals außerhalb des Bereiches des Kernringes gefun- den; stets lag sie in dem Ring und füllte sein Lumen, auch der Kern- a nach, mit ihrer Substanz völlig aus. Am Salpenepithel lässt sich nun sehr schön feststellen, woher es kommt, dass die Sphäre stets im Ringlumen liegt und Hier außerhalb desselben; es gehen die Kernformen nämlich direkt aus den mitotischen Vorgängen hervor. In der Dyasterphase, noch mehr im Dispiremstadium, beobachtet man an der polaren Seite der Tochterkerne eine sehr deut- liche Delle, welche von der Tochtersphäre eingenommen wird. Letz- tere ragt als kreisrundes, nicht sehr deutlich begrenztes Feld aus dieser Delle hervor. Wenn die Tochterkerne nun in das Ruhestadium über- gehen und wachsen, so wachsen auch die Sphären und drücken sich dabei tiefer in den Kern hinein. Dadurch wird die Kerndelle ver- srößert, so dass die abgeplatteten Kerne sichelförmig werden und die Sphäre gewissermaßen umfließen. Die im Centrum der Zelle gelegene Sphäre bleibt dabei der Kernsubstanz dicht angelagert und füllt die Konkavität der Kernsichel ganz aus. Junge, eben aus der Mitose her- vorgegangene Zellen mit noch wohl erhaltenem Zwischenkörper und größeren Resten der „Verbindungsfasern“ zeigen daher schon die charakteristischen Kernformen. Wenn sich die Enden der Kernsichel nun ganz nahe kommen, so tritt eine Verschmelzung der beiden Enden ein, woraus die Ringform der Kerne resultiert. Von der Sichelform zur Ringform sind alle Uebergänge in den Präparaten aufzufinden, so dass kein Zweifel sein kann, dass die Ringe sich aus den Halbmonden hervorbilden. Die Ringform der Kerne habe ich einige Male sogar schon an ganz jungen Zellen angetroffen, welche noch den Zwischen- körper mit daran hängenden Faserresten zwischen sich führten; es kam dabei vor, dass nur die eine der beiden Tochterzellen einen Ring- kern aufwies, während der Kern der anderen Zelle nur erst sichel- artig oder stark hufeisenförmig gestaltet war. Mithin ist unzweifel- haft, dass die Ringkerne dieses Epithels dadurch entstehen, dass die beiden die Riesensphäre umfassenden Kernschenkel mit einander ver- schmelzen und sich zu einem Ringe zusammenschließen, welcher in seiner Höhlung die Sphäre birgt. Den Anlass für diese Umformung des Kerns giebt die Existenz der großen Sphäre. Die letztere ist hier- für das formbestimmende Element, der Kern verhält sich dabei mehr passiv. Demnach bilden sich auch an unserem Objekt die Ringkerne in unmittelbarem Anschluss an die Mitose aus, allerdings in anderer Weise, wie es von Meves und Flemming bei den Spermatogonien und Leukoeyten gefunden wurde (s. oben). Eine Durchwanderung von Sphärenteilen durch den Kern hindurch findet hier niemals statt, Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. 297 die Konkavität des Ringes legt sich stets zuerst an der Polseite des Kernes an und geht direkt aus der durch die Sphäre bedingten „Pol- delle“ (Rab]) hervor. Auch das fernere Schicksal dieser Kernringe konnte ich an dem Salpenepithel verfolgen. Zunächst ist zu betonen, dass die Ringkerne genau dieselbe Struk- tur hinsichtlich des Kerngerüstes, der Kernmembran und der Kern- körperchen aufwiesen, wie die übrigen anders gestalteten Epithel- kerne. Vor allem möchte ich mit Rücksicht auf das, was J. Arnold als indirekte Fragmentirung beschrieben hat, hervorheben, dass diese Kerne keine stärkere Färbbarkeit ihrer Substanz aufweisen und nicht reicher an chromatischer Substanz sind, da sie sich genau ebenso färben wie alle anderen. Flemming hat das Gleiche für die Ring- kerne bei Salamandra betont. Von besonderem Interesse sind ferner die verschmälerten Stellen an vielen Ringkernen, welche die Symmetrie des Ringes stören und seine Form mehr oder weniger unregelmäßig machen. Diese Stellen können sich nämlich so stark verdünnen, dass sie äußerst fein ausge- zogen werden!). Dann erhält nur noch eine sehr feine, fadenartig verdünnte Brücke von Kernsubstanz die Kontinuität des Ringes auf- recht; äußerst selten wurden an einem Kerne zwei derartige Ver- _ dünnungen wahrgenommen, mehr als zwei niemals. Ja, ich habe Bilder erhalten, welche bereits einen Defekt dieser feinen Brücken zeigten, sodass der Kern anfing, wieder sichelförmig zu werden. Diese Befunde legen die Vermutung nahe, dass die Ringform der Kerne keine definitive und beständige ist, sondern vielmehr unter Umständen in die Sichelform zurückkehren kann. Das wird um so wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass der tonnenförmige Salpenkörper sich abwechselnd kontrahiert und erwei- tert. Es lässt sich sehr wohl denken, dass der permanente Wechsel von Ausdehnung und Erschlaffung im Leben der Salpe gewissermaßen als mechanischer Insult auf die dünnen, zarten Oberflächenepithelien einwirken und die Kernformen unter Umständen allmählich umbilden kann. Man kann sich vorstellen, dass aus diesem Anlass die eine Seite eines Ringkerns wohl einmal gedehnt und zum Einreißen gebracht werden kann, sodass der Ringkern wieder zu einem Sichelkern wird. Unterstützend mitwirken mag hierbei wohl die außerordentliche Dünn- heit der Zelle, in Folge derer die Kerne nur der Fläche nach aus- weichen können. Dass sich nun aber an diese Ringformen eine Zerschnürung oder Fragmentierung des Kernes anschlöße, dafür habe ich hier keinerlei . 1) Vergl. die Abbildungen in meiner Abhandlung „Zur Kenntnis der Zell- sphäre. Eine Zellenstudie am Salpenepithel. Archiv f. Anat. u. Physiologie, Anatomische Abteilung, 1898. 298 Ballowitz, Ueber Ringkerne, ihre Entstehung und Vermehrung. Anhaltspunkte gewinnen können. Ueberhaupt habe ich weder für diese Kernformen noch für die Sichelkerne irgendwie Beweise erhal- ten, dass amitotische Kernvermehrungsvorgänge in diesem Epithel eine Rolle spielen. Auch konnte ich nicht finden, dass die Ringkerne in absterbenden, abgenutzten Zellen dem Prozess der Chromatolyse häufiger verfielen, als die übrigen Kerne. Nach Allem wird an den Ringkernen dieses Epithels jedes An- zeichen von Degeneration vermisst; sie erscheinen vielmehr ebenso normal und lebenskräftig wie die nicht ringförmigen Kerne dieser Zellen. Der sicherste Beweis für die Richtigkeit dieses Satzes wird da- durch geliefert, dass sich die Ringkerne genau ebenso vermehren wie die übrigen Kerne, nämlich ausschließlich durch Mitose. Kernteilungs- figuren werden in diesem Epithel regelmäßig gefunden, ihre Häufigkeit ist individuell verschieden. Es ist nun sehr bemerkenswert, dass die Kernformen des Salpenepithels vor Beginn der Mitose nicht erst in den kugelförmigen Zustand zurückkehren, was bei der starken Ab- plattung der Zellen auch wohl nicht so ohne weiteres möglich wäre, sondern vielmehr direkt in das Spiremstadium eintreten. Man findet daher sichel- und hufeisenförmige Spireme sehr häufig. Auch Spireme von der Form eines fast geschlossenen Ringes sind nicht gerade selten. Vollständig ringförmig geschlossene Spireme wollen dagegen gesucht sein, da, wie oben geschildert wurde, geschlossene Kernringe in diesem Epithel ja an sich schon nicht häufig sind. Dazu mag kommen, dass die schmalen Kernbrücken beim Uebergange dieser Kerne in das Spi- remstadium eingezogen oder defekt werden. Ich habe aber auch diese Ringspireme!) mehrfach beobachtet. Die Sphäre mit den beiden auseinanderrückenden Centralkörpern liegt auch hier im Ringlumen. Die geschilderten Beobachtungen stehen in sehr beachtenswerter Uebereinstimmung mit den Ergebnissen, zu welchen Flemming an einem ganz anderen Objekte, den Leukocyten und fixen Gewebs- zellen der Salamanderlarve, gekommen ist. So war auch Flemming meines Wissens bis jetzt der Einzige, welcher Ringspireme beschrie- ben und abgebildet?) hat. Trotz dieser Uebereinstimmung bei so ver- schiedenartigen Objekten möchte ich aber doch betonen, dass die Ringkerne hinsichtlich ihrer Entstehung und ihrer weiteren Schicksale von Fall zu Fall beurteilt werden müssen und dass bei ihrer Beur- teilung verschiedene Gesichtspunkte in Betracht zu ziehen sind. Das dürfte beispielsweise schon aus dem Vergleich der Beobachtungen 1) Bezügliche Abbildungen bringt meine Abhandlung: Zur Kenntnis der Zellsphäre. Arch. f. Anat. u. Physiologie, Anatom. Abteilung, 1898. 2) Archiv f. mikr. Anat., Bd. 37, 1891, Fig.5 auf Tafel XIII- „Die Enden des hier abgebildeten Ringspirems sind jedoch nicht verbunden, sondern decken einander nur, wie die Einstellung lehrte“. | ] | Bachmann, Forschungsberichte aus der biolog. Station zu Plön. 299 von Meves bei den Spermatogonien mit den meinigen bei dem Salpen- epithel hervorgehen. In bei weitem der Mehrzahl der Fälle spielt zweifellos bei der Entstehung dieser Kernform die Sphäre mit den Centralkörpern die wichtigste Rolle. Dass aber die Ringkerne stets die Vorstufe amitotischer Kernteilungen sein müssen, wie es z. B. von Kostanecki für die Leukocyten behauptet hat, ist nicht zutreffend und auch für die Leukocyten schon durch den von Flemming ge- machten Befund von Ringspiremen widerlegt. Nachschrift. Inzwischen konnte ich!) die Epidermiszellen der Amphioxus-Larven näher untersuchen und muss ich die oben eitierten Angaben von Hat- schek durchaus bestätigen. Die Ringkerne sind hier gewöhnlich bei weitem zahlreicher als im Epithel der von mir untersuchten Salpen. In der Mitte des Lumens der Kernringe und in der Konkavität der halbmondförmig gebogenen Kerne konnte ich eine Sphäre mit Central- körpern nachweisen. Nach diesen Befunden möchte ich hinsichtlich des Entstehungsmomentes dieser Kernformen auch ein Hauptgewicht auf die starke Abplattung dieser Zellen legen. [53] Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. Herausgegeben von Dr. Otto Zacharias. Teil 6. Abteilung I. (Stuttgart. Erwin Nägele). Mit diesem 6. Teile der Forschungsberichte hat der Herausgeber Dr. Zacharias die Neuerung getroffen, die botanischen Abhandlungen von den zoologischen in getrennten Abteilungen zu veröffentlichen. Die mir vorliegende erste Abteilung ist der algologischen Erforschung des Riesengebirges gewidmet und bietet dadurch einen wertvollen Beitrag zur Kenntnis der niedern Organismen hochgelegener Gegenden. Die Veran- lassung zu diesen wichtigen Arbeiten gab der unermüdliche Forscher Dr. Zacharias, welcher verschiedene Exkursionen an die beiden Koppen- seen, zu den Sümpfen und Moortümpeln der Weißen Wiese unternahm und als der erste die schwer zugänglichen Kochelteiche untersuchte. Ein summarischer Bericht über die Ergebnisse der Exkursion von 1896 bildet die Einleitung des vorliegenden, 87 Seiten starken Bändchens. Auf diese folgen: Neue Beiträge zur Kenntnis der Algen des Riesen- gebirges von Bruno Schröder (Breslau). Der Verfasser hält an dem Standpunkte fest, dass auch unter den Süßwasseralgen verschiedene Formationen unterschieden werden können, welche von physikalisch -che- mischen Faktoren abhängig sind. Die Algen des Riesengebirges teilt Schröder in sieben Formationen, wobei er die thermophilen Algen noch unberücksichtigt lässt. Diese Formationen sind: 9 Vgl. E. Ballowitz, Ueber Kernformen und Sphären in den Epidermis- zellen der Amphioxus-Larven, Anatomischer Anzeiger, 1898, Nr. 15. 300 Bachmann, Forschungsberichte aus der biolog. Station zu Plön. I. Limnophilae mit den beiden Gruppen: a) Grund- und Littoralformen, b) Planktonformen. II. Potamophilae mit Haftorganen, widerstandsfähigem Thallus, steife Borstenbündel erzeugend oder mit dicken Gallerthüllen umgeben. III. Sphagnophilae. Diese Formation umfasst den größten Teil der Riesengebirgsalgen. Die Artenzahl ist in reinen Sphagnumsümpfen geringer als in den Lachen und Tümpeln, welche von Sphagnen, Hypnen und andern Moosen bewohnt werden. IV. Orenophilae. Quellen aus Urgestein entspringend sind algenarm, Kettenbildende Diatomeen bilden den Hauptteil. V. Geophilae. Diese auf feuchter Erde lebenden Algen bilden Faden- gewirre oder Gallertmassen. VI. Lithophilae in 3 Gruppen unterschieden : a) Bewohner von feuchten Steinen, ausgezeichnet durch dicke Membranen und Reservestoffe, b) Bewohner von überrieselten Felsen mit einfachen oder mehr- fach in einander geschachtelten Gallerthüllen. c) Bewohner von Aushöhlungen von Felsen oder Steinen, die mit Regenwasser angefüllt sind. VII. Kryophilae. Sie bewohnen die Schneemassen, welche bis in den Monat August hinein liegen bleiben. Sphaerella nivalis Wittr. wurde nie beobachtet. Innerhalb dieser Formationen können die Algen in folgende Gruppen unterschieden werden: 1. autophile, welche für sich allein vegetieren, 2. epiphytisch und 3. endophytisch lebende Algen. Von den 163 Species sind folgende auf der beigegebenen Tafel abgebildet: Binuclearia tatrana Wittr. (Ulotrichaceae). Pediastrum tricornutum forma punctata n. f. (Hydrodyctiaceae). Ophrocytium parvulum var. bicusbidatum n. var. (Protococcaceae). Characium falcatum nov. sp. (Protoc.) Oharacium acutum A. Br. Polyedrium trigonum var. stetigerum n. var. (Pleurococcacea). Gonatoxyon Ralfsüt De Bary (Desmidiaceae). Gymnozyga Brebissonü var. trigona nov. var. (Desmid.). Cosmarium depressum Lund. Cosmarium nasutum var. euastriforme Schmidle. Cosmarium subochthodes Schmidle. XÄanthidium armatum var. intermedium nov var. Euastrum humerosum var. subintermedium nov. var. E. humerosum forma triquetra nov. f. Staurastrum Zachariasi nov. sp. St. sparsi-aculeatum Schmidle. St. senarium var. alpinum Racib. Als wertvollsten Fund des großen Teiches bezeichnet er die Gom- phonema-artige Diatomee Peronia erinacea, au Isoetes lacustris auf- sitzend. Dr. Otto Müller (Berlin) bringt im dritten Abschnitte dieses ersten Teiles ein Verzeichnis der Diatomeen unter dem Titel: Bacillartales Bachmann, Forschungsberichte aus der biolog. Station zu Plön. 301 aus den Hochseen des Riesengebirges. In den 5 untersuchten Teichen leben 193 Arten und Varietäten, welche 20 Gattungen angehören. Statt allgemeiner Zusammenfassung gebe ich hier die zweite Tabelle wieder, aus welcher die Verteilung der Gattungen und ihrer Artenzahl ersichtlich wird: —— ı Großer | Kleiner Kochelteich ' Koppent. | Koppent. I | II ra | I —_ n N eh Fre 1218 m | 1168 m 1250 m Oberfläche . . . . .» 6,5ha 2,9 ha Kt ı40—50m ; 40 m lang | | ı30—35 m | 30 m 17m | | 1,5 m 0,2 m Melosira Evan. Tabellaria 1 7 6 2 1 Meridion . 6 A { | ar | SI m de in Diatoma 1 Fragilaria 6 Ceratoneis Peronia 1 Eunotia 19 Achnanthes Achnanthidium Navieula: Caloneis Neidium 10 4 Mesoleiae 3 Entoleiae Bacillares Minusculae Libellus Anomoeonis Lineolatae Pinnularia 2 Stauroneis Frustulia Gomphonema Oymbella Amphora Epithemia Nitzschia Stenopterobia 1 Surirella | 4 | Als neue Formen beschreibt er: Fragilaria virescens var. lata, Eunotia pectinalis var. crassa, var. impressa, Eunotia sudetica, Eunotia Kocheliensis, Neidium bisulcatum var. undulata, Pinnularia Brebissonii var. linearis, P. microstauron var. biundulata, Gompho- nema lanceolatum var. acutiuscula. Als große Seltenheit mag noch erwähnt werden: sStenopterobia anceps Breb., bisher nur aus Nord- amerika, Cornwallis, Depöt de Vaussiviere und Puy de Döme bekannt. Aus den beiden vorzüglichen algologischen Arbeiten resultiert wieder so recht das Bedürfnis, die Systematik der Algen auf den Boden der Kulturversuche zu stellen. Da ist ein biologisches Institut der richtige Ort, den Weg der Reinkultur und des Experimentes zu betreten, um da- durch einiges Licht in den Varietätenreichtum zu werfen. [41] H. Bachmann (Luzern). PVOVRDWODVODO m [0] DD a > I CH m un [de Noir So) Pr eV TM 302 Wille, Beschreibung einiger Planktonalgen aus norwegischen Süßwasserseen, Mitteilungen aus der biolog. Gesellschaft zu Christiania, Sitzung am 17. Oktober 1895. Prof. N. Wille legte Zeichnungen von einigen Planktonalgen aus norwegischen Süßwasserseen vor. Einige von diesen, die er 1895 in „Fäforvand“ in „Gudbrandsdalen“ schon gefunden und damals gezeichnet, aber nicht veröffentlicht hat, sind später von Chodat aus den Schweizer- seen beschrieben worden, nämlich: Stichogloea olivacea Chod., Sphoro- cystis Schrötert Chod. und Oocystis lacustris Chod., wenigstens die zwei ersten von diesen sind in den norwegischen Seen sehr verbreitet. Auf dem Boden in mehreren Seen im östlichen Norwegen hat er schon 1895 auch eine neue Art von ÜUrucigenia gefunden: Orueigenia tirregularis n. sp. Die Zellflächen vielzellig (bis mehrhundert Zellen), wellenförmig, mit unregelmäßiger Umgrenzung und aus mehreren kleineren Zellflächen, die von einer mehr oder weniger dicken Interzellularsubstanz getrennt sind, zusammengesetzt. Die kreuzweisen Teilungen der Zellen, teilweise unregel- mäßig und die Ordnung der Zellen deshalb weniger regelmäßig, als bei den übrigen Arten. Die Interzellularräume sind oft kaum sichtbar. Das Chromatophor ist scheibenförmig, wandständig und entbehrt Pyrenoide. Länge der Zellen 6—14 u; Breite der Zellen 4—8 u. Im vorigen Jahre wurde vom norwegischen Süßwasserbiologen H. Huit- feld-Kaas in mehreren Seen im westlichen Norwegen eine neue Plankton- alge gesammelt, die er Prof. Wille für nähere Untersuchung übergeben hat. Diese Alge ist von den bisher bekannten verschieden und muss als Repräsentant einer neuen Gattung aufgestellt werden: Elakatothrix n. gen. (Der Name von Ndaxarn = Spindel). Die Zellen sind (vor der Teilung) spindelförmig, ursprünglich in einer Längsreihe angeordnet und von einer Gallertscheide umgeben. Die Zellen teilen sich nur durch Querwände und besitzen einen kleinen Zell- kern. Das Chromatophor, welches beinahe die ganze Zelle mit Ausnahme der Enden deckt, ist wandständig und enthält ein großes Pyrenoid. Schwärmzellen unbekannt. E. gelatinosa n. sp. Durch Verflüssigung der Gallertscheide und Verschiebung der Zellen wird zuletzt eine mehr oder weniger unregelmäßige Anordnung der Zellen hervorgerufen. Länge der Zellen vor der Teilung 18—20 u, nach der Teilung 10 u; Breite der Zellen 4—5 u. Diese Alge ist wahrscheinlich mit Actinastrum Hantzschiü Lagerh. verwandt, die Teilungsweise und die Anordnung der Zellen ist aber ganz verschieden, Professor Axel Johannessen teilte eine Reihe Untersuchungen mit, die er zum Teil im Verein mit seinem Assistenten Herrn Dr. Wang vorgenommen hatte, um die physiologische Ernährung des Säuglings zu studieren. Johannessen, Physiologische Ernährung der Säuglinge. 303 Er besprach zuerst ganz kurz die Resultate, zu welchen er in Bezug auf die chemische Zusammensetzung der Frauenmilch gekommen war und die früher publiziert sind. Darauf legte er graphische Darstellungen vor über das Verhalten der chemischen Zusammensetzung der Nahrung der Mutter und der von ihr produzierten Milch. Es scheint aus diesen Unter- suchungen hervorzugehen, dass es sich kaum sagen lässt, dass em kon- stantes Verhältnis vorhanden sei, wenn es sich auch zeigt, dass eine Speise, die beinahe ausschließlich aus Kohlenhydraten besteht, mit niedrigen Werten der chemischen Stoffe in der Milch, besonders der Eiweiß- stoffe und des Zuckers, zusammenfällt. Endlich wurden Untersuchungen vorgenommen über die physiologische Nahrnngsmenge und ihrer Zusammensetzung bei vollständig gesunden indern, die von ihren ınden Müttern äugt wurden. Kindern, die von ihren gesunden Mütte esäugt d Die untersuchten Kinder waren 4—5 Monate alt, 2 Knaben und 2 Mädchen. Die Kinder wurden 7mal im Laufe von je 24 Stunden an die Brust gelegt. Die durchschnittliche Zeit des Stillens war 20 Minuten. Die Kinder wurden vor und nach dem Brustgeben gewogen, außer- dem noch einmal, eine Stunde später, um eine Grundlage zur Beurteilung der Perspiratio insensibilis zu schaffen. Die aufgenommene Nahrungsmenge zeigte sich im Durchschnitt bei den 4 Kindern beziehungsweise 120 g: Maximum 182, Minimum 53; 135 g: Maximum 182, Minim. 92; 157 g: Maximnm 222, Minim,. 100; 135,5 g: Maximum 233, Minim. 73. Der mittlere Gewichtsverlust durch Perspiratio insensibilis machte bei den 4 Kindern bezw. 23,20, 14,50 und 10,5 g pro Stunde aus. Verglichen mit den meteorologischen Werten während der ÖObserva- tionszeit, scheint der Feuchtigkeitsgrad im umgekehrten proportionalem Verhältnisse zu dem Gewichtsverluste zu stehen, während die Temperatur direkt proportional mit demselben zu sein scheint. Die Untersuchungen wurden während der heißen Tage des Sommers vorgenommen, während die Fenster Tag und Nacht offen standen, Die chemische Zusammensetzung der Nahrung zeigt in Betreff auf das Albumin und den Zucker einigermaßen konstante Werte — bezw. 1,17°/, (Maximum 1,3°/,, Minim. 0,9°/,) und 6,95°/, (Maxim. 7,8°/,, Minim. 5,9°/,), während das Fett etwas größere Variationen hat; der Durchschnittswert war hier 3,74°/, (Maxim. 4,6°/,, Minim. 2,7°/,). Die Zusammensetzung der Milch vor, während und nach der einzelnen Brust- . geben zeigte das Fett betreffend eine konstante Zunahme von dem Be- i | ginn bis zum Schlusse. Die durchschnittlichen Werte für sämtliche Untersuchungen zeigen folgende Zahlen: Für das Albumin: Mittel Maximum Minimum Vor dem Brustgeben . . 1,26 1,42 0,91 Während des Brustgebens 1,44 1,62 1,10 Nach dem Brustgeben . 1,61 2,03 1,15 304 Bauer, Doppelei eines Haushuhnes. — Anatomie des Menschen. und für den Zucker: Mittel Maximum Minimum Vor dem Brustgeben . . 6,15 7,18 5,65 Während des Brustgebens 6,17 6,61 5,64 Nach dem Brustgeben . 5,91 6,42 5,25. Das Albumin scheint sich ebenfalls auf eine ähnliche Weise zu ver- halten, während die Zuckermenge mehr unbestimmte Werte zeigt. Was die Menge der Nahrungsbestandteile zu den verschiedenen Zeiten des Tages betrifft, so scheint hier stets Nachts und am Morgen ein niedrigerer Gehalt als am Nachmittage zu sein. Doch zeigt auch der Zucker in dieser Beziehung weniger konstante Werte. Die 4 Kinder nahmen pro Tag folgende Nahrungsmengen auf: 896, 946, 1100 und 948 g. Diese Nahrung entsprach einem durchschnitt- lichen dynamischen Verbrennungswerte von: 70, 106, 106 und 96 Calorien pro Kilogramm Körpergewicht. Mit dieser Nahrungsmeuge zeigten sämtliche Kinder in der unter- suchten Periode eine Gewichtszunahme von beziehungsweise 11,7, 16, 21 und 13 g pro Tag. R [49] Ueber das Doppelei eines Haushuhnes. Von Dr. R. W. Bauer in Leipzig. Am 25. Februar legte eine große schwarze Minorkahenne ein großes Ei. Dasselbe wog 95 g. Der Längsschnitt des hartgekochten Eies zeigte zwei semmel- artig aneinander gepresste Dotter. Die beiden Dotter wogen 48 g, das Eiweiß 39 g, die Schaale 9 g. Prozentisch berechnet 50°/, Dotter, 40°], Eiweiß, 10°, Schaale. Vor etwa 20 Jahren wog ein Doppelei einer Spanierhenne 108 g. [67] Handbuch der Anatomie. 6. Lieferung. Fünfter Band. Zweite Abteilung. Das äußere Ohr, von Prof. G. Schwalbe; Mittelohr und Labyrinth, von Prof. F. Siebenmann. 8. 224 Stn., mit 101 teilweise farbigen Abbildungen im Text. Jena. Gustav Fischer. 1898. Das vorliegende 6. Heft des großen anatomischen Handbuchs, dessen erste Lieferungen in Bd. XVII S. 800 angezeigt worden sind, bildet die Fortsetzung zu der schon erwähnten Anatomie der Haut. Alles, was dort zum Lobe des Werkes gesagt wurde, gilt von der jetzt erschienenen Lieferung in gleichem, wenn nicht in erhöhtem Maße, soweit es sich auf das Aeußere, die schöne Aus- stattung und besonders die geradezu meisterhaften Figuren bezieht. Dass aber auch der 'Text, der von zwei so anerkannten Meistern herrührt, vortrefflich ist bedarf nicht erst der Erwähnung. Wir haben es in der That mit einer mono- graphischen Bearbeitung der Anatomie dieser Teile zu thun, welche selbst die feinsten Einzelheiten nicht berücksichtigt lässt und doch zugleich über diesen Einzelheiten den großen Zug nicht vermissen lässt, welcher der Beschreibung erst den wissenschaftlishen Wert verleiht. Wird das Werk in gleicher Weise fortgeführt, woran wir nicht zweifeln, so werden alle Beteiligten, die Verfasser, der Herausgeber, die Verlagshandlung mit Stolz auf dasselbe zurückblicken können. P. [60] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, | | Biologisches Oentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Inhalt: Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. — Hirth, Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen insbesondere Merksysteme und plastische Spiegel- ungen — Trautzsch, Die geographische Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, mit Berücksichtigung der Beobachtungen Nan- sen’s. — Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch der Lehre vom Stoff- wechsel und Kraftwechsel in der Pflanze. Zur Kenntnis der Bierhefe. Von Ernst Küster in Charlottenburg. Die Morphologie der Sprosspilze ist schon wiederholt von Bota- nikern zum Gegenstande eingehender Untersuchungen gemacht worden. Was durch dieselben als sichergestellt betrachtet werden darf, ist das Vorhandensein zahlreicher Granula im Protoplasma der Hefe- zellen, die Existenz eines Zellkernes und das Auftreten frei umher- schwimmender Körnchen in den Vakuolen. Ueber diese Körnchen — die ich zur Unterscheidung von denjenigen des Plasmas als „Vakuolenkörnchen“ bezeichnen werde — möchte ich in den folgen- den Zeilen einige neue Beobachtungen mitteilen. Die frühesten Untersucher!) der Hefezellen haben nur das Vor- handensein der Vakuolenkörnchen konstatiert. Eingehenderes Studium ist ihnen erst in den letzten Jahren gewidmet worden. Auf die Ar- 1) C. v. Nägeli dürfte wohl der erste Beobachter der Vakuolenkörnchen gewesen sein. Er erwähnt sie in seiner Abhandlung „über Zellkerne, Zellen- bildung und Zellenwachstum bei den Pflanzen“ (Zeitschrift f. wissensch. Botanik, I. Band, 1. Heft, S.45): „Die Gärungspilze im Weinmost und den Bierhefen zeigen oft regelmäßig in jeder Zelle ein der Membran anliegendes kleines Kernchen von weißlichem Schleime“. Nägeli glaubte mit Unrecht den Zell- keın der Hefe in ihm zu sehen. Dass letzterer nur durch färbende Reagentien sichtbar gemacht werden kann, ist bekannt. Das von Nägeli beschriebene Gebilde kann daher nur das Vakuolenkörnchen gewesen sein. XVII. 20 306 Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. - beiten vonBernhardFischer undBrebeck!), von Eisenschitz?) und von Hallier ?) werden wir später wiederholt zurückzukommen haben. — Die eingehendste Würdigung haben die in Frage stehen- den Körperchen wohl beiHieronymus*) gefunden. Andere Forscher, darunter Crato’), der auch die Hefezellen auf ihre Plasmastruktur und ihre Physoden hin geprüft hat, übergehen die interessanten Ge- bilde mit Stillschweigen. Zunächst möchte ich auf eine neue Methode aufmerksam machen, welche das Studium der Vakuolenkörnchen ungemein zu erleichtern mir geeignet scheint, — eine Methode zu ihrer „intravitalen“ Färbung. Aehnliche Versuche, lebende Hefezellen zur Aufnahme und Speiche- rung von Farbstoffen zu veranlassen, sind schon wiederholt gemacht worden. Der erste, der sich mit dieser Frage befasste, warPfeffer®). Die Behandlung der Hefezellen mit Anilinfarben führte allerdings zu keinen positiven Resultaten. Hieronymus (a. a. O. pag. 183) war in seinen Versuchen glücklicher. Es gelang ihm, mit Löffler’schem Methylenblau die Vakuolen des Plasmas vor dem Absterben der Zellen zu tingieren. Die von Eisenschitz”) angegebenen Methoden kann ich nicht als „intravital“ anerkennen. Eine neue Methode ist folgende: bringt man eine Probe der käuf- lichen Presshefe in eine dünne wässerige Lösung von Neutralrot — eine Konzentration von 1:5000 oder 1:10000 genügt, — so färben sich bei geeignetem Material schon nach wenigen Minuten die Vakuo- lenkörnchen intensiv rot. Alle übrigen Teile der Zelle bleiben zu- nächst noch farblos. Lässt man die Farbflüssigkeit hinreichend lange auf die Hefe einwirken, so speichern auch die Vakuolen schließlich den Farbstoff mehr und mehr, bis sie wie undurchsichtige, tiefrote Kugeln im farblosen Plasma liegen. Ich möchte schon an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die zahlreichen Proben der käuflichen Press- 1) B. Fischer, „Ueber einen neuen, bei Rahmhautpilzen beobachteten Fortpflanzungsmodus“. Centralbl. f. Bakteriologie, 1893, S. 653. B. Fischer u. Brebeck, „Zur Morphologie, Biologie und Systematik der Rahmpilze“, 1894. 2) „Beitrag zur Morphologie der Sprosspilze“, 1895, Bern (Dissertation). 3) „Pestkrankheiten der Kulturgewächse“ (1895) und „Die Hefe der Alkohol- gärung* (1896). 4) Deutsche bot. Ges., 1893, S. 176. 5) „Beiträge zur Anatom. u. Physiol. des Elementarorganismus®. Cohn’s Beiträge zur Biologie, VII, S. 495. 6) „Ueber Aufnahme von Anilinfarben in lebende Zellen“ (Unters. aus dem botan. Inst. zu Tübingen, II, S. 223). 7) Eisenschitz empfiehlt a. a. 0. mit stark giftig wirkenden Stoffen wie Methylgrün und überdies in gesättigten Lösungen zu tingieren. Auch die Fällung der Farbstoffe durch Salzsäure kann ich nicht als eine Methode zur „ıintravitalen“ Färbung gelten lassen. | | | | | Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. 307 hefe, die von mir untersucht worden sind, sich ungemein verschieden hinsichtlich der Farbspeicherung verhielten. Oft trat schon nach we- nigen Minuten eine intensive Tinktion der Vakuolenkörnchen in allen Zellen ein, in andern Fällen musste ich eine Stunde und länger den Farbstoff einwirken lassen, um wenigstens einige Zellen mit gefärb- ten Kügelchen zu gewinnen. Niemals aber blieb bei geduldigem Warten die gewünschte Reaktion gänzlich aus. Eine Erklärung für diese Unterschiede wird in ernährungsphysiologischen Verhältnissen zu suchen und vielleicht auch zu finden sein. Meine Versuche hierüber sind noch nicht abgeschlossen. Dass die Färbung der Vakuolenkörnchen mit Neutralrot eine „in- travitale“ ist, d. h. dass der Farbstoff in ihnen unbeschadet des Le- bens der Zelle gespeichert wird, lässt sich leicht nachweisen. Bringt man gut ausgewaschenes, tingiertes Hefenmaterial in Zuckerlösung, so beginnt alsbald dieGährung mit ungeschmälerter Intensität. Gleich- zeitig beobachtet man, dass die Zuckerlösung sich allmählich rötet: die Vakuolenkörnchen geben den gespeicherten Farbstoff allmählich an die Zuckerlösung ab. Offenbar hat die letztere eine stärkere Affi- nität zu dem Farbstoft als die Vakuolenkörnchen. Aus demselben Grunde misslingt es auch regelmäßig, Presshefe in gefärbter Zucker- lösung zu tingieren. Anders als die Zellen mit tingierten Vakuolenkörnchen verhalten sich diejenigen, welche den Farbstoff bereits in den Vakuolen selbst gespeichert haben. Diese Zellen rufen keine Gährung mehr hervor, sie sind tot. Die Färbung der Vakuolenkörnchen vollzieht sich also intra vitam, die Farbspeicherung in den Va- kuolen gehört dagegen schon zu den Symptomen des Ab- sterbens. Hefezellen, die mit einem der gebräuchlichen Fixierungs- mittel gefärbt sind, zeigen in Neutralrotlösung sehr bald intensive Va- kuolenfärbung. Bei Saccharomyces cerevisiae, wie ihn die käufliche Presshefe neben den üblichen Verunreinigungen liefert, und dessen Morphologie in den folgenden Zeilen ausschließlich berücksichtigt ist, sind die Vakuolen- körnchen bald einzeln in den Vakuolen verteilt, bald zu mehreren in einer vereinigt. Drei bis fünf Körnchen in einer Vakuole sind ge- rade keine Seltenheit. Andrerseits sind Zellen ohne Vakuolenkörn- chen ebenfalls häufige Ausnahmen von der Regel. Im allgemeinen ist jede Zelle mit ein bis drei Vakuolenkörnchen ausgestattet. Auf- fallend verschieden ist die Größe derselben. Die größten, welche ich beobachtete, maßen etwa 24 im Durchmesser, die kleinsten ließen sich in gefärbtem Zustand gerade noch als dunkle Punkte wahrnehmen. Die großen sind meist einzeln zu finden, seltener von kleineren be- gleitet; die kleinen treten fast immer zu mehreren auf. Große wie kleine Körnchen fallen durch ihre Bewegung auf, mit der sie bald 20* 308 Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. lebhaft den verfügbaren Raum durcheilen, bald träge an ein und der- selben Stelle der Vakuolenwand hin und her schaukeln. Es handelt sich dabei um Brown’sche Molekularbewegung, keinesfalls um os- motische Ströme, wie Hallier annimmt, oder gar um Eigenbewegung, wie Eisenschitz behauptet. In den meisten Hefezellen treten die Vakuolenkörnchen als frei- schwimmende Kugeln auf; die größeren Exemplare setzen sich jedoch nicht selten an der Vakuolenwand fest und zeigen alsdann charak- teristische Formveränderungen. Sie platten sich zunächst zu einem bikonvexen Körperchen ab und zerfließen mehr und mehr unter der Wirkung der Kapillarität auf der Vakuolenwand, an die sie die Ko- häsionskraft fesselt. Ihre Substanz verteilt sich immer flacher, bis sie in gleichsam ausgewalztem Zustand wie eine Halbkugel die Hälfte der Vakuole auskleidet. An tingiertem Material lässt sich dieser Zu- stand neben allen Uebergangsstadien leicht studieren. Auf dem op- tischen Durchschnitt sehen wir die Vakuole wie von einer schmalen, roten Sichel umfasst. Oft zerfließen auf dieselbe Weise mehrere Körn- chen in derselben Vakuole, die dann auf dem optischen Durchschnitt wie von einem roten Ring umsäumt erscheint. In allen Fällen han- delt es sich nicht um die Metamorphosen eines lebenden, sich ent- wickelnden Organes, sondern um rein physikalische Erscheinungen, um die Formveränderungen eines toten, zähflüssigen Gebildes. Ob das Schicksal der Vakuolenkörnchen damit abschließt oder ob durch die Einwirkung des Plasmas eine Lösung ihrer Substanz sich vollzieht, vermag ich nicht anzugeben. Sicher ist, dass die Vakuolen- körnchen nicht in das Plasma hineinschlüpfen, wie es Eisenschitz gesehen haben will. Körnchen, die in Vakuolen umherschwimmen, sind meines Wissens keine häufige Erscheinung. Ich kenne nur eine Angabe in der Litte- ratur, die über ähnliche Körperchen, wie ich sie soeben für die Bier- hefe beschrieben habe, Mitteilung macht. Przesmyceki!) unterschei- det im Zellkörper der von ihm untersuchten Ciliaten „Körnchen, welche sich in Vakuolen sehen lassen und diejenigen, welche in dem Ento- plasma auftreten“. Es gelang ihm, die ersteren mit Methylenblau „intra- vital“ zu färben, — eine Uebereinstimmung mit den Vakuolen- körnchen der Hefe, die nicht zu unterschätzen ist. Przesmycki hält es nicht für unmöglich, die von ihm gefundenen und gefärbten Körn- chen „durch eine wirkliche Anwesenheit von Bakterien oder sehr kleinen Infusorien in den Vakuolen erklären zu können.“ „Ich gebe jedoch, fügt er hinzu, dieser Erklärung nicht die Bedeutung einer dem Zweifel nicht unterliegenden Thatsache“ (a. a.0. pag. 627). Gerade im Vergleich mit den Körnehen der Hefezellen scheint es mir nicht überflüssig, auf 4) Biol. Centralbl., 1894, S. 620 ff., „Ueber Zellgranulationen bei Protozoen*. Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. 309 diese Vermutung einzugehen. Gerade bei den Hefezellen wird durch die flotte, scheinbar selbständige Bewegung der Vakuolenkörnchen eine ähnliche, irrtümliche Deutung nahe gelegt. Dass bei den Hefen die Bakteriennatur der Vakuolenkörnehen ausgeschlossen ist, geht meines Erachtens aus den oben geschilderten Metamorphosen hervor. Außerdem erscheint es ausgeschlossen, dass Bakterien, die in der- selben Vakuole einer Zelle aufwachsen, also unter durchaus gleichen Bedingungen leben, sich in der Größe so stark unterscheiden, wie es die Vakuolenkörnchen der Hefe thun!). Ueberdies würde es als auf- fällig gelten müssen, dass selbst bei geeigneten Temperaturen die fraglichen Gebilde sich niemals innerhalb der Vakuolen durch Teilung vermehren. Die Möglichkeit, dass Spaltpilze von außen in das Zell- innere der Hefen eindringen, ist an sich nicht zu bestreiten. Unver- kennbare Stäbchenbakterien, die in der Vakuole der Hefezellen schau- kelten, habe ich wiederholt beobachten können’). Eine andere Theorie zur Erklärung der Vakuolenkörnchen ist die von Bernhard Fischer, Brebeck und E. Hallier ver- tretene, nach welcher die fraglichen Gebilde endogen entstandene Zellen sind (Halliers „Notknospen“). Sie wachsen angeblich in den Vakuolen zu relativ großen Gebilden heran und verlassen dann die Mutterzelle, um zu einem ihr gleichwertigen Organismus zu wer- den. Dass von den genannten Autoren dieselben Gebilde gemeint sind, die ich als Vakuolenkörnchen bezeichnet habe, scheint mir außer Zweifel. Dafür spricht schon das immer betonte „starke Licht- brechungsvermögen“ der Körperchen. Ich habe bei meinen Unter- suchungen an Saccharomyces cerevisiae nichts von einem derartigen neuen Fortpflanzungsmodus entdecken können, der wohl in das Reich der optischen Täuschungen bei Hefeuntersuchungen zu verweisen sein dürfte. Bei seinen bereits eitierten Studien über die Plasmagranulationen der Protozoen kommt Przesmycki(a.a.0. pag. 625) zu dem Schluss: „Ich halte es für möglich, anzunehmen, dass die Granulationen, welche in den so charakterisierten Vakuolen auftreten, die beste Bestätigung für die Anschauung jener Autoren sind, wonach ‚die Zellgranula sich als morphologisches Zeichen der biologischen Prozesse vorstellen, welche innerhalb der Zellen ablaufen’, die Körncehen von vakuolärem Cha- rakter treten als Stoffwechselprodukte auf“. — Dieselbe Bedeutung, wie sie Przesmycki bei den Vakuolenkörnchen der Infusorien vermutet, ist auch denjenigen der Hefen zuzuschreiben: sie sind Stoffwechselpro- dukte und stammen aus dem Plasma. Vermutlich werden sie aus diesem in der kleinkörnigen Form in die Vakuolen abgeschieden und 4) Die Vakuolenkörnchen als Spaltpilze („Cocei“) zu deuten, ist von Hallier versucht worden, wenn anders ich seine Darlegungen (Die Hefe der Alkoholgärung, S. 23) richtig verstehe. 2) Vergl. Lindner’s Referat. Wochenschr. f. Brauerei, 1896, S.805 u.806. 310 Küster, Zur Kenntnis der Bierhefe. vereinigen sich in diesen zu größeren Gebilden. Ihr halbflüssiger Aggre- gatzustand, auf den das Zerfließen an der Vakuolenwand schließen lässt, und auf den wir bereits früher aufmerksam gemacht haben, lässt eine derartige Vergrößerung durchaus als möglich erscheinen. — Die Vakuolenkörnehen stammen nicht nur aus dem Plasma, sondern sind den „Granulationen“ des letzteren substantiell gleichartig. Hiero- nymus hat bereits diese Behauptung für die Krystalloide aufge- gestellt, für welche er die Körnchen des Plasmas irrtümlich hielt. Bei langsamer Vergiftung durch Kalkwasser sah er allmählich ein Körnehen nach dem andern aus dem Plasma in die Vakuole schlüpfen, bis diese gänzlich gefüllt war und die Brown ’sche Molekularbewegung an ihnen sich nicht mehr geltend machen konnte. Es ist mir nicht gelungen, mit Kalkwasser das beschriebene Experiment in mustergil- tiger Weise zu wiederholen; bei leicht angetrockneter Presshefe habe ich aber ohne vergiftende Reagentien ganz ähnliche Degenerations- erscheinungen beobachten können. In vielen Zellen werden die Va- kuolen mit zahlreichen Körnchen geradezu vollgestopft, in anderen bilden sich neue, oft sehr zahlreiche Vakuolen, deren jede ein oder mehrere Körnchen birgt. Ueber die Größe der kleinen neu entstan- denen Vakuolen und über ihre Vakuolennatur überhaupt könnte man vielleicht zuweilen in Zweifel geraten, wenn nicht die lebhafte Be- wegung: ihrer Körnchen und die Grenzen, die ihren Bewegungen ge- steckt sind, über das Vorhandensein und über die Größe der Vakuolen Aufschluss gäben. Diese neu hinzutretenden Vakuolenkörnchen haben dieselbe Tinktionsfähigkeit wie die ursprünglichen und entfärben sich ebenso wie diese, sobald man den gefärbten Zellen Gelegenheit zum Vergähren von Zucker giebt. Auch in diesem Falle ist also die Farb- speicherung eine „intravitale“, d.h. sie vollzieht sich intra vitam, wäh- rend des Lebens der Zelle. Ich möchte nicht unterlassen, auf den Doppelsinn des Wortes hinzuweisen. Eben so häufig versteht man unter „intravitaler* Färbung auch die Farbspeicherung, die sich in lebenden Zellteilen selbst vollzieht, nämlich in Kernen. Färbungen, wie sie an den Vakuolenkörnchen der Hefe u. s. w. zu beobachten sind, dürfen durchaus als intravital gelten; aber wie ich fürchte, legt diese Bezeichnung den Schluss nahe, dass es sich in solchen Fällen, wie sie uns soeben beschäftigten, um lebende, farbspeichernde Or- gane handeln müsse, wie bei den zahlreichen Versuchen zur intra- vitalen Kernfärbung u. a., für die ebenfalls nur derselbe Ausdruck zur Verfügung steht. Bei den Vakuolenkörnchen der Hefe handelt es sich um intravital gefärbte, leblose Gebilde, ebenso wie z. B. bei Gerbstoffbläschen. Dasselbe dürfte nach meiner Vermutung auch bei den Vakuolenkörnchen der von Przesmyceki untersuchten Infusorien der Fall sein; die endgiltige Entscheidung hierüber muss ich selbstverständlich den Zoologen überlassen. Hirth, Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen. 311 Wenn die Vakuolenkörnchen den Granula des Plasmas substantiell gleichartig sind, so muss sich die Frage aufdrängen, warum diese farblos bleiben und nur jene sich färben. Färbung kommt „nach be- kannten Gesetzen nur da zustande, wo der in die Zelle eingedrungene Farbstoff in irgend einer Weise in Verbindung übergeführt und dadurch das Fortschreiten der diosmotischen Bewegung in der Zelle verur- sacht wird“. (Pfeffer.) Derjenige Stoff, der in den Körnchen der Hefe die Speicherung des Farbstoffes bedingt, ist vermutlich in der Vaku- olenflüssigkeit gelöst. Die Thatsache, dass bei längerer Einwirkung des Farbstoffes auch die Vakuolen selbst zu starker Farbspeicherung inklinieren, spricht meines Erachtens für diese Annahme. Anders als auf dem Wege der Hypothese bin ich nicht im stande, dieser Frage näher zu treten. Nachdem wir uns darüber klar geworden sind, dass die Vakuolen- körnchen eine leblose, plastisch formbare, halbflüssige Masse darstellen, und dass der Unterschied zwischen ihnen und den Körnchen des Plas- mas nur ein topographischer sein kann, ist es vielleicht nicht uninte- ressant, auf Crato’s Arbeit über Plastinlamellen und Physoden, die wir bereits erwähnten, zurückzukommen. Nach Crato (a.a.O.pag. 418, 419 u.a.) sind die Physoden „bläschenartige, die Lamellen stets torulös auftreibende Gebilde“, welche gelegentlich in die Substanz der Plastin- lamellen, ihrer Trägerinnen, aufgehen und mit ihr verschmelzen. Vor allem sind die Physoden lebendige Substanz, Centralstätten der Lebens- vorgänge, insbesondere der Atmung. (a. a. O. pag. 528, 529.) Wenn nun Crato die Granula der Hefenzellen als Physoden im Sinne der eben resumierten Definition anspricht (a. a. O. pag. 495) und sie mit den Elementarorganen hoch entwickelter Algen ete. auf gleiche Stufe stellt, so kann ich, wie aus dem oben Gesagten hervor- geht, dieser Deutung keinesfalls beistimmen. Der Crato’schen Lehre wird es wahrlich keinen Abbruch thun, wenn die beihoch entwickelten Pflanzengruppen beobachteten Organe bei einfacheren Organismen fehlen, und es liegt meines Erachtens kein Grund vor, die plasma- tischen Organe aller Pflanzen unbedingt nach demselben Schema sich konstruiert zu denken. Berlin, Botanisches Institut d. Univ. Febr. 1898. Georg Hirth, Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen insbesondere Merksysteme und plastische Spiegelungen. Eine Programmschrift für Naturforscher und Aerzte. 1898. Wer sich für allgemeine biologische Fragen interessiert, wird aus diesem Buche Hirth’s gewiss vielfache Anregung erhalten; man muss staunen, in wie hohem Maße es dem Verfasser, der als Zeitungsheraus- geber, Verleger, Kunstschriftsteller und Psychologe eine so vielseitige Thätigkeit entfaltet, gelungen ist, sich auch das Gebiet der exakten Natur- 319 Hirth, Energetische Epigenesis und epigenetische Energieformen. wissenschaften zu eigen zu machen; wenn hiebei mitunter eine T'hatsache über- oder unterschätzt wird, so ist dies etwas, was auch dem auf diesem Gebiete Heimischen leicht vorkommen wird, sobald er von seinem be- sondern Arbeitsfeld auf benachbarte Wissenschaften übergreift. Der Ver- fasser bricht hier eine Lanze für die Epigenesis; das Buch ist dem An- denken C. Fr. Wolff’s gewidmet. Er will aber die epigenetische Auf- fassung nicht nur auf die Entwicklung beschränken, sondern auch ver- schiedene T'hatsachen des psychischen Lebens auf epigenetische Erwerbungen im Laufe der Stammesgeschichte zurückführen und verknüpft die Epigenesis- theorie auf das Engste mit der Energielehre in ihrer modernen Aus- gestaltung. Eine derartige großzügige Durchführung des epigenetischen Prinzips ist umsomehr zu begrüßen, als gerade in der letzten Zeit die Epigenesis durch den minutiösen und kunstvollen Ausbau der Evolutions- lehre durch Weismann etwas in den Hintergrund gedrängt wurde, trotz- dem es ihr ja an Anhängern nie gefehlt hat. Der Gedankengang Hirth’s ist ganz kurz wiedergegeben der, dass die organische Form nur ein Ausdruck der potentiellen Energie des Keim- plasmas ist, die sich während der Entwicklung jedoch außerordentlich vermehrt: „Die Kraft baut sich selbst ihr Haus“. Hieran schließt sich die Ausbildung energetischer Systeme in unserem Nervensystem, deren subjektive Seite die assoziierten Vorstellungen eines Vorstellungskreises, die „Merksysteme“ sind. Verf. geht ausführlich auf diese Merksysteme, sowie in einem besonderen Kapitel auf die Pathologie derselben ein. Ich kann hier auf diese spezifisch psychologischen Gegenstände nur verweisen. Im letzten Kapitel kommt Verf. auf die Frage, ob die räumliche Objektivierung der Sinneseindrücke eine Folge persönlicher Er- fahrung oder eine spezifische Funktion unsres centralen Nervensystems, bezw. der Endorgane der Großhirnrinde, denen die Sinneseindrücke über- mittelt werden, ist und entscheidet sich für den letzteren Vorgang. Es ist dies eine Frage, an der Hirth als Kunstphysiologe besonderes Interesse hat. Da ich nicht Psychologe von Fach bin, so kann ich über die Argumente, welche für die empiristische Theorie der Raumauffassung (Verhalten operierter Blindgeborner etc.) gewöhnlich vorgebracht werden, und deren Wert nicht aburteilen; jedoch erscheint mir die Annahme des Verf., dass das plastische Sehen, räumliche Hören etc. eine Funktion be- sonderer energetischer Systeme, die in der Stammesgeschichte epigenetisch erworben, sich bei der Entwicklung des Individuums wieder bilden, durchaus möglich und plausibel; manche Erfahrungen der Tierpsychologie können diese Annahme bestärken. Dass eine so viele Gebiete berührende Arbeit, auch zu manchen Ein- wendungen Gelegenheit giebt, ist ja wohl selbstverständlich; so scheint mir, dass der Verf. die Energie zu sehr als etwas real existierendes be- handelt hat; ich weiß aber wohl, dass auch Ostwald einen ähnlichen Stand- punkt einnimmt, so dassman dem Verf. daraus keinen Vorwurf machen kann. Es hat eben meines Erachtens wenig Vorteil, die Materie von ihrem Throne zu stoßen und gleich darauf. die Energie auf denselben zu setzen und sich so wieder ein „Ding an sich“ zu schaffen, das hinter den Er- scheinungen steckt und aller Erfahrung unzugänglich ist; wenn wir hin- gegen die Energie nur als eine messbare Größe auffassen, so haben wir den Vorteil in der wissenschaftlichen Beschreibung unserer Erfahrung von Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 313 allen transcendenten Bestandteilen absehen zu können. Wenn Hirth meint, dass die uns aus der anorganischen Welt bekannten Energieformen zur Erklärung des organischen Lebens nicht ausreichen, so teilt er zwar diese Meinung mit manchen Vertreter der biologischen Wissenschaften ; meines Erachtens ist diese Annahme als Möglichkeit zwar stets im Auge zu behalten, sie aber heute als etwas Notwendiges hinzustellen, sind wir nicht gezwungen. Wohl nur ein Mangel in der Präzision des Ausdrucks dürfte es sein, wenn der Verf. die psychischen Erscheinungen direkt für kinetische Energie erklärt, während sie doch wohl nur als Abhängige derselben angesehen werden können. Mit der Erfahrungsphilosophie von Avenarius hat der Standpunkt des Verf. manche Verwandtschaft, ohne dass ihm dieselbe jedoch bekannt zu sein scheint. [47] P. Samassa. Die geographische Verbreitung der Wirbeltiere in der Grön- land- und Spitzbergensee, mit Berücksichtigung der Beobachtungen Nansen’s. Von Dr. phil. Hermann Trautzsch, Oberlehrer an der städtischen Realschule zu Chemnitz. Zwei Jahre sind es her, dass wir die dreihundertjährige Feier der Entdeckung Spitzbergens begehen konnten, zu Ehren Barent’s, des glücklichen Finders. 1596 hatte er dieses damals nördlichste der bekannten Eilande entdeckt, bald darauf sandte die „Company for the discovery of unknown countries“ ihren Kapitän Jonas Poole auf Ent- deckungsreisen, dem Pole zu |vergl. 19, Kap. 16]!). Von dieser Zeit an beginnt man immer und immer wieder Vorstöße zu wagen, um weiter nach Norden zu dringen, und unserer Zeit ist es vorbehalten gewesen, diesen Expeditionen nicht bloß im Interesse des Handels und Gewinnes größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, sondern auch um durch sie die Grundlagen der geographischen und naturwissenschaftlichen Kenntnis zu gewinnen. Lange Zeit war es hauptsächlich das Interesse an der Erweiterung unseres geographischen Wissens über die Verhältnisse des nördlichen Eismeeres und dabei besonders des europäischen Teiles, dem die nötigen Mittel für die Nordpol- Expeditionen entflossen; nur vereinzelt fielen Brocken ab für andre Naturwissenschaften; am stiefmütterlichsten wur- den Botanik und Zoologie behandelt. Wohl finden sich in allen Reisewerken Notizen über die Tierwelt, insofern sie Anlass zur Jagd gab; aber diese Bemerkungen sind zer- streut, verlangen ein eifriges Sammeln und bedürfen kritischer Beurtei- lung, wenn sie einigen Wert für unsere naturwissenschaftliche Kenntnis gewinnen sollen. Erst in allerneuester Zeit haben die Expeditionen mehr Rücksicht auf die Verbreitung der Fauna und Flora gewonnen, 1) Die Ziffern verweisen auf das Litteraturverzeichnis. 314 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, erst in neuester Zeit, von der herrschenden Strömung in der Wissen- schaft getrieben, ist es gelungen, Expeditionen mit vorwiegend fau- nistischen Tendenzen ins Werk zu setzen. So anerkennenswert viele Notizen in früheren Berichten sind; ihre Bedeutung abzuschätzen, wird es noch mancher Expedition bedürfen, wenn man zu einer abgeschlossenen Kenntnis der Verbreitungsgebiete der Tierformen im Polarmeere kommen will, — umsomehr, als man zu einem vollen Verständnis der Verbreitungsgrenzen nur gelangen kann, wenn man sie in Bezug setzt zu den topographischen, physika- lischen, meteorologischen Verhältnissen u. s. w. der Länder und Meere, in denen die Tiere ihre Existenzbedingungen finden. Die Tiergeographie ist noch eine junge Wissenschaft, sie harıt ihres Ausbaus. Man wird um so eher zur Gewinnung ihrer Prinzipien gelangen können, wenn man von gut charakterisierten Gebieten mit einfachen Verhältnissen ausgeht. Dass die arktische Region unsres Erdballs die weitgehendste Einfachheit in dieser Beziehung bietet, be- darf keines Nachweises; es genügt, die komplizierten Verhältnisse unserer gemäßigten Zone dagegen zu halten und an das Gesetz zu erinnern: die Zahl der Tier- und Pflanzen-Eormen nimmt nach dem Nordpole zu ab, die Zahl der Individuen nimmt zu. Es ist klar, dass die Existenzbedingungen das Vorkommen der Tierformen bedingen, dass ihnen sich das Tier in Gestalt, Bekleidung, Lebensweise etc. anpasst. Um eine klare Einsicht in die Verbreitung gewisser Tierformen zu gewinnen, ihnen Grenzen anzuweisen, genügt es daher nicht, dieselben einfach durch Gradbezeichnungen, Länge und Breite, oder durch Küstenlinien, Strandlinien u. s. w. anzugeben; einen wissenschaftlichen Wert erhalten solche Bezeichnungen erst dann, wenn man die Beziehungen zu der Verbreitungszone aufweist, welche die Existenz der Tiere ermöglichen, aber auch zugleich ihre Form be- gründen. Es wird sich darum handeln, die Abhängigkeit der Tierwelt in den Beziehungen der einzelnen Formen zu einander, zur Flora, zu den Bodenverhältnissen, den physikalischen und meteorologischen darzu- stellen; daran wird sich auch eine Betrachtung über ihr Herkommen, ein Vergleich mit ihren Verwandten in anderen Gebieten der Erde schließen müssen, und die Frage nach Wanderungen und Zügen wird eine Antwort verlangen. Der Kreis der Säugetiere ist es besonders und nächst ihm die Vogelwelt, welche den Charakter einer Region bestimmt, die Land- und Luftbewohner; doch dürfen wir die Tiere des Wassers, teils ihre Feinde, teils ihre Beute, nicht außer Acht lassen, und darum werden auch die Fische, die sich dem Auge des Beobachters zunächst ent- ziehen, in den Kreis der Betrachtung gezogen werden müssen. Als tiergeographische Studie und Beitrag zur Kenntnis der Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 315 Fauna des europäischen Eismeeres lässt sich durch eine Uebersicht über die Wirbeltiere ein Bild gewinnen, welches zu einem weiteren Ausbau Anlass geben kann. Bevor ich die eigentliche Aufgabe, die Verbreitung der Wirbel- tiere in der Grönland- und Spitzbergensee in Angriff nehme, ist es notwendig, die Grenzen des Gebietes festzustellen, auf welches sich die Untersuchung erstrecken soll. Ich ziehe die Grenzen!) folgendermaßen: Die Ostküste Grönlands schließt im Westen ab; von der Südspitze dieser Insel, dem Cap Farewell ziehe ich eine Linie nach der Nord- küste Europas, etwa zum Nordeap; von hier aus betrachte ich die Küste Finnmarkens, der Halbinsel Kola etc. bis Jugor-Schar als Süd- grenze; die Westküste Nowaja-Semljas verfolge ich bis zu seiner Nordspitze als Ostgrenze; nach Norden eine Grenze anzugeben ist nicht nötig, sie ergiebt sich von selbst aus dem gegenwärtigen Stande der Forschung. Es fallen demnach in unser Gebiet: die Spitzbergengruppe, Franz- Josephsland, König-Karlsland, die Westküste Nowaja-Semljas, die Insel Waigatsch, Bäreninsel, Jan-Meyen und die Nordküste Islands, ver- gleichsweise die Nordküste des europäischen Festlandes, sowie die angrenzenden Gebiete des asiatischen Eismeeres und die Ostküste Grönlands; die vergleichende Stellung der Wissenschaft macht es nötig, die umgebenden Gebiete heranzuziehen. Säugetiere. Sämtliche der Polarregion angehörenden Säugetiere lassen sich in drei Gruppen bringen und zwar nach dem Aufenthaltsorte und ihrer Lebensweise. Weil diese Verhältnisse die einzelnen Gruppen charak- terisieren und die Tierformen mit einem physiologischen Bande um- schließen, folge ich ihnen im Laufe der Darstellung und gliedere die Säuger der Grönland- und Spitzbergensee in: Landtiere, Eistiere und Wassertiere. 1. Die Landsäuger. Eine vollkommen scharfe Abgrenzung ist nicht wohl möglich. Als reine Landsäuger betrachte ich: das Rentier, den Eisfuchs, den Eis- hasen und den Lemming (Hermelin, Wolf und Vielfraß werden nur gestreift, ebenso der Moschusochse); der Eisbär stellt das Verbindungs- glied mit den Eissäugern dar. Das Rentier. Cervus |Rangifer] tarandus Lin. Für unser Gebiet kommt hauptsächlich eine Varietät des Rentiers in Betracht, die forma spitzbergensis. Es stellt sich heraus, dass nur 1) Dieselben sind nach dem Erscheinen von Nansen’s „In Nacht und Eis“ über das von ihm erforschte Gebiet durch Nachtrag erweitert worden, nach Osten bis über Cap Tscheljuskin hinaus. 316 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. der Spitzbergenarchipel und die umliegenden Inseln als Heimat des Tieres bezeichnet werden können; Island, Jan-Meyen und die Bären- insel bleiben außer Acht, da letztere keine Rentiere beherbergen und die auf Island eingeführten einer anderen Form angehören. Ebenso werden die auf Nowaja-Semlja vorkommenden Arten von verschiedenen Forschern ‚als zu einer anderen Varietät gehörig bezeichnet, doch kommen sie bei der Frage nach den Wanderungen in Betracht. Auf der Spitzbergengruppe werden als gute Jagdplätze auf Ren- tiere folgende genannt: Hornsund (geringe Anzahl), Belsund, an der Nord- und Ostküste (van Mijen Bai), der Eisfjord — besonders Kohlen- bai, Adventbai, Sassenbai, die Landzunge zwischen Klaas Billen Bai und Nord-Fjord —, die Redbai (selten), die Wijde-Bai (und zwar am West- und Ostrande), Musselbai, Treurenbergbai und Lommebai [2 S. 195/196]; diese Orte gehören sämtlich Westspitzbergen an; auf Nordostland sind besonders hervorzuheben: die Branntweinbai und Cap Wrede, von den nach Norden vorliegenden Inseln die Sieben -Inseln, Phipps-, Castren-, Parry-, Martens- und Carl XII-Inseln [19 S. 189]. Auf Barentsland und Stans-Foreland ist ihr Vorkommen am Helissund, dem Walter Thymen-Fjord und dem Küstenstrich von der Discobai nach Whales Point konstatiert. Ich füge dem noch die Resultate der Forschungen von Professor Kükenthal bei. 1886 fanden sich Rentiere, noch mit dem weißen Winterpilz bekleidet, im Juli bei Green-Harbour [6 S. 26], 1889 wurde ein Männchen aus einer Herde an Whales Point geschossen [7 8. 38]. Auch auf den Ryk-Is-Inseln [7 8.73, 74] fanden sich Spuren von Rentieren, ebenso an der Küste von Barentsland [7 S. 77] und auf den König Karls-Inseln ist es gelungen das Ren zu entdecken |7 S. 67, 12 8.115]. Auf Franz Josephs-Land hingegen, dem nördlichst be- kannten Lande ist es Payer [15] nicht gelungen, die Spuren von Rentieren aufzufinden. (Ueber Nansen’s Beobachtungen vgl. Nachtrag.) Ein Ueberblick über die Karte Spitzbergens, auf welcher man sich das Vorkommen der Rentiere markiert, führt zu dem eigentüm- lichen Resultate, dass sie die Nordküsten und die nach Nordwest ge- legenen ebenen Striche der einzelnen Inseln bevorzugen; sie fehlen dagegen oder treten doch ganz selten (Barents-Land) an den nach Süd-Ost gerichteten Küstenstrecken auf. Diese Striche sind allerdings weniger genau bekannt, sie setzen durch ihre Steilküsten einem Ein- dringen die größten Schwierigkeiten entgegen; ein Schluss auf den absoluten Mangel der Tierform in den südöstlichen Küstengebieten ist daher nicht erlaubt. So viel lässt sich aber aus allen Beobachtungen ersehen, dass das Ren niedrig gelegene Gegenden zu seinem Aufent- haltsort und Weideplatz wählt (wenigstens im Sommer), hingegen steil aufsteigende gebirgige Gebiete meidet. Dies lässt sich im Hinblick auf seine Nahrung erklären; sie besteht ja zum großen Teil aus Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 317 Flechten und Moosen, welche die Thalgründe üppig überziehen, wäh- “ rend sie in größerer Höhe auf den eisigen Inseln nur ein jämmerliches Dasein unter Schnee und Eis fristen. Damit treten wir den Ernährungsverhältnissen des Tieres näher. Das Ren nährt sich von dem spärlichen Pflanzen wuchs des Nordens, von Moosen und Flechten. Aber dies ist nur im Sommer der Fall; im Winter schwindet der Vorrat an Vegetabilien zusammen, nur unter dem Schnee hervorgescharrte Pflänzchen helfen das Leben erhalten. Wenn aber der Frühling kommt und der Schnee schmilzt um dann zur Kruste zu gefrieren, da beginnt eine Hungerperiode, denn dann nützt alles Scharren nichts mehr. Wovon leben die Rentiere in der langen nordischen Winternacht und dem, wenn auch kürzeren Frühling, der ihnen alle Nahrungs- quellen verschließt? Die Ansichten darüber gehen sehr weit auseinander. Der Ausweg, welchen das verwandte Ren in den nördlichen Ge- bieten des Festlandes ergreift, die Wanderung nach dem Süden, ist von vornherein ausgeschlossen. Nun ist beobachtet, dass das Ren während der Weidezeit des Sommers sich einen stattlichen Reservefond für schmale Zeiten anlegt, ja dass es sich eine Fettlage von 53—5 em Dicke anfrisst. So schreibt Torell |19 S. 309], dass er im Anfang des Monats September Tiere mit einer 3 Zoll dieken Fettschicht geschossen. Er fügt hinzu: „Schon Ende Juli hat das magere, kaum essbare „Juni-Ren seine Speckhülle bekommen, von welcher es wahrscheinlich „während des langen Winters, da es eingeschneit im Winterschlafe „liegt, sein nur mattes Leben fristet“. Das erste Ren, welches derselbe Autor am 1. Juni (Roodbai 79° 52‘ n. Br.) |19 S.53] erlegte, war eine ganz magere ausgewachsene Kuh. Gegenüber Torell spricht sich Nordenskjöld in der Beschreibung der Vega-Expedition |12 S. 117—118] folgendermaßen aus: „Im Sommer „hält sich das Rentier zwischen den Grasflächen in den eisfreien Thal- „gängen der Insel (Spitzbergen) auf, im Spätherbste zieht es nach „der Aussage von Fangmännern nach der Meeresküste, um das See- „gras zu fressen, welches sich am Strande aufgeworfen findet, und im „Winter begiebt es sich zu den moosbedeckten Bergeshöhen im Innern „des Landes, obgleich die Kälte dort im Winter fürchterlich strenge „sein muss. Wenn die Rentiere im Frühjahre nach der Küste zurück- „kommen, sind sie nämlich noch ganz fett, aber wenige Wochen später, „wenn sich auf dem Schnee eine gefrorne Rinde gebildet hat, und „die Eiskruste die Abhänge der Berge schwer zugänglich macht, dann „werden sie so mager, dass man sie kaum essen kann. Im Sommer „fressen sie sich aber bald wieder fett“. Der Meinung Nordenskjöld’s kann man sich gewiss leichter 348 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. anschließen, als der Erklärung Torell’s; erstere macht die Annahme eines Winterschlafes unnötig und beschränkt die Carenzzeit auf ein Minimum, erleichtert somit das Verständnis dafür, wie die Rentiere mit der aufgespeicherten Fettlage haushalten, bis bessere Zeiten kom- men. Die Existenzfähigkeit des Rens auf Spitzbergen ist zweifellos und wohl auf Nordenskjöld’sche Art zu erklären, umsomehr, als selbst die norwegische Varietät nach den Beobachtungen des genannten Forschers |12 S. 115] das Klima Spitzbergens verträgt, sich der Forma spitzbergensis anschließt und im nächsten Jahre bei den einheimischen Heerden sich wohl und munter wiederfindet. Dem gegenüber kann es befremdlich erscheinen, dass das Ren auf Franz-Josephs-Land nicht vorkommt. Einiges Licht wird sich vielleicht gewinnen lassen, wenz man zu- nächst an die Frage herantritt. Wie kommt das Ren überhaupt auf den spitzbergenschen Archipel ? Man muss sich hier daran erinnern, dass alle Reisenden, denen das Ren Nowaja-Semljas und das Grönlands bekannt ist, — von dem Ren des Festlandes vorläufig abgesehen, — sich darüber einig aus- sprechen: dass die spitzbergensche Form eine andere Varietät dar- stellt, als die forma groenlandica und die Form Nowaja-Sem]jas. Der Vermutung, dass eine Einwanderung des Rens von Nowaja- Semlja nach Spitzbergen stattgefunden habe, stellt sich daher Nor- denskjöld energisch gegenüber [12 S. 113]. „Dass dies nicht der Fall ist“, führt er aus: „zeigt sich darin, „dass das Spitzbergensche Rentier einer von dem Nowaja-Semlja „Rentiere abweichenden Rasse anzugehören scheint, welche sich durch „kürzere Beine, sowie einen diekeren und fetteren Körper auszeichnet“. So apodiktisch gewiss ist es aber wohl nicht, dass eine solche Einwanderung nicht stattgefunden habe; es lässt sich auf die Unter- schiede der Varietäten ein solches Urteil nicht gründen; denn es ist sehr wohl anzunehmen, dass das Klima Spitzbergens und der etwa durchwanderten Länder verändernd auf die Tiere wirkte. Das neugefundene König-Karls Land |7, Karte], wie es Professor Kükenthal beschreibt und zeichnet, liegt auf dem Wege von Nowaja- Semlja und es ist als sehr wahrscheinlich anzunehmen, dass nordöst- lich jenseits der Grenze des Packeises, das sich zwischen Spitzbergen und Nowaja-Semlja erstreckt, noch andere Inseln liegen. Auf den König-Karls Inseln kommen Rentiere vor. Vergleicht man dazu die Strömungsverhältnisse nördlich von Nowaja-Semlja, so gewinnt die Vermutung einer Einwanderung, vermittelt durch Eisfelder und den kalten Strom, welcher von Nowaja-Semlja nach den König-Karls Inseln, Barent’s Land etc. geht, und durch zwischen liegende Inseln an Wahrscheinlichheit. Einen Vergleich mit der grönländischen Varietät anzustellen, halte 'Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 319 ich für überflüssig. Die Unterschiede sind größer als gegenüber der Nowaja-Semlja-Form, und eine Einwanderung von Grönland aus dürfte auch die kühnste Phantasie nicht annehmen, da der Spitzbergen- Archipel von Grönland durch den kalten Strom getrennt ist, welcher, von Norden kommend, an der ostgrönländischen Küste nach Süden geht und sich bis nach Labrador hin fühlbar macht [3, Karte u. 18, Karte]. Vielleicht dient aber doch dieser Strom zu einer Klärung der Sachlage. Es ist Grund zu der Annahme [Hypothese Nansen’s!)] vor- handen, dass dieser Strom an der Ostküste Grönlands die Fortsetzung oder ein Teilstrom eines anderen ist, welcher von den Neusibirischen Inseln nach dem Nordpol und von da sich teilend nach den Nord- küsten Spitzbergens einerseits, nach Grönland zu andererseits fließt [vergl. das Schicksal der „Jeanette“. Ebenda Weyprecht 20]?). Dieser 'Strom wäre bei günstigen Eisverhältnissen vielleicht im Stande, Rentiere an die Nordküsten Spitzbergens zu führen, sei es von unbekannten Eilanden um den Nordpol, sei es über diese hinweg von Neusibirien und Ost-Asien her. Für solche Inselgruppen im Norden spricht der Vogelflug spitz- bergischer Formen nach dem Pole zu, die dort ihre Brütplätze haben müssen, da solche auf dem Spitzbergen- Archipel nicht existieren’). Dazu halte man Nordenskjöld’s [12 S. 117] Aeußerung: „Wenn, wie verschiedene Umstände wirklich andeuten, eine „Einwanderung von Rentieren nach Spitzbergen stattfindet, so muss „dies von irgend einem im Nordnordost belegenen noch unbekannten „Polarlande geschehen. Nach der Meinung einiger Fangmänner „finden sich sogar Anzeichen vor, dass dieses unbekannte Land be- „wohnt ist, da zu wiederholten Malen berichtet worden ist, dass man „auf Spitzbergen gezeichnete Rentiere gefangen hat. Die erste „Nachricht hierüber findet sich bei Witsen („Noort ooster gedeelte „van Asia en Europa“, 1705, II, 904) mit der Angabe, dass die Ren- „tiere an den Hörnern und Ohren gezeichnet waren“. Wenn sich Nordenskjöld auch bemüht, die gestutzten Ohren auf Frostschäden zurückzuführen, so bleibt doch die Zeichnung der Gehörne unerklärt und als ein Moment bestehen, welches der Meinung jener Fangmänner Recht giebt. Eine Bemerkung Torell’s [19 S. 231] könnte geeignet erscheinen, die Hypothese von einer Einwanderung des Rens nach Spitzbergen überhaupt wankend zu machen. Er berechnet die Zahl der erlegten „gezeichneten“ Tiere auf jährlich 100—150 und fügt hinzu: „eine 4) jetzt wohl als sicher anzunehmen. 2) vergl. Sverdrup’s Fahrt. 3) nachgewiesen auf Franz Josephs Land, Cap Flora; vergl. 21. Desgl. die Liste über „Vögel“. 390 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. solche Heerde, welche allein durch „Auswanderung“ jährlich 100 Köpfe verlieren sollte, würde sich schwerlich lange halten“. Torell vergisst aber dabei anzugeben, wie groß er die Mutterheerde schätze, und dass die Rentiere sehr starke Vermehrung aufzuweisen haben, so dass der Ausfall allein dadurch schon gedeckt würde. Auch ist zu erwägen, dass die Einwanderung durchaus nicht jedes Jahr zu erfolgen braucht, dass diese vielmehr von den Eisverhältnissen abhängig sein muss, und dass die eingewanderten Rentiere sich auf Spitzbergen auch ver- mehren. Ich weise noch darauf hin, dass die Nordgrenze für das Verbrei- tungsgebiet des Rens eine unvollständige ist und sich nach keinem Reisebericht vervollständigen lässt, so dass man genötigt ist, wie dies auch Brauer |2, Karte] gethan, beim 120° westl. Länge in 77° n.Br. zu beginnen und nördlich von Spitzbergen vorüberlaufend am 70° östl. Br. an der Nordspitze Nowaja-Semljas am 75° n. Br. zu endigen. Es bleibt also späteren Expeditionen vorbehalten, nach dieser Richtung für 140 Längengrade eine nördliche Verbreitungsgrenze festzustellen oder doch Beobachtungen zu liefern, die eine weitere Bestimmung der Grenzlinie möglich machen. [Wenn es überhaupt eine giebt]!). Nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse lässt sich ein ab- schließendes Urteil über die Einwanderungsfrage nicht geben; es bleibt nur die Möglichkeit einer Einwanderung von Nowaja-Semlja und die Wahrscheinlichkeit einer solchen von einem unbekannten Lande von Nordnordosten von Spitzbergen, seies auch über dem Nordpol gelegen. Ich füge eine Bemerkung Kükenthal’s an, welche einen An- haltspunkt bietet: „Da gegenüber den Inseln (Ryk-Is-Inseln) in meilen- „weiter Ausdehnung sich der große Gletscher erstreckt, so müssen „diese Tiere (Ren) Wanderungen von vielen Meilen auf dem Festeis „unternehmen können, eine Thatsache, welche auf die Frage nach der „Herkunft der Rentiere auf Spitzbergen überhaupt Licht zu werfen „geeignet ist* |7 8. 74). Dies passt zu beiden Hypothesen, mag man sich der Heugllins [4 S. 222] mit der Annahme des Zuzugs von Nowaja-Semlja an- schließen oder dieselbe mit Nordenskjöld bestreiten, und auf ein unbekanntes Land verweisen. Der Eisfuchs. Canis lagopus L. Von diesem Tiere lässt sich von vornherein angeben, dass es alle in das Gebiet der Grönland- und Spitzbergensee fallenden Inseln be- völkern kann; nur von Jan Meyen ist es fraglich, ob es wirklich daselbst heimisch ist. Der Eisfuchs ist in allen Gegenden des Polar- gebietes zu finden, und da er sich weit nach Süden auf das Festland 1) Hier sei noch darauf aufmerksam gemacht, dass die Brauer’sche Karte bezüglich der Nordküste Grönlands wohl einer Berichtigung bedarf. T'rautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 321 hinüber verbreitet, unterlasse ich es, eine Grenze zu ziehen'!). Bären- Eiland, Spitzbergen, Franz- Josephs-Land, ebenso Nowaja-Semlja und Grönland beherbergen das Tier |19 S. 23, 168, 452; 12 S.127|. Man könnte versuchen, das Vorkommen der Weiß- und der Blaufüchse be- sonders anzugeben, dem sprechen aber die Uebergänge Hohn; sah doch Prof. Kükenthal ein Exemplar, dessen vordere Hälfte weiß, dessen hintere Hälfte schwarz |7 S. 39] gefärbt war. Die Bewohnbarkeit durch Eisfüchse darf man Jan Meyen jeden- falls nicht absprechen; denn ihre Nahrung finden sie überall, wo Alken und Eidergänse heimzusuchen sind [19 S. 152]. Man begreift dagegen kaum, wie er im Winter seine Nahrung findet, da mit Aus- nahme des nur seltenen „Fjeldhuhnes alle Vögel von Spitzbergen fort- ziehen, zumal er keinen Winterschlaf hält“. Eier findet er nicht vor, und der Fischfang ist ihm außerordentlich erschwert ?). Die Annahme ist in- dessen möglich, dass die hungrigen Füchse andere, schwächere Leidens- gefährten gleicher oder fremder Familien aufzehren oder auch von den Ueberresten gefallener Tiere ihr Leben erhalten und so den Kampf ums Dasein bestehen. Ueber das erste Auftreten der Eisfüchse auf den Inseln wissen wir nichts, nur soviel ist sicher, dass sie weite Wanderungen über das Festeis ausführen können und dass man sie darum wohl als nach Norden vorgeschobenen Posten der Polarfüchse des Kontinents be- trachten kann. Wenn von Heuglin |4 S. 221| erzählt, dass auch der gemeine Fuchs, Canis vulpes L., nach dem Bericht einiger nor- wegischer Kapitäne auf Spitzbergen getroffen worden sei, so muss ınan diese Nachrichten jedenfalls mit Vorsicht aufnehmen. Der Eishase. Lepus variabilis Pallas (glacialis). Ganz merkwürdig stellt sich die geographische Verbreitung des Eishasen in unserem Gebiete. Während der Hase allen umliegenden Kontinenten eigen, auf den Inseln nördlich des Festlandes von Nord- amerika (Grantland) bis 83° n. Br. heimisch ist, ebenso auf. Grön- land, wo er an der Ostküste bis zum 77° n. Br. hinaufreicht, fehlt er vollständig auf sämtlichen Inseln nördlich von Europa und Asien, und nur Franz-Josephsland macht eine Ausnahme davon. Payer fand auf der Hohenlohe-Insel [15 S. 275] neben zahlreichen Exkrementen von Polarfüchsen auch die eines Polarhasen. Was soll man mit diesem Funde anfangen? An seiner Thatsäch- lichkeit ist kein Zweifel, aber die Folgerung, dass auf Franz-Josephs- land der Hase heimisch sei, dort zahlreich lebe, sieh fortpflanze, ist 1) nach Nansen’s Erfahrungen auch unmöglich. 2) vergl. Nachtrag. XVII. 21 399 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. doch mit großer Vorsicht zu ziehen. Man kann sich aber wohl denken, dass ein unglückliches Exemplar dort angetrieben worden ist und nach wenig Stunden die Beute eines hungrigen Fuchses oder Eisbären wurde. Es scheint mir zum mindesten gewagt, die nördliche Verbreitungsgrenze des Hasen zwischen Spitzbergen und Nowaja-Semlja plötzlich einen Bogen nach Norden beschreiben zu lassen, wodurch Franz-Josephsland in das Verbreitungsgebiet eingeschlossen wird, wie Brauer [2 Karte] zeichnet; wenigstens würde ich vorläufig ein dickes Fragezeichen da- neben setzen. Die eigenartige Verwertung dieses Falles führt mich dazu, den Lemming, Myodes torquatus, in den Kreis der Besprechung zu ziehen, umsomehr, als die Südgrenze, wie sie Brauer [2, Karte] für dieses Tier zieht, einer Berichtigung bedürftig erscheint. Zur Beurteilung der Frage, ob der Lemming auf Spitzbergen vor- kommt, sehe ich mich genötigt, Brauer’s |2 S.228] Auslassung wört- lich zu eitieren. „Seit Parry (1817/18) die Nachricht brachte, unter 82°, 20° n.Br., „nördlich von Spitzbergen das Skelett eines Lemmings gefunden zu „haben, spielt die Frage nach dem Vorkommen des Tieres auf der „Insel. Alle späteren Forscher brachten keine neue Nachricht oder „bestritten das Vorkommen, wie z. B. Malmgren [9 S. 127—155; „dto. Peterm. Mitt., 1865, S.114; dto.12u.19] und Nordenskjöld. „Erst von Heuglin [Reisen III, S. 8; 4 S. 217] berichtet näheres „und bestimmteres; er fand seine Spuren in Höhlen um die Adventbai „im Eisfjord und hörte auch von einem Harpunier, dass er einen Lem- „ming ausgegraben habe. Martius |„Von Spitzbergen zur Sahara“. „Jena 1868, I, S. 118] bestätigte Heuglin’s Angabe, indem er einen „kleinen Nager, die Maus der Hudsonsbai (also Myodes torguatus), der „im Winter weiß werde und den durch seine Wanderungen berühmten „Lemming Norwegens vertrete, als einheimisches Tier aufführt. Damit „ist des Tieres, wenn auch seltenes Vorkommen, außer Frage gestellt“. „Auf dem benachbarten König Karlslande und Franz-Josephsland „fehlt er. Auf Nowaja-Semlja ist er im südlichen Teile zuhause „— und hier am Gänsekap, Matotschkin Schar, Kostin Schar an- „getroffen. Von der Nordinsel scheint er nur den südlichen Teil zu „bewohnen“ [4 8.217, 219, 220; Peterm. Mitt. 1871, S.35; 12 S. 128; Lundström, Pet. Mitt. 1875, S. 473; 18 S. 97/98]. Soweit Brauer. Nun zieht er die Südgrenze dergestalt, dass Ostspitzbergen, Nordostland und die Westspitzbergischen Inseln exel. König-Karlsland zu dem Gebiet des Lemmings gerechnet werden, die Linie schließt dagegen Franz-Josephsland und die nördliche Hälfte der Nordinseln Nowaja-Semljas aus. Letzteres ist inkonsequent; denn das Vorkommen des Lemmings in diesem Teile Nowaja-Semljas ist durchaus wahrscheinlich, da er Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltierein der Grönland- und Spitzbergensee. 593 den südlichen sicher bewohnt. Der Fund des Skelettes hat gar keine Beweiskraft für Spitzbergen; dann nördlich von dieser Inselgruppe ist es sehr leicht möglich, dass dasselbe durch einen kalten Strom aus nördlicheren Gebieten mittels des Eises an den Fundort gebracht wurde. Wollte Brauer die Grenze streng ziehen, auf von Heuglin’s An- gaben fußend, so durfte er nur die Gegend Westspitzbergens um den Eisfjord in das Bereich des Lemmings ziehen. Nordostland dazu zu rech- nen und außerdem Barentsland und Edgeland, lässt sich auf keinen Fall rechtfertigen. Was nun das Vorkommen des Lemmings am Eisfjord anlangt, müssen wir v. Heuglin selbst hören und die Untersuchungen der neuesten Forscher vergleichen. v. Heuglin [4 S. 217] schreibt: „Myodes torquatus var. pallida. Er ist uns aus dem ganzen Küsten- „land des polaren Nordamerika, von der Küste des Eismeeres, vom „Weißen Meere an ostwärts bis zum Obj, aus dem Taimyr-Busen von „der Lena- und Janamündung, endlich von der Insel Unalaschka, den „Neusibirischen Inseln, von Nowaja-Semlja, Spitzbergen und Grön- „land bekannt.. „Malmgren (Bihang till lerättelsen om den Svenska expeditionen „till Spetzbergen 1864, Stockholm 1868, p. 6) leugnet zwar die Existenz „jedes Nagers auf Spitzbergen aufs Entschiedenste: P&ä Spetzbergen „lefver ingen enda gnagare“; aber schon Torell (Geogr. Mitt., 1861, „SD. 57) und die französische Expedition (Esquisse phys. des Iles de „Spitzbergue, Paris 1866) erwähnen den Aroidola hudsonius als Be- „wohner der genannten Insel. Parry endlich versichert, ein Skelett „dieses Tieres auf dem Eise unter 84?/,° n. Br. (nördlich von Spitz- „bergen) aufgefunden zu haben. Dass dasselbe, wie Malmgren an- „nehmen will, durch Polarströmung dahin gelangt sei, scheint gar „nicht wahrscheinlich, denn diese treibt erfahrungsgemäß nach Süden „und nicht in umgekehrter Richtung. „Ich kann versichern, auf Spitzbergen, namentlich um die Adventbai „am Isfjord, Lemminghöhlen angetroffen zu haben, jedoch nicht in der „Menge, wie z. B. auf Nowaja-Semlja, und ein ganz glaubwürdiger „Harpunier berichtet mir, er habe eben auf dem genannten Fundorte „eines dieser Tiere ausgegraben, es sei dasselbe der norwegischen Art „ähnlich, aber kleiner und obenher ganz grau gewesen“. Zu diesen Angaben Heuglin’s sei bemerkt, dass Malmgren jedenfalls eine Anschwemmung von Norden her im Auge gehabt hat, dass dieses Argument also bestehen bleibt, und dass es sich nach den genaueren Untersuchungen Prof. Kükenthal’s herausgestellt hat, dass jene Löcher v. Heuglin’s mit Lemminghöhlen nichts zu thun haben. Es bleibt also der Satz Malmgren’s in Kraft: Auf dem Spitzbergen-Archipel kommen keine Nager vor. 21” 394 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in derGrönland- und Spitzbergensee. Einige Worte müssen wir dem Moschusochsen, Ovebos moschatus widmen, obwohl derselbe im Gebiete des europäischen Eismeeres nicht vorkommt. Er zeigt sich jedoch an der Ostküste Grönlands in dessen nördlichsten Gegenden, von wo eine Einwanderung nach den übrigen in der Grönland und Spitzbergensee liegenden Inseln ausgeschlossen ist, er ist und bleibt ein Tier der neuen Welt. Hier sei bemerkt, dass auch das Hermelin, der Wolf und der Vielfraß den Inseln unseres Gebietes mangeln. Fassen wir die besprochenen Arten als Angehörige der Land- säuger auf, so wird man fragen, wo bleibt der Eisbär, Ursus maritimus L. Dieser bildet seiner ganzen Lebensweise nach den Uebergang von der Landfauna zur Eisfauna und somit auch ein vermittelndes Glied zu den Wassersäugern. Er lebt immer an den Küsten und hält sich am liebsten auf dem Rande des Eises und auf dem Treibeise auf. Dies ist durchaus nicht zufällig. Man hat konstatieren können, dass mit dem Rückgange der Robben auch der Eisbär abnimmt. Eine Nordgrenze lässt sich nicht ziehen, die Südgrenze wird im großen ganzen vom Festland und durch die Eisverhältnisse bestimmt, dieselbe wechselt also mit der Veränderung der Südgrenze der Eisscholle, welche durch die herrschenden Winde und die warmen Meeresström- ungen ihre Bestimmung findet; seine Verbreitung welchselt demnach auch der Zahl nach an verschiedenen Orten mit der Jahreszeit. Ziehen wir zunächst Nordenskjöld’s Beobachtungen in Be-, tracht [12 8. 120). Der Eisbär sucht Küsten und Eilande auf, die vom Treibeis um- geben sind, er wird aber auch auf Eisfeldern weit draußen auf offner Dee angetroffen; als guter Schwimmer hat er sogar einmal der Küste Östfinnmarkens im Kjöllafjord [März 1853, 8 u. 18] einen Besuch abgestattet. An den eisfreien Südwestküsten Spitzbergens und Nowaja- Semljas ist er ein ziemlich seltener Gast, in den nördlichen und öst- lichen Gegenden tritt er häufiger auf; auch die Nordküste Asiens ist ein Jagdgebiet für den Eisbär, während er die Gegend des weißen Meeres meidet. Das hängt jedoch damit zusammen, dass ihm daselbst die Jagd durch den Menschen entzogen ist. Die Erklärung findet man, wenn man sich daran erinnert, dass seine Nahrung hauptsäch- lich in Seehunden besteht, auch Walrosse schmecken ihm und Rentiere, wenn es ihm gelingt, solche zu erlangen; in schlechten Zeiten begnügt er sich wohl auch mit Fischen und Vegetabilien, ja Kükenthal |7 S. 45] fand sogar Vogeleier im Magen eines getöteten Bären. Man muss dabei beachten, dass der Eisbär nur ganz selten in größerer Anzahl angetroffen wird und nur an Orten, wo bedeutende Mengen toter Walrosse oder Walfischleichen aufgestapelt sind. a Ten Ten ee Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 395 Um seine Verbreitung kurz anzugeben, sei auf seine Besuche auf Island (von Grönland aus) hingewiesen, desgleichen erscheint er häufig auf Jan Mayen und Bären-Eiland, die ganze Spitzbergengruppe nebst König-Karlsland und Franz-Josephsland gehört zu seinem Revier. Nordenskjöld [12 S. 120] hat ibn im Hornsund, Belsund, Eisfjord auf Toreland und in der Königsbucht niemals gesehen, und das scheint Brauer |2 S.236] veranlasst zu haben, die Südwestküste Spitzbergens von dem Verbreitungsgebiete auszuschließen. Dem muss widersprochen werden. Kükenthal 1886 [6 S. 25] be- richtet über das Vorkommen des Eisbären im Eisfjord, speziell von der Adventbai |6 S.34] sowie von frischen Spuren bei Green Harbour [6 5.26]. Wenn das Tier auch nicht häufig angetroffen wird, so muss doch die Westküste in das Bereich des „Sänsmanns“ von Spitzbergen gezogen werden, und ich glaube mit mehr Recht, als wenn Brauer auch Barentsland mit Lemmingen bevölkert. Dass der Eisbär auch den Robbenzügen zum Zwecke der Jagd folgt, lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen; sein zahl- reiches Eintreffen im Gebiete des Robbenschlages [vergl. u.] spricht dafür und seine Schwimmkunst ist so enorm, dass sie in dieser An- nahme nur bestärken kann. Wenden wir uns nun zu der Beute des Eisbären, den Tieren, die -sowohl auf dem Eise als im Wasser leben, den eigentlichen Eistieren. Wir finden zwei Gattungen, die Seehuude und die Walrosse. Im Gebiete der Grönland- und Spitzbergensee kommen folgende Formen vor: Phoca barbata Fabr. Nils. (Storkobbe oder Blukobbe der norwegischen Spitzbergenfahrer). Ph. groenlandica Müll.Fabr. Nils. Grönland Seehund. Ph. hispida Fabr. Natur. Selsk. Skr. I, 8. 74. Ph. foetida Fabr. Fauna Groenland. Ph. annellata Nils. Stenkobbe.” IPh. vitulina Phipps. Spitzbe. Halichoerus grypus Fabr. Nils.| an den Küsten Finnmarkens. Cystophora ceristata. Earxl. Nils. Klappmütze. Phoca leonina O. Fabr. Groenl. Ph. eristata O. Fabr. Natur. Selsk. Skr. I, p. 120. Sehen wir von Halichoerus grypus ab, welcher nur an den Fest- landküsten heimisch ist, so beschränkt sich die Zahl der Seehunds- arten auf vier, die dem europäischen Eismeere eigentümlich sind. Der gemeine, bärtige Seehund. Phoca barbata. Dieses Tier fand Torell [12 S. 452] an der kleinen roten Bai auf Spitzbergen, Koldewey [5, Il S. 31] auf dem Jan-Meyen-Eise, 396 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. und Nordenskjöld [12 S. 141] schreibt: „Phoca barbata ist ziemlich häufig an den Küsten von Spitzbergen und daselbst, obgleich nie in großen Heerden anzutreffen, doch der wichtigste Gegenstand des Robben- fanges“. Malmgren |9] fand diese Art sehr zahlreich auf Spitz- bergen bald einzeln, bald in Gesellschaft. Im Sommer suchte die bärtige Robbe besonders gern die Westküste der Insel auf, ist daselbst aber von den Menschen verscheucht worden. Auf den eisbelegten Fjorden des Nordostlandes fand sie derselbe Forscher noch im August und wies als ihre Hauptnahrung Mollusken und Crustaceen nach. Ihr Gebiet reicht bis zu den Sieben-Inseln im Norden und bis an die Küsten von Finnmarken (im Winter), Ersfjorden, Kalfjürd, Tromsö, von wo sie nach russisch Lappland und Nowaja-Semlja wandert. Kükenthal sah sie öfters in der Gegend des Eisfjords |6 S. 25, 7 S. 42] und 1889 bei den Ryk-Is-Inseln |7 S. 74]. Der grönländische Seehund. FPhoca groelandica. Diese Form ist die verbreitetste und die geschätzteste bei den Robbenjägern. Nordenskjöld [12 S. 142] fand sie bei Jan-Meyen sowohl, als auch zwischen dem Treibeis im Karischen- und Murmans- kischen Meere, Torell konstatiert ihr Vorkommen auf der Insel Vogel- sang |19 S. 43, 45] in der Redbai, Kolbebai, Roadbai und in der Ad- ventbucht, ebenso in der Nähe der Fosterinseln |12 S. 212]. Häufig tritt die Seehundart an den Küsten Grönlands auf, auch bei New-Fundland, sehr zahlreich bei Nowaja-Semlja. Es liegt an der Natur und Lebens- weise des Tieres, dass es immer die Südeisgrenze und Küsten mit Treibeis aufsucht. Das sind die Fangplätze, an denen der Robben- schlag ausgeführt wird. Es ist begreiflich, dass die Robbenschläger ihren Aufenthaltsort möglichst zu einer Zeit zu erreichen suchen, wo sie ihre Beute in großer Anzahl antreffen, aber sie wenden sich nicht nach den Küsten. Es ist ganz merkwürdig, dass die Robben in Zügen zu Tausenden von Grönland, Spitzbergen und Nowaja-Semlja zu be- stimmter Zeit nach dem Jan-Meyen-Eise wandern, um dort ihre Jungen zu werfen, in ihrem Gefolge befindet sich oft der Eisbär. Bei Kolde- ‚wey |5 S. 31] finden wir nähere Angaben über dieses Gebiet des Robbenschlages, das Ziel der Fangleute. Die „Robbenküste“ wechselt in den verschiedenen Jahren einigermaßen in ihrer Lage, und zwar etwa zwischen dem 68° und 74° n. Br. und 2° östl. bis 16° westl. Länge. Die weißlichen Jungen bleiben die ersten Tage auf dem Eise und werden dort von der Mannschaft der Robbenfahrer auf leichte Weise mit Knitteln erschlagen. Wie groß die Zahl dieser Robben sein muss, lässt sich ungefähr ermessen, wenn man bedenkt, dass 1868 allein etwa 237000 Stück erbeutet wurden [3 Lindemann]. Eine Seehundform, welche sich an derartigen Wanderungen nicht Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, 397 beteiligt und nur die Gegenden um Spitzbergen bevölkert, die west- lichen Gebiete der Grönlandsee aber meidet, ist der große Seehund oder die Steinkobbe. Phoca hispida. Nordenskjöld [19 S. 180] traf sie an der Branntweinbucht auf Spitzbergen; hier hält sie sich zuweilen im Sommer auf, immer im Treibeise und nahe dem Wasser, in welchem sie ihre Nahrung sucht, die aus kleinen Krebsen und Fischen besteht; besonders liebt sie den hochnordischen Dorsch!). Den Winter bringt das Tier in den Fjorden zu, in deren Eisdecke es zum Atemholen Löcher stößt. Von allen Seehunden ist diese Art in den am weitesten nach Norden gelegenen Gegenden angetroffen worden; so von Parry in 82° 45° n. Br., von Torell und Nordenskjöld [19 S. 78] in der Treurenbergbai; Kükenthal sah sie einmal [7 8.29] in der Nähe von Prince- Charles-Foreland. Dass die Steinkobbe auch einmal bei Grönland gesehen worden ist, kann Malmgren versichern [9], viel- leicht ist das Tier nur dahin verschlagen worden. Nämlich trotzdem die Steinkobbe so hohe Breiten aufsucht, ist sie doch kein hochnordi- sches Tier; denn sie gedeiht ebenso in den Seen Finnlands, auch im Ladoga -See. Die Klappmütze. Cystophora cristata. Nur vereinzelte Angaben können uns über das Verbreitungsgebiet der Klappmütze Auskunft geben, dasselbe scheint von sehr geringer Ausdehnung zu sein. Fabrieius und Brown [3 S. 636] berichten, dass die Cystophora häufig bei Grönland und New-Foundland, selten bei Island und in Finnmarken auftrete, weiter im Süden ist sie wohl nur ein verirrter Gast. Nordenskjöld konstatiert sie [12 S. 142] westsüdwestlich vom Südkap Spitzbergens, bei Bären-Eiland, ebenso Kükenthal [7 S. 27); Koldewey [5 8.31] traf sie häufiger auf dem Jan-Meyen-Eis zwischen 74 u. 75° n.Br. Wollen wir Malmgren Glauben schenken, so müssen wir sie den pelagischen Tieren zuzählen. Neuere Daten sind über die Tiere nicht bekannt geworden. Das Walross. Odobaenus rosmarus. Lin. 1734, kgl. Vet. Acad. Öfvers. 1859, p. 441. Trichechus rosmarus Auct. Der beste Kenner des Walrosses und seiner Verbreitung, besonders in dem Teile des Polarmeeres, mit dem wir es hier zu thun haben, ist wohl Malmgren. Ehe ich auf seine Darlegungeu [19 S. 139] eingehe, will ich kurz die Lebensweise des Tieres charakterisieren. Das Walross ist wie der Eisbär ein hochnordisches Tier. Es hält sich nicht gern weit vom Lande und man trifft es niemals jenseits des weitausgedehnten Treibeises an der Ostküste Grönlands. (Steile Küsten.) Darin liegt eine Beziehung zwischen dem Aufenthalt in 1) findet auch Erwähnung bei Nansen. 398 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, weniger tiefen Gewässern und der Nahrung angedeutet, welche das Tier vom Grunde heraufholen muss. Die Bewegung erfolgt nur mit Hilfe der Füße auf dem Eise und dem Vorstrande. Die Hauer werden zum Aufsuchen der Nahrung verwendet. Diese besteht hauptsächlich in zwei Muschelarten: Mya truncata und Saxicava rugosa, welche in dem Thone des Seegrundes bei einer Tiefe von 10—50 Faden leben. Solange die Zähne der Jungen nicht die nötige Länge haben, um die Muscheln auszugraben und auszuscharren, müssen sie gesäugt werden, und dafür spricht die Beobachtung Malmgren’s [19 S. 134], dass erst ein zwei Jahre altes Tier sich ohne Beihilfe der Mutter nähren könne. Eine Erweiterung erfährt dies durch die Beobachtungen Küken- thal’s [7 S. 41], welcher konstätieren konnte, dass die Walrosse auch Robben angreifen und verzehren, dass sie selbst Weißwaljungen ge- fährlich werden. Dass die Weißwale die Aufenthaltsorte der Walrosse meiden, ist also sehr wohl begründet !). Eigentümlich ist der Geselligkeitstrieb der Walrosse; diesem Um- stande haben ihre Jäger es zu danken, wenn es ihnen gelingt, wie im Jahre 1608, an der Bäreninsel, in 7 Stunden ca. 1000 Stück zu erlegen. Von den zerstreuten Angaben über das Vorkommen der Tiere in den Nachrichten über einzelne Expeditionen sehe ich zunächst ab und folge der Darstellung Malmgren’s |19 S. 139], um daran einige Be- richtigungen neuerer Forscher zu knüpfen. „Die Küsten Sibiriens zwischen der Mündung des Jenisey und Kolyma, das arktische Amerika zwischen Cap Barrow und Prince Regents Inlet, die Gegenden um die Behringsstraße, das nordwestliche und nordöstliche Amerika, wo sie das Hauptnahrungsmittel der Eski- mos bilden, Nowaja-Semlja und Spitzbergen dürften die Plätze sein, wo die Walrosse noch immer häufig auftreten?), obwohl die Menschen alles gethan haben, um sie auszurotten“. An Grönlands bewohnten Küsten zeigt sich das Walross selten, nur an der unbewohnten Strecke der Ostküste tritt es auf, und zwischen den Distrikten Nord- und Südgrönlands soll es jährlich seine Herbst- station haben und an das Land gehen. Koldewey fand es übrigens auch an der Insel Shannon [5 S. 318]. Ein Ueberblick über die Karte ergiebt also die Verbreitungszone als ziemlich eireumpolar; bemerkenswert aber bleibt, dass gerade Grön- land und die Gegend zwischen diesem und Spitzbergen eine Lücke aufweist, und eine gleiche findet sich zwischen Ostspitzbergen und der Westküste von Nowaja-Semlja °). Hier ist die Ausrottung in ein Sta- dium getreten, derart vorgeschritten, dass das Walross nur noch selten 1) vergl. die Angaben Nansen’s. 2) auch Franz -Josephland. 3) durch Nansen’s Beobachtungen ist die zweite Lücke ausgefüllt; vergl. Nachtrag, Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 329 an der Westküste südlich von Matotschkin-Schar angetroffen wird [12 S. 131], während es an der Ostküste, an der karischen Pforte und an gewissen Stellen im karischen Meer noch reichlichen Fang abgiebt. In früher Jahreszeit soll das Walross auch zwischen dem Treib- eise an der Westküste und nach Süden hin gegen die Petschora- mündung vorkommen; die „Samojeden fangen jedoch nur noch wenige _ Tiere bei Chabarowa“. Auch an der östlichen Küste des Weißen Meeres ist es beobachtet worden, und wahrscheinlich verirrt es sich von da aus an die Küste der russischen Lappmark und zu den norwegischen Finnmarken. Dieses sporadische Auftreten in südlichen Gegenden lässt eine früher viel weitergehende Verbreitung vermuten, und in der That ist es nur der Mensch gewesen, der das Gebiet des Tieres beschränkt hat. Othere erzählt Alfred dem Großen (vergl. Orosius’ Welt- beschreibung „De miseria mundi“, erwähnt im King Alfred’s anglo- saxon version of the compendions history of the world by Orosius“, London 1859), dass er auf der Suche nach Walrossen bis zum Nord- cap gekommen sei, und bei Lindemann [S S. 83] finden wir aus- führliche Angaben über den Fang vor nun fasst 300 Jahren, wie er in der Gegend um Bären-Eiland so schwunghaft betrieben wurde, dass er sich bald nicht mehr lohnte, dergestalt sogar, dass der Walross- fang erst nach 1820 wieder energischer aufgenommen werden konnte 9 S. 22 u. 23. Von Bären-Eiland ist das Walross so gut wie verjagt. Dasselbe Geschick erwartet es auf Spitzbergen, wo schon seit 1820 die Nor- weger mit kleinen Fahrzeugen den von den Russen besonders geführten Verniehtungskrieg fortsetzen. Die früher so reichen Jagdplätze an der Westküste Spitzbergens, Prince Charles Foreland, die Cross- und Kingsbai, die Magdalenenbai und der Belsund sind so gut wie auf- gegeben; nur ganz spärlich kommt noch einmal eine Nachricht von einem Walross, das in dieser Gegend angetroffen wird. Die nordöstlichen, östlichen und südöstlichen Küsten dagegen, welche den größeren Teil des Jahres durch Eis gesperrt sind und höchstens im Herbst zugänglich werden, bieten dem Walrosse ein einigermaßen sicheres Asyl vor dem Jäger dar; hier kommen sie noch in großen Scharen vor. Die neuesten Nachrichten, die uns durch Kükenthal gekommen sind, bestätigen diese Ausführungen, welche sich hauptsächlich auf die Berichte der Norweger stützen. Das Walross ist der letzte Vertreter der Eistiergruppe. Seine Grenzen sind, wie die seiner Genossen, veränderlich mit der Jahres- zeit und der durch die vorherrschenden Winde bestimmten Südeis- grenze. Die Möglichkeit seines Vorkommens ist in vielen Gegenden, welche jetzt nicht mehr von ihm besucht werden, vorhanden. Das- 330 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, selbe lässt sich von allen auf dem Eise und im Wasser lebenden Säugern einschließlich des Eisbären behaupten, und da die Be: dingungen für ihre Existenz vorhanden sind, aber nicht benützt wer- den, sind die Grenzen ihres Verbreitungsgebietes keine natürlichen, sondern als vom Kulturfortschritt des Menschen eingeschränkt zu be- trachten. Die Wassersäuger. Eine noch andere Form des Verhältnisses zwischen den Tieren des nördlichen Eismeeres und den natürlichen Grenzen wird sich bei der dritten Gruppe, den Wassersäugern herausstellen. Ich folge hier der systematischen Einteilung in Zahnwale und Bartenwale, obwohl diese für die Verbreitungsgebiete ohne Belang ist. Von den Zahnwalen treffen wir: 1. Monodon monoceros Lin. Narwal. 2. Delphinopterus (Beluga) leucas. Weißwal. 3. Hyperoodon rostratus Pont. Lillj. Sundewal. Entenwal. Von den Bartenwalen: . Balaena mysticetus L. Grönlandswal. . Balaenoptera musculus Lillj. Rörwal. & Sibbaldii Lillj. Eschricht, Blau- oder Riesenwal. . Megoptera boops Lillj. (Fabr.) Buckelwal. Pov Hr Der Narwal. Monodon monoceros Lin. Der Narwal ist eine so eigenartige Walform, dass er schon vor Jahrhunderten sich einer großen Berühmtheit erfreuen konnte; der Grund dafür ist sein langer Stoßzahn. Er ist ein Bewohner der nörd- lichen Meere; am häufigsten wird er zwischen dem 70. u. 80.° n. Br. angetroffen. Sein Jagdgebiet erstreckt sich zwischen Grönland und Island bis nach Nowaja-Semlja und den sibirischen Küsten; im Westen Spitzbergens hat ihn Malmgren beobachtet und von der neuesten Expedition sind wir darüber unterrichtet, dass er sich noch häufiger bei Ostspitzbergen, in der Hinlopenstraße ete. zeigt |12 S. 142, u. 7]; Berry fand ihn unter 81° 10° n. Br. Ueber die Lebensweise des Nar- wals verbreitet sich Scoresby [3 S. 714]. Seine Nahrung besteht in Seegurken, nackten Weichtieren und Fischen; er hat also überall Ge- legenheit, genug Vorrat zu finden, und nur das Atemholen zwingt ihn, mit der Eisgrenze zu wandern. Die Narwale ziehen in großen Herden meist zum Einbruch der Winterszeit nach Süden hinab, merkwürdiger- weise fast immer zugleich mit den Weißwalen (s. u.); und während der Zeit vom Dezember bis März trifft man sie in Dänisch-Grönland als regelmäßige Bewohner der Küstengewässer an. Es ist wahrschein- lich, dass sie, vom Eise bedrängt, ihren Stoßzahn als Eisbrecher be- nutzen, um durch Auf- und Niedertauchen die Eisbildung zu hemmen. Im Vergleich mit dem folgenden, dem Weißwale, ist der Narwal in 'Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 331 höherem Grade ein Polartier, da nur ganz selten ein Exemplar über den Polarkreis nach Süden verschlagen wird. Den Aufenthaltsort und auch die Wanderungsart teilt der Narwal mit seinem Gefährten, dem Weißwal, Delphinopterus Pallas (Beluga Lillj.) Zeucas. Sein Verbreitungskreis erstreckt sich über alle Meere rings um den Nordpol. Die Heimat des Tieres sind die Gewässer in der Nähe von Grönland, die Behringsstraße und das Behringsmeer. Nur in den Wintermonaten bemerkt man die Weilwale an den Küsten von Dänisch- Grönland [3 S. 695]; einzelne verirren sich auch nach Süden bis Edinburg (1815). Was speziell Spitzbergen anlangt, dürfen wir uns auf die Nach- richten Malmgren’s [9] verlassen. Nach ihm kommt die Beluga ganz allgemein in der Spitzbergensee vor, besonders hebt er die Treuren- bergbai, die Waigats-Insel, Hinlopenstraße, Lomme- und Wijdebay hervor [19 S. 233 u. 421]. Die schwedische Expedition fand den Weißwal 1864 auch an der Adventbucht, und in großen Scharen an der van Keulenbai, in der Crossbai [19 S. 283] und im Schmeerenburger Hafen [19 S. 350]. Genauere Beobachtungen verdanken wir auch Nordenskjöld’s Vega- Expedition |2 S. 142—145]. Demnach müssen die Weißwale sich in ungeheuerer Menge in dem Gebiete der Spitzbergensee aufhalten und von hier aus die angrenzenden Meeresgegenden bevölkern. Von Tromsö aus wurden 1871 allein 2167 Weißwale gefangen, und da sie sich hier trotzdem halten, lässt sich wohl behaupten, dass sie hier heimisch sind. Nordenskjöld macht darauf aufmerksam, dass die Weißwale sich meist an solchen Stellen aufhalten, wo Süßwasserströme münden; hier beleben sie das Meer in mächtigen Zügen und scheinen besonders beliebte Nahrung zu finden. Kükenthal sah die Beluga bei Spitz- bergen 1886 am Eisfjord und 1889 südwestlich vom Südcap in großer Menge, wie sie sich die ungeheure Masse von Algen und Krebs: tierchen wohlschmecken ließ |7 8.28]. Ueber die Wanderungen der Weißfische ist noch wenig genaues bekannt; im allgemeinen nehmen sie dieselben Wege, wie die Narwale, nur dass sie auch öfters weiter nach Süden streichen. Im Oktober erscheint die Deluga oft iu Scharen von mehreren Tausend Stück in der Nähe von Gotteshafen unter 69° n. B., und anfangs Dezember findet sie sich auch am 63.° n. Br. [Hoböll in 3 S. 694]. In der Zwischenzeit hält sie sich in allen Buchten Südgrönlands auf, und hier trifft man sie regelmäßig mit dem Narwal zusammen, obwohl der Sommeraufenthalt des letzteren weiter nach Norden reicht. 339 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, Der Entenwal oder Dögling. Hyperoodon rostratus Lillj. Der Entenwal ist das bekannteste Glied der Schnabelwale; Küken- thal bezeichnet ihn als den „Pottwal des Nordens“. Unser Gewährsmann Malmgren beobachtete ihn bei Spitzbergen 1861 (7/)V) zwischen 74° 36° und 75° 30° n. Br. auf 12—15° ö. Le. Green. und gleichfalls unter 78° n. Br. in Gewässern, deren Tem- peratur immer circa + 3,3° R. betrug, die Farbe des Wassers ist regelmäßig schön azurblau. Torell [19 S.31] erzählt, dass die Wale plötzlich am 75° 40' n. Br. aufhörten, und fügt hinzu: „Diese Beobachtung ist interessant. Sie macht es wahrscheinlich, „dass Finnwale sich niemals in kälterem Wasser aufhalten, und dass „dieser Wärmegrad die Grenze ihres Vorkommens nach Norden hin „bestimmt. Doch muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Grenze „im Sommer einige Grade nördlicher liegt als im Winter“. Der Entenwal kommt nur im nördlichen Eismeere und im Norden. des atlantischen Ozeans vor, doch besucht er zuweilen auch die Far- Oer und die großbritannischen Küsten, meist in kleinen Gesellschaften dahinschwimmend. Dass sich der Bottlenos (Entenwal) an eine be- stimmte Wassertemperatur hält, hängt wahrscheinlich mit seiner Nah- rung zusammen. Kükenthal [6 S.8] giebt an, dass seine Nahrung hauptsächlich aus Cephalopoden bestehe, welche sich von kleinen See- tieren, Krebsen, Mollusken u. s. w. erhalten. Diese Cephalopoden werden sich da einfinden, wo ihre Nahrung am massenhaftesten auf- tritt. Es lässt sich nun nachweisen, dass die kleinen Tierchen von der Strömung auf bestimmten Gebieten zusammengetrieben, werden. Besonders ist der Golfstrom daran beteiligt, und der Aufenthalt der Cephalopoden an den Stellen, wo das Wasser eine Temperatur von 211,31], R. behält, bedingt das Jagdgebiet des Entenwales [14 S. 21]. Wenden wir uns nun zu der zweiten Abteilung der Wale, den Bartenwalen. Der Grönlandswal, Balaena mysticetus Lin. (vergl. Malmgren; Kükenthal [7 S. 14]; Nordenskjöld [12 S. 131]. Sein Name schon weist auf seine Heimat hin: es ist die Grön- landsee. In der Gegend von Spitzbergen tritt der Grönlands- oder Nordwal weit seltener auf; die Walfänger richten daher ihren Kurs schon seit lange nach dem westlichen Teile unseres Gebietes; sie wissen sehr wohl, dass in früheren Zeiten die Wale in den östlichen Gründen ausgerottet worden sind. Der Nordwal findet sich nur in den Polarregionen der nördlichen Hemisphäre und zwar stets in der Nähe des Eises. Je nach den Ver- hältnissen desselben, welche durch den Einfluss der Meeresströmungen und der vorherrschenden Winde bestimmt werden, ändert sich die TPrautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- undSpitzbergensee. 333 südliche Grenze seines Gebietes. In der Spitzbergensee rückt sie wegen des hier in nordöstlicher Richtung fließenden Golfstromes im besten Fall bis zum 70.° n. Br. herab; im Grönländischen Meere aber macht sie eine große Ausbiegung nach Süden, veranlasst durch die von Norden kommende eisführende, kalte Strömung an der Ostküste Grönlands. Wir wissen jetzt, dass der Grönlandswal auch die Gegenden um Kamtschatka besucht, dass er also ein eircumpolarer Wal genannt werden darf; und doch ist es noch eine offene Frage, wo er den Winter zubringt und seine Jungen aufzieht; denn Kälber von ihm sind bisher weder in der Grönland- noch in der Spitzbergensee konstatiert worden. Von den Exemplaren, welche die Behringsstraße beleben, weiß man, dass sie Ende des Sommers nordwärts ziehen, und spurlos unter dem bis zum 72.° n. Br. etwa herabreichenden Festeise verschwinden. Das wäre eine Veranlassung, ein offnes Polarmeer zu vermuten, in dem sie ihre Kinderstube errichtet haben [Weyprecht 21]. Brown |3 S. 741/742] erzählt uns einiges über die Grönlands- wale der Davisstraße. Dort sollen sie ihren Aufenthalt zwischen dem 65. und 73.° n. Br. nehmen. Wo sie den Winter zubringen, ist „eigent- lich“ unbekannt. Man sagt, dass sie die Davisstraße im November verlassen, sich nach dem St. Lorenzflusse zwischen Luebee und Camoroa wenden, dort ihre Jungen zur Welt bringen und hierauf im Frühlinge nach der Davisstraße zurückkehren; und soviel ist sicher, dass man sie zeitig im Jahre an der Küste von Labrador findet. Derselbe Autor ist der Ueberzeugung, dass die Wale des Barents- oder Spitzbergischen Meeres niemals in größeren Gesellschaften bis zur Davisstraße wandern, vielmehr im Winter in der Nähe der er- wähnten Inseln verweilen, jedoch gegenwärtig kaum in die Breite von Jan-Meyen herabgehen. Es ist also über die Wanderungen gerade der uns interessierenden Tiere etwas genaues noch nicht auszusagen [van Beneden 1]. Der Finnwal, Balaenoptera musculus Lillj. = Rörwal. Der Finnwal ist kein eigentliches Polartier, dies spricht sich am besten darin aus, dass er die Küsten Finnmarkens sehr zahlreich be- sucht [vergl. Malmgren]. Der nördlichste Teil des atlantischen Welt- meeres und das Eismeer bilden den Aufenthaltsort des Finnwales. Besonders häufig zeigt er sich in der Nähe der Bären Insel, Nowaja- Semljas und Spitzbergens, aber auch in der Nähe des Nordkaps ist er nicht selten. Nach Brown’s Beobachtungen |3 S. 731; vergl. auch 78.12] geht er im Westen des Eismeeres nicht über die Breiten Süd- grönlands hinauf, er wird also dort wahrscheinlich durch den kalten Strom zurückgehalten. Mit Beginn des Herbstes wandert er in süd- 334 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. licehere Gegenden herab und somit begegnet man ihm auch in den Meeren des gemäßigten und des heißen Gürtels. Dies sind die spär- lichen Nachrichten über sein Vorkommen. Der Blau- oder Riesenwal, Balaenoptera Sibbaldii Lillj. Esch- richt. Gray. Das Verbreitungsgebiet dieses Wales konnte bis jetzt mit Sicher- heit nicht festgestellt werden. Scammon [17 S. 6/7] sah ihn an der Küste Californiens. Nach Malmgren |9] ist der Riesenwal in der Spitzbergensee beobachtet worden, und auch neuerdings hat Küken- thal die Nachricht über sein Vorkommen |6 S. 12] daselbst gebracht; in der Grönlandsee scheint er sich nicht aufzuhalten, jedenfalls wäre sonst eine Mitteilung darüber von den dort zahlreichen Fangschifien zu uns gedrungen. Der Buckelwal, Megaptera boops Lillj. (Fabr.) auch Knöchlwal oder Humpbock genannt, zeigt sich in so großer An- zahl in den Gewässern aller Breiten, in allen Buchten und Sunden, wie kein anderer. Scammon [17 8.5] teilt die vorkommenden Tiere in „the Greenland species and in the modal of the Aleutian Islanders“. Er wandert in großen Gesellschaften vom Frühling bis zum Anfang des Herbstes (September) nordwärts, erst dann wendet er sich wieder nach dem Süden zurück. Kükenthal |7 8.16] erwähnt ihn in seinem letzten Bericht und führt ihn unter den Arten auf, welche an der Küste Norwegens besonders für die Thransiedereien in Betracht kom- men. Es muss betont werden, dass Megaptera keine echte polare Form ist, doch konnte sie nicht übergangen werden, da sie im Polar- meer konstatiert ist. Versuchen wir nun, einen Ueberblick über die Wale, die Wasser- säuger unsres Gebietes, der Grönland- und Spitzbergensee zu gewinnen, so müssen wir Eschricht’s und Cornelius’ gedenken |Brehm 3, Einleitung über Wale), welche sich des weiteren über die Verbreitung der Waltiere ausgesprochen haben. Jede Art hat, wie es scheint, ihren Lieblingsaufenthalt für den Sommer und einen anderen für den Winter. Die Waltierarten eines und desselben Meeres sind also verschiedene im Sommer und im Winter. Um die Verbreitung der Arten zu bestimmen und ein genügendes Bild zu entwerfen, kann man also nicht genug die Jahreszeit ins Auge fassen. Zu den Walen, welche nie das hochnordische Meer und dessen Grenzen verlassen, sondern innerhalb derselben bloß nach Süd und Nord ziehen, gehören nicht mehr als drei Arten, der Narwal, der Weißwal und der Grönlandswal; alle anderen verlassen die Grönland- und Spitzbergensee im Winter und ziehen nach Süden. Die Gründe Pfeffer, Pflanzenphysiologie. 335 für das Verweilen der drei Arten im hohen Norden an der Eisgrenze liegen in den Strömungsverhältnissen, diese bedingen die Verbreitung der Nahrung und bilden damit die Existenzbedingungen der Tiere. Die nachfolgende Tabelle möge das Vorkommen der Säugetiere in der Grönland- und Spitzbergensee zusammenfassen. 3. Nachtrag. Ost- a Spitz-| Now.-| Franz | Finn- | x y 2 Grön- |Island, ber- |Seml- | Jos.- | mar- Se ü land. =... 88%0..k.J®# ,]. Lang; | ken. Sg var, } forma | + FR groen- jeinge-| _ N, en * Rentier ah et De ey + dica se gensis. \ Franz Jos.-Ld. E” Bi Hr i du 7 2 7 [bis über 85° Br. Er E7 Payer| + — Lemming a ar a ai 28 ER Re ap Moschusochse -B an — R% — = er Ahr E. + von en gar ars re * 4 da “| Frz. Jos.-Land land r Has. er Bardata ar ar 3 Hi leere rn ea „ groenland. + | Robbenküste + En — - —— in) selten ? Karisches Meer „ hispida Malm-| — = — — — + bis gren Nordenskjöld-S. Cystophora ceristatal — |selten + Beier == er m er Insel e Ost- Frz. Jos.-Land Odobaenus rosm. eh und) E13) ma a ET en 4 er zahlreich. Monodon monoceros| + — I|selten + zus P@N=bhR 2 Penn Band, Beluga leucas R Suälselten! -E Prienee) en 74—76° 720 Hyperoodon rostr. Iselten — = rs ur a zu er ten | | 2 Balaena mystie. T — |selten| selten! — s 2 a a Kane Balaenoptera .. Be un musculus Pu EI | m; AR + „ Sibbaldii ? | gun. ? | er | Be | = Megaptera boops. + — — + — — nn — (Zweites Stück folgt.) W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Ein Handbuch der Lehre vom Stoffwechsel und Kraftwechsel in der Pflanze. Zweite völlig umgearbeitete Auflage. Erster Band. 8. X und 620 Stn. Mit 70 Holzschnitten. Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1897. Von des berühmten Verf. Handbuch liegt jetzt der erste Band in neuer, vollkommen umgearbeiteter Fassung vor. Hoffen wir, dass ihm der zweite bald folgen werde. Denn von allen denen, welche sich mit 336 Pfeffer, Pflanzenphysiologie. Tier- oder Pflanzenphysiologie beschäftigen, ja die auch nur irgend einen Zweig der biologischen Wissenschaften eingehender studieren oder bearbeiten, wird Keiner das Buch ohne Nutzen lesen oder gar entbehren können. Je weiter die Erkenntnis der Grunderscheinungen des Lebens vordringt, desto inniger werden die Beziehungen der einzelnen Zweige zu einander, desto mehr Vorteile bietet die Erforschung der Pflanzenphysiologie ins- besondere dem Tierphysiologeu und umgekehrt. Der Verf. dieses Buches aber steht unter den Ersten derer, welche die Erkenntnis dieser Grund- erscheinungen gefördert haben. Seine Darstellung und Kritik des Ge- leisteten und der Hinweis auf das, was noch zu erforschen ist, kann daher jedem Forscher von besondrem Nutzen werden. Der Verf. betont selbst, dass sein Buch kein Lehrbuch für den An- fänger sei und dass es daher die allgemeinen Grundzüge der Anatomie, Morphologie und Physiologie der Pflanzen sowie der Chemie und Physik als bekannt voraussetze. Das ist gewiss richtig; vielleicht hätte trotz- dem bei manchen Punkten eine etwas eingehendere Behandlung nicht ge- schadet; und es wäre auch dafür wohl Platz zu schaffen gewesen durch Fortlassung einiger sich öfter wiederholender Betrachtungen. Doch wollen wir mit dem Verf. über solche Kleinigkeiten nicht rechten, sondern ihm aufrichtig dankbar sein für die reichliche Belehrung, die er uns bietet und die durch die sorgfältigen Litteraturnachweise noch besonders nütz- lich gemacht ist. Der Inhalt gliedert sich in 10 Kapitel. Nach einer gedankenreichen Einleitung über die Aufgaben der Physiologie, das Wesen der Reizvor- gänge, Variation und Erblichkeit und kurzen morphologisch-physiologischen Vorbemerkungen wird (Kap. 3) die Quellung und Molekularstruktur be- sprochen, was Gelegenheit zur Würdigung der Nägeli’schen 'T'heorie und der gegen sie erhobenen Einwände bietet, dann der Stoff- und Wasser- austausch und die Wasserbewegung behandelt (Kap. 4—6), dann die Nährstoffe (Kap. 7), der Bau- und Betriebsstoffwechsel (Kap. 8), die Atmung und Gärung (Kap. 9) und zum Schluss die Stoffwanderung (Kap. 10). Es ist unthunlich, dem Vf. weiter ins Einzelne zu folgen, um an jeder Stelle hervorzuheben, was er dabei etwa Neues gebracht hat. Seine Verdienste um die Wissenschaft sind ja bekannt genug, und dass seiner Darstellung vielfach eigene Untersuchungen zu grunde liegen, versteht sich bei ihm von selbst und zeigt sich fast auf jeder Seite des Buches. So sei hier nur auf einige Punkte hingewiesen, die wir ganz zufällig herausgreifen : Die eingehenden Erörterungen über Osmose, Aufnahme und Speicherung von Stoffen in der Zelle oder, wie der Vf. sagt, dem Protoplasten, die Be- merkungen über Protoplasma- und Vakuolenhaut, über die Bedeutung des Zellkerns und der Centrosomen, besonders aber die zahlreichen wichtigen Erörterungen im neunten Kapitel und in diesem vor allem diejenigen über den a@roben und anaeroben Stoffwechsel, aus welchem die Physio- logen viele Anregung schöpfen können. Möge unser Wunsch, bald auch den zweiten Teil des Buches be- sprechen zu können, in Erfüllung gehen. Unsres und vieler Andrer Dankes kann der Vf. sicher sein. P. [56] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. —— Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 4 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Mai 1898. Nr. 10. Inhalt: Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. — Trautzsch, Die geo- graphische Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, mit Berücksichtigung der Beobachtungen Nansen’s (2. Stück). — Kohlwey, Arten und Rassenbildung. — Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte, — Krüger, Kurzes Lehrbuch der medizinischen Chemie mit Einschluss der medizinisch - chemischen Methodik. Ueber den sogenannten Palolowurm. Von Benedict Friedlaender aus Berlin. Mit zwei Holzschnitten. Schon in älteren Reiseberichten über verschiedene Südsee - Inseln wird der Palolo, wie ihn Samoaner und Tonganer, oder Balolo (sprich: Mbalolo), wie ihn die Viti-Insulaner nennen, öfters erwähnt und das merkwürdige Zusammentreffen des Erscheinens dieser Lebewesen mit dem letzten Mondesviertel hervorgehoben. Die letzte Darstellung der Sache verdanken wir Krämer!). Collin hat in dem Anhange zu jenem Werke die wichtigste Litteratur zusammengestellt. Wer sich daher näher für die Sache interessiert und sich von dem Palolofange ein deutliches Bild machen will, der sei auf die lebendige Darstellung in dem Buche Krämer ’s hingewiesen. Hier sei den neuen Ergebnissen nur das zum Verständnis not- wendige kurz vorausgeschickt. Bekannt ist nach Collin der Balolo bisher nur von den Samoa-, Tonga-, Viti- und Gilbert-Inseln, wenn sich nicht etwa der Wawo aus Amboina als dasselbe herausstellen sollte. Auf den Tonga-Inseln kümmern sich nach meinen Erfahrungen die Eingeborenen gar nicht mehr um den „essbaren Wurm“. Da die Weißen in der Südsee mit ganz verschwindenden Ausnahmen für solche Dinge kein ernstliches Interesse haben, so war über die Angelegenheit 4) Ueber den Bau der Korallenriffe und die Planktonverteilung an den Samoanischen Küsten nebst vergleichenden Bemerkungen von Dr. Augustin Krämer, Marinearzt und einem Anhange: Ueber den Palolowurm von Dr. A. Collin. Kiel und Leipzig, Verlag von Lipsius und Tischer, 1897. XVII. 22 398 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. dort lange keine Auskunft zu bekommen. Alle die ich fragte, kannten das Ding entweder gar nicht oder nur als samoanische Kuriosität. Ein älterer Häuptling in Haapai (Tonga-Gruppe) erzählte mir dann aber in glaubwürdiger Weise, dass das Tier allerdings vorkomme und früher gegessen worden, jetzt aber in Vergessenheit geraten sei; später erfuhr ich dann von einem der ansässigen Europäer etwas ähnliches. — Von den Viti-Insein habe ich nur den westlichen Teil der Gruppe besucht. Der „Balolo“ ist dort sehr wohl bekannt. Ich verdanke der Freund- lichkeit des Deutschen Konsuls in Levuka, des Herrn P. Hörder, Aus- kunft und von ihm gesammeltes Material von der Insel Ovalau; jedoch macht man dort anscheinend wenig Aufhebens vom „Balolo“. Der vorher erwähnte Tonganer berichtete mir aber, dass auf den östlichen Viti-Inseln, der sogenannten Lau-Gruppe, die Eingeborenen (die dort sroßenteils tonganischer, also rein polynesischer Abkunft sind) noch gegenwärtig an den bestimmten Tagen eifrig dem Palolofange obliegen. Das größte Leben und Treiben herrscht jedenfalls auf den Samoa- Inseln, wo ich den Fang im Oktober 1896 an dem Haupttage mit- gemacht habe; im Oktober 1897 bin ich an drei aufeinanderfolgenden Tagen, im November 1897 an 2 Tagen selbst zum Fange ausgezogen und habe am dritten Tage zuverlässige Personen ausgesandt um nach- zusehen, ob noch Nachzügler zum Vorschein kommen würden. — Art und Weise des Erscheinens. An den Tagen — auf die genaue Bestimmung des Tages kommen wir zurück — des Jahres 1897 habe ich die Sache mit möglichster Genauigkeit und vor allem mit der Uhr in der Hand beobachtet. Die ersten Palolo kamen in 2 Fällen gegen 4 Uhr morgens nach Apia- ' Ortszeit an der Oberfläche zum Vorschein. An dem Haupttage im Nov. 1897 war ich erst um 4h 10’ an Ort und Stelle; es gab da be- reits Palolo. Um diese Tageszeit ist in jenen Gegenden von Morgendämmerung noch keine Spur vorhanden; der östliche Himmel, selbst bei klarem Wetter und am Horizonte, ist noch voll- ständig nächtlich. Nach Krämer’s Darstellung (S. 113) könnte man meinen, dass die Palolo erst mit oder nach Anbruch des Tages- grauens, etwa um 5 Uhr erschienen. Für die Beurteilung der rätsel- haften Erscheinung ist aber dieser scheinbar geringfügige Umstand von einiger Wichtigkeit. Die ersten Palolo, scheinen also nach meinen Er- fahrungen, bei der Insel Upolu etwa um 4 Uhr morgens aufzu- steigen. Ihre Zahl nimmt nun sehr schnell zu. Ich glaube — obwohl das natürlich nicht feststellbar war —, dass zur Zeit der ersten Däm- merung eine weitere Zunahme der Individuen überhaupt nicht mehr statt- findet. Die Sache wird dann nur auffallender, da man die Tiere dann im Wasser wimmeln sieht, während man sie um 4 Uhr nur im Scheine des halben Mondes auf der weißen Unterlage des Netzes oder in einem Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm, 339 gegen den Mond gehaltenen Becher erkennt, sonst aber nur mit der Hand im Wasser fühlen kann. Hier sei gleich noch darauf hingewiesen, dass nach mehreren unabhängigen Mitteilungen der Palolo auf der östlichsten der größeren Samoa-Inseln, auf Tutwila, bald nach Mitter- nacht auftreten soll, auf der westlichsten hingegen, auf Savani, erst bei weit vorgeschrittener Dämmerung. Es wäre wünschenswert, dasssich spätere Beobachter davon persönlich an Ort und Stelle vergewisserten'). Meine Beobachtungen, bei denen auf jenen Punkt, wie gesagt, besonders geachtet wurde, beschränken sich auf die mittlere Insel, Upolu. — Am 16. November 1897, dem Haupttage in jenem Monat, an dem ich in Samatau, unweit der Westspitze Upolu’s, den Palolofang mitmachte, herrschte im zweiten Teile der Nacht bis tief in den Morgen hinein ein strömender Regen mit dick bezogenem Himmel. Die Canoes suchten in der Dunkelheit lange vergeblich nach der Hauptfangstelle; und nur’ mit Hilfe einer Chronoskop - Uhr mit einschaltbarem Zählwerk konnte ich die Zeit nach Tagesanbruch nachträglich bestimmen. Trotz dieser fast vollständigen Dunkelheit, die der einer mondlosen aber klaren Nacht wohl mindestens gleichklaih waren die Palolo zur regelmäßigen Zeit erschienen: um 4h 10‘ waren sie bereits vorhanden. Der Anblick des von Palolo wimmelnden Wassers und der ein- zelnen Palolo selbst kann als bekannt gelten und es sind nur ein paar Kleinigkeiten, auf die ich hier noch hinweisen möchte. Die Palolo treten vielfach an eng begrenzten Stellen von einigen qm Oberfläche in besonders dichten Schwärmen auf, sei es, dass sie dort durch Wind und Strömung zusammengetragen werden, sei es, dass, wie ich glaube, sie aus eng begrenzten Teilen des Riffes besonders massenhaft auf- steigen. Namentlich sind es die kleineren, nur etwa 6 cm langen Exem- plare, die in solchen Schwärmen auftreten, während sich zwischen ihnen eine verhältnismäßig geringere Zahl von den größeren, nach Schätzung 20—40 em langen Individuen herumschlängelt. Alle schwim- men in horizontaler Lage an der äußersten Oberfläche, mit einer ganz charakteristischen Bewegung, die als ein ungemein lebhaftes Schlängeln und Schlagen bezeichnet werden kann. Schon auf ziemlich gering- fügige Reize hin zerbrechen sie. Beim Abtöten — es wurden im Jahre 1896 Sublimat, Osmiumsäure, Alkohol und Formalin angewandt — zerbrechen sie natürlich gleichfalls, sozusagen momentan, wie ein spröder Körper?). Die längsten Bruchstücke ergaben im ganzen noch 1) Nach Niederschrift und Absendung dieses Aufsatzes lernte ich den katholischen Missionar Pater Engler kennen, der lange Zeit auf Tutuila ge- lebt hat. Pater Engler teilte mir freundlichst mit, dass er dort die Erschei- nungs-Zeit der Palolo mit der Uhr beobachtet und gefunden hat, dass sie thatsächlich in Tutuila genau um Mitternacht auftreten. Ich halte persün- lich diese Angabe für vollkommen zuverlässig. 2) Ich würde raten, das Abtöten mit Kupfersulfat einmal zu versuchen, nach Analogie der Konservation von Siphonophoren. ar 340 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. Alkohol und starke (20°/,) Formalinlösung, die käufliche zu 40°), angenommen. Sehr auffallend und längst bekannt ist der Farben- unterschied der schmutzig dunkelblaugrünen weiblichen und der hell- bräunlichen männlichen Individuen. Dieser Farbenunterschied rührt von dem der Geschlechtsprodukte her; besteht doch, nach dem Aus- sehen bei Lupenvergrößerung zu urteilen, der sogenannte Palolowurm im wesentlichen aus einem fast durchsichtigen, dünnwandigen Schlauche, der prall mit den blaugrünen, mit bloßem Auge leicht sichtbaren Eiern oder dem bräunlich milchweißen Sperma erfüllt ist. Gleichfalls be- kannt ist, dass mit dem Palolo auch einige andre Anneliden - Arten zum Vorschein kommen und unter den Palolo herumschwimmen. An einem Tage war eine etwa 1 cm lange, breite und flache Aphrodite- artige Form stellenweise mindestens so reichlich, als die Palolo selbst. Die Samoaner kennen sie und nennen sie „pua“ oder „puapua“. Man könnte denken, dass sie durch den großen Auszug der Palolo einfach mit herausgedrängt worden seien. Es ist aber wahrscheinlich, dass dies nicht der Fall ist und dass sie vielmehr aktiv und zwar zu dem- selben Zwecke erscheinen, wie die Palolo selbst. Beunruhigte man nämlich die erwähnte kurze Art, so ließ sie gleichfalls massenhaft Geschlechtsprodukte fahren; ihre Eier sind gelblich grün und ihr Sperma milchweiß. Noch in einer zweiten Kleinigkeit weichen meine Erfahrungen von der Darstellung Krämer’s ab: „. .. da erhebt sich schon die Sonne im Osten; nur noch vereinzelte Würmer durchqueren lebensmüde die Oberfläche; alles eilt dem Lande zu... .“ so schreibt Krämer auf S. 113 seines Buches. An dem Haupttage im Oktober 1897 habe ich auf der Palolostelle bei Apia bis 7 Uhr morgens, also eine reichliche Stunde nach Sonnenaufgang gewartet. Der Fang war von vornherein nicht sehr reich gewesen; auch besteht wenigstens bei Apia das Haupt- vergnügen der meisten Palolofischer weniger im Fange als in dem Bootsgewühle im Dunkeln. Dies war wohl der Grund, dass sich aller- dings alle Boote und Canoes bis auf eines längst entfernt hatten; Palolo aber warennoch zu vielenhunderten vorhanden alsich um 7 Uhr selbst heimkehrte. Freilich schien es mir so, als ob ihre Zahl abgenommen hatte und als ob die kurzen Bruchstücke verhältnis- mäßig vorwogen. Die Palolo erscheinen also in Upolu nicht nur um rund eine Stunde früher, sondern verschwinden auch später, als an- gegeben zu werden pflegt, wenigstens an den von mir beobachteten Tagen. Den Grund der früheren Angaben vermute ich in der Ab- neigung, von 3 oder 4Uhr an bis 7 Uhr auszuharren. Habe ich doch selbst das vollständige Verschwinden niemals abgewartet. Den Vor- gang des Verschwindens selbst denke ich mir so, dass die Palolo, nachdem sie größtenteils zerbrochen und entleert sind, untersinken. Die sind spezifisch schwerer als Seewasser, wenn auch wohl nur sehr Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 341 wenig. Sobald ein im Glase gehaltenes Exemplar schlaff wird, sinkt es unter. Sie halten sich nur durch ihre Bewegung an der Ober- fläche. — Was man sonst noch vom Palolo wusste, ist sehr wenig; ja man kann sagen, dass ein beinahe undurchdringlicher Schleier des Geheim- nisses über der ganzen Sache zu liegen schien. Von Litteratur habe ich früher gelesen die Angaben Macdonald’s und Seemann’s (vergl. das Litteraturverzeichnis im Anhange des Werks von Krämer); von Powell’s Mitteilungen kenne ich nur diejenigen in einem von ihm in samoanischer Sprache verfassten Lehrbuche der Zoologie '), die wohl mit den englischen Publikationen desselben Autors zusammentreffen dürften. Die übrige nicht sehr reichliche Litteratur, die mir nicht zur Ver- fügung steht, dürfte wohl durch die Zusammenfassung Collin’s er- setzt werden. Die Hauptfragen, die der Lösung harren, sind folgende: 1. Woher kommt es, dass die an bestimmten Tagen an der Oberfläche auftreten- den Würmer sämtlich ohne Kopf sind? 2. Wo kommen die ungeheuren Schwärme plötzlich her? 3. Warum treten sie an den bestimmten Tagen und Tagesstunden, und so weit bekannt, ausschließlich?) an diesen auf? Die ersten beiden Fragen glaube ich nun gelöst zu haben und außerdem nachweisen zu können, was der Palolo eigentlich ist; be- treffs der dritten Frage aber zwar nur negative, darum aber nicht unwichtige Aufschlüsse erteilen zu können. Dass der Palolo aus dem Korallenriffe stammt, konnte kaum zweifelhaft sein; auch musste er offenbar in großen Mengen dort hausen. Ferner musste man doch annehmen, dass die im Riffe befindlichen Tiere wenigstens kurze Zeit vor ihrem Erscheinen an den bestimmten Tagen im wesentlichen ebenso aussehen würden, als die freigefangenen Exemplare. Sechsmal habe ich Zentner von lebenden und toten Korallen- stücken aus der Gegend abschlagen lassen, die von Krämer als „Palolotief“ im Ostriffe bei Matautu bei Apia bezeichnet wird. Sie wurden an Land gefahren und mit Hammer und Meißel zerkleinert. Eine wechselnde Menge verschiedener Anneliden, aber kein Palolo war das ausnahmslose Ergebnis. Es herrschte bei den Europäern der Glaube, dass der Palolo aus den besonders tiefen Stellen hervorkomme; Krä- mer’s Bezeichnung als Palolotief deutet auch darauf hin. Der geheim- 1) O le tala i manu. A Manual of Zoology in the Samoan Dialect, by Thomas PowellF.L.S., printed by Unwin Brothers, the Gresham Press, Chilworth & London, 1886. Es ist dieses ziemlich ausführlich und wissen- schaftlich gehaltene Lehrbuch der Zoologie in Samoa-Sprache jedenfalls eine bibliographische Kuriosität. 2) Vergleiche aber einige von Collin angeführte Ausnahmefälle, bei denen jedoch nur der Monat von der Regel abwich; Mondesphase und Tages- stunde wurden inne gehalten. 342 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 2 nisvolle Wurm sollte aus den geheimnisvollen Tiefen stammen. Woher kam es denn auch, dass frühere Beobachter das Tier nicht mit Sicher- heit im Riffe hatten auftreiben können? Je weniger ich Erfolg hatte, in um so größere Tiefen glaubte ich daher vordringen zu müssen. Die aus größeren Tiefen stammenden Stücke enthielten aber auch keine Palolo.. Auf meine Mutmaßungen und Irrwege einzugehen hat kein Interesse. Hier soll nur hervorgehoben sein, dass es hauptsächlich die Ansicht der Europäer war, die mich auf die falsche Fährte brachte; .die Auskünfte der Eingeborenen hingegen, denen ich die schließliche Entdeckung des Palolo im Riffe verdanke. Eine alte Samoanerin sagte mir, an den tiefen Stellen würde ich wohl immer vergeblich suchen; und ebenso in lebenden Korallenstücken. Denn es gäbe eine sehr reiche Fangstelle wo das Wasser überall in der Umgebung ganz flach und an der eigentlichen Hauptstelle besonders flach sei; wo die Fischer aus den Canoes ausstiegen und auf dem Riffe gehend den Palolo schöpften. Dieser Platz sei Samatau im SW. der Insel. Ferner sagte mir dieselbe Frau, ebenso wie auch andre Eingeborene folgendes. Wenn man ein großes Stück Korallengestein („punga“, nach der offi- ziellen Orthographie „puga*) am Tage vor dem Erscheinen des Palolo in ein Gefäß mit Seewasser läge, so kämen aus diesem Stücke die Palolo zur gleichen Stunde zum Vorschein, wie im Freien; der Versuch sei von einem Herrn „Palauni“, {vermutlich einem Missionär Namens Brown) vor vielen Jahren bestätigt gefunden worden. Ich schenkte diesen samoanischen Mitteilungen leider erst Gehör, nachdem eine Menge von Arbeit vergeudet war; glücklicherweise aber entschloss ich mich in letzter Stunde, mich vor dem Novembertage nach Samatau zu be- geben, wo ich mich bei einem samoanischen Geistlichen in einem Samoahause einquartierte. Das Riif begleitet dort die Küste in einer Entfernung, die ich auf etwa 1!/, km schätze. Eine vorläufige Besich- tigung ergab die Richtigkeit der samoanischen Berichte. In der Lagune, d. h. dem Meeresstreifen zwischen Küste und Riff war das Wasser allenthalben flach, nach Schätzung kaum mehr als 1—2 m; und an der Stelle, die für die eigentliche Palolostelle galt, war es noch viel flacher. Sie liegt unweit des Riffs. Bei Ebbe kommt dort eine lang- gestreckte, etwas gebogene Insel aus Trümmern abgestorbener Korallen zum Vorschein. An den Tagen der Nippgezeiten, d. h. den Mondes- vierteln mag diese Insel bei tiefstem Wasserstande etwa 8 Sehritt breit und an 100 Schritt lang sein. Ihr längster Durchmesser schneidet die Küsten- und Rifflinie beinahe rechtwinklig. Bei Springebbe dürfte sich die Insel seewärts bis zum Riff selbst ausdehnen und an Breite bedeutend gewinnen. Sie besteht ganz und gar aus Korallenstücken, denen man ansieht, dass sie schon seit geraumer Zeit abgestorben und von der Brandung zernagt sind. Ich hatte das Erscheinen der Palolo auf Dienstag 16. Nov. morgens berechnet. Am Sonntag den 14. konnte Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 343 ich niehts unternehmen, da man den Samoanern die englische Art der Sonntagsfeier beigebracht hat. Am Montag den 15. Nov. früh war ich aber schon bald nach 3 Uhr an der Stelle. Das Wasser war schon hinreichend gesunken, so dass man auf der Insel aussteigen und trockenen Fußes gehen konnte. Es war klares Wetter. Ich ging auf der Insel zwischen den Pfützen zurückgebliebenen Seewassers entlang, eifrig am Rande der Insel nach Palolo ausspähend. Um 4 Uhr fand ich einen Palolo in einer der Pfützen herumschwimmend. Es blieb bei dem einen, und es war fraglich, ob er von dem Boden der Pfütze auf- gestiegen oder vom Meere dorthin geschwemmt war, als das Wasser noch höher gestanden hatte. Jedenfalls musste aber wohl dieser Palolo unzweifelhaft aus einer flachen Stelle kommen. Am nächsten Tage erwartete ich die große Entladung. Dieser Montag war also der letzte Tag, an dem Aussicht vorhanden war, den Palolo im Riffe aufzuspüren. Ich schickte die Samoaner im Canoe an Land, um Hammer und Meißel zu holen, während ich auf der temporären Insel blieb. Es kamen nun bald noch etwa 6 Canoes an die Insel, mit Eingeborenen, die den Montag für den richtigen Tag gehalten hatten, aber bald enttäuscht abzogen. Gegen Sonnenaufgang war mein Canoe mit den Samoanern sowie Hammer und Meißel zurückgekehrt. Einige Blöcke abgestorbener Korallenfelsen wurden vergeblich bearbeitet; dann aber kam beim Zer- schlagen eines etwa kopfgroßen Blockes, der halb aus dem Wasser hervorragte, ein unzweifelhafter Palolo zu Tage. Es wurde nun, da das Wasser stieg, das Canoe mit Blöcken aus der Umgebung der Insel beladen und später im Laufe des Tages nochmals mit einem größeren Boote eine ordentliche Ladung an Land gebracht. Alle diese Stücke stammten von flachen, !/.—1 m tiefen Stellen; viele der Blöcke dürf- ten bei Springebbe ganz trocken gelegen haben. Das Ergebnis war folgendes: Beim Zerkleinern traten Palolo zu tage, männliche wie weibliche, im ganzen etwa 6 Stück. Sie lebten in röhrenförmigen oder unregelmäßigen Kanälen und Spalten des Korallengesteins, das an solchen sehr reich war, („puga “ati’atia“ be- deutet zerfressenen, wurmstichigen Korallenstein); die Kanäle waren wohl sicher das Werk anderer Tiere und die Palolo waren erst später darin eingewandert. Leider waren diese Palolo ebenso geneigt zu zerbrechen, wie die frei gefangenen, außerdem aber, sich in die Röhrenenden zu- rückzuziehen. Durch sorgfältige Meißelarbeit gelang es im Ganzen in drei Fällen, das vordere Ende des Palolo zu Gesicht zu bekommen: Die Palolo stellten die Hinterenden von Anneliden dar, die in jeder Beziehung anders aussahen und sich anders benahmen, als die Palolo. Die Uebergangsstelle zwischen Palolo und Wurm ist ungemein scharf abgesetzt. Der Wurmkörper hat einen zwei- bis dreifach größeren Durchmesser als der Palolo und dieser sitzt an jenem in ganz ähn- licher Weise an, wie regenerierte Hinterenden an Anneliden, z. B. 344 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. Regenwürmern. Die Paloloteile machten die charakteristischen schla- genden Bewegungen der frei gefangenen Exemplare und zerbrachen unter reichlicher Entleerung der Geschlechtsprodukte. In einen Eimer mit Seewasser gesetzt, schwimmen sie an dessen Oberfläche lange Zeit genau in derselben Weise herum, wie die spontan schwärmenden Palolo. Die Wurmteile hingegen waren nicht nur, wie bemerkt, viel dicker, sondern auch träge, weißlich und schleimig und leider mit nur allzu viel Erfolg bemüht, sich in die Korallenstücke zu verkriechen, zu kon- trahieren, in Biegungen zu legen und gleichfalls zu zerbrechen. Durch Abtöten in starkem Formalin, dem einzigen Konservationsmittel, das zur Hand war, zerbrachen Palolo- wie Wurmteile in viele Stücke. Doch ist an zwei Stücken der Uebergangsteil zwischen Wurm und Palolo in Zusammenhang geblieben. In einem Falle nur ist es mit großer Wahrscheinlichkeit gelungen, alle Wurmteile mit Verlust nur einiger Bruchstücke des Palolo-Endes habhaft zu werden und alles in einer Glasröhre zu sammeln. Dies Material besteht aus einem Kopf mit vielen (nach Schätzung über 100) daran befindlichen Segmenten; zwei Wurm-Bruchstücken; einem Stück aus etwa 50 Wurm- segmenten und sieben daran hängenden weiblichen Palolo- segmenten; endlich eine Anzahl von Palolo-Bruchstücken. Die Skizze stellt das entscheidende Uebergangsstück dar, nur ist von den vielen Wurmsegmenten, die sehr kurz und breit sind, nur eine kleine Anzahl gezeichnet. Das ganze Material stammt aus einem und dem- selben Hohlraum des Korallenstückes. Wenn also nicht der wirkliche Kopf übersehen und dafür der Kopf eines andern zufällig in demselben Loche hausenden Anneliden erbeutet sein sollte, was doch wohl sehr unwahrscheinlich ist, so sind wir nunmehr im Besitze des echten Palolokopfes. Uebrigens stimmen auch die auf den Kopf folgenden Segmente in Farbe, Durchmesser und allgemeinem Aussehen überhaupt mit denjenigen des andern, skizzierten Bruchstückes überein, an dem Fig. 1. Fig. 2. | pa Beide Figuren sind ungefähr 2!/, mal vergrößert. die Palolosegmente hängen. Endlich wurden aus andern palolohaltigen Korallenstücken noch eine ganze Anzahl von Köpfen desselben Aus- sehens gewonnen. Ein Studium der Parapodien war mir hier deshalb unmöglich, weil sie dick mit Schleim überzogen sind, den ich hier Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 345 ohne Gefährdung des Präparates nicht entfernen konnte. So bleibt betreffs der Zugehörigkeit der Köpfe allerdings noch ein gewisser, aber wohl nur schwacher Zweifel bestehen. Der Kopf, den ich in Vorder- ansicht skizziert habe, hat einen unpaaren medianen und 2 Paar paarige, also im ganzen 5 Tentakeln; auf dem folgenden Segmente stehen dann noch zwei Cirri tentaculares. Eine genauere anatomische und histo- logische Untersuchung des in den Jahren 1896 und 1897 gesammelten Materials soll später angestellt und darüber an anderer Stelle be- richtet werden. Hier sei nur bemerkt, dass ich den von Macdonald als Palolokopf angegebenen, auf Grund dessen der Palolo als eine Lysidice gilt, für unecht halten muss; dagegen könnte der von Collin erwähnte, mit einem Fragezeichen versehene Eunieiden-Kopf aus der Grube’schen Sammlung der richtige sein; denn die von mir gesam- melten, mit einem sehr hohen Grad von Wahrscheinlichkeit echten Paloloköpfe sprechen für eine Eunice. Schließlich hat dies auch nur ein systematisches und für diesen Aufsatz untergeordnetes Interesse. Die Hauptsache ist, dass die bisher als Palolowürmer beschriebenen Tiere diesen Namen kaum verdienen. Sie sind nicht nur, wie man längst wusste, kopflos, sondern es fehlen ihnen nach oberflächlicher Sehätzung einige Hunderte der vorderen Segmente; und diese, die wahrscheinlich ihre Schlupfwinkel im Korallenfels nie verlassen, und offenbar eine wesentlich verschiedene Organisation besitzen, sind als der eigentliche Wurm, d. h. als dessen Hauptkörper anzusehen. Die Palolo hingegen sind nur die zu besonderen Fortpflan- zungskörpern umgewandelten Hinterenden. Die Art und Weise, wie der Palolo an dem hinteren Ende des Wurms ansitzt, spricht entschieden für einen regenerationsartigen Sprossungsvorgang; man darf wohl annehmen, dass ein Wurm in bestimmten Zeitabschnitten, etwa einem Jahre, immer wieder neue Palolo hervorsprossen lässt, dabei aber auch selbst länger und dicker wird. Die vorderen Seg- mente des Paloloteiles, da wo er am Wurmhinterende ansitzt, sind kleiner, dünner und kürzer, als die hinteren; und das skizzierte Exem- plar zeigt eine Art Uebergangssegment, das auf der einen Seite mehr dem Palolo, auf der andern mehr dem Wurm in Form uud Farbe gleicht. Zwischen diesem und dem folgenden ist das Tier beim Töten etwas eingebrochen; es dürfte dies auch die normale Trennungsstelle sein, wo sich zur bestimmten Stunde, am bestimmten Tage der Palolo ablöst und später ein neuer Palolo wieder nachwächst. Interessant wäre es zu wissen, wie der Vorgang ist, wenn zum ersten Male im Leben des Wurmes der Palolo genannte Fortpflanzungskörper zur Entwicklung kommt. Die Samoaner behaupten, dass an dem Tage vor dem Haupttage die Palolo „kleiner, schwächer, wässeriger und brüchiger“ seien; sie nennen diesen Tag die „motusanga* (nach offi- zieller Orthographie, da der Laut „ng“ einfach mit „g“ geschrieben 346 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. wird, „motusaga“), wohl von „motu“, d. h. zerbrechen oder abreißen, namentlich längs geordneter oder langgestreckter Gegenstände. Ich habe diese Angabe der Eingeborenen leider nicht ordentlich kontroliert, bin aber geneigt, sie für richtig zu halten und habe daran gedacht, ob nicht vielleicht diese kleinen Palolo diejenigen sind, die von ein- jährigen, zum ersten Male „Palolo“ bildenden Würmern stammen. — Herr Dr. G. Thilenius der sich gemeinschaftlich mit Herrn Dr. Krämer, dem Verfasser des oben erwähnten Buches, gleichzeitig in Samoa aufhielt und dem ich von meinem Funde erzählte, teilte mir mit, dass er an demselben Tage dieselbe Entdeckungin Apia gemacht hat. Herr Dr. Thilenius hat mir seine Ergebnisse in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt und mich zu deren Publikation ermächtigt. Herr Dr. Thilenius hat an demselben Montage, am Nachmittage, beim Zerschlagen alter Porites-Stücke vom Ostriffe bei Apia dieselben Wahrnehmungen gemacht, wie ich, ins- besondre auch gesehen, dass die Palolo am Hinterende eines anders aussehenden Wurmes von größerem Durchmesser sprossen. Leider gelang die Konservation der Stücke nicht, da sie beim Zermeißeln der Steine vernichtet wurden, was auch mir selbst in vielen Fällen be- segnet und überhaupt nur in Glücksfällen vermeidlich ist. Während dies eine willkommene Bestätigung meiner Ergebnisse ist und zwar eine vollkommen unabhängige und selbständige, so hat Herr Dr. Thi- lenius in Gemeinschaft mit Herın Dr. Krämer noch einen weiteren höchst wichtigen Erfolg zu verzeichnen. Die Herren haben nämlich am Montag ein etwa drei Faust großes altes Porites- Stück in ein Gefäß mit Seewasser gelegt; als sie am Dienstag vor 4 Uhr zum Palolo- fange auszogen, war noch nichts zu sehen; als sie aber um 7 Uhr etwa zurückkehrten, war aus dem Korallenstücke 10 cem Palolomasse zum Vorschein gekommen. Die Wichtigkeit dieses samoanischen Versuchs, der mir selbst misslang, wahrscheinlich wohl weil ich zufällig ein palolofreies Stück genommen hatte, wird später ersichtlich werden. Es ist zu wünschen, dass dieser Versuch in großem Maßstabe wieder- holt werde, um zu sehen, wie die Abstoßung der Palolo erfolgt und um ferner (in einer zweiten, gleichzeitig anzustellenden Versuchs- Serie) durch vollständige Verdunkelung des Gefäßes eine absolut un- anfechtbare Ausschließung von Heliotropismus zu erzielen. Die Ent- deekung der wahren Natur des Palolo als eines Fort- pfanzungskörpers und seine Auffindung im Riffe ist also gleichzeitig und unabhängig vonHerrn Dr. Thilenius und von mir gemacht worden. — Sonderbar ist es, dass sich sicherlich schon manche vergeblich um die Sache bemüht hatten; noch wunderlicher aber, dass ich so lange fruchtlos in Matautu bei Apia gesucht hatte, während jene Herren an verschiedenen Stellen, u. a. auch, wie mir Herr Dr. Thi- Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 347 lenius erzählte, in Samatau vergeblich suchten; und als darauf in letzter Stunde Herr Dr. Thilenius in Apia und ich in Samatau suchte, glückte die Sache sofort. Die Hauptsache ist, dass beide Parteien allmählich von der Ansicht bekehrt werden mussten, dass der Palolo im Tiefen hause. Außerdem glaube ich aber nach alledem, dass der Palolo wahrscheinlich nur auf ganz eng begrenzten Par- tien des Riffes in größeren Massen vorkommt, und außer- halb dieser vergeblich gesucht wird. Erscheinung des Palolo. Die Frage, was der Palolo eigentlich ist und wo er herkommt, dürfte also wohl in den Grundzügen durch den Fund von Thilenius und des Verfassers als gelöst zu betrachten sein. Bei weitem das wichtigste und biologisch interessanteste ist aber unzweifelhaft der Erscheinungstag des Palolo. Kritik der Thatsachen. Die Südsee-Inseln sind ein sozusagen klassischer Boden für unzuverlässige Berichte; ehe man weitere Schlüsse macht, istesdaher dringend notwendig, sich immer erst zu vergewissern, was eigentlich von den behaupteten Thatsachen zuverlässig und er- weislich wahr ist. — Die älteren Reiseberichte wie auch die neueren Beobachtungen stimmen jedoch darin überein, dass die Palolo um den Tag des letzten Mondviertels im Oktober oder im November oder an diesen Tagen in beiden Monaten auftreten. Nach Krämer (8. 112) erfolgt das Auf- treten des Palolo „am Tage |hier muss wohl das Wort „vor“ aus- gefallen sein] am Tage des letzten Viertels und am Tage nach demselben, der erste Tag heißt usunoa, auch motusanga!), der zweite oder große Tag tatelega und der dritte salefunga“. Dies stimmt mit dem vor- züglichen aber doch nicht unfehlbaren samoanisch-englischen Wörter- buche Pratt’s (Printed by the Religions Tract Society for the London _ Missionary Society, 1893, Third Edition) überein. Samoaner, darunter ein als Fischer bei seinen Landsleuten berühmter alter Faipule (Re- gierungsmitglied) Namens Faga’olo, nannten die Tage salefu, motusaga und tatelega. Da tatelega etymologisch den „großen Fischtag“ be- deutet, so ist freilich die Pratt’sche Angabe plausibler; auch schwin- den die national-samoanischen Dinge vor dem Einflusse der weißen Händler und Missionäre allmählich dahin, so dass die Pratt’sche Wort- Sammlung unter Umständen sogar gegenüber den Augaben jüngerer Samoaner wenigstens eine Autorität ist. Meine Samoanischen Be- kannten blieben trotz aller Einwände bei ihrer Behauptung und er- klärten das Buch für falsch. Vielleicht fragt einmal jemand alte Leute 1) „g“ in Samoanischer Orthographie steht für „ng“. Krämer schreibt „motusanga“ offenbar um dem Leser die richtige Aussprache zu erleichtern; er hatte dann aber konsequent „tatelenga“ anstatt „tatelega“ schreiben sollen. 348 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm, in dem weniger von europäischen Einflüssen berührten Savari da- nach; ich kann die Frage hier nicht entscheiden; ich habe sie hier auch nur beiläufig erwähnt, da sie überhaupt ethnologisch und lin- guistisch ist und streng genommen hier nicht hingehört. Nach Collin (S. 168) sind die Tage „der Tag vor dem letzten Viertel, der Tag des Viertels selbst, während am Tage nach dem Viertel nur zuweilen noch einige Nachzügler erscheinen“. Auf S. 112 giebt Krämer einige Palolotage in verschiedenen Jahren an; auch habe ich durch die Güte des Herrn Paul Hörder in Levuka (Viti- Inseln, Insel Ovalau) und des Herrn W. von Bülow in Matapoo, Savafi zuverlässige Daten erhalten. Alle diese Daten, wie auch meine eigenen Beobachtungen stimmen mit der Mondphasenregel. An der Richtigkeit der Behauptung, dass die Palolo zur Zeit der letzten Mondviertel im Ok- tober und November erscheinen, ist daher nicht mehr zu zweifeln. Leider fehlt bei Angabe der Palolotage mit Ausnahme der von Bü- low’schen, jede Andeutung darüber, wie der Tag vor und der Tag nach dem Hauptfange verlaufen ist. Wenn auch ein bestimmter Haupt- tag als solcher bezeichnet ist, so bleibt es doch fraglich, ob am Tage vor- oder nachher gar keine, einige, oder etwa gar beinahe ebenso viele erschienen seien, als am Haupttage selbst. Nach meinen Er- fahrungen scheint es nämlich so, — spätere Beobachter mögen auf diese Frage achten — als ob die Berechnung des Haupttages mit noch höherer Genauigkeit möglich wäre, als bisher angenommen war. Ich gebe folgende Liste der von mir beobachteten Tage in Upolu!). Oktober 1896. Oktober 1897. | November 1897. Letztes Mondviertel Letztes Mondviertel Letztes Mondviertel am 29. Okt. 3h 21‘ astron. Nach Apia-Ortszeit am: 29. Oktober 3h 54° morgens Palolo bei Apia, Upolu: 28. Oktober Haupttag. (Eigene Beobachtung.) 29. Okt. sehr spärlich. (Stadtgespräch in Apia; in diesem Falle wohl zu- verlässig.) am 18. Okt. 9h 9° astron. Nach Apia-Ortszeit am: 18. Oktober 9h 42° morgens Palololo in Apia, Upolu: 16. Okt. Nach Berich- ten von Samoanern ver- einzelte Palolo gefangen. 17. Okt. Haupttag. (Eigene Beobachtung.) 18. Okt. Nach Schätz- ung etwa ein viertel so viel als am Tage vorher. Viel andre Würmer. (Eigene Beobachtung.) 19. Okt. Gar keine Palolo noch andere Anne- liden. (Eigene Beobachtung.) am 17. Nov. 2h 2‘ astron. Nach Apia-Ortszeit am: 17. November 2h 35‘ morgens Palolo in Samatau, Upolu: 15. Nov. Ein einziger im ganz flachen Wasser. (Eigene Beobachtung.) 16. Nov. Haupttag. (Eigene Beobachtung.) 417. Nov. Gar keine, nach Aussage von Weißen und Samoanern, die ich ausgesandt hatte. 1) Man vergesse nicht, dass Fiji und Samoa verschiedenes Datum rechnen, Fiji „australisches* und Samoa „amerikanisches“. Tonga hat gegenwärtig, ob- Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 349 Die astronomischen Daten sind den Deutschen Nautischen Jahr- büchern entnommen. Die geographische Länge Apias beträgt 11h 27° westlich von Greenwich. Danach scheint es so, als ob, wenn das Mondviertel am Morgen eines bestimmten Tages eintritt, der diesem vorher- gehende Tag der Hauptitag ist. Tritt es zu sehr früher Morgenstunde ein, so giebt es am Tage des Mondviertels gar keine oder fast gar keine Palolo mehr, wie im Okt. 1896 und Nov. 1897. Tritt das Mond- viertel jedoch später am Morgen ein, so giebt es noch am Tage des Viertels ziemlich viele Palolo. Ich sage es scheint so; eine Ver- allgemeinerung aus nur 3 (übrigens aber sofort notierten Beobach- tungen) ist natürlich unsicher. Spätere Beobachter mögen darauf achten, an mindestens 5 Tagen auf Fang ausgehen und vor allem sofort Alles notieren. Die Erinnerung täuscht leicht, namentlich auf Reisen. Interessant wären namentlich solche Tage, an denen das Viertel um Mittag oder Nachmittags eintritt; vermutlich ist dann der Tag des Viertels selbst der „große Tag“. Ich gebe nun noch eine Liste der Daten, die mir Herr vonBülow zur Verfügung stellte. Sie beziehen sich auf die Nordküste Savafis. Wie man sieht, fehlt ge- legentlich für den mutmaßlichen Haupttag die Angabe und der folgende trägt das Vermerk: keine Palolo. Palolo-Beobachter sollten sich immer aus nautischen oder astronomischen Büchern über den genauen Zeit- punkt des Viertels vergewissern. — Soweit also die Daten Herrn von Bülow’s vollständig sind, stimmen sie mit meiner Vermutung gut zusammen. Wie sich dies aber auch immer verhalten mag, so viel steht vollkommen fest, dass das Auftreten des Palolo von der Mond- phase abhängt, d.h., dass er um den Tag des letzten Viertels er- scheint. Wir kommen nun zu der viel schwerer zu beantwortenden Frage: Erscheinen die Palolo ausschließlich an diesen Tagen? Eine ganz einwandsfreie Antwort darauf zu geben, ist nicht möglich). Einige Male habe ich, wie aus der Tabelle hervorgeht, die Tage kurz vor- und kurz nachher geprüft. Ferner habe ich abends zwischen 8 und 11 Uhr, etwa zur Zeit der Mond-Culmination am 1. Nov. 1897 und am 6. Nov. 1897 vergeblich Ausschau gehalten. Nach reiflicher Ueber- legung komme ich aber zu dem Schlusse, dass wahrscheinlich diePalolo an anderen Tagen nicht auftreten. Die Samoaner, die so vielfach und fast zu jeder Zeit fischen, würden sonst voraus- sichtlich etwas davon wissen, was nicht der Fall ist; ich habe viele wohl es westlicher Länge liegt, dennoch „australisches“* Datum; Samoa so viel ich weiß, früher gleichfalls, jetzt aber nicht mehr. Wann man sich in Samoa zum richtigen Datum bekehrte, habe ich leider vergessen. 1) Vergl. die von Collin gesammelten Fälle, in denen aber der Palolo auch die Mondphase eingehalten zu haben scheint, 350 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. Palolo-Tage nach Herrn W. von Bülow für die Nordküste Savali’s. Oktober 1894. | November 1894. Oktober 1895. | November 189. Ts | LetztesViertellLetztes ViertelLetztes Viertel Letztes Viertel am 21. Okt. 6h 56“) am 19. Nov. 14h $‘am 11. Okt. 2h 34 am 9. Nov. 14h 7 astron. astron. | astron. | astron. Nach Apia-Ortszeit:| Nach Apia-Ortszeit: Nach Apia-Ortszeit : Nach Apia-Ortszeit: 21. Okt. 7h 29° morg.| 19.Nov. 2h 41‘ nachm. Il. Okt. 3h 7° merg. 9. Nov. lin 40° morg. Palolo: | Palolo: Palolo: | Palolo: 21. Okt. Viele. 20. Nov. Keine. —|10. Okt. Viele 8. Nov. Sehr wenig 22.0 kt.Sehrwenig. Anm. Am 20. Nov.11.Okt. Sehr wenig) 9. Nov. Viele. Anm. Ueber den waren die PaloloAnm. Dies stimmt, Anm. Hier trat das 20. Okt., der der)auch nicht fällig, mit meiner Vermu- Viertel kurz vor Haupttag hätte sein sondern am 19.;tung gut überein. | Mittag ein, und ent- sollen, fehlt es an vielleicht wurde der sprechend meiner Angaben. Vielleicht) Tag von den Ein- Vermutung, war der waren da „sehr; geborenen, deren Tag des Viertels viele* vorhanden, Berechuung natür- ‚selbst der Haupttag. der Tag aber ver- lich unsicher ist, passt. verpasst. Es kann aber auch sein, dass im Oktober eine vollkommene Ent- ladung stattgefun- den hatte und im Nov. dieses Jahres überhaupt keine ‚auftraten. gefragt. Da ferner die Palolo an den bekannten Tagen massenhaft erscheinen, ihr Erscheinen aber die Abstoßung eines Fortpflanzungs- körpers bedeutet, dessen Wiederwachsen wohl sicher längere Zeit be- ansprucht, so dürften nach dem Tage im November voraussichtlich gar keine solche reifen Fortpflanzungskörper vorhanden sein. Sollten aber vor dem Tage Palolo unbemerkt aufgetreten sein, so müssten sie an den Tagen des letzten Mondviertels fehlen. Immerhin sollten spä- tere Beobachter dieTage um das erste Mondviertel namentlich zwischen den beiden normalen Tagen, also das erste Viertel vor dem November- Vollmond, und zwar sowohl Abends, zur Zeit der Mond-Culmination, als auch morgens früh prüfen. Ein negatives Ergebnis wäre beinahe ebenso wertvoll, wie ein positives. Ich erwarte ein negatives Ergebnis, will dabei aber folgendes nicht verschweigen. Samoaner, deren Ans- kunft hier meist erheblich zuverlässiger ist als die der Europäer, haben mir erzählt, dass in manchen Jahren, wenn auch sehr selten, der Palolo „ausbleibt““ Längst bekannt und sicher ist ferner, dass in manchen Jahren die Palolo selbst am Haupttage wenig reichlich sind. Sollten sie in diesen Fällen unbemerkt an einem andern Tage aus- Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 351 geschwärmt sein? Etwa am ersten Viertel? Denn dieser Tag stimmt ja in Höhe und Stunde der Gezeiten im wesentlichen mit dem letzten Viertel überein! Wir kommen nun zu demjenigen, auf das ich das größte Gewicht lege: Zur Diskussion der denkbaren Ursachen der Ab- hängigkeit des Palolo von den Mondphasen. Hierfür sind die soeben erörterten Zweifel deshalb belanglos, weil jedenfalls die Regel feststeht, dass die Palolo ausschließlich oder vorzugsweise am letzten Mondviertel zu bestimmter Stunde erscheinen, und nur die Frage etwa bestehen bleibt, ob diese Regel ausnahmslos ist. So lange die ungenaue Angabe bestand, dass der Palolo mit der Morgendämmerung erschiene, da war wohl bei dem gegenwärtigen Stande unsrer Kenntnis der Gedanke naheliegend, die Sache könnte, soweit die Tagesstunde des Erscheinens in Frage kommt, mit Helio- tropismus etwas zu thun haben. — Die Hafenzeit Apias beträgt 6h 20° und die der andern Orte und Inseln kann nicht viel abweichen; (beträgt doch diejenige Tutuila’s Th 10%). So viel Zeit verfließt zwischen der Mond-Culmination und dem darauf folgenden Hochwasser!). Nun geht — rund gerechnet — das letzte Mondviertel um Mitternacht auf, um gegen Sonnenaufgang, (der inso niederen Breiten niemals um einen für uns erheblichen Betrag von 6 Uhr Morgens abweicht) zu culminieren; ungefähr 6 Stunden nach Mondeulmination, also am Palolotage gegen Mittag, ist Hoch- wasser; um Sonnenaufgang also Ebbe. Die Palolo erscheinen also bei sinkendem Wasser, nicht lange vor Erreichung der tiefsten Ebbe. Das Sinken des Wassers bei zunehmender Tages-Helligkeit hätte also auf Grund jener ungenauen Angaben als „auslösende Reizursache“ erscheinen können. Die ersten Palolo erscheinen aber bei der Insel Upolu vor jeder Andeutung von Morgendämmerung. Man könnte nun an das Mondlicht denken und außerdem vielleicht annehmen, dass der hypothetische positive Heliotropismus des Palolo durch längere absolute Dunkelheit verstärkt werde. An den Tagen um Vollmond giebt es keine längere Zeit der Nacht ohne Mondlicht. Später werden aber die mondlosen Teile der Nacht länger. Gegen das letzte Viertel herrscht etwa 6 Stunden Dunkelheit; in diesen könnten die Palolo intensiv positiv heliotropisch werden; die Helligkeit nimmt zu wegen Steigens des Mondes und Sinkens des Wassers; und die sich ihrer Culmination nähernde halbe Scheibe des Mondes könnte gegen 4 Uhr die Tiere oder vielmehr Fortpflanzungskörper zur Ablösung und zum Aufsteigen bringen. Dies wird aber widerlegt durch meine Beobach- tung am 16. Nov. 1897, wo die Palolo in tiefster Dunkelheit aufstiegen und ich sie anfangs nur fühlen konnte. Mit dem Heliotropismus, der 4) Die geringen Differenzen der Hafenzeit bei Spring- und Nippgezeiten sind hier belanglos. = 359 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. ja auch von vornherein in Anbetracht der dem Lichte unzugänglichen Entwicklungsstätte des Palolo unwahrscheinlich ist, können wir also die Sache nicht erklären; weder durch Mondlicht noch durch Morgen- dämmerung. Positiver Heliotropismus hat mit dem Palolo- Phänomen nichts zu thun. Eher könnte negativer Geotropismus in Frage kommen. Wer die bekannten aber oft noch nicht hinreichend gewürdigten Arbeiten Löb’s gelesen und verstanden hat, weiß natürlich, dass dies nicht nur Worte, sondern auch Begriffe sind. Was sollte nun aber jenen negativen Geotropismus zur Auslösung bringen? Eine Erklärungsmöglichkeit scheinen im ersten Augenblick die Gezeiten darzubieten. Wenn z. B. die Palolo an den Tagen oder Nächten der Vollmonds-Springebbe auf- träten, nicht lange vor Erreichung des tiefsten Wasserstandes, so würde man wohl vermuten, dass die Druckverminderung die auslösende Veranlassung wäre. Aber schon hier käme der Einwand zur Geltung, an dem überhaupt alle denkbaren Erklärungsmöglichkeiten im An- schluss an die Gezeiten scheitern. Der Gezeiten-Zyklus ist bekannt- lieh nach Zeit und Höhe des Wasserstandes ein halbmonatlicher und kein ganz monatlicher. Sehr nahe entsprechen — im Durchschnitte mehrerer Jahre — den Gezeiten am Tage des Vollmondes diejenigen bei Neumond, den Gezeiten am Tage des letzten Viertels die- jenigen beim ersten Viertel u. s. f£e Damit ist die Sache eigent- lich schon ganz erledigt!). Es treten vor allem aber auch die Palolo nicht bei Spring-Ebbe, sondern gerade gegen die Zeit der Nipp-Ebbe auf, also bei einem Wasserstande, der in fast jeder Nacht durchlaufen werden muss. An jenen Tagen ist die Gezeiten-Amplitude ein Minimum. Die an sich schon weit herbeigeholte und an sich ganz unwahrscheinliche, vielleicht gerade noch denkbare Möglichkeit, dass gerade die verhältnismäßige Gleichmäßigkeit des Wasserdrucks die auslösende Veranlassung sei, fällt fort wegen der oben als mindestens sehr wahrscheinlich nachgewiesenen Thatsache, dass die Palolo am Morgen des ersten Mondviertels nicht erscheinen, obwohl dann die Gezeitenverhältnisse denen der Nacht des letzten Viertels gleichen. Endlich erinnern wir, wenn eine weitere ganz handgreifliche Wider- legung notwendig erscheinen sollte, an das samoanische Experiment, 1) Der Satz von dem halbmonatlichen Gezeitenzyklus bedarf allerdings gewisser Einschränkungen. Wenn z.B. das erste Mondesviertel mit dem Peri- gaeum, außerdem aber etwa auch noch mit einer geringen Deklination des Mondes ungefähr zusammenfällt, das dritte Viertel hingegen mit dem Apogaeum und vielleicht einer der Maximaldeklinationen des Mondes, so würde die Ampli- tude der Gezeiten am Tage des ersten Viertels merklich größer sein als die- jenige am Tage des dritten Viertels. Dieses Zusammentreffen kann aber nicht in einer Reihe von Jahren konstant stattfinden. Diese und andere Einwen- dungen ähnlicher Art sind auch wegen der Geringfügigkeit der betreffenden Zahlenunterschiede und aus andern Gründen ohne Belang. Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 353 das von den Herren Dr. Thilenius und Dr. Krämer mit Erfolg angestellt wurde. Im Eimer mit Seewasser, das den Gezeiten gar nicht unterworfen ist, erscheinen die Palolo am be- stimmten Tage zur bestimmten Stunde! Nur der Vollständigkeit wegen sei noch eine letzte scheinbare Erklärungsmöglichkeit angedeutet, die aber an sich schon so ver- wickelt und höchst unwahrscheinlich ist, dass sie, wie ich meine, keinen Freund finden wird. Die Nächte vor dem letzten Viertel sind mond- hell, die vor dem ersten Viertel dunkel. Jenen geht der Vollmonds- Sprinsfluttag, diesen der Neumonds-Springfluttag voraus. Sollte das Mondlicht einen Reiz ausüben, der einen Mechanismus in Gang setzt, der dann automatisch mit uhrartiger Genauigkeit weiter arbeitet? Doch es lohnt sieh wirklich nieht, dieser Denkbarkeit weiter nach- zugrübeln. Alle diese scheinbaren Erklärungsmöglichkeiten und Denk- barkeiten scheitern also. Weitere kann ich nieht absehen. Das Ergebnis ist negativ, aber gerade deshalb, wie ich aus innerster Ueberzeugung ausspreche, von um so größerer Wichtigkeit. Das Palolo-Phänomen, so weit die Abhängigkeit vom Monde und Innekaltung von Tag und Stunde in Frage kommt, ist Thatsache und bei dem gegenwärtigen Stande der Biologie vollkommen rätselhaft. — — In jedem Entwicklungsstadium einer jeden Wissenschaft besteht das Bestreben, sich unsere Erkenntnis als möglichst abgerundet und abgeschlossen vorzustellen. Und zu jeder Zeit hat es gewisse, kleine, hartnäckige, scheinbar vereinzelt dastehende, unerklärte Thatsachen gegeben, die daran hätten mahnen können, dass hier etwas vorliegt, das auf Dingen beruht, von denen wir nichts, gar nichts wissen. Die Anziehungskraft des geriebenen Bernsteins war eine solche vereinzelte wissenschaftliche Merkwürdigkeit zur Zeit des klassischen Griechen- tums. Lange vor Galvani und Volta wurde einer gelehrten Körper- schaft die absonderliche und ganz unerklärliche Kuriosität vorgelegt, dass zwei verschiedene, einander irgendwo berührende Metalle auf der Zunge eine eigenartige Geschmacksempfindung hervorrufen. Längst war es bekannt, dass ein gewisser Prozentsatz des atmosphärischen „Stickstoffs* regelmäßig übrig bleibt, wenn man ihn durch den Funken- strom mit Sauerstoff zu verbinden versucht — bekannt, ja wohl. Bekannt aber nicht beachtet. Gerade Lehrbücher, die doch unter jüngeren Freunden der Wissenschaft den größten Leserkreis haben, begehen meist den zwar begreiflichen, aber folgenschweren Fehler, die kleinen, unbequemen, weil jeweils unerklärlichen Thatsachen oben- hin abzumachen oder gar zu verschweigen. Im Interesse des Fort- schritts der Erkenntnis läge das umgekehrte Verhalten. Achtung vor Thatsachen und zehnfache Achtung vor unerklärten Thatsachen! Es sind ja gerade, wie die drei herausgegriffenen Beispiele lehren, jene unscheinbaren, uns in unsrer Selbstzufriedenheit störenden, weil un- XVIII, 23 54 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. co erklärlichen Thatsachen, hinter denen sich ganze Welten neuer Er- kenntnisse zu verbergen pflegen. Wäre jenes vermeintliche Stickstoff- Residuum bei jeder Gelegenheit als rätselhafte Thatsache aufs stärkste betont worden, so hätte sich wohl früher, als es denn schließlich der Fall war, jemand gefunden, der jenen Gasrest näher geprüft hätte. Und mehr wäre zur Entdeckung des neuen Elementes hier nicht einmal nötig gewesen. Wie soll man nun aber solche scheinbar vereinzelte unerklärliche Thatsachen angreifen? Ob sich hierfür, außer möglichst genauer Präcisierung und gewissenhaftester Beobachtung der Thatsachen eine gleichsam systematische Regel aufstellen lasse, mag dahingestellt bleiben. Eines aber ist sicher: Sobald es gelingt, andre, ähnliche Er- scheinungen aufzufinden und aus der einzelnen Thatsache eine Gruppe von Erscheinungen zu machen, so verbessern sich jedenfalls die Chancen der Erkenntnis. Wir fragen also, ob es noch andre Dinge giebt, die auf einen solchen bisher ganz unverständlichen, anscheinenden Zu- sammenhang zwischen astronomisch-kosmischen und biologischen Dingen hinweisen? In manchen wichtigen biologischen Vorgängen scheint die Zeit des Mondumlaufs und dessen Viertel, (das ja auch eine reelle Bedeutung hat!) eine gewisse Rolle zu spielen. Bebrütungszeiten, Trächtigkeitsperioden und vielleicht auch die Menstruation gehören hierhin. Diese Dinge sind aber doch von dem Palolophänomen erheb- lich verschieden, insofern als die jeweils herrschende Mondphase bei ihnen keine Bedeutung hat. Eine gewisse Richtung würde vermuten, dass diese Perioden bei den „Vorfahren“ praktische Wichtigkeit gehabt haben mögen und dass jene Innehaltung meist gerader Vielfacher des Monats oder des Monatsviertels (Zeitraum zwischen Spring- und Nipp- Gezeiten) ein „Ueberbleibsel“ sei, von der Zeit her, „als die Vorfahren im Gezeitengebiete lebten“. Aber abgesehen davon, dass uns diese Anschauungsweise überhaupt keine Erklärung zu liefern scheint, so ist vor allem zu bemerken, dass die Gezeiten das Palolo- Phänomen eben — nicht erklären, obwohl ja der Palolo selbst beinahe ein Tier des Gezeitengürtels zu nennen ist. Aber es scheint eine Reihe andrer Dinge zu geben, die allerdings mit der Palolo-Erscheinung unmittelbar verglichen werden können. Wenige sind bekannt, sehr wenige einigermaßen sicher beglaubigt. Schon oben wurde z. B. der den Palolo begleitenden andern Würmer gedacht und hervorgehoben, dass wenigstens die eine Art, die Aphro- dite-ähnliche, offenbar zu demselben Geschäfte an die Oberfläche kommt, wie der Palolo. Ferner ist in dem Buche Krämer’s der mali‘o, eine samoanische Land-Krabbe erwähnt, die an einem vorher berechenbaren Abende in Schaaren zum Meere wandern und alsbald in den Wald zurückkehren soll. Hiemit schließt das einigermaßen beglaubigte einst- weilen ab. Durch Herumfragen bei den Samoanern habe ich aber Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. 355 noch manche Dinge gehört, die wahrscheinlich neu und wohl zum Teil wenigstens richtig sind. Wem etwa die Veröffentlichung unbe- stätigter Angaben von Samoanern in einer wissenschaftlichen Schrift ungehörig erscheint, der mag daran erinnert sein, dass wir unsere ganze Kenntnis vom Vorhandensein des Palolo den Samoanern und andern Südsee- Insulanern verdanken. Ich bin übrigens auch davon überzeugt, dass der Palolo noch auf manchen andern Inseln vorkommt, aber unbekannt ist, weil die Eingeborenen ihm nicht nachstellen. Man könnte ja gegenwärtig lange in Tonga leben, ohne vom Palolo etwas zu sehen oder zu hören. Auch verdanke ich ja selbst meine Ent- deckung ausschließlich den Angaben meiner samoanischen Bekannten, deren Sprache ich zwar nicht gründlich — (das gelingt selbst unter den dauernd Ansässigen nur wenigen und nur annähernd) aber doch für die meisten Zwecke hinreichend gelernt habe; die viele vergeb- liche Arbeit aber im Anfange (im Tiefen!) vorzugsweise dem Gerede einiger Weißer. — Da ich selbst Samoa einstweilen verlasse, so veröffentliche ich die folgenden Notizen, damit Andre Anhaltspunkte gewinnen und zusehen können, was von den Angaben auf Wahrheit beruht. Die Verständig- ung mit den Eingeborenen war übrigens namentlich wegen ihrer höchst wunderlichen Mondesrechnung schwierig, ehe der Schlüssel dazu ge- funden war. Die Namen der samoanischen Monate selbst, die übrigens von unseren fast verdrängt worden sind, machen keine Schwierigkeit, da sie in Pratt’s Samoanisch-Englischem Wörterbuche stehen. Der Anfangspunkt der Zählung wird regelmäßig bezeichnet als die „aoina o le masina“ und die uns interessierenden Tage als der so und so vielte dieser „aoina“ des Mondes. Die Samoaner beachten am Monde nämlich nicht wie wir, vorzugsweise seine Gestalt, sondern die Tageszeit seiner Sichtbarkeit. Das Wort „aoina“ ist in dieser Bedeu- tung im Pratt nicht hinlänglich erklärt. „Aoina“ ist abgeleitet von „ao“ durch Anhängung der sogenannten Passivendung. „Ao“ bedeutet den Tag im Gegensatze zur Nacht und speziell auch den anbrechenden Tag. Die „Aoina o le masina“ bedeutet diejenigen Tage, an denen der Mond morgens nach Anbruch der Dämmerung noch sichtbar ist. Sie und damit der Anfangspunkt der Zählung beginnt also ein paar Tage vor Vollmond, da dann der beinahe volle Mond noch tief am westlichen Himmel sichtbar ist, wenn im Osten die Morgenröte heraufsteigt. So ist z. B. der Palolotag der zehnte Tag der „aoina“ des Mondes. Ich führe diese samoanische Mondesalter- bezeichnung, die übrigens auf die Zeit bald nach Neumond!) keine 1) Nach meinen Erfahrungen wird die Zeit vor der „aoina“, also die Zeit von Neumond bis einige Tage vor Vollmond nur so bezeichnet, indem gesagt wird, dass der Mond scheint, wenn man Abends die Feuer anzündet. Außer- dem giebt es noch einzelne Worte für einzelne Tage, deren Bedeutung mir nicht ganz klar geworden ist, Er 356 Friedlaender, Ueber den sogenannten Palolowurm. Anwendung zu finden scheint, hier an, um Andern die Arbeit zu er- leichtern. Was ich nun von samoanischem Volks- und Fischer-Glauben mit- teilen und zur Prüfung vorlegen kann, ist folgendes. 1. Der „mali‘o“ ist bereits erwähnt. Mir wurde außerdem aber mitgeteilt, dass die meerwärts ziehenden mali‘o-Schaaren zum Teil Eier tragen, die landwärts ziehenden aber nicht. Also dürfte jenes „Sich-Baden“ der mali‘o, wie die Samoaner es bezeichnen, auch die Bedeutung der Eiablage haben. Die Mali‘o sollen nicht mehr so häuflg sein wie früher, indem sie durch die Ratten gelitten haben!). 2. Die „tupa“, die häufigste der größeren Landkrabben Samoa’s die namentlich unter den „futu“ genannten stattlichen Bäumen (Bar- ringtonia speciosa) unweit des Strandes in Erdlöchern gesellig lebt, soll am gleichen Tage wie die mali‘o „in der See baden“. 3. Dasselbe wird auch von der größten, aber seltenen Landkrabbe, dem „uu“ (Birgus latro?) erzählt. Alle diese Krabben sollen einige Tage vor den Palolo und zwar Abends, „wenn die Cicaden („alise“) singen“, ihre Wanderung antreten. 4. „Der zweite Tag nach dem zehnten Tag der aoina“ nach samoanischer Rechnung, also etwa der zweite oder dritte Tag nach dem letzten Mondviertel ist es nun, der eine besondere Bedeutung hat, und zwar vom September oder Oktober an sechs Monate hindurch. An diesem Tage sollen Fische an den samoanischen Küsten vor- kommen, die es vorher nicht gab, namentlich der „lö“ und der „palafia“. Nur wenige Tage hindurch aber sollen diese Fische gut sein. Mit jedem folgenden Tage fängt man zwar „größere Fische“ der als lö bezeichneten Art, aber sie werden immer schlechter, da „sie Sand ge- fressen haben“. Am gleichen Tage des folgenden Monats soll dann wieder ein Nachschub kleiner und guter „lö“ kommen, der aber gleich- falls nur wenige Tage hindurch gut ist u. s. f£e. — Das Auftauchen dieser Fische an den Küsten der Samoa Inseln kann nur von Wande- rungen und diese werden wohl vom Fortpflanzuugsvorgange abhängen. — Diese Fische sollen in Schaaren kommen und von West gegen Ost ziehen. — Der Missionär und gute Kenner Samoa’s, Herr Newell in Malua teilte mir mit, dass die als „anae“?) bezeichneten Fische be- sonders massenhaft unmittelbar nach dem November-Palolotage auf- zutreten pflegen. Ich fand dies in einem Falle bestätigt. Herr von Bülow glaubt, dass das Auftreten der „lö“ nicht ganz zuverlässig sei. — 5. Ueber die Eiablage der Schildkröten [„laumei“?)] wurde mir 1) Der mali’o sollte unbedingt einmal von einem Naturforscher genau be- obachtet werden! 2) „ae“ und „ei“ sind streng phonetisch auszusprechen; „ae“ ähnlich unserm „ai“ in Mai oder „ei“ in ein; der samoanische Diphthong „ei* (oder Semi- diphthong) existiert im Deutschen nicht. Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 357 auch etwas mitgeteilt; doch war die Ansicht über die Regel geteilt; ob nämlich die Eiablage am siebenten Tage der „aoina“ oder aber alle sieben Tage erfolgt. — Ich verdanke diese Notizen einem alten Samoaner Namens Fana°olo |aus Luatuanu’u östlich von Apia, der bei den Samoanern im Rufe besonderer Wissenschaft als Fischer steht. 6. Endlich kann ich es mir nicht versagen, einen anscheinend ganz allgemein verbreiteten Volksglauben der Samoaner hier mitzuteilen. Die Sache klingt ja sehr fragwürdig. Da sie aber, wenn sie wahr sein sollte, auch nieht wunderbarer oder unerklärlicher wäre, als die feststehenden Thatsachen des Erscheinens des Palolo, so dürfte es angebrachter sein, die Behauptung auf ihre Richtigkeit zu untersuchen, als, wie das manche zu thun wohl geneigt sein dürften, kurzer Hand als Aberglauben abzuweisen. Der samoanische Volksglaube behauptet nämlich, dass die Kinder unserer eigenen Species zwar unterschiedslos, wie natürlich, an jedem beliebigen Tage geboren werden, dass aber fast alle Kinder zu denjenigen Tages- oder Nacht- Stundengeboren werden, wenn einige Zeit nach Erreichung des tiefsten Wasserstandes die Flut wieder zu steigen beginnt („fana’enae“). Schränken wir nun diese Behauptung ein wenig ein, indem wir an- nehmen, dass etwa nur die Mehrzahl der Geburten bei steigendem Wasser stattfinde; so wäre es wohl denkbar, dass die Thatsache wirklich und vielleicht sogar allgemein bestehen könnte. Aerzten und Statistikern könnte dies sehr leicht entgangen sein, da erstens sechs Stunden höherer Geburtsfrequenz mit sechs Stunden niederer Geburts- frequenz zweimal täglich abwechseln würden und zweitens weil sich die ganze Periode täglich um rund 50 Minuten verspäten würde. Apia, Samoa-Inseln. Dezember 1897. [38] Die geographische Verbreitung der Wirbeltiere in der Grön- land- und Spitzbergensee, mit Berücksichtigung der Beobachtungen Nansen’s. Von Dr. phil. Hermann Trautzsch, Oberlehrer an der städtischen Realschule zu Chemnitz. 3 (Zweites Stück und Schluss.) Vögel. Bei der Betrachtung der Vogelwelt müssen wir von vornherein festhalten, dass an so bestimmte Grenzen wie bei den Säugern, wenig- stens bei den Landtieren, nicht zu denken ist. Aber trotz ihrer freieren Bewegung ist den einzelnen Arten ein bestimmtes Gebiet gesteckt, außerhalb dessen sie sich selten bewegen. Die folgenden Tabellen werden zeigen, wie manche Arten sogar nur lokale Formen sind, die ihren Standort nicht verlassen. Diese Daten stützen sich hauptsäch- lich auf die Werke Malmgren’s [10 M.] und Palmen’s [14 P.], ver- 358 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. Island. Ost & rönland. ne hau: N Sa: Sazxicola Oenan- the L Pin: 41,9 2750] 3; 70 _ u — ©) Ehe lina- p. ar r2 10 750 101 ») ea /\ Aegiothus Horne- 0 79—80° A manni Halb. Pr “ B: 0 verirrt u . ; 7 0 Dan nes NV- N 750 -— 710 Kerken 76—80° 71--30° X (Corvuscorax)LIP. K. 15° Hr — verirrt _ — y Nyctea scandiacal P. M. 0 79—80° 170 L. N. 12 Hi in verirrt = 73’) Et: ? M. Wyde- — FalcogyrfalcoL|P.M.| y Bi; — bi Treu) — 70-73° ; renbergbai ee im Süden| — | ? ? - zen SEM. PA miStden | | — # EM ? — Lagopus hyper-|P. M. as er AN 4” boreus Sand. N. le A WW Lagopus rupes-| p, 750 a ei EN Pl P tris. Gm. een UN aa al BAT 800 = N en, maritima z M. 750 Tr 71° | 74-800, pe 31], I Tringa alpinaL.| P. — eh Zr = IE 713], Ange minuta. P. u Ss Ur Er her 723731] N TringacanutusL4 P. 2a A = za ir 71 W Phalaropus ful-{P. M. % = A) 77800 Mr ke carius L. N. le rem) a, aoeodl Sellehr] non | BE Sieben J.M. X ZRLREBESEN P.M.| 175 | + 761/,—80°| 76—80° | 751/,0 Yr Rhodosthetia ro- Pa fi AR 9 ka sea Macg. P. j 5 Ai 2 rue: P.M.| 74° verirrt + | 77—80° | 76--80° = . 2 X Rissa tridactyla.| P. M. |Nordensk. 890 __m80 A NK 1620 g54 afshärllo (082 PR x LarusglaueusLx' x | — Te] + | + 800 soo | 71-780 („ leucopterus) ar Mt er Er a nearctisch. Br = PX Desire verein | por) prilncr. \ranzeene| B-8on Trage X a eh P. 740 selten) selten] 79-—-80° | 76—80° | 70-73° Dan Lestris proma- __780 ? torrkina.-Teunn! gig ih en : j x Uria arra. Palli P. 74— 75° *F *H 74— 78° | 81—82° | 73—76° A DUria grylie. LI P. 4d—75°| + xH + ? — Mandtü Licht. N x 5 A " N I N Mergulus alle. L. en 74° Tr + | 74—83° | 76—80° 73° Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 359 Spitzber- |, gen und Frz. Bären-I. Ost- Grönland. Nan- sen. Now.- Semlja. Jos.- Land. Jan- Island. Mr Fratercula arcti- ca. L. etvariat.| P. — + | — 74—85° au 68709 glacialis. | Cotymb - Q aa 1 B 3 DEE E2 REE ES | + I aus | 80 | sim Ful la- SS + ER a age | ge 780,9 — Anser segetum PM Brachyrhynchus ne = +? u 77—80° IR 2 9 Baille, s — Anser seg. v. se- Er getum. Buhı Pr HS selten A gE | mens Se gi EM x su tl 2) E) Se we S ı \verirzt| 76-810 an 1 | 4 ıo ans musicus.IP. Su ? 2 ih °M. PR 2 Z Oedemia fusca. 2 selten E B; | \ — — 780 pen 71° SZ Be nigra. N Mn r > r 710 Harelda la- S. & cialis. L. I@Tp.M. selten 74) + TE 77—80° —_ 1-73 | + /\ Somateria mol- E: a _rro lissima L. earth. Is | 6m80t | Somateria spec- verirrt - tabilis. L. Sl Re = Dr 731], Mergus serrator| P. — == a 799 Procellaria gla-|M. N. ze cialis. K, r a (Alka troile.) M. Pr (Mormon 1 ticus.) K. jr ir: X circumpolare arktische Arten. — palaearctische Arten. A atlant. glaciale Arten, [O) eircumboreale „> palaeoboreale u Bem. Malmgren beobachtete bei Stansforeland noch einen Charidris morinellus L., doch scheint sich derselbe nur von Finnmarken her verflogen zu haben. gleichsweise sind auf die Reisewerke Nordenskjöld’s [12 u. 19 N. und Koldewey’s, II. deutsche Nordpolfahrt [5 K.] herangezogen. Auf Grund dieser Tabelle (S. 358) lassen sich die innerhalb des holzlosen arktischen Gebietes vorgefundenen Arten gruppieren, wir wollen dabei die geographische Verbreitung überhaupt und die größere oder geringere Regelmäßigkeit ihres Auftretens innerhalb der Gebiets- grenzen berücksichtigen. In unserem Gebiete bestehen Hauptabteilungen, Strecken, deren Aussehen auf Grund der Grenzen und der topographischen Beschaffen- heit des Eises wechselt. Damit sind auch vergleichsweise Bedingungen | für das Auftreten gewisser Vogelarten gegeben. Den Hauptstamm bilden, wie ein Ueberblick über die Tabelle zeigt, die arktischen Arten, deren nördliche Grenze von Natur der 360 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, Nordpol bildet. Für manche Gegenden kommt eine große Anzahl borealer Arten hinzu, teils als normaler und charakterischer Zuschuss zu den ersteren, teils mehr oder minder verstreut. Beide Gruppen, arktische und boreale kann man mit Rücksicht auf die ungleiche Ver- teilung um den Pol in Unterabteilungen bringen. Den charakteristischen Kern in der rein arktischen Vogelfauna bilden deutlich die arktischen Arten, ihr Verbreitungsgebiet ist eireum- polar. Andere gehören bloß einer Hemisphäre an, diese kann man als paläarktische und nearktische Arten (im strengen Sinn) be- zeichnen. Noch andre Arten bewohnen die Küstenländer an bloß einer Hälfte des Eismeeres, den Teil nämlich, welcher mit seinem jeweiligen südlicheren Weltmeere kommuniziert, man könnte sie im Anschluss hieran als atlantisch-glacial und paecific.-glacial bezeichnen. Wie schon gesagt, schließen sich an diesen Komplex der arktischen Vögel eine Anzahl borealer Arten, welche eigentlich den holz- bewachsenen Gebieten angehören, aber mehr oder weniger regelmäßig die Baumgrenze überschreiten und sich den arktischen Gebieten zu- drängen. Auf Grund dieses Ueberschreitens der Baumgrenze dürfen sie Aufnahme in unserer Tabelle beanspruchen. Ich folge hier der Gruppierung Palme&n’s, obwohl es sich in diesen Untersuchungen nicht um ein eircumpolares Gebiet handelt. Diese Einteilung ist aber geeignet, Anhaltspunkte für weitere Unter- suchungen zu bieten und wirft Streiflichter auf den Zusammenhang der Vogelfauna der alten und der neuen Welt. Wollten die Angaben Anspruch auf Vollständigkeit machen, so wäre es notwendig, von jeder Vogelart den Sommer- und Winter- Aufenthalt, sowie den Brüteplatz, anzugeben. Dem kann man jedoch nur in beschränktem Maße nachkommen, da von vielen Arten der Winteraufenthalt unbekannt ist, ebenso wie von vielen die Brutstätten sich nur hypothetisch angeben lassen — und es sei hier sogleich darauf hingewiesen, dass vermutlich ein unbekanntes Land am Nordpol, vielleicht ein Inselkranz im Polarmeere die Stätte ist, wo das Brut- geschäft besorgt wird (vergl. oben Ren). Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit, den Anforderungen zu genügen, welche eine exakte Forschung verlangt, muss auch jetzt noch davon abgesehen werden (wenigstens bei vielen Arten), anzugeben, welche Arten die eigentlich einheimischen sind, welche Arten aber zuwandern und wieder weg- wandern. Die ecireumpolaren arktischen Arten bilden den Hauptstamm der Vogelwelt auch in der Grönland- und Spitzbergensee. 1. Saxicola oenantheL. Nach den Angaben Palme&n’s findet sich diese Form in Ostgrönland, tritt aber über die Insel Jan-Meyen nicht nach Osten über; die Südgrenze scheint am 70.° n. Br. zu liegen, in Grönland am 74.°. Das gänzliche Fehlen des Vogels auf den Inseln Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 561 der Spitzbergensee berechtigt uns wohl, ihn als eine nearktische Form zu betrachten. 2. Plectrophanes nivalis L. |Emperiza nivalis), der Schneesperling oder die Schneeammer ist in allen Teilen unseres Gebietes zuhause. Auf Spitzbergen zieht sie im Sommer weit nach Norden hinauf. Malm- gren [10. 19] sah sie in der Wydebai (80°), in der Branntweinbai (80° 40°), selbst auf Franz-Josephs-Land ist sie konstatiert, und ihre Verbreitung erstreckt sich im Westen bis hinüber nach Grönland, im Osten über Nowaja-Semlja nach den Taudren, im Süden nach der Bären-Insel und Island. Dies ist das Sommergebiet, in dem der Vogel seine Eier legt und bebrütet. Im Winter wird es der Schneeammer aber zu kalt und sie sucht dann die Küsten Skandinaviens auf, soweit - der Schnee reicht. 3. Corvus corax L. Den Raben führt Palmen unter den eircum- polaren arktischen Formen an, obwohl er zugesteht, dass er nur im Westen, auf Island und Grönland häufiger auftritt und Spitzbergen nur auf Irrwegen streift. Malmgren nennt ihn gar nicht, nur Kolde- wey |5 S. 68] erzählt, dass er zwei Raben an Kap Gladstone be- obachtete. Es scheint mir nach den wenigen Daten über hochnordisches Vorkommen nicht berechtigt zu sein, dem Raben eine Heimstätte im rein arktischen Gebiete zuzuweisen. 4. Nycetea scandiaca L. (Stryx nyctea bei Malmgren [19] und Nordenskjöld „Vega I“). Die Bergeule findet sich ziemlich häufig im ganzen Umkreis unseres Gebietes. Heldenström (Otryw ki o Sibiri, Petersburg, 1830, p. 112) meldet ihr Vorkommen von den Neu- sibirischen Inseln, am Schneehuhnfelsen überwintert sie. Auf Spitz- bergen ist sie selten anzutreffen, und Palmen ist der Meinung, dass dies nur verirrte Exemplare seien. Mir scheint, mit Recht, da die Sehnee- oder Bergeule sich hauptsächlich von Lemmingen nährt und auf dem Spitzbergenarchipel ohne ihre Leckerbissen sich durchhelfen müsste. 5. Lagopus rupestris Gm. Sämtliche Inselgruppen der Grönland- und Spitzbergensee meidet diese Art Schneehuhn; nur auf Island und in Ostgrönland ist es beobachtet worden; es dürfte darum gerecht- fertigt erscheinen, die eircumpolar-arktische Verbreitung mit einem Fragezeichen zu versehen und dafür ein „nearktisch“ einzusetzen. 6. Calidris arenaria L. Dieser Vogel liebt besonders kalte Gegenden. Auf Franz-Josephs-Land fühlt er sich wohl bis zu 80° n. Br., und auf Grönland reicht er bis 74° 30°. Merkwürdigerweise meidet er Spitz- bergen und Nowaja-Semlja, die Wärme des Golfstromes scheint das Tier von da zu vertreiben, Island und Jan-Meyen werden nur vorüber- gehend besucht. 7. Tringa canutus L. findet sich nur bei Palmen verzeichnet. Sie hält sich gleich Calidris im hohen Norden, denn sie ist bisher nur 362 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. auf Franz -Josephsland beobachtet (Island ist wohl nur eine Besuchs- station; vergl. Tabelle). 8. Phalaropus fulicarius L.Bonap. Die breitschnabelige Schwimm- schnepfe schließt sich den letzten drei Formen an. Sie zeigt sich in unserem Gebiete nur auf Spitzbergen und zwar unter 77—80° 10° n. Br. Malmgren konnte sie an der Treurenbergbai und bei Verlegen Hook konstatieren. Dass sie selbst Nowaja-Semlja vermeidet, deutet auf ihren hochnordischen Charakter. Ein allgemein verbreiteter Vogel ist 9. Sterna paradısea Brünn.; an allen Küsten der Grönland- und Spitzbergensee hat sie ihre Nester, ja sie reicht bis zur Moffen- Insel und der Treurenbergbai hinauf. Nach Süden zu überschreitet sie nie- mals die Nordgrenze der borealen Zone. 10. Rhodostethia rosea Macg. führe ich nur auf die Autorität Palmen’s hier an. Auf Franz-Josephsland ist sie gefunden worden; von Spitzbergen ist es zweifelhaft, ob sie Besuche abstattet?). 11. Payophila eburnea Phipps. Die Elfenbeinmöve, auch Eis- möve genannt, ist ein ganz charakieristischer Vogel des hohen Nordens. Man trifit sie auf dem Meere zwischen dem Treibeise oder in Buchten die von solchem erfüllt sind. Sie ist ein typischer Eisvogel, der nicht tauchen und nur schlecht schwimmen kann. Ihre Nahrung bildet Aas. Das Fleisch geschossener Tiere ist ihr ein Leckerbissen; in Zeiten der Not verschmäht sie aber auch die Exkremente der Walrosse nicht. Ihr eigentlicher Brutplatz ist noch nicht aufgefunden worden; denn trotzdem sie alle Inseln der Grönland- und Spitzbergensee nördlich vom 70.° n. Br. bewohnt, ja ein echt eireumpolar-arktischer Vogel ist, ist es nur zweimal gelungen, ein Nest ausfindig zn machen. Die glück- lichen Entdecker waren Malmgren, dem es an der Murschisonbucht unter 82° 2° n.Br. und Me. Klintock, dem es in Nordamerika gelang. In ihrer Nachbarschaft tritt regelmäßig 12. Rissa tridactyla L. die dreizehige Möve auf. Auch sie geht nicht über den 71.° n.Br. nach Süden und sucht den höchsten Norden. Weit hinaus ins Meer zieht sie hier ihre Kreise und umschwärmt die Masten der Schiffe. Ihre Brutplätze sind jetzt bekannt. Sie nistet in ungeheuren Scharen in der Nähe der Alkenfelsen, aber abgesondert von ihrer Nachbarschaft und stets an Stellen, welche den raubgierigen Füchsen unzugänglich sind. Den nördlichsten Punkt, an welchem sie beobachtet wurde, hat wohl Barry unter 82° 45° n. Br. erreicht. Ihr schließt sich aus dem Mövengeschlecht 13. Larus glaucus L. (Brünn.) der Bürgermeister an, ein tapferer Vogel, der sein Nest selbst gegen die Füchse verteidigt. Sein Brut- platz ist daher meist leicht zugänglich auf den Spitzen von Felsen oder Steinhaufen angelegt. Auch dieser Raubvogel, weleher den anderen 1) von Nansen bestätigt; vergl. Nachtrag. Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 363 seiner Gattung die Beute abjagt, hält sich jenseits des 71. Breiten- grades und umfasst in diesem Gebiet alle Inseln, ja er breitet sich über den ganzen Kreis um den Nordpol aus, ein echt eircumpolar- arktischer Vogel. (Larus leucopterus) führe ich der Vollständigkeit wegen mit auf, da die Art, obwohl eine echt nearktische und pacific-glaciale, doch auch an den Ostküsten Grönlands sich zeigt. Sämtliche drei Strandjägerarten: 14. Lestris crepidatus Banks., 15. L. longicaudus Briss., 16. L. pomatorrhina Temm. verhalten sich ihrer Verbreitung nach wie der Bürgermeister. Ihre Südgrenze bildet der 71. Breitengrad. Alle Küsten der Grönland- und Spitzbergensee bevölkern sie, daselbst dem Raube nachgehend. Auf Spitzbergen haben sie sich jedoch in die Jagdplätze geteilt, dergestalt, das L. ereprdatus mehr den Westen, seine beiden Verwandten mehr den Osten gepachtet zu haben scheinen |Nordenskjöld 12|. Von der Gattung Uria treten zwei Formen unter den eircumpolar- arktischen Arten auf 17. Uria arra Pallas und 18. U. grylle variat. Mandtii Lieht-Leist, erstere hat zur Südgrenze den 73.° n. Br., letztere geht bis zum 70.° herab. Obgleich sie nie in großen Scharen beobachtet wurden, ist es doch gelungen, ihre Nester aufzufinden. Man weiß, dass die Parry-Insel (80° 40° n. Br.), Nordspitzbergen, Wal- den-Island, Amsterdam-Island als Brutplätze dienen. Eigenartig ist ihre Lebensweise aber doch insofern, als sie niemals das Innere des Landes besuchen, auch alle Grasfläehen und Sandufer vermeiden, wie wir dies auch bei den Papageitauchern (Mormon), Alken (Alca) und Alkenkönigen (Mergulus) finden werden. Es bleiben uns noch drei Arten der eireumpolar-arktischen Vogel- fauna zu besprechen, welche drei verschiedenen Gattungen angehören. 20. Colymbus septentrionalis L., 21. Harelda glacialis L. der Alf- vogel und 22. Somateria spectabills die Prachteider. Alle beschränken ihr Gebiet auf den Raum zwischen dem 71.° und 80.° n. Br.; sie be- leben den ganzen Umkreis der Grönland- und Spitzbergensee, der Alfvogel und die Prachteider meiden jedoch das isoliert liegende Franz- Josephsland !). Bevor wir die eireumpolar auftretenden arktischen Vogelarten verlassen, sei noch darauf hingewiesen, dass fast alle sich jenseits des 70. oder 71. Breitengrads halten; die meisten sind hochnordische Vögel, welche die Grenze des Polarmeeres, den Polarkreis nach Süden zu niemals überschreiten. Aus der Abteilung der eireumpolar-borealen Arten, welche die Baumgrenze nach Norden zu überschreiten, tritt im Gebiet der Grönland- und Spitzbergensee nur eine einzige Form auf, diese aber regelmäßig. Es ist dies Aegiothus linaria L., welche auf Spitzbergen 1) von Nansen aber konstatiert; vergl. Nachtrag. 364 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. bis zu 75° 10‘ n. Br. geht. Das ließe vermuten, dass das Tier auch Nowaja-Semlja besuchen könne, aber es ist weder hier noch auf Franz- Josephsland angetroffen worden. Nun bieten sich uns die Gruppen dar, deren Grenzen im allge- meinen von den Längengraden gebildet werden, welche die südlich gelegenen Ozeane nach Osten und Westen bestimmen. Da alle neark- tischen und Pacific-Formen außerhalb des Kreises unserer Betrachtung fallen, bleiben uns nur die paläarktischen Arten der Vogelfauna für die Grönland- und Spitzbergensee übrig. Während nur eine circumpolar-boreale Form zu finden war, — dies hängt mit der Lebensweise der borealen Arten zusammen, die auf der westlichen Hemisphäre oft wesentlich anderen Bedingungen unter- worfen ist, als auf der östlichen — treten fünf Arten als spezifisch paläarktische auf. 1. Falco gyrfalco L. Palmen spricht von der allgemeinen Aus- breitung dieses Vogels im ganzen Umkreis des paläarktischen Gebietes, und schließt doch Franz-Josephsland, Jan-Meyen und Ost- Grönland ganz aus, und lässt es zweifelhaft, ob Spitzbergen in die Umgrenzung einbezogen werden dürfen. Demnach bleiben nur Nowaja-Semlja übrig nebst Island, als zufällige Aufenthaltsorte. Ich muss mich dem gegen- über auf Malmgren berufen, welcher davon erzählt, dass Falco gyr- falco sicher an der Wydebai und Treurenbergbai auf Spitzbergen vor- komme und dem zufügt, dass dieselbe Form auch Grönland besuche. Die Frage bedarf neuer Untersuchung und es muss abgewartet werden, ob Malmgren’s Angaben Bestätigung finden. Während der Falke mehr den östlichen Teil Spitzbergens auf- sucht, treffen wir die übrigen vier paläarktischen Vogelarten mehr im Westen. 2. Lagopus hyperboreus Sund. Das spitzbergensche Schnee- huhn. Es ist festgestellt, dass diese Art auf Spitzbergen bis zum 80.° n. Br. vorkommt und .wahrscheinlich auch überwintert; Malm- sren fand das Schneehuhn an der Wydebai und Brandywinebai; auf Nowaja-Semlja ist das Tier noch nicht beobachtet worden und nach Palmen scheint es auf den Spitzbergenarchipel beschränkt zu sein (vergl. Tabelle). Heldenström hat das Schneehuhn aber auch auf den neusibirischen Inseln gefunden („Otryw ki o Sibiri“, Peterburg 1850, p. 130), so dass man zu der Annahme gelangen könnte, dass ihm be- sondere lokale Verhältnisse den einen Ort angenehm machen, den anderen verleiden. Zu der paläarktischen Gruppe gehören sämtliche Gansarten, die das arktische Gebiet überhaupt bevölkern. Während jedoch 3. Anser segetum Gmel. die Wildgans auf Spitz- bergen äußerst selten vorkommt (Malmgren fand sie an der Wydebai unter 79° 35° n. Br.), ist sie häufig auf Nowaja-Semlja |[Nordens- Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 365 kjöld, Vega I, 12]; ihre Verwandte 4. Anser segetum f. brachyrhyn- chus Baille tritt häufig auf Spitzbergen auf, nistet und brütet daselbst zwischen dem Steingerölle der Küstenberge und sucht in der Zeit der Mauserung den kleinen Süßwassersee am Strande auf. 5. Anser leu- copsis Bechst. scheint mehr nach den nearktischen Gebieten zu neigen. Nach Palmen tritt sie nur in Grönland und auf Island auf, dagegen sehr selten auf Spitzbergen, niemals aber auf Nowaja-Semlja, so dass also Anser segetum f. brachyr. das Vermittlungsglied zwischen Anser segetum Gmel. und A. leucopsis bilden würde. Nordenskjöld wieder- spricht hier allerdings (Vega I); er berichtet davon, dass sich A. leu- copsis auch auf Nowaja-Semlja zeige und auch in der Lappmark. Ich füge hier Bernicla brenta Pallas, die Ringelgans ein. Nordenskjöld fand sie in der Mauserung am Belsund und Eisfjord, Malmgren an den Lomme-, Murchison -Treurenbai. Darauf stützt sich wahrscheinlich Palmen’s Angabe, der ihr Vorkommen noch im Süden von Ost-Grönland einerseits, auf Nowaja-Semlja und hoch im Norden auf Franz-Josephsland andrerseits konstatiert. Zu den Vertretern der Vogelfauna, welche in der ganzen alten Welt die Baumgrenze überschreitet, der Gruppe der paläoborealen gehören sechs Arten (gegenüber einer eircumpolar- borealen). 1. Aegialites hiaticula L. Malmgren fand sie auf den Seven- Islands unter 80° 45° n. B., Palmen fügt Nowaja-Semlja, Jan-Meyen, Island und Ostgrönland dem Verbreitungsgebiete bei. 2. Haliaetus albicilla L. Ihr Vorkommen beschränkt sich auf den Süden Ostgrönlands und auf Island, sie neigt also zur neoborealen Fauna (Palmen). 3. Cygnus musicus L. (Bewickii Yarr.) den Singschwan giebt Palm&n als Bewohner Islands als sicher an, Malmgren lässt ihn Besuche auf Spitzbergen abstatten, doch brütet er daselbst nicht, son- dern kommt nur als Fremdling. Als 4. und 5. führe ich Oedemia fusca L. und O. nigra L. auf, die beide auf Nowaja-Semlja heimisch sind und von hier aus auch Spitzbergen gelegentlich besuchen. Nebenbei sei 6. Tringa alpina erwähnt, die sich auf Nowaja- Semlja und wie Oedemia fusca auch auf Island und außerdem auf Jan-Meyen zeigt. Tringa minuta Leist. können wir übergehen, sie findet sich nur an der Ostgrenze unseres Gebietes auf Nowaja-Sem]ja. Wenn wir oben die eireumpolaren arktischen Arten als den Haupt- stamm der Vogelwelt in der Grönland- und Spitzbergensee betrachteten, so sind sie doch nicht diejenigen, welche unserem Gebiete den eigen- artigen europäischen Charakter verleihen. Dieser findet sich deutlich ausgesprochen in den sieben, eigentlichen atlantisch-glacialen Arten, welche den europäischen Schiffer im Polarmeere begrüßen Alle leben zwischen dem 70. und 80.° n. Br., nur einzelne verirren 366 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. sich weiter nach Süden, alle leben aber auch neben einander auf der einsamen Insel Jan-Meyen. Aegialites hiaticula könnte man hierherrechnen; dazu treten: 1. Aegiothus Hornemanni Holb. im Norden Ostgrönlands und auf dem nördlichsten Spitzbergen, und 2. der Strandläufer Tringa maritima Brünn., welcher auf den offenen Gras- und Moosflächen Spitzbergens an der Branntwein- und Kobbebai, sowie auf den Danes- Islands brütet, die Freude der Spitzbergenfahrer, die sein Fleisch zu schätzen wissen. 3. Uria grylie L. findet sich nach Palmen sicher nur in Ostgrönland; ob sie auf Spitzbergen vorkomnit, ist zweifelhaft. Der charakteristische Vogel der Grönland- und Spitzbergensee von Jan-Meyen bis Franz-Josephsland, von Nowaja-Semlja bis zu den Küsten Ostgrönlands, der den Schiffern die erste Botschaft bringt, dass sie in das Eismeer eingefahren sind, ist der 4. Alkenkönig, oder Krabbentaucher, Mergulus alle L., auch Rotjes genannt. Er nistet in unglaublichen Scharen an den steilen Felsen der Vogelberge. Eine Vogelart, die sich mehr nach dem Osten unsres Gebietes ge- zogen hat, ist 5. Fratercula arctica et var. glacialis L.; sie meidet die grönländischen Küsten. 6. und 7. Fulmarus glacialis L. und die gewöhnliche Eiderente, Somateria mollissima L., halten an allen Orten des atlantisch-glacialen Gebietes getreue Nachbarschaft, letztere besorgt auch das Brutgeschäft hier und übernimmt es öfters mit für die Eier von Bernicla brenta. Diese Bemerkungen mögen zur Erläuterung der vorausgeschickten Tabelle dienen, welche die beste Uebersicht über die Verbreitungs- gebiete giebt !). Es ist eine auffällige Thatsache, dass zwischen den einzelnen Vogelarten, welche die Eismeergegenden beleben, Zwischenformen fast gar nicht vorkommen, dass also jede Art ihren Charakter vollständig wahrt. Vergleichen wir dazu das Kapitel über die Säugetiere, so werden wir zu unserer Ueberraschung dasselbe Resultat finden. Sollte man nach einem Grunde suchen für die Einförmigkeit und Festigkeit der Artcharaktere, so dürfte sich derselbe unschwer in der Einförmig- keit der Lebensverhältnisse des eisigen Nordens, die eine Ausbildung von Unterarten und Abarten verhindert, zu erkennen sein?). Wir sind in unserer gemäßigten Zone gewohnt, zwischen die Land- und Luftfauna einerseits und die Wasserfauna, die Fische, andrerseits, noch die Reptilien und Amphibien einzuschieben. Beide Klassen fehlen in unserem Gebiete. In der ganzen Grönland- und Spitzbergensee siebt es kein Reptilium und kein Amphibium. 1) sie ist nach den Angaben Nansen’s ergänzt. 2) Die genauen Litteraturangaben über die Vogelwelt, mit sämtlichen Synonymen finden sich bei Palmen [14], dies ist das grundlegende Werk für alle weiteren Forschungen auf diesem Gebiete, Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 367 Wir können uns darum sofort der letzten Klasse der Wirbeltiere zuwenden, den Fischen. Auch hier werden wir wieder das Gesetz bestätigt finden, dass die Zahl der Arten vom Süden nach Norden abnimmt, während die Zahl der Individuen wächst. Wie reich ist der Süden an Fischformen, wie unendlich verschieden sind diese an Gestalt und Farbe, und hier im hohen Norden schmilzt die Zahl der Arten, die im Süden nach Hunderten und Tausenden rechnen, auf 23 zusammen. Das Hauptwerk, welches ich der nachfolgenden Darstellung zu Grunde lege, ist Malmgren’s: „Spitzbergens Fische“ |11]. Es ist von Wichtigkeit, die Fische der Grönland- und Spitzbergen- see von vornherein in drei Gruppen zu ordnen: 1. Fische, welche das ganze Gebiet durchziehen, 2. Fische, welche die hochnordischen Gebiete lieben und selten oder gar nicht verlassen, 3. Fische, welehe entweder mehr als der Grönlandsee, oder mehr der Spitzbergensee angehörig zu betrachten sind. Da finden wir in der ersten Gruppe, welche die allgemein ver- breiteten Fische umfasst, nur vier Arten. 1. Cottus scorpius L. |Malmgren 11 S. 495]. Sein Vorkommen ist von den norwegischen Expeditionen im ganzen Umkreis unseres : Gebietes festgestellt. Der Fisch findet sich in der Hinlopenstraße, in der Lommebai, am Verleegen Hook, im Westen im Eisfjord, Hornsund und Belsund und zieht sich hinüber bis nach Grönland und Labrador im Westen, bis an die Finnmärkischen Küsten im Süden. 2. Phlobetor ventralis (Cuvier u. Val.). — Cottus tricaspis [11 S. 504] ist von Grönland schon lange bekannt; er bevölkert aber auch die Gründe des Varanger-Fjords, die Küstenstriche der Lappmark; Kröyer fand ihn in der Hinlopenstraße, Torell und Go&s im Isfjord und im Hornsund (dto. Prof. Loven). 3. Lumpenus nebulosus (Fries) [11 S. 523] ist zwar selten bei Spitzbergen gefangen worden (Torell), aber nach den Angaben des schwedischen Forschers dasselbe Tier, welches bei Northumberland gefischt wird. Ihm schließt sich 4. Drepanopsetta platessoides (Fabr.) [11 S. 525] an, der sowohl im Norden des Spitzbergen-Archipels (Treurenbergbai) als im Westen (Isfjord, Adventbai), als auch in den grönländischen Gewässern auftritt. Sechs Arten können als hochnordische Formen be- zeichnet werden, sie lieben das kalte Wasser und meiden möglichst die Gegenden, wo der Golfstrom seinen Einfluss geltend macht. In erster Stelle ist da zu nennen 1. Icelus hamatus Kröyer [11 S. 507]. Der südlichste Fangort 368 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. dieses Fisches ist der Hornsund in der Spitzbergensee gewesen, häu- figer tritt er in der Hinlopenstraße, in der Lomme- und Treurenbergbai auf, sowie an Hacklayts, am Smeerenberg, Danesgat, in der Kobbe- und Korsbai. In der Grönlandsee, die ja an sich viel kälter ist, als die Gebiete um Spitzbergen, dringt der Fisch etwas weiter nach Süden vor. 2. Libarus barbatus Eekström [11 S. 510], eine spezifisch spitz- bergensche Form, hält sich nur an den Nordküsten des Archipels auf. Phipps fing den Fisch 1773 in 80° 45° n. Br. bei den Seven- Island, Parry 1827 bei Low-Island unter 80° 20, Torell bei Amsterdamm- Island, Smitt und Goäs bei der Treurenbergbai, von Yhlen in der Kingsbai am Smeerenberg und an den Waygats-Inseln. 3. Liparus Fabrieü (Kröyer) |11 S. 513] ist ein Geselle der vorigen Art. Bis jetzt hat er nur einmal im Belsund nachgewiesen werden können, Smitt und Go&s fanden ihn in der Treurenbergbai und bei den Waygats-Inseln; sie erwähnen auch ausdrücklich, dass er niemals im Gebiete des Golfstromes vorkommt. Kröyer hat auch ein Exemplar in der Grönlandsee gefischt. 4. Uronectes Parryi J. C. Ross [11 8.513] ist bis jetzt nur einmal an der Walden-Insel gefangen worden und Malmgren setzt ihm daher ein Fragezeichen bei; jedenfalls war das Tier nur ein ver- schlagenes Exemplar. 5. Gymnelis viridis (Fabr.) [11 S. 514] und 6. Lycodes Rossi [11 S. 516] sind gleichfalls hochnordische Fische; ersterer kommt in der Grönlandsee nicht vor und ist nur einmal von Torell 1858 am Cloven Cliff in 80° n. Br. angetroffen worden, letzterer hält sich in 80—81° 6‘ n. Br. von Spitzbergen. So beobachtete ihn Malmgren an der Treurenbergbai und den Fosters- Inseln in der Hinlopenstraße. Als vermittelnde Formen zwischen der hochnordischen Fischen und denjenigen, welche die westlichen und südlichen Gebiete der Grönland- und Spitzbergensee bevorzugen (9 Arten), kann man Cyclopterus spi- nosus Müll. [11 S. 510] und Lumpenus nubilus (Richardson) [11 S. 524] betrachten. Beide sind ziemlich selten bei Spitzbergen, dagegen treten sie häufiger nach Grönland zu, Lumpenus auch nach Finnmarken hin auf. Cyclopterus wurde nur dreimal bei Spitzbergen beobachtet, von Torell an der Magdalenenbucht, von Go&s und Smitt bei Amsterdam-Island, von v. Yhlen an der Kingsbai. Lumpenus nubilus ist hier nur zweimal gefangen worden, und zwar von Torell 1861 an der Treurenbergbai unter 79° 54‘ n. Br., von Go&@s und Smitt in der Adventbai. Die zahlreichste Gruppe mit der stattlichsten Anzahl von Indi- viduen bilden die Fische der westlichen Gründe, also in der Hauptsache der Grönlandsee. 1. Triglops Pingeli Rheidt. [11 S. 508] ist von Grönland schon Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 369 lange bekannt, wurde aber bei Spitzbergen bisher nnr einmal 77° 40' gefangen. 2. Sebastes norwegicus Müll. |11 S. 508] zieht sich hinüber nach Island und Grönland, in der Spitzbergensee zeigt er sich uur im Süd- westen der Gruppe, bei Bären-Eiland und am Süd-Cap. 3 und 4. zwei Lumpenus-Arten, L. medius Rhdt. |11 8.516] und L. Fabrieii Rhdt. |11 S. 517] werden an der Westküste Spitzbergens eifrig von den Teisten (Uria grylle nnd U. brünn.) verfolgt, auch Larus glaucus und von den Säugern Phoca hispida jagen ihnen nach. Beide Arten ziehen sich hinüber nach Grönland, doch meidet ZL. medius die größere ‚Nähe der Ostküste, tritt aber merkwürdigerweise sehr zahlreich im Westen der Insel auf. 5. Hippoglossus vulgaris Flem. |11 S. 527]. 6. Gadus morrhuaL. [11 5.528] und 7. Gadus aeglefinus L. |11 S 529] sind treue Gefährten, welche sich regelmäßig in der Nähe des Golfstromes zeigen, sieh bis an die Küsten von Finnmarken und der Halbinsel Kola, andrerseits bis nach Island und Grönland verbreiten und hier eine vielbegehrte Speise des Delphinapterus leucas (vergl. 0.) bilden. Ihre nördliche Grenze liegt etwa unter 77° n. Br., jedenfalls gehen sie über die Kobbebai auf Spitzbergen nicht hinaus. Auch der Hering 8. Olupea harengus L. |11 S. 535] zeigt sich an den Westküsten Spitzbergens und wird hier eifrig von Balaenoptera verfolgt; und 9. Scymnus microcephalus Bloch. [11 8.536] ist sowohl bei der Bären-Insel als am Belsund und Isfjord zu finden; letzterer zieht sich hinüber bis zu den Grönlandsfjorden. Eine spezifisch spitzbergensche Form scheint Boreogadus polaris Sabine [11 S. 531] zu sein, auch eine willkommene Speise für den Weißfisch. Die Nordküsten Spitzbergens, sowie die Hinlopenstraße (vergl. Beluga) sind seine hauptsächlichsten Aufentbaltsorte, ver- einzelt zeigt er sich auch am Hornsund und Belsund. Baer erzählt von einem Fange bei Nowaja-Semlja, und diese Angabe sowie Malm- gren’s Vermutung, dass der Fisch auch wohl in den Grönlandsfjorden vorkomme, weisen darauf hin, dass er sich den übrigen Gadiden an- - schließt. Zu den Seefischen gesellt sich nun noch ein Süßwasserfisch, welcher den Grönland- und Spitzbergenfahrern eine willkommene Beute sein mag. Salmo alpinus L. |11 S. 534] ist ein nicht zu seltener Gast in den Süßwasserflüssen, welche von den Bergen nach den Buchten strömen. Dieser hochgeschätzte Fisch Englands, der Schweiz und der schwedischen Gebirge findet sich auf Spitzbergen in der Nähe der Wydebay und des Isfjords [Kükenthal 7], aber auch auf Nowaja- Semlja und in Grönland ist er zuhause. Alle diese Arten bezeichnet Malmgren als spitzbergische, ihnen fügt er noch drei hinzu, die nicht sicher zu der charakteristischen XVII. 24 370 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. Fauna zu rechnen sind. Phipps, Parry, Scoresby, Sundewall und auch Torell führen Gadus carbonarius L. als spitzbergische Form, Malmgren verweist ihn in die Grönlandsee; Kröyer zitiert Faber’s und führt Lota molara L. mit auf, doch gehört dieser Fisch zu den europäischen Küstenformen (Nordkap); Nillson fügt Salmo salar L. hinzu, aber es scheint richtiger zu sein, mit Malmgren an Salmo alpinus festzuhalten. Ehe wir von der Grönland- und Spitzbergensee und ihrer Fauna Abschied nehmen, wollen wir noch versuchen, die Resultate in einem Ueberblick zusammenzufassen. 1. Die Säugetiere der Grönland- und Spitzbergensee lassen sich in drei Gruppen bringen, Landsäuger, Eissäuger und Wassersäuger. a) Die Landsäuger sind gleichmäßig über alle Inseln verbreitet, ihre Grenzen sind nur durch das Vorkommen ihrer Nahrung und durch die topographischen Verhältnisse bedingt, sie sind im Großen und Ganzen natürliche. b) Einzelne Formen (Moschusochse, Variationen des Rens) charak- terisieren Grönland als zum nearktischen Gebiete gehörig, alle übrigen Inseln und Inselgruppen gehören dem paläarktischen an. c) Der Spitzbergenarchipel und die zugehörigen König-Karls-Inseln sowie Franz-Josephsland sind frei von allen Nagern. Der Lemming ist auf Grönland und die Nowaja-Semlja-Gruppe beschränkt. d) Wanderungen einzelner Formen findeu innerhalb des Gebietes nicht statt, nur das Ren wird durch den Wechsel der Jahreszeit zum strichweisen Verändern seines Standortes gezwungen. e) Alle Eissäuger sind in ihrer Verbreitung abhängig von der Lage der Südeisgrenze. Diese richtet sich nach den Strömungsverhält- nissen und den im Laufe des Jahres vorherrschenden Winden. Die Verbreitung der Eissäuger ist demnach wechselnd, und dieser Wechsel hat natürliche Gründe. f) Das Verbreitungsgebiet der Eissäuger wird aber eingeschränkt durch den Menschen, der durch seine Jagd ihnen die zugänglichen Gebiete streitig macht. g) Die Wassersäuger sind abhängig in ihrer Verbreitung von der Lage der Südeisgrenze einerseits, vom Wechsel der Jahreszeit andrer- seits. Ihre Gebiete richten sich nach dem Vorhandensein ihrer Lieb- lingsnahrung. h. Der Wechsel der Jahreszeit zwingt sie zu regelmäßigen Wan- derungen, darum sind die in gewissen Gebieten vorkommenden Formen zu verschiedenen Zeiten verschieden. 2. Die Vogelfauna der Grönland- und Spitzbergensee setzt sich aus vier Gruppen zusammen. Den Stamm bilden überall die eircum- polaren-arktischen Arten, stellenweise treten die eircumpolaren-borealen hinzu ; die paläarktischen geben dem Norden des Gebietes, die atlantisch- Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 371 glacialen diesem und auch besonders dem Osten ihr charakteristisches Gepräge. b) Die Verbreitungsgebiete der Vogelarten sind nur durch natür- liche Grenzen bestimmt. 3. Unter den Fischen müssen drei Gruppen gebildet werden. Wir haben zu unterscheiden, zwischen Arten, 1., welche das ganze Gebiet der Grönland- und Spitzbergensee bevölkern, 2., hochnordische Arten, welche den 77.’ n. Br. nach Süden zu nicht überschreiten und 3., solche Arten, welche einesteils als a) spitzbergische, b) grönländische entweder den Osten, oder den Westen unsres Gebietes zu ihrem Aufent- haltsorte wählen. Die Verbreitungsgrenzen aller Fische sind natürliche. Nachtrag. Nachdem im August 1890 die vorstehende Arbeit abgeschlossen war, ist wohl eine Menge über „die Verhältnisse um den Nordpol herum“ geschrieben worden, herausgefordert durch das kühne Unter- nehmen Nansen’s, an dessen glücklichem Ausgange immer mehr Leute zweifelten, je länger er äusblieb. Nansen’s Theorie über die Drift der Jeannette und das Polar- meer hat sich als richtig erwiesen; sein Reisebericht „In Nacht und Eis“ bestätigt aber auch viele wissenschaftlich gegründete Vermutungen, die in obiger Schrift Ausdruck gefunden haben. Indessen konnte diese nicht der Oeffentlichkeit übergeben werden, ohne Ergänzung durch das Material gefunden zu haben, welches Nansen’s Reise und Sverdrup’s Fahrt geliefert haben; haben beide doch wichtige Fragen beantwortet, deren Lösung bisher sich hinter Schnee und Eis verbarg. Die von Nansen am Schluss des Werkes „In Nacht und Eis“ gegebene Zusammenstellung seiner Ergebnisse lassen indess das Gebiet ‚der „Tierverbreitung“ außer acht; es dürfte deshalb um so gerecht- fertigter erscheinen, wenn die darin gegebenen Andeutungen übersicht- lich zusammengestellt werden. In betreff der Säuger folge ich auch hier der Einteilung in 1. Landtiere. 2. Eistiere. 3. Wassertiere. I. Landtiere. Das Rentier, Cervus (Rangifer) tarandus Lin. Nansen hat dasselbe auf der Rentier-Insel in 75° n.Br. 85° ö.L. Gr. angetroffen [21, I S. 122], die erlegten Tiere aber nicht verwerten können. Es war das auf einem an der Nordwest-Küste der Taimyr- Halbinsel gelegenen Eiland und zwar um den 20. August. Eine ge- nauere Beschreibung der Tiere findet sich nicht bei Nansen; indess ist es wahrscheinlich, dass dieselben vom asiatischen Festlande stamm- ten. Da Sverdrup auf der Drift der Fram bis Nord-Spitzbergen 24° 372 Trautzsch, Verbreitungder Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. vorbei kein Ren wieder gesehen hat, Nansen nicht bis Cap Flora, so könnte es fast als sicher angenommen werden, dass die Spitz- bergenschen Rentiere auf anderem Wege dahin gelangt sind. Nord- Ost-Land, die Sieben-Inseln, König-Karls-Land und Edge-Land mögen einen Ausgangs- resp. Uebergangsaufenthalt darstellen. Zu berücksichtigen bleibt jedoch immer, auch für anzunehmende Wanderungen, dass das Ren flache Landschaften und Thalgründe vor- zieht, über die Bodengestaltung jener Länder wissen wir aber sehr wenig. Ihr Ursprung bleibt also immer noch in Frage. Anders gestaltet sich das Urteil über die Verbreitung des Eisfuchses, Canis lagopus L. Ihm begegnete Nansen unter 78° n. Br. 140° ö. L. weit vom Land auf dem Treibeis (Nähe von Samikoff), ferner in 79° 3’ n. Br., dann am 26. April 1895 in 85° n. Br. auf Bärenspuren, und in großer Zahl bei der Winterhütte 81° n. Br., während der Winternacht, wo ihm die Tiere großen Schaden am Material zufügten. Es geht daraus allerdings wenig hervor. Es ist aber doch damit nachgewiesen, dass der Eisfuchs das Treibeis nicht scheut, dass seine nördliche Grenze in der Nähe von Petermann-Land über den 85. n. Br. hinausgesetzt werden muss, wie schon sein Vorkommen aufden CharlesXIl. Inseln vermuten lässt. Indess lässt sich die Frage nicht umgehen: Wovon haben sich diese Füchse in so hohen Breiten während der langen Winternacht bis zum 26. April genährt? Sie müssen eine außerordentliche Ausdauer besitzen und ebenso erstaunlich bescheiden sein. Da sich immer zugleich Bärenspuren fanden, ist anzunehmen, dass sie diesen folgen, um die Speisereste der Eisbären aufzusuchen. Die Vogelwelt im höchsten Norden ist zu der angegebenen Zeit wohl zu gering, obwohl gar mancher Krabbentaucher ihr Opfer werden mag |21, I, S. 226, 262; II, S. 74, 77, 206, 256 ff.]. Merkwürdig ist das vollständige Fehlen des Eishasen und des Lemmings, letzteren hat Nansen nur noch an der Jugor-Straße und am Ausgang derselben ins Karische Meer angetroffen, so dass über dessen Verbreitung nichts Neues erbracht ist. Viel anders ist es nicht mit dem Eisbären, Ursus maritimus L. Seine Verbreitung nach Norden scheint unbegrenzt, vielleicht reicht sie bis zum Pole selbst. Nachgewiesen ist sein Vorkommen nunmehr bis 86° 14° n. Br. auf 95° ö. L. Wenn man aber liest, wie sich tag- täglich neue Rinnen im Eis bilden, wenn man weiß, dass der Bär ein ausgezeichneter Schwimmer ist, dass an jenen ofinen Stellen bis zu 85° n. Br. Seehunde sich finden und nur wenig südlicher Walrosse daheim sind, Narwale im Mai auf 83° Breite in den Oeffnungen nach Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 373 Luft schnappen, dass auch genügend Fischmaterial vorhanden sein muss, so dürfte das nicht verwunderlich erscheinen, zumal der Eisbär entweder als Junggeselle angetroffen wird oder zu zwei oder drei Stück (Mutter mit Jungen). II. Die Eistiere.e. Seehunde und Walrosse. Phoca barbata. Soweit Nansen’s Werk überhaupt Aufschluss über die beobachteten Arten giebt, scheint diese Art am besten bekannt geworden sein. Nansen fand ein Tier unter 82° n. Br. 70°. L. zwischen Petermann-Land und Kronprinz-Rudolf-Land am 20. Juni, Sverdrup im Juli 1895 ein solches in 85° n. Br. 80° ö. L. Das beweist, dass sie im Sommer weiter nach Norden streben, vielleicht veranlasst durch die eifrige Jagd in der Grönland- und Spitz- bergensee; während des Winters hingegen klagt Nansen vielfach über den Mangel an Seehunden. Nur einmal findet sich eine Bemerkung über das Vorkommen von Phoca hispida; diese betrifft das Karische Meer [21, I S. 148] doch ist dies nichts Neues. Phoca groenlandica ist allerdings in mehreren Herden bei Cap Holland 81° 20° n. Br. 57° ö. L. gesehen worden in der Nähe der Insel Leigh Smith; diese Beobachtung dürfte aber keinen besonderen Anspruch auf Erklärung erheben. Im allgemeinen lässt sich also feststellen, dass die Verbreitung der Seehunde nach Norden sich den Eisverhältnissen anpasst, in gün- stigen Jahren bis in hohe Breiten reicht; — ob damit aber die Grenze gegeben ist, welche auf einer tiergeographischen Karte zu ziehen wäre, erscheint fraglich und bleibt zunächst dahingestellt. Was das Walross, Ododaenus rosmarus L. anlangt, giebt Nan- sen’s Bericht einige interessante Notizen. Ich habe früher (vergl. ob. S. 327) darauf hingewiesen, dass das Walrossgebiet durch zwei Lücken gestört erscheint; die eine befindet sich zwischen Grönland und West-Spitzbergen und findet Erklärung einerseits dnrch die Steilküsten Grönlands, anderseits durch den ost- grönländischen kalten Strom, die andere aber trennt Ost- Spitzbergen und Nowaja - Sem]ja. Die Ursache mag in der Ausrottung durch die Menschen zu suchen sein. Nördlich von diesen Gebieten, auf Franz-Josephsland, Kronprinz- Rudolfsland hat Nansen das Vorkommen des Tieres, sogar in zahl- reichen Exemplaren, festgestellt und somit ein Bindeglied geliefert, welches die zweite Lücke ausfüllt. Nansen konstatiert das Erscheinen des Walrosses auf 79° 40‘ ». Br. 135° 29 ö.L. 23. Jan. 1894 bei 1800 m Meerestiefe, ebenso 10. Aug. 1895 auf Hvidtenland 81° 30° n. Br. 60° ö. L.; größere Mengen scheint er aber auch hier nur (Winterhütte) zur Zeit des Frühjahrs gefunden zu 374 'Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee, haben, also auch bei diesen Tieren ein Wandern mit der Eisgrenze. Dafür sprechen auch die Angaben von der Winterhütte, 24. Sept. 1895, wo eine größere Herde in diesem Jahre zuletzt beobachtet wurde, so- wie das Auftreten einer solchen erst wieder am 25./26. Mai 1896 bei Cap Maria-Elisabeth und das immer zahlreichere Erscheinen bei dem Vorschreiten Nansen’s nach dem Süden. III. Wassertiere. Ueber die Verbreitung der Waltiere giebt Nansen’s Buch nur spärliche Anhaltspunkte. Abgesehen von einer Bemerkung über einen Kieferknochen eines Bartenwales [21, II S. 151] beziehen sich seine Beobachtungen nur auf Weißwale Delphinayterus Pallas, (Beluga) leucas und den Narwal Monodon monocerus Lin. Ersterer findet Erwähnung Bd. I S. 130 als in der Nähe der Ren- tierinsel beobachtet, und ein zweites Mal wurde er in „unglaublich großer Zahl“ bei der Winterhütte am 2. Sept. 1895 (über 79° n. Br.) gesehen [21, II S. 238], doch hatten die Wale allesamt das offene Loch resp. die Rinne nach einer Stunde verlassen, und Nansen be- richtet drastisch darüber, „er wisse nicht, woher sie gekommen seien, auch nicht wohin“. Immerhin ist es interessant, dass ihr Vorkommen in 81° 15° n. Br. konstatiert ist und gerade an dieser Stelle. Es scheint gerechtfertigt zu sein, hier darauf hinzuweisen, dass die Süßwassermengen des Ob- und Jenissei zu Zeiten das gegenüber- liegende Franz-Josephsland erreichen und die Inseln von einander trennen mögen. Nach Nordenskjöld’s Erfahrung aber folgt die Beluga diesen Süßwasserströmungen, und es dürfte deshalb in dem Angeführten eine Erklärung für das weit nördliche Vorkommen zu so später Jahreszeit gefunden werden können, doch müssen genauere Beobachtungen, wie sie wohl besonders die Jackson’sche Expedition bringen wird, abgewartet werden; beachtenswert ist indess, dass auch Nansen selbst in 86° n. Br. noch Flusseis gefunden hat. Zahlreicher als über Beluga sind die Beobachtungen Nansen’s über Monodon monoceros Lin. Er begegnete einer ganzen Herde am 19. Mai 1895 in 83° n. Br., also nördlicher, als das Tier je bisher beobachtet ist. N. bemerkt dazu, dass die Löcher im Eis, resp. Rinnen außerordentlich klein gewesen seien, vielleicht öffnen die Tiere also selbst die Eisdecke. Wenige Tage darauf sah er ein ähnliches Schauspiel (Bd. II S. 100). Ihre Zahl, sowie die Häufigkeit ihrer Wahrnehmung wächst bis in den Spätsommer hinein; Sverdrup sah den letzten Narwal am 6. Sept. 1895 noch in etwa 80° n. Br., während Nansen nach dem 6. Juni desselben Jahres den letzten Bericht darüber erstattet, er be- Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. 375 fand sich damals allerdings unter 82° 17,8 n. Br. 61° 16,5 ö. L. (Bd. II S. 122). Bemerkt sei hier, dass die Narwale bisher zumeist in Gesellschaft der Weißwale angetroffen worden sind, wofür auch Nansen’s Erfahrungen zu sprechen scheinen. Es ist nach diesen Ausführungen die Tabelle I für Franz-Josephs- land zu ergänzen, wie es Seite 335 geschehen ist. Der Lemming, wie das Rentier sind nicht Bewohner des Archipels. Der Eisbär ist weit nördlich und nordöstlich desselben gefunden worden, auf seiner Spur auch der Eisfuchs. Phoca barbata ist für die Inselgruppe zu notieren, desgleichen Monodon monoceros und Beluga leucas. Eine Frage möchte ich indessen hier besonders hervorheben, über die Nansen schweigt: ob nämlich die Schiffsjournale sowie seine Beobachtungen auf der Schlittenreise nicht Anlass geben, auch Seiten- strömungen von der Drift der Fram ete. anzunehmen und vielleicht auch solche, die zu ihr stoßen. Die übrigen Klassen der Wirbeltiere können kurz abgethan werden, Reptilien und Amphibien giebt es keine, von Fischen wird nur einmal der „nordische Kabeljau“ erwähnt, so dass über die Klasse erst die wissenschaftlichen Bearbeitungen der Expedition vorliegen müssen, ehe man sich ein Urteil gestatten darf. Auch über die Vögel ist wenig neues zu sagen. Alle Vögel, welche Nansen und Sverdrup begegnet sind, sind rein polare. Dass einige noch weiter nach Norden fliegen, als bisher festgestellt war, hat nicht viel auf sich, und es wäre nur einzig Rhodosthetica rosea her- vorzuheben, als der Vogel, der auf der Reise am weitesten nördlich angetroffen worden ist, auf Franz-Josephsland und östlich davon. In dieser Richtung bestätigen die Ergebnisse alles, was frühere Forscher mitgeteilt haben !). Borealen Formen ete., wie sie in vorstehender Arbeit behandelt sind, ist Nansen nicht begegnet, es bleibt demnach das in Kraft, was in obiger Tabelle darüber 1890 konstatiert ist. Was im übrigen von der zoologischen Ausbeute in betreff der geographischen Ausbreitung der Formen gewonnen werden wird, darüber müssen wir die Arbeiten der Spezialforscher abwarten, welche zur Zeit damit beschäftigt sind. Nachdem Nansen das paläarktische Gebiet viel weiter erschlossen, als es je zuvor geschehen, wäre für die Polarforschung in Bezug auf die Fauna besonders der Wunsch übrig, dass auch über das neark- tische Eismeer umfangreichere Kenntnisse gewonnen würden. Freilich dürften in diesem die Schwierigkeiten nicht geringer sein als auf Nan- 4) Bem.: Harelda ist für Franz -Josephs-Land zu notieren, wie aus den Nachtragungen in Tab. II zu ersehen. 376 Trautzsch, Verbreitung der Wirbeltiere in der Grönland- und Spitzbergensee. sen’s Weg, obwohl man früher gerade auf nearktischer Seite die besten Aussichten für ein Vordringen zum Pole zu finden hoffte. Litteratur-Verzeichnis. [1] P. J. van Beneden, „Les balaines et leur distribution g&ographique“. in: Bulletin de l’acad&mie royale de Belgique, XXV, 1868. [2] A. Brauer, „Die arktische Subregion“. Ein Beitrag zur geographischen Verbreitung der Tiere. in: Zoolog. Jahrb., Abt. f. Systematik, Geogr. und Biologie der Tiere, J. W. Spengel, III. Bd., 2. Heft, 1888. [3] Brehm’s Tierleben, Säugetiere, III. Bd., 2. Aufl., 1883. [4] v. Heuglin, „Ueber die Landsäugetiere von Nowaja-Semlja und der Waigatschinsel*. Petermann’s Mitt., 1872, S. 217. [5] Die II. deutsche Nordpolfahrt in den Jahren 1869 u. 1870, unter Führung des Kapitän Karl Koldewey. Leipzig 1873. [6] W. Kükenthal, Forschungsreise in das europ. Eismeer, 1889. Bericht der geogr. Gesellschaft in Bremen, 1890. [7] Derselbe, Bericht über eine Reise in das nördl. Eismeer und nach Spitzbergen im Jahre 1886. in: Deutsche geogr. Blätter, herausgeg. von der geogr. Ges. zu Bremen, Bd. XI, Heft 1. [8] Moritz Lindemann, „Die arktische Fischerei der deutschen See- städte 1628-1868“. Peterm. Mitt., Ergänz.-Bd. VI, 1868—71, Nr. 26. [9] Malmgren, A. J. Jaktagelser och anteckningar till Finnmarkens och Spetsbergens Däggdjursfauna“. in: Öfversigt af kongl.-svensk. Vetens- kaps academ. Förhandlingar, XX, 1863, Stockholm 1864. [10] Derselbe, Anteckninger till Spetsbergens Fogel Fauna. in: Öfvers. ete., XX, p. 87—126 1862; p. 377—412 1864; p. 385—400 1869. [11] Derselbe, „Spitzbergens Fische“. in: Öfr. ete., 1864, p. 469-539. [12] A. E.v. Nordenskjöld, „Die Umsegelung Asiens und Europas auf der Vega“. Bd. I u. II. Leipzig 1882. [13] Derselbe, „Grönland, seine Eiswüsten im Innern und seine Ostküste“, Il, Diekson’sche Exped., 1883. Leipzig 1886. [14] J. A. Palmen, „Bidrag. till Kännedomen om Sibiriska Ishafskustens Fogelfauna enligt Vega Expeditionens Jakttagelser och Samlingar, Bd. V, 1887, Stockholm. [15] Julius Payer, „Die österr. ungar. Nordpol - Expedition 1872—1874. Wien 1876. [16] M. E. Pechuel-Loesche, „Wale und Walfang“. Zeitschr. „Das Aus- land“, 1871/72. [17] C. M. Sammon, „On the Cetacea of the Western coast of north- Amerika“. Edited by Edward D. Cope. Philadelphia 1869. [18] J. Spörer, „Nowaja-Semlä, in geogr., naturhist. und volkswirtschaftl. Beziehung“. Peterm. Mitt., Ergänz.-Bd. V, 1867—1868, Nr. 21. [19] ©. Torell u. A. E. Nordenskjöld, „Die schwedischen Expeditionen nach Spitzbergen und Bären-Eiland, 1861—1864—1868, Jena. [20] Karl Weyprecht, „Metamorphosen des Polareises*. Wien. (Oesterr.- ung.-arktische Expedition, 1872—1874.) [21] Nansen, „In Nacht und Eis“. Brockhaus. Leipzig. Kohlwey, Arten und Rassenbildung. 317 Heinrich Kohlwey, Arten und Rassenbildung. Eine Einführung in das Gebiet der Tierzucht, mit einem Vorwort von Prof. Dr. G. H. Th. Eimer in Tübingen. Leipzig. Verlag von W. Engelmann. 1897. Die unter obigem Titel erschienene Arbeit Kohlwey’s ist das Er- gebnis beharrlichen Experimentierens und scharfer Beobachtungsgabe. Eine große Anzahl sorgfältiger, lange Jahre hindurch fortgesetzter Züchtungs- versuche an Tauben veranlasste den Verfasser den Fragen der Art- und Rassenbildung näher zu treten und führte ihn zu Anschauungen, welche mit denjenigen Eimer’s, wie dieser in seinem, der Arbeit beigegebenen Vorwort selbst hervorhebt, vielfach vollkommen übereinstimmen. Der erste Teil des Kohlwey’schen Werkes beschäftigt sich mit den primären Ursachen, welche die Organismen zum Abändern zwingen, in erster Linie mit dem Einfluss der äußeren Verhältnisse auf die Gestaltung der Lebewelt. Wir sehen, dass Kohlwey diese Einflüsse der Umgebung in ihrem vollsten Umfange kennen gelernt hat, sei es, wie sie auf Tiere einwirken, die längere Zeit ein und dasselbe Gebiet bewohnen,- oder aber wie sie sich bei Arten geltend machen, die neue Verhältnisse aufgesucht haben. In beiden Fällen gehen mit den Formen Umwandlungen vor sich, die ganz allmählich, oder schon nach wenigen Generationen sichtbar werden. Verschiedene Lebensbe- dingungen sind geeignet die Individuen einer Art in Varietäten schließ- lich in neue Arten zu scheiden, während unter ähnlichen Bedingungen die Tiere verschiedener Arten oft in überraschend gleicher Weise um- geformt werden. Alle Individuen einer Art werden wohl nie unter ganz gleichen Lebensbedingungen aufwachsen, aus diesem Grunde ist es von vorneherein auszuschließen, dass sie sich alle völlig gleichen können, wenn auch die Unterschiede nicht sofort ins Auge fallen. Jedes Lebe- wesen hat vielmehr seine eigene Entstehungs- und Lebensgeschichte und dies ist die Ursache der individuellen Variation, auf welche sich die Entstehung von Varietäten, Rassen und Arten gründet. Die indi- viduelle Variation spielt besonders bei der künstlichen Tierzucht eine große Rolle. In der freien Natur gehen derartige Abänderungen leicht wieder verloren durch die Vermischung aller mit allen, in der Domesti- kation tritt nach dem Belieben des Züchters Isolierung ein, die unter geeigneten Verhältnissen gewonnene Eigenschaft, kann unter ähnlichen Verhältnissen weiter gezüchtet werden. Von größerer Bedeutung für Varietät- und Artbildung sind bei den freilebenden Tieren die klimatischen Variationen, die sich auf ganze Gruppen von Einzelwesen auszudehnen pflegen und den Ausdruck einer Auslese durch den Kampf ums Dasein bilden, der nicht überall in gleich hohem Grade anreizend wirkt. Die Ergebnisse seiner ausgedehnten Unter- suchungen führen Kohlwey zu dem Schlusse: dass bei freilebenden Arten die äußeren Bedingungen fast ausschließlich, bei den Nutzrassen hauptsächlich und bei den Liebhaberrassen in hervorragender Weise für die Körperform bestimmende Faktoren sind. Der Einfluss äußerer Bedingungen kann natürlich nur dann wesent- lich umgestaltend auf die Organismen einwirken, wenn die dadurch her- vorgerufenen Eigenschaften auf die Nachkommen vererbt werden. Das 378 Kohlwey, Arten und Rassenbildung. Experiment zeigt, dass eine solche Vererbung stattfindet und zwar nicht nur in Bezug auf erworbene körperliche (selbst in Folgen von Ver- stümmelung, wie Kohlwey an einem Beispiel pag. 7 zeigt), sondern auch in Bezug auf erworbene geistige Eigenschaften. Auch diese sind, wie vielfach gezeigt werden kann, ein Produkt der Lebensbedingungen. Die Aeußerungen des Geisteslebens bei Tieren pflegen wir als Instinkte zu bezeichnen. An verschiedenen sehr interessanten Beispielen zeigt Kohl- wey, dass der Instinkt auf vererbter Gewohnheitsthätigkeit beruht, dass er sich unter veränderten Verhältnissen nicht allzulang mehr zu erhalten pflegt. Deshalb ist es bedenklich, Rassen, welche ihren Wert irgend einer vererbten Gewohnheitsthätigkeit verdanken, unter Verhältnissen zu züchten, unter welchen sie dieselben nicht ausüben können. Tümmler- und Brief- tauben, für den Ausstellungskäfig gezüchtet, sind z. B. unbrauchbar für Sportszwecke. Die Ansicht, dass die Auslese es sei, welche die Fähig- keiten der Brieftauben hervorrufe, ist somit vollkommen falsch. Sie wirkt zwar fördernd dadurch, dass alles Wertlose eines Brieftaubenstammes auf den Touren verloren geht; die Steigerung der Leistungsfähigkeit muss aber doch in erster Linie dem Umstand zugeschrieben werden, dass einige Tiere sich wochenlang bemühen, die Heimat wiederzufinden und dass sie diese durch solche Uebung erlangten Fähigkeiten auf die Nachkommen vererben. Die Beobachtung, dass und wie Instinkte erworben werden, ist indessen für unsere Erkenntnis des Geisteslebens der Tiere von keiner größeren Be- deutung, als die Wahrnehmung, dass und wie Instinkte verloren gehen können. Wir sind gewohnt, alle mit der Brutpflege zusammenhängenden Thätigkeiten als Aeußerungen tief eingewurzelter Instinkte aufzufassen, allein auch diese Fähigkeiten erhalten sich nur so lang, als sie geübt werden können. Im Jahre 1892 wurden im Bürgerpark zu Bremen Lach- tauben ausgesetzt, die nicht mehr im stand waren, sich auf Bäumen ein Nest zu bauen, sodass man schließlich genötigt wurde, ihnen künstliche Nester zu konstruieren. Die erste und zweite Generation benützte die- selben, nachdem sie zuerst sich vergeblich bemüht hatte, selbst zu bauen. Erst die dritte Generation war wieder befähigt, den Nestbau auszuführen. Im vierten Kapitel seines Buches spricht Kohlwey von der oft überraschenden Anpassung der Färbung der Tiere an die Oertlichkeit. Kohlwey sieht auch in dieser Erscheinung keine Wirkung natürlicher Zuchtwahl, sondern das Ergebnis rein physiologischer Vorgänge, die ent- weder indirekt durch nervösen Einfluss, oder direkt in der Art und Weise der Farbenphotographie ausgelöst werden. Auch erhöhter Stoff- wechsel (Tritonen in Sauerstoff gebracht, nehmen ihr Hochzeitskleid an) kann Veränderungen in der Farbe der Körperbedeckung bewirken. Während sich der erste Teil des Kohlwey’schen Werkes vorzüg- lich mit den primären Ursachen der Variabilität beschäftigt, handelt der zweite Teil von der für jeden Tierzüchter besonders wichtigen Frage, welche Rolle die geschlechtliche Mischung bei der Umbil- dung der Organismen zu spielen pflegt. Wir haben bereits gesehen, weshalb es undenkbar ist, dass zwei zur Kopulation gelangenden Wesen sich vollkommen gleichen; es frägt sich indessen, nach welchen Gesetzen das Gleiche und das Ungleiche der Eltern auf die Kinder übertragen wird. Das Sperma hat nach Kohlwey das Bestreben, dem von ihm eingenommenen Ei die Gestalt des Vaters zu Kohlwey, Arten und Rassenbildung 379 geben, während das Ei die Gestalt der Mutter anzunehmen am meisten befähigt ist. Es hängt nun von den jeweiligen Kraftverhältnissen zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlechtsprodukt ab, ob der Nachkomme in seiner Form mehr dem Vater oder der Mutter gleiche. Eine Mittelform kommt selten zu stande, besonders bei Bastardierungen, wo meistens die eine der beiden Arten das Uebergewicht behält. Für jedes Produkt geschlechtlicher Mischung sind in erster Linie die elter- lichen Keimzellen die formbestimmenden Faktoren persönlicher Eigenart, aus diesem Grunde wurde die Vermischung der Keimplasmen als die erste und einzige Ursache der Variabilität aufgefasst. Da aber jede der beiden Keimzellen nichts anstrebt als die Ausbildung der elterlichen Form, diese aber im wesentlichen die Form der Art ist, welche unter dem Einfluss der Außenwelt entstand, so ist für jedes neu entstehende Einzelwesen die Summe der Einwirkungen auf die Vorfahren im Grunde genommen allein maßgebend. Je näher verwandt und je gleichartiger zwei sich kreuzende Indi- viduen sind, desto ähnlicher wird sich das Entwicklungsbestreben ihrer Keimzellen verhalten. In dem Artbastard wird es dagegen zu einem langen Kampf zwischen Ei und Samenfaden kommen, in welchem jedes das neue Lebewesen nach der Bahn seiner Form hinüberzuziehen sucht. In dem durch Inzucht erzeugten Embryo verläuft somit alles viel ruhiger, während beim Artenbastard am meisten Lebensenergie entwickelt wird. Das Erzeugnis der Inzucht pflegt deshalb dem durch Kreuzung entstan- denen an Widerstandsfähigkeit nachzustehen. Für die Aufzucht feiner Rassen ist indessen Inzucht unentbehrlich. Handelt es sich dagegen darum, Individuen von großer Lebensintensität zu züchten, so kann dies nur durch Kreuzung erreicht werden oder aber durch die Verbindung näher verwandter Formen, deren körperliche Beschaffenheit sehr verschieden ist. Auch bei der Kreuzung von Vertretern verschiedener Arten ist ein gewisser Grad von Verwandtschaft nötig, damit die Nachkommen der Bastarde fruchtbar bleiben. Es ist eine weit verbreitete aber falsche Ansicht, dass Inzucht unter allen Umständen zur Degeneration führen muss. Verwendet man zur Paarung nur gesunde Tiere, die unter günstigen Lebensbedingungen aufgewachsen sind, so werden auch die Zuchtergebnisse befriedigend; nur nah verwandte kranke Tiere bewirken einen raschen Untergang der Kreuzungsprodukte, weil alle Eigenschaften, auch die nachteiligen, hier auf das feinste vererbt werden. Die Inzucht ist daher, wie die englischen Tierzüchter zeigen, bei Pferden und Rindvieh angebracht, bei Herden- tieren dagegen, wo eine Auswahl nicht so leicht getroffen werden kann, zu verwerfen. Werden durch Kreuzung entstandene Mittelformen unter einander verpaart, so entstehen Nachkommen, welche je nach dem Verhältnis der individuellen Kraft der beiden Keimzellen bald in dieser, bald in jener Form der Vorfahrenreihe stehen bleiben. Aus diesem Grunde zeigen die Nachkommen von Kreuzungsprodukten stets große Variabilität. Es besteht somit, wie Kohlwey an zahlreichen Beispielen zeigt und auch auf graphi- schem Wege darlegt, selbst im Rückschlag vollkommene Gesetzmäßigkeit. Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Einzelheiten der Beweis- führung der im Vorstehenden kurz entwickelten Anschauungen eingehen 380 Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. wollte. Ein jeder, der sich für diese Fragen interessiert, wird sich an der Hand des Kohlwey’schen Werkes von der Uebereinstimmung der von ihm aufgestellten Sätze mit den in der Natur sich bietenden Ver- hältnissen überzeugen können. [61] Tübingen, Dezember 1897. Dr. Gräfin M. v. Linden. Ernst Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. Gemeinverständliche wissenschaftliche Vorträge über die Entwicklungslehre. Neunte umgearbeitete Auflage. Mit dem Porträt des Verfassers und mit 30 Tafeln, sowie mit zahlreichen Holzschnitten, Stammbäumen und systematischen Tabellen. Gr. 8 LXII u. 831 Stn. Berlin. Georg Reimer. 18%. Ein Buch von Haeckel und noch dazu in neunter Auflage bedarf wohl keiner Empfehlung. Diese „natürliche Schöpfungsgeschichte“ sowie die „Anthropogenie*“ haben den Namen ihres Verfassers weit über die Kreise der Fachgenossen hinaus bekannt gemacht. Sie haben bei weitem das meiste dazu beigetragen, die „Entwicklungslehre“* mit allen aus ihr zu ziehenden Konsequenzen bekannt zu machen. Freunde wie Gegner derselben haben an diese Bücher angeknüpft und wo heute noch ein Streit um Fragen aus diesen Gebieten gekämpft wird, da muss auf Haeckel’s Meinung Rücksicht genommen werden. Da lohnt es sich wohl, auch die Entwicklung des Buches selbst kurz zu betrachten, das vor gerade 50 Jahren zum ersten Male erschienen ist, ein Band von mäßigem Umfang (568 Stn.), in kleinerem Format als jetzt, mit 3 Tafeln, Stammbäume darstellend, und einigen Figuren. Vergleicht man diese erste Auflage mit der jetzigen, so zeigt sich, dass die Erweiterung namentlich auf der breiteren Aus- führung des phylogenetischen Teils beruht. Aus sieben, diesem Abschnitt gewidmeten Vorlesungen der ersten Auflage sind fünfzehn geworden. Dem- entsprechend hat der Verfasser das Werk jetzt auch in zwei Teile von je fünfzehn Vorträgen geteilt, deren erster die „allgemeine Entwicklungs- lehre (Transformismus und Darwinismus)“ behandelt, deren zweiter als „Allgem. Stammesgeschichte (Phylogenie u. Anthropogenie)“ bezeichnet wird, Der Vergleich dieser neuen Auflage mit der unmittelbar vorherge- gangenen achten weist vor allem die Vermehrung und Verbesserung der Illustrationen auf. Die Tafeln dienen nieht mehr zur Darstellung der Stammbäume, wie in der ersten Auflage; diese sind vielmehr, wie die systematischen Uebersichten, in Tabellenform dem Text einverleibt. Die Tafeln dagegen stellen typische Formen von Lebewesen oder wichtige Einzelnheiten, Skelettteile, Entwicklungsstufen u. dergl. dar und sind immer so zusammengestellt, dass eine Vergleichung verwandter Formen ermöglicht wird. Gegen die achte Auflage hat eine Vermehrung der Tafeln von 20 auf 30 stattgefunden; außerdem sind einige ältere Tafeln durch bessere ersetzt worden. Unter den neuen wird vielleicht für Manche besonderes Interesse erwecken die Wiedergabe des von Gabriel Max dem Verfasser bei Gelegenheit seines sechzigsten Geburtstages zum Ge- schenk gemachten Gemäldes: Familie des Affenmenschen (Pithecanthropus alalus) in einer sehr guten Heliogravüre (Tafel XXIX) und die Zusammen- stellung verschiedener Deutungen dieses Gemäldes in den Tafelerklärungen (S. LVII). Die letzte Tafel stellt die Wanderung und Verteilung der Menschenrassen von ihrem hypothetischen Ursprungsort dar. Auf den Inhalt des Buches des Näheren einzugehen, halte ich den .Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 381 Lesern dieses Blattes gegeniiber für unnötig. Haeckel’s Anschauungen sind genugsam bekannt, und wie auch der Eine oder der Andre in Einzel- fragen abweichende Ansichten haben möge, in den Grundfragen stehen Alle auf demselben Boden. Die spezifisch Haeckel’schen Anschauungen aber, d. h. diejenigen, welche er entweder zuerst aufgestellt oder doch am schärfsten formuliert und am konsequentesten durchgeführt hat, die monistische Philosophie, die mechanische Lebensauffassung, das biogene- tische Grundgesetz, die Lamarck’sche Annahme vom Einfluss der Um- gebung u. a. sind in der neuen Auflage noch schärfer gefasst und deut- licher hervorgehoben, als dies früher der Fall war. Mit dem letzterwähnten Punkte hängt auch zusammen die Annahme der Vererbbarkeit erworbener Eigenschaften, für die H. entgegen den bekannten Weismann’schen Theorien mit Entschiedenheit eintritt. Hinsichtlich der Abstammung des Menschen glaubt er neben den aus der Ontogenie, der vergleichenden Anatomie u. s. w. entnommenen Beweisen sich jetzt auch auf Dr. Dubois’ Schädel- und ÖOberschenkelfund von Java beziehen zu können (vergl. Biol. Centralbl., XV, 592), welche er mit Herrn Dubois unbedingt als von einem Zwischenglied zwischen Affen und Mensch, Pithecanthropus erectus Dubois, herrührend anerkennt. Wie schon hervorgehoben wurde, ist namentlich den phylogenetischen Betrachtungen in den neuen Auflagen eine ausführliche Behandlung zu Teil geworden. Gestützt auf die in seiner „Systematischen Phylogenie“ im einzelnen begründeten Untersuchungen giebt H. im vorliegenden Werke genaue systematisch-phylogenetische Uebersichten der Organismen über- haupt, der Protisten, des Pflanzenreichs, des Tierreichs, der Niedertiere oder Cölenterien (Spongien, Cnidarien, Platoden, welche letztere von den Vermalien abgetrennt werden), dann der Vermalien, Mollusken, Echino- dermen, Artieulaten, Chordonier (Tunicaten, Leptocardier, Cyelostomen), ‘der Wirbeltiere in ihren einzelnen Klassen und zuletzt des Menschen. Für diesen nimmt er einen monophyletischen Stammbaum an, welcher sich durch die Zwischenstufen der Prthecanthropi auf die Anthropoiden und durch diese auf die schmalnasigen Affen der alten Welt (Catarhinen) zurückführen lasse. Als Urheimat der Menschen sieht er Südasien an, von wo sie allmählich die ganze, jetzt bewohnte Erde bevölkert haben. Er teilt die ganze Menschheit in 12 Speeies und 36 Rassen ein, deren Charakteristik durch die Haare und Hautfarbe gegeben wird. Wenn ich nach dieser kurzen und durchaus nicht erschöpfenden Inhaltsübersicht zur Besprechung einiger Einzelnheiten übergehe, so be- absichtige ich damit nicht, eine Kritik der Haeckel’schen Ansichten zu geben. Auf viele der wichtigen Fragen, welche in dem Buche behandelt werden, können ja ihrer Natur nach nur unbestimmte und zweifelhafte ‘Antworten gegeben werden. Der Verf. hebt auch selbst an vielen Stellen, namentlich im phylogenetischen Teil, hervor, dass es sich um Hypothesen handle, um einen Versuch, das an sich sehr lückenhafte thatsächliche Material durch hypothetische Annahmen so zu ergänzen, dass es sich zu einem wissenschaftlichen Ganzen zusammenfüge. Die Diskussion solcher einzelnen Punkte kann selbstverständlich nur den Zweck haben, ver- schiedene Möglichkeiten der Auffassung gegen einander abzuwägen und eventuell eine Verständigung über das, was als allgemein anerkannt und was als provisorische Hypothese zu gelten hat, anzubahnen. Das wird 382 Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. zugleich einen gewissen Schutz vor den Einwendungen solcher Gegner bieten, welche sich die Abweichungen in den Ansichten verschiedener Forscher über einzelne hypothetische, wenn auch nebensächliche Punkte zu nutze machen, um damit das Vertrauen in den berechtigten Grundgedanken zu er- schüttern, über welchen ja heutzutage alle wirklichen Naturforscher einig sind. Hier möchte ich zunächst einen Punkt zur Sprache bringen, welcher Herrn Haeckel sehr am Herzen liegt, dem ich aber nicht dieselbe grund- legende Bedeutung zuschreiben möchte wie er, das ist seine als „Monis- mus“ bezeichnete philosophische Grundanschauung. Nicht als wollte ich mich gegen diese Anschauung aussprechen. Ich gebe gern zu, dass die dualistische Weltauffassung, möge sie als Gegensatz von Gott und Welt, Seele und Körper oder sonstwie Ausdruck finden, naturwissenschaftlich unbegründet ist, dass derjenige, der solchen Anschauungen in der Erörte- rung natürlicher Vorgänge Ausdruck giebt, den Boden der naturwissen- schaftlichen Logik verlässt. Aber der „monistische“ Standpunkt beruht doch gleichfalls auf hypothetischer Basis und ist für die Erörterung der ein- zelnen Probleme, mit denen sich Herrn Haeckel’s Buch befasst, so gut wie indifferent. Keines seiner Argumente gewinnt oder verliert etwas, wenn man sich zum oder gegen den Monismus erklärt. Wenn wir die dualistische Auffassung verwerfen, so thun wir es, weil wir solcher Hypo- thesen nicht bedürfen, und weil sie das Erkennen der Naturvorgänge nicht fördern. Die monistische Auffassung hat vor jener sicher den Vor- zug der Einfachheit und Konsequenz. Aber verständlicher wird uns das Getriebe der Weltvorgänge durch sie auch nicht. Um z. B. die psychischen Erscheinungen vom monistischen Standpunkt aus verständlich erscheinen zu lassen, muss man zu der Hilfshypothese greifen, dass die psychischen Eigenschaften aller Materie zukommen. Diese unterdem Namendes Hylozoismus in der Geschichte der Philosophie bekannte, schon sehr alte Hypothese ist nicht schlechter als manche andre, welche aufgestellt worden sind, aber auch nicht besser. 'T'hatsächlich wissen wir von psychischen Erscheinungen nur durch Selbstbeobachtung. Wenn wir den Atomen Lust- und Unlust- gefühle, Willen u. s. w. zuschreiben, so übertragen wir etwas, das wir an uns selbst beobachtet haben, auf die Atome. Das ist eine, auf Ana- logie begründete Hypothese und wenn diese Hypothese uns die Vorgänge verständlicher machte, so wäre sie gut und berechtigt. Das thut sie aber nicht und darum ist sie nicht von so hohem Wert, wie viele ihrer Vertreter meinen. Man darf deshalb auch nicht alle diejenigen, welche in nüchterner Verständigkeit es vorziehen, an der Grenze des ihnen Verständlichen stehen zu bleiben, als Obseuranten und Feinde der wissenschaftlichen Erkenntnis ansehen. Gerade in der Wissenschaft muss Jedermann das Recht bleiben, die Grenze selbst zu bestimmen, bis zu welcher nach seiner ehrlichen Ueberzeugung die wissenschaftliche Erkenntnis reicht. Was jenseits dieser Grenze liegt, ist Gegenstand des Glaubens und Glauben ist eben nicht mehr Wissenschaft. Mit den philosophischen Ueberzeugungen Haeckel’s hängt auch der Gebrauch zusammen, welchen er von den Ausdrücken „mechanisch“ und „mechanische Erklärung“ macht. Er meint dabei ungefähr dasselbe, was wir als „natürlich“ oder „naturgemäß“ im Gegensatz zu „übernatürlich“ bezeichnen würden, und er gebraucht auch beide Reihen von Ausdrücken abwechselnd ungefähr in. gleicher Bedeutung. So ist auch alles, was aus Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 383 seiner monistischen Weltanschauung folgt, in seinem Sinne mechanisch und jeder Gegner oder wer auch nur an der Tragweite der monistischen Auf- fassung zweifelt, gerät dadurch leicht in Gefahr des Verdachts, Natur- vorgänge auf übernatürliche Ursachen zurückführen zu wollen. Unter diesen giebt es aber viele streng wissenschaftlich denkende Naturforscher, welche eben nichts weiter sagen wollen, als dass die mechanischen (Mole- kular-) Hypothesen nicht für alle uns bekannten Vorgärge eine genügende Grundlage der Erklärung abgeben. Was der Physiker und Mathematiker Mechanik nennt, hat sicher mit den Problemen des Monismus und vieler guter naturwissenschaftlicher Hypothesen nichts zu thun. Darum würde ich es vorziehen, jene Ausdrücke wirklich nur für solche Betrachtungen zu gebrauchen, die noch einigermaßen unter den mathematischen Begriff gebracht werden können. In welcher Bedeutung Haeckel die Worte „Hypothese“ und „Theorie“ gebraucht, ist mir nicht ganz klar geworden. Es herrscht ja auch sonst, selbst bei Naturforschern, kein strenger Sprachgebrauch hierin, ganz ab- gesehen von solchen außerhalb der Wissenschaft Stehenden, welche einen Satz abgethan zu haben glauben, wenn sie ihn wegwerfend eine Hypo- these oder Theorie genannt haben. Meines Erachtens sollten die Ausdrücke in Uebereinstimmung mit dem Sprachgebrauch der Physik in der Art verwendet werden, dass „Hypothese“ eine Annahme für einen Spezialfall, „Theorie“ dagegen eine Annahme genannt werden sollte, welche für eine große Reihe von Fällen, ein ganzes wissenschaftliches Gebiet, Geltung beansprucht, viele einzelne Gesetze unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenfasst. Ich wende mich jetzt zu einigen Einzelheiten von minder allge- meiner Bedeutung. Haeckel hält an seiner Annahme von Moneren fest, die er als kernlose Protoplasmawesen definiert. Bei vielen von ihnen sind seit seinen ersten Publikationen Kerne nachgewiesen, so bei den Cyanophyceen und Gregarinen, bei anderen (Bakterien) werden sie von vielen Forschern angenommen; es fragt sich also, ob diese Unter- scheidung aufrecht erhalten werden kann. Für die Moneren nimmt er Urzeugung an; aus ihnen sollen sich dann die anderen Wesen entwickelt haben. Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass lebendes Proto- plasma auf der Erde nicht bestehen konnte, so lange dieselbe eine höhere . Temperatur hatte, als mit dem Bestande jenes verträglich ist. Es ist auch durchaus zulässig anzunehmen, dass die ersten Lebewesen durch Urzeugung entstanden sind. Daraus darf man aber nicht schließen, dass sie auch jetzt noch bestehe, angesichts der sicheren Thatsache, dass sie niemals hat nachgewiesen werden können. Sicherlich kennen wir die Bedingungen nicht, unter denen lebende Substanz aus unbelebter neu entstehen kann. Wir wissen also auch nicht, ob irgendwo auf der Erde noch diese Be- ‚dingungen erfüllt sein können. Jedenfalls verstößt es nicht gegen die wissenschaftliche Logik, in Uebereinstimmung mit allen den negativen Er- folgen der Experimente anzunehmen, dass dies jetzt nicht mehr der Fall sei. Haeckel nimmt an, dass die ersten Lebewesen pflanzlicher Natur gewesen seien (Phytoplasma) und dass sich aus diesen die tierischen (Zoo- plasma) entwickelt haben. Man kann aber auch die entgegengesetzte An- ‘sicht mit guten Gründen vertreten. Pflanzliche Lebewesen, d. h. solche mit autotropher Ernährung, sind offenbar viel komplizierter als tierische, denn sie besitzen alle wesentlichen Eigenschaften der letzteren und außer- dem die in dem Chlorophyllapparat gegebene Fähigkeit organische Sub- 384 Krüger, Lehrbuch der medizinischen Chemie mit Methodik. stanz aus CO,, H,O und N-haltigen Stoffen aufzubauen. Der Chlorophyll- apparat setzt aber selbst schon Protoplasma voraus, da er nur in diesem entstehen kann. Höchstens dürfte man annehmen, dass die ersten Lebe- wesen von der Art der Nitrat- oder Nitritbakterien gewesen seien, welche Proteine aus NH, und anderen organischen Verbindungen formen können. Wenn in solchen, nach Haeckel’s Terminologie zu den Protisten gehörigen Lebewesen sich dann der Chlorophyllapparat entwickelt hätte, so wäre die Urpflanze gegeben gewesen. Unabhängig davon hätte sich aber auch die Amöbe, das Urraubtier, aus solchen Urwesen bilden können durch Aufgabe jener umständlichen Neubildung und Aufnahme fertiger organischer Substanz. Mit diesen Bemerkungen habe ich freilich nicht alles erschöpft, was ich anmerken könnte. Aber diese wenigen Beispiele werden genügen zu zeigen, was ich zeigen wollte. Das wäre nach meiner Meinung ein schlechtes Buch, das nicht Anlass zum Denken oder auch zum Wider- spruch gäbe. Beer weil Haeckel’s Schöpfungsgeschichte mich auf jeder Seite zu solchen Gedanken, wie ich sie hier probeweise mitgeteilt habe, anregt, schätzeich das Buch um so höher. Und darum wünsche ich ihm recht viele Leser und beglückwünsche seinen Verfasser, dass er mit solcher Frische diese neunte Auflage hat bearbeiten können. Zugleich wünsche ich, dass er ihm noch fernere möge folgen lassen. Ich denke, er selbst wird Freude daran haben, wenn er sieht, dass sein Buch noch heute eben so anregend zu wirken vermag wie vor 30 Jahren, da er es zum ersten Male in die Welt sandte, J. Rosenthal [55] F. Krüger, Kurzes Lehrbuch der medizinischen Chemie mit Einschluss der medizinisch-chemischen Methodik. Leipzig und Wien. Franz Deuticke. 1898. Das Werk enthält eine ganz knappe Darstellung der physiologischen und pathologischen Chemie, die zur oberflächen Orientierung gut ge- eignet ist; es ist kein eigentliches Lehrbuch, noch weniger ein Spezial- werk, sondern trägt vor Allem praktischen Bedürfnissen Rechnung. Die theoretischen Erörterungen sind darum fast durchgehend äußerst kurz ge- fasst und dafür überall besonderer Wert auf eine grünnliche Beschreibung der gebräuchlichen Apparate und der Ausführung der üblichen Reaktionen gelegt. In dieser Beziehung zeichnet sich das Buch durch Vollständig- keit und Klarheit aus und kann durchaus empfohlen werden. Was der Verf. in den theoretischen Kapiteln bietet, geht nicht weit über den Rahmen der „Repetitorien der Physiologie“ hinaus, kann also nicht ein Lehrbuch der physiologischen Chemie ersetzen. Im Allgemeinen bringt das Buch ‚auch die neuen Forschungsergebnisse zum Ausdruck, bis auf einige Aus- nahmen. So vertritt der Verfasser, ein Schüler von Alexander Schmidt, z. B. auffallender Weise in dem Abschnitt über Blutgerinnung noch die ursprüngliche Theorie der Fibrinbildung aus fibrinogener und fibrino- plastischer Substanz, an der sein Lehrer selbst später nicht mehr festhielt. Ferner wird die Bedeutung der Salze für die Erhaltung des konstanten osmotischen Druckes der Körperflüssigkeiten leider auch in diesem neuen Werk ebenso wie in fast sämtlichen bisher vorhandenen Lehrbüchern noch immer mit keinem Worte erwähnt. R. H. [58] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. -- Druck der k. bayer. Hof- und Univ. - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, ie Biologisches Ventralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. _ 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. Juni 1898. Nr. u. Inhalt: Lidforss, Zur Physiologie des pflanzlichen Zellkernes,. — Orschansky, Ueber die Erblichkeit. — Tschugunow und Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule. — Lorenz, Behrbuch der -gesamten wissenschaftlichen Genea- logie. — Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge, Bengt Lidforss, Zur Physiologie des pflanzlichen Zellkernes. Sonderabdruck aus Acta Reg. Soc. Physiogr. Lund, T. VIII, Lund 1897. Von den zwei Abhandlungen, welche Verfasser unter diesen Titel vereinigt, dürfte besonders die kleinere, zweite, ein allgemeineres Interesse beanspruchen, also auch denjenigen Botaniker und Zoologen, welche sich nicht eingehend mit Kernfragen beschäftigt, interessieren. Die Arbeit liefert ein Beitrag zu der bekannten, von Auerbach in 1891 zuerst bei Tieren, De von Rosen und NEE auch für viele Pflanzen nachgewiesenen chromatophilen Gegensätzlichkeit der männlichen und weiblichen Sexualkerne. Aus einem Gemisch von einem roten nnd einem blauen Farbstoff speichern die männlichen Kerne vorwiegend die blauen, die weiblichen vorwiegend die roten Farbstoffe auf. Letztere werden daher erythrophil, erstere kyanophil genannt. Von Zacharias wurde ein stofflicher Gegensatz zur Erklärung dieser Erscheinung angenommen, während Strasburger diese Erscheinung auf verschiedene Ernährungsverhältnisse zurückzuführen versuchte, und zwar auf eine verhältnismäßig schwächere Ernährung des männlichen Kerns. Diese Frage hat Verfasser experimentell geprüft an den Kernen der Pollenschläuche. Aus früheren Untersuchungen des Verfassers (Zur Biologie des Pollens. Jahrb. f. wissensch. Botanik, XXIX) hatte sich ergeben, dass viele Pollen- körner in destilliertem wa gut entwickelte Schläuche treiben und dabei die Reservestoffe allmählich verbrauchen, wobei sich also der Kern unter sehr ungünstigen Ernährungsverhältnissen befindet. Mit Pollen von Agapanthus wmbellatus und einigen anderen Arten wurden Kulturen in destilliertem Wasser und in Zuckerpeptonlösung an- gestellt. Im letzteren Fall waren die Schläuche „von der Basis bis zur XVII. 25 386 Orschansky, Ueber die Erblichkeit. Spitze von einem dichten aus Eiweißstoffen bestehenden Schleim ausge- füllt und also die Kerne unter den denkbar günstigsten Ernährungs- bedingungen. Trotzdem blieben die Kerne entschieden kyanophil. „Das theoretische Interesse dieser Thatsachen liegt darin, dass die kyanophile Reaktion der männlichen Sexualzellen bei den untersuchten Angiospermen nicht auf Ernährungsverhältnisse zurückzuführen ist“. Die andere größere Abhandlung beschäftigt sich mit dem Sichel- stadium des Nucleolus und verteidigt gegen die Ansicht von Strasburger und Humphrey, welche diese Gebilde als Artefacte betrachten, die Auf- fassung, dass in den Pollenmutterzellen das Sichelstadium eine sehr häufige, wahrscheinlich normale Erscheinung ist. Dieser Abhandlung ist eine Tafel beigegeben. Was die zur Anwendung gekommene Methoden und speziellere Er- gebnisse betrifft, muss auf das Original verwiesen werden, |45] Kamerling (München). J. Orschansky, Ueber die Erblichkeit. J. Orschansky, Prof. in Charkow, Etude sur P’heridit& normale et morbide. St. Petersbourg 1894. 210 p. 4°. Derselbe, L’heredit& dans les familles malades et theorie generale de l’heredite. St. Petersbourg 1894. 86 p. 4° (Memoires de l’Academie Imperiale des sciences de St. Petersbourg. VII. Ser. T. XL. Nr. 9). Derselbe, Die Gesetze der Erblichkeit. Mit ein Vorwort von Prof. Lom- broso. Charkow 1896. 87 Stn. 8. (In: Russischer Sprache). J. Orschansky, Professor a. d. Universität Charkow, liefert eine sehr eingehende und umfassende, auf Messungen und Zählungen begrün- dete und mit vielen Tabellen, Kurven und Zahlen versehene Abhand- lung über die Erblichkeit, Ein kurzes Referat über umfassende Arbeiten stösst immerfort auf Schwierigkeiten. Bei der Wichtigkeit dieser Arbeit aber, bei den viel- fach neuen Ansichten des Verfassers und bei dem großen Fleiß, der bei der Zusammenstellung der Daten aufgewandt ist, erscheint ein etwas ge- naueres Referat doch am Platz. — Wir schlagen dabei nur einen andern Weg ein als sonst. Wir be- ginnen nicht mit den Einzeluntersuchungen des Verfassers, sondern mit seinen allgemeinen Erörterungen und seinen Schlussfolgerungen. Zuletzt lassen wir die einzelnen Mitteilungen und den speziellen Teil der Arbeit folgen: eine Wiedergabe aller zahlreichen Tabellen (18 Kurven- tafeln — und außerdem viele Tabellen im Text) ist völlig ausgeschlossen. Wir müssen die Fachgelehrten, die sich genauer mit den Meinungen des Verfassers bekannt machen wollen, auf das in französischer Sprache abgefasste Original-Werk verweisen. Nach der Ansicht des Verfassers ist der Begriff der Erblichkeit weiter als bisher zu fassen, das Gebiet der Erblichkeit, der Mechanismus der Erblichkeit, erscheinen ihm in anderer Beleuchtung. Man muss in das Gebiet der Erblichkeit auch die Konfiguration, d. h. die bestän- digen Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen des Skeletts, die Grenzen und die Schwankungen dieser Beziehungen hinein rechnen. Aber auch Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 387 die individuellen Schwankungen und Abweichungen vom allgemeinen Typus, den das Knochengerüst zeigt, haben einen erblichen Charakter, — hieraus ergiebt sich die Idee von dem erblichen Charakter der Beständig- keit (stabilit£) und der Veränderlichkeit (variabilite). Schließlich: der Typus der Entwickelung des Organismus wird klar und deutlich durch die Erblichkeit bestimmt. Wie die Konstitution der Kinder, so ist auch die Entstehung des Geschlechts eine erbliche Erscheinung. — Man betrachtet gewöhnlich die Erblichkeit nur als eine Funktion der Eltern; aber in Wirklichkeit spielen die Kinder dabei auch eine bedeudende Rolle. Die Eltern übermitteln freilich den Kindern ihre Eigentümlich- keiten, aber die Kinder nehmen die elterlichen Einflüsse anders auf, sie sind nicht passive Faktoren. Die Erblichkeit kommt nicht mit einem Mal in einem bestimmten Zeitpunkt zur Geltung. Die Momente der Be- fruchtung und des embryonalen Lebens bestimmen nicht auf immer den Einfluss der Erblichkeit. Die Erblichkeit liegt versteckt und tritt erst allmählich im Laufe der Entwickelung stellenweise zu Tage. Verschiedene innere und äußere Umstände bleiben nicht ohne Einfluss auf die Ver- wirklichung der Erblichkeit. Alles, was erblich überliefert wird: das Ge- schlecht, die normale oder krankhafte Konstitution, ist den allgemeinen Gesetzen der Erblichkeit unterworfen. Die beiden Eltern spielen bei der Erblichkeit eine besondere Rolle: der Einfluss des Vaters begünstigt die Veränderlichkeit, die Individuali- tät der Mutter ist bestrebt, ihren eigenen mittleren Typus zu er- halten. Dieser Antagonismus ist auch in der Erzeugung der Geschlechter bemerkbar, indem der Einfluss der Mutter unter der Form der Periodiei- tät bestrebt ist, die Verteilung der Geschlechter auszugleichen. Schon die Embryonal-Zellen bieten für jedes der beiden Geschlechter einen gänzlich verschiedenen Charakter dar: das kleine Ei ist wenig differenziert, entfernt sich nur wenig vom Typus einer Embryonal-Zelle, ist wenig individuell und mehr beständig. Das kleine Ei hat einen plastischen Charakter, das Spermatozoid dagegen einen funktionellen. Nach dieser Richtung hin unterscheiden sich auch die Typen ihrer Entwickelung und — die pathologische Erb- lichkeit: sie ist eine organische von Seiten der Mutter und eine funk- tionelle von Seiten des Vaters. Man hat dies noch durch die beiden Ausdrücke: plastische Energie und dynamische Energie wiederge- geben. Die den weiblichen Typus charakterisierende Beständigkeit und die den männlichen Typus charakterisierende Veränderlichkeit haben ihre Begründung schon in den Eigentümlichkeiten der embryonalen Zellen. Der Verfasser tritt hier in einen gewissen Gegensatz zu Weis- mann. — Auch der verschiedenartige Typus der Entwickelung beider Ge- schlechter findet seine Erklärung in dem Grundcharakter der embryonalen Zellen. Der weibliche Embryo besitzt eine größere plastische Energie und eine frühere Entwickelung als der männliche Embryo. Die Ent- wiekelung des weiblichen Individuums geht zeitweilig der des männlichen voraus. Das Problem der Erblichkeit umschließt drei Grundfragen. 25 * 388 Örschansky, Ueber die Erblichkeit. 1. Die Theorie der Befruchtung, 2. die T’heorie der indivi- duellen Entwickelung, 3. die Theorie der Beziehungen zwischen Eltern und Nachkommen, — die Erblichkeit im gewöhnlichen Sinne des Worts. 1. Die Theorie der Befruchtung ist nach ihren morphologischen Erscheinungen allmählich gefördert worden. Allein der reine (dyna- mische) Mechanismus ist noch vollkommen dunkel. Der Verfasser wagt einen Versuch, eine Erklärung zu geben, eine Hypothese aufzustellen. Das Ei und das Spermatoid besitzen eine spezifische Energie, die man mit der chemischen Verwandtschaft vergleichen kann. Er meint, die Zellen, als biologische Einheiten, können nach ihrer Energie einander äquivalent sein oder nicht. Nach der Wahrscheinlichkeits- theorie ist es unmöglich, dass Ei und Spermatozoid einander ganz äquivalent seien — es muss ein — wenn auch nur geringer — Unter- schied in der biologischen Energie der beiden Zellen vorhanden sein. In dem Falle, dass die Ungleichheit einen bestimmten Grad erreicht, er- scheint eine Befruchtung unmöglich, — andererseits in den seltenen Fällen, in denen die Ungleichheit sehr gering, z. B. bei Gliedern einer und derselben Familie — ist eine Befruchtung auch unmöglich. Nehmen wir diese Hypothese an, so müssen wir erwarten, dass das Produkt des Zusammenstoßens zweier Zellen mit ungleicher Ener- gie nicht ganz gleichmäßig sein kann, sondern dass die eine oder die andere Zelle überwiegt, — es sind ja zwei verschiedene Geschlechtstypen. Wäre die biologische Energie beider Zellen im Gleichgewicht, so wäre das Produkt neutralisiert — der Hermaphrodismus wäre eine normale Er- scheinung. Das Produkt des Zusammenfließens beider Zellen muss aus zwei verschiedenen Teilen bestehen: aus einem Teil, in dem die Elemente der Zellen einander neutralisiert haben, und aus einem anderen Teil, in dem die Neutralisation nicht vollständig ist. Die Bedingung der Entwickelung ist aber ein vollständiger Zusammenfluss oder Neutralisation, der zweite nicht neutralisierte Teil kann dagegen nicht die Energie besitzen, die zu‘ individueller Entwicklung notwendig ist; die plastische Energie muss sich dabei in latentem Zustande befinden. Da nun dieser zweite Teil des Produkts das Ergebnis des vorwaltenden Einflusses einer der beiden viel- genannten Zellen ist, so muss dieser Teil nach seinem Charakter auch dieser Zelle entsprechen. Wir können annehmen, dass diese nicht neutralisierte Zellsub- stanz der Keim der späteren Geschlechtszelle des Individuums ist. Durch diese Annahme wird das Faktum erklärt, dass die Konstitution und das Geschlecht zusammenfallen. Diese Hypothese, nach welcher die Geschlechtsorgane ihren Anfang oder Ursprung aus dem Teil des .embryonalen Protoplasma nehmen, der - weniger neutralisiert oder befruchtet ist, erscheint dem Verfasser als eine logische Entwickelung der scharfsinnigen Theorie Weismann’s. Die individuelle Entwickelung ist unzweifelhaft eine Grund-Eigen- schaft der: lebenden Materie einer jeden Zelle und eines jeden Plasmas. : Bei niederen Lebewesen wird eine ungeschlechtliche Vermehrung beobachtet — die Befruchtung ist demnach nicht unbedingt notwendig zur Entwickelung. Bei höheren Lebewesen ist die Entwickelung an die Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 389 Befruchtung gebunden: sie besteht im Zusammenfließen zweier Elemente, eines plastischen und eines funktionellen. Bei höheren Organismen ist das Leben charakterisiert durch das Vorwalten funktioneller Prozesse vor den plastischen. Die Entwickelung (Evolution) ist eine Reihe von Ver- änderungen, die eine bestimmte Richtung verfolgen, die darauf gerichtet sind, einen bestimmten individuellen Typus festzustellen. Es giebt in der lebenden Materie zwei Klassen biologischer Erschei- nungen, funktionelle und plastische. Die Differenzierung dieser beiden Klassen von Erscheinungen er- reicht ihren höchsten Entwickelungspunkt in den Geschlechtszellen. Jede einzelne Geschlechtszelle, männliche oder weibliche ist infolge dieser Differenzierung ungeeignet zu weiterer Entwickelung. Die weitere Eutwickelung ist an das Zusammenwirken beider Faktoren gebunden. Diese Zusammenwirkung findet statt bet der Befruchtung — dann beginnt die individuelle Entwickelung. 2. Die Theorie der individuellen Entwickelung. Die Befruch- tung ist nicht die Ursache der Evolution, sondern bei höheren Lebewesen ist sie unumgängliche Bedingung zu individueller Entwickelung. Wahr- scheinlich charakterisiert sich die individuelle Entwickelung des Menschen mit dem allmählichen Sinken der plastischen Energie und der progressiven Erhebung der Individualität. Der Geschlechtstypus wird von Jahr zu Jahr schärfer ausgeprägt und das Ende der Entwickelungsperiode macht sich bemerkbar durch eine scharfe Ausbildung des Geschlechtsunter- schiedes. Im Moment der Befruchtung ist der Embryo ein Hermaphrodit — man meint, diese Periode endige erst mit der Ausbildung der Geschlechts- organe. Aber die Konstitution des Kindes ist von verschiedenem Charak- ter, je nach dem Geschlecht; die Idee des Hermaphroditismus kann des- halb auch auf die Körperkonstitution ausgedehnt werden. In diesem Sinne ist jedes Individuum hermaphroditisch, nicht allein im Gebiet der Ge- schlechtsorgane, sondern auch in seiner ganzen Konstitution. Von diesem Gesichtspunkte aus ist ein Individuum ein Produkt zweier Faktoren, eines deutlich hervorgetretenen und eines latenten (dynamischen). Jedes Individuum kann angesehen werden als eine Kombination zweier Indivi- duen — der Kampf zwischen beiden Typen zieht sich durchs ganze Leben. Zu Gunsten dieser Auschauung sprechen die Veränderungen der Konstitution während der klimakterischen Jahre, die Veränderungen des Kindes während der verschiedenen Entwickelungsperioden, und schließlich die Erscheinungen des Atavismus. Eine weitere Hypothese des Verfassers ist: der Mechanismus der Befruchtung setzt sich aus zwei Faktoren zusammen, aus der Sum- mierung und der Interferenz der Energie der primitiven Elemente, aus denen jede embryonale Zelle besteht. Die Summierung der Energie (la sommation) überwiegt beim Zusammenfluss der Elemente den Typus, die Interferenz dagegen überwiegt bei der Cooperation das individuelle Element. Diese beiden Gegensätze bekämpfen sich. Es führt uns das zur Idee eines Antagonismus zwischen der indi- viduellen Entwickelung und der Entwickelung des Typus — man kann es voraussehen, dass die Individualität in dem Stadium des Sinkens der allgemeinen Energie offen zu Tage treten wird. — 390 Orschansky, Ueber die Erblichkeit. Was für eine Beziehung besteht zwischen den Geschlechtszellen oder richtiger zwischen den Geschlechtsorganen und dem übrigen Organismus ? Alle Teile des Organismus sind unter einander in beständiger Beziehung, auch während der Entwickelung. Wir bezeichnen diese Beziehung mit dem lateinischen Wort Consensus. Was für einen Charakter hat dieser Consensus? Besteht zwischen der Geschlechtszelle oder dem Embryo außer der genetischen Beziehung noch irgend eine andere Verbindung ? Es muss angenommen werden, dass noch eine andere Verbindung besteht. Weismann behauptet, dass die Geschlechtszelle nur den Typus des väterlichen Embryos, nicht die Individualität des Vaters darstelle, d. h. dass die ganze Individualität des Vaters, welche nicht in der em- bryonalen Konstitution eingeschlossen ist, auch nicht im Embryo der fol- genden Generation erscheint. Der Verfasser ist anderer Meinung. Zwischen den Geschlechtszellen und dem ganzen Organismus besteht sowohl beim Embryo wie beim Er- wachsenen während des ganzen individuellen Lebens eine ununterbrochene Beziehung. Es konnte nachgewiesen werden, dass der erbliche Einfluss der Eltern sich verändert mit ihrem Lebensalter, entsprechend dem Zu- stand ihrer Reife. Es ließen sich viele Beispiele dieser beständigen Beziehung zwischen dem Organismus und der Geschlechtszelle anführen (Einfluss des Klimak- teriums, der Uastration u. Ss. w.). Diese Beziehung, der „Consensus“, ist zwiefach. Er hat einen plastischen Charakter, d. h. der Ernährungsprozess, der im Organismus vor sich geht, bekundet einen plastischen Einfluss auf die Geschlechts- zelle. Ferner existiert ein funktionelles (dynamisches) Band zwischen dem Organismus und der Geschlechtszelle, diese Beziehung wird durch das Nervensystem aufrecht erhalten. — Der Consensus muss selbstverständlich verschiedenen Einflüssen unterworfen sein; er muss verschieden sein nach dem Geschlecht — anders bei Knaben als bei Mädchen. Der Consensus hat auch seine bestimmte Grenze. — Die Beziehungen zwischen dem Organismus und den Geschlechtszellen sind für die einzel- nen biologischen Prozesse inniger. Der „Consensus“ hält die Bestandteile des Typus aufrecht; die Individualität aber liegt außerhalb dieses Con- sensus. Die Grenzen dieser Einflüsse des „Consensus“ sind im wesent- lichen abhängig vom Nervensystem. Der mehr oder weniger regelmäßige Gang der Entwickelung des Embryos bleibt nicht ohne Einfiuss auf den Consensus. Wahrscheinlich macht geregelte Entwickelung den Consensus kräftiger, beständiger, im Gegenteil, bei unregelmäßiger, sprungweiser Entwickelung kann der Con- sensus sich nicht anschließen und wird abgeschwächt werden. Danach kann man sagen: der Consensus hat einen synthetischen und einen evolutionären Charakter, er dient insbesondere dazu, die Beständigkeit (stabilit&) des Typus zu erhalten. 3. Die Theorie der Erblichkeit im gewöhnlichen Sinne des Worts, die Beziehung zwischen dem Organismus der Eltern und der Kinder. Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 891 Weismann hat zwei Faktoren unterschieden: den Einfluss der Kon- stitution der Eltern und die Rolle der Geschlechtsorgane (Geschlechts- zellen). Nach Weismann ist die Erblichkeit nur eine Funktion der Ge- schlechtszellen; der ganze Organismus und dessen Konstitntion spielen keine Rolle in der Erscheinung der erblichen Uebertragung; daraus folgt logisch, dass die individuelle Entwickelung des Organismus der Eltern und die Veränderungen, die im Laufe der Entwickelung erworben sind, keinen Einfluss auf den Organismus der Nachkommen ausüben. Nach der Meinung des Verfassers und nach seinen Auseinandersetzungen ist diese Darstellung zu dogmatisch. Die Theorie Weismann’s muss durch die Hypothese des „Consen- sus“ ergänzt werden. Durch die Theorie des Consensus erscheint die Frage der Erblichkeit in anderm Licht. Alles, was über den Mechanismus des Consensus gesagt worden ist, gilt auch vom Mechanismus der Vererbung; die Beziehungen, die zwischen dem Organismus und den Geschlechtszelleu bestehen, sind auch die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern; die Zellen spielen dabei nur die Rolle eines vermittelnden Agenten. Die Grenzen des Üonsensus sind auch die Grenzen des erblichen Einflusses der Eltern auf die Nachkommen. Die Theorie der Erblichkeit kann danach in folgende Sätze zu- sammengefasst werden: 1. Die Erblichkeit ist die direkte Funktion der Geschlechtszellen und die indirekte Funktion des ganzen Organismus; die erste Funk- tion ist die Basis für die Beständigkeit des Typus; in der zweiten ist die Individualität als Veränderlichkeit begründet. Die Erblichkeit hat einen evolutionären und einen synthetischen Charakter. 2. Die direkte Erblichkeit ist mächtiger als die indirekte. 3. Der Charakter der Erblichkeit ist verschieden für die beiden Arten der Geschlechtszellen und entspricht der Natur ihres Baues, 4. Die Energie, mit der die indirekte Erblichkeit arbeitet, ist um so größer, um so geringer die individuellen Veränderungen sind; die Energie ist größer, wenn die individuellen Veränderungen einen allge- meinen Charakter haben und wenn sie in einer sehr frühen Epoche ein- getreten sind. Im Gegenteil: je beträchtlicher die Veränderungen im älterlichen Organismus sind, je mehr die Abweichungen vom mittleren Typus bemerkbar sind, je mehr sie in späteren Lebensjahren aufgetreten sind, um so geringer ist die Wahrscheinlichkeit, die Veränderungen auf die Kinder zu vererben. 5. Die Modifikationen, die im älterlichen Organismus erst in reiferem Alter entstehen, insbesondere zufällige pathologische Veränderungen, können nicht auf die Nachkommen übergehen. Schließlich macht der Verfasser noch einige Bemerkungen über die Beziehungen, die zwischen dem Problem der Entwickelung oder besser dem Problem der Transformation und dem Prinzip der Erblichkeit be- stehen. Die Entwickelung einer Art besteht aus zwei Faktoren: aus den Veränderungen, die durch den Einfluss der äußeren Umgebung hervorge- rufen sind, und aus der erblichen Uebertragung der normalen Modifi- kation. 392 Orschansky, Ueber die Erblichkeit. Wir haben hier die äußerliche Veränderlichkeit und die spezielle Erblichkeit im Sinn. Es ist leicht einzusehen, dass alle Veränderungen, die sich unter dem Einfluss der äußeren Umgebung gebildet haben, reflektorische Er- scheinungen im vollen Sinne des Wortes sind — auch die plastischen Erscheinungen eingeschlossen. — Man darf annehmen, dass die äußere Veränderlichkeit im Allgemeinen von der funktionellen Thätigkeit ab- hängig ist. Diese funktionelle Veränderlichkeit ist ohne Zweifel einer Reihe spezieller Prinzipien und Gesetze unterworfen, die uns ganz unbekannt sind. Man darf vielleicht die Hypothese aussprechen, dass die durch die äußere Umgebung bedingte und funktionell realisierte Veränderung gleich- zeitig den Hauptprinzipien der organischen oder inneren Veränderlichkeit unterliegt. — ‘Wenden wir uns nun rückwärts zu den Einzeluntersuchungen, auf welche der Verfasser seine allgemeinen Schlüsse begründet hat. Im ersten Kapitel giebt der Verfasser eine ganz kurze Ueber- sicht über die verschiedenen Theorien der Erblichkeit (Darwin, Weis- mann, Düsing, Wilkins u. a.). Im zweiten Kapitel geht der Verfasser auf die Frage nach dem Ursprung der Geschlechter ein: Nachdem er festgestellt hat, dass im Allgemeinen das Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Neuge- borenen wie 106 zu 100 ist, so wendet er sich zur Erörterung der Ein- flüsse, die als maßgebend für die Erzeugung der verschiedenen Geschlechter gelten, Man hat bisher für das Geschlecht das Alter der Zeugenden ver- antwortlich gemacht, doch ist der Verfasser mit den Ergebnissen, die er in Kürze anführt, nicht einverstanden. Er ist auch mit der Methode der Forschung nicht zufrieden. Er meint, man müsse die Untersuchung der Gesetze der Geburt in den Grenzen der Familie zum Ausgangspunkt dieser Art Studien machen. Er fasst die Familie als eine authropologische Einheit auf und untersucht die Naturgeschichte der Geburten, Er nimmt an, dass dabei folgende Momente in Betracht kommen: 1. Das Alter, mit dem die Zeugenden in die Ehe treten (Hochzeitsalter) ; 2. das Alter im Moment der Geburt der Kinder (absolutes Alter); 3. der Zwischenraum zwischen zwei auf einander folgenden Geburten; 4. Reihenfolge der Kinder verschiedenen Geschlechts auf einander. Nach diesen Daten will der Verfasser die Geschichte der Familie praktisch darstellen. Eine jede Familie besteht fast immer aus Mädchen und Knaben, die periodisch wechseln. Setzt man die Knaben über die Horizontale (Abseisse) und die Mädchen darunter, so erhält man eine ge- brochene Kurve für jede Familtee Da nun jede Familie mit einem Knaben oder einem Mädchen beginnt, so giebt es zwei T’ypen von Familien. 1, Typus der Familien, die mit einem Knaben beginnen, 2. Typus der Familien, die mit einem Mädchen beginnen. Weiter ordnet der Verfasser diese Kurven, gruppiert dieselben nach dem Hoch- zeitsalter, in dem Vater und Mutter ist. Er benutzte folgendes Material: l. die Familien des Gothaer Almanach (1889), 2. die Familien der Russischen Bauern im Gouv. Jekaterinoslaw, 3. die Familien deutscher Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 393 Kolonisten desselben Gouvernements, 4. Russische Familien und 5. He- bräische Familien nach persönlichen Beobachtungen. — Er kommt auf Grund seiner Berechnungen zu dem Ergebnis, dass in allen den Gruppen die Knaben überwiegen, wo die Mütter 20—25 Jahre alt sind; der Einfluss des absoluten Alters des Vaters bekundet sich darin, dass Väter bis zu 20 Jahren eine Ueberzahl von Knaben geben, von 20—25 Jahren eine Ueberzahl von Mädchen; dann gleicht sich die Zahl der Kinder aus. Der Verfasser unterscheidet zwei Arten Familien, je nachdem die Knaben oder die Mädchen überwiegen; ferner kann jede Familie mit einem Knaben oder einem Mädchen beginnen; danach unterscheidet der Verfasser zwei Typen: 1. solche Familien, wo das erste Kind ein Knabe, 2. solche Familien, wo das erste Kind ein Mädchen ist. Nun fragt der Verfasser: besteht zwischen diesen beiden Typen von Familien einerseits und der Reihenfolge der Kinder auf der andern Seite ein Zusammenhang? Er stellt seine Tabelle schließlich so zusammen: I. Typus II. Typus Knaben Mädchen Knaben Mädchen Gothaischer Almanach 123 100 100 155 Deutsche Kolonisten . 125 100 100 179 Eiaslen u SarnnBöwr3 3 100 100 130 Bere IN DIENT ILSA 100 100 128 Russische Bauern . . 127 100 100 124. Die Familien des I. Typus geben eine Mehrzahl von Knaben, die Familie des II. Typus eine Mehrzahl von Mädchen; die Fruchtbarkeit beider Typen ist fast gleich. Weiter wird festgestellt, dass das Geschecht des erstgeborenen Kindes bestimmend ist für das Ueberwiegen des einen oder des andern Geschlechts. Im III. Kapitel geht der Verfasser näher ein auf die ursächlichen Bedingungen, durch welche die beiden Familientypen zustande kom- men, — er bespricht den Einfluss des Alters der Mutter, die Menstruation, die Geschlechtsreife, den Einfluss der allgemeinen Konstitution der Eltern, auf die Erzeugung der Geschlechter: Er stellt folgende Thatsachen fest: 1. Das Alter der Mutter ist im II. Typus im Allgemeinen geringer als im I. Typus. 2. In beiden Familientypen fällt auf das reifere Alter das Maximum der Knabengeburten. 3. Im II, Typus erreichen die Mütter wie die Väter das Maximum der produktiven Energie früher als im I. Typus. 4. Die Fruchtbarkeit im Allgemeinen erreicht im II. Typus ihren Kulminationspunkt früher. 5. Die Mutter bietet bis zu ihrem 20. Lebensjahre im II. Typus eine besser entwickelte Konstitution (Skelett, Rumpf, Brust, Kopf, Becken), als die Mutter des I. Typus. 6. Frühes Eintreten der Menstruation (vor dem 14. Jahr) wird häufiger bei der Mutter des 1I. Typus beobachtet, 394 . Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 7. Die Mütter des II. Typus haben größtenteils früh eintretende Menstruation und einen kurzen Zwischenraum zwischen der Menstruation und der ersten Geburt. 8. Es besteht eine konstante Beziehung zwischen dem Alter des Auf- tretens der ersten Menstruation und dem Gang der Ausbildung des Ske- letts. Je früher die Menstruation auftritt, um so früher erreicht das Skelett seine Geschlechtsreife. 9. Mütter, die sehr jung sind, aber ein ausgebildetes Becken haben, begründen durch die erste Geburt eine Familie des II. Typus. Hiernach erreicht die Produktivität ihren Gipfel im II. Typus früher als im I. Typus, früher in Bezug auf die Geburt der Mädchen, als der Knaben. Bei Frauen tritt die Geschlechtsreife früher ein als bei Männern. Die Mehrproduktion von Knaben oder Mädchen steht in bestimmter Be- ziehung zur frühen physischen und geschlechtlichen Entwickelungsstufe des Vaters oder der Mutter. Die Existenz der beiden Familientypen ist das Ergebnis von Be- ziehungen der geschlechtlichen und physischen Reife der Eltern. Im ersten Typus überwiegt die Geschlechts-Energie des Vaters, im zwei- ten Typus die Geschlechts-Energie der Mutter. Von zwei jungen Eltern pflanzt der Teil, dessen Geschlechtsreife früher abgeschlossen ist, — wenn auch die physische Entwickelung nicht beendet worden, sein eigenes Ge- schlecht fort. Hieraus folgt, dass die physische Entwickelung der Eltern bei der Erzeugung der Geschlechter eine sekundäre Rolle spielt. Der Einfluss der Erblichkeit im Uebertragen des Geschlechts ergiebt sich aus folgenden drei Prinzipien: 1. Das Prinzip der Reife der Eltern. Das absolute Alter der Eltern spielt im Moment der Befruchtung eine sehr wichtige Rolle, wäh- rend das relative Alter nur einen indirekten Einfluss hat. 2. Das Prinzip der Interferenz. Die Erzeuger wirken in ent- gegengesetzter Weise auf die Geschlechtserzeugung ein, daher ergiebt sich daraus eine Interferenz, d. h. ein Vorwiegen des einen über das andere. Ist der väterliche Einfluss größer, so überwiegt die Geburt der Knaben, ist der mütterliche Einfluss größer, so überwiegt die Geburt der Mädchen; so entstehen die zwei Typen der Familien. 3. Das Prinzip der Periodizität im Uebertragen der Geschlechter. Es giebt selten Familien, in denen alle Kinder dasselbe Geschlecht haben, der Verfasser konstatiert dies nur bei 2°/, der von ihm untersuchten Familien. Die Periodizität ist demnach die Regel. Die Ursache davon ist unbekannt. — Im IV. Kapitel bespricht der Verfasser die Aehnlichkeit. Der Verfasser hat hiebei, nachdem er die Ansichten einiger Autoren angeführt hat, (Häckel, Darwin, Burmeister u. a.) im Wesentlichen seine eigenen persönlichen Anschauungen und Eindrücke mitgeteilt. Er bekennt es offen, dass dieser Frage eine gehörige wissenschaftliche Grundlage fehlt; es sei vieles noch zu untersuchen, z. B. Knochenbau, Skelett u. s. w. Er hat sich hier mit seinen persönlichen Beobachtungen in Betreff der Hautfarbe und der Gesichtszüge begnügt. Er kommt dabei zu folgenden Ergebnissen: 1. Die Aehnlichkeit der Kinder mit dem Vater ist häufiger vorhan- den, als die Aehnlichkeit mit der Mutter. Orschansky, Ueber die Erblichkeit. 330 2. Die Knaben sind dem Vater, die Mädchen der Mutter ähnlicher. Der Verfasser macht nun einige Bemerkungen über den Atavismus. Er definiert den Begriff des Atavismus dahin, dass damit die Fälle bezeichnet werden, worin das Kind nicht seinen Eltern, sondern einem seiner direkten Vorfahren oder einem Vorfahren der Seitenlinie ähnlich sei. Er meint, die Erscheinungen des Atavismus seien nur ausnahmsweise vorhanden und zwar bis zu einem gewissen Grade unregelmäßig. Nach den persönlichen Anschauungen des Verfassers sind bei den Knaben die Erscheinungen des Atavismus des väterlichen Geschlechts, bei Mädchen die des mütter- lichen Geschlechts vorwiegend. In dem folgenden Kapitel V betritt der Verfasser festeren Boden. Er untersucht die Abhängigkeit der Körper-Konstitution der Neugeborenen in ihrer Beziehung zu der Mutter. Der Einfluss der Väter ist dabei unberücksichtigt geblieben, weil das Material nach dieser Rich- tung hin (in den Kliniken) nicht zu beschaffen war. Er benutzte das Material der geburtshülflichen Klinik in Charkow, ferner die daselbst im Archiv befindlichen Zahlenangaben und Messungen an den Kindern wie an den Müttern; dann hat er selbst eine Reihe von Messungen — nach Broca — ausgeführt. Er stellte fest: 1. das Alter der Mutter und das Geschlecht des Kindes; 2. Hautfarbe und Aehnlichkeit der Gesichtszüge des Kindes; 3. Konstitution; 4. Körpergröße; 5. Beckenbreite; 6. Schulterbreite; 7. Brustumfang; 8. Beinlänge; 9. Armlänge; 10. Kopfumfang; 11. Längs- durchmesser des Kopfes; 12. Höhe des Kopfes; 13. Querdurchmesser des Kopfes; 14. frontaler Durchmesser des Kopfes. (Der Verfasser sagt hier stets Schädel, doch meint er unzweifelhaft den von den Weichteilen be- deckten Schädel, also den Kopf.) Ferner berücksichtigt er fünf Indices, das Verhältnisse der absoluten Kopfmaße zu einander. Aus der angeführten Tabelle ergiebt sich im Allgemeinen, dass alle Maße im Moment der Geburt bei Knaben größer sind als bei Mädchen; der Kopfindex ist aber bei beiden gleich — dolichocephal. In Betreff des Einflusses des Alters der Mutter auf das Skelett (soll doch wohl heißen: auf den Körperbau) ergiebt sich, dass die Maxima der Maße bei Kindern junger Mütter vorkommen (z. B. Körpergröße bei Knaben 47, bei Mädchen 46 ete.), dass die Maße der Neugeborenen aber sich vergrößern mit den zunehmenden Jahren der Mütter und das Maxi- mum erreichen bei Müttern von 27—30 Jahren. (Körpergröße bei Kna- ben 54,5, bei Mädchen 49,0 ete.); bis zum 36. Lebensjahr blieben sie beständig, dann nehmen sie ab. Es bedarf kaum einer besonderen Be- merkung, dass zwischen der Körpergröße und der Größe der einzelnen Körperteile eine bestimmte Beziehung herrscht. Die Beziehungen des Alters des Vaters zum Skelett des Kindes (Körperbeschaffenheit) gestalten sich in gleicher Weise wie bei der Mutter. Der Periode der höchten Reife des Vaters entspricht die größte Körper- länge des Neugeborenen. Auch die Reihenfolge der Geburten ist von Einfluss auf die Körper- beschaffenheit Neugeborener: die Erstlinge sind von geringerer Größe als die später folgenden Kinder, (bei Erstlingen 48,26 etc., bei der zweiten Geburt 49,33 etc., bei Viertgeborenen 49,9 ete. u.s. w.). Bei Knaben ist der Unterschied deutlicher als bei Mädchen, 3965 Tschugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule. Der Verfasser untersucht nun ferner auf Grund seiner Messungen an der Hand von Tabellen und Kurven die Beziehungen zwischen der Kör- perbeschaffenheit der Mutter und der des Neugeborenen, die Beziehungen zwischen dem Einfluss der Achnlichkeit und dem Einfluss der Körperbe- schaffenheit der Mutter, den Einfluss der körperlichen Reife der Mutter auf das Skelett des Neugeborenen. Weiter beschäftigt sich der Verfasser im VI. Kapitel mit den Grenzen der Aehnlichkeit, soweit dieselben am Skelett sich bemerkbar machen. (Der Verfasser gebraucht hier und an andern Orten wiederholt den Ausdruck Skelett, wo doch besser der Ausdruck Körperbeschaffenheit oder Körperbau am Platz wäre, denn es handelt sich nicht um die Knochen allein, sondern um Knochen nebst Weichteilen). Er erörtert die Frage, in wie weit das Skelett beständig oder veränder- lich sei (Kapitel VII), und ferner die Frage, welche Abschnitte des Skeletts im besonderen durch die Erblichkeit beeinflusst werden. Er be- hauptet, dass das Becken und die unteren Extremitäten den größten Ein- fluss der Erblichkeit und die geringsten individuellen Schwankungen auf weisen, dass für die Arme, Schulter- und Brustumfang die Erblichkeit weniger bemerkbar ist. Ein besonderer Abschnitt (Kapitel VIII) ist der Erblichkeit des Kopfes (Schädels) gewidmet, d. h. die Erblichkeit in Bezug auf die Kopf- maße (nicht Schädelmaße). Schließlich noch einige Bemerkungen über die Ergebnisse des Ver- fassers in Betreff der Erblichkeit in „kranken“ Familien. Es wurden untersucht das Verhältnis des Geschlechts, die Aehnlichkeit der Kinder und die Uebertragbarkeit der Krankheit. Hier finden sich einzelne sehr auffallende Ergebnisse: bei kranken Vätern überwiegen die Söhne, bei kranken Müttern gleichfalls, aber in geringerem Ver- hältnis (101,5 Knaben auf 100 Mädchen); dagegen in Familien, wo beide Eltern krank sind, ist das Verhältnis 105 zu 100, — die Krankheit eines der Eltern begünstigt die Erzeugung von Kindern des Geschlechts des kranken Gliedes der Familie. — [43] L. Stieda (Königsberg i. Pr.). Tschugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbel- säule. S. Tsehugunow, Eine Hypothese über die Entwicklung der menschlichen Wirbelsäule, um die verschiedenen Zahlabweichungen zu erklären. Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage nach dem Ursprung des Menschen und nach den charakterischen Eigenschaften der alten Menschen-Rassen. (Nachrichten d. k. Universität zu Tomsk, X, 189%, S. 1-- 155.) B. P. Anikin, Eine Bemerkung zur Abhandlung Tsehugunow’s. (Ebenda X1, 1897, 8. 1-12) Die Wirbelsäule des Menschen in Betreff ihrer Umbildung hat Tschu- gsunow-Tomsk in einer sehr fleißigen, sorgfältigen und ausführlichen Abhandlung beschrieben. Der Verfasser will von der Wirbelsäule aus die Stellung des Menschen in der Reihe der organischen Wesen ent- scheiden. Tsehugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule. 397 Nach einer allgemeinen den Darwinismus betreffenden Einleitung (S. 1—8) giebt der Verfasser unter dem Titel „die gegenwärtige Lehre von der Formel der menschlichen Wirbelsäule und von den Abweichungen der Formel“ eine sehr genaue Zusammenstellung aller Ansichten der verschiedenen Schriftsteller, die sich über die Wirbelsäule des Menschen und die Zahlenverhältnisse der einzelnen Abteilungen ausgesprochen haben; — er berücksichtigt dabei die Arbeiten über Halsrippen, Lendenrippen u. s. w. (8. 9—42). Dann teilt er seine eigenen über die Wirbelsäule des Menschen angestellten Beobachtungen in sehr ausführlicher Weise mit (S. 43— 136). Er untersuchte 50 Wirbelsäulen von Individuen verschie- denen Geschlechts, verschiedener Größe, verschiedener Nationalität, die sowohl der Jetztzeit angehörten, als auch aus früheren Jahrhunderten stammen. Wir bleiben bei seinen Schlussbetrachtungen stehen. Der Verfasser teilt die untersuchten Wirbelsäulen in 4 Reihen. le dl ga. 23 ag agent Ange 35 ee ea Te RE BE 35 HE Ir n -r 12 „ 3= In T 6 5 "Fr I, = 83 Formel Ban 12 eb eh rt On der 7.».+ 12.5: +83: u 4.5 au 834 II. Reihe, . dd yr-:12. „68: 2. Ben td ZERR: 1205 TR A DE — 0° a re Se Er IV ih a a Ra a EEE Ba te ee Er hat diese Reihenfolge gewählt in Berücksichtigung des Gesetzes, dass eine Verringerung der Zahl der gleichartigen Wirbel in der Organisation der Wirbeltiere einen Fortschritt anzeigt. Er meint aber nun an der Hand seiner Beobachtungen noch ein anderes Gesetz gefunden zu haben: das Gesetz der Assimilation des höher gelegenen Wirbels an den niedriger gelegenen Wirbel. Er sagt nun, die Schlüsse, die aus diesen beiden Gesetzen hervor- gehen, seien sehr wichtig für die Auffassung der Zahl-Anomalien der Wirbelsäule, sowie für die Festsetzung eines normalen Typus. 1. a) Die gegenwärtige Lehre von der gegenseitigen Assimilation der benachbarten Wirbel entspreche nicht der anatomischen Beobachtung. Eine solche Assimilation in gegenseitiger Weise existiert nicht. Der Steiß- bein-Wirbel assimiliert sich nicht dem Kreuzbein-Wirbel, der Kreuzbein- wirbel nicht dem Lendenwirbel, der Brustbeinwirbel nicht dem Halswirbel. Alle Fälle, in denen es sich um Uebergangswirbel handelt, sind nur zu erklären durch die Assimilation der höher gelegenen Wirbel an niedriger gelegene. Die Assimilation geht folglich nach unten und nicht nach oben. b) Man müsste schließen, dass der Organismus des Menschen unauf- haltsam nicht zu einer Verringerung der Rippenzahl dränst, sondern zu einer Bewegung aller Rippen nach aufwärts, der Wirbelsäule entlang, in folgender Weise, dass statt der urspründlichen Formel 398 Tscehugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule. 8H. + 12 Br. -51L.+5Kr.+5S8t = 35 die jetzige Formel ist 7H.—+ 12 Br. —51L.—+5 Kr +5 8t. = 34 die zu einer weiteren Formel hinstrebt: 6H. 4 12 Br. 51.45 Kr. +58t = 33. Dabei bleibt die Zahl der Rippen sich stets gleich. ce) Gleichzeitig mit dieser Aufwärtsbewegung der Rippen geht auch eine Bewegung des Beckengürtels der Art vor sich, dass, während der Beckengürtel bei der primären Formel am 26. Wirbel befestigt ist, er in normaler Weise bei der jetzigen Formel am 25. Wirbel, in einigen Ausnahmen sogar am 24. Wirbel steht. Eine Anheftung des Becken- gürtels am 26. Wirbel ist eine Rückkehr zum primären Typus, eine Anheftung am 24. Wirbel eine progressive Erscheinung. 2. Auf Grund des Gesagten ist demnach eine Halsrippe eine pro- gressive Erscheinung; eine Atrophie der ersten Rippe dagegen ist eine atavistische Erscheinung — eine Rückkehr zu der Wirbelsäule, die noch 8 Halswirbel besaß. 3. Der Typus der 12 Rippenpaare ist bei allen Umbildungen der menschlichen Wirbelsäule erhalten. Findet sich heute eine 13. Brust- rippe, die am 20. Wirbel (d. i. am 1. Lendenwirbel) befestigt ist, so ist diese Rippe als das Rudiment einer Rippe anzusehen, die am 12. Brust- wirbel saß, als die Zahl der Halswirbel 35 war. Der heutige 20. Wirbel (1. Lendenwirbel) war früher der 12. Brustwirbel. Ein 13. Brustwirbel ist demnach stets als ein Uebergangswirbel von dem Brustwirbel zu dem Lendenwirbel zu betrachten. 4. In Folge der Aufwärts- und Vorwärtsbewegung der Extremitäten- gürtel und in Folge der Aufwärtsbewegung des Kreuzbeinwirbelgebiets vergrößert sich die Zahl der Steißbeinwirbel. Bei der primären Formel besteht das Steißßbein aus 5 Wirbeln, bei der normalen aus 6, bei einer Wirbelsäule mit 6 Halswirbeln aus 7 Wirbeln. Aber aus mechanischen Gründen, die zur Atrophie, zur Verschmelzung der untersten Wirbel führen, verändert sich die Länge des Schwanzes in Wirklichkeit nicht, sie bleibt etwa 3 cm. In Folge der Atrophie der untern Steißbeinwirbel, in Folge dessen, dass ein Halswirbel zum Brustwirbel, ein Brustwirbel zum Lendenwirbel, ein Lendenwirbel zum Kreuzbeinwirbel, ein Kreuzbeinwirbel zum Steiß- beinwirbel sich umgestaltet — erkennen wir die Richtigkeit des anatomi- schen Gesetzes, dass die Zahl der gleichartigen Wirbel sich bei fort- schreitender Organisation verringert. Nach der aufgestellten Hypothese der Umbildung der Wirbelsäule muss bei einer Wirbelsäule mit 6 Halswirbeln, da die Zahl der übrigen Wirbel (Brust-, Lenden-, Kreuzbeinwirbel) 28 beträgt, das Steißbein sich aus 7 Wirbeln entwickeln, wobei die allgemeine Zahl von 35 Wirbeln festgehalten wird. Man darf also schließen, dass bei 7 Wirbeln das Steiß- bein (der Schwanz) des Embryos länger sein wird, als bei 5 Wirbeln. — Der Schluss, dass entsprechend der Umbildung der Wirbelsäule der embryonale Schwanz (das Steißbein) sich verlängern muss, führt zu wei- teren Schlüssen: die Verlängerung des embryonalen Steißbeins ist eine progressive Erscheinung, sodass beim Embryo des Urmenschen der Schwanz wahrscheinlich kürzer war als beim Embryo des jetzigen Menschen. Dies Tscehugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule 5 399 giebt uns Veranlassung, anzunehmen, dass das tierische Wesen, aus dem der jetzige Mensch hervorging, mindestens einen ebenso großen Schwanz besaß, wie der jetzige Mensch. Wenngleich der Schwanz des heutigen Menschen sich aus einer größeren Zahl von Wirbeln gebildet hat, als der Schwanz bei der Formel einer vorausgehenden Wirbelsäule, so ist dadurch die Länge des Schwanzes bei Erwachsenen nicht gewachsen; der Schwanz des heutigen Embryo des Menschen kann länger sein als der Schwanz des Embryo des früheren Menschen. Jedenfalls darf man einen langen Embryonalschwanz nicht als ein Zeichen der Abstammung des Menschen von „geschwänzten Voreltern“ ansehen. — Es folgen nun einige Zahlentabellen und eine Tabelle, die graphisch die Hypothese des Verfassers erläutern soll — das kann man hier nicht wiedergeben. — Ehe ich zum Bericht über den dritten Abschnitt der Abhandlung schreite, muss ich eine nebensächliche anatomische Bemerkung des Ver- fassers hervorheben, die ich bei der allgemeinen Darstellung seiner Hy- pothese fortgelassen habe. Die anatomische Bemerkung, die ich im Sinne habe, hat in der Beschreibung der untersuchten Wirbelsäulen Platz gefunden. Der Verfasser sagt am Schluss der Beschreibung der ersten zehn Wirbelsäulen: der 6. Lendenwirbel, oder bei 13 Brustwirbeln, der 5. Len- denwirbel hat am untern Rand des Proc. costarius ein überzähliges Höckerchen, durch dessen Vergrößerung die Verschmelzung dieses Wirbels mit dem Kreuzbein erfolgt. — Dieses Höckerchen ist eine selbständige Bildung und darf nicht ver- wechselt werden mit dem Proc. accessorius der Lendenwirbel. Der Proc. accessorius liegt hinter dem Proc. costarius zwischen ihm und Proc. mamil- laris, dagegen befindet sich der in Rede stehende Höcker am unteren und vorderen Rande des Processus costarius und begrenzt nach oben und nach unten den Eingang in das Foramen intervertebrale. Otto soll 1866!) dieses Höckerchen beschrieben haben, indem er bei einer Verschmelzung des letzten Lendenwirbels mit dem Kreuzbein den Proc. transversus (P. costarius der Lendenwirbel) sich in zwei Fort- sätzen teilen ließ, in einen oberen, den eigentlichen Processus transversus und in einen unteren, den Processus transversus accessorius, der sich mit dem Kreuzbein vereinigt. — Diesen Namen verwirft Tschugunow und schlägt vor, das Höckerchen wegen der Vereinigung mit dem Kreuzbein alstuberculum conjugulum zu bezeichnen — schon um Verwechselungen mit dem oben erwähnten bekannten Processus accessorius zu vermeiden. (Gegen die Wahl einer andern Bezeichnung als die Otto’sche Be- zeichnung ist gewiss nichts einzuwenden, doch sind gegen den Ausdruck — tuberculum conjugulum bei dem Referenten mancherlei Bedenken rege geworden.) Der 3. Abschnitt der Abhandlung führt den Titel „Anthropolo- gische und vergleichend-anatomische Beweise der Evolutionstheorie der Wirbelsäule und Einwendungen gegen die Hypothese“. Der Verfasser sagt! Wenn die hier auseinandergesetzte Hypothese 1) Monatsschrift für Geburtskunde. Berlin 1866. S. 81—135. 400 Tschugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule. über die Umbildung der menschlichen Wirbelsäule zu Recht bestehen soll, so müssen durch die anthropologischen 'T'hatsachen diejenigen Formeln der Wirbelsäule bestätigt werden, die oben als die ältesten und als die Uebergangsformen von den älteren zu den gegenwärtigen Formeln aner- kannt worden sind. Diese Formeln sind folgende: ee Pe — 13107, + Sn, a UHR ee — ee + 64% —- a —— EU RE + 12 » + ö „ + 6 Zu 30 „ Giebt es einen Hinweis darauf, dass diese Formen der Wirbelsäule bei dem menschlichen Skelett aus frühen Zeiten überwiegen ? Es ist nicht möglich, alle Einzelheiten aus den litterarischen Quellen, die der Verfasser herbeizieht, hier aufzuführen; ich muss mich begnügen, seine Ergebnisse herzusetzen. Er kommt zu dem Schluss, dass alle That- sachen und alle Erwägungen seine Hypothese bestätigen. Weiter prüft der Verfasser seine Hypothese in vergleichend ana- tomischer Hinsicht. Er unterwirft die Skelette einiger Primaten und anderer Säugetiere, sowie einzelner niedriger Wirbeltiere einer sorgfältigen Untersuchung, ob sich auch hier eine Bewegung der Extremitätengürtel von hinten nach vorn entsprechend der horizontalen Körperlage konstatieren lasse. Er führt eine große Menge von Einzelheiten an und glaubt sich zu dem Ausspruch berechtigt, dass auch bei Wirbeltieren eine derartige Vorwärtsbewegung der Extremitäten (beim Menschen Aufwärtsbewegung) sich feststellen lasse. Referent ist auch hier, wie oben, außer Stande, alle vergleichend anatomischen Einzelheiten, die der Verfasser zur Unterstützung . seiner Theorie ins Feld führt, wiederzugeben. Zum Schlusse macht der Verfasser die Bemerkung, dass von Seiten der Anthropologen auf die Frage nach der Formel der Wirbelsäule des vorhistorischen Menschen die Aufmerksamkeit sehr wenig gerichtet ge- richtet gewesen ist. Er meint, dass neben den andern abweichenden Bil- dungen, am Schädel und an den Extremitäten, auch die Wirbelsäule in Betracht gezogen werden müsse. Die Hypothese Tschugonows hat sofort den Widerspruch eines andern Tomsker Gelehrten, W. P. Anikin, erregt (103). Er weist vor allem auf die Dürftigkeit des von Tschugunow verwerteten vergleichend- anatomischen Materials hin und ferner darauf, dass dies Material eine andere wissenschaftliche Bedeutung als das zunächst verwertete reiche menschliche Material habe. | Dann wirft er die Frage auf: von was für einer Evolution der Wirbelsäule redet eigentlich Tschugunow? Hat er eine allmähliche Entwickelung der Wirbelsäule in der ganzen Reihe der Wirbeltiere im Auge oder nur die Veränderung der Wirbelsäule ein und derselben Art? Er meint, Tschugunow habe die phylogenetische Umbildung der Wirbelsäule im Auge, denn Tsehugunow spreche von „der Herkunft des Menschen“; an einer andern Stelle von der primitiven 'Tierform — welche den gegenwärtigen Menschen erzeugten — er bezieht sich auf die vergleichend-anatomischen Thatsachen. — Tschugunow u. Anikin, Ueber die Umbildung der Wirbelsäule, 401 Da Tschugunow aber sein Gesetz und seine Hypothese auch auf die Tiere übertragen wissen wolle, so hätte er — meint Anikin — auch für die einzelnen Tierarten den Beweis liefern müssen, wie er für den Menschen den Beweis zu liefern bestrebt gewesen ist. Dann erst hätte Tschugunow ein Recht gehabt, von einem Parallelismus der Evolution der Wirbelsäule bei Menschen und Tieren zu reden. Aber hier sei eine Lücke in den Untersuchungen Tschugunow’s vorhanden. — Bestätigen nun aber die vergleichend anatomischen Thatsachen wirk- lich die aufgestellte Hypothese? Anikin ist zur Ergebnis gelangt: nein! Die Schlüsse, die Anikin aus einer Verwertung des vergleichend -ana- tomischen Materials in Betreff der Frage nach der phylogenetischen Bil- dung des Skeletts und der Wirbelsäule zieht, sind denen Tschugunow’s entgegengesetzt. Anikin’s Schlüsse lauten: 1. a) Ein Gesetz der Assimilation der höher gelegenen Wirbel an die niedriger gelegenen existiert nicht; wohl aber besteht eine gegen- seitige Assimilation der Wirbel der benachbarten Abteilungen. b) Gleichzeitig mit der fortschreitenden Organisation der Wirbeltiere geht das Bestreben einher, die Zahl der Halswirbel zu vermehren und die Zahl der Rippen zu verringern. Die Rippen können sich mit dem Schultergürtel längs der Wirbelsäule nach vorn oder nach hinten ver- schieben. Im Allgemeinen rückt der Schultergürtel nicht dem Kopf näher, sondern entfernt sich von ihm. c) Auch der Beckengürtel kann sich längs der Wirbelsäule ver- schieben, und zwar völlig unabhängig von der Bewegung der Rippen und des Schultergürtels. 2. Das Auftreten von Halsrippen, sowohl in der Anlage als von voll- kommen ausgebildeten an den Halswirbeln höherer Wirbeltiere ist eine atavistische Erscheinung, eine Rückkehr zum Typus der Wirbelsäule niedriger und früherer Wirbeltiere. 8. Der Typus des Brustteils der Wirbelsäule der Wirbeltiere ist sehr veränderlich. 4. Es ist unmöglich, Beweise dafür zu liefern, dass ein Schwanz sich in Folge der Bewegung des Beckengürtels in der Richtung zum Kopf bilden kann. In Betreff des Schwanzes kann man sagen, dass die Länge desselben weder abhängig ist von der Entwickelung der Organisation, noch von der Vorwärtsbewegung des Beckengürtels. In allen Wirbeltier-. klassen giebt es Arten mit langem und kurzem Schwanz sowie schwanzlose. Schließlich wirft Anikin dem Tschugunow vor, dass letzterer das biologische Gesetz Häckels nicht recht verstanden habe. Tschugu- now soll das Gesetz so verstanden haben, als ob eine Verringerung der Zahl der gleichartigen Wirbel einen Fortschritt in der Wirbeltier- Organisation bedeute, d. h. je weniger Halswirbel in einer Wirbelsäule vorkommen, um so höher stehe ein Tier im zoologischen System; — da- nach müsste ein Frosch die höchste Stufe einnehmen. Aber das habe Häckel gar nicht gemeint, vielmehr sei Häckel’s Ansicht: eine Ver- ringerung der Zahl der gleichartigen Wirbelelemente sei nur dann ein Zeichen des fortschreitenden Organismus, wenn gleichzeitig damit eine Vermehrung der Zahl der ungleichartigen Elemente eintrete, wie z. B. im Halsteil der Wirbelsäule der Schildkröte. Mit andern Worten: je weniger gleichartige, je mehr verschiedenartige Elemente in einer Wirbel- XVIIL, 26 402 Lorenz, Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. säule sich befinden, um so vollkommener ist der Organismus. In diesem Sinne schließt das Gesetz Häckel’s die Möglichkeit einer fort- schreitenden Organisation auf dem Wege einer Vermehrung der Zahl gleichartiger Elemente keineswegs aus. — Man darf keineswegs behaupten, dass die Verringerung der Zahl gleichartiger Wirbelelemente einen Fortschritt des betreffenden Organis- mus gleichkomme. Ein langer Schwanz, der durch Vermehrung der Zahl der Wirbel entstanden sei, ist unzweifelhaft ein vollkommeneres Organ, als ein kurzer, — man erinnere sich dabei der Affen. Der Wirbelab- schnitt — „Schwanz“ kann sich verlängern — ganz unabhängig von der Verschiebung des Extremitätengürtels und unabhängig von dem allgemeinen Gang der Entwickelung des Organismus. [44] L. Stieda (Königsberg i. Pr.). O. Lorenz, Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie. Stammbaum und Ahnentafel in ihrer geschichtlichen, sociologischen und natur- wissenschaftlichen Bedeutung. 8. IX und 489 Stn. Berlin. Wilhelm Hertz. (Besser’sche Buchhandlung.) 1898. Der in Fachkreisen und auch als geistvoller Schriftsteller über die- selben hinaus bekannte Historiker Ottokar Lorenz (Professor der Ge- schichte in Jena) bietet in diesem Buche manches, was seine Besprechung in dieser, den Naturwissenschaften gewidmeten Zeitschrift vollauf recht- fertigt. Die Genealogie ist zwar eine historische Wissenschaft, ihre Grund- lage aber, die elterliche Abstammung, beruht auf naturwissenschaftlicher Basis. Und die Methoden und Probleme, welche sie behandelt, haben für den Naturforscher so viel Belehrendes, dass alle, welche Probleme der Vererbung, Fortpflanzung u. dergl. behandeln, von dem Historiker lernen können, welcher reichlich das, was er den Naturwissenschaften auf diesem Gebiete verdankt, mit guten Zinsen heimzahlt. In der Einleitung Pt L. die Genealogie als Wissenschaft und bespricht dabei unter anderm ihr Verhältnis zur Naturwissenschaft, ins- besondre zur Zoologie, Physiologie, Psychologie und Psychiatrie. Der erste Teil behandelt die Lehre vom Stammbaum, der zweite die Ahnen- tafel. Den Biologen wird besonders die Lehre von der Stamm- und Ahnentafel interessieren. Verfoigt man die Abstammung eines Menschen aufwärts, so kommt man zu zwei Eltern, vier Großeltern, acht Urgroß- eltern u. s. f. mit jeder aufsteigenden Generation zu einer Zahl gleich der doppelten der vorhergehenden. Die vollständige Aufzählung dieser Personen bildet den Inhalt der Ahnentafel. In dieser können einzelne Nummern ausfallen, entweder weil sie unbekannt sind oder weil dieselbe Person (wegen Verwandten-Ehen) mehrmals erscheint. Diese „Ahnen- verluste* werden an der Ahnentafel Kaiser Wilhelm’s II. als Beispiel erläutert. Sie weist in der vierten Ahnenreihe statt 16 nur 14 Personen auf, da Ernst I, Herzog von Koburg und die Mutter der Königin Viktoria Geschwister waren. Dann aber steigen die Verluste derart, dass in der 12. Reihe statt der theoretischen Zahl von 4096 nur 275 Personen nach- weisbar sind. Sieht man aber auch ganz von der namentlichen Nachweisbarkeit ab, welche ja nur in seltenen Fällen und immer nur für eine Anzahl von Genera- | Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge, 403 tionen möglich sein wird, so hat das Problem eine allgemeine wissenschaft- liche Bedeutung. Rechnet man auf ein Jahrhundert 3 Generationen, so hat jeder heut lebende Mensch vor etwa 1000 Jahren (in seiner 30. Ahnen- stufe) 2°° — 1072 Millionen Ahnen. Die gesamte Bevölkerung der Erde reicht also nicht aus, um alle Ahnen der jetzt lebenden Menschen zu decken. Daraus folgt unmittelbar, dass zahlreiche „Verwandten-Ehen“ im allgemeinsten Sinne stattgefunden haben müssen. Dasselbe gilt natür- lich für alle Tiere (und Pflanzen) mit geschlechtlicher Zeugung. Dies führt naturgemäß zur Frage nach der Bedeutung der Inzucht, sowie zu Untersuchungen über Variabilität und Vererbung, welche der dritte Teil behandelt. Hier werden gewisse Irrtümer nachgewiesen, denen man häufig in naturwissenschaftlichen, namentlich medizinischen (besonders psychia- trischen) Werken begegnet. Wenn z. B. zur Feststellung „erblicher Be- lastung“ die Bemerkung gemacht wird, ein Onkel sei geistig anormal gewesen, so kann dies, da der Onkel bei der Zeugung unbeteiligt ist, doch nur den Sinn haben die Vermutung nahe zu legen, dass einer der gemeinschaftlichen Vorfahren, also der Großeltern oder deren Vorfahren, den Keim der Krankheit schon gehabt habe. Dass Inzucht an sich, ja sogar häufige Geschwisterchen, nicht unbedingt zu Degeneration führen müsse, wird u. a. durch die Geschichte der Ptolemäer belegt. Wie solche Untersuchungen wirklich anzustellen sind, wird an der Ahnentafel des Infanten Don Carlos gezeigt, bei welchem die Urgroßmutter Johanna die Wahnsinnige in der dritten Ahnenreihe zweimal erscheint (als Mutter Karls des Fünften, also des väterlichen Großvaters, und als Mutter der Katharina von Oesterreich, der mütterlichen Großmutter), während die geistig ebenfalls abnorme Isabella von Castilien, die Mutter der Johanna, in der vierten Ahnenreihe viermal vertreten ist. Ich kann in dieser Anzeige des Buches natürlich nicht auf alle Einzelheiten eingehen. Ich beschränke mich deshalb auf diese Andeu- tungen und empfehle, indem ich nochmals die lehrreichen Auseinander- setzungen über Inzucht hervorhebe, von deren angeblich schädlichen Wirkungen namentlich die Mediziner oft übertriebene Vorstellungen hegen, das ganze Buch dem eingehenden Studium aller, die es angeht. Und das sind in erster Linie alle Biologen. J. Rosenthal. [57] G. H. Th. Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. Entstehung der Arten, I. Teil, zugleich eine Erwiderung an August Weis- mann unter Mitwirkung von Dr. C. Fickert. Die „Orthogenesis der Schmetterlinge“ bildet den zweiten Teil der von Eimer im Jahre 1883 veröffentlichten „Entstehung der Arten“ I. Der Verfasser hat es sich in diesem neuen Werk zur Aufgabe gemacht, seine in jenem Buche niedergelegten Theorien über Artbildung an besonderen Beispielen eingehend zu erörtern und die dort aufgestellten Annahmen durch weitere Untersuchungen und durch den Beweis des Experimentes zu stützen. Das vorliegende Buch bildet aber gleichzeitig eine Folge der vom Verfasser seit vielen Jahren un- ermüdlich fortgesetzten Forschung auf dem interessanten Gebiete der Tierzeichnung und schließt sich in seinem spezielleren Teil zunächst 26* 404 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. an die unter dem Titel „Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen“ 1889 und 1895 herausgegebenen Abhand- lungen über Papilioniden an. Die Arbeit zerfällt, neben einer allgemeinen Einleitung und einer übersichtlichen Zusammenfassung der Hauptergebnisse am Schluss des Werkes in zehn gleichartige Abschnitte. Die Einleitung und die beiden ersten Abschnitte sind theoretischen Fragen gewidmet, die sieben fol- senden Kapitel führen uns die Erscheinungen des „Organischen Wachsens“ der „Organophysis“ oder „Morphophysis“ vor Augen und der letzte Abschnitt lehrt uns die treibenden Kräfte dieses organischen Wachsens, die äußeren Einflüsse als die Ursachen der Artbildung kennen. | Die allgemeine Einleitung macht den Leser mit den grundlegenden Anschauungen Eimers über die Gestaltung der Lebewelt bekannt, indem sie in wenigen Sätzen alles Wesentliche der schon im ersten Teil der „Entstehung der Arten“ niedergelegten Theorie vom organischen Wachsen zusammenfasst: „Nach meinen Untersuch- ungen ist das von beständigen äußeren Einflüssen, Klima und Nahrung, auf das Plasma bedingte organische Wach- sen (Organophysis), dessen Ausdruck wiederum die be- stimmt gerichtete Entwicklung (Orthogenesis) ist, die hauptsächlichste Ursache der Transmutation und ihre stellenweise Unterbrechung, ihr zeitweiser Stillstand (Genepistase) die hauptsächlichste Ursache der Trennung der Organismenkette in Arten. — Bedeutende Abänderungen der aus dieser bestimmt gerichteten Entwicklung hervorgehenden Gestal- tung können Gebrauch und Nichtgebrauch der Teile erzeugen (Lamarckis- mus), andere die natürliche Auslese oder Zuchtwahl (Darwinismus). Die letztere aber erscheint aus zu erörternden Gründen für die Gestaltung der Lebewelt von der geringsten Bedeutung.“ Die Eimer’sche Orthogenesis steht somit im Gegensatz zur Darwin’schen Zuchtwahl, in noch schrofferem Gegensatz aber zu den Lehren, wie sie heute noch von vielen vermeintlichen Nachfol- ger Darwin’s vertreten werden. Was Darwin als Hauptagens für die Transmutation der Formen aufstellt, wird hier zum neben- sächlichen Faktor, was Darwin unerklärt lässt — die letzte Ursache der Variabilität — tritt hier in den Mittelpunkt der Be- trachtung und zeigt sich als die treibende Kraft, welche gesetzmäßig wirkend Entstehung und Rückbildung der Formen regelt. Dieser Unterschied in den beiden Anschauungen musste entstehen, weil Darwin einerseits sein Interesse ausschließlich der Umbildung schon nützlicher Eigenschaften, Eimer das seinige der Umbildung noch nicht nützlicher Variationen zugewandt hat und weil Dar- win überhaupt nicht die Art des Variirens berücksichtigt, deren ‚Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 405 Beobachtung, wie Eimer zeigt, zu der notwendigen Annahme bestimmt gerichteter Entwicklung führt. Am meisten Aehnlichkeit hat die Lehre von der Orthogenesis mit den Auffassungen Nägeli’s, der ebenfalls eine bestimmt gerichtete Entwicklung der Organismen annahm, wenn auch nur hypothetisch. Die beiden Theorien können aber deshalb nicht identifiziert werden, weil Nägeli als die Ursache dieser bestimmt gerichteten Variation eine den Organismen innewohnende Neigung zur Vervollkommnung — innere Bildungsgesetze — voraussetzt. Die Eimer’sche Lehre vom organischen Wachsen hat mit den älteren Entwicklungs- theorien wohl einzelne Punkte gemeinsam, in ihren Grundanschauungen sowie in ihrem Ausbau nimmt sie aber, wie wir im Folgenden sehen werden, eine vollkommen selbständige Stellung ein. Ihre Entstehung verdankt die neue Entwicklungslehre der scharfen Beobachtung und der richtigen Würdigung von Thatsachen auf dem Gebiete der syste- matischen Forschung. „Zur Entscheidung der Frage der Ent- stehung der Arten“ sagt Eimer in seinem Leydner Vortrag, der seinen heutigen Standpunkt wiedergebend im wesentlichen den Inhalt des ersten Abschnittes des vorliegenden Werkes bildet, „ist vor allem die genaue Kenntnis der Eigenschaften der Arten, die ge- naue Kenntnis ihres Abänderns: der Abartung (Aberratio) und der Abänderung (variatio) notwendig.“ Sämtliche in diesem Sinne ausgeführten Arbeiten Eimer’s, seiner Schüler und anderer Forscher, haben zu dem Schlusse geführt: „Es ist nicht alles angepasst.“ Noch mehr, es wurde an verschiedenen Beispielen gezeigt, dass solche Eigenschaften entstehen, die ihren Trägern nicht nur nicht nützlich, sondern sogar schädlich sind und mit der Zeit zum Untergang ganzer Gattungen geführt haben. (Stacheln der Ammoniten, übermäßige Ausbildung der Geweihe ausgestorbener Hirscharten ete.) Solche Eigenschaften konnten wohl schwerlich unter dem Einfluss der Zuchtwahl entstanden sein, sie waren aber vorhanden und mussten eine Entstehungsursache haben. Neben diesen oft geradezu nachteiligen Variationen giebt es aber auch eine Menge Abänderungen, welche weder schädlich noch nütz- lich sind und schließlich stellte es sich heraus, dass später wirklich nützliche Eigenschaften in ihren Anfängen meist vollkommen in- different waren für das Wohl und Wehe ihres Trägers. Wollten wir uns gegenüber den beiden ersten Einwänden mit der Erklärung begnügen, dass schädliche beziehungsweise indifferente Eigenschaf- ten entstehen und bestehen können, wenn damit korrelativ Ab- änderungen verbunden sind, die in ihrem Nutzen den auf der anderen Seite verursachten Schaden aufwiegen oder übertreffen, so müsste uns schon aus dem letzten Punkt, der eine Erklärung für die Entstehung der später nützlich werdenden Eigenschaften verlangt, an 406 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge, der Hand der Darwin’schen Theorie ein unüberwindliches Hindernis erwachsen. Damit aber kommen wir zu der Erkenntnis, dass die natürliche Zuchtwahl nicht alle Variationen beherrscht und selbst die ihr später unterworfenen erst von einem bestimmten Zeitpunkt an ergreifen kann. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen also andere Kräfte thätig sein, dieselben, welche die indifferenten und schädlichen Abänderungen hervorrufen. Ist es nun wahrscheinlich, dass diese für das erste Entstehen offenbar aller Eigenschaften ursächlichen Mittel plötzlich zu wirken aufhören, dass sie, nachdem sie das schwerste Stück Arbeit vollbracht, etwas Neues geschaffen haben, ihren Einfluss plötzlich verlieren und das Produkt ihrer Thätigkeit der natürlichen Zuchtwahl unbedingt preisgeben ? Dies wäre denkbar, wenn sich die ersten Abänderungen zufällig d.h. außerhalb jedes gesetzmäßigen Zusammenhanges vollziehen würden. Einer solehen Annahme widersprechen aber die Thatsachen. Die Forschung lehrt, dass alle Eigenschaften, nützliche, in- differente oder schädliche, sieh von ihrem ersten Auftre- ten an in gesetzmäßiger Weise entwickeln, dass sie be- stimmte und zwar wenige bestimmte Richtungen ein- schlagen, und dass sich dieser Gesetzmäßigkeit nicht ein- mal die feinsten nur mit der Lupe sichtbaren Merkmale entziehen. Diese Thatsache allein erschüttert schon vollständig die Grundlage der Darwin’schen Lehre, denn die letztere muss stets die verschiedensten Abänderungen bereit haben, wenn die Zuchtwahl bei der Gestaltung der Formen maßgebend werden soll. Das ein- gehende Studium der Formen lehrte aber nicht nur die bestimmt gerichtete Entwicklung, die Orthogenesis als den Ausdruck der Trans- mutation kennen, es gab auch den notwendigen Aufschluss über die Ursachen der Umbildung der Lebewelt und über die Ursachen der Trennung der Organismenkette in Arten. Die Ur- sachen der Transmutation sind bekanntlich nach Eimer’s An- schauung dieselben, welche das ontogenetische Wachstum der For- men hervorrufen. Sie liegen in der Einwirkung äußerer Einflüsse, Klima, Nahrung — auf die gegebene Konstitution des Organismus. Die Konstitution, die stoffliehe Zusammensetzung des Körpers ist es, welche das bestimmt gerichtete Abändern bedingt, ein allseitiges Variieren verhindert. Indem durch die Einwirkung äußerer Einflüsse die Konstitution der Organismen allmählich verändert wird, erlangen dieselben physiologische Eigenart, sie werden auf äußere Einflüsse mehr und mehr eigenartig antworten und den Ausgangspunkt neuer Ent- wicklungsrichtungen bilden. Die Entwicklungsrichtungen entstehen somit unabhängig vom Nutzen, sie bilden den Ausdruck physio- logischer Vorgänge und verlaufen mit Notwendigkeit wie das onto- genetische Wachstum in bestimmten Bahnen. Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 407 Nachdem Standfuss u. A. durch Einwirkung von Wärme und Kälte auf Schmetterlingspuppen fast ganz dieselben Schmetterlings- abarten erzielt haben, welche als Wärme- bezw. Kälteformen in der freien Natur erscheinen, und nachdem Standfuss Abarten erzeugt hat, welche vollkommen den Arten entsprechen, deren Entstehung ihrem geographischen Vorkommen zufolge unzweifelhaft auf klima- tische Ursachen zurückzuführen ist, kann die Einwirkung der äußeren Verhältnisse auf die Gestaltung des Organismus kaum mehr be- zweifelt werden. Aus denselben Versuchen geht aber auch hervor, dass die auf Grund äußerer Einflüsse erworbenen Eigenschaften ver- erbt und zu Art- oder Abartmerkmalen werden können. Weiter unten soll dieser für die ganze Eimer’sche Theorie hochwichtige Punkt noch näher erörtert werden. Für die in der geschilderten Weise orthogenetisch verlaufende Umbildung der Formen lassen sich verschiedene Entwicklungsgesetze aufstellen, welche von Eimer zuerst für die Zeichnung der Schmetterlinge abgeleitet wurden, die aber ebensogut für andere morphologische Eigenschaften gelten. Ich will hier nur kurz, soweit es für das Verständnis des folgenden nötig ist, auf dieselben verweisen, eingehender habe ich diese Gesetze in mei- nem Bericht über Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen (Chbl. Bd. XVII, Nr. 5 und 6) besprochen. Die von Eimer aufgestellten Gesetze sind: 1. Das allgemeine Zeichnungsgesetz: Umbildung von Längsstrei- fung in Fleckung, Querstreifung und Einfarbigkeit. 2. Das Gesetz der postero-anterioren, der supero-inferioren oder infero-superioren Entwicklung: Die Zeichnungen bezw. auch andere morphologische Eigenschaften treten in der genannten Reihenfolge auf dem Tierkörper auf und verschwinden in gleicher Weise. 3. Das Gesetz der männlichen Präponderanz: das Männchen geht dem Weibchen in der Entwicklung meist voraus. 4. Weibliche Präponderanz. 5. Alterspräponderanz: Neue Eigenschaften treten zuerst im onto- genetischen bezw. im phyletischen Alter auf. 6. Das Gesetz der wellenförmigen Entwicklung: In der Ontogenie wie in der Phylogenie laufen über den Tierkörper eine Anzahl Um- bildungen in bestimmter Reihenfolge hinweg. 7. Das Gesetz der unabhängigen Entwicklungsgleichheit oder Homoeogenesis: Beiverschiedenen nicht unmittelbar verwandten Formen können dieselben Entwicklungsriehtungen zu ähnlicher Gestaltung führen. 8. Das Gesetz der verschiedenstufigen Entwicklung oder Heter- epistase: Verschiedene Eigenschaften eines Individuums können sich nach verschiedenen Richtungen in verschiedenem Grade entwickeln. 408 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. | 9. Das Gesetz der einseitigen Entwicklung oder Amiktogenesis: Die Nachkommen eines Elternpaares stellen meist keine vollkommene Mischung beider Formen dar, sie pflegen nach der einen oder andern Seite zu überwiegen. 10. Das Gesetz der Entwieklungsumkehr oder Epistrephogenesis: Die Entwicklungsrichtungen können umkehren und zum Ausgangspunkt zurückführen. 11. Das allgemeine Beharrungsgesetz oder der Entwicklungsstill- stand, Epistase: Die Entwicklung bleibt oft lange Zeit auf einer be- stimmten Stufe stehen. Dadurch aber, dass eine größere Individuen- zahl in einer Entwicklungsrichtung vorschreitet, während andere zurückbleiben, entstehen neue Arten. Die Beweise für diese die Artbildung leitenden Gesetze, sind NT. lich in den Untersuchungen Eimer’s über die Artbildung und Ver- wandtschaft bei den Schmetterlingen enthalten, ich verzichte hier auf eine nähere Ausführung derselben, da ich diesbezügliche Thatsachen in meinem oben zitierten Referat bereits eingehend besprochen habe. Während die Einleitung und das erste Kapitel der Orthogenesis der Schmetterlinge uns einen Ueberblick über die Theorien Eimer’s und sein Beweismaterial geben sollen, ist der zweite Ab- schnitt des Buches der kritischen Besprechung der von Weismann aufgestellten Lehre von der Germinalselektion gewidmet, welche von dem wissenschaftlichen Gegner Eimer’s in das Feld geführt wurde, um die mehr und mehr wankende Lehre von der Herrschaft des Nutzens noch einmal zu befestigen. Die Häufung von Thatsachen zwangen Weismann immer dringen- der anzuerkennen, dass 1. die Eigenschaften am Anfang ihrer Ausbildung nicht nützlich sein, 2. dass die Zweckmäßig- keiten der Organismen nicht durch zufällige Variationen zu Stande kommen können. Er glaubt nun den Haupt- und Fundamentaleinwurf, die Selektion sei unfähig, die Variationen, mit welchen sie arbeite, zu schaffen durch die Einsicht zu beseitigen, dass eine Germinalselektion bestehe. Weismann nimmt an, dass die im Keime enthaltenen „Determinanten“ derjenigen Eigenschaften, welche in der Züchtung begriffen sind, besser ernährt werden, als die übrigen und deshalb um so kräftiger werden, je weiter die Züchtung fortgeschritten ist. Der Kampf der Teile im Organismus wird hier in die Keimzellen übertragen, und die bestimmt gerichtete Varia- tion ist ein Produkt dieses Kampfes, in dem wieder die Auslese ob- siegen soll!). Das folgende Beispiel wird diese Auffassung veran- 1) Es ist nicht uninteressant, dass Weismann im Jahre 1893 noch von einem Kampf der Determinanten in der Keimzelle nichts wissen wollte, den in jener Zeit Galton’s Theorie von dem Mechanismus der Ontogenese ver- treten hat. Nach Weismann waren damals, worauf ur großen Wert legte, Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 409 ‚schaulichen: „Es soll ein auf der Unterseite brauner mit Blattrippen versehener, auch in der Form blattähnlicher Falter entstehen wie die Kallima“. Braune Farbe, Blattrippen und Blattform der Flügel sind in den Biophoren bezw. Determinanten des Keimes des neuen Organis- mus enthalten. Alle diese Eigenschaften sind in ihrer Zusammen- stellung zum Blatt-ähnlichen Flügel für den Schmetterling nützlich und werden von denjenigen Faltern, welche dieselben in einer ge- nügenden Ausbildung besitzen, um durch sie im Kampf ums Dasein geschützt zu werden, auf die Nachkommen d. h. auf den Keim der nächsten Generation übertragen. Nun sollen die ausgelesenen Eigen- schaften, welche auf den Keim der Nachkommen übertragen werden, stets auch kräftigere Determinanten haben und die schwächeren, welche nicht angepasste Eigenschaften darstellen, verdrängen. Der Grund dieser Ueberlegenheit wird uns indessen nicht erläutert. Warum soll das Nützlichere auch das Kräftigere sen? Aber noch mehr, wird durch diese ganze Auffassung Weismann’s der Einwurf beseitigt, der der Auslese ihre Wirksamkeit bei dem ersten Entstehen von Eigenschaften abspricht? der immer und immer wieder hervorhebt, dass die Zweckmäßigkeiten der Organismen nicht durch zufällige Variationen entstehen können? Die. Germinalselektion vermag weder für das eine noch für das andere eine befriedigende Antwort zu geben. Sie vermag wohl die Herrschaft des Zufalls an die äußerste Grenze des der Auslese jetzt bis in den Keim hinein erweiterten Wirkungs- kreises zu verdrängen, sie giebt uns aber keinen Aufschluss darüber, warum bei dem ersten Träger der schützenden Eigenschaften diese gerade in der einen nützlichen Zusammenstellung auftreten und warum in keiner anderen. Auch die Annahme, die Determinanten der nütz- lichen Eigenschaften seien kräftiger als die der weniger angepassten die Vorgänge im Keime durch eine friedliche Reihenfolge von Stadien charakterisiert, welche „vom Keime an aufwärts zum voraus bestimmt sind“. Romanes (Eine kritische Darstellung der Weismann’schen Theorie, deutsch von Dr. Karl Fiedler, Leipzig, Engelmann) findet diese Annahme eines friedlichen Verlaufs der Entwicklung im Keime fast unglaublich, da das Prinzip der Auslese, das den Begriff eines Kampfes bedingt, überall sonst die bestimmende Ursache der Entwicklung sei. Wir haben, wie Romanes betont, nicht nur Kampf ums Dasein, soweit die Entstehung der Arten in Be- tracht kommt; Roux hat in seinem bemerkenswerten Buche „Der Kampf der Teile im Organismus“, gezeigt, dass das Prinzip des Kampfes, des Vaters aller Dinge, in ähnlich umfassender Ausdehnung für alle die Teile gilt, welche ein einzelnes Individuum zusammensetzen. Weismann tritt somit im Jahre 1893 gegen eine Germinalselektion auf, die von Galton angenommen wurde, seine Ansichten haben sich heute zu Gunsten Galton’s geändert, und zwar so gründlich, dass der frühere Gegner der Germinalselektion sich jetzt selbst das Verdienst zuschreibt, das Prinzip des Kampfes auch für die Ent- wicklung des Keimes aufgestellt zu haben. 410 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. ist rein hypothetisch und nur deshalb aufgestellt, um der vom Urheber der Germinalselektionstheorie stets bekämpften Anerkennung der Ver- erbung erworbener Eigenschaften aus dem Wege zu gehen, d. h. um deren Thatsachen die immer deutlicher reden auch vom Standpunkt des Neudarwinismus aus vertreten zu können. Es ist ein merkwürdiger Zufall, dass Weismann hier in seinem neuesten Werk der Germinal- selektion mit einer vor wenigen Jahren noch von ihm selbst bekämpften Lehre!) gegen eine Anschauung auftritt, die er ehemals selbst ver- treten hat. Es würde in dem Rahmen eines Referates zu weit führen, wenn ich auf die theoretischen Ausführungen Weismann’s und auf deren kritische Beleuchtung von Seiten des Verfassers noch näher ein- gehen wollte, ich gehe jetzt zu dem spezielleren Teil des Werkes über, in dem uns an Beispielen gezeigt wird, wie die Orthogenesis allmäh- lich und sicher zu den merkwürdigsten Gestaltungen überführt, deren Zustandekommen durch Selektion vergeblich zu erklären versucht wird. Unter allen Schmetterlingen ist wohl die Gruppe der Blatt- schmetterlinge am besten geeignet, in dem Beschauer Gedanken an Mimiery oder Schutzfärbung zu erwecken. Niemand dürfte fürs erste glauben, dass die Zeichnung einer Kallima, welche, wenn mit einiger Kunst an einem Zweige befestigt auf verblüffende Weise ein Blatt vortäuscht, sich aus Elementen aufbaut, die wir in der Zeichnung unseres Papilio podalirius wiederfinden, dessen elffache Längsstreifung die Grundzeichnung der Tagschmetterlinge im allgemeinen darstellt. Das Zeichnungsschema des P. podalirius findet sich nämlich bei ver- schiedenen Schmetterlingsgruppen erhalten, besonders auf der Flügel- unterseite, welche, wie Eimer nachweist, in ihrer Entwicklung hinter der Oberseite stets zurückbleibt. Es lässt sich nun, wie der Verfasser ausführt, leicht zeigen, wie sich die blattähnliche Zeichnung auf der Unterseite von Schmetter- lingsflügeln entwickelt, und zwar gerade aus jenem Grundschema, wie es die Zeichnung der genannten längsstreifigen Formen aufweist. Es kann sich dabei um homoeogenetische Umbildungen handeln, indem eine ganz ähnliche Blattzeichnung bei nicht unmittelbar ver- wandten Schmetterlingsgruppen entsteht. Unter den Nymphaliden sind es die indischen Kallima- Formen, welche die ausgesprochensten Blattschmetterlinge dar- stellen, bei der afrikanischen Kallima rumia Wester (cf. bb 25) lässt sich die Blattbildung nicht mehr so deutlich erkennen. Die Blattzeichnung besteht aus einer von der Vorderflügelspitze bis zur Hinterflügelspitze reichenden Mittelrippe, welche sich bei Inachis und bei Philarchus auf dem Vorderflügel gabelt. Der dadurch entstehende innere Schenkel entspricht einer innern Seitenrippe des Blattes, an die sich noch zwei (Philarchus) oder drei (Inachis) weitere 1) Vergl. Anm. S. 408. Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge, 411 anschließen. Diese vier Seitenrippen entsprechen nun, wie der Vergleich lehrt, ebensoviel Grundlängsbinden in der Podalirius-Zeiehnung und zwar den Binden IV, V VI, VIILIX und X. Die Mittelrippe des Blattes wird durch die Fortsetzung der Binde IV nach hinten und durch Anfügung der Binde III an den vor- deren sich umbiegenden Teil von IV hergestellt. Die äußern Seiten- rippen, welche das Blatt vervollständigen, setzen sich aus dem hinteren Stück der Binde III und aus Binde II zusammen. Die vorher er- wähnten Augeflecken auf beiden Flügeln bei allen Nymphaliden und ebenso bei andern Tagfaltern deuten stets die Lage der Binde III an, indem sie nach außen von derselben gelegen sind. Neben diesen Schmetterlingen mit vollkommener Blattähnlich- keit giebt es indessen eine ganze Reihe von Nymphaliden, welche nach Art der ersteren gezeichnet sind, aber gar keine oder nur sehr unvollkommene Blattähnlichkeit zeigen. Während die Oberseite der Flügel bei den letzteren meist von den Kallima von Grund aus verschieden ist, sind auf der Unterseite der Flügel Reste der Binden- zusammenstellungen erhalten geblieben, welche in ihrer vollkommenen Ausbildung in Verbindung mit der düsteren Flügelfarbe als Blatt er- scheinen. Bald findet sich eine „Mittelrippe* (Eunonia Lavinia Cram.) auf Vorder- oder Hinterflügel, die aber mit der veränderten Gestalt des Flügels ihre Lage wechselt und in keinem deutlichen Zusammen- hang mit den Seitenrippen steht, bald ist eine blattähnliche Form der Flügel vorhanden, aber die Grundzüge der Blattzeichnung befinden sich auf buntem Grunde, so dass von der Vortäuschung eines Blattes keine Rede sein kann, oder aber es ist die Blattzeichnung nur stück- weise ausgebildet, während die Flügelfarbe der eines Blattes ähnlich ist, so dass die Möglichkeit der Verwechslung mit einem solchen wieder illusorisch ist. Sehr häufig ist also nur eine Flügelhälfte mit einer Blattzeich- nung versehen und wir werden uns fragen müssen, ist die Blattzeich- nung in einem solchen Fall, oder überhaupt in allen genannten Fällen, wo sie nur in Spuren auftritt, im Entstehen oder im Verschwin- den begriffen? Für den ersten Augenblick sollte man meinen, dass sowohl das eine wie das andere mit nahezu gleicher Berechtigung angenommen werden könnte, wenn wir aber die aus den früheren Eimer’schen Untersuchungen gewornenen Ergebnisse zu Hilfe nehmen, wird es klar werden, dass es sich hier nur um Rückbildung handeln kann. Die Blattzeichnung kommt, wie wir gesehen haben, durch eine eigenartige Verschmelzung der ursprünglich über den ganzen Flügel verlaufenden Grundbinden zu stande. Eine Störung der Blattähnlich- keit tritt dann ein, wenn diese Binden, in erster Linie die Blattmittel- tippe oder aber die Seitenrippen sich verkürzen oder ganz schwinden. Ein solches Schwinden der Binden beobachten wir bei einzelnen Formen, 412 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. sowohl der Podalirius- als auch der Machaon-Gruppe, aber niemals als ursprüngliche, stets als höher entwickelte Eigenschaft. Eine sekundäre Verlängerung der Binden ist nirgends zu verzeichnen und scheint mir, wie ich bald nachzuweisen hoffe, überhaupt aus physio- logischen Gründen ausgeschlossen zu sein. Es genügt indessen die häufige Analogie, um die Frage der Rückbildung der Blattzeichnung bei den Nymphaliden und andern Faltern in bejahendem Sinne zu entscheiden. Ich habe im vorhergehenden schon erwähnt, dass für das Auftreten der Blattähnliehkeit die eigenartige Ausbildung der Binden IH und IV auf Vorder- und Hinterflügel ein bedingender Faktor ist. Eine typische Verlagerung ist besonders bei III zu beobachten, welche in den ge- nannten Fällen statt mit dem Flügelrande parallel zu verlaufen, einen meist ziemlich spitzen Winkel mit demselben einschließt. Die Beobach- tung lehrt, dass diese Verlagerung der Binde keineswegs zufällig ist, sondern mit einer ganz bestimmten Form der Flügel im Zu- sammenhang steht, einer Flügelform, welche ihrerseits wieder die Blatt- ähnliche Gestalt des Flügels bedingt. Der eigentümliche Verlauf der Binde III und ihre für die Blattzeichnung so wichtige Stellung zu Binde IV kommt nun dadurch zu Stande, dass der Vorderflügelrand und zwar vorzüglich das zwischen Binde III und IV gelegene Stück wächst, während der der späteren Winkelverbindung beider Binden entsprechende hintere Teil d. h. die Mitte des Vorderflügels im Wachs- tum zurückbleibt. Als Ursache solcher Veränderungen der Flügelform hat sich die Ein- wirkung des Klimas bezw. der Wärme auf die Puppen der Schmetterlinge (Papilio podalirus und Machaon) ergeben: durch Wärme wird dort der Vorderflügel stärker nach der äußeren Flügelader hin aus- gezogen, der Vorderflügelrand verlängert und stärker gebogen. Die- selben Wachstumsverhältnisse sind unter dem Einfluss eines wärmeren Klimas zu beobachten, wie die Flügelgestalt der südlichen Vertreter der genannten Gruppen lehrt. Es wurde bereits erwähnt, dass die Blatt-ähnliche Zeichnung inner- halb der Gruppe der Nymphaliden auf sehr verschiedenen Stufen der Entwicklung stehend angetroffen wird. Dieselbe ver- liert sich durch zahllose Zwischenformen ganz allmählich und ist in ihren Anfängen wieder zu erkennen in den tausend und tausend Glie- dern dieser Gruppe, und zwar bis zu unseren Vanessa- und Apatura- Arten. Meistens ist es, wie wir schon früher gesehen haben, die ver- schiedenstufige Entwicklung, die Heterepistase, welche hier wie überall die Mannigfaltigkeit der Formen erzeugt und für die Artbildung von Bedeutung wird. Von unseren Vanessen haben V. polychloros und V. c-album eine der Binde IV allein entsprechende Mittelrippe. Auch die übrigen vorne vorhandenen Bindenreste erzeugen bei c-album Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 413 den Eindruck von etwas annähernd Blattrippen-ähnlichem, auch die Farbe, die gemarmelte Zeichnung und die Silberflecken erinnern an das Aussehen eines dürren Blattes. Auch bei unsern übrigen Vanessen kommen ähnliche Zeichnungen zu stande und es wäre anzunehmen, dass die Falter dadurch, vorausgesetzt dass sie im Walde fliegen und sich hier auf Blätter niederlassen, einen gewissen Schutz genießen. Diese Annahme ist indessen unzulässig, weil die genannten Schmetter- linge Bewohner des freien Landes sind und sich so niederzulassen pflegen, dass nicht die Unterseite, sondern die Oberseite ihrer Flügel sichtbar wird. Von sehr großem Interesse sind einige Schmetterlinge, welche ebenfalls zu der Gruppe der Nymphaliden gehören, aber vollkommen oder teilweise verkehrte Blattzeichnung zeigen. Am merk- würdigsten ist der südamerikanische Blattschmetterling Coenophlebia Archidona Hew., der, wenn er in natürlicher Stellung sitzt, ein Blatt vortäuscht, dessen Stiel nach oben und dessen Rippen nach unten gerichtet sind. Auch hier sind die eigentümlichen Wachstumsverhält- nisse der Flügel die Ursache der Umgestaltung der Zeich- nung, die unter Umständen, wie aus der Abbildung von Caerois Chorineus Hübn. ersichtlich, zu wahren Verzerrungen der Blattgestalt führen können. Ein hervorragendes Beispiel für die Veränderlichkeit der Blattzeichnung bilden die zahlreichen Varietäten der Doleschallia polibete, welche alle zusammen fliegen, und wie es scheint, ihr Leben in gleicher Weise fristen, ob sie nun durch die Entwicklungsstufe ihrer Flügelzeichnung mehr oder weniger gut angepasst sind. Dieses Bei- spiel zeigt, wie wenig die Auslese für das Zustandekommen der Blatt- zeichnung maßgebend sein kann und giebt uns einen weiteren Ein- blick in die sie bedingenden Entwicklungsrichtungen. Wir haben im Vorhergehenden die große Bedeutung der Binden III und IV für das Zustandekommen der Blattzeichnung kennen ge- lernt, der Verfasser zeigt uns nun im IV. Abschnitt seines Werkes (Die wichtigsten Entwicklungsrichtungen der Tagfalter. Zeichnungs- Typen und Pseudo-Mimiery), dass diese beiden Binden schon dadurch für die Zeichnung der Tagfalter von größter Wichtigkeit sind, dass sie auf dem Flügel bestimmte Felder abgrenzen, denen eine große Bedeutung zukommt. Die beiden Binden III und IV scheiden die Flügelzeichnung in ein Außenfeld, Mittelfeld und Binneu- feld. Das Außenfeld wird in der Regel gebildet durch die ursprüng- lichen Längsstreifen I—III, das Mittelfeld durch den bei Limenitis sibylla L. z. B. als breites weißes Band erscheinenden Zwischenraum zwischen IIIu.IV, das Binnenfeld durch die häufig verschmolzenen nach innen von IV gelegenen Binden der Grundzeichnung. Außen- und Binnenfeld erscheinen meist dunkel, da sie aus den ursprünglichen 414 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. Binden oder deren Elemente gebildet werden, während das Mittelfeld hell zu sein pflegt und bei den Tagfaltern ein weit verbreitetes, sehr charakteristisches Merkmal darstellt. Diese Felderung des Flügels, welche sich aus dem abweichenden Verhalten aus den ursprünglichen Flügelstreifen herleiten lässt, bleibt indessen keineswegs durchaus konstant, d. h. die Ausdehnung der Felder ist eine wechselnde, es kann sogar ein Feld durch das andere verdrängt werden. Am seltensten findet sich z. B. ein Mittelfeld bei Pieriden und Hesperiden, am häufigsten bei Papilioniden, Nymphaliden, Eryeiniden, Lycaeniden, auch bei Satyriden; sogar bei Morphiden, Brassoliden und Danaiden kann es er- halten sein. Ein Binnenfeld ist erst bei den höher entwickelten Pa- pilioniden angedeutet. Die Gestalt und Ausdehnung desselben Mittel- feldes ist naturgemäß von derjenigen der angrenzenden dunkleren Felder abhängig und es giebt Fälle, in welchem es von dem Außen- oder Binnenfeld vollkommen verdrängt wird, so dass der Schmetter- ling düster einfarbig oder schwarz erscheint, andererseits kann sich das Mittelfeld auf Kosten des Binnenfeldes ausdehnen z. B. bei Lime- nitis Daraxa Doubl. vom Himalaja. Aehnlichkeit in Größe und Gestalt des Mittelfeldes bewirkt Aehnlichkeit der Formen, die bisweilen so groß ist, dass man Mimiery annehmen könnte, wenn die betreffenden Falter zusammenleben würden und einer der- selben durch Ungenießbarkeit geschützt wäre (z. B. Limenitis populi, Argynnis Sagana 2 und Tachyris zarinda Boisd.). Es müssen indessen auch die Fälle Erwähnung finden, in welchen ein aus seiner Lage gerücktes Mittelfeld beobachtet wird, wo dasselbe statt zwischen III und IV zwischen IV, V und VI oder IV und IX zu liegen kommt. Ein solches nach innen gerücktes Mittelfeld beobachten wir z. B. bei Vanessa prorsa. Dasselbe gleicht in seiner Gestalt auf- fallend dem der Limenitis Sibylla, zeigt aber, wie aus seiner Lage hervorgeht, einen verschiedenen Ursprung. Wirsehen also, dasssowohlauf gleichem Wege (Homoeo- genesis) als auch auf verschiedenen Wegen Aehnlichkeit in der Zeiehnung nicht blutsverwandterFalter entstehen kann. Es bilden sich auf diese Weise gewisse Typen aus, welche in den verschiedensten Gruppen ihre Repräsentanten finden, ohne dass an mimetische Beziehungen auch nur gedacht werden könnte. Der Mittel- feld- oder Sarpedon- Hectorides- Daraxa-Typus ist am reichsten bei den Papilioniden zu finden. Die Farbe des Mittelfeldes kann weiß, gelb, oder grün sein und es scheinen zwischen den verschiedenen Tönen gewisse Beziehungen zu bestehen. Nicht weniger wichtig als das Mittelfeld sind für die Artbildung und das Zustandekommen pseudomimetischer Formen auch alle übrigen Eimer, Örthogenesis der Schmetterlinge. 415 zwischen den Grundbinden liegenden helleren Bänder, von denen häufig nur noch Flecken von wechselnder Größe übrig bleiben. Diese Fleck- und Schrägbandzeichnung, welche besonders auf den Vorder- flügeln der Falter eine Rolle spielt, bildet in Verbindung mit dem Mittelfeld vier von einander abweichende Typen, welche sich mit Be- rücksichtigung ihrer Hauptvertreter als 1. Sibylla-;rorsa-zarinda- oder Mittelfeld-Schrägfleck-Typus mit der verwandten Hesperus-Gruppe, 2. Cardui-Atalanta-Inachis-Dirce- oder Eckfleck-Schrägband-Typus, 3. der Eckflügelzeichnungstypus der Pieriden, 4. der Chrysippus-Ruspina-Typus als wichtigste Abteilung eines allgemeinen Innenfeld-Schrägband-Typus darstellen. Eine ganz neue Entwicklungsrichtung zeigt uns die Querstreifung, welche durch Schwarzfärbung der Adern zu Stande kommt. In ihren Anfängen ist sie schon bei Papilio Machaon vertreten und erreicht ihre vollste Entwicklung bei Papilio Authus und Avthulus aus dem Amurgebiet. Der ganze Typus enthält eine Menge von Beispielen für unabhängige Entwicklungsgleichheit, welche bis jetzt als Produkte der auf Mimiery gegründetenZuchtwahl angesehen worden sind. (Danaiden geschützte nachgeahmte Form, Papilioniden, Pieriden, Nymphaliden, Satyriden nachahmende Formen.) Wenn zu den schwarzgefärbten Adern, wie sie der Xuthus- Typus aufweist noch weitere schwarze Streifen hinzukommen, die in der Mitte zwischen je zwei Randadern gelegen sind, so entsteht die Fächerzeichnung, welche den Lyra-Typus einschließt (Ly- rapteryx lyra). Die dunkeln Streifen können sich auf die Mittel- zelle ausdehnen, oder aber verlieren sich in einem stark dunkeln Binnen- feld. Die die Fächerzeichnung bedingenden sekundären Streifen liegen auf Falten, welche zuweilen nachweisbar der Lage ehemaliger Tracheen entsprechen. Auch die häufig vorkommende allgemeine Fleckzeichnung kann auf die ursprüngliche Bindenzeichnung zurückgeführt werden. Dieselbe hat eine zweifache Entstehungsweise. Entweder durch Uebrig- bleiben heller Flecke in der Grundfarbe, indem die Grundfarben oder die schwarzen Striche der Adern quer untereinander verschmelzen, oder durch Uebrigbleiben von fleckartigen Resten der Grundbinden. Der Leonidas- oder helle Großflecktypus steht mit Xuthus in näherem Zusammenhang. Wie dort finden sich hier helle Randflecke, deren Zahl dadurch vermehrt ist, dass sich noch weitere Xuthus- Streifen seitlich verbunden haben. Diese seitlichen Verschmelzungen entsprechen in vielen Fällen den ursprünglichen Grundbinden. Wenn diese vorwiegen, entsteht ein Bild, wie es Papilio Ayamemnon darbietet und Papilio Antenor in seiner vollsten Ausbildung zeigt. 416 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. Werden die von der Zeichnung allmählich verdrängten Reste der Grundfarbe noch kleiner, so erhalten wir den Midamus- Anomala- oder hellen Kleinfleck-Typus. Als Hauptvertreter dieser Gruppe sind die Euplo&en zu nennen, welche sich durch blaue Schillerfarben besonders auszeichnen. Auch zahlreiche Falter anderer Familien ge- hören hierher, die als mimetisch bezeichnet wurden, aber wie die ge- nauere Beobachtung lehrt, merkwürdiger Weise auf der Unterseite Euplo&en-ähnlicher sind als auf der Oberseite (z. B. Stibochiona nicea). Wenn von den schwarzen Längsbinden nur noch Flecke übrig bleiben, so entsteht der Hestia- Paphia-Typus. Eine besondere Entwicklungsrichtung der Zeichnung wird durch die Rieselung dargestellt, einer Zeichnungsform, welche innerhalb der verschiedensten Tiergruppen meist als Kennzeichen hoher Entwick- lung wiederkehrt. Die Rieselung oder Gitterzeichnung kann durch Umbildung von Querstreifen, zu Stande kommen, sie kann sich aber auch ganz selbständig in der Grundfarbe entwickeln. Die erstgenannte Entstehungsart der Rieselung wird auf der Unterseite der Hinterflügel von Pieriden getroffen, die letztere bei Doritis apollinus. Sowohl bei Pieriden als auch bei Nymphaliden, Morphiden, Brassoliden, überhaupt überall, ‘wo diese Zeichnungsart beobachtet wird, tritt dieselbe zuerst auf der Flügelunterseite auf (mit Ausnahme von Doritis apollinus) und dringt von hier aus nach der Oberseite durch (Brassoliden). Bei Caligo bewirkt die Rieselung der Unterseite im Verein mit zwei großen Augenflecken auf dem Hinterflügel die Aehnlichkeit mit einem Eulenkopf, welche man als ein durch Zuchtwahl entstandenes Schreckmittel auf- gefasst hat. Es bleibt noch eine Zeichnungsform zu besprechen, welche augen- scheinlich in großer Abhängigkeit von der Flügelgestalt der Schmetter- linge ist. Indem sich die Hinterflügel durch Verbreiterung und Abrundung der Basis und gleichzeitige starke Rundung, insbesondere auch des äußeren Randes fast kreisrund gestalten, beobachtet man, wie eine Biegung der Längsstreifen eintritt, welche besonders bei den zu den Nymphaliden gehörigen Gattungen Catagramma und Agrias schließlich zur Entstehung einer Anzahl von ineinander gelagerten Ringen führt, deren innerster kleinster bunte Flecke einschließen kann. Diese Zeichnung ist in ihrer Vollendung nur bei hochentwickelten Faltern zu finden. Es ist merkwürdig, dass die Aderung hier wie auch in andern Fällen durch das eigentümliche Wachstum der Flügel nicht beeinflusst wird. | (Zweites Stück folgt.) — Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Uentralblatt. unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Juni 1898. Nr. 12 Inhalt: Kienitz-Gerloff, Professor Plateau und die Blumentheorie. — Merk, Vom Fett im Allgemeinen; vom Hautfett im Besonderen. — Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge (2. Stück u. Schluss). — Brunner v. Wattenwyl, Be- trachtungen über die Farbenpracht der Insekten. — Delage, La structure du Protoplasma et les theories sur l’Heredit€ et les grands problemes de la Biologie generale, XIV u. p. 879, 1895. Professor Plateau und die Blumentheorie. Ein Wort zur Abwehr. In fünf seit dem Jahre 1895 veröffentlichten Abhandlungen !) hat Prof. Felix Plateau in Gent auf Grund mehrerer Reihen von Ex- perimenten und Beobachtungen die von Sprengel, Darwin, Her- mann Müller, Delpino und anderen aufgestellte und augenblicklich herrschende Blumentheorie angegriffen. Ich selbst habe über den Inhalt dieser Abhandlungen in der botanischen Zeitung (1896 Nr. 8, 1897 Nr. 6 und 7, 1898 Nr. 9) kritisch berichtet. Ich würde daher, weil ich nun schon meine Ansichten ausgesprochen habe, mich nicht veranlasst fühlen, noch einmal in dieser Sache die Feder zu er- greifen, wenn nicht die botanische Zeitung als Fachblatt auf einen ziemlich engen Leserkreis beschränkt wäre, Plateau’s Ergebnisse hingegen jetzt aucb in Wochenschriften und selbst in den Unterhal- tungsbeilagen politischer Blätter ohne irgend einen Widerspruch be- richtet würden. Darüber kann man sich bei der nun einmal leider herrschenden Sucht vieler Berichterstatter, dem Publikum möglichst schnell das Allerneueste, sei es oft noch so ungereimt, aufzutischen nicht wundern. Anders aber liegt die Sache, wenn selbst ein Organ, wie das biologische Centralblatt, über derartige Veröffentlichungen aus- führliche Berichte bringt, die dadurch, dass sie fast ausschließlich dem Referenten das Wort lassen, den Anschein hervorrufen müssen, als 4) Bulletins de ’Acad&mie royale de Belgique, 3. ser., tome XXX Nr. 11, t.XXXIH Nr. 11, t, XXXIII Nr. 1, t. XXXIV Nr. 9—10. XVII. 27 418 Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. seien seine Behauptungen unanfechtbar. Freilich kann man, wenn man die Besprechungen des Herrn Tiebe in Nr. 11 Bd. XVI (1896) und in Nr. 16 Bd. XVII (1897) dieser Zeitschrift liest, sich des Ein- druckes nicht entschlagen, dass er sich entweder selbst durch Pla- teau’s Darlegungen hat vollkommen blenden lassen oder dass er die eigentlichen Lehren der Blumentheorie überhaupt nicht kennt. Denn, um es gleich von vornherein zu sagen, so hat Plateau gegen diese Theorie m. E. gar nichts bewiesen. Und doch hat sich z. B. auch ein Forscher, wie Albrecht Bethe, gerade durch die Tiebe’schen Referate bewogen gefühlt, innerhalb gewisser Einschränkungen, zu denen er nur durch eigne Beobachtungen geführt wurde, Plateau Recht zu geben). Eine Klarstellung der Sache ist daher dringend nötig. Soweit in den am Schlusse seiner letzien Abhandlung aufgestellten Thesen nur die unmittelbaren Beobachtungsergebnisse noch einmal in kurzen Sätzen niedergelegt sind, soll hier gegen sie selbstverständlich nichts gesagt werden. Sie sind unzweifelhaft richtig. Anders steht es mit denen, welche aus den Beobachtungen gezogene Schlüsse ent- halten. Es sind folgende: 1. „Ni la forme ni les couleurs vives des fleurs ne semblent avoir de röle attractif important“. 2. „Ils (seil. les Insectes) ne manifestent aucune preference ou aucune antipathie pour les couleurs diverses que peuvent pre- senter les fleurs des differentes varietes d’une m&me espece ou d’especes voisines, passant d’une fleur blanche A une fleur bleue, puis & une pourpre, une rose ete. sans choix appreciable“. 3. „Les Insectes sont guides d’une facon süre vers les fleurs A pollen ou & nectar par un sens autre que la vision et qui ne peut etre que l’odorat“. Diese drei Sätze laufen also darauf hinaus, den Insekten die Führung durch den Gesichtssinn abzustreiten. Soweit die drei ersten Abhandlungen in Betracht kommen, brauche ich hier auf die thatsächlichen Ergebnisse der Plateau’schen Ver- suche nicht einzugehen, da sie bereits von Tiebe in genügender Aus- führlichkeit berichtet worden sind. In dem 4. Teil zeigt Plateau, dass erstens auch solche Blüten reichlich von Insekten besucht werden, welche weder durch ihre Färbung besonders augenfällig sind, noch in ihrem Duft, wenigstens in dem für Menschen merkbaren, ein Anlockungs- mittel besitzen, und dass zweitens bei Windblütlern der bekanntlich auch sonst ab und zu vorkommende Insektenbesuch gesteigert, bezw. hervorgerufen werden kann dadurch, dass man ihre wenig augen fälligen Blüten mit Honig versieht. Der 5. Teil sucht auf Grund von Versuchen mit nachgeahmten, teilweise aus farbigem Papier, teilweise 4) Archiv f. d. gesamte Physiologie, Bd. 70: „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben?“ Auch separat erschienen. Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. 419 ‚aus grünen Laubblättern hergestellten Blumen, die zum Teil mit Honig versehen wurden, zu erweisen, dass die Insekten gegen die Blumen- farben völlig gleichgiltig sind und sich nur durch den Geruch leiten lassen. Schließlich wird noch das Verhalten der Insekten gegenüber künstlichen Blumenessenzen (verschiedene Aether und aromatische Oele) geprüft. Zuvörderst muss ich es bemängeln, dass Plateau bei seinen Ver- suchen häufig keine Kontrolzahlen anführt. So notiert er z. B. in der ersten Abhandlung genau die Zahlen der Besuche an maskierten Georginenköpfen, giebt aber für die freistehenden keine Zahlen an, sondern macht nur die ganz unbestimmte Angabe, die Tiere seien in derselben Weise, ohne Zögern und mit demselben Eifer auf die be- deckten wie auf die unbedeckten Köpfe geflogen. Ganz ebenso mehr- mals bei den Versuchen mit verstümmelten Blumen. Gegen solche Angaben aber wird man um so misstrauischer, als da, wo Vergleichs- zahlen vorhanden sind, diese oft durchaus nieht ohne weiteres für die Ansichten des Verfassers sprechen. Ich führe in dieser Beziehung eine der Tabellen aus dem zweiten Teil an: Lobelias intacts Lob£lias sans petales Individus Individus I. Insectes se posant pour | Eristalis tenax 13 Eristalis tenax 3 sucer } Syrphus 2 - Eristalis tenax Syrphus 1 er NER Bombus terrestris 2 Helophilus 4 ar Bi ni Vespa vulgaris 1 Vespa vulgaris 1 nn Vanessa Atalanta 1 Vanessa Atalanta 1 II. Insectes se posant pour ae Herde 4 Eristalis wen 3 sucer Musca 1 Insectes examinant en $ Bombus terrestris 5 Bombus muscorum - deerivant des cercles | Syrphus 1 Bombus terrestris au vol Vespa vulgaris t II. Insectes se posant $ Kristalis tenax 18 Eristalis tenax 15 pour sucer Syrphus 1 Pieris napi 4 Insectes ne se posant f Preris napt 1 Pieris napi i 1 qwun instant tres court | Vanessa urticae 1 Bombus terrestris 1 E Bombus terrestris 3 Bombus terrestris 2 Insectes SANDER en \Eristalis tenax 8 Eristalis tenax 3 deerivant ger cercles (Dieris napi 1 Pieris napi 1 a. N Vanessa urticae 1 Vespa vulgaris 1 Besonders die von mir durch den Druck hervorgehobenen Zahlen ergeben doch einen ziemlich deutlichen Einfluss der Augenfälligkeit. Dagegen scheint allein der Falli der Beobachtungsreihe II mit Eristalis tenax zu sprechen. Wir werden aber hernach sehen, wie sich dieses nebst anderen scheinbar für Plateau sprechenden Resultaten erklärt. Aehnlich ist es in dem dritten Teil. Aus dem Umstande, dass eine Biene auf einem mit verschiedenfarbigen Stöcken von Centaurea Cyanus bestandenen Beete, wo die blaue Farbe nur wenig vorherrschte — Zahlenangaben fehlen wieder — unter 6 besuchten Blumen nur 4 blaue, in einem andern Falle unter 10 besuchten Me 5 blaue und 7 420 Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. mehrere Individuen von Megachile nur 7 blaue gegenüber 7 anderen verschiedenfarbigen Blumen wählte, wird hier der kühne Schluss gezogen: „L’indifferenee pour la coloration est du reste a peu pres complete“. Ferner ist die Zahl der Plateau’schen Beobachtungen meist viel zu gering, als dass aus ihnen einigermaßen sichere Schlüsse gezogen werden könnten. Wie sollen diese wenigen in Betracht kommen gegen- über den von Hermann Müller mit größter Sorgfalt aufgestellten statistischen Tabellen, die sich auf nicht weniger als 5674 Besuchs- fälle von 841 Insektenarten an 422 alpinen Blumen beziehen? Freilich, die Zahl allein thuts nicht. Unter Umständen kann ja das Resultat eines einzigen Versuchs eine ganze, auf sehr zahlreiche Experimente gegründete Theorie umwerfen. Dann aber muss das neue Resultat völlig einwandsfrei sein, was die Plateau’schen keineswegs sind, und vor allem, es muss erklärt werden, warum die älteren Er- gebnisse hinfällig sind. Das zu thun, fällt aber Plateau niemals ein. Forel hatte Hummeln die Fühler nebst dem ganzen Vorderkopf einschließlich der Mundteile weggeschnitten und gefunden, dass sie ihre Blumenbesuche fortsetzten und mit Sicherheit von Blüte zu Blüte flogen, während andere, deren Netzaugen mit undurchsichtigem Lack überzogen waren, zum Blumenbesuche unfähig wurden. Ich selbst messe dem Versuch mit den geblendeten Tieren keinen besonders hohen Wert bei, weil es inzwischen bekannt geworden ist, dass solche stets senkrecht in die Höhe steigen. Immerhin wird jedoch auch hierdurch bewiesen, dass der Gesichtssinn für die Tiere eine gewisse Rolle spielt. Aber Plateau wäre verpflichtet gewesen zu zeigen, inwiefern die verstümmelten Hummeln noch durch den Geruchs- sinn geleitet wurden. Er hätte also ein Geruchsorgan nachweisen müssen, welches weder in den Antennen, noch im Vorderkopf liegt. Warum hat er das nicht versucht? Wie kommt er überhaupt darauf, eine Leitung gerade durch den Geruch zu behaupten, wenn er doch in Teil4 selbst die Beobachtungen von Müller-Thurgau und Rathay anführt, wonach die stark duftenden Blüten des Weinstockes von In: sekten nicht besucht werden? Das hätte ihn doch folgerichtig dazu führen müssen, den Tieren auch den Geruchssinn abzustreiten. Ebensowenig, wie mit Forel, versucht Plateau sich mit einer Reihe von Versuchen Lubbock’s und Hermann Müller’s ausein- anderzusetzen. Sie boten den Tieren Honig teils auf verschieden- farbigen Papieren, teils auf Blumenblättern verschiedener Farbe dar, die Müller, um jeden Geruch der farbigen Unterlage auszuschließen, zwischen Glasplatten legte, sie vertauschten wiederholt die Plätze dieser Anlockungsmittel und stellten zahlenmäßig fest, dass die Insekten eine ganz unverkennbare Farbenauswahl trafen. Diese Versuche werden von Plateau überhaupt nicht erwähnt. Und doch sind bei ihnen die Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. 421 Fehlerquellen ausgeschlossen, von denen die Plateau’schen Versuche wimmeln. So befanden sich seine maskierten oder verstimmelten Blumen (Teil 1 u. 2) immer an solchen Stellen, wo dieht daneben oder in ganz geringer Enfernung unbedeckte bezw. unverletzte Stöcke standen. Es ist also leicht begreiflich, dass die Insekten, die nun einmal durch das Blumenbeet auf irgend welche Weise angelockt waren, auch die maskierten oder verstümmelten Blumen besuchten. Damit erklärt sieh auch der vorher erwähnte und in der abgedruckten Tabelle aufgeführte Fall mit Zristalis. Was die Insekten dabei leitete, ob die Farbe oder der Duft, ist durchaus fraglich. Plateau berichtet selbst, dass eine Biene die auf der Erde liegenden, abgeschnittenen Blumenblätter einer verstümmelten Oenothera-Blüte gemustert habe. Ich finde es von dem Experimentator wirklich etwas — naiv, dass er bei diesem Versuch die Blumenblätter nicht gänzlich beseitigte, sondern sie unter der Versuchspflanze herumliegen ließ, und kann das Experiment schon aus diesem Grunde nicht für einwandsfrei halten. Aber was veranlasste denn die Biene überhaupt zu ihrer Musterung? Soll die Farbe gar keine oder nur eine so untergeordnete Rolle spielen, wie Plateau sie ihr zuschreibt, so hätte man erwarten müssen, dass sie sich um die abgeschnittenen Blätter überhaupt nicht kümmerte. Denn der duftende Honig befindet sich bei Oenothera in der Blütenröhre und am Griffel, kommt hingegen an die Kronenblätter kaum heran. Der Schnitt aber fand „pres du calice“ statt. Nun soll den Kronenblättern durch- aus nicht jeder Duft abgesprochen werden, aber er ist sicher nicht entfernt so stark als der der verstümmelten Blüten. Wie also kam die Biene dazu, so zu handeln wie sie that? Das Experiment ist aber auch insofern höchst anfechtbar, als bekanntlich selbst ihrer Krone beraubte Oenothera-Blüten durch ihre Staubbeutel und Narben augen- fällig genug sind. Diese hätte also Plateau ebenfalls entfernen müssen. Dasselbe gilt von Centaurea- Köpfchen, deren Strahlenblüten abgeschnitten sind und von denen Plateau allerdings ohne weiteres behauptet: „On sait que chez le Bleuet commun les fleurs centraux, fort peu apparents, ont seuls des etamines. . . .“ Noch viel weniger beweiskräftig als alles andere sind Plateau’s Versuche mit nachgeahmten Blumen. Wozu er sich überhaupt die Mühe giebt, als moderner Zeuxis die Blumen möglichst naturgetreu, sei esin der Form, sei es in der Farbe nachzubilden, ist nicht recht ersichtlich. Es macht beinahe den Eindruck, als ob er die Insekten auf ihren ästhe- tischen Geschmack hätte prüfen wollen. Denn in Wirklichkeit hätten ihm farbige Papiere von beliebiger Form, wenn sie nur nicht vom Winde in absonderlicher Weise bewegt werden konnten, dieselben Resultate gegeben. Viel wichtiger als die getreue Nachahmung, ja für das Gelingen der Versuche geradezu bedingend, wäre es gewesen, ihren Duft auszuschließen. Denn dieser war selbst bei mit Honig versehenen 492 Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. Papierblumen den Insekten offenbar widerwärtig, was Plateau frei- lich auffallend spät merkt. Dazu kommt noch, dass auch in der Reihe dieser Experimente die künstlichen Blumen zwischen reichlichen natür- lichen und auch wieder in verschwindend geringer Zahl aufgehängt wurden. Hier zeigten sich wahrhaftig die Insekten klüger als der Experimentator. Uebrigens kommt es letzterem gar nicht darauf an, sich gelegentlich selbst zu widersprechen. Bedford hatte beobachtet, dass ein Kohlweißling die künstlichen Maiblumen auf einem Damenhut besuchte. Ja, sagt Plateau (Teil 5), das mag ganz richtig sein, aber der Schmetterling suchte dabei keine Nahrung, die die Maiblume be- kanntlich nicht darbietet, sondern er suchte die ihn schützende weiße Farbe auf. Merkt denn Plateau nicht, dass es in diesem Falle ganz gleichgiltig ist, was das Tier suchte, dass aber sein Farbensinn, den ihm Plateau abstreitet, durch die Thatsache des Besuches an sich bewiesen wird? Merkt er nicht, dass, wenn die Blumenfarben kein Anlockungsmittel sind, dann auch die Farben der Tiere beim Auf- suchen der Geschlechter keine Rolle spielen können? „Je desire qu’on ne se meprenne pas sur les intentions qui m’ont guide au cours de ces longues!) recherches; mon but exelusif a ete d’arriver ä la verite. Malgre mon respect pour les noms d’Hermann Müller, de Charles Darwin et d’autres dont j’ai largement con- sult& les oeuvres et auxquels jai emprunte tant de faits interessants je me suis vu oblig&e d’emettre des opinions en contradietion avec les leurs. Ce n’est pas ma faute si les Insectes, places dans des condi- tions experimentales variees, ont repondu de facon A montrer que la theorie de l’attraetion par les couleurs voyantes des organes floraux etait en grande partie fausse“. So Plateau am Ende seiner 5. Abhandlung. Dass der letzte dieser Sätze falsch oder zum mindesten unerwiesen ist, glaube ich im Vorstehenden gezeigt zu haben, und es wird sich des weiteren auch aus dem Nachfolgenden ergeben. Untersuchen wir, wie es um die Berechtigung des zweiten Satzes steht. Ich habe schon vorher gesagt, dass Plateau den Arbeiten seiner Vorgänger nicht die gebührende Berücksichtigung schenkt. Hätte er das gethan, so würde er wissen, dass nach den Lehren der Blumen- theorie die verschiedenen Insekten die Farben in ganz ungleichem Maße bevorzugen. Und da er das Gegenteil nicht nachgewiesen hat, so durfte er bei der Behauptung, dass in einer Reihe stehende, ver- schieden gefärbte Exemplare von Scabiosa atropurpurea und auch künstliche Blumen von verschiedener Farbe von Insekten gleichmäßig 1) Die recherches von Sprengel, Müller, Delpino u. a. sind sicher- lich un peu plus longues. Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. 4923 besucht werden, nicht Dipteren, Lepidopteren und Hymenopteren in einen Topf werfen. Aber solche Dinge genieren einen großen Geist nicht. Wenn Plateau, wie eigentlich durchgängig, längst bekannte Thatsachen von neuem beweist, so geschieht dies meist in einer Art, als ob sie von den Vertretern der Blumentheorie nicht beachtet oder als ob ihre Bedeutung verkannt worden wäre. So, wenn er am Schluss des vierten Teiles sagt: „Les conelusions qui decoulent de ces deux groupes de faits, outre la preuve presque inutile A fournir, pour des naturalistes serieux, de l’existence de nombreux vegetaux ento- mophiles & fleurs vertes ou verdätres et de l’absence de repugnance de la part des Insectes vis-A-vis des fleurs blanches, sont absolument d’accord avec celles que je deduisais de mes essais sur les fleurs oü la forme et les couleurs sont artificiellement masquees par des feuilles vertes“. Es weiß ja doch alle Welt, dass Wind- und sonstige unauf- fällige Blüten von Insekten besucht werden. Und wer sind hier die nicht ernst zu nehmenden Naturforscher? Von den ernsthaften hat ja doch niemand behauptet, dass die Farben die einzigen Anlockungs- mittel seien. Und obwohl Plateau im Anfang des ersten Teils den Müller’schen Satz zitiert: „Unter übrigens gleichen Be- dingungen wird eine Blumenart um so reichlicher von Insekten be- sucht, je augenfälliger sie ist“!), so kämpft er fortwährend gegen diesen Satz, als ob dessen erste vier Worte gar nicht vorhanden wären. Obgleich er ferner an derselben Stelle zugiebt, dass Müller dem Duft bisweilen („parfois“) eine größere Wirksamkeit zuschreibe als den Farben, machen alle seine späteren Ausführungen den Eindruck, als ober dies völlig vergessen habe. Müller aber sagt nicht einmal „bisweilen“, sondern er drückt sich ohne jede Einschränkung folgendermaßen aus: „es lässt sich sogar durch direkte Beobachtung des Insektenbesuches mit voller Sicherheit feststellen, dass Blumenduft ein weit kräftigeres Anlockungsmittel ist als bunte Farben“ ?). Diesen Satz zu Grunde gelegt, bringen die Blumenforscher auch nicht, wie Plateau behauptet (Teil 4 S. 629) gegen ihre eigene Lehre Argumente bei, wenn sie bei wenig auffällig gefärbten, aber stark 1) Es ist merkwürdig zu sehen, was Herr Tiebe aus diesem Satz ge- macht hat. Plateau übersetzt ihn aus der englischen Ausgabe von Müller’s „Befruchtung der Blumen durch Insekten“ ganz richtig ins Französische: „que toutes choses &gales d’ailleurs une fleur est d’autant plus visit&e par les In- sectes qu’elle est plus voyante“. Tiebe kümmert sich um die Original- arbeiten Müller’s gar nicht, sondern übersetzt nun dieses Französisch zurück in sein Deutsch: „unter sonst gleichen Umständen werde eine Blume um so mehr von Insekten besucht, je heller gefärbt sie sei“. Nein, Herr Tiebe, das hat Müller nie behauptet. 2) So in „Befruchtung der Blumen durch Insekten“ S. 429. In demselben Sinne im Handbuch der Botanik, herausgegeben von Schenk, 1. Liefg. S. 42. 494 Kienitz-Gerloff, Prof. Plateau und die Blumentheorie. duftenden Blüten eine große Zahl von Besuchern notieren, wie es Müller thut und Plateau ihm aufmutzt. Indessen, das mag alles noch hingehen, die Schuld trägt hier wohl nur Plateau’s Ungeschicklichkeit im Ausdruck. Aber Plateau — und hier liegt nicht mehr Ungeschicklichkeit, sondern sträflicher Leiehtsinn vor — macht den Autoritäten auf dem Gebiet der Blumen- ökologie höchst ungeniert gänzlich ungerechtfertigte Vorwürfe. So bemerkt er bei Petroselinum sativum (Teil 4 S. 632): „H. Müller qui passe encore une fois sous silence la coloration si charac- teristique (nämlich die unscheinbare grünlich-gelbe Farbe), eite comme visiteurs un Hymenoptere ete.“. Müller aber sagt (Befruch- tung 8. 107): „Ein Rückblick auf den Insektenbesuch der Umbelliferen ergiebt in unzweideutigster Weise, dass die Reichlichkeit und Mannig- faltigkeit desselben sich bei übrigens gleicher Blüteneinrichtung in gleichem Verhältnis mit der Augenfälligkeit der Blütenschirme steigert“. Wenn er dann bei Petroselinum eine nur sehr geringe Anzahl von Be- suchern notiert, heißt das dann verschweigen, dass diese Pflanze nur sehr wenig augenfällige Blüten besitzt? Sehr viel krasser aber ist folgendes Beispiel: Im Hinblick auf Listera ovata, die Plateau als eine solche Pflanze aufführt, welche trotz ihrer Unscheinbarkeit eine große Anzahl von Besuchern anlocke und dadurch ein Argument gegen die Richtigkeit der Blumentheorie liefere, sagt H. Müller'): „In geradem Gegensatz dazu (nämlich zu Tagfaltern und Käfern) stehen gewisse Aderflügeler (Schlupfwespen und Honigbienen), welche die ihnen dargebotene Honigspende auch trotz völlig mangelnder Reklame aufzufinden wissen, so dass gewisse Blumen — nämlich die weiterhin besprochene Listera und Triano- spermum gerade durch Unscheinbarkeit das große Heer der dummeren Insekten von sich fern zu halten und diesen einsichtigeren den Genuss des Honigs und die Leistung der Kreuzungsvermittlung zu überlassen versucht haben“. Und weiter?): Listera ovata bietet zwar auf der Mittellinie ihrer lang herabhängenden, zweiteiligen Unterlippe völlig offnen, allen Insekten ohne weiteres zugänglichen Honig dar. Sie macht sich aber mit ihren unscheinbaren, geruchlosen Blüten im Schatten der Gebüsche, wo sie zu wachsen pflegt, so wenig bemerkbar, dass sie von den meisten derselben vollständig übersehen wird... .. So bleiben denn als Kreuzungsvermittler fast ausschließlich Schlupfwespen übrig, welche durch ihre Gewohnheit nach anzubohrenden und mit einem Ei zu belegenden Insekten uner- müdlich umherzusuchen, eine bedeutende Fertigkeit im Aufspüren er- langt haben ete.“. Weit entfernt also, die Unscheinbarkeit der Listera- Blüten zu verschweigen, erklärt vielmehr H. Müller den Fall gerade 1) Handbuch der Botanik, 1. Lieferung, S. 39. 2) 8.93! VD. S!46. Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 4925 auf Grund seiner Theorie sehr einleuchtend. Was soll man zur Beweis- kraft von Plateau’s Beobachtungen sagen, wenn er gegenüber den zahlreichen H. Müller’s nur eine einzige eigne (eine Diptere) auf- führt, und was zu seiner Litteraturkenntnis und seiner Kritik, wenn er in Bezug auf Listera sagt!): „Ainsi qu’on va le voir, malgre la coloration verte de la fleur dont, chose singuliere, H. Müller oublie de dire un seul mot, cette espece d’Orchidees est une de celles qui attirent de plus d’Insectes, et cela par une seeretion assez abon- dante de nectar“? | Es würde den Raum dieser Besprechung weit überschreiten, wenn ich alle Fehler, die Plateau begeht, im einzelnen aufführen wollte. Ich bin weit entfernt, ihm selbst in seinen Angriffen auf Müller Böswilligkeit vorwerfen zu wollen, obgleich in dem oben angeführten Satze die Worte „chose singuliere“ nicht gerade angenehm berühren. Aber seinen angeblichen Respekt vor Müller und das genaue Stu- dium seiner Werke, das beides streite ich Plateau angesichts seiner Urteile allerdings ab. Was hat Plateau alles in allem gethan? Nichts weiter, als dass er mit vielem Aplomb das noch einmal bewiesen hat, was von der Blumentheorie nie bestritten, und dasjenige bekämpft hat, was von ihr niemals behauptet worden ist. Von seinen eignen Versuchen kann man nur sagen: „Das Neue ist nicht gut und das Gute nicht neu“. Kienitz-Gerloff. [64] Vom Fett im Allgemeinen; vom Hautfett im Besonderen. Von Dr. Ludwig Merk in Graz. Vortrag, gehalten am 10. März 1898 in der morphologischen Gesellschaft?) in Graz, Das unter die Haut hin ausgebreitete Fettlager gehört einem Ge- webe an, das nicht nur bei den Wirbeltieren eine mächtige Ausdehnung besitzt, sondern auch bei den Wirbellosen, namentlich den Insekten in größerer Masse vorkommt und dort des öfteren Gegenstand allerdings nicht allzutief greifender Untersuchungen war. Die chemische Natur der in diesen Geweben aufgespeicherten Substanzen, vorzüglich aber die in der Pflanzenphysiologie und Anatomie bestbekannten Beziehungen der Fette zu den Kohlehydraten lassen es im Verein mit den ver- gleichend-histologischen Thatsachen wünschenswert erscheinen, diesem Gegenstande in ausgedehnterem Maße die Aufmerksamkeit zuzuwenden, nnd da ich in den letzten Monaten Gelegenheit nahm, hierüber Studien zu machen, so glaube ich so Manchem vielleicht eine willkommene 1) Teil 4 S. 667. 2) Die Mitglieder derselben sind selbständige Forscher auf den Gebieten der Anatomie, Histologie, Physiologie, Zoologie, Botanik, Chemie etc. und demgemäß ist der Vortrag angepasst. 426 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. Zusammenfassung geben zu können, allenfalls sogar eine oder die andere Anregung auszustreuen. Es dürfte für die Uebersichtlichkeit meiner Betrachtungen nur förderlich sein, wenn ich zunächst die Histologie der Fettzelle gebe, ihre Verwendung zum Aufbaue eines Fettläppchens unter Beihilfe anderer Gewebesorten und Organteile erörtere, wenn ich mich der Entwicklung, der Aufspeicherung und dem Abbaue zuwende, auf die normale und pathologische Bildung von Fett in anderen Gewebezellen aufmerksam mache, den Versuch einer vergleichenden Histologie wage, und schließ- lich mit Beziehung auf pflanzenmorphologische Thatsachen in der Be- handlung des Chemismus gewissermaßen ein Bindemittel für diese auseinanderstrebende Materie finde. Von der Histologie und Anatomie der Fettläppehen. Versucht man es, lockeres Fettgewebe, beispielsweise aus der Augenhöhle in indifferenten Flüssigkeiten zu zerzupfen und die Fett- zellen zu isolieren, so erblickt man zunächst große, eirca 23—130 u im Durchmesser haltende, zumeist kugelige, schwach gelblich gefärbte ölige Tropfen, denen an einer Stelle nach Art einer Kappe ein zartes Plasma aufsitzt, in welchem ein flacher linsenförmiger schwach granu- lierter Kern gefunden werden kann. Alles zusammen ist von einer dünnen Membran umhüllt, die namentlich dann gut zur Anschauung zu bringen ist, wenn man die Isolierung auf dem Objektträger in Aether oder Benzin vornimmt, oder endlich das Gewebe ausgekocht hat. Gelegentlich — im Leichenfett, aber auch an gehärteten Ge- weben — findet man statt des Tropfens Büschel nadelförmiger Krystalle, die nach einer veralteten chemischen Ansicht seit Kölliker’s Angaben in dessen mikroskopischer Anatomie noch immer „Margarinsäurekrystalle“ genannt werden. In anderen Zellen liegen Drusen von kleinen Kry- stallen der Membran an, die eine zweite Form solcher Krystalle vor- stellen, deren chemische Natnr aber gleichfalls nur vermutet werden kann. Was den Kern anlangt, so sind seit jüngster Zeit im Fettgewebe der Haut Formen bekannt, die scheinbar ein Loch durch die Substanz hindurch haben. Diese Lochkerne Unna’s wurden von Sack so ge- deutet, als ob im Innern des lebenden Kernes, gewöhnlich nahe an einem Knoten des Chromatingerüstes, eine Vakuole entstünde, die an die Oberfläche des Kernes trete und schließlich ins Protoplasma der Fettzelle wandere. Da diese Vakuolen an Osmiumpräparaten nicht geschwärzt waren, der Fetttropfen in der Zelle solcher Präparate aber gleichsam schaumig aussah, als ob er durch Aneinanderfließen von kleineren Tropfen entstanden wäre, so brachte Sack Beides in Zu- Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 497 sammenhang, nahm als Ort der Fettbildung den Kern an, den Vakuolen- inhalt selbst hielt er für eine Substanz, aus der sich im Zellleib das Fett bilden sollte. Dieser Auffassung, ja sogar dem Thatsächlichen dieser Verhält- nisse wurde von Hans Rabl aufs energischeste widersprochen: an lebenden Zellen sieht man nie etwas von Vakuolen, als rundlichen Gebilden, deren Lichtbrechungsvermögen ein geringeres sei als das der Umgebung, man sehe höchstens hellglänzende Fetttröpfehen, die den Kern bedecken, so dass es den Anschein habe, sie lägen im Innern desselben, und alle Schlüsse, soweit sie sich auf die Färbung mit Osmiumsäure begründen, sind hinfällig, weil die Methode Sack’s, namentlich das lange Verweilen der Präparate in Bergamottöl zu einer Lösung osmierten Fettes führt. Da somit auch H. Rabl die Thatsache der „Lochkerne“ nicht leugnet, ist sie immerhin etwas die Fettzellen sehr kennzeichnendes. Die Lochkerne finden sich bei allen untersuchten Wirbeltieren; bei den Wirbellosen haben diese Verhältnisse noch keine Beachtung ge- funden. Die Farbe des Fetttropfens kann nicht nur beim einzelnen Indi- viduum sehr wechselnd sein, obschon sie im allgemeinen sich als wechselnde Stärke von blassgelb bis braun bewegen kann. Bei Kroko- dilen ist es grün, bei Insekten kann das Fett aber nach Leydig rot, auch grün gefärbt sein. Die Membran scheint nur eine Eigentümlichkeit der Zellen höherer Wirbeltiere und auch da nur, wenn sie vollgespeichert sind, zu sein; ja bei der weißen Ratte haben nach Hammar die Zellen des braunen Fettes keine Membran, die des weißen wohl. Dieser Auffassung des Baues einer Fettzeille begegnet man ziem- lich allgemein (Flemming, Toldt, Rollett, Löwe, Ranvier, Kölliker, Hammar u.a). Nur ganz vereinsamt in den Bahnen der Schlummerzellenlehre Viering-Grawitz’ wandelnd bringt Dr. H. Sehmidt die überraschende Nachricht: der Ausdruck „Fettzelle“ ist veraltet, es giebt nur „Fettbehälter“ und „Zellenverbände“, Gruppen von Zellen, die selbst kein Fett enthalten, sondern den Fetttropfen umschließen; diese „neuen Ausdrücke“ seien für die „alte Bezeichnung“ der „sogenannten“ Fettzellen einzubürgern. Gruppen solcher Fettzellen sind durch ein äußerst spärliches Interstitialgewebe aneinander geheftet und in ein reichliches Blut- kapillargebiet gestreut: das ist dann ein Fettläppchen. Mehrere solche Läppchen schließen sich durch weitere Massen von Interstititialgewebe, dem bedeutende Mengen elastischer Fasern beigegeben sind, aneinander; die Bindegewebszüge sind nun entsprechend dicker und derber und dienen nicht nur den Blutstämmchen, sondern auch den Lymphgefäßen und Nerven als Weg zur Verbreitung oder einfachem Durchzug. 428 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. Verweilen wir zunächst bei dem Blutgefäßsysteme. Die innige Zusammengehörigkeit desselben zu den Fettzellen erfährt wohl erst durch die Besprechung der Lebens- und Entwieklungsvorgänge die richtige Beleuchtung. Auf sie haben Kölliker und Tomsa, Ranvier und Czajewicz schon längst aufmerksam gemacht. In zusammen- hängender Weise jedoch, und namentlich in Würdigung der physio- logischen Aufgabe, die den Fettzellen im Organismus zufällt, hat Toldt dieser Frage eine neue Wendung gegeben; ja, er hat dem Fettgewebe geradezu die Bedeutung eines Organes nachgewiesen. Fast jede Fett- zelle stößt in einem so geschilderten Läppchen an eine Blutkapillare und wenn makroskopisch der Blutreichtum gegenüber dem an Blut- gefäßen bedeutend ärmeren benachbarten Bindegewebe vielleicht nicht so deutlich in die Augen springt, so hat dies in der bedeutenden Größe vollgespeicherter Fettzellen seinen Grund. Namentlich an gut injizierten Präparaten liegt es zu Tage, wie jedes Läppchen seinen eigenen Kapillarbezirk hat und wohl ein Jeder kennt die Abbildungen in Toldt’s Gewebelehre, oder in Kölliker’s Histologie, oder in Ran- vier’s Lehrbuch, oder in Tomsa’s Abhandlung, wenn ihn nicht die Erinnerung an selbst gesehene Präparate diese Zeichnungen leicht ent- behren lässt. Weit weniger bekannt, vermute ich eine eigentümliche Verteilung der Blutgefäße im Panniculus adiposus, auf welche Spalteholz durch seine herrlichen Präparate aufmerksam wurde. Ist nämlich das Haut- fettlager stark entwickelt, so kann man an Schnitten senkrecht zur Oberfläche schon mit freiem Auge eine Bindegewebsmembran der Ober- fläche parallel durch das Fett ziehen sehen, die das Lager in eine der Epidermis und eine der Fascie zugekehrte Schichte trennt. Beide Schichten sind ferner durch senkrechte Fächer von Bindegewebe in die Läppchen zergliedert. Nur sind die oberen Septa zahlreicher, enger aneinander, die Läppchen dem entsprechend kleiner, wogegen die der Faseie zugekehrte Schichte in bedeutend weniger solche Fächer abgeteilt ist. Den oberen Fächern strömt nun das Blut aus Arteriolen zu, die vom kutanen und subepithelialen Netze nach abwärts steigen: also rückläufig sind. In den unteren Lagen aber steigen die Gefäße aus der Tiefe aufwärts. Selten anastomosieren beide Sorten von Gefäßen. Spalteholz bringt keine Erklärung für diese Erscheinung. Mir hingegen scheint es nieht unwahrscheinlich, dass diese Bindegewebs- membran, die parallel der Hautoberfläche an gewissen Stellen das Fett durchzieht, einem phylogenetischen Reste der Hautmuskeln entspricht. Fast ebenso genau gekannt sind die Lymphgefäße des Fettgewebes. Toldt, nach eigenen und Langer’s Präparaten, namentlich aber Neumann schildern uns dasselbe, und vor Allem Letzterer bringt äußerst gelungene Abbildungen seiner schönen Injektionspräparate. Meık, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 429 Sie stellen interlobuläre Endothelröhren dar, die mit gleichgearteten der Kutis direkt zusammenhängen, zunächst noch klappenlos sind, und durch Injektion ganz bedeutend ausgedehnt werden können. An vielen Stellen sind sie, wie man an Injektionspräparaten gut sehen kann, kugelig, oder wie Neumann sagt, buckelig aufgetrieben, ohne dass diese Aufblähungen Klappen entsprechen würden. Ob für sie auch eine solche Zweiteilung der Ramifikation gilt, wie für die Blutgefäße, dafür hat man dermalen keine Anhaltspunkte. Intralobulär existieren keine Lymphgefäße. Toldt, der aus- drücklichst der interlobulären Lymphgefäße gedenkt, hat nie solche Injektionspräparate anfertigen können, dass er über die Verbreitung der Injektion in den Läppchen unzweifelhaft belehrt worden wäre, und auch Neumann bringt keine Nachricht hierüber. Auch Hammar leugnet ausdrücklich das Bestehen intralobulärer Lymphbahnen. Am wenigsten genau kennt man schließlich die Nerven des Fett- gewebes. Im Allgemeinen fällt an entsprechenden Präparaten wohl die enorme Nervenarmut der tieferen Hautschichten im Vergleich zu den oberflächlichen auf, und speziell zwischen den Fettläppchen sind nur durchtretende und weiterziehende Aeste bekannt. Wahrscheinlich werden die Gefäße von ikren Nerven in erheblicherer Zahl begleitet sein. Entwicklung, Aufspeicherung und Abbau. Wenn deshalb an Schnitten durch nicht injiziertes Fettgewebe das histologische Bild eigentlich ein verhältnismäßig eintöniges genannt werden kann, so zeigt dasselbe sowohl bei der Entwicklung, als beim An- und Abbaue Spuren eines sehr geschäftigen Lebens. Zunächst sei hervorgehoben, dass bei vielen Säugern, zur Zeit der Geburt, die Fettläppchen nur ganz rudimentär angebildet sind. Und zwar hat Toldt, speziell für Kaninchen und Katze, Hammar für die Ratte und eine Reihe anderer Säuger den schönen Nachweis führen können, dass es bestimmte Stellen im Körper dieser Embryonen sind, von denen aus sie sich weiter entwickeln. So in der Unterhaut der Beugeseiten der Hüft- und Schultergelenke; in der Interscapulargegend, vor Allem aber in der Bauchhöhle, in der Umgegend der Nieren. Wo solche primäre Anlagen vorkommen, sind sie vorderhand als „Fett“ makroskopisch gar nicht zu erkennen. Sie sind graurötliche Haufen, deren Röte von der enormen Blutfülle und dem ausgedehnten abge- schlossenen Kapillarnetze herrührt. Unter dem Mikroskope geben sie — wie Kölliker sich ausdrückt — Bilder, die täuschend an Ganglien gemahnen. „In einem zarten bindegewebigen Stroma .. liegen polygonale ziemlich große Zellen — von 21:9—43°8 «u (0:01 —0:02“) — mit regel- mäßig feinkörnigem blassen Inhalt und ziemlich großen hübschen Kernen 430 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. in so großer Zahl, dass das Ganze an gewisse Drüsen Wirbelloser . . erinnert“. Das ist eine wichtige Thatsache „makroskopisch und mikros- kopisch“ ist am Säugerembryo das Fettgewebe schon erkennbar, man kann es von der Umgebung schon ebenso unterscheiden, wie die Zellen der Leber, des Pankreas, der Sklera. Allerdings nicht bei jedem Säuger in gleich auffallender Weise. Von Fett ist in solchen Zellen noch gar nichts oder wenig zu sehen. Membranen fehlen; eine aus- giebige und reichliche mitotische Vermehrung der Kerne findet statt. Je mehr sich das Individuum der Geburt nähert, desto reichlichere Tropfen von Fett treten in diesen Anlagen auf. Aber erst mit dem Beginne der Selbstaufnahme von Nahrung, namentlich der Milch, mehren sich diese Tröpfehen in der Fettzelle, bis sie zu einer einzigen großen Kugel zusammenfließen, den Kern und das Plasma an den Rand drängen — kurz das geschilderte Aussehen bekommen. Ob die ein- zelnen dabei auftretenden Tröpfehen histochemisch gleichwertig seien, darüber kann man sich nur in Vermutungen ergehen. Ranvier wenigstens, der in solch aufspeicherndem Gewebe am Rind durch In- jektion von Osmiumlösung von 1:300 künstliche Oedeme erzeugt hat, fand die Tropfen verschieden stark geschwärzt und die Farbennüance keineswegs so geartet, dass sie allein auf Rechnung des Größen- unterschiedes derselben geschoben werden kann. Auch Altmann und Metzner beschreiben eine verschiedene Intensität der Färbung der Tröpfehen mit Osmiumsäure; oft sahen sie die Granula nur an ihrer Oberfläche (ringförmig) mit Osmium ge- schwärzt — allerdings nur an Fetttröpfehen in den Leberzellen. Wie sehr dabei das Gesamtvolumen zunimmt, möge man durch Vergleich der Maße für embryonale Formen mit 22—44 u gegen 25—130 u der vollgespeicherten Zellen abschätzen. Allerdings sind hiebei die extremsten Werte berücksichtigt und Fettzellen mit einem 60 ı. übersteigenden Durchmesser sind selten. Immerhin erklären sie zur Genüge die große Volumszunahme in der Haut der Neugeborenen, die, wie Prof. Holl einmal gelegentlich eines Vortrages über plastische Anatomie sich treffend ausdrückte, bei Kindern viel zu groß ist, in die sich die Individuen gewissermaßen erst hineinwachsen müssen. Es liegt in dieser Ausnützung des vorhandenen Raumes zur Aufspeicherung eine tiefsinnige Zweckmäßigkeit. Aber nicht nur an den Fettzellen selbst liegen alle Veränderungen, während der Entwicklung des Fettes. Das Gewebe wird gleichzeitig von einer ganz außerordentlichen Zahl von Leukocyten durchwandert. Hat man derartiges Fett von einer Mesenteriallamelle in humor aqueus auf dem geheizten Objekttisch ausgebreitet, oder untersucht man bei gewöhnlicher Temperatur solches Gewebe eines Kaltblütlers, so ist die Bewegung der Wanderzellen — bei Fischen (nach Flemming) — eine so lebhafte, „dass man es gar nicht nötig hat, die einzelnen Sta- Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 431 dien an der Hand von Zeichnungen zu verfolgen“. Die Wanderzellen selbst sind fettlos. Nur nach langen Reihen von Untersuchungen konnte Flemming zwei ganz vereinzelnte Leukocyten finden, die mit Osmium geschwärzte Kügelchen aufwiesen. Was sollen diese vielen Wanderzellen bedeuten? Ich glaube es ist wohl äußerst statthaft, ihr Auftreten mit dem Chemismus der Fett- bildung in Zusammenhang zu bringen und anzunehmen, die Wander- zellen trügen den Fettzellen jenes Material zu, aus welchen Letztere, vermöge ihrer speziellen physiologischen Fähigkeit, den Fetttropfen bilden. Einen diesbezüglich aparten Standpunkt nimmt Poljakoff ein. Es ist mir ganz unmöglich seinen Ansichten zu folgen oder seine Resultate gut zu heißen: weder die Umwandlung „kugelförmiger wandernder Zellen“ in die Fettzellen, noch die Produktion des Fettes aus Eiweiß: weder die fast vollkommene Bedeutungslosigkeit der Gefäßbildung beim Speicherungsprozesse, noch das Ergebnis, dass die Zellen, welche das Fett produzieren, und die, welche bei der Entwicklung der Gefäßchen und Kapillaren die Gefäßwände bilden, identisch sind. Höchst be- denklich erscheint es mir, dass Poljakoff beim Anblicke eines mit „Kugelförmigen Zellen“ und Leukocyten besäten Fettläppehens eine Unterscheidung der einzelnen Zellen vollkommen unmöglich wird — dass in frischen Präparaten des subkutanen Bindegewebes, des Netzes, des Gekröses u. s. w. Leukocyten bemerkt werden, welche ganz dieselbe Lage einnehmen wie die „kugelförmigen Zellen“ — dass end- lich dieselben „beweglichen, kugelförmigen Zellen“ bei der Atrophie sich des in den Fettzellen enthaltenen Fettes bemächtigen, es den Gefäßen überbringen, und dass ein Gleiches Poljakoff entgegen Flemming oder Daddi an den Leukocyten beobachtet zu haben angiebt. Ein drittes Vorkommnis stempelt ferner den histologischen Charakter dieses Gewebes während der Entwicklung weiter zu etwas Besonderem: Sowohl bei der lokalen Fettanbildung, als bei der Weiterentwicklung treiben die Gefäße in der Regel kapillare Sprossen als Grundlage für neuerliche Läppchen. Ist das. Gewebe angespeichert, so hört die Sprossenbildung auf, die Leukocyten werden sehr vereinzelnt, Mitosen höchst selten. Dieses Bild wird auch nicht besonders gestört, wenn das gewöhn- liche Bedürfnis den Organismus zwingt, von diesem Vorrate abzu- bauen. Erst wenn dieses ein sehr reges, ein außerordentliches wird, ändert es sich wieder. Der Charakter der Erscheinungen ist dabei im Wesentlichen ein Rücklaufen durch dieselben Stadien, wie wir sie bei der Entwicklung wahrgenommen haben. Statt des großen Tropfens und dem spärlichen Plasma wird die kleiner werdende Oelkugel von reichlichem Plasma umschlossen und an Schnitten durch derartiges 4329 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. Gewebe erinnert das kreisförmig den Oeltropfen umschließende Plasma, mit einer Auftreibung an der Stelle, die den Kern umschließt, an das Aussehen eines Siegelringes, und mit diesem Namen — Siegelring- form — bezeiehnet man mit Ranvier kurz dieses histologische Aussehen. Wieder durchziehen viele Leukocyten das Gewebe, und die Blutgefäße, deren Maschen durch das Kleinerwerden der Zwischenzellen enger aneinander gerückt werden, stechen nun auch an nicht injizierten Prä- paraten durch ihre enorme Anzahl in die Augen. Ich greife der Einteilung meiner Mitteilung voraus, wenn ich sage, dass Hammar für die zweierlei Fettsorten, — braunes und weißes Fett — wie sie sich bei gewissen Säugern finden, namentlich in Bezug des Abbaues verschiedene Vorgänge nachweisen konnte. Während das braune Fett, zu dessen vorzüglichsten Fundorten bei der weißen Ratte die Interrenalgegend gehört, bei dem größten Wechseln im Ernährungs- zustande 0'6°], bis höchstens 1'65°/, des Körpergewichtes ausmachen kann, zeigt das weiße Fett, dessen Hauptrepräsentant cutan und sub- kutan liegt, unter denselben Verhältnissen Schwankungen von 0'95— 8:49°],. Das braune Fett ist also viel „stabiler“, seine Zellen speichern sich auch unter sehr günstigen Nährverhältnissen nicht so voll, wie jene der weißen und sie sind selten von einem Tropfen allein, meist von mehreren verschieden großen erfüllt. Bei Fröschen, deren fast ausschließliches Fettlager sich gleichfalls zwischen und etwas ober den Nieren findet, konnte Toldt unter solchen Umständen ein völliges Verschwinden der Tropfen beobachten. Von der ganzen Masse des Fettes bleiben nur gelbbraune Pigment- körnchen im Zellleib zurück, ein Umstand, der sicher aufmerksame Be- achtung verdient. Es bedeutet schon eine sehr schwere Gesundheitsstörung, wenn alles Fett zum Abbau gekommen ist. Beim Menschen werden solche Fälle schwerlich je sich so ereignen, dass sie einer ausgedehnten Untersuchung zugänglich würden. Hammar betont, dass selbst dann noch das braune Fett makroskopisch nachweisbar bleibt, und Gefäß- verteilung sowie Läppchenbildung zu erkennen sind, während in der Haut nur noch zellenreiche Gebiete übrig bleiben, und dass man nicht mehr im Stande sei, deren Elemente von Bindegewebszellen morpho- logisch zu unterscheiden. Ob auch diese schließlich schwinden, ist un- möglich zu konstatieren, denn hier hört ja ein Experiment von selbst auf. Dass sich auch die Kapillaren bis zu einem gewissen Grade rück- bilden, darf bei der innigen Zusammengehörigkeit beider Elemente Niemanden Wunder nehmen. Der Schwund wird dort größer sein, wo die einzelnen Stämmchen kleiner sind; dort kleiner sein, wo größere Arterien zu den Läppchen treten. Von diesem „Zusammenleben“ der Fettzellen und Gefäße giebt uns ein sinnreiches Experiment Toldt’s gute Vorstellung. Er durch- Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 433 schnitt nämlich an zwei wohlgenährten Kaninchen die Gefäßnerven der linken untern Extremität, wodurch sämtliche Blutbahnen erweitert wurden. Schon nach viertägigem Hungern zeigte es sich, dass das Fettgewebe des verletzten Beines fast gar kein Fett mehr enthielt. Die große Empfindlichkeit des Fettgewebes, und seine Eigenschaft das Fett bei oft überraschend geringartigen Einflüssen abzugeben, wird weiterhin durch ein Experiment Flemming’s erläutert, der zur Er- langung schöner histologischer Bilder über die Resorption durch Ein- spritzen von Jod-Jodkaliumlösungen in das dermale Fett nach kürzester Zeit massenhaft Zellen im Abbaustadium vorfand. Ob nicht hiebei den durch den Entzündungsreiz auftretenden Leuko- cyten eine große veranlassende Rolle zukommt?! Diese im Großen und Ganzen oft recht eingehenden Kenntnisse verdanken wir zunächst zweien Abhandlungen Toldt’s und Flem- ming’s, die glücklicher Weise gleichzeitig, im Jahre 1870, geschrieben sind. Wenn sie auch einstweilen in einigen Punkten auseinander wichen, so knüpfte sich doch daran eine äußerst lehrreiche Kontroverse, die in allerdings bescheidenen Keimen sich schon 1857 zwischen v. Wittich-Reichert und Häckel-Leydig zeigt und der sich eine Reihe hervorragender Forscher wie Kölliker, Löwe, und in der neuesten Zeit Hammmar anschlossen, und die eine wahre Fundgrube für eine Reihe wichtiger Thatsachen geworden ist. Sie dreht sich hauptsächlich um die Frage, ob denn wirklich die Fettaufspeicherung ein physiologisches Prärogativ der schon im Fötus gesondert gekennzeichneten Fettzellhaufen und Fettorgane sei, ob sie wirklich immer und notwendiger Weise mit Gefäßbildung verquickt sei, ja ob denn nicht überhaupt die Fettzellen nichts anderes als Binde- gewebszellen seien, die unter günstigen Ernährungsumständen eben Fett in sich ansammeln. Die Bindegewebsart, die solcher Umwandlung fähig wäre, ist das Interstitialgewebe im Sinne Flemming’s. Thatsäch! ich unterliegt es keinem Zweifel, dass sich Fett fernab von Blutgefäßen im Interstitialgewebe Wakaciheit‘ und dass derartige Zellen von anderen kutanen Fettzellen nicht ihterseherdbat werden. Thatsache ist es auch, dass, wie ich weiter unten darthun werde, ein Parallelismus zwischen Fett und Interstitialgewebe im Verfolg durch die Tierreihe nicht behauptet werden kann. Thatsache ist es endlich, dass derartig zu Läppchen verbundene Zellkomplexe, mit so außer- ordentlich charakteristischen, ganz eigenartigen Lebensvorgängen physio- logisch und histologisch auf einer Sonderstufe stehen und wer an Worten so sonderlichen Gefallen findet, kann auch umgekehrt sämt- liches Interstitialgewebe fettloses Speichergewebe nennen. Im Uebrigen liegen Befunde vor (Rabl-Rückhardt, Bizzozero) nach denen die Fettzellen des Knochenmarkes einige histologische Differenzen mit den übrigen Fettzellen des Körpers zeigen. Im ab- XVII, 28 434 Merk, Fett im Allgemeinen ; Hautfett im Besonderen. gemagerten Zustande stellen sie Zellen dar, in denen sich das Plasma sternförmig retrahiert hat. Im Centrum des Netzes sitzt wie eine Spinne der Kern, umgeben von etwas Plasma und zum Teil noch einen oder den anderen Fetttropfen enthaltend. Von einer Membran geschieht keine Erwähnung; die Masse, die die Zellen umgiebt, zeichnet Bizzozero als punktierten (granulierten) Saum. Im Großen und Ganzen muss immerhin die Kenntnis des endo- ostalen Fettgewebes im Vergleich zum übrigen eine spärliche genannt werden. Von normaler und pathologischer Fettbildunginanderen Zellen. Dass das Plasma im Allgemeinen unter normalen wie krankhaften Zuständen die Fähigkeit hat Fett in Form von Tropfen in seinem Innern anzubilden, weiß Jedermann. Die Fetttropfen in Knorpelzellen sind ja allgemein bekannt; ebenso die Fettbildung in den Leberzellen, die sich schon im Embryo nachweisen lässt, bevor noch an den typi- schen Zellen Fett auftritt, jener Vorgang der beim Neugeborenen so groß ist, dass man Berechtigung hat, von physiologischen Fettlebern zu sprechen. Zellen epithelialer Herkunft liefern das Fett der Milch in ähnlicher Weise durch Fetttropfenbildung. Nur bezüglich der Talgbildung in den Talgdrüsen erlaube ich mir vorläufig zu bemerken, dass die Ansicht, dieses Fett bilde sich ähnlich in den Talgzellen, unhaltbar ist; Talgdrüsenzellen bleiben vom Osmium ungeschwärzt, wenn auch knapp nebenliegende Fettzellen ganz dunkel geworden sind. Es bleibt nun eine sehr merkwürdige Erscheinung, dass, während wir aus dem Gesagten entnehmen konnten, die Fettbildung sei im Großen und Ganzen eine Begleiterscheinung guter Ernährung, die Pathologie uns mit dem Auftreten von Fett in den Zellen bekannt macht, indess der Gesamtorganismns Zeichen großer Stoffwechsel- störungen darbietet. Ich meine damit nicht jene Ueberspeicherung, wie sie bei Mästung vorkommt, und bei der die wesentlichsten morpho- logischen Momente, wie sie geschildert wurden, wieder auffindbar sind, sondern die Summe jener Thatsachen, wie sie als fettige Degeneration bezeichnet sind. Schon das histologische Bild unterscheidet sie wesent- lich vom übermäßigen Fettansatz. Kleinste Tropfen, die nie konfluieren, füllen die Zelle aus. Nur die roten Blutkörperchen und die Nerven- fasern in den Centralorganen verfallen nach Virchow nie der fettigen Degeneration. Damit dürfte er aber noch nicht alle Ausnahmen ge- nannt haben. An der Spitze der Häufigkeit schreitet der Herzmuskel, wohl vielleicht deshalb, weil die Wichtigkeit der Integrität seiner Funktion für den Gesamtorganismus eine Gesundung schwer möglich macht. Daran schließen sich die Epithelien der Niere, die Drüsen- Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 435 zellen der Leber, unthätig gewordene Muskeln, die Gefäßwände, die Epithelien der Lunge u. s. w.; endlich die Fettentartung in Zellen rasch wachsender Geschwülste — Karzinomen, Sarkomen. Diese Kennt- nisse erlauben uns nur sehr annähernde Schlüsse über die Ursache derartiger Erkrankungen. Ebenso wenig Bestimmtes erfahren wir, wenn wir die Störungen im Allgemeinbefinden in Erwägung ziehen, in deren Gefolge sie auftreten. So vor Allem bei Leukämie, Chlorose, der Anämie überhaupt, bei fieberhaften Prozessen, bei Kachexien, sei es in Folge seniler Entartung, sei es im Gefolge chronischer Erkrankungen. Schließlich bei akuten und chronischen Vergiftungen durch Phosphor oder Alkohol. Als nicht unwichtig zu bemerken scheint mir hier die regelmäßige Umwandlung der interstitiellen Körnchen in den „trüben“ Froschmuskelfasern während des Winterschlafes in Fett (Schaffer). Es ist einleuchtend, dass diese Zustände schwere Krank- heiten vorstellen, denen die Therapie direkt gegenübergestellt, ziem- lich machtlos ist. Nicht so bei jenen Formen von Ueberanbildung von Fett, die sich so ziemlich mit dem Ausdrucke „Mästung“ decken lassen. Geschulte und ungeschulte Heilkünstler haben sich damit be- fasst. Zwischen Oertel und Schroth, Marienbad und Lindewiese streuen sich ihre verschiedensten Namen ein und ihre Methoden beruhen im Allgemeinen auf Wasserentziehung und einem mehr minder verschleiertem Aushungern des fettleibigen Individuums. Aber gerade gegen das Hungern, und wenn es in noch so geringem Grade statthat, ist das Fett äußerst empfindlich. Wenigstens berichtet Flemming, dass bei Fischen (Plötzen, Barschen oder Stichlingen) eine nur halb- tägige Gefangenschaft genügt um den Fettschwund einzuleiten, und Weismann konnte bei Leptodora hyalin«, einem Krustentiere, die Beobachtung machen, dass das Fett im Fettkörper dieser Tiere sogar „fortwährenden täglichen Schwankungen unterworfen ist, je nach dem Stadium, in welchem sich augenblicklich der Ernährungszustand be- findet“. Skizze einer vergleichenden Anatomie vom Tierfett. Diese große Analogie bei systematisch so weit auseinanderstehen- den Tieren, drängt zur Frage, ob diese Gewebe hier und dort gleich- wertig sind, oder noch mehr, wie es sich durch das Tierreich hin- | durch verhält. Die Beiträge zu einer solehen komparativen Histologie und Ana- tomie fließen in den gegenwärtigen Zeiten der zerfahrenden Speziali- sierung sehr spärlich. Man muss in den Archiven weit in die ersten Zeiten Leydig’s, Gegenbaur’s, Max. Schulze’s und noch weiter zurückblättern und das Material für eine solche eingehende Untersuchung selbst fände sich schwerlich auch nur halbwegs brauchbar beisammen. Hammar’s Abhandlung macht hiervon eine bemerkenswerte Ausnahme, 28° 436 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. wenn auch die Grenzen der von ihm beschriebenen Säugetierspecies sehr eng gezogen sind. Soweit es sich um die Vertebraten handelt, ist die mikroskopische Anatomie schon besprochen worden. Für die makroskopische Anatomie empfiehlt es sich, die Amphibien, speziell die Batrachier zum Ausgang unserer Betrachtungen zu wählen. Die Fettkörper dieser Tiere sind schon lange bekannt, liegen zwischen und kranialwärts von den Nieren und wurden vordem für Nebennieren gehalten. Sie stellen ein vom Bauchfell überkleidetes paariges, mehrfach fingerförmig gelapptes Organ dar, das namentlich zur Sommerszeit schön gelb gefärbt und mit Fett vollgespeichert ist. Seine Zellen zeigen frisch untersucht eine Bewegung des Plasma; sie selbst sind einer Locomation nicht fähig. Außerdem fand Flemming bei kana, wenn auch sehr spärliches sub- cutanes Fett, namentlich in der Umgegend der Lymphherzen. Der Fettkörper ist hier ein Typus jenes Gewebes, das ganz un- leugbar durch seine eigene selbständige Lage, den charakteristischen Bau und seine Entwickelung als Organ im strengsten Sinne des Wortes gedeutet werden muss. Bevor das Tier in die Winterruhe verfällt, ist es vollgespeichert, das Frühjahr findet es fast leer. Das Bedürfnis nach einem Fettvorrat solcher Art findet sich, wie bekannt, bei den Säugern auch wieder. Die Winterschlafdrüse dieser Tiere hat dieselbe Aufgabe; ihre Lage ist eine ähnliche und das von Hammar gekennzeichnete braune Fett entspricht in vielen Beziehungen phylogenetisch dem Fettorgan der Batrachier. Dieses hauptsächlichst subperitoneal gelagerte Fett findet sich auch, so weit es bekannt ist, deutlich ausgesprochen bei allen Wirbeltieren. Nicht so das cutane und endoostale Fett. Das spärliche Hautfett der Rana, die axillaren und inguinalen Fettablagerungen einiger Bufo- Arten sind für die Batrachier die einzigen Stätten. Bei den Säugern ist der eutane Fettkörper für alle Ordnungen nachgewiesen. Spezielle histologische Eigentümlichkeiten zeigen nur die Cetaceen, „bei welchen die Lederhaut fast nach ihrer ganzen Dicke in Feitkörper umge- wandelt erscheint, so dass eine nur verhältnismäßig schmale Zone zu- nächst dem Papillarkörper frei von Fettzellen ist. Legt man ein Stückchen einer solchen thranigen Haut in Glyzerin, so nehmen die die Fettzellen bald eine überraschende Aehnlichkeit mit dem Zell- sewebe der Pflanzen an. Die Wand der Zellen hat einen ziemlichen dieken Durchmesser“ (Leydig). Dass das kutane Fett Anpassungs- änderungen zeigt, welche seinen speziellen physiologischen Aufgaben entsprechen, soll später noch Beachtung verdienen. Eine weitere beiläufige Verwendung findet das Fettgewebe bei den Fischen, woselbst sich „zwischen Pia und Dura ein bindegewebiges Netzwerk hinspannt, das zur Aufnahme von Gallerte oder Fettzellen dient, wohl auch leer sein kann“ (Leydig). Denselben Nebenzweck Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 437 der „Ausfüllung“ erreicht das Fett auch in der Augenhöhle dieser und anderer Vertebraten. Ist das Fettgewebe das einzige Speicherorgan, das Fett der ein- zige Speicherstoff der Wirbeltiere? Diese Frage wird um so not- wendiger und berechtigter, wenn wir uns den Wirbellosen zuwenden. Im Fettkörper von Insekten und Skorpionen hat Leydig eiweißartige Substanzen in Krystallform entdeckt; die enorme Zahl von Krystal- loiden in der Leibeshöhle der Turbellarien, wie sie v. Graff abbildet, sprechen dafür. Zwar zeigt das Darmepithel der letzterwähnten Tiere im Plasma seiner Zellen Granula, die sich mit Osmium schwärzen, aber von solchem Infiltrationsfett, wie auch von den Fetttropfen im Leibe der Infusorien sehe ich hier begreiflicher Weise ab. Fett als Fettgewebe ist in ausgiebiger Weise bei sämtlichen Arthro- poden bekannt, Leydig beschreibt es ferner bei einigen Egeln (Pisei- cola und Clepsine) und in der Familie der Lumbricida bei Phreoryetes Menkeanus. Auch bei den Mollusken erwähnt er 'es, ohne indess die Familie genauer zu bezeiehnen. Die großen Gruppen der Cölenteraten, Echinodermen, der meisten Würmer und Mollusken haben trotz der hochentwickelten Bindesubstanzen kein Fettgewebe. Wenngleich die Polymorphie der Fettzellen bei den Wirbellosen eine noch größere und mannigfaltigere ist, als bei den Vertebraten, so sind doch die einzelnen Charaktere dieselben. Im nicht erfüllten Zu- stande sind sie bei einigen Gliedertieren von polygonaler Gestalt, Epithelzellen ähnlich; aber Wielowiejski hat ihre Abstammung vom mittleren Keimblatte — wenigstens für Corethra plumicornis — Un- zweifelhaft dargethan. Im vollgespeicherten Zustande sind sie jedoch, beispielsweise beim Flusskrebs, oder bei Coccus hesperidum histologisch von den Fettzellen der Wirbeltiere kaum zu unterscheiden: der große Fetttropfen, der randständige Kern, das kappenförmig aufliegende Plasma, selbst manchmal die Membran, finden sich genau wieder. Ja von der letzterwähnten Schildlaus erzählt Leydig, dass auf Essig- säurezusatz zum lebenden Gewebe ein Teil des Fettes aus der Zelle in Form von kleinen Kügelehen austritt (man vergl. Fig. 2 a, bu.e seiner bezüglichen Abhandlung), während der rückbleibende Teil in Nadeln anschießt, sich krystallinisch umgestaltet. Die Fetttropfen sind meist nicht solitär, ähnlich wie im braunen Fett der Ratte, oder dem Fette des Störs oder der Tauben (unter der Zunge) (nicht Leydig). Der verschiedenen Farben des Insektenfettes ist schon Erwähnung geschehen. Solche Zellen liegen nun teils in Gruppen und Haufen zerstreut im Körper (Astacus fluviatilis) oder in der Haut (Olepsine, Piscicola oder endlich sie häufen sich ganz gesondert zu Organen, wie sie als Fettkörper — vor Allem der Insekten — nur zu bekannt sind. Sie können dann als weißliche oder gelbliche Masse in Blätter gefaltet 438 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen, oder in Lappen geformt die Leibeshöhle anfüllen oder den Verdau- ungskanal umgeben. Hier können sie hautförmig sein, dort netzförmig durchbrochen, in anderen Fällen ein fleckiges Aussehen haben. Ueber die Aufspeicherung liegen sehr wenige Angaben vor, und diese sind dürftig. Nur Weismann hat, wie erwähnt, bei Leptodor«a hyalina die Füllungsverhältnisse am lebenden Tiere beschrieben. Dort stellen die Fettkörper zwei blattförmige Organe vor, die im Kopf- segmente beginnen, sich zu beiden Seiten des Darmes bis an das hin- tere Leibesende erstrecken und im Profil aus polygonalen Zellen be- stehend erkannt werden, die neben dem Kerne im Plasma einen oder den anderen Fetttropfen enthalten. Unmittelbar nach der Nahrungs- aufnahme treten in den Zellen des Fettkörpers zunächst „eiweiß*- artige Körner auf. Später werden sie voll Fettkugeln und zum Schlusse treten diese aus den Zellen aus, fließen als Fettstrom zwischen den Zellen und mengen sich so dem Blute bei. Solche „eiweißartige“ Stoffe sind manchmal der einzige Inhalt der Speicherkörper, so z.B. bei Chironomıs. Bemerkenswert ist ferner, dass im Fettkörper der Arthropoden auch harnsaure Ablagerungen vorkommen, endlich sogar krystallinische Plättchen einer „eiweiß*- artigen Substanz. Einiges von den Speicherstoffen, besonders vom Speicher- fette der Pflanzen. In noch viel erheblicherem und bedeutend klarer gestelltem Maße findet eine solche Polymorphie der Aufspeicherungsstoffe bei den Pflanzen statt. Diese Lehre hat bei den Pflanzen eine viele gründlichere Wür- digung gefunden, als bei den Tieren. Man kennt eine Reihe zweck- dienlicher Einrichtungen, die z. B. der Aufspeicherung des dem Pflanzen- leben so wichtigen Wassers zu entsprechen haben. Weitere solehe Stoffe sind unter den N-haltigen, die von Hartig 1856 entdeckten „Proteinkrystalle* und die Aleuronkörner. Die N-losen, die uns hier am meisten interessieren, werden durch die Kohlenhydrate — mit dem Haupttypus Stärke und Zuckerarten — endlich durch die Fette repräsentiert. Wenn auch morphologisch betrachtet das Pflanzenfett nur wenige Vergleichspunkte mit dem Tierfett darbietet — obschon es auch hier wieder in Tropfenform im Plasma der Zellen auftritt — so ist dafür die Ausbeute dieser Lehre für die gegenseitigen Beziehungen des Fettes zu anderen Reservestoffen eine so reichliche, dass sie eigentlich für eine Gründlichkeit beanspruchende Lehre vom Stoffwechsel über- haupt, unentbehrlich ist. Und das ist auch der vornehmste Grund, warum ich diese anscheinend fernabliegenden Gedanken hier auf- genommen habe. Zuvörderst die Thatsache, dass Kohlenhydrate und Fette einander Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 439 bei Pflanzen nieht nur phylogenetisch, sondern auch bei der Entwick- lung des Individuums zu vertreten im Stande sind. So enthalten die Früchte der meisten Gräser Stärke; in einzelnen Ausnahmefällen (Haberlandt) wird aber die Stärke durch Oel ersetzt. In den Keimblättern von Impatiens balsamina wird Amyloid in Form von mächtigen Zellwandverdiekungen gespeichert, bei den übrigen /mpatiens- Arten sind die Cotylen zartwandig und enthalten statt des Amyloides fettes Oel. Diese Beispiele können noch auf eine Reihe von Samen ausgedehnt werden, bei denen andere zweckverfolgende Momente scheinbar maßgebend sind: Das spezifische Gewicht der Stärke be- trägt 1'56, das der Fette bloß 0'91—0'96; dem entsprechend sind bei Wasserpflanzen die Samen stärkehaltig — damit er vermöge seiner Beschwerung zu Boden sinke; bei Samen, die Flugorgane haben, fett- haltig (Haberlandt). Ontogenetisch ist die Umwandlung dieser Stoffe aus den beredten Worten nachfolgender Tabelle zu entnehmen: Gewicht -analytische Bestimmungen reifer Hanfsamen und der daraus ohne Nährzufuhr im Dunklen gezogenen Keimpflanzen !). Nach 7 Tagen bleiben 100 Gewthle 96.91 Gewthle ruhender Samen F | Trockensubstanz, enthalten: | die enthalten: .. | 32.65 | 17:09 Zucker (und Dextrin) . 0 0 Stärke . . x 0 8.64 Proteinstoffe . ‘ 2506 2399 Unbestimmte Stoffe . f 2128 2613 Belase: : .; .., 1651 16.54 Bee, 4.50 4.50 Umgekehrt ist Oelbildung aus Glykose im reifenden Endosperm von Ricinus, und aus Stärke im Endosperm der Paeonia bekannt (Pfeffer). So "unwiderleglich kann man am Tierkörper nicht arbeiten, ob- schon ähnliche Versuche vorliegen. Ich meine damit die Beobach- tungen des blinden Schweizer Forschers Fr. Huber, der mit Unter- stützung seines intelligenten Dieners Burnens an Bienen experimentierte — wie Milne-Edwards erzählt — und keine Unterbrechung in der Wachserzeugung konstatieren konnte, gleichviel ob sie mit fetthaltiger Materie genährt, oder ausschließlich mit Zucker und Honig gefüttert wurden. Von der Chemie der Fette. Dieser letzte Versuch zeigt deutlich, dass es sich chemisch bei der ganzen Frage hauptsächlichst um die Fettsäuren, nicht um die Art ihrer Bindung, sei es durch die Gruppe GZ noch andere handelt. 1) Nach Detmer, aus Pfeffer’s Pflanzenphysiologie. $S. 284. Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen, 440 Es soll nicht meine Aufgabe sein, die verschiedenen Säuren auf- zuzählen, die in der Natur Triglyceride bilden. Nur darauf will ich hinweisen, dass bei den Pflanzen im Allgemeinen eine viel reichlichere Vertretung von Säureradikalen mit verschiedenem Kohlenstoffgehalt nachgewiesen ist. Die Haupttypen hingegen, wie sie im Tierreiche vor- gefunden werden, beschränken sich auf Triolein, Tripalmitin und Tri- stearin. Hiebei muss man berücksichtigen, dass unter dem Mikroskope auch die reinen Säuren als Fette imponieren. Zwar nicht solche von niedrigem Kohlenstoffgehalt, wie Ameisensäure, Essigsäure, wohl aber reine Stearinsäure, reine Palmitinsäure. Die scheinbare Monotonie der chemischen Zusammensetzung im Tierfett, die sich bis auf die Gliedertiere ausdehnt (Milne-Edwards), wird durch die wechselnde Vermengung der drei Glyceride ziemlich aufgehoben. Wenn auch Speicher- und Degenerationsfett der Haupt- sache nach diese Glyceride aufweisen, so zeigt die folgende Tabelle in den Mengenverhältniszahlen erhebliche Schwankungen. Fett der Kinder ist ärmer an Trioleinen, als das der Erwachsenen. Größere Mengen Oleins machen das Fett flüssiger; das Hautfett des Erwach- senen enthält mehr Oleine, als das Darmfett. Hautfett ist noch bei 15° C. flüssig — mit anderen Worten, das Fett der Haut ist Tempe- raturerniedrigungen gegenüber resistenter —; und diese Befähigung der Haut niedrigere Grade leichter aushalten zu können, als andere Stellen des Organismus, lässt auch auf andere diesen Zweck PIn ın Ein- richtungen in der Haut schließen. Prozentische Mengenverhältnisse im Menschenfett, zum Teil nach Langer, zum Teil nach Lebedew!) aus Beilstein. SS. 456. | | Fett aus Fett | .: d Erwach-| Haut- | Darm- einer | Lipom- ı der | Kin sener fett | fett | Lungen- | fett Fett- | | embolie leber Oelsäure 6775 | 89:80 798 1744 bis | 737 bis | 670 637, Na a 766 761 Palmitinsäure | 283°97 816 {5 bis 20.9 0: 128:0 bis 4 47° bis 14°], 99-0 2315 Stearinsäure . | 328 | 2:04 lo) 220 Eine fast paradoxe Alteration, sogar der chemischen Znsammen- setzung, erfährt das Fett auf experimentellem Wege. Werden Hunde mit fremdem Oele gefüttert, wie Leinöl, Rüböl, so kann man das ver- fütterte Fett in den Geweben wiederfinden (Hammarsten S. 316). Munk hat aber auch Fettsäuren allein verfüttert und konnte nach- 41) Hoppe-Seyler’s Zeitschrift für phys. Chemie, 6. Band, zitiert nach Beilstein. Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. 441 weisen, dass sie auf dem Wege vom Darme zum Ductus thoracieus die Synthese mit Glyzerin zu Neutralfett erfahren und dieser Synthese soll nach Ewald überlebende Darmschleimhaut fähig sein. Nun ist es nach Fr. N. Schulz bekannt, dass der „Fettgehalt“ (nicht der Gehalt an Fetttröpfehen) im Blute hungernder Kaninchen, Tauben und Hunde eine ganz bedeutende Erhöhung, bis zu 100°/,, erfährt. Histologisch kann man jedoch weder beim Abbaue noch bei der Aufspeicherung die Fetttropfen wo anders als in den Fettzellen nachweisen; Flemming ging ja mit der vorgefassten Meinung an seine Untersuchungen, die Leukocyten setzten sich fetterfüllt als Fett- zellen im Gewebe fest, Poljakoff glaubt jetzt noch Aehnliches. Flemming hat aber nur zwei Wanderzellen fetttropfenhaltig ge- sehen — bei seiner ganzen langen Reihe von Untersuchungen. Das zwingt natürlich zur Anschauung, dass die Muttersubstanz des Fettes im Fettgewebe eine wasserlösliche Substanz, vielleicht eine Seife sei, zum mindesten zeigt es, dass das Fett den Fettzellen nicht als solches entnommen, noch als solches zugeführt wird. Eine weitere Quelle des Fettes bilden bekanntlich die Kohle- hydrate. Es ist bereits angedeutet worden, welch große biochemische Verwandtschaft zwischen Fett und Kohlehydraten die Pflanzenanatomie nachweisen kann. Ein Gleiches, zwar mehr gefühlt als ausgesprochen, finden wir sowohl in der normalen als pathologischen Histologie des Menschen. Fett im Knorpel — Glykogen im Knorpel, fettige Degenera- tion in Niere und Leber — Glykogen-(Amyloid)degeneration in diesen Organen unter ähnlichen Umständen, Fett (Schaffer) und Glykogen unter physiologischen Bedingungen im Muskel. Vor Allem ist es aber die Chemie selbst, die namentlich seit den allgemein als bahnbrechend anerkannten Untersuchungen Emil Fischer’s über die Kohlehydrate das Verhältnis derselben nicht nur dem Glyzerin sondern auch den Fettsäuren gegenüber in eine greif- barere Nähe gerückt hat. Ich kann dieses mir leider fremde Gebiet nicht betreten und berühre es überhaupt nur insoferne, als histologische Thatsachen von Chemikern gestreift, oder gar ignoriert werden. Histochemisch wissen wir von den Fetten, dass sie Sauerstoff sehr begierig und leicht aufnehmen. Zum mindesten ist die Osmiumsäure ein Körper, der den Sauerstoff leicht und gerne abgiebt und von den Geweben, die diese Reduktion hervorragend leicht bewerkstelligen, nehmen ja die Fette eine erste Stelle ein. Ob schließlich aus Eiweiß Fett entstehen kann, ist eine noch immer nicht ganz sicher festgestellte Thatsache. Sie wird namentlich in Bezug auf das, was über die biochemische Verwandtschaft der Kohle- hydrate und Fette vorgebracht wurde, durch die willkommene Mit- teilung Krawkow’s interessant, der neben anderen Forschern aus manchen Eiweißsorten eine Kohlehydratgruppe abspalten konnte. 442 Merk, Fett im Allgemeinen; Hautfett im Besonderen. Wer von Anfang bis hieher meinen Ausführungen freundlichst gefolgt ist, der wird wohl das Empfinden haben, dass dem Fettgewebe noch lange nicht jene umfassende Würdigung zu Teil geworden ist, wie sie der Wichtigkeit der Sache entspricht. In dieser Beziehung bedeutet die Spezialisierung in der Wissenschaft eine Beschränktheit in des Wortes allgemeinster Bedeutung. Die Behandlung der besprochenen Frage in der Botanik allein leuchtet klar und hell; und doch giebt es an geeigneten Objekten im Tierreiche keinen Mangel. Weismann ist auch der Einzige, der die Verschiedenheiten im Füllungszustande der Leptodora hyalına direkt unter dem Mikroskope am lebenden Objekte verfolgen konnte und es lässt sich schwer erklären, warum die Stoff- wechsellehre überhaupt, begünstigt durch die fassliche Konstitution der Fette sich nicht mit ganzer Macht auf die Lösung dieser überseh- baren Frage wirft. [80] Benützte Litteratur. Kölliker, Mikroskopische Anatomie. Unna, Das subkutane Fettgewebe. Monatshefte f. Derm., 1882. Sack, Ueber vakuolisierte Kerne der Fettzellen mit besonderer Berücksich- tigung des Unterhautfettgewebes des Menschen. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch., 46. Bd., 189. Rabl, Hans, Ueber die Kerne der Fettzellen. Daselbst 47. Bd., 1896. Schmarda, Zoologie. Wien 1877. Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Tiere. 1857. Hammar, Zur Kenntnis des Fettgewebes. Arch. f. mikr. Anatomie u. Entw., 45. Bd., 1895. Flemming, Ueber Bildung und Rückbildung der Fettzelle im Bindegewebe. Daselbst 7. Bd., 1871. Flemming, Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Bindegewebes. Da- selbst 12. Bd. Toldt, Beiträge zur Histologie und Physiologie des Fettgewebes. Sitzungs- ber. d. math.-nat. Klasse der k. Akad. d. Wissensch., 62. Bd., II. Abt., 1870. Toldt, Lehrbuch der Gewebelehre, 3. Aufl., 1888. Strieker, Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen und der Tiere, 1871. Speziell über Fett: Rollett. Löwe, Zur Kenntnis des Bindegewebes. Arch. f. Anatomie und Physiologie, Anat. Abt., 1878. Ranvier, Technisches Lehrbuch der Histologie, 1888. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre, 6. Aufl., 1889. Kölliker, Einige Bemerkungen über die Resorption des Fettes im Darme, über das Vorkommen einer physiolog. Fettleber bei jungen Säugetieren und über die Funktion der Milz. Verh. d. phys.-med. Ges. in Würzburg, 1-B4 1857. Unna, Zur Kenntnis der Kerne. Monatshefte für prakt. Dermatologie, 20. Bd, 1895, Nr. 11, daselbst zitiert: Unna, Ueber die Lochkerne des Fettgewebes. 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Dabei handelt es sich aber nicht um eine Umbildung von Längsstreifen in Querstreifen im gewöhnlichen Sinne, sondern um eine Umlagerung der Zeichnung, gleichviel, ob diese vorher aus Längsstreifen oder aus entsprechend gerichteten Flecken bestanden hat. Diese quergerich- tete Zeichnung findet sich am häufigsten bei den Heliconiden und entsprechend umgebildeten l’ormen aus andern Gruppen, deren Ge- staltung man bisher als mimetische Anpassung aufgefasst hat. Dadurch nun, dass die Abhängigkeit der Heliconierzeichnung von der Flügel- form erkannt worden ist und deren Entstehung Hand in Hand mit jener von Stufe zu Stufe bei Helieonier sowohl als bei Heliconier- ähnlichen Faltern verfolgt werden kann und von Eimer eingehend geschildert wird, müssen die Thatsachen eine ganz andere Erklärung erhalten. Es handelt sich auch bei der Heliconier- und Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 445 Heliconier-ähnlichen Zeichnung nicht um ein Produkt natürlicher Zuchtwahl, sondern um den Ausdruck unab- hängiger Entwicklungsgleichheit, um Homoeogenesis, auf Grund der mechanischen Ursache eines bestimmten Formen- wachstums der Flügel. Es ist, wie wir aus den Endergebnissen der im Vorhergehenden aufgeführten Entwicklungsriehtungen ersehen, eine auffallende That- sache, dass die Umbildung der Zeichnung überall nach Einfach- heit, nach Einfarbigkeit vor sich geht, indem sich entweder die Zeichnung auf Kosten der Grundfarben ausbreitet, oder aber die Zeich- nung primär — durch Reduktion der Grundbinden oder sekundär durch Bildung eines immer größer werdenden Mittelfeldes — durch die Grundfarbe verdrängt wird. Ich habe im vorhergehenden bei Schilderung der thatsächlichsten Entwicklungsrichtungen der Tagfalter auch kurz darauf hingewiesen, wie die verschiedenen Zeichnungstypen auf die einzelnen Familien verteilt sind. Eimer giebt im V. Abschnitt seines Werkes eine über- sichtliche Darstellung dieser Verhältnisse, es würde indessen hier zu weit führen, wenn ich die Resultate dieser Beobachtungen getrennt behandeln wollte. Anders ist es in Bezug auf die Entwicklungsrich- tungen der Heterocera und Microlepidoptera. Hier finden sich so viele abweichende Thatsachen, dass eine besondere Darstellung derselben notwendig wird. | Der Verfasser hatte erwartet, dass sich in der einen oder anderen Gruppe dieser Schmetterlinge besonders bei den Mierolepidopteren noch ursprünglichere Verhältnisse wiederfinden würden, als wir sie bei den Tagfaltern in der Podalirius-Gruppe antreffen. Eimer kam indessen zu dem Ergebnis, dass sowohl die Nachtfalter wie die Kleinschmetter- linge in bestimmten Richtungen weit vorgeschrittene Formen sind und die Segelfalter-ähnlichen und die entsprechend gezeichneten Nympha- liden in ihren elf einfachen Grundbinden die ursprünglichste Zeichnung aller Schmetterlinge darbieten. Auch bei Heteroceren und Miero- lepidopteren ist ein Fortschreiten zur Einfarbigkeit zu beobachten, be- merkenswert ist es indessen, dass in beiden Abteilungen eine Entwick- lungsrichtung auftritt, welche uns vollkommen neu erscheint, nämlich die Bildung von Bandbinden durch seitliche Verbindung oder Ueber- brückung bestimmter Grundbinden der Vorderflügel und die dadurch erfolgte Entstehung neuer Binden. Die Veränderungen, welche sichandenBandbinden vollziehen, sind es, welche größten- teils die Zeichnung der Kleinschmetterlinge bedingen. Ueberall bei Heteroceren kommt ferner als besondere Entwicklungs- richtung Zieckzackbildung von Binden in Betracht neben andern Zeichnungsformen, die wir schon im vorhergehenden kennen gelernt haben. Bei den Spannern kommen häufig mehr als elf Grundbinden 446 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. vor, die sich indessen stets auf das Grundschema zurückführen lassen. Von diesen Binden, welche oft zackig werden, können einzelne be- sonders stark ausgeprägt sein, oder aber die Binden können sich auf- lösen und einen Schwarzflecktypus bilden (khyparia melanaria, Abrazxas grossulariata ete.). Zerfallen die weißen zwischen den Binden gelegenen Bänder in Flecken, so kommt ein Weißflecktypus zu stande, wie ihm Acidalia tessellaria zeigt. Auch der Mittelfeld- typus kommt vor (z.B. bei Cidaria) und geht bei Cidaria albieillata auf den Hinterfligeln in den Innenfeldtypus über. Die Eulen sind gegenüber den Spannern in der Zeichnung fortgeschritten. Die Hinterflügel sind meist düster einfarbig geworden, während die Vorder- fligel gewöhnlich sehr umgebildete Zeichnung führen, im übrigen zeichnen sie sich ebenso wie die Spanner durch ziekzackförmigen Ver- lauf und Bandbindenbildung aus. Bei den Spinnern sind die Flügel nicht so oft einfarbig, wie bei den Eulen, wenn auch die im übrigen von ihnen eingeschlagenen Entwicklungsrichtungen, denjenigen der Eulen oft sehr ähnlich sind. Wichtig für die Zurückführung der Spinnerzeichnung auf das bekannte Grundschema, ist bei einigen Arten die ursprüngliche Schwarzfleckung, deren Elemente sich als Teilstücke der Grundbinden erweisen (Arctia purpurea). Im Allgemeinen haben die Spinner vor andern Heteroceren die ausgesprochene Neigung nach gelber, brauner oder weißer Einfarbigkeit. Unter den Schwärmern finden wir noch bei einzelnen Zygaenen eine oder die andere Grund- binde erhalten (Z. phegea, carniolica). In den meisten Fällen ist in- dessen auf den Vorderflügeln heller Flecktypus entstanden, in anderen bilden sich rote Querstreifen, während die Hinterflügel meist einfarbig werden. Von den großen bunten Schwärmern (Sm. populi, tiliae etc.) schließen sich verschiedene durch die Bildung von Bandbinden, Zick- zackzeichnung und Rieselung an die Spinner an. Querzeichnung ist bei allen Vertretern der Gattung mit lang ausgezogener Flügelform zu finden. Unter den Microlepidopteren haben die Zünsler die einfachste Zeichnung, indem Hinter- oder Vorderflügel eine gleichartige Spanner-ähnliche Zeichnung aufweisen. Bei einzelnen sind freilich die Flügel einfärbig geworden wie bei den Eulen, die Binden auf dem Vorderflügel haben sich aufgelöst, oder aber es hat sich ein Mittelfeld gebildet. Wir sehen überhaupt, dass zwischen Spannern, Eulen und Klein- schmetterlingen eine Unzahl mimetischer Aehnlichkeiten besteht, deren biologischer Wert schon die Kleinheit, dann Flügelhaltung und Lebensweise der verschiedenen Vertreter vollkommen ausschließt. Weiter fortgeschritten als die Zünsler sind in ihrer Zeichnung die Wickler. Die Hinterfligel sind meist einfärbig geworden, während die Vorderflügel sehr oft ebenfalls eulenartig gezeichnet sind. Am höchsten entwickelt sind in ihrer Zeichnung die Motten Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 447 und Geistehen. Sie sind teilweise schon ganz einfärbig geworden und eine ursprüngliche Grundbindenzeichnung kommt bei Motten we- nigstens nicht mehr vor. Interessant ist es aber, dass wir auch hier Nachahmung von Faltern anderer Gruppen antreffen, wie z. B. Tinea pronubella, welche eine Liliput Agrotis pronuba darstellt, und uns beweist, dassHomoeogenesis eine viel weiter verbreitete Erscheinung ist, als bisher angenommen wurde. Im VII. Abschnitt der Orthogenesis lernen wir die Ansichten kennen, welche von den hauptsächlichsten Vertretern der Zuchtwahllehre auf- gestellt worden sind, um die Erscheinungen der Homoeogenesis von ihrem Standpunkte aus zu erklären. Fritz Müller war der Meinung, dass die täuschende Aehnlichkeit von Faltern, welche verschiedenen Gruppen angehören und an denselben Oertlichkeiten vorkommen, all- mählich durch Naturauslese entstanden seien, indem immer die dem Vorbilde ähnlichsten Tiere am besten der Verfolgung durch Vögel und andere Feinde entgingen. Schwieriger ist die Erklärung der Fälle, wo eine Aehnlichkeit zwischen Faltern besteht, wo die nach- ahmende Art häufiger ist als die nachgeahmte, wo beide des Schutzes der Ungenießbarkeit entbehren, oder beide Arten ungenießbar sind. Wallace führt diese Fälle au als Belege für den Einfluss der Oertlichkeit auf die Farbe und meint, dass die Aehnlichkeit unbekannten örtlichen Ursachen zugeschrieben werden müsse. Dagegen wendet F. Müller ein, dass in vielen Fällen bei Entstehung von Aehnlichkeit äußere Verhältnisse nicht maßgebend gewesen sein konnten, indem z. B. die Raupen mimetischer Schmetter- linge, häufig verschiedene Futterpflanzen aufsuchen und die Falter selbst durch ihre Verbreitungsweisen verschiedenen klimatischen Einflüssen unterworfen sind. Er kommt zu dem Schlusse, dass auch hier der züchtende Einfluss des Nutzens zu erkennen sei, weil die gegenseitige Aehnlichkeit ungenießbarer Falter dieselben bis zu einem bestimmten Grad den Angriffen junger Vögel entziehe (vgl. ibid. Bd. XVIII Nr. 6 mein Referat über Mayer, Farbenentwickl. ete., wo ich diese von Müller aufgestellte Theorie näher besprochen habe). Das zahl- reiche Vorkommen pseudo-mimetischer Falter, welches wir im vor- hergehenden immer wieder als den Ausdruck bestimmt gerichteter Ent- wicklungsgleichheit kennen gelernt haben, macht diese nur auf Ver- mutungen gegründete Erklärung Müller’s entbehrlich, allein schon die vielbeobachtete Thatsache, dass die Schmetterlinge in den Vögeln keineswegs ihre schlimmsten Feinde zu suchen haben, legt es nahe, anzunehmen, dass die Anpassungsfähigkeit der Falter durch andere Faktoren bewirkt wird, als durch natürliche Zuchtwahl. Merkwürdigerweise geht Bates, der Schöpfer der Lehre von der Zuchtwahl-Verkleidung in seinen Anschauungen über die Ursachen mimetischer Formen nicht ganz so weit wie Müller, indem er den 448 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. physikalischen Bedingungen doch wenigstens einigen Einfluss bei der Umbildung der Formen einräumt. Er meint nur, die gegenseitige Aehnlichkeit könne nicht ganz den übereinstimmenden Lebensgewohn- heiten zugeschrieben werden und die Mimiery erscheine nur verständ- lich auf Grund der Darwin’schen Lehre von der Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl. Diese Arbeit der Auswahl, welche eine Art gradweise und beständig irgend einem andern Gegenstand ähnlicher mache, bringe den Eindruck hervor, als ob ein inneres Prinzip vorhanden sei, welches einen Fortschritt in bestimmter Rich- tung bedinge. Bates hält es für wahrscheinlich, dass die Heliconiden für feindliche Insekten ungenießbar sind, er kann jedoch nichts Be- stimmtes darüber sagen, und ebensowenig ist er in der Lage mit Sicherheit anzugeben, ob Leptaliden, welche in Gesellschaft geschützter Falter fliegen von den sie verfolgenden Tieren verschont bleiben. Wir sehen, dass also auch Bates seine Theorie von der Schutzverkleidung der Tiere nur auf Vermutungen, nicht aber auf Thatsachen stützen kann. Wenn wir für die Artbildung die Wirksamkeit äußerer Einflüsse anerkennen, so ist die Entstehung gleichartiger Formen unter ähn- lichen Verhältnissen leicht zu erklären, schwieriger bleibt das Ver- ständnis der Vorgänge, welche Gleichheit der Formen unter verschie- denen Lebensbedingungen hervorrufen und in scheinbarem Widerspruch zu allen andern Beobachtungen stehen. Allein auch diese sich wider- sprechenden Thatsachen sind zu begreifen, wenn wir bedenken, welche Rolle die Konstitution, die jeweilige stoffliche Zusammen- setzung der Organismen, bei den Vorgängen des organischen Wachsens spielen, des organischen Wachsens, das, wie wir gesehen haben, seinen Ausdruck in der Orthogenesis und in den Fällen von Mimiery in der Homoeogenesis findet. Es wurde vom Verfasser schon in seiner „Artbildung bei den Schmetterlingen“ hervorgehoben, dass häufig Vorder- und Hinter- flügel, Ober- und Unterseite der Schmetterlings-Flügel nicht auf der- selben Entwicklungsstufe stehen. Neben dieser gesetzmäßigen ver- schiedenstufigen Zeichnung besteht, indessen, wie wir aus dem VIII. Ab- schnitt der Orthogenesis ersehen, auch eine bestimmte Farbenfolge auf den verschiedenen Flügelflächen der Tagschmetterlinge: 1. Unter- und Oberseite beider Flügelpaare sind annähernd oder ganz gleich- gezeichnet und gefärbt, es besteht Gleichstufigkeit. Wir treffen diese Gleichstufigkeit in erster Linie auf ganz niederer Stufe der Ent- wicklung z. B. bei sehr ursprünglichen Formen der Papilioniden: P. poda- lirius, P. Epidaus, auch bei einzelnen Eryeiniden. Dieselbe tritt aber auch wieder auf sehr hoher Stufe der Ausbildung auf, wie die fort- geschrittenen Falter unter den Schwalbenschwänzen aus der Asterias- Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 449 Gruppe, P. Indra, Nitra ete. und außerdem die Danaiden, Helieoniden, Hesperiden und Pieriden aufs deutlichste zeigen. 2. In weitaus den meisten Fällen haben wir indessen Ver Jordan: stufigkeit, und zwar steht die Unterseite der Zeichnung und Farbe gewöhnlich auf tieferer Stufe als die Oberseite. Diese letztere über- trägt nicht selten ihre Eigenschaften zuletzt auf die Unterseite, so dass auf diese Weise, wenn sie selbst in der Entwicklung stehen bleibt, die sekundäre Gleichstufigkeit hervorgerufen werden kann. Je nachdem nun die Zeichnungs- und Färbungsdifferenzen nur zwischen Ober- und Unterseite der Flügel, oder aber zwischen den Unter- oder Oberseiten von einem der beiden Fiügelpaare, oder end- lich zwischen Ober- bezw. Unterseite beider Fiügelpaare bestehen, sprechen wie von Zwei-, Drei- oder Vierstufigkeit der Ent- wicklung. Ich habe bereits gesagt, dass mit der Zeichnung die Umbildung der Farben hand in hand gehe. Die am tiefsten stehenden Farben sind Weiß, Grau oder Graubräunlich (Unterseite der Tagschmetter- linge, Oberseite ursprünglicher Falter, herrschend bei Microlepidopteren und Heteroceren). Dann folgt Grau, Lehmfarben bis Matt-Gelb- lich, darauf ein mattes Braun, Rotbraun oder Braun auch Gelbrot, Braunrot und Schwarz. Andererseits entsteht Schw efel- oder Citronengelb, Rotgelb, Gelbrot, leuchtend Rot, Blau oder Grün, Blau, endlich Blauviolett, Schwarz. Es giebt somit zwei Farbenreihen, von welchen die Anfangs- glieder matte und düstere, die Endglieder meist leuchtende und glänzende Farben darstellen. In den meisten Fällen beherrscht eine tiefer stehende Farbe die Unterseite, eine höher stehende die Oberseite der Flügel und nicht selten folgen die Farben in denselben Stufen wie die Zeichnungen, so dass auch in Bezug auf die Färbung Gleich- und Vielstufigkeit unterschieden werden muss. Die Verschiedenstufigkeit in Farbe wie in Zeichnung ent- steht sehr häufig durch Heterepistase, auf Grund von Stehen- bleiben der einen oder der andern Flügelfläche auf bestimmter Stufe der Entwicklung. Welches sind aber die Ursachen, die für die Stufen- folge der Farben maßgebend sind? Eimer nimmt an, dass offenbar die Einwirkung des Sonnenlichtes und der Sonnenwärme die Ursache der glänzenderen Färbung der Oberseite gegenüber der Unter- seite ist. Es handelt sich bei der Wirkung der Sonne nicht allein um die unmittelbar thätige Kraft derselben, sondern um die kumula- tive mit der Zeitdauer wachsende Wirkuns welche, indem sie die Konstitution beeinflusst, die Reaktionsfähigkeit des ee fort- gesetzt abändert. Es ist indessen auf Grund verschiedener Beobach- tungen anzunehmen, dass auch andere mit dem Klima zusammen- XVII. 29 450 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. hängende Einflüsse für die Farben der Falter in den verschiedenen geographischen Gebieten maßgebend sind. Die Bedeutung der Konstitution für die Gestaltung der Sehmetterlingszeichnung findet ihren deutlichsten Ausdruck im Ge- schlechtsdimorphismus. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die f und 2 der Falter verschieden gefärbt und gezeichnet sind und zwar besteht gewöhnlich, wie im IX. Kapitel eingehend ausgeführt wird, ein Uebergewicht des männlichen Geschlechtes gegen- über dem weiblichen. Der Fortschritt spricht sich in den meisten Fällen darin aus, dass das eine Geschlecht also gewöhnlich der Z zu einer höheren Zeichnungsstufe und zur Annahme einer höheren Farbe gelangt als das 2, und zwar sind diese höheren Eigenschaften meist dieselben, welche verwandte höher stehende Arten in beiden Geschlechtern kennzeichnen. Wir sehen hieraus, wie wichtig der Geschlechtsunterschied und dessen Umbildbarkeit für die Ent- stehung von Arten ist. Eine ähnliche Beziehung besteht im Fortschritt zwischen Unter- und Oberseite. Das Weib trägt häufig auf der Ober- seite den Zeichnungstypus und die Farbe, welche der Mann auf der Unterseite hat, während dieser auf der Oberseite um eine weitere Stufe vorgeschritten ist. Neben dieser männlichen Präponderanz wird indessen bei vielen Faltern auch ein Ueberwiegen des weiblichen Ge- schlechtes beobachtet. Seinen höchsten und wichtigsten Ausdruck findet der Geschlechtsdimorphismus in denjenigen Fällen, in welchen beide Geschlechter nicht auf der Stufe tieferer und höherer Entwick- lung stehen, sondern weit auseinander liegenden Zeichnungstypen an- gehören, dergestalt, dass das eine Geschlecht in der Umbildung einen weiten Sprung gemacht hat. Für alle diese Verhältnisse findet sich im neunten Abschnitt reichhaltiges Beweismaterial. Es ist sehr wahr- scheinlich, dass die äußeren Ursachen, welche die im Geschlechts- dimorphismus sich kundgebende Veränderlichkeit der Zeichnung be- dingen wesentlich in der Einwirkung klimatischer Einflüsse bestehen, und hier eine der geschlechtlichen Natur der Falter entsprechende kaleidoskopische Korrelation hervorrufen. Dass am häufigsten gerade der Mana dabei die herrschende Rolle spielt, meint Eimer darauf zurückführen zu können, dass dem männlichen Organismus überhaupt eine feinere, vorgeschrittenere d. i. zusammengesetztere chemisch-physi- kalische Beschaffenheit zu Grunde liegt als dem weiblichen und dessen Empfindlichkeit auf äußere Anreize erhöht. Die Erscheinungen des Geschlechtsdimorphismus sind, wie bekannt, auch von Darwin eingehend behandelt worden, er widmet diesem Gegenstand allein in Beziehung auf die Schmetterlinge beinahe das ganze elfte Kapitel seiner Abstammung des Menschen. . Darwin stellt sich darin die Frage, ob es möglich sei, dass die glänzenden Farben der Schmetterlinge, die sehr oft nur bei dem Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 451 Männchen auftreten, zum Zweck des Schutzes erlangt worden sind, oder ob nicht dieser merkwürdigen Erscheinung andere Ursachen zu Grunde liegen. Je eingehender er die Thatsachen prüft, um so wahr- scheinlicher scheint ihm die Annahme, dass die glänzenden Farben im Allgemeinen keine schützende Eigenschaften darstellen, und nicht durch natürliche Zuchtwahl erlangt werden konnten. Da indessen besonders die Männchen durch brillante Farben ausgezeichnet sind, so hält er es nicht für unmöglich, dass hier ein Produkt geschlecht- licher Zuchtwahl vorliege, indem die Weibchen im Allgemeinen die glänzender gefärbten Männchen vorgezogen und ihren Eigenschaften dadurch zur Fortpflanzung verholfen hätten. Gegen diese Erklärungs- weise sprechen aber viele Beobachtungen, durch welche festgestellt worden ist, dass die Männchen bei der Begattung die angreifenden sind und die Weibchen sich keineswegs sehr wählerisch zeigen. Außer- dem handelt es sich bei der Umbildung der Farben und Zeichnung im Anfangs um so kleine Verschiedenheiten, dass nicht daran zu denken ist, die Wahl der begattungslustigen Insekten könnte dadurch in erheblicher Weise beeinflusst werden. Von einer „langwierigen Werbung“ bei Tagfaltern auf die sich Darwin beruft, ist im Allge- meinen nicht die Rede und die Erscheinung, dass sich die Falter oft lange Zeit umfliegen, ist vielmehr als wirkliches Spiel, nicht als Vorspiel der Begattuug zu deuten. Während Darwin den Geschlechtsdimorphismus und damit das Entstehen glänzender Farben und Zeichnungen im Tierreich auf die Wirkung des seiner Ansicht nach aliseitig giltigen Prinzips der Selektion zurückzuführen sucht, bilden die theoretischen Anschauungen Wallace’s über diesen Gegenstand geradezu ein Teilstück derjenigen Eimer’s über dieUmbildung der Eigenschaften in der Tierwelt. Wallace vertritt, obwohl sonst Anhänger der Darwin’schen Lehre, wie wir schon früher sahen, die Ansicht, dass im Allgemeinen das Klima ete. die Zeichnung der Schmetterlinge in hervorragendem Maße beeinflusst; für das Auftreten besonders glänzender Farben beim Männchen scheinen ihm in erster Linie physiologische Ursachen maßgebend zu sein; außer- dem glaubt er in den Farben ein nützliches Mittel des Wiedererkennens für fliegende Insekten zu sehen, eine Annahme, die entgegen der An- schauung Darwin’s die Entwicklung der Farben unter dem Einfluss der natürlichen Zuchtwahl bedingen würde. Aus den Eimer’schen Ausführungen ist indessen ersichtlich, dass dieser letzte Punkt der Wallace’schen Lehre ebensowenig einer genauen Prüfung stand- halten kann, wie die Theorie der geschlechtlichen Zuchtwahl und die Thatsachen weisen uns immer und immer wieder darauf zurück auch im Geschleehtsdimorphismus einen Ausdruck des organischen Wachsens, der Orthogenesis zu erblicken. 237 452 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. Die Besprechung der Bedeutung geschlechtlicher Zuchtwahl für das Zustandekommen besonders auffallender Färbungen und Zeich- nungen des Schmetterlingsflügels, führt uns zur Betrachtung der schön- sten Zierden — der Augenflecke —, die sich einer weiten Verbreitung im Tierreiche erfreuen. Darwin hat diesen Augenzierden und deren Entstehung besonders bei Vögeln seine Aufmerksamkeit gewidmet, und war der Ansicht, dass sie hier durch geschlechtliche Zuchtwahl be- einflusst würden, während ihre Rolle bei Schmetterlingen, wo sie beide Geschlechter zieren eine andere — vielleicht die eines nützlichen Schreckmittels — sein dürfte. Die einfachste Anlage eines solchen Schmuck-Auges äußert sich nur, wovon sich jeder leicht überzeugen kann, darin, dass sich der Farbstoff in einem Mittelpunkt ansammelt, während die dies Centrum umgebende Zone entsprechend heller wird. Gewöhnlich aber ist ein heller Kern vorhanden, um welchen herum sich Schwarz ablagert wie z. B. bei den meisten Satyriden. Es ist nun von großer Bedeutung für die Entstehung der Augenflecke, dass ihre einzelnen Teile stets auf Grundbinden zurückzuführen sind, und zwar ist es in den meisten Fällen Binde III, welche ihnen den Ursprung giebt. — Jeder Fleck entspricht dabei einer Flügelzelle und diese bildet die morphologische Einheit, welche sich äußerlich durch die Zeichnungseinheit ausspricht. Bei der Entstehung von Augenzierden aus Binde III handelt es sich meistens um einen einfachen Zerfall dieser Binde. Beteiligt sich die ganze Binde an der Bildung des Augenflecks, so fällt seine Lage in die Binde, beteiligen sich dagegen nur äußere Teile derselben dabei, so kommt das Auge außerhalb der Binde zu liegen. Die Augenflecke entstehen schrittweise, wie oft an einem und demselben Schmetterling beobachtet werden kann. Hier treffen wir noch eine einfache Reihe von schwarzen Flecken, dort beobachteten wir weiße Kernpunkte, welche von einem matten schwarzen Hof umgeben sind, in der höchsten Ausbildung ist dieser breitere schwarze Ring noch von einem schmäleren braungelben umschlossen. Mit der Besprechung der Augenfleckbildung schließt der Teil des Werkes, welcher uns die Erscheinungen des organischen Wachsens vor Augen führt. Der letzte Abschnitt macht uns mit den Ursachen bekannt, die der Artbildung zu Grunde liegen mit den Ur- sachen, die organisches Wachsen bedingen. Ich habe schon zu Anfang erwähnt, dass Eimer die Trans- mutation, den Ausdruck des organischen Wachsens, als einen physio- logischen Vorgang betrachtet, der durch dieselben Bedingungen veranlasst wird, wie das individuelle Wachstum: nämlich durch die von Außen kommenden auf die gegebene Konstitution in bestimmter Weise einwirkenden Reize (Klima, Nahrung ete.),. Veränderungen, welche auf diese Weise an Organen entstanden sind, können durch die Funk- Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 453 tion, durch Gebrauch und Nichtgebrauch noch weitere Modifikationen erfahren. Für das erste Entstehen von Abänderungen sind indessen die Lamarck’schen Bildungsmittel ebensowenig maßgebend wie das Darwin’sche Prinzip der natürlichen oder geschlechtlichen Zuehtwahl. Ein zweiter für die Eimer ’sche Lehre wesentlicher Punkt ist die Annahme einer Uebertragung solcher durch organisches Wachsen er- worbener Eigenschaften auf die Nachkommen. Wir haben gesehen, dass sich die Umbildung der Lebewesen wirk- lieh nur nach wenigen bestimmten Richtungen vollzieht, es bleibt noch die Aufgabe zu zeigen, dass die Transmutation der Formen durch äußere, besonders durch klimatische Ursachen beeinflusst wird und in- dem sich die erworbenen Eigenschaften vererben, zur Artbildung führt. Diesen Beweis bezüglich der Schmetterlinge liefern die Thatsachen, welche die geographische Verbreitung der Falter und die Erscheinungen der Jahreszeitenabartungen an die Hand geben, noch deutlicher liefert ihn aber das Experiment, das auf künstlichem Wege in kurzen Zeit- räumen Wärme- und Kälteformen schafft, die sich von denen unter dem Einfluss des Klimas entstandenen in keiner Weise unterscheiden. Schon in der „Artbildung bei Schmetterlingen“ wurde gezeigt, dass eine Art sich um so mehr in ihrer ganzen Erscheinung verändert, je weiter sich dieselbe von einem gegebenen Verbreitungsgebiete ent- fernt; sie bildet Varietäten, als deren Ursache die klimatischen Ver- hältnisse angesehen werden müssen. 'An den Grenzen ihres Verbreitungsgebietes werden aus diesen Varietäten neue Arten, indem sich deren Eigenschaften im Wesent- lichen steigern und somit eine Fortsetzung der Entwicklungsrichtungen bilden, die von den Abkömmlingen der Stammart eingeschlagen worden sind. So kommt es, dass die verschiedenen Faunengebiete auch je eine eigengeartete Schmetterlingswelt besitzen, deren Glieder sich jeweils an die des benachbarten Faunengebietes anschließen. Die Richtigkeit der von Eimer zu diesem Nachweis aufgestellten genc- tischen Beziehungen konnten durch die ontogenetische Entwicklung maßgebender Formen bis jetzt nur bestätigt werden. Ein Vergleich der durch den Einfluss verschiedenen Klimas ge- zeitigten Formen mit den Jahreszeitenabartungen zeigt, dass jeweils die Sommerformen den in südlicheren Ländern lebenden Abarten gleichen, während die in der kalten Jahreszeit sich entwickelnden Falter mit ihren nördlichen Verwandten Aehnlichkeit haben. Dieses Verhalten legt den Schluss nahe, dass die in wärmeren bezw. kälteren Gebieten lebenden Falter ihre Gestalt, Färbung und Zeichnung, ihre Artmerkmale dem Einfluss der Wärme oder Kälte verdanken, eine Annahme, die durch die Versuchsergebnisse nach der Einwirkung künstlicher Wärme und Kälte auf Schmetterlingspuppen zur Thatsache erhoben wird. 454 Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. Schmetterlinge, welehe sich unter den künstlich gestalteten Ver- hältnissen entwickeln, besitzen im Wesentlichen dieselben Eigenschaften, wie die in der wärmeren oder kälteren Jahreszeit entstandenen Jahreszeitenabartungen und wie die in wärmeren oder kälteren Gebieten lebenden Ab- arten bezw. Arten. Die Versuche zeigen auch, dass Wärme oder Kälte den Anstoß zu sprungweiser Entwicklung geben kann und be- weisen die Abhängigkeit der Variation von der Konstitution des gegebenen Organismus. Eimer’s Prophezeiung in der Entstehung der Arten: „wir werden in Zukunft im stande sein, mit dem Thermometer in der Hand Abarten zu züchten, vielleicht auch solche, welche in der freien Natur nicht vorkommen“ ist somit schnell in Erfüllung gegangen. Es sind namentlich die Versuche Merifield’s, Standfuss, Fischer’s und Fiekert’s, welche den experimentellen Beweis für die Lehre Eimers von den Ursachen der Umbildung der organischen Welt zunächst für die Schmetterlinge erbracht haben, besonders schlagend an Papilioniden und Vaneszen. Bei Papilio podalirius ergaben sich im wesentlichen für südliche Abarten, Hochsommerformen und Wärmeformen hellere Grundfarbe, schärfer begrenzte und vermehrte schwarze Zeichnung, das sich hauptsächlich im Verschmelzen von Binden äußert, größere blaue Halbmonde auf den Hinterflügeln und am Afterauge, längere Schwänze und spitziger ausgezogene Vorderflügel. Eine Verringerung des Schwarz tritt ein bei Vanessen, deren Puppen hohen Temperaturen ausgesetzt werden. Wie bei der in Armenien vorkommenden P. urticae turcica oder V. v. ichnusa aus Korsika und Sardinien schwinden hier. die der Binde III zugehörigen dunkeln Flecke. Auch der dem Binnenfeld der Binde VIIlursprünglich angehörende Fleck am Hinterrand der Vorderflügel verkleinert sich gleichzeitig mit dem Binnenfeld auf den Hinterflügeln, und die blanen Randflecke, welche bei podalirius durch den Einfluss der Wärme größer wurden, reduzieren sich und beweisen wie gleiche oder ähnliche Einflüsse auf verschiedene Konstitutionen, abweichende Ergebnisse erzielen. Wäh- rend alle genannten Eigenschaften der südlichen V. urticae eine An- näherung an V. Io bedeuten, verändert der Einfluss der Kälte beide Formen in vollkommen gleicher Richtung. Sowohl bei «rticae als bei Jo und: ebenso bei polychloros nehmen die dunkeln Binden in auf- fallendster Weise an Ausdehnung zu und führen zu Formen wie die Versuche von Standfuss und Fickert zeigen, die in der Natur überhaupt bis jetzt noch nicht vorgekommen sind. Es würde zu weit führen, wenn ich auf die Veränderungen ein- gehen wollte, wie sie durch künstliche Temperaturen noch an andern Papilioniden und Vanessen hervorgebracht worden sind, ich erwähne nur noch die Vanessa levana-prorsa, deren Zeichnung theoretische Eimer, Orthogenesis der Schmetterlinge. 455 Bedeutung hat und die, wie wir aus den Eimer’schen Ausführungen ersehen, längst Gegenstand des Experimentes und wissenschaftlicher Discussion gewesen ist. Die beiden Falter V. levana und prorsa, sind in ihrer Zeichnung so verschieden von einander, dass sie längere Zeit für getrennte Arten gehalten wurden. Die Versuche haben aber gezeigt, dass durch den Einfluss der Wärme die Vanessa levana in prorsa verwandelt werden kann und umgekehrt, und dass sich dabei die Zeichnung in vollkommen gesetzmässiger Weise umbildet, dass nicht, wie Weismann annahm, eine von der ersten unabhängige Zeichnung plötzlich hervorgerufen wird. Bei der Entstehung der V. prorsa aus der Zevana handelt es sich um die Verwandlung des Schrägband-Eckflecktypus der Vanessen in einen Mittelfeld-Schrägflecktypus. Bei dieser Verwandlung stellt die Vanessa porima eine Mittelform dar, welche als Zwischenstufe für die Erklärung der Zeichnungsfolge bei den beiden Faltern von großem Werte ist. Aus allen bis jetzt angestellten Temperaturversuchen geht somit hervor, dass die durch Einwirkung von Wärme oder Kälte hervorgerufenen morphologischen Abänderungen anFal- tern in ganz bestimmten Richtungen erfolgen, welche durch die Konstitution der Schmetterlinge bedingt sind. Dasselbe geschieht in der Natur durch die Einwirkung entsprechend wärmerer bezw. kälterer Klimate und giebt uns in den dadurch ent- stehenden Abarten und Arten den Beweis für die Vererblichkeit der auf Grund äußerer Reize entstandenen Eigenschaften. Experimentell wurde dieser Beweis durch Weismann, den Gegner dieser Theorie erbracht, durch seine Versuche mit Polyommatus phlaeas. Die südeuropäischen Repräsentanten dieses Falters unterscheiden sich von der bei uns heimischen Form, durch dunklere Färbung d. h. durch schwarze Bestäubung der Flügel. Es können nun durch die Einwirkung erhöhter Temperaturen die nördlichen Falter in die süd- lichen Varietäten verwandelt werden, die südlichen Formen in Falter, bei welchen die schwarze Bestäubung schwindet. Damit aber ist der Beweis geliefert, dass die dunkle Bestäubung eine durch den Einfluss der Wärme erworbene Eigenschaft ist. Da aber, wie die Experimente zeigen, nie alle Nachkommen der südlichen Brut unter dem Einfluss der Kälte verändert werden, sondern eine An- zahl stets die von den Eltern übertragenen Eigenschaften in diesem Fall die erworbene Dunkelfärbung bewahren, so ist hier die Vererbung erworbener Eigenschaften offenbar. Diese Schlussfolgerung ist unabweisbar, so sehr auch die Vertreter der Keimplasmatheorie bestrebt sind, dieselben zu ihren Gunsten zu deuten. Mit dem experimentellen Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften, fällt aber der 456 v. Wattenwyl, Betrachtungen über die Farbenpracht des Insekten. letzte Einwand, der gegen die Theorie vom organischen Wachsen erhoben werden kann, der Theorie, deren Verdienst es ist, die Er- scheinungen in der organischen Welt auf einheitliche Gesetzmäßigkeit zurückzuführen die an die Stelle eines durch Zufall und Nutzen beherrschten Abänderns der Lebewesen die Variation nach wenig bestimmten Richtungen setzt, und diese Orthogenesis auf dieselben Ursachen zurückführt, die auch die physiologischen Vor- gänge des persönlichen Wachstums auslösen und bedingen. [62] Dr. Gräfin v. Linden (Tübingen). Brunner von Wattenwyl, Betrachtungen über die Farben- pracht der Insekten. (Observations on the coloration of insects). Folio, VI + 16, mit 9 Tafeln in Buntdruck und Mappe. Leipzig, W. Engelmann (mit Unterstützung der kais. Akad. d. Wiss. in Wien) 1897. Preis: 36 Mk. Obiges, der Prinzessin Therese von Bayern gewidmete Prachtwerk oder, wie aus der Vorrede ersichtlich, dessen erstes Heft dürfte schon wegen der Person des Verf.s, unseres trefflichen Orthopterenkenners, all- gemein interessieren. Den Hauptteil der Publikation scheinen die Tafeln zu bilden; dieselben wurden in der That — mit unbedeutenden Ausnahmen (z. B. Fig. 8 bis 18, 21, 58, 114) geradezu glänzend ausgeführt, wie wir es von der Bannwarth’schen Firma kaum erwartet hätten. Vom Texte werden wir hier die wichtigsten Leitideen des Verf.s anführen. Während man durch die exakten Naturwissenschaften gewohnt ist, alle Naturerscheinungen auf bestimmte, unüberschreitbare Gesetze zurück- zuführen, offenbart sich nach Brunner in der Färbung der Insekten eine Willkür, in welcher das Bestreben liegt, etwas zu er- zeugen, das keine Rücksicht auf den Träger nimmt, daher als Emanation eines über der Weltordnung bestehenden Willens angesehen werden muss. Besonders solche Färbung, welche die Tiere als lästig und schädlich empfinden müssen und sie deshalb durch Zuchtwahl abzustreifen suchen, führen uns auf die transcendentalen Schöpfungsziele, die weit höher liegen als die bloße Erhaltung der Arten. Die eruierten „Gesetze“ sind uns einfach in der Farbenverteilung gegeben. So bringen diejenigen Geradflügler, deren Flügel nach Art des Sonnenspektrums in allen Farben prangen, wie die benguelische Pyro- morphide Phymateus brumneri Bol. das Gesetz der Regenbogen- färbung zum Ausdruck, Insekten, die ohne Rücksicht auf die Körper- teile längs- oder quergestreift sind (Beispiel: Graphosoma hineatum L., Hinterfligel und Abdomen bei Sphinz ligustri L.), das Gesetz der Streifung, welches so despotisch ist, dass es dem gewählten Muster zu Liebe manchmal die dunkle Farbe der Zeichnung auf eine Augenhälfte erstrecken und dadurch das Tier halb blind machen kann, wie wir dies bei der Heuschrecke Mastax semicaecus Br. beobachten !). Orthopteren, 1) Sowohl die Dioptrik als die Katoptrik des Fagettenauges steht in keiner Beziehung zur Tinktion des Integumentes, welche folglich die physiologische Leistungsfähigkeit des Gesichtssinnes nicht im geringsten zu beeinflussen vr mag. j Ref. v. Wattenwyl, Betrachtungen über die Farbenpracht der Insekten. 457 deren Flügel mit oder ohne Berücksichtigung des Geäders mit feinen Strichelchen bedeckt sind, erzählen von dem Gesetze der Strichelung, Lepidopteren mit len Fensterflecken (Saturnien) vom Gesetze der Farbenerosion, Insekten, die mit Augenflecken verziert wurden, von einem Gesetze der Augenfleckbildung u. s. w. Es sei hier be- merkt, dass auch die Färbung des Prothorax und des Oberwinkels der Vorderflügel bei Pygaera bucephala L. als zierende Augenflecke auf- gefasst wurden. Die Veränderung der Zeichnung (durch descendenztheoretische Fak- toren), z. B. Bänderauflösung in Fleckenreihen, Dislocierung oder Ob- literation der Farbenelemente (wie bei Hesperiden), bedeutet ebenfalls ein Färbungsgesetz. Aus der Thatsache, dass Farbenveränderungen — wie bei mimetischer Anpassung — recht langsam fortschreiten, also mit großer Ausdauer angestrebt werden müssen, wird geschlossen, dass die ursprüng- liche, erste Tingierung eben durch jene kreatorische Willkür dem Träger zugeteilt wurde. Dies wäre demnach der Grund ihrer großen Beharrlich- keit und daher arbeitet die Descendenz mit Differentialen. “ Es besteht auch ein Gesetz der Beziehungen der Färbung zur Lage, welches die korrelative Färbung gleichartiger Organe zustande bringt. Solchen Verhältnissen begegnet man besonders häufig an den Vorder- und Hinterflügeln der Schmetterlinge. So gefärbt waren ursprüng: lich die Sphingiden und auch die Zygaenen; erst sekundär wurden sie in sitzender Stellung mit einer Schutzfärbung versehen. Sehr merkwürdig ist schließlich das Gesetz der Tapetenmalerei. Bei manchen Hexapoden sieht man namentlich, dass sich die Grundfarbe über den ganzen Flügel ergießt und hie und Es durch das Dessin verdeckt wird, welches nach Art der Guache-Technik aufgetragen zu sein scheint. In dieser Weise wurde die Pseudocreobotra ocellata Serv., eine Harpa- gide aus Port Natal, mit einem Schablonenmuster bedacht, wo die Zeich- nung aus Grün, Gelb und Schwarz besteht und dabei ziemlich nachlässig ausgeführt wurde, so dass sich die Farben, wie bei billigen Buntdruck- bildern — an gewissen Stellen nicht regelrecht decken. Durch alle diese Gesetze fühlt sich Hofrat v. Brunner zu der An- nahme gedrängt, es wäre der Färbevorgang eine von der Biologie und der Struktur des Tieres ganz unabhängige Erscheinung, deren Entstehungsursachen außerhalb des gefärbten Organismus liegen müssen. Indem wir jede Erwägung des Pro und Contra einstweilen aussetzen, möchten wir uns dennoch einige objektive Bemerkungen erlauben und uns dabei auch eigener Beispiele bedienen. Wenn bei einem australischen Pirates das geflügelte Männchen ebenso holotypisch gefärbt ist wie das flügellose Weibchen, wenn Graphosoma lineatum holotypisch gestreift erscheint, so sehen wir bei dem verwandten und sehr ähnlichen Graphoscma punctatum, dass sich die Zeichnung schon weit mehr nach den Körperteilen richtet, und bei anderen zierlichen Wanzen, bei Phyllomorpha laciniata Vill, wird sie völlig von der Körpergestalt geleitet. Homoptere Wanzen, die Cicaden, liefern uns zahl- reiche Beispiele, wie die Zeichnung sich allmählich aus Verdickungen und Punktierungen des Flügelgeäders (brasilianische Frdicina mannifera F.) entwickelt, was auch bei Tagfaltern, z. B. bei den durchsichtigen Ithomien 458 v. Wattenwyl, Betrachtungen über die Farbenpracht der Insekten. der Fall ist. Die Rückenfirstlinie bei Phocylides (einer Phasmide) ist holotypisch tingiert mit Ausnahme des Segmentum medianum, welches bei Larven verborgen liegt und erst im geschlechtsreifen Stadium zum Vor- schein kommt. Holotypie ist bei Schmetterlingen allgemein verbreitet, beschränkt sich aber stets nur auf die sichtbaren Körperteile, ist also von der Anatomie thatsächlich unabhängig, da ihr stets die Bedeutung der kryptischen Färbung im Sinne Poulton’s zukommen dürfte. Gleichzeitig giebt es nahe verwandte Formen, die eines solchen Schutzes entbehren, wie neben dem geschützten Sphinx ligustri L. die besonders in ihren Abarten rubescens Garbowski, paralias Nickerl, grentzenbergi Stgr. auffallende Ohaerocampa euphorbiae L. G. Brandes beschrieb sogar Fälle von Horadimorphismus in den Tropen, wo die eine Generation protektive, die andere gewöhnliche Farben trägt; und durch J. Schilde haben wir von unserem Chrysophanes phlaeas erfahren, dass er in heiffen Gegenden Europas holotypischer Ver- dunkelung unterliegt, in China und Nordamerika hingegen unverändert bleibt !). Es stehen uns endlich unzählige Beispiele zur Verfügung, wo höchst verschiedene Insekten, sowohl in der Gestalt als in Zeichnung und Tinktion auffallendste (nicht mimetische!) Aehnlichkeit aufweisen. So ist Drepanopteryx phalenoides unter den Hemerobinen täuschend ähnlich dem Spinner Platypteryx. Die Hydropsychiden Plectrocnemia und Phelo- potamus gleichen im Habitus verschiedenen Tineiden, die meisten Phry- ganiden gleichen Galleria-artigen Phyeideen, Naucoris cimicordes den Dytisciden, viele Oimbex-Larven (CO. axillarıs), bunten Oucullia-Raupen u. s. w., ohne die Fälle von Gleichfärbung innerhalb derselben Ordnung (Brotolomia meticulosa — Smerinthus tiliae) zu erwähnen. Vergegen- wärtigen wir uns schließlich alle jene Farbenveränderungen, die der Ex- perimentator durch willkürliche Modifikation physikalischer Agentien her- vorzurufen vermag! Wir fragen nun angesichts aller dieser 'Thatsachen, warum die fär- berisch ungebundene Willkür des Kreatorischen in keinem Falle die un- sichtbaren Integumentstellen kryptisch oder sematisch bemalt hatte? Wir fragen ferner, ob es wirklich nicht geboten erscheint, alle jene sich gegen- seitig scheinbar ausschließenden, in ihrer Mannigfaltigkeit kaum zu kata- logisierenden Färbungsarten als unendlich mannigfaltigen Ausdruck eines einzigen gestaltenden Gesetzes aufzufassen, um von bescheidener Be- wunderung einer hyperphänomenalistischen Willkür zur Berechnung eindeutiger Naturnotwendigkeiten zu übergehen? — Die Auffassung Brunner’s erinnert in gewisser Beziehung an Eimer, der auch in seinem jüngsten, gegen A. Spuler gerichteten Aufsatze be- wiesen zu haben glaubt, die erste Entstehung und weitere Ausbildung betreffender Eigenschaften hänge mit dem Nützlichkeitsprinzipe keineswegs zusammen. [52] T. Garbowski (Wien). 1) Gegen pseudodoxische Transmutationslehren. Leipzig 1879. S. 123. Delage, Struktur des Protoplasmas. 459 Yves Delage, La structure du Protoplasma et les theories sur [Heredite et les grands probl&mes de la Biologie generale, XIV u. p. 879, 1895. C. Reinwald & Cie. (Schleicher freres). Trotzdem keine der modernen biologischen Theorien eine allgemeine Anerkennung unter den Naturforschern gefunden, hat das Interesse an spekulativen Studien über Erblichkeit und Variation in den letzten Jahren stetig zugenommen; sie beruhen alle auf der Annahme einer bestimmten Konstitution des Plasmas und suchen aus ihr die Organismengestaltung zu konstruieren. Unsere Einsicht in die Lebensvorgänge genügt aber bei weitem nicht zu einer befriedigenden Lösung des auf diese Grundlage gestellten Problems. Delage beleuchtet am Schlusse seines Werkes diese schwache Basis aller bisherigen Theorien und stimmt in vielen Hinsichten in seiner erschöpfenden Kritik mit einem berufenen Vertreter der Physiologie überein. Die Ansichten Delage’s werden noch Erwähnung finden. Es sei vorläufig gestattet, die Worte W. Pfeffer’s (2. Aufl. der Pflanzen- physiologie, Bd. I, 1897) über das Verhältnis der modernen Spekulation zur exakten Forschung wiederzugeben, da sie das Wesentliche des gegen- wärtigen Zustandes beider in Kürze charakterisieren. W. Pfeffer sagt S. 29 u. ff.: „Bei solcher Sachlage ist es bei aller Freiheit des Gedanken- „Auges und der theoretischen Erwägungen für jede exakte Forschung ge- „boten, stets Form und Umfang des gesicherten Rahmens im Auge zu „behalten, in dem unter allen Umständen das verschleierte Bild seinen „Platz finden muss... .. So viel ist aber selbstverständlich, dass jeder „Protoplast oder ein Teil eines Protoplasten, der sich zu einer vollstän- „digen Pflanze zu entwickeln vermag, alles das in sich trägt, was für „Erhaltung und Wandlung der Art notwendig ist“. Und in Bezug auf die Spekulation selbst stehen wir heute auf einem Boden, in dem keine Theorie feste Wurzeln fassen kann, auf dem immer neue, ebenso wie die alten umstrittene, entstehen. Darwin-Spencer und Weismann, Entwicklungsmechanik, und der bei gar vielen Physio- logen mehr oder weniger anerkannte oder stillschweigend geduldete, jedoch nicht näher formulierte Neovitalismus, — sie besitzen alle in ver- schiedenster Kombination Anhänger, ohne dass eine dieser Theorien einen unwidersprochenen Vorrang über die anderen gewonnen hätte. Nur wenige verdanken ihren Ursprung reiner, mit der exakten Forschung nicht auf das allerengste verbundener Spekulation. Doch sind theoretische Postulate unvermeidlich verkettet mit den Ergebnissen von Spezialgebieten. Es ist lehrreich zu verfolgen, in welcher Zeit die Spencer’schen „physiologischen Einheiten“ eingeführt wurden und die verschiedenen chemisch-physikalischen Hypothesen über den Bau des Plasmas, woraus sich die Abhängigkeit der verchiedensten Zweige der Wissenschaft ergiebt. Das Werk ist eine kritische Darstellung der modernen biologischen Theorien, wie sie in der Litteratur bisher nicht existierte. Es gestattet das prinzipiell Wichtige und Unterscheidende derselben zu überblicken. — Nach dem anerkennenswerten Geständnisse, dass die französische Forschung hinter der deutschen und englischen zurückgeblieben ist, giebt Verf. im ersten Teile des Werkes eine Art Einführung, indem er die hier in 460 Delage, Struktur des Protoplasmas,. Betracht fallenden Thatsachen, unter Ausschluss aller theoretischen Speku- lationen aufzählt. Er beschäftigt sich in dieser Einführung mit der Zelle, dem Individuum und der Rasse. Schematische Zeichnungen unterstützen die ausführliche Darstellung dieser Dinge. Die zwei folgenden Teile sind den Theorien gewidmet. Unter den all- gemeinen versteht Verf. die vollständigen Theorien der Zelle und des Protoplasmas, unter speziellen, diejenigen, welche mit besonderen Fragen sich beschäftigen, unbekümmert darum, ob sie in den Rahmen der allge- meinen Theorien passen oder nicht. Im 4. und letzten Teile des Werkes bringt der Verf. eine allgemeine Zusammenfassung des Ideenfortschrittes und seine eigenen persönlichen Anschauungen, die letzteren nicht als voll- ständige Theorie, welche die anderen ersetzen soll, sondern als die wahr- scheinlichste provisorische Lösung. Der fleißigen Arbeit des Verf. liegt ein weiterer Gedanke zu Grunde. Dieser ist, zu warnen vor gewissen Uebertreibungen „ganz ärgerlicher Natur“. Es gebe deren zwei. Die erste, sehr verbreitet in Deutschland, besteht darin, die Erklärung aller biologischen Erscheinungen in der Prä- determination des Keimes zu suchen; dies führt zur Annahme einer äußerst komplizierten und unwahrscheinlichen Konstitution des Protoplasmas und der Zelle, die sonst durch nichts gerechtfertigt ist, ferner zur Vernach- lässigung des Studiums der ontogenetischen Faktoren, die alle aktuelle physikalisch -chemische Kräfte darstellen und auf das Ei während seiner Entwicklung einwirken. Eine zweite Uebertreibung besteht darin, sich durch Worte abspeisen zu lassen. Ihr verfallen sogar hervorragende und an die Reflexion gewöhnte Forscher. So komme man heute zur Auf- fassung von Erblichkeit, Atavismus, Variation, Adaptation als ebenso vieler bestimmender Kräfte der Evolution, währenddem sie nichts anderes darstellen als Kategorien, Gruppen von Thatsachen, von denen jede ihre eigene mechanische Ursache besitze. Bei Behandlung der Theorien verfährt Verf. in der Weise, dass er den Forschern selbst das Wort erteilt und ihrer Darstellung dann eine kurze Kritik nachfolgen lässt. Er verfährt dabei historisch, forscht nach den ersten Spuren einer bestimmten Auffassung und stellt sie dann suc- cessive in ihrer schließlichen Vollendung dar. Es laufen hierbei eine Menge interessanter literar- historischer Aufschlüsse unter, wobei manche überraschende Aufklärung geboten wird. Die Einteilung des Verf. ist folgende: Animisten, Evolutionisten, unter denen fast kein einziger Name unserem Jahrhunderte angehört. Die T'heoretiker der modernen Zeit werden nach einer Neubenennung des Verf. eingeteilt in: Mikromeristen und Organieisten. Die große Reihe der ersteren eröffnet Buffon mit seinen „unsterblichen universellen Teilchen“, die aus organischen Molekülen bestehen. Auf einem ähnlichen Stand- punkte steht in weit späterer Zeit B&echamp mit seinen Mikrozymas. Mit diesen beiden Namen verschwindet wohl für immer diese spezifische Richtung der Theorie. Unter den neueren Theoretikern, die alle von der Annahme sterblicher Plasmateilchen ausgehen, finden wir 2 Grundanschau- ungen vertreten. Die erste geht dahin, unter sich gleiche auf die Bestimmung aller „Körperteile“ des Individuums gleichen Einfluss ausübenden Teile anzu- Delage, Struktur des Protoplasmas. 461 nehmen, die bei den verschiedenen Forschern nur in Bezug auf die spezielle Art ihrer Wirksamkeit differieren. In der Polarigenese Spen- cer’s sind die „physiologischen Einheiten“ durch ihre Polarität thätig, in der Theorie Haacke’s üben die Einheiten durch ihre Form und ihre Molekularkräfte die gleiche Wirkung aus. Bei den übrigen Forschern wird der gleiche Einfluss vermittelt durch vibratorische Bewegungen der Plasmaeinheiten z. B. in der Perigenese von Erlsberg, Haeckel, His. Eine zweite Grundanschauung geht von der Annahme verschiedener und verschiedene Funktionen besitzender Lebenseinheiten aus. „Die Natur- „forscher hatten es als bequem erachtet, den konstituierenden Teilchen „des Protoplasmas eine verschiedene Beschaffenheit zu geben. Jedes dieser „Teilchen dehnt seinen Einfluss nicht mehr auf den ganzen Organismus „aus, sondern hat eine mehr oder weniger beschränkte Aktionssphäre“. Auf dieser Hypothese fußen die „gangbarsten“ Theorien der Gegenwart; man kann sie nach der Natur, die sie den konstituierenden Plasmateilchen zuschreiben, in 2 Kategorien teilen. In der einen entspricht die Verschiedenheit der Plasmaeinheiten nicht der Verschiedenheit der Organe oder der Merkmale des Individuums. Die Plasmaeinheiten bringen die letzteren wohl hervor durch verschiedene Art ihrer Gruppierung unter dem Einflusse von Molekularkräften, die von _ ihnen selbst ausgehen; allein keine ist prädisponiert, dieses oder jenes Merkmal, diesen oder jenen Körperteil hervorzubringen; sie sind nicht repräsentativ, sie stellen nicht einen Teil oder ein Merkmal des künftigen Organismus vor. Hierher gehören die Theorien von Jäger, Gautier, Hanstein, Berthold. In einer zweiten Kategorie werden von den Forschern die Plasma- einheiten als repräsentativ angesehen, d. h. jede derselben erfährt von vornherein eine bestimmte Deutung in Bezug auf die Organe oder Merk- male des künftigen Organismus. Es mögen hier nur ein paar Namen aufgeführt werden: Fol, Naegeli, Altmann, Wiesner, Darwin, Galton, Brooks u. a. Wir gelangen nunmehr zu einer großen Klasse von 'T'heoretikern, deren Auffassung grundverschieden ist von den bisher besprochenen. Für die Organieisten resultieren das Leben, die Form des Körpers und die Eigenschaften und Merkmale der verschiedenen Teile aus der Wechsel- wirkung und dem Kampfe aller Elemente; Zellen, Fasern, Gewebe, Organe, wirken auf einander ein, werden durch einander verändert, verschaffen sich Raum und Anteil und ergeben in diesem Mitbewerb ein Endresultat, „das den Anschein einer vorgängigen Zustimmung (consensus), einer prästa- „bilierten Harmonie besitzt, wo nichts anderes vorhanden ist, als die Re- „sultante unabhängiger Erscheinungen“. Den Organieismus leitet nach dem Verf. Descartes 1662 ein; er findet seine Fortsetzung in Bichat, Claude Bernard, und gelangt zu Roux, Driesch und O. Hertwig, damit aber auch zu einer so stark modifizierten Theorie, dass diese, ob- gleich sie immer vom gleichen Prinzip ausgeht, als eine durchaus moderne betrachtet werden kann. — Wir können hier bei den Einzeldarstellungen der Theorien nicht verweilen. Sie bilden den Hauptteil des Buches, und weisen bei großer Ausführlichkeit ein Eingehen ins Einzelne auf, wie es bisher von keinem ähnlichen Werke geboten war. 462 Delage, Struktur des Protoplasmas, Nach Schluss der Darstellung einer Theorie findet sich die Kritik des Verf. Diese verweist auf die Darstellung, Parallelstellen der Vor- gänger, Kommentare. Manche der Theorien verlieren durch die Ver- gleichung mit anderen, ein kleiner Teil gehört denjenigen an, die der Wissenschaft neue Aussichten eröffnen. Von Neueren gehört zu solchen Spencer. Auf seinen physiologischen Einheiten fußen die meisten modernen Theoretiker von Haacke, Erlsberg, Haeckel an, bis auf Darwin u. a. m., bis auf Naegeli, Weismann u. a. Auch die Organicisten nehmen in gewissem Sinne diesen Begriff an. Nach dieser kurzen Uebersicht des vom Verf. Gebotenen lassen wir einige seiner kritischen Bemerkungen folgen. Der Animismus und Evo- lutionismus beanspruchen nur theoretisches Interesse. Das Gleiche gilt auch von einem Teil der Mikromeristen (Buffon und B&champ). Anders jedoch bei den übrigen derselben, welche mit dieser oder jener Modifika- tion der Bahn Spencer’s folgten. — Jene, welche in diesen Plasma- teilchen die einfachen chemischen Elemente sahen, stellten sich auf einen soliden Boden, denn es ist nicht zu leugnen, dass die verschiedenen Teile des Organismus wenigstens einen guten Teil ihrer Eigenschaften ihrer chemischen Natur verdanken. Allein auf dieser „soliden Basis“ hatten sie nichts aufgebaut. Weder Hanstein, noch Berthold, noch Gautier oder sonst Jemand war im Stande „eine auch nur einigermaßen voll- „ständige Theorie der Vererbung und der Evolution auf Grundlage der „einfachen chemischen Zusammensetzung des Protoplasmas“ zu errichten. Diese übertriebene Einfachheit und Anspruchslosigkeit der Hypothesen und Deduktionen, die man den in der Idee der „nicht repräsentativen“ Plasma- teilchen begründeten Theorien vorwerfen kann, findet sich nicht in den- jenigen vor, welche den konstituierenden Plasmateilchen einen repräsen- tativen Wert zuschreiben. Im Gegensatz zu den vorhergehenden erklären diese Alles, oder behaupten Alles zu erklären. So verhält es sich mit den Gemmen, Micellen, Pangenen, Idioblasten, Biophoren u. a. m. von denen gezeigt wurde, dass sie ungenügend sind, wenn sie einfache kon- krete Eigenschaften, dass sie unfassbar sind, wenn sie abstrakte Eigen- schaften vorstellen sollen. Die Theorie von Roux ist darin den vorher- gehenden ähnlich. Sie eröffnet eine neue Bahn durch das Hervorheben eines Faktors von höchster Wichtigkeit, allein sie erklärt weder die onto- genetische Differentiation noch die Vererbung. „Im übrigen sind alle diese Hypothesen, in denen man in Bausch „und Bogen dem Protoplasma eine präcise und komplizierte Konstitution „zuschreibt, von vornherein verurteilt, weil sie etwas erfinden, was sich „nicht erfinden lässt“. Damit solle nicht gesagt werden, dass das Proto- plasma nicht eine präcise und komplizierte Konstitution besitze. Wenn man aber auch die Grundlinien dieser Konstitution im Großen erkennen kann, so ist es doch unmöglich, die näheren Einzelheiten zu erraten, und wenn es für Jemanden in seiner Theorie nötig ist, dass diese Einzel- heiten eine ausschließliche Bestimmtheit besitzen und nicht eine eine etwas andere, so ist man sicher, dass die Theorie falsch ist. Es ist nicht mög- lich durch Nachdenken das Richtige zu treffen. „Hatte man jemals vor- „her die Einzelheiten erraten, welche uns später das Mikroskop offenbarte ? „Hatte man die Querstreifung der Muskeln erraten“ etc. .. .. Und dies Delage, Struktur des Protoplasmas. 465 sind Kleinigkeiten gegenüber den kombinierten Bewegungen, die uns die Karyokinese und Befruchtung zeigte. — In allen diesen Hypothesen findet man nur das, was man in sie hineinlegt; sie sind nicht der fruchtbare Boden, der das Korn keimen und fruktifizieren lässt, sondern ein Koffer, der es aufbewahrt, d. h. sie sind steril. Dafür giebt Verf. einige Bei- spiele an. Naegeli erfindet seine Micellen, Faktoren abstrakter Eigen- schaften, und alsbald wird es ihm leicht, das verdickte Ende eines Sperma- tozoiden zum Sitze aller erblichen Eigenschaften zu machen. Allein, was er auf dieser Seite gewinnt, verliert er auf Seiten der individuellen Be- stimmtheit der Körperteile, denn er weiß nicht mehr die Ursache der variierenden Kombinationen immer gleicher Faktoren zu finden. „Weis- „mann erfindet das Ahnenplasma, die Vererbung und der Atavismus sind „nunmehr keine Mysterien, Alles übrige aber bleibt ein Rätsel. Will er wie „Naegeli den Vorteil einer beschränkten Zahl von Initialfaktoren be- „sitzen, so muss er diesem die Micellen entlehnen unter dem Namen der „Biophoren; will er mit Darwin den Vorteil einer Repräsentanz der „Zellen besitzen, muss er von diesem die Gemmen entlehnen, die bei ihm „zu Determinanten werden; sucht er die Bestimmtbeit der Zellen mit der „Unbestimmtheit des Zellkerns zu vereinbaren, entlehnt er de Vries die „intracellnläre Wanderung der Pangenen. Um die Regeneration zu er- „klären, bedarf er der Ersatz-Determinanten, für die Knospung der Reserve- „Determinanten, für den Dimorphismus der Doppel-Determinanten. Ent- „deckt man irgend eine neue Erscheinung dieser Art, so müsste er „irgend einen anderen Determinanten erfinden“. Verf. giebt nach seiner ausführlichen Darstellung der Theorien, welche den Hauptteil des Werkes bildet, einen Hinweis über den Weg, den die theoretischen Forschungen einhalten sollten. „Es ist offenbar die Proto- „plasmastruktur, welche als Ausgangspunkt dienen muss, da sie die „mechanische Ursache der Erscheinungen bildet, die es zu erklären gilt. „Wir können uns darum nicht enthalten, einige Hypothesen über die „Konstitution und die Eigenschaften des Protoplasmas aufzustellen. Aber „wir können den Vorwurf der Unwahrscheinlichkeit, an dem die meisten „Iheoretiker scheiterten, uns ersparen, bei Befolgung folgender zweier „Regeln: „il. So wenig als möglich Hypothesen aufbauen und bei denjenigen, „welehe wir gezwungen sein werden aufzustellen, uns an allgemeine Be- „zeichnungen halten, die einiger Voraussicht nach es möglich ist zu „erraten; Präcisieruugen von Einzelheiten vermeiden, welche ganz sicher „unexakt wären. Gegen diese elementare Regel wurde namentlich von „deutschen 'Theoretikern gesündigt. Insbesondere scheint Naegeli ein „Vergnügen daran zu finden, die minimalen Einzelheiten der Struktur „des Indioplasmas zu präcisieren, indem er die Wasserschichten der Mi- „eellen zählt, und behauptet, dass die Fasern der letzteren transversale „Lagen bilden, dass ihre Bündel nicht rund sondern abgeplattet sind u. s. £.“ „2. Bei Aufstellung einer Hypothese immer den Ausgangspunkt vor „Augen behalten und nicht das Ziel; durch die Induktion sich leiten zu „lassen, ausgehend von Thatsachen, die durch den Versuch und die Be- „obachtung erhärtet sind, niemals aber durch die Notwendigkeit geführt, „Dieses oder Jenes erklären zu müssen“. 464 Delage, Struktur des Protoplasmas. Der Ref. muss es sich versagen, die Ideen des Verf., die unter dem Titel einer „Theorie der aktuellen Ursachen“ geboten werden, hier im Zusammenhange zu verfolgen. Es wäre auch nicht möglich, sie in wenigen Worten wiederzugeben. In welchem Sinne sie Verf. aufstellte, wurde schon erwähnt. Indem er in seiner Theorie die Wichtigkeit der chemisch- physikalischen Grundlagen des Zellenlebens betont, knüpft er andererseits an Roux, Driesch u. a. an. In den Schlussworten finden wir eine bemerkenswerte Aeußerung über eine der brennendsten Fragen der modernen Protoplasmatheorie: das Keimplasma und die Vererbung erworbener Eigenschaften. „Die Keim- „plasmatheorie wurde anfänglich von Jaeger und Nussbaum aufge- „stell. Weismann machte sie mittels zahlreicher Verbesserungen zu der „seinigen. Durch sie findet die Entwicklung, welche die Aehnlichkeit „des Kindes mit den Eltern hervorbringt, eine vollständige und erschöpfende „Erklärung. Aile Schwierigkeiten, auf die wir in der Erzeugung einer „Zelle durch das Individuum stoßen, welche seine zahllosen Merkmale in „sich vereinigt, sind mit einem Male aufgehoben. Aber damit gelangen „wir vor ein neues Problem, welches nicht minder schwer zu lösen ist, „nämlich das der Uebertragung erworbener Eigenschaften. Mutvoll folgt „Weismann den logischen Deduktionen seiner Idee, und da er die er- „wähnte Uebertragung nicht erklären kann, negiert er sie zum Trotz aller „bisherigen Ansichten. Es giebt wenige Beispiele eines so raschen Um- „schwunges der Meinungen in einer so schwerwiegenden Frage, ohne dass „zwingende Thatsachen ihm zu Grunde lägen. Denn nur durch die Dis- „kussion, eine neue Interpretation bekannter Thatsachen, hatte sich dieser „Umschwung vollzogen. „Ohne Erblichkeit erworbener Eigenschaften ist es fast unmöglich, „die Anpassung, die phylogenetische Entwicklung zu erklären. Von ihr „allein lebte der Lamarckismus, und ohne sie wird der Darwinismus auf „die Selektion ausschließlicher plasmogenetischer Zufallsvariationen be- „schränkt. Gegenüber diesen hochwichtigen Ergebnissen der Theorie teilen „sich die Forscher in zwei Lager, in die Neo-Darwinisten, welche mit „Weismann glauben, die Selektion unterstützt durch die Panmixie ver- „möge Alles zu erklären, und in die Nachfolger Lamarcks, welche mit „Spencer dies negieren und der Erblichkeit erworbener Eigenschaften „das Wort reden“. In einem ähnlich zutreffenden Bilde legt Verf. in seinen Schlussworten den Zustand dar, in dem die Frage nach der Struktur des Protoplasmas sich befindet. A. Maurizio (Zürich). [66] Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an die Redak- tion, Erlangen, physiol. Institut, Bestellungen sowie .alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf Inserate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Arthur Georgi, Leip:ig; Salomonstr. 16, zu richten. —— Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt, unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. ‚der Fugelanie in Erlangen. 94 Nummern von ı je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes Pr) Mark. Zu beziehen durch alle ‚Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. Juli 1898. N. BR. Inhalt: Tiebe, Entgegnung. — Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten and Brandt, Das Hirngewicht und die Zahl der peripherischen Nervenfasern in ihrer Beziehung zur Körpergröße. — Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. — Nez, Mikroskopische Wasseranalyse. — Wies- ner, Elemente der wissenschaftlichen Botanik. — Silvestri, La fecondazione in una specie animale fornita di spermatozoi immobili. — Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten, — Helm, Katalog der Vögel Badens. — Berichtigung. Entgegnung. Herr Kienitz-Gerloff hat die Untersuchungen des Herrn Pla- teau, über deren drei erste Teile ich in dieser Zeitschrift berichtet habe, während ein Bericht über die beiden letzten sich in den Händen der Redaktion befindet!), einer abfälligen Besprechung unterzogen. Einwürfe haben wir (wenn ich von mir in meiner untergeordneten Rolle als Berichterstatter überhaupt mitsprechen darf) erwartet und gewünscht; denn nur im Streit der Meinungen findet sich die Wahrheit. Ich hätte es aber gern gesehen, wenn dabei Ausdrücke weggeblieben wären wie: noch so ungereimt — blenden lassen — u. s. w. Was dieselben der Sache nützen sollen, vermag ich nicht einzusehen. Das Recht und die Pflicht zu einer Entgegnung steht selbstver- ständlich in erster Linie Herrn Plateau selbst zu; aber auch ich glaube aus naheliegenden Gründen nicht völlig schweigen zu dürfen. Ich beschränke mich dabei auf die Hauptsache. Der Vorwurf, welchen Herr Kienitz-Gerloff erhebt, gipfelt darin: Plateau habe nichts weiter gethan, als das noch einmal zu beweisen, was von der Blumentheorie nie bestritten, und dasjenige zu bekämpfen, was von ihr niemals behauptet worden ist. Ist dem wirklich so? Nach Sir John Lnbbock?) ist der Honig die vornehmlichste Ursache des Insektenbesuches; nicht der Duft, nieht die Farbe, sondern 1) Wir lassen ihn dieser Entgegnung folgen. — Red. 2) Blumen und Insekten in ihrer Wechselbeziehung. Deutsch von Passo w. Berlin 1877. S. 3 und 13. XVII, 30 466 Tiebe, Entgegnung. der Blütenstaub und der Honig sind es, um derentwillen die Insekten Einkehr halten. Der süße Geruch und die lebhaften Farben sind nur Lockmittel; alle insektenblütigen Blumen sind im Besitz einer glänzend gefärbten Blumenkrone, bei einigen derselben wird der Mangel an Farbenpracht durch die Menge der Blüten ersetzt, während andere die Insekten durch ihren Duft anzulocken wissen. Sir John Lub- bock behandelt hiernach Farbe und Duft als gleichwertig, ja er scheint, wenn er dann von farbenliebenden Insekten spricht und den Bienen Farbensinn zuschreibt, geneigt, der Farbe etwas mehr Bedeu- tung beizumessen. Plateau aber behauptet: die Farbe spielt eine untergeordnete, der Duft die Hauptrolle; die Insekten werden zu den Blumen geführt in erster Linie nicht durch den Gesichtssinn, sondern durch einen anderen Sinn, aller Wahrscheinlichkeit nach den des Ge- ruches. Ist das nicht etwas anderes? Was zudem von dem (auch von anderen Seiten angenommenen) Farbensinn der Insekten, ins- besondere von den durch Herrn Kienitz-Gerloff eitierten Versuchen Lubbock’s u. a. zu halten ist, hat Vitus Graber bereits 1884 in seinem bedeutsamen Werke „Grundlinien zur Erforschung des Hellig- keits- und Farbensinnes der Tiere“, über welches ich Biolog. Central- blatt, VI, 489 fi. berichtet habe, erörtert?). Er kommt zu dem Schlusse, „dass wir überhaupt darüber, ob die Insekten gewisse Blumen der Farben wegen angenehmer als andere sind, vorläufig absolut gar nichts Bestimmtes aussagen können“ ?). Als den Hauptvertreter der „augenblicklich herrschenden Blumen- theorie“ dürfen wir wohl Herm. Müller betrachten, auf den sich ja auch Sir John Lubbock in vielen wesentlichen Punkten stützt und Herr Kienitz-Gerloff als auf eine Autorität beruft. Müller be- hauptet nun allerdings nicht, dass die Farbe das „einzige“ Anlockungs- mittel sei; diese Meinung hat ihm aber auch Plateau nicht zuge- schrieben, er spricht nur davon, dass die Mehrzahl der Blumentheore- tiker die Farbe als le signe attractif par excellence, als das vornehm- lichste oder hauptsächlichste Anlockungsmittel hinstellten. Und als solches fasst es Hermann Müller in der That auf. In Schenk’s Handbuch der Botanik heißt es S. 34: „Von den soeben genannten Eigentümlichkeiten |[hervor- stechende Farbe, angenehmer Duft, wohlschmeckende Nahrung] ®) .. . 4) 418 und 44. 2) Vergl. 8.20—23, S. 257 ff., 8. 174 u. 175. 3) Hierbei hat Graber „im Interesse einer rationellen Prüfung“ den Vor- schlag gemacht, „zu den Versuchen... Imitationen von Blumen zu verwenden‘, also zu Versuchen aufgefordert, wie sie Plateau (mit negativem Erfolge) angestellt hat. Vergl. hierzu die Bemerkungen des Herrn Kienitz-Gerloff S. 421. 4) Müller schreibt hierbei (ebenso $.15) den Insekten seelische Empfin- dungen zu, wie wir Menschen sie den Blumen gegenüber hegen, Tiebe, Entgegnung. 467 dürfte als die ursprünglichste wohl... zu betrachten sein... die von den Grün des Laubes sich abhebende Farbe der Blütenhüllen“. S. 42 werden Nektar oder Honig als später hinzugetretene Aus- rüstungen bezeichnet, mit deren Hilfe die Blumen mehr leisten als mit bloßer Augenfälligkeit alsErkennungszeichen und mit bloßem Blüten- staube als Lockspeise. „Neben oder statt der Augenfälligkeit“, so heißt es auf derselben Seite kurz vorher, „haben sich bei vielen Blumen Düfte ausgebildet, die weithin sich ausbreitend, auf die Nasen und den Appetit der Kreuzungsvermittler angenehm einwirken!) und dieselben aus der Nähe weit mächtiger als bloße Farben aus der Ferne herbeilocken“. S. 35 wird berichtet, wie unter übrigens gleichen Bedingungen die großen prächtig rosafarbenen Blumen von Malva silvestris den Sieg über die viel kleineren blasseren Blumen von Malva rotundifolia davontragen u. S. w. Stehen alle diese Aussprüche nicht in direktem Gegensatz zu der Meinung Plateau’s, der allgemein und nicht nur für einige Aus- nahmefälle bewiesen zu haben glaubt, die Insekten würden aus der Ferne angelockt in erster Linie durch den Geruch? Wie aber stützt Plateau seine Behauptungen? Herr Kienitz- Gerloff sagt: durch eine zu geringe Zahl, durch wenige Beobach- tungen (S. 420). In den drei ersten Teilen zähle ich aber außer den allgemein gehaltenen Angaben mehr denn 900 Einzelbesuche von In- sekten. Rechnet man die zahlreichen anderen Beobachtungen, auch die des 4. und 5. Teiles hinzu, so kommt man vielleicht nicht auf 5674, aber doch sicherlich nicht auf „wenige“. Die Zahl allein thuts auch nicht, das giebt ja Herr Kienitz-Gerloff selbst zu. So hat die von Müller mit bewundernswertem Fleiße zusammengetragene „Statistische Uebersicht des Insektenbesuches“ 2), welche 1111 Insektenarten um- fasst, so wie sie mitgeteilt ist, nur eine beschränkte Beweiskraft, weil sie sich eben mit den Insektenarten beschäftigt, während die Häufig- keit des Insektenbesuches doch nach der Zahl der erschienenen Indi- viduen abzuschätzen ist. Ein gleiches ist übrigens zu sagen von dem bekannten Ausspruch, dass die Bienen die roten, violetten und blauen Blumen vor den gelben und weißen bevorzugten?). Zur Erhärtung dieses Satzes stützt man sich gleichfalls auf die überwiegenden roten, violetten und blauen Arten, während doch nur die Zahl der Einzel- besuche, die den verschiedenfarbigen Blumen zu teil geworden ist, ent- scheidend sein kann‘). Haben denn nun schließlich die Versuche von Plateau zu ge- 1) Siehe Note 4 auf S. 466. 2) 8.57; 3, auch 8. 35. 3) H. Müller, Alpenblumen. S. 501. 4) Vergl. Graber. S, 259 ft. 30 * 468 Tiebe, Entgegnüung. sicherten Ergebnissen geführt? Wir können uns hier auf einen un- verdächtigen Zeugen berufen, auf Herrn Kienitz-Gerloff selbst. Derselbe nennt die unmittelbaren Beobachtungsergebnisse, welche von Plateau in den am Schluss seiner letzten Abhandlung aufgestellten Thesen noch einmal kurz niedergelegt sind, unzweifel- haft richtig. Hier sind diese Ergebnisse !): 1. die Insekten besuchen die Blütenschöpfe von Kompositen und die Dolden von Umbelliferen lebhaft, wenn dieselben (ohne sonstige Beschädigung) mit grünen Blättern so umhüllt werden, dass Form und Farbe nicht mehr wahrnehmbar sind; 2. die Insekten fahren in ihren Besuchen fort, wenn man den Blumen die augenfälligen gefärbteu Organe ganz oder fast ganz nimmt; 3. es giebt zahlreiche grüne oder grünliche Blumen, die inmitten des Blattwerkes (für uns) wenig sichtbar sind. Die Insekten ent- decken sie indessen leicht und besuchen sie emsig; 4. die Insekten begeben sich ohne Zaudern nach sonst wegen Mangels an Nektar gemiedenen Blumen von dem Augenblicke an, in dem man sie mit künstlichem Nektar (durch Wasser verdünnten Honig) versieht; 5. die Insekten hören mit ihren Besuchen auf, wenn man aus den Blumen unter Schonung der augenfälligen bunten Teile das Nektarium entfernt, und nehmen sie wieder auf, wenn man dasselbe wieder durch Honig ersetzt; 6. bringt man Honig auf oder in windblütige Pflanzen, die in ihrer grünen oder bräunlichen Farbe nichts Auffälliges haben und fast nie- mals besucht werden, so genügt dies, um zahlreiche Insekten anzu- locken. Wenn man aber diese Ergebnisse als „unzweifelhaft richtig“ an- erkennt, kann man dann noch an der Behauptung festhalten, dass der Farbe die Hauptrolle in der Anlockung der Insekten oder auch nur gleiches Recht mit dem Duft beizumessen sei? Man kann sich dagegen verwahren, dass der Farbe aller Einfluss abgesprochen werde; man kann es vielleicht für etwas zu scharf ausgedrückt halten, wenn Plateau sagt: „Weder die Form noch die lebhaften Farben der Blumen scheinen eine bedeutsame Rolle als Anlockungsmittel zu spielen“; man mag vielleicht an einem oder dem anderen Versuche etwas auszusetzen haben, der Verwendung des künstlichen Honigs nicht eine ganz zwingende Beweiskraft zuschreiben — im ganzen jedoch wird man, wenn man eben die Ergebnisse im ganzen als richtig bezeichnet, sagen müssen: Plateau ‚hat etwas bekämpft, was die 4) An einzelnen Stellen verkürzt. — Die von Herrn Kienitz-Gerloff angeführten Sätze wiederhole ich nicht, ebenso wenig den auf die Erfahrungen mit künstlichen Blumen bezüglichen. | Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 469 heutigen Blumentheoretiker ihrer Mehrzahl nach behaupten, und etwas Neues gefunden. Ob dieses Neue auch gut ist, das zu entscheiden, überlasse ich getrost einsichtigeren Beurteilern als ich es bin. [91] Stettin, 3. Juni 1898. Tiebe. F. Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? (4. und 5. Teil.) In früheren Untersuchungen!) hat F. Plateau den Nachweis ge- liefert, dass weder die Gestalt noch die Farbe der Blumen, sondern vielmehr der von diesen abgesonderte Nektar es ist, was die Insekten anlockt. Jetzt teilt er weitere Beobachtungsreihen?) mit, welche dies Ergebnis in jeder Beziehung bestätigen und stützen. Teil 4 beschäftigt sich zunächst mit den windblütigen Pflanzen, bei denen man nach der ganzen Einrichtung ihrer Blumen Besuche nicht erwartet und in der That auch nur in geringem Grade, wenn auch nicht gerade selten beobachtet. Ihnen muss man, falls die an die Spitze gestellte Behauptung richtig ist, zahlreiche Insekten dadurch zuführen können, dass man sie mit einem Tropfen Honig ver- sieht. Dies hat sich in der That bei 17 Arten, welche den Haupt- typen der windblütigen Pflanzen angehören, gezeigt: bei Chenoyodium viride, Ch. foetidum, Ch. polyspernum, Ch. Bonus-Henricus, Atriplex hortensis — Cannabis sativa, Humulus Lupulus — Urtica urens, U. dioica — Rumezx acetosa, BR. Patentia — Typha angustifolia — Juncus conglomeratus — Scirpus Holoschoenus — Phleum pratense, Holcus ta- natus, Panicum miliaceum. Mehrfach trafen unmittelbar nach Beginn des Versuches Musca domestica sowie andere kleine Musciden und Syrphiden ein, nach 25--40 Minuten Apis mellifica, Bombus terrestris, Sarcophaga carnaria u. a., um mit Gier zu saugen. Bei drei Brenn- nesseln, die 60, bezw. 1000 Meter von einander abstanden, fand man eine Stunde, nachdem man einzelne ihrer Blüten mit Honig versehen hatte, 1 Musca domestica, 3 Vespa germanica, 1 Vespa silvestris, 1 Scato- phaga und 1 Apis mellifica, nach 3 weiteren Stunden 4 Vespa germa- nica und 1 Forficula auricularia vor, sämtlich gierig saugend. Bei Rumex wurden 11 Stöcke inmitten zahlreicher anderer mit Honig ver- sehen; sie erhielten zahlreiche Besuche, die anderen nicht einen einzigen. Bei Rheum tataricum, das nach Darwin eine Mittelstellung zwischen wind- und insektenblütigen Pflanzen einnimmt und unter ge- wöhnlichen Verhältnissen von Pollen-verzehrenden Käfern ( Telephorus Juscus, Phyllopertha horticola, Trichius abdominalis und zahlreichen 1) Biol. Centralblatt XVI, 417-420 und XVII, 599—605. 2) Bull, de l’Acad. royals de Belgique, 3me ser., tome XXXIV, p. 601—644 und p. 847—881. 470 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Anthrenus) besucht wird, konnte es sich nicht mehr darum handeln, durch Zusatz von Honigtröpfehen erst Besuche herbeizuführen, sondern darum, zu erkennen, ob dadurch auch andere Arten angelockt würden. Bei einer Beobachtung, die mit zahlreichen Unterbrechungen zwei Stunden umfasste, wurden bei einer mit Honig versehenen Blütentraube mindestens 60 Besuche von Hymenopteren und Dipteren gezählt, wäh- rend eine zweite unberührt gelassene Traube derselben Pflanze kaum beachtet wurde. In einer zweiten Reihe von Untersuchungen werden insekten- blütige Pflanzen behandelt, welche grüne oder grünliche, braune oder bräunliche Blumen tragen. Bonnier!) hat be- reits im Jahre 1879 eine lange Reihe von Pflanzen aufgezählt, deren srünliche Blüten allerdings für uns unsichtbar sind inmitten der Blätter, von den Insekten aber mit Leichtigkeit aufgefunden werden. Auch J. Mac Leod in Gent?) sagt: „Wenn wir bemerken, dass viele insekten- blütige Blumen klein sind und lebhafter Farben ermangeln, vielmehr ein Grün oder Grünlich tragen wie Adoxa, Cherleria sedoides, Beta maritima, Crithmum maritimum oder ein Braun wie Listera ovata u. a., so kommt man zu dem Gedanken, die Farben der Blumen möchten sich anders denn als Anpassung an Insektenbesuche entwickelt haben“. F. Plateau hat sich nun der Mühe unterzogen, aus der reichen und zerstreuten Litteratur die Fälle zusammenzusuchen, in denen bei srünen und braunen Blumen Insektenbesuche festgestellt sind, und dieselben durch zahlreiche eigene Beobachtungen zu vermehren. In Betracht kommen nicht weniger als 91 Formen, darunter 41 mit grünen, 38 mit grünlichen und 12 mit braunen oder bräunlichen Blumen; bei mehr als zwei Dritteln derselben hat Plateau selbst die Färbung eingehend geprüft und Insektenbesuche, oft in großer Menge, beobachtet. Teil 5 berichtet über Versuche mit künstlichen Blumen. Wenn nämlich wirklich, wie gemeinhin behauptet wird, die auffällige Farbe der Blütenblätter in erster Linie das Anlockungsmittel für die Insekten ist, so müssen sich diese leicht durch geschickt nachgemachte Blumen täuschen lassen. Den ersten hierhergehörigen Versuch hat Nägeli angestellt °): Er hängte Papierblumen, von denen einige mit ätherischen Oelen ge- tränkt waren, an grünenden Zweigen auf; Insekten flogen herbei, setzten sich auf die Blumen, drangen auch in sie ein; der Mangel an Nektar zerstörte aber die Illusion, so dass die Besuche bald ganz auf- hörten. Leider hat Nägeli es unterlassen, uns die Namen der nach- gseahmten Arten, der verwendeten Essenzen, der beobachteten Insekten mitzuteilen. 1) Les nectaires, Ann. de sciences nat. (bot.), 49e annde, VI sörie, t. VII. 2) Over de bevruchting der bloemen etc. Gent 1894. 3) Op. seit; Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 471 Ohne von diesen Versuchen etwas zu wissen, hat Plateau schon 1876 eine Reihe ähnlicher veröffentlicht!). Es kamen damals Hunds- rosen, Ranunkeln, Caltha, Ipomoea, Kresse, Maiblume, Stiefmütterchen, rote und weiße Nelken, Weißdorn, Mohn, Kirsche und weißer Flieder zur Anwendung. Die Wahl dieser Blumen war, wie sich später heraus- stellte, nicht immer glücklich; Rose und Flieder z.B. werden im Natur- zustande wenig besucht. Die Ergebnisse waren folgende: Die mehr oder weniger lebhafte Färbung zieht nur sehr wenig Insekten an; die Insekten entdecken vielmehr Unterschiede zwischen den natürlichen und künstlichen Blumen, die einem nicht vorbereiteten Beobachter entgehen. Neuerdings hat Plateau Versuche mit Ribes sanguineum, Persica vulgaris, Cerasus vulgaris, Myosotis alpestris, Malus communis, Saxi- Jraga umbrosa, Digitalis purpurea, Lathyrus latifolius angestellt. Wir heben aus ihnen einige heraus. Bei drei Johannisbeersträuchern wurden zwischen die natürlichen zehn künstliche Trauben gebracht, die in Form und Farbe so gut nachgeahmt waren, dass sie jedermann außer dem Experimentator täuschten. Es wurden fünf Bombus terrestris, drei Apis mellifica und drei Osmia bicornis verfolgt: nicht eins dieser Insekten schenkte den nachgemachten Trauben die geringste Beachtung. Bei einem mit Blüten bedeckten und von zahllosen Hymenopteren umschwärmten Spalier von Persica wurden zwei mit zahlreichen künst- lichen Blumen besetzte Zweige aufgehängt. Immer hingen dieselben in unmittelbarer Nähe natürlicher Blüten, aber niemals (während einer Beobachtungszeit von im ganzen 2°), Stunden) kam es vor, dass ein Insekt von einer natürlichen Blüte, auf welcher es gesogen hatte, ver- sehentlich zu einer nachgemachten überging. Zwischen sechs Stauden von Digitalis purpurea, welche eine iso- lierte Gruppe bildeten, wurden drei künstliche eingesetzt, die sich zu derselben Höhe über dem Boden erhoben und vorzüglich nachgeahmt waren, und die Blumen von einer derselben mit Honig versehen. Bei einer ersten Beobachtung (2 Stunden) richtete sich die Aufmerksam- keit nur auf Hymenopteren, da andere gelegentlich erscheinende In- sekten fast niemals in die Kronen eindringen, also als eigentliche Be- sucher nicht aufzufassen sind. Es erschienen 7 Bombus terrestris, 3 B. muscorum und 2 Megachile ericetorum. Die letzteren blieben nur kurze Zeit, sie mieden die künstlichen Blumen völlig. Die Besuche von Bombus waren dagegen von langer Dauer, die meisten Tiere drangen gewohnheitsmäßig in eine ziemlich große Zahl von Blüten ein, stets jedoch nur in natürliche. 6 von ihnen thaten so, als wenn die nachgemachten Blumen gar nicht vorhanden wären, und 4 andere 4) L’instinet des Insectes peut-il ötre mis en döfaut par des fleurs artifi- eielles? (Ass. franc. p. l!’avanc. d. sc. Congr&s de Clermont-Ferrand 1876.) 472 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? (lauter B. terrestris) zeigten denselben gegenüber eine Spur von Stocken: sie flogen in einer kurzen Kurve vor ihnen vorbei, ohne indess ein einzig Mal in eine von ihnen einzudringen; auch die mit Honig versehenen Blüten blieben unbeachtet, hier konnte nur ein einziger Besuch von einer Diptere (Calliphora vomitoria) festgestellt werden. Bei einer zweiten Beobachtung (1'/, Std.) erschienen Anthidium manicatum und Oxybelus uniglumis in großer, Odynerus quadratus in geringerer Menge. Die beiden letztgenannten beschränkten sich im wesentlichen darauf, die Pflanzen zu umschwärmen. Von Anthidium zählte man nicht weniger als 49 Individuen; 38 von ihnen schenkten den künstlichen Blumen nicht die geringste Beachtung, 11 andere- ver- rieten ein gewisses Zögern: meist beschränkten sie sich darauf im Bogen vor den künstlichen Blumen vorbeizufliegen, zweimal fand eine aufmerksamere Prüfung, und zwar im Fluge statt, niemals aber zeigte sich die geringste Neigung, in eine nachgemachte Krone einzudringen. Die Ergebnisse blieben dieselben an einem dritten Tage, als die natürlichen Blumen fast ganz abgeblüht, die künstlichen also vielmehr sichtbar und auffällig waren. Von 31 erschienenen Anthidium be- achteten 22 die Blumen überhaupt nicht, 3 flogen einen Augenblick vor dem mit Honig versehenen, 6 vor einem anderen Exemplar. Bisher waren die gemachten Stauden immer in die unmittelbare Nähe natürlicher gesetzt wurden; bei einem 4. Versuche wurden sie weitab davon in eine Rabatte gesetzt, in der Dianthus barbatus und Tugetes patula blühten. Zahlreiche Formen (Weißlinge, Zweiflügler, Käfer, Hautflügler) und Individuen umsehwärmten diese Rabatte; aber in 1’/, Stunden beachteten nur drei die künstlichen Fingerhüte: ein Oxybelus flog einen Augenblick vor einer der Trauben, eine Megachile beschrieb einen kurzen Bogen um eine solche, eine Eristalis schwebte einen Augenblick vor ihr, um dann rasch nach einer Nelke zu fliegen; keins dieser Insekten machte aber auch nur den Versuch, sich auf eine der künstlichen Kronen zu setzen. Während derselben Zeit wurden die 12 Meter weit abstehenden natürlichen Fingerhüte von Hummeln besucht, aber keine derselben machte den kurzen Umweg, der sie zu den künstlichen geführt hätte. Ein fünfter Versuch schließlich zeigte, dass dem kurzen Verweilen mancher Insekten vor den nachgemachten Blumen keine Bedeutung beizumessen ist. Als nämlich an dieselbe Stelle, an der Tags vorher die künstlichen Fingerhüte gestanden hatten, ein alter trockener Fichten- stamm von 1,2 m Höhe und 7 em Durchmesser eingesetzt wurde, fanden sich ebenfalls (in 1 St.) drei Insekten, welche diesen Stamm entlang flogen und umkreisten. Die früher gewonnenen Resultate sind mithin durchaus bestätigt worden: Die Insekten vermögen natürliche und nach- gemachte Blumen geschickt .zn unterscheiden; die letz- Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? 4713 teren behandeln sie genau sowie einen beliebigen, ihnen völlig gleiehgiltigen Gegenstand Auffälligerweise meiden sie die künstlichen Blumen aber auch dann, wenn dieselben Honig ent- halten, den Honig, dem sie sonst so willig folgen. Genügt doch bei nicht oder wenig besuchten Blumen der Zusatz eines Tropfens von diesem duftenden süßen Safte, um in kurzer Zeit zahlreiche Insekten anzulocken. Ja, wenn man Blumen in ganz roher Weise aus Blättern von Johannisbeerstrauch oder Ahorn, die man zu einer Düte zusammen- rollt, nachmacht und in deren Grund Honig bringt, so erscheinen sv- fort Gäste: man zählte einmal bei 6 derartigen Blumen in einer halben Stunde 19, ein andermal unter weniger günstigen Verhältnissen in einer Stunde 15 Insekten, welche sämtlich lange und gierig sogen. Die künstlichen Blumen müssen mithin, wenn sie auch für den Menschen von täuschender Aehnlichkeit sind, für die Insekten etwas an sich tragen, was sie als Kunstprodukte kennzeichnet, ja direkt abstoßend wirkt. Zuletzt hat Plateau Versuche mit riechenden Essenzen angestellt, wie solche von Nägeli (s. 0.) erwähnt sind. Da Labiaten wie be- kannt sehr stark von Bienen besucht werden, so glaubte Plateau, dem Honig eine besondere Anziehungskraft erteilen zu können, indem er ihm einen Tropfen von Lavendel-, Salbei-, Thymian- oder Minzen- Extrakt zusetzte: in dieser Erwartung wurde er völlig getäuscht: ‚nieht eine Biene oder eine andere Hymenoptere erschien. Er erzielte auch keinen Erfolg, als er in wenig besuchte natürliche Blumen etwas von genannten Essenzen einträufelte; die Blumen wurden gleichsam verbrannt und welkten rasch; kein Insekt erschien. Als endlich stark verdünnte Essenzen bei Lilium candidum, Hemerocallis fulva, Dahlia variabilis, Heracleum Sphondylium, Dianthus barbatus und Mathiola annua verwendet wurden, ergaben sich gleichfalls negative Resultate. Erst nach fünfzehn Minuten, innerhalb deren das Parfum sicherlich großenteils verdunstet war, fanden sich bei einer mit Salbei - Essenz versehenen Dahlia ziemlich zahlreiche Besuche von Oxybelus uniglumis und Eristelis tenax, die aber entgegen ihrer Gewohnheit nur kurze Zeit auf den Blumen verweilten; auch einige Hummeln, welche einige Male gegen die Blütenschöpfe flogen, wendeten sich augenblicklich von ihnen wieder ab. Nach Verlauf einer ganzen Stunde begaben sich dann eintreffende Hummeln ohne Unterschied zu Blütenschöpfen, welche Essenzen erhalten hatten, und solchen, welehe unberührt ge- blieben waren. Hiernach scheint höchstenz die Salbei- Essenz eine schwach anziehende Wirkung auszuüben, während sonst eher ein ab- stoßender Einfluss hervortritt. Wir sind nunmehr am Schluss der Untersuchungen angelangt, denen man wegen ihrer weitreichenden Ausdehnung, ihrer Gründlich- keit, Sorgfalt und Umsicht eine große Tragweite zusprechen muss. 474 Plateau, Wodurch locken die Blumen Insekten an? Ihre hervorragende Bedeutung beruht vor allem darauf, dass sie in Gegensatz zu der allgemein verbreiteten und in den Lehrbüchern herrschenden Meinung darthun, in wie geringem Grade Form und Farbe der Blumen Insekten anlocken. Man würde wohl zu weit gehen, wollte man der Farbe jeglichen Einfluss abstreiten; aber sicherlich ist nicht sie es, was die Insekten aus der Ferne herbeilockt. Zwar lehren uns die Versuche von Graber, dass die Biene eine große Vorliebe für ultraviolett-haltiges Blau hegt!); dieselben sind aber ohne ausschlaggebende Bedeutung für unsere Frage, da bei ihnen das ganze Tier in einen von farbigem Lichte durch- fluteten Raum versetzt wird und nicht nur farbige Objekte von immer- hin geringer Ausdehnung auf andersfarbigem Hintergrunde zu sehen bekommt. Auch die mehrfach angestellten Versuche: Bienen eine Aus- wahl zwischen verschiedenfarbigen Papierstreifen vornehmen zu lassen, sind ohne Beweiskraft, da die künstlichen Farben nicht ohne weiteres mit natürlichen verglichen werden dürfen und, wie sich nunmehr heraus- gcstellt hat, vielfach geradezu abstoßend wirken. Erwägt man ferner, wie die Facettenaugen den Insekten nur die Wahrnehmung von Ob- jekten, die sich gegen sie in relativer Bewegung befinden, und zwar auch nur auf kurze Entfernungen (40—60 em bei Bienen, 25-40 cm bei Hummeln) gestatten?), so erscheint es ausgeschlossen, dass fliegende Insekten Blumenfarben auf 10 und mehr Meter wahrnehmen. Man vermag nach allem den Gedanken nicht abzuweisen, dass es in der That ein anderer als der Gesichtssinn ist, welcher die Insekten von fernher zu den Blumen führt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es der Duft der Stoffe, welche die Tiere doch schließlich in den Blüten suchen. Der Farbe mag eine Bedeutung für‘ die Nähe zukommen; vielleicht erleichtert sie den Insekten, wenn sie herangelockt sind, das Auffinden der einzelnen Blumen in der Wolke von Duft, welche den- selben, ganzen Blütenständen oder zusammenstehenden Pflanzen ent- strömt. Es wird diesen Ergebnissen nicht an manchem Widerspruch und Einwurf fehlen. Plateau bemerkt in dieser Hinsicht: „Ich wünsche, dass kein Missverständnis inbetreff der Absichten aufkomme, welche mich im Verlauf dieser langen Forschungen ge- leitet haben; mein ausschließliches Streben war: zur Wahrheit zu ge- langen. Ich habe mich trotz meiner Achtung vor den Namen eines Hermann Müller, eines Charles Darwin u. a., deren Werke ich ausgiebig zu Rate gezogen, denen ich so viele interessante Thatsachen entlehnt habe, verpflichtet gefühlt, Meinungen auszusprechen, die zu den ihrigen im Gegensatz stehen. Es ist aber nicht meine Schuld, 1) op. eit. S. 167—175. 2) Vergl. Biol. Centralblatt, IX, 309 ff. und VII, 725 ft. Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 475 wenn die Insekten, den verschiedenartigen Bedingungen des Experiments ausgesetzt, gezeigt haben, dass die Theorie von der anziehenden Kraft der auffälliggefärbten Blütenteile größtenteils falsch ist“. [91a] Tiebe (Stettin). Das Hirngewicht und die Zahl der peripherischen Nerven- fasern in ihrer Beziehung zur Körpergröße. Von Alexander Brandt, Prof. d, Zool, u, vergl. Anat. in Charkow. Veranlassung zum gegenwärtigen Aufsatz gab eine unlängst er- schienene interessante Abhandlung von E.Dubois!). Derselbe erörtert das bekannte Haller’sche Gesetz, nach welchem das relative Hirn- gewicht mit der Größe der Tiere abnimmt, und ferner den Grad der Cephalisation des Centralnervensystems bei Tieren von ähnlichem Bau, jedoch von verschiedener Intelligenz. Das thatsächliche Material ist in mehrere Tabellen gruppiert und besteht meist aus fremden, zum Teil aber auch aus eigenen Wägungen, welche durch Berechnungen ergänzt werden. Bei Erörterung des Haller’schen Gesetzes wird auf spekulativem Wege nachgewiesen, dass bei gleicher Organisationsstufe kleinere Tiere relativ ausgedehntere Sinnesflächen mit ihren Nerven- endigungen und Nervenfasern besitzen müssen und dass dem ent- sprechend auch die Zahl der motorischen Nervenfasern eine beträcht- lichere sein müsse. Letzteres erhellt daraus, dass das Gehirn als eine Summe von Reflexbögen mit je einen sensitiven und motorischen Ab- schnitt anzusehen ist. Der Verfasser nimmt mehrfach Bezug auf eine von mir bereits vor 30 Jahren verfasste Jugendarbeit?). Es gereicht mir zur großen Genugthuung, dass dieselbe auch von ihm als erster Anstoß zu einer physiologischen Erklärung des genannten Gesetzes anerkannt wird. Doch kann ich mit nichten den Satz zugeben, dass zwischen unsern Auffassungen irgend ein Widerspruch herrsche. Dubois (S. 344 u. a.) nimmt nämlich irrtümlicher Weise den Ausgangspunkt meiner Betrach- tungen — die Beeinflussung des Hirngewichts durch die Energie des Stoffwechsels — für deren Brennpunkt, ein Missverständnis, welches sich übrigens zum guten Teil durch meine Darstellungsweise, und zum anderen Teil durch den Umstand entschuldigen lässt, dass ihm eine 1) Sur le rapport du poids de l’enc&phale avec la grandeur du corps chez les mammiferes. Bull, de la Soc. d’Anthropologie de Paris 1897, p, 337—376. (Im wesentlichen bereits in holländischer Sprache in den Memoiren der Aka- demie zu Amsterdam, T. V, Nr.10, April 1897) publiziert. 2) Sur le rapport du poids du cerveau & celui du corps chez differents animaux. Bulletin de la Soc. Imp. des naturalistes de Moscou, T. XL, 1867, II, p. 525--543. Dasselbe russisch in: Arbeiten (Sbornik) der I. Versamml. russ. Naturforscher zu St. Petersburg, 1867. 476 Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. zweite Mitteilung von mir!) unbekannt geblieben. Diese enthält einige thatsächliche Daten über die Zahl der Nervenfasern bei zwei einander nahe stehenden, der Größe nach verschiedenen Tieren (im Nervus ischiadicus der Ratten und Mäuse nämlich). Ehe wir fortfahren, sei es mir vergönnt, den weiteren naturwissen- schaftlichen Leserkreis in möglichster Kürze im Gebiet unseres Themas zu orientieren, da dasselbe auf ein allgemeineres Interesse Anspruch erheben darf. Bereits bei Schriftstellern zu Anfang dieses Jahrhunderts, ja bei noch früheren, finden sich Zusammenstellungen über das Hirngewicht bei Tieren, welche deutlich darlegen, dass dies Gewicht, mit Zunahme der Körpergröße, zwar absolut gleichfalls zunimmt, jedoch in einem viel geringeren Grade, also relativ sich verkleinert. Mit anderen Worten, von zwei einander systematisch nahe stehenden, ähnlich ge- bauten (und annähernd psychisch gleich begabten), jedoch der Größe nach verschiedenen Tieren, hat das kleinere einen bedeutenderen Pro- zentsatz an Gehirn aufzuweisen. Je beträchtlicher die Differenz in Gewieht oder Volum des Körpers, desto prägnanter ist dieses umge- kehrte Verhältnis zwischen Körper- und Hirngröße. Es gelang mir in den bezüglichen tabellarischen Zusammenstellungen bis auf Albert von Haller?) zurückzugehen, woher sich die schon oben angewandte Bezeichnung „Haller’sches Gesetz“ empfehlen lässt. Bei welcher Veranlassung dieses später nahezu in Vergessenheit geratene Gesetz dem Schweinsleder, den Bücherskorpionen und Bücherläusen entrissen wurde, mag der besonders geneigte Leser aus meinem eingangs zitierten Aufsatze ersehen. Das Gesetz musste ans Tageslicht, weil seiner eine fertige Erklärung harrte. Letztere war ihrerseits durch die damaligen Fortschritte in der Physiologie des Centralnervensystems vorbereitet. Das Gehirn hatte aufgehört ausschließlich Seelenorgan zu sein. Man hatte darin anderweitige Centren entdeckt, wie die Reflexcentren, die Reflexhemmungscentren (letztere neuerdings meist in Abrede gestellt), regulatorische Centren für die Herzthätigkeit, das Respirationscentrum u. d. m. Die Erklärung des Haller’schen Gesetzes referiere ich hier möglichst wörtlich nach meinem zweitgenannten Aufsatz. „Zunächst ist das Gehirn als Aggregat von Centren aufzufassen, welche, unter Vermittelung von Nervenfasern, vegetativen Prozessen vorstehen, dem 1) Ueber die Zahl der Nervenfasern bei großen und kleinen Tieren. Rus- sisch in: Arbeiten d. St. Petersburger Naturforschergesellschaft, Bd. II, 1871, S. 201—206. In der Taschenberg’schen Bibliotheca zoologica, II, S. 634 lesen wir: „Ueber dieZahl der Nervenfäden bei dicken (!) und kleinen Tieren“. Ein Referat wurde von mir der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Dresden (1868) unterbreitet, wobei auch die betreffende Tabelle (s: u.) vorgezeigt wurde. 2) Elementa Physiologiae, 1762, T. IV, S. 8. Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 477 Kreislauf, der Atmung, der Verdauung u. d. m Mithin muss seine Größe mit der Energie der genannten Prozesse in Verbindung stehen. Da nun aber kleinere Tiere — wegen ihrer verhältnismäßig ausge- dehnteren Abkühlungsoberfläche — zur Aufrechterbaltung der normalen Körpertemperatur gezwungen sind auf jede Gewichtseinheit des Körpers mehr Arbeit zu leisten als die größeren (und solche in der That auch leisten), so ist es begreiflich, warum ihr Gehirn verhältnismäßig mehr entwickelt ist. Im vorhergehenden Aufsatz wurde übrigens darauf hingewiesen, dass der Unterschied in der Intensität vegetativer Pro- zesse aller Wahrscheinlichkeit nach nur eines der Momente darstellt, von welchen das umgekehrte Größenverhältnis zwischen Körper und Gehirn abhängt, dass dies umgekehrte Verhältnis auch durch eine ungleiche Entwicklung der motorischen und sensitiven Hirncentren be- dingt wird, wobei die kleinen Tiere, im Verhältnis zu ihrem Gewicht, eine größere Anzahl von Nervenfasern, und mithin auch eine beträcht- lichere Masse motorischer und sensitiver Centren besitzen“. „Ein Beispiel mag dies erläutern. Nehmen wir Ratte und Maus als zwei einander sehr ähnliche, und nur der Grölse nach äußerst ver- schiedene Arten. Der weniger voluminöse Körper der Maus hat eine verhältnismäßig größere Außenfläche, mit anderen Worten, auf jedes Gramm ihres Körpers kommt durchschnittlich ein größerer Quadrat- raum Haut, als bei der Ratte. Da nun aber die Haut das wesent- lichste Verbreitungsgebiet für sensitive Nervenfasern darstellt, so müssen letztere der Maus relativ reichlicher zugemessen sein als der Ratte. Diese Schlussfolgerung trifft zu, es sei denn, dieMaus wäre ein weniger empfindliches Tier. Letztere Annahme ist schwerlich zulässig, da die Erfahrung gerade die kleineren Wesen empfindlicher und reizbarer erscheinen lässt. Mithin hätten wir mehr Veranlassung vorauszusetzen, dass auf jede Quadrateinheit Haut der Maus eine größere und nicht kleinere Anzahl sensitiver Fasern kommt“. „Behufs einer ähnlichen aprioristischen Betrachtung inbetreff der motorischen Fasern und Centren, lassen wir unsere Ratte zweimal länger, breiter und höher sein als unsere Maus, wobei ihre Oberfläche um das Vierfache, ihr Volum und Gewicht um das Achtfache stiege. Ein beliebiger Muskel einer solchen Ratte, z. B. der Gastrocnemius, besäße alsdann gleichfalls eine verdoppelte Länge, einen vervierfachten Querschnitt und ein verachtfachtes Volum, gegenüber dem der Maus. Nun ist es aber bekannt, dass die Zahl der primitiven Muskelfasern wesentlich nieht durch das Volum sondern vielmehr durch den Quer- schnitt eines Muskels bedingt wird; da nämlich, wenigstens in kleinen Muskeln, sich die Fasern ihrer ganzen Länge nach hinziehen. Enthielte mithin der Gastrocnemius unserer Maus 1000 Fasern, so muss jener der der Ratte 4000 enthalten, und nicht etwa 8000, welche sein Volum und das (les Tieres voraussetzen ließen. So hätte also die Maus eine 478 Brandt, Hirngewieht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. relativ größere Zahl von Muskelfasern aufzuweisen. Nun wird aber jede dieser Fasern von einem einzigen oder einer bestimmten Anzahl von Nervenfasern versorgt; woher denn der Maus auch eine relativ größere Anzahl dieser Fasern zugute kommen muss. Der Zahl der Nervenfasern hat seinerseits auch die Zahl der Nervenzellen, und mit- hin auch das Volum der motorischen Hirncentren zu entsprechen“. „Alles soeben Gesagte weist darauf hin, dass eine Korrelation be- stehen muss zwischen dem relativen Hirngewicht und der Anzahl aller Arten von Fasern in den Nervenstämmen“. Zur Prüfung dieser Deduktion beschränkte ich mich einstweilen auf Zählungen der Fasern im Nervus ischiadicus von Ratten und Mäusen, bei denen das Nettogewicht des Körpers, sowie das Hirn- gewicht bestimmt wurden. Die Fasern zählte ich an Querschnitten, und zwar nach einer schon damals mehrfach praktizierten Methode, nämlich wit Beihilfe eines netzförmig gravierten, ins Ocular eingefüg- ten Glasplättehens. Da die Nervenfasern nur bei einer starken Ver- srößerung sicht- und zählbar werden, die Flächenausdehnung der Quer- schnitte der Nervenstämme hingegen nur bei einer schwächeren Ver- größerung ganz übersehen und gemessen werden konnten, so musste eine Vergrößerung auf die andere zurückgeführt werden und ließen sich überhaupt nur annähernde Werte für die Faserzahl ermitteln. Beifolgend reproduziere ich meine auf dem angegebenen Wege erhaltene Tabelle, indem ich ihr die letzte Kolumne nachträglich hinzufüge. Körpergewicht” | Hirmgewicht | Fasern des N. ischiadicns. in in in °/, des| Absolute |Auf 100 glAuf 100 g Grammen Grammen| Körpers | Zahl | Körper | Gehim MEGEt 357 14 10,6 8500 2400 | 402843 2.9. IE 309 2,15 0,7 10400 3400 | 483724 =) II. 254 2.17 0,8 9000 3500 | 414746 IV. 122 1,78 1,5 6500 5300 | 365168 = | V. 14 0,42 2,9 3600 | 25000 | 857443 ERYT. 9,6 0,40 4,0 2600 | 27000 | 650000 „Aus dieser Tabelle ist zu ersehen, dass bei den von mir unter- suchten Ratten (es waren Wanderratten, M. decumanus) das Körper- gewicht 10- und 20mal beträchtlicher als das der Mäuse, während die Faserzahl des N. ischiadicus eine nur 3- bis 5mal größere war. Im Verhältnis zur Körpergröße besäßen demnach die Mäuse 3- bis 4-, ja selbst bis 5mal mehr Nervenfasern. Dieses Resultat ist anschau- lich in der vorletzten Kolumne der Tabelle dargestellt, wo die Zahl der Ischiadicusfasern auf je 100 g Körper berechnet sind. Die Hirn- quantität betrug bei den Ratten !/,—1!/, °/,, bei den Mäusen 3 und 4°], war also bei letzteren annähernd 3- bis 4Amal bedeutender“, Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 479 „Obgleich die angeführten Beobachtungen offenbar noch sehr gering an Zahl, so gaben sie niehts desto weniger dermaßen prägnante Re- sultate, dass ich nicht die Riehtigkeit des folgenden Satzes bezweifle: bei miteinander verwandten Tieren ist die Zahl der Fasern in den entsprechenden Nervenstämmen der relativen Hirnquantität proportional, so dass dem kleineren Tier eine verhältnismäßig größere Zahl von Nervenfasern zukommt“. Des weiteren wird auf die unter der Leitung von Purkinje ver- fasste Dissertation von David Rosenthal hingewiesen, welcher ‘* die Fasern der Hirnnerven (mit Ausnahme des I., II. und VIII. Paares) beim Menschen, dem Rind und Schaf zählte. Leider blieb er uns eine Gewichtsangabe für Körper und Gehirn der Tiere schuldig. Versuchen wir diese Lücke durch die plausible Annahme auszufüllen, das Rind wäre mindestens 1Omal schwerer als das Schaf gewesen, so lässt sich aus den Rosenthal’schen Ziffern erschließen, das Schaf hätte in seinen betreffenden Hirnnerven relativ 21/,- bis mal mehr Fasern besessen. „Mich vorläufig weiterer Schlussfolgerungen aus obigen Beobach- tungen enthaltend, weise ich nur noch auf die wichtigen Fragen auf dem Gebiet der Anthropologie und Psychologie hin, deren Lösung sie fördern könnien, selbstverständlich bei einer fortgesetzten Bearbeitung. Hierher gehören die Fragen: worauf beruht der Zusammenhang zwischen der absoluten und relativen Gehirnquantität und dem Ausbildungsgrade psychischer Thätigkeit? Giebt es im Gehirn ein spezielles Organ als Sitz der Psyche, wie manche annehmen, oder ein solches Organ existiert nicht (um so mehr, da die Psyche als geistiges Wesen be- trachtet, seiner nicht zu bedürfen scheint)? Ist nicht vielmehr das Gehirn lediglich und allein als centrale Verbindung peripherischer Nervenapparate zu betrachten? Im letzteren Falle wäre es ganz und gar ein Ausdruck der von ihm ausstrahlenden Nervenfasern, mit deren Zahl und Anordnung der größere oder geringere Ausbildungsgrad psychischer Verrichtungen in Zusammenhang stände. Dies alles sind freilieh noch äußerst dunkle Fragen; doch je dunkler sie sind, desto weniger dürfen wir neue Untersuchungsmethoden missachten, welche so oder anders zu ihrer Aufklärung beitragen können“, Der soeben referierte kleine Aufsatz sowohl, als auch der ihm vorangegangene über die Beziehung zwischen Hirn- und Körpergewicht, sind lediglich vorläufige Mitteilungen und schon als solche skizzenhaft. Wenn ihnen keine detaillierten Untersuchungen nachfolgten, so hat dies seinen guten Grund. Es erwies sich nämlich bei persönlichem Verkehr, dass zwei hochverdiente Männer, welche unlängst den Schau- platz menschlicher Thätigkeit verlassen, Rud. Leuckart und Herm. Welcker, ein Werk geplant hatten über die Gewichtsverhältnisse der tierischen Organe. Als leitender Grundgedanke diente die bereits 480 Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. in der Bergmann-Leuckart’schen vergleichend - physiologischen Uebersicht des Tierreichs hervorgehobene Wichtigkeit des Verhältnisses zwischen Volum und Oberfläche für die Organisation der Tiere. Die Ausführung der Arbeit hatte Weleker übernommen und schon im Jahre 1868 sah ich bei ihm ein umfassendes, jahrelang mit muster- hafter Sorgfalt gesammeltes und kritisch gesichtetes Material. Es wäre thöricht, ja für einen jungen Mann vermessen gewesen von neuem un- abhängig zusammentragen zu wollen, was ein so exakter Forscher bereits in so großem Maßstabe mühevoll zusammengetragen. Mit Ver- gnügen ging ich daher auf den Vorschlag Welceker’s ein, mich bei der Bearbeitung seiner Monographie zu beteiligen, und zwar haupt- sächlich am Abschnitt über das peripherische Nervensystem. Das Welcker’sche Material harrt wohl noch heute in dessen Nachlass eines Bearbeiters. Den mir zugedachten Teil habe ich viele Jahre später insofern gefördert, als ich einen meiner Schüler, den Tierarzt Ph. Waszkiewiez!) veranlasste als Thema zu seiner Magisterdisser- tation eine weitere Ausführung meiner oben so eingehend referierten kleinen Arbeit über die Zahl der Nervenfasern zu wählen. Mit bestem Gewissen kann ich attestieren, dass Waszkiewicz mit großem Fleiss und musterhafter Sorgfalt gearbeitet und mithin ein empfehlenswertes Material gewonnen. Leider erschien bisher über seine Arbeit in einer dem Westen zugänglichen Sprache nur eine gar zu kurze vorläufige Mitteilung ?). Es sei mir daher vergönnt, hier die Unterlassungssünde von Schüler und Lehrer durch ergänzende Auszüge wenigstens einiger- maßen zu sühnen. Hierbei mag es nicht überflüssig erscheinen zunächst einige der von Waszkiewicz benutzten vorhergehenden Arbeiten zu erwähnen. Stilling?) weist hin auf die numerischen Beziehungen zwischen den Fasern der Rückenmarkswurzeln und denen auf Rückenmarksquer- schnitten beim Menschen und Kalbe. Birge*) stellte sorgfältige Zäh- lungen der Fasern in den motorischen und sensitiven Rückenmarks- wurzeln und der Ganglienzellen im Rückenmarke bei Fröschen an. Woischwillo°) studierte an menschlichen Leichen das numerische 4) Materialien zur Frage über die Zahl der peripherischen Nervenfasern in ihrem Verhältnis zum Körpergewicht bei Säugetieren. Charkow 1888. Rus- sisch in: Arbeiten d: Charkower Veterinärinstituts. 2) Ph. Waszkiewicz, Zur Frage über die Beziehung zwischen der Zahl der Fasern in den Nervenstämmen und dem Körpergewicht bei Säugetieren. Anatom. Anzeiger, III, 1888, Nr. 7, S. 206—208. 3) Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarks. Cassel 1856—59. 4) Die Zahl der Nervenfasern und der motorischen Ganglienzellen im Rückenmark des Frosches. Archiv f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abt., 1882, S. 686—688. 5) Materialien zum Studium des Nervenkalibers in der Haut und den Muskeln des Menschen. St. Petersburg, 1883, Dissertation, Russisch. Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 481 Verhältnis der Nervenfasern zu den von ihnen versorgten Muskeln und Haut und kam hierbei zum Ergebnis, die Zahl der Fasern sei eine beträchtlichere in jenen Nerven, welche sich in rasch kontrahierenden Muskeln, so z. B. in den Augenmuskeln verbreiten. Die Zahl der zu den Muskeln der oberen Extremität hinziehenden Nervenfasern hält die Mitte zwischen denen der Augenmuskeln und Unterextremität-Muskeln. Was die sensitiven Fasern anbetrifft, so versorgen sie in bedeutend größerer Zahl empfindlichere Hautabschnitte als minder empfindliche. Die Arbeit von Woischwillo lässt sich um so mehr den sich für den Kreis unserer Betrachtungen Interessierenden empfehlen, als darin auch Gewichtsangaben teils für die ganze Leiche, teils für die be- treffenden Extremitäten angeführt werden. Inbetreff der wesentlichsten von Waszkiewiez selbst gewonnenen Resultate verweise ich auf das oben zitierte Referat im anatomischen Anzeiger und ergänze dasselbe hier zunächst, zum Beleg sowohl, als auch zum Nutzen der sich speziell mit dem betreffenden Thema Be- fassenden durch seine allgemeine Uebersichtstabelle [s. S. 482]. Was etwa noch nach Erscheinen der Arbeit meines Sebülers in Bezug auf die Zahl der Nervenfasern zutage gefördert, sehe ich mich bei dieser Gelegenheit nicht veranlasst zu eruieren. Das Angeführte genügt schon an sich die Annahme von Dubois (S. 354) zu wider- legen, als fehlten in der Litteratur fast vollständig Angaben über die . Zahl der Nervenfasern, verwertbar für die von ihm unternommenen Untersuchungen. Selbst meine eigene oben reproduzierte Tabelle über die Zahl der Ischiadieusfasern bei Ratten und Mäusen dürfte, trotz ihrer Dürftigkeit, dennoch ausreichen, die von mir gegebene Erklärung des Haller’schen Gesetzes ihres anfangs hypothetischen Charakters zu entkleiden. Schon diese Tabelle macht augenscheinlich, was Dubois rein theoretisch erörtert, nämlich, dass die Maus, gegenüber der Ratte, nicht bloß relativ mehr kutane Nervenfasern besitzen dürfte, sondern ihrer auch auf jeden Quadratcentimeter Haut absolut mehr besitzt. Setzen wir — um in runden Zahlen zu rechnen — das ungefähre Gewicht einer Maus gleich !/,, des einer Ratte, so beträge die Ober- fläche der Maus etwa !/, der der Ratte. Nun beträgt aber die Zahl der Ischiadiceusfasern bei der Maus nicht '/,, sondern !/, bis !/, der Faserzahl der Ratte. Mithin kämen in der That auf jeden Quadrat- centimeter Mäusehaut 3- bis 4!/,mal mehr Nervenendigungen (selbst- redend, unter Voraussetzung eines konstanten numerischen Verhält- nisses zwischen sensitiven und motorischen Fasern). So fällt uns eine von Dubois des langen und breiten theoretisch erschlossene That- sache von selbst, durch Beobachtungen gestützt, in den Schoß. Von Interesse ist auch die in der letzten Kolumne meiner Tabelle gegebene Berechnung, wie viele Ischiadicusfasern auf je 100g Gehirn XVIH. öl Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 482 _ — — = =, 697 97198 = =E 00'868 | ° ° ayep g (uugwm) dopuejpunynon * 9e | 02,8 |08 6IE0T I" — — 1958 |2zesos| Fro 0° 16 | LL’e790g | " ° aqep IT (uugo) = 2 BE er ler 9 er | — — 206% 1e86cCr| ErU 0278 | OBIEZBT | * ° ° ayep g (uugm) 10998 * -— | -|-— — 2 — 122 |29607! 970 ocpL, | 0028107, ° ° °. Ayef 2 (Iqlom). sojosseı “ IF | 6007 | €9 3298 21, — + [06% : 172868 | - 080 0869 | OBELLET | " ayep p (juugu jppug * — — [9 are = = -_ e= 2g°0 0801 | 09'8gerr | ° ° ° Iyep 2, (juugo) ni 5 — a OA — org [6896| 190 08°69 | 0#°96907 | ' ° " Ayep zZ (uugu) x N ie #% mel - | - |- |< | 90 0002 0gT66 | * ° ° Ayep z (jaugu) : 5 —_ — NH Vo = —= Bl. 2001082 78.0 0CFL | 98'2888 " . . yeuom G (TqlIOM) 5 z 2 unor29CT > AI. = —= 80) 2 09776 205 0804 | 6F'CLEF " * 3euom 7 (Tqlom) soposseı “ _ 18 >= 988 | SBLIE| 297 0665 , 00°124E "0. agep o ([uugu) Aoyosurg “ 66 |.09Cr |E%% 1,7009 | TE | 8766 |TOTI |021966| €1r% OF LG | 00'C695 "2 agep Fr (grem) zesousogog * —_ DRS CFaG ie — | 8eab 169898. 7 797 017, 00'6487 “ * 3gwuom 7 ("juugun) = — — 1/9649 | 2796 = — |srıe |z9190| we 880€ , 00'9F6 uegaoM& (TA) SoJosseı 'puny — Era NOCER —e ort: |aca8d »- Tal 077 | 00'208 fs er ee an) ıE | Les |e9F |6c88 | 6% | 0288 |rosı |T1C8%| FET 090% | LUEOGT 2 er FE erRloe UgaR)zrz KAWOIS LICH | BOCH OIC = — |1T707 60078 — | 8F8LT | 9878 10% LEO ag‘ıT u : = 2 grey = FORD 06 = 20 —_ IC ce‘0 LA Er (TURBINE )SSRN == = 70898 2982 ı. = — | 80868 | 2662 37 eralı) g8'8 ee (TqoAM) % # F Fr elleehae Zee — _leo2re | 68% 19% 180 ag‘, * + (TauRu) SnA2UnD SnI0I91T Jun] 10d | | "Jung 19d r, |sOIyU9ıM093 | | -9AN aa: bl ee AN an et Ken ae UOWWEBLIL ned] 19p 3007 19p 3007 rn 7, a7 | AV ap | 8aVI oo), up| OFAV) zug | 084V „aep ur ee uL "Tayds,y9evway| USB 'TweSı’T ayds y9sway| ulseg 'yues bu IU91IM9S3 snueıpaw 'N SUPILPRBLYUASL'N | 3y91MoZduLıfm -ı9dıoy Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 483 kommen. Bei ausgewachsenen Ratten scheint diese Zahl eine ziemlich konstante zu sein. Die Maus Nr. V besaß auf je 100 & Gehirn noch einmal so viel Fasern als die Ratten, eine Thatsache, Welche mit der relativ bedeutenderen Flächenausdehnung der (ebenso dieken) grauen Hirnsubstanz bei der Maus in Zusammenhang gebracht werden kann. Die junge Ratte Nr. IV und die ebenfalls junge Maus Nr. VI rechnen hier nicht mit. Ein annähernd konstantes Verhältnis zwischen der Zahl der Ischiadieusfasern und dem Hirngewicht der Ratten und Mäuse lässt sich auch nach der Tabelle von Waszkiewiez berechnen. Die Maus von 17,85 g Körpergewicht besaß auf 100 g Gehirn 861081 Be icustasern, I Ratte von 104,34 & — 460722 und die von 132,34 g — 462558. Diese Ziffern stimmen auffallend mit den mei- nigen überein. Nehmen wir nun die Tabelle von Waszkiewiez nochmals zur Hand und machen daraus folgenden, sich auf die Hunde beziehenden Auszug, welchen wir durch Berechnung der Ischiadieus- und Medianus- fasern auf je 100 g Gehirngewicht vervollständigen. Körper-G. Gehirn Ischiadicus-Fasern Medianus-Fasern | . | auf auf | auf auf | auf NDR 100 8 een 108 100 8) 480 | 100 5 | 100 8 Grammen |TaM- | Kor- Zahl ı Kör- | Ge- Zahl Kör- | Ge- men U per " | per | hirn per | hirn rasselos w. 2 W. | 946,00 | 30,88 | 3,26 | 26162 | 2779 |84721 | 5642 | 596 | 18270 202.1 M. ı 1579,00 | 41,50 | 2,61 |28869 , 1828 | 69564 | 5845 | 370 | 14084 Bologneser w. 14 J. | 2695,00 157,40 | 2,13 | 29675 | 1101 51698 6004 | 223 10459 Pinscher m. 2 J. | 3577,00 |59,90 | 1,67 |31782| 886 52891 | 6468 | 181 | 10798 rasselos w. 4M. | 4875,49 170,30 | 1,40 |34185 | 702 148627 | 7612 | 156 10828 h w.5M \ 8887,36 | 74,50 | 0,84 37067 | 417 149754 | °— SI — a m..2,J ' 9191,50 | 70,00 | 0,76 — _ — | 8384| 91 |411977 5 m.2J. | 10696,40 | 65,80 | 0,61 126339 | 340 140029 | 7052 | 66 | 410977 5 m. 7 J. ı 11338,60 | 70,50 | 0,62 _ — — 178642 | Un 12298 Pudel m.4J. | 13773,20 |69,80 0,50 139874 290 |57126| 8673 63 112425 rasselos w. 7 J. 11 15132,00 | 74,50 | 0,46 40967 | 271 | 54980 — — — Setter m. 3 J 19231,80 | 84,20 | 0,43 145293 | 235 153792 | 9442| 49 |11212 ® m. 11 J | 20645,77 ! 91,20 | 0,44 | 50822 | 246 155726 1103691 50 111369 Auch aus dieser Tabelle ergiebt sich sofort, dass die Zahl der Ischiadieus- und Medianusfasern auf je 100 g Gehirn (nicht Körper) bezogen, bei ausgewachsenen Tieren eine auffallend konstante ist. Die relativ geringste Zahl von Nervenfasern besaß das Bologneserhündcehen, trotz seines durch ein geringes Körpergewicht bedingten hohen Prozent- Satzes an Gehirn. Die größte Zahl von Nervenfasern auf je 100 g Gehirn kam dem Pudel zu. Der Bologneser ist notorisch eine der dummsten, der Pudel wohl die klügste Rasse. Es drängt sich hier die Hypothese einer direkten Abhängigkeit der intellektuellen Begabung von den Sinnesorganen auf, welch letztere ja die elementaren, ursprüng- lich einzigen Pforten des psychischen Rohmaterials darstellen. Ein 31” 48A Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. sehr passendes einschlägiges vergleichendes Untersuchungsobjekt wären die Nerven des Menschen und der anthropoiden Affen, namentlich die des ihm an Größe nieht nachstehenden Gorilla. Wenn sich unter den in vorstehender Tabelle registrierten Hunden ein Straßenhund findet, welcher dem Pudel sehr wenig in seiner relativen Anzahl von Nerven- fasern nachsteht, so braucht uns das an und für sich noch nicht irre zu machen, da unter den Straßenmischlingen psychisch sehr bevor- zugte Individuen vorkommen. Die etwa vor 20 Jahren in ganz Europa Aufsehen erregenden, von einem Herrn Patek zur Schau gestellten phänomenal dressierten Hunde Diana, Schnapsel und Frieda waren gcmeine Straßenköter. Was nun die relative, auf die Gehirnquantität bezogene Zahl von Nervenfasern bei jungen, nicht ausgewachsenen Individuen betrifft, so lässt sich an der. Hand des hier unterbreiteten Materials durchaus keine Riehtschnur finden. Aus meiner alten kleinen Tabelle könnte man voreiliger Weise den Schluss ziehen, jugendliche Individuen hätten auf jede Gehirneinheit weniger peripherische Nervenfasern als die ausgewachsenen — und könnte dies damit in Zusammenhang bringen, dass das Gehirn wie in der embryonalen, so auch in der postembryo- nalen Periode der Ausbildung dem peripherischen Nervensystems voran- eile. Eine solche a priori verlockende Schlussfolgerung besteht jedoch nicht die Probe, auf Grund derjenigen Daten, welche aus den von Waszkiewiez mitgeteilten Ziffern berechnet werden können. So kamen seiner jungen Ratte relativ (auf die Gehirnquantität bezogen) mehr Nervenfasern als den erwachsenen zu. Für das einmonatliche Kätzchen und die ausgewachsene Katze ist die relative Faserzahl, trotz einer nicht unerheblichen Differenz im Gehirngewicht, fast die nämliche, allerdings mit einem (besonders für den Ischiadieus) unbe- deutenden Uebergewicht zu gunsten des erwachsenen Individuums. Was nun schließlich die 2 und 4 Wochen alten Hündehen anbetrifft, so überbieten sie gar an Zahl der Ischiadieus- und Medianusfasern, in Hirnprozenten ausgedrückt, die erwachsenen Exemplare um ein sehr Erhebliches. Allerdings verlautet nichts darüber, was etwa aus den betreffenden Hündehen mit der Zeit geworden wäre. Zum Schluss und zur Abwehr noch einige, möglichst knapp ge- haltene Bemerkungen zu dem Aufsatz von Dubois. Ich soll vorausgesetzt haben, das Gehirngewicht wüchse pro- portional der Körperoberfläche, während nur eine annähernd ähn- liche Beziehung zwischen dieser Oberfläche und dem Gehirngewicht bestehe. In einer vorläufigen Mitteilung, in welcher es darauf ankam, eine Grundidee plausibel und anschaulich darzustellen, dürfte eine etwas schematische Behandlungs- und Ausdrucksweise verzeihlich sein. Nichtsdestoweniger ist es mir nicht eingefallen, das relative Hirn- gewicht als eine der relativen Ausbildung der Körperoberfläche (und Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 485 der Muskelquerschnitte!) mathematisch proportionale hinzustellen. Hier- von zeugen schon die einfachsten Erwägungen, von denen ich in meiner ersten Mitteilung ausging. So berechnete ich für Halicore Dugong eine relative 7mal größere Gehirnquantität als für Rhytina borealis, während die Körperoberfläche von Halicore eine relativ nur 3,2mal größere als die der Rhytina gewesen sein dürfte. Ueberhaupt war ich weit davon entfernt, die relative Ausdehnung der Körperoberfläche und der Muskelquerschnitte als einziges die Ge hirnquantität bedingendes Moment hinzustellen. Meine vorläufige Mit- teilung hielt sich bloß innerhalb streng vorgezeichneter Grenzen: die Beziehungen zwischen Hirngewicht und Körpergröße bildeten mein Thema, und diesem blieb ich treu. Zur Erläuterung des Haller’schen Gesetzes griff ich Säugetiere und Vögel paarweise heraus, jedes Paar von annähernd gleicher Organisation und psychischer Befähigung, und verband jedes Paar durch eine Klammer. Als solche Paare wählte ich: Luchs und Katze, Ratte und Maus, Pferd und Esel, Adler und Falke, Drossel und Sperling, Gans und Ente; hingegen ist es mir nicht eingefallen, so heterogene Tiere wie z. B. Schwein und Katze oder Adler und Ente, welche sich ja auch der Größe nach genugsam unterschieden, gegeneinander zu halten. Dass der Gorilla bei annähernd gleicher Körpergröße ein circa dreimal kleineres Gehirn als der Mensch besitze, war vor dreißig Jahren ebensogut bekannt wie heutzutage!), und an anderweitigen analogen, wenn auch weniger auffälligen Bei- spielen, war kein Mangel. „Der andere Weg“, auf welchen Dubois (S. 343) — angeblich im Gegensatz zu mir — eine Beziehung zwischen Hirngewicht und Aus- dehnung der Körperoberfläche gewinnt, ist, wie schon aus dem Ein- gangs Angeführten ersichtlich, im wesentlichen gleichzeitig der meine. Eine Hauptprämisse von Dubois bildet die moderne Betrachtung des Gehirns lediglich als eine Summe von Reflexbogen; doch wurde dies von Manchen bereits zu jener Zeit gelehrt, als ich meinen Aufsatz über das Haller’sche Hirngesetz schrieb, ja mein Lehrer Setschenow ver- suchte schon damals in lichtvoller Weise sogar die psychische Thätigkeit auf modifizierte Reflexerscheinungen zurückzuführen. Keineswegs im Widerspruch mit der vonDubois betonten Auffassung des Gehirns glaube ich auch das von mir 1. e. (S. 536) Angeführte. Daselbst wird auf eine Reihe von von Hirncentren hingewiesen, welche „evident-ma- teriellen“ Prozessen vorstehen, während die Experimentalphysiologie über psychische Centren nichts Positives auszusagen weiß und einige Physiologen sogar die Idee verteidigen, dass spezifisch-psychische 4) Das relativ größte Gehirn, welches vielleicht jemals bei einem erwach- senen Wesen beobachtet wurde, dürfte der von mir beschriebenen Syrierin Marie Gasal zukommen. Ein extremer Fall rachitischer Verkrüppelung. Arch. f. pathol. Anat., 104 Bd., 1886, S. 540 —548. 486 Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. Centren vielleicht gar nicht existieren, dass die psychischen Erschei- nungen nichts weiter sind als Modifikationen anderweitiger organischer Hirnprozesse oder das Produkt ihrer Zusammenwirkung!)“. Hierzu noch in Parenthese: „Ich hoffe, dass der Leser hieraus nicht den Schluss ziehen wird, als hielte ich es für möglich, einen Zusammen- hang zwischen der Hirnmasse und den psychischen Fähigkeiten zu leugnen. Diese Bemerkungen werde ich in der ausführlichen Arbeit näher auseinanderzusetzen versuchen“. In welchem Sinne dieses etwa geschehen sollte, erhellt aus allem vorstehenden zur genüge. Dass sich am Aufbau des Gehirns somatisch-psychische Centren wesentlich beteiligen, wurde von mir also keineswegs ignoriert, wie man leicht aus dem Aufsatz von Dubois entnehmen könnte. Meinerseits möchte ich darauf aufmerksam machen, dass unser Autor die vegetativen Centren im Gehirn, wie mir scheint, gar zu sehr unterschätzt. Atmungs-, Kreislaufs- und Verdauungsorgane werden vom Gehirn aus beherrscht und beanspruchen ihren Anteil an grauer und weißer Hirnsubstanz, beeinflussen mithin das Hirngewicht direkt. Bei Tieren mit stark ent- wickelten Hemisphären -—- vor allem beim Menschen — mag diese Beeinflussung allerdings von keinem großen Belang sein. Ob alle diese Centren — so namentlich das Atmungscentrum — reflektorisch wirken, ist noch die Frage. Unser Verfasser (S. 355) ist offenbar der Meinung, ich hätte bei der Abschätzung der motorischen Nervenfasern als notwendige Prä- misse an der alten Ansicht von Kölliker festgehalten, die Muskel- zellen seien stets (toujours) so lang wie der ganze Muskel. Wird dieses „stets“ auch nicht mir ausdrücklich zugeschrieben, so würde es — wenn ich es wirklich gebraucht hätte, was nicht der Fall — immer- hin meinen Betrachtungen eine gewisse Färbung verleihen. Schon damals, vor mehr als dreißig Jahren, verfügten wir — namentlich für den Frosch — über den Nachweis, die Kölliker’sche Angabe sei dahin zu berichtigen, dass in kurzen Muskeln die Fasern allerdings der ganzen Länge nach verlaufen können, nicht aber in längeren, dass dafür die Dimensionen der Fasern, mit Zunahme der Körpergröße gleichfalls zunehmen. Da nun aber bei der Muskelfaser die Länge bei weitem über den Querdurchmesser prävaliert, so ist die Abhängigkeit der Faserzahl vorzüglich vom Querschnitt und nicht etwa von der Länge und dem Volum der Muskeln immerhin offenbar. Dies eben setzte ich als selbstverständlich voraus; sehe aber nunmehr ein, ich hätte besser daran gethan, mich in beiden vorläufigen Mitteilungen — besonders in der ersten, Dubois allein zugegangenen — weniger schematisch und genauer auszudrücken. Um nicht abermals gelegentlich eine Zurechtstellung zu erfahren, sei hier an die seit lange nachgewiesene, doch noch nicht gehörig zur 1) Der Schlusspassus nach dem Aufsatz in russischer Sprache. Brandt, Hirngewicht und Zahl der peripherischen Nervenfasern. 487 Geltung gelangte Thatsache hingewiesen, dass der gesamte Bewegungs- apparat — Knochengerüst und Muskelsystem — mit zunehmender Längendimension der Tiere unverhältnismäßig an Masse zunimmt. Für das Knochengerüst machte schon Galilei!) hierauf aufmerksam. Bergmann und Leuckart?) wendeten seine Ausführungen auf das Muskelsystem an. Eine genaue Reihe von vergleichenden Untersuch- ungen an nahe verwandten, sich durch die Größe unterscheidenden Tierarten hat festzustellen, in welchem Maße die relative Massenzu- nahme der Muskeln auf die Zahl ihrer Fasern und diese ihrerseits auf die Zahl der Nervenfasern in den zugehörigen Rami musculares ein- wirkt. Es käme also darauf an, zu beweisen, einerseits, dass bei zu- nehmender Körpergröße die numerische Zunahme der Muskelzellen hinter der Gewichtszunahme der Muskeln erheblich zurückbleibt, oder, andrerseits, dass vielleicht auf je eine Muskelzelle weniger Nerven- fasern (?) kommen. Woischwillo (s. 0.) wies bereits darauf hin, dass rasch sich kontrahierende Muskeln reichlicher mit Nervenfasern versehen sind. Ließe sich dieser Befund auf den Rang eines allge- meinen Gesetzes erheben, so müssten die schwerfälligen, sich träge be- wegenden großen Tiere eine relativ geringere Anzahl motorischer Nervenfasern und Nervenzellen besitzen. Dubois (S. 360) stellt Be- trachtungen darüber an, dass kleine Tiere, welche notorisch häufig ebenso rasch laufen können wie große, sich rascher kontrahierende, mithin kürzere und relativ zahlreichere Muskelfasern besitzen müssen; wodurch ihrerseits, natürlich, auch die Zahl der motorischen Nerven- fasern bestimmt wird. Ich schließe mich vollständig diesen Betrach- tungen an. Die relative Zahl der sensitiven Nervenfasern will Dubois nicht nur nach der Ausdehnung des Integuments, sondern auch nach der der innern Körperflächen — der Schleimhäute — der serösen Häute, Aponeurosen, Ligamente und der membranös ausgedehnten Sinneszellen abschätzen. Hierbei bespricht er eingehender die relativ bedeutendere Ausbildung der Augen bei kleineren Tieren. Diesen Betrachtungen schließe ich mich ebenfalls gern an. Auch den Rückschluss von der Ausdehnung der Sinnesepithelien auf die voraussichtlich mit ihr har- monierende Densität der Nervenendigungen in der Haut lasse ich gerne gelten, um so mehr als sieh diese größere Densität aus den von mir und Waszkiewiez ermitteln Ziffern auch auf eine direktere Weise erschließen lässt. Alles hier Mitgeteilte berechtigt zur eingangs ausgesprochenen Be- hauptung, dass zwischen Dubois und mir in Bezug auf Beurteilung der Hirnquantität keinerlei erhebliche Differenzen bestehen. In seinen 4) Discorsi e dimostrationi matematiche. Opere T. II, Firenze 1718, S. 559. 2) Anatomisch-physiol. Uebersicht des Tierreichs. Stuttgart 1852. S. 298. 488 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. theoretischen Betrachtungen eröffnet er allerdings bedeutend weitere Horizonte, in Bezug auf das thatsächliche Material aber dürfte ich einen Schritt weiter gekommen sein. [77] Apatlhy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. Von Dr. Tad. Garbowski, Privatdozenten der Zoologie an der Universität in Wien. In den achtziger Jahren war es, als die damals allgemein herrschende Lehre von direkter centripetaler und centrifugaler Nervenleitung einer neuen Anschauung weichen musste, die ihr Entstehen namentlich den ver- blüffenden histotechnischen Erfolgen Golgi’s verdankte. Anstatt der postu- lierten, ununterbrochenen Verbindungsbahnen zwischen den centralen und peripherischen Polen des Nervensystems, bekam man überall jene zier- lichen Bilder zu sehen, wie sie durch Metallimprägnationen und durch vitale Methylenblaufärbung hervorgerufen werden. Man sah deutliche Ver- ästelungen der Ganglienzellen und des Leitenden, welche sich eng um- spinnen, ohne unmittelbare Verbindungen einzugehen, und als Neuronen, als isolierte Glieder der Leitungsbahnen aufgefasst wurden. Diese, eigent- lich nur für höhere 'Tierformen geltende Neuronenlehre hat hervorragenden Histologen — es sei hier nur der Name Retzius’ genannt — zu höchst dankenswerten topographischen Schilderungen Anlass gegeben und findet gegenwärtig in der Wissenschaft allgemeinen Anklang, als ein bedeutender Fortschritt im Vergleiche zu den Anschauungen der früheren Periode. Es ist daher leicht begreiflich, dass eine kürzlich erschienene Publi- kation, welche der neuen Lehre in wichtigsten Punkten geradezu den Boden entzieht, Aufsehen erregen musste und dass sie geeignet wäre, wie vorher die Arbeiten Golgi’s, in der Nervenkunde eine neue Aera zu inaugurieren. Ich meine hier die umfangreiche Abhandlung !) Apäthy’s, dessen meisterhafte Präparate letzthin auf dem III. Zoologenkongresse zu Leiden vorlagen und von sämtlichen Kongressteilnehmern bewundert wurden. Im folgenden will ich die nunmehr geordneten und theoretisch ergänzten Befunde des genannten Histologen in gedrungener Darstellung mitteilen, um auch diejenigen Leser, die aus Zeitmangel zu dem etwas mühsamen Studium der eingehenden Originalausführungen nicht schreiten können, mit den wichtigsten Resultaten Apäthy’s bald bekannt zu machen. Die Frage danach, wo das leitende Element in nervösen Systemen zu suchen wäre, wird in der Arbeit gar nicht erörtert. Zusammen mit Golgi, Cajal, Retzius, Pflüger, Lenhossek, Flemming und unzähligen anderen Histologen sieht auch Apäthy das Leitende in der anatomischen Einheit der Primitivfibrillen. Die Ansicht einer verschwindend kleinen Minorität der Autoren, mit Leydig an der Spitze, das Leitende liege anderswo, z. B. im Hyaloplasma, ließe sich etwa mit der Ansicht 1) Stefan Apäthy, Das leitende Element des Nervensystems und seine topographischen Beziehungen zu den Zellen. Erste Mitteilung. Mit 9 Tafeln. A eungen aus der zoolog. Station zu Neapel, Bd.XII, S. 495—748, Taf. 23—32, erlin 1897. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 489 van Gehuchten’s vergleichen, welcher bei der Muskelkontraktion die Hauptrolle nicht den Muskelfibrillen, sondern der Zwischensubstanz zuteilt!). Apäthy beschäftigt sich zunächst mit der Frage nach der Herkunft des Leitenden. Es wird gewöhnlich angenommen, dass Ganglienzellen überhaupt jene fibrillogene Matrix sind, die ihre faserigen Produkte in bestimmte, aus Scheiden und Hüllen bestehende Bahnen hineinwachsen lässt und sie centralwärts, bezw. gegen die Peripherie verbreitet. Die Ausdrücke Ganglien- zelle und Nervenzelle können dabei promiscue gebraucht werden. Anders bei Apäthy. Seit jeher unterscheidet er zwischen matrikalen Nervenzellen und den lediglich physiologisch thätigen Ganglien- zellen. Diese zweierlei Zellen, zusammen mit der dritten Art, den Gliazellen, sind nur phylogenetisch auf eine und dieselbe ursprüngliche Zellform zurückzuführen. Ihre ursprünglich gleiche Prospektivität hat sich mit der Zeit infolge ungleicher Entwicklung einzelner Anlagen beträchtlich ver- ändert. Die Ganglienzellen produzieren das, was geleitet wer- den soll, den nervösen „Tonus“: die Gliazellen produzieren das Hüll- und Stützwerk: die Nervenzellen aber sind die Bildner dessen, was leiten soll, d. i. der Nervenfibrille. Hiemit steht im Einklang der wesentliche Unterschied in der Histologie und Histogenie aller dieser Zellen. Andererseits können gewisse Zellen, die anfänglich bloß leitende Primitivfibrillen liefern, im erwachsenen Tiere (Hirudineen) nur noch Gliafasern bilden, und eine derartige Erscheinung ist nicht merkwürdiger, als wenn eine Zelle neben einem spezifischen Zell- produkte auch eine deutlich ausgeprägte Zellmembran, also ein anderes Protoplasmaprodukt zu liefern im Stande ist (8. 583). Der Nachweis der Nervenzellen im ausgewachsenen Systeme bietet einige Schwierigkeiten. Beim Suchen von bestimmten Zellen pflegt man die Aufmerksamkeit in erster Linie auf das Vorhandensein von entsprechen- den Kernen zu richten. Der Verf. geht entschieden zu weit, wenn er behauptet, dass wir auch bei völligem Mangel von Kernen, die wir als Kerne der Nervenzellen beanspruchen könnten, doch nicht berechtigt wären, die Existenz von besonderen Nervenzellen in Abrede zu stellen. Was ließe sich da nicht alles einer Theorie zuliebe in die uns vorliegenden, thatsächlichen Bilder hineindeuten! Es lassen sich übrigens die benötigten Kerne in allen Teilen des Nervensystems auffinden. Namentlich bei Hä- mateinfärbung kann man sämtliche vorhandene Arten der Kerne mit Leichtigkeit unterscheiden. Neben den gewöhnlichen Kernen des binde- gewebigen Neurilemms, der Muskelfasern und des den Perineuralsinus um- grenzenden Epithels (Epineurium anderer Autoren), existieren noch zwei weitere Kernarten, die namentlich in der Größe von einander abweichen. Die einen erreichen im Durchmesser höchstens 4, gewöhnlich nur 2 u, liegen nach Art von Wanderzellen überall im Nervensysteme zerstreut, zwischen den Ganglienzellen, im Gliawerk: des Centralsystemes und der Kommissuren, in Nervenfasern etc. und werden für umgewandelte Leuko- cyten erklärt. Die anderen, 10—16 u messenden Kerne von runder oder eiförmiger Gestalt sollen den fibrillogenen Nervenzellen angehören. Sehr 1) Anatom. Anzeiger, 1887, II. Bd. Vergl. S. 799: „Il ne peut avoir de contractilit& sans r&ticulum isotrope*. 490 Garbowski, Apathy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. klar sind sie in den peripherischen Nerven zu betrachten. Ein solcher Kern liegt stets im Lumen der Nervenfaser, inmitten eines kleinen, spindel- förmigen Plasmahofes und erinnert am meisten an Kerne der Muskel- fasern; doch sind die letzteren reicher an Chromatin und besitzen eine etwas schwächere Membran. Je nach der Lage im Nervensysteme werden sie als Mediankerne, Konnektivkerne, Packetkerne und Nervenkerne schlecht- hin (in peripherischen Nerven) unterschieden. Was den Zellkörper selbst anbelangt, so dürfte es in den meisten Fällen kaum gelingen, sein Gebiet sicher zu bestimmen. Der Kern bleibt zwar erhalten, der zugehörige Körper erscheint jedoch im reifen Nerven- systeme vielfach umgewandelt. In Querschnitten deckt er sich am wahr- scheinlichsten mit dem Umfange einer Nervenspindel. Leider wird die nähere Ermittlung der topographischen Verhältnisse durch bedeutende Kom- plikationen erschwert. Einerseits wird man an Querschnitten gewöhnlich weit weniger Nervenkerne als Nervenfasern finden, andererseits ist es fraglich, ob eine Nervenspindel in ihrem ganzen Verlaufe das Produkt einer einzigen Matrixzelle ist, oder ob sich mehrere solche Nervenzellen in der Längsrichtung aneinander reihen, um eine Spindel, beziehungsweise eine Kette von Spindeln, hervorzubringen ? Schon das Zählen der Nervenspindeln an sich ist recht umständlich. Die nebeneinander verlaufenden Aeste einer Nervenspindel können mit Nervenfasern anderer Nervenspindeln in einer gemeinsamen Gliascheide eingeschlossen liegen. Auch sind zwischen den Nervenspindeln wirkliche Anastomosen nicht selten, die gewöhnlich einen sehr geringen Winkel mit den Spindelaxen bilden, so dass sie mit den übrigen Nervenfasern bei- nahe parallel verlaufen. Ferner ist es nicht ausgeschlossen, dass die eine Nervenfaser zusammensetzenden Primitivfibrillen verschiedener Herkunft sind, somit teilweise in das Gebiet fremder Spindeln hineingeraten. Das Eine können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass die beschrie- benen Kerne in der Mitte ihrer Zellen gelegen sind, ähnlich wie es mit den in der Mitte zwischen zwei Ranvier’schen Einschnürungen befind- lichen Kernen der Schwann’schen Scheide der Fall ist, so dass der centrifugale und der centripetale Teil der Nervenzelle sich die Waage halten. Alle diese Fragen, mit denen wir uns hier nur deshalb näher be- fassen, weil sie thatsächlich den am meisten angreifbaren Teil Apäthy’- scher Lehre bilden, könnten nur an der Hand entwicklungsgeschichtlicher Studien positiv gelöst werden. Davon sind wir aber leider noch weit entfernt. Um im werdenden Organismus die Nervenzellen im Stadium morphologischer Intaktheit und beginnender Nervenproduktion nachzu- weisen, müssten wir über Methoden verfügen, die produzierten Elementar- fibrillen färberisch zu isolieren. Nun wollte dies bis jetzt auch dem Verfasser trotz seiner virtuos ausgearbeiteten Technik der Nachvergoldung nicht recht gelingen. Offenbar sind die jugendlichen Nervenbahnen für die Goldtinktion noch nicht besonders empfänglich oder aber verlieren sie diese Eigenschaft im Verlaufe der Behandlung. Unabhängig davon behält gleicherweise die vom Verfasser gegebene Darstellung des Fibrillenverlaufes in vielen Punk- ten ihre Giltigkeit, mag man mit seiner neurogenetischen Theorie einverstanden sein oder nicht. Obwohl die Existenz der Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 491 Fibrillen von einzelnen Forschern, wie z.B. von Bütschli und Leydigt), geleugnet wird, treten sie mit geradezu verblüffender Deutlichkeit an ver- schiedensten Präparaten zutage. Max Schultze wird als der einzige bezeichnet, der die Fibrillenstruktur zuerst wirklich erkannt hatte, obwohl auch er die Fibrillen weniger sehen als vielmehr bloß ahnen konnte; direkt gezeigt wurden sie von Kupffer und zwar in markhaltigen Wirbel- tiernerven. Diese Neurofibrillen entstehen in den geschilderten Nerven- zellen ganz analog, wie Myofibrillen in den Muskelzellen. Stets in das erzeugende Somatoplasma der Zelle (Cytoplasma der Autoren) eingebettet und, von ihm geleitet, erstrecken sie sich nach innen zum Üentralsysteme, nach außen zu den Sinnesepithelien in angeblich ununterbrochenen Zügen. Dabei geht die Differenzierung einzelner Teilstrecken einer Primitivfibrille in den hinter einander liegenden und protoplasmatisch bereits vereinigten Spindeln Hand in Hand mit der Vereinigung dieser Strecken zur einheit- lichen Primitivfibrille vor sich. Jede solche Fibrille ist eine sowohl optisch, wie auch mechanisch isolierte anatomische Einheit und repräsentiert zugleich das spezifisch „Nervöse“. Demgemäß kommt vor ihrer Entstehung dem Organismus, respektive den Nervenzellen die nervöse Aceidenz nur insoweit zu, als auch das Plasma der Muskelzellen die Fähigkeit besitzt, sich zu kontrahieren, lange bevor die echten Myo- fibrillen zur Entwicklung gelangen. Bei Lumbriciden und Hirudineen, auf die sich die Beobachtungen Apäthy’s fast ausschließlich beziehen, scheinen in der That die centripetalen Partien der Nervenzellen und die entgegenstrebenden Fortsätze der Ganglienzellen in einer Zeit zu wachsen und sich mit einander zu verbinden, wo die Bildung der Neurofibrillen noch wenig vorgeschritten ist. So finden die letzteren in allen Körper- teilen bereits vorbereitete Bahnen und die speziellen Verhältnisse der Lagerung und Umhüllung der Fibrillen in jenen cytoplasmatischen Fort- sätzen hängen sozusagen sekundär von der physiologischen Funktion der Nerven ab. Indessen wollen wir schon hier die Bemerkung einschalten, dass nicht alle zwischen den Ganglienzellen vorhandenen Anastomosen in reifen Systemen die nervöse Erregung in gleicher Weise zu leiten haben. Die bisherigen histologischen Methoden, «die Metallimprägnation und die Methylenblaufärbung konnten hierüber keinen Aufschluss geben; an be- treffenden Präparaten treten doch nur die Zellkonturen deutlich hervor, während die feinere Struktur der verbindenden Brücken von den stark tingierenden Stoffen vollständig verdeckt wird. Es giebt übrigens so dünne, Fibrillen-führende Verbindungen, dass sie mit Hilfe jener Methoden gar nicht dargestellt werden können. Daraus erhellt, wie mannigfache Irrtümer bei derartiger Untersuchung dem Beobachter unterlaufen müssen. Es lassen sich beispielsweise in der Darmwand von Pontobdella verschie- dene Typen der Anastomosierung leicht demonstrieren. Auf Taf. XXVII (Fig. 10) bildet der Verf. ein diesbezügliches Präparat ab, an welchem die Fibrillen mit unglaublicher Schärfe hervortreten. Eine Ganglienzelle liegt hier seitlich am Nerv, gerade dort, wo er sich in zwei Aeste spaltet; eine andere Zelle legt sich an den einen Ast an, verbindet sich aber durch eine sehr dünne Protoplasmabrücke auch mit dem zweiten. Würde man bloß diese topographischen Verhältnisse berücksichtigen, dann müsste 1) Letzthin (Herbst 1897) auch von H. Held. 499 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. man wohl auf eine ebenso innige Verbindung des Leitenden unter den Zellen und Nerven schließen; die vervollkommnete Methode zeigt uns jedoch, einerseits, dass die nervösen Zuleitungen teilweise aus verschie- denen Richtungen erfolgen, andererseits, dass die betreffenden Nerven nur zum Teil die Ganglienzellen innervieren, weil gewisse Fasern über jene Zellen ohne intimeren Kontakt hinüberziehen. Außerdem findet man in der Mitteldarmwand der Pontobdella Ganglienzellen, deren Fortsätze zu einem Nervenzuge zusammentreten oder mehrmals mit einander verschmelzen, und auch Zellen, deren Leiber in einer gemeinsamen Üellealgruppe auf- gehen. An anderen Objekten werden noch anderweitige, oft sehr kom- plizierte Verbindungsarten beobachtet. Die Art der Verteilung des Leitenden in den cytoplasmatischen Bahnen ist, wie ich es schon erwähnt habe, von der physiologischen Funktion eines Nervenzuges abhängig. Auch diese Einzelnheiten waren mit Hilfe bisheriger Methoden nicht gut darstellbar. In histologischen Lehrbüchern wird es gewöhnlich angegeben, man sei nicht im Stande, die motorische oder sensorische Natur der Nerven zu erkennen; lediglich auf deren Länge könne man aus dem Umfange des Stranges schließen. Bevor wir den Bau der Nerven beschreiben, müssen wir jedoch die Kategorien der Fibrillenzüge kennen lernen, wie sie sich aus Apäthy’s Präparaten ergeben. Eine einzelne Nervenfibrille, die physio- logische Einheit, die nur in besonders günstigen Fällen als anatomische Einheit — und auch da nicht ganz zweifellos — zur Beobachtung ge- langt, wird Elementarfibrille genannt. Gewöhnlich sieht man mehrere solehe Elementarfibrillen zu einem stärkeren, optisch stets isolierbaren Strange zusammentreten, den man als leitende Primitivfibrille schlechthin bezeichnet. Der protoplasmatische Fortsatz, welcher eine einzelne oder mehrere Primitivfibrillen enthält, heißt Nervenfaser. Die Nerven- fasern sind in einem Nerven gewöhnlich in Mehrzahl vorhanden und ent- sprechen entweder unmittelbar den fibrillogenen Nervenspindeln, oder deren Aesten, falls sich eine Spindel in Fortsätze spaltet, welche nicht aus dem Nerv als Seitennerven austreten, sondern zu einander in paralleler Lage in dem nämlichen Nervenstrange verbleiben. Aus den nach verschiedenen Methoden hergestellten Präparaten ersieht man zunächst, dass die Primitivfibrillen stets dasselbe Bild darbieten. Sie nehmen überall einen mehr oder weniger wellig gewundenen Verlauf und nur in gedehntem Zustande, z. B. in ausgespannten Membranen erscheinen sie schnurgerade, „wie mit dem Lineal gezogen“. Dieser Unterschied im Verlaufe ist als Anpassung der nicht elastischen, also nicht dehnbaren Primitivfibrillen an die Formveränderungen des Körpers aufzufassen, da die Unterschiede um so größer sind, je größer die Kontraktilität der Körperteile. An allen Primitivfibrillen entstehen in der Regel Varikosi- täten. Es sind durch Reagentien hervorgerufene Artefakta, welche die Fibrillen selbst nicht betreffen, indem sie bloß unregelmäßigen Quellungen und Schrumpfungen der umscheidenden Plasmasubstanz ihre Entstehung verdanken. Manchmal sind an Primitivfibrillen auch kleine Schlingen und Zerfaserungen zu beobachten, die im lokalen Voneinanderweichen der Elementarfibrillen ihren Grund haben!). (Vergl. das beiliegende Diagramm bei V u. ’Z.) 4) Varikosität macerierter Muskelfasern ist ebenfalls allein der interfibril- Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 493 Das hauptsächlichste Merkmal sensorischer Nervenzüge besteht darin, dass hier mehrere Primitivfibrillen von einer gemeinsamen Membran umhüllt werden. Auf diese Weise entstehen nervöse Schläuche, die von weicher Interfibrillärsubstauz erfüllt sind und verhältnismäßig starke Wände besitzen. Auf Querschnitten durch solche sensorische Bahnen erblickt man eine Anzahl schwarzer verschieden großer Punkte, welche den einzelnen, in der Grundsubstanz eingebetteten Fibrillen entsprechen. Je nach der Stärke und Anzahl der eingeschlossenen Fibrillen lassen sich zwei Kate- sorien sensorischer Schläuche — wenigstens bei Anneliden — unter- scheiden. Die einen führen zahlreiche Fibrillen, von denen einzelne auf- fallend stärker sein können als die übrigen; als Beispiele möge man die sogen. Neurochorde von Lumbricus betrachten. Die andere Art enthält viel dünnere Bündel der schwächsten Fibrillen, die in Nerven überhaupt vorkommen; auch hier sind die Umrisse der Gliascheide stets sehr scharf und deutlich und die Perifibrillärsubstanz bei Evertebraten myelinhaltig. Im Gegensatz zu sensorischen Nerven kommt bei motorischen Nerven der Würmer jeder einzelnen Primitivfibrille, die sich allerdings sehr mächtig entwickeln, eine besondere Gliahülle zu, so dass auf Trans- versalschnitten im Centrum der von der Glia umschriebenen Kreise nur je ein schwarzer Punkt zu sehen ist; das Myelin erscheint auf die Glia- wände: beschränkt. Der sonstige Bau ist bei sensorischen und motorischen Nerven gleich. Die aus den einzelnen Gliaschläuchen gebildete Nervenfaser wird von einer beträchtlichen Neurillemmscheide eingeschlossen, welche einiges Myelin enthält. Inbetreff des Letzteren hebt Apäthy hervor, dass es in allen Nerven enthalten ist und dass die diesbezüglichen Unterschiede im Nerven- baue lediglich in der verschiedenartigen Verteilung des Myelins ihren Grund haben. Ich verweise hier auf die Ansichten Th. Boveri’s u. a., die im Myelin ein fettartiges, lichtbrechendes und halbflüssiges Sekret be- sonderer accessorischer Bindegewebsdrüsen erblicken. Auf die Neurilemm- lage folgt eine doppelte äußere Nervenscheide mit dem dazwischen liegen- den Perineuralsinus. Im Anschluss an obige Untersuchungen an Würmern, wurden auch Nerven von Lophwus, Leander, Astacus, also von Arthropoden und Verte- braten berücksichtigt und auf die für die Anneliden geltenden Verhält- nisse zurückgeführt. So wurden die kolossalen Axenzylinder dorsaler Wurzeln bei Fischen als sensorische Nerven der ersten Kategorie erkannt, während die blassen Remak’schen Fasern, welche besonders im Bereiche des Sympathicus Geflechte bilden, den zweiten T'ypus repräsentieren. Auch an zahlreichen anderen Stellen des Werkes werden namentlich die Lophrus- Nerven zum Vergleiche herangezogen, nichtsdestoweniger glaube ich, dass in dieser Richtung ein Mehr der Abhandlung eher genützt als geschadet hätte. Nachdem wir den Bau der Nervenbahnen kennen gelernt haben, ver- folgen wir das Schicksal des Leitenden im Centralsysteme und an der Peripherie, in den Perceptionszellen und Sinneszellen. Dieses Thema wird in den umfangreichsten Kapiteln der an Einzelschilderungen überreichen lären Substanz zuzuschreiben. — Vergl. Stef. Apäthy, Nach welcher Rich- tung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? Biol. Centralblatt, Bd. IX, 1889—1890, S. 537. 494 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. Arbeit erörtert. In unserer Darstellung müssen wir uns schlechthin auf die allgemeinsten und interessantesten Resultate beschränken und nur hie und da auf diejenigen Stellen des Originals hinweisen, wo der Leser das Nähere nachschlagen kann. Das Leitende erstreckt sich entweder als rein sensorische und rein motorische Nerven oder als gemischte Nerven, welche alle drei Faser- arten enthalten, von der Peripherie des Körpers unmittelbar oder aber erst, nachdem die Fibrillen eine oder mehrere peripherische Ganglien- zellen passiert haben, zu den Ganglienzellen des centralen Bauchmarkes. Dieselben Fibrillen, welche von einer gegebenen Nervenzelle einer cen- tralen Ganglienzelle zugeleitet wurden, können sich sehr oft noch viel weiter erstrecken, wobei ihre Matrix dieselbe Nervenzelle bleibt. In zahl- reichen anderen Fällen übergehen sie kontinuierlich in Fibrillenzüge, die jenseits der Ganglienzelle von anderen Nervenzellen geliefert werden. Auf der Strecke zwischen der peripherischen und centralen Station können sich mehrere solche Entstehungscentren des Leitenden befinden. Bei höheren Tieren vermehrt sich stets die Zahl der Nervenzellen, die sich aneinander reihen und kontinuierliche Erregungsbahnen herstellen. Zum Studium des Leitenden im Centralsysteme sind besonders die birnförmigen gestielten Ganglienzellen der Hirudineen geeignet. Indem wir das ganze Kapitel über die Stütz- und Hüllvorrichtungen perzipieren- der Zellen der Kürze halber überschlagen, wollen wir von der Organi- sation dieser Ganglienzellen nur das Vorhandensein blasser, perinukleärer Centrosomen erwähnen. Das Verhalten der eintretenden Primitivfibrillen wird vom Verf. sehr minutiös geschildert und durch mannigfache Spezial- fälle illustriert. Die Verästelung der Fibrillen oder, richtiger gesagt, ihr Auseinanderweichen kann schon in den Fortsätzen beginnen oder erfolgt erst im Somatoplasma der Zelle selbst. Die immer feiner werdenden Fibrillen (wahrscheinlich handelt es sich hier schon um die eigentlichen Elementarfibrillen) durchsetzen das Zellplasma in verschiedener Weise, indem sie ein korbartiges Geflecht oder Gitter bilden, welches in ver- schiedener Tiefe in dem Zellkörper eingelagert sein kann. Im dieser Be- ziehung kann man bei Hirudineen zwei Haupttypen von Ganglienzellen unterscheiden. Ich will es speziell betonen, dass diese T'ypen nur eine rein histologische Bedeutung haben können, da z. B. sowohl die größten im Systeme vorkommenden als auch die kleinsten Ganglienzellen mit- unter ein und demselben Typus angehören. In dem einen Falle be- schränkt sich das erwähnte Fibrillenkörbchen auf die äußere chromatische Zone der Zelle. Im anderen Falle entwickelt sich außer dem peripheri- schen Geflechte ein inneres tiefer gelagertes Körbehen, welches den Zell- kern eng umspinnt und mit dem äußeren mittels mehr oder minder radiär verlaufenden Brücken in Verbindung steht. Einzelne Gitterwerke können unter einander auch dadurch differieren, dass sich zwischen den Fibrillen oft Anastomosen herausbilden, die dem ganzen Gebilde außerordentliche Zierlichkeit verleihen. Niemals enden die Fibrillen frei im Somatoplasma der Zelle; wo auf Präparaten freie Endstücke im Gitterwerke zu sehen sind, da handelt es sich dort bloß um durchschnittene Gitterdrähte. Ebenso sind auch etwaige lose Fibrillenstückchen aufzufassen. Nachdem die leitenden Elementarfibrillen, die gewöhnlich in einem Zuleitungsstrange vereinigt, oder in zwei dünnere Bündel getrennt, in die Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 495 Zelle hineindringen, den Zellleib in Form des geschilderten Geflechtes oder Gitters durchsetzt haben, verlassen sie die Ganglienzelle in derselben, weder vermehrten noch verminderten Anzahl, dagegen stets in anderer Gruppierung. Ableitende Bahnen sind in der Regel in Mehrzahl vor- handen; zu einem einzigen, dann aber besonders starken Fortsatze treten sie nur dann zusammen, wenn er direkt in einen peripherischen Nerv übergeht. Viele Ganglienzellen besitzen zwei ableitende Fortsätze, andere sind neben einem Hauptfortsatze mit einer Anzahl kleiner, schmächtiger Nebenfortsätze ausgestattet. Die austretenden Primitivfibrillen begeben sich entweder unmittelbar in Drüsen, Muskeln, Blutgefäße und sonstige Innervationsgebiete, oder gelangen noch vorher in andere Ganglienzellen, wo sie sich in der be- kannten Weise aufsplittern. Im Folgenden wollen wir die einzelnen Formen der peripherischen Nervenausbreitung näher betrachten. . Motorische Nerven bilden bekanntlich, bei Muskelfasern angelangt, scheibenförmige Wülste, welche aus einem dichten, feinkörnigen, stark tingierbaren Somatoplasma bestehen, sich mäßig in die Muskelfasern ein- senken und an mehreren Stellen mittels feiner, sich zwischen die kon- traktilen Leisten hineinschiebender, protoplasmatischer Brücken mit dem Medullarprotoplasma zusammenhängen. Diese Wülste haben an Längs- schnitten, z. B. bei Muskeln der Pontobdella, eine spindelförmige Gestalt, an Transversalschnitten sind sie mehr knopfförmig. Sie waren bis jetzt allgemein für motorische Nervenendigungen ge- halten. Die Sache verhält sich indessen anders. Während die Perifibrillär- substanz nicht tief in den Wulst hineindringt und an seinem Aufbau ge- ringen Anteil nimmt, durchsetzen die Neurofibrillen sein Inneres und innervieren die kontraktilen Fasern viel inniger, indem sie sich in sub- tile, stets T-förmig divergierende Zweige verästeln, welche immer feiner werden und sich je nach dem Präparate verschieden weit verfolgen lassen (S. 686), ohne ein förmliches Gitter zu bilden. Intramuskuläre Fibrillen verlassen die Muskelfasern und bilden ein (eher vermutetes als direkt beobachtetes) Elementargitter. Von großer Tragweite ist auch der Befund, dass intramuskuläre Fibrillen verschiedener Muskelfasern sich mit einander durch wirkliche Anastomosen verbinden können. Andere Histologen, welche dieselben Objekte in dieser Richtung stu- diert haben, namentlich Rohde, auf dessen Einwürfe ich weiter unten noch zurückkommen werde, wollen einen solchen Sachverhalt nicht zu- geben. Sonst glaube ich aber hervorheben zu müssen, dass verwandie Befunde in der Litteratur bereits niedergelegt sind, so z. B. diejenigen Rouget’s!) über den Verlauf motorischer und sensorischer Nervenfasern in Muskeln. Das Verhalten anderer peripherischer Nerven wurde in verschiedenen Sinneszellen, in gewöhnlichen Stütz- und Deckepithelzellen, ja sogar in den Lymphkapillaren und in Sammelblasen der Segmentalorgane sehr ein- gehend verfolgt. Am Weze dahin haben viele Nerven peripherische Ganglienzellen zu passieren, manchmal mehrere solcher Zellen nachein- ander. Der Fibrillenverlauf kann sich hier insofern komplizieren, als sich zwischen den stets im Innern der Neurilemmscheide gelagerten, birnen- 1) Vergl. C. Rouget in: Comptes rendus de l’Acad. Sc. Paris, T. CXXII, 496 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. förmigen oder rundlichen Ganglienzellen öfters Anastomosen ausbilden, wie dies in ganz analoger Weise bei Ganglienzellen des Centralsystems der Fall ist. Die oben erwähnten Ganglienzellen in der Darmwand von Pontobdella hält Apäthy für ein wirklich „klassisches Objekt“ zum Studium solcher leitenden und nichtleitenden Anastomosen. Auch zwischen Ganglienzellen und Sinneszellen wurden Anastomosen beobachtet. Die Innervierung der Sinnesnervenzellen weicht von derjenigen der Ganglienzellen zunächst dadurch ab, dass hier stets nur eine Nerven- bahn in die Zelle eindringt, bezw. die Zelle centripetal verlässt, während in die Ganglienzellen in der Subintestinalkette des öfteren mehrere Nervenfasern eindringen, zumal in den Fällen, wo dieselben Nerven- fasern mehrere Ganglienzellen innervieren. Anastomosen sind allerdings auch bei Sinneszellen, sowohl den cylindrischen subepidermalen als den tiefer gelagerten, anzutreffen. Der Nerv dringt in die Zelle stets von dem proximalen Pole ein, gelangt ohne Verästelung bis zum Kern, um- greift ihn mit einem engen körbchenartigen Gitter und setzt sich nach neuerlicher Vereinigung auseinandergewichener Fibrillen in dem schlauch- förmigen Zellkörper distalwärts fort. Ganz besonders interessant ist die Tafel XXIX des Werkes, welche die wertvollen Beobachtungen über das völlig unbekannte weitere Schicksal der peripherischen Fasern illustriert. Es werden dort einige Fälle ab- gebildet (z. B. in Fig. 7), deren nähere Schilderung im Texte keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass „nicht selten bloß ein kleiner Teil der zu einer stärkeren Primitivfibrille vereinigt eingetretenen und das perinukleäre Neurofibrillengitter bildenden leitenden Elementarfibrillen in der Sinneszelle bleibt; der weitaus größte Teil tritt aus der Sinnes- zelle heraus und erscheint in Form von sich verzweigenden Neurofibrillen zwischen den Epithelzellen, wo er wahrscheinlich an der Bildung eines intraepithelialen Neurofibrillengitters teilnimmt“ (8.657). Die Innervierung bietet also in den Präparaten recht mannigfache Bilder. Meistens lässt sich die den distalen Teil der Cylinderzelle durchziehende axiale Primitiv- fibrille nicht weiter verfolgen. In günstigen Fällen sieht man aber, wie sie die Zelle verlässt und sich in der Subeuticula dicht unter der Körper- oberfläche netzförmig ausbreitet. Mitunter zweigt vor dem distalen Ende der Sinneszelle von dem axialen Fibrillenbündel ein Nebenast ab, der, wie alle sonstigen peripherischen Nerven, mit Gliamembran und einem perifibrillären Mantel versehen, sich zwischen gewöhnlichen Epithelzellen bis zu der Subeuticula durchwindet, um an dem wahrscheinlich aus Elementar- fibrillen gebildeten Gitter teilzunehmen. Man findet übrigens Nerven, welche die Sinneszellen gar nicht berühren, sondern sich direkt in die Subeuticula begeben. Völlig neu dürfte die Beobachtung sein, dass auch gewöhnliche Epithelzellen, die sich von sonstigen Deckzellen in keiner Hinsicht unterscheiden, mit Nervenfibrillen versorgt werden; es kommt auch in ihrem Zellkörper zur Bildung eines Fibrillengitters, doch wird ein engeres perinukleäres Körbchen stets vermisst. Eine besondere Art der Sinneszellen bilden die Retinazellen der Hirudineen. Der umfangreiche Kern dieser Zellen ist gewöhnlich an die Seite geschoben, und den Hauptbestandteil der Zelle bildet ein rundlicher Glaskörper, welcher in seinem Innern in einer centralen Körnchenzone, dem sogenannten Innenkörper, birgt. Die Nervenfibrillen zerstreuen sich Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 497 auch in den Retinazellen gleich nach ihrem Eintritte und bilden nament- lich an der Peripherie der Zelle ein dichtes äußeres Gitter; der Glaskörper wird von keinem engeren Körbehen umschlossen, Fibrillenhaltige Anasto- mosen wurden auch hier beobachtet. Interessant ist der Umstand, dass die Augeninnervierung bei den einen Hirudineen, wie bei Pseudobranchellion in der Belichtungsrichtung, bei anderen, wie bei Aulastomum und Herudo gegen die Lichtrichtung stattzufinden pflegt. Bei Hırudo ist es dem Verf. geglückt, auch die Innervation sub- epithelialer, muskelloser Gefäße zu eruieren. Die Nervenfibrillen um- schlingen die Gefäße reifenförmig, was entfernt an die reifenförmigen Muskeln der Hepatopankreasdrüsen bei Amphipoden erinnern mag. Doch liegen hier die nervösen Fibrillen der Gefäßwand nicht von außen an, sondern befinden sich im Somatoplasma der Zellen selbst, welche hier etwas gestreckter sind als in der Endothelwand der Blutgefäße der Verte- braten. Die Maschen des Neurofibrillengitters sind quergestellt und rhombenförmig. Eigenartig ist die Innervation der Harnblase in den Nephridien. Es gelangen hier zwei Fibrillennetze zur Ausbildung. Das eine liegt im Bindegewebe der Blasenwand, das andere in den Epithelzellen selbst. Beide stehen mit einander durch zahlreiche Anastomosen in Verbindung. Inbetreff des inneren Epithelnetzes ist zu erwähnen, dass es sich nicht auf einzelne Zellen beschränkt, vielmehr das Epithel als Ganzes, ohne Rücksicht auf Zellgrenzen, durchsetzt. Auch hier nehmen sich die meisten Neurofibrillen im Querschnittsbilde in Präparaten als dunkle Punkte aus, und erst durch das Heben und Senken des Tubus wird man der ziekzack- förmigen Linien gewahr, welche jene Punkte in schräg vertikaler Rich- tung mit einander verbinden. Neurofibrillen glaubt Apäthy auch in den Zellen des Darmepithels gesehen zu haben. Ein glänzendes Beispiel von der Sorgfältigkeit und Umsicht, mit welchen der Verf. seine Untersuchungen ausführt, giebt das umfangreiche Kapitel über den Verlauf der Fibrillen in den Flimmerzellen des Darmes (8. 697— 708). Zum Studium wurden die Flimmerzellen in der Typhlo- solis von Anodonta gewählt. Die Frage ist schon rein histologisch so interessant, dass ich dem Verf. mehr ins Detail folgen will; ich thue dies aber insbesondere deswegen, weil man hier, wie kaum an einer anderen Stelle des Organismus, die Ueberzeugung gewinnen könnte, dass peripherisch ausstrahlende Nervenfasern dennoch freie Endigungen an der Oberfläche der Epithelien besitzen. Die früheren Untersuchungen Engelmann’s, denen zufolge die Geißeln sich im Somatoplasma der Zellen fortsetzen |ähnlich wie dies nach K. Cam. Schneider bei den Wimpern des Trichoplax angeblich der Fall sein soll|!) und in tieferen Partien des Zellkörpers konvergieren, hat Apäthy schon vor Jahren vollauf bestätigt?). Auch diesmal hat er in der Darmleiste der Teichmuschel die typischen pinselförmigen Gebilde im Somatoplasma beobachtet, konnte sich aber zugleich überzeugen, dass 1) Diesbezüglich erlaube ich mir auf meine „Morphogenetischen Studien“ zu verweisen, 2) Tanülmäny a Najadeak Schövettanäröl. In: Ertekezesek a Term£szettu- domänyok kör£böl, k. M. T. Akadem. XVI köt. VIII. Budapest 1884. XVIIL 32 498 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementeiı. es Neurofibrillen sind. Das betreffende Präparat |Taf. XXVI, Fig. 7|') zeigt uns bei 1500 facher Vergrößerung mehrere Flimmerzellen, die in Celloidin geschnitten, mittels Nachvergoldung gefärbt und in Balsam montiert wurden. Die färberisch als dunkle Linie isolierte Primitivfibrille tritt von der Basis in die Zelle hinein, verstreicht an dem Kern vorbei, ohne Abgabe von Gitterästchen, und teilt sich dann in ein Bündel schwächerer, gleichmäßig dicker Fibrillen, welche fast parallelen Verlauf nehmen und hart an der Basis einzelner Geißeln bis in den ungefähr 3 a starken Cuticularraum der Zellen gelangen. Betrachtet man das Bild in polarisiertem Lichte bei gekreuzten Nikols (Zellaxen unter 45° zu den Polarisationsebenen des Polarisators), so bekommt man trotz des sehr dunklen Gesichtsfeldes diese Fibrillen als scharfe, glänzende, bronzefarbige Linien zu sehen, während die Geißeln matt entfärbt und fast unsichtbar werden. Nach Drehung des Zeigers des Analysators um 13° gegen die Zellenaxe (bei derselben Stellung dieser Axen) erscheinen die Neurofibrillen in dem bräunlichen Gesichtsfelde schwärzlich indigoblau und die Geißseln bleiben ziegelrot, wie bei der gewöhnlichen Beleuchtung (Auer’sches Glühlicht), nur ist der Farbenton etwas dumpfer. Daraus ergiebt sich mit aller wünschenswerten Klarheit, dass die Pinselfibrillen allen sonstigen Fibrillen vollkommen entsprechen. Sie zeigen nämlich einen hochgradigen Pleochroismus, der sie auch bei Methylenblaubehand- lung charakterisiert. Somit kann von einer direkten Fortsetzung dieser Fibrillen in die äußeren Geißelhaare nicht die Rede sein. Die Geißeln verhalten sich ja ganz anders, ähnlich den kurzen Zwischenhärchen, die sich an den Zellgrenzen erheben. Nun kommt der Verf. auf die Ver- mutung, dass die Cilien den Outicularsaum durchsetzen und im Somato- plasma in eine Differenzierung übergehen von derselben Form, wie der Fibrillenpinsel. Er erläutert diese Auffassung durch eine besondere Skizze (Taf. XXXIL, Fig. 5). Die Stränge der Ciliendifferenzierung bilden am Untieularsaume eine knopfförmige Erweiterung und verlassen den Zell- körper als freibewegliche Geißeln. Mit ihnen alternieren die Neurofibrillen (die auch unmöglich Myotibrillen sein könnten) und endigen in dem Uutieularsaume mit einem Knöpfehen. Apäthy hält aber eine Nerven- endigung mittels eines Knopfes nicht für wahrscheinlich. Er sieht darin vielmehr Umbiegungsstellen der Fibrillen, die sich in der Cuticula in analoger Weise verästeln und ein cuticulares Neurofibrillengitter bilden können, wie in der Subeuticula an der Oberfläche des Körpers. Besondere Umstände verhindern vielleicht das Verfolgen dieser feinsten Ausstrah- lungen. Der Innervierungstypus der Flimmerzellen lässt sich nach dem Verf. an die Innervierung kontraktiler Muskelzellen zurückführen; ihm stellt er den uns bereits bekannten Innervationstypus sensibler Zellen gegen- über. Ich möchte hinzufügen, dass sich die Innervationsweise der Flimmer- zellen ohne weiters aus der inneren Geißeldifferenzierung ergiebt, voraus- gesetzt, dass diese Differenzierung in der geschilderten Form wirklich existiert. 1) In dem mir gewidmeten Exemplare befindet sich bei der Figur die Randbemerkung, dass die farbigen Platten nicht genau aufeinandergelegt wur- den und dass auch die Farbennüancen nicht ganz richtig wiedergegeben sind. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 499 Das Verhalten der centripetal in den Ganglien zusammenlaufenden peripherischen Nerven ist ebenfalls recht verschieden. Viele Nerven gehen nach Eintritt in die Ganglien sofort in ein ungemein dichtes und feines, offenbar aus Elementarfibrillen zusammengesetztes Gitter über, wobei sie sich Y-förmig verästeln. Die Fibrillen vereinigen sich dann neuerdings zu stärkeren Bündeln, um zu den Ganglienzellen zu gelangen. Dickere sensorische Nerven der einen Art verzweigen sich mittels hirschgeweih- förmiger Kolben, welche bis jetzt für Nervenendigungen ' ge- halten wurden, und bilden in ihren feinsten elementaren Ausstrah- lungen ebenfalls ein Elementargitter, in einer stark myelinhaltigen Grund- substanz, worauf sie in Ganglienzellen desselben Ganglions einmünden. Dünnere sensorische Primitivfibrillen der anderen Art begeben sich ohne Gitterverästelungen durch die Längskommissuren zu Ganglienzellen, welche in entfernteren Ganglien liegen. Die drei großen, in allen vorderen Nerven- wurzeln des Blutegels vorhandenen Nervenschläuche verhalten sich ähnlich wie die sensorischen Nervenfasern bei Wirbeltieren. Dass die neuralen Gitter in den Gauglien aus Elementarfibrillen be- stehen, lässt sich schon aus der extremen Feinheit ihrer Drähte (0:05 —0 1 1) vermuten. Sie sind möglicherweise schon in den noch unverästelten Nerven- schläuchen als zarte Streifung wahrnehmbar. In den hirschgeweihförmigen Kolben werden sie von der Interfibrillärsubstanz eingeschlossen, die sich bei unvollkommener Methylenblautinktion oder bei Golgi’s Imprägnationen allein zu färben pflegt. Aus ähnlichen Gründen wurde bis jetzt auch das netzförmige Gliawerk mit den eigentlichen Neurofibrillennetzen in den Ganglien vielfach verwechselt. Während die beiden ersten Teile der Publikation sich mit der Dar- stellung der Einzelergebnisse des Autors und ihrer Begründung befassen, ist der dritte und letzte, nicht minder umfangreiche Teil der technischen Methodik gewidmet. Von Interesse sind davon namentlich Gedanken über die eigentliche Rolle, welche die Metallsalze und speziell die verwendeten Arten des Goldchlorids beim Kontakt mit organischen Geweben spielen. Immerhin bleiben wir im Unklaren darüber, was zu erfahren uns am meisten erwünscht wäre: die Ursachen der speziellen Affinität der Nerven- elemente zum Goldsalze ließen sich trotz der Fortschritte der Zoochemie nicht klar genug darlegen. Apäthy arbeitet mit drei Methoden; er tingiert mit Methylenblau, mit Hämatein und mittels Vor- oder Nachvergoldung. Seine Methylenblaumethode ist dieselbe geblieben, die er schon im Jahre 1892 beschrieben hat!). Die Anfertigung und Fixierung von Methylenblauschnitten hat er nicht weiter verfeinert, da er sich oft über- zeugen konnte, dass seine beiden anderen Tinktionsmethoden die An- wendung des Methylenblaus entbehrlich machen. Seine Hämateinmethode erreicht zwar nicht den Vollkommenheitsgrad der Vergoldung, ist aber unter Umständen leichter auszuführen und leistet auch in speziellen Fällen bessere Dienste. Die Zusammensetzung der Apäthy’schen Hämateinlösung / A ist von früher her allgemein bekannt. Die tingierten Schnitte können nach Bedarf mit anderen Farbstoffen nach- 1) Zeitschrift f. wiss. Mikroskopie, Bd. IX, 1892, S. 15, 466 ft. 32* 500 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. behandelt werden. Hiezu eignet sich besonders Rubin und Ammonium- pikrat, wie uns davon unter anderem die in Apäthy’s neuester Arbeit über die Speicheldrüsen des Blutegels!) erzielten Resultate ein schönes Zeugnis geben. Namhafte Vorteile bietet die Hämateinmethode dadurch, dass die Schnitte ohne Nachteil dicker sein können als bei Vergoldung, und ganz besonders dadurch, dass das Tinktionsmaterial ein längeres Einwirken des Alkohols verträgt, ohne an Färbbarkeit einzubüßen. Hämatein ist aber auch niemals im Stande, so starke Farbenkontraste bei tinktorieller Dif- ferenzierung der leitenden Elemente hervorzurufen, wie dies bei der Gold- methode der Fall ist. Außerdem haben die damit hergestellten Präparate darunter zn leiden, dass manche feinere Details, z. B. in den Sinnes- epithelien, nach einiger Zeit durch Verblassen verloren gehen. Die oberste Stelle nimmt daher die Goldmethode ein. Wenn sie sich auch bei anderen neurologischen Objekten ebenso bewähren wird, wie bei den Anneliden und den nicht wenigen Vereleichsobjekten, dann wird sie wahrscheinlich das Golgi’sche Imprägnationsverfahren verdrängen, weil sich mit ihr selbst die besten, von Ziehen, Obregia, Flechsig, Cox u. a. eingeführten Modifikationen der ursprünglichen Golgi’schen Methode, die demnächst ihr 25jähriges Jubiläum feiern könnte, nicht zu messen vermögen. Leider hat Apätlıy’s Goldmethode mit der Methode Golgi’s eine gewisse Launenhaftigkeit gemeinsam. Zum völligen Gelingen der Fibrillen- differenzierung sind mehrere Bedingungen erforderlich, deren Grenzen — wie bei der 'Temperatur und Belichtung — ziemlich eng gezogen sind, Bedingungen, die auch beim besten Willen des Praktikers nicht immer eingehalten werden können, weil auch von der Qualität des Goldchlorids und der Ameisensäure vieles abzuhängen scheint. Aber selbst in jenen Fällen, in denen die beabsichtigte eigentliche Wirkung ausbleibt, ist die Arbeitsmühe nicht vergeblich gewesen. Davon konnte sich auch der Schreiber dieser Zeilen, welcher dem Prof. Apäthy wertvolle technische Angaben zu verdanken hat, an so extrem verschiedenen Objekten, wie an Trichoplax- und Ammocoetes-Schnitten überzeugen. Die zart abgestuften Töne des eigenartig milden Purpurs des Goldchlorids erlauben alle sonstigen histologischen Differenzierungen im Präparate besser zu überblicken, als dies bei Anwendung der gewöhnlich gebräuchlichen Farbstoffe möglich wäre. Mit Gold tingieren kann man entweder frische oder vorher fixierte und gehärtete Untersuchungsobjekte. . Bei der Vorvergoldung werden die frischen Stücke in eine einprozentige Lösung von Aurum chloratum flavum eingelegt und dann nach 24stündigem Verweilen in einprozentiger Ameisen- säure, behufs Differenzierung stark belichtet, wobei die Flüssigkeit unter Umständen gewechselt werden muss. Die Objekte vertragen vor der Ver- goldung eine mehrtägige Mazeration im Drittelalkohol. Im Präparate färbt sich das Somatoplasma und die Interfibrillärsubstanz; Kerne und kon- traktile Primitivfibrillen fallen dagegen sehr blass aus; die Nerven haben eine intensive, dunkle, violettrote Farbe. ‚. 1) Beschaffenheit und Funktion der Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L. mit Rücksicht auf die klinische Verwertung ihres Extraktes. In: Orvos-Termös- zettudomanyi Ertesitö. Kolozsvär 1897. Vergl. Biol. Ctbl., Bd. XVII, S$. 218. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 501 Wichtiger und in ihrer Art unersetzlich ist die Nachvergoldung; sie lässt sich ebenso gut bei dünnen Membranen als bei Mikrotomschnitten anwenden. Man fixiert je nach Größe des Objektes 4 bis 24 Stunden in konzentrierter Sublimat-Kochsalzlösung oder in Sublimatalkohol. Für Wirbeltiernerven ist eine Zugabe einprozentiger Osmiumtetraoxidlösung zu empfehlen. Sowohl die Fixierung selbst als alle damit verbundenen Mani- pulationen sollen möglichst kurze Zeit dauern, da man sonst Gefahr läuft, den spezifischen Zustand der Nerven, welcher sie für das Gold- chlorid empfänglich macht, zu zerstören. Die Schnitte (7”—10 u stark) verweilen in der Goldlösung bis zu 24 Stunden, worauf sie in Ameisen- säure einer möglichst starken, anhaltenden Belichtung durch Sonneustrahlen bei niedriger 'l’emperatur ausgesetzt werden. Vor dem Lackeinschluss kann man die Zellkerne mit Hämateinlösung nachfärben. Im Gegensatze zu der Vorvergoldung sind hier die Zellkörper und die Perifibrillärsubstanz nur wenig gefärbt, während Kerne und Fibrillen viel Farbstoff aufnehmen; die Nerven werden tief dunkel bis schwarz. Objekte, die mit Gold behandelt wurden, zeichnen sich vor der Hämateinmethode außer den lebhafteren Farbenkontrasten auch dadurch aus, dass sie ohne Schaden selbst einer komplizierten Nachbehandlung unterzogen werden können. Der Nachteil der Methode liegt darin, dass sie nur bei sehr dünnen Objekten erfolgreich angewendet werden kann und dass der Erfolg durch die Einwirkung des absoluten Alkohols stets in Frage gestellt wird. — Im Ganzen hat man den-Eindruck, dass sich zur Vergoldung am besten die Nerven der Wirbellosen eignen. Vertebratennerven sind schwieriger als Primitivfibrillen differenzierbar: ebenso embryonale Nerven- elemente, wahrscheinlich Neurofibrillen 2?» statu nascendi überhaupt. So erklärt es sich, warum Apäthy seine Studien mit besonderer Vorliebe an Hirudineen und Lumbriciden, die durch starke Primitivfibrillen charak- terisiert sind, durchführte, und warum neurogenetische Untersuchungen der Zukunft vorbehalten bleiben. Damit wäre der erste Teil meiner Aufgabe, Apäthy’s Untersuchungen in gedrungener Form darzustellen, erledigt. Bei der außerordentlichen Reichhaltigkeit des Inhaltes konnte leider nur ein Treil der geschilderten Verhältnisse Berücksichtigung finden. Wenn ich auch bei Vorführung einzelner Befunde‘ bestrebt war, die Darstellungen und Absichten des Verf. möglichst getreu wiederzugeben, konnte ich dem nach meiner Erach- tung kaum sehr übersichtlichen Texte nicht folgen, sondern habe das Material anders gruppiert, um den Ueberblick des Ganzen zu erleichtern. Da in fertiggestellten Abhandlungen besonders die durch Erwägung gewonnenen, theoretischen Resultate fast niemals nach historischen Mo- menten niedergelegt werden, so ist es in der Regel ziemlich schwer, den Gedankengang des Autors zu rekonstruieren und herauszufinden, wie eine umfangreiche Auffassung entstanden ist. Nichtsdestoweniger nehme ich mit ziemlicher Sicherheit an, dass speziell die gelungenen Goldpräparate „terminaler“ Verästelungen des Leitenden zwischen kontraktilen Fasern in Muskeln und in der Subkutila, wo sie von Sinneszellfibrillen herstammen, dem Verf. die ersten Anregungen zu der Vorstellung eines geschlossenen Nervennetzes gegeben haben. Später, 502 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. als er sich bestimmt sah, die gang und gäbe gewordenen Vorstellungen von dichotomischer Verästelung der Leitungswege aufzugeben, wurde jene Auffassung nur noch gefestigt. Sie bildet den Kern der ganzen Kon- jektur: An manchen Stellen, wo bei Anwendung bisheriger Methoden eine Endigung der Erregungsbahn angenommen werden musste, existiert ein weitergehendes nervöses Fi- brillenwerk. Diese Fibrillen lassen sich um so weiter ver- folgen, je gelungener das Präparat. Folglich beruht die Erscheinung der Neuronengespinnste auf unvollkommener tinktorieller Isolierung des Leitenden. Neurofibrillen um- spannen den ganzen Organismus als kontinuierliche Er- regungsbahnen, alle Organe durchdringend. Sinneszellen und Ganglienzellen, an denen man das Ein- und Austreten der für das Leitende a priori gehaltenen Fibrillen scharf konstatieren kann, sind in dieses allgemeine Bahnennetz ein- geschaltet. Sinneszellen sind ästhetische Gebilde. Ganglien- zellen kommen teils in peripherischen Nervenzügen, nament- lich in der Nähe von Sinneszellen als Schaltzellen vor, teils sind sie im Centralsysteme „wie Beeren*!) angehängt und hier besonders zahlreich. Ihre Funktion dürfte demnach im Bestimmen der Stromgqualität und Intensität bestehen. Sie erfüllen also dieselbe Aufgabe wie elektrische Batterien im telegraphischen Netze. Als „galvanische Elemente“ (um bei einem Ausdrucke Paul Albrecht’s zu bleiben) werden sie fort- während durch Erzeugung des Nervenstromes in Anspruch genommen und reagieren auf Sinnesempfindungen durch Ver- änderungen des Stromes. Dem widerspricht gar nicht die Thatsache, dass auch durch physiologische Reize der Er- regungstonus derselben Fibrillen sekundär geändert werden kann. Diese Inanspruchnahme der Ganglienzellen einerseits, die Lage der Fibrillen in der kernhaltigen Grundsubstanz der Nervenstränge andererseits, verleiten zu der hypotheti- schen Vermutung, dass die Fibrillen anderswo entstehen, und zwar in peripherischen Spindeln, deren Kerne ais Matrix- kerne anzusprechen wären. Der Umstand, dass die Fibrillen in den Spindeln in Mehrzahl vorhanden sind und zugleich mit Teilungen der Spindeln von einander divergieren, unter- stützt noch die Annahme der Kontinuität der Fibrillen. Wahr- scheinlich verhält sich die Sache bei den feinsten Veräste- lungen des Nervennetzes; offenbar gabeln sich die Fibrillen niemals, sondern zerfallen in immer feinere Züge, in die Elementarfasern. — Die Existenz leitender Anastomosen zwischen Ganglienzellen und im peripherischen Systeme lässt uns ebenfalls mit dem Neuronbegriffe aufräumen. So ungefähr wird sich dieser Ideengang entwickelt haben. Möge mir der Verf. verzeihen, wenn sich meine Skizze mit der historischen Wahrheit nur unvollständig deckt. 1) Vergl. Biol. Centralblatt, Bd. IX, 1890, S. 646. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 503 An dem beiliegenden Diagramme soll die Theorie Apäthy’s, die ich vielleicht am passendsten, nach Analogie des Blutumlaufes, Theorie des nervösen Kreislaufes nennen will, noch eindringlicher illustriert werden. Es sind im optischen Schnitte zwei neben einander stehende Ganglien aus dem Bauchmarke eines Aerudo-artigen Cölomiers dargestellt, nebst peripherischen Differenzierungen, welche verschiedenen Tieren ent- nommen wurden. Die richtigen Größenverhältnisse wurden in der Skizze völlig außer Acht gelassen. Auch die topographischen Beziehungen ent- sprechen nicht der Wirklichkeit. Bloß die hauptsächsten Momente des Fibrillenkreislaufes sollen hier ihren Ausdruck finden. Mehrere spindelförmige, mit Kernen (nK) versehene Nervenzellen, welche zum Teil sensorische (sS, sS,), zum Teil motorische (mS) Neuro- fibrillen führen, vereinigen sich zu dicken Strängen, um als seitliche Kommissuren in das centrale Nervensystem zu gelangen. Die sensorischen Spindeln sS, VI u. sS, VII veranschaulichen den Fall, wo die peripberische Erregungsbahn aus mehreren aneinandergereihten Nervenzellen zusammen- gesetzt ist. An der sensorischen Spindel sS/ bemerkt man einen Neben- ast (a), an der motorischen Spindel (mS) eine mehrfache Verzweigung. Die sensorischen Nervenspindeln sS/I u. sSIV biegen bei EsS/I u. EsSIV, longitudinale Richtung annehmend, in die Konnektive ein, um Ganglien, die im nächsten oder einem entfernteren Segmente liegen, zu erreichen. Die Nervenzelle sS// thut dies erst in dem Ganglion der anderen Seite, das Fibrillenbündel sS/V sofort nach Eintritt in das Centralsystem. An optischen Querschnitten (EsS) sehen die Primitiv-‘ fibrillen wie Punkte aus. Die Fibrillen des gemischten oder sensorischen Bündels sS/ gehen im Ganglion (@l) zunächst in das Elementargitter (NN) über. Aus diesem Gitter gelangen sie als Zuleitungsbündel (XV u. xVI) zu Ganglienzellen, die in dem zweiten Ganglion liegen (GZV u. GZV]. Die sensorischen Fibrillen der Nervenspindel sS//I übergehen in ein Elementarnetz mit hirschgeweihförmigen Kolben (HG); ein wieder- vereinigtes Bündel, welches von diesem Gitter abgeht, innerviert die nächst- liegende Ganglienzelle (GZV ID. Die sensorische Nervenzelle einer anderen Art (sS,VI) geleitet ihre Fibrillen ohne Verästelungen direkt zu den benachbarten Ganglienzellen (GZI u. GZID. Die motorische Nervenspindel (mS) entsendet ein Fibrillenbündel (mfI) in die nächste Ganglienzelle (G@Z VIII), ein anderes Bündel (mfII) in eine Ganglienzelle im Ganglion der anderen Seite (G@ZIV). Das ableitende Fibrillenbündel (mfIII) begiebt sich aus dieser Zelle in eine weitere Ganglienzelle (GZII). Das ableitende Bündel ab II gehört zu der letztgenannten Zelle. Die Ganglienzelle @ZI ist in doppelter Weise innerviert; das eine Zuleitungsbündel (x, /) erhält sie aus der sensorischen Spindel sS, VI, das zweite wird ihr aus dem Ganglion der anderen Seite zugeleitet (%,]). In den Ganglienzellen bilden die Neurofibrillen entweder ein einfaches Netzwerk in der äußeren Zone des Zellkörpers, wie in Zelle GZV und G@ZVI, oder umspinnen den Zellkern mittels eines zweiten, engeren, inneren Körbcehens, wie dies z. B. in der Zelle @ZVII zu sehen ist. 504 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. Diagramm eines idealen Nervensystems. ";R Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 505 Motorische Fibrillen (m NI u. mNII) bilden an Muskelfasern, z. B. der Pontobdella, Wülste (EP), welche man bei der einen Muskelfaser (Mf, ) im Querschnitte, bei einer zweiten (Mf,) im Längsschnitte dargestellt sind. Die Fibrillen strahlen aber in das innere der Muskeln hinein (mN III u. mN IV), wobei sie sich 'T-förmig teilen (in den Muskelfasern Mf, u. Mf,): Sie verbinden sich mit einander mittels Anastomosen (an). Primitivfibrillen der Nervenspindel sS / innervieren Sinneszellen und Epithelzellen. Sie verästeln sich oft in eingeschalteten peripherischen Ganglienzellen, die in Mehrzahl vorhanden sein können Pp@ZIu.pGZIJ), worauf sie sich in der Subeuticula (sCu) als Elementargitter verzweigen. Oder aber sie gelangen ohne Vermittlung von Ganglienzellen zu den tieferen Sinneszellen (SZ/), beziehungsweise zu den cylindrischen, die Körperoberfläche (Cr) erreichenden Sinneszellen, welche sich mit jenen mittels Anastomosen verbinden können (SZII). Manche von diesen Bündeln lassen sich über die Zelle hinaus nicht weiter verfolgen (SZII, SZV). Bei manchen sieht man dagegen, wie sie in die Subeutieula hineingelangen, um sich zu verästeln, und zwar entweder die ganze Zell- länge durchmessend (SZIV) oder als ein Seitenzweig austretend (SZII]), Auch gewöhnliche Epithelzellen (DZ) empfangen besondere Fibrillen- bündel, die sich in ihrem Somatoplasma ausbreiten. Ein sich dichotomisch teilendes Fibrillenbündel wird von der sen- sorischen Nervenzelle sS/V an zwei durch Anastomose verbundene Retina- zellen des Pseudobranchellion (Rx) abgegeben. Die Fibrillen verästeln sich im Somatoplasma in der Nähe des Kernes (ÄK) und des Glaskörpers (GK). Im Glaskörper der ersten Zelle (Rx I) erblickt man den Innen- körper, welcher in einer körnigen Zone eingebettet liegt. Die zweite Zelle (Rx II) enthält ein peripherisches Gitter, dessen Drähte meistenteils durchgeschnitten wurden. In den Wimperzellen aus der Typhlosolis (WZ), die mit einem euticularen Saume (C), Wimpern (20) und Zwischenhärchen (xH) ausge- stattet sind, strahlen die Fibrillen, mit Fortsetzungen der Geißeln alter- nierend, ‘pinselförmig aus (NP) und endigen scheinbar mittels kleiner Knöpfchen. (Das Fibrillenbündel, welches die Wimperzellen innerviert, zeigt Varikositäten (V) und Zerfaserungen (Z) im Fibrillenverlaufe.) Sämtliche Primitivfibrillen erscheinen stark wellig gewunden, was sich durch völligen Mangel an Elastizität erklären lässt. _ In Folgendem möchte ich mir einige kritische Bemerkungen über die oben auseinandergesetzten Ansichten Apäthy’s erlauben. Man wird mir vielleicht entgegenhalten, es sei nicht an der Zeit, Kritik an einer Lehre zu üben, die ja — wie offiziell verlautet — noch nicht vollständig publiziert wurde, wo namentlich der Verf. uns über seine wichtigsten Postulate eingehendere Aufklärung schuldet. Aber ge- rade darin sehe ich bereits eine Schuld des Autors. Auch handelt es sich mir um die Stellung, welche seine Annahmen bei gegenwärtigem Stande der Kenntnisse in der vergleichenden Histologie einnehmen, zumal der Verf. verschmäht hat, es selber zu thun. Ich muss Apäthy’s frühere, in diesem Blatte erschienene Disser- 506 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. tation!) nochmals erwähnen. Schon damals hat Apäthy das Wesent- lichste von seiner nunmehr ausführlich entwickelten Lehre mitgeteilt, namentlich in histologischer und histogenetischer Richtung. Und doch, obgleich beide Publikationen dasselbe Thema behandeln, dürften sie auf die meisten Leser recht verschiedenen Eindruck machen. In der vor- läufigen Mitteilung befindet sich eine ziemlich genaue und sehr geistreiche Vergleichung der histologischen Natur der Nervenfibrillen und der Muskel- fibrillen. Auch der Begriff der Nervenzellen wurde schon damals präzi- siert. Dieser Begriff — sagte der Verf. — könnte erst dann als histo- logisch berechtigt angesehen werden, sobald man sich direkt überzeugen wird, dass die Fortsätze der Ganglienzellen die nach außen reagierenden Elemente des tierischen Organismus nicht erreichen und andererseits, dass die als Nervenzellen beanspruchten Elemente nicht erst sekundär in die Erregungsbahnen hineingelangen oder eingeschaltet werden. Von diesem Standpunkte aus entwickelte Ansichten, mit denen gegenwärtig auch die Anschauungen Sedgwik’s beinahe übereinstimmen, waren sehr anregend, besonders angesichts der Beobachtung, dass die Ganglienzellen des Bauchstranges zur Zeit der Entstehung der leitenden Elemente gar keine Fortsätze zu haben. scheinen. Gegenwärtig verfügen wir bereits über eine Spezialschilderung, welche durch nicht weniger als 88 vorzügliche Abbildungen illustriert wird, und fühlen uns merkwürdigerweise viel weniger überzeugt als vor Jahren, wo wir sogar mit hypothetischen Auslassungen des Verf.'s über die Arbeits- teilung und Herausdifferenzierung der Ganglien, der Muskeln, der Nerven- matrix aus Urektodermzellen einer Blastaea oder Gastraea fürlieb nehmen mussten?). Zu unserer heutigen viel skeptischeren Stimmung dürfte viel- leicht die sichtliche Gewissenhaftigkeit bei Anfertigung der vorgeführten Bilder das meiste beigetragen haben, so paradox dies auch klingen mag. Damals erhielten wir einen Ueberblick über die Genese interessanter, histogenetischer Gedanken; heute handelt es sich hingegen um Nachweise. Besonders der Begriff der fibrillogenen Nervenzellen dürfte unter Neurologen wenig Anklang finden. Es ist offenbar wenig bescheiden, sub- jektive Eindrücke zu verallgemeinern, doch dürfte es schwer halten, aus all den gebotenen, mitunter umfangreichen Bildern irgend einen neuen, positiven Anhaltspunkt für die Nervenzellenhypothese zu gewinnen. Es sollen sich diese Zellen häufig aneinanderreihen. Vergeblich würden wir aber nach einer Stelle suchen, welche uns zwei solche Zellen zeigen würde, deren Verschmelzung noch nicht völlig zum Austrag gekommen wäre. Und die Kerne der Nervenzellen anlangend, muss Prof. Apäthy selbst zugeben, dass ihre Natur in verschiedenster Weise auszulegen wäre. Die topischen Verhältnisse im Bau der Nervenzüge sind ja bei weitem nicht völlig klargelegt. Man könnte noch immer vermuten, dass jene ovalen Kerne den Gliaränden als Matrix angehören. Es sind wohl Neu- rilemmkerne bekannt, welche die strukturlose Schwann’sche Scheide produzieren und von einem ähnlichen Plasmahof umgeben sind, wie ihn die Kerne der Nervenzellen besitzen. Auch die terminologische Bezeich- nung dieser Zellen ist nicht glücklich gewählt und es ist thatsächlich nicht einzusehen, warum der Verf. schon in seiner ersten Mitteilung die 1) Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden? 1889. 2) a. a. 0, 8. 601. Mez, Mikroskopische Wasseranalyse. 507 von Ganglienzellen sowohl histologisch als physiologisch verschieden sein sollenden Elemente mit einem Namen bedachte, welcher seit jeher zur Bezeichnung der Ganglienzellen in der Litteratur eingebürgert ist. Die entscheidensten Beweise für die Existenz und die besondere Rolle der postulierten Zellen würde meines Erachtens eine eingehende histotechnische Analyse ihres Somatoplasmas im Vergleiche mit der Beschaffenheit des Celleus der Ganglienzellen liefern; sitzen doch die Letzteren in den End- fortsätzen der Nervenzellen gewissermaßen eingesenkt, wie in flachen Kelchen. Der Verfasser liefert zwar diesbezügliche histologische Be- schreibungen, doch wäre es erwünscht, noch vielseitigere Untersuchungen auszuführen, wie es etwa Held in seinen neurologischen Studien ver- suchte. Ich glaube, dass eine erschöpfende Kenntnisnahme von der Struk- tur der Endflächen der Achseneylinder und ihrer Endfüßchen am ehesten die Lösung der Frage ermöglichen würde, ob die Achseneylinderfortsätze als Produkt der Ganglienzellen oder der Nervenzellen anzusehen sind. So lange dies aber nicht der Fall ist, so lange muss der Satz, welcher, — wie sich Camillo Golgi an einer Stelle ausdrückt — seit den Arbeiten Remak’s und Deiter’s zum Axiom geworden ist, seine Geltung behalten, dass nämlich jeder Achsencylinderfortsatz eine Aus- strahlung der Ganglienzelle darstellt. Aber auch dann wäre es müssig, über den Ursprung und Ausdeh- nung nervenerzeugender Zellen zu streiten, so lange uns die geeigneten Methoden fehlen, die Sachlage im embryologischen, also histogenetischen Wege zu erschließen. (Zweites Stück folgt.) C. Mez, Mikroskopische Wasseranalyse. Anleitung zur Untersuchung des Wassers mit besonderer Berücksichtigung von Trink- und Abwasser. Berlin (J. Springer) 1898. Mit 8 Tafeln uud vielen Textabbildungen. Preis: 20 Mk. Die Untersuchung des Wassers auf seinen Gebrauchwert lag bisher fast ausschließlich in den Händen der Bakteriologen und Chemiker. Die dafür verwendete Methodik ist daher auch ausschließlich diesen beiden Wissenschaften entlehnt. Wenn deshalb Verf. an mehreren Stellen seines Buches darauf hinweist, dass die rein botanischen und zoologischen Me- thoden mehr als bisher zur Anwendung gelangen müssen, so wird er da- mit die Billigung aller derer finden, welche mit den jetzigen schablonen- mäßigen Wasseruntersuchungen und ihren Folgerungen daraus unzufrieden sind. Wenn auch ähnliche Forderungen aus theoretischen Ueberlegungen schon häufig von Seiten der Botaniker erhoben sind, so fehlte es bisher durchaus an Versuchen, die auf dem Boden der Praxis erwachsen waren und diese Postulate durchzuführen geeignet erschienen. Diese Lücke hat Mez mit seinem Buche ausgefüllt. Nicht aus theoretischer Spekulation, sondern aus praktischer Thätigkeit ist es entstanden, deshalb ist es auch in erster Linie als Leitfaden für den Praktiker berechnet, dem die Auf- gabe gestellt wird, ein Wasser auf seine Reinheit und damit auf seinen Gebrauchswert zu prüfen. Der erste Teil des Buches umfasst diejenigen pflanzlichen und tierischen Organismen, welche sich im verunreinigten Wasser gewöhnlich vorfinden. Das Hauptgewicht ruht dabei auf den dichotomischen Schlüsseln, 508 Mez, Mikroskopische Wasseranalyse. während gleichzeitig von den Arten noch kurze, die hervorstechendsten Merkmale umfassende Beschreibungen gegeben werden. Ganz besonderes Interesse bietet bei der Bearbeitung des Verf. die Gruppe der Schizo- myceten. Zum ersten Male wird hier versucht, die sicher bekannten Arten durch diehotomische Schlüssel der Bestimmung zugänglich zu machen. Das bedeutet für die Praxis im Hinblick auf die bisherigen Wasserbücher einen ganz gewaltigen Fortschritt. Gleichzeitig hat er die ganz unwissen- schaftliche Namengebung der Mediziner zu reformieren gesucht, indem er die streng binäre Nomenklatur der Botanik zur Anwendung brachte. Dass der Versuch gut ausgefallen ist, zeigen z. B. die Namen: Micrococcus flavovirens, M. pyoalbus, Bacterium minutissimum statt der nomenkla- torischen Ungetüme: Diplococeus flavus liquefaciens tardus, Micrococcus pyogenes albus, bacterivum fluorescens liquefaciens minutisstmus u. 8. w. Für die Bestimmungsschlüssel der Bakterien sind natürlich in erster Linie biologische Merkmale herangezogen, wie sie sich in den Kulturen mani- festieren. Außerdem werden von den Pilzen die Chytridiaceen behandelt, sowie eine Anzahl von Schimmelpilzen, deren Sporen sich häufig in Ab- wässern finden. Danach finden die Algen eine ähnliche Behandlung, end- lich die Protozoen. Was die Bestimmungstabellen besonders wertvoll macht, ist der Umstand, dass sie rein aus der Praxis hervorgegangen sind und zum allergrößten Teil auf eigenen Beobachtungen des Verf. beruhen, Im zweiten, umfangreicheren Teile des Buches wird nun die Methodik der mikroskopischen Analyse genauer. auseinandergesetzt. Da das Buch auch für Anfänger berechnet ist, so beginnt Verf. mit elementarer Schil- derung der in der Natur vorkommenden Wässer und der industriellen Abwässer. Danach bespricht er die chemische Wasseranalyse, deren Ein- seitiskeit für eine genügende Beurteilung des Wassers er eingehend be- leuchtet. In gleicher Weise verbreitet er sich auch über die bakterio- skopische Wasseruntersuchung, deren Mängel hauptsächlich in dem Fehlen von Methoden zum Nachweise pathogener Organismen zu suchen sind. Die Nachteile dieser beiden Methoden besitzt die mikroskopische Wasser- analyse nicht, die allerdings nur bei Wassern mit organischen Verun- reinigungen von ausschließlichem Werte ist. Es ist nicht notwendig auf die zum Teil für Anfänger berechnete Einführung in die Technik des Mikroskopierens und der bakteriologischen Untersuchung einzugehen, da- gegen sind auch für den schon in solchen Untersuchungen Geübteren die Ratschläge sehr nützlich, welche der Verf. für die Entnahme, Aufbewah- rung und Untersuchung der Wasserproben giebt. Namentlich der letzteren ist ein breiter Raum gewidınet, auf dem alles geschildert wird, was über: haupt dafür in Betracht kommen kann. Für die Untersuchung der Bak- terien hat er die Manipulationen für 4 hintereinander liegende Unter- suchungstage geschildert. Sehr genau geht er auf die Bestimmung der Pilze, Algen, Protozoen ein. Die richtige Benennung einer gefundenen Art: ist allerdings sehr wichtig: Uebungen, um diese zu ermöglichen, können nicht häufig genug vorgenommen werden. Auf Grund nun dieser vorbereitenden Kapitel gelangt dann Verf. zu der Beurteilung des untersuchten Wassers. Er giebt die aus dem Befunde von Mikroorganismen geschöpften Kriterien für Verunreinigungen bestimm- ter Art und definiert die als normal geltende Beschaffenheit von Trink- und Hausgebrauchswässern. Den Abwässern widmet der Verf. Wiesner, Elemente der wissenschaftlichen Botanik. 509 ein langes Kapitel, das sich bis in die kleinsten Details mit den für gewisse Verunreinigungen typischen Organismen beschäftigt und die ver- schiedenen Methoden der Untersuchung und Reinigung bespricht. Einige Probegutachten über Wasseruntersuchungen, sowie eine Liste der Kunst- ausdrücke werden namentlich für den Anfänger gute Dienste leisten. Hervorgehoben sei noch die schöne Ausstattung des Buches, die sich namentlich in dem bildlichen Schmuck kund giebt. Da bei der Ausbreitung der Industrie die Untersuchung des Wassers eine immer größere Bedeutung gewinnen wird, so erhellt die Wichtigkeit des vorliegenden, auf Grund langjähriger Erfahrung von einem Botaniker ausgearbeiteten Werkes für die Praxis; für den Botaniker ist es ebenfalls von Wert, da hier zum ersten Male Bestimmungstabellen aller im Süß- wasser lebender Kryptogamen gegeben werden. 173] | Lindau (Berlin). Julius Wiesner, Klemente der wissenschaftlichen Botanik. I. Band: Anatomie und Physiologie der Pflanzen. Wien 1895. Alfred Hölder. Das bekannte Werk W. ist nun in der 4, Auflage erschienen. Auch in dieser Auflage hält der Autor an seinen allen Prinzipien, im Text nur das Wichtigste und Fundamentalste zu bringen und den herrschenden Lehren so viel, als möglich Rechnung zu tragen, durchgehends fest. Seine eigenen, subjektiven Anschauungen vertritt er nur in der Natur. Da seit der 3. Auflage kaum ein Lustrum vergangen ist und sich in dieser kurzen Spannzeit auf dem wissenschaftlichen Gebiete keine großen Umwälzungen vollzogen haben, so sind auch die Veränderungen, welche das Werk durch die 4. Auflage erlitten hat, nicht sehr umfang- reich, aber immerhin für den Kenner von hohen Interesse. So wird z.B. schon in der Einleitung und ausführlich in den Kapitel, „Bemerkung über die physiologischen Funktionen der Gewebe“ mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Gestalt der Pflanzenteile nicht Selbstzweck ist, son- dern dem Leben dient, dass die Formen den Funktionen angepasst sind urd in gegenseitiger Abhängigkeit von einander stehen. Das Kapitel „Entstehung der Zellkerne“ ist durch 2 Zeichnungen nach Guignard und durch die Mitteilung der meisten Forschungen über die Centrosphären und Üentrosomen erweitert worden. Zwischen den Kapiteln „Entstehung der Zellen“ und „typische Zellformen“ wurde ein neues „die Elementarstruktur der Zelle“ eingeschaltet, in welchem W ies- ner eine übersichtliche Darstellung der Micellentheorie von Nägeli und seiner eigenen Plasmatheorie giebt. In dem Abschnitte „der Chemismus der lebenden Pflanze“ hält Wiesner an der alten Einteilung des Heftes fest, gruppiert aber die gerade auf diesem Gebiete vorhandene, große Menge von neuen Arbeiten zu einem klaren Gesamtbilde des neuesten Standpunktes. Am meisten in den Hintergrund tritt die Individualität Wiesner’s in dem Kapitel „Einfluss des Lichtes auf dem Vegetationsprozesse“, wie es auch nach den ausgedehnten Specialforschungen des Autors gerade auf diesem Felde nicht anders zu erwarten war. 510 Silvestri, Befruchtung durch unbewegliche Spermien. Schließlich glaubt der Referent hervorheben zu sollen, dass das eben besprochene Werk nach pädagogisch-didaktischen Grundsätzen verfasst ist und daher überall das Konkrete dem Abstrakten, das Einfache den Zu- sammengesetzten, die T'hatsache der 'T'heorie vorangestellt wird. |74]| Zukal. F. Silvestri, La fecondazione in una specie animale fornita di spermatozoi immobili. Rendiconti della R. Accad. d. Lincei, vol. VII, ser. 5a, 1898. Die Befruchtung tierischer Eier spielt sich bekanntlich in der Regel in der Weise ab, dass das Spermatozoon mittelst aktiver schlängeluder Bewegungen an das Ei gelangt, um sich entweder direkt in das Plasma desselben einzubohren, oder, falls das Ei von einer Cuticula umgeben ist, sich durch die in letzterer vorhandene Micropyle einen Zugang zum Ei- innern zu suchen. Ein solcher Befruchtungsmodus muss indessen dann ausgeschlossen sein, wenn das Spermatozoon, wie es gelegentlich auch vorkommt, nicht die Fähigkeit selbständiger Bewegungen besitzt. Ueber die Art und Weise wie sich in einem derartigen Falle der Befruchtungsakt abspielt, hat Silvestri kürzlich interessante Erhebungen angestellt. Zur Untersuchung wurde von ihm ein Diplopode (Pachyinlus communis Savi) gewählt. Die Spermatozoen sind bei dieser Form in eine hutförmige Kapsel eingeschlossen, an deren Spitze das ÜCentrosoma, an deren Basis die aus verschmolzenen Chromosomen bestehende Chromatin- masse des Samenkörpers sich befindet. Bei der Begattung werden zunächst die Spermatozoen in die beiden mit drüsigen Wandungen versehenen Receptacula semintis des Weibchens übertragen, ohne aber auch dort, wie Verf. ausdrücklich betont, jemals das Vermögen, sich selbständig bewegen zu können, zu erlangen. Da nun auch die Eier ihrerseits von einer dicken Schale umgeben sind, so müsste die Möglichkeit einer Befruchtung a priori um so schwerer ver- ständlich sein, wenn nicht die im folgenden zu schildernde Bildung der Eier hierüber Aufschluss gewährte. An dem Keimbläschen der jungen Ovarialeier ist zu unterscheiden 1. eine Kernmembran, 2. die achromatische Substanz (-- Kernsaft), 3. das Uhromatin, welches in Form von 2 größeren und 2 kleineren Klumpen auftritt. Die Ohromatinklumpen vereinigen sich später, um sodann, wenn das Keimbläschen an die Oberfläche gelangt ist, sich in ungefähr 12 Chromo- somen zu zerteilen. Einige Sekunden nach dem Austritt des Eies aus dem Ovarium vereinigt sich das Chromatin wieder und bildet einen geschlängelten Faden (serpentello chromatico). Letzterer ist von einer becherförmig gestalteten achromatischen Masse umgeben, die gänzlich oder doch wenigstens zum größten Teil auf die achromatische Substanz des ursprünglichen Keim- bläschens zurückzuführen ist. In dem umgebenden Eiplasma macht sich nunmehr eine Strahlung bemerkbar. Nach kurzer Zeit erhebt sich an der Eioberfläche ein pseudopodienartiger Auslänfer, in den auch das eine Ende des Chromatinfadens hineintritt. Es wird jetzt ferner ein kleines Richtungskörperchen sichtbar, welches sich aber zweifellos schon früher abgetrennt hatte. Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. 511 Die Bedeutung des vom Ei durch die Micropyle nach außen ent- sendeten Pseudopodiums beruht nun darin, dass mittels des letzteren ein Spermatozoon in das Eiplasma gezogen wird. Der ganze Vorgang voll- zieht sich aber sehr schnell, denn schon nach einer halben Minute, von der Eiablage an gerechnet, befindet sich der, übrigens noch ganz unver- ändert aussehende Samenkörper, unmittelbar neben dem Chromatinfaden im Innern des Eies vor. Durch eine Rotation des Chromatinfadens erfolgt zunächst eine Trennung zwischen diesem und dem Samenkörper, worauf die beiden Teile die Gestalt eines typischen weiblichen und männlichen Vorkernes annehmen. Ungefähr 10 Stunden nach der Ablage der Eier vollzieht sich die Bildung der Furchungsspindel. Centrosomen konnten weder in dem Ei noch im männlichen Vorkern nachgewiesen werden. Silvestri hat mit seinen Untersuchungen den Nachweis geliefert, dass bei der von ihm untersuchten Form mit unbeweglichen Spermatozoen die Rollen von Samenkörper und Ei insoweit vertauscht sind, als dem letzterem mittels eines beweglichen Fortsatzes die aktive 'T'hätigkeit bei der Befruchtung zufällt. Der Autor weist mit Recht darauf hin, dass in dem Attraktionskonus anderer tierischer Eier ein gewisses Analogon zu dem von ihm beschriebenen Pseudopodium der Pachyrulus-Eier erblickt werden könne. R. Heymons (Berlin). |69] Wilhelm Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikro- skopischen Arbeiten. Dritte neu bearbeitete Auflage. 3. 205 S. Braunschweig, Harald Bruhn, 1898. Die Behrens’schen Tabellen haben sich in den ersten Auflagen wohl so viel Freunde gewonnen, dass es kaum nötig wäre, diese neue besonders zu empfehlen, wenn sie sich nicht wieder durch zahlreiche Verbesserungen aus- zeichnete. Siehatan Umfang zwar nur wenig und an Zahl der Tabellen gar nicht zugenommen, dagegen sind eine größere Zahl derselben ganz neu bearbeitet worden. Dazu hat sich der Herausgeber die ausgedehnte Beihilfe von Mit- arbeitern verschafft, deren Name allein bei allen Mikroskopikern und besonders ihren engeren Fachgenossen zur Empfehlung ihres Werkes genügt: St. Apäthy, Paul Mayer, 'K. Bürkner, P. Schiefferdecker, E. Schoebel und 2.6. Unna. Außerdem sind noch eine ganze Reihe Tabellen von speziell Berufenen neu bearbeitet oder durchgesehen worden, z. B. die auf die physikalische Optik bezüglichen von den Herren Dr. Czapski und Dr. Riedel in Jena, die der Bakterienrfärbungen von Dr. Czaplewski. Dabei ist hervorzuheben, dass die Tabellen nicht nur eine Kompilation darstellen, da z.B. Dr. Riedel eigens für dieselben die Brechungsexponenten einer großen Zahl von Stoffen neu be- stimmt hat, der Herausgeber und andere Mitarbeiter Löslichkeitsverhältnisse von Theerfarbstoffen, von ätherischen Oelen untersucht oder die Tabellen auf Grund neuerdings gemessener Werte ganz umgerechnet haben. Auf eine Lücke macht der Herausgeber selbst aufmerksam, die noch nıcht ausgefüllt werden konnte, nämlich die Tabelle zoologisch mikrochemischer Reagentien. Da mit den vortrefflichen, fast vollständigen und doch nicht über- füllten Tabellen für Farblösungsrecepte und derjenigen für Bakterienfärbung doch schon auf Specialgebiete eingegangen worden ist, so erscheint dem Ref. 512 Helm, Katalog der Vögel Badens. ein weiterer Ausbau in dieser Riehtung erwünscht z. B. durch Zufügen einer besonderen Tabelle für Untersuchungsmethoden des Nervensystems und ähn- liche. - WW. [88] Katalog der Vögel Badens. Systematische Zusammenstellung sämtlicher bis jetzt im Großherzogtum Baden beobachteten Vögel. Bearbeitet von Dr. L. Fischer, Karlsruhe. Druck und Verlag der Braun’schen Hofbuchhandlung, Karlsruhe 1897. Kart. Mk.3. 86 Stn. Die Anlage dieses Werkes ist ähnlich wie der Katalog der schweizerischen Vögel von Dr. Studer und Dr. Fatio. Zu Grunde gelegt ist demselben das Verzeichnis der Vögel Deutschlands von E. F. v. Homeyer, doch sind in einem Anhange, Seite 83 bis 86, auch die 2 wichtigsten neueren Systeme, das von Reichenow und Fürbringer, kurz skizziert, und ıst überdies bei den einzelnen Arten neben der Homeyer’schen Benennnng auch die neuere No- menklatur angeführt. Da der Katalog teilweise auf den langjährigen eignen Erfahrungen des Verfassers beruht, dieser aber auch die Mitteilungen anderer zuverlässiger Beobachter dazu verwendete und überdies nicht nur die Sammlungen seines Vaterlandes, sondern auch diejenigen der größeren Städte in den Nachbar- ländern darauf hin studierte, so ist ein Werk entstanden, welches jedem, der sich mit der Ornis unseres Vaterlandes eingehender beschäftigt, gute Dienste leisten wird. Dies gilt aber nur für, die auf Seite 38 bis 67 angeführten speziellen An- gaben. Dagegen scheint mir die übersichtliche Zusammenstellung über das Vorkommen der einzelnen Arten, Seite 68 bis 82, noch sehr der Verbesserung zu bedürfen. Denn es werden da als Standvögel, d. h., wie Verf. auf Seite 5 erklärt, als solche Vögel, welche das ganze Jahr ihren Standort beibehalten, beispielsweise auch genannt Falco subbuteo, Pernis apivorus, Budytes flavus ete., Arten, die nach im speziellen Teile gemachten Angaben aber gar nicht el sein können und außerdem in der „Uebersichtlichen Zusammenstellung“ wieder als Nistvögel, das sind nach Angaben der Verfasser solche, welche dort das Brutgeschäft verrichten, auftreten. Aehnliche Wider- sprüche enthält auch das Verzeichnis der Wintergäste, d.h. der Vögel, welche sich nur im Winter im Baden aufhalten. Es finden sich in demselben auch Arten, die als Stand- und Nistvogel gleichzeitig bezeichnet werden. Des weiteren wäre es sehr wünschenswert gewesen, dass von solchen Nist- vögeln wie Turdus iliacus, Charadrius pluvialis, Aegialites hiaticula, Totanus glottis, Tringa alpina und minuta ete. genaue Angaben darüber gemacht wor- den wären, auf Grund welcher Thatsachen diese Arten zu den Brutvögeln ge- rechnet werden. [54] Chemnitz. Helm. Berichtigung. In Nr. 12 8. 417 ist ein sinnentstellender Druckfehler stehen geblieben, man bittet solchen gefälligst verbessern zu wollen. Zeile 20 v. o. lies: „Referenden“ statt: „Referenten“. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer, Hof- und Univ. „Bnel druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Juli 1898. Nr. 14. Inhalt: Peekand Harrington, Observations on the Plankton of Puget Sound. — Zimmer, Ueber tierisches Potamoplankton. — Sehröder, Planktologische Mitteilungen. — France, Der Organismus der Craspedomonaden. — Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen (II. Stück und Schluss). Observations on the Plankton of Puget Sound. By J. I. Peck and N. R. Harrington, In consequence of former studies in planktonie work in the shallow waters of Buzzards Bay, on the Southern coast of Massachusetts!), the authors of this paper have sought opportunity of studying some of the facts of the vertical distribution of similar forms over greater derths. Such an opportunity came during the Summer of 1896, through the Columbia University Zoologieal Expedition of that year?) in Puget Sound, on the northwestern, Pacific Coast, of the United States, where our collections were made by the junior author with a simple appa- ratus designed in advance by us both but constructed and operated by him. The most recent interpretation ?) of the very irregular coast line of the Puget Sound distriet is that the Cretaceous areas of Oregon have been here turned on edge, while numerous depressions and emergencies of Eocene times -— augmented by glacial action — have resulted in the very deep bays with their many islands, and the deep inland fresh-water lakes of the State of Washington. Other authorities attribute more of these conditions to the action of glaciers alone. In many instances preeipitous cliffs dip perpendicularly into the sound for a depth of from 600 to 900 feet, and in water of 30 fathoms average depth there may be a sudden drop over a very limited area to 150 or 200 fathoms. 1) Sources of Marine Food, U. S. Fish Com. Bulletin, 1895, p. 356. 2) Described in Trans. N. Y. Acad. Sci., Vol. XVI, p. 33—42. 3) See American Geologist for March and April, 1897. XVII. 39 514 Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. Over one such depression of the bottom, at Lat. 43° 5° N., Long. 122° 38° W. samples of water were taken for quantitative estimate of the plankton through a vertical of 112 fathoms. The date was Sep- tember 1, 1896, at 2 0‘ elock in the afternoon, at low water slack tide, with the sky overcast, breeze slight, and practically no sea. The distance of 112 fathoms was divided into four equal parts, so that three intermediate samples were taken at regular intervals be- tween the surface and bottom collections. The apparatus used in obtaining the samples of water from the several depths was constructed from an earthenware jug containing two litres, closed with a hard rubber cork of the largest size that could be urged into the opening. This cork is bored and fitted with a piece of glass tubing bent just above the cork and hermetically sealed at the outer end. A thermometer should also have been placed in the jar through a second perforation of the cork but we lacked this important accessory. The jar is then heavily weighted with bars of pig-iron, and swung with fine steel wire suitably measured off into fathoms, and a light guide line also attached to the bent glass tube. Such a device is represented in the accom- panying cut, Fig. 1, showing the jar in readiness for lowering. W is the Ir, steel wire by which the stone jar is suspended, GL being the guide line attached to the bent glass tube. The iron weights are so attached as to keep the jar in its perpendicular po- sition. The apparatus may then be nz rapidly lowered to any given depth from the deck of the boat by means of a windlass, while the guide line Fig. 1. Y) g , is simultaneously paid out in excess. &) >, In our colleetions the water being il I] smooth the guide line was issued SS ul) from a kiff drifting a few yards | away. As the required depth is II j | reached the guide line is carefully man hauled taut and then given a sharp pull which breaks the bent glass tube at the angle and so allows the water to rush rapidly in, because of the surrounding pressure, and fill the jug which is then drawn to the surface. We believe that there is practically no intermixture of water from ‘other levels as the jar ascends, even in the short glass tube that remains in the cork; there Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. 915 is indeed an escape of fine bubbles from the contents of the jar be- cause of the diminishing pressure in its ascent, and we believe that the displacement from a full jar through so small a column of water as fills the tube is corrected by simply emptying the tube and neck of the jar as soon as it is received, and that there is then a represen- tative sample seceured by this means. The apparatus was tested each time by lowering it to the bottom and returning it without breaking the tube, and it was found that its strength was suffiecient. Great care is necessary in the adjustment of the cork before lowering as the pressure at considerable depths is very great. FPERIDINIUM COSCINODISCUS MELOSIRA SFONGE SFIilLuULA COFEPODA Brusus 3 PDIWERGEWHS Erc C.00CULUS IRIBIS ETC + ir11 tıyı Un N A le} 1 I, 1 KETTE ET RI en SEITE. IEIIEN ZEN N De; SEEN IE Sn DER Plotting to show vertical distribution of fine elements of Plankton in 112 fathoms. Surface bottom and three intermediate levels are represented by the horizontal lines upon which are laid off widths, corre- sponding to the numbers taken in each case. These widths at the varions levels are made the basis for the construction of the several columns which show the facts of distribution. On the first column the black area denotes living portion and the stippled area the larger species. On the second column, black area denotes living portion and the oblique-lined areas the dead and mutilated parts, while the small white bars in the black areas denote the separation of the two type species. On the third column the attempt is made to show distinction of dead and living material. 35* 516 Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. The method of obiaining samples of water by means of a pump through hose let down to the required depth was used by us in 1894 in Buzzards Bay to a depth of 20 fathoms, and the same method has since been employed by Kofoid!) with success in his shallow fresh- water colleetions, and is recommended by Prof. Joh. Frenzel?) as an effective method, but we believe that for the small quantity of water necessary for quantitative analysis by the Sedgwick-Rafter method ?) as here employed, or for the „planktonoerit“*), the above deseribed apparatus is adequate and accurate for collections up to at least 300 metres in depth. To a litre of the water thus obtained is then added 20 ce of commercial formalin, by which the organisms are killed after which the whole amount is filtered and then preserved in 20 cc of a 5°], solution of formalin. Counting is then possible according to the original Sedgwick-Rafter plan. In order to illustrate the distribution discovered through this vertical in Puget Sound five representative subjects, both plant animal and inorganiec, were chosen from the data observed, and these have been recorded by the plotting shown in Fig. 2 of this paper. The most varied of these subjects is the diatoms, which have been somewhat srouped together in this discussion in so far as they generally agree in form and follow the same plan of distribution. Thus under the generic title Coscinodiscus have been included in the plotting three species typified by ©. oceulus iridis, while the larger sized forms of the same general shape have been arranged under Coscinodiscus asteromphalus, and include a few of the Genus Arachnodiscus, and some individuals of Aulacodiscus. This plan seems advisable since with the low magnification used in counting it is diffieult to separatcs the constituent parts with certainty, and they all show uniformity throughout, which would tend to group them together in any synthetie treatment. Under the genus Peridinium also are given two species. There are thus laid down on Fig. 2 five horizontal lines indica- ting the five levels from which material was secured, and on these lines were laid off distances corresponding to the numbers of individuals of each group obtained by us; the points were then connected by lines and the enclosed areas shaded in black to indicate the living and unmutilated condition of the organisms, and by oblique-lined areas to show the certainly lifeless or fragmented individuals of the same forms. The width of the black columns, therefore, at any of the ob- served levels, indicates the proportionate abundance of the unmutilated 1) Bulletin of Illinois State Lab. Nat. Hist., Vol. V, Art. I. 2) Biolog. Centralbl., XVII. Bd., Nr. 5, S. 190. 3) See Kofoid, ibid. p. 21, also Jackson and Whipple in Technology Quarterly, Vol. IX, Nr. 4, 1896. 4) By C. S. Dolley, Proc. Acad. Nat. Se. Philadelphia. Mai 1896. Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. 517 individuals at that point, as likewise the width of the oblique-lined belt shows the quantity of the dead and the broken tests of the same. From the data obtained by us, and represented by the plotting on Fig. 2, it will now be seen that the dinoflagellate Peridinium represented in the first column, is very abundant at the surface, also that of the two species represented the one, P. fusus, is much more numerous than the other, P. divergens, the latter being only about one-tenth as numerous as the former as is here represented by the stippled portion on the right side of the column. At the one-quarter depth (28 fathoms) the decrease in this organism is very marked, while the falling off continues thence gradually to the bottom. It is plain, however, that P. fusus can maintain itself alive at the bottom, and that the larger species, P. divergens, shows a more uniform distri- bution throughout the upper half of the vertical but runs rapidly out in the lower half, being absent at the last two levels. The distribution of the diatoms included under the heading Cos- einodiscus js much more varied as is shown in the second column of the plate; taking all the elements together there is shown a uniform increase from surface to middepth, then a rapid increase to the three- quarters depth, with a final falling off in the last quarter distance of the vertical. It will be seen, however, that there is a large element of dead and broken debris here included (represented by the oblique- lined sides of the column), which we assume to have settled from surface strata, and which would thus naturally increase towards the bottom. In the living and uninjured part of the material one sees the same plan, except that the proportion of living to dead organisms is much greater at the surface than at any other level. The living diatoms of this group are over 82°, of the whole number at surface, as against 23°, at the three-quarter depth, and as against 29°), at the bottom. It may be that some currents at superficial levels are at work in shiftig off the material, so causing it to be settled or eddied into belts and strata below, and it may be that there is also a higher rate of disintegration in the bottom strata to account for the lessening quantity there but this seems hardly possible within these short limits, and we believe that this difference in quantity at different levels is rather due to those eircumstances which cause a sudden loss in the rate of reproduction in the upper strata, and from which there is a subsequent settling of the debris into the lower. As will appear upon a following page the diatoms here considered are very variable in quantity at the surface, being at some times very abundant and at others (as on the day when this vertical was taken) hardly percep- tible. From this it is certain that the column in black as here plotted would on another day, during a period of rapid growth at the sur- 518 Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. face, have been much wider, and would in fact have been more nearly like that represented for the Peridinium of column I. If now they were to die suddenly out at the surface and the debris were to gra- dually settle into deeper layers an irregularity would there be caused such as is here evident at the three-quarters depth. Such irregular periods of growth are doubtless less common in the deeper layers of water since the conditions must be more stable in these depths, and this striking increase of Coscinodiscus at the 84 fathom depth, there- fore, probably represents a previous period of active growth in the upper strata, and if one were to restore to life and the former con- ditions of growth all the dead and erushed debris of the three-quarters level here brought out it would doubtless form such a column as is given in the one just deseribed for Peridinium. And conversely if conditions of active reproduction were suddenly to become unfavorable at the surface for the two species of Peridinium here plotted (column I), and they were provided with a resistent test like that of the large diatom, their vertical distribution would tend to assume, by cessation of growth and settling of debris, that which has now been described for Coscinodiseus. The dividing line between the two type species — i. e., between the quantity of Coscinodiscus occulus iridis and that of the large and beautiful C. asteromphalus — in this second column is shown for each level by a small white vertical bar placed in the black areas. All to the left of these bars is ©. occulus eridis (with a few individuals of similar size from other species or genera), while all to the right of these white bars is ©. asteromphalus. In the third column of Fig. 2 portraying the distribution of the diatom Melosira, is shown a very uniform increase in the numbers of that organism from surface to bottom with a slight falling off at the one-quarter depth. The individuals of this species here enumerated were laid in short chains and each short chain was counted as a unit in the determination, but they are so small and transparent that it did not seen advisable to attempt the separation of those living at the time of the eolleetion from the dead, and the whole, therefore, is plotted as living material. It is certain, however, that the diatom can live at this depth as many healthy chains can be found at the bottom stratum and we here conclude also that under other conditions the abundance of this form would be much greater in the overlying strata of water, and that the more rapid change of conditions above has left a larger quota alive in the slower-changing depths. That is to say the increase is not so much due to conditions of active growth below as to the disappearance of a large proportion of those in the superficial layers, together with a settling of the debris into the levels below although this latter process in this delicate form must be much Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. 519 slower than in the diatoms of the preceding illustration. In the three types now discussed, Peridinium, Concinodiscus and Melosira, the same causes may be operating 'to produce the differenees in their distribu- tion, 2. e., irregular periods of growth and settling of dead tests where such are resistent enough, and much of the vertical distribution here in question is due to a greater or less extent to the speeifie gravity of the various elements. One encounters at the lower levels not only the immediate oceupants of such water but also the indefinite accumu- lations of sediment from the upper water in which so much debris of organic origin is formed. In illustration of the action of sedimentation alone there is intro- duced in the fourth column of Fig. 2 a record of the distribution of certain sponge spicula, which of themselves, of course, have no power of independent movement or growth and yet which are eonstantly found through the water, and which inerease quite regularly to the bottom. The source of these is probably in the shallower waters of other localities from which they are introduced hither by tide eurrents near the surface, and thus sown, as it were, through the whole depth of the channel. There will also be noticed in this column showing the sponge spicula a slight falling off in the numbers at the one- quarter depth as in Melosira, and at the bottom as in Coscinodiscus, and it is therefore reasonable to suppose that they are obedient 10 the same influences in these respects, although we assume that the greater part of this very regular distribution of the sponge spieula is due to the gradual accumulation of material, for long periods, by sedimentation from the whole volume of water in which they are mixed by currents and other modes of diffusion. The spicules here recognized are of the striaght bi-radiate type of some caleareous sponge not identified by us. The important place filled in all planktonie studies by the Copepoda is not vacant here since they are abundant at surface, one half as numerous at the one quarter depth (28 fathoms), and rare at the middepth, only a single individual having been found there in one of the analyses of that level. There were also Nauplii of this form in association with the adult stages, one Nauplius on an average to two adult individuals at each level. Besides these organisms thus plotted and described in the fore- going, account was taken of many other similar forms that occur less regularly and abundantly, such as diatoms Foraminifera, Infu- soria etc. Among these also may be mentioned certain other objects of organie origin but which are not properly to be classed as marine. Thus the detritus in suspension in this water includes many bits of epidermis of plants, many of the epidermal stellate hairs like those upon many forms. There is also the almost constant presence of wing scales from Lepidoptera, and back of all the blackish or brownish 520 Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. granular silt ete. This last named detritus (sometimes called „amor- phous matter“) is indeed one of the hardest elements to understand. It is, to be sure, not strietly speaking a part of the Plankton, and yet it constantly gives character to every sample of water, and often outnumbers by many times the actually living material. It is most varied in its appearance, from a light brown flocceulent basis to finely divided grit and sand. In this particular vertical the one-quarter depth showed more of this debris than any other level, and as has been seen this is correlated with a decrease in the quantity of living plankton or the material derived immediately from it. The relation of living organisms to detritus is not always constant, and for the reason that the relation between them is so inconstant we believe that it largely vitiates any volumetrie estimate based upon merely the bulk of a filtrate obtained from the water by net, planktonokrit or filter. A sample may look, in gross, rich and promising, but on examination prove almost barren of living plankton, although much of the debris may be, more or less remotely, organic in origin. The observed numbers upon which this analysis rests may be tabulated as follows: Surf. !/, Depth Middepth ®/, Depth Bottom Peridiniun „ . 1. 2.39 10 ) 6 i) P, dwergens „u. «0.4 4 3 — Dr Coscin. occulus irid. 19(1) 22 (12) 32. (18) 56 (37) 31(18) O. asteromphalus . 4(B) 5 (4) 8 (6) 53 (47) 24.149) Melosira chains . . 9 ) 10 16 28 Copepoda . ... 4 2 — = = IVOHBNANS 2; ein 4 —_ _ -- Sponge spicula . . 12 10, 21 33 29 Totals 93 60 79 164 114 Under the item Coscinodiscus of the above table are seen certain bracketed numbers at the right of the column. These denote the dead individuals of that level, thus: Cos. occulus iridis has 19 at surface level of which one (1) is dead. At the one-quarter depth there are 22 of which twelve (12) are dead. At middepth there are 32, of which eighteen (18) are dead, and so on for all the items with following bracketed numbers. If now there be desired the numbers of these forms living in each litre of ocean water in this region such a result may be obtained by multiplying any of the above items by 50, since the organic filtrate from the 1000 ce of water from each level is lodged in 20 cc of the formalin preservative, while the above figures are taken from the counting of 1 ce of such filtrate, or 1/50th part of the whole litre of ocean water treated, at each level. It is not to be assumed, of course, that this reduces the analysis of the contents of the water to a mathematical basis, as it only fur- Peck u. Harrington, Plankton des Puget-Sound. 521 nishes ground for estimates, based upon actual counts; but we do believe that it gives a true pieture of the vertical distribution of cer- tain forms at the time the samples were taken. In notes taken in connection with the colleetions upon which this paper is based Harrington says: „Tow taken in Port Townsend Harbor varied greatly on successive evenings. It was noticed after a rain that the surface water had a muddled appearance, and that the net was quickly elogged with a brown coating of Coseinodiscus and Arachnodiscus while on other evenings comparatively few of these were to be seen. The number of medusae varied very noticeably with the roughness of the sea, falling of rain ete., and a strong inshore wind always brought in various organisms such as masses of Noctiluea“. He also states that the collection from which the plotting was made was taken at the elose of a week in which there had been hardly any rain, and that in a glass jar the water was very trans- parent, while a few copepods could be seen in some of the samples. The eauses for the sudden appearance of a given pelagie organism and its similar disappearance, in great numbers, are very obseure although the facts have often been observed. Whipplet!), from ob- servations in the several basins of the water supply of the eity of Boston, Mass., has attempted to throw light upon the seasonal increase in certain diatoms by assigning as causes the vertical stirring up of the water, and the necessary presence of Oxygen in connection with the assimilation of nitrates by the growing cells. Many interesting data have thus been brought together by him, concerning the seasonal growth of this organism in shallow fresh waters, but such conditions would with diffieulty be applied to marine forms over the much greater depths here described, and it is probably true that there is more fluetuation in shallow water and at the surface than in the deeper strata.. We also gather from the work of Prof. Joh. Walther?) summarizing the work relating to the depth to which light penetrates, and its various spectrum absorption ete., that the bottom depths reached by our analysis in Puget Sound are only about half the distance to which the suns rays can penetrate under favorable conditions, and also that the vertical sounded by us traverses a variety of colors in the water that are due to the absorption of the several elements of the light. It may be said in general, therefore, of the vertical distribution here recounted, that the surface strata present the greatest numbers of living individuals and furnish the most favorable, although irregular, eonditions for the growth and reproduction of these organisms; but in 4) Some Observations on the Growth of Diatoms in Surface Water, Techno- logy Quarterly, Vol. VII, Nr. 3, 1894. 2) Bionomie des Meeres, Jena 1893, p. 35. 592 Zimmer, Ueber tierisches Potamoplankton. the case of the large diatoms burdened with a large silieious case there is a relatively rapid sinking into the strata beneath, and in other diatoms the conditions of growth seem to be well fulfilled in the lower strata. It is also true that all the forms here treated ex- cept the ref are found alive throughout the whole extent of our vertical, ‚ 112 fathoms deep. | We en, moreover, that this is the lowest ea to which this method of quantitative estimate has been carried, and that as it gives analysis of water over such a considerable dopths it calls attention to them as reeipient areas for material in process of sedimentation as well as for conditions of life and growth in an environment quite removed from the surface. We refer, in elosing, with gratitude to the cooperation of Prof. H. F. Osborn by whose provision in the Zoological Expedition these colleetions were made possible. The identification of the diatoms was kindly aided by the photographs made by Mr. O. E. Schaffer of Port Townsend, Washington, who furnished very complete data in this respect for that locality. All the labors of procuring apparatus and collecting the materials and furnishing descriptive data referring to such work were done by the junior author of this paper, while the quantitative estimates, plottings and writing are the work of the senior author. [33] Biologiecal Department, Williams College, Williamstown, Mass., Nov. 20, 1896. Ueber tierisches Potamoplankton. Vorläufige Mitteilung. Von Dr. Carl Zimmer. Seit Dezember 1897 bin ich mit einer Untersuchung des Potamo- planktons, wie Schröder und Zacharias das Flussplankton ge- nannt haben, und zwar des Planktons der Oder und einiger Neben- flüsse bei Breslau beschäftigt. Ich habe mich dabei auf das tierische Plankton beschränkt, während Herr Bruno Schröder (Breslau) den botanischen Teil übernommen hat; wir haben uns das Gebiet so ge- teilt, dass Schröder auch die Flagellaten bearbeitet. Die Unter- suchung gedenken wir über ein Jahr auszudehnen und sie dann im nächsten „Plöner Bericht“ zu veröffentlichen. Hier will ich eine vor- läufige Mitteilung über meine Resultate während des ersten Jahres- drittels geben. Die Proben, die ich mit dem Walter’schen Planktonnetze dem Flusse entnahm, zeigten eine andere Zusammensetzung, je nachdem sie bei niederem Wasserstande, bei steigendem Wasser oder bei Hoch- wasser gefischt waren. Manche Formen, die bei normalem Wasser- stande zahlreich vorhanden waren, verminderten sich bei steigendem Zimmer, Ueber tierisches Potamoplankton. 523 Wasser, mit dem zugleich manche Organismen erschienen, die bei niedrigem Wasserstande nicht oder nur wenig vorkamen. Auch diese verschwanden nach einiger Zeit, so dass dann bei Hochwasser der Fluss so gut wie gar kein Plankton enthielt. Wie ist das zu erklären? Ich nehme an, dass diejenigen Orga- nismen, welche bei normalem Wasserstande zahlreich vorhanden sind, im fließenden Wasser alle Lebensbedingungen finden, sich also auch vermehren. Steigt nun das Wasser und fließt der Strom stärker, so werden sie mit fortgespült. Zugleich reisst aber das steigende Wasser auch die in stillen Uferbuchten, innerhalb der Buhnen u. s. w. befind- lichen Organismen mit sich, und diese sind es, welche dann zahlreicher erscheinen. Auf Grund dieser Bemerkung unterscheide ich folgende Formen: 1. AutopotamischePlanktonorganismen. Als solche möchte ich die bezeichnen, die nur im fließenden Wasser ihre Existenzbedingungen finden, im stehenden Wasser, in Teichen u.s. w. aber nicht vorkommen. Von tierischen Formen habe ich allerdings noch keine gefunden, die diesem Begriffe entsprächen (möglicherweise gehört Tetramastix opo- liensis Zach., den Zacharias vorigen Herbst in der Oder fand, hier- her); doch teilt mir Schröder mit, dass eine Reihe Algenformen unter diese Kategorie zu zählen wären. 2. Eupotamische Planktonorganismen. Viele Organismen kommen sowohl in Teichen, Uferbuchten u. s. w. wie im fließenden Wasser vor; sie finden in beiden ihnen zusagende Lebensbedingungen und vermehren sich im einen, wie im anderen. Dies möchte ich mit dem obigen Namen bezeichnen. Die meisten Planktonformen des Flusses würden hierher gehören; sie sind es, die bei steigendem Wasser hin- weggespült werden. 3. Tyehopotamische Planktonorganismen benenne ich die, welche im fließenden Wasser nur zufällig vorkommen, deren eigent- liche Heimat aber das stehende Wasser, die Uferbuchten, die Stellen zwischen den Buhnen u. s. w. sind. Geraten sie in fließendes Wasser, so werden sie mit hinweggespült, vermögen wohl weiter zu leben, pflanzen sich aber nicht fort. Bei normalem Wasserstande sind sie im Flussplankton nur in einzelnen fortgerissenen Exemplaren vor- handen. Steigt aber das Wasser, so werden sie von ihren Standorten hinweggespült und beteiligen sich zahlreicher an der Zusammensetzung des Flussplanktons. Natürlich sind diese drei Gruppen nicht streng geschieden, son- dern durch Uebergangsformen mit einander verbunden. Während des ersten Jahresdrittels fand ich nun folgende Formen im Oderplankton: Trachelius ovum. 594 Zimmer, Ueber tierisches Potamoplankton. Asplanchna priodonta. Anuraea cochlearis. Synchaeta pectinata. aculeata. tremula. Notholca acuminata. Polyarthra platyptera. longispina. Triarthra longiseta. labis. khinops vitrea. striata. Brachionus urceolaris. Euchlanis triquetra. amphiceros. Monostyla sp. Chydorus sphaericus. Bosmina longirostris. B. cornuta. Oyclops serrulatus. ©. albidus. Außerdem waren stets in den Proben eine Menge von Tieren ent- halten, die sonst auf dem Grunde oder zwischen Wasserpflanzen leben, hier aber durch die Strömung emporgerissen worden waren. Von solehen Grundformen waren zahlreich vertreten: Difflugia pyriformis. Vorticella campanula. Arcella hyalina. Vorticellenschwärmer. vulgaris. Epistilis galea. Paramaecium caudatum. Stentor Roeselit. Rotifer vulgaris. Hydatina senta. Canthocamptus staphylineus. Uypris sp. Muschellarven. Das gesamte Potamoplankton ist auch nicht im entferntesten so zahlreich, wie das Plankton stehender Gewässer. Namentlich aber sind es die Tiere, welche den Pflanzen gegenüber außerordentlich zurücktreten. Unter den Tieren wieder findet man ein völliges Ueber- wiegen der Rädertiere. Von planktonischen Protozoen habe ich bisher nur Trachelius ovum, und auch den nur wenig zahlreich gefunden. Von ausgebildeten Krustern sind stets nur wenige vorhanden; in manchen Proben fehlen sie ganz. Ihre Jugendstadien dagegen findet man meist zahlreich vertreten. Bei steigendem Wasser nimmt die Zahl der Kruster sowohl der Jugendformen, als namentlich der ausgebildeten Tiere zu. Sie würden also zu den tychopotamischen Planktonorganismen zu rechnen sein. Am zahlreichsten sind, wie bereits erwähnt, die Räder- tiere vorhanden. Sie würden zum euplanktonischen Typus gehören. Eine weitere Mitteilung über das Plankton des zweiten Jahres- drittels werde ich s. Z. machen. [92] Breslau, Zoolog. Institut, den 3. Juni 1898. Schröder, Planktologische Mitteilungen. 525 Planktologische Mitteilungen. Von Bruno Schröder in Breslau. Seit Mitte Juni vorigen Jahres untersuchte ich den Teich des Breslauer botanischen Gartens und den Stromlauf der Oder fast all- monatlich mehrfach auf ihre Planktonorganismen. Nachdem dies nun ein ganzes Jahr hindurch geschehen ist, möchte ich mir in Nachfolgen- dem vorläufig gestatten, einiges über die Periodizität der Planktonten, deren Vorkommen ich bereits andernorts!) publiziert habe, mitzuteilen. Ausführliches darüber gedenke ich im VII. Jahresberichte der Plöner Biologischen Station darzulegen. Gleichzeitig sollen diese Zeilen auch über die Verbreitung seltener pflanzlicher Schwebewesen Auskunft geben. Im strömenden Wasser der Oder findet sich zu allen Jahreszeiten ein mehr oder minder reichliches, mitunter allerdings sehr geringes Pflanzenplankton, welches ich mit Zacharias schon früher als Po- tamoplankton bezeichnet habe. Am wenigsten ist dasselbe in den Monaten Dezember bis Anfang März vorhanden, in welcher Zeit der Strom entweder zugefroren oder sehr angeschwollen war und in letzterem Fall viel organischen Detritus und feine erdige Gesteins- trümmer mit sich führte. Das Maximum der Planktonmenge entfällt in der Oder ungefähr auf die Monate Juli bis Mitte September, während auch meist sehr niedriger Wasserstand herrscht. Gegenwärtig mangelt es noch an einer exakten Methode für die quantitave Analyse des Potamoplanktons, wie aber schon eine relative Schätzung ziemlich deutlich ergiebt, ist das Flussplankton in den verschiedenen Teilen des Oderstromes nicht gleichmäßig verteilt, denn im freiem Stromlaufe fand ich regelmäßig weniger Individuen als in stillen Buchten desselben, z. B. zwischen den Buhnen. Diese Stellen scheinen ebenso wie lang- sam fließende Nebenflüsse die Hauptentwicklungsherde des Flussplank- tons zu sein. Dass die Stromgeschwindigkeit einen erheblichen Ein- fluss auf den Reichtum an Individuen ausübt, konnte ich an der sehr langsam fließenden Ohle bei Pirscham (Kreis Breslau) konstatieren, ebenso auch an anderen Nebenflüssen der Oder. Deshalb habe ich voriges Jahr die Vermutung ausgesprochen?), dass sehr wahrscheinlich das Gefälle und die Planktonmenge eines fließenden Gewässers einander umgekehrt proportioniert sind. Was die Zusammensetzung des Oderplanktons im Allgemeinen betrifft, so treten die Protozoen, Infusorien, Rädertiere und Crusta- 4) Bruno Schröder, Attheya, Rhizosolenia und andere Planktonorganis- men im Teiche des botanischen Gartens zu Breslau. Berichte der deutschen 'botan. Gesellschaft, Band XV, S. 367, Tab. XVII, 1897. Ders., Ueber das Plankton der Oder. Ebenda S. 482—492, Tab. XXV, 1897. 2) O0. Zacharias, Untersuchungen über das Plankton der Teichgewässer. Forsehungsberichte der Plöner biolog. Station, VI. Teil, Abteilung II, S. 37 (im September) 1897. ö AIG Sehröder, Planktologische Mitteilungen. ceen etc. gegen die Pflanzen, insbesondere gegen die Bacillariaceen, quantitativ bedeutend zurück. Das Flussplankton besteht vorwiegend aus Kieselalgen. Von ihnen sind in den Winter- und Frühjahrsmonaten vereinzelte kurze Fäden von Melosira varians Ag., ferner Synedra de- licatissima W. Sm. und Asterionella gracillima Heib. spärlich vertreten, letztere nur mit 2—4, selten 6 Strahlen. Grüne Algen fehlen in dieser Zeit fast vollständig, ebenso Peridineen und nur hin und wieder be- merkt man Exemplare von Pandorina Morum Bory, Eudorina elegans Ehrb., Volvox minor Stein, Synura uvella Ehrb., Dinobryon sertu- laria und D. stipitatum. Die zuletzt genannten Dinobryon fand ich zu dieser Zeit in der bekannten Bäumchenform, während im Sommer mehr einzelne Individuen vorkamen. Vom Juni bis zum Oktober (nament- lich im Juni und Juli) setzt sich das Plankton der Oder hauptsäch- lich zusammen aus Asterionella graeillima Heib., die Sternchen und Spiralen, mitunter aber auch Ziekzackbänder bildet. Dazwischen sind lange, gebogene, conferven ähnliche Fäden von Melosira granulata (Ehrb.) Ralfs mit 2—4 Stacheln an den Enden, ferner Fragelaria cerotonensis Kitt., F. capueina Desmaz und F. virescens Ralfs, Sy- nedra delicatissima W.Sm., Diatoma tenue Kütz. var. elongata Lyngb., Stephanodiscus Hantzschianus Grun., sowie Cyelotella comta Kütz. var. radiosa Grun. anzutreffen, ebenso auch als Seltenheiten Rhizosolenia longiseta Zach. und Attheya Zachariasi Brun!). Von grünen Algen trat nur Actinastrum Hantzschii Lagerh. häufiger auf. Eine ähn- liche Komposition des sommerlichen Potamoplanktons führt auch Lauterborn aus dem Rheine?) und O. Zacharias |. e. S.38—41 (in Sep.) an, z. B. aus der Dahme bei Köpenik (Mai, Juni), aus der Trave (August), aus der Oder bei Oppeln in Ober-Schlesien (Septbr., Oktober). Weiteres über die qualitative Analyse des Oderplanktons ist aus meiner diesbezüglichen Abhandlung 1. e. S. 456—487 zu er- sehen. Erwähnt sei noch, dass sich im März und April nach vorher- gegangenen sonnigen Tagen im Plankton der Oder auch häufig Os- eillatoria Fröhlichii Kütz. und eine Lyngbya spec. fand, ebenso recht oft Nitzschia sigmoidea W. Sm., die mitunter mit Exemplaren von Oymbella Pediculus (Ehrb.) Kütz. oder von Fragilaria parasitica W. Sm. besetzt war (inbez. auf letztere siehe: W. Smith, Brit. Diatomaceae 1) Sehr bemerkenswert ist auch das ganz vereinzelte Vorkommen von Amphiprora ornata Bailey im Plankton der Oder. Sie ist bisher nur in Florida (Nordamerika), und bei Amsterdam gefunden worden und kann wegen der Durehsichtigkeit ihrer Schalen leicht übersehen werden; erst kürzlich entdeckte ich sie in einer Probe vom vorigen Jahre (3. Juli leg.). 2) R. Lauterborn, Ueber das Vorkommen der Diatomeen - Gattungen Attheya und Rhizosolenia in den Altwassern des Oberrheins. Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. XIV, S. 11, 1896. Ein zweites Häufigkeits- maximum von Asterionella im Herbste (Mitte Oktober), wie es Lauterborn angiebt, habe ich nicht bemerkt. Schröder, Planktologische Mitteilungen. h97 I, plate XII, fig. 104) ferner waren zu bemerken Cymatopleura Solea Breb. und ©. ellipticaBreb, Amphora ovalis Kütz , Surirella splendida Kütz., 8. biseriata Breb. und S. Capronii Breb, Pleurosigma alte- nuatum Sm., Synedra capitata Ehrb u. a. Dasselbe Vorkommen!) zeigte sich zu gleicher Zeit in dem Unterlaufe der Ohle, der Lohe, der Weißtritz und der Weide, welche sämtlich in der Nähe von Breslau in die Oder münden. Diese Formen, ebenso wie losgerissene Exem- plare von Chanthransia spec. im Plankton der Oder und der Weiß- tritz sind indessen nicht als eupotamische Organismen, sondern nach dem Orte ihres gewöhnlichen Vorkommens, dem Grunde der Flüsse, als benthopotamisch zu bezeichnen. Besonders in der Ohle und Lohe, die ein schlammiges Flussbett haben, konnte ich teils vom Boote, teils vom Ufer aus zu verschiedenen Malen beobachten, wie sich über hand- große Stücke von Öseillatorienfilzen durch die Gasblasen der assimi- lierenden Baeillariaceen an die Oberfläche des Flusses empor hoben, um dann von der Strömung desselben fortgetrieben und zerteilt zu werden. Weit reichhaltiger als das Oderplankton ist dasjenige des Teiches im botanischen Garten, der von der Oder gespeist wird. Die gröberen oder feinen mineralischen und erdigen Teilchen, welche die Fangproben aus der Oder besonders bei höherem Wasserstande stark verunreinigen und die Untersuchung erschweren, sinken in dem stehenden Wasser des Teiches zu Boden, deshalb präsentieren sich diese Planktonproben wesentlich reiner als die des fließenden Stromes. Sobald der Teich in diesem Jahr eisfrei wurde, begann ich Proben zu entnehmen und es zeigte sich, daß in den Monaten Februar bis April außer den Ba- eillariaceen nur die braungefärbten Flagellaten, wie Dinobryon sertularia und D. stipitatum Stein, Uryptomonas ovata Ehrb., Synura uvella Ehrb. in Kugel- und Walzenform (siehe Zacharias I. e. S. 18 in Sep.) und Lepidoton dubium Seligo an der Bildung des Pflanzenplanktons teilnehmen. Von Bacillariaceen waren im März Synedra delicatissima W. Sm. in großer Anzahl und vorherrschend vertreten, daneben auch Stephanodiscus Hantzschianus Grun, der einen fallschirmartigen Schwebe- apparat von 8, 12, 14 oder 16 feinen, langen, schwachverkieselten Nadeln auch schon zu dieser Zeit trägt Dieselben sind mir im vorigen Jahre im Sommer entgangen, ich lernte sie erst im Herbste kennen. Fragilaria crotonensis Kitt. bemerkte ich nur in flachen, kurzen Bändern, die nie gedreht waren wie z. B. in großen Seen?). Spärlich waren Melosira varians Ag., M. granulata (Ehrb.) Ralfs, Asterionella und Diatoma. Vollständig fehlten die Peridineen und die grünen Flagellaten wie 1) Siehe auch R. Lauterborn, Beiträge der Rotatorienfauna des Rheines und seiner Altwässer. Zool. Jahrbücher, Abt. f. Syst, Geogr. u. Biologie der Tiere, Bd.7, 1893, 2) C. Schröter, Die Schwebeflora unserer Seen. (Das Phytoplankton.) Neujahrsblatt, herausg. v. d. naturf. Gesellsch. in Zürich, 1897, S. 30. 598 Schröder, Planktologische Mitteilungen. Volvox, Eudorina und Pandorina ferner die Protococcaceen, Palmel- laceen, Hydrodietyaceen und Desmidiaceen, nicht minder auch die Schizophyceen. Von Tieren waren die Rädertiere, z. B. Asplanchna priodonta Gosse, Anurea cochlearis Gosse und aculeata Ehrb., sowie T’riarthra longiseta Ehrb. am häufigsten, die Crustaceen da- gegen weniger häufig vorhanden. So war die Beschaffenheit des Teichplanktons den Winter über. Bei Beginn der wärmeren Jahres- zeit, als beispielweise die Knospen der Stachelbeeren und der Spiraeen hervorbrachen!!), ging auch eine sichtbare Veränderung in der Zusammen- setzung des Planktons vor sich, insofern, als die grünen Algen und die Crustaceen allmählich häufiger zu werden begannen: z.B. Scenedes- mus quadricauda Br&b., Khaphidium polymorphum Fres., Rh. longissi- mum Schröd., Chlamydomonas tingens A. Br. Unter den genannten bemerkte ich zu dieser Zeit auch Staurogenia fenestrata Schmidle?), welche dieser Autor im Lago di Castello Gandolfo auffand und welche, wie er mir brieflich mitteilte, auch G. v. Lagerheim bei Stockholm beobachtete. Während Kuglena acus Ehrb., die im Sommer vorigen Jahres die Oberfläche des Teiches wie mit einem mattgrünen Pulver bestreut färbte, war von Anfang April bis Ende Mai ZKuglena viridis Ehrb. sehr viel vertreten, deren Gedeihen auch durch den zahlreich auf dem Teiche sich ablagernden Ruß nicht gehindert wurde, so dass sie Mitte Mai (an den regenlosen Tagen etwa vom 16. bis 25. Mai) besonders in den Buchten des Teiches einen ziemlich aus- gebreiteten Ueberzug von häutchenartiger Konsistenz auf der Ober- fläche des Wassers bildete. Am 3. Mai (beginnende Kirschblüte) fand ich das erste Mal Rhrzosolenia longiseta Zach. und zwar sogleich in großer Menge, jedoch ohne eine Spur von Teilung. Dieselbe be- obachtete ich 'erst am 14. Mai (beginnende Kastanienblüte). Attheya fehlte bis 4. Juni immer noch?). Dagegen war Uroglena volvox Ehrb., die ich bisher noch nicht im Teiche fand, am 14. Mai sehr häufig, weniger dagegen am 3. Juni vorhanden. Zu derselben Zeit traten auch Glenodinium acutum Apstein, Peridinium tabulatum Ehrb. und Olosterium lineatum Bre&b. var. angustatum Reinsch auf. Von Räder- tieren war Asplanchna priodonta sehr häufig. Um den Nahrungs- verbrauch derselben an Algen zu illustrieren, führe ich an, dass in dem Magen eines Tieres 3 Euglena viridis-, 5 Peridinium tabulatum- (eben aus den Cysten ausgeschlüpfte Individuen) und 23 Stephanodiscus- exemplare enthalten waren. Der Magen anderer war mit 40 und mehr 1) Es möge mir gestattet sein, den Versuch zu machen, an Stelle der ziffermäßigen Monatstage phaenologische Daten, die eine mehr allgemeine giltige Bedeutung haben, zu setzen. 2) W.Schmidle, Algologische Notizen, V’.— Kneucker’s Allgem. bot. Zeitschrift f. Systematik, Floristik ete., Karlsruhe, Nr. 7u.8, Jahrg. 1897. 3) In diesem Jahre habe ich sie zuerst am 22. Juni gefunden. Schröder, Planktologische Mitteilungen. 529 Dinobryon-Individuen und einigen Stephanodiscus gefüllt. Gegen den Juni hin nehmen Polyarthra, die Bosminen, Daphiniden, Oyclops oitho- noides und Diaptomus an Menge zu, ebenso Volvox Eudorina und Pan- dorina, auch C/athrocystis aeruginosa Henfr. und Anabaena spiroides Klebahn machen sich bemerkbar. Lepidoton dubium war am 3. Juni geradezu massenhaft, desgl. Rhizosolenia. Das weitere über das Sommerplankton des Teiches des Botanischen Gartens findet sich in meiner diesbezüglichen schon publizierten Abhandlung. Im Anschlusse an die Mitteilungen über das Plankton der Teiche im Bot. Garten zu Breslau seien noch einige andere stehende Gewässer Schlesiens erwähnt, aus denen ich Proben von Dr. Walter, in Trachenberg in Schles., zur Durchsicht erhielt, die nur im Juli und August gesammelt wurden und teilweise seltene Planktonorganismen enthalten. Eine recht reichhaltige und interessante Zusammensetzung seines Planktons zeigt der Wilhelminenhüttenteich bei Tillowitz in Ober- Schlesien. Derselbe ist 35 Morgen groß und bis 1 m tief. Er wird den Winter über trocken gelegt und nur im Sommer durch das Wasser des Steinaubaches bespannt. Sein Grund ist lehmig, Carex spee., Acorus calamus, Iris pseudacorus und Nuphar luteum wachsen an seinem Rande, die Oberfläche des Teiches ist frei. Der merkwürdigste Fund aus diesem Teichgewässer ist Rhizosolenia eriensis H. Sm., die bisher nur im Erie- und Michigansee in Nordamerika, in Comer- und im Genfersee, und außerdem auf der Insel Mull!) gefunden wurde. Von ihr sind meines Wissens die Var. genevensis und comensis auf- gestellt worden, deren Beschreibung mir bisher nicht zugänglich war. Die von mir gesehenen Formen stimmen im Allgemeinen mit der Ab- bildung in VanHeurck’s Synopsis Tab. 79, Fig. 9 und mit derjenigen von Schröter Il, ec. Tab.I Fig. 32a gut überein, die Stachelborsten sind meist gerade und ziemlich dick. Die Dimensionen von 7 auf den Objektträger aufgetrockneten Exemplaren von R. eriensis sind folgende. long. cell. long. cell. Nr cum setis sine set. long. set. lat. cell. 1 75,8 u 80 u 22,9 u 15,3 u 2 81 „ 33,2 „ 23,9 „ 9,4 n 3 29.93. 35,4: 22,5, Fr.IS, 4 88,4 „ 42,5 „ 20,4 u. 25,5 u 13,3, d 86,4 „ 48,6 „ 20,6 u 10,8 „ 6 0,8, 49,3 „ 18,7 wa 1 u 13,09% 7 2102. :;, 57,8 „ 20,4 u 1 1) 0. Borge, Algologiska Notiser, 4. Süßwasserplankton aus der Insel Mull. Botaniska Notiser, 1897, p. 214. — Während des Druckes dieser Ab- handlung teilte mir O0. Zacharias am 27. Juni 1898 brieflich mit, dass er Rhizosolenia eriensis ebenfalls in einem größeren Teiche bei Kamenz (Königr. Sachsen) gefunden habe. XVIH. 34 530 Schröders, Planktologische Mitteilungen, Außer der genannten Rhizosolenia fanden sich im Wilhelminen- hüttenteiche noch Rh. longiseta Zach. und Attheya Zacharias! Brun., ferner Lepidoton dubium Seligo in einer sehr großen Form (40 u lang und 16 « breit), sowie Ceratium hirundinella OÖ. F. Müll. var. 625 {SS} Furcoides Levander, Peridinium quadridens Stein und Polyedrium Schmidlei nob.!), das vonSchmidle bisher nur bei Mannheim plank- tonisch gefunden worden ist. In der Nähe von Tillowitz liegt auch noch 1) W. Schmidle, Algologische Notizen, I. — Kneucker’s Allgemeine botan. Zeitschrift f. Systematik, Floristik ete., Karlsruhe, Jahrg. 1896/97. — Obiges Polyedrium wird daselbst, S. 2 (im Sep.), Fig. 3, von Schmidle als P. hastatum n. sp. bezeichnet, da aber P. Reinsch schon früher eine Species von Polyedrium so benannte, so erlaube ich mir, der Schmidle’schen Art nach ihrem Entdecker den Namen zu geben, Schröder, Planktologische Mitteilungen. 51 ein anderes wegen seiner Planktonflora interessantes Gewässer, näm- lich der Olschow-Teich. Neben Actinoglena Klebsiana Zach. und Ithizosolenia longiseta ZAach., welehe Zacharias von dort angiebt und die ich ebenfalls zahlreich bemerkte, kommt in demselben das stattliche Staurastrum aretiscon Lund. vor, welches mir auch in Planktonproben aus dem Daumen-See bei Allenstein in Ostpreußen, die ich Dr. Küster in Charlottenburg verdanke, begegnete. Als eu- ropäische Neuheit konstatierte ich noch im Olschow-Teiche Stauro- phanum ceruciatum (Walliech) Turner forma minima nob. Fig. 3 un- serer Abb. (long. et lat. 17 «, lat. isthm. 7 et 12 u), welche Gattung und Species Turner aus Indien beschreibt. Von den im Nordosten von Schlesien gelegenen Trachenberger Teichen bietet der Altteich bei Radziunz das meiste. Auch in ihm sind Attheya, Rhizosolenia longiseta Zach., Lepidoton dubium Seligo, Tetrapedia emarginata Schröder anzutreffen, ferner die von Schmidle bei Mannheim und im See von Davos in der Schweiz entdeckte Staurogenia quadrata Morren var. octogona Schmidle, sowie Ophiocytium longispinum (Moeb.)Schmidle manuser.!) (Fig. 2 uns. Abb.) und Gloiotrichia echinulata Richter, die nur von wenigen Standorten aus Seen bekannt ist. Lemmermann giebt sie auch aus kleinen Moortümpeln zu Ruhleben bei Plön an. In den Proben aus dem Elennsteiche bei Trachenberg war Lyngbya contorta Lemmermann, Trachelomonas caudata Stein und im Spremsenteich ebendaselbst Coelastrum pulchrumSchmidle?) in prächtig ausgebildeten Exemplaren und teilweise auch in Vermehrungszuständen anzutreffen. Ein Vergleich des Teichplanktons mit demjenigen der Flüsse, wie er. aus meiner tabellarischen Uebersicht l. e. 2, S. 487, ersichtlich ist und mir außerdem bei der Bearbeitung der ca. 160 Walter’schen Planktonproben noch deutlicher klar wurde, ergiebt folgendes: Im allgemeinen bergen die flachen Teichgewässer, die keinen zu starken Zufluß von Flusswasser haben, ein weitaus reichlicheres tierisches Plankton von Rädertieren und Crustaceen als die Flüsse; je langsamer 1) In den Abhandlungen der Senckenbergischen naturf. Gesellschaft, Bd. XVII, S. 331 stellt M. Möbius eine neue Species von Reinschiella auf: R. longispina, die er auf Tab. I, Fig. 31--33 abbildet und die auch Bailey, Contrib. to the Queenslandflora in Botany bulletin Queensland, 1895 reprodu- ziert hat. Nach gütiger Mitteilung von Prof. W. Schmidle vom 4. März 1898 gehört diese Alge zu Ophiocytium, was noch deutlicher aus meiner Zeichnung hervorgeht, die ich vor seinen Mitteilungen angefertigt hatte. Ich fand diese Alge immer nur wenig in spiraliger Drehung gekrümmt und an einem Ende etwas köpfchenartig angeschwollen. Dieses Köpfchen hebt sich bei dem Aus- schlüpfen der Zoosporen ab. (Fig.2 unserer Abb.) long. cum. setis: 127,5—160 u, long. sine set.: 54,4—80 u, long. set.: 34—42 u, lat. cell.: 7,6—8,5 u). 2) Inbezug auf Coelastrum pulchrum Schmidle und seine Varietäten schließe ich mich den Ausführungen W. Schmidle’s in: Nouva Notarisia, Serie VIII, aprile 1897, p. 63, 64 an. 34 * 539 Schröder, Planktologische Mitteilungen. ein Fluss strömt, desto mehr nähert sich der Gehalt seines Planktons an Tieren demjenigen der Teiche. Wo in Proben aus Teichen (vom Juli und August) das "tierische Plankton (Rädertiere und Crustaceen) zahlreich war, trat oft das pflanzliche ganz zurück oder war gleich null. Von Algen beteiligen sich an der Bildung des Teichplank- tons vornehmlich die Schizophyceen (Clathrocystis aeruginosa Henfr., Coelosphaerium Kützingii Näg. und dubium Grun., Merismopedium glau- cum Näg.und M. elegans A. Br., Anabaena Flos-aquae (Lyngb.) Breb., A.spiroidesKleb., A.affinis Lemmermann, Aphanizomenon Flos-aquae (L.) Alman). Von sechs in Teichen beobachteten „Wasserblüten“ waren die Erzeuger in 4 Fällen Aphanizomenon, in einem Falle bestand die „Wasserblüte“ aus einem Gemisch von Anabaena Flos-aquae (Lyngb.) Breb. als Hauptmasse und A. spirordes Kleb. nebst Aphanizomenon in geringerer Anzahl in einem 6. Falle aus Clathrocystis aeruginosa Henfr. Ueberdies bildete Volvox globator und minor besonders in den Teichen von Trachenberg ausgedehnte Wasserblüten, die für jene Ge- wässer charakteristisch sind. Zumeist reicher an Arten als an In- dividuen sind im Teichplankton von Chlorophyceen, die Palmellaceen Protococeaceen, und Hydrodietyaceen, sowie von Phytomastigophoren die Euglenaceen (hauptsächlich in mit animalischen Dungstoffen zum Zwecke der Bonitierung behandelten Karpfenteichen), die Volvocaceen und Peridineen enthalten. Bacillariaceen kommen im Plankton der Teiche ohne starke Zuflüsse wenig oder gar nicht vor. Gerade das umgekehrte Verhältnis findet beim Flussplankton statt, denn der weit- aus größte Teil desselben wird, wie schon eingangs erwähnt, nur von Baecillariaceen gebildet. Zur Erklärung dieser Erscheinungen möchte ich darauf hinweisen, das die Bacillariaceen vorwiegend relativ kaltes Wasser lieben. In der zahlreichen Litteratur über diese Algenklasse konnte ich über die Abhängigkeit der Kieselalgen von der Temperatur nur wenig finden, ich stütze mich deshalb auf die Erfahrung, die ich durch ein Jahrzehnt beim Einsammeln von Bacillariaceen gewonnen habe. In kalten Quellen der Hochgebirge z. B. der Alpen, der Tatra und des Riesengebirges fand ich oft von Algen fast aus- schließlich nur Kieselalgen, auch die kaltgrundigen Sumpfmoore sind reich daran, sodann kommen die Kieselalgen auch im Frühjahre bei der niedrigsten Temperatur des Wassers mit am häufigsten vor. Jedermann weiß, dass das ganze Jahr hindurch das Flusswasser kälter ist, als dasjenige der Teiche. Je flacher nun ein stehendes Gewässer mit möglichst großer Oberfläche ist, desto schneller und er- heblicher wird dasselbe durch die Sonnenstrahlen erwärmt und desto reicher ist es gewöhnlich an grünen Algen ete., während die Bacil- lariaceen mehr und mehr zurücktreten; natürlich sind in dieser Be- ziehung auch die Bodenbeschaffenheit, die Lichtintensität und die höhere Vegetation von Einfluss. Schröder, Planktologische Mitteilungen. 535 -Aehnliche Verhältnisse der Abhängigkeit der Planktonten von der Temperatur finden wir übrigens auch im Meere wiederkehrend. Schütt!) unterscheidet für die Planktonvegetation des atlantischen Ozeans ein kaltes und ein warmes Florenreich. Im kalten Reiche, dem nordatlan- tischen Ozean (Ost- u. Nordsee, Irminger See, im Golf- und Labrador- strome) überwiegen die Bacillariaceen teilweise bedeutend. Das- selbe geht auch aus Angaben von E. Vanhöffen, Gran?), Cleve und E.Oestrup hervor, welche Planktonproben des arktischen Meeres untersuchten. „Im warmen Florenreiche“, sagt Schütt I e. 9.69, „ist das Vegetationsbild ein ganz anderes. Das Uebergewicht der Diatomeen ist gebrochen, die Peridineen überwiegen sogar etwas und beide werden noch überragt von den Schizophyceen, Pyrocysteen und Halosphaeren“ (welche letztere beiden die man den Conjugaten und Chlorophyceen des süßen Wassers parallel stellen könnte, d. Verf), „sind nur noch in diesem Reiche bemerkenswert.“ Somit wird das Flussplankton demjenigen des Schütt’schen kalten Florenreiches, das Teichplanktons demjenigen des warmen entsprechen Die ausführlichsten Angaben hinsichtlich der Abhängigkeit der Bacillariaceen und Chlorophyceen von der Tem- peratur und vom Lichte, die mit meinen Beobachtungen ziemlich ge- nau übereinstimmen giebt Lemmermann im V. Forschungsberichte der Plöner Station (Biol. Untersuchung von Forellenteichen S.39 u. 100). Auch er stellte fest, dass kalte und beschattete Teiche vorwiegend Bacillariaceen, die warmen und den Sonnenstrahlen ausgiebig zu- gänglichen Teiche dagegen reichlich Chlorophyceenvegetation (z. B. auch Algenwatten) zeigten. Dass überhaupt ein größeres Bacillariaceen- vorkommen in den Sandforter Forellenteichen nach Lemmermann stattfindet, dürfte seinen Grund auch in der stärkeren Zuführung von Flusswasser haben, den die Forelle wegen ihres hohen Bedürfnisses von Sauerstoff in ihrem Fortleben nötig hat. Schließlich mögen nur noch einige seltenere Planktonalgen aus westpreußischen Seen Erwähnung finden, aus denen ich an 20 Proben von Dr. Seligo freundlichst zugesandt bekam. Im Gr. Wusterwitzsee (leg. 28. Sept. 1395) fand sich Attheya Zachariasi Brun. sehr reich- lich mit Dauersporen, die je nach der Breite der Zellen verschieden waren. Breite Exemplare haben schmale Dauersporen und umgekehrt (Fig. 1, 5, c, e unserer Abb. S. 530). Bei Bildung derselben rückt der im vegetativen Zustande centrisch angeordnete Zellinhalt nach einer Seite und trennt sich nach der Mitte der Zelle, durch eine ziemlich stark verdickte und deshalb dunkel konturierte, konvexe 1) F. Schütt, Das Pflanzenleben der Hochsee, 1893. 2) H. H. Gran, Bemerkungen über. das Plankton des arktischen Meeres. Berichte der deutschen botan. Gesellschaft, Bd. XV, 8. 132—136 (auf 8.134 auch Litteraturangabe über arktisches Plankton), 1897. 534 Schröder, Planktologische Mitteilungen. Wand von dem größeren Teile des Zelllumens ab (lig. 1, @). Nach- dem diese konvexe Wand der Dauerspore gebildet ist, bemerkt man Anfänge der Seitenwände, der Inhalt der abgetrennten kleineren Zellhälfte kontrahiert sich zu einem konvex-konkaven, kurzen Cylin- der, aus dem sich die konkave Sporenwand unter Anwesenheit des Zellkernes und seiner Protoplasmahülle ausscheidet. Die Dauersporen sind am obern und untern Rande (wenigstens bei diesen Seeformen) eigentümlich unregelmäßig gezackt konturiert und heben sich scharf von der hyalinen Zellhaut ab, ihr Inhalt ist bräunlich dunkelgelb. Die Seitenansicht der Attheya (Fig. 1, d) zeigt deutlich die nahe Ver- wandtschaft dieser Alge mit den Rhizosolenien. Auch im Gr. Lieb- schauer See kam Attheya mit Dauersporen (am 23. Juni 93) vor. Daselbst war auch im Plankton Melosira granulata (Ehrb.) Ralfs. var. spira- is (Ehrb.) Grun., die bisher nur fossil in Oregon (Nord - Amerika) gefunden ist. Sie bildete Spiralen von 4—6 Umgängen mit 46 u Ganghöhe, 32—37 u Durchmesser der Gänge und 2—3 u Breite der Zellen, welche sehr zart punktiert sind. Im Krebs-See (3. Juni 96) und im Dlugi-See bei Schwornigatz (24. April 98) war Stephanodiscus Niaga- rae Ehrb. in schönen Exemplaren vertreten. Ein häufiges Vorkommen in den Seen Westpreußens zeigt auch Tabellaria fenestrata Kütz. var. asterionelloidess Grun., die namentlich aus den Alpenseen bekannt wurde. Ich sah sie aus dem Kielpiner-See (7. Sept. 93), dem Dlugi- See (29. April 98), dem Ostrowitzer-See (14. Juni 97) und dem Le- giener-See (8. August 95), sowie aus dem Delong-See bei Allenstein in Ostpreußen (Juli 97). — Von Chlorophyceen führe ich an Pediastrum simplex Breb. var. echinulatum Wittr. im Muttersee bei Riesenburg (29. Juli 91), Scenedesmus Opoliensis Richter, Scenedesmus bijugatus (Turp.) Kütz. var. flexuosus Lemmermann (long. cell. 17 «, lat. 6,8 «) ebendaselbst, sowie Actinastrum Hantzschüi Lagerh. im Damerau- See bei Kiesling (9. Mai 98). — @loiotrichia echinulata (Engl. Bot.) Richter kam in Legiener-See (8. August 95) vor, während Anabaena F'los-aquue mit derselben Vorticella zahlreich besetzt zu sein scheint, welche Schröter ]. e. Tab. 1, Fig. 75a, abbildet. (Länge der Zelle ohne Stiel 37,8—43,2 u, Breite 29,7 u, Stiellänge 27—60 «, Länge der Flimmercilien 13,5 «. Endlich giebt Schröter auch eine Abbildung einer „unbestimmbaren Palmellacee“* 1. c. Tab. 1, Fig. 92 aus dem Zürich-See (31. Oktober 96), die ich ebenfalls in der Probe aus dem Legiener-See fand. Dieselbe war dort von einer Chythridiacee infiziert, die der Rhizophlictis Braune (Zopf) Fischer (auf Diatomeen schma- rotzend) nahe steht, aber viel geringere Dimensionen aufweist, sie mag vorläufig als Rh. palmellacearum nob. bezeichnet werden. (Sporang. eiförmig B5—7 u lang und 3—5°u breit, Membran der Sporang. gelb- lich, Mycel reichlich dichotom verzweigt, die in der gemeinsamen Hüllgallerte liegenden Zellen suchend und zerstörend.) _—— Franee, Organismus der Craspedomonaden. 535 Genaueres hoffe ich nach Untersuchung von lebenden Material und Kultur desselben zu geben). [92a] Breslau, Pflanzenphysiolog. Institut der Kgl. Univers., 6. Juni 1898. R. H. France, Der Organismus der Oraspedomonaden. Ofen-Pest 1897. Verfasser giebt in dieser Arbeit eine ziemlich eingehende Schilderung der als Craspedomonaden oder Choanoflagellaten bekannten Protozoen. In allen Abschnitten sind zusammenfassende Uebersichten der auf diese Orga- nismen bezugnehmenden Angaben andrer Autoren der Wiedergabe der eigenen Beobachtungen vorangestellt. Den Kragen beschreibt der Verfasser im Texte als eine spiralig auf- serollte Membran und nicht als eine einfache Glocke. In den allermeisten von den 78 Textfiguren ist aber der Kragen als einfache Glocken dar- gestellt. Zuweilen wurde nahe dem Kragenrande eine Längsstreifung beobachtet. Verfasser hält den Kragen für eine ähnliche Membran, wie sie bei vielen Ciliaten vorkommt und dort sich oft in eine Cilienreihe auflöst. Er scheint somit — obzwar er das nicht sagt — der Ansicht zu sein, dass der Kragen der Craspedomonaden aus Cilien hervorgegangen sei. Hiezu möchte der Referent bemerken, dass nach Bidder auch der Kragen der Spongienkragenzellen eine Längsstreifung erkennen lässt, welche auf eine Zusammensetzung desselben aus Cilien hinweist. Die Geißel soll bandförmig abgeplattet und spiralig gewunden sein. Sie kann zurückgezogen werden, wobei sich ihr Endteil zu einem Knopfe verdickt, welcher immer größer werdend herabsinkt ins Plasma. Eine ähnliche Knopfbildung am Ende der sich verkürzenden Geißel hat Referent an den Kragenzellen von, mit ÜÖurare vergifteten Spongien beobachtet. Den Stiel, dessen Länge und Verzweigungsart gut brauchbare, syste- matische Merkmale abgeben, hält der Verfasser, ebenso wie das Gehäuse, für ein Chitin -artiges Umwandlungsprodukt des Plasmas. Mit dem Ge- häuse ist der Weichkörper durch einen Faden verbunden, an welchem Kontraktionserscheinungen beobachtet wurden. Im Plasma werden, namentlich wenn sich das Tier im Zustande des Absterbens befindet, lebhafte Strömungen bemerkt, welche Vacuolen und Kern mit sich fortreissen. et Im Kerne liegen Chromatinkörner. Diese scheinen eine scheiben- förmige Gestalt zu besitzen und in einer Spirallinie angeordnet zu sein. Mitotische Kernteilung wurde bei Lagenoeca globulosa angetroffen. Es ist nur eine kontraktile Vacuole vorhanden. Diese entleert und bildet sich alle 20 bis 30 Sekunden neu. Die Entleerung findet durch ein kleines, nach außen führendes Kanälehen statt. Es scheint stets ein kleiner Rest der Vacuole zurückzubleiben. Bei Beginn ihrer Neubildung treten zuerst mehrere kleinste Tröpfehen auf. Später erscheint sie oval und ist mit zwei Zufuhrkanälen (-Spalten) ausgestattet. Endlich schwinden diese Kanäle und die sich fort vergrößernde Vacuole nimmt Kugelform 1) Einen dem Phlictidium Pandorinae Wille ähnlichen Parasiten beobach- tete ich in der II. Hälfte des Juni auf ZEnderina elegans, aber wegen Mangels an Zeit konnte ich ihn nicht genauer betrachten. 536 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. an, worauf neuerdings Entleerung nach Außen stattfindet. Außer der einen, kontraktilen finden sich noch zahlreiche nicht kontraktile Vacuolen. Das sind Nahrungsvacuolen. Die Nahrungsaufnahme — die Craspedomonaden nähren sich haupt- sächlich von Bakterien — findet in folgender Weise statt: Die Geißel schleudert die in ihren Bereich kommenden, kleinen im Wasser suspen- dierten Körperchen in das Kragenlumen hinein. Beim Anpralle an den Kragen, beziehungsweise an die Vorderseite des Körpers entsteht ein Reiz, welcher die spiralige Kragenmembran zur Entfaltung veranlasst. „Zugleich gleitet das betreffende Nahrungskörperchen der Spirallinie des Entfaltens folgend abwärts. Dort wo die Plasmamembran außerhalb des Körpers sichtbar ist, erscheint der Bissen gleichsam in eine hervorstehende Vacuole eingeschlossen“. In der That soll er sich da — diese vorragende „Va- cuole“ ist von vielen Beobachtern gesehen worden — zwischen der spira- ligen Membran, deren oberer Teil den Kragen bildet, und dem Körper des Tieres befinden. Der Referent kann sich mit dieser Auffassung der Verhältnisse nicht recht befreunden. Von dem „Spalt“ aus gelangt daun der Bissen, in ein Wassertröpfehen eingeschlossen, in den Körper hinein. So werden nacheinander Nahrungsvacuolen gebildet, welche, nachdem die Verdauung ihres Inhaltes vollendet ist, die Reste nach Außen entleeren. Außer den Vacuolen finden sich im Plasma noch zahlreiche andre Einschlüsse, Körnchen, von denen der Verfasser die einen als Exkret- stoffe, die andren als Reservenahrungsmaterial in Anspruch nimmt. Bei Codonostga wurden zwei große, kuglige, dunkle, matt lichtbrechende Körper neben dem Kern beobachtet. Ueber die Natur dieser Kugeln war nichts zu ermitteln. Bei Codonosiga botrytis ist ein Hervorsprossen eines kleinen Indi- viduums aus einem größeren beobachtet worden. Encystierung und Bil- dung zahlreicher Sporen hält Verfasser für eine, allen Craspedomonaden zukommende Fortpflanzungsweise. Da die Bicoeeinen in jeder Hinsicht Uebergänge zwischen den Cras- pedomonaden und im andren — kragenlosen — Flagellaten bilden, hält Verfasser die Verwandtschaft der kragenbesitzenden und der kragenlosen Monaden mit einander für eine engere als gewöhnlich angenommen wird. An eine engere Verwandtschaft zwischen den Craspedomonaden und den Spongien glaubt er nicht. Die Phalansterien scheidet er aus der Craspe- domonadengruppe aus und teilt dieselbe dann in zwei Unterfamilien und 12 Gattungen. Eine von den letzteren, die mit zwei Kragen und einem Gehäuse ausgestattete Diplosigopsis, ist neu. Die beschriebenen Arten werden einer eingehenden Kritik unterzogen und viele, namentlich von den Saville-Kent’schen beseitigt. Im Ganzen werden 33 Species unter- schieden, von den 26 in Ungarn vorkommen. 163] R. v. Lendenfeld (Prag). Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. Von Dr. Tad. Garbowski, Privatdozenten der Zoologie’an der Universität in Wien. (Zweites Stück und Schluss.) An und für sich steht die Annahme von Nervenzellen mit sonstigen bis jetzt eruierten T’'hatsachen kaum im Widerspruch. Die auch von Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 537 Lenhoss&k!) erwähnte Fähigkeit durchgeschnittener Nerven, in der früheren Richtung distalwärts zu wachsen, würde nach Verlegung der Bildungscentren des Leitenden in die Leitungsbahnen sogar leichter er- klärlich sein als bis jetzt. Der Kern der betreffenden Nervenzelle, dessen prospektive Potenz (im Sinne von Driesch) zeitlebens erhalten bleibt, wäre nach Zerstörung des Gleichgewichtszustandes, d. i. durch Herstellung einer Unterbrechungstläche in Folge des Schnittes zweifellos viel mächtiger zur nochmaligen Auslösung bereits geleisteter Wachstumsprozesse angeregt als der entfernte Ganglienzellkern im Centralsysteme. Apäthy’s An- nahme wäre auch geeignet, die Gegensätze in den Anschauungen einzelner Forscher in dankenswerter Weise auszugleichen; so z. B. zwischen Ramön y Cajal, der die berübmte Entdeckung der Endkeulen junger, im Wachsen begriffener Nervenstränge gemacht hat, und zwischen der Theorie V. Hensen’s, welcher unter embryonalen Zellen, namentlich unter Ganglienzellen und ästhetischen Zellen von Anfang an existierende Verbinduugsbahnen vermittelt und auf diese Weise die Unfehlbarkeit heran- wachsender Nerven zu erklären trachtet. In Apäthy’s Lehre treten nun gewöhnliche, auch phylogenetisch unschwer abzuleitende Bildungszellen an Stelle jener weit schwieriger erklärlichen „rätselhaften Kraft“ ?), welche die Nervenfibrillen leitet und in richtige Bahnen lenkt. Die Annahme von Nervenzellen hat auch unter mangelhafter Präzi- sierung ihrer Beziehungen zu den Hüll- und Stützvorrichtungen des Nerven- systems nicht unerheblich zu leiden. Einerseits vermisse ich eine be- friedigende Erörterung der mannigfachen Rolle, welche die Nervenspindeln in markhaltigen und marklosen Nerven zu spielen haben: es wird ja doch von Apäthy zugegeben, dass sich die Nervenzellen auch an der Bildung der Gliascheiden beteiligen können, wodurch die spezifisch ner- vösen Kerne in bedenkliche Verwandtschaft mit anderen, in peripherischen Nerven vorhandenen Kernen geraten. Andererseits widerspricht diese doppelte Fähigkeit der Nervenzellen den physiologischen Erwägungen, die bei der ursprünglichen Konzipierung der Hypothese zweifellos entscheidend waren; so scheint der Verf. schließlich ein Widersacher seiner eigenen Prämissen zu werden. Nicht minder befremdend wirkt die Bemerkung, dass auch Ganglienzellen, folglich Zellen, die durch ununterbrochene per- zipierende und den Nerventonus schaffende Thätigkeit stets vollauf in An- spruch genommen werden, Gliaelemente zu liefern vermögen. Alles das sind Schwierigkeiten, die vermieden werden sollten, zumal der Verf. auf derartige, die physiologische Funktion der Elemente betreffende Inkon- sequenzen selber zu sprechen kommt. Genauere Erörterung einschlägiger Fragen, unter anderem besonders der von Prof. Golgi beregten Nutritions- fragen der Ganglienzellen und des Leitenden, wäre demnach in hohem Grade erwünscht. Zu den wichtigsten Sätzen Apäthy’scher Lehre gehört die Behaup- tung, dass die beobachteten Ramifizierungen der Erregungsbahnen bei allen Objekten nur scheinbar sind, insofern es sich stets um Gabelungen der Nervenspindeln handelt und die Fibrillenbündel bloß in Primitiv-, respek- tive Elementarfibrillen zerlegt werden. Diese Eröffnung, so plausibel sie 1) Mih. Lenhossek, Der feinere Bau des Nervensystems im Lichte neuester Forschungen ete., II. Aufl. Berlin 189. 2) Vergl. Lenhossek a. a. 0. 8.9. 538 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. auch erscheinen mag, ist leider in vielen Fällen mehr ein Ergebnis von Schlussfolgerungen, als positive Erkenntnis. Es ist mir übrigens nicht klar, wie die auch vom Autor unterschiedenen Differenzierungen des Gitterwerkes im Somatoplasma der Ganglienzellen im Sinne seiner Theorie gedeutet werden sollten. Neben Geflechtkörbehen, welche die einfachere Innervierungsart der Zelle darstellen, kommen netzartige Gebilde mit deutlichen Anastomosen vor. Sind diese Anastomosen nichts anderes als dichotomische Spaltungen von Fibrillenbündeln, dann sind es überhaupt keine echten Anastomosen und der Fall weicht von dem einfacheren Verästelungsmodus nur durch einen etwas verschiedenen Verlauf der Primitivfibrillen ab. Zweitens vermisse ich in den Zeichnungen eine regelmäßige Steigerung in der Feinheit der sich spaltenden Primitiv- fibrillen, was doch eine natürliche Folge des Auseinanderweichens der Elementarfibrillen sein müsste. Er behauptet apodiktisch, dass bei allen Ganglienzellen die Zahl cellulifugaler Elementarfibrillen mit der Zahl der centripetalen völlig identisch ist. Vom Standpunkte der 'Theorie ist dies ein Postulat; jedenfalls ein ganz selbstverständlicher Schluss. Der Beweis hiefür ist aber nicht erbracht worden. Solange es uns unmöglich ist, die Zusammensetzung austretender Primitivfibrillen aus Elementarfibrillen nach- zuzählen, solange bleibt auch dieser Schluss lediglich eine Annahme. Anders verhält sich die Sache in Bezug auf den ununterbrochenen Verlauf der Erregungsbahnen im Organismus. Obgleich auch hier diese Kontinuität nirgends unmittelbar — besonders im Centralsysteme — de- monstriert wird, so ist das vorgeführte Thhatsachenmaterial mannigfaltig und zahlreich genug, um auch den Skeptiker für eine Auffassung zu ge- winnen, die unseres Erachtens sowohl vom zoologischen, phylo- genetischen, als vom histologischen und physiologischen Standpunkte der Neuronenlehre unstreitig vorzuziehen ist. Dennoch möchten wir vor einer verfrühten Verallgemeinerung der An- schauung warnen. Bevor man berechtigt sein wird, mit neuronalen Ein- heiten in sämtlichen Tiergruppen aufzuräumen, müssen die Untersuchungs- resultate auf eine ungemein umfangreiche und feste Basis gestellt werden. Der Gedanke Apäthy’s ist übrigens nicht mehr neu. In vollstän- diger Parallele mit der Entwicklung embryologischer Wissenschaft, wo kein Tag vergeht, an dem nicht ontogenetische Befunde bekannt würden, die in den zu eng werdenden Rahmen der althergebrachten Gastraea- und Keimblätterlehre nicht hineinpassen, — ebenso mehren sich auch in der histologischen Litteratur Fälle, wo eine dichte Konkrescenz der Achsen- cylinderfortsätze mit anderen Fortsätzen des Neuralgewebes beobachtet wird. Es möge hier bloß die Wahrnehmung Prof. Dogiel’s, des erfolg- reichen Untersuchers der Netzhaut, Erwähnung finden, dass die Proto- plasmafortsätze der Nervenzellen miteinander in Zusammenhang treten und ein wirkliches Netz bilden, welches die Reize leitet. In diesem Sinne hat jüngst z. B. Held die uns beschäftigende Frage gestreift, indem er die durch die Achseneylinder gebildeten Netze schildert, welche im centralen Nervensysteme die Zellkörper als perizelluläre nervöse Terminalnetze und aus Achsencylinderfäserchen zusammengesetzte Dendriten umspinnen!). 1) Beiträge zur Struktur der Nervenzellen und ihrer Fortsätze, III. Teil, S. 288. In: Festschrift für Dr. Wilhelm His (Suppl.-Band des Archivs für Anatomie und Physiologie). Leipzig 1897. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 539 Allerdings hat bis jetzt noch Niemand eine solche Fülle einzelner Be- obachtungen gebracht und sie zu einem solchen Theorem zusammengefasst, wie es in der Abhandlung Apäthy'’s der Fall ist. Ein in der Litteratur bereits erhobener Einwand, dass das geschilderte leitende Element in peripherischen Bahnen und im Bereiche der Ganglien- zellen selbst vielfach mit anderen, zur Glia und zu bindegewebigen Produkten gehörenden Differenzierungen verwechselt worden ist, scheint mir weniger wichtig zu sein und kann auch kritisch ohne das eingehendste Studium fraglicher Präparate nicht beurteilt werden. Aehnliche Objek- tionen hat unserem Autor insbesondere Prof. Rohde!) gemacht, welcher die Existenz eines feinen Fibrillenwerkes in der Subeuticula und in Muskeln der Nematoden (Ascaris) zugiebt, ihre nervöse Natur jedoch leugnet. Diese Auffassung widerlegte Apäthy in sehr ausführlicher Weise in einer neueren Publikation über Nematoden, wo er seine früheren Darstellungen durch mehrere Abbildungen unterstützt?). Ohne auf diesen Streitfall näher einzugehen, kann ich dennoch ge- wisse Bedenken nicht unterdrücken, die sich mir bei Betrachtung der so verschiedenartigen Fibrillen in Apäthy’s Bildern aufdrängen. Ich meine die physiologische Bedeutung dieser Gebilde. Obwohl sich diese „Neuro- fibrillen“ in dem Hauptneuriten und in Kollateralen überall ganz gleich- mäßig mit Goldchlorid färben, glaube ich trotzdem vermuten zu müssen, dass in dem komplizierten tierischen Mechanismus die den einzelnen Be- standteilen zugedachte Rolle sehr verschieden sein muss. Schon in den uns heutzutage geläufigen Begriffen der nervösen Elemente, in den Den- draxonen, Inaxonen und Paraxonen scheint eine präzisierte Arbeitsteilung vorzukommen; von den Feinheiten der nervösen Organisation nicht zu reden, die uns die vervollkommnete Technik vielleicht schon in baldiger Zukunft erschließen wird. Vorläufig sind für uns die Schwierigkeiten, die aus der Vorstellung eines Kreislaufes der Erregungsströme erwachsen, wichtiger. Denn sollte es unserem Verf. gelingen die gefährlichsten Klippen, wie z. B. die Fibrillenendigung in den Wimperzellen der Molluskentyphlosolis durch sinnreiche Konstruktionen glücklich zu überwinden, so würde es immerhin außerordentlich schwer sein, sich eine genauere Vorstellung von der Funktion und Topik der betreffenden Nervenbahnen zu bilden. Mag sein, dass ich seinen histologischen Detailschilderungen nicht überall mit dem nötigen Verständnisse folgen konnte, doch will es mir scheinen, dass der Verfasser jene Schwierigkeiten in keinem einzigen Falle völlig be- seitigen konnte und dass jener Kreislauf nach wie vor sein Postulat ge- blieben ist. Mit diesem Punktum saliens der Theorie befasst sich auch Rohde, wobei er zu der Ueberzeugung kommt, dass dieselben Nerven- fibrillen zu gleicher Zeit centripetale und centrifugale Erregungsströme leiten müssten, die Idee des Kreislaufes sei also a priori als absurd ab- zuweisen. Abgesehen davon, dass es sich bei Rohde um einen Spezial- fall handelte, welcher nur auf Grund von Präparaten, die den Apäthy’- schen nachgemacht sein müssten, zu entscheiden wäre, scheint die Annahme — 1) Emil Rohde, Apäthy als Reformator der Muskel- und Nervenlehre. Zool. Anzeiger, Bd. XVII, 1894. 2) Das leitende Element in den Muskelfasern von Ascaris. Arch. f. mikr: Anatomie, Bd. 43. Bonn 1894. 540 6Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. eines nervösen Kreislaufes an sich uns noch nicht zu so absurden Kon- sequenzen zu zwingen. Immerhin aber bildet die Richtung und die Qualität kreisender Ströme ein verwickeltes Problem, welches schon bei der Aufstellung der "Theorie wenigstens präkursorisch gelöst werden sollte. | In innigem Zusammenhange mit den besprochenen Fragen steht auch die Aufstellung zweier anatomisch verschiedenen Abarten sensorischer Nervenstränge. Dass die besondere Funktion der Erregungsbahnen zu- nächst in der inneren Struktur der Bahnen Ausdruck findet, ist wohl selbstverständlich.. Das wichtigste Stück Arbeit ist aber ganz unerledigt geblieben. In welcher Weise die Struktur und die Qualität eines Nervs von einander abhängen, wie man aus räumlicher Verteilung der Fibrillen ihre Bestimmung eruieren könnte, ob es thatsächlich nur zwei ausge- sprochene Kategorien sensorischer Bahnen giebt und ob diese Kategorien bei verschiedenen tierischen Organismen analoge Verhältnisse zeigen, alles das sind offene Fragen, deren Lösung der Zukunft vorbehalten bleibt. Ebenso wie die Beschaffenheit nervöser Stränge, wäre auch eine nähere Erforschung des Somatoplasma der Ganglienzellen gerade für diese Zwecke von eminenter Tragweite. Die Aufschlüsse, die uns über die Be- ziehungen des Fibrillengitters zu den einzelnen Bestandteilen des Zell- plasmas und über die Bedeutung der letzteren über die Rolle der Neu- rosomkügelchen und der beobachtbaren Schollen Nissl’s ete. erteilt werden, sind nicht befriedigend. Zur Zeit können ja allerhand Gründe ausgedacht werden, die ihre Existenz erklären würden. Denn es haben die neuesten Untersuchungen trotz ihrer Feinheit keine neuen T'hatsachen ans Licht gefördert, die uns die Strom-erzeugende und Strom-bestimmende "T'hätig- keit der Ganglienzellen eindeutig zu demonstrieren vermöchten. Die Ganglienzellen hat man seit Dezennien ganz allgemein als die „Seelen- zellen des Tieres“) erkannt, aber für seinen Satz von ihrer ausschließ- lich physiologischen Funktion hat Apäthy bis jetzt keine zwingende Begründung gegeben. Somit ist auch dieser Satz lediglich eine Annahme. In der Auffassung Apäthy’s giebt es noch manche andere Momente, die offenbar nicht ganz sachlich sind und sich bei näherer Betrachtung ebenfalls als subjektive Konjekturen herausstellen würden. Der 'T'hat- sachenbestand, auf den sie basieren, betrifft indessen solche Feinheiten der Organisation, dass es geratener erscheint, sie erst dann kritisch zu beurteilen, wenn man Gelegenheit haben wird, diesbezügliche durch Nach- vergoldung erzielte Präparate mit Golgi’schen Metallimprägnationen in erschöpfender Weise zu vergleichen. Ohne ein solches und zwar selbst- ständiges Studium hätte man um so weniger Aussicht auf eine richtige Beurteilung jener Affirmationen, als die Darstellung des Verfassers jeg- licher Litteraturnachweise entbehrt, was keineswegs zu ihrem Vorteil sprechen dürfte. Außer einigen flüchtigen, ganz allgemein gehaltenen Bemerkungen über fremde Untersuchungen auf dem Gebiete der Nervenhistologie, welche die ersten Abschnitte einleiten, werden die Resultate der so überaus zahl- reichen und hochbedeutenden Vorgänger des Verf.’s fast ausnahmslos tot- geschwiegen. Besonders auffallen muss dies z. B. bei den grundlegenden 1) Vergl. Ernst Häckel, Gesammelte populäre Vorträge aus dem Geb der Entwicklungslehre, II. Heft, Bonn 1879. Gärbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. 541 Arbeiten von Prof. Retzius, die über ganz verwandte, wenn nicht iden- tische Gegenstände handeln. Diese ablehnende Haltung des Verfassers anderen Autoren gegenüber wird um so unangenehmer empfunden, als auch die nichts weniger als einfache, von Anderen eingeführte und zum Teil bereits eingebürgerte Nomenklatur keine Berücksichtigung gefunden hat, so dass man sich beim Fehlen der gangbaren Bezeichnungen häufig erst besinnen muss, von welchen Fortsätzen u. dgl. die Rede ist. So wird man — um ein Beispiel zu geben — leicht dadurch ver- wirrt, dass der Blutraum zwischen den dünnen äußeren Wänden des Nervenstranges Perineuralsinus genannt wird, während sich die Bezeich- nung Perineurium, wie sie von Kölliker gebraucht wird, mit den innersten Gliawänden der Nervenspindel deckt. Durch derlei Wechselbe- züge wird das Studium der Arbeit erheblich erschwert. Auf Schritt und Tritt muss man sich selber davon Rechenschaft geben, was von den be- schriebenen Befunden neu ist und was bereits von Anderen mitgeteilt wurde. Und dieses strenge Auseinanderhalten der erst hier erschlossenen Thatsachen von früheren, mehrfach verifizierten Angaben ist überaus nötig, besonders einem Werke gegenüber, welches neben äußerst gewissenhaften Mitteilungen von unbestreitbarer Geltung viele, vielleicht sehr viele Einzel- schilderungen enthält, die mehr oder minder theoretisch beeinflusst er- scheinen. Alles das sind Gründe, die es lebhaft bedauern lassen, dass uns ein- gehendere Vergleiche und Hinweise vom Autor vorenthalten geblieben sind. Es sei mir erlaubt, einen besonderen Fall zu erwähnen. ' Man hat ein perizelluläres Gitter beobachtet, in welches die Spinalfasern in sym- pathischen Ganglienzellen übergehen. Von Kölliker hält dieses Netz für Endaustreibungen eines Neurons, die in dieser Weise zu anderen Neu- ronen, deren Axon die sogenannte gerade Faser!) ist, in Beziehung treten. Nun lässt uns Apäthy im Unklaren darüber, wie wir uns zu dieser Auslegung verhalten sollen. Was uns an dem ganzen Werke am wertvollsten erscheint, ist das schein- bar Nebensächliche, die virtuose Technik, die hier wahre 'Triumphe feiert. Im Vergleiche mit dieser höchst ausgebildeten Technik müssen uns die früheren Imprägnationsmethoden, die zu den Entdeekungen Golgi’s, Ramön’s, Retzius geführt haben, recht unvollkommen erscheinen. Insbesondere dürfte Apäthy mit seiner Behauptung Recht haben, dass viele bis- herigen Befunde, die im Sinne der Neuronenlehre verwertet wurden, auf Risse und Sprünge, welche die Präparate im Laufe der Behandlung er- leiden, zurückzuführen seien. Dort wo die Imprägnationsmethoden nur undurchsichtige Flecke zu erzeugen vermochten, hat Apäthy unbekannte Strukturverhältnisse von außerordentlicher Kompliziertheit hervorgezaubert. Hiemit hat er den Histologen ein Mittel in die Hand gegeben, welches zur ungeahnten Erweiterung, namentlich unserer topographischen Kennt- nisse verhelfen wird. Schon das allein wäre ein hervorragendes Verdienst des Verfassers auf neurologischem Gebiete, selbst dann, wenn sich seine Darstellung des nervösen Kreislaufes als unhaltbar erweisen sollte. Ein weiterer Vorteil erwächst daraus, dass dieser Entwurf, wie jede in ein bereits gefestigtes Lehrgebäude tief eingreifende Opposition zu 1) Nach Apäthy cellulifugale Axenfibrille? 549 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen. neuerlichen Untersuchungen und Revisionen Anlass geben wird, demnach auf alle Zweige der Forschung, die zu der Neuronenlehre in Beziehung stehen, anregende Wirkung zu üben verspricht. Sogar das Gebiet der psychologischen Physiologie wird hiedurch in Mitleidenschaft gezogen, da die neuesten Hypothesen eines Duval oder Ramödn über Ideenassociation, Gedankenbildung, "Träume, sich in ihrem ganzen Umfange auf die An- nahme isolierter, neuronaler Einheiten stützen. Dass die Neuronenlehre durch Ermittlung ununterbrochener Erregungs- bahnen auf großen Strecken sehr bedeutend eingeschränkt wird, steht außer allem Zweifel; dass man aber mit ihr völlig aufräumen müsse, glaube ich weniger. Die Wahrheit liegt auch hier voraussichtlich in der Mitte zwischen den beiden, sich ausschließenden Auffassungsarten. Die Lehre vom nervösen Kreislaufe dürfte nach ver- mehrten Untersuchungen vor allem zu einer veränderten Auf- fassung der fibrillogenen Bildungszentren gebraucht werden; von der vielleicht nur vorläufigen, mikrographischen Undar- stellbarkeit der Nervenzellen ganz abgesehen. Die Reform der Neuronenlehre wird sicherlich in Aufhebung jener Gegen- sätze ausklingen, die sie zwischen einzelnen Phylen der Tierformen heraufbeschworen hat. Ramön y Cajal’s wichtige Entdeckung, dass Ganglienzellen in der obersten Schichte der Hirnrinde des Kaninchens mit doppelten Fortsätzen versehen sein können, wirkte anfänglich überraschend. Nachher haben sich Beobachtungen gemehrt, die mit den Postulaten der Theorie in offenbarem Widerspruche stehen. Richtiger gesagt, haben immer zahlreichere Beobachtungen gezeigt, dass hier ein Mittelweg einzuschlagen wäre. Namhafteste Forscher haben dies bereits in Erwägung gezogen. Kölliker z. B. hat schon vor sieben Jahren darauf hingewiesen, dass nicht alle Fortsätze der Nervenzellen (im Sinne der Autoren) frei endigen, dass vielmehr häufig wirkliche Anastomosen ausgebildet werden!).. Apäthy zeigt nunmehr, nachdem es ihm gelungen, den Verlauf der Primitivfibrillen mit unübertroffener Klar- heit zu verfolgen, dass nicht alle Anastomosen das nervöse Element in gleicher Weise leiten, indem er Fälle kennt, wo zwei Zellen in inniger, somatoplasmatischer Verbindung mit einander stehen, ohne dass ein Kon- takt zwischen ihren nervösen Fibrillengeflechten stattfinde. Darin liegt ebenfalls ein großes Verdienst, dessen Wert von der Anerkennung oder Nichtanerkennung der Kreislauftheorie selbst völlig unabhängig ist. Es wurde uns direkt gezeigt, dass das intrazellulare Fibrillensystem in ver- schiedenen Protoplasmabrücken verschiedene Lagen annehmen kann. Da- durch wird bewiesen, dass die Anastomosen nicht gleichwertig sind; und zwar bleibt es bewiesen sogar für den Fall, alses sich heraus- stellen sollte, dass jene Fibrillen nicht Träger der Erregungs- ströme, sondern etwaige andere faserige Differenzierungen sind. Weitere Verfolgung der erwähnten Unterschiede in solchen. Ver- bindungsbahnen bietet schon deshalb ein ungewöhnliches Interesse, als sie die natürlichsten Orientierungspunkte zu physiologischen Untersuchungen liefern würde. | Es öffnet sich hier überhaupt der Forschung ein überreiches Feld 4) Verh. d. anatom. Gesellschaft, München 1891, 8.2 £. Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelementen, 543 zu neuen, mannigfaltigsten Befunden. Was zwischen Neuriten und Den- driten den eigentlichen Unterschied ausmacht, kann sich aus der intra- zellulären Struktur — wie bei allen anderen ähnlichen Fragen — mit Leichtigkeit ergeben. Nicht minder scheinen Untersuchungen, die zum Gegenstand die wirkliche Bedeutung der Endkolben wachsender Nerven- stränge im embryonalen Körper oder der Endkolben im ausgebildeten Vetebratenauge haben, mehr Aussicht auf Erfolg zu gewinnen. Ein sehr bemerkenswerter Vorteil des Apäthy’schen 'Theorems liegt ferner darin, dass es den Gegensatz zwischen dem centralen und peri- pherischen Nervensysteme gänzlich auszugleichen sucht. Die Cerebrospinal- achse (das Neuron Baker’s) besitzt keine Merkmale, die auch den übrigen nervösen Teilen nicht zukommen. Das Bauchmark ist eine (hauptsäch- lich nur quantitativ verschiedene Erregungsbahn wie alle übrigen Nerven. Das Wesentliche an den Ganglien der Subintestinalkette liegt eigentlich in der Anhäufung von stromerzeugenden Ganglienzellen: diese Zellen kommen aber an vielen Stellen des peripherischen Systems ebenfalls in Mehrzahl vor. Die Konnektive sind nichts anderes als kolossale gemischte Nervenzüge höherer Ordnung. Was schließlich die Stütz- und Hüllvor- richtungen anbelangt, so sind sie im Centrum wie an der Peripherie über- all die gleichen. Das ganze lässt sich als ein durchaus einheit- liches Gebilde mit Leichtigkeit überschauen, und darin erblicke ich im phylogenetischen Sinne einen großen Gewinn, dessen sich der Verf. selbst vielleicht nicht genügend bewusst war. Mag sein, dass er auch mit der Art nicht einverstanden wäre, in welcher ich hier seine Gedanken etwas über den Originaltext hinaus fort- spinne. Es hat mich dabei indessen lediglich das Bestreben geleitet, die Bedeu- tung seines Werkes nach Gebühr zu würdigen, obschon er — wie wir oben gesehen haben — in mehrfacher Beziehung mit bloßen Annahmen arbeitet. Es sei uns daher zum Schlusse noch gestattet, der innigen Beziehung, die zwischen der Entstehungsweise des leitenden Elementes in der Zelle und dem allgemeinen Probleme der Plasmastruktur im Zellkörper besteht, Erwähnung zu thun. Dieses Thema ist so bedeutungsvoll und anziehend, dass wir Anlass nehmen werden, es an einer besonderen Stelle ausführ- licher und planmäßiger zu erörtern. Hier möge es beim bloßen Hinweise sein Bewenden haben. Auf dieses Thema ist auch Apäthy gestoßen und zwar *schon damals, als er seine als das Leitende beanspruchten Fibrillen in dem Zellplasma und in der Grundsubstanz der Nervenspindeln entdeckt hat. Zunächst war es die Lehre Bütschli’s über die Wabenstruktur, die ihm zu schaffen gab. Jene Waben gelangen auch in dünnen Nervenspindeln zur Beobachtung, wären also auch dann, wenn sie nichts anderes als ein Gerinnungsmerkmal des lebenden Protoplasmas darstellen sollten, geeignet, auf die Beschaffenheit des Plasmas viel Licht zu werfen. Außer der wabigen Vakuolisierung tritt nun auch diese fibrilläre Struktur des nervös empfindenden Plasmas — und ein solches ist jedwedes Plasma von Haus aus gewesen — in eindringlichster Weise zutage. Wir wissen ja, dass sie vor Apäthy von verschiedenen Autoren gesehen und verschieden auf- gefasst wurde. So hat man das Vorkommen feiner Fibrillen im Körper peripherischer Nervenzellen in der Bauchganglienkette der Insekten schon vor Jahren signalisiert (A. Binet). Dogiel bekam in Ganglienzellen 544 Garbowski, Apäthy’s Lehre von den leitenden Nervenelemehten. Bilder zu sehen, welche denen Apäthy’s sehr verwandt sind, obschon sie unser Autor meistens auf Schrumpfungen und Faltungen der Zellen- oberfläche, durch Methylenblaumethode hervorgerufen, zurückzuführen sucht (8. 634). Auch die neulich beobachteten Einrichtungen in sympathischen Ganglienzellen bei Batrachiern erinnern stark an die Befunde Apäthy’s. Beiderlei Strukturen bestehen also vermutlich in jeder nervösen Grund- substanz (wenigstens zeitweise) zu gleicher Zeit nebeneinander. Sie sind aber auch so innig mit einander verwoben, dass fortgesetzte Untersuchungen in beiderlei Richtungen unumgänglich sind. Innigstes Abhängiskeitsverhältnis verbindet nämlich augenscheinlich die Erscheinung der wabigen Vakuolisierung mit dem subtilen, aus runden Kornelementen bestehenden Gerinnselnetze (Filarmasse Flemming’s), dessen Bestandteile zwar an der Grenze der Sichtbarkeit stehen, dennoch bei gewissen Methoden und an entsprechend dünnen Schnitten mit aller Sicherheit wahrgenommen wurden). Weiter kann man namentlich infolge gewisser Eigentümlich- keiten der Ansatzscheiben der Axencylinderfortsätze vermuten, dass durch diese aneinandergereihten Körperchen die Beobachtung des Apäthy’schen leitenden Elementes bedingt wird. Die Sache bedarf noch einer Klarlegung. Zngleich bringt sie uns die alten, wertvollen Abbildungen Max Schultze’s in Erinnerung. Wir erinnern uns insbesondere des großen Bildes einer typischen Ganglienzelle, welches in Lehrbücher hinüber- gewandert ist und schon vor langen Jahren die Popularisatoren der Wissenschaft veranlasste, von „feinsten Fäserchen oder Fibrillen“ ?) zu sprechen, die sich durch Zellausläufer in andere Zellen und in peripherische Nerven erstrecken. Wir sind wieder bei den zerstückelten, fibrillären Elementen Sehultze’s angelangt, mit denen das Innere des Ganglien- zellkörpers erfüllt ist und welche an der Basis der Axone zu fortlaufenden Fasern zusammentreten. Zwar hat Schultze — nach Apäthy’s Aeußerung — nicht die Primitivfibrillen, vielmehr bloß Zwischenlinien gesehen, es decken sich aber doch seine Fasern mit unseren neuesten Neurofibrillen, die ebenfalls Längsreihen von Neurotogmen (nach Engel- mann’s Inotogmen) darstellen. Noch eine andere frühere Vorstellung, von der man längst abge- kommen ist, wird durch die neue Auffassung wieder zu Ehren gebracht. Ranvier’s Einschnürungen hielt man lange Zeit für Grenzmarken zu- sammengenieteter Leitzellen. Bei Apäthy begegnen wir ähnlichen Ver- hältnissen die unter den fibrillenerzeugenden Zellen bestehen sollen. Im übrigen besitzt auch der Vergleich des fungierenden Nervensystems mit telegraphischen Apparaten schon seine Geschichte. Wenn man in Büchern aus den siebziger Jahren von empfindenden und perzipierenden Endstationen liest, die durch Nervendrähte verbunden werden, da kann man sich überzeugen, dass schon damalige Autoren diesen Vergleich einen „häufig wiederholten“ nennen. Und so kommen wir auch hier, wie so oft, auf das Alte zurück. Wien, Juni 1898. [51] druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 24 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. | Band. 1. August 1898. Nr. 15. Inhalt: Keller, Biologische Studien. -— Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. — Nusbaum, Zur Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei den parasitischen Isopoden. — Duncker, Bemerkung zu dem Aufsatz von H. C. Bumpus: „Ihe Variations and Mutations of the Introduced Littorina“. — Zukal, Die Ceratifikation (Verhornung) bei Myxomyceten und Myxobakterien. — Was- mann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. — Cohn, Die willkürliche Bestimmung des Geschlechts. — Schäfer, Die Vererbung. — Trautzsch, Stammbürtige Blüten und Aasfliegen. — 70. Versammlung deutscher Natur- forscher und Aerzte. — Preisausschreibung. Biologische Studien!). Von Dr. Robert Keller in Winterthur. I. Ueber dieAnpassungsfähigkeitphanerogamischer Land- pflanzen an das Leben im Wasser. d. Myosotis Rehsteineri Wartmann. Diese „Art“, die Wartmann in St. Gallen an den während eines sroßen Teiles des Jahres unter Wasser gesetzten Niederungen am Bodensee beobachtete, ist eine Standortsmodifikation der Myosotis pa- Zustris. Nicht nur am Bodensee, sondern auch an verschiedenen Stellen des Rheines, des Genfersees, des Rhone u. s. f. wurde sie beobachtet. Es hält nieht schwer, Individuen dieser zierlichen Pflanze zu finden, welche wenigstens in den Jahren höheren Wasserstandes ihre ganze Entwicklung unter dem Wasser durchliefen. Die der Untersuchung zu Grunde liegenden Exemplare stammen von Ellikon am Rhein. Die Pflanze ist gegenüber der typischen Form des Sumpfvergiss- meinnichtes durch einen zwerghaften Bau ausgezeichnet. Sie ist völlig kahl. Von ihrer Axe gehen mehrere wurzelnde Ausläufer ab. Da die oft unmöglich gewordene Vermehrung auf geschlechtlichem Wege durch eine vegetative Vermehrung ersetzt ist, müssen wir die Ent- wicklung der wurzelnden Ausläufer als eine Anpassung an die be- sonderen, die geschlechtliche Fortpflanzung verunmöglichenden Lebens- bedingungen auffassen. 1) Vergl. Biolog. Centralblatt, Bd. XVII, S. 99 und Bd. XVII, S. 241. XVII. 39 546 Keller, Biologische Studien. Die Pflanze zeigt, wie nach den im vorigen Artikel angegebenen Abänderungen der untergetauchten Form der M. palustris nicht anders zu erwarten ist, auch in ihrem anatomischen Bau eine Reihe von Ab- änderungen, Anpassungen an das Wasserleben, die die extreme Aus- bildung der Abänderungen sind, die wir an den submersen Formen vom Sumpfvergissmeinnicht bereits konstatierten. 1. Der Bau der Ausläufer gleicht mit ganz geringen Abände- rungen dem Bau der Wurzeln der M. palustris (vergl. Fig. 17). Vor allem beobachten wir, dass in ihnen ein centrales Bündel vorhanden ist. Dasselbe enthält in undeutlich radiärer Anordnung die Leitungs- elemente. Die Zellen dieses centralen Stranges haben viel stärkere Wandungen als die das Bündel umgebenden Zellen des parenchyma- tischen Grundgewebes. Durch diesen Bau ist den Ausläufern eine zugfeste Konstruktion gesichert, eine Eigenschaft, die die Folge der besonderen Standortsverhältnisse der Pflanze ist. Der Ausläufer tritt mit diesem Lagerungsverhältnis der Leitungs- und Festigungselemente, wie wir nachher sehen werden, in einen entschiedenen Gegensatz zur aufrecht wachsenden Axe. Von Jem in Fig. 17 dargestellten Wurzelquerschnitt unterscheidet sich der Ausläufer wesentlich dadurch, dass die Lakunen kleiner sind. 2. Stengel. Die Größenverhältnisse der den Stengel zusammen- setzenden Gewebe werden durch das Wasserleben unserer Abart des Sumpfvergissmeinnichtes in hervorragendem Maße beeinflusst und zwar ganz in dem Sinne, wie nach den früheren Ergebnissen der anatomi- schen Untersuchung der submersen Form der M. palustris zu erwarten war. Das Gefäßsystem ist stark reduziert, Mark und Rinde sind relativ umfangreich. An einem Stengelquerschnitt (Mitte) von etwas mehr als 1,5 mm Durchmesser zeigen die 3 Gewebeteile folgende Größen- verhältnisse: Bine, un Bra) a2. 0,999 mm Gerabbundel.ss.. ze. .:0.dar Marke ns By Ein Vergleich mit den früher für M. palustris angegebenen Maß- zahlen dieser Gewebeteile ist besonders lehrreich. Wir wählen als Einheit die Größe der radiären Länge des Gefäßbündelquerschnittes. Myosotis palustris M. Rehsteineri Landform Submers miles, vr 20 7,6 8,6 Gefäßbündel . . 1 1 1 Mark Sana 3,9 6,9 Prozentual ist der Anteil der 3 Gewebe am Stengelquerschnitt in folgender Weise auszudrücken. Keller, Biologische Studien. 547 Myosotis palustris M. Rehsteineri Landform Submers Indeneyn sh 64%), 54%, Gefäßbündel . . 20, 5.5 6,„ Markistsy 1. 40% 28, 40 „ Die Epidermis des Stengels ist noch viel zarter als an der sub- mersen Form des gewöhnlichen Sumpfvergissmeinnichts. Sie schwankt zwischen 0,0012 und 0,0025 mm. Die Größe des Durchmessers der Rindenzellen beträgt im Mittel 0,06 mm, während die Epidermiszellen 0,018—0,02 mm Durchmesser haben, und die subepidermale Zellreihe aus Zellen besteht, deren Durchmesser ca. 0,0359 mm ist. Abgesehen von den weiteren Rindenlücken wird also auch durch die weitlichtigeren Zellen das ganze Rindengewebe weitmaschiger. Im Gefäßbündelsystem beobachten wir eine noch stärkere Reduk- tion der Leitungselemente, als wie sie bei der submersen Form der M. palustris zu beobachten war (vergl. Fig. 23). Fig. 23. 3. Blatt. (Vergl. Fig. 24 u. 25.) Die Blätter der M. Rehstei- neri sind sehr zart, circa 0,06 mm dick. Die Cuticula ist selbst am Blattrande, der stets teils durch das Gefüge der Zellen, teils durch die starke Entwicklung der Cutieula fester ist, als der übrige Teil des Blattes nur ca. 0,0024 mm stark, an den übrigen Teilen etwa !/, so diek. Der Bau des Blattes ist völlig isolateral. Nur nahe am Rande ist die Palissadenzellreihe der Landform der M. palustris schwach angedeutet. 6. Lythrum salicaria. Von Lythrum salicaria konnte ich bisher nur submerse Blätter eines Individuums mit den nicht untergetauchten Blättern desselben Individuums vergleichen. Die Pflanze wuchs in einem während des letzten wasserreichen Sommers durch einen besonders hohen Wasser- stand ausgezeichneten Weiher in der Nähe von Winterthur. Auf völlig submerse Pflanzen dieser Art fahndete ich bisher umsonst. 39 * Keller, Biolögische Studien. Or ja 5 Oo Wenn ich die Beobachtungen an den Blättern hier wiedergebe (vergl. Fig. 26—29), so geschieht es deshalb, weil diese submersen Blätter in ganz deutlicher Weise die bisher uns geläufig gewordenen Abänderungen in Folge des Wasserlebens zeigen, wenn schon sie sich an einer Pflanze entwickelten, deren weitaus größter Teil. außerhalb des Wassers lebte. An Uferpflanzen beobachten wir nicht selten, dass ein Teil des Stengels im Wasser steht. Sein unterster Teil pflegt dann in der Regel blattlos zu sein oder wir sehen an ihm nur die Ueber- reste abgefaulter Blätter. Das deutet also zweifellos an, dass nicht alle Uferpflanzen dem Wasserleben sich hinreichend. anzupassen ver- mögen. Um so mehr interessierte es mich an Lythrum salicaria die im Wasser vorhandenen Blätter auf ihren Bau zu prüfen um festzustellen, ob die Lebensfähigkeit im Wasser mit der Abänderungsfähigkeit des anatomischen Baus verknüpft sei. In erster Linie fällt auf, dass die submersen Blätter (vergl. Fig. 26 u. 29) viel zarter gebaut sind als die über dem Wasser gewachsenen. Ihre Dicke ist etwa halb so stark wie die der nicht untergetauchten Blätter. Eine zarte Öutieula überzieht beiderseits das Blatt. Unter den Epidermiszellen finden wir Palissadenzellen, deren Länge 1'/,- bis 2ınal so groß ist, wie die Breite. Darunter liegt ein lockeres Schwamn- parenchym. Die nicht untergetauchten besitzen eine mindestens doppelt so dieke Cuticula. Die Palissadenzellen sind viel länger, ca. 4mal so lang als breit. Keller, Biologische Studien. 549 Besonders auffällig sind diese Verschiedenheiten am Blattrande (vergl. Fig. 23 u. 29). An den Luftblättern ist derselbe durch eine außerordentliche Entwicklung der Cutieula besonders gefestigt. Die Mesophylizellen sind dichter gefügt als im übrigen Teil des Blattes und wenn sie auch den Oberhautzellen in Bezug auf die Dieke ihrer Wandung ganz erheblich nachstehen, so sind sie doch viel diekwan- diger als im übrigen Teil des Mesophylis. An den submersen Blättern ist zwar am Rande die Cutieularentwicklung ebenfalls stärker als an den übrigen Teilen, erreicht aber doch nur ca. !/, der Stärke der Randpartie der Luftblätter. 7. Ficaria verna. Submerse Exemplare fand ich bei Ellikon am Rhein. Die Früh- lingsfeigenwurz ist eine der wenigen Pflanzenarten, welche vom Ufer so weit ins Rheinsbett vordringen, dass sie wenigstens in wasserreichen Jahren vom März bis zum Jahresschluss überflutet wird. Fig. 30. 3 Pi 1. Wurzel. (Vergl. Fig. 30 u. 31.) Die keulenförmig verdickten Wurzelfasern der Büschelwurzel unserer Pflanze bestehen aus einer dicht mit Wurzelhaaren bekleideten dünnen Epidermis. Unter ihr be- findet sich ein parenchymatisches Gewebe, dessen Zellen dicht mit Stärkekörnern angefüllt sind. In der Mitte befindet sich ein Central- strang mit Leitungs und Festigungselementen. Diese verdiekten Wurzel- fasern sind also durch ihre dichte Bekleidung mit den dünnwandigen, zarten, '/J;—!/, mm langen Wurzelhaaren als Absorptionsorgane charak- terisiert. Gleichzeitig sind sie Reservestofibehälter. Die Wurzelfasern der submersen Form sind nun in erster Linie durch das Fehlen der Wurzelhaare ausgezeichnet. Die der Absorption dienende Oberfläche wird dadurch außerordentlich vermindert, indem sie auf die Gesamtfläche der Epidermis beschränkt ist. 550 Keller, Biologische Studier. Der Centralstrang hat bei der Landform ca. !/,; des Durchmessers der Wurzelfaser, an der submersen !,,. An gleich kräftigen Wurzel- fasern besteht zwischen dem Radius des Centralbündels der Wasser- und der Landform das Verhältnis 5 zu 6. Wenn nun auch die Größenunterschiede unbedeutend sind, so werden sie doch dadurch von Bedeutung, dass sie auf eine größere Dichte des Centralbündels der submersen Form hinweisen. Diese Ab- änderung dürfte speziell als eine Anpassungserscheinung im fließenden Wasser aufzufassen sein. Das Centralbündel hat !in ausgesprochenem Maße den Charakter eines in dem lockeren großlumigen Reservestoff- gewebe eingelagerten Festigungsstranges erhalten. Ganz auffällig aber wird dieser Charakter des Centralstranges durch die verhältnis- mäßig bedeutende Dieke der Zellwandungen. Während die Dicke der Wandung der Centralzelle (in Fig. 30 u. 31 mit »n») bezeichnet an der Wasserform 0,01 mm beträgt, ist sie an der Landform kaum 0,002 mın und ganz ähnlich ist das Verhältnis der Dicke der Wandungen der übrigen Zellen. Auch die in radiärer Anordnung vereinigten Gefäße, es sind Leitergefäße, erscheinen dadurch in den Dienst der Festigung gezogen, dass die Verdiekung der Längswände in der Wurzelfaser der sub- mersen Form etwa 1'/,—2mal so dick sind als in der Wurzel der Landform. Die Differenz der Dicke der Wandungen dieser Leitungs- röhren zu der Dicke der Wandung der übrigen Zellen des Central- bündels ist also an der Landform eine viel bedeutendere als an der Wasserform. Es heben sich deshalb auch diese Gewebeelemente auf dem Querschnitt dnreh Wurzelfasern an ersterer schärfer ab als an der submersen Form. Auch darin kommt eine entschiedene Anpassung an das Wasserleben zum Ausdruck, dass an der submersen Pflanze die Zahl der zu einem Strang vereinigtem Gefäße eine etwas kleinere ist, als an der Landform. Das parenchymatische Reservestoffgewebe, der dem Umfang nach bedeutendste Teil der knollenförmig verdickten Wurzelfasern, zeigt in der näheren Umgebung des Centralstranges an der Land- und sub- mersen Form gewisse Unterschiede. An dieser ist der Zellendurch- messer nur !/, so groß wie an jener. In der Umgebung des Central- stranges finden wir also auf gleicher Fläche an der Wasserform viel mehr Wandungsmaterial als an der Landform. Auch dies steht zwei- fellos im Dienste der Festigung. Die Abänderungen der knollig-verdickten Wurzelfasern submerser Individuen der Ficaria verna, welche wir als eine Folge der veränderten Lebensweise an dem außergewöhnlichen Standorte auffassen, sind also dreierlei Art: 1. Dem durch den Standort veränderten Feuchtigkeitsverhältnissen entspricht die außerordentliche Verminderung der Oberfläche des Ab- sorptionssystems. Keller, Biologische Studien. 551 2. Aus dem gleichen Grunde ist das System der Leitungselemente vermindert. | 3. Entsprechend der durch die Standortsverhältnisse bedingten vermehrten Beanspruchung der Zugfestigkeit ist diese durch größere Dichte des centralen Bündels und seiner näheren Umgebung, vor allem auch durch die bedeutendere Diekwandigkeit der Zellen des Üentral- bündels vermehrt. Pie. 32. 2. Blätter. (Vergl. Fig. 32u.33.) Ungleich schwächer beeinflusste im gegebenen Falle das Wasserleben den Ban des Blattes. An dem unter normalen Verhältnissen wachsenden Blatte sind die Epidermiszellen wellig verbogen. Die Epidermis der obern und der untern Seite besitzt zahlreiche Spaltöffnungen. Ganz den gleichen Bau zeigt auch das untergetauchte Blatt. Dagegen bestehen erhebliche Unterschiede bezüglich der Stärke der Epidermiszellwandungen. Die Cutieula der obern Seite ist am submersen Blatte ca. !/,—!/,, die der Unterseite '/, so stark wie am normalen Blatte. Unter der Epidermis der Oberseite sind an der Landform die langgestreckten dünnwandigen Palissadenzellen in einer Reihe angeordnet. Ihre Länge beträgt im Mittel ca. 0,45 mm. An den submersen Blättern ist das Palissadengewebe ebenfalls durchaus scharf ausgeprägt. Das Blatt behält also auch unter den veränderten Lebensverhältnissen seinen dorsoventralen Bau bei. Nur darin scheint der Einfluss des Wasserlebens zum Ausdruck zu kommen, dass das Größenverhältnis der Palissadenzellen nieht mehr das gleiche ist. Die Länge der Palissadenzellen beträgt ca. 0,26—0,33 mm. . Vor allem aber ist das Verhältnis der Länge zur Breite bei den Palissadenzellen beider Formen ein ungleiches. An der Landform sind sie ca. 4-, an der submersen ca. 2—3mal länger als breit. Es bewegt sich also 5529 Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. die Abänderung des Palissadengewebes in der Richtung gegen den isolateralen Bau hin, freilich ohne denselben zu erreichen. Der erste Schritt gegen diesen hin ist gethan, ein Schritt der den ursprüng- lichen Charakter des Blattbaues zwar in keiner Weise verwischt, ja in dem von uns gedeuteten Sinne kaum ausgelegt würde, wenn er für sich allein dastünde, der aber gerade als erster Schritt an Bedeutung gewinnt in Verbindung mit den übrigen bereits in den früheren Mit- teilungen erwähnten Abänderungen des Blattbaues unter dem Einfluss des Wasserlebens. | Unter der Palissadenzellreihe liegen die vorherrschend isodiame- trischen Zellen des Schwammparencehyms. An dem submersen Blatte ist dasselbe lockerer. Die Intercellularräume sind größer, umfang- reiche Luftspeicher. 183] Blattumkehr im Ei der Affen. Von Emil Selenka. Die Blätterverlagerung in der Keimblase einiger deeiduaten Säuge- tiere wird, wie es scheint, dadurch hervorgerufen, dass eine zotten- Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3, Fig. 4. PL je Fig. 1—4, schematische Schnitte durch Fruchtblasen; der Embryo ist überall im Querschnitt getroffen und zwar im Gebiete der Primitivplatte. Fig. 1. Normale Form der Keimblase und des Embryonalschildes. Fig. 2. Feldmaus (Arvicola arvalis). Die Keimscheibe nebst Umgebung ist nach Innen eingestülpt. Fig. 3. Meerschweinchen (Cavia cobaya). Das Uhorion ist zum größten Teil nicht mehr vorhanden. Fig. 4 Affe und Mensch. A = Amnionhöhle. ms — Mesodermlappen (Fig. 1). am — Amnionfalte. tr — Träger (Trophoblast nach Hub- Ch = Chorionektoderm. recht). D = Dottersackhölle. Z = Zotten. M = Medullarwülste. p = Primitivplatte, 76 Placenta: Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. 5553 bildende Region der Keimblase schon während der Gastrulation mit dem Uterusepithel verwächst. Alle weiteren Sonderbildungen lassen sich wenigstens ungezwungen als Folgen dieser frühzeitigen Festhaf- tung erklären. Bei den meisten deeiduaten Säugetieren bleibt die Keimblase tage- lang frei in der Weitung der Gebärmutter liegen. Sie dehnt sich zu einer größeren Hohlkugel aus, an deren Peripherie dem Embryo Zeit gelassen wird zur Schildform auszuwachsen und das Amnion anzu- legen: dann erst verklebt die Blase außerhalb des Bereichs der Amnion- falten mit der Uteruswand und treibt Chorionzotten (Fig. 1). Dagegen solche Keimblasen, in denen Blattinversion auftritt, ver- wachsen schon während der Gastrulation mit der Uteruswand. Der Zellenbezirk, aus welchem Embryonalkörper plus Amnion (die sogen. formativen Zellen) hervorgehen sollen, ist zu dieser Zeit noch winzig klein und er kann sich nieht zur Keimscheibe ausdehnen, weil die umgebende festgewachsene Chorionpartie die fächige Ausbreitung ver- hindert! Im einfacheren Falle geschieht nun die Verwachsung der Gastrula in einer ringförmigen Zone, welche den Embryonalbezirk umschließt: letzterer ist daher, sobald Zellenvermehrung eintritt, gezwungen sich in den einzig verfügbaren Raum, nämlich ins Innere der Keimblase, einzustülpen (Fig. 2), wobei das Entoderm zur kappenartigen Hülle ausgeweitet wird; die Keimblätter sind daher an dieser Stelle (dem zukünftigen Fruchthofe) umgelagert, umgekehrt, invertiert. Erst wenn - im Laufe der Weiterentwicklung die Keimblasenwand sich vergrößert hat, kann die fingerhutförmige Keimanlage sich allmählich zur Schild- form ausdehnen und die typische Gestalt einer Keimscheibe an- nehmen. — So vollzieht sich die Blätterumkehr bei der Feldmaus (Arvicola arvalis). Verwickelter wird der Prozess, wenn die Verwachsung der mit der Zottenbildung betrauten Gastrulazellen schon anhebt, bevor noch die lokale Scheidung der Zottenregion von den formativen Zellen geschehen war. Dann verklebt die Gastrula flächenhaft mit dem Uterus und die formativen Zellen werden als solider Zellenzapfen, welcher sich aus einer Ektodermkugel und dem kappenartig überlagernden Ento- derm zusammensetzt, ins Keimblasenlumen vorgeschoben. Die Ekto- dermkugel erhält aber alsbald eine innere Höhlung, die Amnionhöhle (Fig. 3), und die Streckung der invertierten Keimanlage zur Scheiben- form geht dann in gleicher Weise vor sich, wie im ersteren Falle. — Diesen Modus der Inversion trifft man z. B. beim Kalong oder fliegen- den Hunde (Pteropus edulis) und beim Meerschweinchen (Cavia co- baya) an. Erkennbar bleibt die letztere Art der Blattinversion etliche Tage lang an der sonderbaren Gestalt des formativen Ektoderms; denn dieses 554 Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. bewahrt längere Zeit die Form eines winzigen Bläschen, dessen dünnerer gegen die Placenta gewendeter Teil das Amnionektoderm, dessen ver- diekter Abschnitt das gesamte Ektoderm des zukünftigen Embryos darstellt. Und dieses Ektodermbläschen ist schwebend in situ gehalten im blinden Ende eines fingerhutförmigen Entodermsackes (Fig. 3). Eine solch eigenartige Anlage des Fruchthofs konnte allein da- durch zu Stande kommen, dass schon in einer frühen Entwicklungs- periode die formativen Ektodermzellen ins Innere der Keimblase ge- schoben wurden. Relativ langsam schreitet das Wachstum dieser Keim- anlage vorwärts, während die Zotten des Chorion in der Uteruswand sich rasch ausbreiten und dessen Gewebe zerstören, um schon nach Ablauf weniger Tage die mütterliehen Lymphräume, darauf die Blut- bahnen zn erreichen. Bleibt auch die Ausbildung des Fruchthofs anfänglich zurück, so wird dessen Ernährung für die Zukunft um so besser gesichert durch die frühzeitige und vollkommnere Ausgestaltung der Nährwurzeln, der Zotten. Fig.‘5, Fig. 6. hr 3 Fig. 5. Halbierter Uterus eines Nasenaffen (Semnopithecus nasicus), in natürlicher Größe. 01 —= Corpus luteum, Dr = Drüsenschicht der Uteruswand, J — Binnenraum, in welchen eine wulstartige Erhebung der Uterusschleim- haut mit dem Ei vorspringt. Das Ei selbst ist ca. 2 mm lang und ca. 1!/, mm breit. Or = Ovarium. Fig. 6. Das Ei E zeigt auf der freien Fläche eine scheibenförmige Verdickung des Chorionektoderms, welche der Anlage der Ventroplacenta entspricht. — W = der ringförmige Wulst. — Die Punkte bezeichnen die Mündungen der Uterindrüsen. — Schwache Vergrößerung. Die für die Blattumkehr charakteristische Form der Fruchtanlage, wie sie in Fig.3 schematisch abgebildet ist, finde ich nun auch in der Keimblase des Nasenaffen (Semnopithecus nasicus) und des Gibbon (Hylobales concolor), und es ist gar nicht zu bezweifeln, dass die Eier anderer Affen und, wie Graf Spee schon scharfsinnig vermutete, auch Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. 555 des Menschen die gleiche Phase der „Umstülpung der Keimscheiben- anlage“ durchlaufen. Die Lage des jungen Embryos, die Gestalt des Amnion, die Bildung der Allantois stimmen bei den Affen und dem Menschen mit den Bildern, welche die Blattinversion bei anderen Deciduaten hervorruft, so vollständig überein, dass es sich jetzt nur noch um Beantwortung der Frage handeln kann, wie dieser Prozess bei den einzelnen Arten oder Familien sich abspielt. Pie. 7 Fig. 7. Die ganze Keimblase des Nasenaffen im Querschnitt. Vergr. 75/1. B = Binnenraum des Uterus, mit L = Lymphkörperchen. wässrigem Schleim erfüllt. N — Zellennester, von Gefäßen um- D = Drüsengänge des Uterus. geben. E = der Keimling. $ = Syneitium. Eh = Entodermhöhle. 5° = Syneitium, an den Zottenenden Ek — Ektoderm des Chorion. wuchernd. En = Entoderm; dasselbe zieht sich U = Uteringewebe. später zum kugligen Dotter- V = Anlage der Ventroplacenta. sack zusammen. X = zerfallende Mutterzellen. Ep —= Zottenepithel. Z = Zotten. J = Intervillöser Raum des Uterus. Es war mir nicht vergönnt, bei einem Affen den Moment der Inversion selbst zu ertappen; doch genügen die hier beigefügten Skizzen der Keimblase des Nasenaffen zum Nachweise, dass wirkliche Blätter- umkehr in der Fruchthof-Anlage vorliegt. Weiter berechtigen die Ab- bildungen zu dem Schlusse, dass das Ei schon in frühen Stadien seiner 556 Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. Entwicklung mit dem Uterus verwachsen musste und dass die forma- tiven Zellen in Gestalt eines Zellenhäufchens ins Innere der Keimblase gedrängt wurden. Die gleichen Bilder weist eine etwas ältere Keimblase des Gibbon auf, und Schritt für Schritt vermag ich an dem mir vorliegenden Material von Affenembryonen zu verfolgen, wie die Keimanlage nach und nach in die normale Sehildform übergeführt wird. Die jüngsten bisher bekannten menschlichen Keimblasen decken sich vollständig mit den entsprechenden Entwicklungsphasen bei den Affen; die Identität der Embryonalanlage in beiden Gruppen ist damit erbracht. Die genaue Beschreibung und exakte Darstellung der hier skiz- zierten Befunde sowie die Darlegung der sich ergebenden Schluss- folgerungen werde ich in der zweiten Lieferung meiner Publikation über „Menschenaffen“ niederlegen. Hier begnüge ich mich mit der Erläuterung der beigegebenen Abbildungen. Auch von der Besprechung der einschlägigen Litteratur muss an diesem Orte Abstand genommen werden. I > ®) D HODOSK > ee un — y; Fig. 5. Der Keimling bei 280 facher Vergrößerung. Siehe Text. Iint — Emtoderm (Kerne weggelassen. 7 = formative Ektodermzellen. Mes — Mesoderm. m — losgelöste Mesodermzellen. p — Primitivplatte. Alle Figuren 5—10 beziehen sich auf die Keimblase eines Nasen- affen von Borneo. Abbildung 5 und 6 sind durch die beigefügte Erläuterung ver- ständlich. Zu Figur 7 ist zu bemerken, dass die Ausbreitung des Synei- tium S‘ aus einem einzigen Schnitte nicht zu erkennen ist; jede Zotte Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei päraäsit. Isopoden. 557 endet in einem starken soliden Zapfen, der im Uteringewebe verstreicht. Die Abbildung ist mittels der Camera gezeichnet. Figuren 9 u. 10. Fig. 9. Querschnitt durch den in Fig. 8 dargestellten Keimling in der Rich- tung des Pfeiles «. A —= Amnionhöhle. F = formative Zellen. Ried: Querschnitt in der Richtung £. m — losgelöste Mesodermzelle. ? = Primitivplatte. Figur 8 giebt ein Rekonstruktionsbild, das auf Millimeterpapier eingetragen wurde. Die Keimscheibe ist in der Richtung des Pfeiles der Figur 7 gesehen, also von der Bauchseite. Die Kerne der Ekto- dermzellen sind hell, die des Mesoderms dunkler gehalten. Man ver- gleiche zum besseren Verständnis die beiden mit der Camera gezeich- neten Figuren 9 und 10, welche Querschnitte der Fig. 8 in den Rich- tungen « und £ darstellen. Der Amnionzipfel ist, der Raumersparnis halber, in den letzten zwei Abbildungen etwas zu klein wieder- gegeben. [98] Zur Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei den parasi- tischen Isopoden. Von Prof. Dr. Jözef Nusbaum in’ Lemberg. Während meines letzten Aufenthaltes an der Zoologischen Station zu Neapel habe ich ein Studium über die Entwicklungsgeschichte der Cymothoiden vorgenommen. Das an der Station selbst angesammelte und später mir noch aus derselben gesandte Material erwies sich etwas 558 Nusbaum, Entwieklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden, zu lückenhaft, um die allerersten Entwicklungsvorgänge näher zu untersuchen. Ich werde deshalb die frühesten Entwicklungsvorgänge, namentlich den Segmentationsprozess der Öymothoaeiern, vorläufig bei- seite lassen, da mir in dieser Hinsicht noch Manches unklar geblieben ist. Das kann ich nur mit Bestimmtheit sagen, dass der Segmen- tationskern zuerst im Innern des Dotters gelegen ist, dass die ersten Segmentationskerne von einer kleinen Menge Plasma umgeben in der Richtung nach der Oberfläche des Eies migrieren, um an einem (dem künftigen ventralen und hinteren) Pole eine kleine Blastodermscheibe zu bilden. Von dem Stadium an, in welchem eine Blastodermscheibe schon vorhanden ist, im Dotter kein einziger Kern sich befindet und spärliche Blastodermzellen an der ganzen Eioberfläche vorhanden sind, konnte ich den weiteren Entwicklungsgang Schritt für Schritt an einem sehr reichlichen Materiale sowohl an zahlreichen Flächenpräparaten wie auch an Quer- und Längsschnitten untersuchen. Es ist mir gelungen einige neue Thatsachen zu eruieren, die un- sere Kenntnisse in diesem so interessanten, aber noch so lückenhaft bearbeiteten Gebiete nicht unwesentlich, wie es mir scheint, bereichern. Zuerst aber einige historische Notizen. Wie bekannt, hat Patten!) gelegentlich zum ersten Male be- merkt, dass bei den Cymothoaembryonen jederseits vier regelmäßig angeordnete Längsreihen von Mesodermzellen und auch eine regel- mäßige Gruppierung der Ektodermzellen im Keimstreifen in Quer- und Längsreihen, die hinten mit großen Zellen abschließen, vorhan- den sind. In meiner den 4. April 1892 der Akademie der Wissenschaften in Krakau vorgelegten Arbeit über die Entwicklungsgeschichte der Isopoden?) bin ich zu folgenden Schlüssen in betreff der Entwicklung des Mesoderms bei Ligia oceanica und Oniscus murarius gekommen. In der Mitte der einschichtigen Keimscheibe findet ein energischer Wucherungsprozess der Blastodermzellen statt. Die eingewucherten Zellen bilden teils die Vitellophagen, teils die Entodermzellen (die- selben liefern das Epithel der Lebersäcke und einen kleinen Teil des Darmepithels, namentlich denjenigen, wo die Lebersäcke in den Darm sich öffnen), teils aber auch einige Mesodermzellen ), die bald eine 1) On the Origin of Vertebrates from Arachnids. Quart. Journ. Micr. Sc., Vol. 31, 18%. 2) „Materyaty do embryogenii i histogenii röwnogow (Isopoda)*. Mit 6 doppelten Tafeln von Abbildungen. Separatabdr. aus d.' „Tom. XXV Rospraw Wydziatu matematyecno-przyrodniezego Akademii Umiejegtnösci w Krakowie, 1893. 3) In einer im „Biolog. Centralblatte* 1891 veröffentlichten Mitteilung nahm ich irrtümlicherweise an, dass aus den genannten eingewucherten Zellen nur das Entoderin und die Vitellophagen entstehen. Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. 559 Querreihe aus regelmäßig angeordneten acht (später zehn) großen Zellen — Urmesodermzellen bilden; von diesen letzteren liegen zwei, die am größten sind, zu beiden Seiten der Mittellinie, die übrigen symme- trisch und lateral rechts und links von denselben. Diese großen Zellen geben durch regelmäßige Teilungen immer neue Reihen von Mesoderm- zellen in der Richtung nach vorn ab. Ich führe in deutscher Ueber- setzung die Schlussworte aus der betreffenden Stelle meiner Arbeit (S. 25) an: „Auf diese Weise, am hinteren Ende des Keimstreifens einmal vom Blastoderm abgesondert, wächst schon das Mesoderm weiter nach vorn dank dem regelmäßigen Teilungsprozesse der hin- tersten Zellenreihe* — d. i. der großen Urmesodermzellenreihe, die ich an der Fig. 5 (Taf. I) meiner Arbeit abgebildet und durch m‘ bezeichnet habe. Eine ähnliche reguläre Anordnung habe ich auch bei den Ektodermzellen beschrieben und abgebildet. Die hinterste Reihe der Ektodermzellen oder die Urzellen des ektodermalen Teiles des Keim- streifens, die nach vorn von derjenigen Stelle liegen, an welcher später das Proktodaeum sich bildet (Fig. 5 pc), liefert durch successive Tei? lungen neue regelmäßig quer und längs angeordnete Reihen von Ekto- dermzellen. Auf der Fig. 5 (Flächenpräparat) habe ich 20 solcher Urektodermzellen in einer Querreihe abgebildet. Aber aus der ge- nannten Quelle, d. h. aus den großen Urmesodermzellen oder Meso- teloblasten habe ich nicht das ganze Mesoderm abgeleitet. Ich habe noch eine andere Quelle für dasselbe beschrieben. Und namentlich, nach vorne von derjenigen Stelle, wo der oben erwähnte Einwuche- rungsprozess an der Keimscheibe stattfindet, bilden sich an derselben, an paarigen Stellen, dicht hinter den künftigen Augenlappenanlagen, Mesodermelemente, die nach vorwärts sich verschieben. Ich habe somit einen zweifachen Ursprung des Mesoderms gefunden; ein Teil dieses letzteren verdankt seine Entstehung den Mesoteloblasten, der andere entwickelt sich aus dem Blastoderm der Keimscheibe unabhängig von den letzteren. Eine strenge Grenze zwischen dem nauplialen und metanauplialen Bezirk am Keimstreifen habe ich in meiner erwähnten Abhandlung nicht unterschieden, doch habe ich hervorgehoben, dass die regelmässige Anordnung des Ektoderms des Keimstreifens in Quer- und Längsreihen von hinten nur bis zum dritten Paare der Nauplius- extremitäten reicht — also der metanauplialen Region angehört. An meiner Fig.4 (Taf.I), die einen Ligiaembryo im Naupliusstadium dar- stellt, habe ich sehr deutlich die regelmäßigen Querreihen des Ekto- derms nur in der metanauplialen Region des Keimstreifens, in der nau- plialen aber — eine ganz unregelmäßige Anordnung desselben ab- gebildet. Leider war diese meine Arbeit!) Herrn Dr.R. S. Bergh nicht be- 1) Sie wurde am 4. April 1892 der Akademie vorgelegt, die Abhandlung von Bergh wurde erst im November 1892 niedergeschrieben. 560 Nusbaum, Entwicklungsgesehichte des Mesoderms bei paräsit. Isopoden. kannt, als er seine höchst wichtige und interessante Untersuchung über Mysisembryologie!) veröffenttichte, in welcher er zuvielen ganz ähnlichen Schlußfolgerungen unabhängig von mir an einem ganz anderen Objekte gekommen ist. In seinem! Autoreferate (Zoologisches Centralblatt, 1895) sagt aber Dr. Bergh über meine inzwischen ihm bekannt gewordene Arbeit Folgendes: „Aus den Abbildungen in einer kürzlich in polnischer Sprache erschienenen Arbeit von J. Nusbaum über die Entwicklung der Isopoden (Schriften d. Akad. zu_Krakau, Bd. 25) lässt sich er- sehen, dass hier ganz ähnliche Verhältnisse wie bei Mysis obwalten (ektodermale Teloblasten, Urzellen der Muskelplatten, Ursegment- bildung und Regularität in der Richtung der Zellteilungen im Keim- streifen ).“ Bergh geht bei Mysis von einem Stadium aus, in welchem das Blastoderm sich allseitig um den Dotter ausgebreitet hat, im Innern keine Dotterzellen oder freie Kerne sich finden und in der Nähe des hinteren Poles des ovalen Eies eine Keimscheibe gebildet ist. In der Mitte der Keimscheibe findet eine Einwucherung von Zellen statt, wo- bei die hineinwachsenden Zellen sich in drei Arten differenzieren: 1. Dotterzellen (die von mir sog. Vitellophagen), die in den Dotter einwandern und die Resorption desselben besorgen. 2. Die Zellen der „Entodermplatte“, die die Anlage des Mitteldarmes bilden soll. 3. Die Myoblasten, von welchen jederseits zuerst zwei, dann vier vorhanden sind und welche bald anfangen, Zellenreihen nach vorn zu bilden — Urmesodermzellen (Mesoteloblasten). Vor der Einwanderungsstelle (Blastoporus) der genannten Zellen wird an der Keimscheibe eine Anzahl Ektodermzellen, als Urzellen des Ektoderms bemerkbar — Ektoteloblasten, die bald anfangen (die mittleren früher als die seitlichen) nach vorn zu knospen und klei- nere, in regelmäßigen Längs- und Querreihen angeordnete Zellen bilden. Aus diesen Zellen stammt das Ektoderm des metanauplialen Bezirkes des Embryo, während das Ektoderm des nauplialen Bezirkes von Anfang an ein Mosaik von Zellen ohne bestimmte Anordnung darstellt. Was nun das Mesoderm anbetrifft, so behauptet Bergh, dass die aus der Teilung der Mesoteloblasten hervorgegangenen Zellenreihen die einzelnen Mesodermsegmente oder „Muskelplatten“ bilden. Ob diese Zellenreihen (ähnlich wie die ektodermalen) ausschließlich das Mesoderm der metanauplialen Region des Embryo liefern — auf diese Frage gab Bergh keine bestimmte Antwort. Er fand aber eime Schicht Mesodermelemente in der nauplialen Region des Embryo in dem Stadium, in welchem in der metanauplialen Region noch die regelmäßig angeordneten Muskelplatten vorhanden waren und äußert sich folgendermaßen in betreff der Herkunft dieser Mesodermelemente: 1) Beiträge zur Embryologie der Crustaceen. Zoolog. Jahrbücher, 1893. Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. 561 „Ein Zusammenhang (dieser Elemente) mit den viel weiter hinten lie- genden Muskelplatten des Keimstreifens ist sowohl in diesem wie in dem folgenden Stadium nicht nachzuweisen. Es bleibt ja immerhin die Möglichkeit offen, dass Zellen sich von den Muskelplatten des Keimstreifens in früheren Stadien abgelöst haben um nach vorn zu wandern und die erwähnte Schicht zu bilden; ich halte jedoch für viel wahrscheinlicher, dass sich dieselbe in loco durch Abspaltung von Ektoderm gebildet hat. Falls diese Vermutung richtig wäre, würden also die Muskelplatten eine ähnliche Differenzierung in eine naupliale und metanaupliale Anlage aufweisen, wie ich sie für das Ektoderm nachgewiesen habe“ !). Diese Vermutung Bergh’s über die zwei ver- schiedenen Ursprungsquellen des Mesoderms steht im Einklange mit meinen oben angeführten Beobachtungen an Ligia und Oniscus. Eine wichtige Ergänzung meiner oben angeführten Beobachtungen und derjenigen von Bergh finden wir in der Arbeit von Pl. J. Mae Murrich?) Dieser Autor fand bei Zigia und Cymothea (auch bei einigen anderen Isopoden) eine Reihe von Ektoteloblasten, die durch regelmäßige Teilung dem Ektoderm der metanauplialen Region des Keimstreifens den Anfang geben und auch eine Reihe von Mesotelo- blasten, die in der Zahl 3 hervortreten und durch regelmäßige Tei- lungen das Mesoderm der metanauplialen Region bilden. In dieser Hinsicht hat also Mac Murrich meine an Ligia und Oniscus an- gestellten Beobachtungen bestätigt. Jede Querreihe der metanauplialen Mesodermzellen entspricht nach Mae Murrich einem Ursegment, dem- gemäß soll die Anzahl der entsprechenden ungleichen Teilungen der Mesoteloblasten 16 betragen. Was das Ektoderm anbetrifit, so be- hauptet Mae Murrich, dass je zwei der ursprünglichen, aus der Knospung der Ektoteloblasten hervorgegangenen Querreihen in der Bil- dung eines jeden metanauplialen Segmentes eingehen; er berechnet demgemäß die Anzahl der ungleichen Teilungen der Ektoteloblasten auf 32. Das Mesoderm, dessen Herkunft für Mac Murrich einheit- lich ist, sondert sich bald nach seinem Erscheinen unter der Keim- scheibe in einen nauplialen und metanauplialen Teil. Der naupliale besteht aus unregelmäßig zerstreuten Zellen, der metanaupliale vom ersten Moment seines Erscheinens aus 3 Mesoteloblasten, die bald anfangen, Zellenreihen nach vorn regelmäßig in bekannter Weise zu produzieren. In dieser Hinsicht sind die Beobachtungen von Bergh bei den Mysiden viel vollständiger, da dieser Autor vor dem Stadium, . 4) Mac Murrich hat in dieser Hinsicht Bergh nicht verstanden und deutete sehr falsch die betreffenden Anschauungen des deutschen Forschers (s. S. 129 in der Arbeit von Mac Murrich, Embryology of the Isopod. Crust. Journ. Morphol., 1895). 2) Embryology of the Isopod. Crustacea. Journ. of Morphology, 1895. XVII. 36 569 Nusbaum, Entwicklimgsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. wo das metanaupliale Mesoderm aus 8 Zellen besteht, ein jüngeres Stadium erwähnt und abbildet, in welehen dieses Mesoderm nur aus 4 großen Zellen, zu je 2, beiderseits besteht. Beobachtungen, die ich an Eiern von Cymothoa oestroides und einer anderen, kleineren, nicht näher bestimmten Art von Cymothoa durchgeführt habe, haben mich zu folgenden Ergebnissen geführt, die ich hier in Kürze anführen will. In dem frühesten Stadium, von welchem ich meine Beschreibung be- einne, besteht die Keimscheibe aus einer Anzahl dicht zusammengedräng- ter, mehr oder weniger gleicher, vieleckiger Zellen; nach der Peripherie hin geht sie in eine Schicht weit von einander entfernten Blastoderm- zellen, die den Dotter umhüllen; im Dotter selbst giebt es keine Spur von Zellen oder Kerne. In der Mitte oder etwas excentrisch beginnt an der Keimscheibe eine Zelleneinwucherung. Die aus der Keimscheibe sich ab- trennenden Zellen vertiefen sich unter dieser letzteren. In den frühesten betreffenden Stadien habe ich 4—5 soleher Zellen unter der Keimscheibe beobachtet, in etwas späteren Stadien war die Zahl derselben immer größer, da neue einwuchernde Zellen zu den vorhandenen sich ge- sellen, und die eingewucherten ihrerseits sich vermehren. Diese Zellen nenne ich Entomesoderm; ihre Kerne sind dunkler als die der Blasto- dermzellen, ihr Plasma mehr körnig als das der letzteren. Aus dem Entomesoderm bilden sich: 1. Entoderm d.i. das Zellenmaterial für das Epithel der Lebersäcke und eines sehr kleinen Teiles des Mitteldarmes, namentlich für diejenige Stelle desselben, wo die Lebersäcke einmün- den. 2. Eine Anzahl Vitellophagen, die später im Dotter zu Grunde gehen. 3. Mesodermelemente für den nauplialen Bezirk des Embryo. 4. Zwei sich früh differenzierende Häufchen von Zellen, die wahr- scheinlich den Geschlechtsdrüsen den Anfang geben. Die eingewucherten und unter der Keimscheibe liegenden Zellen differenzieren sich sehr bald in der Weise, dass ein Teil derselben heller, reichlicher an Plasma wird und dieser Teil dringt in den Dotter hinein (Entoderm und Vitellophagen), der andere wird dunkler, etwas ärmer anPlasma und dieser bleibt direkt unter der Keimscheibe, wird all- mählich nach vorn verschoben und liefert ausschließlich das Mesoderm der nauplialen Region des Keimstreifens. Die oben erwähnten zwei Zellen- häufchen (Geschlechtsdrüsen?) habe ich im hinteren Teile des Keim- streifens gefunden, nachdem schon die eingewucherten Zellen in Ento- und Mesoderm differenziert waren, ich kann aber nicht sagen, ob die- selben sich noch vor der Differenzierung der eingewucherten Zellen in Ento- und Mesoderm oder nach derselben individualisieren; in die- sem letzterem Falle wären sie wahrscheinlich mesodermatischen Ur- sprunges. An der jungen Keimscheibe differenzieren sich sehr früh drei Teile: der unpaare Hauptteil der Scheibe, an welchem in der Mitte Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. 563 (oder etwas excentrisch) der obenerwähnte Wucherungsprozess fort- während noch stattfindet und zwei vordere, laterale Verdiekungen, wo das Blastoderm (Ektoderm) zwar noch längere Zeit aus einer einzigen Schicht Zellen besteht, wo aber die Zellen größer werden und auf Flächenpräparaten sehr deutlich sowohl durch bedeutendere Größe wie auch durch stärkere Färbungsfähigkeit ihrer Kerne von anderen Zellen der Keimscheibe sich unterscheiden. Diese paarigen Stellen sind Augenanlagen. Gleichzeitig oder etwas nach dem Hervortreten dieser letzteren differenziert sich zwischen den bisher gleichartigen Zellen des hinteren Teiles der Keimscheibe oder des Hauptteiles derselben eine vordere hufeisenförmige Zone größerer Blastodermzellen'), die sich wie diejenigen der Augenanlagen durch ihre bedeutendere Größe und intensivere Färbung ihrer Kerne auszeichnen. In der Mitte besteht diese hufeisenförmige Zone aus einer einzigen Reihe Zellen; in den seitlichen, breiteren, nach hinten gekehrten Teilen ist sie zwei- oder dreireihig. In dem hinteren Bezirke der Keimscheibe, der von der hufeisenförmigen Zone vorn und seitwärts begrenzt ist, findet noch immer eine Zelleneinwucherung statt. In sehr frühen Ent- wicklungsphasen konstatierte ich eirca 20 Zellen in der genannten Zone, in etwas späteren 30—40. Die anfangs noch nicht ganz regel- mäßig nebeneinanderliegenden mittleren Zellen der Zone, die eine einzige Reihe bilden, bekommen etwas später eine ganze regelmäßige Lage, ihre Längsaxen werden der langen Axe des Keimstreifens (der sagittalen Axe) parallel und die Kerne nehmen eine mehr ovale, in derselben Richtung verlängerte Gestalt an. Diese Zellen sind die Urektodermzellen oder Ektoteloblasten, die bald in einer bekannten, von mir, Bergh und Mac Murrich beschriebenen Weise die regu- lären Quer- und Längsreihen des Ektoderms der metanauplialen Region des Keimstreifens durch successive, ungleichartige Teilungen nach vorn bilden. Ich besitze junge Keimstreifen (Flächenpräparate) mit 8, 10, 12 und ältere mit 16 und 32 solcher Ektoteloblasten. An der jungen Keimscheibe haben wir nun zwei Abteilungen zu unterscheiden, die durch die Ektoteloblastenreihe von einander geschieden sind: 1. eine vordere Abteilung, die vor den Ektotelo- blasten sich befindet und welcher auch die beiden erwähnten Augen- anlagen angehören — das ist die primäre Kopfanlage oder die Nauplius- anlage des Embryo, 2. eine hintere Abteilung, die nach hinten von der Ektoteloblastenreihe sich befindet und an welcher in der Mitte 4) Es ist unrichtig schon jetzt den oberflächlichen Zellen der Keimscheibe den Namen Ektoderm zu geben, da dieselben noch nicht alle reines Ektoderm darstellen. Der Einwucherungsprozess dauert ja noch und außerdem sind die Urmesodermzellen oder Urmesoblasten noch nicht differenziert, wie es unten weiter dargelegt wird. 36* 564 Nusbaum, Entwieklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. Zelleneinwucherung stattfindet — das ist die Aftersegmentanlage, denn später bildet sich aus derselben das Telson mit der Proctodaeumeinstül- pung. Ich vergleiche diese ganze Anlage mit dem Körper einer Anne- liden - Trochofora; die vordere Abteilung entspricht dem Kopfteil einer Trochofora, die hintere — dem Analteil derselben. Ehe ich zur Entwicklung der Urmesodermzellen übergehe, muss ich noch hervorheben, dass bevor die Ektoteloblasten zu knospen be- sinnen an der jungen Keimscheibe Zellteilungen größtenteils nur in transversaler Richtung stattfinden. An einer jungen Keimscheibe von Cymothoa oestroides, an welcher die obenerwähnte hufeisenförmige Zone des Blastoderms aus circa 20 Zellen bestand und die Anzahl der eingewucherten Zellen 17 oder 18 betrug, beobachtete ich dicht hinter dieser Zone, beider- seits und etwas nach vorn von derjenigen Stelle, wo der Einwucherungsprozess stattfindet (Blastoporus), zwei, also paarig und symmetrisch gelegene, große, helle Zellen des Blastoderms, in welchen die Aequatorialplatten der sich teilenden Kerne nicht ganz in transversaler, sondern in etwas schiefer Richtung verliefen. Ich nenne diese zwei Zellen die Urmesoblasten. Jede dieser Zellen teilt sich nun in zwei: eine innere mehr nach vorn gerückte und eine äußere, etwas mehr nach hinten gelegene. Diese vier, zu je zwei jederseits nebeneinander liegenden großen hellen Zellen beobach- tete ich dicht hinter der aus 12 Zellen bestehenden Reihe von Ekto- teloblasten; jede aus zwei Zellen bestehende Gruppe lag lateralwärts von der Einwucherungsstelle (Blastoporus) der Keimscheibe. An einer Keimscheibe, an welcher die Ektoteloblastenreihe aus 16 Zellen be- steht, trifft man schon 8 aus der Teilung der obenerwähnten 4 Zellen entstandene große Zellen, die ich als Mesoteloblasten im Gegensatz zu den zwei ursprünglichen Mutterzellen oder Urmesoblasten bezeichne; sie liegen zu zwei Gruppen, jede aus vier nebeneinander angeordneten Zellen bestebend, dieht hinter der Ektoteloblastenreihe, mit welchen sie direkt zusammenstoßen. Sowohl Flächenpräparate, von welchen sehr präcis die anliegenden Dotterballen und Dotterkörnchen entfernt waren, wie auch viele Querschnitte und Längsschnitte durch die Keim- scheibe dieses Stadiums überzeugten mich, dass jeder dieser 8 Meso- teloblasten zuerst der oberflächlichen Zellenschichte der Keimscheibe, also der Blastodermschichte angehören, wobei ihr unteres, birnförmig erweitertes und den großen Kern enthaltendes Ende vertieft ist, während der engere, obere Teil bis zur Oberfläche des Blastoderms reicht. Erst etwas später, nachdem der Knospungsprozess dieser Zellen beginnt, vertiefen sie sich im ganzen unter der Keimscheibe, oder mit anderen Worten unter dem Ektoderm des Keimstreifens. Durch die regelmäßige, ungleichartige. Teilung stonpini der Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. 565 8 Mesoteloblasten bildet sich hier, wie in anderen bekannten Fällen, das Mesoderm des metanauplialen Bezirkes des Keimstreifens. Aus jeder der Mesodermzellenreihen, die durch die successive Teilung der Mesoteloblasten hervorgegangen sind, entsteht ein einziges, primäres, mesodermales Segment (Muskelplatte Bergh’s) der metanauplialen Region, womit meine Beobachtungen mit denen Bergh’s und Mac Murrich’s vollständig im Einklange sind. Ich kann aber dem letz- teren Autor nicht beistimmen, wenn er behauptet, dass auf jedes pri- märe metanaupliale Segment des metanauplialen Bezirkes zwei ursprüng- liche Querreihen ektodermaler Zellen kommen, und dass also die Zahl der ungleichartigen Teilungen eines jeden Ektoteloblasten 32 be- trägt. Ich kann mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, dass die Zahl der ungleichartigen Teilungen der Ektoteloblasten nur 16 (oder 17) beträgt. Denn bis zu demjenigen Entwicklungsstadium, in welchem die Zahl der Querreihen des Ektoderms noch nicht 16 (oder 17) er- reicht hat, habe ich Karyokinesen nur in der hintersten Reihe, d. i. in den Ektoteloblasten beobachtet. Nachdem aber die Anzahl der ekto- dermalen Querreihen mehr als 17 ausmachte, z. B. im Stadium mit 19 oder 20 und mehr Querreihen, habe ich sehr oft auf Flächenpräparaten Mitosen in den mittleren und vorderen, überhaupt in verschiedenen Querreihen gesehen, aus welcher Beobachtung zu schließen wäre, dass die Zahl 32 (oder 34) nicht bloß durch die successiven Teilungen der Ektoteloblasten, wie es Mac Murrich annimmt, sondern auch durch frühe Teilungen der schon erschienenen, ursprünglichen 16 (oder 17) Querreihen erlangt wird. Es scheint mir also, dass jede der primären 16 (oder 17) Querreihen des Ektoderms sich in zwei Querreihen teilt, weshalb die Zahl 32 (34) erreicht wird, wobei je zwei dieser sekun- dären Querreihen auf ein jedes künftiges Segment der metanauplialen Region zukommen. Ueberhaupt aber ist es sehr schwierig, in dieser Hinsicht zu einer festen Ueberzeugung zu gelangen, eben in Folge dieser frühen, sekundären Teilungen der primären Querreihen. Bei der Mesodermbildung findet man in dieser Hinsicht keine Schwierig- keiten, da die Teilungsprodukte eines jeden der ursprünglichen 16 Mesodermsegmente von den benachbarten Segmenten (Muskelplatten Bergh’s) längere Zeit etwas entfernt bleiben; im Ektoderm aber stoßen alle benachbarten Querreihen kontinuierlich ohne Intervall direkt an- einander. Was die Reihenfolge der Zellteilungen des Ektoderms anbetrifft, so werde ich hier noch Folgendes kurz mitteilen: 1. In sehr frühen Entwicklungsstadien, bevor noch die Teloblastenknospung beginnt, teilen sich die Zellen der Keimscheibe größtenteils in transversaler Richtung (die Aequatorialplatten liegen größtenteils parallel zur künf- tigen Längsaxe des Keimstreifens). 2. Sobald die Ektoteloblasten zu knospen beginnen, sind alle Aequatorialplatten in dem metanauplialen 566 Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. Bezirke senkrecht zur Längsaxe des Keimstreifens gestellt, womit ich mit Bergh im Einklange bin. Ich kann aber eine andere, von diesem Gelehrten bei den Mysiden konstatierte und als Regel von ihm be- trachtete Angabe, bei den von mir untersuchten Isopoden nicht be- stätigen, dass nämlich die Teilungen einer jeden Querreihe des Ekto- derms von der Mitte nach den Seiten fortschreitet, so dass oft eine seitlich einfache Querreihe in der Mitte in eine vordere und hintere zerlegt ist. Meistens geschieht es wirklich so, wie Bergh an- nimmt, in vielen Fällen aber habe ich bei Cymothoa ganz andere Ver- hältnisse gefunden. In vielen Ektodermquerreihen habe ich nämlich in der Gegend der Mittellinie nur eine einfache Zellenreihe gesehen ohne jede Spur von Mitose, dagegen in den seitlichen Teilen derselben Reihen waren hie und da einzelne oder zwei, drei nebeneinander liegende Mitosen zu sehen. Meistens gehen aber die Teilungen nach der Bergh’schen Regel vor sich, weshalb die mittleren Längsreihen über- haupt schneller nach vorn wachsen als die seitlichen. Ich habe aber so oft auch die ganz entgegengesetzten, obenerwähnten Verhältnisse gesehen, dass ich mich keineswegs der Bergh’schen Anschauung an- schließen kann, nach welcher diese Teilungsfolge nur eine „Anomalie unbedeutender Art“ ist. Was die Mesodermzellenreihen der metanauplialen Region anbe- trifft, so muss ich hier noch vier Thatsachen hervorheben: 1. Eine jede Reihe besteht aus 8 Zellen, von welchen 2 nahe nebeneinander beiderseits der Medianlinie liegen, die übrigen zu je 3 seitlich ange- ordnet sind; hierin bestätige ich Patten und Mac Murrich. 2. Die Zellen einer jeden Reihe und jeder zwei Nachbarreihen sind in frühen Stadien durch protoplasmatische Brücken untereinander verbunden. 3. Die erste Teilung einer jeden Zelle der mesodermatischen Querreihe verläuft (was nicht so deutlich auf Flächenpräparaten, wie an Quer- schnitten zu sehen ist) in einer zur Oberfläche des Keimstreifens senk- rechten Richtung, so dass ihre Aequatorialplatten parallel zu dieser Oberfläche liegen. Eine jede dieser Zellen teilt sich deshalb in eine äußere, dem Ektoderm anliegende, und eine innere, dem Dotter an- liegende Zelle; wir haben hier gewissermaßen eine Spaltung der aus regulären und miteinander anfangs durch Ausläufer verbundenen Zellen- reinen bestehenden Schicht in ein splanchnisches und somatisches Blatt. Nach dieser Teilung folgen nun weitere Teilungen der oberen und unteren Zellen einer jeden ursprünglichen Reihe zuerst in longitudinaler, dann in transversaler Richtung; doch scheint mir in dieser letzteren Hinsicht schon keine strenge Regel zu existieren, wobei noch zu be- merken ist, dass die zweischichtige Lage in einer jeden Reihe mit dem Fortschreiten der longitudinalen und transversalen Teilungen mehr oder weniger verwischt wird. 4. Die aus der Teilung einer jeden der acht ursprünglichen Zellen einer Zellenreihe hervorgegangenen Zellen- Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit. Isopoden. 567 häufchen vereinigen sich zu einem kontinuierlichen queren Zellenstreifen eines einzigen Segmentes; in dieser Hinsicht bin ich nun wieder mit Patten, Bergh und Mae Murrich im Einklange. Meine Beobachtungen über die Herkunft des Mesoderms bei den Cymothoiden führen mich also zu einem Schlusse, dass das Mesoderm im schroffen Gegensatze zu Mae Murrich’s Folgerung, aus zwei ver- schiedenen ursprünglichen Quellen, nicht aber aus einer ursprünglich einheitlichen Quelle hervorgeht. Und namentlich: das Mesoderm der nauplialen Region entsteht aus den am Blastoporus einwuchernden Zellen gemeinschaftlich mit Entoderm (und Vitellophagen), das der metanauplialen Region, aus zwei etwas später erscheinenden Urmeso- blasten, die aus einer Stelle der Keimscheibe, die man als Urdarm- lippen (Blastolabien) bezeichnen kann, beiderseits und etwas nach vorn von der Einwucherungsstelle oder Blastoporus zum Vorschein kommen, und sich sehr bald in 4 und dann S Zellen teilen. Auch bei den von mir untersuchten Ligia und Oniscus entsteht wahrscheinlich das metanaupliale Mesoderm aus ursprünglich 2 Meso- blasten. Da ich jedoch jüngere entsprechende Entwicklungsstadien nicht beobachtete, leitete ich in meiner im Jahre 1893 veröffentlichten Arbeit über die Embryologie der Isopoden, dieses Mesoderm erst von 8 Urmesodermzellen ab, die ich unter dem Blastoderm im Umkreise der Einwucherungsstelle vor dem Aftersegmente gefunden habe. Ob die von mir bei ZLigia und Oniscus damals beschriebenen paarigen, hinter den künftigen Augenanlagen sich befindenden Mesodermanlagen, die für die naupliale Region bestimmt sind, in situ paarig an der -Keimscheibe sich bilden, oder von den hinten (am Blastoporus) eingewucherten Zellen nach vorn sich verschieben, oder endlich auf beiden Wegen sich bilden, das muss noch einmal nachgeprüft werden. Die oben angeführten Beobachtungen scheinen mir in hohem Grade die Anschauung zu stützen, nach welcher das Naupliusstadium der Crusta- ceen mit dem Trochoforastadium der Anneliden zu vergleichen ist!). In einer typischen Trochofora, z. B. bei Eupomatus, kann man zwei nicht scharf abgegrenzte Bezirke unterscheiden, einen vorderen mit der Scheitelplatte, oder den künftigen Kopfteil und einen hinteren mit der Proetodaeumeinstülpung, oder das künftige Aftersegment. Diesen zwei Bezirken bei der Trochofora entspricht: der künftige naupliale Teil der Keimscheibe der Cymothoiden, an welchem vorn die Augenanlagen hervortreten und der hintere Teil der Keimscheibe, oder das künftige Aftersegment. Die eingewucherten Entodermzellen (samt Vitellophagen) entsprechen der aus der Gastrulaeinstülpung entstandenen Mesenteron- 4) Derselben Anschauung ist auch Mac Murrich. 568 Nusbaum, Entwicklungsgeschichte des Mesoderms bei parasit, Isopoden. wand der Trochofora-Larve, die losen Mesodermzellen der nauplialen Region — den mesenchymatösen Elementen im Blastocoel der Trocho- fora. Sehr früh treten bekanntlich bei der Annelidentrochofora, z.B. bei Eupomatus nach B. Hatschek, zwei große Zellen an der Anal- seite der Larve hervor, an der Grenze zwischen Ento- und Ektoderm, beiderseits des Blastoporus — die Urmesoblasten, wodurch die Larve bilateral symmetrisch wird, da die genannten Zellen rechts und links von der Medianebene liegen. Die Urmesoblasten gehören dem künftigen Analsegmente an, denn sie liegen später im Blastocoel, zwischen Ekto- und Entoderm, ganz nahe dem Hinterende der Larve, wo das Proctodaeum sich einstülpt; durch successive Teilung dieser Zellen in der Richtung nach vorn entstehen in bekannter Weise zwei Zellenstreifen, die dem ventralen Ektoderm jederseits anliegen, als Mesodermstreifen bezeichnet werden und in Mesodermsomiten sich gliedern, in welchen die sekundäre Leibeshöhle sich differenziert, wobei das Analsegment vom Kopfteile der Larve durch die neu hervortreten- den Segmente immer weiter und weiter sich entfernt. Ganz ähnliche Verhältnisse sehen wir bei den von mir untersuchten Crustaceen; auch hier, beiderseits und etwas nach vorn von derjenigen Stelle der Keim- scheibe, wo der Blastoporus sich findet und wo sich später das Procto- daeum einstülpt, erscheinen zwei Urmesoblasten. Der Unterschied be- steht nur darin, dass diese beiden Zellen, bevor sie in die Tiefe ein- dringen und zu knospen beginnen, einer zweimaligen, successiven Teilung unterliegen, so dass jederseits vier Zellen in einer Reihe an- geordnet sind. Die Verhältnisse bei den von mir untersuchten Arthro- poden bilden gewissermaßen einen Uebergang zwischen denjenigen, die bei Polychaetenlarven existieren und derjenigen, die bei den Lumbrieiden uud Hirudineen beschrieben wurden, bei welchen der Keimstreif aus einigen longitudinalen Zellreihen von Anfang an zusammengesetzt ist; hier aber bilden die einen (die mittleren) dieser Zellreihen des Keim- streifens Anlagen für ektodermale Organe (z. B. Bauchkette), die anderen (die seitlichen) für mesodermale (z. B. Muskulatur). Es ist jedoch interessant in Bezug auf die zuletzt erwähnten Verhältnisse, dass bei Oymothoa (und wahrscheinlich auch bei anderen Crustaceen) die 2, 4 und 3 Urmesodermzellen anfangs der oberflächlichen Schicht des Keimstreifens angehören, a!so in derselben Schicht wie die ekto- dermalen Elemente liegen und erst etwas später unter die Keimscheibe (unter das Ektoderm) sich vertiefen. Um den Vergleich in Einzel- heiten durchführen zu können, dazu mangelt es noch sehr an Beobach- tungsmaterial; im Allgemeinen kann man aber, wie es mir scheint, ungezwungen den Vergleich zwischen Anneliden- und Crustaceen- Entwicklung durchführen, und dieser Vergleich sowie die Thatsachen der vergleichenden Anatomie überzeugen uns nun wieder von der Rich- tigkeit der Anschauung derjenigen Forscher, welche eine sehr nahe Duncker, Das Maß der Variabilität. 569 phylogenetische Verwandtschaft zwischen den Arthropoden und Anne- liden annehmen [E. Haeckel!), Hatschek, Lang u. a.]. Eine ausführliche, monographische Arbeit über die Embryologie der Cymothoiden werde ich in meiner Muttersprache (polnisch) mit Abbildungen veröffentlichen. |70] Bemerkung zu dem Aufsatz von H. C. Bumpus: „The Variations and Mutations of the Introduced Littorina“. (Das Maß der Variabilität.) Von Dr. phil. Georg Duncker. In Nr. 5 des Zoological Bulletin (Boston, Febr. 1898, pp. 247 — 259, 14 Tafeln) veröffentlicht H. ©. Bumpus interessante Beobachtungen über die Differenzen zwischen der englischen und nordamerikanischen Form von Littorina httoraea L. Erst seit ungefähr 50 Jahren scheint diese Schnecke in das atlantische Küstengebiet der Vereinigten Staaten eingeschleppt zu sein und hat dort nicht nur eine Reihe von Formver- änderungen erfahren, sondern auch die Variabilität der Spezies ist durch den Aufenthaltswechsel beeinflußt worden. Der letztere Umstand ist es im wesentlichen, der von B. durch eine Reihe statistischer Untersuchungen, Dimensionen, Gewicht und Färbung der Schalen anlangend, nachgewiesen wird. DB. findet, dass bei je 1000 untersuchten Individuen verschiedener Fundorte (3 in England, 10 in den Vereinigten Staaten) der Variationsumfang der in Betracht kommenden Eigenschaften verschieden groß ist, und dass hinsichtlich desselben die englischen Formen stets hinter den nordamerikanischen zurückbleiben. Bei der offenbar im Zunehmen begriffenen Anwendung der statistischen Methode in der biologischen Forschung jedoch scheint es wünschenswert, dass ihre Ausübung möglichst einheitlich und zugleich in mathematisch unanfechtbarer Weise geschehe. Die Beurteilung der Variabilität einer Eigenschaft innerhalb einer Form nach ihrem Variationsumfang nun ist keineswegs einwandsfrei; statt ihrer ergiebt die statistische Methode bessere Anhaltspunkte, die, wie ich im Voraus bemerken will, die morpho- logischen Resultate B.’s im vorliegenden Falle durchaus bestätigen. Es ist eine mittlerweile durch anthropologische, zoologische und bo- tanische vergleichende Messungen und Zählungen von Merkmalen an zahlreichen Objekten zur Genüge bekannte Thatsache, dass die an diesen zu beobachtende Variation für gewöhnlich annähernd dem Gauss’schen Gesetz der Wahrscheinlichkeit von Beobachtungsfehlern verschiedener Größe folgt, mit andern Worten, dass die Wahrscheinlichkeit, resp. die Häufig- keit von Varianten, die vom Mittelwert des untersuchten Merkmals ab- weichen, näherungsweise durch den Ausdruck B== V.e 282 bestimmt ist. 1) Vergl. E. Haeckel, Systematische Phylogenie, 1896, I. Teil. 970 Duncker, Das Maß der Variabilität. Auch die Befunde B.s an Littorina bilden zu dieser Näherungsregel keine Ausnahme; man kann es für die vorliegende Betrachtung dahin gestellt sein lassen, ob die Variationskurven, durch welche die empirischen Diagramme B.’s bestimmt sind, dieser Formel genau folgen, oder ob kleine Abweichungen von ihr im Sinne der verallgemeinerten Wahrschein- lichkeitskurve Pearson’s!) vorliegen. In der obigen Formel bedeuten: y Die Häufigkeit einer einzelnen Variante; x die Abweichung dieser Variante von dem Mittelwert (M) des untersuchten Merkmals; Y die theoretisch geforderte Häufigkeit dieses Mittelwertes unter [L EV 2’ e die Wurzel?) aus dem Mittel der Quadrate aller beobachteten Ab- (2x?) weichungen von M, also e = En £ e die Basis des natürlichen Logarithmensystems: 2, 7183. n-Individuen, bestimmt durch den Ausdruck Y = Aus der Formel selbst geht klar hervor, dass eine Variante inner- halb einer bestimmten Anzahl untersuchter Individuen um so seltener auftreten muss, je weiter sie vom Mittelwert abweicht, je größer also das zugehörige £ wird. So kommt es, dass die extremen Varianten meist nur durch ein oder zwei Individuen vertreten sind. Berücksichtigt man nun die 'Thatsache, dass die Untersuchung selbst von 1000 Stücken einer in großen Massen von Individuen auftretenden Spezies nur eine Stich- probe aus der Gesamtheit der Individuen ergiebt, so ist es klar, dass serade der Befund für die Gesamtheit extremer Varianten außerordentlich unwahrscheinlich ist, und somit die Größe des Variationsumfanges nur ein mangelhaftes und Zufallsfehlern stark ausgesetztes Maß der Variabilität einer Form bilde. Die systematische Litteratur aller Gruppen liefert mehr wie genug Illustrationen hierfür. Es liegt ferner in dem Begriff der Variabilität, der ja in erster Linie ein mathematischer, kein morphologischer ist, dass „größere“, bezw. „geringere“ Variabilität nur eine Ausdrucksform für die größere oder 1) Phil. Transact. Roy. Soc., London 1895, Vol. 186, A.153, p. 343—414; 10 Tafeln. 2) Diese, im nachfolgenden als „Variabilitätsindex“ bezeichnete Größe steht, so lange die Variation dem Gauss’schen Fehler-Gesetz annähernd folgt, zu den beiden übrigen, als Maß der Variation seitens der verschiedenen Autoren benutzten Konstanten in fester Beziehung. So beträgt der sogenannte „wahr- scheinliche Fehler* (Galton’s Quartilwert) &. 0,6745, der „mittlere Fehler“ Lagrange’s —_ En UV, 191N. n Die Berechnung von e gestaltet: sich am bequemsten nach der Formel e- ZV n Z (V-Vm)? — [E (V- Im)? n wo V jede einzelne beobachtete Variante, Vm diejenige bedeutet, welche am häufigsten vorkommt. Der Ausdruck unter dem Wurzelzeichen wird auf diese Weise ganzzahlig [V/-Ym=..— , — 1,0,1,2..]. Duncker, Das Maß der Variabilität. 901 geringere Wahrscheinlichkeit ist, andere Varianten, als die typische, dem Durchschnitt entsprechende, innerhalb einer gegebenen Individuenzahl an- zutreffen. Diese Wahrscheinlichkeit aber ist weit weniger eine Funktion der Anzahl, als der Frequenz atypischer Varianten und sie findet daher ihren zahlenmäßigen Ausdruck keineswegs in dem beobachteten Variations- umfang, sondern, wie die Betrachtung unserer mehrfach erwähnten Formel „2 n Are klar erkennen läßt, in der Größe des Variabilitätsindex e. Je größer derselbe ist, um so seltener werden relativ die typischen, mittleren, und um so häufiger die extremeren, atypischen Varianten, d. h. um so variabler ist das betr. Merkmal. Da somit der beobachtete Variationsumfang Zufallsfehlern stark aus- gesetzt ist und obendrein für die Variabilität eines Merkmals im eben definierten Sinne bedeutungslos bleibt, diese beiden Nachteile aber dem Variabilitätsindex nicht anhaften, so erscheint es ratsam, den letzteren, wo immer eine genügend große Anzahl (einige Hundert) von Beobach- tungen zu seiner Bestimmung vorliegt, entsprechend der statistischen Methode als Maß der Variabilität eines Merkmals anzuwenden. Der Variabilitätsindex hat den weiteren arithmetischen Vorzug, den theoretisch wahrscheinlichen Variationsumfang eines Merkmals (im Sinne B.’s) für jede beliebige Individuenzahl unmittelbar anzugeben. Die zu beobachtenden Varianten müssen naturgemäß unter % Individuen mindestens die Häufigkeit 1 aufweisen. Durch geeignete Umformung erhält man dementsprechend als Grenzwert für + x nach obiger Formel im & cc =eV,2.InY% (Zn bedeutet Logarithmus naturalis). Folglich ist der Variationsumfang U=2ms=2e.e 72m Y= Yo In ( =) eV 27 Der Variationsumfang ist hier somit unabhängig von den Zufällig- keiten der Beobachtung nur durch die bei größeren Beobachtungsreihen praktisch nahezu fehlerfreie Größe &’ bestimmt, und bei dieser Be- stimmung wird zugleich ausgedrückt, dass er teilweise eine Funktion der (sei es untersuchten, sei es existierenden) Individuenzahl ist!). Das allein aber ist eine logische Auffassung von dem Wesen der Variabilität, dass sie einerseits zwar eine der Formengemeinschaft anhaftende Eigenschaft 4) Der Einfluss der Individuenzahl auf den Variationsumfang ergiebt sich aus folgender Ueberlegung: Denkt man sich den Wert Ydurch einen bestimmten Exponenten c vermehrt oder vermindert, so ist ey om r)= uVe. Untersucht man also nach dem ersten noch ein zweites Tausend von Individuen derselben Formengemeinschaft, so erweitert sich der zuerst gefundene Varia- tionsumfang theoretisch nur um das 1,049 fache. 572 Duncker, Das Maß der Variabilität. (ausgedrückt durch den Variabilitätsindex), andererseits aber auch eine Funktion der Individuenzahl dieser Formengemeinschaft darstellt. Gehen wir zu den Befunden B.’s betreffs des Quotienten von Breite zu Höhe der Schale bei Individuen verschiedener Fundorte über, so finden wir dieselben im wesentlichen bestätigt. Während die Mittelwerte -dieser Quotienten keine besonders hervortretende Verschiedenheit an den einzelnen Fundorten erkennen lassen —- im Durchschnitt sind sie etwas größer bei den amerikanischen, als bei den englischen Formen —, ist es auffällig, wie die Variabilitätsindizes sämtlicher (10) amerikanischen Formen die- jenigen der drei englischen überwiegen. Erstere sind somit zweifellos variabler, als letztere, ein Resultat, zu welchem auch B. mittels des Ver- gleichs des Variationsumfanges der verschiedenen Formen gelangte. Wäh- rend jedoch der Variationsumfang in jedem einzelnen Falle einen mehr oder weniger zufälligen Befund bedeutet, ist die Bestätigung durch die Variabilitätsindizes wesentlich zuverlässiger. be- Fund-!) M € Urechn orts-Nr. gef. für nach B. Fundorte: 1000 I—III England Ind. I Tenby, Pembrokeshire, Wales. 90,9640 2,3775 15 15,2 II South Kingardineshire, Scotland 87,8540 2,3381 14 15,0 III Humber-Distrikt 90,5330 2,3024 12 14,8 IV— XIIl Ver. Staaten IV St. River Croix, Maine 91,2097 2,7044 18. 17,1 V Casco Bay, Maine 92,5310. 2.668929 72169 VI Beverley, Mass. 30,6490 2,7615 20 174 VII Nahant, Mass. (felsige Küste) 92,1890...8,0340 "19.4198 VIII Plymouth, Mass. (sandiger Hafen) 90,0860 2,4849 17 15,8 IX Seaconnet, R. J. (wärmeres Wasser felsige Küste) ( "897240 "2,8569" 20 18,0 X Newport, R. J. (ähnlich IX) 89,1750,5 26178718. 16,6 XI Bristol Narrows, R. J. (geringerer Salz- gehalt, als kon. X, a Grund) 90,7710, 2,7511. 18 17,4 XI ibid. (Sand u. Schlamm) 91;0730.12,8276.. 18 17,8 XIII Mündung des Warren River, 92,6864 2,9478 20 18,5 nahe dem vorigen Zum Schluss biete die tabellarische Zusammenstellung der Mittel- werte (M), der Variabilitätsindizes (e) und der beobachteten, sowie der berechneten Variationsumfänge (U) eine vergleichende Uebersicht über die aus B.’s Untersuchungen resultierenden Befunde über das Verhältnis von Schalenbreite zu -Höhe bei den in Betracht kommenden Lokalformen. Am wenigsten variabel in dieser Beziehung sind die Tiere des Humber- Distrikts in England; von den amerikanischen Formen weist die aus 1) Bemerkung: Die Daten für diese Tabelle sind den Diagrammen B.s (Charts I—-XII) entnommen. Für die Mittelwerte der beiden ersten Formen erhalte ich etwas andere Resultate als B. Die untersuchten Individuenzahlen betragen nicht stets genau 1000, sondern bei IV 1001, bei XIII 995. Zukal, Ceratifikation bei Myxomyceten und Myxobakterien. 753 Plymouth (Mass.)!) die niedrigste, die aus Nahant (Mass.) die höchste Variabilität entsprechend ihren Variabilitätsindizes auf. Letzterer Befund weicht etwas von den mittelst Berücksichtigung der Variationsumfänge er- haltenen ab, nach welchen die höchste Variabilität den Formen von Beverley (Mass.), Seaconnet (R. J.) und Warren River eigen wäre. Her- vorzuheben ist endlich, dass die verschiedenartigen Lebensbedingungen, welche an den einzelnen Fundorten herrschen (z. B. felsige, dem See- gang ausgesetzte Küste, steiniger oder weicher Grund, ruhiges abge- schlossenes Wasser, größerer oder geringerer Salzgehalt), soweit B. sie angiebt, in keinem bemerkenswerten Zusammenhang mit der Variabilität der einzelnen Lokalformen zu stehen scheinen. Napoli, Stazione zoologica, 14./4. 98. [71] Die Ceratifikation (Verhornung) bei Myxomyceten und Myxobakterien. Von H. Zukal in Wien. Die nachfolgenden Zeilen sollen auf eine merkwürdige biologische Erscheinung, beziehungsweise auf einen transitorischen Ruhezustand der Myxomyceten und Myxobakterien aufmerksam machen, der meines Wissens nach an keinem Orte in der Litteratur erwähnt worden ist, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil die bezüglichen Objekte von den Forschern als abnormale, krankhafte Gebilde augesehen wurden. Mir selbst ist es ja ähnlich ergangen, bis mich die Thhatsachen zu einer Aenderung meiner ursprünglichen Auffassung zwangen. Bei den Myxomyceten speziell kennt man bis jetzt als transitorische oder Hemmungsbildungen nur die Mikro- eysten, die Makrocysten und die sogenannten Selerotien?). Von diesem soll hier nicht die Rede sein, wir wollen uns vielmehr mit gewissen hornigen und durchscheinenden Gebilden befassen, welche entstehen, wenn Plasmodien und junge, noch in der Anlage begriffene Fruchtkörper von Myxomyceten und Myxobakterien während ihres Entwicklungsprozesses einen großen Wasserverlust erleiden. Ich nenne diese Umwandlung der normalen Plasmodien und Fruchtkörper in hornige Massen: Verhornung oder Ceratifikation. Das erstemal stieß ich auf ceratifizierte Sporangien eines Myxomyceten im Januar 1879 auf einer Exkursion in den Böhmerwald. Dort fand ich nämlich in der Nähe des Plöckensteiner-Sees auf einem alten Baumstumpf die korallen- roten Plasmodien (nebst einer großen Menge reifer Sporangien) von Trichia fallax Pers. An einer Stelle der Rinde standen aber Sporangien derselben Species, die in ihrem ganzen äußeren Aussehen von den nor- 4) Eine Kartenskizze der amerikanischen Fundorte giebt B. auf S. 248 seiner Arbeit. Die Nummerierung der Fundorte in der Schlusstabelle des vor- liegenden Aufsatzes entspricht der von B. angewendeten. 2) Cienkowski, Das Plasmodium. Pringsheim’s Jahresbücher, III. Derselbe, Zur Entwicklungsgeschichte der Myxomyceten. De Bary, Mycetoxoen, 2. Aufl., Leipzig 1864. Stahl, Zur Biologie der Myxomyceten. Bot. Zeitung, 1884, S. 190. Brefeld, Schimmelpilze IV und Dictyostelium. 574 Zukal, Ceratifikation bei Myxomyceten und Myxobakterien. malen wesentlich abwichen. In der Größe und Form glichen sie nur den normalen Individuen, allein sie waren durch und durch in eine rotbraune, durchscheinende Masse verwandelt, ‘welche eine hornartige Konsistenz hatte. Auf den Quer- und Längsschnitten, welche sich in diesem Falle wegen der Ceratifikation ohne künstliche Einbettung und Härtung leicht herstellen lioßen, zeigten sich die Sporangien, Capillitiumfäden, Sporen und die Kammern des Stieles in vollkommen normaler Größe und Lage, aber auf verschiedenen Stufen der Entwicklung. Während aber bei den gewöhnlichen Sporangien die Räume zwischen den Sporen, Capillitium- fäden und der Sporangienwand mit Luft, eventuell mit einer fiüssigen, plasmatischen Masse erfüllt sind, waren dieselben bei den ceratifizirten Individuen mit einer festen homogenen und transparenten Materie aus- gegossen, als ob sie künstlich mit Leim injiziert worden wären. Ueber- dies war auch noch die Sporangienwand etwas dicker und durchscheinender als die normale. Ich hielt damals diese ceratifizierten Sporangien für Missbildungen und für tote Gebilde, doch fiel mir an ihnen die normale Größe und der Mangel jeder Schrumpfung auf und ich gelangte zu dem Schluss, dass bei dem Prozess der Üreatifizierung das Gewicht des ver- loren gegangenen Wassers ungewöhnlich klein gewesen sein muss. Ein andermal fand ich ein creatifiziertes Plasmodium von ZLycogala eptdendron Fr. auf dem Hirnschnitt eines Buchenstumpfes in der Nähe des Klopeiner Sees in Kärnthen. In nächster Nähe der creatifizierten Masse saß übrigens das normale, rosenrote Plasmodium desselben Or- ganismus und bedeckte eine mehr als handgroße Fläche. Ich fixierte an Ort und Stelle das lebende Plasmodium mit Jodalkohol und färbte es zu Hause mit Delafield’schen Hämatoxylin. Bei der Untersuchung fand ich dann eine auffallend dicke, hyaline Hautschicht; dann — als Haupt- masse — die tief blau gefärbten Mikrosomen, vereinzelte violette Zell- kerne und endlich viel größere und sebr schwach gefärbte Plasmamassen mit blauen, körnigen Einschlüssen, die ich für unverschmolzene Amoeben hielt. Genau denselben Bau zeigt auch das creatifizierte Plasmodium, d. h. es zeigte dieselbe dicke, hyaline Hautschicht, dieselben Mikrosomen, dieselben Zellkerne und verschmolzenen Amoeben. Nur waren die Konturen der letzteren sowie häufig auch die Mikrosomen etwas verzerrt. Dagegen war der ganze innere Bau des Plasmodiums, soweit er in der relativen Lage der Mikrosomen, Zellkerne, Amoeben etc. zum Ausdruck kommt, festgehalten worden. Auch äußerlich hatten die creatifizierten Plasmodien die lappigen und strangförmigen Formen der lebenden fest- gehalten, wenn auch mit einer etwas gröberen Konfiguration der Rand- partien. Im Uebrigen waren sie weinrot gefärbt, ziemlich durchscheinend und von hornartiger Festigkeit. Auch damals bin ich durch den Ver- gleich des lebenden Plasmodiums mit dem creatifizierten zu dem Schluss gekommen, dass das lebende Plasmodium von Lycogala nur eine relativ geringe Menge von Betriebswasser besitzt. Sonst hielt ich die verhornten Plasmodien wieder für abgestorbene Gebilde und legte ihnen keinerlei biologische Bedeutung bei. Ich sollte jedoch bald eines Besseren belehrt werden u. z. durch einen anderen Myxomyceten, nämlich durch meine Hymenobolina parasitica!). Die Plasmodien dieses parasitischen 1) Zukal, Ueber 2 neue Myxomyceten. Oesterr. botan, Zeitschrift, 1893, Nr. 3 u. 4. nn ne em Zukal, Ceratifikation bei Myxomyceten und Myxobakterien. 575 Myxomyoceten sitzen auf Flechten z. B. Physcia pulverulenta und Xanthoria parietina und fressen nach und nach rundliche Löcher in den 'I'hallus derselben. Bei eintretender Trockenheit ceratifizieren die reiferen Plasmodien fast regelmäßig und bilden dann rötliche, durch- scheinende, hornige Kügelchen von 0,2—1 mm Durchmesser. Bei feuchten Wetter werden sie wieder flüssig und fressen weiter. In diesem Falle stellt also die Veratifikation einen ganz normalen Vorgang vor, der gut mit anderen Hemmungsbildungen z. B. den Selerotien!) in Parallele gesetzt werden kann. Sie muss als eine Anpassung aufgefaßt werden, welche in diesem Falle zu dem Zweck erworben worden ist, um die Plasmodien über die Zeiten völliger Aus- troeknung hinüber zu bringen. Die ceratifizierten Plasmodien von Hymeno- bolina zeigen übrigens wieder einen ähnlichen Bau wie die flüssigen. Die Bausteine sind dieselben geblieben, ja sie sind sogar jeder an seiner alten Stelle gelassen worden, nur das Bindemittel zwischen den Bau- steinen hat sich verwandelt, nämlich aus einem flüssigen Plasma in eine hornige, feste Substanz. Ein 4. Fall von Ceratifikation bei Myxomyceten bezieht sich auf die Trichia varıa Pers. Ich fand diesen Organismus auf dem bemoosten Stamm einer alten, lebenden Weide am Rande einer überschwemmten Praterau im Spätsommer 1896. Neben den normal entwickelten Sporangien bemerkte ich auch zahlreiche ceratifizierte Individuen. Da ich begierig war, zu erfahren, ob sich die ceratifizierten Sporangien weiter entwickeln würden, so markierte ich 24 verhornte Trechra-Sporangien an Ort und Stelle mit Nadeln. Eine größere Anzahl anderer Individuen nahm ich mit nach Hause. Die nähere Untersuchung ergab, dass sich die ver- hornten Sporangien der Treichta varia ganz ähnlich verhielten, wie die in gleicher Weise ceratifizierten von Trichia fallax. Die Sporen- und Capillitiumfäden waren nämlich auch hier bei den verschiedenen Indivi- duen auf verschiedenen Stufen der Entwicklung, zeigten sich aber immer durch eine feste, homogene Zwischensubstanz lückenlos mit einander ver- bunden. Bei einigen Individuen war die Ceratifikation nicht durch und durchgedrungen, sondern beschränkte sich nur auf den äußeren Mantel der Sporangien. Der innere Kern derselben war weicher, orangerot gefärbt und zeigte die Konsistenz einer steifen Salbe. Um die Umwandlung der ceratifizierten Sporangien in die normalen und deren Weiterentwicklung bis zur Sporenreife zu verfolgen, brachte ich ein, mit ceratifizierter Trichra varia reich besetztes Rindenstück in eine große Koch’sche Schale und hielt dasselbe feucht. Schon am nächsten Tage hatten fast sämtliche Sporangien das hornige, transparente Aussehen verloren und dafür das der gewöhnlichen, halbreifen Sporangien angenommen. Allein eine Weiter- entwicklung unterblieb; denn sämtliche auf dem Rindenstück befindlichen Trichia-Sporangien wurden von einem Schimmelpilz (Vertieıluum) be- 4) Ich habe in der sub 2 zitierten Arbeit die ceratifizierten Plasmodien von Hymenobolina „Sklerotien* genannt und dabei nur an ihr biologisches Ver- halten gedacht. Da aber der Terminus „Sklerotium“ bei den Myxomyceten für ein ganz anderes Gebilde mit zelligen Bau in Verwendung steht, so werde ich von nun an, um Missverständnisse zu vermeiden, das in Frage stehende Objekt „eeratifiziertes Plasmodium“ nennen. 576 Zukal, Ceratifikation bei Myxomyceten und Myxobakterien. fallen und gingen zugrunde. Inzwischen war Regenwetter eingetreten, welches mich an dem Besuch der mit Trichia besetzten Weide im Prater verhinderte. Als ich den Baum nach ca. 14 Tagen doch besuchte, hatten sich von den 24 mit Nadeln markierten, ceratifizierten Trechia-Sporangien 17 in ganz normale Fruchtkörper verwandelt, die übrigen jedoch trugen dasselbe Aussehen zur Schau wie zu dem Zeitpunkte der Markierung. Durch diese Beobachtung wurde festgestellt, dass nicht nur die Ceratifikation der Plasmodien, sondern auch die der Sporangien die biologische Bedeutung eines transitorischen Ruhezustandes gewinnen kann. myceten, sondern auch bei den Myxobakterien !) auf. Die Myxobakterien sind bekanntlich Organismen, welche sich während ihrer vegetativen Lebens- periode wenig oder gar nicht von den gewöhnlichen Bakterien unter- scheiden, die aber zu einer gewissen Zeit eigentümliche Cysten von ganz bestimmter Form bilden. Außer diesen Oysten können noch eigene Cysten- träger und zwar sowohl einfache, als auch verzweigte entwickelt werden, welche erst auf den Spitzen der letzten Zweige eine größere Anzahl Cysten — von sporenförmigen Aussehen — tragen. Dadurch können Gebilde entstehen, welche lebhaft an gewisse Schimmelpilze erinnern und die auch thatsächlich als solche von den älteren Beobachtern beschrieben worden sind. Die Frage, ob die Myxobakterien zur Zeit der Cysten- bildung von einem leblosen Schleim oder von einem belebten Plasmodium eingehüllt sind, halte ich noch für ungelöst?), auch interessiert uns die- selbe hier nicht weiter. Dagegen muss erwähnt werden, dass bei einem der größten Myxobakterien, dem Ohondromyces erocatus Beil., Cerati- fikation auftritt und zwar in einer doppelten Form, nämlich in der von kleinen Körnern und in der von winzigen, verzweigten, hirschgeweih- artigen, hornigen Gebilden. Die Körner haben gewöhnlich unregelmäßig rundliche Umrisse, eine rote Färbung, hornartige Konsistenz und einem Durchmesser von 0'1-—-1'2 mm. Eine Rinde besitzen sie nicht, sondern sind durch und durch gleichartig und an der dünneren Stelle durch- scheinend. Auf dem Schnitte zeigen sie eine feinstreifige, beziehungsweise 1) R. Thaxter, Contributions from the Cryptogamie Laboratory of Har- vard University, XVII. On the Myxobacteriaceae, a new order of Schizomy- cetes. Botanical Gazette, Vol. XVII, 1892 und Further Observations of the Myxobacteriaceae. Botanical Gazette, Vol. XXIII, 1897. H. Zukal, Mysobotrys variabilis Zuk., als Repräsentant einer neuen Myxomyceten-Ordnung. Berichte der deutsch. bot. Gesellsch., 1896, S. 340. Notiz zu meiner Mitteilung über Myxobotrys variabilis. Ibidem 1897, Seite 17. Ueber die Myxobakterien. Ibidem 1897, S. 542. 2) Zu gewissen Zeiten haben nämlich die schleimigen Massen der Myxo- bakterien ein Plasmodium-artiges Aussehen und die einzelnen Bakterien können undeutlich werden. Ein andermal dominieren die Bakterien wieder so bedeu- tend, dass man eine gewöhnliche Zoogloea vor sich zu haben glaubt; die mikro- chemischen Reaktionen und Färbungen geben ebenfalls keine einwandsfreien Resultate. Zukal, Ceratifikation bei Myxomyceten und Myxobakterien. 577 eine fibrilläre Struktur, weil die eingeschlossenen Stäbchen parallel liegen. Ich erzog aus diesen Körnchen in Rindendecoct auf Glasplatten den nor- malen Chondromyces. Die Körnchen entsprechen offenbar einer Ent- wicklungsstufe, in welcher sich die vegetativen Stäbchen bereits auf einen Haufen versammelt haben, um dann zur Cystenbildung zu schreiten. Die 2. Form der Ceratifikation dieses Organismus besteht in rötlichen, eleganten, hornartig durchscheinenden und geweihartig verzweigten Gebilden von 1—2 mm Höhe, welche offenbar den verzweigten Trägern der Ühondro- myces, unmittelbar vor der Cystenbildung entsprechen. Auch aus diesen Gebilden, die ich übrigens ungestört auf ihrem Substrate — einer Baum- rinde — beließ, erzog ich reifen Chondromyces. Einen weiteren Fall von Ceratifikation bei Myxobakterien beobachtete ich bei meinen Myxococeus macrosporus!). Hier scheint die Ceratifi- kation ein ganz normaler Vorgang zu sein, der eintritt, wenn das Sporen- häufchen vor der Schwarm rasch austrocknet. Der ceratifizierte Mecro- eoceus bildet winzige, rötliche bis bernsteingelbe, durchscheinende Körn- chen von 0°1—0°5 mm Durchmesser und fast kugeliger Form. Mit ihrem Basalteile stecken die Körnchen gewöhnlich noch im Substrate. Auf dem Schnitte zeigen die Sporen, bei jüngeren Exemplaren eventuell auch der Stäbchen, noch die reihenförmige Anordnung. Bringt man diese Körn- chen in eine Nährlösung, z. B. Rinden- und Flechtendekokt, so lassen sie sich weiter kultivieren. Wie lang solche ceratifizierte Myxobakterien ihre Lebensfähigkeit bewahren, darüber fehlt noch jede Erfahrung. Mir gelang die Wieder- belebung an einem Exemplar, das über !/, Jahr auf dem trockenen Sub- strate in einer Schachtel aufbewahrt worden war. Der ganze Prozess der Ceratifikation mit der nachfolgenden Auf- weichung und ungestörten Fortentwicklung erinnert etwas an das Weiter- wachsen eines Krystalles, der aus der Mutterlauge genommen wurde und nach einiger Zeit wieder in dieselbe gebracht worden ist. Diese Aehn- lichkeit bezieht sich allerdings nur auf den Modus der Aggregation der fertigen Bausteine, denn das Wachstum der organischen Substanz hat sonst mit dem Wachstum eines Krystalles wenig Gemeinsames, dies gilt insbesondere für die Entstehung der Moleküle bezw. der Plasomen. Bei der Krystallisation entstehen die Moleküle neu, nach den einfachen Gesetz der Affinität und lagern sich dann in bloßer Apposition aneinander. In der lebenden Substanz entstehen die Plasome möglicherweise durch Tei- lung und das Wachstum selbst ist ein höchst komplizierter Prozess, bei welchem gewöhnlich Dissimilation und Assimilation gleichzeitig thätig sind. Fortwährend werden, wahrscheinlich infolge der höheren intermolekulären Wärme, aus der organischen Substanz gewisse Atome abgespalten und andere wieder aufgenommen (Atmung und Ernährung). Aus diesen kon- tinuierlichen Vorgängen der Dissimilation und Assimilation schließen wir mit Recht auf einen labilen Gleichgewichtszustand der gesamten lebenden Materie und bringen denselben im Gegensatz zu dem stabilen Gleich- gewicht der unbelebten Substanz. Die organische Substanz vieler keim- 4) Beschrieben in der Arbeit: Ueber die Myxobakterien. Berichte der deutsch. bot: Gesellsch., 1897, S. 542. XVII, By 578 Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. fähiger Samen, sowie der eingetrockneten Rotatorien- und Bärentierchen, zeigt, wie die neuesten Untersuchungen unwiederleglich beweisen, einen hohen Grad von Stabilität. Genau dasselbe gilt für die ceratifizierten Plasmamassen der Myxomyceten und Myxobakterien. Diese Stabilität dauert aber nur so lange, als das Betriebswasser fehlt; so lange sind diese Körper nämlich scheinbar tot, d. h. sie atmen nicht und assimilieren nicht. Sobald aber das Wasser in hinreichender Menge und in einer passenden Form zugeführt wird, tritt sofort wieder die allgemeine Labilität der lebenden Substanz zutage. Die T’hatsachen der Ceratifikation sind auch in Bezug auf die Frage interessant, ob die lebende Substanz als eine Flüssigkeit, oder als eine echte Lösung oder als eine Scheinlösung aufzufassen sei. Der Verfasser eines Buches, dessen Lektüre mir einen großen Genuss und vielfache Anregung bereitete, nämlich Ver- worn, erklärt die lebende Substanz für eine Flüssigkeit. Es kommt mir jedoch vor, dass die thatsächlich vorliegenden Erscheinungen nur das Zugeständnis apodiktisch erheischen, dass die Teilchen der lebenden Sub- stanz leicht verschiebbar aneinander gelagert sein müssen. 168] Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. Von E. Wasmann S. J. (Exaeten bei Roermond). Es sind bisher bereits sehr verschiedenartige Ansichten über das psychische Leben der Ameisen ausgesprochen worden. Einerseits sind die Lebensäußerungen der Ameisen von manchen modernen Tierpsychologen wie L. Büchner, G. J. Romanes, W. Marshall u. s. w. zu sehr ver- menschlicht worden, indem sie diesen Tieren einen hohen Grad von menschen- ähnlicher Intelligenz zuschrieben. Diesem Extreme waren bereits mehrere Ameisenforscher, wie Forel und Lubbock, teils direkt teils indirekt ent- gegengetreten, da sie auf Grund ihrer Beobachtungen zu weit gemäßigteren Schlüssen gelangten. Ich hatte mich ebenfalls schon in drei größeren Schrif- ten!) mit der vorgeblichen hohen Intelligenz der Ameisen beschäftigt und war zu dem Resultate gelangt, dass die psychischen Lebensäußerungen der Ameisen sich aus deren Instinkten sowie aus der Modifikation der- selben durch den Einfluss der sinnlichen Wahrnehmung des Individuums in befriedigender Weise erklären lassen. Allerdings war dabei, nament- lich in letzterer Schrift (1897, 2), auch gezeigt worden, dass wir bei den höheren Tieren ebenfalls keine „Tierintelligenz“ anzunehmen brauchen; dieser Beweis hat zwar auf mancher Seite keinen Beifall gefunden, ist aber nicht widerlegt worden. Neuerdings hat nun A. Bethe in einer interessanten Schrift: „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zu- 1) 1891. Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen. Münster i. W. 1897, 1. Instinkt und Intelligenz im Tierreich. Freiburg i. B. 1897, 2. Vergleichende Studien über das Seelenleben der Ameisen und der höheren Tiere, Freiburg i. B. Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. 579 sehreiben“ !) den Versuch gemacht, die Ameisen und Bienen für bloße „Reflexmaschinen“ zu erklären, die nicht bloß keine Intelligenz, son- dern nicht einmal das Vermögen der sinnlichen Empfindung und Wahr- nehmung besitzen sollen. Da Herr Bethe sich in seiner Arbeit wieder- holt auf mich berufen hat und da es andererseits nur bei genauer Kenntnis des Ameisenlebens möglich ist, den wirklichen Wert der Bethe’schen Arbeit zu beurteilen, so halte ich es für nützlich, hier ein Referat über dieselbe zu geben. Eine ausführlichere Behandlung der Frage, ob die Ameisen bloße Reflexmaschinen sind, wird demnächst in einer größeren Schrift „Die psychischen Eähigkeiten der Ameisen“ zugleich mit vielen neuen Beobachtungen und Experimenten geboten werden. Ich be- schränke mich für jetzt darauf, mein Urteil über die neue Reflextheorie auf Grund einer sorgfältigen Prüfung derselben kurz zusammenfassen. Auf die Bienen werde ich hiebei nicht eingehen. Man muss bei der Arbeit Bethe’s genau unterscheiden zwischen den Experimenten, welche er über die Ameisen angestellt nnd zwischen den philosophischen Voraussetzungen, von denen er ausgegangen, endlich den Schlussfolgerungen, zu denen er mittels dieser Voraussetzungen gelangt ist. Bethe’s Experimente sind hübsch und sinnreich angestellt worden; aber sie boten zur Lösung der von ihm behandelten biologischen Fragen nur ein relativ bescheidenes Material. Um so nötiger wäre es gewesen, in den Schlussfolgerungen vorsichtig vorzugehen und nicht die eigenen Erfahrungen zum Maßstab für die gesamte Ameisenbiologie zu machen. Dass Bethe mit „voller Skepsis“ dem psychischen Leben der Ameisen gegenüber trat, war ohne Zweifel berechtigt; aber er ist in der Ausübung jener Skepsis wohl etwas zu weit gegangen. Die Grundlage der Bethe’schen Beweisführung lautet „nicht er- lernt, also bloß reflex“. B. erklärt nämlich ausdrücklich (8.19 f.), man dürfe nur dort die einfachen psychischen Qualitäten der Empfindung, Sinneswahrnehmung u. s. w. annehmen, wo dieselben nachweisbar dem Tiere dazu dienen, um zu lernen, d. h. seine Handlungsweise infolge früher gemachter Erfahrungen zu modifizieren. Dieser psychologische Grundsatz ist neu und musste deshalb bewiesen werden. Um den Be- weis zu erbringen, beruft Bethe sich darauf, dass die einfachen psychi- schen Qualitäten der Empfindung, Sinneswahrnehmung u. s. w. „keinen Zweck hätten“, wenn sie nicht zur Modifizierung der Handlungs- weise des Tieres dienten. Hier scheint ein Irrtum vorzuliegen. Der Zweck der einfachen psychischen Qualitäten besteht primär darin, das Tier für die augenblicklichen Lebensbedürfnisse zweckmäßig zu leiten, indem die sinnliche Wahrnehmung und Empfindung ihm das Nützliche angenehm, das Schädliche unangenehm macht und dadurch das Strebe- vermögen des Tieres zu den entsprechenden Handlungen, zur Aufnahme der geeigneten Nahrung, zur Flucht vor dem Feinde u. s. w. determiniert. Dieser primäre Zweck der einfachen psychischen Qualitäten ist sogar bei den höheren Tieren weitaus der wichtigere; der Zweck, für die Zu- kunft Erfahrungen zu sammeln und durch die früheren Erfahrungen zu 4) Separatabdr. a. d. Archiv f. Physiologie, Bd. 70, S. 15—100, mit 2. Taf. Bonn 1898. BR 580 Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. „lernen“, ist selbst für die Lebensbedürfnisse der Hunde und Affen nur ein sekundärer. Hieraus folgt, dass man einem Tiere die einfachen psychischen Qualitäten deswegen noch nicht absprechen dürfe, weil das Tier nicht zu „lernen“ vermöge. Es ist daher ungerechtfertigt, alle jene Thätigkeiten der Tiere, in denen kein solches „Modifizierungsvermögen“ sich klar nachweisen lässt, für bloße Reflexthätigkeiten ohne sinnliche Empfindung und Sinneswahrnehmung auszugeben, wie B. es gethan. Durch den im Verlaufe seiner Studie stets wiederholten Satz: „Diese und diese T'hätigkeit der Ameisen oder der Bienen ist nicht erlernt‘, also ist sie bloße Reflexthätigkeit“ — hat B. das ganze Gebiet der ehemaligen Instinkthandlungen in Reflexthätigkeiten verwandelt. Auf Grund dieses Satzes ist er dazu gelangt, die Ameisen und Bienen, und wie er später (8. 98) noch beifügt, sämtliche Wirbellosen in „bloße Reflexmaschinen“ ohne sinnliche Wahrnehmung und Empfindung zu verwandeln !). Dieses Beweisverfahren kann man nicht als hinreichend begründet anerkennen. Ich gehe nun zu Bethe’s Experimenten über. Dieselben wurden in dem physiologischen Institut der Universität Strassburg angestellt, nach kritisch sorgfältigen Methoden. Wir haben ihnen das wertvolle Ergebnis zu verdanken, dass durch sie namentlich die Abhängigkeit dieser Tiere von bestimmten Geruchseindrücken in überzeugender Weise nach- gewiesen wurde. Von einer wirklich intelligenten Verwertung dieser Ein- drücke von Seiten der Ameise konnte B. ebensowenig bemerken wie ich bei früheren ähnlichen Beobachtungen und Versuchen. Daher stimme ich mit Herrn B, auch insoweit vollkommen überein, dass wir keine „Ameisen- intelligenz“ annehmen dürfen. Aber darin, dass er den Ameisen sogar das Vermögen der einfachen Geruchswahrnehmung nicht zuerkennen will, kann ich selbstverständlich ihm nicht folgen, da dieser Schluss viel zu weit geht. An erster Stelle behandelt er die Frage „Kennen sich die Ameisen eines Nestes untereinander“? Seine diesbezüglichen Versuche be- stätigen den schon von Forel und mir erbrachten Beweis, dass die Ameisen sich nicht „persönlich“ kennen, etwa infolge irgend einer intelligenten „Parole“, sondern dass das gegenseitige Erkennen der Ameisen auf be- stimmten Geruchswahrnehmungen (odeur au contact Forel’s) beruhe. B. setzt nun auf Grund des Satzes „nicht erlernt, also reflex“, statt des Wortes „@eruchswahrnehmung“ das Wort „Chemoreflex“. Er 1) Wenn es sich nur um einen Wortstreit handeln würde, ob man für Instinkt (im alten Sinne) „Reflexthätigkeit“ und für Intelligenz (im modernen Sinne) „psychische Qualitäten“ sagen solle, so würde es nicht nötig gewesen sein, auf diese Frage hier so ausführlich einzugehen. Aber es handelt sich thatsächlich darum, ob es berechtigt sei, den Ameisen jegliche Sinnes- empfindung und Sinneswahrnehmung abzusprechen. Dass Herr B. dies ausdrücklich gethan, war von manchen anderen Recensenten, z. B. von Herrn H. E. Ziegler (Zool. Centralbl., 1898, Nr. 8) ganz übersehen worden. Auch zwischen Ziegler und Bethe besteht nicht bloß eine Meinungsverschieden- heit bezüglich der Ausdrücke, sondern auch bezüglich der sachlichen Erklärung des Ameisenlebens, Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. 581 will aus demselben Grunde den Ameisen nicht „die psychische Qualität des Riechens“ zuschreiben (8. 39). Bethe hat hier zwar durch seine Versuche neues Licht gebracht über den „Geruchsstoff“, welcher als hauptsächliches Erkennungszeichen bei den Ameisen dient; aber dass das „Erkennen“ selber ohne sinnliche Wahrnehmung und Empfindung von Seite der Ameisen vor sich gehe, folgt aus seinen Versuchen nicht. Zu den von B. über diese Frage angestellten, recht sinnreichen Ex- perimenten, bemerke ich im Einzelnen noch Folgendes. Er machte seine Versuche, in dem er verschiedene Ameisenarten zuerst in einem Alkohol- Wasserbade und dann in der Brühe aus zerquetschten Ameisen anderer Arten badete; hierauf werden die Ameisen teils zu ihren eigenen Nestern, teils zu denjenigen der betreffenden fremden Arten gesetzt. Im ersteren Falle wurden die Gebadeten von ihren eigenen Gefährtinnen nicht wieder- erkannt, sondern feindlich angegriffen; im letzteren Falle wurden sie, wie Bethe angiebt, wenigstens in einigen Fällen „als Freunde aufgenommen“. Das Ergebnis der ersteren Versuchsreihe halte ich für richtig. Schon aus früheren Beobachtungen von Forel und mir ist es bekannt, dass Ameisen, die einen starken Fremdgeruch, z. B. durch Bespritzung mit feindlicher Ameisensäure, erhalten haben, von ihren eigenen Gefährtinnen anfangs nicht selten feindlich angegriffen und manchmal sogar, wenn sie diesem Angriffe rasch unterliegen, getötet werden. Dagegen hat B. auf seine letztere Versuchsreihe einen Schluss gegründet, der weiter geht als seine betreffenden Versuche es gestatten. Er berichtet nämlich bei den- selben nichts über das fernere Schicksal der vorgeblich „in Freunde verwandelten Feinde“, sondern begnügt sich mit der Bemerkung, dass sie anfangs nicht angegriffen, sondern ignoriert wurden. Zwischen anfäng- licher Ignorierung und wirklicher Aufnahme der Fremden ist aber noch ein sehr großer Unterschied. Ich habe daher eine Reihe von Versuchen mit dem Bethe’schen Doppelbade angestellt, um zu sehen, ob eine wirk- liche Aufnahme der Fremden unter diesen Bedingungen stattfinde. Das Resultat dieser Versuche (die später eingehend veröffentlicht werden sollen), war ein ausnahmslos negatives. Die Fremden wurden zwar oft minder heftig angegriffen oder einige Sekunden lang sogar gänzlich ignoriert; aber schon nach wenigen Minuten hatten die Ameisen durch Berührung der Fremden mit ihren Fühlern sie als Fremde erkannt, griffen sie an, zerrten sie umher und tödteten sie schließlich. Von wirklicher Aufnahme keine Spur. Bethe hat ferner in diesem Abschnitte die Ansicht ausgesprochen, die friedliche bezw. feindliche Reaktion auf den eigenen bezw. den fremden „Familiengeruchsstoff“ sei den Ameisen angeboren; daher beruhe dies „Erkennen“ auf einem bloßen Chemoreflex. Auch abgesehen von der Un- haltbarkeit der letzteren Schlussfolgerung erweist sich diese Ansicht als irrtümlich. Die betreffende Reaktion ist den Ameisen nicht angeboren, sondern wird von ihnen in den ersten Tagen ihres Imagolebens erst individuell erworben durch die Geruchswahrnehmungen, welche sie in eben dieser Zeit machen, wo ihr Unterscheidungsvermögen für ver- schiedene Gerüche sich entwickelt und auch ihr eigener individueller Ge- ruch (Geruchsstoff), an welchen sie von ihren Gefährtinnen erkannt werden, sich definitiv ausbildet. Den Beweis hiefür liefern die gemischten 589 Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. Kolonien der Raubameisen, welche Arbeiterpuppen einer fremden Art oder selbst vereinzelte junge, ganz frisch entwickelte Ameisen einer fremden Art rauben und in ihrem Räuberneste erziehen. Diese geraubten Ameisen reagieren friedlich auf den Geruchsstoff ihrer fremden Räuber, dagegen feindlich auf den Geruchsstoff der eigenen Schwestern, aus deren Kolonie sie geraubt wurden. Also ist die Reaktion auf den be- treffenden Geruchsstoff nicht angeboren, sondern individuell er- worben. Daher kann man dem am Schlnsse dieses Abschnittes von Herrn Bethe aufgestellten Satze, „dass in der That die verschiedene Reaktion gegen Nestgenossen und Nestfremde auf einem an- geborenen Reflexe beruht“ (8. 44), unmöglich beistimmen. An zweiter Stelle behandelt Bethe die Frage: „Wie finden die Ameisen ihren Weg“? Auch hierüber hat er (an Lasius- und Myrmica-Arten) eine Reihe von hübschen Experimenten angestellt, welche die schon bekannte Thatsache in neuer Weise bestätigen, dass diesen Ameisen eine von ihnen selber oder von ihren Gefährtinnen u. s. w. hinterlassene Geruchsspur als Wegweiser diene. Er macht auch mit Recht darauf aufmerksam, dass es „ein flüchtiger chemischer Stoff“ sein müsse, welcher bei den Lastus-Arten diesen Dienst versieht. Aber bereits die Ausdehnung dieser Schlussfolgerung auf sämtliche Ameisenarten, wie B. sie ($. 62) unternimmt, ist eine zu weit gehende Verallgemeinerung. Denn viele Ameisen, z. B. die meisten Formica-Arten und Polyergus rufescens verhalten sich beim Verfolgen ihres Weges und bei einer künst- lichen Unterbrechung ihrer Geruchsfährte ganz anders als die Lasius; sie lassen sich durch jene Unterbrechung in der Fortsetzung ihres Weges nicht stören und erweisen sich überhaupt viel weniger abhängig von der sklavischen Verfolgung einer Geruchsfährte als die Lasius. Von besonderem Interesse sind die Versuche, welche Bethe mit Lastus niger und emargenatus angestellt hat über die Frage, wie diese Ameisen die Richtung der Fährte (vom Neste fort oder zum Neste hin) zu unterscheiden vermögen. Die Folgerung, welche er aus seinen recht hübschen und sinnreich angestellten Drehungsexperimenten zieht, lautet: Die Ameisen hinterlassen auf ihrem Wege eine polarisierte chemische Spur, welche ihnen die Richtung des Weges anzeigt. — Die anscheinende Einfachheit dieses genialen Erklärungsversuches ist in der That anfangs überraschend. Wenn man jedoch die betreffenden Thatsachen näher prüft, ergiebt sich Folgendes: Wir brauchen weder bei denjenigen höheren Tieren, welche hauptsächlich durch den Geruchs- sinn bei der Verfolgung einer Fährte geleitet werden (Jagd- hund), noch auch bei den Ameisen eine polarisierte chemische Spur anzunehmen, um zu erklären, wie die Tiere die Richtung der Fährte wahrnehmen. Die betreffenden Thatsachen lösen sich viel einfacher ohne die Annahme jener geheimnissvollen „Polarisierung der Geruchsteilchen“, die der Fährte anhaften. Denn die entgegengesetzte Richtung der Fährte ist mit einer entgegen- gesetzten Form der Fährte naturgemäß verbunden, weil eben die Füße des Tieres, welches jenen Weg gegangen ist, die entgegengesetzte Stellung hatten. Mit der verschiedenen Form der Fährte ist aber auch eo ipso eine verschiedene Anordnung der Geruchsteilchen ver Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. 583 bunden, welche vom Geruchssinn des die Fährte verfolgenden Tieres wahr- genommen werden kann. Daher brauchen wir gar keine neue Erfindung zur Erklärung der 'T'hatsachen. Die Polarisationshypothese ist überflüssig, weil dasjenige, was sie erklären soll, bereits durch die „Geruchsform“ der Fährte einfacher und naturgemäßer erklärt wird, Ueberdies führt die Annahme einer Polarisation der Geruchsteilchen der Fährte zu Folgerungen, die mit bereits bekannten Thatsachen im Widerspruche stehen. Die hauptsächlichste dieser Folgerungen ist, wie B. selber zugiebt, dass eine Ameise nicht dieselbe Geruchsfährte, welche sie auf dem Hinweg hinter- lassen hat, für den Rückweg benutzen könne, obwohl sie es trotzdem nach Bethe’s eigenen Versuchen (S. 47) thut. Ferner müsste sie, wenn sie es dennoch thut, die Polarasition dadurch aufheben und in die umgekehrte verwandeln, so dass weder sie selbst noch eine andere Ameise den ersten Hinweg zum zweitenmal benutzen könnte, was die Ameisen aber dennoch zu thun pflegen. Diese unhaltbaren Schlussfolgerungen führten Herrn B. weiterhin sogar dazu, dass er behauptete (S. 61), die Ameisen könnten überhaupt nicht dieselbe Geruchsspur für den Hinweg und für den Rückweg benutzen. Die einzige Beobachtung, welche er als entscheidend hierfür anführt, bietet jedoch keinen Beweis für diese neue 'These; denn sie erklärt sich befriedigend daraus, dass die Ameisen (Lasvus emargeinatus) mittelst ihrer Fühler eine alte Hinfährte von einer neuen Rückfährte zu unterscheiden vermögen; da sie gewöhnt waren, auf ihrem Hinweg die erstere zu benutzen, suchten sie nach derselben und bildeten, als sie diese nicht fanden, eine neue Hinfährte in der Nähe der neuen Rückfährte. Dass jedoch diese Ameisen eine Rückfährte absolut nicht als Hinweg benutzen können, infolge irgend einer „reflektorischen Nötigung“, das folgt aus jener Beobachtung noch lange nicht. Bethe glaubt, in diesem Abschnitte bewiesen zu haben, sämtliche Ameisenarten fänden ihren Weg durch bloße Chemoreflexe, denen sie ohne jede Empfindung und Sinneswahrnehmung rein mechanisch folgen „wie die blecherne Ente dem Magneten“ (Bethe S.50). Er sagt am Schlusse nochmals (S. 63): „Kurz, das Finden des Weges beruht bei den Ameisen nicht auf einem psychischen Prozess. Es ist vielmehr ein komplizierter, aber analysierbarer Reflex- mechanismus.“ Diese weittragende Schlussfolgerung ist aus folgenden Gründen verfehlt: Erstens, weil die von Bethe angenommene „Polarisation“ der Geruchsfährte, welcher die Ameisen rein reflektorisch folgen sollen, gar nicht existiert. Zweitens, weil viele Ameisenarten für das Finden ihres Weges überhaupt nicht an die sklavische Verfolgung einer Geruchs- fährte gebunden sind wie die Lasius. Drittens, weil selbst bei den Lasius der vorgebliche „komplizierte, aber analysierbare Reflexmechanis- mus“ psychische Elemente enthält, welche von Bethe übersehen worden sind. Ohne die Annahme eines sinnlichen Wahrnehmungs- und Strebe- vermögens kommen wir auch hier, wie anderswo im Leben der Ameisen, nicht aus. B. hat es zwar versucht, wenigstens eine der einschlägigen Er- scheinungen durch seine Reflextheorie zu erklären (S. 63). Es handelte sich hiebei um die Lösung der Frage, weshalb Ameisen, die irgendwo 584 Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. etwas gefunden haben, mit dem Funde belastet nach Hause zurückkehren, während andere unbelastet vom Neste zu der betreffenden Fundstelle hin- gehen. Bethe erklärt diese Erscheinung durch die folgenden (gesperrt gedruckten) Sätze: „Das was die Tiere unter gewöhnlichen Ver- hältnissen veranlasst, der einen oder der anderen Spur zu folgen, ist offenbar die Belastung und der Mangel der Be- lastung. Belastung löst reflektorisch Gang zum Nest hin, Mangel an Belastung Gang vom Nest fort aus.“ Von diesen zwei Sätzen ist der erste zwar richtig, beweist jedoch nichts für eine Reflextheorie; denn „Veranlassung“ ist nicht gleichbedeutend mit einer wirklichen Ursache. Der zweite Satz würde zwar, wenn er bewiesen wäre, einen sicheren Beweis dafür enthalten, dass die Ameisen bloße Reflexmaschinen seien; aber er ist weder hier noch anderswo bewiesen worden. Dass die Belastung bezw. Nichtbelastung rein reflektorisch den Gang zum Nest hin bezw. vom Neste fort auslöse, ist eine irrtüm- liche Behauptung; denn es besteht gar kein notwendiger physiolo- gischer Zusammenhang zwischen Belastung und Heimgehen, Nicht- belastung und Fortgehen. Eine unbelastete Ameise kann, wenn sie außen nichts gefunden hat, ebensogut unbelastet zum Neste zurück- kehren, wie eine andere, die etwas gefunden hat, belastet dorthin zurückkehrt; und eine belastete Ameise kann, wenn es etwas aus dem Neste herauszutragen giebt, ebensogut belastet das Nest verlassen wie eine andere unbelastet hinausgehen kann. Daher scheint es mir, dass gerade dieser Versuch, den B. hier gemacht hat, um seine Reflextheorie zu begründen, in Wirklichkeit zur Widerlegnng jener Theorie gereicht. An dritter Stelle behandelt Bethe die Frage: Besitzen die Ameisen Mitteilungsvermögen? Er hat, wie er (8. 47 und 63) sagt, bei seinen Versuchen über die Art und Weise, wie die Ameisen den Weg zum Futter finden, nichts von einer Fühlermitteilung zwischen den sich begegnenden Ameisen gesehen. In einigen Fällen konnte er sogar mit Sicherheit konstatieren, dass eine Ameise unabhängig von irgend einer solchen Mitteilung den Weg zum Futter fand. Aus letzterem Umstande schließt er mit Recht, dass eine Mitteilung zum Zwecke des Futterfindens nicht notwendig stattzufinden brauche. Er ist jedoch nicht bei dieser Schlussfolgerung geblieben, sondern dazu übergegangen, die Existenz eines Mitteilungsvermögens der Ameisen über- haupt in Abrede zu stellen. Nur für die Beutezüge der Raubameisen will er wenigstens die Möglichkeit einer gegenseitigen Mitteilung zwischen den Raubameisen zugeben. Diese negative Schlussfolgerung ist durchaus unberechtigt; kein - sründlicher Beobachter des Ameisenlebens wird Herrn Bethe hier bei- stimmen können. Dass nicht bloß bei den „Sklavenjagden“ der Raub- ameisen, sondern auch bei sehr vielen anderen Gelegenheiten eine gegen- seitige „Mitteilung“ zwischen den Ameisen stattfinde, indem sie durch Fühlerschläge ihre Empfindungszustände auf einander übertragen und dadurch andere zur Nachfolge bei der betreffenden Thätigkeit anregen, das ist ein durch die Beobachtungen sämtlicher Ameisenforscher dieses Jahr- hunderts festgestelltes Ergebnis. Dadurch dass B. dasselbe in Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. 585 Zweifel zieht, hat unsere biologische Ameisenkunde keinen Fortschritt gemacht. Er beruft sich für die Leugnung des Mitteilungsvermögens der Ameisen auf Lubbocks Versuche: „Aus den vielen Versuchen, die Lubbock zur Prüfung des Mitteilungsvermögens angestellt hat, geht hervor, dass etwas derartiges nicht existiert“ (8. 64). Leider scheint Herr Bethe von den 20 Seiten, auf denen Lubbock in seinem Buche „Ameisen, Bienen und Wespen“ (Leipzig 1883 Kap. 7) die betreffenden Ex- perimente mitteilt, gerade die letzten 7 Seiten nicht gelesen zu haben, auf denen die positiv beweisenden Versuche sich finden. Nur daraus ist es begreiflich, dass er bloß jene Versuche Lubbocks erwähnt, welche ein negatives oder doch nur ein zweifelhaft positives Ergebnis hatten. Seine Angabe, aus Lubbocks Versuchen gehe hervor, dass kein Mit- teillungsvermögen der Ameisen existiere, kann nur auf einem Versehen beruhen. Ich finde keinen Grund, weshalb die positiven Ergebnisse, welche Lubbock auf den erwähnten sieben Seiten (S. 147—152) anführt, un- glaubwürdig sein sollten. Dass Lubbock das Mitteilungsvermögen der Ameisen für einen Beweis der „Intelligenz“ dieser Tiere hält, scheint mir allerdings nicht gerechtfertigt, weil die betreffenden Thatsachen durch das sinnliche Erkenntnis- und Strebevermögen der Tiere befriedigend er- klärlich sind. Aber deshalb an der Richtigkeit der betreffenden Be- obachtungen zu zweifeln, ist mir nicht möglich, zumal ich Lubbock’s positive Ergebnisse durch meine eigenen Erfahrungen bestätigt fand. Mehrere neue Beobachtungen, welche das wirkliche Mitteilungsvermögen der Ameisen außer Zweifel stellen, werden nächstens in einer größeren Arbeit eingehend berichtet werden. Die Existenz eines Mitteilungsver- mögens der Ameisen, nicht bloß bei den Beutezügen der Raubameisen, sondern auch bei vielen anderen ihrer Thätigkeiten, ist eine unbestreit- bare biologische 'Thatsache, die sich allerdings mit der Ansicht, dass die Ameisen bloße Reflexmaschinen seien, nicht vereinbaren lässt. Es ist daher selbstverständlich, dass man den folgenden (durch Sperr- druck S. 65 von Bethe hervorgehobenen) Satz nicht als richtig an- erkennen kann: „Wir sehen also, dass die Ameisen, soweit es sich um die Besorgung von Futter und Anderem handelt, nachweislich ein Mitteilungsvermögen nicht besitzen, sondern nur normalen, physiologischen Reizen reflektorisch folgen.“ Darin hat Bethe recht, dass das Mitteilungsvermögen der Ameisen sich nicht so oft und namentlich nicht immer in so klarer Weise äußert, wie es in manchen populärwissenschaftlichen Schilderungeu des Ameisenlebens gedruckt steht. Selbst einen geübten Experimentator begegnet es häufig, dass gerade dann, wenn er einen Versuch über das Mitteilungsvermögen der Ameisen zu eben diesem Zwecke anstellt, nichts sich ergiebt, was sich mit Sicherheit als auf wirklicher Mitteilung beruhend deuten lässt. Andererseits hat er aber nicht selten gerade dann Gelegenheit, unzweifel- hafte Aeußerungen jenes Mitteilungsvermögens zu konstatieren, wenn er es bei dem betreffenden Experimente, das vielleicht zu einem ganz anderen Zwecke angestellt wurde, gar nicht speziell beabsichtigt hatte. Wären die Ameisen bloße Reflexmaschinen, so würde es wohl leichter sein, mit 586 Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. ihnen zu experimentieren. Aber das sind sie eben nicht. Es steckt in ihnen ein psychischer Faktor, ihre sinnliche Wahrnehmung und die mannigfaltigen subjektiven Empfindungszustände des Individuums; mit diesem Faktor muss man rechnen, wenn man das Ameisenleben, wie es in Wirklichkeit sich äußert, befriedigend erklären will. Das letzte Kapitel der Bethe’schen Schrift, soweit dieselbe mit den Ameisen sich beschäftigt, lautet: „Weisen andere Verrichtungen der Ameisen auf den Besitz psychischer Qualitäten hin?“ B. erwähnt hier zuerst (S. 66) die von Lubbock und mir über die Intelligenz der Ameisen angestellten Versuche, welche ein negatives Resultat ergeben hatten. Einen dieser Versuche hat er selber in neuer, recht sinnreicher Form wiederholt und gelangte dabei zu demselben Er- gebnisse wie ich, dass nämlich den Ameisen das Vermögen fehlt, aus früheren Erfahrungen auf neue Verhältnisse zu schließen. DB. begnügt sich jedoch nicht mit dieser richtigen Folgerung; er will den Ameisen überdies sämtliche psychische Qualitäten, auch die einfache Sinnes- wahrnehmung und sinnliche Empfindung aberkennen. Diese Folgerung geht offenbar viel zu weit. Daher kann B. sich nicht auf meine Beobachtungen und Versuche zur Stütze seiner neuen Reflextheorie berufen. Sodann wendet sich B. gegen das von mir in meinen früheren Schriften nachgewiesene „sinnliche Erkenntnis- und Begehrungs- vermögen“ der Ameisen. Er erklärt, er halte meine dafür vorgebrachten Gründe „für absolut nicht zwingend.“ Von allen den zahlreichen thatsäch- lichen Belegen, die ich für meine Ansicht angeführt hatte, erwähnt B. sodann nur zwei und sucht dieselben in fünf Zeilen zu widerlegen. Nichts liegt mir ferner, als Jemanden zur Annahme von Beweisen zwingen zu wollen, die er als nicht stichhaltig darzulegen vermag. Dasselbe Recht muss man naürlich auch der neuen Reflextheorie Bethe’s gegenüber wahren; dieselbe kann nur insoweit auf Anerkennung rechnen, als die von ihm erbrachten Beweise zur positiven Begründung seiner Theorie und zur Widerlegung der Gegengründe ausreichen. B. widerlegt den von mir aus der Plastizität des Wohnungsbaues der Ameisen und aus dem Zahlenverhältnis zwischen „Herren“ und „Sklaven“ bei Formica sangwinea für das sinnliche Erkenntnis- und Strebevermögen dieser Tiere geschöpften Beweis folgendermaßen: „Die Plastizität, soweit sie sich auf den Wohnungsbau bezieht, ist angeboren, und die Korrelation in der Zahl der Herren und Sklaven wird man eben- sowenig auf psychische Prozesse zurückführen dürfen, wie die Korrelation in der Zahl der Mäuse zu der der Bussarde, oder der Nonnen zu der der Kuckucke.“ Wenn man diese „Widerlegung“ genauer prüft, ergiebt sich Folgendes. ; Die Plastizität des Wohnungsbaues ist den Ameisen nur insofern angeboren, als sie das Vermögen besitzen, je nach der Verschiedenheit der Umstände ihren Wohnungsbau mannigfach zu modifizieren und wechselnden Verhältnissen zweckmäßig anzupassen. Die Ausübung jener angeborenen Plastizität erfolgt unter dem Einflusse der verschiedenen sinnlichen Wahrnehmungen, welche unter den jeweiligen Verhältnissen auf die betreffenden Individuen einwirken. Was den Ameisen angeboren ist, ist daher nicht die aktuelle Plastizität, sondern bloß die Wasmann, Eine neue Reflextheorie des Ameisenlebens. 587 potentielle Plastizität des Wohnungsbaues. Daraus aber, dass die potentielle Plastizität irgend eines Vermögens angeboren ist, folgt nicht im mindesten, dass die aktuelle Ausübung desselben auf „einfachen physiologischen Reflexen“ (Bethe S. 69) beruhen müsse. Auch dem Menschen ist die Plastizität seiner Intelligenz potentiell angeboren; aber wer wollte hieraus schließen, dass deshalb die aktuelle Bethätigung dieser Plastizität eine bloße Reflexthätigkeit sei? Was das Zahlenverhältnis der Herren und Sklaven in den gemischten Kolonien von F. sangwinea anlangt, hat B. leider übersehen, dass hier gerade das entgegengesetzte Zahlenverhältnis besteht als dasjenige ist, welches zwischen den Mäusen und Bussarden, den Nonnen und Kuckucken sich findet. Zwischen der Vermehrung dieser Beutetiere und ihrer Räuber besteht ein gerades Verhältnis, zwischen der relativen Zahl der Herren und Sklaven ein umgekehrtes, indem die stärksten Kolonien von F. sangwinea nicht die grösste, sondern die kleinste relative Sklaven- zahl umschließen. Ich sehe daher nicht ein, was Herr Bethe durch seinen Vergleich mit den Mäusen und PBussarden, den Nonnen und Kuckucken bewiesen haben sollte, wenn nicht das Gegenteil von dem, was er beweisen wollte. „Im Grunde stimmen Wasmann und ich, soweit ich sehe, ziemlich überein, dass nämlich eigentlich keine 'Thatsache vorhanden ist, welche klar erweist, dass die Ameisen über psychische Qualitäten verfügen“ (8.69). Hier liegt ein Missverständnis von Seite meines Herrn Kollegen vor. Es ist mir nicht möglich, „Instinkt“ mit „Reflexthätigkeit“, „Intelligenz“ mit „psychischen Qualitäten“ zu verwechseln; daher ist es mir ebenso un- möglich, die zahlreichen Thatsachen, welche für das psychische Leben der Ameisen sprechen, in bloße Reflexthätigkeiten verwandeln zu lassen. Die für das letztere Verfahren von Herrn Bethe vorgebrachten Beweise kann man mit dem besten Willen nicht als genügend anerkennen. Ich werde daher wohl fortfahren müssen „zu leugnen, dass wir es bei den Ameisen mit reinen Reflexhandlungen zu thun haben.“ Das hat Herr B. ganz richtig vorhergesagt. Aber bezüglich des Grundes, den er mir hie- für unterlegt, ist er im Irrtum. Er sucht ihn in meiner Weltan- schauung; er sagt: „Wasmann kann nicht zur vollkommen unbefangenen Betrachtung der Verhältnisse gelangen, da ihn die vorgefasste Meinung von der Existenz eines Schöpfers daran verhindert“ (8. 16). In Wirklichkeit liegen die Gründe, welche mir Bethe’s neue Reflextheorie unannehmbar machen, nicht in so blauer Ferne; vorliegendes Referat dürfte hierüber die erforderliche Auskunft bereits gegeben haben. Auch von mehreren anderen Seiten ist in letzter Zeit wiederum der Versuch gemacht worden, die Frage über die psychischen Fähigkeiten der Tiere zu einer Frage der „Weltanschauung“ zu erheben. Ich kann das nur bedauern, da es eine Abschweifung vom 'I'hema ist, durch welche man die Kontroverse auf ein anderes Gebiet hinüberzuspielen sucht, wo eine Verständigung von vorneherein erschwert wird. Ob die Ameisen oder sämtliche Tiere bloße Reflexmaschinen sind, oder ob sie auch über psychische Fähigkeiten verfügen, und welches diese Fähigkeiten sind — das sind wissenschaftliche Fragen, die man unabhängig von jeder Weltanschauung erörtern kann. Descartes hat bekanntlich sämmt- 588 Wasmann, Eine neue Refiextheorie des Ameisenlebens. liche Tiere für empfindungslose organische Maschinen erklärt. Ob man als Maschinenbauer und Maschinenlenker einen ' „persönlichen Schöpfer“ oder eine „Allmacht der Naturzüchtung“ sich denkt, kann an dem Urteil über jene Theorie nichts ändern; sie bleibt in sich selber unannehm- bar, indem sie den biologischen Thatsachen nicht gerecht zu werden vermag. Während Bethe dem psychischen Leben der Ameisen, Bienen und sämtlicher Wirbellosen (vgl. S. 98) mit „voller Skepsis“ gegenübertrat, verfährt er gegenüber den psychischen Lebensäußerungen der höheren Tiere in anderer Weise. Er hat ausdrücklich den Satz aufgestellt (S. 69): „Die Ameise bringt alles, was sie im Leben thut, als an- geboren mitzur Welt, derHund undder Affe müssen Alles erst lernen, genau wie der Mensch.“ Beide Teile dieser Behauptung sind übertrieben und wegen dieser Uebertreibung falsch. Dass die höheren Tiere durch ihre sinnliche Erfahrung mehr zu lernen vermögen als die Ameisen, habe ich nie verkannt!). Aber dass die Ameisen nicht Alles angeboren zur Welt bringen, sondern ihre erblichen Instinkte in manchen Punkten durch die individuelle Sinneserfahrung zu modifizieren vermögen, das ist eine bereits sicher nachgewiesene biologische Thatsache, welche B. vergebens zu entkräften versucht hat. Dass die höheren Tiere Alles erst lernen müssen, genau wie der Mensch, bedarf eigentlich keiner weiteren Kritik; denn auch bei den höchsten Säugetieren geht die erbliche Determination zu bestimmten Handlungen und Handlungsweisen noch viel weiter als beim Menschen; obiger Satz enthält daher eine willkürliche Vermenschlichung des Tierlebens. B. hat durch seine Reflextheorie der Wirbellosen eine künstliche Kluft zwischen diesen und den Wirbeltieren eröffnet. Wendet man sein gegen- über den Ameisen eingeschlagenes Beweisverfahren auch auf die höheren Tiere an, so schließt Sich diese Kluft von selber. Wenn man durch den Grundsatz „nicht erlernt, also reflex“ einmal die erblichen Instinkte in „erbliche Reflexe“ verwandelt hat; wenn man ferner durch denselben Satz die einfachen psychischen Qnalitäten der sinnlichen Wahrnehmung und Empfindung in „einfache physiologische Reflexe“ verwandelt hat, so kann dasjenige, was sich aus diesen Elementen zusammensetzt, wiederum nichts weiter sein als „zusammengesetzte Reflexthätigkeit“; das vorgeb- liche „Lernen“ besteht dann bloß darin, dass aus der Verbindung ver- schiedener einfacher Reflexe neue zusammengesetzte Reflexe hervorgehen. Man gebe sich daher keiner Täuschung hin über die Tragweite der neuen Reflextheorie Bethe’s. Wenn man die psychischen Lebensäußerungen der niedersten Wirbel- tiere mit denjenigen der Ameisen vergleicht, so ergiebt sich ebenfalls die Künstlichkeit der von B. zwischen den Wirbellosen und Wirbeltieren eröffneten Kluft; denn das psychische Leben der Ameisen ist viel weniger „automatisch“ als dasjenige der Fische oder der Lurche. Letztere müssten daher, falls man folgerichtig vorangehen will, ebenfalls in empfindungs- 1) Vergl. insbesondere die oben eitierte Schrift, Vergleichende Studien über das Seelenleben der Ameisen, S. 119. Daselbst hätte B. meine wirkliche An- sicht klar ausgesprochen finden können. Cohn, Die willkürliche Bestimmung des Geschlechts. 589 lose Reflexmaschinen verwandelt werden. Daher kann ich die neue Theorie Bethe’s, nach welcher sämtliche Wirbellose und nur die Wirbellosen bloße Reflexmaschinen sein sollen, nicht als sachlich und logisch begründet anerkennen. Ich bin mit Herrn Bethe in dem hauptsächlichen Grundsatze seiner Reflextheorie ganz einverstanden, welcher lautet: je einfacher wir das psychische Leben der Tiere erklären können, desto besser und naturwissenschaftlich annehmbarer ist die be- treffende Erklärung. Sein auf so hübsche Experimente gegründeter Versuch, das psychische Leben der Ameisen in bloße Reflexe auf- zulösen, scheint mir nur deshalb unannehmbar, weil es ihm nicht ge- lungen ist, die Thatsachen des Ameisenlebens durch diese An- nahme befriedigend zu erklären. Gerade die sorgfältige und vor- urteilslose Prüfung der von ihm erbrachten Beweise hat mich in der Ueberzeugung befestigt, dass es unmöglich ist, die Ameisen in bloße Reflexmaschinen zu verwandeln. Die Wahrheit liegt in der Mitte zwischen der einseitigen Vermenschlichung des Tierlebens und dem entgegengesetzten, ebenso einseitigen Extreme. 176] Ludwig Cohn, Die willkürliche Bestimmung des Geschlechts. Würzburg 1898. Stuber’s Verlag. In einer kleinen Broschüre liefert der Verfasser eine Zusammen- stellung und kritische Würdigung der zahlreichen Hypothesen und der wenigen exakten Experimente und 'T'hatsachen, welche über die willkür- liche Bestimmung des Geschlechtes bisher bekannt geworden sind. Interessant ist der Hinweis auf die Thatsache, dass das Problem der willkürlichen Geschlechtsbestimmung für eine ganze Reihe niederer Tiere bereits gelöst ist, indem wir durch Aenderung der Lebensweise bei Crustaceen (Daphniden, Artemia Salina) und bei noch mehr Insekten (Bienen, Schmetterlingen, Gallwespen, Blattläusen) die Erzeugung des gewollten Geschlechts mit Sicherheit erreichen können. Bei den Rotatorien können wir, wie Maupas zeigte, sogar das Geschlecht der Enkelgeneration will- kürlich bestimmen. Ganz anders ist es bei den Wirbeltieren. Hier haben bei Fröschen die Versuche Pflüger’s die Unabhängkeit der Geschlechts- bestimmung von den Variationen der Befruchtung und der embryonalen Ernährung mit einiger Sicherheit dargethan und gezeigt, dass das Sexual- verhältnis in weiten Grenzen allein durch die Rasse bestimmt wird. Es ist nun nicht gerade wahrscheinlich, dass bei den höheren Wirbeltieren eine Bestimmung des Geschlechts durch Nahrungsänderung, wie bei den niederen Tieren, wieder möglich wird. Entschieden zu weitgehend er- scheint dem Referenten die Forderung des Verfassers, dass ein Verfahren zur Bestimmung des Geschlechtes in keinem Fall versagen dürfe, und die Behauptung, dass die Beeinflussung eines der vielen Faktoren, welche das künftige Geschlecht bestimmen, wertlos sei. Wir könnten schon zu- frieden sein, wenn es ein Verfahren gäbe, um die Erzeugung des einen Geschlechtes auch nur zu begünstigen. Leider ist bei dem heutigen Stand der Wissenschaft die Aussicht auf die Erfüllung auch nur der letzten Forderung noch eine sehr zweifelhafte. In einer zweiten vermehrten Auflage, die soeben erscheint, bespricht der Verfasser die unterdessen veröffentlichte Theorie von Schenk und 590 Schäfer, Die Vererbung. weist überzeugend die ungenügende theoretische und experimentelle Be- gründung der neuen Theorie nach. Schenk stützt seine Theorie auf die bisher ganz unbewiesenen Voraussetzungen, dass erstens die minimalen Zuckermengen, welche man gewöhnlich im Urin findet, einen unvollkom- menen Stoffwechsel anzeigen, zweitens ein minder gut genährtes Ei nnr geeignet sei, ein weibliches (also nach Schenk wahrscheinlich unvoll- kommneres) Individuum zu bilden. Zur Stütze dieser kühnen Voraus- setzungen führt Schenk 4 Fälle an, von denen einer ein negatives Resultat gab. Ref. kann dem Verfasser nur beistimmen, welcher sein Urteil über die Schenk’sche „Theorie“ in die Worte zusammenfasst: „Lheoretisch schwebt sie vollkommen in der Luft, da sie von sehr problematischen Prämissen ausgeht. Praktisch ist sie nicht erwiesen, da nur allzuwenige Fälle vorliegen, die nicht einmal alle mit der Theorie übereinstimmen“. F. [81] R. Schäfer, Die Vererbung. Ein Kapitel aus einer zukünftigen psycho-physiologischen Einleitung in die Pädagogik. Berlin 1898. Verlag von Reuter und Reichard. 8. 112 Seiten. Der Verfasser giebt in seiner Broschüre eine fast erschöpfende Ueber- sicht der Litteratur über Vererbung, die besonders in den letzten Jahren einen ganz außerordentlichen Umfang angenommen hat. Die Lektüre kann daher allen empfohlen werden, welche es versuchen wollen, trotz der Flut von 'Theorien, unbeweisbaren Hypothesen und willkürlich auf- gestellten Vererbungsgesetzen sich mit den ganz wenigen sichergestellten Thatsachen der Lehre von der Vererbung bekannt zu machen. Der Versuch des Verfassers unserer Kenntnisse von der Vererbung für die Zwecke des praktischen Unterrichtes verwerten zu wollen, erscheint dem Ref. bei dem rudimentären Zustande dieses Zweiges der Biologie noch verfrüht, so freudig man auch die Verwendung aller gesicherten Erkenntnis der Lehre vom Leben für die Ziele der Pädagogik begrüßen muss. |82] F. Stammbürtige Blüten und Aasfliegen. Uuter dem Titel „Bausteine zu einer Monographie der Convolvulaceen“ veröffentlicht seit einiger Zeit Dr. Hans Hallier im Bulletin de l’Harbier Boissier Ergebnisse von Studien, die er zum größten Teile wohl auf den Sunda-Inseln ausgeführt hat, auch Ergebnisse von solchen in Buitenzorg. Seine Ausführungen dürften auch für Kreise sehr viel Interesse bieten, die sonst sich um Botanik weniger bemüheu. Um nur einen Teil herauszuwählen, nehme ich den mit Nr. 4 bezeichneten vor. „Veber die Gattung Eryeche und die biologische Bedeutung der stammbürtigen Blüten und Früchte“. Ich kann hier nur kurze Angaben machen, obwohl die Zeit zu kommen scheint, wo Pflanzen- und Tierwelt in ihrem Lebenszusammenhange noch ener- gischer aufgefasst werden dürften, wo es sich auch nötig machen wird, selbst Laien und Dilettanten für die Sache zu interessieren. Die systematischen Teile der Abhandlung lasse ich außer Acht. Die biologische Auffassung kommt zum Durchbruch [S. (32) 745] an der Stelle, wo es sich um die Blütenentwicklung handelt; da stellt sich zunächst Trautzsch, Stammbürtige Blüten und Aasfliegen. 591 ein Einfluss der Witterung in dieser Richtung dem Leser dar, welcher wohl! auch für die folgenden Darstellungen von Bedeutung sein könnte, obwohl diese Frage in der Arbeit kaum gestreift wird; dass dabei besonders der Uebergang zur Regenzeit gewählt ist, kann wenigstens darauf hinweisen. Von größtem Interesse erscheinen mir indess die Beziehungen zwischen den stammbürtigen Blüten der behandelten Pflanzen und den „Klein-Insekten“, hauptsächlich „Dipteren“, wie sie der Verfasser schildert. Hallier geht dabei aus von der Stammbürtigkeit, der Entwicklung der Knospen an altem Holz, weist auf die eigenartig fleischartige Färbung der Blüten hin und ihren ebenso wiederlichen Geruch der die Aasfliegen anlocke (Chlorgeruch — Dipterenbesuch). Auch andere haben sich schon mit der Frage beschäftigt, inwiefern Stamm- bürtigkeit der Blüten mit Insektenbesuch oder anderen Verhältnissen zusammen- hänge, beispielsweise mit der Größe der Früchte, Schwere derselben, Trag- fähigkeit der Aeste und Zweige etc. Dr. H. Hallier weist aber alle zurück mit ihren Erklärungen durch Beispiele, wie sie vergleichend selten herangezogen werden könnten. Seine Beobachtungen und Erfahrungen auf Java und Bornueo haben ihn zu dem Schlusse geführt, „dass Stammblütigkeit und die so häufig mit ihr gepaarte Anpassung an dem Besuch der unscheinbareren, noch nicht mit bunten, beschuppten Flügeln ausgerüsteten Insekten alte Ueberreste einer früheren!) Periode der Erdgeschichte sind, welche der durch das Vorherrschen von Fälter- blumen gekennzeichneten Jetztzeit voraufging“. Es wären noch gar manche interessante Beobachtungen erwähnenswert, be- sonders die Besuche solcher Blüten durch Gallwespen. Möge diese Anregung genügen, um Früchte zu zeitigen. Dr. Trautzseh. [89] Die 70. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte findet vom 19.— 24. Sept. zu Düsseldorf statt. In den allgemeinen Sitzungen werden nachfolgende Vorträge gehalten: 1. Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. Klein (Göttingen). „Universität und technische Hochschule“. — 2. Medizinalrat Professor Dr. Tillmanns (Leipzig): „Hundert Jahre Chirurgie“. — 3. Geheimer Regierungs- und Baurat Professor Dr. Intze (Aachen): „Ueber den Zweck, die erforderlichen Vorarbeiten und die Bau- Ausführung von Thalsperren im Gebirge, sowie über deren Bedeutung im wirtschaftlichen Leben der Gebirgsbewohner“. — 4. Professor Dr. Martius (Rostock): „Krankheitsursachen und Krankheits- Anlagen“. — 5. Professor van ti’ Hoff (Berlin): „Die zunehmende Bedeutung der anorganischen Chemie. — 6. Privat- Dozent Dr. Martin Mendelsohn (Berlin): „Die Bedeutung der Krankenpflege für die wissenschaftliche Therapie. — 7. Eventuell Geheimrat Professor Dr. Rudolf Virchow (Berlin): Thema vorbehalten. Aufser diesen Vorträgen sind für die Abteilungssitzungen über 400 Redner angemeldet. Zum ersten Male werden als neugebildete Abteilungen die für an- gewandte Mathematik und Naturwissenschaften (Ingenierwissenschaften) sowie diejenige für die Geschichte der Medizin in Thätigkeit treten. Mit der Ver- sammlung werden 4 Ausstellungen verbunden sein, nämlich 1. eine historische Ausstellung; 2. eine photographische Ausstellung (die Photographie im Dienste der Wissenschaft); 3. eine Neuheiten- Ausstellung naturwissenschaftlicher und 4) Bem.: Zum Vergleich herangezogen sind besonders: Gnetaceen, Meni- spermaceen, Anonaceen, Magnoliaceen, Bombaceen, Ebenaceen, Ficus-Arten, 592 Preisausschreibung. medizinisch-chirurgischer Gegenstände und Apparate sowie chemisch-pharmazeu- tischer Präparate und hygienischer Gegenstände; 4. eine physikalische und che- mische Lehrmittel - Sammlung. Preisausschreibung. Der Physikalisch- ökonomischen Gesellschaft, welche im Jahre 1798 ihren Sitz von Mohrungen nach Königsberg verlegt hat, ist zur Feier dieser hundert- jährigen Erinnerung von ihrem Mitgliede, Herrn Stadtrat Dr. Walter Simon hierselbst, ein Betrag zur Stellung einer Preisaufgabe überwiesen worden. Die Aufgabe verlangt: eine Arbeit, welche auf dem Gebiete der pfianzlichen oder tierischen Elektrizität entweder fundamental neue Erscheinungen zu Tage fördert, oder hinsichtlich der physikalischen Ursache der organischen Elektrizität, oder ihrer Bedeutung für das Leben überhaupt oder für bestimmte Funktionen, wesentlich neue Aufschlässe gewährt. Zur Bewerbung ist Jeder ohne Unterschied berechtigt. Die Bewerbungs- arbeiten müssen gedruckt oder handschriftlich in deutscher, französischer, eng- lischer oder italienischer Sprache bis zum 31. Dezember 1900 an den Vorstand der Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft eingesandt werden, und dürfen keinen- falls vor dem 30. September 1898 veröffentlicht sein. Will der Bewerber anonym bleiben, so hat er seinen Namen in verschlossenem Umschlag, welcher den Titel der Arbeit trägt, beizufügen; dieser Umschlag wird nur im Falle einer Preis- zuteilung oder auf Wunsch des Einsenders eröffnet. Die gedruckt eingelieferten Arbeiten werden der Bibliothek der Gesellschaft einverleibt, die im Manuskript eingesandten nach erfolgter Beurteilung den Verfassern, soweit dieselben bekannt sind, zurückgeschickt. Der Preis beträgt Viertausend Mark. Er kann auch einer nicht zur Bewerbung eingelieferten Arbeit zuerkannt werden, falls keine der eingesandten prämiert werden kann. Sollte keine Arbeit des Preises würdia erscheinen, so stehen für weniger bedeutende, aber doch wertvolle Arbeiten der angegebenen Richtung zwei kleinere Preise von je Fünfhundert Mark zur Verfügung. Das Urteil über die Preisarbeiten wird am 6. Juni 1901 in der General- versammlung der Physikalisch- ökonomischen Gesellschaft verkündet und sofort veröffentlicht werden. Das Preisgericht besteht aus den Herren: Dr. W. Pfeffer, Prof. der Botanik, Geh. Hofrat, Leipzig. Dr. B. Frank, Prof. der Botanik, Berlin. Dr. W. Kühne, Prof. der Physiologie, @eh. Rath, Heidelberg. Dr. E. Hering, Prof. der Physiologie, Geh. Hofrat, Leipzig. Dr. L. Hermann, Prof. der Physiologie, Geh. Medizinalrat, Königsberg i. Pr. Die Preisrichter können sowohl andere Persönlichkeiten zur Beurteilung hinzuziehen, als auch die Entscheidung einer kleineren Anzahl aus ihrer Mitte durch einstimmigen Beschluss übertragen. Deber den nicht zur Prämüerung verwendeten Teil des Betrages von Vter- tausend Mark behält sich die Gesellschaft in Gemeinschaft mit dem Stifter der Preisaufgabe die Verfügung vor. Königsberg ti. Pr., den 2. Juni 1898. Der Vorstand der Physikalisch - ökonomischen Gesellschaft. Der Präsident: Hermann. Der Sekretär: Mischpeter. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. - — Druck der k. bayer. Hof- und Univ, - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Centralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der ea in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bil den einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. ZVI. Band. 15. August 1898. Nr. 16. Inhalt: Jacobi, Die Resultate der neuesten Forschungen über den Ort und die Be- dingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze. — Ihle, Ueber die Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. — Langhofer, Bei- träge zur Kenntnis der Mundteile der Hymenopteren. I. Apidae. — v. Bock, Zur Abwehr gegen Prof. J. von Wagner. Die Resultate der neuesten Forschungen über den Ort und die Bedingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Von Bernhard Jacobi. Es ist eine allgemein bekannte physiologische Thatsache, dass die grüne Pflanze alles für ihr Wachstum und Gedeihen erforderliche Eiweiß aus anorganischen stickstoffhaltigen Verbindungen zu bilden vermag. Diese Fähigkeit kommt nur dem pflanzlichen Organismus zu. Hierdurch gewinnt der im Pflanzenkörper sich vollziehende Prozess der Eiweißsynthese eine fundamentale ‚und weitreichende Bedeutung im Gesamthaushalt der Natur; denn auf diese Weise gewährt das Pflanzenreich dem Tierreiche die unentbehrliche Grundlage seiner . Existenz. Kein Wunder daher, dass dieser wichtige Vorgang von den ver- schiedensten Forschern und nach den verschiedensten Richtungen hin zum Gegenstand des Studiums gemacht worden ist. Am zuverlässigsten sind wohl zur Zeit unsere Kenntnisse über die Eiweißbildung bei niederen Organismen. | Durch die Untersuchungen von Pasteur, Duelaux und be- sonders Adolf Mayer ist nachgewiesen, dass z. B. der Hefepilz die zu seiner Konstituierung nötigen Proteinstoffe erzeugt „aus dem einzigen kohlenstoffhaltigen Material, das er zu seiner Ernährung bedarf, dem Zucker, und aus einem stiekstoffhaltigen anorganischen Stoffe, dem Ammoniak“ (Ad. Mayer), vorausgesetzt, dass dem Pilze auch die nötigen mineralischen Salze zur Verfügung stehen. Noch besser aber XVII. 38 594 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. gedeiht der Pilz, wenn ihm als Stickstoffquelle an Stelle der Ammoniak- salze Peptone geboten werden. Salpetersaure Salze hingegen ver- mag Sacharomyces nur sehr schwer zu verarbeiten; wohl aber bilden dieselben für Penieillium eine ganz geeignete Stickstoffquelle. Zieht man nun noch in Betracht, dass die erwähnten Vorgänge nicht vom Lichte abhängig sind, so ergiebt sich also, dass die niederen Organismen die Fähigkeit besitzen, aus Kohle- hydraten in Verbindung mitSalpetersäureoder Ammoniak, besser noch Peptonen, und unter Mitwirkung schwefel- saurerSalzeEiweißstoffe zuerzeugenund zwarimDunkeln. Wie aber liegen nun die Verhältnisse bei den höhern chloro- phyllführenden Pflanzen? Hier treten einer klaren Erkenntnis des Vorganges insofern Schwierigkeiten entgegen, als verschiedene Momente ins Auge zu fassen sind. Die nächstliegende Frage bezieht sich auf das Material, aus dem sich die grüne Eiweiß bildet. Sodann ist auch angesichts der Thatsache, dass bei den höhern Gewächsen eine ziemlich weitreichende Arbeitsteilung besteht, die Frage nach dem Orte der Eiweißbildung berechtigt. Und endlich muss man sich im Hinblick auf die Abhängig- keit der grünen Pflanze von den verschiedensten Faktoren (besonders Chlorophyligehalt und Licht) fragen, unter welchen Bedingungen sie Eiweiß bildet. Am besten sind wir über die erste dieser Fragen, also über die stoffliche Seite des ganzen Vorganges, unterrichtet. Auch in der srünen Pflanze treten — wie bei den niederen Organismen — stick- stofffreie organische Körper, Kohlehydrate nämlich, mit stickstofi- haltigen anorganischen!) Körpern zum Zwecke der Eiweißbildung in che- mische Wechselwirkung. Dabei werden die Kohlehydrate, Zucker und Stärke, durch den Prozess der Kohlensäureassimilation zur Disposition gestellt, während der Stickstoff verschiedenen Quellen entstammen kann. Denselben entnimmt die Pflanze entweder der Luft oder dem Nährboden. Der atmosphärische Stickstoff hat eine thatsächlich nachgewiesene Bedeutung nur für die Leguminosen, indem diesen Gewächsen durch Vermittelung der in ihren Wurzelknölichen auftretenden Rhizobakterien der elementare Stickstoff zu gute kommt. Wie Ad. Mayer nachgewiesen hat, können allerdings die grünen Pflanzen auch Spuren von Ammoniak aus der atmosphärischen Luft aufnehmen. Dieser Thatsache kommt indessen nur eine theoretische Bedeutung zu, weil es sich hier nur um äußerst geringe Mengen handelt, wenn man vom Ammoniak des Bodens absieht. 1) Es können allerdings auch eine Reihe von organischen Substanzen als Stickstoffquelle dienen. Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 595 Letzteres kann von der Pflanze auch als Stickstoffquelle in An- spruch genommen werden; in den meisten Fällen aber erfährt es wohl zuvor erst eine Oxydation unter dem Einfluss der im Boden sich vor- findenden Nitrobakterien. Und in der That stimmen alle Beobachtungen darin überein, dass in erster Linie die Salpetersäure des Bodens von der Pflanze als N-Quelle in Anspruch genommen wird. Nachdem die Nitrate durch die Wurzeln aufgenommen worden sind, erfolgt in der Pflanze ihre Zersetzung durch organische Säuren. Die Basis der Nitrate verbindet sich mit den erwähnten Säuren zu organischen Salzen, die dem Stofiwechsel entzogen werden. Die frei gewordene Salpetersäure dagegen tritt unter dem Einfluss des leben- digen Protoplasmas mit dem Kohlehydrat (Zucker) in chemische Reaktion, und Eiweißstoffe sind das Produkt derselben. Wenn somit also über die stofflichen Voraussetzungen der Eiweiß- bildung in der grünen Pflanze im wesentlichen eine einheitliche An- schauung herrscht, so ist dies bezüglich der Frage nach dem Orte und den Bedingungen jenes Vorganges nicht in demselben Maße der Fall. Das ergiebt sich aus den in der neuesten Zeit über diese Punkte angestellten Untersuchungen, deren Resultate im Folgenden zu- sammengefasst werden sollen. Als die oben kurz dargelegten Verhältnisse bezüglich der Eiweiß- synthese im Pilzkörper erkannt waren, übertrug man die hier ge- wonnenen Resultate ganz schematisch auch auf die höheren Gewächse. Man glaubte aus dem Ernährungsvorgange bei Pilzen schließen zu müssen, dass alle Zellen der höheren Gewächse aus anorganischen Stiekstoff-Verbindungen und Kohlehydraten Eiweißkörper produzieren könnten. Es ist klar, dass diese Anschauung der im Pflanzenreiche nach oben hin immer mehr fortschreitenden morphologischen Differenzierung und dem hiermit im Zusammenhang stehenden Prinzip der Arbeits- teilung nicht Rechnung trägt. Wenn jede lebensthätige Pfilanzenzelle fähig ist, Eiweiß zu bilden, so ist damit eben noch nicht erwiesen, dass in dem wohlgegliederten Organismus der grünen Pflanze auch alle Zellen von dieser Fähigkeit Gebrauch machen. Es machte sich denn auch sehr bald gegen jene in wenig kritischer Weise vorgenommene Verallgemeinerung eine Reaktion geltend. So spricht schon Sachs gewissen Gewebepartien — den Neu- bildungsherden des Protoplasmas nämlich — die Funktion der Eiweiß- bildung ab, wenn er sagt (Exp.-Physiol. p. 343): „Mit Gewissheit darf man annehmen, dass das Protoplasma der wachsenden Wurzel- spitzen, des Cambiums und der jüngsten Teile der Stammknospen, nicht die Fähigkeit besitzt, selbst eiweißartige Stoffe durch Assimilation aus unorganischen Verbindungen zu erzeugen.“ Es wird nach Sachs Il. e. p. 343] „den Neubildungsherden das Material zur Vermehrung 38 * 596 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. des Protoplasmas schon in Form von Eiweißstoffen zugeführt“. „Woher sie aber kommen, ob sie schon in den grünen Blättern entstehen und von hier aus den Stamm durchsetzend, den Verbrauchsorten einfach zugeführt werden, lässt sich mit Bestimmtheit nicht behaupten.“ Obgleich Sachs also die Eiweißbildung nicht auf die chlorophyll- haltigen Zellen des Blattes beschränkt wissen will, neigt er doch ent- schieden zu der Annahme, dass die Blätter gewissermaßen die Centrale jenes Prozesses sind; er stützt sich dabei auf die Erscheinung, dass man „von den Blättern aus durch die dünnwandigen Zellstränge der Gefäßbündel hindurch bis zu den Vegetationspunkten hin eiweißartige Stoffe verfolgen“ kann [Mikrochem. Untersuch., Flora 1862). Ganz in demselben Sinne lassen sich die Resultate deuten, zu denen schon vorher Hanstein mit seinen Ringelungsversuchen ge- kommen war. Er experimentierte mit Zweigen der verschiedensten Dieotylen und stellte fest, dass unterhalb der Ringelung eine Wurzel- bildung gar nicht oder nur ganz minimal erfolgte, sofern die Leitung des „plastischen Saftes“ unterbrochen war. Es wurde indessen immer wieder mit Nachdruck darauf hinge- wiesen, dass die Eiweißbildung nicht ein Privilegium der Blätter sei. So suchte Müller-Thurgau experimentell zu zeigen, dass auch die Wurzeln imstande sind, Eiweiß zu bilden, wenn ihnen ein Kohlehydrat und ein Stiekstofisalz zur Verfügung stehen. Er ließ zwei gleichstark entwickelte Wurzeln einer Pflanze in zwei verschiedene Gefäße tauchen, von denen das eine mit einer vollständigen Nährlösung gefüllt war, während das andere eine stickstofffreie Nährlösung enthielt. — Ohne nun die von Müller behauptete Thatsache selbst bezweifeln zu wollen, muss doch betont werden, dass ein unwiderleglicher Beweis für die Richtigkeit jener Behauptung durch den erwähnten Versuch nicht er- bracht worden ist. Zunächst ist schon die Art und Weise der Versuchsanstellung nicht ganz einwandfrei. Die in der einen Lösung fehlenden stickstoff- haltigen Salze wurden nämlich — soweit dies aus dem zitierten Referat zu ersehen ist — nicht durch einen osmotisch gleichwertigen und für den Stoffwechsel indifferenten Körper ersetzt, die beiden Wurzeln vege- tierten, also unter ungleichen physikalischen Außenbedingungen. Es wäre demnach nicht ausgeschlossen, dass die bessere Ernährung der einen Wurzel auf eine intensivere Reizwirkung zurückgeführt werden könnte, welche ihrerseits eine reichere Zufuhr von Baustoffen ver- anlasst hätte. Aber abgesehen hiervon ist nach Emmerling (]. ce. p. 8) der Müller-Thurgau’sche Versuch überhaupt einer andern Deutung fähig. Mag man schließlich den erwähnten Versuch deuten wie man will, er beweist niehts gegen die Annahme, dass die Hauptstätte der Ei- weißbildung in den Blättern zu erblicken sei. | | Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflauze. 597 Und so fand denn auch diese Ansicht immer mehr Verteidiger. Nachdem auch Pfeffer (Physiol. I. Aufl, p. 245) sich in diesem Sinne geäußert hatte, machte Alfred Fischer die Frage zum Gegen- stand seiner Forschung. Er sagt (l. e. p. 276): „Wie es keinem Zweifel unterliegt, dass jede mit lebendem Protoplasma und Zellkern ausgestattete Zelle, welchem Organe der Pflanze sie auch immer an- gehören möge, Eiweiß erzeugen kann, so wird auch die Annahme ge- rechtfertigt erscheinen, dass bei allen höher differenzierten Gewächsen besondere Bildungsstätten für eiweißartige Körper vorhanden sind und dass vorwiegend in den Blättern eine ausgiebige Erzeugung solcher Stoffe stattfindet.“ Und er begründet seine Annahme, indem er fort- fährt: „Hierher führt der Transpirationsstrom große Mengen mine- ralischer Substanzen, hier liefert die assimilatorische Thätigkeit der chlorophylihaltigen Zellen stickstofffreie, organische Materialien, welche mit den aus dem Boden aufgenommenen anorganischen Salzen jeden- falls zu Eiweiß sich vereinigen. Doch werden nach Fischer die Ei- weißstoffe nicht in den assimilierenden Zellen selbst gebildet; vielmehr bemüht sich der genannte Forscher nachzuweisen (l. ec. p. 279), „dass in den Geleitzellen“ — wo bekanntlich Eiweiß in reicherem Maße aufgespeichert ist — „die in den Siebröhren fortgeführten Eiweißsub- stanzen erzeugt werden“. Auch Emmerling verlegt den Prozess der Eiweißbildung in erster Linie in die Blätter. Er äußert sich folgendermaßen (]. e. p. 71): „Die Massenvermehrung der ersteren“ — gemeint sind die Früchte — beginnt erst von dem Zeitpunkte an eine lebhaftere zu werden, wo das Blattorgan fast vollständig aufgebaut ist. Dies entspricht der all- &emein verbreiteten Anschauung, dass die organische Substanz vor- nehmlich in den Blättern erzeugt werde“. Die Frage, ob in gewissem ‚Grade auch Wurzel und Stengel hierbei beteiligt seien, müssen wir freilich vorläufig noch offen lassen“. Nur bezüglich der Zellneu- bildungsorte, Vegetationspunkte, Knospen ete.“ meint er — in Ueber- einstimmung mit Sachs —: „Eine so kräftige Funktion, wie die Neu- bildung stickstoffhaltiger organischer Verbindungen aus anorganischem Material, wird man jedenfalls diesen jüngsten und zartesten Zell- anlagen nicht zuschreiben dürfen“ (l. e. p. 72). Die Frage, ob denn wirklich die Blätter die Hauptbildungsstätte oder vielleicht gar der alleinige Ort für die Bildung der Eiweißstoffe seien, rückte nun immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Und es ist merkwürdig, dass die extremsten Lösungsversuche fast gleich- zeitig publiziert wurden. Im Jahre 1888 traten Frank und Schimper auf, und es be- hauptete der erstgenannte Forscher, dass die grüne Pflanze in fast allen Organen, nur nicht im grünen Blatt, Eiweiß bilden könne; Schimper dagegen kam gerade zu der entgegengesetzten Ansicht. 598 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze, Frank meint (l. e. p. 467), „dass die von der Pflanzenwurzel als stickstoffhaltiges Nährmittel aufgenommene Salpetersäure nicht im grünen Blattgewebe assimiliert wird, sondern dass in sämtlichen Organen der Pflanze, die von Gefäßbündeln durchzogen sind, als Wurzeln, Stengeln, Blattstielen, Blattrippen diese Assimilation mit dem in den Parenchymzellen dieser Teile vorhandenen Nitraten erfolgen kann, dass dieselbe daher bei denjenigen Pflanzen, welche die Salpeter- säure nicht auf längere Zeit in ihrem Körper aufspeichern, wie bei den Lupinen und den meisten Holzpflanzen, schon in der Wurzel, bei denjenigen aber, welche diese Säure in Wurzeln, Stengeln, Blattstielen und Blattrippen für spätere Bedürfnisse als Reservestoffe deponieren, in allen genannten Organen vor sich geht“. Zu dieser Ansicht gelangt Frank allerdings hauptsächlich auf dem Wege der Spekulation (l. e. p. 467/65); nur zwei Versuche hat er angestellt, „um nun diese Ideen auch experimentell zu prüfen“. Der erste dieser Versuche ist deshalb nicht recht beweiskräftig, weil — was Frank selbst zugiebt — die Versuchspflanzen ungesund waren. Durch den zweiten Versuch will Frank die „vermeintliche Zer- setzung der Salpetersäure im grünen Blattgewebe“ näher prüfen. Schimper hat jedoch später (Flora 1890, p. 256) nachgewiesen, dass auch dieser Versuch die Frank’sche Hypothese nicht zu stützen vermag. Im Gegensatz zu Frank behauptet nun Sehimper, man habe „in den grünen Zellen, speziell des Mesophylis, die Laboratorien zu erblicken, in welchen beinahe sämtliche Rohstoffe der Planzennahrung ihre erste Verarbeitung erfahren. Vermutungsweise deutete Schimper diese Ansichten zwei Jahre vorher an (Bot. Ztg. 1888, p. 151,52). Er geht von der Thatsache aus, dass die in Form von Nitraten aus dem Boden aufgenommene Salpetersäure als Stickstoffquelle bei der Eiweißsynthese die wichtigste Rolle spielt. Demgemäß lag es im Plan seiner Untersuchungen, das Schicksal jener Salze in der Pflanze zu verfolgen. Maßgebend hierbei war für ihn das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der Nitrate, das er mit Hilfe der Diphenylamin- Reaktion feststellte. Sodann lenkte er sein Augenmerk auch ganz besonders auf die Ablagerung der bei der Nitratzerseizung entstehen- den Nebenprodukte: Kalk- und Kalioxatat. Auf diese Weise kam er zu den oben angegebenen Resultaten. Ob die Prämissen richtig sind, auf denen Schimper aufbaut, wird sich weiter unten ergeben bei der Frage nach den Bedingungen der Eiweißbildung. Schimper legt sich allerdings auch die Frage vor, ob nicht auch andere Gewebe die Nitrate verarbeiten, beantwortet sie aber im ver- neinenden Sinne. Er hält sich vor Augen, „dass mit der Verarbeitung der Mineralsalze eine Ausscheidung von Aschenbestandteilen verbunden Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 599 ist, da nur ein Bruchteil der an Säuren gebundenen im Stoffwechsel verbleibt“. Aus den Aschenanalysen von Wolff entnimmt er sodann, dass die Blätter prozentisch ungleich mehr Aschenmengen enthalten als die übrigen Pflanzenteile; so finden sich z. B. bei den annuellen Pflanzen im Durchschnitt in den Blättern 15°), und im Stengel 5°/, Mineralstoffe. Aus diesen Zahlen schließt Schimper im Hinblick auf die Thatsache, dass Aschenbestandteile, namentlich Phosphörsäure und Kali, fortwährend aus dem Blatte in den Stengel wandern, außerhalb der Mesophylizellen könne eine Verarbeitung der Rohstoffe nicht erfolgen. Ueberblickt man nun die Resultate der Untersuchungen bis zum Abschluss der Schimper’schen Arbeiten, so ergiebt sich, dass die sroße Mehrzahl der Forscher jeder lebenden Zelle der grünen Pflanze die Fähigkeit der Eiweißbildung zuer- kannt, alle aber (mit Ausnahme von Frank) die eigent- liche Centralstelle jenes Prozesses in dem Laubblatt er- blieken, welches Schimper für die alleinige Stätte der Eiweißsynthese erklärt. Der Ansicht, nach welcher Eiweißsstoffe hauptsächlich in den Blättern gebildet werden, schließen sich alle Forscher nach Schimper bis heute an. So hebt z. B. Zaleski in seiner Arbeit: „Zur Kennt- nis der Eiweißbildung in der grünen Pflanze“ besonders hervor: „Die Blätter wurden gewählt“ (als Objekt), „weil uns gegenwärtig bekannt ist, dass sich organische Stickstoffverbindungen hauptsächlich in diesen bilden“. Und Kosutany geht wohl von derselben Voraus- setzung aus, wenn er mit Blättern von Riparia!) operiert. Wie Zaleski und Kosutany, so lassen alle neuern Forscher die Ortsfrage als relativ bekannt in den Hintergrund treten und machen zum Hauptgegenstand ihrer Fragestellung die Bedingungen der Ei- weißbildung. Und es ist klar, dass diese Fragestellung einen Fort- schritt bedeutet; denn sobald man über die Bedingungen der Eiweiß- bildung wirklich informiert ist, fällt auch ein klärendes Licht auf die Ortsfrage. Das Verdienst, das Interesse der Forscher auf die Bedingungen der Eiweißbildung gelenkt zu haben, gebührt Schimper, der über- haupt im Mittelpunkt der ganzen Frage steht. Schimper behauptet nämlich, dass die Eiweißbildung durch die chlorophyllhaltigen Zellen der Pflanze vermittelt werde und dass im Sonnenlicht die für den erwähnten Vorgang nötige Kraft gegeben sei. Er stützt sich dabei auf Versuche, nach denen im Dunkeln die von der Pflanze aufgenommenen Nitrate sich anhäufen, während die- selben bei Lichtzutritt verschwinden, weil die Salpetersäure verar- beitet wird. 4) Vitis riparia var. sauvage, die hier nur im weiteren kurzweg Riparia genannt werden mag. 600 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. _ - Die Beobachtung Scehimper’s war ohne Zweifel richtig, aber die Interpretation und die aus derselben abgeleitete Folgerung entsprach wohl nicht den thatsächlichen Verhältnissen. Schimper unterschied nicht zwischen einer direkten und einer indirekten Mitwirkung von Chlorophyll und Licht. Und das kam daher, dass er die stoffliche Seite des ganzen Vorganges nur einseitig untersuchte, indem er nicht beide Komponenten der Eiweißsynthese (also Kohlehydrate und Nitrate) in demselben Maße ins Auge fasste, sondern vor allem das Schicksal der Salpetersäure verfolgte. Hätte Schimper bei seinen Unter- suchungen auch die Kohlehydrate eingehend mit berücksichtigt, dann würde er wohl schwerlich dem Chlorophyll und dem Lichte bei der Eiweißbildung eine direkte Rolle zugeschrieben haben. Ist Licht bei der Eiweißbildung nötig oder nicht? Auf diese Frage liefen nun alle Untersuchungen hinaus. Einige Forscher beantworteten sie im positiven, viele wieder im negativen Sinne. Die Ansicht, dass die Gegenwart des Lichtes zur Eiweißbildung erforderlich sei, wird hauptsächlich von zwei Seiten vertreten. Zu- nächst sind es drei belgische Forscher: Laurent, Marchat und Carpiaux, welche aufGrundlage ihrer Untersuchungen an denBlättern, der Runkelrübe, der Ulme, des Ahorn ete. behaupten: „Chez les plantes superieures, l’assimilation des nitrates n’a pas lieu ä& l’obseurite.* Sie stellten sogar fest, dass „elle exige l’intervention des rayons ultraviolets“. Bei ihren Versuchen gingen die genannten drei Forscher von der Ansicht Pagnoul’s aus, nach welcher das Licht bei der Zersetzung der Nitrate und der Bildung der organischen Stickstoffverbindungen in den Pflanzengeweben eine Rolle spielt, die derjenigen analog ist, die ihm bei der Zersetzung der Kohlensäure zur Bildung der Kohle- hydrate obliegt. Soweit stimmen also Laurent, Marchat und Carpiaux mit Schimper überein. Im Gegensatz aber zu ihm befinden sie sich, wenn sie behaupten (l. e. p. 865): „L’intervention de la chlorophylle n’est pas necessaire“; ja „les feuilles blanches assimilent m&me mieux ’azote ammoniacal que les feuilles vertes“. Das Ammoniak nimmt Laurent merkwürdigerweise als Uebergangsprodukt von der Salpeter- säure zu den Proteinstoffen an. Im wesentlichen zu denselben Resultaten wie die belgischen Forscher kommt sodann auch Godlewski. Bei seinen vergleichenden Untersuchungen mit Weizenkeimlingen, also proteinarmen und kohlen- hydratreichen Objekten, die im Dunkeln und im Licht in salpeter- haltiger Nährlösung vegetierten, ergab sich, dass nur im letzteren Falle Proteinstoffe sich bildeten, während im Dunkeln nur stickstoff- haltige Nichtproteinstoffe entstanden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch im Dunkeln Eiweißstoffe gebildet worden wären, sofern den Objekten geeignete Kohlehydrate zur Verfügung gestanden hätten. ERONE Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 601 Durch Kulturversuche in kohlensäurefreier Luft bewies Godlewski, dass „die Bildung der Proteinstoffe auf Kosten der Nitrate nicht un- mittelbar an den Assimilationsprozess gebunden“ ist. Indem Godlewski zugiebt, dass der Eiweißbildungsprozess im Dunkeln eingeleitet werden kann, wird eine Vermittelung zu den An- schauungen jener Forscher gegeben, welche die Eiweißbildung der höheren Pflanzen unabhängig vom Licht vor sich gehen lassen. Schon Ende der 80er Jahre — also ungefähr zu gleicher Zeit mit Sehimper’s Arbeiten — spricht Chrapowieki vermutungsweise (die Versuche waren noch nicht abgeschlossen) aus, dass ihm in mehreren Fällen die Eiweißbildung im Dunkeln (bei Anwesenheit von Stärke) unzweifelhaft erscheint. Sodann (1895) zeigte Kinoshita, „dass etiolierte Lupinenkeim- linge aus künstlich zugeleiteten Kohlehydraten und den im Keimling ‘ enthaltenen Zersetzungsprodukten von Eiweißstoffen diese auch im Dunkeln bilden können“, Kosutany, der sich zu derselben Zeit mit dieser Frage beschäf- tigte, fasst seine Resultate dahin zusammen: „Während die Rohstoffe der Eiweißbereitung am Tage in größerer Menge von der Pflanze aufgenommen werden, als in der Nacht, werden andrerseits dieselben Stoffe in der Nacht in größerer Menge in Eiweiß umgewandelt, als am Tage.“ Kosutany fand nämlich, dass die Blätter von Riparia in der Nacht mehr Eiweißstoffe und entsprechend weniger nichteiweißartige Stickstoff-Verbindungen enthielten und schloss daraus, dass die letzteren während der Nacht in größerer Menge in Eiweißsubstanzen umgewandelt werden als am Tage. Ferner stellte er fest, dass der Salpetersäuregehalt der Blätter am Tage höher ist als in der Nacht, was er ebenfalls auf die Verarbeitung der A säure zu Eiweiß während der Nacht zurückführt. Neuerdings stellte dann Hanstein experimentell fest, dass Lemna ‘ imstande ist, im Dunkeln aus Traubenzucker und Asparagin, aus Traubenzucker und Ammoniaksalzen, aus Glykokoll und Rohrzucker Eiweiß in reichlicher Menge zu bilden. Nitrate und Traubenzucker vermag die Pflanze nur schwer zu verarbeiten. Und aus Asparagin und Rohrzucker kann Lemna Eiweiß überhaupt nicht erzeugen. In jüngster Zeit versuchte sodann Zaleski unsere Frage experi- mentell zu lösen. Er operierte mit Blättern von Helianthus, denen er eine vollständige Nährstofflösung mit Nitratstickstoff bot, welche in dem einen Falle zugleich Fruchtzucker enthielt. Die Kulturen wurden im Dunkeln gehalten. Fehlte den Lösungen der Zucker, dann kam es in den Unter- suchungsobjekten nicht zur Eiweißbildung, sondern zur Erzeugung von nichtproteinartigen Stiekstoffverbindungen (amidartigen Körpern). Stand aber Zucker zur Verfügung, so ergab sich, „dass Blätter 602 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Eiweißstoffe im Dunkeln bilden können“. Doch erfordert diese Eiweiß- synthese eine „erhebliche Menge von Kohlehydraten“. Der gegenwärtige Stand unseres Wissens über den Ort und die Bedingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze, wie sich der- selbe in den hier zusammengestellten Forschungsresultaten dokumen- tiert, ist also der folgende: Die eigentliche Centrale der Eiweißsynthese ist das Laubblatt. In den bei der Eiweißbildung direkt beteiligten Zelle wird dieser Prozess (bei sonst normalen Vegetations- bedingungen) im Dunkeln unter allen Umständen ein- geleitet,indemKohlehydrate mitSalpetersäure, Ammoniak oder Amiden zu diesem Zwecke in Reaktion treten. Wie weit aber der erwähnte Prozess im Dunkeln fort- schreitet, das hängt von der Menge der disponibeln Kohlehydrate ab. Sind die letzteren in reichem Maße vorhanden, 80 kommt es zur Bildung von Proteinstoffen (wie es die Resultate von Hanstein und Zaleski zeigen). | Stehen dagegen nur geringe Kohlehydrat-Mengen zur Verfügung, so bleibt es im Dunkeln bei der Produktion von Amiden. Wird daher für eine hinreichende Vermeh- rung der Kohlehydrate gesorgt, so kann Eiweiß gebildet werden (im Dunkeln). DieZuführung dieserKohlehydrate kann nun aufzwei- fache Weise geschehen: künstlich oder natürlich. Im ersteren Falle kann dann die Eiweißsynthese auch im Dunkeln erfolgen (Zaleski). Auf natürlichem Wege können die Kohlehydrate bis zur hinreichenden Menge dadurch vermehrt werden, dass man den Versuchsobjekten durch Liehtzutritt die Be- dingungen zur Kohlensäure-Assimilation gewährt. In diesem letzten Falle wirkt also das Licht bei der Eiweißsynthese indirekt mit, indem es durch den Assi- milationsprozess Kohlehydrate zur Verfügung stellt. Die eigentliche Energiequelle istindenKohlehydraten selbst gegeben. In manchen Fällen jedoch scheint auch das Licht als Kraftquelle eine Rolle zu spielen. Wie schon erwähnt, fand Godlewski, dass auch in kohlensäurefreier Luft bei Lichtzutritt aus Nitraten und dem Zucker der Keimlinge Biweiß gebildet werden kann. Und Detmer (l. c. p. 76) ver- mutet, dass in diesem Falle das Licht „als Kraftquelle Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 603 besondere Bedeutung gewinnt“, da nur geringe Mengen von Kohlehydraten zur Verfügung stehen. Litteratur. Chrapowicki, Beobachtungen über die Eiweißbildung in den chlorophyll- führenden Pflanzen. Bot. Centralblatt, 1889. De Vries, Ueber die Bedeutung der Kalkablagerungen in den Pflanzen. Landwirtschaftl. Jahrbücher 1881. Detmer, Boden- und Pflanzenkunde (in Settegast’s „Lehre von der Land- wirtschaft“). Emmerling, Studien über die Eiweißbildung in der Pflanze. Die landwirt- schaftl. Versuchsstationen 1887. Fischer Alfred, Studien über die Siebröhren der Dicotylenblätter. Frank, Untersuchungen über die Ernährung der Pflanze mit Stickstoff Landwirtschaftl. Jahrb., 1888. Godlewski, Zur Kenntnis derEiweißbildung aus Nitraten in der Pflanze. 1897. Hanstein, Beiträge zur Kenntnis der Eiweißbildung im Pflanzenkörper. Berichte der deutschen Bot, Gesellschaft, 1896. Holzner, Ueber die physiologische Bedeutung des oxalsauren Kalkes. Flora 1867. Kosutany, Untersuchungen über die Entstehung des Pflanzeneiweißes. Die landwirtsch, Versuchsstationen 1897. Laurent, Marchal et Carpiaux, Recherches exp6rimentales sur l’assi- milation de l’azote ammoniacal et de l’azote nitrique par les plantes superieures. 1897. Mayer, Ad., Agrikulturchemie, Müller-Thurgau, Ueber den Einfluss des Stickstoffs auf die Bewurzelung des Weinstockes. Referat im Bot. Centralblatt, 1889. Sachs, Experimental-Physiologie der Pflanzen. Schimper, Zur Frage der Assimilation der Mineralsalze durch die grüne Pflanze. Flora 1890. Sehimper, Ueber Kalkoxalatbildung in den Laubblättern. Bot. Ztg.. 1888. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, I. Bd., 1897. Zaleski, Zur Kenntnis der Eiweißbildung in den Pflanzen. Bericht der deutschen Bot. Gesellschaft 1898. Die Anregung zur vorstehenden Arbeit ging von Herrn Professor Dr. Stahl aus. Hierfür, sowie für die freundliche Unterstützung durch Litteraturnachweis sei ihm wärmster Dank ausgesprochen. [95] Jena, Botan. Institut, im Juni 1898. Ueber die Phylogenie und systematische Stellung der Pauto- poden. Von J. E. W. Ihle in Bussum (Holland). Es giebt im Tierreich viele eigentümliche Formen, deren Ver- wandtschaftsverhältnisse und systematische Stellung noch nicht auf- geklärt sind, und welche dieser oder jener Gruppe angeschlossen werden und dies oft ohne triftige Gründe. Zu solchen Gruppen ge- 604 Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. hören auch die Pantopoden, welche entweder den Arachnoidea oder den Crustacea angeschlossen werden; aber ein solches Verfahren ent- spricht den natürlichen Verwandtschaftsverhältnissen durchaus nicht. Bekanntlich besitzen die Pantopoden 7 Extremitätenpaare, deren Homologisierung mit denen der andern Arthropoden noch einigermaßen zweifelhaft ist. Sehr wahrscheinlich dünkt mir die Ansicht Haeckel’s, dass das erste Beinpaar den Cheliceren, das zweite Paar den Pedi- palpen, das dritte dem letzten Beinpaar des Kopfes (= dem ersten Gehfußpaar), das vierte bis sechste ‚den 3 thoracalen Gliedmaßenpaaren der Arachnoidea entspricht, und dass das siebente Paar einem Abdo- minal-Fußpaar homolog ist, das den Arachnoidea fehlt. (E. Haeckel. Systematische Phylogenie. Band II. 1896. p. 680). Bei denjenigen Pantopoden, bei welchen einige Fußpaare fehlen, muss man voraussetzen, dass sie dieselben verloren haben, denn die soeben ausgeschlüpften Larven besitzen ja alle 3 Podienpaare, indem die vier folgenden Paare später hervorwachsen. Der Besitz der 7 Beinpaare ist also für die Pantopoden ein typischer. Einige Forscher glauben, dass die 7 Beinpaare der Pantopoden den 4 Kopf- und 3 Thoraxpaaren der übrigen Arthropoda entsprechen. Haeckel (l.c.) aber „dünkt diese Annahme weniger wahrscheinlich“, welcher Ansicht ieh mich auch annähere, denn das erste scheeren- tragende Beinpaar würde den Antennen der Insekten, Myriopoden und Protracheaten entsprechen; bei keiner dieser Gruppen findet man aber scheerentragende Antennen, und dieselben behalten immer ihre ur- sprüngliche Gestalt. Die Annahme von Claus (Grundzüge der Zoologie. 3. Aufl. p. 576), dass das dritte Beinpaar der Pantopoden ein accessorisches sein würde, nicht zu einem ursprünglichen Segment gehörend, dünkt mir auch nicht sehr wahrscheinlich; denn wohl können aus einem ursprüng- lichen Spaltfuß leicht 2 Extremitäten entstehen, nicht aber aus einem einfachen Fuß; denn gesetzt, dass irgend eine besondere Funktion verrichtet werden muss, dann würde das erste am wenigsten differen- zierte Organ diese Funktion übernehmen, aber aus einem vorhandenen Organ würden nie zwei neue Organe verschiedener Funktion entstehen können. So sehen wir z. B. auch bei den Chilopoden, dass Gehfüße, — also wenig differenzierte Organe — die Funktion von Kieferfüßen übernommen baben, aber nicht, dass aus vorhandenen Kiefern einige neue entstanden sind. Ich werde nun versuchen den Beweis beizubringen, dass die Pantopoden weder mit den Arachnoideen, noch mit den Crustaceen irgend eine nähere Verwandtschaft besitzen, und werde meine Be- trachtung mit den ersteren anfangen. Wenn wir die Haeckel’sche Homologisierung annehmen, können die vier letzten Beinpaare der Pantopoden den Gehfüßen der Spinnen- Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 605 tiere nicht entsprechen, und namentlich auf diese angebliche Homo- logie der Extremitäten gründet sich jene Annahme, welche die Panto- poden als Abkömmlinge der Arachnoideen betrachtet. Die 4 Gehfuß- paare dieser beiden Gruppen sind einander also nicht homolog, sondern selbständig erworben. — Es wird nicht schwer sein einzusehen, dass die Thatsache, dass der Magen der Pantopoden 5 Paar Blindsäcke in die Extremitäten entsendet, nicht für eine Verwandtschaft mit den Arachnoideen verwertet werden kann, denn unter den letzteren be- sitzen nur die am weitesten entwickelten Formen (die Araneen und manche Acarinen) solche Blindsäcke. Da wir zweitens für die ur- sprünglichen Arachnoideen den Besitz von Blindsäcken nicht voraus- setzen können, und da drittens die Pantopoden nicht von Araneen oder Acarinen abgeleitet werden können, müssen wir annehmen, dass beide Gruppen die Blindsäcke selbständig erworben haben. Diese Organe sprechen also nicht für die Verwandtschaft der Pantopoden mit den Arachnoideen, wie z.B. Richard Hertwig annimmt (Lehr- buch der Zoologie. 3. Aufl. p. 443). Unter den übrigen Organensystemen der Pantopoden findet man kein einziges, welches für eine nähere Verwandtschaft mit den Arach- noideen spricht. Blutgefäß- und Nervensystem deuten nur auf die Arthropodennatur der Pantopoden hin, nicht aber auf Arachnoideen- charaktere. Die Gonaden geben keine Auskunft über ihre Stammver- wandtschaft, und ebensowenig die Athmungsorgane, welche vollständig fehlen. | Man findet also keinen überzeugenden Beweis, die Pantopoden den Arachnoideen anzuschließen, und es war ehemals nur der spinnen- ähnliche Habitus, welcher zu dieser Annahme verleitet hat, und bis jetzt hat man fast ausnahmslos an dieser Auffassung festgehalten. Wenn wir also die Verwandtschaft mit den Spinnentieren nicht anerkennen, kann selbstverständlich die angebliche nähere Verwandt- schaft mit den Acarina für uns nicht bestehen; diese Verwandtschaft gründete man auf den Besitz eines Saugrüssels; dieses Gebilde ist aber bei den Pantopoden etwas ganz Andres als bei den Acarinen; diese besitzen nämlich einen durch die Kiefertaster gebildeten Saugrüssel, jene aber eine ungegliederte conische Saugröhre, welche nur eine Verlängerung des Körpers darstellt, und welche ontogenetisch nicht durch Verwachsung der Kiefertaster entsteht, wie Huxley glaubte. (Grundzüge der Anatomie der wirbellosen Tiere. Deutsche Ausgabe. p- 341.) Einige Forscher nehmen an, dass die Pantopoden Verwandte der Crustaceen sind. Die Pantepoden besitzen jedoch kein einziges posi- tives Merkmal der letzteren, da ihnen sowohl die Nauplius-Larve wie die Kiemen abgehen, denn die sechsbeinige Larve der Pantopoden- kann gar nicht mit dem Nauplius homologisiert werden. Auch die 606 Ible, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. innere Organisation giebt uns keine Anknüpfungspunkte mit den Crusta- ceen. Schließlich wird es kaum der Erwähnung bedürfen, dass die Pantopoden den Laemodipoden nicht verwandt sein können, wie von Milne Edwards und Kröyer angenommen wurde. Von den meisten Zoologen wird aber gegenwärtig die Ansicht, welche die Pantopoden zu den Urustaceen stellt, aufgegeben. Wir sehen also, dass die Pantopoden weder mit den Arachnoideen, noch mit den Urustaceen verwandt sind, und dass sie in keiner dieser Gruppen zwanglos untergebracht werden können. Als die Ahnen der Pantopoden betrachte ich die Myriopoden, erstens weil die letzteren die einzigen Tracheaten sind, welche ab- dominale Extremitäten besitzen, und zweitens, weil, — wenn wir die Arachnoideen und Crustaceen ausschließen —, die Myriopoden die einzig übrig bleibenden Tiere sind, von welchen wir die Pantopoden ableiten können, sodass wir fast notgedrungen die ersteren als die Vorfahren der letzteren betrachten müssen. Von Insekten, Protracheaten oder anderen Tieren können die Pantopoden jedenfalls nicht abstammen, uud von Arachnoideen können wir sie wegen des Besitzes eines ab- dominalen Beinpaares nicht ableiten, denn die Ur-Arachnoideen besaßen gewiss keine abdominalen Gliedmaßen; dieselben fehlen nämlich in allen Ordnungen dieser Klasse. Also erübrigt allein die Klasse der Myriopoden als Ahnen der Pantopoden, !und von ersteren haben sich selbständig Pantopoden, Insekten und Arachnoideen abgetrennt. — Ob- wohl man in der Organisation der Pantopoden wenig findet, was direkt zu den Myriopoden überleitet, bietet dieselbe doch keine Schwierigkeiten, wenn man jene von dieser ableiten will, denn aus dem relativ einfachen Bau der Myriopoden kann man die Organisation der Pantopoden durch Rückbildung dieses, Weiterbildung und Um- gestaltung jenes Organs leicht erklären. Auch lassen sich manche Eigentümlichkeiten ihrer Organisation, wie die außerordentliche Länge ihrer Gehfüße, die Dünnheit ihres Körpers, und in Korrelation dazu die Lage der Gonaden in den Extremitäten, nicht schwer ‚mit Rück- sicht auf ihre Lebensweise auf Seepflanzen und Tangen erklären. — Weniger wahrscheinlich ist die Annahme, dass die Pantopoden sich von Formen abgezweigt haben, welche schon die Hauptmerkmale der Arachnoideen besaßen, aber noch nicht die abdominalen Gliedmaßen verloren hatten, da die Pantopoden durchaus keine Arachnoideen- Charaktere besitzen. Wenn wir also die Vorfahren der Pantopoden direkt unter den Myriopoden suchen müssen, und wenn erstere sich von letzteren ab- gezweigt haben, ergiebt sich, dass wir die Pantopoden als selbständige Klasse der Tracheaten betrachten müssen, denn sie haben sich sehr weit von ihren Myriopoden-Vorfahren entfernt. Ich halte also die folgende Einteilung der Tracheaten für die den natürlichen Verwandt- Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 607 schaftsverhältnissen am meisten entsprechende, worin ich 5 gleich- wertige, eoordinierte Klassen annehme in dieser Reihenfolge: I. Protracheata. Il. Myriopoda. III. Pantopoda. IV. Insecta. V. Arachnoidea. Da die Pantopoden sich so weit von ihren Vorfahren, den Myrio- poden, entfernt haben, glaube ich, dass wir vollkommen berechtigt sind die Pantopoden als selbständige Klasse zu betrachten. Viele Forscher aus der Neuzeit haben denn auch schon auf die isolierte Stellung dieser Tiere hingewiesen, z. B. erwähne ich das Folgende. Haeckel sagt über dieselben (l. e.): „Diese kleine Artieulaten-Gruppe nimmt eine sehr isolierte Stellung unter den Arthropoden ein.“ R. Hertwig (Lehrbuch, 3. Aufl. p. 445) und E. Selenka (Zoologisches Taschenbuch p. 85) fügen die Pantopoden als Anhang zu den Arach- noidea, und W. Haacke sagt (Die Schöpfung der Tierwelt p. 329) niet. Langfußspinnen, deren Zugehörigkeit zu den Spinnentieren im hohen Grade zweifelhaft ist“, und weiter „Freilich zeigen die Langfußspinnen auch keine nähere Verwandtschaft zu den Krebstieren“ u. s. w. — Auch Dohrn hat die gesonderte Stellung der Pantopoden stark hervorgehoben, aber er glaubte, ihre Vorfahren seien gar keine Verwandte der übrigen Arthropoden. A. C. Oudemans schließt sich ihm an und sagt stark übertreibend: „Jedermann weiß nun, dass diese Tiere eine ganz besondere Urgruppe bilden, ohne alle Verwandtschaft mit irgend einer anderen Arthropodengruppe.“ (Tijdschrift der Neder- landsche dierkundige Vereeniging 2. Serie, Deel I, 1886, p. 41.) Für diese Behauptung fehlt mir aber jeder triftige Grund. Vielleicht wird man gegen meine Auffassung einwenden, dass es nicht gut sei, kleine, aberrante Gruppen weit größeren gleichwertig zur Seite zu stellen. So sagt R. Hertwig (Lehrbuch, 3. Aufl., p. 15): „In der Neuzeit hat sich dasBestreben bemerkbar gemacht, (solche) kleine aberrante Gruppen zu selbständigen Stämmen des Tierreickes zu er- heben, ein Verfahren, welches nur dazu führen kann, die Uebersicht- lichkeit und praktische Verwertbarkeit des Systems zu schädigen.“ Dies würde in unserem Fall vielleicht zutreffend sein können, denn meiner Auffassung zufolge muss man die Pantopoden sehr großen Gruppen, wie den Insekten und Arachnoideen, gleichstellen. R. Hert- wig kann ich aber gar nicht beistimmen; aus einem pädagogischen Gesichtspunkt mag seine Ansicht vielleicht zutreffend sein; aber aus einem wissenschaftlichen durchaus nicht, und man darf ja den wissen- schaftlichen Wert des Systems, — als Ausdruck der phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse — seinem pädagogischen und praktischen Wert nicht opfern. Uebrigens scheint dieser pädagogische Einwand Andern nicht so schwerwiegend wie Hertwig; so nimmt z. B. A. Fleischmann in seinem vor Kurzem erschienenen „Lehrbuch der Zoologie“ statt der 7 altherkömmlichen Typen deren 16 an, 608 Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. Auch wenn man die Pantopoden nicht als die Abkömmlinge der Myriopoden betrachtet, ist man berechtigt, dieselben als selbständige Klasse im System aufzuführen, da sie sich erstens jedenfalls, wie be- reits erwähnt ist, sehr weit von ihren Vorfahren entfernt haben, — welches sich ergiebt aus der geringen Zahl und der großen Länge der Beine, und weiter aus der geringen Gliederung des Körpers, — und da sie zweitens eine sehr alte Gruppe bilden, worauf Haacke (|. c.) hinweist. | Wie unsicher und schwierig die Frage nach den Verwandten der Pantopoden ist, ergiebt sich aus der historischen Umwandlung der An- sichten, welche die verschiedenen Zoologen hinter einander verteidigt haben. — Linnaeus vereinigte die Pantopoden mit den Phalangidea; Cuvier betrachtete sie als eine Familie einer Ordnung der Arach- noidea, und stellte sie zwischen die Pseudo-Scorpiones und seine Holetra (= Phalangidea + Acarina). Er fügte aber hinzu: „Nous ne les plagons ici qu’avee doute.“ (Regne animal. Tom. II, 3. ed. p. 298.) Sa- vigny nannte diese Tiere Uebergangsformen zwischen Arachnoidea und Crustacea. Später wurden die Pantopoden von Milne Edwards und Kröyer zu den Crustaceen gestellt, und zwar in die Nähe der Laemodipoden. Nachher brachte man sie wieder durchgängig zu den Arachnoideen; entweder stellte man sie in dieser Klasse zwischen die Linguatuliden und Tardigraden (z. B. Schmarda), oder man schloss sie den Acarinen an, und stellte sie dann zwischen die Acarinen und Araneen (z.B. Huxley, Claus). In der Neuzeit wurden die Forscher mehr und mehr von ihrer isolierten Stellung überzeugt; so wurden sie z.B. von von Hayek u. A. am Anfang, von Haeckel, Harting u.A. am Ende der Spinnentiere gestellt, wieder Andre z.B. R. Hert- wig und Selenka betrachteten sie als Anhang zu den Arachnoideen, wie ich bereits erwähnt habe; und zwischen dieser Auffassung und der meinigen giebt es keine große Kluft. Wenn man die Pantopoden von den Arachnoideen trennt, bleibt eine einheitliche, monophyletische Gruppe übrig, welche sich leicht de- finieren lässt; man muss aber zweifelsohne auch die Tardigraden "von ihnen trennen, und vielleicht auch die Linguatuliden; erstere besitzen gar keine Verwandtschaft mit den Arachnoideen und sind zu den Anneliden zu stellen, wie Haeckel vorgeschlagen hat; letztere bilden vielleicht auch eine selbständige Tracheaten-Klasse; mindestens ist ihre Verwandtschaft zu den Arachnoideen sehr zweifelhaft. Haeckel teilt (a. a. O. p. 666) die Pantopoden in 2 Gruppen, die Nymphonidae und Pyenogonidae; von welchen die ersteren den Stammformen der Klasse noch am nächsten stehen, denn sie besitzen alle 7 Extremitätenpaare und ein wenig differenziertes Nervensystem. Bei den Pyenogonidae sind dagegen die beiden vordern Beinpaare‘ - rückgebildet worden;. diese. Familie darf also jedenfalls nicht als Biologisches Centralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. August 1898. Nr. 16. Inhalt: Jacobi, Die Resultate der neuesten Forschungen über den Ort und die Be- dingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze. — Ihle, Ueber die Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. — Langhofer, Bei- träge zur Kenntnis der Mundteile der Hymenopteren. I. Apidae. — v. Bock, Zur Abwehr gegen Prof. J. von Wagner. Die Resultate der neuesten Forschungen über den Ort und die Bedingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Von Bernhard Jacobi. Es ist eine allgemein bekannte physiologische Thatsache, dass die grüne Pflanze alles für ihr Wachstum und Gedeihen erforderliche Eiweiß aus anorganischen stickstoffhaltigen Verbindungen zu bilden vermag. Diese Fähigkeit kommt nur dem pflanzlichen Organismus zu. Hierdurch gewinnt der im Pflanzenkörper sich vollziehende Prozess der Eiweißsynthese eine fundamentale ‘und weitreichende Bedeutung im Gesamthaushalt der Natur; denn auf diese Weise gewährt das Pflanzenreich dem Tierreiche die unentbehrliche Grundlage seiner Existenz. Kein Wunder daher, dass dieser wichtige Vorgang von den ver- schiedensten Forschern und nach den verschiedensten Richtungen hin zum Gegenstand des Studiums gemacht worden ist. Am zuverlässigsten sind wohl zur Zeit unsere Kenntnisse über die Biweifbildung bei niederen Organismen. Durch die Untersuchungen von Pasteur, Duclaux und be- sonders Adolf Mayer ist nachgewiesen, dass z. B. der Hefepilz die zu seiner Konstituierung nötigen Proteinstoffe erzeugt „aus dem einzigen kohlenstoffhaltigen Material, das er zu seiner Ernährung bedarf, dem Zucker, und aus einem stickstoffhaltigen anorganischen Stoffe, dem Ammoniak“ (Ad. Mayer), vorausgesetzt, dass dem Pilze auch die nötigen mineralischen Salze zur Verfügung stehen. Noch besser aber XVII 38 594 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. gedeiht der Pilz, wenn ihm als Stiekstoffiquelle an Stelle der Ammoniak- salze Peptone geboten werden. Salpetersaure Salze hingegen ver- mag Sacharomyces nur sehr schwer zu verarbeiten; wohl aber bilden dieselben für Penieillium eine ganz geeignete Stickstoffquelle. Zieht man nun noch in Betracht, dass die erwähnten Vorgänge nicht vom Lichte abhängig sind, so ergiebt sich also, dass die niederen Organismen die Fähigkeit besitzen, aus Kohle- hydraten in Verbindung mitSalpetersäureoder Ammoniak, besser noch Peptonen, und unter Mitwirkung schwefel- saurerSalzeEiweißstoffe zuerzeugenund zwarimDunkeln. Wie aber liegen nun die Verhältnisse bei den höhern chloro- phyllführenden Pflanzen? Hier treten einer klaren Erkenntnis des Vorganges insofern Schwierigkeiten entgegen, als verschiedene Momente ins Auge zu fassen sind. Die nächstliegende Frage bezieht sich auf das Material, aus dem sich die grüne Eiweiß bildet. Sodann ist auch angesichts der Thatsache, dass bei den höhern Gewächsen eine ziemlich weitreichende Arbeitsteilung besteht, die Frage nach dem Orte der Eiweißbildung berechtigt. Und endlich muss man sich im Hinblick auf die Abhängig- keit der grünen Pflanze von den verschiedensten Faktoren (besonders Chlorophyligehalt und Licht) fragen, unter welchen Bedingungen sie Eiweiß bildet. Am besten sind wir über die erste dieser Fragen, also über die stoffliche Seite des ganzen Vorganges, unterrichtet. Auch in der grünen Pflanze treten — wie bei den niederen Organismen — stick- stofffreie organische Körper, Kohlehydrate nämlich, mit stickstofl- haltigen anorganischen!) Körpern zum Zwecke der Eiweißbildung in che- mische Wechselwirkung. Dabei werden die Kohlehydrate, Zucker und Stärke, durch den Prozess der Kohlensäureassimilation zur Disposition gestellt, während der Stickstoff verschiedenen Quellen entstammen kann. Denselben entnimmt die Pflanze entweder der Luft oder dem Nährboden. | Der atmosphärische Stiekstoff hat eine thatsächlich nachgewiesene Bedeutung nur für die Leguminosen, indem diesen Gewächsen durch Vermittelung der in ihren Wurzelknöllchen auftretenden Rhizobakterien der elementare Stickstoff zu gute kommt. | Wie Ad. Mayer nachgewiesen hat, können allerdings die grünen Pflanzen auch Spuren von Ammoniak aus der atmosphärischen Luft aufnehmen. Dieser Thatsache kommt indessen nur eine theoretische Bedeutung zu, weil es sich hier nur um äußerst geringe Mengen handelt, wenn man vom Ammoniak des Bodens absieht. | 4) Es können allerdings auch eine Reihe von organischen Substanzen als _ Stickstoffquelle dienen. Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 595 Letzteres kann von der Pflanze auch als Stickstoffquelle in An- spruch genommen werden; in den meisten Fällen aber erfährt es wohl zuvor erst eine Oxydation unter dem Einfluss der im Boden sich vor- findenden Nitrobakterien. Und in der That stimmen alle Beobachtungen darin überein, dass in erster Linie die Salpetersäure des Bodens von der Pflanze als N-Quelle in Anspruch genommen wird. Nachdem die Nitrate durch die Wurzeln aufgenommen worden sind, erfolgt in der Pflanze ihre Zersetzung durch organische Säuren. Die Basis der Nitrate verbindet sich mit den erwähnten Säuren zu organischen Salzen, die dem Stoffwechsel entzogen werden. Die frei gewordene Salpetersäure dagegen tritt unter dem Einfluss des leben- digen Protoplasmas mit dem Kohlehydrat (Zucker) in chemische Reaktion, und Eiweißstoffe sind das Produkt derselben. Wenn somit also über die stofflichen Voraussetzungen der Eiweiß- bildung in der grünen Pflanze im wesentlichen eine einheitliche An- schauung herrscht, so ist dies bezüglich der Frage nach dem Orte und den Bedingungen jenes Vorganges nicht in demselben Maße der Fall. Das ergiebt sich aus den in der neuesten Zeit über diese Punkte angestellten Untersuchungen, deren Resultate im Folgenden zu- sammengefasst werden sollen. Als die oben kurz dargelegten Verhältnisse bezüglich der Eiweiß- synthese im Pilzkörper erkannt waren, übertrug man die hier ge- wonnenen Resultate ganz schematisch auch auf die höheren Gewächse. Man glaubte aus dem Ernährungsvorgange bei Pilzen schließen zu müssen, dass alle Zellen der höheren Gewächse aus anorganischen Stickstoff-Verbindungen und Kohlehydraten Eiweißkörper produzieren könnten. Es ist klar, dass diese Anschauung der im Pflanzenreiche nach oben hin immer mehr fortschreitenden morphologischen Differenzierung und dem hiermit im Zusammenhang stehenden Prinzip der Arbeits- teilung nicht Rechnung trägt. Wenn jede lebensthätige Pflanzenzelle fähig ist, Eiweiß zu bilden, so ist damit eben noch nicht erwiesen, dass in dem wohlgegliederten Organismus der grünen Pflanze auch alle Zellen von dieser Fähigkeit Gebrauch machen. Es machte sich denn auch sehr bald gegen jene in wenig kritischer Weise vorgenommene Verallgemeinerung eine Reaktion geltend. So spricht schon Sachs gewissen Gewebepartien — den Neu- bildungsherden des Protoplasmas nämlich — die Funktion der Eiweiß- bildung ab, wenn er sagt (Exp.-Physiol. p. 343): „Mit Gewissheit darf man annehmen, dass das Protoplasma der wachsenden Wurzel- spitzen, des Cambiums und der jüngsten Teile der Stammknospen, nicht die Fähigkeit besitzt, selbst eiweißartige Stoffe durch Assimilation aus’ unorganischen Verbindungen zu erzeugen.“ Es wird nach Sachs Il. e. p. 343] „den Neubildungsherden das Material zur Vermehrung 38° 596 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. des Protoplasmas schon in Form von Eiweißstoffen zugeführt“. „Woher sie aber kommen, ob sie schon in den grünen Blättern entstehen und von hier aus den Stamm durchsetzend, den Verbrauchsorten einfach zugeführt werden, lässt sich mit Bestimmtheit nicht behaupten.“ Obgleich Sachs also die Eiweißbildung nicht auf die chlorophyll- haltigen Zellen des Blattes beschränkt wissen will, neigt er doch ent- schieden zu der Annahme, dass die Blätter gewissermaßen die Centrale jenes Prozesses sind; er stützt sich dabei auf die Erscheinung, dass man „von den Blättern aus durch die dünnwandigen Zellstränge der Gefäßbündel hindurch bis zu den Vegetationspunkten hin eiweißartige Stoffe verfolgen“ kann [Mikrochem. Untersuch., Flora 1862). Ganz in demselben Sinne lassen sich die Resultate deuten, zu denen schon vorher Hanstein mit seinen Ringelungsversuchen ge- kommen war. Er experimentierte mit Zweigen der verschiedensten Dieotylen und stellte fest, dass unterhalb der Ringelung eine Wurzel- bildung gar nicht oder nur ganz minimal erfolgte, sofern die Leitung des „plastischen Saftes“ unterbrochen war. Es wurde indessen immer wieder mit Nachdruck darauf hinge- wiesen, dass die Eiweißbildung nicht ein Privilegium der Blätter sei. So suchte Müller-Thurgau experimentell zu zeigen, dass auch die Wurzeln imstande sind, Eiweiß zu bilden, wenn ihnen ein Kohlehydrat und ein Stickstoffsalz zur Verfügung stehen. Er ließ zwei gleichstark entwickelte Wurzeln einer Pflanze in zwei verschiedene Gefäße tauchen, von denen das eine mit einer vollständigen Nährlösung gefüllt war, während das andere eine stickstofffreie Nährlösung enthielt. — Ohne nun die von Müller behauptete Thatsache selbst bezweifeln zu wollen, muss doch betont werden, dass ein unwiderleglicher Beweis für die Richtigkeit jener Behauptung durch den erwähnten Versuch nicht er- bracht worden ist. Zunächst ist schon die Art und Weise der Versuchsanstellung nicht ganz einwandfrei. Die in der einen Lösung fehlenden stickstoff- haltigen Salze wurden nämlich — soweit dies aus dem zitierten Referat zu ersehen ist — nicht durch einen osmotisch gleichwertigen und für den Stoffwechsel indifferenten Körper ersetzt, die beiden Wurzeln vege- tierten, also unter ungleichen physikalischen Außenbedingungen. Es wäre demnach nicht ausgeschlossen, dass die bessere Ernährung der einen Wurzel auf eine intensivere Reizwirkung zurückgeführt werden könnte, welche ihrerseits eine reichere Zufuhr von Baustoffen ver- anlasst hätte. Aber abgesehen hiervon ist: nach Emmerling (l. ce. p. 8) der Müller-Thurgau’sche Versuch überhaupt einer andern Deutung fähig. Mag man schließlich den erwähnten Versuch deuten wie man will, er beweist nichts gegen die Annahme, dass die Hauptstätte der Ei- weißbildung in den Blättern zu erblicken sei. Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflauze. 597 Und so fand denn auch diese Ansicht immer mehr Verteidiger. Nachdem auch Pfeffer (Physiol. I. Aufl, p. 245) sich in diesem Siune geäußert hatte, machte Alfred Fischer die Frage zum Gegen- stand seiner Forschung. Er sagt (l. e. p. 276): „Wie es keinem Zweifel unterliegt, dass jede mit lebendem Protoplasma und Zellkern ausgestattete Zelle, welchem Organe der Pflanze sie auch immer an- gehören möge, Eiweil erzeugen kann, so wird auch die Annahme ge- rechtfertigt erscheinen, dass bei allen höher differenzierten Gewächsen besondere Bildungsstätten für eiweißartige Körper vorhanden sind und dass vorwiegend in den Blättern eine ausgiebige Erzeugung solcher Stoffe stattfindet.“ Und er begründet seine Annahme, indem er fort- fährt: „Hierher führt der Transpirationsstrom große Mengen mine- ralischer Substanzen, hier liefert die assimilatorische Thätigkeit der chlorophylihaltigen Zellen stickstofffreie, organische Materialien, welche mit den aus dem Boden aufgenommenen anorganischen Salzen jeden- falls zu Eiweiß sich vereinigen. Doch werden nach Fischer die Ei- weißstoffe nicht in den assimilierenden Zellen selbst gebildet; vielmehr bemüht sich der genannte Forscher nachzuweisen (l. ec. p. 279), „dass in den Geleitzellen“ — wo bekanntlich Eiweiß in reicherem Maße aufgespeichert ist — „die in den Siebröhren fortgeführten Eiweißsub- stanzen erzeugt werden“. Auch Emmerling verlegt den Prozess der Eiweißbildung in erster Linie in die Blätter. Er äußert sich folgendermaßen (l. e. p. 71): „Die Massenvermehrung der ersteren“ — gemeint sind die Früchte — beginnt erst von dem Zeitpunkte an eine lebhaftere zu werden, wo das Blattorgan fast vollständig aufgebaut ist. Dies entspricht der all- gemein verbreiteten Anschauung, dass die organische Substanz vor- nehmlich in den Blättern erzeugt werde“. Die Frage, ob in gewissem Grade auch Wurzel und Stengel hierbei beteiligt seien, müssen wir freilich vorläufig noch offen lassen“. Nur bezüglich der Zellneu- bildungsorte, Vegetationspunkte, Knospen ete.“ meint er — in Ueber- einstimmung mit Sachs —: „Eine so kräftige Funktion, wie die Neu- bildung stickstoffhaltiger organischer Verbindungen aus anorganischem Material, wird man jedenfalls diesen jüngsten und zartesten Zell- anlagen nicht zuschreiben dürfen“ (l. e. p. 72). . Die Frage, ob denn wirklich die Blätter die Hauptbildungsstätte oder vielleicht gar der alleinige Ort für die Bildung der Eiweilßstoffe seien, rückte nun immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses. Und es ist merkwürdig, dass die extremsten Lösungsversuche fast gleich- zeitig publiziert wurden. Im Jahre 1888 traten Frank und Schimper auf, und es be- hauptete der erstgenannte Forscher, dass die grüne Pflanze in fast allen Organen, nur nicht im grünen Blatt, Eiweiß bilden könne; Schimper dagegen kam gerade zu der entgegengesetzten Ansicht. 598 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Frank meint (l. e. p. 467), „dass die von der Pflanzenwurzel als stickstoffhaltiges Nährmittel aufgenommene Salpetersäure nicht im srünen Blattgewebe assimiliert wird, sondern dass in sämtlichen Organen der Pflanze, die von Gefäßbündeln durchzogen sind, als Wurzeln, Stengeln, Blattstielen, Blattrippen diese Assimilation mit dem in den Parenchymzellen dieser Teile vorhandenen Nitraten erfolgen kann, dass dieselbe daher bei denjenigen Pflanzen, welche die Salpeter- säure nicht auf längere Zeit in ihrem Körper aufspeichern, wie bei den Lupinen und den meisten Holzpflanzen, schon in der Wurzel, bei denjenigen aber, welche diese Säure in Wurzeln, Stengeln, Blattstielen und Blattrippen für spätere Bedürfnisse als Reservestoffe deponieren, in allen genannten Organen vor sich geht“. Zu dieser Ansicht gelangt Frank allerdings hauptsächlich auf dem Wege der Spekulation (l. ec. p. 467/65); nur zwei Versuche hat er angestellt, „um nun diese Ideen auch experimentell zu prüfen“. Der erste dieser Versuche ist deshalb nicht recht beweiskräftig, weil — was Frank selbst zugiebt — die Versuchspflanzen ungesund waren. | Durch den zweiten Versuch will Frank die „vermeintliche Zer- setzung der Salpetersäure im grünen Blattgewebe“* näher prüfen. Schimper hat jedoch später (Flora 1890, p. 256) nachgewiesen, dass auch dieser Versuch die Fran k’sche Hypothese nicht zu stützen vermag. Im Gegensatz zu Frank behauptet nun Schimper, man habe „in den grünen Zellen, speziell des Mesophylis, die Laboratorien zu erblicken, in welchen beinahe sämtliche Rohstoffe der Planzennahrung ihre erste Verarbeitung erfahren. Vermutungsweise deutete Schimper diese Ansichten zwei Jahre vorher an (Bot. Ztg. 1888, p. 151,52). Er geht von der Thatsache aus, dass die in Form von Nitraten aus dem Boden aufgenommene Salpetersäure als Stickstoffquelle bei der Eiweißsynthese die wichtigste Rolle spielt. Demgemäß lag es im Plan seiner Untersuchungen, das Schicksal jener Salze in der Pflanze ‚zu verfolgen. Maßgebend hierbei war für ihn das Vorhandensein oder Niehtvorhandensein der Nitrate, das er mit Hilfe der Diphenylamin- Reaktion feststellte. Sodann lenkte er sein Augenmerk auch ganz besonders auf die Ablagerung der bei der Nitratzersetzung entstehen- den Nebenprodukte: Kalk- und Kalioxatat. Auf diese Weise kam er zu den oben angegebenen Resultaten. Ob die Prämissen richtig sind, auf denen Schimper aufbaut, wird sich weiter unten ergeben bei der Frage nach den Bedingungen der Eiweißbildung. Schimper legt sich allerdings auch die Frage vor, ob nicht auch andere Gewebe die Nitrate verarbeiten, beantwortet sie aber im ver- neinenden Sinne. Er hält sich vor Augen, „dass mit der Verarbeitung der Mineralsalze eine Ausscheidnng von Aschenbestandteilen verbunden Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 599 ist, da nur ein Bruchteil der an Säuren gebundenen im Stoffwechsel verbleibt“. Aus den Aschenanalysen von Wolff entnimmt er sodann, dass die Blätter prozentisch ungleich mehr Aschenmengen enthalten als die übrigen Pflanzenteile; so finden sich z. B. bei den annuellen Pflanzen im Durchschnitt in den Blättern 15°/, und im Stengel 5°], Mineralstoffe. Aus diesen Zahlen schließt Schimper im Hinblick auf die Thatsache, dass Aschenbestandteile, namentlich Phosphorsäure und Kali, fortwährend aus dem Blatte in den Stengel wandern, außerhalb der Mesophylizellen könne eine Verarbeitung der Rohstoffe nicht erfolgen. Ueberblickt man nun die Resultate der Untersuchungen bis zum Abschluss der Schimper’schen Arbeiten, so ergiebt sich, dass die sroße Mehrzahl der Forscher jeder lebenden Zelle der grünen Pflanze die Fähigkeit der Eiweißbildung zuer- kannt, alle aber (mit Ausnahme von Frank) die eigent- liehe Centralstelle jenes Prozesses in dem Laubblatt er- blicken, welches Schimper für die as Stätte der Ereißeyuthese erklärt. | Der Ansicht, nach welcher Eiweißstoffe hauptsächlich in den Blättern gebildet erden schließen sich alle Forscher nach Schimper bis heute an. So hebt z. B. Zaleski in seiner Arbeit: „Zur Kennt- nis der Eiweißbildung in der grünen Pflanze“ besonders hervor: „Die Blätter wurden gewählt“ (als Objekt), „weil uns gegenwärtig bekannt ist, dass sich organische Stickstoffverbindungen hauptsächlich in diesen bilden“. Und Kosutany geht wohl von derselben Voraus- setzung aus, wenn er mit Blättern von ZRiparia!) operiert. Wie Zaleski und Kosutany, so lassen alle neuern Forscher die Ortsfrage als relativ bekannt in den Hintergrund treten und machen zum Hauptgegenstand ihrer Fragestellung die Bedingungen der Ei- weißbildung. Und es ist klar, dass diese Fragestellung einen Fort- schritt bedeutet; denn sobald man über die Bedingungen der Eiweiß- bildung wirklich informiert ist, fällt auch ein klärendes Licht auf die Ortsfrage. Das Verdienst, das Interesse der Forscher auf die Bedingungen der Eiweißbildung gelenkt zu haben, gebührt Schimper, der über- haupt im Mittelpunkt der ganzen Fra steht. Schimper behauptet nämlich, dass die Eiweißbildung durch die chlorophyllhaltigen Zellen der Pflanze vermittelt werde und dass im Sonnenlicht die für den erwähnten Vorgang nötige Kraft gegeben sei. Er stützt sich dabei auf Versuche, nach denen im Dunkeln die von der Pflanze aufgenommenen Nitrate sich anhäufen, während die- selben bei Lichtzutritt verschwinden, weil die Salpetersäure verar- beitet wird. 1) Vitis riparia var. sauvage, die hier nur im weiteren kurzweg Riparia genannt werden mag. 600 Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Die Beobachtung Schimper’s war ohne Zweifel richtig, aber die Interpretation und die aus derselben abgeleitete Folgerung entsprach wohl nicht den thatsächlichen Verhältnissen. Schimper unterschied nicht zwischen einer direkten und einer indirekten Mitwirkung von Chlorophyll und Licht. Und das kam daher, dass er die stoffliche Seite des ganzen Vorganges nur einseitig untersuchte, indem er nicht beide Komponenten der Eiweißsynthese (also Kohlehydrate und Nitrate) in demselben Maße ins Auge fasste, sondern vor allem das Schicksal der Salpetersäure verfolgte. Hätte Schimper bei seinen Unter- suchungen auch die Kohlehydrate eingehend mit berücksichtigt, dann würde er wohl schwerlich dem Chlorophyll und dem Lichte bei der Eiweißbildung eine direkte Rolle zugeschrieben haben. Ist Licht bei der Eiweißbildung nötig oder nicht? Auf diese Frage liefen nun alle Untersuchungen hinaus. Einige Forscher beantworteten sie im positiven, viele wieder im negativen Sinne. Die Ansicht, dass die Gegenwart des Lichtes zur Eiweißbildung erforderlich sei, wird hauptsächlich von zwei Seiten vertreten. Zu- nächst sind es drei belgische Forscher: Laurent, Marchat und Carpiaux, welche aufGrundlage ihrer Untersuchungen an denBlättern, der Runkelrübe, der Ulme, des Ahorn etc. behaupten: „Chez les plantes superieures, l’assimilation des nitrates n’a pas lieu A l’obscurite.“ Sie stellten sogar fest, dass „elle exige l’intervention des rayons ultraviolets“. Bei ihren Versuchen gingen die genannten drei Forscher von der Ansicht Pagnoul’s aus, nach welcher das Licht bei der Zersetzung der Nitrate und der Bildung der organischen Stickstoffverbindungen in den Pflanzengeweben eine Rolle spielt, die derjenigen analog ist, die ihm bei der Zersetzung der Kohlensäure zur Bildung der Kohle- hydrate obliegt. Soweit stimmen also Laurent, Marchat und Carpiaux mit Schimper überein. Im Gegensatz aber zu ihm befinden sie sich, wenn sie behaupten (l. c. p. 865): „L’imtervention de la chlorophylle n’est pas necessaire“; ja „les feuilles blanches assimilent m@me mieux l’azote ammoniacal que les feuilles vertes“. Das Ammoniak nimmt Laurent merkwürdigerweise als Uebergangsprodukt von der Salpeter- säure zu den Proteinstoffen an. Im wesentlichen zu denselben Resultaten wie die belgischen Forscher kommt sodann auch Godlewski. Bei seinen vergleichenden Untersuchungen mit Weizenkeimlingen, also proteinarmen und kohlen- hydratreichen Objekten, die im Dunkeln und im Licht in salpeter- haltiger Nährlösung vegetierten, ergab sich, dass nur im letzteren Falle Proteinstoffe sich bildeten, während im Dunkeln nur stickstoff- haltige Niehtproteinstoffe entstanden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass auch im Dunkeln Eiweißstoffe gebildet worden wären, sofern den Objekten geeignete Kohlehydrate zur Verfügung gestanden hätten. Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. 601 "Durch Kulturversuche in kohlensäurefreier Luft bewies Godlewski, dass „die Bildung der Proteinstoffe auf Kosten der Nitrate nicht un- mittelbar an den Assimilationsprozess gebunden“ ist. Indem Godlewski zugiebt, dass der Eiweißbildungsprozess im Dunkeln eingeleitet werden kann, wird eine Vermittelung zu den An- schauungen jener Forscher gegeben, welche die Eiweißbildung der höheren Pflanzen unabhängig vom Licht vor sich gehen lassen. Schon Ende der 80er Jahre — also ungefähr zu gleicher Zeit mit Schimper’s Arbeiten — spricht Chrapowicki vermutungsweise (die Versuche waren noch nicht abgeschlossen) aus, dass ihm in mehreren Fällen die Eiweißbildung im Dunkeln (bei Anwesenheit von Stärke) unzweifelhaft erscheint. Sodann (1895) zeigte Kinoshita, „dass etiolierte Lupinenkeim- linge aus künstlich zugeleiteten Kohlehydraten und den im Keimling enthaltenen Zersetzungsprodukten von Eiweißstofien diese auch im Dunkeln bilden können“, Kosutany, der sich zu derselben Zeit mit dieser Frage beschäf- tigte, fasst seine Resultate dahin zusammen: „Während die Rohstoffe der Eiweißbereitung am Tage in größerer _ Menge von der Pflanze aufgenommen werden, als in der Nacht, werden andrerseits dieselben Stoffe in der Nacht in größerer Menge in Eiweiß umgewandelt, als am Tage.“ Kosutany fand nämlich, dass die Blätter von Riparia in der Nacht mehr Eiweißstoffe und entsprechend weniger nichteiweißartige Stickstoff-Verbindungen enthielten und schloss daraus, dass die letzteren während der Nacht in größerer Menge in Eiweißsubstanzen umgewandelt werden als am Tage. Ferner stellte er fest, dass der Salpetersäuregehalt der Blätter am Tage höher ist als in der Nacht, was er ebenfalls auf die Verarbeitung der Salpeter- säure zu Eiweiß während der Nacht zurückführt. Neuerdings stellte dann Hanstein experimentell fest, dass Lemna imstande ist, im Dunkeln aus Traubenzucker und Asparagin, aus Traubenzucker und Ammoniaksalzen, aus Glykokoll und Rohrzucker Eiweiß in reichlicher Menge zu bilden. Nitrate und Traubenzucker vermag die Pflanze nur schwer zu verarbeiten. Und aus Asparagin und Rohrzucker kann Lemna Eiweiß überhaupt nicht erzeugen. In jüngster Zeit versuchte sodann Zaleski unsere Frage experi- mentell zu lösen. Er operierte mit Blättern von Helianthus, denen er eine vollständige Nährstofflösung mit Nitratstickstoff bot, welche in dem einen Falle zugleich Fruchtzucker enthielt. Die Kulturen wurden im Dunkeln gehalten. Fehlte den Lösungen der Zucker, dann kam es in den Unter- suchungsobjekten nicht zur Eiweißbildung, sondern zur Erzeugung von nichtproteinartigen Stiekstoffverbindungen (amidartigen Körpern). Stand aber Zucker zur Verfügung, so ergab sich, „dass Blätter 602 ‘Jacobi, Eiweißbildung in der grünen Pflanze. Eiweißstoffe im Dunkeln bilden können“. Doch erfordert diese Eiweiß- synthese eine „erhebliche Menge von Kohlehydraten“. Der gegenwärtige Stand unseres Wissens über den Ort und die Bedingungen der Eiweißbildung in der grünen Pflanze, wie sich der- selbe in den hier zusammengestellten Forschungsresultaten dokumen- tiert, ist also der folgende: Die eigentliche Centrale der Eiweißsynthese ist das Laubblatt. In den bei der Eiweißbildung direkt beteiligten Zelle wird dieser Prozess (bei sonst normalen Vegetations- bedingungen) im Dunkeln unter allen Umständen ein- geleitet,indemKohlehydratemitSalpetersäure, Ammoniak oder Amiden zu diesem Zwecke in Reaktion treten. Wie weit aber der erwähnte Prozess im Dunkeln fort- schreitet, das hängt von der Menge der disponibeln Kohlehydrate ab. Sind die letzteren in reichem Maße vorhanden, so kommt es zur Bildung von Proteinstoffen (wie es die Resultate von Hanstein und Zaleski zeigen). Stehen dagegen nur geringe Kohlehydrat-Mengen zur Verfügung, so bleibt es im Dunkeln bei der Produktion von Amiden. Wird daher für eine hinreichende Vermeh- rung der Kohlehydrate gesorgt, so kann Eiweiß gebildet werden (im Dunkeln). DieZuführung dieserKohlehydrate kann nun auf zwei- fache Weise geschehen: künstlich oder natürlich. Im ersteren Falle kann dann die Eiweißsynthese auch im Dunkeln erfolgen (Zaleski). Auf natürlichem Wege können die Kohlehydrate bis zur hinreichenden Menge dadurch vermehrt werden, dass man den Versuchsobjekten durch Lichtzutritt die Be- dingungen zur Kohlensäure-Assimilation gewährt. In diesem letzten Falle wirkt also das Licht bei der Eiweißsynthese indirekt mit, indem es durch den Assi- milationsprozess Kohlehydrate zur Verfügung stellt. Die eigentliche Energiequelle istin denKohlehydraten selbst gegeben. In manchen Fällen jedoch scheint auch das Licht als Kraftquelle eine Rolle zu spielen. Wie schon erwähnt, fand Godlewski, dass auch in kohlensäurefreier Luft bei Lichtzutritt aus Nitraten und dem Zucker der Keimlinge Eiweiß gebildet werden kann. Und Detmer (l. ec. p. 76) ver- mutet, dass in diesem Falle das Licht „als Kraftquelle Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 603 besondere Bedeutung gewinnt“, da nur geringe Mengen von Kohlehydraten zur Verfügung stehen. Litteratur. Chrapowicki, Beobachtungen über die Eiweißbildung in den chlorophylil- führenden Pflanzen. Bot. Centralblatt, 1889. De Vries, Ueber die Bedeutung der Kalkablagerungen in den Pflanzen. Landwirtschaftl. Jahrbücher 1881. Detmer, Boden- und Pflanzenkunde (in Settegast’s „Lehre von der Land- wirtschaft“). Emmerling, Studien über die Eiweißbildung in der Pflanze. Die landwirt- schaftl. Versuchsstationen 1887. Fischer Alfred, Studien über die Siebröhren der Dicotylenblätter. Frank, Untersuchungen über die Ernährung der Pflanze mit Stickstoff Landwirtschaftl. Jahrb., 1888. Godlewski, Zur Kenntnis derEiweißbildung aus Nitraten in der Pflanze. 1897. Hanstein, Beiträge zur Kenntnis der Eiweißbildung im Pflanzenkörper. Berichte der deutschen Bot, Gesellschaft, 1896. Holzner, Ueber die physiologische Bedeutung des oxalsauren Kalkes. Flora 1867. Kosutany, Untersuchungen über die Entstehung des Pflanzeneiweißes. Die landwirtsch. Versuchsstationen 1897. Laurent, Marchal et Carpiaux, Recherches exp6rimentales sur l’assi- milation de l’azote ammoniacal et de l’azote nitrique par les plantes sup£rieures. 1897. Mayer, Ad., Agrikulturchemie. Müller-Thurgau, Ueber den Einfluss des Stickstoffs auf die Bewurzelung des Weinstockes. Referat im Bot. Centralblatt, 1889. Sachs, Experimental-Physiologie der Pflanzen. Schimper, Zur Frage der Assimilation der Mineralsalze durch die grüne . Pflanze. Flora 1890. Schimper, Ueber Kalkoxalatbildung in den Laubblättern. Bot. Ztg.. 1888. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, I. Bd., 1897. 2 Zaleski, Zur Kenntnis der Eiweißbildung in den Pflanzen. Bericht der deutschen Bot. Gesellschaft 1898. Die Anregung zur vorstehenden Arbeit ging von Herrn Professor Dr. Stahl aus. Hierfür, sowie für die freundliche Unterstützung durch Litteraturnachweis sei ihm wärmster Dank ausgesprochen. [95] Jena, Botan. Institut, im Juni 1898. Ueber die Phylogenie und systematische Stellung der Panto- poden. Von J. E. W. Ihle in Bussum (Holland). Es giebt im Tierreich viele eigentümliche Formen, deren Ver- wandtschaftsverhältnisse und systematische Stellung noch nicht auf- geklärt sind, und welche dieser oder jener Gruppe angeschlossen werden und dies oft ohne triftige Gründe. Zu solchen Gruppen ge- 604 Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. hören auch die Pantopoden, welche entweder den Arachnoidea oder den Crustacea angeschlossen werden; aber ein solehes Verfahren ent- spricht den natürlichen Verwandtschaftsverhältnissen durchaus nicht. Bekanntlich besitzen die Pantopoden 7 Extremitätenpaare, deren Homologisierung mit denen der andern Arthropoden noch einigermaßen zweifelhaft ist. Sehr wahrscheinlich dünkt mir die Ansicht Haeckel’s, dass das erste Beinpaar den Cheliceren, das zweite Paar den Pedi- palpen, das dritte dem letzten Beinpaar des Kopfes (= dem ersten Gehfußpaar), das vierte bis sechste ‚den 3 thoracalen Gliedmaßenpaaren der Arachnoidea entspricht, und dass das siebente Paar einem Abdo- minal-Fußpaar homolog ist, das den Arachnoidea fehlt. (E. Haeckel. Systematische Phylogenie. Band II. 1896. p. 680). Bei denjenigen Pantopoden, bei welchen einige Fußpaare fehlen, muss man voraussetzen, dass sie dieselben verloren haben, denn die soeben ausgeschlüpften Larven besitzen ja alle 3 Podienpaare, indem die vier folgenden Paare später hervorwachsen. Der Besitz der 7 Beinpaare ist also für die Pantopoden ein typischer. Einige Forscher glauben, dass die 7 Beinpaare der Pantopoden den 4 Kopf- und 3 Thoraxpaaren der übrigen Arthropoda entsprechen. Haeckel (l.e.) aber „dünkt diese Annahme weniger wahrscheinlich“, welcher Ansicht ich mich auch annähere, denn das erste scheeren- tragende Beinpaar würde den Antennen der Insekten, Myriopoden und Protracheaten entsprechen; bei keiner dieser Gruppen findet man aber scheerentragende Antennen, und dieselben behalten immer ihre ur- sprüngliche Gestalt. Die Annahme von Claus (Grundzüge der Zoologie. 3. Aufl. p. 576), dass das dritte Beinpaar der Pantopoden ein accessorisches sein würde, nicht zu einem ursprünglichen Segment gehörend, dünkt mir auch nicht sehr wahrscheinlich; denn wohl können aus einem ursprüng- lichen Spaltfuß leicht 2 Extremitäten entstehen, nicht aber aus einem einfachen Fuß; denn gesetzt, dass irgend eine besondere Funktion verrichtet werden muss, dann würde das erste am wenigsten differen- zierte Organ diese Funktion übernehmen, aber aus einem vorhandenen Organ würden nie zwei neue Organe verschiedener Funktion entstehen können. So sehen wir z. B. auch bei den Chilopoden, dass Gehfüße, — also wenig differenzierte Organe — die Funktion von Kieferfüßen übernommen baben, aber nicht, dass aus vorhandenen Kiefern einige neue entstanden sind. Ich werde nun versuchen den Beweis beizubringen, dass die Pantopoden weder mit den Arachnoideen, noch mit den Crustaceen irgend eine nähere Verwandtschaft besitzen, und werde meine Be- trachtung mit den ersteren anfangen. Wenn wir die Haeckel’sche Homologisierung annehmen, können die vier letzten Beinpaare der Pantopoden den Gehfüßen der Spinnen- Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 605 tiere nicht entsprechen, und namentlich auf diese angebliche Homo- logie der Extremitäten gründet sich jene Annahme, welche die Panto- poden als Abkömmlinge der Arachnoideen betrachtet. Die 4 Gehfuß- paare dieser beiden Gruppen sind einander also nicht homolog, sondern selbständig erworben. — Es wird nicht schwer sein einzusehen, dass die Thatsache, dass der Magen der Pantopoden 5 Paar Blindsäcke in die Extremitäten entsendet, nicht für eine Verwandtschaft mit den Arachnoideen verwertet werden kann, denn unter den letzteren be- sitzen nur die am weitesten entwickelten Formen (die Araneen und manche Acarinen) solche Blindsäcke. Da wir zweitens für die ur- sprünglichen Arachnoideen den Besitz von Blindsäcken nicht voraus- setzen können, und da drittens die Pantopoden nicht von Araneen oder Acarinen abgeleitet werden können, müssen wir annehmen, dass beide Gruppen die Blindsäcke selbständig erworben haben. Diese Organe sprechen also nicht für die Verwandtschaft der Pantopoden mit den Arachnoideen, wie z.B. Richard Hertwig annimmt (Lehr- buch der Zoologie. 3. Aufl. p. 443). Unter den übrigen Organensystemen der Pantopoden findet man kein einziges, welches für eine nähere Verwandtschaft mit den Arach- noideen spricht. Blutgefäß- und Nervensystem deuten nur auf die Arthropodennatur der Pantopoden hin, nicht aber auf Arachnoideen- charaktere. Die Gonaden geben keine Auskunft über ihre Stammver- wandtschaft, und ebensowenig die Athmungsorgane, welche vollständig fehlen. Man findet also keinen überzeugenden Beweis, die Pantopoden den Arachnoideen anzuschließen, und es war ehemals nur der spinnen- ähnliche Habitus, welcher zu dieser Annahme verleitet hat, und bis jetzt hat man fast ausnahmslos an dieser Auffassung festgehalten. Wenn wir also die Verwandtschaft mit den Spinnentieren nicht anerkennen, kann selbstverständlich die angebliche nähere Verwandt- schaft mit den Acarina für uns nicht bestehen; diese Verwandtschaft gründete man auf den Besitz eines Saugrüssels; dieses Gebilde ist aber bei den Pantopoden etwas ganz Andres als bei den Acarinen; diese besitzen nämlich einen durch die Kiefertaster gebildeten Saugrüssel, jene aber eine ungegliederte conische Saugröhre, welche nur eine Verlängerung des Körpers darstellt, und welche ontogenetisch nicht durch Verwachsung der Kiefertaster entsteht, wie Huxley glaubte. (Grundzüge der Anatomie der wirbellosen Tiere. Deutsche Ausgabe. p- 341.) Einige Forscher nehmen an, dass die Pantopoden Verwandte der Crustaceen sind. Die Pantepoden besitzen jedoch kein einziges posi- tives Merkmal der letzteren, da ihnen sowohl die Nauplius-Larve wie die Kiemen abgehen, denn die sechsbeinige Larve der Pantopoden kann gar nicht mit dem Nauplius homologisiert werden. Auch die 606 Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopodeu. innere Organisation giebt uns keine Anknüpfungspunkte mit den Crusta- ceen. Schließlich wird es kaum der Erwähnung bedürfen, dass die Pantopoden den Laemodipoden nicht verwandt sein können, wie von Milne Edwards und Kröyer angenommen wurde. Von den meisten Zoologen wird aber gegenwärtig die Ansicht, welche die Pantopoden zu den Crustaceen stellt, aufgegeben. | Wir sehen also, dass die Pantopoden weder mit den Arachnoideen, noch mit den Crustaceen verwandt sind, und dass sie in keiner dieser Gruppen zwanglos untergebracht werden können. Als die Ahnen der Pantopoden betrachte ich die Myriopoden, erstens weil die letzteren die einzigen Tracheaten sind, welche ab- dominale Extremitäten besitzen, und zweitens, weil, — wenn wir die Arachnoideen und Crustaceen ausschließen —, die Myriopoden die einzig übrig bleibenden Tiere sind, von welchen wir die Pantopoden ableiten können, sodass wir fast notgedrungen die ersteren als die Vorfahren - der letzteren betrachten müssen. Von Insekten, Protracheaten oder anderen Tieren können die Pantopoden jedenfalls nicht abstammen, uud von Arachnoideen können wir sie wegen des Besitzes eines ab- dominalen Beinpaares nicht ableiten, denn die Ur-Arachnoideen besaßen gewiss keine abdominalen Gliedmaßen; dieselben fehlen nämlich in allen Ordnungen dieser Klasse. Also erübrigt allein die Klasse der Myriopoden als Ahnen der Pantopoden, !und von ersteren haben sich selbständig Pantopoden, Insekten und Arachnoideen abgetrennt. — Ob- wohl man in der Organisation der Pantopoden wenig findet, was direkt zu den Myriopoden überleitet, bietet dieselbe doch keine Schwierigkeiten, wenn man jene von dieser ableiten will, denn aus dem relativ einfachen Bau der Myriopoden kann man die Organisation der Pantopoden durch Rückbildung dieses, Weiterbildung und Um- gestaltung jenes Organs leicht erklären. Auch lassen sich manche Eigentümlichkeiten ihrer Organisation, wie die außerordentliche Länge ihrer Gehfüße, die Dünnheit ihres Körpers, und in Korrelation dazu die Lage der Gonaden in den Extremitäten, nicht schwer mit Rück-- sicht auf ihre Lebensweise auf Seepflanzen und Tangen erklären. — Weniger wahrscheinlich ist die Annahme, dass die Pantopoden sich von Formen abgezweigt haben, welche schon die Hauptmerkmale der Arachnoideen besaßen, aber noch nicht die abdominalen Gliedmaßen verloren hatten, da die Pantopoden durchaus keine Arachnoideen- Charaktere besitzen. Wenn wir also die Vorfahren der Pantopoden direkt unter den Myriopoden suchen müssen, und wenn erstere sich von letzteren ab- gezweigt haben, ergiebt sich, dass wir die Pantopoden als selbständige Klasse der Tracheaten betrachten müssen, denn sie haben sich sehr weit von ihren Myriopoden-Vorfahren entfernt. Ich halte also die folgende Einteilung der Tracheaten für die den natürlichen Verwandt- Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. 607 schaftsverhältnissen am meisten entsprechende, worin ich 5 gleich- wertige, coordinierte Klassen annehme in dieser Reihenfolge: I. Protracheata. Il. Myriopoda. III. Pantopoda. IV. Insecta. V. Arachnoidea. Da die Pantopoden sich so weit von ihren Vorfahren, den Myrio- poden, entfernt haben, glaube ich, dass wir vollkommen berechtigt sind die Pantopoden als selbständige Klasse zu betrachten. Viele Forscher aus der Neuzeit haben denn -auch schon auf die isolierte Stellung dieser Tiere hingewiesen, z. B. erwähne ich das Folgende. Haeckel sagt über dieselben (1. e.): „Diese kleine Articulaten-Gruppe nimmt eine sehr isolierte Stellung unter den Arthropoden ein.“ R. Hertwig (Lehrbuch, 3. Aufl. p. 443) und E. Selenka (Zoologisches Taschenbuch p. 85) fügen die Pantopoden als Anhang zu den Arach- noidea, und W. Haacke sagt (Die Schöpfung der Tierwelt p. 329) er... Langfußspinnen, deren Zugehörigkeit zu den Spinnentieren. im hohen Grade zweifelhaft ist“, und weiter „Freilich zeigen die Langfußspinnen auch keine nähere Verwandtschaft zu den Krebstieren“ u. s. w. — Auch Dohrn hat die gesonderte Stellung der Pantopoden stark hervorgehoben, aber er glaubte, ihre Vorfahren seien gar keine Verwandte der übrigen Arthropoden. A. ©. Oudemans schließt sich ihm an und sagt stark übertreibend: „Jedermann weiß nun, dass diese Tiere eine ganz besondere Urgruppe bilden, ohne alle Verwandtschaft mit irgend einer anderen Arthropodengruppe.“ (Tijdschrift der Neder- landsche dierkundige Vereeniging 2. Serie, Deel I, 1886, p. 41.) Für diese Behauptung fehlt mir aber jeder triftige Grund. Vielleicht wird man gegen meine Auffassung einwenden, dass es “ nicht gut sei, kleine, aberrante Gruppen weit größeren gleichwertig zur Seite zu stellen. So sagt R. Hertwig (Lehrbuch, 3. Aufl., p. 15): „In der Neuzeit hat sich dasBestreben bemerkbar gemacht, (solche) kleine aberrante Gruppen zu selbständigen Stämmen des Tierreiches zu er- heben, ein Verfahren, welches nur dazu führen kann, die Uebersicht- lichkeit und praktische Verwertbarkeit des Systems zu schädigen.“ Dies würde in unserem Fall vielleicht zutreffend sein können, denn meiner Auffassung zufolge muss man die Pantopoden sehr großen Gruppen, wie den Insekten und Arachnoideen, gleichstellen. R. Hert- - wig kann ich aber gar nicht beistimmen; aus einem pädagogischen Gesichtspunkt mag seine Ansicht vielleicht zutreffend sein; aber aus einem wissenschaftlichen durchaus nicht, und man darf ja den wissen- schaftlichen Wert des Systems, — als Ausdruck der phylogenetischen Verwandtschaftsverhältnisse — seinem pädagogischen und praktischen Wert nicht opfern. Uebrigens scheint dieser pädagogische Einwand Andern nicht: so schwerwiegend wie Hertwig; so nimmt z. B. A. Fleischmann in seinem vor Kurzem erschienenen „Lehrbuch der Zoologie“ statt der 7 altherkömmlichen Typen deren 16 an. 608 Ihle, Phylogenie und systematische Stellung der Pantopoden. Auch wenn man die Pantopoden nicht als die Abkömmlinge der Myriopoden betrachtet, ist man berechtigt, dieselben als selbständige Klasse im System aufzuführen, da sie sich erstens jedenfalls, wie be- reits erwähnt ist, sehr weit von ihren Vorfahren entfernt haben, — welches sich ergiebt aus der geringen Zahl und der großen Länge der Beine, und weiter aus der geringen Gliederung des Körpers, — und da sie zweitens eine sehr alte Gruppe bilden, worauf Haacke (l. ce.) hinweist. Wie unsicher und schwierig die Frage nach den Verwandten der Pantopoden ist, ergiebt sich aus der historischen Umwandlung der An- sichten, welche die verschiedenen Zoologen hinter einander verteidigt haben. — Linnaeus vereinigte die Pantopoden mit den Phalangidea; Cuvier betrachtete sie als eine Familie einer Ordnung der Arach- noidea, und stellte sie zwischen die Pseudo-Scorpiones und seine Holetra (= Phalangidea + Acarina). Er fügte aber hinzu: „Nous ne les placons ici qu’avec doute.“ (Regne animal. Tom. II, 3. &d. p. 298.) Sa- vigny nannte diese Tiere Uebergangsformen zwischen Arachnoidea und Crustacea. Später wurden die Pantopoden von Milne Edwards und Kröyer zu den Crustaceen gestellt, und zwar in die Nähe der Laemodipoden. Nachher brachte man sie wieder durchgängig zu den Arachnoideen; entweder stellte man sie in dieser Klasse zwischen die Linguatuliden und Tardigraden (z. B. Schmarda), oder man schloss sie den Acarinen an, und stellte sie dann zwischen die Acarinen und Araneen (z.B. Huxley, Claus). In der Neuzeit wurden die Forscher mehr und mehr von ihrer isolierten Stellung überzeugt; so wurden sie z.B. von von Hayek u. A. am Anfang, von Haeckel, Harting u.A. am Ende der Spinnentiere gestellt, wieder Andre z.B. R. Hert- wig und Selenka betrachteten sie als Anhang zu den Arachnoideen, wie ich bereits erwähnt habe; und zwischen dieser Auffassung und der meinigen giebt es keine große Kluft. Wenn man die Pantopoden von den Arachnoideen trennt, bleibt eine einheitliche, monophyletische Gruppe übrig, welche sich leicht de- finieren lässt; man muss aber zweifelsohne auch die Tardigraden 'von ihnen trennen, und vielleicht auch die Linguatuliden; erstere besitzen gar keine Verwandtschaft mit den Arachnoideen und sind zu den Anneliden zu stellen, wie Haeckel vorgeschlagen hat; letztere bilden vielleicht auch eine selbständige Tracheaten-Klasse; mindestens ist ihre Verwandtschaft zu den Arachnoideen sehr zweifelhaft. Haeckel teilt (a. a. O. p. 666) die Pantopoden in 2 Gruppen, die Nymphonidae und Pycnogonidae; von welchen die ersteren den Stammformen der Klasse noch am nächsten stehen, denn sie besitzen. alle 7 Extremitätenpaare und ein wenig differenziertes Nervensystem. Bei den Pycnogonidae sind dagegen die beiden vordern Beinpaare rückgebildet worden; diese Familie darf also jedenfalls nicht als Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. September 1898. Nr. 17, Inhalt: Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. — vom Rath, Können bei Säugetieren die Geschwister desselben Wurfes von verschiedenen Vätern abstammen? — Samassa, Bemerkungen über die Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. — Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. — NUERE: Ske- lett der Katze. — Druckfehlerberichtigung. Plankton in norwegischen Binnenseen, Von Hartvig Huitfeldt-Kaas. Vortrag, gehalten in der biologischen Gesellschaft Christiania, 10. März 1898. Im Sommer 1895 unternahm ich eine Reise nach Kiel, von wo aus ich, unter Leitung des Herın Dr. Apstein, einen Teil holstei- nischer Binnenseen besuchte und mich mit seiner Methode der quan- titativren Bestimmung des Süßwasserplanktons bekannt machte. Später habe ich diese Untersuchungen in norwegischen Binnenseen fortgesetzt, indem ich im Laufe von zwei Sommern „Gudbrandsdalen“ und im letzten Sommer verschiedene westnorwegische Süßwasserseen zwischen Flekkefjord und Söndfjord untersuchte, an welchen Orten Plankton in zahlreichen größeren und kleineren Binnenseen, Teichen und in einigen Flüssen gesammelt wurde. Weiter wurden monatliche Plank- tonproben das ganze Jahr hindurch in 3 in der Nähe von Christiania liegenden Gewässern eingesammelt. Im Ganzen sind 57 Gewässer und Flüsse, und aus diesen ungefähr 200 verschiedenen Proben quali- tativ untersucht. Von diesen wurden wieder ungefähr 130 quantitiv bestimmt nach Apstein’s Methode mit der Modifikation, dass teil- weise nur die Crustaceen gezählt wurden, während das Auftreten der übrigen Organismen nur als mehr oder weniger zahlreich bezeichnet ist. Dies ist einzig und allein geschehen, um etwas von der langen Zeit zu sparen, die notwendiger Weise dieses Zählen in Anspruch nimmt. Die Crustaceen, als der in Bezug auf Gewicht und Volumen XVII, 40 626 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. am meisten hervorragende Teil des Planktons, waren zum Zählen ausgewählt worden, da sie wegen ihres Werts als Fischnahrung ein spezielles Interesse für meine Untersuchungen über die Süßwasser- fischereien haben. Apstein hat durch seine Untersuchungen der Schleswig-Hol- steinschen Seen nachgewiesen, dass das Plankton in diesen sehr gleich- mäßig verteilt ist. Diese Seen der Ebenen Holsteins sind von einer besonders einförmigen Beschafienheit: sie sind alle verhältnismäßig nicht tief, die Niedersehlagdistrikte klein, der Wasserzufluss gering und der Boden verhältnismäßig flach. In den norwegischen Binnenseen, wo die Verhältnisse in diesen Beziehungen äußerst verschieden sind, habe ich die Verteilung des Planktons ebenfalls sehr gleichmäßig in den Seen gefunden, die im Ganzen eine verhältnismäßig gleichmäßige Tiefe und geringen Wasser- zufluss haben. In den übrigen Seen mit unebenen Tiefenverhältnissen und, was noch von größerer Bedeutung ist, mit hineinlaufenden größeren Flüssen, kann ich nur bis zu einem gewissen Grade Apsteins Theorie über die gleichmäßige Verteilung des Planktons über das ganze Wasser- becken bestätigen. Dass flache Arme eines tieferen Gewässers, die von diesem halb abgesperrt sind, eine andere Planktonzusammen- setzung haben können, ist schon von Apstein nachgewiesen, aber auch in ganz offenen Buchten, die geringere Tiefen als das Haupt- gewässer haben, habe ich gefunden, dass sie ein anderes und im All- gemeinen reicheres Plankton besitzen als dieses. Wo ein größerer Fluss sich in ein Gewässer ergießt, wird man ebenfalls in der nächsten Partie des Wassers, außerhalb des Flusses den Einfluss desselben be- merken, dessen Erstreckung im Verhältnis stehen wird zu der Wasser- menge des Flusses und dem Kubikinhalt des Gewässers. Ich nenne hier ein Beispiel von dem größten norwegischen Binnensee „Mjösen“, der eine Länge von 99 km. hat. Hier sammelte ich im Sommer 1896, 2Mal mit einem Zwischenraum von 2 Monaten, Plankton jedes Mal an drei soweit wie möglich von einander entfernt liegenden Stellen, nämlich bei Lillehammer, bei Hamar und bei Minne, von denen die erste und die letzte Lokalität resp. an dem Nord- und Südende des langen und schmalen Gewässers liegt. Nachstehende Tabelle (s. S. 627) zeigt das Planktonvolumen und den Inhalt von Crustaceen per qm. Oberfläche: Man wird durch nachstehende Tabelle sogleich darauf aufmerksam werden, dass das Plankton eine ziemlich verschiedene Zusammen- setzung und ein verschiedenes Volumen an diesen 3 Lokalitäten hat. Bei Lillehammer, dem obersten schmalen Ende des Mjösen, wo der große Fluss „Laugen“ mit seinem kalten Wasser aus den weiter oben liegenden Gebirgsgegenden hinein fällt, findet man nur ein sehr Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. 627 armes Plankton, welches hauptsächlich aus todten Pflanzenresten und Aehnlichen besteht, mitgeführt durch das Wasser des Flusses. Von Crustaceen kamen hier nur ganz wenige, Öyclops und Diaptomus, vor. Tiefs: 4m. 4 m...6.,m: 5ım. 5m. 6 m. Lokalität: Lillehammer Hamar Minne Dato: ®r Ie ” | Yo 1, : Cyeloys 560 | 80 1110,604/20,800| 5,120) 3,200 Diaptomus gracilis 560 15,600) 4,960125,360| 9,680 Heterocope appendiculata I60 4,160 Limmocalanus macrurus 480 320 zahl- | zahl- | zahl- | zahl- Copepodalarven selten) selten SSL veichirgsich Daphnia galeata 1,440| 960 Hyalodaphnia eristata 3,120127,520 Bosmina obtusirostris s0 4,160125,400 80] 160 Bosmina lacustris 1,240 Holopedium gibberum 1520| 801 5,920] 720 Polyphemis pediculus 160) 80 Bythotrephis longimanus Ss0 Leptodora hyalina \ 240 160 Zusammen | I SO 1138,000|79,760142,800| 14,800 Kubikinhalt von Plankton |8 cm?]8 em?64 cm?/48 cm’32 em?|32 cm? per qm Oberfläche | | | Die andere Lokalität, eine seichte aber vollständig offene Bucht außerhalb der Stadt Hamar, erweist sich dagegen als die reichste von diesen 3 Stellen mit nieht weniger als 9 zu gleicher Zeit auf- tretenden Arten von Crustaceen. Endlich zeigt die seichte südliche Partie außerhaib Minne sich wieder etwas ärmer als die Hamarbucht, aber im Ganzen genommen mit denselben Crustaceenarten zu der- selben Zeit. Doch zeigte die Anzahl jeder einzelnen Art bedeutende Differenzen unter einander, ebenso wie auch 2 Daphniaarten einander zu vertreten schienen, indem Fyalodaphnia ceristata sowohl im Juli und September zahlreich außerhalb Hamar waren, während Daphnia galeata zu denselben Zeiten außerhalb Minne ihren Platz einnahmen, doch in geringerer Anzahl. Auffallend ist auch die große Zahl von Bosmina obtusirostris bei Hamar sowohl im Juli wie im September, und ihre Seltenheit beide Male bei Minne. Cyclops zeigt sich jedes- mal am zahlreichsten außerhalb Hamar, während Diaptomus yracılis in überwiegender Anzahl bei Minne vorkommt. Rädertiere kamen mehr gleichmäßig verteilt vor, indem dieselben, ungefähr 8 Arten, in allen Proben vorkamen, jedoch in ziemlich verschiedener Anzahl. Von Algen, die im Ganzen genommen eine gleichmäßigere Ver- teilung als die Tiere zeigten, nenne ich nur die am häufigsten vor- kommenden Formen: Asterionella gracillima wurde in allen 6 Proben gefunden, bei Lillehammer doch in ganz geringer Anzahl, bei Hamar und Minne zu denselben Zeiten in beinahe ganz derselben großen An- 40* 598 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. zahl. Darnach kam Ceratium hirundinella ebenfalls in allen Proben vor, selten bei Lillehammer, zahlreich bei Hamar und bei Minne wieder 6—12 Mal so zahlreich wie bei Hamar. Dinobryon sertularia kam ebenfalls überall vor, in geringer Anzahl bei Lillehammer, sonst in größerer Menge, beide Mal viel zahlreicher bei Hamar als bei Minne. Bei. Seen mit solchen verschiedenartigen Verhältnissen wie der Mjösen, (er hat außer großen seichten Partien auch Tiefen bis auf 450 Mtr. und nimmt viele zufließende Flüsse auf), wird man sicher- lich auch die Verteilung des Planktons soweit ungleich finden, dass man genötigt wird bei Planktonmessungen auf dieselbe Weise zu Werke zu gehen, wie bei Salzwasseruntersuchungen, nämlich mit vertikalen Schnitten in den verschiedenen Teilen des Sees. In Betreff auf die viel bestritiene Frage, ob die Planktonorganis- men im Süßwasser in Schwärmen auftreten oder nicht, kann ich die Aufklärung geben, dass ich nur ein einziges Mal solche angetroffen habe. Dies war in einem Gebirgsgewässer, niedere „Sjodalsvand“ (in „Vaage“) in „Gudbrandsdalen“, wo eine Crustacee: Bosmina ob- tusirostris an einem stillen Morgen im Monate August an der Ober- fläche des Wassers gesehen wurde, welche in kleinen Haufen bei- sammen und in schmalen Bändern von vielen hundert Irdividuen an dem ruhigliegenden Boote langsam vorbei zogen. Nach meinen Unter- suchungen bin ich zu dem Resultate gekommen, dass eigentliche Schwärme im Süßwasserplankton jedenfalls so selten vorkommen, dass sie keine nennenswerte Bedeutung für die hier angewandte Methode zur Bestimmung der Planktonmenge haben. In Betreff des Auftretens des Planktons im Süßwasser will ich zuerst die jährliche Periodizität besprechen. Durch monatliche ein- gesammelte Vertikalproben aus 3 in der Nähe von Christiania liegen- den Gewässern (Tab. I) habe ich Gelegenheit gehabt, diese Verhält- nisse in norwegischen Gewässern zu studieren, weiches analog ist mit dem in den deutschen Binnenseen von Apstein nachgewiesenen. Ein Planktonminimum habe ich für zwei der betreffenden Gewässer, Sogns- vandet und Sandungen, im Februar gefunden (gleichwie in den deut- schen Seen), während das dritte Gewässer, Padderudvandet sein Minimum im Januar hatte. Von Ende Februar an steigt die Kurve verhältnismäßig gleichmäßig, bis das Maximum zwischen Ende Juni und Anfang August erreicht wird. Darnach folgt wieder, etwas lang- samer als das Steigen, ein Abnehmen bis Oktober, von welcher Zeit an die Kurve ganz schwach bis zum Winterminimum hinab fällt. Bei einem dieser Gewässer, Padderudvandet, ist die Kurve ungleichmäßiger, indem man an 2 Stellen ein Abnehmen in der Planktonmenge sieht, welches auf einem starken Zurückgang eines einzelnen Bestandteiles des Planktons beruht, der kurze Zeit vorher der dominierende gewesen ist. Im Großen und Ganzen betrachtet fällt doch auch die Kurve Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. 629 dieses Gewässers mit der der übrigen Gewässer zusammen, speziell in Betreff auf alle äußersten Grenzen. In Bezug auf das Produktionsvermögen dieser drei norwegischen Gewässer muss bemerkt werden, dass sie sich im Ganzen genommen viel ärmer an Plankton zeigen, als die beiden holsteinschen Seen, die von Apstein ähnlichen Untersuchungen unterworfen wurden. Nach- folgend werden zum Vergleich Maxima und Minima für diese 5 Seen angeführt. > Maximum Minimum Sognsvandet 240 cm? 16 cm? Sandungen 224 „ Eee, Padderudvandet 154 „ Be 0 Dobersdorfer See HIT 136: , Großer Plöner See 424 „ IHU5 Obenstehende Zahlen weisen darauf hin, dass die holsteinschen "Seen ein größeres Produktionsvermögen haben als die norwegischen, wenn auch im Allgemeinen der Unterschied nicht so hervortretend ist wie in diesen Fällen. Ich. habe gefunden, dass andere Gewässer ein etwas größeres Planktonvolumen haben, als die drei obengenannten, in einem Gewässer (Tab. II M. 6) sogar 520 em’. Man darf sagen, dass diese drei norwegischen Gewässer eine ver- hältnismäßig gleiche Planktonmenge das ganze Jahr hindurch haben, wenn man ausnimmt, dass das tiefste von diesen, „Padderudvandet“ in den 6 Wintermonaten ein ungefähr doppelt so großes Plankton- volumen hat als die Uebrigen. Uebrigens findet man zahlreiche Ge- wässer, die jedenfalls im Sommer nur einen Bruchteil von diesem Plankton haben. Man findet die allergrößten Variationen in Betreff auf die Planktonmenge; in dem einen Gewässer nicht selten zu der- selben Zeit bis 100 Mal so viel als in einem anderen, selbst wenn diese nahe bei einander liegen. Welche Ursachen es bewirken, dass einige Gewässer so reich und andere so arm sind, will ich in dem Folgenden versuchen nachzu- weisen. Erst einige Worte über das Verfahren bei diesen vergleichen- den Untersuchungen. Wünschenswert wäre es, Planktonproben aus jedem See und zu allen Jahreszeiten haben. Da dieses aber eine un- überwindliche Arbeit erfordern würde, habe ich mich damit begnügen müssen, das Plankton ein- oder ein paar Mal in längeren Zwischen- räumen einzusammeln. Da das Plankton sich nicht ganz zu derselben Zeit einsammeln ließ, sondern im Laufe von 3 Monaten, und da die Planktonmenge außerdem ihr Maximum zu verschiedenen Zeiten in den verschiedenen Seen erreicht, so werden diese Untersuchungen keine absolut sichere Basis bilden zur Beurteilung des Produktions- vermögens der betreffenden Gewässer; doch werden die Resultate in groben Zügen mit den wirklichen Verhältnissen zusammen fallen, um 630 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen, so mehr als die Variation der Planktonmenge oft größer ist zwischen den verschiedenen Seen unter einander als in jedem einzelnem Ge- wässer, so dass das Maximum des einen Gewässers oft sogar kleiner ist als das Sommerminimum des anderen Gewässers. Neben der Volumenmenge ist die Anzahl der Crustaceen ange- geben, welcher Bestandteil des Planktons auch nicht so schroffen Ver- änderungen unterworfen ist wie die der Algen. Dass die Variation der Planktonmenge im Sommer, in den einzelnen Gewässern nicht so groß ist in den norwegischen Seen wie in den deutschen, nach den Untersuchungen Apstein’s, scheint hervorzu- gehen aus den oben angeführten Untersuchungen der jährlichen Perio- dizität. Hierauf deutet auch der Umstand, dass drei andere nor- wegische Gewässer, wo im Sommer mit 2 Monaten Zwischenraum Plankton eingesammelt wurde, diese beiden Male jedes für sich, ganz nahe das- selbe Planktonvolumen aufgewiesen haben (Tab. II Nr. 1—2, 15—14, 21—22). Ich glaube deshalb, dass man bei Vergleichung dieser einzelnen Proben aus verschiedenen Gewässern in den meisten Fällen einen soweit korrekten Begriff über das Produktionsvermögen der be- treffenden Gewässer bekommen wird, dass man daraus Schlüsse ziehen kann über die Ursachen seiner Variation. Diese Untersuchungen, die von Ende Mai bis zu Anfang August ausgeführt sind, gelten deshalb nur für das Produktionsvermögen der Gewässer im Sommer. Die Variationen der Planktonmenge, entstanden durch die minder gleichmäßige Verteilung desselben innerhalb jedes einzelnen Gewässers, sind auch nicht so bedeutend, dass sie in irgend einem wesentlichen Grade das wirkliche Verhältnis zwischen den Ge- wässern verrücken. Als ich im Sommer 1895 bei meinen Fischereiuntersuchungen zum ersten Mal Plankton in verschiedenen in „Gudbrandsdalen“ liegenden Gewässern sammelte, wurde ich darauf aufmerksam, dass die reichsten Planktongewässer gute Fischwasser waren. Gleichzeitig fand ich auch, dass die besten Fischgewässer seicht waren oder größere seichte Partien hatten, so dass geringe Tiefe, Planktonreichtum und Fischreichtum in den meisten Fällen in demselben Wasser vereint waren!). Bei späteren Untersuchungen habe ich zahlreiche Beispiele ge- sehen, die die Theorie bestätigen, dass die seichten Gewässer besonders günstig für das Gedeihen des Planktons sind, während umgekehrt die tiefen Gewässer, unter übrigens gleichen Bedingungen, bedeutend ärmer sind. Dies gilt jedoch nur fürGewässer mit einem kleinen Niederschlag- distrikt, d. w. s. ohne hurtigen Wasserwechsel und kann nur in Betreff auf den Sommer gesagt werden. In solehen Fällen enthalten die gleichmäßig tiefen Gewässer in der warmen Jahres- 1) Mitgeteilt in St. Prop. Nr. 1. Hovedp. VI. Christiania, 1895. Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen, 631 zeit gemeiniglich nur einen geringen Teil der Planktonmenge der seichten Gewässer unter gleicher Oberfläche, während die Differenzen per cm? selbstverständlich hier noch viel bedeutender sind. Gleich- zeitig hat Dr. Strodtmann für holsteinsche und mecklenburgsche Seen ein Ähnliches Verhalten zwischen Tiefe und Planktonmenge nach- gewiesen. Er hat gefunden, dass die Planktonquantität in allen größeren Seen eine überaus geringe ist. Nach meinen Untersuchungen bin ich zu dem Resultate gekommen, dass die Planktonmenge jedenfalls in keinem Abhängigkeitsverhältnisse steht zu dem Flächeninhalte des Gewässers, so dass also größere Seen sich ebenso planktonreichhaltig erweisen können wie kleinere, wenn sie im Uebrigen nur die Be- dingungen dafür haben. Warum die größeren Gewässer im Allgemeinen sich ärmer an Plankton zeigen, glaube ich, hat seinen Grund darin, dass diese sehr oft tief sind und einen besonders großen Wasserzufluss haben, von welchem letzteren man annehmen muss, dass er ungünstig auf das Wachstum des Planktons einwirkt, worüber unten mehr. Dieser Planktonreichtum der seichten Gewässer gilt für alle Be- standteile desselben, wesentlich jedoch für die Algen, während der Unterschied in Bezug auf das animalische Plankton, besonders Rota- torien und Urustaceen, nicht so hervortretend ist. Das Plankton der tiefen Gewässer besteht nämlich zum 'größeren Teil aus Crustaceen (nicht selten °/,, oder mehr des gesamten Volumens) als das Plankton der seichten Gewässer. Die Algen betreffend habe ich gefunden, dass sie nie in solcher Menge oder mit so zahlreichen Formen auftreten, wie in den seichten Seen. Während ein tieferes Gewässer mit einer durchschnittlichen Tiefe von nicht weniger als 40 Meter und ohne größere seichte Partien, nicht gleichzeitig mehr als sechs wirkliche Planktonalgenarten zu ent- halten pflegt, findet man oft über zwanzig solcher in den seichtesten Gewässern, zu welchen ich Gewässer mit einer durchsehnittlichen Tiefe von 2—10 Meter rechne. Diese Abhängigkeit der Planktonmenge von der Tiefe des Wassers scheint in einem wesentlichen Teile auf den verschiedenen Temperaturverhältnissen der Gewässer zu beruhen, indem die seichten Gewässer, die schnell erwärmt werden, den ganzen Sommer hindurch eine höhere Temperatur behalten, die beinahe dieselbe ist von der Oberfläche bis zum Boden, während die tiefen Gewässer lang- sam erwärmt werden und wesentlich nur in den obersten Lagen, welche übrigens selten eine so hohe Temperatur erreichen wie in den seichten Gewässern. Dieser Einfluss der Temperatur auf das Plankton tritt auch deut- lich hervor bei der oben angeführten jährlichen Periodizität, wo das Plankton im Frühjahre erblüht, sobald die Sonne ihren erwärmenden Einfluss auf das Wasser auszuüben beginnt und sein Maximum er- reicht, sobald das Wasser auf seine höchste Temperatur gekommen 632 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. ist oder eine kurze Zeit nachher. Dies stimmt ja auch mit den Be- dürfnissen des vegetabilen Planktons überein, da die Algen, ebenso wie die höheren Pflanzen, ihren kräftigsten Wuchs haben, sobald Licht und Wärme ihnen im reichsten Maße geboten wird; und von diesen ist wieder das animalische Plankton abhängig. Die obengenannten Tiefenverhältnisse verlieren doch wieder ihre Bedeutung für die Planktonproduktion des Gewässers, wenn zu diesem ein, im Verhältnisse zum Kubikinhalte, großer Niederschlagdistrikt gehört, d. w.s. wenn dem Gewässer eine größere Wassermasse zufließt, speziell, wenn diese vereint in das Wasser sich ergießt. In solchen Gewässern wird viel weniger Plankton vor- kommen, als in ebenso großen Gewässern mit einem min- deren Niederschlagdistrikte, unter übrigens gleichen Bedingungen, und dies kann auf verschiedene Art begründet werden, 1. entweder weil die durchfließende Wassermenge so groß im Ver- hältnisse zum Kubikinhalte des Gewässers ist, dass das Plankton auf Grund der schnellen Erneuerung des Wassers, einfach keine Zeit be- kommt, sich zu entwickeln. In diesem Fall wird ein seichtes Gewässer sogar ungünstiger gestellt sein als ein tiefes, da die Erneuerung in dem ersten schneller geschehen wird als in dem letzten, oder 2. der zufließende Fluss wird in dem Falle, wo er aus Gebirgsgegenden kommt oder sogar von Gletschern herstammt, die Temperatur des Wassers niederhalten, oder 3. er wird durch häufiges Wechseln des Wasserstandes und der Temperatur ungünstig auf den Wuchs des Planktons einwirken. | Es können zahlreiche Beispiele von solchen planktonarmen Ge- wässern angeführt werden, die in den Niederungen unserer engen Thalstrecken liegen, durch welche «ein großer Strom fließt. Auf Grund der Form des Thalgrundes bekommt das Gewässer da gern eine langgestreckte Form und kann als eine nur größere Erweiterung des Flusses betrachtet werden, ohne dass doch eine Strömung bemerk- bar ist. Aus „Gudbrandsdalen“ können ein paar Beispiele hiervon genannt werden, nämlich das lange schmale „Vaagevand“ (30), das von dem Gletscherflusse „Otta“ durchflossen wird, und die flussartige seichte Erweiterung „Losna“ (18), des Flusses „Laugen“ in „Ringebo“; beide Gewässer habe ich äußerst arm an Plankton gefunden. Als Gegensatz können die zahlreichen Fischgewässer genannt werden, die auf den Gebirgsplateauen an der Ostseite von Gudbrandsdalen liegen; diese Seen mit zum größten Teile unbedeutenden Niederschlagdistrikten sind, trotz ihrer Höhe über dem Meere, 700—1000 Mtr., beinahe alle reiche Planktongewässer zum Teil sehr reich wie z. B. die in „Oeier“ liegenden seichten Seen, „Nävern“ (6), „Melingen“ (8), „Reinsjöen“ (9) und „Krogsjöen“. ea arm vH 5 BEER. a Ne SEE pm: mem mm mm men mm mm mn m rn m m nn 20. 40 60. 80. 100. 120. 140. 160 180. 200. 220 240 260 280 200 320 340 360. 380. 400. Plaimletonvolimr =. [ 40 chem \ pr. chm. Die Anzahl der Crustaceen. _———— (0,000 ) Oberfläche. Die grösste gefundene Tiefe. zueuzuess (4) meier ) =.__. co... zer... ..> = — o - .:. . —_. =: or. oo >o-—= mm ln nn nn nn nn nn nn nn mem nn nn ne nn nn nn a an nn nn nn er EEE ann nn nn nn nn 634 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. Auf beigefügter graphischen Darstellung der Planktonverhältnisse in 33 norwegischen Binnensceen (aus welchen 36 Proben) ist der Plank- tonkubikinhalt und die Anzahl der Crustaceen unter em? Oberfläche ausgezeichnet und nach diesen die größte gefundene Tiefe des Wassers, welches in den meisten Fällen einen in groben Zügen korrekten Ein- druck geben wird von den Tiefenverhältnissen im Wasser im All- gemeinen, indem alle Gewässer mit einer angegebenen geringen Maxi- maltiefe gleichmäßig seicht sind, während die meisten mit großer Maximaltiefe auch im Ganzen genommen tief sind. Die 33 untersuchten Gewässer sind folgende: 1. u. 2. Orrevandet. 20. Hauglandsvandet. 3. Roslandsvandet. 21.u.22. Lundevandet (Sireaaens 4. Söilandsvandet. Wassergebiet). 5. Selsvandet. 23. Siredalsvandet. * 6. Nävern. 24. Evangervandet. * 7. Valsvandet. 25. Movandet. * 8. Melingen. 26. Fuglevandet. * 9. Reinsjöen. 27. Tyssedalsvandet. 10. Gravdalsvandet. 28. Hoflandsvandet. 11. Ulvenvandet. 29. Bredevandet. * 12. Digernäsvandet. * 30. Gjendin. 13. u. 14. Grudevandet. 31. Söftelandsvandet. 15. Lundevandet (Vos). * 32. Golaavandet. 16. Melsvandet. 33. Jölstervandet. 17. Lönevandet. 34. Kallandsvandet. 18. Losna. = 35. Opheimsvandet. 19. Flöskyren. * 36. Hamlegrövandet. Öbengenannte Gewässer liegen in sehr verschiedener Höhe über dem Meere. Die meisten liegen niedriger als 100 Meter; 9 von ihnen (die mit einem Stern bezeichneten), in einer Höhe von 600—1000 Meter über dem Meere und sind wirkliche Gebirgsgewässer. Man ersieht aus der Tabelle II, dass die Höhe über dem Meere keinen verringern- den Einfluss auf die Planktonmenge hat, im Gegenteil gehören mehrere von diesen Gebirgsgewässern zu den allerreichsten, z. B. 6, 8 und 9; was für diese drei nahe bei einander liegenden Gewässer auf einem Massenauftreten von Diatomaceen beruht. Von den auf der graphischen Tabelle aufgeführten Proben sind die ersten 12 aus 11 seichter Gewässern mit einer mittleren Tiefe von unter 10 Meter, alle mit geringen Niederschlagdistrikten. Sie sind alle als reiche Planktongewässer zu betrachten. Die folgenden 8 Proben (13—20) sind ebenfalls aus seichten Ge- wässern, mit einer mittleren Tiefe von unter 10 Meter, haben aber alle große Niederschlagdistrikte und schnellen Wasserwechsel. Sie sind besonders arm an Plankton. Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. 635 Die darauffolgenden 4 Gewässer (21—25), sind tiefe Gewässer mit großen hineinfließenden Flüssen. Diese Gewässer sind auch arm, doch etwas reicher als die vorhergehenden. (13—20). sä2 Sognsvandel. RER Fadderudzrandel. N r x 2On L 24222 Sandungemv. + Ar x 789 un > [1 x + x + } \ ne \ 760 u ee N + 1 \ = + ı \ x T#D u Ky l \ x 2 N nr l Ss N g) 720 2 I +N\ 1 R E; j Nag4t x "7 CH; R > E” RA form nl, \ 30" 4 + a % e ut 50» Ar ! ® SEEN, 4 Da. I + = Dee 40 BEER errrt ++T Se (2 Y „. x* rn N en EN Trmsrtr4 £D tz Ks m Januar februan\ Marz |Aprı? | Mai | Juni | Jule Hregust Soıtamb Detober Woremmberecember Die 4 nachfolgenden Gewässer, 26—29 und 31, sind gleichmäßig tief, beinahe ohne seichten Partien mit geringem Wasserzufluss; diese sind ebenfalls arm an Piankton. „Gjendin“ (30) ist ein gleichmäßig tiefes Gewässer zwischen hohen Bergseiten mit zahlreichem Zulauf von nahebelegenen Schnee- und Eisgletschern. Dies ist ein besonders armes Planktongewässer. Die 5 letzten Gewässer (32—36) haben alle eine große Tiefe, aber auch größere seichte Partien, und alle geringen Zufluss. Diese Gewässer sind reich an Plankton, welches zum überwiegenden Teil aus Crustaceen besteht und nur in einem unbedeutenden Teil aus Algen. Die Bedeutung der Tiefenverhältnisse und der Wasserzufuhr auf die Planktonproduktion der Seen wird um so mehr einleuchtend, wenn man gleichzeitig eingesammelte Proben aus nahe bei einander liegenden Seen neben einander stellt. Ich werde ein paar hierauf bezügliche Beispiele anführen. Von den auf dem flachen „Jäderen“ liegenden seichten Gewässern, zeigten sich die drei (1 und 2, 3, 4) mit einem geringen Wasserzufluss, immer sehr reich, das vierte mit einen größeren hineinlaufenden Fluss, beide untersuchten Male (13, 14) ganz arm. Die 3 Gewässer 11, 20 und 3i, liegen in der Nähe bei einander, 11 und 31 haben geringen Wasserzufluss; das erste ist seicht und 636 Huitfeldt-Kaas, Plankton in norwegischen Binnenseen. reich, das letzte tief und viel ärmer, Das zweite (Nr. 20) ist seicht mit größerem Wasserzulauf und deshalb auch arm. Nr. 15, 16, 17, 24 und 35 gehören alle zum Vossflussgebiet und liegen in der Nähe von einander. Das unterste und größte (24) ist tief, mit einem größeren durchlaufenden Fluss; es ist arm an Plank- ton. Die drei 15, 16 und 17 sind kleinere und seichte Gewässer, mit noch schnellerem Wasserwechsel; diese drei sind noch ärmer. Zu oberst liegt Nr. 35, das verhältnismäßig tief ist, jedoch mit seichten Partien, dieses hat geringen Wasserzulauf und zeigte sich reich an Plankton. Schließlich soll der Nutzen besprochen werden, den unsere Süß- wasserfischereien von der Kenntnis des Planktons, seiner Menge und Zusammensetzung haben können. Erstlich spielen die Crustaceen, die immer einen sehr wesentlichen Bestandteil des Planktons ausmachen, eine äußerst wichtige Rolle als Nahrung für unsere Süßwasserfische. Die allermeisten von diesen ver-. schaffen sich in einem jüngeren Alter ihre Nahrung zum wesentlichsten Teil oder für längere Zeit sogar ausschließlich von diesen kleinen Organismen. Auch auf späteren Entwicklungsstufen, bei mehreren Lachsfischen das ganze Leben hindurch, bilden die mikroskopischen Krebstiere die hauptsächlichste Nahrung. Bei Forellen, Saiblingen und Coregonen habe ich den Magen oft mit kleinen Planktonkrebstieren vollgestopft gefunden. Unter den 6—8 Arten von Crustaceen, die ge- wöhnlich gleichzeitig in einem Wasser vorkommen, wählen die Fische immer eine oder ein Paar Arten heraus, die den übrigen vorgezogen werden. Im Ganzen genommen sind die Daphnien viel häufiger in dem Fischmagen anzutreffen als die Copepoden. Vielleicht „ist die Ursache dazu darin zu suchen, dass die Daphnien mit ihren lang- samen und regelmäßigen Bewegungen leichter zugänglich sind als die Copepoden mit ihren unregelmäßigen, hüpfenden Bewegungen. Die gewöhnlicheu Arten, die man im Magen der Forelle und Coregonen findet, sind zuerst und vor allen Bythoreptes longimanus, die trotz der verhältnismäßig geringen Anzahl, in welcher sie auf- treten, doch in tausenden von Exemplaren in einem Magen vorkommen können; danach pflegt Bosmina obtusirostris und Daphnia galeata am häufigsten vorzukommen. Die erste habe ich in einer Anzahl von 50,000 in einem Maränemagen (Coregonus lavaretus) gefunden; nach diesen findet man auch andere Daphnia-Arten und vereinzelt Hetero- cope saliens, Cyclo;s oder Diaptomus unter den erstgenannten. Außer dem direkten Nutzen, den man aus der Kenntnis des Plank- tons als Fischnahrung ziehen kann, wird das Plankton außerdem immer eine Richtschnur sein über das Produktionsvermögen eines Ge- wässers im Ganzen genommen, indem Reichtum an Plankton auch gleichbedeutend ist mit Reichtum an Nahrungsstoffen für die Fische. [75] vom Rath, Könn. b. Säuget.d. Geschw. dess. Wurfes v. versch. Vätern abstäamin.? 537 Können bei Säugetieren die Geschwister desselben Wurfes von verschiedenen Vätern abstammen? Von Dr. Otto vom Rath. Schon einem früheren Aufsatze (Bemerk. über das Versehen und d. Telegonie. Berichte der naturf. Gesellsch., Freiburg, 1898), habe ich beiläufig die Frage besprochen: Können bei Säugetieren die Ge- schwister desselben Wurfes von verschiedenen Vätern abstammen? Den Anlass zu dieser Besprechung gab mir ein von cand. med. Engel- mann in der Jagdzeitung (Hubertus) 1897 erschienener Artikel be- titelt: „Die Coinfoetation, deren Wesen und Konsequenzen“. Wenn nun auch der Aufsatz in keiner wissenschaftlichen Zeitschrift erschienen ist, so schien mir derselbe doch höchst interessant und beachtenswert zu sein; einen Grund an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, konnte ich nicht ausfindig machen. Allerdings hätte ich es gern ge- . sehen, wenn die Beobachtungen Engelmann’s sofort eine Bestätigung von anderer glaubwürdiger Seite erhalten hätten. Ich bin nun in der glücklichen Lage, selbst eine Bestätigung bei- bringen zu können, wie sie unzweideutiger und klarer überhaupt gar nicht gefunden werden kann. Wenn wir jetzt dazu übergehen, die Engelmann’schen Angaben in Kürze zu besprechen, so werde ich mich der Einfachheit halber eng an den Wortlaut meines in den Berichten d. naturforsch. Gesell- schaft zu Freiburg 1898 gegebenen Referates anschließen. Engelmann glaubt auf Grund seiner Beobachtungen feststellen zu können, dass bei Hunden (und anderen Säugern) die Jungen eines Wurfes nicht von demselben Vater herzustammen brauchen, und dass eine bereits erfolgreich gedeckte Hündin in den weiteren Tagen ihrer Hitze auch noch von anderen Rüden erfolgreich gedeckt werden kann. Die Geschwister desselben Wurfes könnten demnach von derselben Mutter, aber von verschiedenen Vätern herstammen. Wenn dem so ist, so könnte der Besitzer einer Jagdhündin, wie der Autor selbst hervorhebt, seine Hündin bei Beginn der Hitze durch verschiedene erstklassige Rüden belegen lassen und die Jungen, die von verschiedenen Vätern herstammen, erfolgreich, je nach den ererbten Qualitäten unter einander kreuzen. Die Frage hat offenbar eine praktische Bedeutung und verdient sorgfältig geprüft zu werden. Die wichtigsten Beobachtungen von Fr. Engelmann sind fol- gende: Eine dem Autor gehörige rassereine, braune Dachshündin wurde am 5. Tage ihrer Hitze von einem ganz hochbeinigen, krummruthigen, kurzhaarigen und schwarzen Fixteckel gedeckt; derselbe hatte eine ganz leichte Figur. Am nächsten Tage deckte sie ein ganz unge- schickt schwerer, roter, kurzhaariger Teckel mit weißem Vorhemdchen. Die Hündin hatte kein weißes Haar. Das Resultat der Coinfoetation 638 vom Rath, Könn. b. Säuget. d. Geschw. dess. Wurfes v. versch. Vätern abstamm.? durch diese beiden grundverschiedenen Teckelrüden war ein Wurf von zwei roten und zwei schwarzen Jungen. Je ein roter und ein schwarzer wurden beseitigt. Die beiden anderen wurden voll- kommen die Ebenbilder ihrer grundverschiedenen Väter. Der Schwarze wurde äußerst leicht, krummrutig, hochläufig und kurzhaarig, auch in seinem Temperament ganz so lebhaft wie sein Vater. Der rote wurde schwer, kurzhaarig und hatte ein weißes Vorhemdchen wie sein Vater, dem er auch in seinem Wesen glich. Die oben erwähnte langhaarige, braune Dachshündin, welche von den zwei kurzhaarigen Teckelfixen den gemischten ganz kurzhaarigen Wurf brachte, ist seitdem zweimal rein belegt worden und zwar von zwei prämiierten langhaarigen Rüden. Sämtliche Welpen waren völlig rasserein und langhaarig. Sie waren entweder schwarz wie die Väter oder braun wie die Mutter. Genannter Verfasser besaß ferner eine Dachshündin, die sich aus dem Stalle grub und von überaus schlechten Rüden der Nachbarschaft belegt wurde. Der Wurf fiel sehr schlecht aus. Später hat die Hündin, rein belegt, tadellose Würfe gehabt, nicht einmal eine Andeutung des früheren Vergehens war bemerkbar. Diese Beobachtungen, die mit meinen eigenen durchaus überein- stimmen, sprechen sicherlich nicht zu Gunsten der Hypothese der Tele- gonie. Ein Fall, wo eine Hündin durch drei Rüden mit Erfolg gedeckt wurde, wird gleichfalls von Engelmann angeführt. Eine schwarze, kurzhaarige Dachshündin wurde zu Anfang ihrer ersten Hitze von einem gleichartigen Rüden, zwei Tage später von einem korrekt gebauten hasengrauen Mopse und wieder zwei Tage später von einem kleinen weißen Spitzer gedeckt. Der Wurf brachte zwei schwarze fehlerlose Teckel, einen grauen Mops, der später kingelrute, Apfelkopf und Teckelläufe bekam, dann noch zwei Rüden die nahezu ganz weiß waren, und auf welche offenbar der Spitzer die Vaterschaft beanspruchen durfte. So überzeugend und interessant der letzte Fall nun auch sein mag, so könnte man auch daran denken, ob nicht auch ein Rückschlag auf die Voreltern mit im Spiele ist. Des Weiteren erzählt Engelmann noch einen von ihm selbst nicht beobachteten Fall, wonach ein ungenannter Lieutenant eine Foxterrierhündin, die bereits seit acht Tagen, zu Beginn ihrer Hitze, von einem erwählten Gemahl gedeckt worden war und dann noch von einem Mops belegt wurde, einen Wurfvon drei Foxterriers und zweiMopsen gehabt habe. Aber nicht genug damit, in dem nächsten Wurfe, nachdem die Hündin rein gedeckt war, soll sich auch wieder ein Junges mit einem Mopskopf befunden haben. Mit Recht bemerkt hierzu Engelmann: „Was kann man von einem Puppy unter Mopskopf verstehen? Es ist zwar nicht angegeben, aber ich bin fest davon überzeugt, dass der vom Rath, Könn. b. Säuget. d.Geschw. dess. Wurfes v. versch. Vätern abstamm.? 639 Kopf keine Mopsfarbe, sondern Foxterrierzeichnnng hatte; nur die dicke vielleicht ungeschickte, stumpfe Form des Kopfes erinnerte an den Mops. Aber welchem langjährigen Züchter der spitzschnauzigen Teckel wäre es noch nicht widerfahren, dass er in einem Wurfe, dessen Eltern nachweislich vorzüglichen Stammes waren, einmal einen Welpen gehabt hätte, dessen Kopfform moppelig war.“ Wer weiß, wie das Tierchen später ausgesehen hätte! Welche gewaltigen Veränderungen Hunde von ihrer Geburt bis zur Geschlechts- reife durchmachen, sowohl was die Schädelform wie den Gesamt- habitus betrifft, habe ich häufig genug selbst beobachten können. Ein Freund ließ sich beispielsweise einen jungen Leonberger, der nach- weislich von vorzüglichen Eltern stammte, kommen, und wir waren alle bei dem Anblick des jungen Hundes geradezu entsetzt. Zur Zeit ist der Hund 1'/, Jahr alt und von tadelloser Schönheit. Was übrigens neugeborene Foxterriers betrifit, so habe ich deren eine große Zahl aus eigener Anschauung kennen gelernt und ich muss gestehen, dass die neugeborenen Jungen mit ihren Eltern durchgängig sehr wenig Aehnlichkeit verrieten. Die Köpfe sind fast immer mopsartig, später dagegen gleichen die Jungen ihren Eltern, ganz abgesehen von der Färbung, in geradezu frappanter Weise. Engelmann ist auf Grund seiner empirischen Studien zu dem Resultate gekommen, dass eine Hündin an jedem Tage ihrer Hitze- periode von einer größeren Anzahl verschiedenartiger Rüden erfolg- reich gedeckt werden kann, sodass bei einem Wurfe ebensoviel Väter wie Junge vertreten sein können. Wird eine rassereine Hündin von einem rassereinen Rüden und einem Bastard gedeckt, so können sich im Wurfe rassereine Hunde und Bastarde befinden. Genannter Autor ist der festen Ueberzeugung, dass eine rassereine Hündin, von einem Bastarde gedeckt, ihre Zuchtqualitäten absolut nicht einbüßt, also eine Telegonie nicht stattfindet. Soweit meine früheren Angaben. Gleich nach dem Lesen des Engelmann’schen Aufsatzes habe ich einige praktische Versuche über die in Rede stehende Frage an- gestellt und eine Anzahl Hündinnen zu Beginn ihrer Hitze von einer größeren Zahl grundverschiedener Rüden decken lassen. Die zu jeder Hündin zugelassenen Rüden wurden genau protokolliert. Die ersten Versuche misslangen vollkommen. Sämtliche Jungen sahen furchtbar aus und wenn auch einige eine entfernte Aehnlichkeit mit ihrer Mutter erkennen ließen, verrieten sämtliche Tiere auch nicht die geringste Aehnlichkeit mit einem der protokollierten Väter. Ich möchte übrigens gleich hier bemerken, dass es niemals behauptet worden ist, dass die von verschiedenen Vätern eines Wurfes herstammenden Jungen eine auffällige Aehnlichkeit mit ihren Erzeugern haben müssten; sondern 540 vomRath, Könn.b. Säuget.d. Geschw. dess. Wurfesv. versch. Väternabstamm.? nur, dass sie gelegentlich eine geradezu frappante Aehnlichkeit mit ihren Vätern haben könnten. Ich werde meine neuen Versuche nur mit solchen Weibehen und Rüden vornehmen, die durch langjährige künstliche Selektion feste und konstante Arteharaktere angenommen haben. Inzwischen habe ich durch einen glücklichen Zufall Gelegenheit gehabt, einen Fall zu beobachten, der ganz unbedingt zu Gunsten der Auffassung Engelmann’s spricht. In diesem selten günstigen Falle konnte ich für die Jungen eines Wurfes gleich mehrere Väter mit Sicherheit feststellen. | Ein Bekannter besaß eine rassereine jungfräuliche Mopshündin und gesellte ihr zu Beginn der ersten Hitze einen rassereinen Mopsrüden zu. Beide Tiere wurden fünf Tage lang in einem abgeschlossenen Zimmer isoliert gehalten. Der Mopsrüde wurde darauf wieder abgeholt und die Hündin durfte sich wieder frei im Hause bewegen. Leider benutzte sie jede Gelegenheit auf die Straße zu kommen. Ich sah die Hündin am anderen Tage vor der Hausthüre, wie sie sich mit einem rassereinen schwarzen Spitzer des Nachbarhauses vergnügte; einige Tage darauf beobachtete ich, dass dieselbe Hündin von einem weißen spitzartigen, durchaus temperamentlosen Rüden der Nachbarschaft gedeckt wurde und späterhin hing dieselbe noch mehrfach mit ganzrasselosen Rüden der Straße. Der Wurf fiel höcht eigentümlich aus. Es befand sich in demselben ein rassereiner Mops, ein rassereiner schwarzer Spitzer, ein weißes Tier, von welehem man zunächst nicht sagen konnte, ob es mehr mops- oder mehr spitzähnlich gewesen ist und dann noch einige völlig rasselose undefinierbare Tiere. Der junge Mops und der junge schwarze Spitzer haben sich ganz . vorzüglich entwickelt, der weiße Hund nahm mehr und mehr Spitz- ähnlichkeit an, blieb aber phlegmatisch wie sein Vater. Bei den übrigen Jungen konnte auch später keine Aehnlichkeit mit einer Hunderasse herausgefunden werden. Niemand, der diese Geschwister desselben Wurfes nebeneinander sah, wollte glauben, dass sie. wirk- lich demselben Wurfe angehörten. Nachdem ich so einen völlig einwurfsfreien Beweis dafür geliefert ° habe, dass bei Hunden die Geschwister eines Wurfes von ganz grund- verschiedenen Vätern herstammen können, liegt die Frage nahe, wie kann man sich einen solchen Vorgang überhaupt erklären ? Nach den Angaben der Züchter (dies ist auch die Ansicht Engel- mann’s) sollen bei Hunden, und vielleicht auch bei anderen Säuge- tieren, die Eier nicht alle gleichzeitig reif und befruchtungsfähig werden, sondern schubweise nacheinander, und zwar in ganz be- stimmten Zwischenräumen. Bei Beginn der Hitze einer Hündin wäre stets nur eine beschränkte Zahl von Eiern befruchtungsfähig; nach einigen Tagen würden dann wieder einige Eier reif und dieser Reifungs- _ vom Rath, Könn. b. Säuget.d, Geschw. dess. Wurfes v. versch. Vätern abstamm.? 6441 prozess wiederhole sich so während der ganzen Zeit der Hitze. Bringt man nun die läufige Hündin mit einem auserlesenen Gemahl nur für einige Tage zusammen und entfernt dann wieder den Rüden, so ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Hündin, wenn sie, wie es gewöhn- lich der Fall ist, andere Rüden zur Begattung zulässt, dieselbe auch von letzteren befruchtet werden kann. Auf jeden Fall hat das lebens- kräftige frisch ejakulierte Sperma eines neuen Gemahls viel mehr Aus- sicht auf die neu herangereiften Eiern befruchtend zu wirken, als das von den früheren Begattungen zurückgebliebene, bereits halbabge- storbene Sperma des früheren Gatten. Trifft nun die eben besprochene Vorraussetzung, von der in bestimmten Intervallen hintereinander er- folgenden Eireife, in Wirklichkeit zu, was ich leider nicht entscheiden kann, aber für höchst wahrscheinlich halte, so dürfte der vorstehende Erklärungsversuch durchaus befriedigen. Die rein praktische Seite der in Rede stehenden Frage wurde bereits oben besprochen, vom theoretischen Standpunkte aus ist die Frage aber auch von hoher Bedeutung. Wenn derartige Vorkommnisse nicht sorgfältig genug geprüft werden, so liegt der Gedanke an Telegonie oder Versehen doch recht nahe. Hätte man beispielsweise im vorliegenden Falle nicht gesehen, dass die Hündin von dem schwarzen Spitzer gedeckt worden ist, so hätte man leicht sagen können: Offenbar ist die Mopshündin bei ihrer ersten Hitze von einem schwarzen Spitzer gedeckt worden und ob- schon sie jetzt rein von einem rassereinen Mopsrüden gedeckt worden ist, so hat sich die Einwirkung der früheren Befruchtung wenigstens bei einem der Jungen bemerkbar gemacht; damit wäre die Telegonie bewiesen. Man hätte aber auch sagen können, die Mopshündin, die rein gedeckt wurde, habe sich nachträglich an mehreren Rüden ver- schiedener Rassen versehen. Ich zweifle übrigens meinerseits keinen Augenblick daran, dass in der Litteratur unter den Beispielen von Telegonie und Versehen eine große Anzahl von Fällen aufgeführt werden, die bei einer sorgfältigen Untersuchung ganz andere Deutungen erfahren hätten. Dass nun das, was wir eben für Hunde festgestellt haben, auch bei anderen Säugetieren, die in jedem Wurfe mehrere Junge haben, zutrifft, scheint mir ganz sicher zu sein, dasselbe dürfte auch für viele Vögel Geltung haben, die es häufig mit der ehelichen Treue nicht so genau nehmen, wie man es mit Leichtigkeit bei Sperlingen beobachten kann. Auf eine Diskussion der Frage von der Telegonie will ich hier nicht näher eintreten und ich verweise auf meine früheren dies- bezüglichen Schriften (Ein Fall von scheinbar bewiesener Telegonie, Biolog. Centralbl. 1895, sowie Bemerkungen über das Versehen und die Telegonie, Berichte der naturforsch. Gesellsch., Freiburg 1898). XVII, | 41 642 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. In letzterem Aufsatze sind auch einige von mir experimentell ausge- führte Versuche über das Versehen und die Telegonie aufgeführt, die trotz ihrer negativen Resultate doch von einem gewissen Interesse sein dürften. Zum Schluss will ich noch einmal darauf hinweisen, dass, wenn Telegonie überhaupt vorkommen würde, die Art und Weise des Zu- standekommens derselben unschwer nachzuweisen wäre. Die Möglichkeit von Telegonie scheint mir nur dann vorhanden zu sein, wenn nachgewiesen werden könnte, dass das Sperma des ersten Gatten in den Geschlechtsorganen des Weibchens für längere Zeit lebens- und befruchtungsfähig bleibt. Soviel mir bekannt ist, findet dergleichen bei Säugern nur bei Fledermäusen statt, bei denen die Begattung im Herbste, die Befruchtung der Eier aber erst im Früh- jahr erfolgt. Eine andere Möglichkeit ist die, dass das Sperma des ersten Gatten in die unreifen Eier des Weibchens eindringt und dort befruchtungsfähig bleibt bis die Eier reif geworden sind. Auf sorg- fältig ausgeführten Schnittserien würde man aber ohne viele Mühe das Vorhandensein von Spermatozoen in den unreifen Eiern nach- weisen können; das ist aber bis jetzt nicht geschehen. Es müssten dann aber auch Weibchen, die nur einmal erfolgreich begattet worden sind und schon während ihrer Schwangerschaft isoliert gehalten wurden, nachher ohne neue Begattung schwanger werden können. Ich selbst habe wiederholentlich trächtige Mäuse, die be- kanntlich gleich nach dem Ablegen der Jungen wieder aufs Neue be- fruchtet werden können, isoliert gehalten, aber niemals haben diese Weibchen wieder ohne Gesellschaft eines Gatten Junge bekommen. Warten wir daher erst unanfechtbare Beweise von Telegonie ab, ehe wir dieselbe als Thatsache anerkennen. Zoologisches Institut der Universität Freiburg i. B. Mai, 1898. Bemerkungen über die Methode der vergleichenden Ent- wicklungsgeschichte. Von P. Samassa (München). Man wird sich heute kaum verhehlen können, dass zwar in den letzten zwanzig Jahren die festgestellten Thatsachen auf dem Gebiete der vergleichenden Entwicklungsgeschichte außerordentlich an Zahl zugenommen haben, dass damit aber die allgemeinen Gesetze, die das Resultat der Vergleichung sein sollten, in keiner Weise Schritt gehalten haben; ja noch mehr, dass Gesetze, wie die Keimblätterlehre, die noch vor zehn Jahren kaum angezweifelt waren, heute als ernstlich er- schüttert gelten müssen, und Probleme, wie die Mesodermfrage, die man einer Lösung schon recht nahe glaubte, davon heute gewiss ent- fernter sind als je. Man hat den Eindruck, dass viele neugefundene Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 643 Thatsachen nicht in den Rahmen der Vorstellungen hineinpassen, die wir uns bisher von der Ontogenie gemacht haben, ihn vielmehr zu sprengen drohen. Dies drängt notwendig zu der Frage, ob hieran nicht die Methode, nach der bisher allgemeine Gesetze ermittelt d. i. verglichen wurde, schuld sei und mag es rechtfertigen, wenn ich mich im Nachfolgenden kritisch mit derselben beschäftige. Wenn auch schon K.E. v. Baer und die Forscher, die gleich- zeitig mit ihm eine Reihe von grundlegenden Thatsachen aus der Ontogenie verschiedener Tierformen feststellten, Vergleichungen im wissenschaftlichen Sinne vornahmen, so kann man doch sagen, dass erst die Descendenzlehre die Begründung der vergleichende Onto- genie als Wissenschaft ermöglichte; und zwar in gleicher Weise da- durch, dass sie uns einerseits den realen Zusammenhang der Onto- genien verschiedener Formen aufzeigte, andrerseits zahlreiche Unter- suchungen über die Ontogenie verschiedenster Tierformen anregte, die ein Thatsachenmaterial zusammenbrachten, das einen annähernden Ueberblick über das Gesamtgebiet der vergleichenden Entwicklungs- geschichte gestattete. Das hervorstechendste an diesen Thatsachen hat Haeckel in seinem biogenetischen Grundgesetz zum Ausdruck gebracht. Wenn auch Haeckel neben der palingenetischen Recapitu- lation der Phylogenese auch der Caenogenese, der „Fälschung der Stammesgeschichte“ ihr Recht eingeräumt hat, so hat er doch zweifel- los die Palingenese in ihrem Anteil an der Ontogenie stark überschätzt, übrigens aber bis in die letzte Zeit!) an seinem Standpunkt festgehalten. Balfour hat sich ihm in seinem Lehrbuch der vergleichenden Ent- wicklungsgeschichte im Wesentlichen angeschlossen; nach ihm liegt die Hauptaufgabe der vergleichenden Entwicklungsgeschichte in der Herausschälung der palingenetischen Thatsachen, er verkennt aber die Schwierigkeiten nicht, welehe in der Unterscheidung von Palingenese und Caenogenese liegen. In der That wird man sagen müssen, dass dieselben nicht leicht überschätzt werden können, wenn man sich der zahllosen phylogenetischen Hypothesen und Stammbäume, die auf Grund der Ontogenese aufgestellt und von anderer Seite wieder be- kämpft worden sind, erinnert und man wird das Misstrauen Gegen- baur’s?) gegen diese Methode die Phylogenie zu erforschen, einiger- maßen gerechtfertigt finden. Es ist zweifellos ein Verdienst Goettes?) zuerst den Versuch gemacht zu haben, die Caenogenese in ihren Ursachen wissenschaft- 4) Haeckel E., Systematische Phylogenie der Wirbeltiere. 3. Th. des Entwurts einer systematischen Phylogenie, 1895. 2) Gegenbaur C., Caenogenese. Anatom. Anz., Bd. 4, 1888. 3) Goette A., Abhandlungen zur Entwicklungsgeschichte der Tiere. II. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Würmer, 1884. 41* 644 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. lich zu behandeln und damit eine eingehende Methodik der ver- ‚gleichenden Entwicklungsgeschichte zu schaffen; ich werde später er- örtern, woran dieser Versuch meines Erachtens gescheitert ist; im An- schluss daran werde ich auch die umfangreiche Arbeit Mehnert’s?) über diesen Gegenstand besprechen können. Bevor ich kritisch die vergleichend - entwicklungsgeschichtliche Methodik prüfe, scheint es mir unerlässlich, auf die Methode und das Ziel der Wissenschaften im Allgemeinen mit ein paar Worten einzu- gehen. Seitdem Kirchhoff?) den Grundsatz ausgesprochen hat, dass eine vollkommene Beschreibung physikalischer Prozesse die Aufgabe . der Wissenschaft erschöpft, hat sich die Ueberzeugung allmählich in allen Wissenschaften Eingang verschafft, dass in einer vollkommenen Beschreibung auch die causale Erklärung eines Vorganges liegt, die unser Causalitätsbedürfnis befriedigt. Der Endzweck der Wissenschaft als Ganzes wäre sonach erfüllt, wenn unsere gesamte Erfahrungswelt in vollkommener Weise beschrieben wäre. Die Forderung einer „voll- kommenen“ Beschreibung schließt es in sich, dass die Beschreibungen in der Weise systematisch geordnet sein müssen, dass jede derselben mit der geringstmöglichen Arbeit nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes vom menschlichen Geist apperzipiert werden kann, welchen Zweck bekanntlich die Zusammenfassung verwandter Zustände und Vorgänge in Begriffen und Gesetzen erfüllt. Zu unserer Erfahrungs- welt gehören aber natürlich nicht nur die Zustände und Vorgänge der Gegenwart, sondern auch die der Vergangenheit, von denen wir nur mittelbare Kenntnis haben; die Geschichte ist eine der Sociologie ganz gleichwertige Wissenschaft und ebenso ist die historische Geologie oder die Phylogenie nicht minder daseinsberechtigt wie die Chemie oder die Physiologie. Das Maß causaler Erkenntnis, das eine Wissen- schaft gegenwärtig übermittelt, wird natürlich davon abhängen, wie weit sie sich einer vollkommenen Beschreibung ihres Gebietes ange- nähert hat, was wiederum teils mit den Schwierigkeiten, die der Gegen- stand selbst bietet, teils mit äußeren Umständen in Zusammenhang stehen wird. Es ist ja wahrscheinlich, dass Wissenschaften, denen ihre Objekte jederzeit unmittelbar zur Verfügung stehen, ihrem Ziele näher gekommen sind oder mehr Aussicht haben, es in Zukunft zu er- reichen, als historische Wissenschaften, die auf eine beschränkte Zahl von Urkunden, die die Vergangenheit erschließen, angewiesen sind. Aber für den Wert einer Wissenschaft kann weder ihr gegenwärtiger Stand noch auch die, doch immer subjektiver Schätzung unterworfene Möglichkeit ihrer künftigen Ausgestaltung maßgebend sein. Selbst 1) Mehnert, Kainogenesis. Morpholog. Arbeiten herausgeg. v. Schwalbe, Bd. 7, 1897. 2) Kirchhoff G., Vorlesungen über mathematische Physik u. Mechanik, 1877. Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 645 wenn dieselbe gegenwärtig nur in der Beschreibung von Zuständen bestehen sollte, die unter einander zunächst keinen causalen Zusammen- ‚hang erkennen lassen, ist die Möglichkeit doch immer vorhanden, dass die Zwischenglieder, die denselben herstellen, gefunden werden. So lange dieselben aber nicht gefunden sind, haben wir in allen Wissen- schaften das Recht, die vorhandenen Lücken durch Hypothesen pro- visorisch auszufüllen. ‘So selbstverständlich diese Dinge scheinen mögen, so bin ich doch genötigt, sie hier vorzubringen, da es Biologen wie Driesch und Dreyer giebt, die über die Aufgaben der Wissen- schaft offenbar eigenartige Vorstellungen haben, die Phylogenie für etwas ganz Unwissenschaftliches halten und nur die „causal“ forschende Ontogenie für die wahre Wissenschaft erklären. Gehen wir nun auf unseren speziellen Gegenstand: die vergleichende Ontogenie, über, insoweit sie ihr Objekt in den periodisch sich wieder- holenden, ontogenetischen Prozessen der Gegenwart findet. Jeder ontogenetische Prozess setzt sich aus zahlreichen Bewegungsvorgängen zusammen, die als solche unter den physikalischen Begriff der kine- tischen Energie fallen; nach physikalischen Gesetzen muss diese kine- tische Energie aus dem Ausgleich von Potentialdifferenzen einer andern Energieform stammen. Wenn wir also den ganzen energetischen Prozess in die einzelnen Energiewechselprozesse, aus denen er not- wendig besteht, falls wir überhaupt annehmen, dass das Gesetz der Erhal- tung der Energie auch für Organismen Giltigkeit hat, aufgelöst und diese vollkommen beschrieben hätten, so wäre die Aufgabe der Ontogenie in idealer Weise gelöst!). Da nun die äußeren Einflüsse auf die Spezifität des Entwicklungsprozesses offenbar keinen Einfluss haben, so wird dieselbe auf Spezifität der im befruchteten Ei vorhandenen 4) In dem Augenblick, wo wir biologische Vorgänge auf die gegenwärtig bekannten oder auf noch zu entdeckende Energieformen zurückgeführt haben, ist die Aufgabe der Biologie gelöst. Ob die verschiedenen Energieformen auf einander nicht zurückführbar sind (Ostwald) oder sämtlich auf kinetischer Energie beruhen (mechanistische Theorie) ist eine rein physikalische Streit- frage, deren Lösung wir den Physikern überlassen müssen; von derselben sind aber die absolut feststehenden energetischen Gesetze, auf die ich mich hier und in einem früheren Aufsatz (Studien über den Einfluss des Dotters auf die Gastrulation und die Bildung der primären Keimblätter der Wirbeltiere. II. Arch. f. Entwicklungsmech. II. Bd., 1895) bezogen habe, ganz unabhängig. Ich möchte das betonen, weil mir gesprächsweise der Einwand gemacht worden ist, ich habe in dem erwähnten Aufsatze eine noch nicht bewiesene phy- sikalische Hypothese zum Ausgangspunkte genommen. Ich wollte im Gegen- teil gerade dagegen ankämpfen; denn es ist unverkennbar, dass gerade die Mechanistik in der Physik die Biologen vielfach dazu verleitet hat, es als das Endziel der Ontogenie anzusehen, den ganzen ontogenetischen Prozess in eine Art von Molecularmechanik aufzulösen, wovon ich im Text noch ein Beispiel geben werde. 646 Samassa, Methode der vergleichenden Entwieklungsgeschichte. Componenten zurückgeführt werden müssen. Nehmen wir nun im Sinne einer epigenetischen Entwicklungstheorie an!), dass diese Spezi- fität auf der für jede Species eigentümlichen, chemischen Konstitution der Eiweißkörper im Ei beruht?), diese also die potentielle Energie enthalten, aus der die kinetische Energie der Entwicklungsprozesse hervorgeht, so müsste es möglich sein, jede Komponente eines onto- genetischen Prozesses auf eine Eigenschaft (die in der chemischen Konstitutionsformel ihren wissenschaftlichen Ausdruck findet) eines im Ei enthaltenen chemischen Körpers oder auf eine bestimmte Lagerung derselben zu einem andern Körper, kurz auf irgend eine im Ei ent- haltene Eigenschaft als auf ihre wahren Ursachen zurückzuführen. Es wäre dann weiter nicht schwer, der Anforderung der kürzesten, d.i. vollkommenen Beschreibung dadurch zu genügen, dass wir die in den Ontogenien verschiedener Tiere auf gleichen Ursachen beruhenden Prozesse durch Gesetze und die auf gleichen Ursachen beruhenden Formen durch Begriffe zusammenfassen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, dass uns dieser Weg der Vergleichung vorläufig verschlossen ist, da wir auch noch nicht die Anfänge einer causalen Erkenntnis in diesem Sinne besitzen. Diese Thatsache ist nicht allen Forschern, die sich mit diesem Gegenstand beschäftigt haben, zu klarem Bewusstsein gekommen; man hat verschiedentlich gemeint, dass die Formwandlungen eines onto- genetischen Prozesses in sich selbst eine vollkommene causale Er- klärung böten. Von dieser Voraussetzung ist z. B. Goette?) bei seinem Versuch einer wissenschaftlichen Erklärung der Caenogenese ausge- gangen. Goette nimmt an, dass jeder Formzustand in einem Ent- wicklungsprozess ausschließlich durch den Formzustand in einem vor- hergehenden Stadium bedingt ist. Den Einwand, dass die Form eines Stadiums auch in den chemisch-physikalischen Kräften des früheren 1) Anhänger einer evolutionistischen Theorie werden keine Schwierigkeiten haben, das Gesagte in die Sprache der Idanten und Determinanten zu über- setzen, die sich ja immer als sehr anpassungsfähig erwiesen haben. 2) Diese Annahme setzt die Existenz von vielen Millionen chemisch ver- schiedener Eiweißkörper voraus und es ist dies wohl das schwerwiegendste Be- denken, das man gegen die Epigenesis geltend machen kann; aber einerseits ist diese Möglichkeit theoretisch vollkommen vorhanden, wenn man die mög- lichen Isomerien einer Eiweißverbindung bei der hohen Zahl ihrer Atome in Betracht zieht; andrerseits ist es zweifellos festgestellt, dass nicht nur bei den höheren Säugetieren, sondern auch z. B. bei Reptilien (Tommasini, Skizzen aus dem Reptilienleben Bosniens und der Herzegowina, 1894) und Arthro- poden (Bethe, Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben? Pfüger’s Arch., 70. Bd., 1898) Erkennung der Individuen gleicher Species, ja selbst des gleichen Stockes nach dem Geruch oder Geschmack stattfindet, was natürlich die Existenz besonderer chemischer Stoffe voraussetzt. 3)1.:C; Samassa, Methode der vergleichenden Entwieklungsgeschichte, 647 Stadiums seine Ursache haben könnte, macht er sich zwar, weist ihn aber mit der Begründung zurück, dass diese Elementarkräfte auf die Zellen verteilt seien, und beim Zusammenwirken der Zellen, das erst die Form bilde, nieht in Betracht kommen könnten. Nun ist es aber doch überhaupt nicht denkbar, dass in einer Zellenmasse sich besondere Formen bilden, wenn nicht bestimmte Zellen infolge der ihnen eigen- tümlichen Kräfte sich besonders verhalten, etwa sich rascher oder lang- samer teilen, besondere histologische Charaktere annehmen etc. Man denke ferner daran, welche Bedeutung die ersten Zeliteilungen schon haben können, wenn z. B. beim Vorhandensein von 30 bis 40 Zellen alle wichtigsten Organe bereits angelegt sind, wie dies neuestens mehr- fach nachgewiesen wurde. Und wie soll denn überhaupt „das ganz bestimmt geordnete Zusammenwirken“ der Zellen, worin nach Goette „die organische Entwicklung eigentlich besteht“, zu Formbildung führen, wenn diese Zellen alle in gleicher Weise wirken; erst die spezifischen Wirkungen der Zellen werden zu besonderen Formen führen können; diese spezifischen Wirkungen einer Zelle sind aber eben der Ausdruck jener in der Zelle wirkenden Elementarkräfte. Aus diesem Grunde muss ich die Voraussetzung Goettes, dass jeder Formzustand einer ontogenetischen Reihe in einem spezifischen, vorher- gehenden Formzustand bedingt ist, ablehnen; man kann dieser Be- hauptung direkt den Satz entgegenstellen, dass aus absolut identischen Formzuständen durchaus verschiedene Formzustände hervorgehen können, wenn erstere Sitz verschiedener potentieller Energien sind. Mit dieser Voraussetzung fällt aber die ganze Methode Goettes. In denselben Fehler verfällt ©. Hertwig!), wenn er meint, dass eine mathematisch genaue Beschreibung jeder Bewegung in einem ontogenetischen Prozesse uns die vollkommene causale Erklärung des Vorganges vermitteln würde; in der That würden wir dann gerade erst auf halbem Wege dazu sein und erst die genaue Kenntnis der energetischen Umsetzungen, deren Endprodukt die kinetischen Prozesse sind, würde uns die causale Erkenntnis derselben vermitteln. Gewiss liegen, wie Hertwig meint, in der Froschkeimblase alle Ursachen, die zur Froschgastrula führen; aber zur causalen Erkenntnis würde eben gehören, dass wir alle diese Ursachen auch wissenschaftlich be- schreiben können; leider können wir das aber nur mit einer annähernd thun, nämlich mit der Form, während uns der chemisch-physikalische Zustand des Inhalts, dessen Spezifität die Gastrula mitbestimmt, unbe- kannt ist. Trotzdem brauchen wir auf Vergleichung in der Ontogenie nicht zu verzichten. Auch die ausgebildeten Endformen, die die vergleichende Anatomie beschäftigen, wären eigentlich auf die Spezifität der Eier 1) Hertwig O., Zeit- und Streitfragen der Biologie. H. 2. Mechanik und Biologie, 1897. 648 Samassa, Methode der vergleichenden Entwieklungsgeschichte. zurückzuführen; aber man nimmt an, dass :gleiche Wirkungen auf gleichen Ursachen, daher gleiche Formen auf gleichen Eigenschaften des Keimplasmas beruhen; indem man sich letzteres von gemeinsamen Vorfahrenformen vererbt denkt, werden übereinstimmende Formen oder Organe auf eine gemeinsame Ursache zurückgeführt, wobei die Unbe- kannte, das Keimplasma dadurch gewissermaßen eliminiert wird, dass man es nach seinen Wirkungen, den durch dasselbe bedingten Organen, beurteilt. Derartige’von gemeinsamen Vorfahren ererbte Organe bezeich- net die vergleichende Anatomie als homolog!). Es war nur ein Fortschritt im Sinne einer präcisen wissenschaftlichen Terminologie, dass Haeckel den Begriff der Homologie in diesem Sinne weiter gebildet hat, weil _ damit erst das auf gleichen Ursachen Beruhende zusammengefasst werden konnte. Trotzdem ergiebt sich gleich in der Anwendung des Begriffs eine Schwierigkeit: gebraucht man das Wort homolog in dem Sinne, dass nur das auf gleicher Ursache beruhende als homolog bezeichnet wird, dann wären kaum die Organe zweier Individuen einer und derselben Species homolog; denn selbst hier-wird meist zu dem beiden Individuen Gemeinsamen, das auf gleicher Ursache beruht, in jedem Falle etwas Individuelles hinzukommen, das seine besondere Ursache hat. Und je weiter die Arten auseinanderliegen, desto geringer wird der im strengen Sinne homologe Anteil in den betreffenden Organen sein und desto grösser der nicht homologe Anteil, die nur der Spezies, Gattung, Klasse ete. eigentümlichen Charaktere. Man wird sich schließlich denken können, dass trotz gemeinsamer Abstammung letztere allein vorhanden, auf gemeinsame Ursachen aber nichts mehr zurückführbar ist; trotzdem pflegt man auch solche Organe als homolog zu bezeich- nen und damit "wäre der Wert dieser Bezeichnung zur Zusammen- fassung des Gleichartigen wieder illusorisch geworden. Man kann aber doch kaum sagen, dass dadurch, dass der Begriff „homolog“ sich zu dem Begriff „von gleicher Abstammung (homophylogen)“* er- weitert hat, eine wesentliche Verwirrung in der vergleichenden Ana- tomie entstanden ist; und dies rührt, wie ich glaube, daher, dass man in der vergleichenden Anatomie die Erklärung der Formen nicht in der Einordnung derselben unter allgemeine Begriffe und Gesetze sucht, sondern in ihrer historischen Entwicklung; in der Darstellung der vermuteten Uebergänge, die homologe Organe von einer gemeinsamen Stammform aus durchgemacht haben, sehen wir die Erklärung der Form derselben; wir thun noch ein Uebriges, wenn wir diese Ueber- gänge als Anpassungen, Korrelationen oder irgendwie anders zu er- klären suchen. Diese Methode können wir in zahllosen vergleichend- anatomischen Arbeiten in Anwendung finden. Sie betrachtet demnach 1) Lang H., Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere, 1894, Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. 649 ein Organ wesentlich vom Standpunkt seiner historischen Entstehung; die Anatomie fällt, insoferne sie „vergleicht“, mit der Phylogenie zu- sammen. Die Resultate dieser Vergleichung, die in der Phylogenie zum Ausdruck kommen, sind natürlich mehr oder weniger hypothetisch; ebenso sicher aber ist es, dass wir keine Methode haben, die uns eine weniger hypothetische Zusammenfassung anatomischer Thatsachen ge- statten würde. (Fortsetzung folgt.) Ueber flüssige Strahlenfilter. Von Dr. Wilibald A. Nagel, Privatdozent der Physiologie in Freiburg in Br. Unter „Strahlenfiltern“ versteht man bekanntlich durchsichtige gefärbte Medien, welche von dem gemischten weißen Lichte den größeren Teil absorbieren, homogenes Licht von einer bestimmten Farbe aber durchlassen. Diese Strahlenfilter liefern also, wenn unzerlegtes Lieht in sie einfällt, ein annähernd monochromatisches Licht. Der Biologe, wie auch der Physiker und Chemiker, kommt nicht selten in die Lage, monochromatisches Licht zu verwenden, und zwar oft unter Umständen, wo die Anwendung der idealen Methode zur Er- zeugung monochromatischen Lichtes, die spektrale Zerlegung durch ein Prisma, ebenso wie die Verwendung monochromatischer Flammen ausgeschlossen ist. Abgesehen von den Unbequemlichkeiten, die die spektrale Zerlegung des Lichtes bei vielen Versuchsanordnungen mit sich bringt, steilen sich diesem Verfahren namentlich dann Schwierig- keiten in den Weg, wenn eine große Fläche oder ein größerer Raum mit einfarbigem Lichte beleuchtet werden soll und wenn auf der gänzen Fläche eine gleichmäßige und ansehnliche Lichtstärke verlangt wird. Nun geben ja allerdings alle Strahlenfilter ein Licht, welches nicht in dem Sinne monochromatisch ist, wie etwa das Licht einer Natrium- oder Thalliumflamme; sie lassen vielmehr immer Lichtarten von verschiedener Wellenlänge durch, ihr Spektrum zeigt also nicht eine einzige farbige Linie, sondern einen mehr oder weniger breiten Streifen. Dadurch ist ihre Verwendung auf solche Fälle beschränkt, wo es nicht darauf ankommt, ein Licht gerade von einer ganz be- stimmten Wellenlänge zu verwenden. Dagegen ist zu bedenken, dass auch das durchs Prisma zerlegte Licht um so weniger rein monochro- matisch ist, je weiter der Objektivspalt (Collimatorspalt) ist, und dass in Folge dessen ein spektral reines Licht stets nur einen sehr kleinen Bruchteil der Gesamthelligkeit der verwendeten Lichtquelle aufweisen kann. Soll nun dieses Licht noch durch Linsenkombination auf eine größere Fläche verteilt werden, so wird die Helligkeit selbst bei der intensivsten Lichtquelle gering. Diese Umstände haben seit langer Zeit schon den Anlass gegeben, für gewisse geeignete Fälle die Strahlenfilter zu bevorzugen, und es 650 Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. sind verschiedene Methoden im Gebrauch, um auf diese einfache Art ein annähernd monochromatisches Licht zu erzeugen. Ganz vorzugs- weise wird zu diesem Zwecke das rote Rubinglas verwendet, zur Er- zeugung von Blau (da es keine monochromatisch blauen Gläser giebt) die Lösung von schwefelsaurem Kupferoxydammoniak. Die Botaniker bedienen sich zur Untersuchung der Einwirkung farbigen Lichtes auf die Lebensprozesse der Pflanzen neben dieser blauen Flüssigkeit auch noch der Lösung des Kaliumbichromates, allerdings nicht in der Ab- sicht, mit diesen beiden Flüssigkeiten monochromatische Lichter zu erzeugen, sondern nur um die Wirkung beider Spektralhälften getrennt zu untersuchen: die blaue Lösung lässt Violett, Blau und Grün durch (nur in dieken Schichten oder bei Anwendung einer gesättigten Lösung allein das Blau), die Biehromatlösung Rot, Orange, Gelb und Gelbgrün. Ich habe bei Gelegenheit verschiedener Untersuchungen das Be- dürfnis nach verschiedenfarbigen Strahlenfiltern empfunden und mich daher bemüht, mir einige derartige herzustellen. Was ich an Litteratur darüber finde, ist nicht sonderlich viel, und vor allem nichts, was für meine Zwecke sich als geeignet erwiesen hätte. Einige Litteratur- angaben, die natürlich nicht erschöpfend sein sollen, folgen unten. Farbige Glasplatten, die in mancher Hinsicht am bequemsten wären, lassen nur eine beschränkte Verwendung zu. Einfarbiges Licht geben nur die dunkleren Nuancen des roten Ueberfangglases. Doch giebt es auch für den rein roten Spektralbezirk viel lichtstärkere Strahlenfilter in gewissen Flüssigkeiten (wovon unten näheres). Die übrigen Spektral- farben sind durch eine einzige Glasplatte auch nicht annähernd rein ‘zu erhalten, da diese immer komplizierte Spektren geben. Durch Uebereinanderlegen mehrerer Scheiben bekommt man wohl reinere Farben (z. B. beim Grün), doch wird das Licht hierbei stets sehr er- heblich abgeschwächt, infolge der unvollkommenen Durchsichtigkeit der Platten. Besonders die grünen Platten fand ich größtenteils aus ungleichmäßigem blasigem Glase bestehend. Außerdem trifft man selten farbige Glasscheiben, die auf einer größeren Fläche ein und dieselbe Farbennuance und Helligkeit zeigen. Noch weit mehr gilt dies von den gefärbten Gelatineplatten, die Kirschmann!) empfohlen hat. Sie sind außerordentlich ungleichmäßig gefärbt und von unvollkommener Durchsichtigkeit. Sie ertragen außer- dem weder Hitze noch Feuchtigkeit, und ihre Farben, von Anilinfarb- stoffen herrührend, sind nicht haltbar; sie verblassen am Lichte. Trotz- dem werden sie für gewisse Zwecke recht brauchbar sein, so nament- lich dann, wenn eine große Fläche mit dem Strahlenfilter bedeckt werden soll und es nieht auf Gleichmäßigkeit der ganzen Fläche an- kommt. 1) A. Kirschmann, Ueber die Herstellung monochromatischen Lichtes. Philos. Studien v. W. Wundt, Bd. 6, 1891, S. 543—552. Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. 651 Für gewisse andere Fälle aber eignen sich unstreitig die absor- pierenden Flüssigkeiten am besten, die in parallelwandigen Glaströgen zur Anwendung kommen. Sie können in vollkommener Durchsichtig- keit und absoluter Gleichmäßigkeit hergestellt werden, lassen sich, wenn man einmal die für einen bestimmten Zweck erwünschte Zu- sammensetznng der Farblösung ermittelt hat, jedesmal wieder in genau gleicher Beschaffenheit herstellen, sie sind endlich weit lichtstärker als gleichfarbige Strahlenfilter aus Glas oder Gelatine. Landolt!) hat sich derartige Flüssigkeiten in verschiedenen Farben hergestellt und die Recepte mitgeteilt. Der spezielle Zweck, zu dem sie ihm dienten (Beobachtungen über Rotationsdispersion), er- klärt es, dass Landolt erstens nicht darauf ausging, Flüssigkeiten -zu suchen, die schon in relativ dünnen Schichten verwendbar wären, und zweitens auch keinen Anstoß daran nahm, dass er zu seinen Kombinationen zwei oder drei Glaströge von 20 mm Dicke hinter- einander stellen musste, um reine Farben zu erhalten. Für andere Zwecke ist die Verwendung einer einzigen Flüssigkeit, die in nicht diekerer Schicht als 1 cm (oder weniger) verwendet zu werden braucht, weit besser, schon deshalb, weil die Reflexion an den Glasflächen der verschiedenen Tröge einen ansehnlichen Lichtverlust bedingt. Im folgenden gebe ich einige Notizen über die Herstellung mehrerer Farblösungen, die ein mehr oder weniger monochromatisches Licht von möglichst großer Lichtstärke durchlassen. Die dabei benützten Substanzen gehören durchgehends zu den gewöhnlichen Reagentien des chemischen und mikroskopischen Laboratoriums, die Lösungen sind also bequem und rasch herzustellen; in verschlossener Flasche halten sie sich mindestens wochenlang unverändert. Die Farbenkombinationen sind stets so gewählt, dass die Substanzen sich in einem einzigen Troge mischen lassen, ohne Niederschläge zu geben. Sie könnten also gegebenenfalls auch in den doppelwandigen Glasglocken zur Ver- wendung kommen, wie sie zu pflanzenphysiologischen Versuchen be- nützt werden. Genaue Zahlenangaben über die Gewichtsverhältnisse, in denen die Substanzen zur Erzeugung der einzelnen Farben zu mischen sind, habe ich nicht gemacht, da ich voraussetze, dass, wo es sich um Er- zeugung eines genau bestimmten einfarbigen Lichtes handelt, die Mischung stets unter Kontrole eines Spektroskopes ausgeführt wird, was viel rascher und bequemer geht, als wenn man die Substanzen zuvor genau abwägen wollte. Wo ich von „gesättigter Lösung“, von Zusatz „einiger Tropfen“ einer Farblösung spreche, beziehen sich diese Angaben stets auf eine Schichtdicke von 1 cm (wo nichts anderes be- 4) H. Landolt, Methode zur Bestimmung der Rotationsdispersion mit - Hilfe von Strablenfiltern. Ber. deutsch. chem. Gesellsch., 1894, S. 2872. 652 Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. merkt ist) und ein Flüssigkeitsquantum von etwa 20 cem. Als Licht- quelle diente ein Auerbrenner. Rot. Die roten Ueberfanggläser (Rubingläser), die in sehr ver- schiedenen Nuancen hergestellt werden, verkürzen das rote Spektral- ende wenig oder gar nicht. Gegen die kürzerwellige Seite erstreckt sich der durchgelassene Bezirk bei den (am häufigsten gebrauchten) helleren Sorten bis nahe zur Linie D, bei den dunkleren bis in die Mitte zwischen C und D. Für photograpbische Zwecke wird neuerdings eine Glassorte her- gestellt, welche aus blassblauem Cobaltglas mit rotem Ueberfang be- steht. Sie soll die photographisch schon etwas wirksamen orangefarbenen Strahlen absorbieren. In der That erstreckt sich der durchgelassene Bezirk bei diesen Gläsern nur etwa so weit ins Orange wie bei einem gewöhnlichen Rubinglas von merklich dunklerer Nuance. Bei gleich großem durchgelassenen Spektralbezirk ist das Rot bei den neuen Gläsern etwas lichtstärker, als bei den gewöhnlichen, doch lange nicht so lichtstark, wie bei einigen flüssigen Strahlenfiltern. Wie schon oben erwähnt, giebt es rote Flüssigkeiten, die bei gleichem Umfange des durchgelassenen Spektralbezirks heller er- scheinen, als die Rubinscheiben. Als besonders bequem verwendbar sind die Karmin- und Cochenillefarben bekannt. Ich benütze die für mikroskopische Färbungen beliebte Lithionkarminlösung, die schon in 1 mm dicker Schicht reines Rot liefert, in '/; mm dicker Schicht Rot mit einem Teile des Orange. Stellt man eine Verdünnung dieser Lösung her, welche nach dem bloßen Augenschein einer gewöhnlichen Rubinglasscheibe mittlerer Helligkeit vollkommen gleicht, so findet man spektroskopisch nur Rot, kein Orange, wie bei jener, das Rot dafür aber ganz erheblich heller. Wählt man eine Verdünnung, bei welcher der durchgelassene Spektralbezirk demjenigen des Cobalt- Rubinglases oder eines der dunkleren Rubingläser gleich ist, so ist der Unterschied in der Hellig- keit bei direkter wie bei spektroskopischer Betrachtung sehr in die Augen fallend. Orange. Eine Flüssigkeit einheitlicher Art, welche nur Orange durchlässt, ist mir nicht bekannt. Die Lösung des Anilinfarbstoffes Orange lässt auch Rot durch, die orangefarbene Lösung des Kalium- bichromat bei 1 cm Schichtdicke Rot, Orange, Gelb, Gelbgrün. Ein monochromatisches Orange lässt sich dagegen durch Mischung ge- winnen. Zu einer Flüssigkeit, welche nur rote und orangefarbene Strahlen durchlässt, wässriger Saffraninlösung, setzt man eine Substanz, die Rot absorbiert, Kupferacetat. Am besten bereitet man eine nicht ganz gesättigte Lösung von Kupferacetat, setzt ein paar Tropfen Essig- Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. 653 säure zu und alsdann tropfenweise soviel starke Saffraninlösung, bis das Spektroskop das reine Gelb ausgelöscht zeigt. Der sichtbare Streifen beginnt dann etwa bei der Linie C und endigt bei D, hell erscheint aber nur das eigentliche Orange, etwa von der Wellenlänge 640—600 uu. Die Schichtdicke kann, wenn man das Kupfersalz konzentriert nimmt, ein wenig unter 1 cm heruntergehen. Die Lichtstärke dieses Strahlenfilters ist ein wenig geringer als die eines rein roten, durch Lithionkarmin gebildeten. Gelb. Ein Strahlenfilter herzustellen, das nur Gelb durchlässt, ist deshalb ganz besonders schwer, weil das Gelb im Spektrum von allen Farben weitaus den kleinsten Bezirk einnimmt und sogleich in Orange und Gelbgrün übergeht. Es ist bis jetzt unmöglich, eine Kombination zu finden, die das Gelb annähernd rein und doch in seiner Intensität wenig abgeschwächt giebt. Willman dagegen einen schmalen orange- gelben und einen ebensolchen grüngelben Saum mitnehmen, also etwa die Region: 620—570 uu, so ist ein derartiger Strahlenfilter leicht herzustellen, auch ohne dass man, wie Landolt (a. a. O.) thut, 3 dieke Tröge hintereinander schaltet. Man kommt mit einer einzigen Schicht von 1 cm Dicke aus. Zu diesem Zwecke löscht man wiederum durch gesättigte saure Kupferacetatlösung das Rot und die rötere Hälfte des Orange aus, alsdann durch Einträufeln gesättigter wässriger (mit Essigsäure versetzter) Lösung von Orange G (von Dr. Grübler) die ganze stärker brechbare Seite bis auf einen Rest des Gelbgrün. Die so erhaltene Lösung sieht braun aus und ist etwa ebenso hell wie die orangefarbene; sie hält sich nicht lange. Grüngelb und Gelbgrün. Diese Farben lassen sich isoliert mit solcher Lichtstärke herstellen, wie keine andere Farbe. Kombi- nation von Kupferacetat mit Kaliumbichromat wird dabei verwendet. Am besten kocht man in einer mit Essigsäure angesäuerten gesättigten Lösung von Kaliumbichromat Krystalle des Kupfersalzes im Ueber- schuss. Nach dem Erkalten filtriert man. Das Kupferacetat absorbiert das Rot und fast alles Orange, einen schmalen Teil des letzteren, so- wie das reine Gelb sieht man ganz dunkel, dann aber das Grüngelb intensiv hell, von 580 uu an etwa bis 530, oder bei dickerer Schicht (1,2—1,5 em) bis 560 uu. Statt des Bichromats kann man auch Pikrinsäure verwenden, und bei deren Kombination mit Kupferacetat den Spektralbezirk 580--520 sehr lichtstark erhalten (Schichtdicke 1 cm). Grün. Lässt man in der Mischung von Kupferacetat mit Pikrin- säure oder Kaliumbichromat die erstgenannte Sustanz in größtmög- licher Menge sich auflösen, während der andere Mischungsbestandteil in einer nicht zur Sättigung hinreichenden Menge vorhanden ist, so kann man ein das gesamte Grün durchlassendes Strahlenfilter herstellen, 654 . Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter, beziehungsweise von diesem durch Hinzufügung von Pikrinsäure oder Kaliumbichromat vom blaugrünen Ende her beliebige Stücke ab- schneiden. Solche Strahlenfilter sind sehr lichtstark. eh FE F @ Rubinglas. Lithionkarmin ver- dünnt. Kupferacetat mit Saffranin. Kupferacetat mit Orange. Kupferacetat mit Kaliumbichromat. Kupferacetat mit Pikrinsäure, Cuprammoniumsulfat mit Kaliumcehromat und Fluorescein. Cuprammoniumsulfat mit Kaliumchromat. Methylgrün mit Kupferacetat. 4. Methylgrün mit Kupferacetat. 2. Kaliumpermanga- nat. Methylgrün mit Kupferacetat und Gentianaviolett. Cuprammoniumsulfat Reines Grün ohne Gelbgrün erhält man durch Kombination der gesättigten Lösung von Kaliummonochromat mit Cuprammonium- sulfat. Letzteres wird in gesättigter Lösung mit reichlichem Ammoniak- ' überschuss verwendet und der Chromatlösung tropfenweise zugefügt, bis das ganze Rot, Orange, Gelb und Gelbgrün ausgelöscht ist. Nagel, Ueber flüssige Strahlenfilter. 655 Das durchgelassene Licht ist etwa 535—495 uu. Die Mischung kann schon in 0,7 em dieker Schicht verwendet werden, ist aber nicht so hell wie die Gelbgrün-Mischungen. Will man den blaugrünen Anteil der Strahlen entfernen, also nur 535—510 durchlassen, so gelingt die Herstellung des entsprechenden Filters leicht, indem man zu der letztgenannten Mischung einige Tropfen einer schwach alkalisch gemachten wässrigen Lösung von Fluorescein zusetzt, welches blaugrün absorbiert. Blaugrün und Cyanblau. Diese Farben werden von Methyl- srün und Jodgrün in dünnen Lösungen durchgelassen, daneben auch noch das äußerste Rot. Dies entfernt man durch Kupferacetat. Am besten tropft man starke Methylgrünlösung in die sauer gemachte Kupferlösung. Der durchgelassene Bezirk ist etwa 500-460 uu. - Cyanblau. Ein reines und sehr lichtstarkes Blau, vorzugsweise die weniger brechbaren Teile des gesamten Blau, erhält man, wenn man vor die letzterwähnte Mischung entweder einen zweiten Trog mit einer schwachen Lösung von Kaliumpermanganat bringt oder ihr einige Tropfen Gentianaviolettlösung direkt zusetzt. Diese beide Medien ab- sorbieren das Grün, lassen aber Blau durch. Bei Verwendung des übermangansauren Kali hat man den Vorteil einer scharfen Grenze am Blaugrün, so dass der durchgelassene Bezirk sich auf 486—460 uu einengen lässt. Das Gentianaviolett giebt am Blaugrün eine sehr unscharfe Grenze. Mit dieser Mischung schneidet man daher besser den Bezirk 460—430 wu aus, der auch recht lichtstark gemacht wer- den kann, wenn auch nicht so hell, wie bei der Kombination mit dem Permanganat. Blau und Violett. Cuprammoniumsulfat lässt bekanntlich Blau und Violett durch. Den Bezirk 470 bis etwa 410 «au kann man damit leicht ausschneiden. Hinzufügung eines zweiten Troges mit dünner Lösung von Kaliumpermanganat giebt ein reines Violett. In vorstehender Tafel habe ich die optische Wirkung der hier er- wähnten Strahlenfilter angedeutet. In dem Schema des Sonnenspek- trums sind die Hauptlinien eingezeichnet, der von jedem einzelnen Strahlenfilter durchgelassene Spektralbezirk ist schraffiert und zwar um so dunkler, je weniger die betreffende Lichtart absorbiert wird, je heller sie also erscheint. Durch veränderte Mischungsverhältnisse lassen sich die Grenzen der durchgelassenen Bezirke natürlich auch noch anders legen, als in diesen Schemata angegeben ist. [90] Freiburg i. Br., den 4. Juni 1898. 656 Jayne, Skelett der Katze. — Druckfehlerberichtigung. Horace Jayne, Mammalian Anatomy a preparation for human and comparative anatomy. Part I. The skeleton of the cat its musceular attachments, growth, and varia- tions compared with the skeleton of man. Gr. 8. XIX u. 816 Stn. 611 Figg. Philadelphia. J. B. Lippincott Company. Immer zahlreicher werden die Handbücher, in denen ein einzelnes Tier einer eingehenden Beschreibung unterworfen wird, wie sie früher nur in der menschlichen Anatomie üblich war. Nachdem die Grundzüge der vergleichen- den Anatomie gewonnen sind, macht sich jetzt das Streben bemerklich, das Studium auf die genauere Beschreibung der Anatomie einzelner Tiere auszudehnen. Der Herr Verf. des vorliegenden Buches geht von der Ansicht aus, dass ein sorgfältiges und erschöpfendes Studium des Baues eines niederen Tiers eine vortreffliche Vorbereituug für das Studium der menschlichen Anatomie sei und eine gute Grundlage für genaueres Eindringen in morphologische Stu- dien abgebe. Als Gegenstand der Beschreibung wählte er die Katze, welche in gewissen anatomischen Beziehungen dem Menschen mehr gleicht als der Hund, nicht einer bestimmten Lebensweise angepasst ist (wie z. B. das Ka- ninchen) und weil sie von passender Größe und leicht zu erhalten ist. Der vorliegende Band enthält die genaue Beschreibung des Skeletts. In einem einleitenden Kapitel wird die Struktur und Klassifikation der Knochen abgehandelt und die Erklärung der technischen, bei der Beschreibung benutzten Ausdrücke gegeben. Dann folgt die genaue Beschreibung jedes einzelnen Knochens und der Körperregionen, welche durch ihre Zusammenfügung ge- bildet werden. Der Beschreibung jedes Knochens folgt eine Vergleichung mit dem entsprechenden Knochen des Menschen. Die Abbildungen der letzteren wurden aus anderen Lehrbüchern entlehnt; die der Knochen der Katze aber (über 500) wurden nach den Originalen neu für das Werk gezeichnet. [103] P. Druckfehlerberichtigung. In dem Aufsatz des Herrn M. v. Bock in Nr.16 sind, weil die Korrektur Herrn v. Bock, der sich auf Reisen befindet, zu spät erreichte, und wegen gleichzeitiger Abwesenheit des Herausgebers leider einige sinnentstellende Druckfehler stehen geblieben. Um wenigstens die wichtigeren zu verbessern, sei bemerkt, dass der Gegner des Herrn v. Bock, gegen dessen Einwendungen der Aufsatz gerichtet ist, der bekannte Mitarbeiter dieses Blattes, Herr Prof. F.v. Wagner in Gießen ist, dass es 8.615 Z.25v.o. statt „wichtiger“ heißen soll „nichtiger“, 8.621 Z. 8 v. o. statt „Schwärmer“ heißen soll „Schwämmen*. Ferner bittet man die Namen Syllis und Clavellinen richtig zu stellen. Die Redaktion. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. September 1898. Nr. 18, Inhalt: Samassa, Bemerkungen über die Methode der vergleichenden Entwicklungs- geschichte (Fortsetzung u. Schluss). — Keller, Fortschritte auf dem Ge- biete der Pflanzenphysiologie und -biologie (Sechstes Stück). — Kathariner, Werden die fliegenden Schmetterlinge von Vögeln verfolgt? — Stieda, Einige Bemerkungen über die Homologie der Extremitäten. — Tigerstedt, Lehr- buch der Physiologie des Menschen. ; Bemerkungen über die Methode der vergleichenden Ent- wicklungsgeschichte. Von P. Samassa (München). (Fortsetzung u. Schluss.) Nun hat die vergleichende Ontogenie sich in der Ausbildung ihrer Methode vielfach an die viel ältere und ausgebildetere vergleichende Anatomie angelehnt und unter andern Begriffen auch den der Homo- logie von ihr übernommen. Die weite Fassung desselben in der ver- gleichenden Anatomie ist hier absolut unbrauchbar, denn während dort homolog, wenn es auch bloß homophylogen bedeutet, doch eine be- stimmte Thatsache zum Ausdruck bringt, sagt es in der Ontogenie in diesem Falle nur eine Selbstverständlichkeit aus. Denn es ist klar, dass jedes 16-, oder 32-, oder 64zellige Stadium von den entsprechen- den Stadien einer vorausgesetzten Metazoenstammform abstammt. Ebenso können wir uns zwei Organe verschiedener Formen denken, die auf durchaus verschiedene Art entstehen, von denen wir aber trotz- dem annehmen, dass sie aus einer gemeinsamen Stammform entstanden sind; dann ist gleichfalls klar, dass die verschiedenen Bildungsprozesse der beiden Organe von dem Bildungsprozess des Vorfahrenorgans ab- stammen, also homophylogen sind. Oder es hat sich bei einer Form ein Larvenstadium gebildet, das bei den Vorfahren überhaupt nicht vorhanden war; trotzdem müsste das Larvenstadium ein homologes Stadium bei der Vorfahrenform besitzen, da es doch durch Umbil- dung irgend eines Stadiums derselben entstanden sein muss. Der Satz; XVIH, 42 658 _ Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. homologe Organe entstehen auf homologe Weise würde bei dieser Fassung des Begriffs der Homologie völlig nichtssagend sein. Es wäre nicht schwer nachzuweisen, dass der Begriff „homolog“ trotzdem in der vergleichenden Ontogenie häufig in diesem Sinne ge- braucht wurde!); daneben aber ebenso oft in seiner strengeren Fassung und zwar deshalb, weil man ja von vorneherein immer bestrebt war, in der Ontogenie Palingenese von Caenogenese zu trennen und palin- genetische Formen oder Prozesse eben homolog im strengsten Sinne sind, d. h. auf gleicher Ursache beruhen; die Homologie kann hier einen viel höheren Grad erreichen, als dies bei der ausgebildeten Form der Fall sein kann, weil bei einem rein palingenetischen Zustand eben jede individuelle Zuthat noch fehlt. Von dieser offenkundigen Homologie ausgehend ist dieselbe nun vielfach auch auf die Ent- stehung homologer Stadien ausgedehnt worden und hat zu dem Satze geführt, dass Homologes auf homologe Weise entsteht. Immerhin ist man dabei nicht immer auf ganz konsequente Weise verfahren; es ‘giebt Forscher, die zwar keinen Anstoss daran nehmen, die Keim- blätter trotz verschiedener Entstehung für homolog zu erklären, hin- gegen für die Homologie der Organe fordern, dass sie aus dem gleichen Keimblatt entstanden sind, wobei außerdem bald die Homologie der Keimblätter für die Homologie der aus ihnen entstandenen Organe ins Feld geführt wird, bald umgekehrt die Homologie der Organe für die der Keimblätter. Eine Reihe von Thatsachen, die in den letzten Jahren bekannt geworden sind, zwingt uns jedoch mit dem Satze: Homologes entsteht auf homologe Weise (oder aus Homologem) zu brechen. Wir wissen dass dasselbe Tier, also Homologes im strengsten Sinne, sich durch Knospung, ebenso Teile desselben durch Post- oder Regeneration auf andere Weise entwickeln, wie bei der Entwicklung aus dem Ei. Aber auch die Knospung kann Homologes auf ganz ver- schiedenem Wege erzeugen, wie aus den Angaben Hjorts?) hervor- geht, dass bei nahe verwandten Aseidien in einem Falle alle wesent- lichen Organe des Körpers aus dem Entoderm, in andern aus dem Ektoderm entstehen. Diese Thatsachen beschränken sich aber keines- wegs auf die ungeschlechtliche Fortpflanzung, wie Heider?) vorläufig noch annehmen möchte. Bei Cladoceren ist z. B. die Entwicklung der Sommer- und Wintereier eine wesentlich verschiedene), trotz- 1) Auf eine Veränderung, die der Begriff der Homologie insbesondere in der Keimblätterlehre erfahren hat, komme ich noch zu sprechen. 2) J. Hjort, Beitrag zur Keimblätterlehre und Entwicklungsmechanik der Ascidienknospung. Anat. Anzeiger, Nr. 10, 189. 3) K. Heider, Ist die Keimblätterlehre erschüttert? Zool. Centralblatt, 4. Bd., 1897. | 4) V.Häcker, Die Entwicklung der Wintereier der Daphniden. Ber. d. naturf. Gesellsch., Freiburg i. Br., 8. Bd., 1894. — P. Samassa, Die Furchung der Wintereier der Cladoceren. Zool. Anz., 20. Bd., 1897. Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 659 dem in beiden Fällen ganz identische Tiere entstehen. Ebenso kann an der Homologie des Afters von Amphioxus und Petromyzon doch kein Zweifel bestehen, obwohl er im ersteren Falle seine Entstehung einem sehr spät erfolgenden sekundären Durchbruch verdankt, im letzteren der persistierende Urmund ist. Das Mesoderm von Paludina entsteht nach den Untersuchungen von Tönniges!) aus einer mit dem Ektoderm gemeinsamen Anlage, bei ganz nahe verwandten Formen aus Urmesodermzellen; an der Homologie des Mesoderms in beiden Fällen ist wohl kaum zu zweifeln. Ebenso dürfte sicher sein, dass der Darmtraktus von Peripatus einerseits und der aller Insekten anderer- seits homolog ist; trotzdem ist er bei Peripatus größtenteils ento- dermal, Stomodaeum und Proctodaeum haben nur einen beschränkten Anteil an demselben; bei Lepisma ist der entodermale Anteil nach den ‘Untersuchungen von Heymons?) bereits viel beschränkter, während bei den höheren Insekten der Darm nach den Untersuchungen des- selben Forschers?) nur aus den ektodermalen Anlagen entstehen soll. Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass Homologes auf nicht homologe Weise entstehen kann und dass diese Regel auch vor ‘der Keimblätterlehre nicht halt macht. Es giebt aber auch noch Gründe anderer Art, welche die Mög- lichkeit, dass Homologes auf nicht homologe Weise entsteht, sehr ‚wahrscheinlich erscheinen lassen: Von zwei verschiedenen Bildungs- weisen eines Organs kann natürlich höchstens eine palingenetisch sein, möglicherweise-ist es keine. Nehmen wir aber an, es wäre in einem bestimmten Fall die eine rein palingenetisch, so stellt sich die Frage, welche Ursachen die caenogenetische Abänderung der andern bedingen und welche Voraussetzungen sie ermöglichen. Von letzteren erscheint mir als wichtigste die, dass einzelne Stadien der Ontogenese unabhängig von einander und vom Endstadium variieren können. Dies ist schon seit Langem insbesondere durch die Arbeiten von Weismann?) nachgewiesen; es wären sonst auch 4) C. Tönniges, Die Bildung des Mesoderms bei Paludina vivipara. _ Zeitschr. f. wiss. Zool., 61. Bd., 1896. Aus einer mir durch die Güte des Ver- fasser eben zugehenden Arbeit Meisenheimer’s (Entwicklungsgeschichte von Limax maximus, I. Zeitschr. f, wissensch. Zool., 63. Bd., 1898) entnehme ich, dass bei Limax das Mesoderm zum Teil aus Mesodermstreifen, zum Teil (Niere und Herz) aus Ektodermanlagen entsteht, so dass man aller Wahrscheinlich- keit nach drei, nimmt man noch die Entstehung des embryonalen Mesoderms nach Lillie, Conklin u.a. hinzu vier verschiedene Entstehungsarten für die unter dem Namen Mesoderm bei Mollusken zusammengefassten Gebilde hätte. 2) R. Heymons, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen an Lepisma saccharina. Zeitschr. f. wiss. Zoologie, Bd.62, 1897. 3) BR. Heymons, Die Embryonalentwicklung von Dermapteren und Orthopteren, 1895. 4) A. Weismann, Studien zur Descendenztheorie, I—II. 1875 u. 76, 42* 660 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklüngsgeschichte. alle Anpassungen von Larvenstadien an eine Umgebung, die von der der Imagines durchaus abweicht, schwer zu verstehen. Möglicherweise ist die Variabilität der Embryonalstadien überhaupt die Quelle jeder caenogenetischen Veränderung. Mehnert!) hat sich in einer aus- führlichen Arbeit mit der Caenogenese beschäftigt, hiebei aber ebenso wie Goette hauptsächlich den Einfluss, den die ausgebildete Form auf die caenogenetische Abänderung der Ontogenese hat, berücksichtigt. Mehnert nimmt an, dass das zeitliche frühere Auftreten eines Organs in der Ontogenie auf seiner stärkeren funktionellen Inanspruchnahme im ausgebildeten Zustand beruht; somit käme eine im Individualleben erworbene Eigenschaft in der Ontogenie der Nachkommen zum Aus- druck. Ohne prinzipiell gegen die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften zu sein, möchte ich doch darauf hinweisen, dass diese Abweichung von der Palingenese auch auf Variation und Auslese von Embryonalstadien beruhen kann; es könnte z. B. ein in progressiver Entwicklung befindliches Organ infolge von Variation mitunter früher auftreten und diese Variante als nützlich für die künftige Umbildung des Organs dann gezüchtet werden. In diesem Falle würde es sich natürlich um eine embryonale Variation handeln, die im Endstadium zum Ausdruck kommt. Hingegen kommt offenbar wieder die vom Endstadium unabhängige Variation bei jenen Fällen von Caenogenese in Betracht, die Mehnert als metrothen bezeichnet; er fasst damit die Einflüsse der Mutter bei viviparen Formen, des Dotters, der Ei- hüllen ete. zusammen; es ist aber zu beachten, dass es sich in diesen Fällen durchaus nicht bloß um eine caenogenetische Abweichung von der Palingenese handelt, die auf der direkten Wirkung des betreffenden äußeren Faktors beruht und eventuell bei aufgehobener Ursache sofort aufhören würde; vielmehr wird man finden, dass es sich hiebei um eine Anpassung der Ontogenese an diese äußeren Faktoren handelt und die verschiedenen Formen der Anpassung z. B. an den Dotter machen es in hohem Grade wahrscheinlich, dass dieselbe gezüchtet wurde und die Variabilität der betreffenden Embryonalstadien zur Voraussetzung hat. Was nun die Ursachen caenogenetischer Veränderungen betrifft, so ist von einer derselben, der Anpassung an die Umgebung be- reits wiederholt die Rede gewesen und ich habe auch angedeutet, dass ich mir dieselben auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl ent- standen denke. Denn diese scheint mir trotz mancher gegen sie ge- richteter Angriffe als ein der biologischen Wissenschaft ganz unver- lierbares Prinzip insofern sie die Erhaltung des erheblich Nützlichen und die Beseitigung des erheblich Schädlichen in der Organisation der Lebewesen erklärt. Ganz unabhängig davon ist die Frage, auf welchem Wege das Material entsteht, das der natürlichen Zuchtwahl als An- 13.2385 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 661 sriffspunkt geboten wird, ob dies eine gleichmäßige Variation ist, oder eine solche, die ganz bestimmte Richtungen einhält; darüber scheint mir eine Diskussion ebenso möglich als wünschenswert; doch kann ich diese Streitfrage hier wohl auf sich beruhen lassen. Unabhängig von der äußeren Umgebung des Embryos kann ferner die Zucht- wahl wirken im Sinne einer caenogenetischen Vereinfachung oder zeitlichen Verkürzung der Ontogenese; ebenso wird man die Verände- rungen ansehen müssen, die ein Teil des Embryos durch Korrelation von andeın Teilen aus erfährt. Außerdem kann es natürlich noch eine Reihe von Ursachen geben, die caenogenetische Abänderungen veranlassen, ich brauche jedoch auf diesen Gegenstand hier nieht weiter einzugehen, denn für die Zwecke, die ich in diesem Aufsatze verfolge, genügt es, dass ich einerseits gezeigt habe, dass thatsächlich Homologes auf nicht homologe Weise entsteht, andrerseits auch die theoretische Möglichkeit hiefür in vollem Maße vorhanden ist. Hieraus ergiebt sich nun aber für die Zusammenfassung des auf gleichen Ursachen beruhenden eine gewisse Schwierigkeit; denn es muss — theoretisch genommen — in der Bildungsweise zweier homo- logen Organe alle möglichen Uebergänge zwischen einer homologen und einer nicht- homologen Entstehungsweise geben; wollte man alle diese verschiedenen Prozesse zusammenfassen, so würde man der that- sächlich vorhandenen Verschiedenheit nicht gerecht werden; das Heraus- schälen des Homologen bei teilweiser Homologie endlich dürfte auf große Schwierigkeiten stoßen, schon deshalb, weil dieselbe häufig nicht in bestimmten Teilprozessen, sondern nur in einer überein- stimmenden Anordnung oder Beziehung besteht. Kurz — es ist die- selbe Schwierigkeit mit der auch die vergleichende Anatomie zu kämpfen hat und die sie durch eine Darstellung der phylogenetischen Entwicklung zu umgehen pflegt. Ganz dasselbe Verfahren wäre auch für die vergleichende Ontogenie in allen Fällen angezeigt, wo eine Zusammenfassung unter ge- meinsame Begriffe und Gesetze nicht oder nur mit Zwang möglich ist; in diesen Fällen müsste also eine Phylogenie der OÖntogenien an ihre Stelle treten. Man hat ja häufig bereits diesen Weg beschritten und es hat sich auch gezeigt, dass man auf demselben sich viel leichter einigen kann, als bei gewaltsamer An- wendung von Begriffen auf Objekte, bei denen dieselben keine Giltig- keit haben. Es würde sich also nur darum handeln, auf letzteres zu verzichten und ersteres als methodisches Prinzip anzuerkennen in allen Fällen, wo die einfache Zusammenfassung des Homologen, die ja immer wegen ihrer Kürze und Uebersichtlichkeit den Vorzug verdient, auf Schwierigkeiten stößt. Ich möchte nun die Konsequenzen dieser Auffassung auf jenes Gesetz, das wohl als das allgemeinste der vergleichenden Ontogenie 662 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. angesehen werden kann, und das mir auch den besonderen Anlass zu den vorstehenden Erörterungen geboten hat, die Keimblätterlehre ziehen. Zunächst aber muss ich dem Begriff des Keimblatts eine Er- örterung widmen. Braem!) hat sich eingehend mit diesem Gegenstand beschäftigt und kommt zu dem Resultat, dass der Begriff des Keimblattes in drei verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird: erstens nach der Topo- graphie der Schichten im erwachsenen Organismus; Braem sagt mit Recht, dass diese Art, die Keimblätter zu unterscheiden, für die Onto- genie wertlos ist, da sie sich ja nur an den bereits fertigen Organismus hält. Die zweite Auffassung wählt die topographischen Beziehungen in einem bestimmten Embryonalstadium: der Gastrula als Kriterium für die primären Keimblätter; Braem wendet aber dagegen ein, dass eine konsequente Durchführung dieses Prinzips nicht möglich ist, weil eben sehr viele Tiere keine Gastrula haben und er zeigt auch, dass auch diejenigen Forscher, die sich zu dieser Auffassung bekennen, dieselbe doch nie durchgeführt haben, sondern häufig im konkreten . Falle, die Keimblätter nach dem dritten Prinzip unterschieden haben; auch hierin hat Braem, wie ich glaube, Recht. Er entscheidet sich für die dritte Auffassung, die er als die physiologische, den beiden ersterwähnten, die er als morphologische bezeichnet, gegenüberstellt. Es ist aber nicht schwer zu zeigen, dass auch diese Auffassung einer konsequenten Durchführung nicht fähig ist, oder, wenn man dieselbe doch erzwingen wollte, der Keimblattbegriff schließlich jeden Inhalt verlieren und wertlos werden würde. Zunächst scheint mir die Bezeichnung der von Braem vertretenen Auffassung als physiologische nicht ganz glücklich zu sein; Physio- logie ist die Lehre von den Funktionen; Braem hat aber zwei Arten von Funktionen, die sehr disparater Natur sind, nieht genügend aus- einander gehalten: einerseits die Funktion bestimmter Embryonalzellen ein bestimmtes Organ zu bilden, andrerseits die periodische Funktion, die dieses Organ im ausgebildeten Zustand ausübt. Die erstere nur einmal stattfindende Funktion ist von der letzteren, periodischen grund- verschieden und in der üblichen Abgrenzung der Wissenschaften fällt nur die letztere der Physiologie zu. Es ist darum auch gut, die erstere mit dem von Driesch eingeführten Ausdruck zu bezeichnen und nicht von der Funktion einer Zellschicht sondern von deren prospek- tiver Bedeutung zu sprechen. Braem betont zwar häufig die künftige Funktion der Zellen; da aber die Funktionen des ausgebildeten Orga- 'nismus an morphologisch abgegrenzte Organe gebunden zu sein pflegen, so können wir die physiologische Funktion überhaupt aus dem Spiel lassen und wir können diese dritte Auffassung der Keimblätter so präcisieren: es kommt bei der Beurteilung der Keimblätter auf deren 41) F. Braem, Was ist ein Keimblatt? Biol. Centralbl., 15. Bd., 189. Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 663 prospektive Bedeutung, das ist auf die aus ihnen entstehenden Organe an. Man kann diese Auffassung als organologische bezeichnen und sie ist meines Erachtens ebenso morphologisch wie die beiden erst- erwähnten. Nun möchte ich untersuchen, ob diese Auffassung wirklich eine konsequente Durchführung des Keimblattbegriffs ermöglicht. Braem exemplifiziert dieselbe auf die Entwicklung von Dendrocoelum lacteum, bei der „die morphologische Auffassung zu einer Kette von Unmöglich- keiten führt, der man nur durch eine gleichlange Kette von Inkonse- quenzen zu begegnen vermag“. Braem erklärt die Zellen, die den Darm bilden für Entoderm, den embryonalen Pharynx aber für Ekto- derm, weil er eine andre physiologische Funktion hat und nur als Zuleitungsrohr dient. Versuchen wir nun dieses Prinzip z. B. auf ein Wirbeltier anzuwenden; hier besteht bekanntlich der Verdauungstrakt aus drei entwicklungsgeschichtlich gesonderten Anlagen, von denen Stomodaeum und Proctodaeum nach der „morphologischen“ Betrach- tungsweise der Keimblätter als ektodermal, der mittlere Abschnitt als entodermal angesehen wird. Wenn wir nun die Prinzipien Braem’s anwenden, so werden wir wohl in dieser Bezeichnungsweise eine Aenderung vornehmen müssen: denn das Stomodaeum ist nicht bloß Zuleitungsrohr, es besitzt auch Drüsen, die ihr Sekret zum Zwecke der Verdauung der aufgenommenen Nahrung beimischen; es hat die- selbe Funktion wie der entodermale Magen, der auch nur Sekrete liefert und nicht resorbiert. Das Proctodaeum wiederum resorbiert ebenso wie der zweite Teil des entodermalen Darms; kurz — ebenso- wenig wie man die drei Anlagen, aus denen der Darmtrakt entstanden ist, am fertigen Organ morphologisch oder histologisch abgrenzen kann, kann man dies physiologisch thun. Noch instruktiver ist das Beispiel der Insekten; während bei Würmern der Anteil von Stomodaeum und Proctodaeum am Aufbau des Darmtraktus noch sehr beschränkt ist und dasselbe auch noch von Peripatus gelten kann, ist er bei den niedersten Insekten (Lepisma nach Heymons |. ec.) bereits so groß, dass er den entodermalen Anteil, den Mitteldarm an Ausdehnung über- trifft; auch der Magen, der offenbar eine dem Magen der Wirbeltiere ganz ähnliche Funktion hat, entstammt dem Stomodaeum; bei höheren Insekten soll nach Heymons die entodermale Mitteldarmanlage über- haupt fehlen und der ganze Darmtraktus baut sich nur aus den ekto- dermalen Anteilen auf. Verfolgt man die phylogenetische Reihe, die von den Würmern mutmaßlich über Peripatus zu den Insekten führt, so wird man wohl kaum zu der Vorstellung gelangen, dass die physio- logischen Funktionen, die bei den Würmern die ektodermalen Teile des Darmtraktus gehabt, bei den Insekten zu ganz besonderer Bedeutung gelangt wären, man wird vielmehr annehmen müssen, dass Funktionen des entodermalen Darms bei den Insekten zuerst teilweise und schließ- 664 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. lich ganz von den ektodermalen Anteilen des Darmtraktus übernom- men wurden. Es ist also auf alle Fälle sowohl bei den Wirbeltieren wie bei den Insekten ganz unmöglich, die drei bezw. zwei Anlagen des Darmtraktus nach ihren physiologischen Funktionen zu unter- scheiden. Man müsste daher im Sinne der Braem’schen Auffassung die Anlagen des gesamten Darmtrakts als Entoderm bezeichnen. Was ist aber dann das Entoderm? Jedenfalls kein „Organkeim“ und auch nicht „der Ausdruck der ersten Arbeitsteilung im Organismus“, wie Braem die Keimblätter definiert. Es ist nichts Primitives, sondern etwas sekundäres, aus mehreren Anlagen zusammengesetztes. Das Wort Entoderm würde tautolog mit Intestinaltrakt; wir hätten wohl ein Wort mehr, aber nicht einen Begriff. Wie sich aber zeigen lässt, dass ein physiologisch und morpho- logisch einheitliches Organsystem aus verschiedenen Anlagen entstehen kann und dadurch die Anwendung des Keimblattbegriffs im Sinne Braem’s illusorisch macht, so lässt sich andrerseits auch nachweisen, dass Organe mit gleicher physiologischer Funktion ganz unabhängig von einander, also wiederum nicht aus einem „Organkeim“, einem Keimblatte im Sinne Braem’s entstehen. Braem erwähnt wieder- holt die Dotterresorption als eine bereits im Embryonalleben auftre- tende, das Entoderm charakterisierende, physiologische Funktion. Nun giebt es aber viele Formen, wo sowohl das „Entoderm“ als auch das „Ektoderm“ der „morphologischen“ Auffassung Dotter enthalten und daher auch resorbieren und der Unterschied nur ein quantitativer ist, der übrigens mitunter auch fehlt. Wollte man im Sinne Braem’s konsequent sein, so müsste man in gewissen Stadien den ganzen Keim als Entoderm auffassen, von dem dann nach erfolgter Dotterresorption ein Teil zu Ektoderm würde. Andrerseits giebt es Formen, bei denen die Dotterresorption von vornherein von der Darmanlage ganz unabhäugig ist und auch stets bleibt. Ich erinnere an die Oladoceren !), wo dies besonders bei der Entwicklung aus den Wintereiern sehr klar hervortritt; ganz ähnlich ist dies bei den höheren Insekten, auch bei den Oephalopoden. In allen diesen Fällen sind die Dotterzellen das direkte Resultat der Furchung, während die Darmanlage viel später auftritt und niemals mit der Dotterresorption etwas zu thun hat. Hier müsste man also zwei „Organkeime“, die unabhängig von einander entstehen und nie zu einander in Beziehung treten, als Entoderm bezeichnen und das Entoderm wäre wiederum kein Primitivorgan. Trotzdem ist ja diese Bezeichnung vielfach in diesem Sinne angewendet worden, wobei aber meist nicht die Erwägung der verwandten Funktion maßgebend war, sondern die Annahme, dass beide Organe in der Phylogenie aus einen einzigen sich herausgebildet haben, was auf jene weiteste Art von 4) s. $. 658, Anm. 4. Samsssa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 665 ontogenetischer Homologie hinausläuft, auf deren Wertlosigkeit für wissenschaftliche Vergleiche ich oben schon hingewiesen habe. Die Braem’sche Methode der Keimblätterunterscheidung nach „physiologischen“ oder wohl besser organologischen Kennzeichen lässt also wohl immer eine scharfe Abgrenzung wenigstens der beiden pri- mären Keimblätter zu, aber das was man dann abgegrenzt hat, ist eben nicht immer ein Keimblatt, d. h. ein Primitivorgan!). Daran muss man aber unter allen Umständen festhalten, dass die Keimblätter Primitivorgane, d. h. die einheitliche Anlage eines oder mehrerer defini- tiver Organe sind; nimmt man dem Keimblattbegriff diesen Inhalt, dann verliert er für die Ontogenie überhaupt jeden Wert. Im Uebrigen will ich nicht leugnen, dass der von Braem vertretene Standpunkt der historische, d. h. derjenige ist, von welchen aus die Keimblätter zuerst beurteilt wurden; wenn Braem also darauf besteht, dass man die Keimblätter nach diesen Kriterien unterscheidet, selbst auf die Gefahr bin, dass sie schließlich gar keine Keimblätter sind, so kann er ja formell im Rechte sein; aber die vergleichende Ontogenie hätte dann an den Keimblättern überhaupt kein Interesse mehr. Darum kann ich mich auch dem Vorschlage Braem’s zwischen Keimblatt und Keimschicht zu unterscheiden, wobei letztere nur Homologes in sich begreifen würde, nicht anschließen; wir können ganz gut beim Worte Keimblatt bleiben, dasselbe aber bloß als Primitivorgan definieren, ohne uns zunächst auf die Frage nach Analogie oder Homologie überhaupt einzulassen. Zunächst schon deshalb, weil uns gerade beim Keimblattbegriff die vieldeutige Verwendung des Wortes „homolog“ recht deutlich in die Augen springt; die Annahme der Homologie der primären Keim- blätter — für das Mesoderm ist kein Versuch, dessen Homologie für alle Metazoen durchzuführen, zu allgemeiner Anerkennung gelangt — ruht auf der Voraussetzung einer Abstammung derselben von einer hypothetischen, gemeinsamen Stammform; nun wird aber diese Voraus- setzung mit Vorliebe damit gestützt, dass die primären Keimblätter bei allen Metazoen die gleiche prospektive Bedeutung haben, d. h., dass die gleichen Organsysteme aus ihnen hervorgehen; während aber die Homologie davon nicht tangiert erscheint, wenn aus einem Keim- blatt bei höherstehenden Formen neue Organe, welche bei den niederen noch gar nicht existieren, entstehen, wird sie sofort als widerlegt be- trachtet, wenn aus einem Keimblatt ein Organsystem entsteht, das in der Regel vom anderen Keimblatt gebildet wird, wenn also das Ekto- derm Darm, oder das Entoderm Nervensystem erzeugt. A priori ist 1) Auch der Versuch K. Heider’s (l. c.) die Befunde von Heymons zu entkräften, führt zu dieser Gefahr; ein Entoderm, das „latent* im Stomo- daeum und Proctodaeum enthalten ist, scheint mir gleichfalls nicht die Charak- tere eines Keimblattes zu besitzen, 666 Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. aber gar nicht einzusehen, warum die Abstammung von einem Keim- blatt der Gastraea der Möglichkeit widerstreiten sollte, dass dasselbe andere Funktionen annehmen sollte, als es ursprünglich in der Phylo- genie gehabt hat; ja noch mehr, man könnte annehmen, dass bei zwei verschiedenen Formen die Keimblätter bei ihrer Entstehung etwa im Gastrulastadium genau die hypothetische Gastraeaform rekapitulieren, also im strengsten Sinne homolog wären; würde nun aus dem Ekto- derm der einen Form ein Organ entstehen, dass bei der andern Form aus dem Entoderm entsteht, so würde das gegen die Homologie der Keimblätter sprechen. Man sieht also, dass bei der Homologie der Keimblätter noch ein Moment hereingezogen wird, das ursprünglich im . Homologiebegriff gar nicht vorhanden war — insofern derselbe der vergleichenden Anatomie entlehnt ist, auch gar nicht vorhanden sein konnte — nämlich die prospektive Bedeutung!); es wird nicht die Form, insofern dieselbe der Ausdruck der Vererbung ist, sondern die in derselben steckende potentielle Energie, die für die weitere Entwick- lung maßgebend ist, zur Hauptsache gemacht. Es würde vielleicht zweckmäßig sein, diesen Widerspruch dadurch zu lösen, dass man für die Gleichheit der prospektiven Bedeutung einen andern Ausdruck ein- führt, man könnte vielleicht statt von homologen von homoplastischen Keimblättern sprechen; aber die Einführung neuer Bezeichnungen hat immer etwas Missliches und den Zwecken dieses Aufsatzes wird es genügen, wenn ich darauf hingewiesen habe, dass ich mir der ver- änderten Bedeutung bewusst bin, wenn ich im Folgenden im Sinne der üblichen Auffassung das Wort homolog von den Keimblättern ge- brauche. Nunmehr möchte ich dazu übergehen, an einigen Beispielen zu zeigen, wie ich mir die Lösung der Keimblätterfrage nach der oben dargelegten, vergleichend-ontogenetischen Methode denke. Der Wert der Keimblätter zur Beschreibung ontogenetischer Prozesse steht für mich über jeder Erörterung; ob dieselben aber homolog sind, das ist eben in jedem einzelnen Fall der Vergleichung erst festzustellen. Theoretisch ist also eine unbeschränkte Zahl von Keimblättern denk- bar, die unter sich nur teilweise oder gar nicht homolog sind; ob man jedem derartigen Keimblatt einen besonderen Namen geben will, wäre nur eine Zweckmäßigkeitsfrage. Für die Vergleichung ist es aber nicht die Hauptsache, eine Menge derartiger Bezeichnungen zu schaffen, gewissermaßen nur als Schubfächer, in denen sich die Einzelfälle be- quem unterbringen lassen, sondern — wenn auch nur hypothetisch — zu zeigen wie die verschiedenen Keimblätter aus einander entstanden 1) Für diese Auffassung der embryonalen Homologie tritt z.B, Conklin (The Embryology of Crepidula. Journ. of Morphol., Nr. 13, 1897) sehr ener- gisch ein. Samassa, Methode der vergleichenden Entwicklungsgeschichte. 667 sind. Das Ektoderm von Rathkea, welches nach Chun!) den ge- samten Körper des durch Knospung entstehenden Tieres liefert, ist dem Ektoderm andrer Cölenteraten, das niemals einen Magen bildet, nur teilweise homolog; ebenso ist das Ektoderm von Polyclinum dem von Botryllus nur teilweise homolog; dasselbe gilt vom Entoderm dieser Formen. Aber Ektoderm und Entoderm dieser Formen müssen aus Keimblättern von Ascidien phylogenetisch hervorgegangen sein, welche diese prospektive Bedeutung noch nicht gehabt haben. Bei Paludina haben wir es beispielsweise mit einem neuen Keimblatte zu thun, das selbst nahe verwandten Mollusken zu fehlen scheint; es ist ein Ektomesoderm, das die gemeinsame Anlage des Ekto- und Meso- derms bildet. In der Phylogenie der Insekten sehen wir, wie das Ektoderm allmählich die Bildung des Darms übernimmt; das Ektoderm eines höheren Insekts ist dem des Peripatus nicht homolog; die Ueber- gänge von der einen zur andern prospektiven Bedeutung des Keim- blatts lassen sich aber nachweisen. Am Instruktivsten sind die Ver- hältnisse bei den Keimblättern der Wirbeltiere; seit etwa 30 Jahren ist hier eine außerordentlich große Zahl von Forschern bemüht, „nach unendlichen Recepten das Widrige zusammenzugießen“, d. h. die ‚Homologie der primären Keimblätter zu konstruieren; die Frage wäre sehr einfach zu lösen, wenn man zur Einsicht kommen wollte, dass von den Amphibien an ein neues Keimblatt auftritt?), das die gemein- same Anlage von Ektoderm, Mesoderm und Chorda darstellt, dem Ektoderm des Amphioxus nur teilweise homolog ist, wäbrend andrer- seits das Entoderm seine prospektive Bedeutung für Chorda und Meso- derm verloren hat und nur mehr das Enteroderm vorstellt; es ist auch nicht schwer, die Uebergänge zu diesem Zustand nachzuweisen. Auch, die Mesodermfrage wäre, wie ich glaube, einer Lösung schon näher, wenn man in jedem Falle untersuchen würde, wie weit das Mesoderm wirklich ein Keimblatt, d. h. ein Primitivorgan ist und wie man even- tuell die veränderte prospektive Bedeutung desselben durch Ueber- gänge erklären könnte. Trotzdem wird es immer ein großes Gebiet geben, wo die Keim- blätterlehre in ihrer alten Form Geltung hat; wo das Ektoderm nur Haut und Nervensystem, das Entoderm bloß Darm bildet, und wo ein Mesoderm als gemeinsame Anlage der Leibeshöhle, der Muskulatur und des Bindegewebes auftritt; aber in den Fällen, die sich diesem Schema nicht einfügen wollen, die die Keimblätterlehre „erschüttern“, sollte man von jedem Versuch dieselben in das Schema einzwängen zu wollen, absehen, und in der im Vorstehenden dargelegten Weise vor- 1) C. Chun, Atlantis. Bibl. zool., H.19, 189. 2) Am deutlichsten unter den Amphibien bei den Gymnophionen (A. Brauer, Beiträge zur Kenntnis der Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Gymno- phionen. Zool. Jahrb., Abt. f. Ontog., Bd. 10, 1897). 668 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. gehen; es würde dies für eine vorurteilslose Schilderung und Beurtei- lung in der vergleichenden Ontogenie von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein. Ich möchte nochmals auf die vergleichende Anatomie hinweisen; wenn man etwas als den Ausdruck eines allgemeinen morpho- logischen Gesetzes für eine Ordnung, Klasse oder einen Typus ansehen könnte, so wäre es doch wohl die systematische Charakteristik; man braucht aber nur ein Lehrbuch der Zoologie aufzuschlagen, um zu sehen, wie dürftig dieselbe zu sein pflegt; man kann sehr scharf umschriebene Gruppen finden, bei denen kein einziges Merkmal auf alle Tiere derselben passt, oder aber die Merkmale, die schließlich als allen Gliedern der Gruppe eigen übrig bleiben, auf andre ebenso gut anwendbar sind. Darunter leidet aber die Präcision der wissenschaft- lichen Darstellung und Vergleichung in keiner Weise; wir können trotzdem von der Vielgestaltigkeit der Formen, deren Uebergängen u. 8. w. in einer Gruppe eine sehr klare Vorstellung haben. Aehnlich ist es in der vergleichenden Ontogenie; auch hier ist es nicht unsre Auf- gabe, die Thatsachen ist eine möglichst geringe Zahl von Schemata einzuordnen, sondern vielmehr den Uebergang der verschiedenen Ent- wicklungsweisen in einander möglichst übersichtlich darzustellen. Mit dem Satz, den man mitunter lesen kann: „es muss doch auch für die Ontogenie allgemeine Gesetze geben“ kann leicht Missbrauch getrieben werden; diese allgemeinen Gesetze giebt es wohl, aber sie liegen nicht auf flacher Hand und bis zu ihrer Erkenntnis hat es noch gute Wege; das eine kann man aber wohl heute schon sagen, die Keimblätterlehre gehört zu diesen allgemeinen Gesetzen nicht. [87] Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Sechstes Stück. — Fortsetzung von Bd. XVII S. 245.) Die Schlafstellungen der Blätter zählen zweifellos zu den be- kanntesten physiologischen Erscheinungen des Pflanzenreichs, zugleich aber auch zu den Phänomenen, deren biologische Deutung bislang nicht so recht zu befriedigen vermochte. Seit Darwin’s Untersuehungen sah man in der Schlafstellung ein Schutzmittel gegen die Folgen nächt- licher Abkühlung. Dass hierbei die Vermeidung der Frostgefahr im Vordergrund stehe, ist deswegen wenig wahrscheinlich, weil in der Pflanzenwelt der Tropen die Nachtstellung der Blätter bei Holzpflanzen und krautigen Gewächsen eine große Verbreitung hat. Stahl!) fasst diese Erscheinung unter einem Gesichtspunkte auf, der unserem Dafürhalten nach die Lösung dieses biologischen Pro- 1) E. Stahl, Ueber den Pflanzenschlaf und verwandte Erscheinungen. Botanische Zeitung, 1897. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 669 blemes ist. „Es ergab sich mir, schreibt Stahl, beim Anblick schla- fender Marantaceen, die doch einer rein tropischen Pflanzenfamilie angehören und bei welchen also von Frostgefahr keine Rede sein kann, die ebenso einfache als befriedigende Lösung des biologischen Problems der Nachtstellung, deren Bedeutung in der Förderung der Transpiration der Blattspreiten und mithin in deren Ver- sorgung mit mineralischen Nährstoffen zu suchen ist“. Sind die Spaltöffnungen während der Nacht geöffnet oder ge- schlossen? Seit Leitgeb’s Untersuchuugen ist man wohl geneigt, ersteres anzunehmen, während nach einer neueren Untersuchung von Schellenberg!) der nächtliche Lichtentzug immer den Verschluss der Spaltöffnungen herbeiführen soll. Auf mikroskopischem Wege lässt sich, wie Stahl mit Recht betont, die Frage weniger sicher ent- scheiden als auf physiologischem, d. h. durch die Kontrole der nächt- lichen Transpiration. Die Kobaltprobe ergiebt nun thatsächlich für zahlreiche Pflanzen mit schlafenden Blättern die nächtliche Wasser- verdunstung, während in anderen Fällen „die Stomata bald geöffnet, bald geschlossen sind, je nach den verschiedenen Bedingnngen, denen die Blätter tagüber ausgesetzt waren“. In dritten Fällen endlich, Stahl nennt speziell die Marantaceen, wird der Spaltöffnungs- verschluss schon durch kurze Verdunklung erzielt. Wo die Blätter einer Pflanze in die Nachtstellung übergehen, werden sie sich weniger stark abkühlen, sobald sie die horizontale mit der vertikalen Stellung vertauschen, denn die von einem im Freien befindlichen Körper ausgehende Wärmestrahlung findet hauptsächlich in vertikaler Richtung, nach dem Himmelsgewölbe statt. „Die durch die Vertikallage erzielte höhere Temperierung der Spreiten muss für sich allein schon die nächtliche Transpiration begünstigen, wenigstens bei denjenigen Pflanzen, bei welchen in der Schlafstellung die spalt- öffnungsführende Seite unbedeckt bleibt“. Der Thaubeschlag der Blätter wird die Transpiration nicht unwesentlich beeinflussen. Schon Darwin machte auf die starke Bethauung von Blättern aufmerksam, die in der Tagstellung gehalten wurden. Stahl weist nach, dass nicht nur die höhere Temperierung der in die Nachtstellung übergetretenen Blätter, sondern diese selbst „ein Schutz gegen Bethauung“ ist. Um den Ein- fluss des Thaubeschlages auf die Transpiration zu bestimmen, ließ Stahl gefärbte Flüssigkeiten oder Lösungen, deren farbige Nieder- schläge leicht wahrgenommen werden können, von dem transpirieren- den Blatte aufsaugen. Aus dem Fortschreiten der Färbung kann man einen Schluss auf die Wasserbewegung ziehen. „Je weiter die Lösung in einer bestimmten Zeit in einen Blattbezirk eingedrungen ist, je gleichmäßiger sie sich über alle seine Teile ausgebreitet hat, um so mehr Transpirationswasser hat die betreffende Blattpartie während der 1) Vergl. Botanische Zeitung, 1896, 670 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Versuchsdauer verloren. Die Blätter, in denen das Vorwärtsdringen der Saugungsflüssigkeit erkannt werden soll, tauchen mit ihren Stielen einige Zeit in eine zehnprozentige Lösung von Ferrieyankalium. So- fort, nachdem der Versuch unterbrochen, gelangen die von den Stielen getrennten Spreiten in Alkohol. Das hierin unlösliche Ferrieyankalium wird durch den rasch eindringenden starken Alkohol niedergeschlagen und auf diese Weise eine weitere Ausbreitung des Salzes durch Dif- fusion verhindert. Nach der Extraktion des Chlorophylifarbstoffes, welche durch Erhitzen des Alkohols beschleunigt werden kann, legt man die farblosen Spreiten in eine Lösung von Eisensulfat und, nachdem der Niederschlag eingetreten ist, in mit etwas Salzsäure versetztes Wasch- wasser. Je nach der Dauer der Saugung ist dann das unlösliche Turnbullblau entweder bloß in den stärkeren Gefäßbündeln erkennbar oder aber es färbt gleichmäßig, schon mit bloßem Auge erkennbar, das ganze Blattparenchym“. So gelang es Stahl zu zeigen, dass in der That die Saugung der thaufreien Blätter eine viel größere war, als der bethauten, dem entsprechend auch die Transpiration dort größer als hier. Die Schlafstellung ist also eine Schutzeinrichtung im Interesse der Spaltöffnungstranspiration, deren Aufgabe es ist, die Assimilationsorgane mit mineralischen Nährstoffen zu versorgen. Die Schlafstellungen sind bekanntlich von verschiedener Form, bald so, dass die Oberseite, bald so, dass die Unterseite gegen einen Thaubeschlag besser geschützt ist. Hat man einmal erkannt, dass die Bedeutung der Schlafstellung der Schutz gegen die Bethauung ist, dann liegt es nahe zu untersuchen, ob je die spaltöffnungsführende Seite durch die Nachtstellung gegen den Thauansatz besser geschützt "ist, da die kutikuläre Verdunstung der stomatären Transpiration gegen- über so gering ist, dass sie auf diese Anpassung der Pflanze ohne Einfluss ist. Durch das Mittel der Kobaltprobe konstatiert Stahl, dass bei Blättern, deren Unterseite die am stärksten transpirierende ist, wie z. B. Oxalis acetosella, Robinia pseudacacia, Impatiens noli tangere ete., die Blätter oder Blättchen im Schlafe abwärts gerichtet sind, die Unterseite also besser als die Oberseite gegen den Thau- ansatz geschützt ist. Umgekehrt beobachten wir, dass bei anderen Pflanzen wie Colutea arborescens, Medicago sativa, Trifolium alpestre ete. die Oberseite das Kobaltpapier rascher rötet als die Unterseite. Bei ihnen sind die Blätter oder Blättchen im Schlafe so gerichtet, dass die Oberseiten infolge ihrer Lage zum Centrum der Pflanze oder durch gegenseitige Deckung, besser als die Unterseite gegen Bethauung ge- schützt sind. Innerhalb der gleichen Gattung, z. B. Impatiens, ist bald die Oberseite, bald die Unterseite die besser geschützte. Stets ist im ersten Fall auch die Oberseite, im zweiten die Unterseite die stärker transpirierende. Die heliotropischen Bewegungen der mit Gelenkpolstern versehenen ' Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 671 Variationblätter stehen nach Stahl ebenfalls im Dienste der Tran- spiration. Durch welche Eigentümlichkeit der Organisation wird diese Regulierung der Transpiration gefordert, während sie der großen Mehr- zahl der Gewächse fehlt? Die Papilionaceen enthalten in unserer Flora den weitaus größten Teil der Variationspflanzen. Bei sehr zahlreichen krautigen Gewächsen der einheimischen Pflanzenwelt beobachtet man nach feuchtwarmen Nächten an den Blättern reichliche Tropfenausscheidungen. Bei den Papilionaceen dagegen fehlen sie sehr oft. „Diese Pflanzen haben also kein anderes Mittel sich des aufgenommenen Wassers zu entledigen als die Transpiration. Sie sind daher im Nachteil im Vergleich zu Gewächsen, die tropfbar flüssiges Wasser auszuscheiden vermögen und bei denen infolgedessen auch über Nacht, selbst bei unterdrückter Transpiration die Nährsalze mit sich führende Wasserströmung die Blätter durchzieht. Es kann daher nicht Wunder nehmen, wenn diesem Mangel durch anderweitige Einrichtungen nachgeholfen wird... . In gleichem Sinne wirksam (wie die Schlafstellung) ist die immer wieder herstellbare Flächenstellung senkrecht zum einfallenden Lichte, welche während des ganzen Tages, durch Förderung der Transpiration, die Zufuhr von Nährsalzen, zu den Blättern in eminentem Grade begün- stigen muss“. Besondere Wasserwege (Hydathoden) zur Abgabe von tropfbar-flüssigem Wasser beobachtet man thatsächlich bei einheimischen Papilionaceen bloß bei solchen Arten (Vicia, Lathyrus), deren Blätt- chen im ausgebildeten Zustande eine feste Lichtlage einnehmen; Arten, denen die Variationsbewegungen, also auch die Schlafbewegungen fehlen. „Bei der großen Verbreitung der Variationsbewegung inner- halb der ganzen Gruppe der Leguminosen kann wohl kaum bezweifelt werden, dass unsere Pflanzen (Viecia, Lathyrus) von Arten mit Varia- tionsbewegung abstammen, dieser Eigenschaft aber, bei gleichzeitiger Anpassung an eine besondere Lebensweise, verlustig geworden sind. Allen gemeinsam ist nämlich die Befestigung der Blätter mittelst reiz- barer Wickelranken, eine Einrichtung, die trotz beibehaltener freier Beweglichkeit der Fiedern, diesen letzteren beim Aufsuchen der gün- stigsten Lichtlage in hohem Grade hinderlich sein würde. ... Die Fähigkeit der Ausscheidung tropfbar flüssigen Wassers setzt hier ein, um den mit dem Verlust der Variationsbewegung verbundenen Ausfall in der Transpirationsgröße zu decken. Variationsvermögen und Hydathoden treten also hier als vikariierende Einrich- tungen auf und liefern eine weitere indirekte Bestätigung unserer Ansicht über die physiologische Bedeutung der Variationsbewegungen der Laubblätter. Auch die Profilstellung der Blätter der Variationspflanzen steht mit im Dienste der Transpiration. Sie schützt unmittelbar gegen die Folgen zu starker Bestrahlung. Damit hat sie für die Transpiration 672 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. und für die Assimilation Bedeutung. Welken die Blätter, dann ver- schließen sich ihre Spaltöffnungen. Sie sind nicht mehr im Stande erheblich zu assimilieren. Die Profilstellung wird also, infolge der geringeren Erwärmung der Blattspreiten die Transpiration ermäßigen, zugleich aber den Assimilationsprozess förden. „Tritt trotz der mit der Profilstellung verbundenen Milderung der Bestrahlung, infolge un- genügender Wasserbilanz, Spaltenverschluss ein, so ist die zarte Spreite durch ihre Lage gegen die Besonnung die ihr nunmehr nur noch schädlich sein kann, doch einigermaßen geschützt“. Stahl versuchte den Einfluss der Profilstellung auf die Transpi- rationsgröße durch Wägung festzustellen. Es soll hier das Versuchs- ergebnis von Phaseolus vulgaris erwähnt werden. An zwei Versuchs- pflanzen, deren Blätter die Profilstellung angenommen hatten, wurde an einem Tage während 30 Minuten ein Gewichtsverlust der einen Pflanze A von 1 g, der Pflanze B von 1,35 & bestimmt. Am folgenden Tage betrug, trotzdem die Sonne weniger heiß brannte bei der Pflanze A mit fixierter Blattstellung der Verlust 1,4 g, bei der Pflanze B mit frei beweglichen Blättern 0,65 g. Hier zeigte sich also infolge der physi- kalischen Verhältnisse eine Verminderung des Wasserverlustes um 50°|,, während bei der Pflanze, deren Blätter nicht in Profilstellung übergehen konnten, der Wasserverlust unter genau den gleichen physikalischen Bedingungen um 40°), zunahm. Alsautonome Variationsbewegungen bezeichnet man solche, welche unabhängig von äußeren spezifischen Reizen erfolgen. Das bekannteste Beispiel ist Desmodium gyrans, der Wandelklee, ein zu den Leguminosen gehöriger Halbstrauch Ostindiens. „Gleich zwei schwingenden Armen werden die Fiederchen kreisend umher geführt. Die vom Fiederende beschriebene, meist elliptische Bahn wird bei günstiger Temperatur in nicht viel mehr als einer Minute durchlaufen. Die Bewegung ist dabei eine gleichmäßige; die aufsteigende Bahn wird langsamer und namentlich gleichmäßiger als die absteigende durch- laufen. Kleine Ruhepausen wechseln hier mit plötzlichen, ruck- weisen Schleuderbewegungen ab“. Diese sind es nun, welche Stahl die bisher rätselhafte Bewegung in ihrer biologischen Bedeu- tung erkennen ließ. „Nicht immer sind die Blättchen in der Lage, ihre kreisenden Bewegungen ungehindert zu vollziehen. Bald werden sie gehemmt durch die große Endfieder eines benachbarten Blattes, häufiger noch geraten sie an den Rand der Endfieder eines benach- barten Blattes. Hierbei gleitet das kleine Blättchen keineswegs gleich- mäßig an dem Rande des Endblättchens vorbei. Dies verhindert die unebene Beschaffenheit des mit bogenförmig gekrümmten, rauhen Haaren versehenen Blattrandes. Durch die Hemmung der Bewegung entstehen Spannungen, die bei ihrer Lösung zu ruckweisen Erschütterungen führen, die dann am stärksten ausfallen müssen, wenn die plötzliche ® Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 673 Trennung der beiden Blätter mit einer der ruckweisen Schleuder- bewegungen des Fiederchens koinzidiert. Häufig sieht man dann nicht nur die direkt beteiligten Spreiten, sondern auch die benachbarten Blätter des Zweiges, ja manchmal den ganzen Busch erzittern“. Da- durch müssen die mit Transpirationswasserdampf beladenen Luftschich- ten von der Blattfläche weggeschleudert und durch trockene Luft er- setzt werden. Auch die passiven Schüttelvorrichtungen, wie wir sie an unserer Zitterpappel beobachten, stehen im Dienste der Transpiration. Experimentell ließ sich feststellen, dass, wenn die Bewegungen der Blätter gehemmt wurden, die Gewichtsverluste infolge der Transpira- tion sich stark, bis auf 56°/,, verminderten. Das wasserreiche Sub- strat, auf welchem die Pflanze wächst, wird ihr nur weniger konzen- trierte Nährlösungen bieten als Pflanzen, die in trockenem Erdreich wurzeln. „Der Wasserstrom, welcher die Pappeln durchzieht, dürfte also relativ arm an Nährsalzen sein, so dass die in Rede stehende Einrichtung zur Förderung der Transpiration ohne Weiteres verständ- lieh wäre, wenn nicht in Gesellschaft der Pappeln andere Bäume vor- kämen, wie Ulmus, Fraxinus und namentlich Salix- Arten, denen die passive Schüttelvorrichtung fehlt“. Diese Arten aber sind dadurch aus- gezeichnet, dass ihre Blätter mehr oder weniger zahlreiche Wasser- spalten haben. durch welche auch bei unterdrückter Transpiration noch Wasser ausgeschieden werden kann. — Unsere Kenntnisse der Biologie der vegetativen Pflanzenorgane haben durch verschiedene Arbeiten, die aus dem Buitenzorger Botani- schen Institute hervorgingen, wertvolle Erweiterung erfahren. Den Arbeiten eines Stahl über Regenfall und Blattgestalt reihen sich Wiesner’s Untersuchungen über die mechanische Wirkung des Regens auf die Pflanze!) würdig an. Die Wirkung der starken Tropenregen wird gelegentlich in tropi- schen Reisewerken nicht auf Grund spezieller Untersuchungen, sondern vielmehr unmittelbarer Beobachtung als eine außerordentliche geschil- dert. „Tausende von Blüten, schreibt Stahl, altes und junges Laub- werk, ja ganze Aeste liegen nach starken Regengüssen auf dem Boden umher. Es leuchtet ein, dass die jungen, in Entwicklung begriffenen Blätter der Bäume jener Regionen in weit stärkerem Maße gefährdet sind als die unserer einheimischen Gewächse. Zerreissung und Zer- schlitzung der jungen Sprosse oder gar völlige Abtrennung unter der Macht der fallenden Tropfen wird das Loos der Blätter sein, die nicht von zureichend fester Beschaffenheit oder durch die Lage der Sprosse gegen den Regenfall geschützt sind“. Die objektive Prüfung der mechanischen Wirkung des Regens 4) in: Annales du jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XIV, 1897. XVIN. 43 674 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. auf die Pflanzen lässt dieselbe nach Wiesner’s Darlegungen weniger verderblich erscheinen. Die größten Wassertropfen haben ein Gewicht von 0,26 g. Ver- suche ergaben, dass die aus einer Höhe von mehr als 5 Meter nieder- fallenden Regentropfen das Gewicht von 0,2 g nicht überschreiten können. Der direkten Beobachtung entnimmt Wiesner, „dass die schwersten, bei den stärksten in Buitenzorg niedergegangenen Gewitter- regen aufgefangenen Regentropfen bloß ein Gewicht von 0,16g hatten“. Viel häufiger aber hatten sie nur ein Gewicht von 0,06—0,08 g. Ver- suche über die Fallgeschwindigkeit ergaben, „dass schon innerhalb einer Strecke von weniger als 20 Metern die Acceleration der fallenden Regentropfen durch den Luftwiderstand (fast gänzlich) aufgehoben wird, und dass die Fallgeschwindigkeit selbst der schwersten Regen- tropfen im äußersten Falle bloß etwa 7 Meter pro Sekunde beträgt, welche Größe durch Zunahme der Fallhöhe, nach anderweitigen Ver- suchen zu schließen, nur so unbeträchtlich gesteigert wird, dass sie praktisch gar nicht beachtet zu werden braucht“. Die lebendige Kraft des fallenden Regentropfen ist nach Wiesner im Maximum ca. 0,0005 Kilogramm-Meter, zumeist aber geringer, d. h. etwa gleich dem Stoß einer Bleikugel von 2 g nach einem Falle von 20 cm. Die Größe der lebendigen Kraft der fallenden Regentropfen ist also sehr gering, so gering, „dass die Wirkung auf die Pflanze nur sehr unbedeutend sein kann. Die schwersten Regentropfen üben, indem sie auf ein Blatt auffallen, nur einen schwachen Stoß aus, welcher durch die elastische . E 2 Befestigung des Blattes am Stamme noch weiter verringert wird“. So könnte also eine starke Wirkung nur die Folge der oftmaligen Wieder- holung des Stoßes sein. Doch auch diese bleibt nach Wiesner’s Beobachtungen sehr bedeutend hinter den Erwartungen zurück. „Es fielen bei den stärksten Regengüssen auf eine Fläche von 100 Quadrat- centimeter in der Sekunde sehr selten mehr als sechs (schwere) Tropfen; gewöhnlich ist die Zahl der schweren Tropfen eine kleinere (2—3), wie sich ja auch aus den pro Sekunde ermittelten Regenhöhen durch Rechnung finden lässt“. Wiesner giebt als größte von ihm beobach- tete Sekundenregenmenge 0,0405 mm an. Dies entspricht einer Tages- regenmenge von 3499 mm, d. h. nahezu der jährlichen Regenmenge von Buitenzorg. In Bezug auf den pflanzlichen Organismus kommen hauptsächlich drei Formen der Stoßfestigkeit in Betracht. Die absolute Stoß- festigkeit kommt näherungsweise dann vor, „wenn eine Blüte, eine Frucht oder die Blätter eines hängenden Sprosses von einem abwärts gerichteten Stoß getroffen werden“. Rückwirkende Stoßfestig- keit kommt zur Geltung, „wenn unbewegliche oder wenig beweg- liche oder unterstützte Organe vom Stoß getroffen wären, also Stämme, dickere Aeste, srundständige Blätter“. Wenn ein einfach ROTER Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 675 oder mehrfach unterstützter Körper vom Stoße getroffen wird, so dass er entweder eine Ausbiegung oder Durchbiegung erfährt oder im extremen Fall zerbrochen (durchstoßen, durchschlagen) wird, so wurde er auf relative Stoßfestigkeit in Anspruch genommen. „Die relative Stoßfestigkeit eines Blattes wird um so größer sein: 1. je rascher die direkt vom Stoß getroffene Stellen ihre Bewegung den anderen nicht getroffenen Stellen mitteilt, so dass dann das Blatt als Ganzes sich bewegt; 2. je vollständiger es jene Geschwindigkeit an- nimmt, welche der stoßende Körper im Momente der Berührung mit dem gestoßenen annimmt, 3. in je geringerem Grade die gestoßene Stelle sich, ohne. ihre Bewegung der Umgebung mitzuteilen, fortbewegt, d. h. je höhere Stoßkräfte erforderlich sind, um den Körper durchzu- stoßen oder durchzuschlagen“. Die Elastizität ist die der umgestalten- den Wirkung des Stoßes entgegenwirkende Kraft. Nach den Unter- suchungen von Kny vermögen die Zellen des Blattes an sich die Stoß- wirkung nur wenig zu paralysieren, wohl aber die besonderen mecha- nischen Einrichtungen in der Konstruktion der Gewebe, sei es dass die derbe, lederartige Beschaffenheit des Blattes das Schutzmittel gegen die Schädigungen durch Stoß ist, sei es, dass sich die Epidermis- und Palissadenzellen des Blattes sich zu Gewölben zusammenfügen, „welche elastischen Widerlagern, den stärkeren Gefäßbündeln, aufgesetzt, be- ziehungsweise angelehnt sind, durch welche Einrichtung die Kraft des Stoßes von den zunächst betroffenen Zellen auf die benachbarten seit- wärts abgelenkt und auf die Widerlager übertragen wird“, sei es, dass das Blatt z.B. durch Fiederung so gebaut ist, dass die einzelnen Teile in Folge ihrer größeren Beweglichkeit dem Stoße leichter auszuweichen vermögen. Welch hohe Bedeutung der Biegungsfähigkeit als Schutz gegen Stoß zukommt, zeigen Versuche mit fallenden oder aufliegenden Bleikügelchen. Wird ein Stück der Blumenkrone von Impatiens Noli tangere auf ein ebenes festes Widerlager aufgelegt und mit einer Blei- kugel vom Gewichte 1 g beschwert, dann entsteht eine Quetschwunde. Lässt man dagegen eine Bleikugel von 5 g Gewicht auf eine natür- lich aufgehängte Blüte von I. Noli tangere aus einer Höhe von 20 em niederfallen, „so dass die Kugel senkrecht auf den Kronblattteil auf- fällt, so reisst die Blüte nicht ab, es wird aber auch der getroffene Korollenteil gar nicht beschädigt, obgleich die lebendige Kraft der niederfallenden Kugel beiläufig 40mal größer ist als die der schwersten in den Tropen zur Erde fallenden Regentropfen“. Wiesner konnte die Stoßkraft auf das 200fache |der schwersten Regentropfen steigern, ohne dass eine Verletzung eintrat. Analog verhalten sich, wie die nachfolgende Zusammenstellung lehrt, auch andere Blütenblätter. 43 * 676 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Gewichte, durch welche bereits Druck- wunden hervorgerufen wurden. Schwelle für Entstehung von Stoßwunden Geranium Robertianum . 28 0,000004 Kilogramm-Meter Chelidonium majuss . . . 5, 0,000004 n Lysimachia Nummularia . 6, 0,000004 i Fuchsia coccinea Kelch. . 38 „ 0,000006 5 : z Krone... 40.5 0,000006 b Nareissus polyanthus . . 68 „ 0,000012 si AIOIERgEBaL AU Lee U 0,000026 a5 Primula chinensiss . . . 95 „ 0,000040 * Die lebendige Kraft des auf die gleichen aber freibeweglichen Blüten ausgeübten Stoßes kann 0,134 Kilogramm-Meter betragen, ohne dass eine Schädigung eintritt. Es kann also ein Stoß, welcher ein auf fester Unterlage liegendes Kronblatt verwundet, mehrtausendfach ver- stärkt an einem in natürlicher Weise befestigten Kronblatt noch keine merkliche Schädigung hervorbringen. Laubblätter zeigten folgendes Verhalten: Gewichte, durch welche bereits|Schwelle (a) für die|Schwelle (b) für die Druckwunden hervorgerufen Entstehung einer |Entstehung einer Stoß- wurden. Druckwunde, hervorge-|wunde, hervorgerufen rufen an dem auf festerjan dem am Stamme be- Unterlage befindlichen] findlichen Blatte. Blatte. Tradescantia zebrina 65 g|0,000006 Kgr-Meter/0,0725 Kilogr- Meter Primula chinensis 100 „I0,000090 „ 0,2398 5 Begonia rieinifolia 98 „[0,000013 ? 0,0268 5 Fieus elastica 100 „[0,00016 = 0,5052 r Aucuba japonica 100 „0,00030 x 0,3651 a Aloe vulgaris 100 „|0,01340 > 0,3731 = Interessant ist die Konstatierung der Thatsache, dass im allge- meinen die Blätter tropischer Holzgewächse gegen Stoß weniger widerstandsfähig sind als die unserer Bäume und Sträucher. „Hieraus dürfte schon zu ersehen sein, dass die direkte mechanische Wirkung des Regens keine große sein könne; denn wenn der Regen die Pflanzen- organe mit großer Kraft angreifen würde, so. müsste ja doch das Laub der tropischen Holzgewächse, welche den relativ stärksten Regen- wirkungen ausgesetzt sind, gegen Stoß besser ausgerüstet sein als das Laub unserer Bäume und Sträücher. Eher könnte man in dem relativ großen Stoßwiderstand des Laubes unserer Holzgewächse, unter Berück- sichtigung der Thatsache, dass die häufigsten Hagelfälle in mittleren Breiten vorkommen, eine Anpassung an den Hagel erblicken. Die Stoßfestigkeit ist übrigens bei den Blättern der gleichen Pflanzenart nicht immer gleich groß. Bei länger anhaltender trockener Witterung waren Blätter durch einen bestimmten Stoß nicht durch- zuschlagen, die dem Regen ausgesetzt sich durchschlagen ließen. Das lebende Blatt gewinnt mit Wasserzunahme an „Durchschlagsfähig- keit“; die Stoßfestigkeit nimmt mit zunehmendem Wassergehalte ab. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 677 In der nachfolgenden Tabelle bedeutet A die relativ trockene Hälfte eines lebenden Blattes, B die durch einstündiges Liegen im Wasser imbibierte. (Zunahme des Wassergehaltes 5—8°|,.) Tussilago farfara = wird durchschlagen bei einem Stoße 0,00012 Kgr.-Mtr. „ » = 5 »„...0,00009 a © Syringa vulgaris A „ hr r 2 4800115 4 = B 03 ; Baer RR 2. Viburnum LantanaA „ x N & „.. 0,00140 £ 2 B n ” ” » ” 0,00 1 20 ” = Aesculus hippo- = castanum RE # 5 e „.. 0,00116 5 2 B „ ”„ 1) bi] „ 0,00 1 08 ”„ = „Da die Blätter durch den Regen in einen Zustand kommen, in welchem sie dem Stoße einen geringeren Widerstand entgegensetzen, als in einer trockenen Periode, so wird man vielleicht auch hieraus ableiten dürfen, dass die Stoßkraft des Regens keine große sein könne; denn wäre dies der Fall, so müsste doch wohl die uns überall ent- gegentretende Anpassungsfähigkeit der Pflanze dahinführen, gerade zur Zeit des Regens, wenn also die größte Gefahr der Zerstörung vor- handen ist, den Widerstand gegen die Fährlichkeit zu erhöhen“. Dle Beobachtungen über die direkte mechanische Wirkung des Regens auf die Pflanze hatten folgende Ergebnisse. Mechanische Be- schädigungen kommen nur außerordentlich selten vor. Auch die Zer- schlitzung von Musa-Blättern konnte nie als eine Folge des Regenfalls beobachtet werden. Karstens Beobachtung, „dass die Zerschlitzung der Spreiten von Heliconia dasyantha (einer südamerikanischen Banane) unter dem Anprall der Regentropfen erfolgt“, findet von Wiesner folgende Deutung. Eine Teilung der Spreite kann eintreten, ohne dass hierzu Regen erforderlich wäre. „Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass an der Versuchspflanze die durch das Wachstum des Blattes hervorgerufenen Spannungen der Gewebe die Zerschlitzung desselben herbeiführten. Dureh den niederfallenden Regen kann eine Verstärkung dieser Spannung eintreten, durch welche das Zerschlitzen beschleunigt werden kann. Der Regen wird also mehr im Sinne einer Auslösung als durch direkten mechanischen Angriff die Zerschlitzung der Spreite hervorrufen“. Die Schädigungen, welche als eine Folge der kombinierten Wirkung von Regen und Wind auftreten, erklärt Wiesner nicht als eine Wir- kung des Regens, dessen Geschwindigkeit durch den Wind so weit gesteigert wird, dass die Pflanzenorgane durch den Stoß geschädigt werden, sondern in erster Linie als eine Stoßwirkung des Windes, welche die Pflanze deswegen ganz besonders zu schädigen vermag, weil die Imbibition der Organe die Widerstandskraft gegen den Stoß verminderte. Ein Einblick in die direkte mechanische Wirkung des Regens kann auch aus den durch Regenfall veranlassten Erschütterungen der 678 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Pflanzen gewonnen werden. Wiesner erkannte zwischen Regenmenge und dem Grade der Bewegung der Blätter eine ziemlich konstante Wechselbeziehung, über welche die nachfolgende Tabelle Aufschluss gibt. Regenhöhe pro Minute. Pflanzenart. Grad der Erschütterung. 0—0,03 mm An keiner der angeführ- ten Pflanzen war eine . Bewegung wahrnehm- bar. 0,035 mm Adianthum spec. Eben wahrnehmbares mit sehr zarten Zittern der Blättchen Blättchen. des Wedels. 0,060 mm Adianthum spec. Leise Bewegungen der mit sehr zarten Fiederblättchen, schon Blättchen. in einiger Entfernung deutlich wahrnehm- bar. 0,112 mm is Lebhafte zitternde Be- wegung der Fieder- blättehen. 0,090 mm Plumbago capensis Leises Schwingen der geneigten Stengel. 0,135 mm = . 5 Geneigte Zweige in schwingender, DBlätt- ehen in zitternder Be- wegung. 0,155 mm s Dieselben Bewegungen aber sehr lebhaft. 0,250 mm P Starkeschwingende Be- wegung der geneig- ten Zweige und starkes Zittern der an aufrech- ten Sprossen stehenden Blätter. 0,150 mm Ficus elastica Leise Bewegung der Blätter. 0,685 mm = Lebhaftes Zittern des 4 Tr 2 i x Laubes, leichte Be- wegung der Zweige. 2,400 mm = Starkes u. sehr rasches größte, beobachtete Zittern des Laubes, leb- Regenhöhe. hafte Bewegung der Zweige und sehr schwache Bewegung der dünneren Aeste. „Die stärksten Bewegungen, welche durch die heftigsten Regen hervorgebracht werden, entsprechen einem mechanischen Effekt, welcher durch einen sehr schwachen Wind hervorgerufen wird“. Auch die Blätter der Mimosa pudica zeigen eine ziemlich klar ausgesprochene Proportionalität zwischen Regenhöhe und Reizungs- Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 679 efiekt. Anhaltender Regen von 0,002—0,02 mm pro Minute vermag die charakteristische Reizbewegung der Blätter nicht auszulösen. Die Fiederblättehen können mit kleinen Regentröpfehen überdeckt sein und sie können in völlig regungslosem Zustande verharren. Bei stärkeren Regen von einer Höhe von 0,025—0,120 mm pro Minute erfolgt we- nigstens bei einem Teile der Blättchen der Uebergang in den ge- schlossenen Zustand und erst bei einer Höhe von 0,125 mm pro Minute tritt die Reizbewegung sicher ein. Stahl hat zuerst auf eine schützende Anpassung gegen heftige Regen hingewiesen, die er mit dem Namen Hängeblatt und Hänge- zweige bezeichnet. Stärkere Frühjahrsregen haben die Fähigkeit diese Anpassung hervorzurufen. „Junge Blätter von Acer campestre“, schreibt Wiesner, „welche etwa erst den dritten oder vierten Teil der ganzen Größe erreicht haben, sind am Grunde der Spreite oder am oberen Ende des gemeinschaftlichen Blattstieles so beschaffen, dass infolge unelastischer Biegsamkeit der an der genannten Stelle liegenden Ge- webe, die Blattspreite leicht durch mechanische Angriffe in die vertikal nach abwärts gerichtete Lage gebracht werden kann“. Im jugend- lichen Zustande sind diese Blätter ombrophob, d. h. ihre substantielle Beschaffenheit ist eine derartige, dass sie durch die kontinuierliche Wirkung des auffallenden Wassers geschädigt werden. Mit der Zeit gehen sie in einen ombrophilen Zustand über, sie vermögen lange dauernde Traufe ohne Nachteile zu ertragen, können alsdann auch ohne Nachteil die vom Regen ihnen aufgezwungene Schutzstellung verlassen. Auffälliger als die direkten sind die sekundären Wirkungen des Regens auf die Pflanze. Als eine solche ist die organische Ablösung von Blättern zu bezeichnen. Wiesner versteht darunter „eine Trennung des Blattes, welche in einer am Grunde des Blattes ausgebildeten Gewebeschichte (Trennungsschichte), entweder durch partielle Auflösung der äußeren Zellhautpartien dieser Gewebelage oder dadurch erfolgt, dass starke Turgescenz der Zellen dieser Schichte dahin führt, dass sich die letzteren von einander trennen“. Laubfall in Folge des Regens ist namentlich dann zu beobachten, wenn dem Regen eine längere Trockenperiode voranging. Während dieser Zeit wird die Trennungsschicht angelegt. Die Ursache der Ablösung ist die plötzliche und starke Steigerung des Turgors der Zellen der Tren- nungsschicht. Sie bewirkt eine Lockerung ihres Gewebes, vielleicht selbst die völlige Ablösung. Eine andere sekundäre Regenwirkung ist die Ablösung von Blüten und Blumenkronen. Diese lösen sich im allgemeinen organisch ab, indem die untersten Zellen der Korolle infolge großer Turgescenz sich von den Nachbarzellen trennen. Diese Erscheinung der organischen Trennung tritt thatsächlich unter den Bedingungen ein, welche eine 680 Kathariner, Werden die fliegenden Schmetterlinge von Vögeln verfolgt? Turgorsteigerung bewirken. Werden die unter den Blüten stehenden Blätter benetzt, dann hört ihre Transpiration auf; es kann also der Zellturgor der Blumenkrone so gesteigert werden, dass es zu ihrer Ablösung kommt. Tritt die Benetzung der Korolle selbst ein, dann wird diese Trennung als sekundäre Wirkung um so sicherer erfolgen. Wie die Lageveränderung von Blättern oder Sprossen eine primäre Regenwirkung sein kann, so tritt sie auch als sekundäre Wirkung auf. So beobachtete Wiesner z. B. an Phaseolus multiflorus nach 3—4tägiger kontinuierlicher Einwirkung der Traufe, „dass sowohl die noch im Wachstum begriffenen als die ausgewachsenen Blätter ihre Lage vollständig änderten, indem das mittlere Endblatt sich nach ab- wärts senkt, die beiden Seitenblättehen die Profilstellung annehmen und gleichfalls in die vertikal nach abwärts gerichtete Lage kommen“. In dieser Lage sind sie vor übermäßiger Einwirkung des Wassers geschützt. Eine weitere Wirkung des Regens besteht darin, dass Blätter, die nicht benetzbar waren, eine benetzbare Oberfläche erhalten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der „Reif“ mechanisch entfernt werden kann. Dennoch ist dieser „Reif“, der durch Regen nicht so schnell entfernt wird, wie durch Untertauchen des bereiften Blattes vor allem ein Schutzmittel gegen den Regen. Er verhindert die Adhäsion der Regentropfen. (Siebentes Stück folgt.) Werden die fliegenden Schmetterlinge von Vögeln verfolgt? Von Prof. Dr. L. Kathariner, Freiburg (Schweiz). In dem die Mimiery behandelnden Abschnitte seiner Orthogenesis der Schmetterlinge!) äußert sich Eimer folgendermaßen: „Alle Vertreter der Zuchtwahl-Verkleidung müssen notwendig davon ausgehen, dass 'vor- züglich die Vögel es seien, welche durch ihre Verfolgung besonders auch der fliegenden Schmetterlinge den Zwang der Entstehung einer schützen- den Aehnlichkeit geübt hätten. Mit der Berechtigung dieser Annahme fällt die letzte Ursache der im Sinne des Nutzens gedeuteten Umbildung hinweg,“ und weiter hinten: „Aber wer hat denn überhaupt je Vögelin solchem Maße Schmetterlinge verfolgen sehen, dass dadurch eine schützende Umbildung durch Auslese erzielt werden könnte?“ Aus seiner Erfahrung erinnert sich Eimer nur eines Falles, wo ein Rotschwänzchen einen Weißling im Schnabel zu tragen schien. Von Schmetterlingsfreunden und seinen Zuhörern konnte er nur vereinzelte Fälle in Erfahrung bringen, dass Schmetterlinge von Vögeln verfolgt wurden. Eimer beruft sich weiter auf Schmetterlingssammler in den "Tropen, von denen ein Herr Piepers, „ein genauer Beobachter der javanischen 4) Leipzig, Wilh. Engelmann, 1897, p. 272. Kathariner, Werden die fliegenden Schmetterlinge von Vögeln verfolgt? 681 ‘ Schmetterlingswelt“!) während seines 28 jährigen Aufenthaltes in Indien nur 4 Fälle derart erlebt hat — darunter 2, in denen „geschützte“ Schmetterlinge von Vögeln gefressen wurden. Eimer kommt zum Schlusse: „die hervorragendsten Schmetterlings- kundigen Europas und der Tropen wissen nichts davon, dass Vögel in irgend nennenswerter Weise Schmetterlinge verfolgen“. Ich hatte aber Gelegenheit, einen recht eklatanten Fall von Ver- folgung der Schmetterlinge durch Vögel zu beobachten. Es war auf einer mit Dr. Escherich nach Centralkleinasien unternommenen Reise, am 6. Mai 1895, als ich auf einem Brachacker in der Nähe Angoras mit dem Fang von Thais Cerysit beschäftigt war, die um diese Zeit in solcher Menge flogen, dass ich mein Netz wegen eines einzelnen Falters gar nicht in Thätigkeit setzte, sondern mit jedem Schlage bis zu 6 der langsam flatternden Tiere auf einmal fing. Ich hatte binnen wenigen Minuten 35 Thais, sowie einige Zegris gefangen, als plötzlich ein vielstimmiges helles „Buib, Buib“ ertönte und in reißendem Fluge ein Schwarm Bienen- fresser (Merops apiaster) sich über das Brachfeld ergoss und, ohne sich um mich zu stören, fürchterlich unter den Schmetterlingen aufzuräumen begann. Man hörte fortwährend das Klappen der zuschnappenden Schnäbel und in kürzester Frist war von den Faltern keine Spur mehr zu sehen. Was nicht gefressen war, hatte sich unter den Pflanzen versteckt. Um die sitzenden Falter kümmerten sich die Bienenfresser natürlich nicht mehr und verschwanden so rasch wie sie gekommen. Es dauerte geraume Zeit bis wieder hie und da ein Schmetterling sich hervorwagte, aber mit einem ergiebigen Fang war es aus und ich wechselte daher alsbald die Stelle meiner Sammlerthätigkeit. Das unerwartet Plötzliche des ganzen Vor- ganges, der herrliche Anblick der dahersausenden buntfarbigen Vögel und nicht zum mindesten das für mich weniger angenehme Resultat hatten auf mich einen derartigen Eindruck gemacht, dass ich noch am selben Abend darüber eine Notiz in mein Tagebuch eintrug, an die ich wieder durch die Lektüre der citierten Stellen erinnert wurde. Der beobachtete Fall dürfte durchaus nicht vereinzelt dastehen, denn die Bienenfresser sind vermöge ihres geschickten Fluges und besonders wegen ihres langen, schmalen Schnabels ganz besonders dazu befähigt, fliegende Schmetterlinge von vorn oder hinten in der ganzen Länge ihres Leibes, zwischen den Flügeln zu fassen; kleinere Schmetterlinge können sie leicht auch samt den Flügeln aufnehmen, da der Schnabel an der Wurzel sich stark verbreitert und die Mundspalte sehr weit ist. Auch habe ich wiederholt in meiner Heimat beobachtet, wie Rot- schwänzchen, die eine besondere Vorliebe für Schmetterlinge zu haben scheinen, fliegende Weißlinge fingen und zum Neste trugen. Ein Rotschwänzchen nahm mir einmal einen Lindenschwärmer, der an einem Baumstamm in die Höhe kroch direkt vor der Hand weg. Ein Freund von mir, der allerlei einheimische Vögel hält, erzählte mir, dass er öfter Raupen aufziehe, um die geschlüpften Schmetterlinge seinen Vögeln zum Futter zu reichen, und dass besonders Buchfinken große Liebhaber davon seien. 4) Vergl. über diesen Gewährsmann auch: Fruhstorfer H., Neue und wenig bekannte Lepidopteren aus dem malayischen Archipel. Berl. Entom. Zeitschrift, Bd. 61, Heft IV, p. 400. - 689 Stieda, Ueber die Homologie der Extremitäten. Dr. Carl Russ!) empfiehlt ausdrücklich die Aufzucht von Schmetter- lingen, als besonderer Leckerbissen für Singvögel. Obwohl ich auf die Beobachtung an gefangenen Vögeln keinen allzu großen Wert legen möchte, vermag ich doch nicht einzusehen, warum diese Tiere in der Freiheit keinen Geschmack an diesem natürlichen Futter finden sollten. Wenn mir demnach auch die von Eimer aufgestellte Regel, dass Vögel in keiner nennenswerten Weise Schmetterlinge verfolgen, nicht hinreichend begründet erscheint, so stimme ich doch völlig mit ihm darin überein, dass eine „Schutzfärbung bezw. Zeichnung“ für den fliegenden Schmetterling nicht in Betracht kommt. Ich habe die Ueberzeugung, dass den T’hars im er- zählten Falle die schönste Schutzfärbung nichts genützt hätte, die Bienen- fresser fingen einfach, was ihnen durch die flatternde Bewegung ins Auge fiel. So glaube ich auch, dass die Nachahmung geschützter Arten durch nichtgeschützte (Danaiden-Papilioniden etc.) in Bezug auf Zeichnung und Färbung, keinen großen Wert hat. Wenn eine Täuschung des Feindes durch den fliegenden Schmetter- ling erfolgen soll, so geschieht dies höchstens durch die Nachahmung der Flugmanieren des geschützten Falters. Schon von weitem erkennt der einigermaßen geübte Sammler die Art an ihren Bewegungen, auch wenn er von Farbe und Zeichnung wegen der Entfernung, der Geschwindigkeit des Fluges, oder aus sonst einem Grunde, nichts unterscheiden kann; ich sage absichtlich: die Art, da sich selbst die Arten einer und derselben Gattung durch gewisse Eigentümlichkeiten im Fliegen, Niedersitzen etc. von einander auszeichnen. Was aber das Auge des Sammlers leistet, vermag gewiss in noch höherem Maße das Auge eines auf Schmetterlingsfang angewiesenen Tieres zu erfüllen. Ich würde daher nur solche Fälle von Nachahmung als schützende Mimiery gelten lassen, in welchen das Modell außer in Form und Größe auch in den Eigentümlichkeiten seiner Bewegung nachgeahmt wird. Vereinzelte Angaben darüber finden sich zwar in der Litteratur zerstreut, aber so spärlich, dass die meisten der überaus zahlreichen als Mimiery gedeuteten Fälle von Entwickelungsgleichheit auf gleichartige äußere Einflüsse, vor allem klimatische, zurückzuführen sein dürften, jedenfalls nicht auf Selektion. [78] Einige Bemerkungen über die Homologie der Extremitäten. Eine Beantwortung der von Herrn Eisler (Halle) gestellten Fragen. Von Prof. Dr. L. Stieda in Königsberg i. Pr. Herr Eisler (Halle) hat vor einiger Zeit in dieser Zeitschrift (Bd. XVIIL, Nr. 3, 1. Febr. 1898) in Betreff meiner Ansicht über die Homologie der Extremitäten einige Anfragen an mich gerichtet, die ich hier in Kürze beantworten will. Freilich hat unterdessen bereits an einem andern Ort (Anatom. Versammlung in Kiel im April 1898) eine kurze 1) Dr. Carl Russ, Die einheimischen Stubenvögel, 2. Aufl., p. 35. Stieda, Ueber die Homologie der Extremitäten. 6853 Beantwortung der Eisler’schen Fragen stattgefunden und die daran an- schließende Diskussion hat ergeben, dass eine Einigung zwischen Eisler’s und meiner Ansicht nicht möglich ist. "Trotzdem aber erachte ich es den Lesern dieser Zeitschrift gegenüber für notwendig, die Eisler’schen Fragen hier zu beantworten, um die Unterschiede zwischen der Eisler’schen und meiner Anschauung kurz hervorzuheben. Die von Herrn Eisler gestellten Fragen, die sich auf meinen Auf- satz in dieser Zeitschrift (Bd. XVII Nr. 20) beziehen, sind zum Teil schon in der ausführlichen Auseinandersetzung in den Anatom. Heften (I. Abt., _ XXVII: Heft, oder 8. Bd., Nr. 4) beantwortet. Herr Eisler hat die Fragen gestellt, ehe ihm die ausführliche Mitteilung vorgelegen hat. Ohne auf die citierte Abhandlung näher einzugehen, will ich einen Versuch machen, die gewünschte Antwort kurz zu geben. Die 16 gestellten Fragen hängen natürlich mit einander zusammen, so dass ich eine Antwort leichter und kürzer geben könnte, wenn ich — ohne Rücksicht auf die einzelnen Fragen — meinen Standpunkt und dadurch den Unterschied zwischen der Eisler’schen und meiner Ansicht in einer systematischen Auseinandersetzung darlegen dürfte. Das wäre aber nichts weiter als eine Wiederholung meiner früheren Mitteilungen, deshalb sehe ich davon ab und halte mich streng an die Reihenfolge der Eisler’schen Fragen. Die ersten Fragen (1—8) beziehen sich auf das Verhalten der Nerven. Hierin zeigt sich sofort ein wesentlicher Unterschied zwischen Eisler’s und meinen eigenen Anschauungen. Eisler ist bei seinen Erwägungen und Betrachtungen von den Nerven ausgegangen — ich von den Knochen und Muskeln. Ich habe dabei in erster Linie die anatomischen Verhält- nisse des menschlichen Skeletts im Auge gehabt und habe danach ver- sucht, auch die Weichteile, Muskeln, Nerven und Blutgefäße gemäß meiner Theorie zu ordnen. Dass dieser Versuch nicht alle thatsächlichen Befunde vollständig erklärt, dass sich vielfach Abweichungen von dem „Normalen“ finden, weiß ich sehr wohl; aber das ändert an der Theorie nichts. Ich hege auch heute noch die Anschauung, dass eine Prüfung der Theorie durch phylogenetische und ontogenetische Untersuchungen sehr wünschens- wert erscheint. Herr Eisler wünscht (Frage 1—4) Auskunft darüber, ob in den supponierten steifen, rechtwinklig vom Körper abstehenden Urplatten be- reits auch Weichteile, besonders Muskeln, um die exakten Skelettteile an- gelegt waren (1), ob bereits in diesem Stadium eine Sonderung in eine dorsale und eine ventrale Schicht anzunehmen sei (2), ob auch für die Nerven bereits in diesem Stadium eine Trennung in eine dorsale und eine ventrale Schicht eingetreten sei (3), ob in diesem Urstadium die dorsalen bezw. die ventralen Muskelmaßen der Brust- und Beckenglied- maßen „en bloc“ einander homolog seien (4)? Ich muss, wie Herr Eisler richtig voraussetzt, alle 4 Fragen be- Jahen. Mit Rücksicht hierauf fragt Herr Eisler weiter (5): Ist diese Voraussetzung richtig, wie ist es zu erklären, dass der Triceps brachii seine Nervenzweige vom dorsalen N. radialis, die dem Triceps brachii homologen Mm. semitendinosus, semimembranosus und biceps femoris von dem ventralen N. tibialis innerviert werden, und nicht von dem dorsalen N. peroneus? 684 Stieda, Ueber die Homologie der Extremitäten. Darauf antworte ich: die Mm. semitendinosus, semimembranosus und der lange Kopf des Biceps erhalten ihre Nervenäste nicht vom N. tibialis, sondern vom N. ischiadicus, während der kurze Kopf des Biceps fe- moris seine Aeste wirklich vom N. peronaeus bezieht. Ich behaupte nun, dass der N. ischiadicus ein aus dorsalen und ventralen Nervenästen zu- sammengesetzter Stamm ist: die zu dorsalen Muskeln hinziehenden Nerven- äste stellen den dorsalen, die zu ventralen Muskeln hinziehenden Nerven- äste stellen den ventralen Teil des N. ischiadicus dar. — Ueberdies erhält der kurze Biceps-Kopf wirklich seinen Nervenast von dem N. pero- naeus. — Ich kann den zu den genannten Muskeln hinziehenden Nerven- ästen gar keine besondere Bezeichnung geben; warum sollen diese Nerven- äste denn tibial sein? Woran erkennt man die tibiale Natur dieser Aeste? Die Nerven teilen und verflechten sich sehr vielfach, — der N. ischiadi- cus teilt sich sehr beliebig, — ob hoch und niedrig, das ist mir einerlei. Nach meiner Anschauung sind die Muskelschichten das Maßgebende, Pri- märe, und die Nerven sind sekundär. Die zu den dorsalen Muskel- gruppen hinziehenden Nerven müssen den dorsalen, die zu ventralen Muskelgruppen müssen den ventralen Nervengruppen angehören. Der zweite Teil der 5. Frage des Herrn Eisler betrifft die Nerven des Ornithorhynchus. Ich lasse diesen Teil unbeantwortet, weil mir die anatomischen Verhältnisse des Ornzthorhynchus nicht genug bekannt sind. Eine Prüfung meiner Theorie durch vergleichend anatomische Unter- suchungen scheint mir sehr geboten. Ich kann es nicht unterlassen, hier bei dieser Gelegenheit auf die Arbeit von Dr. G. Osawa „Beiträge zur Anatomie der Hatteria punctata (Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. II, 1898, S. 481—692) hinzuweisen. Herr Dr. Osawa bekennt sich offen zu meiner Anschauung, dass (1. c. S. 690) die Flexoren des Ober- arms den Extensoren des Oberschenkels entsprechen, und dass man beim Vergleich beider Extremitäten von der pronierten Stellung des Vorder- arms ausgehen soll. Die im Freiburger anatomischen Institut unter Prof. Wiedersheim’s Leitung ausgeführten genauen Untersuchungen haben dem- nach zu einer Bestätigung meiner 'T'heorie geführt. Auf eine Beantwortung der Fragen 6, 7 und 8, die sich auch auf das Verhalten der Nerven beziehen, gehe ich nicht ein: ich vermag eben nicht alles zu erklären. Die folgenden Fragen 9I—12 betreffen insonderheit die Muskulatur und ihr mechanisches Verhalten. Die Frage 9 lautet: Ist die Pronation und Superpronation der Unter- schenkelknochen durch freies Spiel irgend welcher Kräfte oder speziell durch Muskelzug zu Stande gekommen’? Ich antworte darauf: unzweifelhaft durch Muskelzus. Die Frage 10 lautet: Sind noch Reste der dabei thätig gewesenen Pronatoren an der Tibia, der Superpronatoren an der Fibula vorhanden ? Um diese Frage zu beantworten, müsste ich sehr weit ausholen, — ich lasse die Frage unbeantwortet, indem ich sage: ich weiß es nicht. Die Frage 11: Bedeutet die Superpronation der Tibia und Fibula eine Drehung des Unterschenkelskeletts gegen den Oberschenkel um 180 °? Frage 12: Lag daun im Primitivzustande die jetzige Waden-Muskulatur in der Fortsetzung des Quadriceps femoris? Beide Fragen muss ich bejahen. - a Stieda, Ueber die Homologie der Extremitäten. 685 Die Waden-Muskulatur ist die ventrale Muskelschicht des Unter- schenkels, wie die sog. Beugemuskeln des Vorderarms die ventrale Schicht darstellen, woran wohl niemand zweifeln wird. Wenn ich meinen Vorder- arınm supiniere, so liegt die Beuge-Muskel-Gruppe ebenso ventral wie der M. biceps brachii; wenn ich den Vorderarm proniere, so kommt die ventral gelegene Beugegruppe nach hinten (dorsalwärts) zu liegen; sie ist damit aber nicht zu einer dorsalen geworden. — Die Waden- Muskulatur hat im Primitivzustunde — nach meiner Ansicht — unzweifel- haft in der Fortsetzung des M. Quadriceps femoris gelegen; sie ist die ventrale Muskelschicht des Unterschenkels, wie der M. Quadriceps femoris ‘ die ventrale Muskelschicht des Oberschenkels ist. In Folge der Pronation des Unterschenkels ist die ventrale Muskelschicht des Unterschenkels nach hinten (dorsalwärts) gelangt, während die ventrale Muskelschicht des Oberschenkels (M. quadriceps fem.) in ihrer Lage geblieben ist, ebenso wie die ventrale Muskelschicht des Oberarms (M. biceps brachii). Weiter heißt es, Frage 13: Konnte eine solche erhebliche Drehung vor sich gehen, ohne Spuren in der Anordnung der Weichteile zurück- zulassen ? und Frage 14: Wie kommt es, dass die Innervation des Unterschenkels nicht um 180° gegen den Oberschenkel gedreht und ver- schoben ist ? Ich antworte: Der der dorsalen Muskelgruppe angehörige N. pero- naeus ist doch gedreht worden; er lag früher hinten (dorsal) und ist jetzt vorn zu finden. Er ist ventralwärts gedreht, ebenso wie der N. radialis, der bei supiniertem Vorderarm dorsal liegt, bei proniertem Vorderarm ‘ventralwärts gedreht wird. Aber Herr Eisler fragt vielleicht, warum der N. tibialis keine Drehungsspuren zeige, da er als ventraler Nerv doch nun nach hinten (dorsalwärts) gelangt sei — da antworte ich kurz: eine Drehung dieses N. war gar nicht notwendig, weil im N, ischiadieus nicht nur Elemente der dorsalen, sondern auch der ventralen Nervenschicht liegen. Es hat in den Beckengliedmaßen die Trennung in eine dorsale und ventrale Nervenschicht nicht so hoch oben stattgefunden wie bei den Brustglied- maßen. — Hier bei den Brustgliedmaßen haben sich die Nerven bereits oben proximal getrennt: N. radialis ist der dorsale, und N. medianus und ulnaris sind die ventralen Nerven geworden. Von den andern Nerven sehe ich hier ab, um nicht zu weit zu gehen. Bei den Becken- gliedmaßen ist die Trennung nicht so scharf eingetreten und erst später: der N. femoris und seine Begleiter sind der ventralen Schicht zuzurechnen, der dorsale N. ischiadicus aber enthält nicht allein die dorsalen Nerven des Ober- und Unterschenkels, sondern auch die ventralen Nerven des Unterschenkels. Wenn dabei später die ventrale Muskelschicht des Unter- schenkels in Folge der Drehung (Pronation) des Unterschenkels nach hinten (dorsalwärts) zu liegen kommt, so brauchen die Nerven sich nicht mitzudrehen — sie liegen bereits hinten. Auf eine Beantwortung der Frage 15, in Betreff der Stellung der beiden Unterschenkelknochen zu einander bei verschiedenen Vierfüßlern kann ich hier nicht eingehen: das führt auch auf ganz andere Gebiete. Ich verweise Herrn Eisler auf die vergleichend-anatomischen Arbeiten Sabatier’s und anderer Autoren, 686 Stieda, Ueber die, Homologie der Extremitäten. Ich komme zur Antwort auf die letzte Frage (16): Werden wir bei dieser Gelegenheit (einer ausführlichen Arbeit) vielleicht erfahren, worauf sich die allseitig anerkannte Anschauung von der Homologisierung der Tibia und des Radius, der Fibula und der Ulna, der Großzehe und des Daumens im besondern gründet? Bei der Antwort auf diese Frage komme ich auf diejenige Ansicht, die Herrn Eisler und mich vollkommen von einander trennt: auf die Ansicht in Betreff der Deutung der beiden Unterschenkelknochen und in Betreff des Vergleiches der Knochen des Unterschenkels und des Vorder- arms — Herr Eisler und ich sind hier vollkommen entgegen- gesetzter Ansicht und werden es wohl auch bleiben. Alle andere Meinungs-Differenzen gehen aus dieser hervor, sind sekundärer Natur. Ich beantworte die Frage 16 in folgender Weise: Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Oberarm dem Oberschenkel, der Unterarm dem Unterschenkel homolog ist; es unterliegt ferner keinem Zweifel, dass auch die Knochen einander homolog sein müssen, aber wie? Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass der Humerus homolog ist dem Femur — ich meine, es wird niemand eine besondere Begründung dieser Ansicht verlangen. Ebenso unterliegt es meiner Ansicht nach keinem Zweifel, dass der Radius und die Tibia, dass die Ulna und die Fibula, dass die Hand und der Fuß, der Daumen und die große Zehe, die übrigen Finger und Zehen in entsprechender Weise einander homolog sind. Ich meine, dass ich hier bei allen Anatomen und Zoologen auf eine Zu- stimmung rechnen darf — (nur nicht bei Herrn Eisler). Ich meine, dass diese Homologie keiner besonderen Begründung bedarf — sie ist als feststehend anzusehen. Will jemand sie umwerfen, so muss der Betreffende Gründe gegen die Richtigkeit dieser Homologie an- führen, aber nicht verlangen, dass die allseitig als giltig anerkannte An- sicht noch besonders begründet werden muss, Herr Eisler verwirft diese allgemeine giltige Anschauung voll- kommen und setzt eine neue, abweichende an deren Stelle, und zwar was für eine? Herr Eisler vergleicht in vollem Gegensatz zu dieser alten all- semein anerkannten Anschauung den Radius mit der Fibula und die Ulna mit der Tibia. In Folge dessen gelangt er auch zu einem durchaus entgegengesetzten Vergleich der Finger und der Zehen: von seinem Vergleich der Hand- und Fußwurzel-Knochen will ich hier ab- sehen. Der Unterschied der Eisler’schen Auffassung von dem allgemein anerkannten Vergleich zwischen Unterschenkel und Vorderarm tritt bei dem Vergleich der Finger und Zehen ganz besonders deutlich hervor. Wohl bemerkt, es handelt sich hierbei gar nicht mehr um den Unter- schied der Theorien in Betreff der Homologie zwischen Eisler und mir — sondern um den Unterschied zwischen der Eisler’schen Auffassung und der allgemeinen Anschauung aller Anatomen und Naturforscher in Betreff des Skelettteils der Extremitäten. Herr Eisler vergleicht nicht den Daumen der Hand mit der großen Zehe des Fußes, und die übrigen Finger und Zehen in derselben Reihenfolge, sondern er meint, dass am Radialrand der Hand 2 Finger, am Tibialrand des Fußes 2 Zehen ver- schwunden sind, und sagt dann (Biol. Centralblatt, 1896, Bd. XVI, Nr. 11, 8. 447): „Entfernt man von Hand und Fuß den 4. u. 5. Finger Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 687 bezw. Zehe, deren Homologe eben in den geschwundenen Fingern und Zehen zu suchen sind, so bleiben 1—3 Finger und die ihnen antitropen homologen 3 tibialen Zehen übrig. — Hiernach muss der Daumen der Hand verglichen werden mit der 3. Zehe des Fußes, die große Zehe des Fußes mit dem 3. Finger der Hand (dem Mittelfinger) und nur die beiden 2. Finger resp. Zehen der Hand und des Fußes entsprechen einander. — Die Begründung dieses Vergleichs muss in den Ahlähdlungeh Eis- ler’s (Homologie der Extremitäten, Halle 1895 und Biol. Centralblatt, Bd. XVI, Nr. 11) nachgelesen werden. Hier findet sich auch eine genaue Auseinandersetzung über den Vergleich der Weichteile. Hierauf einzugehen finde ich keine Veranlassung. — Die Entschei- dung, wer von uns beiden, Herr Eisler oder ich, das Richtige getroffen, bleibt der Zukunft überlassen — es heißt hier, wie sonst im Leben: „Abwarten“. — 194] R: Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1. Bd. 8. XI und 400 Stan. Mit 132 teilweise farbigen Figuren im Text. 2. Bd. VII u. 440 Stn. Mit 196 Figuren. Leipzig. S. Hirzel. 1897, 1898. Wir haben in Deutschland eine Anzahl mehr oder weniger ver- breiteter Lehrbücher der Physiologie, welche sich fast alle an denselben Leserkreis, die Studierenden der Medizin und die Aerzte, wenden. Tritt zu diesen ein neues, so ist die Frage berechtigt, wodurch es sich von den anderen unterscheidet, welche Vorzüge es bietet. Diese Frage ganz un- befangen und gerecht zu beurteilen, ist nicht leicht. Ist der Beurteiler selbst Lehrer des betreffenden Fachs, so hat er sich natürlich eine be- stimmte Ansicht gebildet, wie der Stoff angeordnet sein, was als wichtig hervorgehoben und was als unwichtig fortgelassen sein sollte u. s. w., ganz abgesehen davon, welche Ansichten er in einzelnen Fragen hegt, über welche noch keine allgemeine Uebereinstimmung unter allen Ver- tretern des Fachs herrscht. So kann es leicht kommen, dass, wenn ein Professor gefragt wird, welches das beste Lehrbuch sei, er geneigt wäre zu antworten, keines sei gut, da keines ganz seinen Anforderungen vollkommen entsprechen wird. Herr Tigerstedt, der Vf. des vorliegenden Buches ist zwar kein Deutscher (er ist Professor am Karolinischen Medico-chirurgischen In- stitut in Stockholm), aber als verdienstlicher Forscher, der seine Arbeiten deutsch veröffentlicht, bekannt, so dass ihm kein deutscher Fachgenosse das Recht bestreiten wird, auch seinerseits an dem Unterricht über den Kreis seiner Zuhörer hinaus mitzuwirken. Die deutsche Sprache beherrscht er vollkommen, so dass man beim Lesen seines Buches nur hie und da an den Ausländer erinnert, jedenfalls niemals durch den Ausdruck ge- stört wird. Auch beweist er sich überall als erfahrener Lehrer und ur- teilssicherer Gelehrter; sein Buch wird sich daher neben den schon vor- handenen mit Ehren behaupten können, 688 Tigerstedt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Der Lehrgang der Physiologie, die Reihenfolge, in welcher die einzel- nen Abschnitte auf einanderfolgen, hat sich seit Jahren so fest gestaltet, dass fast alle Lehrbücher in dieser Beziehung mit einander übereinstimmen. Auch Herr T. weicht von diesem Schema nicht wesentlich ab. Er be- handelt in dem ersten Bande das, was man gewöhnlich (recht un- passend, wie ich mir zu bemerken erlaube) die vegetative Physiologie zu nennen pflegt. Fast alle Verfasser von Lehrbüchern, und so auch Herr T., pflegen bei Besprechung der „vegetativen Funktionen“ Erörterungen aus der Muskel- und Nervenphysiologie vorwegzunehmen. So werden an die Lehre vom Kreislauf die Innervation des Herzens und der Gefäße, an die Lehre von der Atmung die Innervation derselben sowie Erörterungen über die Ursache der 'Thätigkeit des Atemzentrums geknüpft. Das hat dann, wenn im zweiten Teil die Muskel- und Nerventhätigkeit zur Sprache kommt, notwendig Wiederholungen zur Folge; wichtiger aber scheint mir, dass jene ersten Erörterungen, da die Grundbegriffe-noch nicht erklärt sind, nur halb verständlich bleiben. Und das scheint mir in einem Lehrbuch für Anfänger didaktisch nicht empfehlenswert zu sein. Es ist ja leider, da alle Funktionen des Organismus in einander greifen, nicht zu vermeiden, dass man bei jedem Abschnitt, man möge anfangen, wo man wolle, in der vom pädagogischen Standpunkt sehr bedauerlichen Lage ist, von Dingen sprechen zu müssen, welche man später erst eingehend zu be- handeln sich vorgesetzt hat. Selbstverständlich soll man das auf das Allernotwendigste beschränken. Die Untersuchung z. B., ob die Ven- trikelsystole eine Zuckung oder ein Tetanus sei, mit ihrer Beziehung auf den Aktionsstrom, scheint mir dementsprechend nicht am richtigen Platz zu stehen, trotzdem Herr T. die elektromotorischen Erscheinungen schon, wenn auch sehr kurz, in seinem zweiten Kapitel, bei den Elemen- tarorganismen, abhandelt. Dieses zweite Kapitel, im wesentlichen ein Auszug aus Verworn’s allgemeiner Physiologie, ist übrigens etwas un- vermittelt dem übrigen Inhalt des Buches angefügt. Ihm geht als erstes Kapitel eine Besprechung der „allgemeinen physiologischen Me- thodik“ voraus, das sonst in Lehrbüchern nicht zu finden ist. Hier wird insbesondere die in der Physiologie so oft benutzte graphische Methode abgehandelt. Ich halte die allgemeine Erörterung der für die physiologische Untersuchung charakteristischen Methoden an dieser Stelle für ganz zweckmäßig. Ich hätte nur gewünscht, dass das Prinzip der Registriermethode, die Auffassung eines Vorgangs als Funktion der Zeit, in einer, wenn auch ganz populären Weise zum klaren Ausdruck gekommen wäre. Auf einzelne Punkte, in denen ich von dem Herrn Vf. abweiche, will ich aus dem eingangs erwähnten Grunde nicht eingehen, sondern nur noch bemerken, dass die Ausstattung des Buches und insbesondere die Figuren vortrefflich sind. [59] J. Rosenthal. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ, - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, ‚Biologisches Centralblatt. Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1. Oktober 1898. Nr. 19. Inhalt: Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie (Siebentes Stück). — Simroth, Nachträgliche Bemerkung zu dem Aufsatz „über die mögliche oder wahrscheinliche Herleitung der Asymmetrie der Gastro- poden*. — M, v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schnecken- gehäusen. — Apäthy, Bemerkungen zu Garbowski’s Darstellung meiner Lehre von den leitenden Nervenelementen. — Zacharias, Ueber einige interessante Funde im Plankton sächsischer Fischteiche. — Zschokke, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. — Dubois, Vergleichende Physiologie. ‘ Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Von Dr. Robert Keller. (Siebentes Stück.) Die Erfahrung lehrt uns, dass die Pflanzen, welche einer niederen Temperatur, Abkühlungen auf einige Grade unter 0°, aus- gesetzt sind, in der Regel erfrieren. Dass aber nicht nur ver- schiedene Pflanzen von niederen Temperaturen ungleich beeinflusst werden, sondern auch gleiche Pflanzenarten ein ungleiches Verhalten zeigen, ist ebenfalls eine Beobachtung, die wir bei jedem Frühlings- froste machen können. Wir sehen, dass mastige Pflanzen der schä- digenden Wirkung niederer Temperaturen leichter erliegen als andere, dass also der Wassergehalt einer Pflanze oder eines pflanzlichen Organes die Größe der Widerstandsfähigkeit gegen niedere Temperaturen bestimmt. Diese Thatsachen sind von den Pflanzenphysiologen ungleich er- klärt worden. Wenn auch heute die Anschauung kaum zurückgewiesen wird, dass das Erfrieren einer Pflanze auf die Zerstörung des Proto- plasmas zurückzuführen sei, so besteht darüber eine Meinungsver- schiedenheit, wodurch diese protoplasmatische Veränderung herbeige- führt werde. Ist das Gefrieren an sich die Todesursache oder die Art des Aufthauens? Die Beantwortung dieser Frage ist deshalb mit Schwierigkeiten verbunden, weil man in vielen Fällen an der ge- frorenen Pflanze nicht ein sicheres Todeszeichen beobachten kann. XVII, 44 690 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Bei diesem Stande unseres Wissens dürfen die Untersuchungen vonMolisch über dasErfrieren der Pflanzen!) ganz besondere Aufmerksamkeit beanspruchen, um so mehr als es sich nicht um eine physiologische Frage rein theoretischer Natur handelt. Sein Bestreben war vor allem darauf gerichtet, das Gefrieren der lebenden Zelle direkt unter dem Mikroskop zu verfolgen, um dadurch ein besseres Verständnis des Gefriervorganges in der Zelle zu eröffnen, um dadurch eine bessere Einsicht in die Ursache des Gefriertodes zu gewinnen und so die viel umstrittene Frage, ob die Pflanze bereits beim Gefrieren vom Tode ereilt werde oder erst beim Aufthauen, endgiltig zu entscheiden. Mit einem Gefrierapparate besonderer Konstruktion wurde es Molisch möglich an einzelnen Zellen die Vorgänge des Gefrierens und der damit verbundenen Veränderungen des Protoplasmas bis in alle Einzelheiten zu verfolgen. Im Nachfolgenden will ich die Erscheinungen die an einer Amoeba beobachtet wurden, schildern. Eine farblose Amoeba wurde in den Gefrierapparat gebracht, dessen Temperatur — 9° © betrug. Sofort verlangsamte sie ihre fließende Bewegung und stellte sie nach einigen Minuten ein. „Nach etwa 25 Minuten gefror die umgebende Flüssig- keit und gleich darauf erstarrte die ganze Amoeba, dabei das Aus- sehen eines unregelmäßigen Netzes annehmend. Das Netz kommt da- durch zu Stande, dass innerhalb der lebenden Substanz an zahlreichen Punkten Eisschollen entstehen, die sich auf Kosten der das Plasma durchtränkenden und die Vakuolen erfüllenden Wassers rasch ver- srößern und das nun seines Wassers beraubte Plasma samt seinen verschiedenen festen Einschlüssen zwischen sich einzwängen. Die Amöbe stellt somit im gefrorenen Zustande ein Eisklümp- chen dar, welches von einem höchst komplizierten Gerüst- werk, bestehend aus sehr wasserarmen Plasma, konzen- triertem Zellsafte und Luftbläschen, durchsetzt ist“. Diese Strukturveränderung ist eine bleibende. Die im lebenden Zustande ziemlich homogene Amöbe zeigt nach dem Aufthauen ein Aussehen, das dem eines grobporigen Schwammes gleicht. Sie erweist sich als abgestorben. Molisch dehnte seine mikroskopischen Beobachtungen auf eine größere Zahl von Objekten, wie Phycomyces, Staubfädenhaare der Tradescantia, Spirogyra-Fäden ete. aus. Er kommt zu folgenden Er- gebnissen: Das Gefrieren vollzieht sich auf dreierlei Weise; entweder gefrieren und erstarren die Zellen, indem sich innerhalb des Protoplasmas Eis bildet, oder das Erfrieren erfolgt, indem Wasser aus der Zelle austritt um an der äußeren Oberfläche der Zellwand zu gefrieren, oder beide 1) Dr. H. Molisch, Untersuchungen über das Erfrieren der Pflanzen. Jena bei G. Fischer, 1897. Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 691 Erscheinungen treten zugleich auf. „Ob nun eine Zelle in der einen oder anderen Weise erfriert, stets ist dies, ebenso wie bei toten Ob- jekten, mit einem sehr starken Wasserentzug verknüpft. Schon aus der großen Eismenge, die sich innerhalb oder außerhalb der Zelle bildet, sowie aus der mit der Eisbildung Hand in Hand gehenden Schrumpfung des ganzen Protoplasten oder seiner Teile ist zu ent- nehmen, dass die Wasserentziehung eine sehr bedeutende, in vielen Fällen geradezu kolossale sein muss“. Der Gefrierpunkt der Zellen liegt nicht bei 0°, sondern tiefer. Die mikroskopische Kleinheit der Zelle ist nach Molisch ein Schutzmittel gegen Erfrieren und Gefrieren der Pflanzen. Wie in Glaskapillaren in Folge der molekulären An- ziehung zwischen dem Wasser und der Glasfläche eine Ueberkältung des Wassers bis auf — 10° beim Abkühlen eintritt, so kann die Klein- heit der Zellen in übereinstimmender Weise eine Ueberkältung ermög- lichen. Etwas einlässlicher wollen wir bei der Frage verweilen, ob die gefrorene Pflanze erst beim Aufthauen stirbt. Verf. benutzte zu seinen Versuchen in erster Linie einige Rotalgen, die dadurch ausgezeichnet sind, dass sie beim Absterben ihre natürliche Farbe einbüßen und eine orangerote Farbe annehmen, die auf der Fluorescenz des aus den Chromatophoren in den Zellsaft austretenden roten Farbstoffes beruhen. So ist z. B. bei Nitophyllum punctatum das Auftreten der orangeroten Verfärbung ein sicheres Zeiches ihres Todes. Ich gebe im Nachfolgenden einige tabellarische Angaben aus der Arbeit von Molisch wieder, die uns den besten Einblick in den Ein- fluss niederer Temperaturen auf diese Art geben. Zeit Temperatur Nitophyllum 9%), Uhr 18/197. + 5° keine Fluorescenz; Pflanze karminrot. 10 y — 12° starke r „ teilweise orange. 10%, — 17° prachtvolle „ „ ganz orange. 11 ” mrtar ” ” ; ” 11°/, ” ‚08 „ ” „9 ” 123], ” Se „ ” 279 ” 4 ” T 4° PR] ” ” ” ” Bei einer analogen Versuchsreihe wurde die gleiche Pflanze nicht so tiefer Temperatur ausgesetzt. Zeit Temperatur Nitophyllum 91, Uhr 17/19. + 4° keine Fluorescenz; Farbe karminrot. 91 Ri 0 | la ” 2 vr) ” ” 9, ” En 31, ” I SER ” ; Bu’, — 5° Die Thallusspitzen fluoreszieren und sind orangerot. 205... — 5° Ganze Pflanze orangerot. 10°] ” Tu 21° ” b)) ” 1% N ER > er 3 ” ” „ 4 N -r 3 PD] ” N 699 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. Es lehren also diese Versuche, dass bei der Rotalge Nitophyllum der Tod schon im gefrorenen Zustande auftritt und nicht erst beim Aufthauen. Eine andere Versuchsreihe führte Molisch mit einer mexikanischen Komposite, Ageratum mexicanum, aus, die die Eigentümlichkeit zeigt, im toten Zustande nach Cumarin zu duften, während sie im lebenden Zustande niemals diesen Wohlgeruch hat. Das Ergebnis zweier solcher Versuchsreihen stelle ich in nachfolgenden Tabellen zusammen. a. Temperatur um 11?/, Uhr — 4° Kein Cumarinduft. ei Erin \ali „4 h N Pflanze gefroren. ” ] 1° hr MRS 4° n ” ” 7] 3 Ze 4° Deutlicher ” )) ” h) ” 6 In DM 5° sehr 2) n n ” „ ” 11 PBERNE 6° ” ” n 2 ” b. Temperatur um 9 Uhr — 5° Pflanze lebend; kein Cumarinduft. ” „ 10 re „ gefroren; „ ” 7 )) 101, DK MITR 5° „ ) h) ” ” n 12 0 5° ” n schwacher » 2) ) 1a Ye. 5° h) ” deutlicher 2 n BE „5° a R sehr starker „ Es geht also aus diesen Versuchen hervor, „dass Ageratum einige Zeit nach dem Gefrieren und zwar so lange es noch völlig gefroren ist, nach Cumarin stark duftet, mit anderen Worten: Ageratum stirbt schon im gefrorenen Zustande und nicht erst beim oder nach dem Aufthauen. Wie Müller-Thurgau so hat auch Molisch an einer sehr großen Zahl von Pflanzen konstatieren können, dass die Art des Auf- thauens in der Regel ohne Einfluss auf das Absterben ist, dass aber Fälle vorkommen, seltene Ausnahmen, in denen doch die Art des Temperaturwechsels bestimmend werden kann. So teilt Molisch folgenden Versuch mit Agaven-Blättern mit. 4 möglichst gleich aussehende Stücke eines Agave- Blattes wurden in einem Gefäß abgekühlt, bis nach 3 Stunden die Temperatur — 7° betrug. „Als dieser Stand erreicht war, nahm ich, schreibt Molisch, „die 4 Blattstücke — sie seien kurz als a, d, c, d bezeichnet, ohne. sie mit den warmen Fingern zu berühren, heraus und gab a in Wasser von 27° C b ” ” ” 190 ce ,„ Luft‘(Phermöstat) „ 27%C DEE IS N LEISROBLEN a, "ORG a thaute fast innerhalb einer Minute auf, 5 überzog sich mit einer Eiskruste und thaute innerhalb einer Viertelstunde auf, ce bedurfe etwa Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. 693 ebenso lange zum Aufthauen, d jedoch ungefähr 12 Stunden. Die mikroskopische Untersuchung ergab auf Grund plasmolytischer Ver- suche und des Aussehens der Zellen, dass in « und c alle Zellen tot, bei 5 die peripher gelegenen Teile des Blattes tot, die Zellen des Innenmesophylis zum Teil noch lebend waren. In d waren nahezu alle Zellen lebend. Wenn aber die Temperatur tiefer sinkt, dann ist auch durch ein langsames Aufthauen das Blatt nicht am Leben zu erhalten. Molisch bespricht in seiner Arbeit auch Versuche über den schädigenden Einfluss von Temperaturen wenig über 0°. Dieselben können im Welken bestehen, sie sind aber bei Pflanzen warmer Zonen auch dann zu beobachten, wenn die Transpiration ausgeschlossen wird. Die Beobachtung, dass bei Temperaturen von 2°—4° Pflanzen, wie z.B. Tabak welken, ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Wurzeln bei niederer Temperatur das Wasser oft langsam aufnehmen, so dass die Transpirationsverluste nicht mehr gedeckt werden können. Verf. giebt in der That eine Reibe von Beobachtungen wieder, die die Ab- hängigkeit der Wasseraufnahme von der Temperatur des Bodens be- weisen. Es mögen hier wenigstens 2 Versuche erwähnt werden. 1. Versuche mit Rapskeimlingen (14 Tage alt). Beginn Begossen ; Begossen mit lauem des Versuchs. mit Eiswasser. Wasser (ca. 30°). Keimlinge so welk, dass Keimlinge so welk, dass sie am Boden liegen. sie am Boden liegen. Nach ?/, Stunden unverändert Keimstengel beginnen sich aufzurichten. Nach 1!/, Stunden 5 Keimstengel völlig frisch u. aufgerichtet. Nach 3'/, Stunden . Nach 43), Stunden Keimlingebeginnen sich A aufzurichten. Nach 9!/, Stunden Keimlinge fast völlig e frisch. Nach 10'!/, Stunden Keimlinge völlig frisch z und aufrecht. 2. Versuche mit Chelidonium majus. Beginn des Versuchs. Blätter sehr welk Blätter sehr welk. Nach 1 Stunde unverändert „ etwas frischer. Nach 2 Stunden h Pflanze ziemlich frisch. Nach 31], „ E | „ ganz frisch. Nach 24 „ Pflanze ziemlich frisch „, n f Nach 34 ” - ” ganz frisch n n n „Aus diesen Versuchen geht schlagend hervor, dass auch solche Pflanzen, welche bei genügender Wasserzufuhr und niederer Tem- 694 Keller, Fortschritte auf dem Gebiete der Pflanzenphysiologie und -biologie. peratur nicht welken, dennoch bei niederer Temperatur Wasser viel langsamer mittels ihrer Wurzeln aufnehmen als bei höherer und dass sie sich somit bezüglich der Wasseraufnahme unter dem Einflusse höherer und niederer Temperatur analog verhalten wie die in Folge niederer Temperatur welkenden, jedoch graduell verschieden“. Die Frage, ob es nicht auch Pflanzen gäbe, die bereits bei nie- deren, knapp über den Eispunkt liegenden Temperaturen leiden oder absterben, jedoch unabhängig von der Transpiration, beantwortete Verf. zunächst durch einlässliche Experimente mit Episcia bicolor, einer Gesneracee. Bei Temperaturen von 1—5° über Null geht die Pflauze zu Grunde. Aehnlich verhalten sich zahlreiche andere Pflanzen. Durchweg sind es tropische oder wärmeren Klimaten angehörende Pflanzen, die in ihrer Heimat es im Laufe der Zeit nicht notwendig gehabt haben, sich auch niederen Temperaturen anzupassen. Die Beobachtung, dass im Pflanzenorganismus die chemischen Prozesse in hohem Grade von der Temperatur abhängig sind, dass veränderte Temperaturen selbst Anstoß zu neuen Reaktionen geben, lässt Molisch zu der Ansicht neigen, „dass das Erfrieren über Null unabhäagig von der Transpiration, auf durch niedere Temperatur hervorgerufene Stö- rungen im chemischen Getriebe der lebenden Substanz zurückzu- führen ist“. Die Beobachtungen an den gefrierenden Zellen lassen es un- zweifelhaft, „dass der Gefriertot der Pflanze im Wesentlichen auf einen zu großen, durch die Eisbildung hervorgerufenen Wasserverlust des Protoplasmas zurückzuführen ist, wodurch die Architektur desselben zerstört wird“. — Aus dem botanischen Garten in Buitenzorg stammt eine Arbeit „Ueber die vegetabilische Stoffbildung indenTropen und in Mitteleuropa“!) von Giltay, die deswegen ein allgemeines Interesse beanspruchen kann, weil sie unseres Wissens zum ersten Male einen Vergleich der Stoffbildung in den Tropen und in unserem Klima bringt, der sich auf exakte Beobachtungen, auf zahlenmäßige Erhebungen stützt. Die Ueppigkeit der tropischen Vege- tation verleitet leicht zu der Annahme, dass die Stoffbildung in den Tropen viel stärker sei, als in unseren Zonen. Ein objektives Urteil kann sich einmal auf Ernteerträge, anderseits auf die Bestimmung der Assimilationsstärke stützen. Verf. hat beide Methoden an- gewandt. Die Vergleichung der Ernteerträge ergiebt: 1. Luftrockene Masse einer Tabakernte p. Hektare in Indien ca. 3500 Kilogramm, in Wageningen ca. 3000 Kgr. 2. Reis in Indien wird mit Hafer in Europa verglichen. In 5 Monaten Vegetationszeit war eine Maximalreisernte von 21750 1) Annales du jardin botanique de Buitenzorg, Vol. XV, 1898. Simroth, Herleitung der Asymmetrie der Gastropoden. 69% Kilogramm lufttrockener Stoff entstanden, pro Monat also 4350 Kgr pro Hektare. Der Maximalertrag an lufttrockenem Stoff wird für eine Haferernte in Groningen zu 10335 Kgr pro Hektare angegeben. Die Vegetationszeit ist auf 4 Monate zu veranschlagen, so dass als pro Monat 2584 Kgr lufttrockener Stoff entstand. 3. Ein Vergleich des Zuckerrohrertrages in Indien mit Mais- ertrag in Europa hatte folgendes Ergebnis. Zuckerrohr ergab in einer Maximalernte pro Hektare 34500 Kgr Kohlen- stoffgehalt. Die Vegetationszeit zu 12 Monaten gerechnet, ergiebt sich als Monatsergebnis 2875 Kgr. Den Ertrag einer hohen Maisernte in Wageningen berechnet Verf. auf 8665 Kgr Kohlenstoff. Diese Menge wurde in nicht ganz 4 Monaten angelegt, so dass also die monatliche Kohlen- stoffproduktion ca. 2200 Kgr beträgt. Die Stoffbildung ist also in den Tropen in der That energischer als in unserem Klima, wenn schon die Differeuz eine viel geringere ist, als man nach der Ueppigkeit der Tropenvegetation zu glauben geneigt sein möchte. Zu einem ähnlichen Ergebnis führte die Bestimmung der Kohlen- säureassimilation. Aus den. zahlreichen Bestimmungen wähle ich die Ergebnisse der gleichen Versuchspflanzen aus, des Helianthus annuus und der Nicotiana rustica. Von der Pflanze pro !/, dm? Oberfläche und !/, dm? Versuchspflanze. Unterfläche pro Stunde zurückgehaltene Menge CO, in mgr. Java. Europa. Helianthus annuus 3,8: Mittel aus 12 Fällen. 2,9: Mittelaus 9 Fällen. Mecotiana rusuca AA: „ ni 2m EIER NER eh 2 5 „Die landläufigen Vorstellungen von der Pflanzenstoffbildung in den Tropen sind öfters übertrieben, schreibt Verf. Nicht einmal für alle als Stichprobe ausgewählten Kulturgewächse beträgt die Ernte auf Java mehr als hier. Zwar wurde für Assimilation ein größerer Mittelwert in den Tropen erhalten, aber nicht so viel größer, dass sich daraus eine Ernte erwarten ließe, die um viele Male größer ist als eine mitteleuropäische. Thatsächlich war nur in einer der untersuch- ten Fälle die javanische Ernte so groß, dass sie die damit vergleich- bare europäische nahezu um das Doppelte übertrifft“. [72] „Nachträgliche Bemerkung zu dem Aufsatz „über die mög- liche oder wahrscheinliche Herleitung der Asymmetrie der Gastropoden“. Von Dr. H. Simroth, . Betreffs dieses Aufsatzes (s. diesen Band $. 53—62) weist mich Herr Dr. Haller brieflich darauf hin, dass ich seine Beschreibung der 696 Simroth, Herleitung der Asymmetrie der Gastropoden. Geschlechtsorgane von Cemoria s. Puncturella missverstanden habe. Haller sagt (Studien über dorsoglosse und rhipidoglosse Prosobranchier, S. 94): „Totalpräparate darzustellen, ist wegen der geringen Größe des Tieres sehr schwer, doch gelingt es nach etlichen vergeblichen Versuchen, wenn man das Bindegewebe durch Zusatz von ein wenig verdünnter Essig- säure etwas lockert. Auf Fig. 141 habe ich das Urogenitalsystem nach drei Totalpräparaten zusammengestellt. Wir finden bei Cemoria unter den Gastropoden zuerst das ursprüng- liche Verhalten, wonach das Urogenitalsystem in seiner ursprünglichen Form auf beiden Seiten spiegelbildlich gleich noch vorhanden ist. -Weder an der linken Niere, noch an der gleichseitigen Geschlechtsdrüse ist auch nur die geringste Reduktion zu verzeichnen“. Und 8. 95: „Die Geschlechtsdrüse ist auf beiden Seiten ein wust- förmiger!) Sack, welcher lateralwärts liegt und nie die mediane Fläche der Körperhöhlung erreicht. Am hintersten Körperende stoßen beide Geschlechtsdrüsen aneinander“. Ich glaubte aus dieser Schilderung, namentlich aus den gesperrt ge- druckten Worten, schließen zu sollen, dass Haller in keinem Falle ein klares Präparat gewinnen konnte, wo man an einem Stücke die ganze Morphologie der fraglichen Organe mit Sicherheit hätte übersehen können. Doch scheint es, dass ich mich in dieser Hinsicht geirrt habe. Dann würde allerdings Cemoria eine paarige Gonade zugesprochen werden müssen. Doch will ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, dass auch andere Forscher Haller’s Angabe mit Zweifel aufgenommen haben, während meines Wissens niemand sie bestätigt hat. Namentlich hat Thiele sich bemüht, die Morphologie der niederen Prosobranchier aufzuklären (Thiele, Phylogenie der Gastropoden. Biol, Centralbl., XV, 1895), ist aber zu anderer Anerkennung gelangt. Er schreibt Seite 229: „Bei Üemoria (= Puncturella) sollen nach Haller noch beide Nieren mit dem Peri- kard und den Keimdrüsen zusammenhängen, so dass erst in der Reihe der Fissurelliden die linke Niere der Rückbildung anheimfiele; das stimmt aber durchaus nicht zu dem Verhalten, wie ich es bei Emarginula finde, bei welcher die linke Niere äußerst klein und rudimentär, die rechte da- gegen ungemein ausgedehnt ist“. Auch Pelseneer, der in einer neuesten Bearbeitung der Mollusken (in Blanchard’s Trait& de Zoologie, Paris 1897) alle möglichen Ab- weichungen sorgfältig verzeichnet, giebt für die Prosobranchier einfach an: „La glande gönitale est unique“. Ich glaube daher mich für berechtigt halten zu müssen, dass ich die Frage, ob bei den primitivsten Vorderkiemern noch eine doppelte Gonade vorkomme, zum mindesten noch als offen bezeichne. Noch gestatte ich mir ein Wort der Erklärung, warum ich Götte’s Arbeit über die Phylogenie der Mollusken (Verhandl. der d. zool. Ges., 1896) in meinem Aufsatz nicht mit berücksichtigt habe, einfach deshalb, weil Götte von schwimmenden Vorfahren ausgeht, ich aber von sessilen oder glei- tenden. [99] Ye 1) Anm. Der Druckfehler „wustförmig“ ist wohl in „wurstförmig* zu verbessern, nicht „wulstförmig“. E M.v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. 697 Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schnecken- gehäusen. Es ist von Eimer in verschiedenen Schriften und besonders in seiner „Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetterlingen“ und neuestens in seiner „Orthogenesis der Schmetterlinge“ darauf hinge- wiesen worden, dass in zwei verschiedenen Gruppen von Individuen, die gegenseitig in keiner verwandtschaftlichen Beziehung stehen, Eigen- schaften z. B. Zeichnungsmuster auftreten können, die einander über- raschend ähnlich sind. Eimer nennt diese Erscheinung unabhängige Entwicklungsgleichheit oder Homöogenesis und erklärt damit eine Reihe von Vorkommnissen, die bisher auf Mimiery zurückgeführt worden sind. Nach seiner Auffassung können zwei Gruppen von Indi- viduen ganz unabhängig von einander ähnliche oder gleiche Entwick- lungsrichtungen einschlagen auf Grund gleichen phyletischen Wachs- tums, gleich lange Zeit hindurch wirkender physiologischer Vorgänge. Ich habe schon früher in meiner Inauguralschrift „Entwieklung der Zeichnung und Skulptur bei den Gehäuseschnecken des Meeres“ darauf hingewiesen, dass in den verschiedensten Familien der Gastropoden dieselben Zeichnungs- und Skulpturformen wiederkehren, ohne dass die Träger jener Zeichnungen und Skulpturen in irgend welcher ver- wandtschaftlichen oder biologischen Beziehung zu einander stehen. Spätere Studien zeigten nun, dass nicht nur Skulptur und Zeichnung, sondern, dass sehr häufig auch die Schalenformen manchmal noch in viel auffallenderer Weise homöogenetische Erscheinungen zum Aus- druck bringen, so dass in verwandtschaftlieh fernstehenden Familien Gehäuse gefunden werden, welche sich in auffallender Weise gleichen. Oft bleiben nur in der Gestalt der Mündung die für die Familie charak- teristischen Merkmale erhalten, allein in einzelnen Fällen nehmen auch diese für die Systematik so wichtigen Schalenteile an der allgemeinen Umbildung teil und wir kommen zu dem Schluss, dass sich nicht nur - Skulptur und Zeichnung, sondern auch die äußere Gestalt der Schnecken- gehäuse nach wenigen bestimmten Richtungen entwickelt. Der Vergleich lehrt, dass den Gastropodenschalen überhaupt nur wenige Formen zu Grunde liegen, die sich in den verschiedensten Gruppen wiederholen und häufig nur durch extreme Ausbildung einzelner Teile für die Familie oder Gattung typisch werden. Ich werde versuchen für diese Behauptung im Folgenden einige Beweise zu geben: Sehr reiches Material, um die Wirkung gleichgerichteter Entwick- lung zu studieren, finden wir innerhalb der weit verbreiteten Familie der Melaniiden d’Orb. Die Vertreter dieser Familie haben teils . hohe, getürmte, teils nieder gewundene gedrungene Gehäuse. Die hoch gewundenen glatten Schalen mit mehr oder weniger flachen Um- 698 M.v.Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. gängen, welche gezeichnet oder nicht gezeichnet sein können, haben zum größten Teil einen ausgesprochenen Pyramidella-Terebra-Charakter. Die Mundöffnung dieser Gehäuse ist elliptisch, der Mundrand nicht ausgeschnitten und unterscheidet sich somit sowohl von der Terebra als auch von der echten Pyramidella-Mündung. Eine ausgesprochene Terebra Form bildet z. B. die schön gezeichnete Melania pantherina v. d. Busch., die dureh ihre Größe und die Gestalt ihrer Schale der Terebra muscaria und durch ihre Zeichnung der Teredbra corrugatum ähnlich ist. Ausgesprochene Terebra-Formen finden sich auch in Melania terebri- Jormis, subulata Lam., zeleborii Brot. Die erstere zeichnet sich durch sehr wenig konvexe Umgänge aus, ebenso die subulata, eine Entwick- lungsrichtung, welche ganz unabhängig von den Melaniiden bei Terebra ihren Höhepunkt erreicht. Während nämlich die flachen Umgänge bei Melania nur vereinzelt auftreten, werden sie innerhalb der Gattung Terebra vorherrsehend. Die angeführten Melania-Arten kommen alle im süßen Wasser vor, während die Vertreter der Gattung Terebra Meeresbewohner sind. Die Aehnlichkeit zwischen den einzelnen Formen beider Gruppen kann somit weder auf verwandtschaftliche Beziehungen, noch auf Mimiery, noch aber auf Anpassung an eine analoge Lebensweise zurückgeführt werden, sie bildet im wahrsten Sinn des Wortes den Ausdruck für unabhängige Entwicklungsgleichheit. Von diesen langgestreckten glatten Formen ausgehend, kommen wir zu Gehäusen, die immer noch hoch getürmt, aber an der Basis bedeutend verbreitert sind und die mit ihren immer noch ziemlich flachen Umgängen zu Gestalten überführen, welche wir in der Gattung Chemnitzia unter den Terebellen wiederfinden; z. B. Melania immanis Morelet (Martini Chemnitz, Bd. I 24, Taf. 2, Fig. la, 9 p. 19) und Chemnitzia lineata Roem sp. Coralag (Zittel, Paläontologie II, p. 237). Nun beobachten wir aber sowohl bei den schlanken als bei den brei- teren Melaniidengehäusen das Auftreten einer Querskulptur in Gestalt von schmalen rippenartigen Erhöhungen. Bei vieleu Schalen besonders bei den schlanken Terebra-Formen nimmt diese Skulptur nur die ersten Umgänge ein, bei andern erstreckt sie sich auf die ganze Schale oder beginnt erst auf den letzten Umgängen. Sobald sich nun diese Quer- skulptur kräftiger entwickelt, so erhalten wir typische Cerithrium- Gestalten, besonders da, wo sich auf diesen Querrippen eine oder mehrere Knotenreihen entwickelt haben. Ein schönes Beispiel ist Melania spinata Godw. verglichen mit Potamides eheninum Brug. Auch die meisten Formen der Melania asperata Lam. sind Cerithien täuschend ähnlich, doch auch hier zeigt die Gestalt der Mündung, dass wir es mit den Vertretern verschiedener Familien zu thun haben. Indem nun die Knotenreihen bei M. asperata Lam. in Längskiele umgewandelt werden, entsteht aus der Cerithium-ähnlichen Form asperata, eine M. v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. 699 Varietät, deren Schale mit einem Turritella-Gehäuse verwechselt wer- den könnte. Derartige Umbildungen finden sich innerhalb der Gattung Melania weniger häufig als bei Olaviger, werden indessen auch bei Cerithium- Arten beobachtet. Eine weitere mit den bisher beschriebenen Melanien in keinem Zusammenhang stehende Entwicklungsrichtung führt zu ausgesprochenen Mitra-ähnlichen Gehäusen. Die meisten Mitra-ähnlichen Melanien tragen Gitterskulptur und gleichen darin der Mitra granulosa, wir finden indessen auch Umgestaltungen von Melaniengehäusen, die zu Formen wie Mitra pontificalis führen und mit ihrem gekrönten Kiele eine höhere Entwicklungsstufe darstellen. Die Mitra-ähnlichen Melanien- Arten sind indessen nicht so zahlreich als diejenigen, welche den Terebra- oder Cerithium-Charakter tragen. Den Cerithium-Typus finden wir auch bei den in Südamerika heimischen Melaniiden innerhalb der Gattung Doryssa, aber wir finden ihn nicht in der Form, wie er für die Gruppe Potamides charakteristisch ist, sondern wie er bei Pyrazus zum Ausdruck kommt; die Schalen sind also durch recht kräftige Längskiele und Querrippen ausgezeichnet. Ich erinnere nur an Doryssa macapa und Cerithium (Pyrazus) sulcatum Born. von denen die erstere am Amazonenstrom, die letztere in China vorkommt. Also auch hier Aehnlichkeit der Formen in ganz getrennten Verbreitungsgebieten. Cerithium-ähnliche Schalen finden sich außerdem in der Gattung Ola- viger, Melanatria Bowdich, Pirenopsis Brot., Faunus Monfort. Inner- halb der Gattung Hemisinus Swainson kommen zwei von einander ab- weichende Entwicklungsrichtungen' zur Geltung. Die eine erzeugt niedergewundene Collumbella oder Mitra-artige Formen, die andere hochgewundene Cerithium-ähnliche Gehäuse; die letzteren sind indessen viel seltener als die ersteren. Es bleiben noch vier weitere Gattungen der Melaniiden zu er- wähnen, von welchen die Schalen der Gattung Tanalia einen ausge- sprochenen Nerita-Charakter tragen (Telania gardneri Reeve und Nerita exuvia L.). Bei manchen Tanalia-Arten bestehen auf den Schalen ‚ statt der Längskiele noch Längsreihen von Knoten und diese bilden ‚sich bisweilen zu mehr oder weniger kräftigen Stacheln um, die dann in mehreren Reihen das Gehäuse umgeben. Auf diese Weise kommen Formen zu stande wie Tanalia loricata var. erinacea Reeve, eine Ent- wieklungsrichtung, die wir bei Nerita vermissen, dagegen bei Pur- puriden wiederfinden z. B. bei Ricinula horrida Lm. Die Gattung Paludomus ist durch die ausgesprochene Natica- Zeichnung ihrer Gehäuse ausgezeichnet, in ihrer Form schließt sie sich den Gehäusen der Paludina am meisten an. Die Vertreter der letzten Malaniiden-Gattung Philopotamus haben am meisten Aehnlichkeit in Gestalt, Zeichnung sowie z. T. wenigstens in der Form des Mundes ihrer Gehäuse mit Ampularien. Wie wir 700 M.v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. sahen, herrscht bei den Melaniiden die Entwieklungsrichtung vor, die zu hohen getürmten Schalen führt, welche je nach Gestalt, Zeichnung und Skulptur der Umgänge Terebra-, Pyramidella- oder Cerithium ähn- liche Formen ergeben. Eine analoge Entwicklungsrichtung beobachten wir in der Familie der Pleurotomiden, nur dass hier die Gehäuse den ausgesprochenen Cerithiumcharakter, durch einen an der Schalen- basis befindlichen meistens sehr lang ausgezogenen Kanal verlieren und dadurch den Vertretern der Gruppe Fusus ähnlich werden. Auch die Skulptur, welche häufig aus Längsleisten besteht und die Eigen- tümlichkeiten der Zeichnung (man beoabachtet meistens in Querstreifen zusammenfließende Fleckenreihen) stellt, wie ein Vergleich der Pleuro- toma australis Roissy mit Fusus. tenuiliratus Dkr. und der Pleurotoma marmorata Sm. mit Fusus variegatus Perry zeigt, Pleurotomiden und Fusiden einander sehr nahe und erklärt das Vorgehen Lamarcks, der das Genus Pleuroloma in seine Familie der Canaliferen einge- reiht hat. Eine andere Entwicklungsrichtung verbindet das Genus Pleurotoma mit den Coniden, indem der Kanal der Gehäuse schwindet, das Ge- winde sich verkürzt, verflacht und die einzelnen Windungen sich weniger deutlich von einander absetzen. Die Vertreter dieser Richtung werden besonders unter den fossilen Formen häufig angetroffen. Eine weitere zu den Toxiglossen gehörige Familie, die sich durch Formenreichtum auszeichnet, ist die der Cancellariiden, deren Hauptbestandteil die Gattung Cancellaria bildet. Die Schalen der Cancellarien sind meistens eiförmig, es kommen indessen auch fast spindelförmige und getürmte Schalen vor. Glatte und stark skul-. pierte Gehäuse finden sich nebeneinander und beide tragen an ihrer Basis einen kurzen weiten fast nur ausgussförmigen Kanal. Die ei- förmigen Gehäuse haben, wie z. B. Cancellaria reeveana bis auf den Spindelumschlag und die Schalenskulptur Aehnlichkeit mit Cassis- und Cassidaria-Formen (z. B. Cassis abbreviata Lm. und Cassidaria echino- phora L.) Neben höher gewundenen und durch starke Gitterskulptur ausgezeichneten Triton-ähnlichen Gehäusen und langgestreckten Pur- pura-Formen (z.B. Cancellaria cancellata L. |Conchylienkabinet Martini Chemnitz Taf. 11 Fig. 1-9 pag. 34] bezw. Cancellaria spengleriana Desh. Bd. IV 4 Taf. 7 Fig. 1--8) finden sich auch typische Turbo- formen, wie C. tuberculata Sow., deren Schale mit 3—4knotigen Längs- kielen umzogen ist. Die Umgänge sind treppenförmig abgesetzt, die Nath ist vertieft, die Mündung fast kreisrund und das Gehäuse erinnert in seiner ganzen Gestalt an Turbo japonicus Beeve. Die übrigen Familien der Toxiglossen Coniden und Terebriden zeigen eine sehr geringe Variabilität der Schalenform. Bei Conus ist hauptsächlich eine Entwicklungsrichtung nach Oliva hin zu beobachten (Conus tulipa), innerhalb der Gattung Terebra finden sich von dem _M.v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. 701 Typus der Gruppe abweichende Gehäuse, die dadurch, dass die einzelnen Umgänge mehr gewölbt erscheinen und die Schalenbasis breiter wird an einzelne Vertreter unter den Cerithien erinnern. Den besten Beweis dafür, dass unabhängige Entwicklungsgleich- heit ohne irgend welche Beziehung zum Nutzen entstehen kann, geben unzweifelhaft die winzig kleinen Schalen der Rissoiden ab. Die Schalen der meisten Vertreter dieser Familie tragen eine sehr charak- teristische Skulptur, sie sind indessen oft von so geringer Grösse, dass man die Feinheiten derselben erst durch die Lupe betrachtet er- kennen kann. In ihrer Form und Skulptur erinnern die Rissoideen besonders die Vertreter der Gattung Rissoina auf das Lebhafteste an Cerithien. Ich nenne nur Formen wie Rissoina erythraea Phil., R. labrosa Schwarz, R. bellula A. Ad. Es ist bei diesen Formen besonders auffallend, dass auch der Mund in seiner ganzen Beschaffenheit ceri- thiumähnlich ist. Die Mundöffnung ist schmal elliptisch und sowohl an der Basis als auch am obern Ende mit einer kleinen ausguss- förmigen Erweiterung versehen. Dasselbe können wir bei einer Reihe von Cerithien antreffen. Auch eine wulstartige Verdickung der Außen- lippe wird bei vielen Rissoinen beobachtet. Je nachdem nun die Rissoinen Querrippen, Gitterskulptur oder Längsreihen von Knötchen tragen, erinnern sie mehr an Pyrazus oder Cerithium s. str. Sehr verschieden von den Rissoinen gestalten sich die Gehäuse der Rissoen. Dieselben sind weniger hoch, die Umgänge nehmen schneller an Breite zu und haben an der Mündung einen mehr kreisrunden als elliptischen Querschnitt. Durch diese Eigentümlichkeiten in ihrem Bau nähren sich die Rissoen den Schalen der Gattung COyelostoma. Nicht weniger interessant sind die Entwieklungsrichtungen, welche wir innerhalb der Columbelliden beobachten und die schon in den Namen der Untergattungen „Strombina“ und „Conidea“ ihren Aus- druck finden. Am häufigsten werden unter den Columbelliden Bucei- num ähnliche Schalen angetroffen, z. B. Columbulla aspera Sw. und Buccinum maculosum Lm. Der Bau des Mundes lässt wohl in den meisten Fällen die Familienverschiedenheiten der beiden Arten er- - kennen, um so ähnlicher ist jedoch die Zeichnung der Schalen. Von größerer Bedeutung für den Nachweis homöogenetischer Ausbildung sind die Entwicklungsreihen der Columbelliden, welche zu Conus- und Strombusähnlichen Formen führen. In beiden Fällen ist es namentlich auch die Gestaltung des Mundes, die Bildung einer flügel- artigen Aussenlippe bei den strombusähnlichen Formen (Columbella dorsata), die neben der Zeichnung und Skulptur den Schalen ihr charakteristisches Aussehen verleiht. Die conusartigen Vertreter der Untergattung Meta von den Columbelliden tragen, wie ©. Philippinarum Reeve mehr oder weniger breite Zickzackquerbinden, welche sich bei 702 M.v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. einigen Arten zn Netzzeichnungen vereinigen. So entsteht dann die Zeichnung von Columbella cendonulli Reeve, welche etwa mit derjenigen des gleichnamigen Conus verglichen werden kann. Wir treffen unter den Columbelliden auch Mitra-ähnliche Gehäuse, sowohl glatte Formen (C. [Atilia] fulgida Reeve ähnlich der Mitra crenifera Lm.), als auch solehe mit Querskulptur, mit Querwülsten, wie ©. (Atilia) hotessieri d’Orb. ähnlich der Mitra erispata Schmidt. Umgekehrt besitzen einige Vertreter der Mitren die Neigung Columbella-ähnlich zu werden, ich nenne nur Mitra cancellarioides Ant., welche auch in Bezug auf ihre Skulptur der Columbella (Eugina) monilifera Pease sehr ähnlich ist. Je weiter wir uns überhaupt in den Familien der Gasteropoden umsehen, um so zahlreicher werden die Beweise dafür, dass auf Grund unabhängiger Entwicklungsgleichheit in verwandtschaftlich von ein- ander unabhängigen Gruppen Schalenformen entstehen können, die bis auf kleine Unterschiede häufig vollkommen identisch erscheinen. Der- artige homöogenetische Formen treten indessen in den seltensten Fällen ganz unvermittelt innerhalb einer Familie auf, gewöhnlich sind die- selben durch Uebergänge mit den für die Familie typischen Gehäuse- formen verbunden und stellen sich uns als Endprodukte gleichgerichteter Entwicklungsreihen dar. Wir haben gesehen, um die Hauptergebnisse der im Vorstehenden mitgeteilten Untersuchungen kurz zusammenzufassen, dass die Ent- wicklung der Schalenzeichnung und -Skulptur sehr oft gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Schalenform, häufig gestaltet sich selbst die im Allgemeinen für die einzelnen Familien charakteristisch bleibende Mündung bei ganz fernstehenden Arten in gleicher Weise um, indem sie sich von der ganzen Gehäuseform in hohem Maße abhängig zeigt. Die Anzahl der Entwicklungsrichtungen, die innerhalb einer Familie angetroffen werden, ist sehr verschieden, auch erreichen die der Um- bildung unterworfenen Arten nicht überall gleich hohe Endstufen in ihrer Entwicklung. Sehr grosse Variabilität zeigt z. B. die Familie der Melaniiden und deren Vertreter weisen gleichzeitig die größten Extreme in ihrer Gehäusebildung auf, indem sie sich einerseits zu hochgewundenen stark skulpierten Cerithium ähnlichen Schalen um- bilden, andererseits niedere weitgewundene mit einfachen Längsleisten versehene Nerita-ähnliche Schalen darstellen. Große Konstanz sowohl in Schalenform als auch in der Skulptur finden wir dagegen bei Conus; in Form, Skulptur und Zeichnung bei Teredra. Im Allgemeinen schlagen die Familien mit schlanken, getürmten Schalen (z. B. Cerithium, Terebra, Turritella ete.) unter einander ähnliche Entwieklungsrichtungen ein, sodass wie Terebra- oder Turritella-ähnliche Cerithien erhalten. Das- selbe gilt für diejenigen Familien, deren Vertreter gedrungene, weit- gewundene, niedere Gehäuse besitzen; viel seltener ist es, dass wie bei den Melaniiden beide Extreme neben einander vorkommen. M. v. Linden, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen. 703 Wie zu erwarten, bieten die an Arten reichsten und am weitest ver- breiteten Familien den größten Formenreichtum dar. Gruppen, die auf engere Gebiete beschränkt sind, weichen viel weniger von der ihrer Familie eigenen Grundform ab (Oliven, Conus). Die Entstehung gleich- artiger Gehäuseformen innerhalb der verschiedenen Gasteropoden- Familien ist nicht auf die Wirkung der Auslese, wie es mimetische Gestaltung voraussetzen würde, zurückzuführen. Mimiery ist in den besprochenen Fällen vollkommen ausgeschlossen, da die Träger der einander ähnlichen Gehäuse, gewöhnlich nicht zusammen vorkommen. Es muss vielmehr angenommen werden, dass die Entwicklungsriehtungen der Gastropodengehäuse durch die Wechselbeziehungen zwischen den umgebenden Verhältnissen und der Konstitution der Tiere bedingt sind, sodass verschiedene Beschaffenheit der Organismen durch die Ein- wirkung entgegengesetzter äußerer Verhältnisse ebensogut zu gleich- artigen Gestaltungen führen kann, wie die Entwicklung verwandter Formen unter analogen Bedingungen. So lange wir über die biologischen Verhältnisse der Meeres- schnecken nicht besser orientiert sind, als es heute der Fall ist, dürfte es natürlich schwer sein, die Frage zu entscheiden, wie weit bei der Gehäusebildung der Mollusken eine solche Beeinflussung durch äußere Faktoren reicht. Für unsere Land- und Süßwassermollusken hat Clessin (Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde in Württemberg 53. Jahrgang 1897 pag. 68) diesbezügliche Beobachtungen angestellt und ist zu dem Schlusse gelangt, dass alle Variationen, welche sich in der Schale unterer Mollusken ausprägen durch die eigenartige Beschaffenheit der jeweiligen Umgebung bedingt sind. Wenn wir berücksichtigen, in welch nahem Zusammenhang die Beschaffenheit des Tieres mit seiner Schale steht, so gewinnen die bei dem Studium der Schalenbildung erhaltenen Ergebnisse noch wesent- lich an Bedeutung. Die gesetzmäßige Umbildung der Molluskenschale setzt ein ebenso gesetzmäßiges Abändern der diese Schale erzeugenden Teile des Organismus voraus, in erster Linie ein Abändern der Form des Mantels, der Gestalt seiner Oberfläche, seiner Anhänge ete. Da aber ferner die Gestalt des Mantels sowohl die Beschaffenheit der pallealen Organe als auch die Gestalt und Lagerungsverhältnisse der Eingeweide beeinflusst, so muss einer Abänderung in der Schalenform eine entsprechende Veränderung in den Organen des Eingeweidesackes vorausgehen und es wäre von großem Interesse für die Kenntnis der Artbildung bei den Mollusken, wenn festgestellt werden könnte, in wie weit mit der Schalenform innerhalb der einzelnen Gruppen Ver- änderungen in den morphologischen Eigenschaften der Tier ver- bunden sind. 704 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. Bemerkungen zu Garbowski’s Darstellung meiner Lehre von den leitenden Nervenelementen. Von Prof. Dr. Stephan Apäthy in Kolozsvär. Auf S. 488—507 und 557—544 des laufenden Bandes dieser Zeitschrift ist über eine Abhandlung von mir ein ausführliches Referat Garbowski’s erschienen, in welchem ich meine Arbeit gar nicht erkennen kann. Meine Arbeit, welche unter dem Titel „Das leitende Element des Nervensystems und seine topographischen Beziehungen zu den Zellen“ in den Mit- teilungen aus der zoologischen Station, Bd. 12, 1897, 8. 495—748, Taf. 233—32 veröffentlicht wurde, handelt von dem im Titel bezeichneten Gegenstand und nicht von einer neurogenetischen Theorie oder von einer „Theorie des nervösen Kreislaufs“, wie das Referat von Garbowski. Meine alte, in meinen Augen heute mehr als je begründete neuro- genetische Theorie und meine Auffassung der Kontinuität der leitenden Bahnen, für welche ich mit Dank die Bezeichnung Garbowski’s, Theorie des nervösen Kreislaufes, annehmen sollte, tritt zwar auch in meiner Arbeit hier und da, als Rahmen für die geschilderten 'Thatsachen, auf, aber die Absicht, ein neues neurologisches Theorem aufzubauen, hat nur die von Garbowski referierte Arbeit, nicht die meinige. Worüber ich mich gar nicht wenig freue, da die Begründung jenes 'T'heorems nach Garbowski nicht gerade gut gelungen ist. Die ihm vorgelegene Arbeit, welche durch 9 Tafeln (s. An- merkung auf 8. 488) illustriert ist, soll die ausführliche Arbeit sein zu einer vorläufigen Mitteilung, nämlich zu meinem in diesem Blatte vor 9 Jahren erschienenen Aufsatz: „Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert werden“. Von dieser ausführlichen Arbeit fordert er nun mit Recht ausführlichere Beweise für die damals entwickelten Thesen. Meiner Arbeit, welche durch 10 Tafeln illustriert ist, fällt es gar nicht ein, jene ältere Mitteilung weiter zu begründen, weil sie ganz andere Zwecke verfolgt. In jener Garbowski vorgelegenen Arbeit wird die Frage danach, wo das leitende Element in nervösen Systemen zu suchen wäre, gar nicht erörtert (8. 488). Meine Arbeit enthält lediglich eine genaue Schilderung und zahlreiche Abbildungen einer langen Reihe morphologischer That- sachen, welche, so weit auf morphologischem Wege überhaupt möglich, beweisen, dass dasjenige Element, welches ich Neurofibrille nenne, das spezifisch Leitende ist, und sie zeigt bei Hirudineen und Lumbricus mit einer bis jetzt kaum dagewesenen Ausführlichkeit und Deutlichkeit, wo dieses Element in dem Nervensystem zu suchen ist. In der Garbowski vorgelegenen Arbeit sind andere Autoren, sogar ein Retzius totgeschwiegen, und es fehlen sowohl vergleichende als auch allgemeine Betrachtungen. In meiner Arbeit ist für andere Autoren ein ganz besonderer Abschnitt, „5. Kritik der Beobachtungen von Anderen“, reserviert, welcher in der zweiten Mitteilung (s. S. 495 der ersten) er- scheinen wird. Ebenso reserviert für die zweite Mitteilung sind die Ab- schnitte „4. Weitere Beobachtungen (hauptsächlich an Mollusken und Wirbeltieren)“ und „6. Allgemeine Betrachtungen“. Es ist also evident, dass die Leser dieses Blattes meine oben er- Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. 105 wähnte Abhandlung aus Garbowski’s Referat gerade im Wesentlichsten nicht kennen lernen werden, wie geschickt und übersichtlich auch der Referent einen Teil der von mir eruierten (von ihm zum Teil leider auch missverstandenen) 'Thatsachen gruppiert hat. Gewiss bin nur ich Schuld daran, dass Jemand aus meinem neuen Werke eine minderwertige Reproduktion einer alten Schrift von mir heraus lesen konnte, Um nicht auch von anderen in dieser Weise missverstanden zu werden, will ich demnächst ein ausführliches Autorreferat meiner Arbeit veröffentlichen und versuchen, deutlicher mitzuteilen, was ich geschrieben und was ich damit bezweckt habe. Einstweilen bin ich aber auch den Lesern dieses Blattes und meinem Referenten einige Bemerkungen schuldig. Ein großer Teil der von Garbowski gemachten Einwände würde gegenstandlos sein, wenn ich gleich das ganze Werk über das lei- tende Element, wie ich es konzipiert habe, hätte veröffentlichen können. Dem standen aber erstens der große Umfang des Werkes (mindestens 30 Druckbogen) und die vielen, sehr theueren Tafeln (mindestens 20 drei- fache Tafeln) im Wege, und zweitens meine Hoffnung, die bei anderen Tierklassen bereits gemachten Beobachtungen durch weitere Verfeinerung meiner Technik noch wesentlich vertiefen zu können. Diese Hoffnung hat sich inzwischen zum Teil schon erfüllt; aber mein Material an Be- obachtungen und Zeichnungen nach sehr gut gelungenen Präparaten war durch langjährige Beschäftigung mit dem Gegenstande schon damals der- maßen angeschwollen und die bereits festgestellten T'hatsachen schienen ein so großes allgemeines Interesse zu haben, dass ich nicht umhin konnte, wenigstens den Teil meiner Resultate, welcher sich auf Hirudineen und Lumbriceus bezog, ausführlich zu beschreiben und der Oeffentlichkeit zu übergeben. Dabei wollte ich meine seit lange gepflegte allgemeine Nerventheorie nur hier und da erwähnen, um zu zeigen, in welcher Richtung ich die von mir entdeckten Thatsachen einst verwerten zu können hoffe. Andere Tiergruppen, namentlich Wirbeltiere, wollte ich in der ersten Mitteilung einstweilen nur deshalb heranziehen, um die bei Wirbellosen geschilderten Thatsachen dem Verständnisse und dem Interesse der Anatomen und Histologen näher zu bringen. Damit beabsichtigte ich auch Andere zu Untersuchungen in der von mir inaugurierten Richtung anzuregen; in dieser Weise hoffte ich auch von Anderen eruiertes 'T'hatsachenmaterial in meiner zweiten Mitteilung schon benützen zu können. Auch diese Hoff- nung fängt schon an, sich zu erfüllen. Ich möchte nur an die überraschend schönen Resultate von Bethe erinnern, welche höchst wertvolle Stützen für unsere Neurofibrillenlehre liefern. Ich war weit entfernt davon, ein großartiges, neues Lehrgebäude auf dem Gebiete der Neurologie, einen wissenschaftlichen Kölner Dom, auf- bauen zu wollen; ich weiß nur zu gut, wie wenig Bausteine dazu wir besitzen und wie viele Forscher noch mit arbeiten müssen, um den Bau auch nur beginnen zu dürfen. Es wundert mich gar nicht, dass es Gar- bowski schwer gefallen ist, aus den in meiner Arbeit zerstreuten Be- standteilen die Skizze des vor meinen Augen schwebenden Baues zu- sammenzusetzen. Mir kam es nur auf die Schilderung von Thatsachen an: wenn, wie Garbowski sagt, die Bruchstücke meiner Theorie auch so schon anregend auf den Leser wirken können, um so besser. AVIL. 45 706 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. Er soll mir aber keinen Vorwurf daraus machen, dass jene 'T'heorie lückenhaft und nicht recht begründet ist. Ich hatte eine große Anzahl sorgfältig, kritisch geprüfter Präparate und viele Zeichnungen nach diesen vor mir, welche mit der peinlichsten Genauigkeit und Objektivität gemacht wurden. Ich beschränkte mich auf die Beschreibung meiner Präparate und meiner Zeichnungen. Als Thatsache habe ich nur das hingestellt, was ich mit dem Mikroskop unter gewissenhaft kontrolierten Bedingungen mit der größten Deutlichkeit sehen konnte und jederzeit Jedem demon- strieren kann. Wo ich etwas nicht ganz deutlich sah, da sagte ich es ganz offen. Nirgends habe ich behauptet, dass ich gesehen hätte, was ich auf Grund meiner Präparate bis jetzt bloß vermuten kann. Nur was aus direkt beobachteten 'Thatsachen notwendig folgt, habe ich, auch ohne es direkt beobachtet zu haben, behauptet. Wenn zwei Größen einer dritten nachweisbar gleich sind, so kann man wohl ohne direkte Be- obachtung behaupten, dass sie auch einander gleich sind. Meine Einzeldarstellungen, von welchen nach Garbowski „vielleicht sehr viele theoretisch beeinflusst erscheinen“, sind es höchstens in diesem Sinne. Auf die Theorie kam es mir in dieser Arbeit gar nicht an. Nur um Missverständnissen vorzubeugen und dem Leser die Mühe des Nachschlagens in meinen früheren Mitteilungen zu ersparen, habe ich wieder vorausgeschickt, was ich unter Nervenzelle im Gegensatz zur Ganglienzelle verstehe und demonstrieren zu können glaube. Dabei sage ich auf S. 505 Folgendes: „Auf die eigentlichen Be- weise dieses von mir bereits vor 12 Jahren betonten Unter- schiedes, den ich seither bei mehreren Gelegenheiten aus- einandergesetzt habe, will ich jetzt nicht eingehen; ich sage einfach, was nach meiner Meinung und in meinen Präparaten Nervenzelle und was Ganglienzelle ist. Mag man diesen histologischen und histogenetischen, besonders aber physio- logischen Unterschied anerkennen oder nicht, mit dieser Unterscheidung wird sich das,. was ich zeigen will, besser gruppieren lassen und mein ganzer Ideengang übersicht- licher erscheinen. Das Hauptgewicht will ich ja auf gewisse bisher, wie ich glaube, noch nicht beobachtete Thatsachen legen, und es ist mir vorläufig gleichgiltig, ob die Ansichten, durch welche ich jene Thatsachen in Zusammenhang zu bringen versuche, Anklang finden oder nicht, wenn es mir nur gelingt, die Unbestreitbarkeit von jenen darzuthun“!). Ebenso verhält sich meine Arbeit der „T'heorie des nervösen Kreislaufes“ gegenüber. Darauf war ich also wirklich nicht gefasst, dass es mir jemand zum Vorwurf machen wird, dass ich in dieser Arbeit jene Theorien nicht besser be- gründet habe. Die zwei wichtigsten Resultate meiner Arbeit treten in dem Referate von Garbowski ganz in den Hintergrund. Das eine betrifft speziell die Neurologie, das andere die vergleichende Histologie im Allgemeinen. Vielleicht überhaupt das wichtigste Resultat meiner Arbeit ist, dass ich zuerst auf morphologischem Wege, an der Hand von deutlichen, leicht demonstrierbaren Thatsachen gezeigt habe, was das Leitende im 1) Im Original nicht gesperrt. Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. 707 Nervensystem ist. Früher hat man bloß vermutet, dass es gewisse Fibrillen sind. Niemand vor mir hat gesehen, dass nur diese Fibrillen aus dem Nerv in die Muskelzellen, in die Sinneszellen etc. eindringen ; Niemand konnte wirklich zeigen, dass es Primitivfibrillen giebt, welche als Individuen, als ununterbrochene Drähte die Nerven von der Peripherie bis zu dem ÜOentrum durchziehen, in die Ganglienzellen ein und aus diesen wieder heraustreten, wobei sie im Zellleib charakteristische Netze oder Gitter bilden, welche sich auch in Sinneszellen und anderen Zellen wiederholen. Es ist kaum möglich, für die leitende Natur meiner Neuro- fibrillen auf morphologischem Wege mehr und entscheidendere Beweise zu erbringen, als welche sich für Hirudineen in meiner Arbeit befinden. Das beweisende physiologische Experiment fehlt allerdings bis jetzt; es erscheint mir indessen aber fraglich, ob es neben jenen morphologischen Thatsachen einstweilen unbedingt nötig ist, um die leitende Natur meiner Neurofibrillen als festgestellt zu betrachten, Das zweite, nämlich das vom vergleichend histologischen Standpunkte wichtigste Resultat meiner Untersuchungen ist einerseits der Nachweis der Neurofibrillen bei verschiedenen Tieren sowohl in den verschiedensten Zellen, welchen eine nervös leitende Funktion zu- kommt oder welche mit den leitenden Bahnen in irgend welche innigere Beziehung während der Entwicklung treten, als auch extracellulär an ver- schiedenen Stellen des Organismus, wo sie aus den sie produzierenden Zellen oder aus den Zellen, welche sie während des Wachstums des Organismus durchdrungen haben, hinauswachsen; andrerseits ist es der Nachweis, dass die Neurofibrillen überall dieselben morphologischen Eigen- schaften, denselben Charakter des Verlaufes und dieselben Reaktionen, dieselben physikalischen und chemischen Eigenschaften zeigen. Demnach gestaltet sich die ganze Arbeit zur Demonstrierung der bei meinen verschiedenen Untersuchungen gewonnenen grundlegenden That- sache, des Grundsteines der vergleichenden Histologie, für einen speziellen Fall, für das Nervensystem. Und diese Grundthese lautet folgendermaßen: Die histologische und die, in der Ontogenese wenigstens, erst aus dieser folgende sonstige, funktionelle Differenzierung der Zellen geschieht nicht dadurch, dass sich das Protoplasma (richtiger Somatoplasma) in ver- schiedene Protoplasmasorten (z. B. Nervenprotoplasma, Muskelprotoplasma, Drüsenprotoplasma etc.) verwandelt, sondern dadurch, dass sie sich über- wiegend oder ausschließlich auf die Produktion von spezifischen, morpho- logisch, physikalisch und chemisch gekennzeichneten und mikroskopisch nachweisbaren Substanzen (welche, wenn auch keineswegs immer leblos, doch nicht mehr Protoplasma sind), verlegen, dadurch aber auch in der Regel die Fähigkeit, die sie ursprünglich alle besitzen, verlieren, Zell- produkte anderer Art zu erzeugen. Und das Wichtigste für die vergleichende Histologie ist, dass die betreffenden spezifischen Zellprodukte in allen Tierklassen, wo immer nur Zellen mit derselben physiologischen Bedeutung vorkommen, die gleichen Eigenschaften zeigen, sie sind in morphologischer, physikalischer und ‚chemischer Hinsicht in der gleichen Weise gekennzeichnet. Das Protoplasma, richtiger Somatoplasma, selbst ist in allen Zellen eines Organismus gleich, zeigt überall im Wesentlichen gleiche morphologische 45* 708 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. und ganz gleiche physikalische und chemisehe Eigenschaften; nur hat es, auf einer gegebenen Euntwicklungsstufe des Organismus, von seinen ur- sprünglichen Fähigkeiten in der einen Zelle mehr, in der anderen weniger, hier diese, dort jene bewahrt. Also sind das sogenannte Nerven- plasma und Muskelplasma im wesentlichen ganz gleich, grundverschieden sind aber die Neurofibrillen, ein spezifisches Zellprodukt der Nerven- zellen in meinem Sinne (oder das eine spezifische Zellprodukt der Ganglienzellen, wenn man die Existenz von von einander verschiedenen Nervenzellen und Ganglienzellen nicht annehmen will), und die Myo- fibrillen, ein spezifisches Zellprodukt der Muskelzellen. Und wo leitende und kontraktile Zellen überhaupt vorkommen, sind in denselben Neuro- fibrillen, bezw. Myofibrillen mit denselben Eigenschaften bei den ver- schiedenen "Tierklassen nachweisbar. Mit den spezifischen Zellprodukten von anderen Zellen, namentlich mit den Gliafibrillen, dem Produkte der Gliazellen, habe ich mich in dieser Arbeit nur deshalb beschäftigt, um jeden Verdacht einer Verwechs- lung der Neurofibrillen mit anderen fibrillären Elementen des Organismus auszuschließen. Nur deshalb habe ich bei Herudo auch die Stütz- und Hüllvorrichtungen des Nervensystems genau beschrieben. Es müssen hier 6 Arten von Fibrillen auseinandergehalten werden, welche alle eine be- sondere charakteristische Anordnung, besondere morphologische Eigen- schatten und Reaktionen zeigen. Das sind in erster Linie 1. die Neuro- fibrillen, 2. die Myofibrillen der in die Neurilemmscheide der peripherischen Nerven und der Ganglien eingebetteten Nervenmuskeln, 3. die Gliafibrillen, 4. die kollagenen Bindegewebsfibrillen der Neurilemmscheiden; zu diesen gesellen sich noch 5. die Somatoplasmafibrillen (richtiger, namentlich bei tadelloser Fixierung, der optische Ausdruck der Wabenwände des Somato- plasmas der Ganglienzellen, der Nervenzellen und der Gliazellen) und 6. durch die Fixierung entstandene Koagulumfibrillen der interstitiellen Grundgallerte, bezw. eines interstitiellen, das Gewebe durchtränkenden Serums. Alle diese histologischen Elemente sind in meinen Präparaten so verschieden gekennzeichnet und besonders die Neurofibrillen stechen so sehr von allen anderen ab, dass nur derjenige eine Verwechslung der ver- schiedenen Elemente meinerseits voraussetzen kann, der sich das Aus- sehen meiner Präparate gar nicht vorzustellen vermag. Von einem Rohde wundert mich das nicht: in den Präparaten von diesem scheinen histologische Differenzierungen etwas nie Dagewesenes zu sein; aber von Garbowski glaube ich mit Recht voraussetzen zu dürfen, dass er aus eigener Erfahrung weiß, wie charakteristische Farbenunterschiede unter dem Mikroskop aussehen, und dass er deshalb Jemandem Vertrauen schenken könnte, wenn dieser eine deutliche Unterscheidbarkeit eines be- stimmten histologischen Elementes unter allen Umständen betont. In Betreff der von Held beschriebenen pericellulären Ausbreitungen der Axen- cylinder und in Betreff der Neurosomen desselben Autors, kann ich indessen versichern, dass erstere nichts mit dem Axeneylinder, letztere nichts Spezielleres mit dem Nervösen überhaupt zu thun haben. Jene Ausbreitungen sind ein Gliagitter (die Neuroglia im ursprünglichen weiteren Sinne verstanden), welches von dem Axencylinder, den es während seines Weges im Üentralnervensystem, außerhalb der Myelin- Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. 709 scheide, umhüllt, auf den Zellkörper der Ganglienzelle übergeht und sich auf die sonstigen Ausläufer der Ganglienzelle, auf die Dendriten, fortsetzt. Ein ähnliches, die Ganglienzellen eng umschließendes Gliageflecht habe ich auch bei Hirudineen beschrieben und es als die Gliazone der Ganglien- zelle bezeichnet, welche auch in das Innere der Ganglienzelle Fortsätze senden kann, aber nicht eigentlich zur Ganglienzelle gehört und nicht mit dem Neurofibrillengitter zu verwechseln ist. Durch dieselbe Glia- zone der Wirbeltierganglienzelle ist, wie ich glaube, auch die von Golgi durch Chromsilber dargestellte und unlängst beschriebene Gitter- hülle bedingt. Die Neurosomen dagegen sind Körnchen, wie sie im Somatoplasma von allerlei Zellen dargestellt werden können; vielleicht ist ihre chemische Qualität charakteristisch; morphologisch sind sie es aber sicher nicht. Um ersteres zu entscheiden, bedarf es aber einer ganz anderen Technik, als die von Held. Und es freut mich nur, dass ich den Vorwurf Garbowski’s verdiene, vergleichende histologische Beobach- tungen so wie Held nicht gemacht zu haben. Neben den Neurofibrillen giebt es in den Ganglienzellen nur noch ein charakteristisches, spezifisches histologisches Element, welches ich sogar für den einzigen, von den Ganglienzellen produzierten spezifischen Be- standteil halte. Das sind die ehromatischen Körnchen, welche in den Ganglienzellen der Wirbeltiere die Flemming-Nissl’schen Formationen bilden. Und mit diesen habe ich mich eingehend genug beschäftigt. Erstens habe ich nachgewiesen, dass sie auch bei Hirudineen und Lumbricus vorhanden und charakteristisch für die Ganglienzellen, nur anders angeordnet sind. Zweitens habe ich nachgewiesen, dass diese chromatische Substanz auch bei meinen Objekten ebenso wie bei Wirbel- tieren einen histologischen Unterschied zwischen den verschiedenen Fort- sätzen der Ganglienzellen verursacht. Es giebt Fortsätze, in welche die chromatische Substanz aus dem Zellkörper übergeht, und es giebt solche, in welche sie nicht übergeht. Erstere habe ich chromatische, letztere achromatische Fortsätze genannt. Achromatisch sind bei den Wirbeltieren die Axone Kölliker’s, chromatisch die Dendriten: und ich habe gezeigt, dass auch bei meinen Objekten die den Axonen entsprechenden Fortsätze die achromatischen sind, oder, wo die Dendriten mit dem Axon anatomisch vereinigt, als Stiel der birnförmigen Zelle, die Ganglienzelle verlassen, der Axenteil des Stieles dem Axon entspricht. Ferner habe ich gezeigt, dass die Grundsubstanz des Axons auch bei meinen Objekten, ebenso wie bei den Wirbeltieren, gänzlich verschieden ist von dem Somatoplasma der Ganglienzelle; sie ist eben dieselbe, nur etwas dichtere Interfibrillär- substanz, wie die des Axencylinders auf der Peripherie, in welcher die Neurofibrillen eingebettet sind. Sie ist mehr oder weniger dickflüssig, bei den Wirbeltieren besonder‘ dinn, ölartig, vollkommen homogen; jede Vakuolisieruug, welche einen wabigen Bau vortäuschen kann, ist in der Interfibrillärsubstanz ein Artefact. Dagegen besteht die Grundsubstanz der Dendriten aus demselben Somatoplasma, wie der Zellkörper der Ganglienzelle und ist ebenso wabig gebaut, wie dieser. Demnach sind die Dendriten im histologischen Sinne wahre Ausläufer der Ganglien- zelle, während die Axone auch im histologischen Sinne, wie gesagt, den nur etwas kompakter gewordenen Axencylinder repräsentieren, also lediglich aus der specifischen Nervensubstanz bestehen und nicht aus Protoplasma 710 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. |Nervenplasma) der Autoren]. Ein Teil dieser specifischen Nervensubstanz, die Interfibrillärsubstanz, setzt sich in die Ganglienzelle nicht fort, sondern endigt in der kelch-, teller- oder scheibenförmigen. Verdiekung, mit la der Axencylinder an ai Ganglienzelle stößt; der andere Teil, die Neuro- fibrillen, dringen in die Gange ein, treten dort auseinander, durch- ziehen den Zellkörper in verschiedener Richtung, bilden, zum "Teil wenig- stens, daselbst ein Polygon-Gitter und verlassen wieder in den Dendriten den Zellkörper. Der ursprünglich etwa vorhandene protoplasmatische Fortsatz der Ganglienzelle, an dessen Stelle der Axon tritt, muss also durch die leitende Substanz verdrängt worden sein; nur gelegentlich sah ich in der Axe des Axons einen feinen protoplasmatischen Faden als Fortsetzung des Zellkörpers, welcher indessen stets unweit von der Ganglienzelle endigt. Vollkommen gleich sind Axon und Dendriten darin, dass sie alle Neurofibrillen enthalten, welche bei Wirbeltieren öfter, bei Wirbel- losen nur ausnahmsweise direkt, in der Regel aber durch Vermittelung eines intracellulären Gitters von dem Axon in die Dendriten oder auch von einem Dendrit in das andere übergehen. Alles das habe ich in meiner Arbeit genau auseinandergesetzt. Ich kann mir die Funktion der verschiedenen Fortsätze (abgesehen von der auf das Somatoplasma der Dendriten ausgedehnten Funktion des Ganglienzellleibes) nur in dem Sinne verschieden deuten, als sie in der Regel in verschiedener Richtung leiten, wie ich uborkanpt, keine anderen Unterschiede in der Funktion der ver- schiedenen leitenden Bahnen, als die Richtung des Stromes, den sie leiten; annehmen möchte. Die verschiedenen physiologischen Funktionen der ver- schiedenen Zellarten können durch einen Reiz von ganz gleicher Qualität, etwa einfach durch Schwankungen der Stärke des Stroms, der sie be- ständig durchzieht, ausgelöst werden. Much die Funktion der Sinneszellen dürfte einfach im Einschalten von Hindernissen in den Weg des Stromes bestehen, etwa durch Modifizierung des Zustandes, in welchem sich die in der Sinneszelle enthaltene Strecke der Leitung befindet. Dafür scheint auch die zuerst von mir entdeckte Thhatsache zu sprechen, dass in jede Sinneszelle mindestens eine Neurofibrille eindringt und einen verhältnis- mäßig sehr langen Weg darin zurücklegt, indem sie in der Zelle ein kompli- ziertes Gitter bildet. Dendraxonen, Inaxonen, Paraxonen u. dergl. können alle mehr oder weniger notwendige anatomische Unterscheidungen sein, welchen aber nur in dem erwähnten Sinne eine Arbeitsteilung entsprechen kann. Wenn jedoch der funktionelle Unterschied zwischen den verschiedenen Bahnen lediglich in der Richtung des geleiteten Stromes besteht, so müssen zwischen ihnen auch keine weiteren und feineren histologischen Unterschiede, als welehe ich bei Hirudineen und Lumbrieus bereits be- schrieben habe, gesucht werden. Ebenso, wie jene Bezeichnungen, habe ich auch die übrige, zum Teil sehr gekünstelte und überflüssige Nomenklatur neuerer Autoren, vor- läufig wenigstens, nicht berücksichtigen zu müssen geglaubt. Wo die für Wirbeltiere gebräuchlichsten Namen sich auf Dinge beziehen, welche auch bei meinen Objekten mit der wesentlich gleichen Beschaffenheit und Be- deutung vorkommen, habe ich jene benützt; wo es sich aber um neue, 1) Das wirkliche Nervenplasma wäre bei Wirbeltieren in der Umgebung der Schwann’schen Kerne zu suchen. Der ganze Axencylinder ist spezi- fisches Zellprodukt. _ Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. Yan bei Wirbeltieren nicht, oder in verschiedener Form vorkommende Verhält- nisse handelt, musste ich neue Bezeichnungen anwenden. Im Uebrigen war ich bestrebt, mich auch in der Nomenklatur an das Prioritätsgesetz zu halten. Deshalb nenne ich die collagenen bindegewebigen Hüll- und Stützgebilde des Nervensystems im Allgemeinen Neurilemm, die nicht collagenen aber Neuroglia, und deshalb habe ich die Bezeichnung Nervenzelle gegenüber Ganglienzelle beibehalten. Wenn beide Begriffe später allgemein konfundiert wurden, so ist das noch keine Ursache, für ein altes Ding einen neuen Namen vorzuschlagen. Um jedoch auf die Beschaffenheit der Gauglienzellenfortsätze zurück- zukommen, so könnte die Fortsetzung des Samotoplasmas in die Dentriten einfach zur Ermöglichung einer größeren Massenzunahme der Ganglien- zelle ohne Erschwerung der Ernährung derselben dienen. Denn auch in den Dendriten hört das Somatoplasma bei den weiteren Verästelungen derselben früher oder später auf, und die dünnsten Dendritenäste bestehen nur noch aus der Neurofibrille, welche, während sie sich in allerdünnste Fibrillenäste spaltet, bei Aerzıdo deutlich in ein Elementargitter übergeht. Diese allerdünnsten Fibrillenäste, welche oft nicht dicker als 0:05 u (50 Millimikren) sind und in meinen Präparate doch gut verfolgt werden können, darf ich wohl als Elementarfibrillen bezeichnen, da sie sich nicht weiter verjüngen oder verästeln, sondern bei der Bildung des Elementar- gitters mit gleich dicken Fibrillenstücken in beinahe stets dreischenkeligen Knotenpunkten zusammenstoßen. Garbowski meint nun, ich hätte nicht klar genug dargethan, wie die verschiedenen Netze und Gitter, welche die Neurofibrillen bilden, in dem Sinne meiner Theorie zu deutgn seien. Ich glaube dies indessen nicht versäumt zu haben. Vom centralen Elementargitter sage ich auf S. 567, dass meist alle drei in einem Knoteupunkte zusammenstoßenden Schenkel gleich dick sind; „die Knotenpunkte sind eben nicht Teilungs- stellen von dickeren Neurofibrillen, die sich in zwei dünnere spalten würden“. Da ich nun die Elementarfibrillen als je eine Reihe ultra- mikroskopischer leitender Elemente auffasse, so kann das Elementargitter nichts anderes sein, als eine Umlagerung der in den Neurofibrillen parallele Längsreihen bildenden Elemente, der Neurotagmen, in eine polygonale, gitterförmige Anordnung. Wo aber aus mehreren Elementarfibrillen zu- sammengesetzte, dickere Neurofibrillen die Gitter bilden, treten bei der Verästelung der Neurofibrille zunächst die Elementarfibrillen auseinander, um sich schließlich eventuell wieder zu vereinigen; indessen entspricht auch in solchen intracellularen Neurofibrillengittern die Dicke eines Schenkels des dreischenkeligsen Knotenpunktes keineswegs immer der Dicke der beiden anderen zusammen, vielmehr kommt es sehr oft vor, dass alle drei gleich diek sind (s. besonders die Neurofibrillengitter in den Retinazellen auf Taf. 30 u. 31). Dann handelt es sich eben auch hier nicht bloß um ein Divergieren der Neurotagmenreihen, sondern um eine Umlagerung der Neurotagmen, also um Anastomosen im strengsten Sinne. Garbowski vermisst in meinen Zeichnungen eine regelmäßige Stei- gerung in der Feinheit der sich spaltenden Primitivfibrillen, was nach ihm doch eine natürliche Folge des Auseinanderweichens der Elementar- fibrillen sein müsste (8. 538). Das beweist eben, dass meine Zeichnungen 12 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. nicht theoretisch beeinflusst sind. Ich habe gezeichnet, was und wie es im Präparat zu sehen war. Ich habe nicht 'Thatsachen gesucht, welche in meine T'heorie hineinpassen; ich habe die 'TThatsachen gefunden und suchte erst dann ihre Erklärung. Diese ist für den fraglichen Fall, dass die leitenden Bahnen nicht oder nicht bloß aus dem Centrum hinaus- wachsen und sich successive auf der Peripherie verteilen, sondern, wie auch das Blutgefäßsystem, auf verschiedenen Punkten des Organismus ent- stehen und so zu einem ununterbrochenen System zusammenwachsen. Das den ganzen Organismus durchziehende Neurofibrillengitter entsteht durch Aneinanderstoßen, Auseinanderweichen und Vereinigung der Neurotagmen- reihen ebenso wie durch Umlagerung der Neurotagmen. Solche allgemeine Betrachtungen sind indessen, wie gesagt, nicht Gegenstand meiner ersten Mitteilung gewesen. Allgemeine Betrachtungen, welche sich aus den be- reits geschilderten und noch zu schildernden Thatsachen ergeben, wird Garbowski in der zweiten Mitteilung zu suchen haben. Uebrigens bin ich ihm für seine Einwände nur dankbar. Zwar werde ich einen großen Teil auch im zweiten Stücke dieser Arbeit nicht berück- sichtigen können, weil sie Fragen betreffen, mit welchen ich mich diesmal nicht beschäftigen will; einen anderen Teil habe ich bereits vorhergesehen, aber ihre Wiederlegung für eimen späteren Abschnitt aufgespart; er hat mich jedoch auf mehrere aufmerksam gemacht, an welche ich nicht gedacht hätte, weil ich sie im Angesicht der von mir festgestellten Thatsachen für unmöglich hielt. Da sie nun aber, wie es scheint, doch möglich sind, so sollen sie seinerzeit auch nach Kräften gewürdist werden. Jetzt sei mir nur noch eine Bemerkung gestattet! Garbowski glaubt logische Fehler in meinen Deduktionen entdeckt zu haben, durch welche ich Widersacher meiner eigenen Prämissen werde. Er meint nämlich, dass die doppelte Fähigkeit der Nervenzellen der Hirudineen, neben Neurofibrillen zum Teil auch Gliafibrillen produzieren zu können, den physiologischen Erwägungen widerspricht „die bei der ursprünglichen Konzipierung der Hypothese zweifellos entscheidend waren“ (8. 537). Das ist keineswegs der Fall. Nimmt man den oben angedeuteten, höheren vergleichend histologischen Standpunkt ein, so verschwindet der schein- bare Widerspruch sofort. Nervenzellen, Ganglienzellen und Gliazellen entstehen phylogenetisch aus gleichen Zellen, welche die Arbeit allmählich in drei Richtungen unter sich teilen, wobei in den Nervenzellen die Pro- duktion der Neurofibrillen, in den Gliazellen die .der Gliafirillen, in den Ganglienzellen die jener chromatischen Substanz überwiegt, aber deshalb die Produktion der Gliafibrillen von Seiten der Nervenzellen u. s. w. nicht sofort aufhören kann. Die Differenzierung wird durch Aufhören der Produktion von anderen Substanzen und Steigerung der Produktion der spezifischen Substanz nur allmählich vollzogen. Die Hirudineen können noch ganz gut auf einer Stufe stehen, wo die Nervenzellen ihre ursprüng- liche Fähigkeit, auch Gliafibrillen zu liefern, zum Teil noch bewahrt haben. Differenzieren sich ja jene dreierlei Zellen auch in der Ontogenese zum Teil aus derselben Anlage heraus. Von den Ganglienzellen und den Gliazellen der Wirbeltiere wissen wir es eben bestimmt, dass sie sich aus den Abkömmlingen der Epithelzellen der Wand des Medullarrohrs heraus- differenzieren. Wäre es also so sehr befremdend, wenn unter Umständen 4 Apäthy, Lehre von den leitenden Nervenelementen. 115 sogar gewisse Ganglienzellen, die auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehen geblieben sind, Gliafibrillen produzieren würden? Ich habe nie behauptet, solche bereits zu kennen. Unmöglich ist aber ihre Existenz sicher nicht: diese Möglichkeit folgt einfach aus meiner histogenetischen Auffassung, steht somit mit meiner T'heorie gar nicht in Widerspruch. Deshalb könnte ja der weitaus größte Teil der Ganglienzellen des be- treffenden Organismus der Produktion von solchen Substanzen bereits vollkommen enthoben sein und sich ganz „der ununterbrochenen perci- pierenden und -den Nerventonus schaffenden Thätigkeit“ widmen. Auch zu dieser 'Thätigkeit verwendet die Ganglienzelle, wie es scheint, ein spezifisches Zellprodukt, und das ist die aus minimalen Körnchen zu- sammengesetzte chromatische Substanz, welche bei Wirbeltieren die Flem- ming-Niss]’schen Formationen bildet. Aber es ist nicht einmal a priori auszuschließen, dass auch gewisse Nervenzellen, natürlich in viel ge- ringerem Grade, solche chromatische Mikrosomen oder Granula produzieren könnten: und ebenso ist es eine unvermeidliche Konsequenz desselben Gedankenganges, dass gewisse Ganglienzellen gewisser Organismen Neuro- fibrillen zu bilden vermögen. Befremdend und unwissenschaftlich könnte für mich im Gegenteil nur die Annahme sein, dass Jie Spuren eines postulierten phylogenetischen Vorgauges aus der Ontogenese und aus der gegenwärtig bestehenden Organismenreihe gänzlich verschwunden wären. Wenn ich als höchste Stufe der histologischen Entwicklung in Betreff der Beschaffenheit und der Funktion gänzlich getrennte Ganglienzellen, Nerven- zellen und Gliazellen fordere, so muss ich auf einer niedrigeren Stufe, welche entweder in einem einfacheren, ursprünglicheren Organismus oder in einem früheren ontogenetischen Stadium vor uns liegt, das zeitweilige Bestehen von Uebergangsformen voraussetzen. Doch führen mich diese Betrachtungen schon auf ein Gebiet, welches zu durchforschen nicht Zweck meiner Arbeit über das leitende Element gewesen ist. Durch die Erkenntnis, dass das Leitende überall durch Neurofibrillen, welche ganz bestimmte, nicht zu verwechselnde Reaktionen zeigen, gekennzeichnet ist, gestaltet sich, wie ich auf S. 508 betont habe, das große Problem der Histologie und Histogenese des Nervensystems vorerst zu der mikrotechnischen Aufgabe, die leitenden Primitivfibrillen (überhaupt Neurofibrillen) von ihrem ersten Auftreten an im mikroskopi- schen Bilde zu differenzieren (oder färberisch zu isolieren). Ich sagte es wiederholt, z. B. auf 8. 575 ganz offen heraus, dass es mir bis jetzt nicht gelungen ist, die leitenden Primitivfibrillen gleich von ihrer Ent- stehung an mikrotechnisch zu differenzieren. Bis dies mir oder eimem anderen, glücklicheren, gelungen ist, mag man meine neurogenetische Auffassung als eine Hilfshypothese (S. 584) betrachten; die zahlreichen neuen Thatsachen, die ich entdeckt habe, passen einstweilen doch besser in diesen Rahmen als in den der Neurontheorie hinein. Garbowski’s Aufsatz wird indessen gewiss dazu beitragen, das Interesse für meine Untersuchungen auch in weiteren Kreisen zu erwecken, und schon deshalb kann ich ihm für sein Referat nur dankbar sein. Kolozsvär, im Juli 1898. |102] 714 0.Zacharias, Ueber einige interessante Funde im Plankton sächs. Fischteiche. Ueber einige interessante Funde im Plankton sächsischer Fischteiche. Von Dr. Otto Zacharias (Plön). Im Juni dieses Jahres (1898) untersuchte ich eine Anzahl Teiche im Königreiche Sachsen, um weitere Erfahrungen über die in flachen Süß- wasserbecken vorkomnienden Planktonwesen zu sammeln. Dabei hat sich mancherlei ergeben, was von anderen Beobachtern bisher nicht berichtet worden ist und was ich daher der Mitteilung an dieser Stelle für wert erachte. Meine Forschungen erstreckten sich zunächst auf die Fischgewässer der Umgebung des Schlosses Zschorna bei Radeburg. Hier bot nament- lich der zur Aufzucht von Karpfenbrut benutzte Querdamm-Teich ein nicht bloß in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht bemerkens- wertes Plankton dar, wie aus dem nachstehenden Artenverzeichnis hervorgeht. Querdammteich in Zschorna. Algen: Pedrastrum duplex Meyer Pediastrum boryanım (Turp.) Dietyophaerium ehrenbergianum Näg. Sphaerocystis Schröteri Chod. Asterionella gracillima Heib. Dünne Melostra-Fäden. Anabaena spiroides Klebahn Coelosphaerium kützingianum Näg. Protozoen: Eudorina eleyans Ehrb. Mallomonas acaroides Zach. Aetinoglena klebsiana Zach. Uroglena volvox Ehrb. Dinobryon sertularia Ehrb. Dinobryon elongatum Imhof Ceratium hirundinella OÖ. F. M., f. furcoides Lev. Gymnodinium fusceum (Ehrb.) Carchesium polypinum (L.) Rädertiere: Asplanchna herricki de Guerne Asplanchna priodonta Gosse Sacceulus viridis Gosse Polyarthra platyptera Ehrb. Pedalion mirum Hudson Bipalpus vesiculosus Wierz. et Zach. Hudsonella pygmaea Calm. Mastigocerca capucina Wierz. et Zach. Mastigocerca hamata Zach. Anuraea stipitata Ehrb. Brachionus bakeri Ehrb. Conochtlus umtcornis Rousselet Floscularia mutabilis Bolton. O. Zacharias, Ueber einige interessante Funde im Plankton sächs. Fischteiche. 715 Krebse: Daphnia longispina ©. F. M. Daphnella brachyura Liev. Ceriodaphnia pulchella G. ©. Sars Holopedium gibberum Zadd. . bosmina longirostris ©. F. M. Diaptomus sp. Das sind 37 Species, deren Vertreter allesammt zahlreich im Plankton des Querdammteiches vorkamen. Das gilt auch von Asplanchna herrickt, was merkwürdig genug ist, da dieses Rotatorium bis jetzt nur von sehr wenigen Lokalitäten her bekannt ist. Die Zschornaer Exemplare hatten eine Länge von 1,5 mm bei einem Durchmesser von Imm. Diese Asplanchna ist nicht nur durch ihre außerordentliche Größe, sondern auch durch den Besitz eines drüsigen Organes (oberhalb der Kloake), welches allen übrigen Repräsentanten der Baridi fehlt, sofort von Asplanchna priodonta und brightwelli zu ee , Holopedium fand ich hier nur in ganz jungen Individuen vor; im Wallgraben hingegen, der das Schloss auf allen Seiten umgiebt, war jene eigenartige Daphnide — die meines Wissens in sächsischen Gewässern noch nicht beobachtet worden ist — überwiegend bloß in erwachsenen Exemplaren vorkömmlich. Aus diesem Graben, der nur 50 cm tief ist, fischte ich Holopedien von 4 mm Durchmesser (inkl. Gallerthülle). Die Tiere selbst waren nicht grösser, resp. länger als 1,2 mm. Gleichzeitig mit den Holopediumkugeln, die den unbewaffneten Auge wie aufgequollene Sagokörner erscheinen, erbeutete ich auch große Mengen von Leptodora hyalina, die hier die stattliche Länge von 12 mm erreicht. Die massen- hafte Anwesenheit dieses charakteristischen Planktonkrebses in einem Graben, der nur wenige Meter breit und dabei kaum 50 cm tief ist, beweist aufs Neue, dass die sogenannten „eulimnetischen* Formen ihre Lebensbedingungen in kleinen flachen Gewässern ebensogut finden können, wie in tiefgründigen Seen. Ich habe auf diese’I’'hatsache schon bei Gelegenheit meiner Durchforschung der Trachenberger Versuchsteiche hingewiesen ?) und sehe dieselbe nun auch in Zschorna bestätigt. In dem dortigen Wallgraben kommt übrigens nicht nur Leptodora, sondern auch noch eine Be Anzahl anderer Plank- tonspecies vor. Von pflanzlichen Schwebwesen z.B. Anabaena flos aquae, Anabaena spiroides, Melosira varians, Asterionella gracillima und Pediastrum boryanım ; von Tieren (Protozoen): Eudorina elegans, Volvox aureus, Mallomonas, Actinoglena, Uroglena, Dinobryon und Ceratium hirundinella. Dazu auch noch folgende Rotatorien: Asplanchna priodonta, FPolyarthra platyptera, Synchaeta pectinata, Conochilus volvox und Bipalpus vesiculosus. — Im Großteiche von Zschorna, welcher eine Fläche von 65 ha ein- nimmt, beteiligten sich auch Difflugien (Diffl. hydrostatica Zach.) zahlreich an der Zusammensetzung des“ Planktons. Ich habe diese Wahr- nehmung früher schon hinsichtlich anderer Gewässer gemacht und durch amerikanische Forscher ist dieselbe T'hatsache inzwischen ebenfalls fest- gestellt worden. So sagt C. A. Kofoid (in der Zeitschrift „Seience“* 1) Conf. A. Wierz. ejski: Zur Kenntnis der Asplanchna-Arten. Zool. An- zeiger 1892. Nr. 401. 2) Cf. Plöner Forschungsberichte. 5. Heft 1897. 716 0.Zacharias, Ueber einige interessante Funde im Plankton sächs. Fischteiche, vom Juli 1897): „Difflugia is a very abundant and important member of the“ plankton of our own great lakes, where it occurs in association with Codonella, Dinobryon and other typically limnetie forms. It also oceurs in the Illinois river and its adjaceut waters thronghout a con- siderable part of the year, but in the open water and not upon the bottom.“ Von Zschorna verlegte ich mein Standquartier nach Deutschbaselitz bei Kamenz in der sächsischeu Lausitz. Hier giebt es viele große Karpfen- teiche, wovon der als „Großteich“ bezeichnete eine Flächengröße von 110 ha besitzt. Dieses Gewässer macht landschaftlich den Eindruck eines mächtigen Sees; aber es ist durchschnittlich nur etwa 3 m tief. (Gegen Ende des Monats Juni war dort ein sehr mannigfaltiges Plankton vorhanden, worin speziell auch Pediastrum-Arten häufig zum Vorschein kamen. Die Mehrzahl der bei der mikroskopischen Untersuchung des Baselitzer Materials sich darbietenden Pediastren gehören zur Species duplex Meyen (Fig. 1) oder sie sind als Varietäten davon zu betrachten, wie z. B. das in F7g. 2 verauschaulichte Ped. clathratum oder das in Fig. 3 abgebildete Ped. reticulatum. An den Coenobien dieser drei Formen machte ich eine interessante Beobachtung. Ich sah nämlich bei der Durchmusterung von Planktonproben, die ich auf dem Objektträger mm EHRT ANLRL OT ! Fig. 1. Pediast: um duplex Fig. 3. Pediastr. duplex, var. reticulatum. Fig. 2. Pediastrum duplex, Fig. 4. Rhizosolenia eriensis. var. clathratum. Fig. 5. Rhizosolenia stagnalis, n. sp. hatte eintrocknen lassen, dass von den Fortsätzen der Randzellen dieser Pediastren äußerst zarte Borstenbüschel ausgingen, die etwa von gleicher Länge wie die Zelle selbst waren. Ich zählte 5 bis 6 starre Fäden in jedem solehen Büschel. Da, wo sich diese Gebilde an den Zellfortsatz angliedern, befindet sich eine knöpfchenartige Verdickung der Zellhaut, die bei den Formen clathratum und rebticulatem sehr deutlich wahrnehmbar ist, bei Ped. duplex aber (Fig. I) erst bei stärkerer Vergrößerung her- vortritt. An frischen Präparaten, wo die Borstenbüschel von Wasser be- netzt sind, ist deren Vorhandensein überhaupt nicht zu erkennen. Ich habe O, Zacharias, Ueber einige interessanteFunde im Plankton sächs. Fischteiche. 717 Planktonproben, in denen die in Rede stehenden Pediastren enthalten waren, zu färben versucht und hierzu Fuchsin, Eosin, Safranin etc. ver- wendet, aber ohne jeden Erfolg. Einigermaßen gelang noch die Färbung von Trockenpräparaten mit Methylenblau. In solchen erschienen dann bei der mikroskopischen Besichtigung an manchen Cönobien -— aber keines- wegs an allen —- die Borsten blassbläulich tingiert. Ich bin wegen der Unmöglichkeit einer scharfen Darstellung jener Gebilde (dureh die Be- handlung mit Anilinfarben) schließlich dach wieder zu den aufgetrockneten Präparaten, welche die Büschel am deutlichsten zeigen, Een korkohre Solche Präparate habe ich auch meinen algologischen Mitarbeitern, den Herren Bruno Schröder (Breslau) und Ernst Lemmermann (Bremen) übersandt, damit dieselben sich von der faktischen Existenz der oben geschilderten Borstenbüschel autoptisch überzeugten. Hier, in der biologischen Station, demonstrierte ich die Pediastren von Baselitz persön- lich dem Professor der Botanik G. A. Nadson von der Petersburger Uni- versität, sodass nun mehrere Beobachter jene merkwürdigen, pinselartigen Anhängsel mit eignen Augen gesehen haben. Offenbar ist auch schon der Züricher Botaniker Prof. ©. Schröter auf dem Wege gewesen, diese eigentümlichen Schwebapparate — denn für solche halte ich sie — zu entdecken. Dieser Forscher bildet nämlich in seiner bekannten Abhandlung über das Phytoplankton !) (siehe Fig. 86 daselbst) ein Coenobium von Pediast. duplex, var. elathratum ab, dessen Randzellen, resp. deren Fortsätze, ebenfalls mit borstenähnlichen Bildunden ausgestattet sind. Aber Schröter zeichnet keine Büschel, sondern nur dünne, stachelartige Ausläufer, von denen stets nur ein einziger auf jedem der beiden Fortsätze einer Randzelle steht. Eine nähere Beschreibung dieser Anhängsel giebt der schweizerische Planktolog in seiner Abhand- lung nicht. Nach meinen Wahrnehmungen an zahlreichen Cönobien sind die Borstenbüschel 15--20 uw lang und schon bei kleinen Pediastrum- Scheiben von nur 70 u Durchmesser anzutreffen. Ob das Vorkommen dieser Schwebapparate auf eine bestimmte Jahreszeit oder vielleicht auch nur auf die Pediastren gewisser Lokalitäten beschränkt ist, vermag ich erst nach Anstellung vergleichender Untersuchungen zu sagen. Aus dem Großteiche von Baselitz fischte ich auch Rhixosolenia eriensis H. Sm., welche bisher nur aus einigen nordamerikanischen Seen, sowie aus dem Comer- und Genfer-See bekannt war. B. Schröder hat fast gleichzeitig dieselbe planktonische Bacillariacee in einem ober- schlesischen Teich aufgefunden ?). In F7g. 4 ist der Habitus dieses eigen- tümlichen Mitglieds der planktonischen Süßwasserflora voranschaulicht. An 4 nen die ich der Messung unterzog, konstatierte ich folgende Verhältnisse: | Länge der Frustel. Breite derselben. Borstenlänge. R. 56 u Il;u 31T u 2: 68 u I u 30 u 3 41 u 7,5 u 37 u 4, 40 u 6 u 26 u 1) ©. Sehröter: Die Schwebflora unserer Seen (das Phytoplankton) Zürich 1896. 2) B. Sehröder: Planktologische Mitteilungen. Biol. Centralblatt Nr. 14, SV. B. 1898, .S, 529. 718 Zschokke, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. Außerdem aber fand ich im Großteiche von Deutschbaselitz noch eine zweite Rhrxosolenia auf, von der ich in Fig. 5 eine Skizze geliefert habe. Die Frustel derselben ist leicht gekrümmt und 100 bis 120 u lang bei einer Breite von 7 bis 8 u. Die Borstenlänge ist hier wenig variabel und beträgt fast bei allen Exemplaren 40 u. Die Panzerfelderung tritt an aufgetrockneten Individuen sehr deutlich hervor und ist bei weitem auffälliger als bei Rrhixosolenia longtseta. Ich nenne diese neue Species, weil sie mir zuerst aus einem Fischteiche bekannt geworden ist, Rhixo- solenia stagnalıs. Die früher eingehend von mir!) und Br. Schröder?) beschriebene Rhixosolenia longtseta fischte ich auf der Rückreise von Kamenz massen- haft aus dem Schloßteiche zu Pulsnitz, wo das Plankton fast aus- schließlich aus ihr und Astervonella gracillima bestand (Juli 1898). — Ueber die sonstigen Ergebnisse meiner sächsischen Forschungstour werde ich im 7. Hefte der „Forschungsberichte aus der Biolog. Station zu Plön“, welches im April des nächsten Jahres erscheint, ausführlich Bericht erstatten. 1108] Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. Teil 6. Abteilung I. 219 S. 2 Taf., Figuren und Karte im Text. Stuttgart, Erwin Nägele, 1898. In den diesjährigen Forschungsberichten aus Plön erbringt Zacharias in längerer Arbeit und gestützt auf die Untersuchung zahlreicher Gewässer den Nachweis, dass auch kleine und kleinste, natürliche oder künstliche Wasseransammlungen von geringer Tiefe, Teiche und 'Tümpel, ihre frei- schwimmende Organismenwelt beherbergen. Die Listen über dieses „Heleo- plankton“ zählen bereits mehr als hundert Pflanzen- und 'lierformen, trotzdem die Beobachtungen sich einstweilen nur auf die Sommermonate erstreckten. Im Teichplankton kehren fast alle eulimnetischen Bewohner großer Wasserbecken wieder; sie finden im flachen 'Tümpel dieselben Lebens- bedingungen, die ihnen am seichten Ufer der Seen zur Verfügung stehen. Sogar Leptodora hyalina, Heterocope saliens, Hyalodaphnia kahl- bergensis und Eurytemora lacustris gehören den Tümpeln an, während allerdings Dythotrephes longimanus, Glenodinium acutum und Stauro- phrya elegans noch nicht gefunden wurden. Seinen charakteristischen Stempel aber erhält das Heleoplankton durch das massenhafte Auftreten gewisser Protococcaceen und Desmidiaceen, durch das starke Ueberwiegen zahlreicher Rotatorien und durch die Gegenwart von Ceriodaphnien, speziell ©. pulchella. Von den Rädertierchen fehlt kaum eine eulimnetische Form. Durch Zahl von Arten und Individuen stellt sich das Genus Dbrachtonus in den Vordergrund. Es liefert ein reiches Material zum Studium der Varietätenbildung. Aeußerst typisch für das Heleoplankton sind Schrxo- cerca dicorsticornis und Pedalion mirum. Beachtung verdient die Angabe, dass Kprstylis lacustris immer nur freischwimmend, nie aber auf Copepoden fixiert angetroffen wurde. Die Form scheint im Begriff zu sein, die sessile Lebensweise aufzugeben. 1) Plöner Forschungsberichte. 6. Heft. II. Abt. 1898. $. 135. 2) B. Schröder: Atheya, Rhizosolenia u. andere Planktonorganismen. Ber. deutsch. Botan. Gesellsch. XV. B. 1897. Zschokke, Forschungsberichte aus der biologischen Station zu Plön. 719 Unter dem Titel „Potamoplankton“ fasst Zacharias die Plankton- bevölkerung langsam fließender Gewässer zusammen. Beobachtungen an zahlreichen deutschen Flüssen erlaubten ihm vorläufig festzustellen, dass das Potamoplankton nach seiner Zusammensetzung lebhaft an die pelagische Lebewelt der Teiche und Seen erinnert. Eine Hauptrolle spielen in ihm die Bacillariaceen. Stille Buchten und stagnierende Stromstrecken dürften als Vermehrungsherde des pflanzlichen und tierischen Flussplanktons gelten. Ref. hat vor einigen Jahren eine Darstellung der Fauna des Lac des Brenets, eines langsam fließenden Abschnitts des Doubs gegeben und da- mit einen Beitrag zur Kenntnis des Potamoplanktons geliefert. (Revue suisse de Zoologie, T. II, 1894.) Den Schluss der Arbeit bilden Beschreibungen neuer Arten und ergänzende Bemerkungen zu schon bekannten Formen. E. Lemmermann untersucht die Flora und Fauna des Großen waterneverstofer Binnensees, eines von der Ostsee abgedämmten Wasser- beckens von vier Meter Maximaltiefe, dessen Salzgehalt fortwährend ge- ringer wird. Nach einer Schilderung der den See bewohnenden und um- gebenden Pflanzenwelt bespricht Verf. das Plankton, wie es in den ersten Tagen des Monats August gesammelt wurde. Das Gewässer kann unter die Rubrik der Chroococcaceenseen gebracht werden, nimmt aber immerhin eine gewisse Sonderstellung innerhalb der genannten Gruppe ein. Es fehlen ihm viele Organismen, die in solchen Seen im Monat August sonst auftreten. Dagegen stellen sich zahlreiche Vertreter der Gattung Brachto- nus ein, die anderen Chroococcaceengewässern fremd ist. Typisch waren damals außerdem Triarthra longiseta, Asplanchna priodonta, Campylo- discus elypeus, Suriraya striata, Chaetoceras muelleri und Aphani- xomenon flos-aquae. Morphologisch und biologisch lässt sich der Nach- weis erbringen, dass Drachionus, ebensogut wie Chydorus unter den Cladoceren, gleichzeitig dem Plankton und der Littoralfauna angehört. In der Verteilung der Planktonorganismen zeigten sich für den unter- suchten Binnensee, zahlreiche, wohl durch Wechsel von Tiefe und Salz- gehalt bedingte Unregelmäßigkeiten. Ein Ueberblick über die Fauna und eine Aufzählung der gefundenen Algen, mit Beschreibung der neuen Arten und Varietäten, schließt die Arbeit ab. Mehr faunistischen Inhalts ist die Abhandlung M. Hartwig’s über die Verbreitung der niederen Urustaceen in der Provinz Brandenburg. Sie zählt 35 Ostracoden, 43 Copepoden und 109 Oladoceren auf. Interesse bietet die Entomostrakenfauna des sumpfigen und pflanzenreichen Krem- mener Sees. CUytehridea lacustrrs, die sonst größere Tiefen bevorzugt, lebt dort auf seichtem Grund. Der Kremmener See beherbergt, nach H.’s Angaben, 65 Formen niederer Krebse, der Müggelsee 72, während eine Nachlese im Schwielen- see die Gesamtzahl der bekannten Entomostraken auf 69 brachte. Unter anderen, gewöhnlich als „selten“ angesehenen Ürustaceen fand sich auch Anchrstropus emarginatus ©. F. M. Systematische Bemerkungen, be- sonders über das Genus Dosmina, sind in die faunistische Aufzählung eingestreut. H. Brocekmeier macht darauf aufmerksam, dass Limnaea trunca- fula vorzugsweise Lokalitäten bewohnt, welche ungünstige äußere Lebens- bedingungen bieten und verzeichnet diesbezügliche Beobachtungen. Die 720 Dubois, Legons de physiologie g@nerale et compar6e. Schnecke steht unter dem Einfluss von extremen "Temperaturen, Trocken- heit, Nahrungsmangel u. s. w., so dass der Gedanke nahe liegt, die Art sei eine unter dem Drucke ungünstiger Verhältnisse entstandene „Hunger- form“ der Limnaea palustris. Diese Ansicht erhält eine weitere Stütze durch den Umstand, dass L. truncatula an Standorten, welche günstige Bedingungen bieten, nicht, oder nur in vereinzelten, zugeschwemmten Individuen vorkommt, und besonders überall da fehlt, wo sich Z. palustris typisch entwickelt. Eine kurze Notiz Brockmeier’s zeigt, dass Süß- wasserschnecken im stande sind, mit Hilfe ihrer Kriechsohle freischwim- mende Infusorien, die sich in der obersten Wasserschicht aufhalten, zu erbeuten. Ueber die Beeinflussung der Fische durch Algen aus den Gruppen der Volvoceen und ÜUyanophyceen, welche durch ihr massenhaftes Auf- treten die „Wasserblüte“ veranlassen, spricht sich S. Strodtmann aus. Während eine direkte, schädliche Einwirkung auf den Organismus der Fische kaum eintritt, lässt sich die Möglichkeit einer indirekten Schä- digung nicht bestreiten. In der dicken Schicht von Oyanophyceen, welche sich während längerer Windstille an der Oberfläche stehender Gewässer anhäuft, stellt sich bald eine durch die in der Algengallerte enthaltenen Bakterien unterstützte Zersetzung ein. In flachen Becken kann dies für die Fische verhängnisvoll werden. Der durch den Fäulnisprozess verbrauchte Sauerstoff der oberen Wasserschichten kann durch Zufuhr aus der Luft nur ungeügend ersetzt werden. Tiefere, kältere, an Sauerstoff reichere Schichten fehlen. So droht den Fischen Erstickungstot. Zudem bringst die Fäulnis Gase hervor — Ammoniak, Schwefelwasserstoff —, welche auch in kleinen Mengen auf Fische verderblich wirken. In einer kurzen Liste stellt endlich J. Gerhardt die Käferfauna der Gewässer von Plön zusammen. Er nennt, als bemerkenswerte Vor- kommnisse, Phytobius velatus und Laccobius guttatus. Der sechste Band der Plöner Forschungsberichte schließt mit einem übersichtlichen Ausweis über Benützung und Besuch der Station in den Jahren 1892-—1897 ab. 193] F. Zschokke (Basel). Raphael Dubois, Lecons de physiologie generale et comparee. 1. Phenomenes de la vie communs aux animaux et aux vegetaux. — 2. Biophotog6önese ou production de la lumiere par les Etres vivants. 8. XII und 534 Stn. 221 Fig. und 2 Tafeln. Paris, Georges Carr& et C. Naud. In diesem ersten Band seiner Vorlesungen über Physiologie giebt der Herr Vf. (Professor an der Universität Lyon), vielfach auf Grund eigener Unter- suchungen, eine Darstellung von Gegenständen der allgemeinen Physiologie, die von der üblichen nicht unerheblich abweicht. Herr D. betrachtet die lebenden Wesen als Umformer (Transformatoren) von Energie, welche sie nach ihm aus zwei Quellen schöpfen: ererbte Energie und aus den umgebenden Medien aufgenommene Energie Diese Energieen werden wieder zum Teil auf die Nachkommenschaft übertragen, zum Teil an die Umgebung abgegeben unter verschiedenen Formen, als da sind: Licht, chemische Strahlung, Elektrizität Schall, Bewegung. Von diesen letzteren behandelt er in der zweiten Ab- handlung des vorliegenden Bandes die Lichterscheinungen bei Tieren und Pflanzen eingehend. Wenn auch das Ganze unter der verfehlten, nur scheinbaren Verwertung des Gesetzes der Erhaltung der Energie leidet, wird der Leser doch durch die Mit- teilung vieler interessanter Einzelheiten und guter ee entschädigt. r. Verlag von Arthur Georgi in Be -— Druck der k. bayer, Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 15. Oktober 1898. Nr. 20. Inhalt: Professor Dr. Theodor Eimer. — Hansen, Die Energidenlehre von Sachs, — Nusbaum u. Schreiber, Beiträge zur Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. — Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. — Steiner, Die Funktionen des Centralnervensystems und ihre Phylo- genese. — Reibmayr, Inzucht und Vermischung beim Menschen. — Gaupp, Herbert Spencer. — Bokorny, Lehrbuch der Pflanzenphysiologie. Professor Dr. Theodor Eimer. Wenige Monate sind verflossen, dass in Leipzig mit Rudolf Leuckart der Altmeister der Deutschen Zoologen aus dem Leben geschieden ist und wieder beklagen wir den Tod eines Gelehrten, der wie Leuckart eine Zierde der deutschen Hochschule war, und dessen Ableben für die Wissenschaft einen neuen unersetzlichen Verlust bedeutet. Am Pfingstsonntag den 29. Mai starb zu Tübingen der Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie Dr. G. H. Theodor Eimer. Nicht der Last der Jahre wie Leuckart, sondern einem schweren grausamen Geschick ist Eimer im kräftigsten Mannesalter zum Opfer ge- fallen. Auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn wurde er von dem tod- bringenden Leiden ergriffen, das seiner erfolgreichen Thätigkeit als Forscher und Lehrer ein jähes Ende bereiten sollte. Mit heroischem Mut ist Eimer dem unvermeidlichen Verhängnis entgegen gegangen und war bis zuletzt ein Beispiel seltenster Pflichttreue und edler Selbstlosigkeit. Theodor Eimer ist am 22. Februar 1843 zu Stäfa im Canton Zürich geboren als Sohn des badischen Bezirksarztes Dr. med. Eimer und seiner Gemahlin Albertine Pfenninger, einer Schweizerin von Geburt. Seine ersten Kinderjahre verbrachte Eimer in Freiburg im Breisgau und wurde dort durch Privatunterricht auf den Eintritt in das Gymnasium vorbe- reitet, der in seinem zwölften Jahre in Bruchsal erfolgte. Vom Jahre 1857 bis zur Maturitätsprüfung finden wir Eimer wieder in Freiburg, hierauf in Tübingen als Studierenden der Medizin. Wenn ihn schon, wie er selbst sagte, die Erziehung des Vaters, eines natur- wissenschaftlich tüchtig geschulten Mannes, Freude an der Natur gewinnen lehrte, so war es in Tübingen der vortreffliche zoologische Unterricht ' eines Leydig, der geeignet war, seine Neigung andauernd der natur- wissenschaftlichen Forschung zuzuwenden. XVII. 46 129 Professor Dr. Theodor Eimer. Vom Herbst 1863—1864 setzte Theodor Eimer seine Studien in Frei- burg, im Winter 1864/65 in Heidelberg fort und brachte dieselben im gleichen Jahr durch das naturwissenschaftliche Examen in Karlsruhe vor- läufig zum Abschluss. Im Wintersemester 1865/66 finden wir Eimer wieder in Tübingen, vom Sommer 1866—68 in Berlin, wo er vor allem dem Studium der praktischen Fächer der Medizin oblag. In Berlin war be- sonders Virchow, in dessen Laboratorium er arbeitete, von entscheidendem Einfluss auf seine spätere Laufbahn. Im Jahre 1867 promovierte Eimer dortselbst in Medizin und Chirurgie und beschloss ein Jahr später seine medizinischen Studien durch das Staatsexamen in Karlsruhe. Nun stand ihm nichts mehr im Wege, seine ganze Zeit der naturwissenschaftlichen Forschung zu widmen. Die Erkenntnis der Stellung des Menschen in der Natur zu fördern, schien ihm eine begehrenswerte Lebensaufgabe. Durch Darwin’s Buch von der Entstehung der Arten, welches er gleich nach seinem Erscheinen kennen gelernt und bewundert hatte, gewann, wie er selbst schreibt, seine Neigung neue Nahrung und er glaubte sein Ziel am besten erreichen zu können, wenn er sich speziellen anthropologischen Studien zuwandte. Virchow empfahl ihm indessen, den Beruf des Zoologen zu erwählen, und Eimer folgte dem Rat des wohlwollenden Lehrers. Er verbrachte nahezu ein ganzes Jahr in dem Laboratorium von Weismann in Freiburg und empfing daselbst vielfache Anregung. Seine Neigung zu anthropologischen Studien führte ihn während dieser Zeit nach Paris, er kehrte indessen wenig befriedigt von dem geringen Entgegenkommen, das dem deutschen Gelehrten damals in der französischen Residenz zu teil wurde, schon nach dreimonatlichem Aufenthalt zu Weismann zurück. Im Jahre 1869 wurde Eimer Prosektor der Zootomie bei Kölliker in Würzburg. Er promovierte daselbst zum Zweck der Habilitation, welche am 19. Juli 1870 stattfand, einen Tag nachdem er sich mit Anna Lutte- roth, einer jungen Hamburgerin, verheiratet hatte. Noch am gleichen Tag erfolgte seine Abreise nach dem Kriegsschau- platz, da Eimer als freiwilliger Feldarzt im VI. Badischen Linieninfanterie- regiment am deutschfranzösischen Krieg teilnehmen wollte. Ebenso wie seine junge Gemahlin, welche als freiwillige Krankenpflegerin dem Vater- land ihre Dienste weihte, machte er bis zum Dezember die Strapazen des Feldzuges mit. Es fehlte ihm hier nicht an Gelegenheit, Mut und Be- sonnenheit an den Tag zu legen und sein thatkräftiges Auftreten wurde denn auch durch die Verleihung des Ritterkreuzes des Zähringer Löwen- ordens mit Schwertern ausgezeichnet. Eimers Konstitution war indessen den übermäßigen Anstrengungen nicht gewachsen, er erkrankte und begab sich im Frühjahr 1871 nach Italien, um dort völlige Erholung zu suchen. In Capri benützte er die günstige Gelegenheit, um sich dem Studium niederer Seetiere zuzuwenden, und die Untersuchungen, welche er hier begonnen hatte, führten ihn auch in den folgenden Jahren 1872, 76, 77 und 79 nach Italien. In die Jahre 1872—73 fallen seine ersten Beob- achtungen über das Variieren der Mauereidechse, der Anfang einer Arbeit, welche für seine ganze spätere wissenschaftliche Richtung entscheidend wurde, denn er kam hier zu der Ueberzeugung, dass die Tiere nicht regel- los nach allen Richtungen abändern, wie es der Darwinismus annimmt, sondern, dass sie in ihrer Formgestaltung wenige bestimmte Bahnen ein- schlagen, dass sie sich streng gesetzmäßig umbilden, Professor Dr. Theodor Eimer. 123 Die Funktionen als Privatdozent für Zoologie in Würzburg hatte Eimer erst im Herbst 1871 angetreten, aber schon drei Jahre später brach er seine T'hätigkeit an der Würzbürger Universität ab, um einem Ruf als Inspektor am Großherzoglichen Natruralienkabinet in Darmstadt und als Professor für Zoologie an der dortigen polytechnischen Hochschule Folge zu leisten. Ein fast gleichzeitig an ihn ergangener Ruf als Prosektor und a. o. Professor der Anatomie nach Breslau wurde von ihm abgelehnt, weil er befürchten musste, dadurch zu sehr von seinen bevorzugten Studien abgezogen zu werden. In Darmstadt blieb Eimer nur zwei Jahre. 1875 erfolgte bereits seine Berufung nach Tübingen als Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie. Als würdiger Nachfolger seines von ihm selbst hochverehrten Lehrers Leydig hat er nahezu ein viertel Jahr- hundert an unserer Hochschule gewirkt; mit welchem Erfolg, zeigen die zahlreichen Arbeiten, die in seinem Laboratorium gemacht worden sind, zeigt die lange Reihe von Namen, deren Träger in diesem Zeitraum zu seinen Füßen gesessen haben, die alle ein offenes Auge nicht zum kleinsten Teil ihrem geistreichen Lehrer, einen weiteren Gesichtskreis nicht zum wenigsten dem über alles Kleinliche erhabenen Mann zu verdanken haben. Ein Ruf als Direktor des Naturhistorischen Museums nach Hamburg, der im Winter 1888—89 an Eimer ergangen ist, wurde von ihm abgelehnt. Seine Tübinger Lehrthätigkeit hat Eimer nur einmal auf ein Semester unterbrochen, es war dies im Winter 1878/79, wo er begleitet von seiner Gemahlin eine längere Reise nach Aegypten unternahm, die ihm neben einer Fülle wissenschaftlichen Materials neue Anregung für seine eigenen Arbeiten und für seine Vorlesungen gab. Eimer hatte überhaupt die Gabe, auf jeder, wenn auch noch so kleinen Reise seinen Gesichtskreis durch interessante Beobachtungen zu erweitern, denn sein feiner Natursinn und sein scharfes, offenes Forscherauge ließen ihm der Natur Geheim- nisse ablauschen, wo hundert andere achtlos vorüber gingen. Es war ihm aber nicht nur das Talent zu teil geworden, scharf zu beobachten, er ver- stand es auch, das Gesehene richtig zu deuten und mit den großen Fragen, die schon den jungen Forscher erfüllt hatten, in Beziehung zu bringen. Niemals hat Eimer die auf Grund seiner seltenen Begabung gewonnene Erkenntnis neidisch für sich behalten, es war ihm im Gegenteil Bedürfnis, auch andere an dem, was ihn bewegte, teil nehmen zu lassen und es be- reitete ihm die größte Freude, wenn seine Schüler bestrebt waren, in seinen Ideenkreis einzudringen. In Eimer war der Forscher und Lehrer mit dem Menschen zu einem kraftvollen harmonischen Ganzen verbunden und deshalb ist es auch zu verstehen, dass er auf seine Schüler einen geradezu fascinierenden Eindruck machte, Sein Vortrag war einfach, aber klar, lebhaft und wenn es sich darum handelte, körperliche Vorstellungen hervorzurufen, geradezu plastisch zu nennen. Er verstand es mit einem Wort, mit einer Geberde mehr zu sagen, als andere mit einer Reihe wohl- stilisierter Sätze. Dies Vermögen aber, den Vortrag fassbar und packend zu gestalten, war nur der Ausfluss eines logisch denkenden Verstandes, der seinen Stoff vollkommen beherrschte, der das Wesentliche vom Un- wesentlichen zu trennen wusste und dem sich das Einzelne als Glied in der großen Kette von Erscheinungen darstellte, die ihrerseits alle erst dadurch ihren Wert erhielten, dass sie in Beziehung zum Ganzen, zu den großen Fragen der Wissenschaft standen. Es ist ein Glück für die 46* 724 Professor Dr. Theodor Eimer. studierende Jugend, wenn ein Mann, der in einem solchen Grade seltene Fähigkeiten besitzt, auch mit Leib und Seele Lehrer ist, wie es Eimer war, der im Verkehr mit seinen Schülern seine vollste Befriedigung fand. Der Eifer und das Interesse, welches ihm im Hörsaal und Laboratorium entgegengebracht wurde, wahr ihm der schönste Dank und ließ ihn manche Enttäuschung vergessen, die er wohl in seinem Beruf von anderer Seite erfahren musste. Strebsamkeit und Fleiss fanden in dem rastlosen Forscher stets einen thatkräftigen Beschützer, seine Vorlesung und sein Laboratorium war keinem Alter und Geschlecht verschlossen, denn es galt ihm als eine Forderung der Billigkeit, jedem die gewünschte Gelegenheit zu geben, seine Kräfte zu erproben und dies gute Recht eines jeden Menschen nicht dem alten Zopf lederner Prinzipien zu opfern. Auch im Privatleben wusste sich der Verstorbene durch sein wohl- wollendes Wesen und seinen zuverlässigen Charakter leicht Freunde zu erwerben, und wer das Glück hatte, einen näheren Einblick in den Menschen Eimer zu thun, der konnte ihm nur unbegrenzte Verehrung entgegen- bringen. Eimer war aber auch eine durchaus gerade, wahrhaftige Natur; er verachtete es, seine wirkliche Ueberzeugung durch angenehme Worte zu verhüllen, er war eine Natur, die dann und wann auch in ehrlicher Ent- rüstung aufbrausen konnte, und deshalb hatte er auch manchen geheimen und offenen Feind. Besonders war es seine politische Thätigkeit, durch die sich Eimer, der auch hier stets der großdenkende Mann geblieben ist, manchen Gegner zugezogen hat. Durch seine Forschung hat Eimer eine ganz neue Richtung in der Zoologie angebahnt. Ich habe schon früher erwähnt, dass ihm seine Studien über das Varileren der Mauereidechse zu der Ueberzeugung ge- führt haben, dass das Abändern der Tiere, die Bildung neuer Arten nicht vom Zufall abhängig sei, wie der Darwinianer annimmt, sondern dass überall bei der Entstehung von Varietäten und Arten strenge Gesetzmäßig- keit walte. In erster Linie konnte Eimer für die Zeichnung der Tiere eine solche Gesetzmäßigkeit des Abänderns beweisen, aber die Untersuchung ergab, dass sich auch die übrigen morphologischen Eigenschaften der Organismen nur in bestimmter Richtung umbilden. Die Regeln, nach welchen diese Umbildung geschieht und seine Anschauungen über die Ur- sachen des gesetzmäßigen Abänderns der Lebewelt hat Eimer in mehreren epochemachenden Werken niedergelegt, von denen die beiden letzten schon früher hier eingehend besprochen worden sind. Es würde zu weit führen, wenn ich nochmals auf den Inhalt dieser bis ins Einzelne meisterhaft durchgearbeiteten Werke eingehen wollte, es sei nur so viel gesagt, dass er darin jedem, der sich der Mühe unterziehen will, ihn wirklich zu lesen, den klarsten Beweis dafür giebt, dass für die gesamte Entwicklung der Organismen im Werden wie im Vergehen, beim Individuum wie bei der Art gleiche Gesetze gelten, welche sich ganz un- abhängig von der Darwinschen Nützlichkeitstheorie offenbaren und die Einheit der organischen Welt bedingen. Ueber das Problem von der Stellung des Menschen in der Natur, von dem Eimer als junger Forscher einst ausgegangen ist, spricht er sich in einer Rede „Ueber den Begriff des tierischen Individuums“ dahin aus: „Fragt man den denkenden Menschen, vor dessen Blick die Unendlichkeit: der Welten sich aufthut, fragt man den Naturforscher über die. Grenzen der ihm erreichbaren Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 725 Natur hinaus nach unserer Stellung und Bedeutung im Weltganzen, so wird er des Infusoriums gedenken, dessen Horizont begrenzt ist durch den Tropfen Wasser, der es birgt.“ Die Stellung des Forschers hingegen kennzeichnet Eimer mit den trefflichen Worten: „Unsere Pflicht ist Ar- beit, unser Recht freie Forschung — unsere Genugthuung Feststellen eines Körnehens Wahrheit zum Wohle der Menschen — unsere Hoffnung Er- kenntnis.“ Mit diesen Worten ist aber auch das ganze Streben des groß- denkenden Mannes gekennzeichnet, des Forschers, den selbst sein eigenes Leiden aufs neue zu der Behandlung ungelöster wissenschaftlicher Fragen anregte, des Lehrers, dessen letzter schriftlicher Gruß seinen Schülern galt, des Menschen, der auch auf dem Sterbebette nicht Zeit hatte, müde zu sein. M. v. L. Die Energidenlehre von Sachs. Von A. Hansen. Durch das gesonderte nochmalige Erscheinen von Sachs’ „Physio- logischen Notizen“, welche er in seinen letzten Lebensjahren in der Flora veröffentlichte, ist die Aufmerksamkeit noch einmal auf diese viel Anregendes bietenden Aeußerungen des hervorragenden Forschers gelenkt worden. Die Energidenlehre, welche in zweien der genannten Abhandlungen vorgetragen ist, wurde in jüngster Zeit sowohl von botanischer als zootomischer Seite ins Auge gefasst!) in der Hoffnung, nach dieser oder jener Seite damit einen Ausblick zu gewinnen. Bei der Bedeutung, welche der Autor offenbar seinen Erörterungen bei- legt, ist es wohl angezeigt die Dinge auf ihren Wert zu prüfen. Es könnte zunächst so aussehen, als ob es sich in der „Energide“ bloß um eine neue Nomenklatur des Zelleninhaltes handle, um sich klarer als bisher ausdrücken zu können. Zwei Definitionen werden gegeben: 1. Energide ist jeder von einem Zellkern beherrschte Protoplasmakörper, 2. Zelle ist die von einer oder mehreren Ener- giden bewohnte Zellstoffkammer. Man kann es vorerst allerdings diesen Erläuterungen nicht ansehen, dass es sich um die Gewinnung neuer Gesichtspunkte und nicht bloß um neue Benennungen handeln soll. Bei näherem Zusehen ergiebt sich aber sogleich, dass die Ener- gide nicht dasselbe ist, wie die Zelle im heutigen Sinne, sie ist viel- mehr eine Hypothese über die Zelle. Diese Hypothese lässt sich im Sinne von Sachs am besten so erläutern, dass man sagt: Die Ein- kernigkeit des Zellkörpers ist ein fundamentales Gesetz. Es giebt nur einkernige Zellkörper (Energiden) und die mehr- oder vielkernigen Zellen sind als Vereinigung von Energiden aufzufassen. Es erscheint mir nicht ohne Interesse mitzuteilen, dass schon 4) Goebel, Organographie der Pflanzen. Jena 1898. Kölliker, Die Energiden von Sachs im Lichte der Gewebelehre der Tiere. Würzburg 1897. Hansen, Zur Geschichte und Kritik des Zellenbegriffs. Giessen 1897. 126 Hansen, Die Energidenlehre von Sachs». Hanstein diese Energidenlehre erörtert, ohne jedoch ein Prinzip daraus zu machen. In seiner Schrift über das Protoplasma!) heißt es: „Wenn sich nun Zellen, die erst getrennt lebten, bald mehr, bald weniger vollkommen zu Zellenleibern höherer Ordnung vereinigen können, die dann ebenso, bald mehr, bald weniger scharf personi- fizierte Individualitäten vorstellen, so wird leicht einzusehen sein, wie auch die Teilung einer älteren Einzelzelle in deren zwei oder mehrere neue nicht immer gleich vollkommen durchgeführt zu werden braucht. Solcher kaum oder unvollkommen getrennter Zellenleiber können dann mehrere, selbst sehr viele in einer mütterlichen Zellhaut nebeneinander wohnen bleiben. Von diesen bis zur Vielkernigkeit einer einzigen großen, noch scheinbar wohl individualisierten Zelle kann es alle Uebergangsstufen geben. Denken wir uns, dass von den vielen Kernen, die z. B. über die Fläche des Primordialschlauches vieler Schlauch- Conferven (Vaucheria und Verwandter) regelmäßig verteilt sind, ein jeder sein Gebiet des Zellenleibes mit Haut und Inhalt für sich be- herrscht oder doch irgendwie beeinflusst, so ist dies der erste Schritt zur Umwandlung des Individuums zur Genossenschaft. So kann sich denn Jeder leicht denken, wie Schritt für Sehritt die Vervoll- kommnung der Individualität einerseits, andererseits der Verwischung derselben bis zum Erkennen fortschreitet.“ Bis auf das Wort Energide ist der Gedankengang Hanstein’s ganz genau derselbe, wie derjenige von Sachs. Sachs legt nur auf die ganze Ansicht ein größeres Gewicht, indem er glaubt, durch die Einführung des Begriffes der Energide „eine solche Klarheit über die fundamentalen Fragen der Biologie“ erlangen zu können, wie sie bis- her nicht bestand. Insofern kommt auch nicht viel darauf an, ob Sachs Darlegungen durch Hanstein angeregt sind oder nicht, was sich nicht erkennen lässt. Das letztere liegt schon an der Form der Abhandlung, die mehr den Charakter eines Vortrags als einer Untersuchung trägt, wodurch ältere und neue Gedanken verbunden und vermischt werden. Das ist aber auch der Punkt, durch den es beim bloßen Durchlesen der Schrift schwer wird zu erkennen, ob ein bedeutender, neuer Standpunkt in der Energidenlehre gewonnen ist. Mir scheint es daher besonders wichtig, festzustellen, was wirklich neu ist und was nur dem neuen Begriffe von bekannten Thatsachen angepasst ist. Man kommt sonst leicht dazu, zu meinen, dass aus dem Energidenbegriffe Thatsachen folgern, die ihm nur zugeschrieben werden, was auch der Autor nicht vermeidet. Das Hervorheben des Zelleninhaltes gegenüber der Membran, als des Lebendigen, durch die Worte „Energide“ und „Zelle“ ist an sich 1) Hanstein, Das Protoplasma. Heidelberg 1887, p. 213 u. 214. Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 127 nichts Neues. Von den älteren Untersuchungen ganz abgesehen, hat namentlich Strasburger bei allen seinen Beobachtungen über die Zellgestaltung dasselbe, was Sachs Energide nennt, als das Leben- dige und Wirkende der Zelle in unzweideutiger Weise bezeichnet!). Besonders in der unten genannten Schrift p. 13 ist so ziemlich wört- lich alles schon gesagt, was Sachs als erste Eigenschaft seiner Ener- gide aufführt. Die Untersuchungen Pfeffer’s haben sich auf das eingehendste damit befasst, die Ansicht über den Kraftträger der Zelle experimentell immer mehr zu begründen und man kann wohl diese Vorstellung als so sicher und allgemein angenommen bezeichnen, dass es Wunder nimmt, diesen Punkt in einer Abhandlung nochmals mit solcher Eindringlichkeit hervorgehoben zu sehen. Neu ist im Grunde nur das Wort Energide und deren scharfe Definition als Protoplasmakörper mit einem Zellkern. Günstig für die Energidenlehre erscheint es ja auf den ersten Blick, dass thatsächlich die meisten Zellen einkernig sind, also die Form der Energide be- sitzen. Es ist das aber leicht verständlich, weil wohl aus der ein- kernigen Zelle die Vorstellung von der Energide abgeleitet wurde. Aber da die Energidenlehre diese Thatsache als Notwendigkeit hinstellt, ohne einen Einblick in diese Notwendigkeit durch einen Be- weis, durch eine Begründung zu verschaffen, so erscheint sie endlich doch nur als ein dogmatischer Satz und zwar vorerst als ein bloß morphologisches Dogma. Das tritt besonders hervor bei der Ueber- tragung der Energidenlehre auf die mehrkernigen Zellen, wo die Be- obachtung nicht mehr die Ansicht bestätigt. In den vielkernigen Zellen sammelt sich nicht mehr eine begrenzte Protoplasmamasse um einen Kern. Die Energidenlehre erscheint hier in ihrem wahren Lichte, d. h. als Hypothese. Man kann nun aber durchaus nicht sagen, dass aus der Energiden- definition ein größeres Verständnis der gewöhnlichen Zelle folge, man kann noch viel weniger sagen, dass die vielkernigen Zellen, z.B. der Siphoneen, in Gestalt oder Lebenserscheinungen durch die Energiden- lehre verständlicher würden. Bei den Siphoneen möchte man im Gegenteil nun erst fragen, warum bringen es denn diese Pflanzen nicht zu wirklicher Zellfächerung, da sie es doch bis zur Energidenteilung gebracht haben. Ich glaube nicht, dass es hier mit logischen Folge- rungen allein gethan ist. Trotz aller Logik des Sachs’schen Ge- dankenganges kann real die Vielkernigkeit der Siphoneen einen ganz andern Grund haben. Vor allen Dingen müssten für die Begründung der Energidenlehre, von Beobachtungen ganz abgesehen, phylogenetische Betrachtungen gefordert werden, die vielleicht mit logischen Ableitungen gar nicht übereinstimmen. 1) Vergl. unter anderem, Strasburger, Das Protoplasma und die Reiz- barkeit. Jena 1891 p. 13 und an andern Orten. 128 Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. Ob man berechtigt ist, was Goebel p. 18 seiner Organographie ausspricht, den vielkernigen Zellen eine höhere Organisationsstufe zu- zuschreiben, bloß weil sie bei der Fortpflanzung zum Teil, z. B. bei Botrydium, einkernigen Zellen zeitlich voraus sind, bedarf wohl noch weitgehender Ueberlegung. Eher möchte man ihnen wohl wegen ihrer merkwürdigen Gestaltungsfähigkeit den höheren Rang überlassen. Aber die bloße Zeitlichkeit scheint mir doch dafür nicht maßgebend zu sein. Zeitlich ist ein Schimmelpilz mit seinen Conidien einer Samenpflanze weit voraus, was ihn aber aus seiner niederen Position nicht empor- heben kann. Auch die Ansicht, dass eine vielkernige Zelle sich dauernd in einem Zustande befindet, den andere Pflanzen erst bei der Fortpflanzung zeigen, kann mich nicht von der höheren Stellung über- zeugen. Vielleicht ist das auch nur Schein, da das angeführte Moment bloß äußerlich ist. Außerdem sind diese Ansichten eigentlich keine Stützen der Energidenlehre. Die größere Vollkommenheit der viel- kernigen Zellen beweist nicht, dass sie Energiden enthalten. Zunächst scheint mir die Untersuchung nötig, ob die Energiden- lehre sonst noch neue Gesichtspunkte eröffnet. Die Darstellung in der Abhandlung spannt die Erwartung des Lesers eigentlich dauernd, aus dem Energidenbegriff Erklärungen für die Eigenschaften und Leistungen der Zelle entspringen zu sehen. Ich lese aber aus den meisten Sätzen nur Bekanntes heraus. Es heißt z. B. „Unter den mannichfachen Leistungen der Energide ist ohne Zweifel die merkwürdigste die Fähig- keit, bestimmte Gestalten anzunehmen, oder das in ihr verarbeitete, passive Material in bestimmte Formen zu gestalten, sodass man, bis tiefere Einsicht vielleicht besseres lehrt, von einer Gestaltungsenergie der Energiden reden darf“. Die Entwicklung und Gestaltung der Zelle ist eine bekannte bio- logische Thatsache, die aber meiner Ansicht nach auch bei der An- nahme des Energidenbegriffes ebenso rätselhaft und unerklärt bleibt, wie sie noch ist. Wenn der Energide Gestaltungsenergie zugeschrieben wird, so ist das nur ein inhaltsarmes Wort, ebenso wie das später gebrauchte Automorphose. Dazu kommt, dass auch diese unbestimmte Eigenschaft der Energiden kein neuer Gedanke ist. Es ist allgemein anerkannt, dass die Organisationen der Pflanzen nicht bloß durch den Ablauf chemischer Prozesse erklärt werden können und dass das kern- haltige Protoplasma (weiter ist eben die Energide doch nichts) das regulatorische Agens ist, die Vorgänge in bestimmte, den Lebenszielen dienende Bahnen zu lenken. Dadurch, dass man die biologischen Vorgänge mit der Energide, d. h. einem einkernigen Protoplas- makörper, kausal verknüpft, was mit der Zelle schon längst ge- schehen ist, sind diese Vorgänge nicht weiter erklärt als bisher. Und doch sollte man das erwarten nach dem auf p. 155 von Sachs Abhandlung stehenden Satze „eine solche Klarheit über die Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 129 fundamentalsten Fragen der Biologie, wie sie durch eine scharfe Sonderung des Begriffes Energide und Zelle zu erreichen ist“ ete. Ich sehe keine einzige Frage der Biologie durch die Energide aufgehellt und finde, dass im großen ganzen nur die bekannten Eigenschaften und Leistungen der Zelle einfach der „Energide“ zugeschrieben werden, woraus gar nichts neues folgt. Man könnte vielleicht als der Lehre eigen- tümlich bezeichnen eine etwas schärfere Gegenüberstellung von proto- plasmatischem Zellenleib und Produkten der Zelle, wie Stärkekörnern, Aleuron u. s. w. aber auch das ist doch nur Formulierung und kein neuer Gedanke. Man braucht nur Strasburger’s Protoplasma und Reizbarkeit p. 15 nachzulesen, wo alles Hierhergehörige schon mit größter Klarheit ausgesprochen ist. Ein Mangel an Vorsicht scheint ‘mir darin zu liegen, dass in der Darstellung der Energidenlehre durch zahlreiche Folgerungen immer mehr verwischt wird, dass die Energide keine Thatsache, sondern zu- nächst nur eine Hypothese ist. Fürs erste ist es nur eine aus der Form gewöhnlicher Zellen abstrahierte Idee, dass ein Zellkern eine bestimmte, begrenzte Protoplasmamasse beherrsche. Durch die Be- obachtungen an vielkernigen Zellen wird diese Idee aber nicht be- stätigt. Ehe das nicht geschehen, erscheint die Frage, warum jeder Zellkern nur im stande sei, eine sehr kleine Quantität Plasma um sich zu sammeln, verfrüht, da man durch diese Frage verleitet wird, die Existenz der Energiden für bewiesen zu halten. Für die Beurteilung der Energidenlehre erscheint es in allererster Linie von Wichtigkeit nach Beobachtungen zu suchen, die dafür sprechen. “Aber Bemühungen in dieser Richtung erweisen sich als vergeblich. In den vielkernigen Zellen zeigen die Zellkerne keine so regelmäßige Verteilung, dass man annehmen könnte, zu jedem Zellkern gehöre ein bestimmter Teil des Protoplasmas. Es kommt hinzu, wie schon von andern Seiten eingewandt ist, dass das Protoplasma durch die Strömung seinen Ort wechselt, sodass schon in einkernigen Zellen der Zellkern viel weniger als der herrschende Bestandteil erscheint, als Sachs an- nimmt. Noch weniger bleiben in vielkernigen Zellen Kerne mit be- stimmter Protoplasmamasse vereinigt. Anhänger der Energidenlehre, wie Goebel, müssen sich entschließen zu neuen Hypothesen zu greifen. Goebel meint ]. ec. p. 18, die von einem Zellkern beherrschte Proto- plasmamasse brauche nicht immer dieselbe zu sein. Darin liegt aber doch ein gewisser Widerspruch, denn was bedeutet das Wort „beherrschen“ und die von Sachs gegebene Erklärung durch Flächen- anziehung der Zellkerne, wenn diese Anziehung gar nicht zur Geltung kommt. Goebel begründet seine Ansicht mit dem Satze „Ross und Reiter bilden in einem Kavallerieregiment eine „Einheit“, auch wenn die Pferde gewechselt werden!“ 730 Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. Der Satz ist vollkommen richtig, aber es wird sich niemand ver- leiten lassen, dasselbe bei den Zellen und Zellkernen deshalb für be- wiesen zu halten. Trotz des anschaulichen Bildes kann doch nicht geleugnet werden, dass Reiter und Zellen gar nichts mit einander gemein haben. Die Auffassung, dass man den Protoplasmakörper vielkerniger Zellen nicht als Einheit, sondern als aus Energiden zusammengesetzt . denken solle, hat für logisches und morphologisches Denken manches Bestechende. Allein, wenn man versucht, sich in die realen Verhält- nisse hineinzudenken, dann entstehen mit der Energidenlehre eine Menge unbeweisbarer Forderungen. In den vielkernigen Zellen ent- stehen die Kerne erst allmählich durch Teilung. Die neuen Zellkerne müssten, um selbst zu Energiden zu werden, die ihnen zukommenden Protoplasmateile den übrigen entreißen. Es würde eine fortwährende Aenderung der Energidengröße und der Energidenkräfte stattfinden müssen, die nieht wahrscheinlich ist, weil sie gar nicht zu der Vor- stellung der Energide als einer Grundeinheit passt. Die Energiden wären ganz veränderliche Einheiten. Ist bei den vielkernigen Pflanzen z. B. bei Siphoneen die Vorstellung einer zusammengesetzten Proto- plasmamasse noch durchführbar, wenn auch unbewiesen, so ist bei den mehrkernigen Tieren, den Infusorien, den Radiolarien und anderen die Sache bedeutend schwieriger ohne Zwang denkbar. Hier drängt schon die Lage der Kerne viel weniger dazu eine Zusammensetzung aus Energiden als vielmehr einen einheitlichen, wenn auch vielkernigen Organismus anzunehmen. Ich sehe nirgends durch die Annahme der Energidenlehre eine größere Klarheit biologischer Verhältnisse ein- treten, sondern eher das Gegenteil. Dem unbefangenen Beobachter erscheint die Sache so, dass ganz segen Sachs Ansicht, so lange zahlreiche Zellkerne in einer Zelle vorhanden sind, eine Beherrschung bestimmter Protoplasmaportionen und damit die Bildung von Energiden nicht eintritt. Energidenbildung durch Anziehung des Protoplasmas durch die Kerne tritt erst ein, wie das am besten durch Strasburger’s Untersuchungen über die Endospermbildung oder durch die Sporenbildung in Aseis erläutert wird, wenn Zellbildung d.h. Membranbildung eintritt. „Energiden“ entstehen erst, wenn „Zellen“ sich bilden und das erscheint mir ganz selbstverständlich, denn aus der einkernigen Zelle hat Sachs die Energide wahrscheinlich abgeleitet. In vielkernigen Zellen kommt es zu keiner Membranbildung, es zwingt aber auch nichts dazu das Bestehen von Energiden trotzdem bloß anzunehmen. Eines der wichtigsten Probleme der Biologie ist die Fort- pflanzung. Wenn also die Energidenlehre neue Klarheit bringen kann, so wäre gerade hier der Ort sich zu bethätigen. Stras- Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 131 burger!) hat beobachtet, dass im Pollenkorn eine vegetative und eine generative Zelle von ganz verschiedener Größe um je einen Zellkern entsteht. Die Zellkerne sind gleich groß, die beherrschte Protoplasmamasse sehr verschieden. Erst nach der Entstehung der neuen Zellen tritt Größenverschiedenheit der Kerne ein. Ferner: In den Pollenschläuchen gekeimter Pollenkörner werden die Zellkerne durch die Plasmaströmung fortgeführt. Eine Beherrschung des Protoplasmas findet nicht statt. (1. e. p. 14.) Um den generativen Zellkern ist keine Ansammlung von Plasma zu beobachten (l. ce. Tafel II Fig. 63b, 81, 82). Auch gelangen nur die Zellkerne in die Samenknospe, nicht das Protoplasma. Energiden wirken also bei den wichtigsten biologischen Vorgängen nicht mit. Die Auflösung des vegetativen Zellkernes bei Lathyrus montana zeigt, dass der Zellkern keine Plasmamasse beherrscht, sondern sich unter Umständen unab- hängig verhält, wobei die Energidennatur ganz verschwindet (]. ce. p. 19). Bei der Befruchtung der Cupressineen teilt sich der Zellkern mehr- fach im Pollenschlauch und es treten Zellkerne auf, die nicht mehr von individualisierten Plasmamassen umgeben sind (l. e. p. 53). Strasburger!) weist noch an mehreren Stellen nach, dass bei der Befruchtung das Plasma die Spermakerne nur forttransportiere und nicht mit ihnen vereinigt bleibe (l. c. p. 81, 84). Alle diese Beobachtungen stimmen nicht oder nur äußerst ge- zwungen zur Energidenhypothese. Als einzige Stütze für die Energidenlehre bleibt also nur die Thatsache, aus der sie abgeleitet werden konnte, das überwiegende Vor- kommen einkerniger Zellen. Damit ist aber wenig gewonnen. Die Energidenlehre wäre dann nur der Ausdruck für eine Thatsache. Will sie mehr sein, so müsste sie die Notwendigkeit begründen, warum die Zellen meistens einkernig sind. Dazu ist sie aber nicht im stande. Es geht aus keiner der von Sachs gegebenen Erörterungen hervor, warum der Kraftträger der Zelle gerade die Form der Energide haben müsse, um seine merkwürdigen Lebensregungen zu zeigen. Man sucht vergeblich nach der Bestätigung des auf p. 138 geäußerten Wunsches: „Es war mein Wunsch, in dieser Abhandlung einige der allgemeinsten Eigenschaften der Energiden zur Sprache zu bringen, weil auf diese Weise eine sichere Grundlage für das Verständnis aller Lebenser- scheinungen, speziell auch der Gestaltungsvorgänge gewonnen wird.“ Dieser Satz verspricht ungemein viel. Aber man muss ihm entgegen- halten: die allgemeinste Eigenschaft der Energiden ist ihre Form d. h. die Form des einkernigen Protoplasmakörpers und aus dieser Form lässt sich nicht eine einzige Lebenserscheinung erklären, ge- schweige denn besser als bisher. Was die Gestaltungsvorgänge an- 1) Strasburger, Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen. Jena 1884, p. 2 u. 8. 732 Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. betrifft, so sehe ich nicht ein, wie die Energide erklären soll, dass bei den Phaeosporeen einmal uniloculäre Sporangien mit Energiden, andererseits pluriloculäre Gametangien mit Zellen entstehen. Bezüglich der Eigenschaften der Energiden, welche namentlich bei den Gestaltungsvorgängen eine ganz maßgebende Rolle spielen, ist eine Eigenschaft ganz übergangen, die Polarität. Durch Vöchting’s ausgezeichnete, in ihren Resultaten ganz neue und überraschende Untersuchungen über Transplantation !) sind wir zum erstenmal in den Stand gesetzt worden, einzusehen, dass die Polarität der Zellen kein naturphilosophischer Begriff, sondern etwas Reales ist. Bei den von Sachs angegebenen Eigenschaften der Zellkerne der Energide ist eine Polarität schwer zu begreifen. Ebenso ist es mit der ganzen Pflanze. Der polare Gegensatz der Organe einer Dryopsis oder Caulerpa wäre überraschend, wenn die Pflanze bloß eine Kolonie selbständiger Ener- ‚giden wäre, die die Zellhaut nur als gemeinsame Wohnung benutzten. Auf die energetischen Betrachtungen ausführlicher einzugehen, welche p. 137 der Energidenlehre angehängt sind, ist eigentlich nicht der Zweck dieser Zeilen, aber ein paar Bemerkungen darüber werden ‚durch die eigenartige Darstellung doch gefordert. Ein merkwürdiger Satz an diesem Ort ist der, dass die Teilung von Zellen bei der Fortpflanzung in Sporen, Schwärmsporen etc. den Eindruck mache, „als ob dieselbe Stoffmasse an Energie, an Arbeits- kraft gewinne, wenn sie in zahlreiche Portionen oder Energiden zerfällt“. Man sollte auf diesen Gedanken heute eigentlich nicht mehr kommen, denn er widerspräche dem Gesetz von der Erhaltung der Energie. Sachs widerlegt diesen Satz auch, wie ihn jeder wider- legen muss, indem er annimmt, dass durch die Ernährung des Sporan- siums Energie angesammelt werde. Aber am Schlusse kann man doch nur herauslesen, als ob Sachs eine Vermehrung der Energie bei der Teilung annimmt, was ganz undenkbar ist. Es heißt am Ende von p. 137: „die an sich trägen, nicht energischen Reservestoffe dienen zur Ernährung, Vermehrung des mit Energie begabten Nucleins und Protoplasmas und indem diese Ernährung fortschreitet, teilen sich die Energiden und es ist nun leicht zu begreifen, dass die zahlreichen kleinen Energiden mehr physiologische Arbeitskraft be- sitzen als die ursprüngliche große: das Ei resp. die Spore“. Wie dieser Satz eigentlich gemeint ist, ist nicht klar; er kann jedenfalls zu großen Missverständnissen führen. Was die „nicht ener- gischen Reservestoffe“ anbetrifft, so ist dieser Ausdruck doch wohl sehr unzutreffend. In den Reservestoffen ist die Energie in einer ruhenden Form, als chemische Energie, vorhanden, die der strahlenden Energie des Sonnen- lichtes entstammt und in andere Formen wieder übergehen kann. Die 1) Vöchting, Ueber Transplantation am Pflanzenkörper. Tübingen, 1832. Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 735 also nicht energisch zu nennen, führt zu Missverständnissen. Aber auch die Angabe, dass die kleinen Energiden mehr Arbeitskraft be- sitzen als die Zelle, aus der sie entstanden sind, ist in dieser Form sehr zweideutig. Dass eine Zelle, die sich in Schwärmsporen teilt, vorher durch Ernährung ihre Energie vermehrt hat, ist klar. Im Momente der Teilung aber wird der Energievorrat auf die Teilprodukte verteilt und die entstehenden kleinen Energiden können unmöglich mehr Energie besitzen als die große Zelle. Bei der Teilung der Sporen geht die potentielle Energie zum Teil in kinetische Energie über, aber der Ge- samtvorrat kann sich nicht vermehren. Ebensowenig wie bei einer platzenden Bombe die Energie der tausend Splitter sich vermehrt. Vermehrt wird nur die Anzahl der Energiden, nicht die Menge der Energie. Natürlich kann aus jeder Energide eine neue Pflanze her- vorgehen, die durch ihre Ernährung neue Energie von außen auf- nimmt, aber das geschieht erst nach der Teilung, durch ganz neue, mit dieser gar nicht zusammenhängende Vorgänge. Schon in dem ersten Aufsatz über Energiden p. 3 der Physio- logischen Notizen (Sonderabdruck) steht der Satz: „Wenn sich die Energide in zwei teilt, so verdoppelt sich die Lebensenergie, nachdem sich die Energide vorher durch Ernährung verstärkt hat.“ Die Energide mag sich noch so sehr „verstärken“, wenn sie sich teilt, kann sich unmöglich der Energievorrat verdoppeln, das wäre gegen das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Man kann freilich manchmal in Zweifel geraten, ob Sachs darauf Gewicht legt. p. 127 erklärt er in einer Anmerkung: „Mit der bisherigen Atomistik und Mechanik sind nun einmal die Grundprobleme des Lebens nicht zu lösen“. Auch wird der Energide (p.3 der Notizen) als Haupteigenschaft „innere Thatkraft oder wenn man will, Lebenskraft“ zugeschrieben. Man mag über den Wert der heutigen Atomistik und Mechanik für zukünftige Erkenntnis denken wie man will und ihre ewige Dauer getrost bezweifeln, das wird man aber wohl nicht bestreiten können, dass sie uns heute noch als fester und zuverlässiger Wander- stab dienen, den man nicht fortwirf, um sich an unklare Begriffe, „innere Thatkraft, Lebenskraft, Lebensenergie, physiologische Ener- gie“ zu halten. Die etwas souveräne Geringschätzung der Chemie und Physik, die in verschiedenen Stellen der „Notizen“ deutlich hervortritt, birgt doch auch ihre großen Gefahren in sich. Man muss auch wohl überlegen, wie neu die Versuche die Gesetze der Mechanik auf Physio- logie anzuwenden sind. In neuester Zeit hat erst Pfeffer diesen Versuch in zusammenhängender Form unternommen, was wohl die meisten als ein ganz hervorragendes Verdienst ansehen. Wenn die Sache nun nicht gleich an allen Ecken geht, die Mechanik und Chemie dafür verantwortlich zu machen und von ganz besonderen Kräften und 734 Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. Beziehungen zu träumen, das erscheint mir verfrüht. Wie weit wären wohl die Physiker gekommen, wenn sie bei der rätselhaften Blektrizi- tät hätten von ihren Prinzipien absehen wollen, weil die Phänomene einen ganz eigenartigen Oharakter zeigten!). Es ist nicht unmöglich, dass Sachs da, wo er von der Ver- mehrung der Lebensenergie durch Teilung spricht, damit gar nicht die mechanische Energie meint, sondern unter seinem undefinierbaren Ausdruck das Vermögen vorstellt, neue Energie erst aufzusammeln. Dies Vermögen wird freilich durch die Teilung verdoppelt. Das Ver- mögen ist aber keine Energieform und von Verdoppelung der Energie zu reden also unrichtig. Wenn man energetische Betrachtungen in die Physiologie einführen will, dann ist es eine Forderung, auch mit der Sprache der Energetik zu reden und nicht mit einer selbstgeschaffenen, die unverständlich ist. Sachs spricht vorzugsweise von physiologischer Energie. Da es nur potentielle und kinetische Energie in verschiedenen bekannten Formen?) giebt, so weiß man nicht, was der Autor mit seinem Aus- druck meint. 'Es scheint, wie schon gesagt, aus der Darstellung hervorzugehen, dass als „physiologische Energie“ vielmehr die biologischen Wir- kungen energetischer Vorgänge angesehen werden, was natürlich eine Verwechslung wäre. Klar ist die Sache keinesfalls. Auch p. 7 des ersten Aufsatzes heißt es: „Mit dem Wachstum ver- mehrt sich die Zahl der Energiden und weiß man, dass die Energide eine Kraftgröße repräsentiert, so leuchtet es sofort ein, dass mit der Zahl der Energiden auch die Energie, die Arbeitskraft in der wachsenden Pflanze sich vermehrt“. Bei der Teilung einer Zelle in zwei oder viele, teilen sich die Zellen nicht bloß räumlich, sondern auch in den in der Substanz der Energiden liegenden Energievorrat, von einer Vermehrung der Energie durch die Vermehrung der Anzahl kann gar keine Rede sein. Sachs verwechselt auch hier die Fähigkeit, sich zu Accumulatoren zu ent- wickeln, mit der Energie selbst. Die ganze Darstellung kann nur zu falschen Vorstellungen über den Energiewechsel führen. Die Teilung ist ein Auslösungsvorgang, bei dem die Energie, die sich vorher vorwiegend als osmotischer Druck äußert, ihrem Bestreben folgt, aus einer höheren Intensität in eine niedere überzugehen. Dabei findet eine Umformung der Energie statt, welche als Bewegung zu Tage tritt, die Quantitätsfunktion der veränderten Energieform ändert aber dabei nicht ihren Betrag. 1) Die von Sachs versuchte Abweisung der Atomistik ist auch nur ein sehr blaaser Abdruck von Schopenhauer’s ernster Kritik der Frage. 2) Unter diesen natürlich Wärme, Elektrizität ete. Hansen, Die Energidenlehre von Sachs. 735 Wenn man nun absieht von der Gewinnung positiver neuer Ein- sichten in Lebensvorgänge durch die Energidenlehre und versucht, sie nur als Mittel zur Uebersicht der Erscheinungen zu benutzen, so gelangt man auch hier zu keinem befriedigenden Resultat. Man muss bei Annahme der Energidenlehre dazu geführt werden, die Myxomyceten als „Energidengesellschaft“, als Kolonie (nach Goebel) anzusehen. In einer Kolonie müssen meiner Ansicht nach die Individuen oder ' Elemente noch als solche erkennbar sein. Einen Wassertropfen, der durch Zusammenfließen zahlreicher kleiner Tropfen entsteht, würde ich nicht Kolonie nennen. Bei der Entstehung eines Plasmodiums ist aber die Vereinigung der Amöben eine so innige, dass die einzelne Amöbe verschwindet. Bisher wurde auch allgemein vorausgesetzt, dass die Vereinigung, die Zopf als Fusion bezeichnet, unter vollständigem Auf- geben der Individualität der Amöben stattfindet. Die Beobachtung widerlegt diese Ansicht auch nicht. Bei der Annahme der Energidenlehre, zerfallen nach Goebel die Pflanzen in monergide und polyergide Pflanzen. Die letzteren werden dann wieder in celluläre und nichtcelluläre geteilt. Der Ausdruck niehtcellulär vereinigt sich aber nur schlecht mit der Ansicht über Energiden und Zellen. Nichtcellulär nannte Sachs bekanntlich die Siphoneen, aber in seiner Energidenabhandlung bezeichnet er als „Zelle“ die von eineroder mehreren Energiden bewohnte Zellhaut. Demnach wären die Sipboneen zugleich Zellen und nichtcellulär, was offenbar die Klarheit nicht fördert. Eine Caulerpa wäre gleichzeitig eine Zelle und eine Kolonie und wenn man diese letztere Ansicht für begründet hält, so müsste das auf dem Gebiete der Systematik eine vollständige Umwälzung herbeiführen, die aber noch eine Menge von Fragen mit sich brächte. Wie soll man z. B. eine C/adophora nach der Energidenlehre ansehen. Wir haben hier einen Faden, der aus „Zellen“ besteht. Jede Zelle ist aber, da sie zahlreiche Kerne enthält, eine Kolonie von Ener- giden, Oladophora wäre also eine Kolonie von Kolonien, man könnte sie nach der Methode der vergleichenden Morphologie als eine Kolonie einfacher kleiner Siphoneen bezeichnen. Man müsste aber dann auch die systematischen Konsequenzen auf sich nehmen, wobei, wie mir scheint, aber nur wunderliche Dinge zu Tage kommen würden. Es erscheint mir sehr zweifelhaft, dass durch Einführung des Energidenbegriffes, in irgend einem Gebiete der Botanik eine größere Klarheit entstehen kann. Viel eher sieht es aus, als ob man mit der Energide in eine fortwährende Kollision mit Thatsachen geraten wird und wenn diese vermieden werden soll, einer vorurteilsfreien An- schauung den größten Zwang anthun muss. Wie leicht die Energiden- lehre zu Missverständnissen führen kann, geht daraus hervor, dass v. Kölliker, gewiss ein klarer und scharfer. Denker, sich doch der 736 J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. Unsicherheit, die in der Energidenlehre steckt, nicht entziehen kann und p. 11 seiner oben zitierten, sehr interessanten Abhandlung von „vielkernigen Energiden der Pflanzen“ spricht, die es nach Sachs natürlich nicht giebt. In der Energidenlehre wird noch einmal der Versuch gemacht, etwas, was sich bloß durch Beobachtung feststellen lässt, a priori zu behaupten, um dann allerlei daraus abzuleiten. Es ist kein Wunder, wenn daraus Widersprüche entstehen, denn die Absicht durch einen a priori aufgestellten Begriff zu entscheiden, wie die Natur es machen solle, um uns besser begreiflich zu sein, ist ein Zwang, gegen den die Thatsachen in der Regel bald Front machen. [101| Beiträge zur Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crusta- ceenembryonen. Von Prof. Dr. J. Nusbaum und cand. Witold Schreiber in Lemberg. In einer im Jahre 1892 der Akad. d. Wiss. in Krakau vorge- legten Abhandlung über die Entwicklung der Isopoden!) hat einer von uns u. A. die Ansicht ausgesprochen, dass in den sog. Rückenorganen der Crustaceenembryonen zwei Gruppen von Gebilden zu unterscheiden sind. Erstens finden wir hier unpaarige Gebilde, die als „Teile des zur Begrenzung und zum Schließen des Rückens dienenden Blasto- derms“ zu betrachten sind. Die unpaarigen, als Einstülpungen des Blastoderms auf der Rückenseite der Crustaceenembryonen erscheinen- den Gebilden sind völlig denjenigen homolog, die auch bei den In- sektenembryonen erscheinen und (wie z.B. beim Hydrophilus) als auf dem Rücken zusammengezogene Embryonalhüllen anzusehen sind (Involutionsprozess). Dass zwischen dem Rückenorgane der Crustaceen und einem Teile der Embryonalhüllen der Insekten in dieser Hinsicht eine Homologie besteht, das hat schon einer von uns auch vorher an einer anderen Stelle zu zeigen versucht?). Zweitens finden sich aber bekanntlich bei vielen Crustaceen paarige Rückenorgane, denen manche Naturforscher einen ganz anderen morphologischen Wert zugeschrieben haben. Wir werden diese Organe als dorso-laterale im Gegen- satz zu den unpaarigen, dorsalen bezeichnen. Claus?) sah bekannt- lich in den lappenförmigen dorso lateralen Organen der Embryonen von Asellus Rudimente der Schalenduplikaturen der Thoracostraken. Zu diesem Vergleiche führten ihn besonders die beim Apseudes bestehen- 4) J. Nusbaum, Materyaty do embryogenii i histogenii röwnonogöw (Isopoda). Mit VI Tafeln v. Abbildungen. Krakau, 1893. 2) J. Nusbaum, L’Embryologie de Mysis Chameleo. Archives de Zool. exper. et generale. Vol. V, 2. Serie, 1887. 3) C. Claus, Ueber die morph. Bedeutung der lappenförmigen Anhänge am Embryo d. Wasserassel. Anzeiger d. Akad. Wiss. Wien. Mat. nat. Classe, 1887. J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. 737 den Verhältnisse. Diese Anhänge sollen nach Claus Reste eines bei den Vorfahren der Isopoden vorhandenen und gegenwärtig nur noch bei den Tanaiden erhaltenen Panzerschildes sein. Obwohl einer von uns früher die Anschauung von Claus als ziemlich zutreffend ansah, müssen wir jetzt auf Grund neuerer embryologischer Arbeiten die obige Meinung als unrichtig erklären und namentlich aus folgenden Gründen. 1. Man hat in manchen Fällen direkt beobachtet, dass die Anlagen des Panzerschildes ganz unabhängig von dorso-lateralen Organen entstehen, wie z. B. bei Neomysis vulgaris nach J. Wagner!) oder bei Parapodopsis cornuta nach Butschinsky?). 2. Die dorso- lateralen Organe liegen bei den Crustaceenembryonen immer außer- halb des Keimstreifens; sie entwickeln sich aus demjenigen Teile -des Blastoderms, der den Nahrungsdotter außerhalb des Keimstreifens um- giebt und zum größten Teile zu Grunde geht, was aus einer ganzen Reihe von Beobachtungen hervorgeht (nach J. Nusbaum, R. Bergh, J. Wagner bei verschiedenen Mysiden, nach Bobrecki, J. Nus- baum, Ed. v. Beneden bei manchen Isopoden). Diesen Vorwurf hat der Claus’schen Hypothese neuerdings auch J. Wagner?) ge- macht, und unserer Meinung nach mit vollem Rechte. Andere Er- klärungsversuche der morphologischen Bedeutung der Rückenorgane waren noch minder glücklich als der obige*). Einer von uns versuchte weiter seinerzeit zu zeigen (L’Embryol. de Mysis Chameleo, 1887), dass die unpaarigen Dorsalorgane aus dem Zusammenfließen der beiden dorso-lateralen, paarigen entstehen können. Diese Annahme wurde hauptsächlich auf die Thatsache gestützt, dass bei manchen Crustaceenembryonen nur paarige Organe bekannt waren, z. B. bei den Amphipoden, bei Cymothoa, Onisceus u.s. w., bei anderen 41) J. Wagner, Unters. über die Entw. d. Arthropoden; russisch. Sepa- ratabdruck aus dem XXVI, Bande d. „Arb. d. Kais. Naturf. Gesellsch. zu St. Petersburg“, 1896. 2) 0. Butschinsky, K istorii razwitia mizid. Ist. razw. Parapodopsis cor- nuta; in „Zapiski Nowoross. Obsch. Ejestestwoisp.“ XV. 1890. Odessa. 3) le. 4) Man hat in letzteren Jahren (nämlich A. Jaworowski in dem Artikel „Das Dorsalorgan der branchiaten Arthropoden“, Zoolog. Anzeiger 1894) eine Idee ausgesprochen, dass die dorso-lateralen Organe der Crustaceen Reste der Lungen darstellen, die bei luftathmenden Arthropoden z. B. bei Arachnoideen vorhanden sind. Wir finden keinen einzigen wissenschaftlich begründeten, thatsächlichen Beweis, der diese Idee unterstützen möchte, die wichtige That- sache aber, dass die Tracheen und Lungen der luftathmenden Arthropoden im Bereiche des Keimstreifens sich entwickeln, dagegen die dorsalen und dorso- lateralen Organe der Embryonen sowohl bei den Crustaceen wie auch bei den Arachnoideen und Insekten stets ganz außerhalb des Keimstreifens aus der aen Dotter deckenden Blastodermschicht (Vitelloeytenschicht) entstehen, scheint uns diese kühne Idee ganz grundlos zu machen, XVIl. 47 738 J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. dagegen, z. B. beim Asellus, bei Mysis Chameleo blos die paarigen. Es schien also, dass das paarige oder unpaarige Vorkommen der Organe, selbst bei nahe verwandten Gattungen (z. B. Asellus und Oniscus) sich gegenseitig ausschließe. Weiter stützte einer von uns die- betreffende Ansicht auf die Thatsache, dass das Gegeneinander- rücken der beiden dorso-lateralen Organe in der hiehtung nach der Medianlinie des Rückens während der Embryonalentwicklung in einigen Fällen faktisch beobachtet wurde (z. B. bei Mysis Chameleo; später beschrieb dasselbe P. Butschinsky bei Parapodopsis). Inzwischen hat man aber eine wichtige Thatsache entdeckt, dass nämlich das paarige resp. unpaarige Vorkommen der betreffenden Organe sich gegenseitig nicht ausschließt und dass in manchen Fällen die dorsalen und dorso-lateralen Organe bei einem und demselben Embryo nebeneinander vorkommen. Diese interessante Entdeckung verdanken wir J. Wagner!) und fast gleichzeitig Frau Rossijs- kaja-Koschewnikowa?). Wagner sah nämlich bei Neomysis vulgaris var. baltica die dorso-lateralen Organe sehr früh hervortreten. Sie sind hier nicht von drüsiger Natur (bei Mysis Chameleo besitzten sie dagegen nach den Untersuehungen eines von uns einen drüsigen Bau) und stellen eine lokale Anhäufung größerer Zellen des Blastoderms oder der Vitello- cyten dar. Jedes der beiden Organe hat die Form einer kleinen Zellen- scheibe ohne Einstülpung. Beide Zellenscheiben verschieben sich in späteren Stadien in der Richtung gegen den Rücken, stoßen aber nie- mals auf dem Rücken zusammen. In späteren Stadien beginnt die Degeneration der Organe, die Zellen dieser letzteren „treten in das Innere über und geraten später wahrscheinlich in den Dotter resp. in die Dotterzellen oder werden von den unter dem Organe anzutreffen- den Mesodermzellen verzehrt“. Der cephalothoracale Panzer wie die definitive äußere Haut überhaupt werden durch die Hinauswachsung des Keimstreifens nach den Seiten gebildet; an ihrer Bildung nehmen weder die dorso-lateralen Organe, noch überhaupt die nach außen von dem Keimstreifen den Dotter überziehenden Blastodermzellen oder die Vitelloeyten einen Anteil. Außer den dorso-lateralen Organen besitzt die Larve von Neomysis vulgaris nach Wagner noch ein typisches unpaares hückenorgan, welches an das schwach entwickelte Rückenorgan der Amphipoden erinnert und aus einer Anzahl ziemlich hoher rosettenartig ange- ordneter Zellen besteht. Es hat auch keinen drüsigen Bau, tritt be- deutend später als die paarigen dorso-lateralen Organe auf und unter- Ay c, 2, Rossijskaja-Koschewnikowa, Les organes embryonnaires du Sphaeroma serratum, Zoolog. Anzeiger, 189. J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen, 739 liegt dann einer Degeneration ganz in derselben Weise wie die paarigen dorso-lateralen Organe. Rossijskaja-Koschewnikowa?) fand bei Sphaeroma serratum, wie bei Neomysis, ein unpaariges, dorsales und zwei dorso-laterale Organe. Das dorsale erinnert lebhaft an dasjenige der Amphipoden und tritt auch hier später als die dorso-lateralen auf; es unterliegt auch hier etwas später einer Degeneration. Sowohl Wagner wie auch Rossijskaja-Koschewnikowa betrachten die dorso-lateralen und dorsalen Organe als nicht homologe, und sowohl in histologischer wie auch in vergleichend-anatomischer Hinsicht ganz differente Gebilde. Wagner hält das unpaare Dorsal- organ für eine Involutionsform des den Nahrungsdotter bedeckenden Blastoderms, die paarigen dagegen für Rudimente gewisser ehemals existierenden Organe, oder „viel wahrscheinlicher für eaenogenetische Organe, die jedoch in keinem direkten Zusammenhange mit denjenigen Organen sind, die sich aus dem Keimstreifen entwickeln“. Während unseres Aufenthaltes an "der Zoologischen Station zu Neapel haben wir unter Anderem die Gelegenheit gehabt, die Rücken- organe mancher Mysiden und Isopoden, die in dieser Hinsicht noch nicht untersucht wurden, näher zu studieren. Wir können vor Allem die Beobachtungen von Wagner und Rossijskaja-Koschewnikowa über die gleichzeitige Existenz von dorsalen und dorso-lateralen Organen bestätigen, wir müssen aber auf Grund unserer Beobachtungen und einiger vergleichend - embryologischer Erwägungen die Anschauung beider Forscher bekämpfen, nach welcher die paarigen und unpaarigen Rückenorgane der Urustaceenembryonen Gebilde von ganz differentem morphologischem Werte sein sollen. Wir haben untersucht Mysis Lamournae, Idotea trieuspidata und Cymothoa oestroides. Bei Mysis Lamournae, einer kleinen Myside, die im Aquarium der zoologischen Station zeitlich in sehr großer Menge in verschieden- sten Entwicklungsstadien (im Dezember und Januar) sich vorfand, haben wir sowohl das Dorsalorgan, wie auch die dorso-lateralen Organe gefunden. Beide Gebilde, von welchen die paarigen früher erscheinen, existieren eine Zeit lang nebeneinander, und beide verschwinden dann auch fast gleichzeitig. Die dorso-lateralen bestehen jederseits aus einer Gruppe rosettenförmig angeordneter, hoher, zylindrischer Zellen, die eine kleine rundliche Scheibe bilden. Sie liegen hier an derselben Stelle wie bei Mysis Chameleo, sind aber hier nicht so stark entwickelt und zeigen keinen drüsigen Bau; die Kerne liegen nahe der Basis der Zellen. Auf jüngeren Entwicklungsstadien liegen diese Gebilde dem Keimstreifen etwas näher, aber natürlich außerhalb desselben, später verschieben sie sich immer mehr nach oben, erreichen aber niemals 3), 47* 740 J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. die Mittellinie des Rückens, wo sich das unpaare Organ anlegt. Das letztere erscheint, wie gesagt, später als die dorso-lateralen Organe und namentlich zur Zeit, wo die Schließung der Lebersäcke schon angefangen hat. Das unpaare tritt, im Gegensatze zu den dorso- lateralen Organen, auf einer viel größeren Strecke hervor und nament- lich: von dem vordersten Ende des Embryo, wo auf der Rückenseite eine Menge Nahrungsdotter in Gestalt eines Buckels angehäuft ist, nach hinten hin bis zu derjenigen Stelle, wo die dorso-lateralen Organe liegen; es nimmt also ungefähr das vordere !/, der Körperlänge des Embryo ein. Es stellt eine sehr enge Einstülpung der Blastodermhaut dar, und sein Lumen bildet eine äußerst enge Spalte, die nach oben offen ist. Vorne ist die Einstülpung so tief, dass sie fast bis zur Ge- hirnanlage auf der Ventralseite des Embryo reicht und eine Art dünnes und zartes Septums darstellt, das den Nahrungsdotter in zwei Hälften spaltet (Fig. 1). Am unteren Rande dieses Septums sieht man schon nn eg 4.8 2 Querschnitt durch einen halbmondförmigen Embryo von Mysis Lamournae nahe dem vorderen Körperende. D.o. = Dorsal- organ; d.s. = dioptrische Scheibe; g.c. = Ganglion cerebrale. (Gez. bei Oe. 2. S. Brennw. 4 mm. Reichert.) sehr früh ein Auseinanderweichen der Zellen, die in den Dotter hinein- treten, um hier zu Grunde zu gehen. Nach hinten hin wird diese Einstülpung immer seichter, bis sie schließlich in der Gegend der dorso-lateralen Organe schon sehr wenig in den Dotter eindringt (Fig. 2), wobei das enge Lumen des Organes in der Nähe des hinteren Endes gänzlich verschwindet und das Ganze hier nur als eine An- häufung von Blastodermzellen (Vitellocyten) sich darstellt. Die Zellen der Einstülpung senden hie und da pseudopodienartige Vorsprünge in den Dotter hinein. Schon bald nach dem Erscheinen der dorsalen und dorso-lateralen Organe kann man an der Innenseite dieser Bil- dungen amöbenförmige, dicht anliegende Mesodermzellen beobachten, die später bei der Zerstörung der Organe eine hervorragende Rolle spielen. Obwohl J. Wagner!) in dem Rückenorgane von Neomysis vul- garıs keine Einstülpung der Vitelloeytenschicht beobachtete, halten wir Ay € J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. 741 es für wahrscheinlich, dass auch hier ähnliche Verhältnisse wie bei bei Mysis Lamournae obwalten. Denn in Fig. 59 von Wagner’s Arbeit sehen wir ein ähnliches, von den Vitellocyten gebildetes und sehr tief in den Dotter eingedrungenes Septum gezeichnet, wie an unserer Fig. 1, wiewohl Wagner dieser Bildung keine Aufmerksam- keit geschenkt und das kückenorgan bloß als eine Anhäufung von Vitelloeyten an einer kleinen Strecke des Rückens beschrieben hat. Die Persistenz beider Arten von Rückenorgane dauert bei Mysis nicht lange; niemals treten auch in ihnen Zellenvermehrungen auf. Kurz nach dem Erscheinen beider Arten von hückenorganen treten in ihnen Degenerationsprozesse auf, welche in ähnlicher Weise in den Querschnitt durch das Rückenorgan (Dorsal- organ) eines halbmond- förmigen Embryo von Mysis Lamournae aus derselben Schnittserie wie Fig. 1, aber mehr nach hinten; D.o. — Dorsalorgan, m. — Me- sodermzelle (Gez. bei Oc. 4. 8. 6 Reichert). Fig. 2 paarigen und in dem unpaaren sich vollziehen. Zuerst verschwinden die Grenzen zwischen den Nachbarzellen, das Protoplasma wird kör- nig, es treten sehr reichlich Vacuolen hervor, die sich so stark ver- größern, dass das körnige Plasma samt den Kernen nur dünne Streifen zwischen den großen Vacuolen bildet. Hie und da treten auch die Kerne in die Vacuolen hinein. Man findet auch schließlich Degene- rationsprozesse in den Kernen selbst (körniger Zerfall). (Fig. 3.) Nach dem Beginne des Degenerationsprozesses sieht man die obenerwähnten amöbenförmigen Zellen auch im Innern der Organe liegen. Sie spielen hier ohne Zweifel die Rolle der Phagocyten, was wir bei /dotea ganz klar beobachtet haben. Endlich müssen wir noch bemerken, dass bei Mysis die Zellen des den Dotter überziehenden Blastoderms eder die Vitelloeyten nicht nur in den Rückenorganen, sondern, wie das J. Wagner bei Neomysis vulgaris beobachtete, auch an anderen Stellen des Blastoderms zu Grunde gehen. In unserem Falle haben wir aber zwei solche Stellen konstatiert, welche bei der größten Mehrzahl der Embryonen hervor- treten und die also, wie es scheint, eine fast regelmäßige Erscheinung sind. Sie liegen nämlich als zwei kleine, runde Punkte jederseits zwischen dem unpaaren Dorsalorgane und den dorso-lateralen Organen. In jedem dieser Punkte sahen wir 2—3, seltener eine etwas größere Zahl von Vitelloeyten, die vom Blastoderm sich ablösten und in den Dotter wanderten, um hier zu Grunde zu gehen. Wir nennen diese 742 J. Nusbaum, Kenutnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. Gebilde accessorische dorso-laterale Organe. In manchen Fällen haben wir diese Gebilde nicht beobachtet, sie waren vielleicht hier mit dem unpaaren Rückenorgane gänzlich verschmolzen. Solche kleine, paarige, accessorische, dorso-laterale Organe haben wir auch sehr oft bei /dotea tricuspidata beobachtet. Auf den in toto mit alko- hol. Boraxcarmin gut gefärbten, dann in 70°/, Alkohol mit Spuren von Acid. hydrochl. stark entfärbten und aufgehellten Eiern kann man alle Rückenorgane (Dorsalorgan, die zwei dorso-lateralen und die zwei kleinen accessorischen) als rötliche Flecke auf dem blassen Tone des Dotters sehr klar unter dem Mikroskope unterscheiden. Außerdem haben wir auch hie und da vereinzelte, an verschiedenen Stellen des Blastoderms zerstreute und auf ähnliche Weise zu Grunde gehende Vitelloeyten angetroffen. Bei /dotea tricuspidata fanden wir auch zwei dorso-laterale und ein unpaares Dorsalorgan. Alle drei Organe (die lateralen etwas früher als das unpaare) treten sehr klar hervor im Stadium, wo der Embryo noch stark auf die Rückenseite gebogen und das ganze Ei rundlich ist: die paarigen in Gestalt von rosettenförmig angehäuften Cylinderzellen, die eine kleine innere Höhle umgrenzen, das unpaare — aus einer soliden Anhäufung von Vitelloeyten bestehend (Fig. 4). In der ‚kleinen, kugelförmigen Höhle eines jeden der beiden dorso- lateralen Organe trifft man fast immer eine zähe Flüssigkeit an, die durch die Oeffnung nach außen hervorquillt. Die Organe sind also drüsige Gebilde. In den Stadien, in welchen die den Embryo umkleidende Cuticula klar hervortritt, kann man Querschnitt durch einen Embryo von Mysis Lamournae in der Gegend der Rückenorgane, in welchen eine reichliche Vaeuoli- sierung zu sehen ist (Beginn der Degeneration). d.o. = Dorsal- organ, dl. = dorso-laterale Or- gane, a.d.l.— accessorische dorso- laterale Organe, m. — amöben- törmige Mesodermzelle. (Gez. bei Oc. 4, 8. 6. Reichert.) He, 7). sich überzeugen, dass sich dieselbe in die Höhle eines jeden der dorso- lateralen Organe tief einstülp. Ob die Bildung dieser Cutieula in J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. 743 einem gewissen genetischen Verhältnisse zu der Drüse steht, das konnten wir nicht ermitteln. Durch diese Einrichtung wird der Embryo gewissermaßen an die Hülle befestigt. Sowohl die dorso-lateralen Organe, wie auch das unpaare Dorsal- organ existieren nicht lange und gehen gleichzeitig auf dieselbe Weise zu Grunde. Und namentlich treten sowohl die amöbenförmigen dicht unter dem Blastoderm sich befindenden Zellen, die hier wahrschein- lich aus dem Keimstreifen migrierten und Mesodermelemente dar- stellen, wie auch sehr zahlreiche Vitellophagen zwischen die sich los- lösenden Zellen der Rückenorgane (was wir besonders klar in dem unpaaren Dorsalorgane gesehen haben) hinein, und ihre pseudopodien- artigen Vorsprünge liegen den Zellen dieht an. Diese Zellen funktio- nieren als Phagoceyten. In einigen Fällen sahen wir, dass diese Phagocyten etwa in Gestalt eines Zellennetzes die zelligen Elemente des Rücken- organes von verschiedenen Seiten umspinnen. Querschnitt durch einen Embryo von Idotea tricuspidata in der Gegend der Rückenorgane; d.o. — Dorsal- organ, d.l. — dorso-laterale Organe (Gez. bei Oc. 2, S. 6. Reichert). Fig. 4. Gleichzeitig mit dieser aktiven Zerstörung der Elemente der Rücken- organe sieht man im Zellenplasma derselben eine reichliche Vaeuoli- sation und einen körnigen Zerfall der Kerne. Nach dem Verschwinden der Organe gehen die körnchenhaltigen Vitellophagen (Phagocyten) wieder im Dotter auseinander. Wie sich diese Vitellophagen weiter verhalten, das haben wir näher nicht untersucht. Wir bemerken nur, dass einer von uns gezeigt hat, dass bei anderen Isopoden und Mysiden ein Teil der Vitellophagen zu Grunde geht, ein anderer aber in Blut- körperchen sich verwandelt. Diese Beobachtung wurde von Plac- fair Mac Murrich!) vollständig bestätigt. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass die bei der Zerstörung der Rückenorgane funk- tionierenden Vitellophagen, nachdem sie in den Nahrungsdotter zurück- treten, hier zu Grunde gehen. Was noch andere Isopoden anbetrifft, so können wir bei Cymothoa oestroides die betreffenden Beobachtungen von Bullar?) bestätigen. Wir fanden hier keine dorso-lateralen, sondern nur ein unpaares, an- sehnliches Dorsalorgan, das in Gestalt einer ziemlich tiefen Einstül-. 1) Placfair Mac Mur rich, Embryology of the Isopod Crustacea. Journal of Morphology. 1895. Seite 127. 2) Philosophieal Transactions II. 1878. 744 J. Nusbaum, Kenntnis der sog. Rückenorgane der Crustaceenembryonen. pung des Blastoderms nahe dem Vorderende des Embryo am Rücken entsteht und von hohen cylindrischen Zellen ausgekleidet ist. Bei Ligia oceanica hat einer von uns!) ein Dorsalorgan beschrieben, das aus zwei flügelartigen, seitlichen Falten und aus einem unpaaren, mittleren Teile besteht, der aus einer soliden Anhäufung von Vitello- cyten gebildet ist. Die seitlichen Falten entsprechen wahrscheinlich den dorso-lateralen Organen, der mittlere Teil dem unpaaren Rücken- organe. Aus allem Obengesagten kommen wir zu folgenden Resul- taten: Was den Bau anbetrifft, so ist es unmöglich eine strenge Grenze zwischen beiden Arten von hkückenorganen zu ziehen. Die dorso- lateralen stellen häufig Drüsengebilde dar, z. B. bei Mysis Chameleo, Idotea tricuspidata; in vielen anderen Fällen ist es aber unmöglich, sie als Drüsen zu betrachten, so z. B. bei Asellus, oder bei Ligia oceanica, wo sie bloß Blastodermfalten bilden und gar keine Drüsen- zellen enthalten. Das unpaare Dorsalorgan stellt dagegen gewöhnlich eine einfache Einstülpung von Vitelloeyten dar, aber auch dieses Organ bildet in manchen Fällen eine Drüse, so z. B. bei Gammerus pulex nach Rossijskaja Koschewnikowa?), wo dieses Organ nach den Worten der Verfasserin „prend le caractere d’une vrai glande“. Wir sehen also, dass die Drüsennatur keine wichtige Rolle in der Frage über die Homologie der Dorsal- und Dorsolateralorgane spielt, da so- wohl das unpaare wie auch die paarigen Organe drüsige oder nicht- drüsige Gebilde darstellen können. Die Art und Weise der Verküm- merung beider Arten von Organen ist auch eine sehr verschiedenartige und in dieser Hinsicht lässt sich auch keine Grenze zwischen beiden Arten von Gebilden ziehen. In einigen Fällen werden nämlich die Falten oder Lappen der dorso-lateralen Organe abgeschnürt, oder sie fallen nach der Schrumpfung weg (A. Dohrn und Andere konsta- tierten das bei Asellus, einer von uns bei Ligia); aber einen ähnlichen Prozess finden wir in manchen Fällen auch in dem unpaaren Dorsal- organe, so z. B. beim Oniscus, wo das Dorsalorgan nach Bobrecki dem außerhalb des Keimstreifens sich befindenden Blastoderm ent- spricht und als „Zellhaut“ abgeworfen wird. In anderen, z. B. in den von uns beschriebenen Fällen, verschwinden die Dorsolateralorgane und das Dorsalorgan durch einen ähnlichen Degenerationsprozess (Vacuolisierung der Zellen, körniger Zerfall der Kerne) unter Mit- wirkung von Phagocyten, die teils von dem Mesoderm, teils von den Vitellophagen abstammen können. Es ist also ersichtlich, dass weder der Bau, noch der Verkümmerungsmodus beider Arten von Dorsal- organen uns berechtigt, die dorso-lateralen Organe einerseits und das 4) 1. c. 2) Bull. Soc.-Imp. Natur. Moscou, 18%. J. Nusbaum, Kenntnis der sog, Rückenorgane der Crustaceenembryonen. 145 unpaare kückenorgan andererseits als Gebilde von differenter, mor- phologischer Bedeutung aufzufassen. In allen Fällen haben wir mit einer Einrichtung zu thun, die einen Involutionsprozess der Vitello- eytenschicht darstellt, mit anderen Worten mit einer Einrichtung, die auf verschiedenem Wege zum Verschwinden des den Dotter außerhalb des Keimstreifens überziehenden Blastoderms beiträgt. Diese Zellen- schicht bildet nämlich paarige oder unpaarige Einstülpungen, Aus- stülpungen oder einfache Zellenanhäufungen, wobei dieselben entweder abgeworfen werden oder unter Mitwirkung der Phagocyten zu Grunde gehen. Wir können also denjenigen Autoren nicht beistimmen, welche, wie z. B. J. Wagner, die paarigen Organe als gewisse Rudimente, die unpaaren aber im Gegensatze zu diesen — als caenogenetische Involutionsanpassungen betrachten. Nach unserer Meinung, gestützt auf die oben angeführten Thatsachen, sind sowohl die paarigen, wie die unpaaren und auch die nicht ganz konstanten accessorischen Rückenorgane — caenogenetische Bildungen, welche zur Reduktion der Vitelloeytenschicht beitragen. Nichtsdestoweniger haben sie — wie überhaupt alle eaenogenetischen Organe — auch einen gewissen ver- gleichend-embryologischen und phylogenetischen Sinn, da sie nicht bloß bei verschiedenen Crustaceengruppen einen diversen Entwicklungs- grad erlangen, sondern auch bei vielen anderen Arthropodengruppen verschiedenartig vorkommen. Bei den Insekten erscheinen sie z. B. stets als unpaare Organe, als Rückenfurchen, die sich in röhrenförmige Bildungen schließen, deren Zellen im Dotter zu Grunde gehen; bei den Arachnoideen dagegen entwickeln sie sich als paarige Organe, bald von demjenigen Typus, wie z.B. bei Sphaeroma oder Idotea, bald vom Typus, der an die Verhältnisse bei Asellus oder bei Ligia oceanica lebhaft erinnert. Den ersten Typus finden wir z. B. bei Phalangium und Limulus, den letzteren z. B. bei den Acariden!). Obwohl alle Arten von Dorsal- und Dorsolateralorgane in erster Linie Einrichtungen darstellen, die zur Reduktion der Vitelloeytenschicht dienen, haben sie sich sekundär in einigen Fällen noch anderen Funktionen angepasst. So finden wir in manchen Fällen eine sekre- torische Thätigkeit in diesen Organen. Ob das Sekret zur Anheftung des Embryos an die Dotterhaut dient, oder ob es eine flüssige Schutz- hülle zwischen der Dotterhaut und der Körperwand des Embryo bildet, das ist schwierig zu beantworten. Eine Anheftung des Embryo an die Dotterhaut mittelst der Dorsolateralorgane haben wir, wie oben gesagt, bei /dotea konstatiert. Obwohl wir bei verschiedenen Crustaceen bald paarige, bald un- paarige, bald die einen und die anderen Organe gleichzeitig antreffen, 1) P. Kramer, Ueber die Typen der postembr. Entw. bei den Acariden. Arch. f. Naturgeschichte. 57. Jahrgang, 1891. 746 Klebs, Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. schließt das die Möglichkeit nicht aus, dass in manchen Fällen die unpaaren Organe aus dem Zusammenfluss der beiden paarigen ent- stehen können. Und namentlich in sehr vielen Fällen wurde (Mysis Chameleo, Mysis Lamournae, Idotea, Parapodops’s) eine ansehnliche Verschiebung der dorso-lateralen Organe in der Richtung nach oben beobachtet. Bei Ligia oceanica stellt das unpaare Kückenorgan samt den zwei faltenförmigen (pantoffelartigen) dorso-lateralen Organen ein kontinuierliches Ganzes, welches mit Nadeln leicht als ein einheit- liches Gebilde abpräpariert und von dem keste der Vitelloeytenschicht, mit dem es sehr lose verbunden ist, leicht abgelöst werden kann!). Wenn also die dorso-Jateralen Organe nur etwas mehr verkürzt und mehr nach oben verschoben und das Dorsalorgan mehr lateralwärts sich verbreiten würde, so möchte in diesem Falle eine einheitliche Dorsalplatte entsteben, etwa wie z. B. Herrick?) bei Alpheus be- schrieben hat. Solche breitere Dorsalplatten sind wohl phylogenetisch als aus einem Zusammenfließen der dorso-lateralen und dorsalen Organe oder bloß der beiden dorso-lateralen entstanden zu denken. [96] Georg Klebs, Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pe I. Sporodinia grandis. (Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik Bd. XXXII, H. 1, p. 70.) Die vorliegende Arbeit ist eine Ergänzung des im Jahre 1896 er- schienenen Werkes über die Fortpflanzung der Protobionten, da in diesem Werke der Abschnitt über die Pilze nur zwei Spezies umfasste. Was die Untersuchungen über Sporodinia ganz besonders interessant gestaltet, das ist der Umstand, dass damit zum erstenmal die Be- dingungen der Zygosporenbildung experimentell nachgewiesen werden. Von Dutzenden von Zygomyceten sind die Zygosporen beschrieben, aber bei keiner Spezies konnte ein sicheres Mittel angegeben werden, wie man diese Fortpflanzungsorgane durch Kulturen erhalten könne. Klebs studierte die Fortpflanzungsbedingungen nach folgenden Gesichtspunkten: . Kinfluss der Feuchtigkeit und des Sauerstoftes. . Einfluss des Nährsnbstrates. . Einfluss der Temperatur und des Lichtes. . Bildung der Parthenosporen. 5. Zusammenfassung und Allgemeines. Sporodinia grandis wird auf den Hüten von Agaricus campestris sefunden und als Parasit dargestellt. Nun beweisen aber die Unter- Bo m 4) Vergl. die Fig. 56 und 35 in der Arbeit: J. Nusbaum: „Mataryaty do embıyogenii i histogenii röwnonogöw (Isopoda). Krakau, 189. 2) Brook and Herrick, The Embr. and Metam. of the Macrura. Mem. nat. Acad. of Sc. Washington. V. V, 189. Klebs, Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. 747 suchungen von Klebs aufs deutlichste, dass Sporodinia grandis eher als Saprophyt erklärt werden muss. Als Nährmedien verwendet der Verfasser 1. Brot mit Pflaumensaft getränkt, 2. Schnitte durch Rüben von Daucus Carota und 3. Agar-Pflaumensaft. Die Kulturversuche er- gaben interessante Resultate über den Einfluss der Feuehtig- keit und des Sauerstoffes. Die Beobachtung liegt schon in vielen Pilzarbeiten vor, dass die Fortpflanzungsorgane der Pilze, seien es Conidien, Sporangien oder Zygosporen, auf der Oberfläche des Sub- strates erscheinen. Bei der Erklärung dieser Erscheinung dachte man sofort an den Einfluss des Sauerstoffes, ‚betrachtete denselben als Hauptursache der angeführten Lebensweise, ohne beweisende Experi- mente als Stützpunkt dieser Theorie anführen zu können. Durch die Klebs’schen Untersuchungen geht nun klar und deutlich hervor, dass selbst bei geringem Luftdruck noch eine Fortpflanzung des Pilzes mög- lich ist, dass also ein Sauerstoffmangel weder die eine noch die andere Fortpflanzungsweise verhindert. Erst bei 20—25 mm Barometerstand hört die Zygotenbildung auf, während die Sporangien noch bei 15 mm Barometerstand entstehen. Es ist also die Zygosporenbildung gegen Sauerstoffmangel empfindlicher als die Sporenbildung. Dagegen be- sitzt der Feuchtigkeitsgrad der Luft einen bedeutenden Einfluss auf die Fortpflanzungsweise des Pilzes. Bei einem relativen Feuchtigkeits- gehalte von 45—65°/, findet nur Sporangienbildung statt, während ein größerer Feuchtigkeitsgehalt die Zygotenbildung hervorruft. Von dem Feuchtigkeitsgehalte der Luft hängt aber die Intensität der Tran- spiration eines Pflanzenorganes ab, welches von der betreffenden Luft umgeben ist. Ohne Zweifel werden die Lufthyphen transpirieren. Je größer nun die Transpiration ist, desto günstiger ist die Bedingung für die Sporenbildung. Unterhalb der relativen Luftfeuchtigkeit von 45°/, findet keine Sporenbildung mehr statt, sondern da entsteht nur steriles Mycel. Wurde die Transpiration durch einen großen Feuch- tigkeitsgehalt der Luft unterdrückt, da erschienen die Zygoten, welche bei 95—98°/, die Oberhand erlangt hatten. Aber auch bei relativ hohen Feuchtigkeitsgraden konnte die Transpiration dadurch möglich gemacht werden, dass ein Luftstrom durch den Kulturraum gesogen wurde. Dieser Luftstrom bewirkte durch die Herstellung der Tran- spiration das Auftreten der Sporangien. Die Bedeutung der Tran- spiration für die Sporenbilduug erklärt sich teilweise aus den Experi- menten bei 90—95 °/, und bei 50—55°/, relativer Luftfeuchtigkeit. In ersterem Falle erreichte die Mycelvegetation eine Höhe von 30 cm, während beim zweiten Feuchtigkeitsgrade die Mycelvegetation nicht mehr als 3 mm hoch war. Somit musste eine starke Transpiration das Wachstum behindert haben, welcher Umstand dann die Sporen- bildung begünstigte. Es muss aber die Transpiration noch andere Prozesse auslösen, welche der Sporenbildung günstig sind. Interessant Tas Klebs, Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. ist auch der Nachweis des negativen Hydrotropismus und des positiven Heliotropismus von Sporodinia grandis. Der erstere ist die Ursache, warum der Pilz diejenigen Stellen des Kulturgefäßes aufsucht, welche einen geringern Feuchtigkeitsgehalt der Luft besitzen, wo er dann zur Sporangienbildung übergeht. Der Heliotropismus ist etwas kräftiger als der Hydrotropismus. Gerade die Untersuchungen von Sporodinia zeigen, „dass es sich bei dem Hydrotropismus um das Aufsuchen einer optimalen Feuchtigkeit handelt, bei der die für die Sporangienbildung gerade günstigste Transpiration erfolgen kann“. Damit lehnt sich Klebs eng an die Theorien Oltmanns über den Heliotropismus an. Die Experimente mit verschiedenen Nährsubstanzen ergaben als wichtiges Resultat, dass die Ausbildung der Sporen und der Zygoten von dem chemischen Charakter des Nährbodens abhängig ist. Als stickstoffreiche Nährmedien wurden angewendet: Pepton, Protogen, Albumin, Leuein, Asparagin, Harnstoff. Durch alle diese Nährsub- stanzen wurde die Bildung von Zygoten unterdrückt. Von den Kohlen- hydraten und verwandten Körpern waren Zygoten bildend: Glycerin, Mannit, Dulzit, Traubenzucker, Lävulose, Galaetose, Rohrzucker, Mal- tose und Dextrin. Für jede Zygoten bildende Substanz ist aber eine untere Konzentrationsgrenze notwendig. Dieselbe beträgt für: „Traubenzucker... 720,5--1 9, Dulziti a INHABER: kasuloseridn Id sa BI EHI EB Mannibukov RI RTOT Röhrzuekeri its. ap 1 I mE PINF-AH Malteser DEU, AN 34 „ Galaktosevilan dp) Beiinlay AB lyernn93 Rn N Dextirin OWN MON 8108, Es wurden auch Versuche angestellt mit Mischungen von Kohlen- hydraten und stiekstoffreichen Substanzen, ohne dass dabei wichtige positive Resultate erhalten wurden. Sehr interessant gestalteten sich die Resultate der Experimente mit organischen Säuren und deren Salzen. Auf diese Versuche leitete der Gedanke, dass die natürlichen Nährsubstrate (Pflaumensaft ete.) zum größten Teil aus Kohlenhydraten, Stiekstoffverbindungen und unor- ganischen Salzen bestehen und doch auf andere Weise die Fort- pflanzung von Sporodinia beeinflussen als es bei den künstlichen Nähr- böden ähnlicher Zusammensetzung der Fall war. Es mussten also in den natürlichen Nährmedien noch andere chemische Substanzen wirksam sein, vielleicht die organischen Säuren oder deren Salze. Freie Säuren und ihre neutralen Salze ergaben keine Zygotenbildung, während die sauren Salze positive Resultate ergaben. Unter diesen Steiner, Die Funktionen des Centralnervensystems u. ihre Phylogenese. 749 Salzen waren die günstigsten: saures weinsaures Kali, saurer apfel- saurer Kalk und saures apfelsaures Ammon.. Letzteres ermöglichte schon von sich aus die Zygotenbildung. Temperatur und Licht haben insofern einen Einfluss auf die Fortpflanzungsweise, als sie die Transpiration verändern. Die drei Temperaturpunkte sind: Minimum 1—2°C. Optimum 21—24° C. Maximum der Zygotenbildung 27—23° C. | e der Sporenbildung 29—-30° C. & des Wachstuns 31—32’ C. Auch bei diesen Experimenten konnte die Beobachtung gemacht werden, dass steigende Temperatur die Transpiration auch bei gleich- bleibendem Feuchtigkeitsgehalte erhöht und in diesem gegebenen Falle die Sporenbildung begünstigt. Die Parthenosporen (von de Bary Azygosporen genannt) wurden bei Sporodinia schon oft beobachtet, aber über die Bedingungen ihrer Ursachen war bisher nichts bekannt. Klebs erhielt die Partheno- sporen unter folgenden Umständen: a) Die feuchte Luft, welche die Zygosporenbildung hervorruft, wird durch Chlorcaleium allmählich trockener gemacht; b) Kulturen in feuchter Luft werden einer Temperatur von 26— 27°C. ausgesetzt, welche Temperatur eine Hemmung der Zygosporen bewirkt; c) Kulturen, welche eine gewisse Zeit einer Temperatur von O—1°C. ausgesetzt waren, wurden in die gewöhnliche Zimmertemperatur gebracht; d) die Kulturen werden einem Luftdruck von 50 mm Barometer- stand ausgesetzt. Alle diese Versuche bedeuten eine Hemmung der Zygosporenbildung, ohne. dieselbe ganz zu unterdrücken. Die hohe Bedeutung der Transpiration für die Fortpflanzung der Pilze, und im vorliegenden Falle der Sporodinia grandis, führt Klebs noch zu einigen Betrachtungen über das Verhältnis des Lebens im - Wasser und in der Luft. Es sind nur wenige allgemeine Fragen, welche der Verfasser berührt, aber wichtig genug, um den vom Refe- renten schon oft geäußerten Wunsch zu wiederholen, es möchten die zahlreichen limnologischen Studien, die an allen wichtigen stehenden Gewässern jetzt betrieben werden, den physiologischen Fragen mehr Aufmerksamkeit schenken, als es bisher geschehen. Man vergesse es aber nicht: das einzige Mittel ist das Experiment. 1113] Hans Bachmann (Luzern). J. Steiner, Die Funktionen des Üentralnervensystems und ihre Phylogenese. Dritte Abteilung. Die wirbellosen Tiere. Mit eingedruckten Abbildungen u. einer Tafel in Farbendruck. Verlag von Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig 1898. In dieser für den Biologen jeder Richtung wissenswerten Arbeit unternimmt es der Verfasser zum ersten Male das Nervensystem der 750 Steiner, Die Funktionen des Centralnervensystems u. ihre Phylogenese, Evertebraten in systematischer Weise auf seine Funktionen zu untersuchen und mit dem Nervensystem der Wirbeltiere in Beziehung zu bringen, und zwar auf Grund von eignen vivisektorischen Versuchen, welche fast bei allen Klassen der Evertebraten wesentlich neues zu Tage gefördert haben. Der Verf. wurde bei seinen Untersuchungen geleitet von der von ihm aufgestellten Definition von Gehirn, welche lautet: „Das Gehirn ist definiert durch das allgemeine Bewegungszentrum in Verbindung mit den Leistungen wenigstens eines der höheren Sinnesnerven.“ Experimentell suchte der Verf, nun bei den verschiedenen Evertebraten festzustellen, ob ein Teil des Nervensystems vorhanden wäre, welcher unter obige Definition passte. Die Verbindung mit einem Sinnesorgan war ja morphologisch leicht festzustellen; zur Aufsuchung des allgemeinen Bewegungszentrums durchschnitt der Verf. die betreffende Nervenabteilung einseitig und. be- obachtete, ob das Tier darnach echte Zwangsbewegungen (bei den Ever- tebraten stets Kreisbewegungen) machte. War dies der Fall, so enthielt der einseitig durchschnittene Teil des Nervensystems das Bewegungs- zentrum; fehlte die Kreisbewegung, so fehlte auch jenes. So zeigte sich bei den Crustaceen, dass das sogenannte dorsale Schlundganglion das Gehirn darstellt und dass es diese Bedeutung mit keinem andern Ganglion der Kette zu teilen hat. In gleicher Weise stellt auch für die Isopoden das Dorsalganglion ein echtes Gehirn dar und kann deshalb als Cerebralganglion bezeichnet werden. Bei den tracheaten Arthropoden und den Myriopoden stellt ebenfalls das Dorsalganglion ein echtes Gehirn dar, nicht aber bei dem äußerlich so auffallend ähnlichen Nervensystem der Anneliden. Diese besitzen überhaupt kein Bewegungszentrum und damit nach Verf. kein Gehirn; da aber jenes Dorsalganglion die Ursprungstätte der höhern Sinnesnerven ist, so bezeichnet Verf. das Dorsalganglion der Anneliden als Cerebral- ganglion oder als Sinneshirn. Das Nervensystem der unsegmentierten Würmer, der Nemertinen und Planarien hat funktionell denselben Wert, wie jenes der Anneliden, also auch neben dem Bauchmark ein Sinnes- hirn innerhalb eines Dorsalganglions. Bei den Distomeen dagegen besitzt der ganze Körper ein einziges Ganglion, von dem alle Erregungen aus- gehen, wir haben hier den 'I’ypus des elementarsten Nervensystems. Bei den doch schon ziemlich hoch entwickelten Mollusken findet sich kein Gebilde, auf welches die Definition des Verf. vom Gehirn passt, doch muss er dem dorsalen Schlundganglion bei Octopus den Charakter eines Großhirns vindizieren, obwohl weder die höhern Sinnesnerven aus ihm entspringen noch die einseitige Zerstörung Zwangsbewegungen ver- ursacht, weil nach Zerstörung des Dorsalganglions der Octopus die Fähig- keit verloren hat seine Nahrung selbst zu nehmen, weil er sich als seelen- blind erweist und seine willkürlichen Bewegungen eingebüßt hat. Alles dieses sind Funktionen des Großhirns der Wirbeltiere, sodass Verf. dem Octopus ein Großhirn aber kein Gehirn zuschreibt. Bei den Appendieularien, Echinodermen und Öoelenteraten haben alle Versuche zu der Ansicht geführt, dass diese Tiere kein Gehirn besitzen, wohl aber können sie soviel Sinneshirne besitzen als höhere Sinnes- organe vorhanden sind. Das Verhalten der Gaänglien bei Octopus lässt den Verf. darauf schließen, dass bei diesem das Großhirn sich aus dem Sehzentrum gebildet hat, während das Großhirn der Wirbeltiere sich ja Reibmayr, Inzucht und Vermischung beim Menschen. 51 wahrscheinlich aus einem Riechzentrum weiter entwickelte. Die große Zahl interessanter vivisektorischer Versuche und ihre Ergebnisse müssen im Original eingesehen werden. Mit Dank ist es auch zu begrüßen, dass der Verf. durch eine recht ausführliche historische Einleitung eine Sammlung der bisher bekannten Ergebnisse der Nervenphysiologie bei niederen Tieren dem Leser zusammenstellt, während bisher diese Ver- suche, in allen möglichen morphologischen Zeitschriften verstreut, besonders dem Physiologen kaum zugänglich waren. H. PR." PlO] Albert Reibmayr, Inzucht und Vermischung beim Menschen. Leipzig und Wien. Verlag von Franz Deuticke. 1897. 268 Seiten. Der Verfasser schließt sich in seinem nicht nur geschichtlich interessanten Werke den Ausführungen Buckle’s an, der den Satz aufgestellt hatte, dass die Geschichte eine Naturwissenschaft des Menschengeschlechtes sei und es nur eine wissenschaftliche Methode gäbe, die für dieselbe passt — die natur- wissenschaftliche Methode der Induktion. Allein Buckle hatte dem Einfluss des Erdbodens und des Klimas auf die menschliche Geschichte eine zu große Wirkung zugeschrieben; im Gegensatz zu ihm sucht der Verfasser nachzu- weisen, dass Inzucht und Vermischung die maßgebendsten Faktoren in der Völkerentwicklung darstellen. In einer kurzen Einleitung werden die hauptsächlichsten Theorien der Ver- erbnng besprochen und nach Ansicht des Verfassers neigt sich der Sieg im Streite über die Vererbung erworbener Eigenschaften auf die Seite Lamarck’s der den Standpunkt vertrat, dass „Alles, was die Natur die Individuen er- werben oder verlieren lässt, durch Vererbung übertragen wird“. Die Aerzte haben diesen Standpunkt wohl immer vertreten, da sie sich ja im praktischen Leben durch fortwährende Beobachtung von der Uebertragung erworbener krankhafter Zustände und auch der dagegen erworbenen Widerstandsfähigkeit von der Richtigkeit der Lamarck’schen Theorie überzeugen können. Um die Folgen von Inzucht und Vermischung zu betrachten, haben wir außer der Betrachtung der Völkergeschichte noch die Erfahrungen der Tier- züchter zur Verfügung, welche besonders in der Vollblutpferdezucht über ein riesiges statistisches Material verfügen. Beide Wege führen uns zu denselben Sätzen bei Mensch und Tier. Nahe Inzucht ist notwendig, um eine Rasse zu veredeln, aber beim Hervorbringen dieses Resultates ist die größte Sorgfalt nötig, wegen Neigung zu Unfruchtbarkeit und Schwäche. Die Folgen einer lange fortgesetzten nahen Inzucht sind Verlust an Größe, an konstitutioneller Kraft und Fruchtbarkeit, zuweilen in Begleitung von einer Neigung zu Missbildungen. Sowohl edle vorteilhafte, wie krankhafte, verderbliche, beiden Eltern ge- meinsame Neigungen werden durch nahe Inzucht verstärkt und gehäuft. Durch nahe Inzucht hat sich bei den hervorragendsten Völkern des Alter- tums eine nationale Eigenart ausgebildet, deren edelste Produkte in Kunst und Wissenschaft wir noch heute anstaunen, stets ist aber auch durch Uebertrei- bung der Inzucht eine Degeneration aufgetreten, deren schädliche Folgen nur durch ausgiebige Vermischung wieder unwirksam gemacht werden konnten. Die naive Frage, was also im Völkerleben anzustreben sei, allgemeine Völkervermischung oder strengste Beschränkung der einzelnen Nationen auf sich und ihre Eigenart, erledigt sich dahin, dass wie bisher so auch in Zukunft 159 Bokorny, Lehrbuch der Pflanzenphysiologie. Inzucht sowohl wie Vermischung in abwechselnd herrschenden Perioden not- wendig sind zur Erlangung eines stetigen Fortschrittes der gesamten Menschheit. Leise deutet der Verfasser in seinem Werke an, dass er von der ameri- kanischen Nation, nach der ausgiebigen Vermischung fast aller Nationen die dort stattgefunden hat, die Bildung einer neuen Rasse erwartet, die der Mensch- heit neue Ideale zuführen wird. Schon macht sich ja dort das Bestreben nach Absonderung von den übrigen Nationen geltend, oder das instinktive Ver- langen nach Inzucht, das schon in der Doktrin Ausdruck gefunden hat, „Amerika den Amerikanern“. Die Inzucht ist nun aber der speziell rassebildende Faktor, dessen Wirkung wohl auch hier in Erscheinung treten wird. Die anthropo- 1ogischen Messungen haben dann auch ergeben, dass thatsächlich eine neue Menschenrasse mit wohldefinierten anatomischen Merkmalen in Amerika in der Bildung begriffen ist. F. [105] Otto Gaupp, Herbert Spencer. (Frommann’s Klassiker der Philosophie, herausgeg. von Richard Falceken- berg, Bd.V.) 8. VI u. 160 Stn. Mit Spencer’s Bildnis. Stuttgart 1897. Fr. Frommann’s Verlag (E. Hauff). Wenn irgend ein Philosoph auf die Entwicklung der Biologie der Neu- zeit Einfluss geübt hat, so ist es Herbert Spencer. Ist er es doch, welcher das Entwicklungsprinzip zur Grundlage der Welterkenntnis erhoben hat und welcher vor Darwin die Bedeutung dieses Prinzips für die Lebewelt nicht nur erkannt, sondern auch nach allen Richtungen im Einzelnen verfolgt hat. Nicht nur seine „Prinzipien der Biologie“ allein, sondern sein ganzes System verdienen daher, von allen wissenschaftlichen Biologen auf das genaueste studiert zu werden. Als sicherer Führer bei solchem Studium empfiehlt sich das Büchlein des Herrn Gaupp. Er führt uns, der Methode des Meisters getreu, den Denker in seinem Entwicklungsgange vor, mit den Essays be- ginnend und dann das große Werk der Prinzipienlehre von dem „Prospekt“ des Jahres 1860 angefangen bis zur schließlichen Vollendung im Einzelnen be- sprechend. Wir können das schöne, anregend geschriebene Buch allen unseren Lesern nur auf das wärmste empfehlen. Pr. 100] Dr. Thomas Bokorny, Lehrbuch der Pflanzenphysiologie, mit besonderer Rücksichtnahme auf Landwirtschaft und Gärungsindustrie. Berlin, Verlag von Paul Parey, 1898, 236 S., Gr. Oktav, Geb. 6 Mk. Dieses mit zahlreichen und vortrefflichen Textabbildungen ausgestattete Lehrbuch beabsichtigt einen Grundriss der Pflanzenphysiologie denjenigen zu liefern, welche sich mit den wichtigsten, besonders aber den chemischen Kapiteln, der Pflanzenphysiologie so weit vertraut machen wollen, als es Landwirtschaft und Gärungsindustrie erfordern. Diesen Zweck erfüllt es auch in trefflicher Weise. Es behandelt zunächst die Atmung, dann die Assimilation des Kohlen- stoffs in grünen Pflanzen, die organischen Nährstoffe der Pilze, und die mine- ralischen Nährstoffe der Pflanzenzellen. Dann werden die Gärungsvorgänge besprochen und die wichtigsten Spalt- und Sprosspilze betrachtet. Hierauf folgen die Kapitel über Wasseraufnahme, Fortpflanzung, Wachstum, Bewegungen der Pflanzen und die schädlichen Einflüsse. Alles ist kurz und bündig dem Zweck entsprechend behandelt, langatmige Weitschweifigkeit ist vermieden. Unter den Kleinigkeiten, welche übersehen wurden, wäre zu erwähnen, dass die „Seminose“ später als Mannose erkannt wurde. Auch wäre ein spezielles, die Enzyme behandelndes Kapitel von Wert gewesen. Loew. [109] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer, Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der en in nr 24 Nluhahr von je 94 Dogs bilden einen Band. Preis Pr Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Xvon. Band. 1. _ November 1 1898. Nr. 2l. a Weismann, Ueber UT Selektion, eine Quelle bestimmt RL yauı tion. — Mazzarelli, Bemerkungen über die Ahalniere der freilebenden Larven der Opisthobranchier. — Höber, Neue Methoden der Blutuntersuchung. — Kaiserling, Praktikum der wissenschaftlichen Photographie. A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion, eine Quelle bestimmt gerichteter Variation. (Jena. Gustav Fischer. 1896.) Kritisches Referat von A. Spuler in Erlangen. Auf breiterer Basis als in der früher referierten Schrift „Neue Gedanken zur Vererbungs-Frage“ (s. Biol. Centralbl., 1898, S. 203 ff.) unternimmt es A. Weismann nachzuweisen, dass, wenn auch die primären Variationen immer zufällig sind, ein innerer Mechanismus besteht, der sie zwingt in bestimmter Richtung weiter zu gehen. Wenn man nicht nur seine Theorien, sondern das Thheoretisieren über- haupt hart angegriffen und den Wert der kleinsten neuen Thatsache unendlich höher als den „der schönsten Theorie“ taxiert hat, so betont Weismann die Berechtigung und den Wert von Theorien in den Naturwissenschaften. Es „verbindet erst die Theorie die Thatsachen zur wirklichen Wissenschaft und ist die unerlässliche Bedingung jedes be- deutenderen wissenschaftlichen Fortschritts“. Bei den verwickelten Erscheinungen der Vererbung reichen wir nicht aus mit Stoffeinheiten, „wir müssen weiter oben anfangen und die Annahme von Lebens-Einheiten und von Vererbungs-Ein- heiten machen“. Auf dem Wege der Entwicklungs-Mechanik ist für das Vererbungs-Problem wenig oder nichts zu gewinnen, denn die Rätsel der Vererbung liegen nicht in der Typen-Ontogenese, sondern in der der Individuen. Deshalb „müssen wir uns aus den beobach- teten Vererbungs-Thatsachen eine möglichst ins Einzelne ausgearbeitete Theorie machen“, und eine solche sollte Weismann’s Keimplasma- Theorie sein. — „Das eigentliche Endziel dieser Schrift ist die Rehabili- tierung des Selektionsprinzips.“ XVII. ; 48 754 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. Trotz der vielen, zum Teil leidenschaftlichen Angriffe, welche in neuerer Zeit gegen die Bedeutung oder sogar gegen die geringste Be- rechtigung der Darwin’schen Hypothese gerichtet worden sind, kann Weismann nicht glauben, dass sie je „wieder verschwände aus der Reihe der großen Erklärungsprinzipien, mittels deren wir uns den Geheimnissen der Natur zu nähern suchen“. Er erblickt darin einen Rückschlag auf die Ueberschätzung des Selektionsprinzips in dem Sinne, dass man seine Wirkungsweise schon ganz zu verstehen glaubte und dann, je mehr man eindrang, um so deutlicher sah, dass daran noch Etwas fehlt. Schwierigkeiten, die um so schwerer wiegen, als es uns nicht gelingen will, den Vorgang im einzelnen Falle als wirk- lich existierend nachzuweisen. „Am niederdrückendsten von Allen vielleicht ist dann noch der Umstand, dass wir kaum in irgend einem in der freien Natur vor- kommenden Falle überhaupt nur sagen können, ob eine beobachtete Variation nützlich ist oder nicht.“ Dem Referenten möchte dieser Punkt gerade nicht so aussichtslos scheinen, er möchte nur an das von ihm schon vor einigen Jahren hervorgehobene Auftreten von Nonnenvarietäten in Berlins näherer Umgebung erinnern!). Trotz unserem Unvermögen dem einzelnen Fall zu folgen, dürften wir nicht das Prinzip der 4) Siehe Verhandl. d. deutsch. Zool. Gesellsch. zu Straßburg, 1895, S. 128. Inzwischen hatte ich Gelegenheit in Berlin und dem nördlichen Deutschland in diesem August die Psilura monacha wiederum zu beobachten. Die zuerst an den elektrischen Lichtern im Norden Berlins sich zeigenden Falter, die also aus der Nähe stammten, zeigten viel häufiger dunkle Formen, darunter viel zahlreicher die typische ab. eremita als vor 6 Jahren; in den späteren Tagen der Flugzeit traten die dunkeln Formen etwas zurück. Schon in der näheren Umgebung Berlins war, sowohl am Müggelsee wie auf der Spandauer Seite, eine Abnahme der dunkeln Formen zu konstatieren — was ja zum Teil auf Uebersehen der dunkeln Exemplare beruhen könnte. In Stettin waren dunkle Varietäten recht spärlich, wenngleich auch dort die Tiere meist nicht die scharfen Zeichnungen hatten, wie wir sie in Süddeutschland so häufig finden. Auf Rügen sah ich meist recht helle Tiere, ebenso im Mecklenburgischen und in Holstein. Wie mir Herr E. Hering in Stettin freundlichst mitteilte, waren dort dunkle Exem- plare in den vorausgehenden Jahren häufiger als heuer. Bei diesen Verhältnissen in unmittelbarer Nähe der See erscheint es ausgeschlossen, etwa den nassen Som- mer für das zahlreiche Erscheinen der eremita-Form in und unmittelbar bei Berlin verantwortlich zu machen (analog dem Vorkommen von ab. zatima des Spilosoma lucerieipedum). Durch die Zucht von in Berlin gesammelten Raupen und Weiter- zucht der Eier von an verschiedenen Punkten gefangenen Weibehen durch mehrere Generationen wäre man unter Berücksichtigung eines zahlreichen ge- sammelten, in Freiheit entwickelten Vergleichsmaterials meines Erachtens in der Lage, auf die Fragen nach der Art der Umbildung der Nonne und nach deren Ursachen eine befriedigende Antwort zu erhalten. Bei der enormen Bedeutung einer derartigen Untersuchung ist zu hoffen, dass sie in Angriff genommen werde — mir ist es leider zur Zeit aus verschiedenen Gründen unmöglich, selbst die Sache zu bearbeiten, A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. 755 Selektion fallen lassen, denn für offenkundige Anpassungen ist keine andere natürliche Entstehungsweise denkbar. Um dies näher darzulegen, bespricht nunmehr Weismann das so bekannte und lehrreiche Beispiel des Schmetterlingsflügels. Wenn Referent auf diesen Teil kritisch eingeht, so geschieht dies in der Ueberzeugung, dass man bei Beurteilung der für die Theorie grund- legenden Thatsachen nicht kritisch genug vorgehen kann. Gerade die wohlfeilen, sehr oft bei nur etwas näherem Zusehen unhaltbaren Erklärungen von Thatsachen nach dem Darwin’schen Prinzip haben meines Erachtens vielfach die Hauptschuld, wenn einzelne nüchterne Na- turforscher sich in Opposition nicht nur zur Darwin’schen, sondern prinzipiell zu jeder Theorie stellen. — Aber auch so wohldurchdachte Ausführungen wie die meines hochverehrten Lehrers scheinen mir nicht ganz einwurfsfrei, und die Lösung des Problems kann nur ge- fördert werden, wenn man gegenteilige Anschauungen, und beträfen sie teilweise auch nur Punkte von sekundärer Bedeutung, geltend macht. Nachdem Weismann zugegeben, dass gewisse Regeln der Zeich- nung vorkämen, die indess nur für kleine Formengruppen, öfters nicht einmal füreine Gattung maßgebend seien, sagt er: „Wenn innere Gesetze die Zeichnung des Schmetterlingsflügels bestimmten, so müssten wir erwarten, dass sich irgend welche allgemeine Normen aufstellen ließen, sei es nun, dass Ober- und Unterseite der Flügel gleich, sei es, dass sie verschieden sein müssten, oder dass die Vorderflügel gleich oder anders gefärbt wären, wie die Hinterflügel u. s. w. In Wirklichkeit aber kommen alle möglichen Kombinationen neben einander vor und keine Regel geht durch.“ Sobald wir aber „das Prinzip der Nützlichkeit mit hereinziehen, wissen wir, warum bei den Tagfaltern die Oberseite die bunten Farben allein zu tragen pflegt, die Unterseite aber protektiv gefärbt ist, oder warum bei den Nachtfaltern die Vorder- fligel wie Rinde oder altes Holz oder wie ein Blatt aussehen, während die im Ruhen verdeckten Hinterflügel allein lebhaft gefärbt sind.“ — Wenn man „auch von den zahlreichen Fällen eigentlieher Mimiery ganz absieht, die immerhin das schärfste Beweismaterial!) darstellen, so lassen doch schon die angeführten Thatsachen keinen Zweifel darüber, dass nicht innere Notwendigkeit, sog. Bil- dungsgesetze, die Flächen des Scehmetterlingsflügels be- malt hat, sondern dass die Lebensbedingungen den Pinsel führen“. In der Thatsache, dass die meist auffallenden Farbenmuster immuner Schmetterlinge, wie der Heliconiden, oben und unten auf den Flügeln gleich sind, könnte man ein Gesetz annehmen und sagen: „Helieonidenmuster schlägt von oben nach unten durch. Allein unter den zahlreichen Nachahmern der Heliconiden steht auch die Gattung Protogonius, welche oben das Farbenmuster der Heliconide, unten aber 1) Vom Ref. gesperrt. 48* 756 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. ein prachtvolles Blattmuster trägt. Während des Flugs erscheint sie als Heliconide, im Sitzen als Blatt.“ Sehen wir uns diese Ausführungen etwas näher an! Im ersten zitierten Satze werden Zeichnung und Färbung als ein und dasselbe angesehen, was gar nicht zutrifft. Gleich gezeichnete Schmetterlinge können die verschiedensten Färbungen aufweisen. Die Färbung wollen wir als etwas ungemein Variables aus dem Spiele lassen und nur die Zeichnung näher berücksichtigen. Ich habe vor längerer Zeit nachgewiesen, dass bei den Nymphaliden und Satyriden Ober- und Unterseite, im Prinzip Vorder- und Hinterflügel gleich ge- zeichnet sind, dasselbe habe ich ausführlicher für die Equitiden durch- geführt, dasselbe gilt für alle andern Rhopaloceren — also bei den Rhopaloceren ist als ausgemacht anzusehen, dass Vorder- und Hinter- flügel, Ober- und Unterseite entsprechende, resp. identische Zeichnung ursprünglich trugen. Wie sehr dieser Zusammenhang sich noch jetzt geltend macht, zeigen die Varietäten, z. B. die vielfachen und auffälligen der Thais-Arten, bei denen das gleiche Element der Zeichnung fast immer auf Ober- und Unterseite, auf Vorder- und Hinterflügel in gleicher Rich- tung im Einzelfalle variiert. Nun sind aber diese Uebereinstimmungen nicht auf die Rhopaloceren beschränkt. Sie gelten für die Saturniden, Lipariden und Arctiiden ebenso. Für letztere ist der Nachweis nicht ganz leicht, indess findet man sich, wenn man /asciata und die Spilo- soma-Formen als Ausgangspunkt wählt, leicht durch'). Das gleiche gilt für die Pyraliden und die von ihnen ausgehenden Geometriden und Noetuen, allerdings bei diesen nur für einzelne Formen direkt zu er- weisen. — Die Zeichnung ist für große Gruppen sicher einheitlich an- gelegt. Diese Anlage ist gegeben; durch Umänderung dieser Anlage entstehen die Zeichnungen der einzelnen Familien und aus diesen die einzelnen Muster in verschiedenster Weise. Für viele Fälle — für alle, die eine sympathische Färbung betreffen, ist es ohne weiteres einleuch- tend —, werden Selektionsprozesse mehr oder weniger die Umgestal- tung der Zeichnung geleitet haben, für viele aber nicht. Es ist leider für die hierher gehörigen Formen, so z. B. die Papilios zum größten Teil nicht möglich festzustellen, welcherlei Einflüsse die Umgestaltung bewirken — dass jedoch gewisse Richtungen bei der Entwicklung ein- gehalten werden, ist nicht zu verkennen. Aber es tritt bei fast allen Variationen der Tagfalter, Arctiiden ete. deutlich in Erscheinung, dass zunächst Vorder- und Hinterflügel in gleicher Richtung variieren. Der Fortschritt ist also ein leichterer, wenn die Entwicklung so fort- schreitet. Daraus erklärt es sich, ‚dass zumeist extreme Zeichnungs- formen die Zusammengehörigkeit der Variationen von Vorder- und Hinterflügel deutlich illustrieren. Gehen Vorder- und Hinterflügel ver- 1) Die seit Jahren fast abgeschlossene diesbezügliche Untersuchung fertig zu stellen, hat mir leider bisher die Zeit gefehlt. A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. 157 schiedene Wege, so handelt es sich zumeist um ein Diffuswerden der Zeichnungselemente oder Zerspaltung derselben — woher das so kommt, darüber kann ich jetzt keinerlei Aufschluss geben. Wenn Weismann die Fälle von eigentlicher Mimiery als das schärfste Beweismaterial ansieht, so scheint er mir dabei nicht genügend zu berücksichtigen, dass die Parallelen meist nach Schmetterlingsleich- namen aufgestellt sind ; und wer nicht die Tiere im Leben beobachtet, kann meines Erachtens kein Urteil darüber abgeben, ob Mimiery vorliegt oder nicht. Der sicher festgestellten Fälle dürften sehr wenige sein, denn wer kein geübtes Auge hat, also gewohnt ist, fliegende Schmetterlinge zu er- kennen, kann als kompetenter Beurteiler nicht gelten. Die Tiere, welche die Falter jagen, haben sicherlich ein mindestens so gutes Unterscheidungs- vermögen wie der Mensch, dessen Sehkraft doch wohl geringer sein dürfte als die durchschnittliche der Vögel. Vor allem aber scheint es mir nach allem, was ich beobachten konnte, unmöglich, dass Falter mit differenter Flügelgeäder-Architektur gleich fliegen — und gar manche, zunächst frappant scheinende Mimiery-Fälle scheinen mir aus diesem Grunde nicht stichhaltig. Wie schnell man mit der Fest- stellung eines mimetischen Verhaltens vielfach bei der Hand ist, zeigt der zuletzt eitierte Satz Weismanns. Man muss es doch für bedenklich halten, einfach anzunehmen, dass die Erscheinung des fliegenden Falters nur durch die Färbung der Oberseite bedingt sei, wie er es thatsächlich thut, indem er von dem unten mit Blatt- muster versehenen Protagonius sagt: „während des Flugs erscheint sie als Heliconide“ und später gar meint, „so gehörte doch nahezu Blindheit dazu, um zu leugnen, dass diese Schmetterlinge im Sitzen und im Flug in wirksamer Weise geschützt sind“. Ich bin im übrigen ganz der Ansicht Weismann’s, dass es nur Selektionsprozesse ge- wesen sein Können, welehe die wunderbaren Anpassungen bewirkt haben, nur meine ich, um dies nochmals zu betonen, die ursprüngliche Gleichheit der Zeichnung auf Vorder- und Hinterflügel, auf Ober- und Unterseite und die Neigung dieses Verhalten bei den meisten Variationen wieder hervortreten zu lassen, ist eine Thatsache, welche für die Art und Weise der Umbildung von einschneidender Bedeutung war, und diese Gleichheit erstreckt sich nicht bloß auf die so augenfällige Augenfleckenreihe der Nymphalo-Satyriden, für die Weismann zugiebt, dass sie auf innere Direktive hin entstanden sei. Dass diese Flecken- reihe vorhanden ist, beruht eben darin, dass die Zeichnungsanlage überhaupt ererbt ist, die Art ihrer Ausbildung im Einzelfalle ist genau so viel von der Selektion abhängig, wie die der übrigen Zeichnungs- elemente. In allen Fällen von Selektion kommen wir ohne die Voraussetzuug nicht aus, „dass sieh die nützlichen Variationen in einer für den Züchtungsprozess hinreichend großen Anzahl von 58 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. Individuenstetsdarbieten“. Wiegroß ist diese Voraussetzung, wenn man bedenkt, wiekomplizierteAenderungen oft durch die Abänderung eines Teiles bedingt sind; man denke nur an die parallelgehende Abänderung der Gebrauchsweise eines Teiles und die nötigen Aenderungen im Centralnervensystem! Die Thatsache einer gleichzeitigen, funktionell zwar harmonischen, aber ihrem Wesen nach ganz verschiedenartigen Abänderung zahlreicher Teile deutet „sehr bestimmt darauf hin, dass der Selektion Darwin’s und Wallace’s noch etwas fehlt“. „Wir müssen zu erkennen suchen, wie es kommt, dass die nützlichen Variationen immer da sind!“ Dass es unzulässig ist zur Erklärung der Coadaption das Lamark’- sche Prinzip anzurufen, hat Weismann früher eingehend bewiesen; auch als Arbeitshypothese, wie Lloyd Morgan will, kann er es nicht gelten lassen, dagegen sprechen allein schon die Abänderungen rein passiv funktionierender Teile. Aber nicht nur die Erscheinungen der Coadaption, auch die Einzelheiten anderer Verhältnisse und besonders auch die Erscheinungen der Verkümmerung wertlos gewor- dener Teile zeigen, dass die gewöhnliche Selektion, die „Personal- Selektion“ nicht Alles allein bewirkt. „Wir sehen vielmehr solche Rückbildungen wie einen stetigen, aus innern Ursachen hervorfließenden Entwicklungsprozess seinen Ablauf nehmen, bei dem von einer Auswahl der Personen, einem Ueberleben des Passendsten, d. h. desjenigen mit dem kleineren Rudiment, gar keine Rede sein kann“. Dem Referenten will scheinen, als ob wir das nicht direkt sehen, sondern nach verschiedenen Beobachtungen an- nehmen; man sollte nicht durch zu lebhafte Ausdrucksweise Gegnern Gelegenheit zu hämischen Bemerkungen über den „Descendenz-Roman“ geben. Weismann’s Schlussfolgerung ist nun folgende: „Wenn wir durch die Thatsachen von allen Seiten zu der Annahme gedrängt werden, dass die nützlichen Variationen, welche die Selektion erst ermöglichen, immer da sind, dann muss ein tieferer Zusammen- hang zwischen der Nützlichkeit einer Variation und ihrem wirklichen Auftreten bestehen, oder mit andern Worten: die Variationsrichtung eines Teils muss durch die Nütz- lichkeit bestimmt werden.“ Zahlreiche Thatsachen der künstlichen Züchtung erhärten den Satz: „Allein durch Auswahl der Plus- und Minus-Varia- tionen eines Charakters wird derselbe zu fortgesetzter Abänderung nachderPlus-oderMinus-Richtung bestimmt; oder anders ausgedrückt: Es „wird der Keim derart progressiv verändert, wie es der Hervorbringung einer bestimmt ge- richteten, progressiven Variation des betreffenden Teils entspricht.“ | A. Weismaun, Ueber Germinal-Selektion. 7159 Soweit befinden wir uns auf dem Boden der Thatsachen oder unmittelbaren Schlüsse aus den Thatsachen. „Wollen wir aber ver- suchen, tiefer einzudringen, so bedürfen wir der Hypothese.“ Die nächstliegende Erklärung ist die Annahme, dass der Nullpunkt, um den erwiesenermaßen die Variationen schwanken, durch Personal- selektion in ihr gleich gerichtetem Sinne verschoben werde. Dass dies nicht der einzige Faktor in der Bestimmung und Bewirkung der Variationsrichtung sein kann, zeigen die Erscheinungen des Rudimentär- werdens überflüssiger Organe, bei denen zumeist aktive Selektion in Darwin’schem Sinne keine Rolle spielt. Eben deswegen hat Weismann das Prinzip der Panmixie aufgestellt. Diejenigen seiner Gegner, „welche zwar nicht jede Wirkung der Panmixie in Abrede stellten, wohl aber ihr Ausreichen zur Er- klärung des völligen Schwunds einen Teils, haben insoweit Recht ge- habt,“ wie W. gern anerkennt, „wenn sie auch außer Stande waren, etwas Positives zu leisten und seine noch unvöllkommene Erklärung zu einer vollständigen zu machen.“ Das positive Prinzip, das dies leisten soll, ist die Germinal- Selektion, die Weismann in der vorhergehenden Schrift schon aufgezeigt hat. An der hinteren Extremität der Wale demonstriert er diesmal zunächst die Wirksamkeit des Prozesses, wobei er merk- würdiger Weise den den ganzen Vorgang einleitenden Selektionsprozess nicht erwähnt. Denn so lange kein Anstoß in einer Richtung erfolgt, schwanken die Variationen symmetrisch um den Nullpunkt. Gerade an dem gewählten Beispiel erscheint es leicht eine plausible Deutung der einleitenden Selektion zu geben, wenn man den aus dem Kleiner- werden der hintern Extremität samt Beckengürtel sich ergebenden Einfluss auf Körperform und Einheitlichkeit der Bewegung von Rumpf und Schwanz ins Auge fasst; — Momente die sehr wohl zur Erklärung des Verschwindens der hintern Extremität durch „aktive Selektion“ ohne Zuhilfenahme der Germinalselektion oder der Panmixie genügend erscheinen könnten. Wie das Verschwinden, so lässt sich auch das Zunehmen eines Charakters in dem von Weismann gewählten Bilde der aus Biophoren zusammengesetzten Determinanten veranschaulichen. Wäh- rend bisher eine unausgesetzte sich auf die Mehrzahl der Indi- viduen erstreckende Nachhilfe der Personal- Selektion angenommen werden musste, genügt, wenn man das neue Prinzip acceptiert, ein Ausmerzen der durchschnittlich schlechtesten Formen. „Auf diese Weise fängt es an, verständlich zu werden, wieso gleich- zeitigeine ganze MengevonVeränderungenvyer- Bchledewer. Art,und sehr verschiedenen Grades durch Personal-Selektion geleitet werden kann.“ Mir scheint, dass das vorher ebenso verständlich war, ich vermag in Weismann’s Aus- 160 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. führungen keinerlei Begründung für diesen Satz zu finden, denn bisher nahm er doch selbst nicht an, wie es jetzt im vorausgehenden Absatz heisst, dass Personal-Selektion nur auf einen bestimmten Teil allein gerichtet sein könne, das widerspräche doch zu sehr der „All- macht der Naturzüchtung“. Dass die für den einzelnen Prozess jetzt ‚ nur seltener benötigte Naturzüchtung sich nunmehr mit mehr Charakteren abgeben könne — einen derartigen, nach dem vorausgehenden Passus allerdings nicht auszuschließenden anthropomorphistischen Gedanken vermag ich Weismann nicht zuzutrauen. — Da jeder Teil von voll- kommener Anpassung zwar etwas hin und her schwanken, eine be- stimmte Variationsrichtung aber wegen des Eingreifens der Selektion, sowie der Grad der Abweichung Selektionswert erreicht, nieht zu stande kommen kann, so haben wir damit „zugleich eine befriedigende Erklärung der Konstanz wohlangepasster Arten und Charaktere gewonnen“ — wie dem Referenten scheinen will, trotz der neuen Annahme, denn zuvor war die Konstanz sicherlich befriedigend erklärt. Auch für qualitative Abänderungen gelten diese Prinzipien wie in erster Linie die Erwägung zeigt, „dass bei weitem die meisten Qualitäts- Aenderungen, welche hier in Betracht kommen, auf Quantitäts-Aenderungen beruhen“ Das Ein- greifen der Selektion beginnt „nicht erst bei den „Anlagen“ des Keimes, den Determinanten, sondern bei den letzten Lebens-Einheiten, den Biophoren, jenen dem Auge zwar nicht mehr sichtbaren, wohl aber dem Verstand mit derselben Sicherheit erschließbaren Elementen, als wenn sie sichtbar wären“!). Da nach Weismann’s Annahme die spezifische Natur der (doch wohl auch unsichtbaren) Determi- nanten auf dem Zahlenverhältnis der sie zusammensetzenden ver- schiedenartigen Biophoren beruht, unter den Biophoren aber eben- falls ein Kampf um die Nahrung, und damit eine Bevorzugung der kräftigeren stattfinden muss, so geben Weismann’s An- sichten ein Bild davon, wie eine Qualitätsänderung auf unsichtbaren Quantitätsänderungen beruhen kann. „Auf diese Weise gewinnen wir eine Vorstellung davon, wie es mechanisch möglich ist, dass geschieht, was wir doch geschehen sehen, dass nämlich die von den Lebens- 4) In Zusatz 5 weist Weismann darauf hin, dass nicht Herbert Spencer in seinen „Prineiples of Biology“ 1864-68 sondern Brücke in seiner be- rühmten Schrift „Elementarorganismen, Wien, Sitzungsber. Ac. Wiss. vom 40. Oktober 1861 sich das Verdienst erworben hat, in genialer Konception die notwendige Annahme kleinster biologischer Einheiten, zwischen Molekül und Zelle, erkannt zu haben, zumal Spencers „physiological units“, wie Deläge (La structure du Protoplasma et les theories sur l’Heredite etc. Paris 1895), richtig bemerkt —, im Grunde nur vergrößerte Moleküle sind nicht aber derartige Kombinationen verschiedenartiger Moleküle, dass sie durch ihr Zusammenwirken die Lebenserscheinungen hervorbringen müssen. A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. 761 umständen geforderten nützlichen!) Variationen immer (d. h. so häufig) aufzutreten im Stande sind. Und nur, wenn dies möglich ist, verstehen wir, wie so ganz beliebig umfassende Teile des Körpers als Variations-Einheiten auftreten und gleich oder verschieden variieren können, ganz nach Bedürfnis, d.h. nach Vorschrift der Lebensbedingungen.“ Wenn man auch zugeben mag, dass für die Entstehung nützlicher Variationen — NB. nur soweit sie in der Entwicklungsrichtung liegen —, diese Theorie sehr plausibel erscheint, so ist doch gar nicht ein- zusehen, warum nur durch sie ein Auftreten verschiedenartigster Teile als Variations-Einheiten verständlich werden soll. Zur Erläuterung zeigt Weismann an dem „einfachsten Fall“ der gleichartigen Umfärbung der ganzen untern Flügelfläche eines Waldschmetterlings, der, zunächst der Ruhe in Bodennähe angepasst bräunlich gefärbt, sich in einen oben in den Zweigen ruhenden mit grüner Unterseite umbildet, wie er sich den Prozess nach seiner neuen Theorie denkt. Ist durch Zahlenverschiebung der Biophoren eine Kombination innerhalb der Determinante möglich, welche die zugehörige Schuppe grüner macht, so wird diese, sowie sie einmal eintritt, fixiert durch Personalselektion, und damit ist der Germinal- selektionsprozess eingeleitet. Das Beispiel scheint recht einfach — wenn man sich indess die Umbildungsfülle näher ansieht, so erhebt sich eine Reihe von Fragen, die wir aufwerfen müssen. Es zeigt sich sehr häufig, dass beim Auf- treten neuer Zeichnungs- resp. Färbungscharaktere Zeichnungen wieder bei Beginn der Bildung auftreten, welche bei der Stammform der Varietät sich nicht finden, welche diese Stammform phyletisch aber in früheren Stadien besaß. Wenn sie nicht mehr da sind, so soll das die Folge einer Germinalselektion sein. Es sind dann die Determinanten die stärkeren, welche durch ihr Ueberwiegen das Verschwinden einer früheren Zeichnung veranlasst haben. Bei der Weiterentwicklung der Art zeigt sich aber, dass gerade bei dieser die Stellen als Ausgangs- punkt der Zeichnung dienen, welche die größte Tendenz zur Ueberein- stimmung mit der Grundfarbe haben müssten. Läge nun die Weiter- entwicklung in einer weitergehenden gleichartigen physiologischen Differenzierung der betreffenden Schuppen, so wäre das ja durch die Germinalselektion leicht darzulegen. Ist aber das Gegenteil der Fall, so scheint mir das nach der neuen Theorie nicht wohl erklärbar. Auf diese Fortentwicklung vom Rückschlag aus habe ich erst kürzlich aufmerksam gemacht ?). Wenden wir uns den Resultaten der Temperaturexperimente zu, die wir ja zum großen Teile Weismann’s Arbeiten und Beispielen 1) Vom Ref. gesperrt! 2) Diese Zeitschrift 1897 S. 570. 62 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. verdanken. Die kritische Zeit liegt zumeist im Beginn des Puppen- stadiums. Weismann hat eingehend darzulegen versucht, dass wir die Resultate am besten durch Auslösung verschiedener Anlagen, d. h. der Thätigkeit gewisser Determinanten erklären könnten. Wären die Resultate, die die Experimente ergeben, gleichartig, oder nur positiv oder negativ für die einzelnen Fälle, dann könnte man wohl mit der Erklärung auskommen. Woher kommt aber die Verschiedenheit der Fälle, wenn wirklich von den ersten Stadien der Entwicklung ab ein Id uud seine Determinanten die Entwicklung leiten, da diese doch eine Arbeitshypertrophie erfahren durch ihre Thätigkeit, zudem bei Arten, die sich unzweifelhaft in ganz bestimmter Richtung entwickelt haben ? Zur Erklärung müsste man wohl annehmen, dass jede Schuppe, also jede Zelle, für ihre verschiedenen Lebensperioden verschiedene Determinanten enthielte, die aber von den jeweiligen Lebensbedingungen der Zellen in ihrer Energie abhängig wären. Wenn bei gewissen Faltern durch Kälte- regressive, durch Wärme-Einwirkung progressive Varietäten entstehen, so können doch die regressiven Formen nur auftreten, wenn die herrschenden, kräf- tigsten, ein Weitergehen der Variation in der Entwicklungsrichtung veranlassenden Determinanten durch Kälte geschädigt werden, aber nur durch Kälte an den ersten Puppentagen, denn kurz vorher oder nachher könnte ihnen diese nichts anhaben. Da die Entwicklung der gleichen Farbe bei den einen Zellen ge- hemmt oder gesteigert, bei andern nicht alteriert wird, so müsste der gleiche physiologische Vorgang in verschiedenen Zellen durch ver- schieden geartete, resp. empfindliche Determinanten geleitet werden. Kann uns eine derartige Umschreibung der Thatsachen mittels der Determinantenhypothese wirklich eine Erklärung, d. h. eine Zurück- führung auf bekannte Verhältnisse geben? oder kann dergleichen uns zur Auffindung neuer Thatsachen führen, also einen heuristischen Wert besitzen? Aber solcherlei Hilfshypothesen müssen wir machen, wenn wir die Thatsachen nach der Germinalselektionshypothese „erklären“ wollen. Wenn aber auch dieses Auftreten atavistischer Formen mit so und so vielen Hilfshypothesen mit der Theorie vereinbar wäre, wie steht es mit dem Auftreten progressiver Formen, z. B. der V. vulcanica ähnelnden atalanta-Formen bei Wärmeeinwirkung? Wie ist das möglich, da doch eine diesbezügliche Germinalselek- tion nicht stattgehabt haben kann, die auslösbaren Determinanten also nicht da sind, denn sonst müsste bei der Natur des hypothetischen Prozesses diese Form sich finden in den südlichsten europäischen Ländern. Wenn aber in dem Falle eine in einer bestimmten Entwick- lungsrichtung liegende Form ohne die Germinalselektion erhalten wird, — A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. 1653 da kann doch dies Prinzip zum mindesten nicht als ein die Thatsachen allein erklärendes gelten! Wie sehr Weismann von der Allmacht der Naturzüchtung (Personal-Selektion) zurückgekommen ist, zeigt deutlich der Passus über Mimiery. Nur durch die Selektionsprozesse im Keimplasma er- scheint es nunmehr überhaupt begreiflich, dass eine immune Art durch mehrere andere nachgeahmt wird, oder dass verschiedene immune Vorbilder durch eine und dieselbe Art nachgeahmt werden. Bei solehen Fällen „müssen die der Personen-Zuchtwahl sich darbietenden Variationen selbst schon durch das Prinzip des Ueberdauerns des Zweckmäßigen hervorgerufen wor- den sein“. Auch hier seien dem Referenten einige Bemerkungen gestattet. Als besonders zwingend wird das auffallende Ziegelrot von Acraea egina, der „immunen“ Form, und deren „Nachahmern“ Papilio rid- leyanus und Pseudacraea boisduvalii angeführt. „Wir können nicht annehmen, dass eine solche (sonst bei Tag- faltern kaum vorkommende) Färbung zufällig gerade bei diesen einzigen zwei Arten als Variation aufgetreten sei, die mit der Acraea zusammen an denselben Orten desselben Landes und Weltteils fliegen. Wohl wäre es denkbar, dass richtungslose Variation dieses Ziegelrot zufällig einmal hervorgebracht hätte, dass sie es aber dreimal und gerade bei drei Arten, welche zusammen vorkommen, sonst aber sich nicht nahe stehen, gethan haben sollte, ist eine Annahme, viel gewalt- samer, als die eines kausalen Zusammenhanges dieser Koineidenz“. Ein Richten der Variation durch Germinalselektion ist nur mög- lich, wenn eine erste Variation von Selektionswert den Anstoß zu dem Prozesse gegeben hat. Da gemeinsamen Ahnen des Papilio und der systematisch weit abstehenden Pseudacraea das Ziegelrot sicher nicht zukam, so müssen wir auch bei Annahme der Germinalselektion ein zweimaliges resp., wenn wir das „Vorbild“, die Acraea, hinzunehmen, ein dreimaliges selbständiges Auftreten einer ziegelrötlichen Varietät annehmen. Also beidemale die gleiche gewaltsame Annahme, ob wir die Erklärung mit oder ohne Germinalselektion geben wollen. Warum könnte denn die Erscheinung nicht in lokalen Verhältnissen der Hei- mat der drei Arten ihre Ursache haben? Zudem aber, ist etwa Pay. ridleyanus durch Abweichen in einer Richtung aus dem Normaltypus eines Papilio entstanden zu denken? Müssten bei dem schon erwähn- ten Parallelismus zwischen Ober- und Unterflügel- Variationen nicht auch trotz Germinalselektion verschiedene Entwicklungsrichtungen aufeinander gefolgt sein, um das „Ziel“ zu erreichen? Wird also der Fall durch Annahme der Germinalselektion verständlicher? Das Auf- treten bestimmter Entwieklungsrichtungen ist eine feststehende That- sache unabhängig von der Determinantenlebre und ihren Konsequenzen. 164 A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. Dann das andere Beispiel von Dixey, dessen Arbeit mir leider unzugänglich ist. Ich vermag nicht einzusehen, wie man behaupten kann, bei Pieriden habe sich von einer einzelnen Flügelstelle aus ein den ganzen Flügel bedeckendes Zeichnungsmuster gebildet, da deren Urzeichnung mit der die ganze Flügelfläche einnehmenden Quer- bindenzeichnung der Equitiden übereinstimmt, worauf ich früher schon hingewiesen habe. Wenn Weismann in der Polemik gegen O. Hertwig meint: „Es müssen im Keim Teile enthalten sein, die bestimmten Teilen des fertigen Organismus entsprechen“, so scheint mir dies durchaus nicht erwiesen — warum können denn nicht bestimmte Architekturverhält- nisse die Ursache sein; ich vermag nur die Notwendigkeit des Vorhandenseins einzelner Teile im Keimplasma, die Teilen im Tiere entsprechen, für die Weismann’sche Theorie einzusehen. An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass Weismann’s Theorie für die Erklärung der Regeneration große Schwierigkeiten bietet, wenn ich auch nicht daran zweifle, dass ihr geistvoller Schöpfer auch zu deren Erklärung passende Hilfshypothesen bereit hat. Um die Notwendigkeit der Annahme verschiedener Teilchen im Keime für die Teile des Organismus darzuthun, führt W. aus, dass es nicht denkbar sei, „dass Lebensformen, die in hundert selbständig variablen Punkten von einander abweichen, aus derselben Keimsub- stanz entstanden sein sollten, wie solche, welche nur in zwei oder zehn oder zwanzig Punkten auseinandergehen, weil erbliche Cha- raktere nieht durch äußere Einflüsse hervorgerufen werden, welche den in Entwicklung begriffenen Organismus treffen“. Weismann’s Ausführung wäre zutreffend, wenn jemand für verschiedene Formen identisches Keimplasma annähme, aber das thut doch Niemand, wenn er für die einzelne Form annimmt, dass ihr Plasma nicht aus den ein- zelnen Teilen des Organismus entsprechenden verschiedenen Einheiten aufgebaut sei. Ferner wäre doch eine Folge der Weismann’schen Ansicht, dass zwei nur in einem Punkt verschiedene Formen nur für den Punkt verschie- dene Einheiten im Keimplasma hätten, dass aber in sehr vielen Punkten verschiedene Formen, in entsprechend vielen Einheiten differentes Keim- plasma besäßen. Was wir über die Bastardierung der Schmetterlinge wis- sen, scheint mir nicht sehr für eine solche Annahme zu sprechen, vielmehr aber für eine Aenderung des ganzen Keimes als Ursache von Verände- rungen; doch gebe ich gerne zu, dass wir nur sehr wenig von den thatsächlieh differenten Punkten wahrnehmen können und auch, dass unsere Kenntnisse in dem Punkte noch sehr große Lücken aufweisen. Wie die Annahme einer Germinalselektion erklären solle, dass ev. bei Kreuzung einer weiter entwickelten Form mit der Stammform der Typus der Stammform der durchschlagende ist, ist ebenfalls ein A. Weismann, Ueber Germinal-Selektion. 7165 schwieriges Problem. Jedenfalls weist uns Weismann’s Theorie darauf hin, wie wichtig für das ganze Vererbungsproblem solche Bastardie- rungsversuche sind !). Weismann hält seine Auffassung des Keimplasmas für die ein- fachere gegenüber der Vorstellung, dass dasselbe aus lauter gleichen Einheiten zusammengesetzt sei. Da alle erblichen Unterschiede „im Keim enthalten sein müssen, so lastet auf diesen gleichen Einheiten die Verpflichtung, eine ganz ungeheuerliche Anzahl von Verschieden- heiten an sich anbringen zu können. Dies wäre aber nur dann mög- lich, wenn sie ungemein kompliziert zusammengesetzt wären, d.h. wenn in jedem von ihnen nahezu ebenso viele veränderbare Teilchen enthalten wären, als nach meiner Ansicht Determinanten im gesamten Keim enthalten sein müssen“. „Denn was selbständig, d. h. für sich, vom Keim aus variieren kann, das muss dort durchiirgend ein Substanzteilchen derart vertreten sein, dass dessen Ver- änderung keine andere Veränderung bei demsich aus dem Keim entwickelnden Organismus setzt, als eben nur an dem von ihm abhängigen Teil“. „Die sog. »epigenetische = : ‚00 U "XI 2% "um OF [893%] 'SnJJIP | 088T + |,08 4G 'xI 18 50 * Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. 788 gosıoudsıp 4y9Lu oydsıy i :[° 'uguo auuog’p N ana?! er eh | ; op | 91, + m dog *“ © Sungyorog N "W 0% ur yeN ) | -uPwmou4uo enbvy ’p Sun}ypıagq SET gro u 3y9LJ j 3! 2 "suoyur 1oSıpungs?/, yoru En 1ET cro | -u9uuogS 777g + ud ,oeur . 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Die Diffusionsversuche hat dann Hüfner?) mit gewohnter Schärfe der Methodik derart durchgearbeitet, dass man auf Grund seiner Ver- suche im Anschluss an ältere Ausführungen von Stefan und Exner?) die Diffusion in einfacher Weise als Funktion der Gasdichte und der Absorptionscoöfficienten berechnen kann. Unzweifelhaft geht aus dieser Berechnung hervor, dass die Diffusion in größere Tiefen viel zu langsam erfolgt, als dass sie zur Deekung des Bedarfs der in diesen Tiefen lebenden Organismen ausreichen könnte. Hüfner und andere haben dem gegenüber betont, dass durch die Temperaturschwankungen im Wasser Strömungen unter- halten werden, welche einen Austausch zwischen sauerstoffgesättigten oberen und daran verarmten tieferen Schichten bewirken. Auch die durch Strömungen, Wellenschlag und Zufluss frischen Wassers aus Bächen und Flüssen sehr viel ergiebiger gemachte Sauerstoffversorgung würde sicher in vielen Fällen unzureichend sein, um den Verbrauch im Wasser, der namentlich durch die große Zahl mikroskopisch kleiner Lebewesen bis zu den Bakterien herab ganz außerordentlich gesteigert wird, zu decken. Ganz besonders gilt das von solchen Gewässern, welche keinen regelmäßigen Zufluss besitzen, und in welchen der Wellenschlag grade an heißen Tagen, an welchen der Sauerstoff- verbrauch aller Lebewesen am größten, der Absorbtionscoöffieient der Gase im Wasser am niedrigsten ist, oft gänzlich fehlt. Solche stagnierende Wässer sind aber meist auch besonders reich an fäulnis- fähigem Material, beherbergen massenhaft bewegliche Spaltpilze von sehr großem Sauerstofibedürfnis. Davon, dass der Sauerstoffschwund in solchem Wasser ein außer- ordentlich lebhafter ist, konnte ich mich bei Gelegenheit der von mir bald an anderer Stelle ausführlicher zu besprechenden Respirations- versuche an Fischen überzeugen. Ich fand, dass das ständig energisch durchlüftete Wasser, in welchem meine Karpfen athmeten, zwar nahezu den theoretischen Sauerstoffgehalt besaß, dass dasselbe jedoch nach kurzem Stehen den größten Teil seines Sauerstoffs einbüßte. Während 1) „Über die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit denen sich die atmos- phärischen Gase im Wasser verbreiten, und über die biolog. Bedeutung zweier von diesen Größen“ von @. Hülner. „Archiv für Anatomie und Physiologie“. Physiol. Abthl. 1897. 2) Stefan „Über die Diffusion der Kohlensäure durch Wasser u. Alkohol“, Sitzber. k. k. Akad. d. Wisssnschaften 1878, II. Abthl., Märzheft, Exner, Poggendorfs Annalen, 1875, CLV, S. 321 und 443. Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. 70 IeqwyaaıyeA y9ılmap DET cFT seo oyej[ose] T A989Ip yonıad) 9F1yıR -U9319 19p !u9dozıeqn Yydıp P»ua] Frag GF1I gE0 -Önzt Im y9Ia], 'Sıynı zueS 47m Se -UHWMOUFU HUUOg UEpuayaFıayun 220 TI 660 I9p UHJUEIIS uU9puajjejme Feıyds : ; 5 OIP y9ınp Sunyy>L[ag I9y9R Aus 19q Leo 42 60 | ‘oIP Jon ws Op r ‚08 49 Spuogqe vopInM uHg0Ig 98a1d GE 0 II =, "48 "urogos op yo m) CT 008 + g -UAUUOS IOUIBMUOS "AUIRHI9 . ud, yr» zen FT et y TWEHIIIO 008 + 0EUI’XI'9 cc ı 91 rE0 ‘0pP -i01} w9 : “ es 1 ze T TE'o 3oN 07 0% + cg0 Ir T 660 90 171 = ‚Sp salrsmlaSgt 018 + "IISSBE M SEP ung Kje ‘YuLOUOSB SO 8Sep O8 '0u97 ae ; 2 ee IA L " 12I9QN ) |-pouayd "A ; -uU9UUOS IR uo Oydepıd . ar 2d X]: uIOYIKUEULOS mMOWIEM pun orjysf \zresmz 1a II 66T BB EN TIRBA9AO 07a] m ‚219 -purA U0oA Yııyur rag ur 'd ; en a e L6’O TEL Ei 2 = 180 TET 69°0 ‘op on ws 07 661 + "UHGOLLIVFUR 197[} [ISO mB Dualong Er 5 ‘1917 JurOy9s19 y9IaL, "Pur ayaı, a Aa, 25 "PULM -789M A9SI9] UI UHFOY WOLIB MUS 220 OFT 90°7 "M 'Ayas ‘4999poq OUEHIIIO 66T + |w'd,eFyzrL 'XT'9 199 94y9M A9qn SeyımioA ud „Cougooaoq N -Sunaoypiy -uopına "SIOSSe MA 1 -uoFduny.Jaud iu Jaqn Sunyıou UIWWMOUFU9 U9GOL 89 Sa zit 1 09 wo |'N woo| "9 wo qn Ei } qold p ; i -9g014 I0p Io - “ur 09) pun .o 10q -9g pun Sunyyorog |9ıp Tayopom ur ‘o791]| "dway, ad dap 2197 usyjeyyu9 Puls WM99 00T UI a EEE ‘OU9I9JJ1OA A9UIyYuOWWRS u uosunggoegoag III '4®L 791 .. Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. 2 Pr ar — — fe] pun 17198 SOFHTEAO 3°6L 1.) Me 46 RS >= rel 250 98 ‘4249894 Ber m 2 Be 5 oo undg 19p IU . . . . . x IR A . 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"uIgyuotumeg son) 89p Iynydusyug uU9sojuazuggd wop ur uosunygdrgoag "all d®L 1794 Knauthe, Kreislanf der Gase in unseren Gewässern. frisches Wasser der Berliner Leitung nach zwölfstündigem Stehen bei Sommertemperatur noch fast denselben Sauerstoffgehalt wie anfangs zeigte, war der Verbrauch in dem Wasser, welches den Fischen 12 Stunden lang zum Aufenthalte gedient hatte, so rapide, dass man nach kurzer Zeit schon weniger als die Hälfte der ursprünglichen Sauerstoffmenge fand. Das Nähere ergiebt Tab. I, zu deren Verständ- nis nur noch zu bemerken ist, dass mit Luft gesättigtes Wasser bei 760 mm Druck und 18° C = 0,69 ce bei 24° C = 0,62 ce Sauerstoff auf 100 enthält. Zur Bestimmung des Gasgehaltes des Wassers am Anfang und Ende der Respirationsversuche benützte ich in letzter Zeit den in Folge eines Preisausschreibens des „Deutschen Fischerei-Vereines“ konstruierten Apparat „Tenax“!) Bei der Bequemlichkeit der Bestim- mungen in diesem Apparat nahm ich von jedem zu untersuchenden Wasser wenigstens 4 Proben. Dabei zeigte sich in den am Schlusse eines Versuches entnommenen Proben eine rapide Zehrung des Sauer- stoffs, welche schon nach '/, Stunde eine deutliche Abnahme und mit- hin grobe Fehler ergab. Angesichts dieser Thatsache erscheint es fast unmöglich, richtige Zahlen über den Sauerstofigehalt eines derartigen Wassers zu erhalten, wenn man nicht im Moment der Probenahme untersucht oder diese rasche Zehrung aufhebt. Glücklicher Weise ge- lang es recht bald, ein hierzu geeignetes Mittel in dem mir von Herrn Professor Zuntz vorgeschlagenen übermangansauren Kali zu finden. Von meinem hochverehrten Lehrer und Chef erhielt ich auch die Anregung, diese eben mitgeteilte Thatsache der raschen Sauer- stoffabnahme in den an organischen Stoffen und Spaltpilzen reichen Wässern weiter zu verfolgen und die Wirkung der chromophylihaltigen Organismen als Gegengewicht gegen diese Sauerstoffzehrung quantitativ zu bestimmen gemäß den von ihm in dem unten eitirten Vortrag an- gedeuteten Gesichtspunkten?). Für seine Anregung gestatte ich mir, ihm auch an dieser Stelle herzlichsten Dank zu sagen. Wie in Tab. I ziffernmäßig nachgewiesen wurde, war die Sauer- stoffzehrung in dem Wasser unserer Aquarien bei hoher Temperatur recht beträchtlich; wie sehr sie trotz der ständig angewendeten starken Durchlüftung mitunter unsere Fische in Mitleidenschaft zog, das mögen einige, wenige Daten näher illustrieren, die aus einer ganzen Reihe schön übereinstimmender Beobachtungen herausgegriffen sind. Sämmt- liche Proben wurden sofort bei der Entnahme mit übermangansaurem Kali versetzt. 4 Vergleiche „Verhandlungen des VI. deutschen Fischereirates v. 18. Aug., „Allg. Fisch. Ztg.“, München, 1898, 17, p. 290, „Fischerei-Zeitung“, Neudamm, 1898, 36, p. 581. 2) „Die Aufgaben der Wissenschaft für die Förderung der Teichwirtschaft‘, Vortrag gehalten auf dem.VII. deutschen Fischereitag in Schwerin von Prof. Dr. Zuntz, Berlin, „Fischerei-Zeitung“, Neudamm, Nr. 39, pag. 627, „Allg- Fisch. Ztg.“, München, Nr. 17, p. 302. Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren (Gewässern. 713 Tab. II. Immerhin mußte man sich sagen, dass dieses Wasser, in welches die Fische oft nur wenige Stunden ihre Exeremente entleert hatten, im Vergleich zu dem vieler Teiche nicht eben übermäßig reich an fäulnisfähigen organischen Stoffen war; im letzteren muss also der Sauerstoffsehwund noch viel rapider sein, die Diffusion von oben kann ihm unmöglich Schritt halten; und doch leben in einem solchen Wasser nicht nur zahlreiche Mollusken, Crustaceen u. dergl. mehr, sondern auch Fische mit ihrem großen Sauerstoffbedürfnis. Merkwürdiger Weise ent- halten nun grade diejenigen Teiche, welche bei dem größten Reichtum an organischer Substanz gar keine Zuflüsse und ihrer geschützten Lage wegen auch wenig Wellenschlag besitzen, die Dorfteiche und die ihnen durch intensive Düngung ähnlich gemachten Himmelsteiche nicht nur erstaunliche Mengen tierischen Planktons, sondern es wachsen auch bei sehr starkem Besatz die Fische in ihnen am besten ab!). Dafür beherbergen sie aber auch in ungezählten Scharen chromophyllhaltige Organismen und besonders neben Volvoecineen die grade für diese Teich- klasse charakteristischen Euglenen als ausgezeichnete Sauerstofiprodu- centen. Zur Erforschung der sich im Dorfteich abspielenden wichtigen Vorgänge begab ich mich Ende August dieses ‘Jahres auf Anraten von Herrn Prof. Dr. Zuntz mit vier „Tenax“apparaten ausgerüstet nach Sammenthin, Kreis Arnswalde, Neumark, zu meinem Gönner und väterlichen Freunde, dem Rittergutsbesitzer Gustav Schulze. Herr Schulze hat die drei der Gemeinde Sammenthin gehörigen, mitten im Dorfe gelegenen Weiher gepachtet und die zwei größten davon mit Karpfen besetzt. Von den mit Fischen besetzten Tümpeln wählte ich den am meisten vor Winden geschützten dicht am Gutshofe gelegenen um so lieber aus, als derselbe auch gleichzeitig von den Düngerstätten und Aborten der anliegenden Bauernhöfe und Arbeiterhäuser, durch Eintrieb von Vieh, ganz besonders aber durch die grade auf ihm sich mit Vorliebe tummelnden Scharen von Enten und Gänsen die meisten fäulnisfähigen organischen Stoffe enthalten musste. Bei meiner Ankunft erschien der Teich gleichmäßig bedeckt mit einer dichten filzigen Masse, welche Privatdozent Dr. R.Kolkwitz- Berlin als Euglena viridis diagnostizierte. Diese Flagellate war der einzige Chlorophyliträger, der sich in größeren Mengen im Wasser vorfand, nur spärlich wurden noch Diatomeen und Volvocineen be- obachtet. Größere Pflanzen fehlen sämtlichen Teichen vollständig. 1) Vergl. dabei außer dem klassischen Werk von Josef Susta, „Die Er- nährung des Karpfen und seiner Teichgenossen*“, Stettin 1888, Victor Burda, „Die Karpfenzucht“, Charlottenburg 1896, Baron v. Gostkowski, „Die Be- wirtschaftung der Teiche auf dem Gute Tomice“, Krakau, 1890, besonders aber Dr. Emil Walter-Trachenberg, „Jahresbericht der teichwirtschaftlichen Versuchsstation Trachenberg“ pro 1895, 1896, 1897. Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. 796 sIyoru "op = reT | 8sTO \ | "Ws$E PS 9 1vg3unp 18 1m ge us "XI EZ % set | 8TO wu ’d yg u9WMWouFuy em TOSse MA) 31199893 [oyunp = st eo uapunIg € jayunp ot + syyoru pun 3[mJ95 wopog we snqanL Im 9UOSBL T UI Tasse A JATasseq _ IU&T- -- XI "ER ln.“ . -o4p aqoadpunımy y “16 "XI '6 "UIWWOU —— 671 cE0 -Ju2 J01I WO CZ SOYIOMASES sOp — = . y °ı6 "XI '@& uayagg wospungs”|, ovu ogorg — |err| zeo’ "U9WMOUFUI = 6FT so 4 ? en. 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Herr Schulze hat beobachtet, dass die, wie gewöhnlich, auch in diesem Jahre kräftig entwickelte Mikrofauna mit einem Schlage ver- schwand. Die Schuld an dieser plötzlichen Abnahme schreibt er der Erschöpfung des Wassers an Phosphorsäure zu. In der That waren, während Kalk, Kali, Magnesia und Eisen in genügender Menge im Wasser gefunden wurden, selbst Spuren von Phosphorsäure nicht nachweisbar. Von wie großem Werte aber die Phosphorsäure für das Gedeihen der niederen Fauna ist, hat Joseph Susta in Wittingau (a.a.O. p. 134/135) längst nachgewiesen. — Freilich ist vorläufig auch der Gedanke nicht von der Hand zu weisen, dass vielleicht ein allzu- hoher Kohlensäure- und zu geringer Sauerstoffgehalt des Wassers in einer einem schwülen Tage folgenden ruhigen, warmen Nacht schä- digend auf diese Tiere gewirkt hat, zumal deren Stoffwechsel relativ recht erheblich ist. Es wurden nun aus dem eben skizzierten Weiher, — seine Größe beträgt etwa 3 a, seine größte Tiefe an den zugänglichen Stellen wenig über 50 cm —, so oft als nur irgend möglich zu verschiedener Tageszeit und bei möglichst abweichender Belichtung Proben aus ver- schiedener Tiefe entnommen und diese sofort analysirt. Zum Vergleich wurden größere Quantitäten desselben Wassers, nachdem sie mehrere Male mit Hilfe von Glaswolle (Watte) und dann von besten Papier- filtern filtriert waren, neben Proben unfiltrierten Teichwassers in Flaschen mit Tubus am Boden aufgestellt. Die folgende Tabelle III giebt den Sauerstoffgehalt des Wassers im Laufe eines Tages bei ver- schiedener Belichtung wieder und zeigt gleichzeitig in Verbindung mit Tabelle IIIB, dass die chromophyllhaltigen Organismen die be- stimmenden Faktoren hierbei sind, so deutlich, dass weitere Erläute- rungen überflüssig erscheinen. Nur das sei erwähnt, dass der Enten- pfuhl im Garten des Gutes Sammenthin, weil er in sterilem Boden neu angelegt war und seine Bewohner nicht zu den Dorfteichen ge- langen konnten, keine Spur von pflanzlichen Organismen aufwies. Nachdem ich diese Verhältnisse im Dorfteich konstatiert hatte, war es mir rechtinteressant, dass ich genau dasselbe auch im Schmutz- wassern der Havel aus Spandau und in verschiedenen Abwässern, welche Herr Prof. Dr. Herzfeld, der Vorsteher des Laboratoriums des Vereines für die Rübenzuckerindustrie, mir zu überlassen die Güte hatte, finden konnte. Diese Wässer boten aber auch in Folge ihres Reichtums an or- ganischer Substanz einer- und an einzelligen grünen Algen andrerseits ähnliche Verhältnisse wie das der Sammenthiner Dorfteiche. Interessant DL 804 Knauthe, Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. ist bei dem Spandauer Wasser folgende Beobachtung schon deshalb, weil sie die Abhängigkeit des Befindens der Fische von dem Gas- gehalt des Wassers auch in der freien Natur illustrirt: Ein Teil der Proben wurde, wie aus der nachstehenden Tabelle IV ersichtlich ist, nachts bei den Fischkästen des Großfischers Ernst Mahnkopf ent- nommen und zwar a) während das Wasser in Folge des Arbeitens einer Sägemühle nach Passieren eines Ueberfallwehres sehr stark strömte, b) etwa °/, Stunden nach Schluss des Sägewerkes und nach dem dadurch bedingten Stagnieren. Während nun im ersteren Falle die Fische sehr mobil gegen den Strom an- schwammen, standen sie in dem stagnierenden Wasser, welches nur noch 0,18 cem O in 100 cem enthielt, allestark nach Luft schnappend an der Oberfläche. Thatsächlich halten sich auch bei genügend starker nächtlicher Strömung in Folge normalen Wasser- standes in den Fischkästen des Herrn Mahnkopf alle Fische ganz ausgezeichnet wochen- und monatelang, dagegen können leicht Fisch- sterben eintreten, wenn in den auf heiße Tage folgenden ruhigen, warmen Nächten der Zufluss stockt. Derartige warme Nächte haben aber auch schon manchmal den prächtigen Besatz eines Dorfteiches vernichtet. Beim längeren Stehen dieser in Flaschen mit Tubus am Boden gefüllten Wasserproben im Laboratorium zeigte sich recht bald ein allmähliches Absinken der unter Einwirkung des Lichtes stattfindenden Sauerstoffentwiekelung. Da dieses Absinken bei der im Institut herrschen- den konstanten Temperatur in verminderter Wärme seine Erklärung nicht finden konnte, so lag es nahe, an einen Mangel an Nahrung für die Pflanzen, mithin an die Zufuhr der fehlenden Substanzen zu denken. Es wurde also das gehörig durchmischte Wasser in eine An- zahl kleiner Flaschen mit Tubus am Boden verteilt und in diese dann die Nährsalze in den längst von den Pflanzenphysiologen als zweck- mäßig ausprobierten Mengen gegeben. Die Beobachtungen sollen fort- gesetzt und vervollständigt werden, doch möchte ich hier diejenigen schon herausgreifen, welche den Einfluss der freien und ge- bundenen Kohlensäure auf die Sauerstoffproduktion zeigen. (Tab. V.) Die Ergebnisse der Untersuchung möchte ich in folgenden kurzen Thesen zuammenfassen: 1. Der Sauerstoffverbrauch in nicht ganz klaren Gewässern hängt mehr von den in ihnen lebenden kleinsten Organismen tierischer und pflanzlicher Art, als vom Verbrauch der Fische und ähnlicher größerer Tiere ab. 2. In stagnierenden an organischen Stoffen reichen Wässern ist der Sauerstoffverbrauch so beträchtlich, dass die Zufuhr aus der Atmosphäre zu seiner Deckung bei weitem nicht ausreicht. Bokorny, Küstenwald als Schutz gegen Springfinten. 805 3. Die mikroskopischen grünen Pflanzen geben unter Einwirkung des Lichtes so erhebliche Sauerstoffmengen an das Wasser ab, dass dessen Sauerstoffgehalt auf das mehr als dreifache desjenigen Wertes wächst, welcher beim vollkommenen Ausgleich mit dem Sauerstoff- gehalt der Atmosphäre erreicht wird. 4. Diese Sauerstoffentwickelung erfolgt so rapide, dass im grellen Sonnenschein schon nach wenigen Stunden maximale Werte (24 cem O pro 1000 ecem Wasser) erreicht werden. 5. Bei dieser energischen Sauerstoffentwickelung wird häufig nicht nur die gesamte im Wasser absorbierte Kohlensäure verbraucht, son- dern auch ein Teil der an Alkalien gebundenen, so dass das Wasser dem Phenolphthalein gegenüber eine stark alkalische Reaktion an- nimmt. 6. Zufuhr von Kohlensäure steigert die Sauerstoffentwickelung in solchen Fällen ganz außerordentlich. 7. Bei diffusem Tageslicht ist die Sauerstoffentwickelung auch noch lebhaft genug, um den Gehalt des Wassers fast auf das doppelte der dem Absorbtionscoeffizienten entsprechenden Zahl zu steigern (12—14 ecem gegen 7 ccm in 11 des durch Schütteln gesättigten Wassers). 8. Selbst der Mondschein hat in klaren Nächten noch einen nach- weisbaren Zuwachs des Sauerstoffgehaltes zur Folge. (S. Tab. IVB. 9. Im Dunkelen sinkt der Sauerstoffgehalt rapide und erreicht bei Sommertemperatur in 5—6 Stunden die unterste mit dem Leben der Cypriniden verträgliche Grenze. 10. Alle aus hygienischen Gesichtspunkten bisher unternommenen Sauerstoffbestimmungen im Wasser erscheinen angesichts dieser That- sachen von geringem Werte. 11. Nur wenn man die Proben bei der Entnahme mit übermangan- sauerem Kali versetzt, lässt sich Wasser für die Bestimmung des natürlichen Sauerstoffgehaltes aufbewahren. Küstenwald als Schutz gegen Springfluten. Die ungeheure mechanische Kraft, welche einer Springflut inne- wohnt, scheint auf den ersten Blick jedes Versuches, ihr zu begegnen, zu spotten. So schreibt Dr. Seiroku Honda!), a. o. Professor der Forst- wissenschaft an der kais. Universität zu Tokio, über die am 15. Juni 1896 über Japans Nordostküste hereingebrochene Hochflut: „Der stille Ozean erhob sich plötzlich. Die haushohen Wellen brachen ein und über- schwemmten mit Pfeilgesehwindigkeit einen ca. 150 englische Meilen 1) „Ueber den Küstenschutzwald gegen Springfluten“, Bulletin of the College of Agriculture, Imperial University, Tokyo, Japan. Vol. VIII, Nr. 4, 1898. 806 Bokorny, Küstenwald als Schutz gegen Springfluten. langen Küstenstrich vollständig. In nur 18 Minuten, mit drei großen in Pausen von 6 Minuten einbrechenden Flutwellen, wurden 9381 Häuser und 6930 kleinere Schiffe und Boote zerstört oder weg- geschwemmt und 21909 Menschen vernichtet, 4398 schwer ver- wundet“. Bei dem Meeresbeben, welches in der Nacht vom 11. zum 12. Ok- tober 1837 Kalkutta heimsuchte, wurden 200 Häuser von der Spring- flut fortgerissen und 300000 Menschenleben vernichtet; im Jahre 1876 fielen bei Bengalbay in Indien 215000 Menschen einer solchen Flut zum Opfer; im Jahre 1724 vernichtete eine Hochflut das ganze Callao in Peru. In Lissabon wurden anno 1755 60000 Menschen durch eine Hochflut getötet. Trotzdem scheint es möglich dagegen anzukämpfen und dürfte sich der Küstenwald als Schutz gegen Springfluten empfehlen. Wäre die Fluthöhe so bedeutend, wie von einigen Zeitungen angegeben wird, nämlich 60 bis 150 Fuß, dann würde freilich der Wert eines Schutzwaldes an der Küste sehr zweifelhaft erscheinen. Allein diese exorbitanten Angaben beruhen offenbar auf der unstatthaften Identifizierung der Fluthöhe mit der Höhe der Flutspuren, welche allerdings solehe ungeheure Höhen erreichen können. Wenn man die äußerst große Schnelligkeit der Flutwellen in Be- tracht zieht, so wird es leicht begreiflich, dass das Wasser in den sich verengernden Thälern mit steilen Wänden zu einer ungeheuren Höhe sich aufstaute und weit höher hinaufgeschleudert wurde als an den flachen Strecken der Küste, wenngleich die Fluthöhe selbst nur eine mäßige Größe hatte. In der That fand Seiroku Honda, dass in den engen Thälern die Pflanzen bis zu 15 Metern Höhe an den Ab- hängen abgestorben waren, während an der sanften Erhöhung der Meeresküste diese Erscheinungen nie zu beobachten waren. Hier zeigten sich niemals Pflanzen abgestorben, welche mehr als 3 Meter hoch an den Abhängen gewachsen waren; auch die in mehr als 3 Metern Höhe befindlichen Baumteile zeigten keine Spur der Ein- wirkung des Meerwassers. Bei dem obengenannten Meeresbeben von Kalkutta betrug die Höhe der Springflut 40 Fuß, bei dem von Bengalbay in Indien 45 Fuß, bei einem anderen 20, wieder bei einem anderen nur 8 Fuß. Bei soleh mäßiger Fluthöhe lässt sich erwarten, dass eine Küsten- waldung einigen Schutz gewähren könne. Faktisch lassen zahlreiche sorgfältige Beobachtungen erkennen, dass der Wald an den Meeresküsten bedeutenden Schutz für die da- hinter liegenden Ortschaften darbietet. Man hat schon bei dem Meeres- beben von Bengalen eine solche Schutzwirkung beobachtet. Blanford bemerkt darüber, es seien beiläufig 100000 Menschen zu Grunde ge- gangen, der Verlust wäre aber noch größer gewesen, wenn nicht Bokorny, Küstenwald als Schutz gegen Springfluten. 807 die Häusergruppen in der Regel von Bäumen umringt ge; wesen wären. Auch an den japanischen Hochfluten ließen sich ähnliche Wahr- nehmungen machen. Der zwischen den Städten Takata und Imaisumi liegende Küsten- schutzwald ist vor ungefähr 250 Jahren von dem damaligen dortigen Daimyo begründet worden, hauptsächlich um den Ackerbau gegen Meereswind zu schützen. Als nun der Wald heranwuchs, nahm man wahr, dass er nicht nur dem Ackerland vortrefflichen Schutz gegen Meereswind leistet, sondern auch, dass die Fische sich in der Nähe des Waldes bedeutend vermehrten, und ließ dem Bestand eine be- sondere Pflege angedeihen. Als nun vor 62 Jahren ein Meeresbeben eintrat und eine Hochflut diese Küstengegend überschwemmte, starb der Bestand größtenteils ab, allein er hatte den Städten Takata und Imaisumi einen solchen Schutz gewährt, dass sie mit geringem Schaden davonkamen. Nach dieser Vernichtung begründete der Daimyo den gegenwärtigen Bestand, welcher 10,05 ha groß ist und hauptsächlich aus ca. 60 jährigen Stämmen von Pinus Densiflora gemischt mit P. Thumbergii, Zelkowa acuminata und wenig Uryptomeria japonica ferner Juniperus- und Quercus-Arten besteht. Als Unterwuchs findet man zahlreiche und verschiedene Laubhölzer. Der ganze Bestand von ca. 100 m Breite und 1000 m Länge bildet einen Gürtel entlang der Meeresküste. Als die Katastrophe am 15. Juni 1896 eintrat, wurden die hinter dem Walde liegenden Gebäude und Häuser wenig ge- schädigt, während außerhalb alles weggeschwemmt wurde. Andere von Seiroku Honda angeführte Beispiele seien hier über- gangen. Nach seinen Beobachtungen erscheint es zweifellos, dass der Küstenwald wohl den kräftigsten und zuverlässigsten Schutz gegen die Ueberflutung des Meeres zu gewähren vermag. Es handelt sich nun darum, zu untersuchen, welche Holzarten am besten zu diesem Zwecke geeignet sind. Seiroku Honda untersuchte das, indem er die bei der letzten Hochflut überschwemmt gewesenen Schutzwälder eingehend besichtigte und die durch das Salzwasser herbeigeführte verschiedengradige Be- schädigung der Baumspecies in Augenschein nahm. Manche Baumarten waren völlig vernichtet, andere beschädigt, aber noch ausschlagfähig, wieder andere gar nicht beschädigt. Als vollkommen widerstandsfähig, d. h. in allen vom Flutwasser erreichten Beständen und in den verschiedensten Altern völlig intakt geblieben, erwiesen sieh: Pinus Thumbergiüi Paul, Juniperus rigida S. und Z., Juniperus chinensis L., Rosa rugosa Thumb; ziemlich wider- standsfähig (d.h. am Blattrande und an den neuen Trieben verwelkt, in der Krone aber nicht abgestorben): Celtis sinensis Pers., Zelkowa 808 Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. acuminata Pl., Quercus glandulifera Bl., Diospyros Kaki L. F., Quer- cus dentata Thumb., Salix-Arten, Thea japonica Nois., Hamamelis Japonica 8. und Z., Bambs-Arten, Koelreuteria paniculata Laxne., Evo- nymus europaea L. var. Hamiltoniana Maxim., Evonymus japonica Thumb. Diese Holzpflanzen sind also relativ unempfindlich gegen die Ueber- flutung mit Meereswasser und eignen sich darum zur Anpflanzung in Küstenschutzwäldern. Als Hauptbestand empfiehlt Seiroku Honda: Pinus Thumbergüi und Zelkowa acuminata; als Nebenbestand würden vielleicht Juniperus rigida, Juniperus chinensis, Juniperus litoralis und Quercus-Arten sich eignen. Pinus Thumb. liefert ein im ganzen Küstenland von Japan hoch- geschätztes Brenn- und Bauholz; diese Holzart ist außerdem schnell- wüchsig und lichtbedürftig; sie kann 200-300 Jahre lang wachsen, sodass die Stämme oft 30—48 m hoch und 2—3,4 m stark werden. Zelkowa acuminata ist ebenfalls eine große schnellwüchsige Lichtholz- art, welche in ganz Japan als wertvollstes Nutzholz für Schiffe, Ge- bäude, Eisenbahnwaggons und verschiedene Geräte benutzt wird. Der Schutzwald soll vor allem den hinter ihm liegenden Geländen thunlichsten Schutz gegen Flutwasser und heftige Meereswinde ge- währen und in der diese Sicherheit gewährenden Gestalt dauernd er- halten werden. Es ist aber nicht zu vergessen, dass derselbe auch zur Forstbenützuug bis zu einem gewissen Grade dienen kann. Je breiter der Waldgürtel, desto besser. Aus den Schadenverhält- nissen bei der letzten Ueberflutung glaubt Seiroku Honda schließen zu dürfen, dass der Küstenschutzwald mindestens 20 m breit sein müsse. Wo Ortschaften nicht hinderlich sind, erscheint es wünschens- wert, denselben mindestens 40—60 m breit anzulegen. Die Waldfläche muss entlang der Meeresküste ununterbrochen an- gelegt werden. Bei Flussmündungen ist der Wald so an den Fluss- ufern zu begründen, dass er eine konvexe Fläche gegen das Meer kehrt und desgleichen bei direkt bis zum Meere durchgeführten Straßen (z. B. in Hafenstädten). Wo guter Boden vorhanden, soll möglichst viel Zelkowa acuminata aufgezogen werden, da dieses Holz viel wertvoller als das der P. Thumbergii ist. Weitere Einzelheiten sind in der interessanten Arbeit von Seiroku Honda selbst nachzusehen. Bokorny. [114] Blattumkehr im Ei der Affen. Zweite Mitteilung. Von Emil Selenka. Die schematische Abbildung einer Affen-Keimblase, welche ich in Nr. 15 dieses Bandes gegeben habe, bedarf einer Ergänzung, die zwar das Problem der Blattinversion nicht berührt, sondern nur auf Selenka, Blattumkehr im Ei der Affen. 809 die Gestalt des Dottersacks Bezug hat, die ich aber nicht zögern möchte sogleich nachzutragen. In dem Präparate, nach welchem die schematische Fig. 4 (auf Seite 552) entworfen wurde, ist nämlich der Dottersack derartig maze- riert und bis zur Unkenntlichkeit kollabiert, dass sein Lumen nicht zu sehen ist; er war zu einem napfförmigen Gebilde zusammengefallen, welches eine „Primitivplatte* vortäuscht. In der frischen Keimblase muss aber hier der winzige bläschenförmige Dottersack gelegen haben. Zu dieser unzweifelhaft richtigen Deutung hat mich die Schnitt- serie einer jungen Keimblase des Javaaffen (Cercocebus cynamolgos) geführt: Embryo und Chorion zeigen hier die gleiche Beschaffenheit wie bei dem Nasenaffen, welchen ich auf Seite 555 bis 557 abgebildet habe, mit dem einzigen Unterschiede, dass die vermeintliche Primitiv- platte sich als hohles Nabelbläschen dokumentiert. Den trächtigen Uterus, hatte mein Freund Hubrecht die große Güte, mir zur Unter- suchung anzuvertrauen. An Stelle der Fig. 4 auf Seite 552 hat daher die nebenstehende Fig. 4a zu treten, und was in den früher mitgeteilten Abbildungen als Entoderm bezeichnet wurde, ist selbstverständlich als Mesoderm zu betrachten. Um späteren Irrtümern vorzubeugen, bitte ich den Leser diese Verbesserungen in den Figuren 7 bis 10 einzutragen. Fig. Aa. Amnionhöhle. Dottersack. Exocoelom. Mesoderm. Pl Dorsoplacenta. Pl! Vergrößerte Zellen des Chorionektoderms als Anlage der Ventroplacenta. 2 Zotten. By 8 Lehrreich waren für mich auch die mustergiltigen Präparate zahl- reicher junger Keimblasen von Tarsius, welche mir Professor Hubrecht während meines Aufenthalts in Utrecht demonstrierte. Auch bei Tarsius bleibt, wie Hubrecht in seiner vorläufigen Mit- teilung schon beschrieben und abgebildet hat, der Dottersack anfäng- lich auffallend klein, indes der Cölomsack sich zu einer großen Blase ausbreitet. Der Embryonalschild des Tarsius hat freilich ein ganz anderes Aussehen als der der echten Affen; denn die Keimblase des ersteren wächst nicht, wie bei den Affen, mit der Region der Keimscheibe an den Uterus fest, sondern mit der gegenüberliegenden Fläche. Zu einer „Einstülpung der Keimscheibe“ oder Blattinversion ist also beim Tarsius-Keimling keine Veranlassung gegeben; viel- mehr geht die Ausbildung desselben an der, von Uterinflüssigkeit um- spülten freien Oberfläche der Keimblase ganz normal von statten. 810 Kennel, Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel. Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel. Von Prof. J. Kennel in Dorpat. In Nr. 18 des „Biolog. Centralblattes“ vom 15. Sept. 1898 berichtet Herr Prof. Kathariner über einen eklatanten Fall von Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel. Da diese Frage, wie die Eingangs des zitierten Artikels wiedergegebenen Sätze einer Abhandlung von Eimer zeigen, nicht ohne Bedeutung ist für allgemeine Anschauungen hinsicht- lich des Wertes oder Unwertes der Naturzüchtung, der Anpassung, des Gestützt- oder Nichtgeschütztseins und der Mimicry, und da ich der Mei- nung bin, dass hier einstweilen nur das Sammeln objektiv beobachteter Thatsachen zu brauchbaren Resultaten führen kann, so möchte ich gleich- falls einige kleine Beiträge aus meinen Erfahrungen liefern, ohne auf theoretische Schlussfolgerungen weiter einzugehen. Es wäre sehr zu wünschen, dass auch Andere mit hierhergehörigen Beobachtungen nicht zurückhielten. In meiner Abhandlung: „Studien über sexuellen Dimorphismus, Varia- tion und verwandte Erscheinungen, I. Der sexuelle Dimorphismus bei Schmetterlingen und Ursachen desselben“?) bemerke ich zwar (p. 35): „Es scheint in der That, als ob Rhopaloceren nur ausnahmsweise von Vögeln, die allein als Feinde der im Flug begriffenen Taginsekten auf- treten, — abgesehen von Libellen und anderen Raubinsekten, die nicht sehr wählerisch zu sein scheinen — genommen werden“. Zugleich aber berichte ich daselbst (p. 31) dennoch von einem Grasmückenpärchen, das ich im Sommer 1895 beobachtete (das Nest befand sich über einer 'Thür in der Veranda eines von mir gemieteten Landhauses am estländischen Strande), „welches seine fünf Jungen tagelang fast ausschließlich mit Vanessa urticae, daneben auch mit einigen Parnassius Amemosyne und Apolla fütterte, welch letzteres in der Gegend sehr selten war“. Ich füge nachträglich hinzu, dass auch Pieris rapae unter der herbeigeschafften Nahrung war, und dass an manchen Tagen wieder beinahe lauter Libellen das Futter lieferten. Die Schmetterlinge wurden meist mit zerfetzten Flügeln an das Nest gebracht und es war leicht zu beobachten, wie die alten Grasmücken auf einem dürren Baumzweige, den sie in kleiner Ent- fernung vom Hause als letzte Ruhestation benützten, ihre Beute mit dem Sehnabel hin- und herschlugen und so die großen Flügel teilweise zer- störten. Die Jungen hatten trotzdem tüchtig an den Bissen zu würgen. An derselben Stelle erwähne ich auch, dass man in lichten Wäldern und auf Waldwegen sehr häufig auf kleiner Strecke umhergestreut die Flügel verschiedener Catocala- und Bären-Arten (Archa, Euprepra) findet, deren Körper wohl die Beute ven Fledermäusen und Nachtschwalben, — viel- leicht auch kleinen Eulen — geworden sind. In der Umgebung von Kremon in Livland fand ich eines Tages im Gebüsch ein frisch ausge- schlüpftes Weibchen der hier sehr seltenen Pleretes matronula und an zwei weit auseinanderliegenden Stellen mitten auf dem Wege noch die völlig unverletzten Flügel zweier weiteren Exemplare herumgestreut. Hier ist freilich der Beweis, dass diese Schmetterlinge von Vögeln (oder Fledermäusen) gefangen und mit Ausnahme der Flügel verzehrt worden seien, nicht erbracht, aber es ist doch sehr wahrscheinlich. Menschen- hände konnten das Werk kaum verrichtet haben, da man sonst wohl die Ay Schriften der Dorpater Naturforscher - Gesellschaft, 1896. Kennel, Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel. 811 Fingerspuren auf den zarten Flügeln gesehen hätte, und wäre eine Ei- dechse oder Spitzmaus etwa der Mörder gewesen, welche die Beute im Sitzen erwischt hätten, so würde sie dieselbe auch an der Fangstelle, im Gebüsch, und nicht mitten auf der Landstraße verzehrt haben. Nacht- schwalben sind in jener Gegend sehr häufig, Fledermäuse sehr selten, jedenfalls können die Catocalen, deren Flügel man so oft findet, nur die Beute fliegender Feinde geworden sein. da sie am Tage ziemlich hoch an Baumstämmen und Mauern zu ruhen pflegen. Aus meiner Jugendzeit ist mir ein kleines Erlebnis in lebhafter Erinnerung, weil dasselbe damals meinen argen Sammlerzorn erregte. Bei einem Gang durch die Dorfstraße (in der Nähe von Speyer, Rheinpfalz) sah ich unter einer Fensterbrüstung ein ungewöhnlich gezeichnetes Exem- plar von Arctia caja, das auf den braunen Vorderflügeln nur ganz schmale weiße Linien statt der breiten Figuren zeigte. In meiner Auf- regung, das Tier zu spießen, war ich wohl ungeschickt, es flog auf, quer über die Straße und war eben im Begriff, sich wieder unter dem vor- springenden Gesims eines Fensters festzusetzen, als ein Sperling von einem benachbarten Dach herunterkam, ein wenig vor dem Schmetterling rüttelnd flatterte, ihn packte und davonflog. Auch Schwalben sah ich zu wiederholten Malen Jagd auf Schmetter- linge machen, allerdings nur auf Kleinschmetterlinge und unter besonderen Umständen. Das erste Mal war es im Februar 1885 oder 86 — an einem Waldrande in der Umgebung Würzburgs. Bei etwas windigem Wetter klopfte ich daselbst mit dem Netzstock an überhängende Aeste und Zweige niederer Eichen, um die Insekten daraus aufzuscheuchen. In Masse flog besonders Tortrix viridana auf, um sich bald wieder auf den Blättern niederzulassen. Diese Gelegenheit benützte aber eine Anzahl Schwalben, die dicht an meinem Kopfe vorbei hin- und herschossen und unter deutlich hörbarem Klappen mit dem Schnabel unter den kleinen, aber dickleibigen Schmetterlingen aufräumten. Dasselbe Schauspiel be- obachtete ich in den letzten Jahren mehrfach in der Rheinpfalz, stets bei stärkerem Winde, nur war es da hauptsächlich Tortrıx heparana, pa- dana, corylana, auch kleine Noctuen, die den geflügelten Konkurrenten in Menge zur Beute wurden. Dabei konnte ich auch sehen, dass die Schwalben, dicht an den Zweigen hinstreifend, dieselben gelegentlich mit den Flügeln stark berührten - ob zufällig oder absichtlich möchte ich nicht entscheiden — dann aber plötzlich umkehrten und von den auf- geflogenen Insekten, meistens Tortrieiden, wegschnappten. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eine Beobachtung mitteilen, die sich zwar nicht auf das Fangen fliegender Schmetterlinge, sondern ruhender bezieht, aber dennoch von Interesse sein dürfte, da man ja gerade annimmt, dass die am Tage ruhenden Schmetterlinge durch ihre vielfach grau und braun gezeichneten, altem Holz oder Baumrinde ähnelnden Vorderflügel sehr gut „angepasst“ und geschützt seien. Jeder Schmetterlings- sammler weiß, welch günstige Fangstellen für allerlei Noetuen, Geometriden, Tortrieiden und Tineiden alte Bretterzäune sind, wo besonders unterhalb der horizontal verlaufenden Verbindungsleisten am Tage eine Menge der ge- nannten Tierchen, außerdem Spinnen, Raupen etc, sich verborgen halten resp. ruhig sitzen. An einem solchen Zaune, an dem ich hier in Dorpat fast jeden Tag vorbeikomme, sah ich nun mehrfach im Frühling und 812 Kennel, Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel. Sommeranfang früh am Tage ein Sperlingpärchen auf der Nahrungssuche. Rüttelnd hielten sie sich unterhalb der Verbindungsleiste in kleiner Ent- fernung von dem Zaune, aufmerksam denselben nach rechts und links abspähend, dann ging es einige Schritte weiter, bis der ganze Zaun regel- recht abgesucht war, wobei sie bald hier, bald dort etwas wegpickten, auch ruhende Schmetterlinge. Denn auffallender Weise fand ich an diesem Zaune höchst selten einen Falter, obwohl er höchst günstig liegt als Trennung zwischen einem reichen Obstgarten und einer Parkanlage mit alten Bäumen und Gebäude, wogegen andere Zäune stets mancherlei Aus- beute lieferten. In den angeführten Beispielen von Schmetterlingsfang durch Vögel handelt es sich allerdings, mit Ausnahme des ersten, entweder um Schmetterlinge, die des Nachts fliegen, oder um solche, die am Tage aufgescheucht, doch so klein sind, dass auch bei ihnen im Fluge eine ebenfalls schützende oder abschreckende Färbung nicht in Betracht kommen kann. Anders könnte es sein bei den großflügeligen und meist grell oder bunt gefärbten Rhodalocera, deren Färbung und Zeichnung bei ausge- breiteten Flügeln im Sitzen, wie auch im Fluge, hervortritt. Da kann man freilich oft sehen, dass ganze Schaaren von Weißlingen oder Bläu- lingen an feuchten Stellen des Erdbodens sitzen, während die Schwalben dicht am Boden hin- und herfliegen, andere Insekten fangen, jene aber, auch wenn sie aufflattern, unbeachtet lassen. Da jedoch Beispiele, wie das erste von mir und das von Katha- riner erwähnte zeigen, dass auch solche Schmetterlinge von Vögeln ge- fangen und verzehrt werden, so scheint daraus hervorzugehen, einmal dass wenigstens die von uns angegebenen Arten für Vögel genießbar sind, und zweitens, dass ihnen ihre Färbung weder Schutz- noch Ab- schreekungsmittel für die Verfolger ist. Wenn trotzdem insektenfressende Vögel verhältnismäßig selten und vielleicht nur ausnahmsweise Rhopaloceren fangen sollten, so liegt das vielleicht viel mehr daran, dass dieselben unbequeme Bissen sind: kleiner Körper bei übermäßig großen Flügeln, die unverdaulich und sperrig, durch ihre losen Schuppen staubig und trocken, dabei ziemlich steif sind, so dass sie schwer geschluckt, aber auch nur mit Mühe einigermaßen ent- fernt werden können. Besonders solche Vögel, welche wie die Schwalben ihre Beute im Fluge verzehren und bei ihrem schwachen Schnabel ganz schlucken müssen, werden sie aus den angegebenen Gründen meiden und höchstens im Notfall nehmen. Bei den Merops-Arten mit schmalem, scharfem Schnabel mag die Sache anders liegen, da diese Vögel mit einem Biss die Flügel abtrennen können. Weil aber die Unbequemlichkeit bei fast allen sog. Tiagschmetter- lingen die nämlichen sind, wird auf Färbung und Zeichnung derselben nicht sehr viel ankommen. Sie werden alle verschmäht, ausnahmsweise aber auch fast ohne Wahl genommen werden. Es soll nicht geleugnet werden, dass manche Arten vielleicht wirklich ungenießbar sind, aber solche müssten durch sorgfältige Beobachtung und Versuche festgestellt werden; aus Färbung, Zeichnung, Flügelschnitt, oder auch aus besonderen Düften, die zufällig für uns wahrnehmbar sind, allein auf Ungenießbar- keit und Schutz zu schließen, ist unstatthaft. (Vgl. hierüber auch meine oben zitierte Abhandlung.) Den 4./16. Oktober 1898. [135] Chreighton, Bildung des Glykogens. 813 Creighton, Charles M. D., Microscopie Researches on the formative Property of Glykogen. Part. I. Physiological (With five coloured plates. London. Adam and Charles Black. 1896. 152 Seiten. Im vorliegenden Werk untersucht der Verfasser in methodischer Weise die Rolle, welche das Glykogen bei der Entwicklung der Säuge- tierembryonen spielt und erweitert unsere Kenntnisse über das Vor- kommen von Glykogen im embryonalen Säugetierkörper nicht unbeträcht- lich durch den Nachweis von Glykogen im Darmepithel, in der sich entwickelnden Niere, im embryonalen Knorpel, in der Brustdrüse und deren Sekret, endlich in der Winterschlafdrüse und im Protoplasma von Fettgewebe. In der Einleitung referiert er die Ansichten von Claude Bernard und Barfurth über die Bedeutung des Glykogens für die Gewebe. Claude Bernard hatte gemeint, dass das Glykogen im Tier- körper dieselbe Rolle spiele wie die Stärke in der Pflanze, d. h. dass das Glykogenmolekül zum Aufbau der histologischen Elemente unerläss- lich sei, während Barfurth das Glykogen gerade als ein nicht weiter verwendbares Abbauprodukt in rasch sich entwickelnden Geweben an- gesehen wissen will. Seine eigene Ansicht fasst der Verf. in folgenden Worten zusammen: „Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass das Glykogen den Geweben etwas zuführt und dadurch zu ihrem Aufbaue beiträgt, ohne seine eigene molekulare Zusammensetzung zu verlieren, dass es bei Bildung der Gewebe gegenwärtig ist und dabei Verwendung findet, ohne ein Teil davon zu werden und dass es auf diese Weise in einigen Fällen als Vorläufer oder Stellvertreter des Hämoglobins fungiert bis die Vaskularisation genügend weit vor- geschritten ist. Leider wird auch durch die weiteren Ausführungen nicht klar, welcher Stoff denn durch Vermittlung des Glykogens den Geweben zugeführt werden soll; da das Glykogen an Ort und Stelle liegen bleibt und auch chemisch nicht verändert werden soll, so scheint sich der Verf, die Wirksamkeit des Glykogens wie die eines ungeformten Fermentes vorzustellen; doch da er immer wieder darauf hinweist, dass das Glykogen der physiologische Stellvertreter des Hämoglobins sei, so scheint er auch an eine Sauerstoffübertragung durch Glykogen zu glauben, wenn er auch nie ausführt, welche Funktion denn eigentlich dem Hämoglobin beim Aufbau der Gewebe zukommt und in welcher Weise denn der durch das Glykogen vermittelte Stoff zu den Organen transportiert wird, ehe diese vaskularisiert sind. Ja es scheint, als ob er als Hauptfunction des Blutes es ansehe, Hämoglobin (!) den Geweben zuzuführen, wenn er schreibt: „In anderen Fällen ersetzt das Glykogen das Hämoglobin von Anfang bis zu Ende, nämlich in denjenigen Geweben, welche ganz oder zum Teil ohne direkte Beteiligung des Blutes aufgebaut werden. Noch an vielen andern Stellen setzt der Verf. Blutfunktion und Hämoglobin- funktion als identisch in ihrer Wirkung auf die Gewebe, eine Anschauung die ohne weitere Praezisierung wohl als physiologisch undiscutierbar be- zeichnet werden darf. Auch anatomisch sind die Ansichten des Ver- fassers in vielem von den allgemein gültigen abweichend, so glaubt er aus Untersuchungen am Meerschweinchen schließen zu müssen, dass in der Brustdrüse nur die Milchgänge und Milchsäckchen aus dem Epithel stammen, während die secernierenden Alveolen vom Mesoderm geliefert 814 Könn.b. Säugetier. d. Geschwister dess. Wurfes v. versch. Vätern abstammen ? werden sollen (?), auch bezeichnet er die Mamma als modifieierten Fett- körper. Für die Epithelien des Plexus chorioideus glaubt er aus dem überreichlichen Vorkommeu von Glykogen auf eine sekretorische (!) Funktion schließen zu müssen, leider führt er nicht näher aus, inwie- fern reichliches Vorkommen von’Glykogen und secretorische Funktion in Verbindung gebracht werden können. Als Härtungstlüssigkeiten ge- brauchte Verf. teils absol. Alkohol, teils doppelt chromsaures Kali. Letzteres kann angewendet werden, da Glykogen durch wässrige Lösungen nur sehr langsam und nicht vollständig ausgezogen wird, immerhin wird man wohl vorsichtshalber lieber alkoholische Flüssigkeiten anwenden; der absolute Alkohol ist aber wohl ein zu schlechtes Konservierungsmittel, als dass man feinere histologische Untersuchungen an so konservierten Objekten vornehmen kann. Den Nachweis des Glykogens führte Verf. mit Jodlösung oder Methylviolett, welches dem Glykogen eine intensiv rote Farbe erteilen soll, die aber vom Wasser leicht ausgezogen wird. (Ref. konnte bei Nachprüfung dieser Angabe nie eine Färbung von Gly- kogen mit Methylviolett erhalten.) Als Resultat geht aus den zahlreichen Untersuchungen des Verf. hervor, dass in fast allen Geweben beim Embryo sich Glykogen vorfindet in einer Zeit, wo eine rapide Entwicklung der betreffenden Gewebe bevorsteht, während später das Glykogen im Körper sich nur noch an wenigen Stellen vorfindet; in Uebereinstimmung mit obigem Befund zeigen ja auch schnellwachsende Tumoren großen Glykogen- reichtum und einen embryonalen Typus der Zellen. Welche Rolle das Glykogen bei schnell wachsenden Geweben spielt, bleibt noch völlig dunkel und die bisher bekannten Thatsachen führen über die Auffassung des Glykogens als Reservematerial, welches bei Neubildung der Gewebe verbraucht wird, nicht hinaus. Ein zweiter Band über das pathologische Vorkommen von Glykogen soll in Kürze folgen. H. F. |111] Bemerkungen zu dem Artikel: Können bei Säugetieren die Geschwister desselben Wurfes von verschiedenen Vätern abstammen? (Biolog. Centralbl., 1. Sept. 1898.) Von Gustav Tornier. In einer „wissenschaftlichen Zeitschrift“ und in meinem Artikel „Ueber Hyperdactylie, Regeneration und Vererbung (Archiv für Entwick- lungsmechanik der Organismen 1896. Bd. IV Heft I 8. 210) steht (unter der Capitelüberschrift: Etwas über embryonale Variation) folgendes: „Zum Schluss berichte ich noch über ein Experiment, das ich vor einiger Zeit sehr gegen meinen Willen veranstaltet habe. Wallace macht in einer von seinen Schriften darauf aufmerksam, dass bei Schmetter- lingen, deren Männchen di- und trimorph sind, ein und dasselbe Weib- chen gleichzeitig Eier abgeben kann, aus welchen später di- und trimorphe Männchen entstehen, und erschließt daraus, dass diese heteromorphen Männ- chen durch „embryonale Variation“ und nicht unter dem Einfluss äußerer Ursachen entstanden seien. Auch mir liegt ein ähnlicher Fall vor. Ich fand nämlich bei ein und demselben Weibchen von Uhamaesaura tenutor, welches Reptil le- bendig gebiert, Embryonen von ausgesprochenem Dimorphismus in dem- selben Oviduct. Haben wir es in diesen Fällen wirklich mit „embryo- Wiesner, Kenntnis des photochemischen Klimas im arktischen Gebiete. 815 naler Variation“ der Individuen zu thun? Darüber klärt das erwähnte Experiment völlig auf. Um rassereine Dachshunde zu erhalten, wurden von meinem Vater und mir rassereine Tiere dieser Art zusammengesperrt und begatteten sich auch. Zufällig entwischte die Hündin aus dem Gehege und begattete sich in meiner Gegenwart nun noch nachträglich mit einem Hühnerhund. Die Folge war, die Hündin gebar drei rassereine Dachshunde und einen aus- gesprochenen Bastard zwischen Dachs- und Hühnerhund, der, um nur eins zu erwähnen, bereits bei der Geburt fast doppelt so groß als seine Ge- fährten war. Hieraus geht mit Sicherheit hervor: Wenn ein und dasselbe Weibchen, das normalerweise mehrere Junge wirft, in ein und demselben Wurf heteromorphe Nachkommen gebiert, ist das kein Beweis dafür, dass diese Junge durch „embryonale Variation“ heteromorph geworden sind; — das Weibchen kann für diesen Wurf nacheinander von mehreren Männchen begattet worden sein.“ — Einen Wiederabdruck des hier mitgeteilten, brachte etwas später die naturwissenschaftliche Wochenschrift. — Demnach hätte die Einleitung zu dem Artikel des Herrn vom Rath folgendermaßen zu lauten: Nachdem 1896 Tornier darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Wirbeltierweibehen für einen Wurf von mehreren Männchen begattet wer- den können und nachdem über diesen Artikel in der naturwissenschaft- lichen Wochenschrift referiert worden war, hat dann 1897 Herr cand. med. Engel...u.s. w. Ferner möchte ich noch bemerken, dass der für diese Sache gewählte Name „Coinfoetation* ein sehr ungeeigneter ist. Coinfoetation heisst Mit-begattung und kann daher sehr leicht zu der Annahme Veranlassung geben, es wäre gemeint, dass bei der Begattung eines Weibchens durch zwei Männchen, die einzelnen Eier durch den Samen beider Väter be- einflußt werden, was doch auch möglich ist, aber durch den Namen durch- aus nicht ausgedrückt werden soll. Viel besser würde der Vorgang schon durch den Namen Polyinfoetation bezeichnet werden (von welcher die Biinfoetation und unter Umständen die Coinfoetation eine besondere Form wären). Im übrigen freut es mich, dass Herr vom Rath die Sache experi- mentell weiter verfolgen will; es ist auf diesem Wege noch manche Frucht zu pflücken. [133] Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 23. Juni 1898. Das w. M. Herr Hofrat Prof. Wiesner überreicht eine Abhandlung, betitelt: „Beiträge zur Kenntnis des photochemischen Klimas im arktischen Gebiete“. Die wichtigeren Resultate dieser hauptsächlich im pflanzen-physiologischen Interesse ausgeführten Arbeit lauten: 4. Im hochnordischen Gebiete ( Adventbai, Tromsö) ist bei gleicher Sonnen- höhe und gleicher Himmelsbedeckung die chemische Intensität des gesamten Tageslichtes größer als in Wien und Cairo, hingegen kleiner als in Buitenzorg 816 Wiesner, Kenntnis des photochemischen Klimas im arktischen Gebiete. auf Java. Für Trondhjem gilt dasselbe Verhalten, aber mit einer bereits stark hervortretenden Annäherung an Wien. 2. Bei vollkommen bedecktem Himmel wurde in der Adventbai eine mit der Sonnenhöhe so regelmäßig steigende Lichtstärke wie in keinem anderen der untersuchten Vegetationsgebiete beobachtet. 3. In der Adventbai sind bei gleichen Sonnenhöhen und gleicher Himmels- bedeckung die vor- und nachmittägigen chemischen Lichtintensitäten nahezu gleich; doch wurden in der Mehrzahl der Fälle die Nachmittagsintensitäten etwas größer als die Vormittagsintensitäten gefunden. 4. Die größte Intensität des gesamten Tages- und des diffusen Lichtes ist in allen Gebieten auf jener Vertikalfläche zu beobachten, welche der Sonne gegenüberliegt, die geringste auf der entgegengesetzten Vertikalfläche. Die Intensitäten auf den zwischenliegenden, zu den beiden ersteren senkrechten Vertikalflächen verhalten sich intermediär. 5. Selbst bei vollkommen klarem Himmel ist rücksichtlich der beleuch- teten Vertikalflächen eine vollständig symmetrische Verteilung der Licht- intensitäten häufig nicht vorhanden. 6. Mit steigender Sonnenhöhe nimmt das Vorderlicht (mittleres auf die Vertikalfläche fallendes Licht) im Vergleiche zum Oberlicht (gesamtes Tages- licht, auf der Horizontalfläche gemessen) ab. In der Adventbai wurde anfangs August das Verhältnis des Vorderlichtes zum Oberlichte wie 1:15 bis 272 gefunden, während in Wien (im Monat Mai) dieses Verhältnis 1:4 und darüber betragen kann. 7. Für Tage gleicher mittäglicher Sonnenhöhe ist die Tageslichtsumme im arktischen Gebiete beträchtlich größer als in mittleren Breiten. Anfangs August ist die durchschnittliche Tageslichtsumme in der Adventbai etwa 2'5mal größer als bei gleicher mittäglicher Sonnenhöhe in Wien (anfangs November oder Februar). 8. Das Lichtklima des hochnordischen Vegetationsgebietes ist durch eine relativ große Gleichmäßigkeit der Lichtstärke ausgezeichnet, welche in diesem Grade in keinem anderen Vegetationsgebiete erreicht wird. Diese große Gleichmäßigkeit spricht sich zunächst in den niedrigen Maximis und den hohen Minimis der Intensität des gesamten Tageslichtes aus, welche wieder in dem Gange des täglichen Sonnenstandes begründet sind. Es steigen vom Frühling bis zum Sommer die Taglichtsummen im hocharktischen Vegetationsgebiete viel langsamer und fallen vom Sommer bis zum Herbste viel langsamer als in mittleren Breiten. Auch kommt im hohen Norden die Stärke des Vorderlichtes der des Oberlichtes so nahe, wie in keinem anderen Vegetationsgebiete. Es steigt bei vollkommener Himmelsbedeckung in keinem anderen der untersuchten Gebiete die Stärke des Lichtes mit zunehmender Sonnenhöhe so gleichmäßig als im arktischen. Endlich trägt auch der Um- stand, dass Mitternachts der Norden am stärksten, der Süden am schwächsten beleuchtet ist, zum Ausgleich der Lichtstärke bei. 9. Die in der Adventbai angestellten Beobachtungen liefern eine Bestä- tigung des vom Verf. schon früher ausgesprochenen Satzes, dass der Anteil, den die Pflanze vom Gesamtlichte bekommt, desto größer ist, je kleiner die Stärke des Gesamtlichtes sich gestaltet; selbstverständlich abgesehen von jenen Gebieten, in welchen die Sonnenstrahlung bereits hemmend in die Pflanzen- entwicklung eingreift (Steppen, Wüsten) Es erhalten nämlich die größte Menge vom Gesamtlichte die Pflanzen der arktischen Vegetationsgrenze. Dieser große Bedarf an vorhandenem Lichte bedingt, dass jede Selbstbeschattung der Gewächse (durch das eigene Laub) an der äußersten nordischen Vegetations- grenze ausgeschlossen ist und in dem benachbarten südlichen Gebiete (z. B. in Hammerfest) nur eine minimale (physiologische) Verzweigung der Holzgewächse möglich ist, Näheres über den Zusammenhang des hochnordischen Lichtklimas mit dem Vegetationscharakter, speziell über den Lichtgenuss hochnordischer Gewächse, folgt in einer späteren Abhandlung. [100] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig, — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Centralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. M. Reess und Dr. E. Selenka Prof. in Erlangen Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. 24 Nummern von je 2—4 Bogen bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XVII. Band. 1... Dezambor!1898: Nr. 23 u. 24. Inhaltsverzeichnis, Namen- u. Sachregister u. Titelblatt für Bad. XV III werden im Laufe des Monats Dezember ausgegeben werden. Inhalt: Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. — Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. — Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiologische Bedeutung‘ -—— Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Unter- suchungen über Rostpilze. — Kohlbrugge, Der Atavismus, — Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der Vererbungstheorie. Von Professor Marcus M. Hartog, D. Sc, M.A., F.L.8.). Bei der neuesten Ausarbeitung der Descendenztheorie, wie sie zuerst von Charles Darwin in vollständiger Ausbildung veröffent- licht wurde, sind zweierlei Parteien einander gegenüber getreten. Die eine, die zwar behauptet, sie vertrete die reine und unverfälschte Lehre, hat den Hauptwert auf das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl gelegt, welche Darwin so viel verdankt; aber sie hat seine Ansicht verworfen, dass die Rassen aus inneren Entwicklungstrieben, durch Anpassung an veränderte Umgebungsbedingungen bedingt, variieren. Die andere dagegen misst dem letzteren Faktor den größeren Wert für die Umbildung der Arten zu, und lässt die natürliche Zuchtwahl in den Hintergrund treten. Die zwei bekanntesten wissenschaftlichen Führer sind August Weis- mann auf der einen und Herbert Spencer auf der anderen Seite. Ihr Streit hat Interesse auch bei den gebildeten Laien gefunden; während aber die Behauptungen wohl bekannt sind, sind einige von den wichtigsten Thatsachen, sogar in der Fachlitteratur, mehr für bewiesen angenommen als völlig festgestellt und klar dargelegt worden. Ich meine dabei besonders die gröberen Beziehungen in dem eigentlichen Fortpflanzungs-Mechanismus und dem Akt der Vererbung, 1) Aus „Natural Seience*, Vol. XI, Nr. 68 u. 69 vom Herrn Verfasser mit- geteilt. XVII. N 818 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. durch welchen die elterlichen Charaktere von einer Generation auf die andere übertragen werden. Eine Vorstellung dieser Verhältnisse kann sich nicht auf die höheren Organismen beschränken, welche uns aus dem täglichen Leben geläufig und bekannt sind; denn sie sind das Resultat komplizierter Vorgänge. Die einfacheren Typen dagegen sind zwar noch in Hülle und Fülle vorhanden, aber nur der Unter- suchung mit dem Mikroskop zugänglich. Dies Feld müssen wir zuerst bestellen, wenn wir die Grundlagen des wundervollen Baues der höheren Organismen verstehen wollen. Erst vor zwei Jahrhunderten enthüllte das Mikroskop der Mensch- heit eine ungeheure Welt von kleinsten Lebewesen ebenso wie die Einzelheiten der Struktur der bekannten Tiere und Pflanzen. Natürlich genug nahmen die früheren Beobachter an, dass diese sonderbaren kleinen Wesen eine ebenso kompliziertere Struktur haben müssten wie wir selbst. Sie suchten eifrig und behaupteten auch bisweilen in ihnen ein Gehirn, ein Herz, Blutgefäße ete. gefunden zu haben, gerade ebenso wie bei Vögeln, Vierfüßlern oder Fischen!). Seitdem haben wir gelernt, dass die kleinsten Struktureinheiten der gewöhnlichen Organismen in ihrem Wesen identisch sind mit dem ganzen Organismus eines solehen mikroskopischen Wesens; eine solche Untersuchung wie die eben angeführte, würde heutzutage angesehen werden, als wenn man in einem Stück Kalkstein die Pfeiler und Strebebogen, die Ge- wölbe und Dome einer großen Kathedrale im Kleinen suchen wollte. Solehe Struktureinheit nennt man eine Zelle, allerdings ein schlecht gewählter Name, dessen Bedeutung aber als einen Kern enthaltende Protoplasmaeinheit jedermann geläufig ist. Die niederen Organismen sind einzelne Zellen oder Aggregate von gleichartigen Zellen; die höheren bestehen aus komplizierten Anordnungen von ungleichen Zell- Aggregaten, die wir Gewebe nennen. Die ersteren nennen wir Pro- tisten und unterscheiden Protozoen und Protophyten, je nach der tierischen oder pflanzlichen Lebensweise; die höheren Tiere und Pflanzen nennen wir Metazoen und Metaphyten, während der entsprechende Name „Metisten“ noch von keiner anerkannten Autorität angewandt worden ist. 4) So schreibt Baker in der Mitte des vorigen Jahrhunderts: „Suchen wir ferner und prüfen die kleinsten Lebewesen, deren Arten mit bloßem Auge unmöglich zu erkennen sind; diese atmenden Atome, so klein sie sind, sind doch fast eine ganze Werkstatt; auch in ihnen finden wir dieselben Organe des Körpers, die Vielartigkeit der Glieder, Mannigfaltigkeit der Bewegungen, Verschiedenheit der Formen, und eigentümliche Lebensweisen wie in größeren Tieren. — Wie erstaunlich muss die innere Struktur dieser Wesen sein! Das Herz, der Magen, die Eingeweide und das Gehirn. Wie klein und fein die Knochen, Gelenke, Muskeln und Sehnen! Wie über alle Begriffe zart die Arterien, Sehnen und Nerven!“ (The Microscope Made Easy“, by Henry Baker, Ed. V, 1767). Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 819 Bei sämtlichen höheren’Organismen besteht der Vorgang der Repro- duktion!) der Rasse in der Abtrennung einzelner Fortpflanzungszellen vom Gesamtorganismus, die entweder unabhängig zu der ursprüng- lichen Form heranwachsen, oder von denen je zwei miteinander ver- schmelzen und so eine neue Zelle bilden, die dann heranwächst. Bei den meisten Pflanzen und vielen Tieren können auch vielzellige Teile vom Körper abgetrennt werden und sich dann zu vollständigen Orga- nismen entwickeln; das wollen wir Propagation zum Unterschied von Reproduktion oder Fortpflanzung nennen. In jedem Fall besteht der elterliche Körper fort, lebend oder tot, nach der Loslösung solcher Zellen oder Zellgruppen. Bei den Protisten liegen die Ver- hältnisse ganz anders; denn, wenn hier das Zellindividuum aus- gewachsen ist, teilt es sich gewöhnlich in zwei neue Zellen und es selbst existiert nicht mehr, weder lebend noch tot. Wir nennen mit einem passenden Vergleich die Urzelle eine „Mutterzelle“, die neuen „Lochterzellen“; aber wir müssen daran denken, dass die opferfreu- dige Mutter hier ihre ganze Existenz aufgehen lässt in die ihrer Nachkommen, ein Beispiel mütterlichen Opfermuts, das bei uns oft geträumt doch nie verwirklicht wird. So können, wie Weismann zuerst klar aussprach, die Protisten dem persönlichen Tode entgehen durch das Opfer ihres individuellen Lebens; er bezeichnet sie deshalb als „unsterblich“. Ueber den Zellstammbaum als diejenige Art der Fortpflanzung, welche wir eben erklärt haben, werden wir hier hauptsächlich zu sprechen haben. Die Fortpflanzung bei den Protisten erfolgt auf viele verschiedene Arten. Die gewöhnlichste ist die einfache Zweiteilung der Zelle, jedes- mal, wenn sie das Doppelte ihres ursprünglichen Umfanges erreicht hat (Herbert Spencer’s „Grenze des Wachstums“), ein Vorgang, den wir als „Vermehrung durch einfache Teilung“ bezeichnen. Oft ist indessen die erste Teilung gleich von einer zweiten und diese von weiteren gefolgt, so dass in möglichst kurzer Zeit Enkel und Urenkel entstehen; diesen Prozess nennt man „Brutteilung“, oder wenn die Sprösslinge sich nicht sofort von einander trennen „Segmentierung“. Auch können sich die Sprösslinge von Brutteilungen in Gruppen sam- meln, gewöhnlich zu zweien, welche verschmelzen, um eine neue so- genannte „Kopulationszelle“ zu bilden; diesen Prozess nennt man „Kon- jugation*“ oder wenn die sich paarenden Zellen von einander ver- schieden sind „Befruchtung“. Wir müssen im Auge behalten, dass Konjugationsvorgänge, genau gesagt, nicht Vervielfältigungsvorgänge sind; denn der Paarungsvorgang halbiert zeitweise die ganze Zahl der Zellen, da aus zweien eine entsteht: die zwei werden thatsächlich ein Fleisch. 4) Im engeren Sinne, um es von Propagation zu unterscheiden, von der im folgenden die Definition gegeben wird, 52* 820 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. Wir finden sehr oft, dass diese drei Fortpflanzungsprozesse sich zyklisch wiederholen, z. B. eine Folge von einfachen Teilungen nach Erreichung der Wachstumsgrenze ist von Brutformation gefolgt und die Brutzellen vereinigen sich miteinander; die gepaarte Zelle beginnt dann einen frischen Zyklus. Aber die Ordnung der Prozesse variiert in verschiedenen Fällen, und manchmal können sogar verschiedene Modi von Brutteilungen abwechselnd folgen. So zeigt eine gewöhn- liche Gregarine, ein Parasit des Regenwurms, folgendes: nach der Konjugation erleidet die gepaarte Zelle wiederholte Brutteilungen, so dass sie viele hundert Brutzellen bildet; jede einzelne von ihnen reift zu einem haferkornähnlichen Körper aus, der von einer harten Schale umgeben ist. Nach einiger Zeit teilt sich die haferkornähnliche Zelle wieder durch Brutformation in acht sichelförmige Zellen, welche schließ- lich das haferkornförmige Gehäuse verlassen und in die lebenden Zellen des Wurmes wandern. In vielen Fällen ist die Trennung der Tochter- oder Brutzellen nicht vollständig und sie verbleiben noch in mehr oder weniger enger Vereinigung. Man nennt eine solche Ansammlung von Zellen gemein- samen Ursprungs, eine „biologische Kolonie“ imengeren Sinne, während die Benennung „Sociales Aggregat“ für eine Ansammlung angewandt wird, die ebenso wie eine Kolonie von Menschen durch Vereinigung von ursprünglich vereinzelien Organismen gebildet ist. Protisten- kolonien können auf dreierlei Weise gebildet werden (die dritte ist nur eine Kombination der beiden ersten). 1. Zellteilung, die mit Wachstumsperioden abwechselt, führt zur Entstehung von Tochterzellen, die zusammen bleiben. 2. Brutteilung (Segmentation) bringt eine Anzahl Zellen hervor, die vereint bleiben. 3. Eine Kolonie, die erst durch Segmentation gebildet ist, fährt fort, sich zu vergrößern, durch Teilung nach dem Wachsen der ein- zelnen Zellen; die Tochterzellen bleiben noch verbunden. Kolonien des ersten und dritten Typus können sich durch Ab- trennung eines Teiles der Kolonie vermehren; wenn der abgetrennte Teil aus einer einzelnen Zelle besteht, so geht der Vorgang in eigent- liche Fortpflanzung über. Bei den einfachsten Protistenverbänden sind alle Zellen einer Kolonie thatsächlich einander gleich; die Kolonie zerfällt schließlich in ihre einzelnen Zellen, welehe sieh dann in der einen oder andern der oben beschriebenen Weisen fortpflanzen. Aber in manchen Fällen hat das Zusammenleben in der Kolonie zu einer Differenzierung der ein- zelnen Zellen geführt. Ein schlagendes Beispiel dafür ist Protospongia Haeckelii (ein kleiner von Savile Kent im Teichwasser gefundener Organismus), sie besteht aus einer großen Masse von Zellen, welche durch ein gelatinöses Sekret zusammengehalten werden. Die ober- Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 821 flächlichen Zellen sind mit einer Wimper versehen, deren Basis von einem Triehter oder Kragen von Protoplasma umgeben ist. Diese - Zellen nehmen aus dem umgebenden Wasser die Nahrungsteilchen auf, die durch die Bewegung der Wimpern in Kontakt mit ihnen ge- bracht werden; die Zellen im Innern der Kolonie dagegen werden nur indirekt durch die Nahrung ernährt, die von den Kragenzellen ver- daut und jenen zugeführt wird. Unser Wissen über den Lebenszyklus des Organismus ist noch sehr unvollständig; es scheint sicher, dass nur die Centralzellen wirklich als Fortpflanzungszellen (durch Segmentation) funktionieren können, dass die Außenzellen aber sich wohl gelegent- lich abtrennen und so die Masse auch durch den langsameren Vorgang der Ernährung und des Wachstums, gefolgt von periodischer einfacher Teilung fortpflanzen können. Wir können vielleicht diesen Schwamm als ein Metazoon mit zwei Geweben ansehen — einem äußern Nahrungs- gewebe und einem innern Fortpflanzungsgewebe, und die Speziali- sierung der Lage der zwei Schichten zu einander zuschreiben; denn das äußere Gewebe ist günstig gelegen, um Nahrung aus dem um- gebenden Wasser aufzunehmen, während das innere, durch seine Lage von aller Thätigkeit fern gehalten, ernährt und bewahrt vor der Be: rührung mit der unfreundlichen Welt durch die äußere Schicht, seine Kräfte zur Fortpflanzung der Art verwendet. In der That ist dieser Organismus, wie sein Name sagt, ein Vor- läufer der Schwämme, und repräsentiert wahrscheinlich einen letzten Ueberlebenden vom Typus ihrer Vorfahren. Denn ein einfacher Schwamm ist ein am Grunde befestigter, oben weit offener Sack, dessen Wand von zahlreichen Poren durchsetzt ist. Diese Wand besteht aus drei Schichten, einer äußeren Epidermisschicht, einer Zwischenschicht und einer inneren oder Magenschicht, in der die Zellen Wimper und Kragen besitzen. Die Wimpern der Magenzellen bewirken ein kon- stantes Strömen von Seewasser in dem Sack, welches durch die Poren ein- und durch den Mund austritt und die Nahrungsteilcben mit sich führt, die nur die Magenzellen aufnehmen können um damit die bei- den andern Schichten zu ernähren. In diesem Falle scheint es, dass nur solche Bruchstücke des Schwammes, die alle drei Schichten enthalten, ihn fortpflanzen können. In der Natur bilden sich in der That hohle Auswüchse des Sackes, und können sogar als Knospen losgelöst wer- den. Aber nur die von beiden Seiten geschützte Zwischenschicht dif- ferenziert gewisse Zellen zu Fortpflanzungszellen. Diese erzeugen durch Brutteilungen männliche und weibliche Paarungszellen; dann wächst die gepaarte Zelle nach der Befruchtung zu einem neuen Schwamme heran. Wir sehen hier einen sehr bemerkenswerten Fort- schritt gegen die ersten kolonialen Protisten; denn hier kann der Kolonial-Organismus nur durch Zusammenwirken aller drei Zellen- Arten fortgepflanzt werden. Die einzeine Zelle ist nun nicht mehr 892 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. „Mädchen für Alles“, sondern es bedarf des Zusammenwirkens mehrerer in verschiedener Richtung differenzierter Zellen, um einen völlig selbständigen Organismus zu bilden, und jede Zellsorte kann durch Wachstum und Teilung nur ihren eigenen Typus und ihr eigenes Gewebe fortpflanzen, aber nicht den ganzen Organismus, von dem sie einen Teil bildete. Dies ist sehr passend von Orpen Bower als ein Sterilisationsvorgang bezeichnet worden. Wir haben gesehen, dass gewisse Zellen der Zwischenschicht mit größeren Fähigkeiten ausgestattet sind. Wir wollen jetzt das Schicksal der gepaarten Zelle (befruchtetes Ei, Oosperm) verfolgen. Diese teilt sich von neuem wiederholentlich, so dass durch ihre Segmentation eine hohle kugelförmige Kolonie entsteht; die eine Halbkugel ist aus glatten Zellen zusammengesetzt, während die der andern mit Wimpern ver- sehen sind. Die letztere stülpt sich nun in die erstere ein, so dass die Kolonie die Form einer gefütterten Haube annimmt. Das “ Gepaarte Zelle e Außenzellen Magenzellen x ) Segmentierung. Epidermiszellen Mittelzellen Y ) Teilung an der Grenze desWachs- Fortpflanzungszellen tums. 1 | Brutteil Paarungszellen 2a109 aa |Ei oder Spermatozoon] Futter ist aus Kragenzellen gebildet, welche die Magenzellen sind; die äußere Zellschicht teilt sich wieder in zwei Schichten, die Epidermis und die Zwischenschicht. Das sind im wesentlichen die Vorgänge der Fortpflanzung und der ersten embryonalen Ent- wicklung, wie sie bei allen höheren Tieren gefunden werden, mit der Ausnahme, dass die Mittelschicht von den eingestülpten Zellen gebildet sein kann anstatt, oder eben so gut wie von den äußeren, und dass die Portpflanzungszellen aus verschiedenen Schichten bei den einzelnen Klassen gebildet sein können. Die beigefügte genealogische Tabelle stellt den Zellularstammbaum eines Schwammes dar, der mit der gepaarten Zelle beginnt, und mit den Paarungs- oder Geschlechts- zellen endigt?). 4) Reduktionsteilung kommt an dieser Stelle vor (in dieser wie in den fol- genden Tabellen). 2) In dieser und den folgenden Tabellen benutzen wir die Zeichen x, um Segmentation zu kennzeichnen, diese /\ /\ für Brutteilungen und diese | | für Teilungen, die mit Wachstum abwechseln. Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 823 Wie aus dem Gesagten hervorgeht, erzeugen die gepaarten Zellen, obgleich sie nur von Mittelzellen abstammen, doch durch ihre Teilungen Nachkommen, welche zuletzt ganz andre Zellarten werden deren gleiche niemals unter ihren direkten Vorfahren vertreten waren. Wir können dies mit einer Rasse vergleichen, deren ältere und jüngere Glieder einer Familie immer unfruchtbar und verschieden im Charakter und in der Entwickelung waren von den mittleren und fruchtbaren Kindern, aber bei denen jedes fruchtbare Paar unter seiner Nachkommenschaft einige erzeugt, die den Eltern gleichen, andere mit den Fähigkeiten und Charakteren der unfruchtbaren Onkel und Tanten!). Wir müssen indessen im Auge behalten, dass jeder Vergleich eines wirklichen Zellular- stammbaums mit der genealogischen Tabelle der Glieder einer Metazoon- Art nur eine Analogie ist. Während die Fortpflanzung im allgemeinen bei den höheren Tieren in denselben Hauptlinien verläuft wie bei den Schwämmen, zeigen ge- wisse von ihnen Verschiedenheiten. Wie oben erwähnt, variiert beson- ders in verschiedenen Gruppen die Beziehung der mittleren und Fort- pflanzungszellen zu denen der zwei ursprünglichen Keimschichten. Propagation durch Knospung bei den höheren Tieren und Re- generation, oder die Wiedererzeugung nach Verletzungen, sind im wesentlichen zwei verschiedene Seiten derselben Erscheinung. In beiden Fällen vermehren sich die Zellen in einem oder mehreren Geweben sehr schnell, und kehren mehr oder weniger genau zu dem Stadium zurück, welches sie im Embryo besaßen. In einigen Fällen können aus diesen Embryonalzellen nur Gewebe entstehen, die denen gleich sind, von denen sie abstammten, oder wenigstens Gewebe, die der- selben Schicht angehören; aber bei den niedrigsten Würmern sollen die Mittelzellen im stande sein, auch andere Schichten zu bilden. Bei den Wirbeltieren sind die Regenerierungsfunktionen genau begrenzt; so findet, wenn die Oberfläche der Haut durch ein Geschwür oder durch Verbrennung ganz und garentfernt ist, das Ueberwachsen neuer Epidermis nur durch allmähliches Auswachsen der lebenden Epidermis von den Rändern her statt, nicht durch direktes Wachsen auf der Wunde. Dies ist die Erklärung für die moderne Behandlung durch Haut-Transplantationen, indem die an einzelnen Stellen auf die Oberfläche der heilenden Wunde übertragene Haut ebenso viele Centren für das Ueberwachsen bildet und so den Prozess des Ueberhäutens beschleunigt. Die meisten $ewebe der höheren Tiere haben sich noch genug Lebenskraft erhalten, um fähig zu sein, Gewebe ihrer eigenen beson- deren Art in Fällen von Wunden wiederzuerzeugen; bei Salamandern z. B. kann sogar ein ganzes Organ, ein Bein oder Auge, erneuert 4) Den Fall, den wir zum Vergleich aufgestellt haben, kommt wirklich vor bei socialen (statenbildenden) Insekten mit ihren sterilen Kasten in jeder Generation. 2A Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. werden. Die Epidermis der Wirbeltiere enthält in ihrer tiefsten Schicht eine fast unbegrenzte Befähigung zu Wachstum und Fortpflanzung; die der Cutiszellen am nächsten gelegenen bilden ein zusammenhängendes Lager, in dem jede Zelle fortwährend wächst und sich teilt; die oberste Zelle bei jeder Teilung wird hornig, um schließlich abgestoßen zu werden, sowie andere hornige Zellen unter ihr gebildet worden sind, während die unteren die ursprüngliche Befähigung zum Wachstum und Teilung beibehalten. Diese Schicht ist vollkommen vergleichbar mit der Schicht der korkbildenden Zellen bei den meisten grünen Pflanzen. Das den Knochen bekleidende Periost hat ähnliche aber weniger leb- haft thätige Fähigkeiten. Indem wir die Thatsachen Hberschein finden wir: 1. Bei Protisten hat jede Zelle die Fähigkeit, bei ihren Nach- kommen ihre eigenen Charaktere oder diejenigen einer direkten Vor- fahren-Zelle zu erzeugen, was wir als das Gesetz der direkten ununterbrochenen oder wechselnden Zellularfortpflan- zung bezeichnen können, je nachdem nur eine oder mehrere wech- selnde Arten von Zellenfortpflanzung den Geburtszyklus bilden. 2. Bei Metazoen ist die Fähigkeit, einen vollständigen Organismus zu erschaffen, auf gewisse Fortpflanzungszellen beschränkt, welche in ihrer Nachkommenschaft Zellen erzeugen müssen, welche solchen, die nur eine Seitenverwandtschaft zu ihnen besitzen, gleich sind; dies nennen wir das Gesetz der collaterallen Zellenfortpflanzung. 3. Die anderen Zellen der Metazoen können selten oder nie eng genug zu ursprünglichen Typus zurückkehren, um all die andern Ge- webe zu erzeugen, deren Seitenverwandte sie sind, obgleich ihr Pro- pagationsvermögen sehr groß sein kann. Diese Einschränkung ihres Reproduktionsvermögens können wir das Gesetz der spezialisier- ten Unfruchtbarkeit nennen. 4. In den meisten Fällen tierischer Knospung oder Wiederher- stellung finden wir, dass verschiedene Gewebe zusammenarbeiten, um einen vollständigen Organismus zu erschaffen; dies nennen wir das Gesetz der kooperativen Propagation. Die Fähigkeit sich durch kleine Bruchstücke fortzupflanzen, ist am meisten ausgebildet bei den Schwämmen, einigen Polypen, Quallen, Seesternen und gewissen Plattwürmern; sie geht gewöhnlich verloren bei den höheren Gruppen, aus verschiedenen Gründen, unter denen die Bedingungen der Ernährung die wesentlichsten zu sein scheinen. Ein Tierbruchstück kann die Nährstoffe für die Bildung neuer Zellen nur erlangen durch Aufzehrung von Teilen seiner eigenen Substanz, bis es neue Organe für die Aufnahme und Verdauung von Nahrung gebildet hat. Um dies zu können, muss das Bruchstück groß genug sein, ein solches Opfer zu ermöglichen; und außerdem dürfen die Gewebezellen Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 825 nicht zu sehr differenziert sein, um sich den veränderten Bedingungen anpassen zu können. Die mannigfachen Gewebe eines menschlichen Armes z.B. die gewöhnt sind an die stetige Zufuhr von Blut, welches Nahrung und Sauerstoff enthält und alle verbrauchten Bestandteile fortführt, sowie an die Führung durch ein hochentwickeltes Nerven- system, können sich niemals an ein selbständiges Leben anpassen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Tiere wesentlich von Pflanzen. Um in der Weise, die wir bei Tieren angewandt haben, die Ge- setze der Reproduktion und Propagation bei Pflanzen zu erforschen, müssen wir zu jenen Protisten zurückkehren, deren Leben wesentlich pflanzlich ist. Diese besitzen ein gefärbtes Protoplasma (grün, gelb oder rot), in welchem unter der Einwirkung des Lichts aus unorga- nischen Bestandteilen organische Nahrung durch Synthese gebildet wird, von welcher sie sich dann (wie Tiere) ernähren. Da die unorga- nischen Bestandteile in Lösung vorhanden sind, können sie von der Zelle aufgesaugt werden, weshalb diese weder eines Munds noch eines Magens bedarf; und die Zelle kann bestehen, wachsen, und sich durch Teilung vervielfältigen, sobald sie die Wachstumsgrenze erreicht hat, selbst wenn sie von einer dünnen Zellulosehaut umgeben ist. Wenn die Zelle anfänglich die Gestalt eines Zylinders oder Ellip- soids hat und die Teilungen immer in derselben Richtung erfolgen, in rechten Winkeln zu ihrer Länge, dann ist das Produkt (eine Kolonie unseres ersten Typus) eine lange Faser, wie die, welche den grünen schleimigen Ueberzug an unsern Weggräben bilden. Wenn die Tei- lungen in zwei Ebnen stattfinden, wird die Kolonie eine Platte oder Scheibe bilden; wenn in drei, eine kubische Masse, was aber seltener vorkommt. Wenn eine Periode gesteigerter Lebensthätigkeit einsetzt, erfolgt Brutbildung; die Brutzellen sind zuerst nackt, ohne Zellulose- wandung, und gewöhnlich mit Wimpern versehen. Die Brutzellen in ein und derselben Species!) können sehr verschiedene Schicksale haben. Sie können 1. sich in der Wandung der Elternzelle nieder- lassen und in Fasern auswachsen, die schließlich die Elternzellwand durch ihr Längerwerden, sprengen; oder 2. sie können austreten, und sich erst niederlassen und in Fasern auswachsen, nachdem sie eine kurze Zeit umhergeschwärmt haben; oder 3., nachdem sie ausgetreten und geschwärmt haben, sich paaren, und dann nimmt die gepaarte Zelle nach einer Zeit der Ruhe einen frischen Anlauf zu neuem Leben, Wachstum und Vervielfältigung. Der Lebenszyklus kann sehr kompliziert sein. Wir können sogar Zustände finden, in welchen die Zellwände der Faser gelatinieren, und die Zellen sich abrunden, wobei die Kolonie eine sehr unregelmäßige Masse bildet. Bei einigen Formen, die in anderer Hinsicht sehr ursprünglich sind, finden wir eine wirkliche Differenzierung, die weiter vorgeschritten 1) Der fadenförmigen Alge Ulothrix zonata. 896 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie, ist als Protospongia, der niedrigste Tiertypus, den wir als Beispiel gewählt haben. Volvox globator ist eine schöne grüne Kugel, von der Größe eines kleinen Stecknadelkopfes, die sich, wie ihr Name sagt, fortwährend in rollender Bewegung befindet; sie lebt in stillem, dem vollen Lichte ausgesetzten Wasser. Bei mikroskopischer Untersuchung erscheint sie aus vielen hunderten oder gar tausenden von kleinen grünen Zellen zusammengesetzt, in einer kugelförmigen Masse von gelatinöser Zellulose eingebettet; ihre beweglichen Wimpern sind in das Wasser vorgestreckt. Einige größere Zellen sind zwischen diese zerstreut, bei welchen man alle Stadien der Segmentation sehen kann; und wie diese wachsen und sich teilen, dringen sie in die Höhlung der Kugel ein, sprengen sie schließlich und werden als neue Indivi- duen frei. Die gesprengte Kugel sinkt auf den Grund, und die Kolonial- zellen auf ihrer Oberfläche sterben bald ab, ob durch die ungünstigen Bedingungen oder aus anderen Gründen, ist unmöglich zu sagen. In der Paarungszeit sind es ausschließlich die wenigen großen Zellen, die Paarungszellen werden oder erzeugen; die dadurch gebildete gepaarte Zelle bildet durch Teilung eine‘ neue Kolonie. Hier haben wir wieder ein bemerkenswertes Beispiel von Sterilisation von Gewebezellen, deren Charakter nur durch die Reproduktionszellen, ihre Seitenverwandten, fortgepflanzt wird. Von unseren Standpunkt aus muss Volvox als ein niedriger Metaphyt angesehen werden. Die Mehrzahl der Metaphyten zeigt eine noch viel höhere Difieren- zierung und damit eine weit größere und mehr kontinuierlich ausge- bildete Fähigkeit der Propagation als alle Tiere. Die ersten, die wir betrachten wollen, sind die Schuppen- und Blattmoose. Wie allgemein bekannt, ist die kleine Kapsel oder Urne mit feinem Staub gefüllt, der aus Reproduktionsbrutzellen (Sporen) gebildet ist. Diese keimen und wachsen, wie bei Protophyten, in Fasern aus, die aus verlängerten Zellen bestehen; einige sind grün und kriechen auf der Oberfläche des Bodens umher, während andere in sie eindringen und als Wurzeln dienen. Sie sind aber so wenig differenziert, dass die Umwendung des kleinen Rasenstückchens, das sie enthält, eine Vertauschung ihres ganzen Charakters und ihrer Funktionen herbeiführen kann. Auf Zweigen von diesen bilden sich andere Zellen, die kurz und dick sind. Diese teilen sich, und durch ihr Wachstum bildet sich die eigentliche Blattmoospflanze; aber nur der untere Teil nimmt vorerst den Charakter des Moosgewebes an, die oberen Zellen sind farblos, werden von den grünen Zellen des Stammes und der Blätter ernährt und behalten die Funktionen eines Embryonalgewebes. Diese bilden den für alle höheren Pflanzen charakteristischen Vegetationspunkt. Schließlich werden in den tieferen Teilen gewisser Auswüchse, nahe dem Vegetationspunkt, Fortpflanzungszellen gebildet, aus welchen Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 827 Paarungszellen, je nachdem männliche oder weibliche, entstehen. Die Befruchtung ist innerlich, die männliche Zelle steigt zur unbeweg- lichen weiblichen hinauf und verschmilzt mit ihr an Ort und Stelle. Die gepaarte Zelle bleibt in der Moospflanze eingebettet, wird von ihr wie ein Parasit ernährt, teilt sich, und bildet eine Kolonie von neuen Zellen. Die äußere Schicht dieser Kolonie wird bei den ursprünglichsten Schuppenmosen in eine Kkapselförmige Wand umgewandelt, während die inneren Zellen Fortpflanzungszellen sind, deren jede eine Brut von vier Sporen bildet. Bei den Blattmoosen ist die Kolonie, welche durch die Segmentation der gepaarten Zelle gebildet ist, viel mehr umge- wandelt; die Differenzierung und dem entsprechend die Sterilisation ist beträchtlicher. Der untere Teil ist in einen borstenähnlichen Stiel verwandelt, und die Wand und Mitte der urnenförmigen Kapsel sind beide aus grünem Gewebe zusammengesetzt, das zur Bildung von organischer Nahrung geeignet ist. Bevor wir diese Thatsachen in einer Tabelle zusammenfassen, müssen wir auf die außerordentliche Propagationsfähigkeit der Moos- pflanzen aufmerksam machen; wenn sie in Stücke zerschnitten werden, so kann fast jede einzelne grüne Zelle, sowohl der Moospflanze wie der jungen Kapsel zu einem grünen Faden auswachsen, welcher neue beblätterte Pflanzen hervorbringt, ganz abgesehen von der Propagations- fähigkeit, die außerdem gegeben ist in der Verzweigung oder Brut- bildung des embryonalen Gewebes an den Vegetationspunkten. Wir beginnen, der Gewohnheit gemäß, unsre Tabelle mit der gepaarten Zelle (s. umstehend). Schon bei dem normalen zyklischen Verlauf bringen die Repro- duktionszellen Nachkommenschaft hervor von teils collateralen, teils ancestralen Formen. Der Charakter des Zyklus ist ‚bemerkenswert; zwei Systeme von Kolonienbildung, welche beide mit je einer einzelnen Zelle beginnen, enden mit der Erzeugung von Brut-Mutterzellen; und diese Systeme kontrastieren sowohl durch die Charaktere der Kolonien wie durch die Natur ihrer Brutzellen. Das koloniale Produkt der Sporen ist das fadenförmige Gewächs und die beblätterte Moospflanze; die von ihnen erzeugten Brutzellen sind die geschlechtlichen Paarungs- zellen. Das koloniale Produkt der Paarungszellen hingegen ist die Kapsel und ihre Brutzellen sind die geschlechtslosen Sporen. Das ist also ein „Generationswechsel“ im Sinne der gewöhnlichen Termino- logie. Die Botaniker haben die beiden Kolonien, die geschlechtliche und die ungeschlechtliche, „Gametophyt“ und „Sporophyt“, genannt nach dem Charakter der Brutzellen, welche jede abwechselnd hervorbringt. In der aufsteigenden Reihe des Pflanzenreichs begegnen wir zuerst bei den Moosen denjenigen Gewebezellen, welche wir „embryonale“ nennen; wir können sie definieren als koloniale Zellen, welche von den älteren Zellen der Kolonie ernährt werden und nur die Aufgabe 828 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. haben zu wachsen und sich nach Erreichung der Wachstumsgrenze, zu teilen, um neue Zellen und Organe zu bilden. Derartige Zellen sind ganz und gar nicht „primitiv“, wie man meistens sagt, sondern vielmehr ein Produkt vorgeschrittener kolonialer Differenzierung. Dass die ganze Kolonie in dieser Verfassung bestehen kann, trifft für die Kapsel nur zu, weil sie wie ein Parasit von der beblätterten Pflanze ernährt wird. A. Spore \ | J Moos- Fasern N | — S | = fe) Ö& .AVegetative Gewebe | © Knospen = I =» ERBE RETTET RN: o& een A N Ba eo == |Vegetative Gewebe = Knospen 2 = 4 bilden manchmal S = > 25 Moos-Fasern & OO man =! = I RA NTaIOmRl Fortpflanzungszellen Knospen Paarungszellen B. Moos-Kapsel Gepaarte Zelle S h 'asi- (SP RD ae Da A pe Bee ln) Fortpflanzungs- Gewebe von Wand zellen und Stengel ayN x SAN bildet manch malMoos- Fasern Die Farne können mit den Moosen nur verglichen werden, wenn man sich gänzlich frei macht von vorgefassten Meinungen. Die Leser wissen sicher, dass die Farne aus den braunen Flecken an der untern Seite seiner Blätter einen feinen Staub fallen lassen, dessen Körnchen die Sporen sind. Jede Spore wächst zu einem Zellfaden aus, welcher 1) Reduktionteilung kommt hier vor. Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 829 sich bald zu einer grünen Platte (dem „Vorfarn“) ausbreitet, dem Ana- logon der Moospflanze, richtiger: der „Pflanze“ des Lebermooses, mit welcher er große Aehnlichkeit hat. Auf dieser entstehen Geschlechts- A. Spore {eb} ie) jeb) Vegetative Gewebe > Farn- > schuppe 2 (Gameto- Vegetative Gewebe | = X, phyt) = = bildet manchmal gleich Fortpflanzungszellen = Sporophyten = Paarungszellen (Ei oder Spermatozoon) / B. Gepaarte Zelle npfl Rn Vegetative Gewebe Knospen zuerst nn Parasit auf E Be Vegetalive Gewebe &| Knospen dann frei aD |N auf eigenen = Wurzeln.) = > A N bildet manch- mal gleich Furchungszellen Knospen Gameto- r erhim phyten AN Sporn organe, welche Geschlechtszellen erzeugen. Die gepaarte Zelle lebt wie bei den Moosen, zuerst parasitisch auf dem Vorfarn und entwickelt sich schließlich zu einer unabhängigen, bewurzelten Farnpflanze von der bekannten Gestalt mit Stamm, Blättern und schließlich mit Sporen. Der wesentliche Unterschied ist, dass bei den Moosen die sporenzeugende Form gänzlich parasitisch und im Wachstum begrenzt ist, während sie bei den 1) Reduktiousteilung tritt hier ein. 830 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. Farnen selbständig wird und unbegrenzt wachsen kann, da sie mit Stütz- und Ernährungsorganen ausgerüstet ist. Wir können sagen, dass die Sterilisation (um mit Bower zu sprechen) eines Teils der Kolonie zu einem so beträchtlichen Wachstum der Kolonie und zu so starker Verzweig- ung geführt hat, dass die Befähigung zur Erzeugung von Reproduk- tionszellen schließlich ungeheuer vermehrt worden ist. Die Propaga- tionsfähigkeit der Farne durch Knospen von embryonalem Gewebe ist sehr groß; von Teilen der sporentragenden Pflanze ist sie gering. Der Vorfarn kann künstlich zu Propagation veranlasst werden, wenn man ihn in kleine Stücke zerschneidet; für gewöhnlich aber ist sein Leben beschränkt auf die Bildung der ursprünglichen parasitischen Farnpflanze aus der gepaarten Zelle. Farne zeigen also den nämlichen Wechsel zwischen sporentragen- den und geschlechtertragenden Generationen wie Moose, aber die Reihenfolge von Kargheit und Ueberfluss kolonialen Wachstums ist die umgekehrte. Wir haben gesehen, dass bei Moosen ein vegetativer Uebergang durch Zellenwachstum von der sporentragenden Generation zu der andern stattfinden kann. Bei den Farnen können ähnliche Uebergänge nach beiden Richtungen vorkommen, so dass das Stadium der Brutzellenbildung, das wir für das kritische halten, ausfallen kann). So wachsen bei vielen Blattfarnen die Blätter, statt Sporen zu tragen, in Schuppen aus, welche Geschlechtsorgane tragen, während bei dem gemeinen Pteris cretica der aus der Spore entstehende Vorfarn, statt Geschlechtszellen zu erzeugen, direkt zur sporentragenden beblätterten Farnpflanze heranwächst. Bei Blütenpflanzen sind die Verhältnisse der Geschlechtspflanze sehr verwickelt; sie zu erklären, würde uns zu weit führen. Es möge genügen, dass die sogenannte „Pflanze“ der Farnpflanze oder der Moos-Kapsel entspricht; sie ist der Sporophyt, nicht der Gametophyt. Der Parasitismus des aus der gepaarten Zelle bei Blütenpflanzen hervorgegangenen Embryos ist in der Regel nach- haltig und sehr langdauernd. Eine sehr bemerkenswerte Eigentümlichkeit der Dikotyledonen oder Exogenen ist, dass sich eine Zone embryonalen Gewebes nach abwärts von dem Vegetationspunkt erstreckt, das Cambium, welches gewöhnlich durch sein Wachstum Schichten von Holz an der Innen- und von Bast an der Außenseite bildet. Dieses Lager hat nach Ver- letzungen eine besondere Neigung zur Bildung von Knospen. Aber alle lebenden Zellen behalten die Fähigkeit, ein ähnliches Gewebe zu bilden an oder nahe einer bloßgelegten Oberfläche; z. B. wird ein solches Lager ein wenig unter der Oberfläche der Bäume gebildet, aus welehem Kork entsteht; man nennt es das Kork-Cambium. All- bekannt sind die kleinen braunen Wunden an Pflaumen u. dergl., die 4) Diese Uebergänge sind von Sir Edward Fry sehr zutreffend „Kurz- schlüsse“ genannt worden. | Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 831 im grünen Zustande leicht verletzt worden waren; diese rühren her von der örtlichen Entwicklung eines Lagers von embryonalem Gewebe unter der verletzten Oberfläche und der dadurch veranlassten Bildung einer dünnen schützenden Korklage. Koloniale Propagation bei Blütenpflanzen kann stattfinden durch Abtrennung von Knospen (welche normal am Vegetationspunkt ent- stehen) oder durch Entwicklung sogenannter Adventivknospen aus der embryonalen Zone des Stamms oder der Wurzeln. Propagation durch ganz kleine Bruchstücke, wie sie bei Moosen vorkommt, kennt man bei ihnen nicht; aber größere Stücke von Blättern können öfter Knospen und schließlich Pflanzen hervorbringen. Die Zellen der Schnittflächen produzieren ein embryonales Gewebe, aus welchem sowohl eine Schutz- schicht von Kork als auch Adventivknospen entstehen. Die Leichtigkeit, mit der Kork und Adventivknospen in dieser Weise gebildet werden, ist außerordentlich verschieden und damit auch die Fähigkeit der Propagation durch Blätter. Denn die Bildung von Kork ist ein unentbehrliches Schutzmittel, sowohl gegen die Gefahren des Eintrocknens wie auch des Eindringens von Spalt- und Schimmel- pilzen. Die meisten Begonien werden leicht durch Blattstücke pro- pagiert; die Knollenbegonien aber erzeugen eine durch Kork wohl geschützte Masse von embryonalem Gewebe, welche Monate oder Jahre ruht, bevor thätige Knospen sich entwickeln, so dass man sie lange für unfähig zu dieser Art der Fortpflanzung gehalten hat. Auch Gloxinien und andre Schmuckpflanzen der Ordnung der Gesneriaceen, die Peperomias mit ihrer massiven gefleckten oder gestreiften Be- blätterung, sowie die Chrysanthemums werden gewöhnlich auf diesem Wege vermehrt, und die Liste der Möglichkeiten nach dieser Richtung wird täglich größer. Wir sehen also, dass collaterale Uebertragung ebenso bei Pflanzen wie bei Tieren vorkommt, dass aber erstere leichter zu kolonialer Pro- pagation gelangen durch die Bildung embryonalen Gewebes aus schon differenzierten kolonialen Zellen und wegen des Fortbestehens eines Teiles der Kolonie (des Vegetationspunkts und bei den Exogenen des Cambiumlagers) im embryonalen Zustand. Der Umstand, dass grüne Zellen im Licht Pflanzennahrung erzeugen können, erklärt, warum kleine pflanzliche Bruchstücke größere Lebensthätigkeit und Propa- gationsfähigkeit besitzen als tierische; es ist unnötig andre, schärfer ausgesprochene Verschiedenheiten anzunehmen. Selbst bei dieser Art der Propagation behält das Gesetz der collateralen Uebertragung seine Giltigkeit; denn viele pflanzliche Zellformen, wie Haare, Holzzellen u.s. w. sind absolut steril und können deshalb niemals an der Bildung von embryo- nalem Gewebe teilnehmen, aus dem eine neue Pflanze entstehen könnte. Wir finden also, dass bei den höheren Lebewesen das Problem der Vererbung auf anderen Grundlagen ruht als bei den Protisten, 3393 Hartog, Gruudzüge der Vererbungstheorie. Bei den niederen Formen, bei denen das Gesetz der direkten Ueber- tragung vorwiegt, ist es leicht zu verstehen, dass jede Zelle, welche durch Teilung aus einer anderen hervorgegangen ist, die ursprüng- lichen Eigenschaften dieser auch besitzen muss; selbst da, wo die Uebertragung alternierend ist, können wir annehmen, dass die ver- schiedenen Zustände der beiden Stadien eines genetischen Zyklus die erzeugten Organismen modifizieren. In dem {einfachsten Fall collate- raler Uebertragung, bei Volvox globator, gleichen die sterilen kolonialen Zellen den ursprünglicheren und unabhängigen Formen so sehr in ihrem Verhalten und Charakter, dass wir leicht glauben können, dass sie diese von solchen Formen ererbt haben, direkt und ohne Verände- rung, von irgend einem Protisten- Ahnen, während die Reproduktions- zellen sich verändert haben. Aber diese Erklärung passt nicht mehr für höhere Tiere und Pflanzen, da eine Nervenzelle mit ihren meter- langen Fortsätzen oder eine Holzfaser, welche all ihr lebendiges Proto- plasma zum Aufbau einer festen Wand verwendet hat, nur als Teile von hoch-differenzierten kolonialen Organismen sich haben entwickeln können. Diese Schwierigkeit, den Mechanismus der collateralen Ueber- tragung bei Metazoen und Metaphyten auf die direkte Uebertragung bei den Protisten zurückzuführen, hat zu den neueren lebhaften Er- örterungen über Vererbung den Anlass gegeben. Biologen, welche durchdrungen waren von der Ueberzeugung, dass allein direkte eullu- läre Uebertragung möglich sei, sahen sich zu der Annahme gezwungen, dass in den Fortpflanzungszellen irgend ein geheimnisvolles Agens enthalten sein müsse, welches von diesen auf ihre direkte Zellennach- kommenschaft übertragen werde. Dies Agens glaubt Weismann in seiner Keimplasma - Theorie nachgewiesen zu haben. Man muss wohl im Auge behalten, dass diese Theorie in verschiedenen Formen vor- getragen worden ist. Jede von ihnen wurde von den Schülern als endgiltige begrüßt, die gegen alle möglichen Einwendungen gefeit sei, während doch diese Einwendungen den Meister veranlassten, die Theorie in seinem nächsten Werk umzugestalten. Unsre Darstellung der Theorie, welche sich an die Veröffentlichung „Germ-Plasm; A Theory of Here- dity“, London 1893, hält, kann daher leicht durch eine andre obsolet werden, weil er inzwischen eine „tiefere Einsicht gewonnen“ hat. Weismann nimmt an, dass im Kern von solchen Zellen, welche wir als „reproduktive“ (und auch teilweise „embryonale“) bezeichnet haben, ein gemischtes „Keimplasma“ enthalten sei, zusammengesetzt aus gewissen Einheiten, den „Determinanten“ für die verschiedenen Organe der Kolonie; dass bei der Teilung der Zelle an ihrer Wachs- tumsgrenze in zwei gleiche Zellen die Determinanten sich gleichfalls teilen, dass sie also in jeder der Tochterzellen ebenso enthalten seien, wie sie in der Mutterzelle waren. Wenn aber durch die Teilung dif- Hartog, Gründzüge der Vererbungstheorie. 833 ferenzierte Zellen entstehen sollen, teile sich das ganze Keimplasma in der Weise, dass die Determinanten sich auf die Tochterzellen verteilen, die einen in diese, die andern in jene gelangen; man könnte sagen, dass dabei eine Ausschüttung, aber keine wirkliche Teilung der Determinanten stattfinde. Ferner enthalte jede Determinante eine Gruppe von noch kleineren Einheiten, die Biopheoren, welche bei den letzten Zellteilungen eines Organs sich auf die Zellen verteilen; von der Natur der Biophoren in jeder Zelle hängt es ab, welche spezielle Rolle sie im Organismus zu spielen bestimmt ist. Alle Zellen, welche in direkter Linie von den Reproduktionszellen einer Generation zu denen der folgenden führen, sollen durch wahre Tei- lung des Keimplasmas und all seiner Determinanten entstehen. Wir haben Fälle der Propagation durch Bruchstücke, welche nur aus Gewebs- zellen bestehen, sowohl bei Tieren als noch mehr bei Pflanzen kennen gelernt, bei denen differenzierte Gewebszellen zum embryonalen Zu- stand zurückkehren oder vielmehr embryonale Zellen mit vollständigem Keimplasma erzeugen. Um diese Fälle zu erklären, müssten wir an- nehmen, dass vollständiges Keimplasma in jene Zellen übergegangen und latent geblieben sei, bis der Reiz der Trennung vom kolonialen Organismus sie zu neuem Leben erweckt habe. In dem Vierzellen- stadium der Embryonen sehr verschiedener Tiere (bei manchen Me- dusen sogar noch im Sechzehnzellenstadium) kann man eine einzelne Zelle abtrennen, welche sich dann zu einem vollkommnen Embryo entwickelt, während nur ein bestimmter Teil des Embryos aus ihr entstanden wäre, wenn sie mit ihren Schwesterzellen vereint geblieben wäre. Auch hier müsste Weismann’s Theorie die Annahme von latent bleibenden Determinanten, die nur erst nach Abtrennung der Zellen aktiv werden, zu Hilfe nehmen. Dieselbe Annahme muss zur Erklärung des Generationswechsels gemacht werden, bei dem Wechsel zwischen Moospflanze und Kapsel, Farnschuppe (Vorkeim) und Farn- pflanze; das Keimplasma muss zwei Reihen von Determinanten ent- halten, eine für jede Generation, welche abwechselnd ruhen und dann wieder wirksam sind. Man könnte meinen, es handle sich um eine formale oder fiktive Hypothese zur Erklärung des Vererbungsmechanismus auf dem Boden der gesonderten Schöpfung jedes einzelnen Organismas, jeder ausgestattet mit seinem eignen Keimplasma, seinen Determinanten und Biophoren. Aber nein,‘ Weismann glaubt fest an einen gemein- samen Ursprung; er und seine Schule halten sich für die einzig echten Darwinianer. Betrachten wir also seine Variationstheorie!). 4) Dieser Aufsatz ist etwa vor zwei Jahren geschrieben worden. Seitdem hat Weismann seine Theorie durch die Hypothese der Germinalselektion erweitert. Wir gehen auf sie nicht ein, weil dies für unsre Argumentation von keiner Bedeutung ist. ri. 53 834 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie, Das in den Reproduktionszellen des Körpers vorhandene Keim- plasma mit seinen Determinanten ist Aenderungen der Ernährung aus- gesetzt und erleidet fortwährend kleine Veränderungen, welche offen- bar mit irgend etwas anderem zusammenhängen. Diese zufälligen Variationen der Determinanten haben deshalb zufällige Variationen des Organismus zur Folge. Hier greift nun die „allmächtige natürliche Zuchtwahl“ ein, merzt die unpassendsten aus und bewirkt so die end- losen Variationen von Form und Funktion im Reich der Lebewesen. Es ist schwer einzusehen, wie Schwankungen der Ernährung der hypothetischen Determinanten jemals zur Bildung eines Vertebraten- auges geführt haben können oder zu dem Zusammenwirken von Or- ganen, welche den Parasitismus der Nachkommensehaft in der lebendig gebärenden Mutter der Säugetiere ermöglichen. Es wäre schwer zu begreifen, selbst wenn wir unbegrenzte Aeonen für das biologische Zeit- alter annehmen dürften statt der armseligen Zahl von 100000000 Jahren, die Lord Kelvin als Grenzzahl zugesteht, selbst wenn man sie noch mit 4000 multipliziert, wie Perry und Poulton wollen. So viel ist sicher, dass die Theorie einen bewundernswerten Seharfsinn aufwendet zur Erklärung von Thatsachen, für die sie nicht notwendig ist, z.B. der Beschränkungen der Propagation durch kleine Bruchstücke von Pflanzen und Tieren, der Variationen in der Be- fähigung zur Propagation durch Blätter, welche alle auch ohne die Keimplasmatheorie leicht zu erklären sind. Die Theorie geht hinweg über die klaren Fragen von der Ernährung, Kork- und Knospen- bildung und lenkt unsre Aufmerksamkeit auf das Vorhandensein von mehr oder weniger ruhendem Keimplasma in den Gewebszellen. Wir können hier wohl daran erinnern, was Bain über die Heranziehung überzähliger Ursachen zur Erklärung von Erscheinungen sagt: „Es liegt in dem Begriff der Ursache, dass die Wirkung in riehtigem Verhältnis zu ihr stehen muss; deshalb enthält der Nachweis, dass mehr Ursachen wirksam waren, als zu der Wirkung erforderlich sind, in sich selbst die Widerlegung'). Aber der Hauptfehler der Theorie bleibt der Mangel an Be- gründung. Sie giebt vor, sich auf die mikroskopische Untersuchung der Veränderungen im Kern bei der Zellteilung zu stützen. Aber nichts rechtfertigt die Annahme zweier Arten der Kernteilung, eine mit Spaltung und die andre mit bloßer Verteilung der Determinanten an die Tochterzellen. Um eine solche Theorie zu rechtfertigen, müsste wenigstens irgend eine thatsächliche Grundlage gegeben sein, wie es für die „Identheorie“ des Verfassers in Bezug auf die „amphigone“ Vererbung (von zwei Eltern) der Fall ist?). 1) Alexander Bain, Logic. Teil II. Induetion. 2. Ausg. 1873. S. 39. 2) Der Einfachheit wegen und um diese Abhandlung nicht zu lang werden zu lassen, musste die Besprechung der Wirkungen geschlechtlicher Fortpflan- Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. 835 Die andre Schule (Herbert Spencer) betrachtet es als cha- rakteristisch für die lebenden Wesen, dass sich ihre Konstitution be- ständig den äußeren Bedingungen anpasse und sieht keinen Grund, der Reproduktionszellen gerade diese Anpassungsfähigkeit ab- zusprechen. Sie glaubt, dass Instinkt allein erklärt werden kann als Gewohnheit, welche übertragen und durch wiederholte Uebertragung von einer Generation auf die folgende relativ fixiert worden ist. Sie ist nicht geneigt, ein Schema, das von solehen Betrachtungen ganz absieht, zuzulassen, selbst nicht als eine formale Hypothese. Sie ist daher gezwungen, Abänderungen der Nachkommenschaft dem An- passungsvermögen der Vorfahren an die Umgebung zuzuschreiben und folgert, dass es irgend einen Uebertragungsmechanismus unabhängig von direkter Zellvererbung geben müsse, durch welchen die Reproduktionszellen ihren differenzierten Zell-Nachkommen die Cha- raktere der entsprechenden Zellen des elterlichen Organismus mit- teilen. Charles Darwin war von dieser Notwendigkeit so sehr über- zeugt (was viele nicht wissen, die sich für seine echtesten Schüler ausgeben), dass er zum Behuf der Erklärung dieses Mechanismus seine provisorische Pangenesistheorie ausarbeitete. Er nahm an, dass jede Zelle des Organismus kleine Knospen, „Gemmulae“, abgebe, welche mit dem Blute zu den Reproduktionszellen geführt und dort aufgespeichert würden, um bei der Entwicklung des Embryos die Bildung von Zellen gleich denen, von welchen sie abstammen, zu ver- anlassen. Galton suchte durch einen entscheidenden Versuch die Hypothese zu prüfen; er transfundierte Blut einer Kaninchenrasse in eine andre, fand aber, dass dies auf die Reinheit der Nachkommen- schaft keinen Einfluss hatte. Dies spricht nicht nur gegen die Pangenesis- hypothese, sondern auch gegen jede andre Annahme der Fortführung materieller Partikelehen oder chemischer Substanzen von den einzelnen Teilen des kolonialen Organismus zu den Reproduktionszellen. Eine zweite Theorie hat Herbert Spencer aufgestellt; er nimmt „biologische Einheiten“ von bestimmten Formen und Verhältnissen an, welche durch „Polarität“ den Organismus zu vervollständigen trachten. Sie ist neuerdings von Wilhelm Haacke unter der Bezeichnung der „Gemmarien-Theorie“ weiter entwickelt worden!). Er nimmt an, dass alles lebende Protoplasma aus kleinen Einheiten, „Gemmae*, zusammengesetzt sei, welche zu Aggregaten, den „Gemmarien“, ver- einigt seien. Beide haben bestimmte Größen und Formen, streben des- zung bei höheren Organismen übergangen werden. Es ist aber klar, dass sie dahin führen muss, die Abweichungen von dem Durchschnittsmittel der Rassen zu verwischen, nicht zu verstärken. 4) Siehe „Gestaltung und Vererbung“ und „Schöpfung der Tierwelt“ beide Leipzig 1893. Vergl. Biolog. Centralbl., 1894, S. 413; 55 * 836 Hartog, Grundzüge der Vererbungstheorie. halb nach gewissen Gleiehgewichtsanordnungen in den Zellen sowohı wie im ganzen Organismus. Da das Gleichgewicht ein labiles ist, so muss jede Veränderung der Umgebung die Anordnung der Gemmarien und damit die Gleichgewiehtsbedingungen ändern. Wegen ihrer Be- ziehungen zum Organismus im großen ganzen sind die Gemmarien der keproduktionszellen R eines Organismus A so beschaffen, dass sie ein dem A gleichen Organismus produzieren müssen;- wird A dureh anhaltend veränderte Umgebungsbedingungen zu A‘, so wird sich die Anordnung der Gemmarien aus R in R‘ ändern und somit werden sie den abgeänderten Organismus A* hervorbringen. Als eine formale Hypothese kann diese sehr gut dazu dienen, von vielen Lebenser- scheinungen eine Vorstellung zu geben; aber es giebt keine genügende mikroskopische Grundlage zu ihrer Stütze. Auch spricht m. E. gegen sie, dass wir zu wenig von den physikalischen Bedingungen des Zell- lebens wissen, um eine ausschließlich auf geometrische und mechanische Vorstellungen begründete Theorie auch nur als vorläufige gutheißen zu können. | Die am meisten befriedigenden Erklärungsversuche sind vielleieht die von Hering!) und Samuel Butler?) aufgestellten. Beide bringen eine große Anzahl von Erscheinungen des organischen Lebens unter den Begriff des bewussten und unbewussten, offenkun- digen und latenten Gedächtnisses. Unser Gedächtnis ist be- wusst, wenn wir eine Lektion hersagen oder uns eines Geburtstages erinnern; unbewusst, wenn unsre Finger von selbst ein Musikstück spielen, von dem wir nicht eine Note aufschreiben könnten; offenkundig, wenn wir daran denken einen Freund zu besuchen; latent, während der Diener an der offenen Thür wartet, bis der Anblick des uns wohl- bekannten Stocks im Vorzimmer uns den Namen des Eigentümers wachruft, der uns nicht einfallen wollte. Zu der Ordnung der unbe- wussten Gedächtnisthätigkeit gehören alle Erscheinungen kooperativen Wachstums, einschließlich der Entwicklung aus den Reproduktions- zellen. Wie die Dinge zu stande kommen, wissen wir nicht; es mögen, wie Hering vermutet, molekulare Schwingungen sein, so verschieden von denen gewöhnlicher physikalischer Vorgänge wie Röntgenstrahlen von gewöhnlichen Liehtstrahlen; oder es mögen, wie ich geneigt bin zu glauben, verwickelte chemische Vorgänge sein, von sehr kompli- ziertem aber ordnungsgemäßem Ablauf. Für jetzt kann das Problem der Vererbung leichter durch geistige als durch materielle Vorgänge anschaulich gemacht werden. / 1128] 1) „Das Gedächtnis, eine allgemeine Funktion der organisierten Materie“. Wien 1870. 2) „Life and habit“. London 1878. Auch „A Theory of Development and Heredity“ von Henry B. Orr, London und New-York 1893, ist wesentlich aus demselben Gesichtspunkt geschrieben. Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. 337 Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. Von Prof. Marcus M. Hartog, D. Sc., M. A., F.L. S.). E Die folgenden Bemerkungen hätten eigentlich ihren Platz in der Abhandlung über „die Grundzüge der Vererbungstheorie“?) finden sollen, wurden aber dort fortgelassen, um sie nicht mit Einzelheiten zu überlasten, und weil sie abseits vom Hauptgegenstand der Arbeit liegen, — nämlich der Darstellung des Zellstammbaums des Organismus mit Hinweis darauf, dass „kollaterale Zellübertragung“ in allen höheren Organismen sich abspielt. Deshalb möchte ich den Leser bitten bei dieser Abhandlung meine frühere vergleichen zu wollen. „Reduktions-Teilung“ ist ein leicht zu definierender Prozess. Wenn ein Kern im Begriff ist sich zu teilen, lösen sich seine Formbestandteile in eine gewisse An- zahl von Segmenten auf, diese spalten sich jeder in zwei, von denen je eines für die beiden Tochterkerne bestimmt ist, die aus der Teilung hervorgehn. Diese Segmente heißen „Uhromatomeren“ oder „CUhromo- somen“, wir werden den kürzeren und häufiger benutzten Namen anwenden, obgleich der längere nicht die zahlreichen, meist falschen hypothetischen Nebenbegriffe einschließt, wie der andere. Meistens zeigt ein Kern, bevor er sich teilt, eben so viele Segmente, wie bei seiner Entstehung in ihn eintraten; und so bleibt die Zahl der Segmente bei derselben Art von Generation zu Generation konstant; aber auf einem gewissen Punkt der Entwicklung ist die Zahl der bei der Teilung erscheinenden Segmente geringer als bei den vorhergegangenen Teilungen der Mutterzellen; und das wird „Reduktionsteilung“ genannt. Es sind drei Arten von Reduktionsteilung beschrieben worden: Fall I. Bei Elasmobranchiern, Amphibien und Säugetieren; bei Blütenpflanzen einiger Archegionaten und Fucaceen Das Kernnetz- werk wird gleich auf die Hälfte der früheren Anzahl von Segmenten reduziert; gewisse Modifikationen kommen vor, die das Prinzip nicht ändern. Hier ist thatsächlich nicht mehr wirkliche „Reduktion“ vor- handen, nicht mehr als wenn ein Mann zehn Mark von seinem Vater erbt und jedem seiner zwei Söhne fünf Zweimarkstücke hinterlässt. Fall II. Bei Sagitta und Ascaris bei einigen Gasteropoden und bei Marchantia polymorpha ist eine Modifikation des Prozesses be- obachtet werden, zuerst von Boveri und Hertwig im Jahre 1890, während seine Beziehungen zu Fall I von mir im Jahre 1891 auf- geklärt wurden. Hier erscheint die reduzierte Anzahl von Segmenten in einer bestimmten Zelle; aber nach der ersten Spaltung für die be- vorstehende Teilung geht eine zweite Spaltung eines jeden vor sich, so dass bei der ersten Teilung des Kerns jeder Tochterkern die redu- 4) Aus „Natural Science“, August 1898, vom Herrn Verfasser mitgeteilt. 2) S. den vorhergehenden Aufsatz. S38 Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. zierte Anzahl von Segmenten erhält, die bereits für die zweite Teilung gespalten sind; und bei der zweiten Teilung erhält jeder weitere Tochterkern die ihm zugehörige Segmentzahl. Es ist dies nur eine zeitliche Verschiebung der beiden Spaltungen für die beiden aufeinander- folgenden Teilungen des Kerns. In ähnlicher Weise tritt der Kern, wenn eine Zelle im Begriff ist.sich zwei- oder mehrmals hintereinander zu teilen in die nächsten Teilungen ein, noch ehe das Cyptoplasma sich auch nur einmal teilt. Die Reduktion ist im wesentlichen vom gleichen Charakter wie bei Fall I. Fall III. Der Kern, der auf dem Punkt steht sich zu teilen, zeigt eine Anzahl von Tetraden oder Gruppen, jede aus vier Seg- menten gebildet; die Anzahl der Gruppen beträgt nur die Hälfte der ursprünglichen Anzahl von Segmenten und folglich ist die Gesamt- zahl von Segmenten doppelt so groß wie die ursprüngliche Anzahl: der Kern teilt sich zweimal und bei jeder Teilung werden vier Seg- mente der einzelnen Gruppen unter die entstehenden Kerne gleich- mäßig verteilt; so ist es also klar, dass jeder Kern bei der zweiten Teilung ein Segment von jeder Gruppe enthält, d. h. eine Zahl, die der Anzahl von Gruppen gleichkommt und halb so groß ist, wie die ursprüngliche Anzahl von Segmenten in den Zellen aus dem Anfangs- stadium des Entwicklungszyklus Was die Einzelheiten von Fall III betrifft, so handelt es sich hier um viele sich widersprechende Beobachtungen, viele unzusammen- hängende Darstellungen, viele vage Hypothesen, die auf der Annahme begründet sind, dass dies die typische Art von Reduktionsteilung sei, in die man alle andern wie ın ein Prokrustesbett hineinzwängen müsste. Wir wollen aber nicht darauf eingehen; die Erklärungen, die für Fall I und II passen, werden sich auch mit Fall III decken, selbst wenn bei. letzterem etwas hinzugefügt werden müsste; aber die Er- klärung dieses Etwas kaun ruhig warten, bis die Thatsachen selber weiter erforscht sein werden. Wo kommt Reduktionsteilung vor? Bei Metazoen gewöhnlich bei der ersten der beiden Zellteilungen, die zur Entstehung einer Brut von 4 Spermatozoen, bezw. der Oosphäre und den 3 Poolkörpern (verkümmerten Oosphären) führt also beim Beginn der Bildung von sich paarenden Geschlechtszellen. Es war eine große Versuchung für die Zoologen, dies auf alle Fälle auszudehnen; und die Forderungen des Weismanismus aus den 80er Jahren ließen die Erbringung dieses Nachweises notwendig erscheinen. Man suchte eifrig nach Reduktions- oder Ausscheidungsprozessen bei der Gametogynie und fand sie wirk- lich überall; und in ’91 (Seite 62—3) zählte und .besprach ich nicht wenigerals 15 Fälle, die ohne Rücksicht auf morphologische oder physio- logische Gleichwertigkeit von anderen angeführt waren. In derselben Ab- handlung besprach ich die Frage der Reduktionsteilung vom damaligen Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. 839 Standpunkt unserer Kenntnisse aus und stellte fest, dass bei Blütenpflanzen Reduktion in der Pollen-Mutterzelle vorkommt und dass diese der geschlechtslosen Sporen-Mutterzelle der archegoniaten Cryptogamen (Farren und Moosen) entspricht. „Wir müssen uns ver- gegenwärtigen, dass die Reduktion in den Pollen-Mutterzellen der Blütenpflanzen vor sich geht, die selbst homolog mit den Mutterzellen sind, welehe Tetraden von geschlechtslosen Sporen bei Archegoniaten Cryptogamen bilden; daraus dürfen wir also folgern, dass Reduktion auch in letzterer Gruppe vor sich geht; und dass sie dementsprechend auch nicht auf Gametogonien (den Mutterzellen einer Brut von Gameten) beschränkt ist). Zu jener Zeit waren gründliche Untersuchungen nur an einem Leebermoos gemacht, aber seitdem haben wir erfahren, dass in der Eizelle von Blütenpflanzen Reduktion bei der ersten Teilung des Ur- kerns im embryonalen Sack stattfindet; und dass bei den Archegoniaten ausnahmslos Reduktion beim Beginn der Bildung von Tetraden von Sporen eintritt, aber nicht bei der Bildung von Spermatozoen und Oosphären, die den Geschlechtszellen von Metazoen entsprechen. Aus der Spore der Moose entsteht dann die Blattpflanze, die befähigt ist, unbegrenzt zu wachsen und zu sprossen; es entsteht aus der Spore eines Farus ein Prothallium, dass bei Gymnogrammen z. B. sogar perennierend ist. So ist also Reduktionsteilung kein Prozess, der auf die Bildung von Zellen beschränkt ist, welche speziell für geschlecht- liche?) (sit venia verbo) Verschmelzung oder Gamogenese befähigt sind. 1) ’91, Seite 57—58. Der Satz schließt folgendermaßen: „sondern sie wird bei allen Mutterzellen gefunden werden, die dazu bestimmt sind, durch mehr- fache Teilung eine Brut von Reproduktionszellen hervorzubringen“. Der letzte Teil der Folgerung hat sich allerdings nicht bewahrheitet, wohl aber der erste: nämlich dass Reduktion an Cryptogamen bei der Sporen-, nicht bei der Gameten Bildung vor sich geht. Die von mir im Jahre 1891 in dieser Weise ausgesprochne Vermutung wurde 1893 von Overton wiederholt und die Autorschaft ist ihm von Strasburger zugeschrieben worden (’94a, S. 291; ’94b, S. 825), während später ebenfalls Wilson in diesem Irrtum verharrte (96, S. 196). Ich hielt es nicht für notwendig, eine solche Prioritätsfrage eigens zu behandeln, be- nutze aber diese Gelegenheit, um das Missverständnis aufzuklären. 2) Der Ausdruck „geschlechtlich“ hat zweierlei Bedeutungen; der eine bezieht sich auf die Verschmelzung zweier Zellen etc. in eine, die andere auf die Differenzierung von Fortpflanzungszellen in zwei ungleiche Formen, so dass Zellen von der einen sich nur mit denen der andern Art paaren können. „Geschlecht“, „geschlechtliche Differenzierung“, „geschlechtlicher Vorgang“ sind Ausdrücke, die eben so oft in dem einen, wie in dem andern Sinn ange- wandt werden; wir können leicht einer Verwechslung vorbeugen, wenn wir die erstere Bedeutung umschreiben mit „Paarungs-Vorgänge“ oder „Befruchtungs- Vorgänge“ u. dergl., in der zweiten Bedeutung aber zu den Ausdrücken „(Ge- schlecht“, „geschleehtlich“, das Adjektiv „binär“ hinzufügen, um die Bedeu- tung der beiden Ausdrücke von einander zu unterscheiden. S40 Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. Ich erlaube mir auf meine neue Arbeit (’97) hinzuweisen, in der ich nachwies, dass bei Metazoen eine lange Periode von Zellteilungen vorkommt, die zu Kolonienbildung führt, und die abwechselt mit einer kurzen Periode, in der durch Brutteilung Geschlechtszellen von Pro- tisten-Charakter entstehen. Bei den Metaphyten giebt es zwei solcher wechselnder Perioden von Kolonien- und Protistenbildung, nämlich die Moospflanze, bezw. das Prothallium, bringen die Geschlechtszellen hervor und die Kapseln der Moose bezw. die Farnpflanze bringen ge- schlechtslose Sporen hervor. 1891 schrieb ich von der Reduktions- ‚teilung: „Wir können es vielleicht als eine Anpassungserscheinung betrachten, die dazu dient, die nutzlose Vermehrung der Chromatomeren in den Zygoten und bei den aus ihnen hervorgehenden Zellen zu ver- hindern“. Dieser Satz ist von Strasburger weiter ausgeführt worden, aber ich ziehe es vor, die weitere Erklärung in meinen eigenen Worten zu geben. Jeder gewöhnliche Kern enthält bei seiner Teilnng ebenso viel Segmente, wie er bei seiner Entstehung enthielt; aber das befruchtete Ei, das Oosperm, die Zygote oder wie man auch immer eine Zelle nennt, die aus der Verschmelzung von Zweien hervorgeht, zeigt bei ihrer Teilung doppelt so viel Segmente als in jeder der beiden ursprünglichen Zellen enthalten waren. Wenn dann bei jeder geschlechtlichen Verschmelzung diese Verdoppelung sich fortsetzte, würde die Anzahl von Kern-Segmenten in jeder Zelle ins Unendliche wachsen. So ist es also fraglos, dass irgendwo eine Reduktion statt- finden muss. Diese notwendige Reduktion geht vor sich, wenn zum ersten Mal die Vermehrung in der Weise wie bei den Protisten erfolgt. Bei den Metaphyten, wo dieser Fortpflanzungsmodus zweimal vor- kommt, ist diese Notwendigkeit ohne Weiteres verständlich; aber bei den Metazoen giebt es nur ein solches Stadium, das mit der Bildung der (protistenähnlichen) Geschleehtszellen!) zusammenfällt; es ist nur dieses Zusammenfallen, welches den Gedanken erweckte, dass Reduktion eine Vorbereitung zur Zellverschmelznng sei, während es die notwendige Folge der Zellverschmelzung ist. Eine sehr merkwürdige Erscheinung findet sich beim Fucus, dem Blasen-Tang, der wie ein Tier nur eine Kolonienbildung entwickelt — die gewöhnliche Pflanze — und eine protistenähnliche Reproduktion, die die Geschleehtszellen erzeugt. Hier kommt, wie man sich denken kann, Reduktion, wie bei Metazoen, beim Beginn des Prozesses vor. Wäre dieser Fall vor dem der Gefäßeryptogamen ausgearbeitet worden, so wäre er eine große Stütze der physiologischen Hypothese gewesen. Auch die Süß-Wasser-Algen, die Konjugaten, haben getrennte Zellen oder wenigstens einfache Kolonien von Fäden, wo die Zellen mit ihren Enden in eine einzige Reihe aneinander gefügt sind; 1) Ich übergehe die Ausnahmefälle, wo die Reduktion in einem sehr frühen Stadium in den Zellen des Ovariums vor sich geht. Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. 841 sie teilen sich unabhängig von einander, so dass man sie eher mit Protistenzellen vergleichen kann als mit differenzierten Kolonienzellen von höhern Pflanzen. In diesen Pflanzen kommt Reduktionsteilung doch noch in einer anderen Entwicklungsperiode vor, nämlich bei den allerersten Zellteilungen der Zygospore, was als eine Wiederaufnahme von Protistenzellteilung nach der Konjugation angesehen werden kann, Strasburger’s Darstellung dieser Sache ist etwas anders. Er schreibt: „Der morphologische Grund für die Reduktiou der Anzahl von Chromosomen . ..... ist meiner Ansicht nach phylogenetisch. Ich - betrachte diese Thatsachen als einen Rückschlag auf die ur- sprüngliche Generation, vonder, nachdem sie bis zu geschlecht- licher Differenzierung vorgedrungen war, Abkömmlinge mit doppelter Chromosomenzahl entwickelt wurden; es ist das Wiederauftreten der ursprünglichen Anzahl von Chromosomen, in der geschlechtliche Differenzierung |vielmehr Zellverschmelzung, denn ob es ge- schlechtlich oder isogam sei, macht in dem Punkt keinen Unterschied] zum ersten Mal auftrat.“ Wenn wir die Sätze, die ich gesperrt habe, wörtlich nehmen, würden wir annehmen müssen, dass zwei solcher Pflanzen wie die Zwiebel und die Türkenbundlilie unabhängig von einander den Paarungsprozess ausgebildet haben; denn die Anzahl der Kernsegmente beträgt in ersterer 8 und 16, in letzterer 12 und 24; das gleiche würde auf die beiden Formen des Pferdespulwurms mit 2 (4) und 1 (2) Segmenten passen. Äber das wäre absurd. Soviel Raum ist jedoch in der Abhandlung auf die Beweisführung verwandt, dass die ungeschlechtliche Fortpflanzung der ältere Modus, nicht nur bei den ursprünglichen Organismen, sondern auch bei einzelnen Ordnungen der höhern Organismen sei, dass es einen wundert, dass Strasburger die Unzulänglichkeit seiner Hypothese nicht eingesehen hat; deshalb kann ich für meine Auffassung leider nieht das große Gewicht seiner Autorität ins Feld führen, so gerne ich es auch möchte. Wir haben also gesehn, dass der Vorgang der Reduktionsteilung trotz seines Namens, keine wirkliche Reduktion in der Menge der Kernmaterie in sich schließt, sondern nur in der Anzahl der Segmente, in die sie eingeteilt ist. So kann also der Vorgang nicht die physio- logische Bedeutung haben, die ihm zugeschrieben wurde, nämlich die einer „Vorbereitung zur Gamogenesis“; und seitdem wir ihr Vor- kommen beim Beginn einer langen Periode von Zellteilungen fest- gestellt haben, müssen wir diese angenommene physiologische Be- deutung für vollständig nutzlos erklären. Er Ein Wort noch über die Funktion des Chromatins oder Nukleins bei der Kernteilung. Die Menge des Chromatims in einem Kern ändert sich fortwährend; sehr oft ist, nachdem eine Zelle gebildet worden, die Menge des Nukleins bedeutend verringert und mit dieser redu- 842 Hartog, Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins. zierten Menge verrichtet die Zelle alle ihre Lebensfunktionen. Das Nuklein wächst jedoch bei der nahe bevorstehenden Zellteilung und erreicht ein Maximum beim Beginn der Kernteilung, die derjenigen der Zelle vorausgeht; bei dem Kern der Tochterzelle wiederholt sich der Vorgang. Was auch immer die Funktion des Chromatins in der „arbeitenden“ Zelle, wir wir sie bezeichnen wollen, sein mag, so ist sie augenscheinlich weniger wichtig als seine Funktion in der sich teilenden Zelle. Die achromatische Substanz des Kerns (Linin) bildet, wie es scheint, die Grundlage der Kernsegmente, in welche das Chromatin in der Form von Körnchen eingebettet ist, wie die Perlen eines hosenkranzes, oder besser einer Perlenpassementerie; die Körnehen spalten sich zuerst und dann die Fäden, auf die sie aufgezogen sind. Ich bin zu einer Erklärung gekommen, die weit ab von den landläufigen Theorien liegt — vielleicht ist es schließlich das achromatische Plasma (,„Linin“) des Kerns, dessen glatte und gleichmäßige Teilung das wichtigste Moment, die Endursache der Karyokinese ist. Aber die Spaltung eines zähen Fadens ist eine der schwierigsten mechanischen Künste. Gesetzt also, dass eine ge- wisse Polarität bei den Chromatinkörnchen vorhanden ist, durch welche sie, nach ihrer Teilung, das Bestreben haben von ihren Nächsten so weit wie möglich abzurücken. Dadurch werden sie eine Spaltung der Faser bewirken, auf die sie aufgereiht sind. Der Schluss der Kernteilung beschließt auch ihre Arbeit; und wir müssen erwarten, dass nachdem die chromatischen Körnchen vorerwähnte Arbeit aus- geführt haben, sie jetzt atrophieren, und in diesem Zustand bleiben bis die Annäherung einer neuen Zellteilung ein frisches Wachstum ihrer Substanz mit sich bringt. Nach dieser Ansicht wäre das Linin der Vermittler ererbter Eigentümlichkeiten und das Chromatin hätte eine rein mechanische Funktion bei der Karyokinese. Ich möchte wagen vorherzusagen, dass diese Hypothesen binnen Kurzem der neuesten Ausgabe der Keimplasma Theorien einverleibt werden; denn es hebt die vielen Schwierigkeiten, die in der Feststellung der erb- lichen Beharrlichkeit liegt, bei einer Substanz, die so periodisch Atrophie und Wachstum zeigt wie das Chromatin des Kerns. [128b] Queen’s College, Cork. Marcus Hartog. Litteratur. Marcus Hartog, ’9. — „Some problems of Reproduction: a Compara- tive Study of Gametogeny, and Protoplasmie Senescence and Reju- venescence“. (Quart. Journ. Mier. Sci, n.s., Vol. XXVIII, p.1—-79, Dee.) Derselbe, ’97. — „The Fundamental Principles of Heredity“. (Nat. Sei., Vol. XI, p. 233—239 and 305—-316, Oct. and Nov.; Biolog. Centralbl,, in dieser Nummer.) ' Osear Hertwig, ’90. — Vergleich der Ei- und Samenbildung bei Nema- Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 843 toden. Eine Grundlage für celluläre Streitfragen“. Arch. Mikr. Anat,, Vol. XXXVI, S. 1—138, pts. 1—10. E. Strasburger, ’94. — „Ueber periodische Reduktion der Chromosomen- zahl im Entwicklungsgang der Organismen. Biolog. Centralbl , 1894, S. 817—838 und S. 849-866. Ann. Botany, VII, 281-316. E. B. Wilson, ’96. — The cell in Development and Inheritance, London and New-York, 1896. Die anatomischen Elemente des Nervensystems und ihre physiologische Bedeutung. Von Albrecht Bethe. Aus dem physiologischen Institut zu Strassburg i. Els. Dass wir über viele verhältnismäßig einfach erscheinende Vor- gänge des Centralnervensystems bis auf den heutigen Tag noch im Unklaren sind, liegt wohl hauptsächlich daran, dass als Untersuchungs- objekt fast ausschließlich Wirbeltiere herangezogen wurden. Leider werden Arbeiten, die sich mit andern Tieren beschäftigen, immer noch von einzelnen tonangebenden Männern der Wissenschaft über die Achsel angesehen. Dass nun die Wirbeltiere für die Lösung vieler Fragen der Pbysiologie des Centralnervensystems ein ungünstiges Objekt sind, liegt zum Teil daran, dass uns hier die nervösen Teile eine außerordent- liche Kompliziertheit darbieten, vor allem aber ist die mangelhafte Trennung der einzelnen Centralorgane und ihrer anatomischen Elemente von einander daran Schuld. Der ursprünglich segmentale Aufbau des Nervensystems ist verwischt; Teile, die zu einem Segment gehören, haben sich mit denen eines andern durchmischt, Ueberlagerungen und Verschiebungen haben aller Orten Platz gegriffen. Das Rückenmark, das noch einen einigermaßen ursprünglichen Bau beibehalten hat, er- möglicht nicht die einzelnen Gebiete anatomisch und physiologisch scharf von einander abzugrenzen und erscheint so zu genaueren Stu- dien über das Zustandekommen von Reflexen ungeeignet. Nirgends treten uns die Ganglienzellen frei von andern nervösen Elementen zu größeren Massen vereinigt entgegen. An den meisten Stellen sind sie überlagert von weißen Bahnen, so dass ihnen ohne Verletzung dieser nicht beizukommen ist. Wo sie in einigermaßen reichlicher Anhäufung an die Oberfläche treten (Großhirn- und Kleinhirnrinde), sind sie mit Neuropil (Aufsplitterungen von Axeneylindern und Dendriten) und auch mit Leitungsbahnen (Tangentialfasern der Großhirnrinde) untermischt. Das gleiche gilt für das Neuropil. Es sind also weder die Ganglien- zellen noch das Neuropil an sich dem physiologischen Experiment zu- gänglich, Daher war es ein großer Irrtum, wenn man glaubte, es mit Ganglienzellfunktionen zu thun zu haben, als man nach Reizuug der Großhirnrinde Bewegungseffekte auftreten sah. 844 DBethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. Unendlich viel-günstiger liegen die anatomischen Verhältnisse bei manchen wirbellosen Tieren, vor-allen bei den Articulaten. ‚Hier finden wir die Segmentation des Körpers in hohem Grade noch im Nerven- system erhalten, hier sind die Ganglienzellen, in großen Ballen ver- einigt, frei von Neuropil an der Oberfläche gelegen und so dem physio- logischen Rxperiment zugänglich. Unter den Artieulaten sind wieder die Arthropoden ein günstigeres Objekt als die segmentierten Würmer (Anneliden). Zwar ist ihre Organisation komplizierter, aber durch den Besitz unserer Beobachtung gut zugänglicher Bewegungsapparate (Ex- tremitäten) verdienen sie vor den Würmern, die nur einiger Krüm- mungen fähig sind, den Vorzug. Die segmentale Anordnung des Nerven- systems, die Trennung der einzelnen zu je einem Körpersegment ge- hörenden Ganglien durch Stränge, welche wie die peripheren Nerven nur aus parallel verlaufenden Nervenfasern bestehen, die häufig deut- liche Trennung der beiden Ganglienhälften durch ebensolche Stränge ermöglichen es die Retlexvorgänge eines Körpersegments, ja der Hälfte eines Körpersegments zu studieren. Die reinliche Scheidung von Neuropil und Ganglienzellen setzt uns in Stand, die Funktion jedes dieser Bestandteile der Centralsubstanz zu untersuchen. Ich bin weit entfernt, in einseitiger Weise zu behaupten, dass eine Lösung der nervösen Rätsel allein vom Studium der Arthropoden aus- gehen könne, und die großen Erfolge, welche die Untersuchung der Wirbeltiere in bezug auf das Nervensystem zu verzeichnen hat, in den Schatten stellen zu wollen. Es wäre das ebenso verkehrt wie die Ansicht der Vertreter jener neuen Richtung, die sich Oellularphysio- logie nennt, dass ein gedeihlicher Fortschritt der Wissenschaft nur von dem Studium der Protozoen zu erwarten wäre. Man kann natür- lich an den Arthropoden nur die Funktionen derjenigen nervösen Organe studieren, die sie besitzen. Da das Gemeinsame zwischen dem Nervensystem der -Wirbeltiere und der Artbropoden sich nur auf die allgemeinen Formbestandteile (Ganglienzellen, Neuropil, Nervenfasern) und die segmentale und symmetrische Anordnung erstreckt und für die Annahme einer weiteren Homologie jede Grundlage fehlt, so wer- den die Fragen für deren Lösung die Arthropoden in Betracht kommen können, immer nur allgemeiner Natur sein; denn das, woran uns leicht verständlicher Weise in erster Linie gelegen ist, ist die Erkenntnis der Vorgänge in unserm eignen Nervensystem, und diese sind spezieller Natur und berühren sich mit denen der Arthropoden nur in den Grund- prinzipien. Im Grunde ist ja alles Geschehen in der Natur interessant, und ich glaube, dass gerade die spezielle Physiologie des Nerven- systems wirbelloser Tiere viel Anregendes bietet; aber wie gesagt, die Vorgänge unsres eignen Nervensystems stehen im Vordergrund des Interesses. Daher werden auch die Experimente am Nervensystem uns nahe stehender Tiere, also vor allem von Säugetieren, niemals ent- - Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 84 behrlich werden, wenn man auch noch so günstige Objekte in andern Tieren findet. Was ich behaupte ist nur das: Es giebt in der Nerven- physiologie eine große Anzahl allgemeiner Fragen von größter Wich- tigkeit, die ganz ungelöst sind, mit denen wir aber ununterbrochen rechnen müssen. Das sind z. B.: Welche Rolle spielen die Ganglien- zellen, welche das Neuropil? Was für Elemente sind zum Zustande- kommen eines einfachen Reflexes nötig? Wie wirken die anatomischen Bestandteile zusammen bei komplizierten Reflexen? Welche Bedeutung haben die Kommissuren? und viele andre. Für die Beantwortung aller dieser Fragen sind die Wirbeltiere ungeeignet; bei den Arthropoden sind aber die Bedingungen vorhanden, sie zu lösen. Haben wir über diese Grundfragen Aufschluss erlangt, dann werden wir mit Erfolg an der Physiologie des Säugernervensystems weiter arbeiten können. So lange sie im Dunkel schweben, arbeiten wir mit einer solchen Unzahl von Unbekannten, dass die größte Verwirrung entstehen muss, und dass sie schon entstand, davon legt die Litteratur beredte Zeugnisse ab. Als Hauptversuchstier wurde ein brachyurer Krebs, Curcinus maenas |1] gewählt, weil er der anatomischen Untersuchung besonders gut zugänglich ist, die für die vorliegenden Fragen durchaus notwendig erschien. Der Physiologe muss hier nach meiner Meinung selber das Präparierbesteck und das Mikroskop zur Hand nehmen und darf sich nicht auf das verlassen und mit dem begnügen, was die Anatomen ihm bieten. Er muss selbst Histologe sein, da der Anatom ihm nur selten das bietet, was er braucht. Was den Carcinus für die Untersuchung des Verlaufes der ein- zelnen nervösen Elemente im Nervensystem besonders günstig erscheinen lässt, die Konzentration der Bauchganglien auf einen kleinen Raum, macht ihn für manche physiologischen Experimente weniger: geeignet, und hier wurde dann ein ziemlich umfangreiches Material andrer Arthro- poden, bei denen die Bauchganglien mehr von einander getrennt sind, herangezogen. Zu jedem Körpersegment gehört, wie bekannt, ein Ganglion, von dem aus die Nerven zu den Muskeln und der Haut desselben Segments und des zugehörigen Extremitätenpaars (soweit eins vorhanden ist) treten. In jedem Ganglion ist eine rechte und linke Hälfte unter- scheidbar, welche durch eine quere Kommissur mit einander verbunden sind. Die Ganglien der einzelnen Segmente sind durch je zwei Bündel von Nervenfasern, die Längskommissuren, verbunden. Ein Ganglion besteht aus den zunächst parallel geordneten Nervenfasern, welche durch die peripheren Nerven und die Kommissuren eintreten, deren Aufsplitterungen, die ein feines Filzwerk — Neuropil genannt — bilden, und einem zu mehreren Polstern geordneten Mantel von meist unipo- laren Ganglienzellen. Die Kommissuren und peripheren Nerven ent- behren eines Belages von Ganglienzellen und besitzen kein Neuropil. S46 DBethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung, Wenn man also hier eine oder beide Kommissuren zwischen zwei Ganglien durchschneidet, so trennt man dadurch die beiden anatomisch durchaus begrenzten Centralteile in idealer Weise, ohne irgendwie Neuropil und Ganglienzellen zu verletzen. Es ist dies etwas ganz anderes, als wenn man bei einem Wirbeltier einen Rückenmarksquer- schnitt anlegt, wobei Ganglienzellen und Neuropil notwendigerweise zerstört werden, und man nicht weiß, zwischen welchen Segmenten die Verbindung durchtrennt worden ist. Wenn man die peripheren Nerven, welche von einem Ganglion abgehen durchschneidet z. B. an einem Thorakalganglion eines Carcinus oder eines Astacus (Flusskrebs), so werden die zuge- hörigen Muskeln (also vor allem die beiden Extremitäten des Segments) vollkommen gelähmt (wie bei Wirbeltieren). Durch- schneidet man die Kommissuren. welche ein solches Ganglion mit dem vorhergehenden und folgenden Ganglion verbinden, so tritt keine Lähmung ein. Reizt man eins der beiden zugehörigen Beine, so wird dieses und das gekreuzte angezogen und nach dem Aufhören des Reizes wieder gestreckt. Ebenso sind von andern Stellen des Segments Reflexe dieser Beine auslösbar, aber von keiner Stelle des Tieres, welche außerhalb der Grenzen des Segments liegt. Es sind also die einfachsten Reflexe (die Kontraktion der Muskeln auf äußere Reize und die nachfolgende Restitutio ad integrum) für jedes Segment im zugehörigen Ganglion lokalisiert; hier findet der Reflexbogen statt. Auch spontane Bewegungen kommen an einem solchen Segment mit isoliertem Ganglion noch zur Beobachtung. Eventuell können auch noch bestimmt gerichtete, lokalisierte und komplizierte Reflexe von einem isolierten Ganglion ausgehen z. B. beim Wasserkäfer Gehbewegungen, Schwimmbewegungen und Umdrehbewegungen, aber dies sowohl wie die Schwächung der Muskelkraft und die anormale Haltung der Ex- "tremitäten nach einer derartigen Operation gehört in das Gebiet der speziellen Physiologie der Arthropoden [2]. Durchschneidet man die quere Kommissur zwischen der rech- ten und linken Hälfie eines Ganglions (Astacus), so bleiben die Extremitäten desselben Segments auf beiden Seiten reflexerregbar, und es treten in keinem Muskel irgendwelche Lähmungen auf. Wir sehen also, dass nicht nur jedes Segment, sondern sogar jede Segmenthälfte in nervöser Beziehung ein ziemlich selbstän- diges Individuum ist, indem die Ueberleitung von der receptorischen (sensiblen) Bahn auf die motorische und das Spiel aller Muskeln ohne Zusammenhang mit dem übrigen Centralnervensystem allein durch die Substanz einer Ganglienhälfte vermittelt werden kann. Die langen Bahnen, welche als Längskommissuren die Ganglien mit einander verbinden und die etwa den Strängen im Rückenmark der Wirbeltiere entsprechen würden, und die Querkommissuren zwischen ‚Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 847 den Ganglienhälften hätten danach nur den Zweck, die Reize, welche auf der gekreuzten Seite oder im Gebiet eines andern Segments an- gesetzt wurden, auf die einzelnen Ganglienhälften zu übertragen und ein Zusammenarbeiten der motorischen Centren zu ermöglichen. Das Nervensystem der Arthropoden ist nun derartig schematisch gebaut, dass sich die Beteiligung der einzelnen Ganglien und Kommissuren bei den Verrichtungen, welche von mehreren Segmenten geleistet werden, auf das genauste feststellen lässt. Dies näher zu beleuchten, würde zu sehr in die spezielle Arthropoden-Physiologie führen, und ich verweise bezüglich dieser Dinge auf meine voraufgegangenen Publikationen [1u.2]. Von allgemeinerer Bedeutung dürften aber die Befunde über die Leitung receptorischer (sensibler) Reize von einem Segment aufs andre und von der rechten Körperhälfte auf die linke sein: Durcehschneidet man die Querkommissur eines Ganglions, so beteiligt sich jede der beiden Ex- tremitäten des zugehörigen Segments nur dann an den Bewegungen der übrigen, wenn der Reiz auf derselben Körperseite angesetzt wird, auf der die Extremität liegt. Ist z B. die quere Kommissur des zweiten Schreitbeinganglions bei einem Astacus durchschnitten, und kneift man nun ein Bein der rechten Seite, so beteiligen sich alle Beine beider Seiten an der Abwehr, indem sie sich gegen das insultierende Objekt anstemmen, mit Ausnahme des linken zweiten Beins, welches ganz ruhig bleibt. Ferner: Durchtrennt man eine Längskommissur zwischen zwei Ganglien, sagen wir die rechte zwischen dem 2. und 3. Bein- ganglion eines Astacus, so beteiligen sich alle Beine bei der Abwehr, wenn man ein linkes Bein — besonders eins der beiden hinter der Dureh- schneidungsstelle gelegenen Segmente — reizt. (Wählt man ein linkes Bein des Vordertiers, so ist die Reaktion des 3. und 4. rechten Beins sehr schwach.) Wenn man aber ein rechtes Bein der vor der Durch- schneidungsstelle gelegenen Segmente reizt, so wehren nur die Beine der vorderen Segmente ab, und die beiden hinteren Beinpaare bleiben reaktionslos.. Umgekehrt bleibt das ganze Vordertier reaktionslos, wenn man das 3. oder 4. rechte Bein reizt, während die rechten und linken Beine dieser beiden Segmente reagieren. Mit andern Worten: Der Reiz wird über die Stelle, wo die nervöse Bahn zwischen zwei Segmenten einseitig unterbrochen ist, nur dann fortgeleitet, wenn der Reiz auf der Seite der intakten Kommissur angesetzt wird. Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass der auf einer Seite in einem Segment ange- setzte Reiz sich in der Längsaxe des Tieres nur auf dieser Seite auf die übrigen. Segmente ausbreitet und dass die Querkommissur jedes Ganglions der einzige Weg ist, auf dem der Reiz auf die gekreuzte Seite der Segmente übertragen werden kann, gleichgiltig, ob der Reiz im Bereich desselben oder eines andern Segmentes angebracht wird. Die quere Kommissur eines Ganglions ist aber nur im Stande, einen Reiz auf die andre Seite desselben Ganglions (und somit desselben 848 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol, Bedentung. Segments) zu übertragen, aber nicht auf die Längskommissuren der andern Seite, so dass er von hier andern Segmenten zugeleitet werden könnte. Die Reizleitung in der Längsaxe des Tieres findet also immer nur auf der Reizseite statt und eine Möglich- keit der Kreuzung der Reizleitung besteht für jedes Seg- ment nur in der Querkommissur des zugehörigen Gang- lions. Ich glaube, dass dieser Satz das ursprüngliche Verhalten der receptorischen Leitung im Centralnervensystem der segmentiert ge- bauten Tiere ausdrückt. Abweichungen hiervon zeigen sich bereits bei den Arthropoden im Bereich des Centralteils, welcher vom ursprüng- lichen Bauplan stark abweicht, nämlich im Gehirn. Hier sind es be- sonders die Bahnen der höheren Receptionsorgane (Auge und Stato- cyste), bei welchen sich sowohl anatomisch wie physiologisch bald eine totale, bald eine partielle Kreuzung nachweisen lässt. Bei den Wirbeltieren sind Abweichungen von dem ursprünglichen Verhalten noch zahlreicher vorhanden, aber auch hier dürfte der oben auf- gestellte Satz noch vielfach seine Richtigkeit haben, wenn sie auch nicht mit der Exaktheit wie bei den Arthropoden zu erweisen ist. Fig. 1. ı 8 m. nssrun UO) Ich habe vorher angegeben, dass zum Zustandekommen eines ein- fachen Reflexes, welchen man in der Anziehung einer Extremität auf einen Reiz und ihrer Rückkehr zur Ruhelage nach Aufhebung des Reizes sehen kann, weiter nichts notwendig ist als der Zusammenhang der einen Ganglienhälfte eines Segmentes mit dem oder den peripheren Nerven. Das Stück graue Substanz, welches die Ganglienhälfte dar- stellt, ist absolut notwendig, denn jede aktive Thätigkeit einer Extre- mität fällt fort, wenn man die zuführenden peripheren Nerven durch- schneidet. Da die Reizung des peripheren Endes eines jeden peripheren Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 849 Nerven, welcher von einem Ganglion ausgeht (mit Ausnahme des Nervus tegumentarius, der die Kopfhaut versorgt und rein receptorisch zu sein scheint) einen motorischen Effekt in der Peripherie des zuge- hörigen Segments auslöst und die Reizung des centralen Endes Be- wegungen auf der gekreuzten Seite und in andern Segmenten hervor- ruft, so muss angenommen werden, dass jeder ‚periphere Nerv der Crustaceen (auch der Optieus) gemischter Natur ist. Die anatomische Untersuchung bestätigt dies. Es wurde zuerst von Allen |5] für die Crustaceen gezeigt, dass gewisse unter dem Epithel gelegene bipolare Zellen, welche schon vor langem von Leydig und Claus. beschrieben, von vom Rath näher untersucht und von allen dreien als „Sinnes- zellen“ in Anspruch genommen wurden, ihren peripheren Fortsatz in die Haare der äußeren Haut senden, während der centrale Fortsatz durch einen peripheren Nerven in ein Ganglion tritt, hier sieh T-förmig teilt und nach vorne und hinten zieht (Fig. 1, s). Andrerseits konnte er den peripheren Fortsatz gewisser in den Ganglien gelegener Ganglien- zellen, die schon vor ihm von Retzius dargestellt waren, bis an die Muskulatur verfolgen, wo sie sich verzweigen (Fig. 1, m). Da die Haare auf der Haut der Crustaceen wohl mit Sicherheit als recep- torische Organe aufgefasst werden dürfen, so wird man die ersteren nervösen Elemente mit Zellen an der Peripherie als receptorisch, die letzteren mit Zellen im Ganglion als motorisch ansehen. Das Verhalten dieser Elemente innerhalb der Ganglien ist nun so typisch, dass man auch, ohne den Nachweis ihrer peripheren Endigungsweise geführt zu haben, allein aus der Art ihres Verlaufs und aus ihrem direkten und breit protoplasmatischem Zusammenhang mit Ganglienzellen des Ganglions oder dem Fehlen dieses Charakteristicums sagen kann, dieses Element ist receptorischer Natur, jenes motorischer. Ich fand nun bei Careinus maenas, dass jeder periphere Nerv (mit Ausnahme des Tegumentarius) receptorische und motorische Fasern enthält. Da nun nach Dureh- schneidung eines peripheren Nerven Lähmung in dem betreffenden peripheren Gebiet eintritt, die Reflexerregbarkeit aber fortbesteht, wenn die zugehörige Ganglienhälfte in Zusammenhang mit ihm steht, aber vom übrigen Nervensystem abgetrennt ist, so muss der Ort, an welchem der Reiz von der receptorischen auf die motorische Bahn übergeht, einzig und allein in der Substanz des Ganglions gelegen sein. (Ich hebe dies an sich vielleicht selbstverständlich erscheinende Faktum deshalb so sehr hervor, weil an der Peripherie außer den receptorischen Ganglienzellen noch andre vorkommen, welchen mancher eine direkte Beteiligung an den vorliegenden Prozessen zuschreiben könnte.) Wie man nun an der Fig. 1, welche nach einem Methylenblau- präparat schematisch entworfen ist, sehen kann, geben die receptori- schen Fasern Seitenzweige in die Fasermasse des Ganglions ab, welche sich mit den Seitenzweigen der motorischen Elemente durchmischen XVIL. 54 850 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. oder mit ihnen in direktem Zusammenhang stehen. (Dass letzteres der Fall ist, werde ich nachher zu zeigen versuchen.) Die Ganglienzellen der motorischen Elemente (wie überhaupt alle centralen Ganglienzellen), liegen nun ganz außerhalb der Gegend, in der diese nahen räumlichen Beziehungen zwischen receptorischen und motorischen Bahnen statt- finden. Sie liegen (im Gegensatz zu den centralen Ganglienzellen der Wirbeltiere) zu Packeten geordnet außerhalb der centralen Fasermasse (dem Neuropil von His, der Punktsubstanz Leydig’s), sind unipolar und nur ihr einziger Fortsatz, der oft recht lang ist, taucht in das Neuropil ein, um sich hier zu den im Ganglion verbleibenden Bäumchen und der peripheren motorischen Faser zu teilen. Die Ganglienzellen sind also räumlich ganz von den sog. Endbäumchken der Nervenfasern getrennt und können nur mittels ihres Fortsatzes mit der Gegend in Verbindung treten, in der die receptorischen Fasern ihr scheinbares Ende finden. — Nach der herrschenden Anschauung soll nun der Reflex- bogen durch die Ganglienzelle selbst gehen. Bei unsern Zellen müsste also der Nervenstrom die Strecke von der ersten Teilung des Zellfort- satzes zur Zelle doppelt zurücklegen, einmal zur Zelle hin und einmal Fie. 2. zurück. Er müsste also einen sroßen Umweg machen (Fig. 2 die dicken Pfeile). Es lag nun der Gedanke nahe, dass der Reiz viel- leicht mit Umgehung der Zelle . direkt von dem Punkt, wo recep- torische und motorische Elemente in nahe Beziehungen zu einander treten, auf die periphere motorische VIER Faser überginge (siehe den punk- tierten Pfeil in Fig. 2). (Ich habe diesen naheliegenden aber Ketzeri- schen Gedanken, zu dem einen die Befunde an wirbellosen Tieren geradezu drängen, lange gehabt, hätte ihn aber wohl nie ausgesprochen, wenn ich. nicht außer diesem rein äußerlichen, morphologischen Grunde noch andre gehabt hätte. Der große spanische Histologe Ramon y Cajal ist unvorsichtiger gewesen und hat in seinem bekannten Drange, die Welt mit Hypo- thesen zu beglücken, auf Grund von sehr viel weniger prägnanten Verhältnissen bei Wirbeltieren die Behauptung aufgestellt, dass der Nervenstrom nicht durch die Ganglienzelle zu gehen brauche [wie übrigens schon verschiedene vor ihm|. Ich bemerke dies hier nur, um dazu zu sagen, dass, soweit die Arbeit Cajal’s aus dem Referat (Neurolog. Centralblatt, Nr. 12, 1897) beurteilt werden kann, seinen Ausführungen jede Beweiskraft fehlt. Es ist eine Hypothese wie viele Ne uropil periphere Faser Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 851 andre, gegen die ebensoviel oder mehr spricht als für sie und die ohne Schaden für die Wissenschaft ungedruckt hätte bleiben können, da sie als bloße Vermutung keinerlei neue Perspektiven eröffnen konnte). Wäre dies richtig, so müsste nach Abtrennung der Ganglienzellen motorischer Elemente von ihrem Stiel eine Lähmung der Muskeln, welche von den zugehörigen motorischen Fasern innerviert werden, nicht eintreten; sie müssten vielmehr auch nach dieser Operation noch reflexerregbar bleiben. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass man trotz der anatomischen Voruntersuchung, welche diese und jene an be- stimmten Stellen liegenden Ganglienzellen als die motorischen Zellen bestimmter Muskeln zu kennzeichnen scheint, doch falsche Zellen fort- genommen habe, oder dass andre Ganglienzellen nach Fortfall be- stimmter Gruppen die ausgefallene Funktion übernähmen, musste der Versuch in der Weise angestellt werden, dass der gewählte periphere Nerv nur noch mit einem Stück Centralsubstanz in Verbindung steht, das aller Ganglienzellen beraubt ist. Natürlich muss bei einer Opera- tion, welche darauf zielt, zu zeigen, dass die Ganglienzellen nicht zum Funktionieren des Centralnervensystems absolut notwendig sind, alles andre unversehrt bleiben. Es muss der periphere Nerv nicht gezerrt oder angeschnitten werden, da durch ihn die Erregung von der Peripherie zugeleitet und zu den Muskeln hingeleitet wird; es darf das Neuropil nicht verletzt werden, weil hier ohne Zweifel der Ueber- gang von receptorischer auf motorische Bahn stattfindet. Der einzige Ort im Nervensystem der von mir untersuchten Arthropoden, an dem sich nach den topographischen Verhältnissen eine derartige Operation als möglich erwies, ist der Teil des Gehirns von Carcinus maenas, welcher sich als End- und Ursprungsgebiet des Nerven der zweiten Antenne erweist. Da die Antennen als Extremitäten anzusprechen sind, so hat dieser Teil des Gehirns die Qualitäten eines einzelnen Ganglions, als welches er auch noch embryonal angelegt wird. (Erst bei der späteren Entwicklung verbindet sich dieses Ganglion mit den übrigen Teilen des Gehirns zu einem anscheinend einheitlichen Ganzen). Auf. jeder Seite entspringt ein Nerv, welcher sich zur 2. Antenne ver- folgen lässt und, wie das physiologische Experiment zeigt, sowohl receptorische Reize von diesem Organ dem Gehirn zuführt als auch die zur Bewegung der Antenne nötigen motorischen Impulse ihren Muskeln vom Gehirn her übermittelt. Die Bewegungen der Antenne bestehen darin, dass sie auf Reiz ihrer selbst oder andrer Nervenend- organe aus ihrer schräg nach vorne und nach oben gerichteten Ruhe- lage ziemlich schnell unter den vorspringenden Vorderrand des Thorax geklappt wird und nach aufhören des Reizes ihre kuhelage wieder einnimmt; also im wesentlichen eine Flektion mit ‚darauf folgender Extension. Nach Durchschneidung des Nerven hat die Antenne keinen Tonus mehr; sie hängt schlaff herab und ist durch keinen Reiz zu einer Reflexaktion zu bringen. 54* 859 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. Anatomisch lassen sich nun zwei Arten receptorischer und zwei Arten motorischer Fasern aus dem Nerven der zweiten Antenne ins Gehirn verfolgen, welche sich dort in einem ziemlich engumgrenzten Gebiet am hinteren Winkel nahe an der zum Bauchmark führenden Schlundkommissur verzweigen. Die Zellen der einen Art von motori- schen Elementen liegen zu einem Packet vereinigt lateral zwischen dem Nerven und der Schlundkommissur, die der andern dagegen medial und ebenfalls gut zu erreichen. Trennt man nun dieses durch die anatomische Untersuchung abgegrenzte Gebiet auf einer Seite mit- samt den anhängenden Ganglienzelleu vom übrigen Gehirn durch einen halbkreisförmigen Schnitt und vom Bauchmark durch Zerschnei- dung der Schlundkommissur ab, so wird die Antenne dauernd ge- halten wie zuvor und zeigt ihre volle Reflexerregbarkeit, nur dass sie nieht mehr durch Reizung andrer peripherer Empfangsorgane als ihrer eignen zur Reaktion zu bringen ist, weil alle verbindenden Brücken abgebrochen sind. Anders ist es, wenn außer der Abtrennung der Endstätten des Antennarius seeundus auch noch die beiden oben beschriebenen Ganglien- zellpolster, die den motorischen Elementen angehören, fortgenommen sind. Es hängt in diesem Fall an dem Nerven der 2. Antenne nur noch das kleine Stück Neuropil, in dem sich die receptorischen Fasern aufsplittern und aus dem die motorischen Fasern hervorgehen. Jede Ganglienzelle fehlt. — Es ist mir im ganzen dreimal gelungen, diese Operation mit vollem Erfolge auszuführen, d. h. so, dass auch nicht eine einzige Ganglienzelle in Verbindung mit dem Neuropil- stück und so mit dem peripheren Nerven stand (1. II. Seite 631). Diesen drei Fällen stehen eine Reihe andrer an der Seite, bei denen die nachherige histologische Untersuchung noch die eine oder andre Ganglienzelle als nicht entfernt ergab. Nachdem die Wunde geschlossen und das Nervensystem sich von der Operation erholt hat -- das ist nach etwa 12—24 Stunden — verhält sich nun die Antenne, welche von dem ganglien- zelllosen Neuropilstück innerviert wird, zunächst kaum anders als bei dem vorher beschriebenen Versuch, wo die Ganglienzellen noch dran waren. Die Antenne hängt nicht schlaff herab wie nach Durchschneidung des Nerven, sondern wird in normaler Ruhelage gehalten; der Tonus ist also vorhanden. Beim Berühren wird sie prompt eingeklappt und kehrt nach Aufhören des heizes wieder in die Ruhelage zurück. Die Reflexerregbar- keit ist also erhalten und der Refleemodus nicht ver- ändert. Beim Ansetzen mehrerer kleiner Reize, welche an sich nicht genügen, um eine Reflexaktion hervorzubringen, tritt wie beim normalen Tier, am Schluss der Reflex ein. Eine Summation der Reize ist also noch möglich. Der einzige gleich hervortretende Unter- Bethe, Elemente des Nervensystems nnd ihre physiol. Bedeutung. 853 schied gegen die vorige Operation und gegen das normale Tier, ist eine fast immer zu konstatierende Erhöhung der Reflexerreg- barkeit. Es tritt Einklappen der Antenne ein auf Reize, welche beim normalen Tier und nach Isolierung der Neuropile ohne Fort- nahme der Ganglienzellen noch nicht genügen, um einen Reflex her- vorzubringen. Dieses Verhalten zeigt die Antenne nun nur am Tage nach der Operation. Schon am zweiten Tag wird die Reflexerregbarkeit ge- wöhnlich geringer, vor allem werden die Ausschläge kleiner und ver- laufen träger und am dritten respektive vierten Tag erlischt die Reak- tion auch auf die stärksten Reize vollkommen und für immer und die Antenne hängt schlaff, wie nach Durchschneidung des Nerven, herab. Sehr instruktiv ist auch für das allmähliche zu Grunde gehen der Funktion die Abtragung nur eines Ganglienzellpolsters und zwar des lateralen. Am ersten Tage ist Haltung und Reflexerregbarkeit der Antenne normal. Am zweiten Tag ist die Antenne in Ruhelage schon mehr erigiert und auf Reiz erreicht sie bei der Flexion nicht mehr den Körper. Später steht sie der Medianlinie zugeneigt und erreicht auf Reiz nur noch die natürliche Ruhelage und schließlich bleibt sie am 3. oder 4. Tage in einer nach der Mitte gekrümmten Lage stehen, zu der sie, passiv in eine andre Lage gebracht, wie eine Feder immer wieder zurückschnellt. (Es sind hier also nur die Flektoren geschädigt, weswegen die Extensoren mehr und mehr die Ueberhand gewinnen.) Aus diesen Versuchen geht nun für den Taschenkrebs (Careinus maenas) mit Sieherheit hervor, dass die Ganglien- zellen (d.h. der kerntragende Teil des Neurons) zu den wesentlichen Erscheinungen des Rejflexes nicht notwendig sind, dass nämlich der Muskeltonus nicht von der Gang- lienzelle besorgt wird, dass ein geordneter Reflex ohne Ganglienzelle möglich ist und ihre Anwesenheit zum Zu- standekommen der Reizsummation nicht nötigist. Weiter- hin geht daraus hervor, dass eine dawernde Funktion des Nervensystems ohne Ganglienzellen nicht möglich ist, dass also die Ganglienzelle eine tZrophische Funktion auf das ganze Neuron ausübt und dass wielleicht die Reflexhemmung in die Ganglienzelle zu verlegen ist. Mir ist nun von verschiedenen Seiten gegen meine Behauptung, es gäbe Reflexe ohne Ganglienzellen, eingewandt worden, dass ich ja gar nicht die ganzen Ganglienzellen fortgenommen hätte, sondern nur einen Teil derselben, indem ja auch die protoplasmatischen Aufsplit- terangen im Ganglion und die periphere Nervenfaser mit zur Ganglien- zelle als Ausläufer derselben gehörten. Wollte ich in diesem Sinne behaupten, dass es Reflexe ohne Ganglienzellen gäbe, so hieße das die nervöse Funktion des Nervensystems leugnen. Ich glaube aber, dass 854 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. dies niemand aus meinen Worten hätte herauslesen dürfen und dass ich mit meinem Ausdruck ganz im Recht bim. Ich habe wohl ein Dutzend Anatomie- und Histologiebücher aufgeschlagen und nir- gends etwas anders unter Ganglienzelle verstanden gefunden als den protoplasmareichsten und kerntragenden Teil des Neurons, höch- stens noch die Anfänge der Ausläufer. (Uebrigens habe ich auch selber das Wort „kerntragender Teil des Neurons“ gebraucht.) Ich glaube, dass nicht viele, wenn sie das Wort Axencylinder oder Protoplasmafortsatz gebrauchen, immer sofort an die Zelle denken, sondern nur eben an das, was es ist. Man hat den kern- tragenden Teil des Neurons auch schon zu einer Zeit mit dem Namen Ganglienzelle belegt, als man noch garnicht wusste, dass die Nerven- fasern mit ihm zusammenhängen. Und wenn man die Werke der Nervenforscher nachschlägt und die Histologie-, Physiologie- und Psychologie-Bücher darauf hin liest, so ist immer, wenn es da heißt: „die Ganglienzelle erzeugt den motorischen Impuls“, „die Ganglienzelle entlädt sich“, „kein Reflex ohne Ganglienzelle“, „die Ganglienzelle ist das Kraftstandlokal“, „die Ganglienzelle birgt die Erinnerungsbilder“ u. 8. w. nur der kerntragende Teil des Neurons gemeint ist und niemals etwas andres. Schließlich sind ja auch die Akten noch gar nicht darüber ab- geschlossen, ob wirklich alles, was wir heute ein Neuron nennen, eine einzige Zelleneinheit ist. Ferner ist mir noch eingewandt worden: „Ja am dritten Tage hört ja die Sache auf; es geht also doch nicht ohne Ganglienzellen“. Jawohl: Auf die Dauer geht’s nicht, aber es geht. Zeige ich einem eine Wanduhr, der ich die Gewichte abnehme, und sie läuft noch drei Stunden und bleibt dann stehen, und der Mann sagt: „die Uhr kann nicht ohne Gewichte gehen, denn sie ist nach 3 Stunden stehen ge- blieben“, so ist das etwa dasselbe logische Schlussverfahren. — Zum Verständnis dieses Versuches sind die Errungenschaften auf dem Gebiet der Anatomie des Nervensystems, welche wir Apäthy verdanken, von der größten Wichtigkeit. Apäthy |6] zeigte zuerst in unzweideutiger und überzeugender Weise, dass das, was man heute unter einem Neuron versteht, keine anatomische Einheit ist, sondern dass in ihm wie in einem verzweigten Röhrensystem eine Anzahl individueller und von einander durch eine Zwischensubstanz (Peri- fibrillärsubstanz, ein Körper von mehr oder weniger flüssiger Kon- sistenz) isolierter Fibrillen verlaufen. Sie kommen in all den Elemen- ten vor, welche mit Sicherheit als nervös angesprochen werden dürfen, und finden sich in gleicher Weise bei Wirbeltieren und Wirbellosen. Ihre Existenz wurde schon vor 30 Jahren von Max Schultze ange- nommen; sie ist vielfach bestritten und oft zu beweisen gesucht wor- den, aber nur für die peripheren Nerven war dies durch die Unter- Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 855 suchung Kupfer’s einigermaßen sicher gestellt worden. Apäthy war es vorbehalten ihre Individualität zu erweisen, ihre Beziehungen zu einander, zu den Ganglienzellen und den peripheren Endorganen aufzuklären und ihre Verschiedenheit von andren ähnlichen Protoplasma- strukturen, ihren spezifisch nervösen Charakter vom morphologischen Standpunkt nachzuweisen. Die bisher genauer veröffentlichten Resultate Apäthy’s beziehen sich vorzugsweise auf Würmer (Blutegel, Regenwurm u. s. w.). Er fand hier, dass die receptorischen (sensiblen) Fasern eine Menge dünne Primitivfibrillen enthalten, welche sich an der Peripherie aus den receptorischen Zellen (Sinnesnervenzellen) sammeln. Im Ganglion angelangt, verteilen sich die Fibrillen auf die verschiedenen Aeste der Faser, um schließlich selbständig (ohne Begleitung der Perifibrillär- substanz) in das Neuropil auszutreten, sich hier zu teilen und ein richtiges anastomosierendes Netz oder Gitter zu bilden, das Elementar- gitter. Aus diesem sammeln sich wieder etwas stärkere Fibrillen, die nun in die (meist) unipolaren Ganglienzellen hineinziehen. Hier an- gelangt, verbinden sie sich zu einem (bei den motorischen Zellen) dieht unter der Zellperipherie gelegenen Gitterwerk, von dem radiär nach innen sich Fibrillen loslösen, die sich nun zu einem zweiten, den Kern in einiger Entfernung umgebenden Gitter (den Innengitter) sammeln. Aus diesem Innengitter entspringt (bei den motorischen Neuronen) eine aus vielen feinen Fibrillen (den Elementarfibrillen) zusammengesetzte dieke Primitivfibrille, welehe in einer motorischen Nervenfaser ver- laufend das Ganglion verlässt und zu Muskelfasern verfolgt werden kann, wo sie in das Innere der Muskelfasern eindringt und sich hier verzweigt. Die kontinuierliche Verbindung der receptori- schen und motorischen Bahn, welche auf diese Weise zustande kommt, ist also keine direkte, indem an zwei Stellen ein Gitter eingeschaltet ist: im Neuropil und in der Ganglienzelle. Anders ist das Verhalten der Primitivfibrillen bei meinem Versuchs- tier Careinus maenas, wie sich bei meiner Untersuchung herausstellte |1, III]. Auch hier treten die receptorischen Primitivfibrillen zu Bün- deln durch Perifibrillärsubstanz vereinigt ins Ganglion ein, gehen nackt unter Teilungen ins Neuropil und scheinen ein Elementargitter zu bilden (mit voller Sicherheit ließ sich dies nicht feststellen); auch hier existieren Netze in den Ganglienzellen, aber nur. ein kleiner Teil der Primitivfibrillen nimmt an der Gitterbildung in der Ganglienzelle teil, denn die bei weitem größere Anzahl verlässt, direkt vom Neuropil her kommend, durch die motorischen Fasern das Ganglion, also ohne die Ganglienzelle passiert zu haben. Wenn man nun annimmt, dass die Primitivfibrillen das leitende Element im Nervensystem sind, so verliert das oben beschriebene Ex- S56 DBethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. periment, welches die Möglichkeit des Reflexes ohne Ganglienzellen zeigt, das kätselhafte, das ihm auf den ersten Blick auhaftet. Ich glaube aber, dass es nicht nur eine Annahme ist, dass die Primitiv- fibrillen das leitende Element im Nervensystem sind ; ich halte dies vielmehr bereits aus rein anatomischen Gründen mit Apäthy für ebenso gesichert wie die leitende Funktion der Nervenfaser, die sie enthält: Der rein protoplasmatische Teil eines Neurons, die Perifibrillärsubstanz, tritt (mit einigen Ausnahmen) nirgends in direkte Beziehungen zu dem eines anderen. Eine Kontinuität der receptorischen und motorischen Bahnen, zum mindesten eine ganz nahe aneinander liegende Lagerung, muss aber unbedingt gefordert werden. Nun sehen wir bei Hirudineen und teilweise auch bei Arthropoden, dass die Fibrillen im Ganglion ihren Mantel von Perifibrillärsubstanz verlieren, weiterziehen, sich teilen und mit den Fibrillen andrer Neurone in Verbindung treten. Es ist also eine Kontinuität bekannt, die allem auf dem Wege der Fibrillen zu Stande kommt, und es liegt daher nahe, diese Elemente für die Reiz- leitung in Anspruch zu nehmen. Ist dies immerhin nur ein Wahrschein- lichkeits-Beweis, so scheint mir dieser folgende vollgiltig zu sein: An den Ranvier’schen Einschnürungen der markhaltigen Wirbeltiernerven gehen nur die Primitivfibrillen vom Axeneylinder des einen Faches auf den des daranstoßenden über, nicht die Perifibrillärsubstanz. Es ist nämlich an den Ranvier’schen Einschnürungen eine Platte unbestimmter Natur zwischen die beiden benachbarten Markscheiden- fächer geschaltet, welehe mit feinen Löchern durchsetzt ist, die nur grade groß genug sind, um den Fibrillen den Durchtritt zu gestatten. |Ich wurde auf diese Thatsache zuerst von Herrn Gustav Mann aufmerksam gemacht und habe sie seitdem auf verschiedene Weise bestätigen können. Herr Mann hat seinen Befund in der physio- logischen Gesellschaft zu Oxford vorgetragen und in den Berichten der anatomischen Gesellschaft (Verhandlungen zu Kiel. Jena 1898) kurz beriehtet]*). Mit demselben Recht, mit dem man die Markscheide von der Leitung ausschloss, weil sie an den Ranvier’schen Ein- schnürungen eine Unterbrechung erfährt, mit dem man eine Beteiligung des Neurilemms an der Leitung verneinte, weil es nur im peripheren Nervensystem sich ausbreitet, mit demselben Recht muss man nach diesem Befunde der Perifibrillärsubstanz, dem protoplasmatischen Teil des Axencylinders und der Nervenfasern überhaupt einen Anteil an der Reizleitung versagen und behaupten, dass die Primitivfibrillen das leitende Element des Nervensystems sind. 4) Während diese Arbeit sich im Druck befand, erschien eine Arbeit von Holmgren (Anatom. Anzeiger, Bd. XV, Nr.8), in welcher Verdiekungen der Primitivfibrillen an den Ranvier’schen Einschnürungen beschrieben wurden. Diese Verdiekungen gehören nach meinen Untersuchungen sicher nicht den Fibrillen an — sie sind, wie überall, glatt — sondern liegen zwischen den Fibrillen und sind der optische Ausdruck jener Platten. Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 857 Wenn also die Primitivfibrillen das leitende Element darstellen, so muss gefolgert werden, dass bei Careinus maenas diejenigen Primitiv- fibrillen, welche mit Umgehung der Ganglienzellen direkt vom Neuro- pil in die peripheren motorischen Fasern ziehen, Träger all der Funk- tionen siud, welche nach Fortnahme der Ganglienzellen bestehen bleiben. Sie allein müssen es zu Wege bringen, dass der Reiz, der ihnen durch das Elementargitter von den receptorischen Primitivfibrillen her zugeleitet wird, zum Muskel weiter wandert und hier einen Effekt bervorbringt. Ich übergehe es dabei, den Beweis zu bringen, dass der vorhin be- schriebene Reflexvorgang der zweiten Antenne allein auf dem Wege der rezeptorisch - motorischen Bahn und ohne Vermittlung von Kommissur- elementen, welche ja a priori nicht ausgeschlossen ist, zu Stande kommt. (Siehe 1, III Seite 414). Was sich nun für die motorischen Ganglienzellen von Careinus zeigen ließ, das gilt auch für die Ganglienzellen der Kommissurelemente, der Neurone, welche keine periphere Faser entsenden, sondern ein rein zentrales Ausbreitungsgebiet haben, die nicht nur anatomisch sondern auch funktionell eine höhere Stufe der Entwieklung darstellen sollen. Auch ihre Fortnahme (wo sie möglich ist) ruft keine sofortige Funktionsstörung hervor. Auch hier dauert die Funktion einige Zeit unverändert fort, und erst allmählich ändert sich das Verhalten des Tieres und es treten nun dauernde und typische Veränderungen ein. So erzeugt die Fortnahme des größten aller Ganglienzellpolster der „eellulae superiores mediales“ (1, II S. 625) zunächst gar keine Ver- änderung im Verhalten des Tieres. Aber nach zwei Tagen oder kürzerer Zeit treten die schwersten Coordinationsstörungen in der Be- wegung der Augen und der Beine auf. Das Tier, das sich meist nach der Seite zu bewegen pflegt, wird unfähig, diese Gangart auszuüben, und kann fortan nur noch wie seine langgeschwänzten Vorfahren, die Makruren, vorwärts gehen. Es sind also nicht nur die „motorischen“ Ganglienzellen, welche des Rufes, nervöse Centralorgane im engsten Sinne des Wortes zu sein, beraubt sind. Der Tonus der Muskeln, der motorische Impuls, die Reizschwelle, die Summation der Reize, die Coor- dination einfacher und komplizierter Reflexe sind ohne Ganglienzellen möglich, und es ist anzunehmen, dass auch normaler Weise die Gang- lienzellen nicht bei diesen Dingen beteiligt sind. Sie sind in erster Linie. nutritorisches Centrum für die übrigen Teile des Neurons; nervöses Centralorgan sind sie nur in soweit, als auch sie Primitiv- fibrillen enthalten. Grade die wichtigsten, in ihrer Funktion auf- fälligsten Primitivfibrillen meiden bei Careinus die Ganglienzelle. Die verhältnismässig wenigen Fibrillen, welche das Fibrillengitter der Ganglienzellen bilden und passieren, mögen der Reflexhemmung dienen — diesen Schiuss mag man aus der großen Reflexerregbarkeit, welche nach Fortnahme der Ganglienzellen auftritt, ziehen —, aber auch auf 858 DBathe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. diese wird das Specifivcum der Ganglienzelle, der Zellkern und die große Protoplasmaanhäufung, keine andere Wirkung ausüben als auf die übrigen Fibrillen, nämlich nur eine nutritorische. Leider wird sich dies aber nicht beweisen lassen, da es schwerlich gelingen wird, den Zellkern aus den Ganglienzellen herauszuschälen und dabei das Gitter intakt zu lassen. — Ich will nieht behaupten, dass es unmöglich ist, dass die Ganglinzelle noch andere als nutritorische Wirkungen aus- übt, aber bewiesen ist dies nicht und, da so wichtige nervöse Prozesse ohne sie ablaufen können, so wird man, ehe gegenteilige Erfahrungen vorliegen, vorläufig auf eine Erklärung nervöser Vorgänge mit Hülfe der Ganglienzellen verzichten müssen. Auch aus einer andern Betrachtungsreihe geht hervor, dass der Ganglienzelle nicht die Wichtigkeit zukommt, welche man ihr bisher beigelegt hat. (Ich hebe hier noch einmal hervor, dass ich unter Ganglienzelle den Teil eines „Neurons“ verstehe, welcher durch An- häufung von Protoplasma und die Gegenwart eines recht specifisch ge- bauten Kermes charakterisiert ist. Die färbbare Substanz sive Nissl- substanz kann als Charakteristikum der Ganglienzelle nicht heran- gezogen werden, da sie sich auch in den Protoplasmafortsätzen, wenn auch nicht in solchen Massen, findet). Das wenige was wir bisher über die Primitivfibrillen wissen, lehrt uns, dass mit steigender Differenzierung des Nervensystem die Lagebeziehungen zwischen Ganglienzellen und Fibrillen sich derari ändern, dass die Fibrillen und ihre charakteristischen Netzbildungen sich mehr und mehr von der Ganglienzelle emanzipiren. Bei der niedrigsten Form des Nerven- systems, den weitmaschigen Nervennetzen mit direkten breiten proto- plasmatischen Brücken zwischen den einzelnen Ganglienzellen (Me- dusen, Actinien, Ötenophoren, im sympathischen Nervensystem der Würmer (Apäthy) und höherer Tiere) existiert kein Neuropil und keine langen Bahnen. Die Fibrillen (Apäthy) verlaufen in den protoplas- matischen Zellbrücken zu den Ganglienzellen und bilden hier und allein hier Gitter. Bei den Würmern sind im ceutralen Nervensystem reich- liche lange Bahnen vorhanden, das Neuropil ist bereits entwickelt, in demselben verbreitet sich ein deutliches Fibrillengitter, aber in den Ganglienzellen sind die Gitter noch sehr ausgebildet ‚und alle motori- schen Primitivfibrillen nehmen aus dem Gitter der Ganglienzellen ihren Ursprung. Eine höhere Siufe nehmen die Arthropoden ein. Das Neuropil ist an Masse den Ganglienzellen überlegen; nur ein Teil der Fibrillen geht durch Ganglienzellen und bildet hier Netze, die Mehrzahl meidet aber die Zellen und geht direkt aus dem Neuropil in periphere moto- rische Fasern und Commissurbahnen über (um hier oder an anderer Stelle wieder ins Neuropil auszutreten). Bei den Wirbeltieren liegen die Verhältnisse insofern anders, als hier die Ganglienzellen nicht außerhalb des Neuropils liegen, sondern Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 859 in demselben, nicht unipolar sind, sondern multipolar (was übrigens auch bei Arthropoden und Würmern, vor allen aber bei Molusken vor- kommt); aber hier ist die Verlagerung des Fibrillengitters aus den Zellen heraus und ins Neuropil hinein am weitesten durchgeführt. Die große Mehrzahl aller Fibrillen läuft durch die Zellen hindurch, ohne sich in denselben zu teilen, ohne Netze zu bilden, ohne eine speeifische Beziehung zum Zellinhalt zu nehmen. Es giebt aber auch hier, wie Apäthy versichert, Fibrillen, welche in den Ganglienzellen Netze bilden; ich selber habe dies bei den meisten Zellarten nie gesehen, glaube es aber einem so ausgezeichneten Beobachter auch ohne seine Präparate durchmustert zu haben. Jedenfalls ist dies nur ein ganz kleiner Teil. Die Mehrzahl nimmt keinen Bezug zur Zelle, ja ein sehr erheblicher Teil durchläuft auch nicht einmal die Zelle, sondern geht mehr oder weniger, aber oft sehr weit von der Zelle entfernt, von einem Ast eines Protoplasmafortsatzes auf einen andern über. Alle diese müssen ihren Continuitätszusammenhang mit Fibrillen anderer „Neurone“, welcher auch für die Wirbeltiere nach den Befunden an Wirbellosen unbedingt zu fordern ist, außerhalb der Zellen haben, im Neuropil, im Elementargitter. Die Existenz des Elementargitters ist aber bei Wirbeltieren noch nicht erwiesen. Vielleicht steckt es in einem gewissen Gitterwerk, welches sich mit meiner Fibrillen- methode sehr schön darstellen lässt. Dieses Gitterwerk ist in der Großhirnrinde und auch im Kleinhirn ziemlich diffus, in den meisten übrigen Teilen des Nervensystems aber fast ganz auf die Oberfläche der Ganglienzellen und der Dendriten beschränkt. Dieses pericelluläre Netz ist bei den verschiedenen Ganglienzellen so ver- schieden, dass man daran erkennen kann, was für eine Zelle man vor sich hat. (Zwei Zellen mit derartigem Netz hat vor Kurzem Niss] [11] nach Präparaten von mir photographisch abgebildet. Lei- der sind die schön klaren Bilder im Druck recht mäßig geworden.) Es enthält auch in sich von einem stark färbbaren Mantel umhüllte Fibrillen, die gelegentlich in die umgebene Zelle hineintreten; dass dies aber Primitivfibrillen sind, habe ich bisher nicht erweisen können. Gelegentlich hat es den Anschein, als ob Axencylinderästchen direkt in dieses Netz übergingen, besonders an den Spitzen der Dendriten, aber die topographischen Verhältnisse sind doch derart verwickelt und Irrtümer so leicht möglich, dass ein endgültiges Urteil über diese Ge- bilde vorläufig nicht am Platze erscheint. Dieselben Netze sind schon von Semi Meyer |7] an Methylenblaupräparaten als dunkler Zellsaun, von Held |3]| in zerfallenem Zustande als Neurosomenhaufen und von ihm und Golgi [10] in besserem Zustande als Netze in Silberpräparaten ge- sehen worden. Auch Auerbach [9] beschreibt ähnliche Dinge. Meyer, Held und Auerbach stimmen darin überein, dass diese Netze End- ausbreitungen von Axencylindern darstellen. Am meisten bringt noch 860 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. Meyer hiefür vor, aber weder seine Abbildungen, noch die von Held und am wenigsten die von Auerbach köunen als beweisend angesehen werden. Meine eignen, sonst sehr klaren Präparate lassen grade über den wichtigsten Punkt, ob nämlich wirklich Axeneylinder in das Netz übergehen, oft im unklaren, und einige Präparate sprechen direkt da- gegen. Eine Lösung der Frage scheint mir nur auf experimentellem Wege möglich; es ist zu untersuchen, ob die Netze an bestimmten Zellen degenerieren, wenn bestimmte Axeneylinderbündel durchsehnitten werden. Aus dieser Betrachtungsreihe sehen wir, dass die Beziehungen zwischen dem leitenden Element und den Ganglienzellen, welche bei niederen Stufen wohl für einen funktionellen Zusammenhang sprechen könnten, in Wahrheit doch hauptsächlich topographischer Natur sind. Die Wichtigkeit liegt nicht darin, dass das leitende Element in Be- ziehungen zur Ganglienzelle tritt, sondern nur darin, dass die Fibrillen verschiedener Systeme auf dem Wege eines Elementargitters mit 'ein- ander in Verbindung gebracht werden, und es ist gleichgiltig, ob dies in Zellen oder außerhalb derselben geschieht. Das Elementargitter vermittelt die Continuität zwischen der rezeptorischen und motorischen Bahn, sei es direkt, sei es auf weiten Umwegen durch Kommissur- elemente. So muss die Funktion nach Fortnahme der Ganglienzellen erlöchen bei all den Tieren, wo die Gitterbildung allein oder vorzugs weise im den Zellen stattfindet (Würmer), sie muss auch erlöschen da, wo die Zellen Durchgangspunkt für die Fibrillen sind, wo die periphere motorische Faser von der Zelle entspringt (Wirbeltiere), sie muss aber dort bestehen bleiben, wo beides nicht oder nur in bescheidenem Masse der Fall ist (Arthropoden). Das Wichtigste im eentralen Nervensystem ist also da Fibrillen- gitter; es ist so wichtig und so unentbehrlich für das Zustandekommen eines nervösen Vorganges wie die zuleitenden rezeptorischen und die ableitenden motorischen Bahnen. Schon eine kleine Verletzung des Neuropils, oder des Elementargitters, wenn sie richtig angebracht ist, ruft bei Carcinus sofort eine schwere Schädigung, meist eine irre- parable Lähmung in gewissen Gebieten oder auf gewisse Reize her- vor, während die Ganglienzellen zerstört werden können, ohne dass sofort eine Schädigung darauf folgt. Nach alledem glaube ich auf Grund der histologischen Vergleichung berechtigt zu sein, die Befunde von Careinus auf andere Tiere zu übertragen und behaupten zu dürfen, dass eine specifisch nervöse Natur den Ganglienzellen, soweit sie Kern und Protoplasmaanhäufung sind, nicht zukommt. Die scharfe anatomische Begrenzung der Neurone exi- stiert, wie es scheint, nirgends; eine funktionelle Einheit stellen sie, wie meine Experimente zeigen, nicht dar; und Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutuug. 861 so bleibt von der Neuronentheorie nur, dass jede Gang- lienzelle ein gewisses Gebiet nutritorisch beherrscht, aber auch das dürfte nicht scharf abgegrenzt sein. Man hat in den Ganglienzellen Uentralorgane, Centren gesehen; nach dem vorliegenden dürfen wir dies nicht mehr thun. Wo liegen denn nun die Centren? Ja giebt es denn überhaupt Centren in dem Sinne, in dem man bisher davon gesprochen hat? Wir sehen eine ununter- brochene, continuirliche Bahn der leitenden Substanz vor uns, wo sollen wir sagen, dass in dieser Bahn ein Centrum liegt? Das ganze Centralnervensystem ist gewissermassen ein Elementargitter, in das von allen Seiten zuleitende Fibrillen einströmen, von dem an vielen Stellen ableitende Fibrillen entspringen, dessen einzelne, weit von einander liegende Teile, bald enger verbunden sind durch lange (Fibrillen) Bahnen, bald nur weitläufige Konnexe haben; aber im Zu- sammenhang stehen sie wohl alle. So kommt es, dass gewisse Stellen des Elementargitters geeigneter sind Reize des rezeptorischen Nerven a, auf den motorischen b,, als auf den motorischen Nerven b, und b; zu übertragen und dass andererseits auf Reizung des rezeptorischen Nerven a, der zu b, gehörige Muskel besser anspricht als b, und b, schon fast gar nicht mehr. Nimmt man eine solche Stelle des Elementargitters fort (gleichgültig, ob sie Zellen enthält oder nicht), so fällt eine Funktion fort, weil Verbindungen, die entweder unum- gänglich notwendig sind, oder die wenigstens den gangbarsten Weg bilden, zerstört sind; aus dem Funktionsausfall aber auf ein Centrum, auf ein an dieser Stelle stattfindendes specifisches Geschehen, zu schließen, ist nach meiner Meinung verfrüht und nicht viel anders, als wenn man den Trigeminus für das sensible Centrum des Gesichts an- sehen wollte, weil nach einer Durchschneidung die betreffende Ge- sichtshälfte unempfindlich wird. Es ist nur der Unterschied, dass man einen peripheren Nerven an den verschiedensten Stellen durchsehnei- den kann, weil er auf weite Strecken — soweit keine Aeste abgehen — gleichartig ist, während man bei der Fortnahme (oder Reizung) von „Centren“ an ganz bestimmte Stellen gebunden ist, weil hier die Verbindungsbedingungen von Ort zu Ort schnell sich verändern. Ich will nun durchaus hiermit nicht das sehr bequeme Wort „Oen- trum“ aus dem Wege schaffen, ich will nur, dass man sich bewußt ist, was man bei Fortnahme und Konstatirung eines Centrums eigent- lich thut. Man konstatiert nur: diese Stelle hat mit dieser Funktion mehr, mit jener weniger zu thun, ist vielleicht der einzige Punkt, wo ein gangbarer Weg von dieser auf jene Bahn vorhanden ist und weiter nichts. Dass nicht überall die Fortnahme eines „Centrums“ irreparabel ist, sehen wir ja bei den Großhirnoperationen. Da gerade im Großhirn jenes Gitterwerk, das möglicher Weise das Elementargitter enthält, sehr diffus ist, so wäre im Fall der Richtigkeit gut verständlich, S62 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. warum sich mit der Zeit die Bahn verlagern und ein Teil des Elementar- gitters, der ursprünglich nicht der geeignetste war, ersetzend ein- treten kann. Man hat bisher gemeiniglich angenommen, dass speziell beim Reflexvorgang (aber auch bei andern nervösen Vorgängen) der ins Centralorgan gelangende rezeptorische Reiz umgewertet wird, dass der motorische Impuls als etwas qualitativ neues in Folge einer Explosion, eines Auslösungsvorganges entstünde. Diesen Auslösungsvor- gang verlegte man, wie leicht verständlich, verleitet durch ihre Größe und leichte Sichtbarkeit, in die Ganglienzelle. Ebendahin verlegte man den dauernden Reiz, welcher vom Centralnervensystem auf die Muskulatur ausgeübt wird und sich hier als Muskeltonus äußert. Die Richtigkeit dieser Annahme wird man bestreiten dürfen, nachdem ich gezeigt habe, dass dieselben Dinge auch ohne Ganglienzellen zu Stande kommen. Man wird durch diesen Versuch genötigt anzunehmen, dass an einer andern Stelle, aber sicher im Centralnervensystem oder an einem Außenort der rezeptorischen Bahn der den Muskeltonus ver- ursachende Reiz durch eine dauernde Zustandsänderung (wohl wahr- scheinlich durch eine dauernde Zersetzung) hervorgerufen wird, da der Muskeltonus schwindet, wenn man den Muskelnerv durchschneidet. Am ehesten wird man der Wirklichkeit nahe kommen, wenn man an- nimmt, dass dies im Elementargitter geschieht, da hier dieselbe Zu- standsänderung in gleicher Weise Fleetoren und Extensoren treffen würde, was notwendig wird der Fall sein müssen, da sich die Anta- gonisten im Ruhezustande das Gleichgewicht halten. Was nun den motorischen Impuls anbetrifft, so glaube ich, dass es nicht notwendig ist, ihn als etwas qualitativ neues, im Central- nervensystem erzeugtes anzusehen. Es genügt die Annahme, dass der rezeptorische Reiz, welcher dem Centralorgan zugeführt wird, durch das Elementargitter auf andere, in erster Linie direkt auf motorische Bahnen qualitativ und vielleicht auch quantitativ (?) un- verändert übergeleitet wird und erst hier eine Auslösung, die sich in der Muskelkontraktion äussert, hervorruft. — Ein quantitativer aber allmählieher (und nicht plötzlicher) Zuwachs ist jedoch nicht auszu- schließen und, wie mir scheint, für manche Verhältnisse sogar als wahrscheinlich anzunehmen. Ich habe hierbei die Erscheinungen im Auge, wo ein Reiz in verschiedenen Muskelsystemen einen Effekt her- vorruft, Erscheinungen, die ihren Gipfelpunkt in dem allgemeinen, auf einen kleinen Reiz eintretenden Tetanus finden. Hier würde der auf der rezeptorischen Bahn zugeleitete Reiz sich lawinenartig im Central- nervensystem ausbreiten. Lawinenartig, indem sich die Erregung unter stetigem Anwachsen durch das ganze Elementargitter ausbreitet, aber nicht plötzlich hier und dort explosionsartig eine Auslösung hervor- ruft, wie es die bisherige, auf der centralen Natur der Ganglienzellen Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 863 basierende Lehre annahm. Man darf diese Annahme der lawinen- artigen Ausbreitung ruhig machen, da der Vorgang der Leitung in den Primitivfibrillen — den ich im Centralnervensystem, vor allem im Elementargitter für qualitativ nicht anderer Natur ansehe, als im peripheren Nerven — schwerlich nur, wie es von manchen für die peripheren Nerven angenommen wird, eine einfache Leitung im physi- kalisehen Sinne ist, bei der die einmal durch den Reizungsakt er- zeugte lebendige Kraft sich unverändert und unvermindert fortpflanzt. Ich glaube vielmehr mit Pflüger [12], dass wir es mit einer fort- schreitenden Zersetzung zu thun haben, welche gleichbleiben, sich verringern und verlöschen kann wie eine Kerze, aber auch allmählich wie eine Feuersbrunst weit um sich zu greifen vermag, je nach der Nahrung die sie findet. Auch die Reflexhemmung wird bei dem neugewonnenen Stand- punkt nicht rätselhafter wie bisher. Wie sie sich durch Uebersetzung der seiner Zeit von Goltz |13] gemachten Annahmen in die Fibrillen- sprache erklären läßt, werde ich später zu zeigen versuchen. Es bleibt jetzt noch die Frage der sogenannten „psychischen Qualitäten“ übrig. Ich trete an sie mit Widerwillen und mit aller Reserve heran, aber es erscheint mir notwendig, sie hier im Zusammen- hang mit dem Vorhergehenden zu erörtern. Außer von Theologen — die ein Interesse daran haben, einen mittelalterlichen Standpunkt in diesen Fragen zu bewahren — und einigen Philosophen wird in der Wissenschaft wohl kaum noch irgendwo geleugnet, dass auch die Er- scheinungen, welche wir psychisch nennen, aufs engste mit materiellen Vorgängen und Zuständen in unseren Nervensystem verknüpft sind. Die vielen Erfahrungen am Krankenbett, die zahlreichen Experimente unserer großen Erforscher des Nervensystem, die Erkenntniss, dass überall, wo wir uns sonst in der Natur umblicken, alles dem Kausal- gesetz unterworfen zu sein scheint, (dass alles Wechselwirkung dessen ist, was uns als Materieimponirt) berechtigen uns anzunehmen, dassauch hier kein qualitativ anderes Geschehen ist, als in der übrigen Welt. Hier- bei bleibt es ganz gleichgiltig, ob wir in dem eigentlich Psychischen dieser Vorgänge, dem „Bewussten“ oder besser und allgemeiner ge- sagt dem „Subjektiven“, einen materiellen Vorgang selbst oder eine Begleiterscheinung eines solchen sehen wollen, denn unter dem nicht recht klaren Begriff „Begleiterscheinung“ können wir ja immer nur eine vollkommene Abhängigkeit von der Materie verstehen. Welche Stellung wir nun auch zu dieser Frage einnehmen, es bleibt immer das eigentlich Psychische dieser Vorgänge, das „Subjektive“ uner- kennbar und das einzige, was wir an den betreffenden Erscheinungen zu erkennen hoffen dürfen, sind die chemischen und physikalischen Vorgänge, die dabei En — darüber sind sich Philosophen und Naturforscher ziemlich einig. 864 DBethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. Diese chemisch-physikalischen Vorgänge und ihre Folgen d. h. das „Objektive* der psychischen Erscheinungen dürfen Gegenstand naturwissenschaftlicher Untersuchung sein, aber eben nur diese. Wenn wir so nur das „Objektive“ der psychischen Erscheinungen behandeln wollen und dürfen und das Subjektive derselben nur als Mittel be- nutzen, indem wir als Beobachter das „Objektive“ analysieren, machen wir den psychischen Vorgang ganz zum Objekt. Wir behandeln ihn, als ob ihm überhaupt das „Subjektive“ fehlte, wozu wir um so mehr berechtigt sind, als wir annehmen dürfen, dass ein psychisch begabtes Wesen unter Voraussetzung, dass man ihm das „Subjektive“ nehmen könnte, ohne die chemisch-physikalischen Prädispositionen zu ver- ändern, nach dem Kausalitätsgesetz genau ro handeln und sich äußern würde, wie mit dem „Subjektiven“, auf das wir ja ohnehin bei jedem menschlichen oder tierischen Wesen außer uns (d. h. außer- halb des Beobachtenden) nur aus Analogie von uns aus schließen, in- dem es eben subjektiv ist und nie objektiv werden kann. Wenn ich also im folgenden von psychischen Vorgängen: Er- innerungen, Gedanken u. s. w. spreche, so meine ich immer nur den objektiven, eventuell mit menschlichen Methoden aufklärbaren Vorgang und will damit über das Subjektive und Unerkennbare nichts ausgesagt haben. Bekanntlich werden von der Mehrzahl der Psychologen, Irrenärzte, Neurologen und wissenschaftlich gebildeten Laien die Erinnerungen in die Ganglienzellen der Großhirnrinde hineinverlegt und die Gedanken- arbeit als Funktion solcher Zellen angesehen. Ja man geht dabei soweit, die Frage zu stellen, ob eine einzelne Erinnerung in einer oder mehreren Zellen (wie in einer Schachtel) untergebracht ist, ob das Erinnerungs- bild der Rose in eine einzige Zelle gepfropft ist, oder der Begriff, die Farbe, die Gestalt, der Duft u. s. w. separirt aufbewahrt werden und erst bei Reproduktion der Erinnerung aus ihren Gehäusen heraustreten und sich zum Gesammtbild vereinigen. Ich habe nun gezeigt, dass bei den einfachen nervösen Vorgängen, den sogenannten Reflexen, die sich objektiv dadurch von den psychi- schen Vorgängen unterscheiden, dass wir bei ihnen einen kausalen Zusammenhang und einen gesetzmäßig immer wiederkehrenden Ab- lauf leicht feststellen können, und dass ihnen die Möglichkeit der individuellen Modifikation fehlt, dieser Vorgang nicht an die Ganglien- zellen gebunden ist. Es liegt daher kein Grund vor, bei den psychi- schen Vorgängen, die sich schwerlich, was das objektive Geschehen anbetrifft, qualitativ von den Reflexen unterscheiden werden, den Ganglienzellen eine Rolle einzuräumen, die ihnen dort nicht zukommt). 2) Man sieht, ich bin in diesen Fragen ganz radikal und ich habe mich auch nie dahin geäußert, dass bei dem Psychischen ein qualitativ ganz andres Geschehen sei, wie in der übrigen Natur. Dies scheint aber Jules Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 865 Der anatomische Aufbau der Großhirnzellen, soweit er sich auf das Verhalten des leitenden Elements bezieht, bietet einer derartigen An- nahme nicht die geringste Nahrung, denn wir haben gerade hier eine ausgesprochene Durchgangsstätte für die Primitivfibrillen vor uns. Wir Soury aus meiner Ameisen- und Bienen - Arbeit [3] herausgelesen zu haben. Er erinnert mich in seinem zum Teil sehr wohlwollenden Referat (L’interme&diaire des biologistes, 1898) unter Berufung auf Pascal und Spi- nosa, dass alles Psychische auch in uns maschinenmäßig, automatisch ab- liefe. Wenn er mit automatisch meint „nach dem Kausalitätsgesetz* — und das thut er offenbar — so bin ich ganz mit ihm einverstanden. Es war dies immer meine Ansicht. Das Wort automatisch möchte ich aber nach dem all- gemeinen Sprachgebrauch auch in der Physiologie nur für das sich gesetzmäßig immer wiederholende angewandt wissen, nämlich für die Reflexe und nicht für die sich in immer neuer Variation äußernden psychischen Akte. Im Gegen- satz hierzu stellt Soury am Anfang seiner Besprechung die Behauptung auf: „Leben ist Empfinden“ (sentir). Ich würde es verstehen, wenn er mit Häckel sagte: Wo kausales (eschehen ist, da ist Empfinden; aber von dem kausalen Geschehen einen Teil herauszunehmen, den wir als lebend definieren, und nur diesem Empfindung zuzuschreiben, scheint mir sehr gewagt, denn es wider- spricht der durchaus üblichen Bedeutung des Wortes „Empfinden“ und ist zu gleicher Zeit inkonsequent. Ich könnte Soury mit den Worten antworten, die er mir widmet: „Voilä la these. Ce n’est pas parce qu’elle est paradoxale qu’on la doit ecarter & priori*. Soury scheint mir ebenso wenig wie Wasmann (Biol. Centralbl., Bd. X VIII, Nr, 15) verstanden zu haben, welches denn eigentlich mein theoretischer Stand- punkt ist. (Es ist Wasmann nämlich wiederholentlich bei dem Referat pas- siert, dass er in einen Fehler verfällt, den er mir vorwirft, dass er nämlich nicht aufmerksam genug gelesen hat. Er giebt so verschiedentlich einen ganz andern Sinn wieder, als in meinen Worten enthalten ist. Indem er z.B. mehrmals „ist“ referiert, wo ich „scheint“ sage, werden mir geradezu lächer- liche Ansichten untergeschoben. Vor allem hat er aber meine Theorie von der polarisierten Ameisenspur ganz falsch verstanden und mir Einwände ge- macht, die in meiner Schrift schon widerlegt sind). Möglich, dass ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt habe, dann will ich meinen Standpunkt noch einmal kurz wiederholen: Nachweisen kann man psychische Qualitäten über- haupt nicht. Auch das was wir Empfinden nennen, kennt jeder nur von sich selbst, da es etwas Subjektives ist. Wir besitzen die Fähigkeit zu modifi- zieren und jeder weiß von sich selbst, dass grade bei diesem Modifizieren, die psychischen Qualitäten eine Rolle spielen. Jede Aussage, dass ein andres Wesen psychische Qualitäten hat, ist ein Analogieschluss, nichts Sicheres, also Glaubensache. Will man diesen Analogieschluss machen, so darf man es da am ehesten thun, wo man die Fähigkeit zu modifizieren nachweisen kann. Wo die fehlt, ist auch nicht die geringste wıssenschaftliche Berechtigung vorhanden, psychische Qualitäten vorauszusetzen. Sie können dasein, aber es liegt keine Wahrscheinlichkeit dafür vor, und darum sind sie von der Wissenschaft zu leugnen. Wenn man also überhaupt es wagen will, über Psyche bei Tieren zu sprechen, so darf man es am ehesten bei denen, die modifizieren können. XVII, 55 866 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. dürfen also nicht mehr annehmen, dass die Erinnerungen in Zellen untergebracht sind, hier schlummern wie das Murmeltier in der Winter- höhle, um dann und wann erweckt zu werden und wieder zur Ruhe zu gehen bis zur nächsten Gelegenheit. Wir dürfen nicht mehr sagen, dass die Gedanken sich wie Explosionen aus den Ganglienzellen ent- laden. Wo sollen wir aber nun die Erinnerungen hinverlegen, wo die Gedanken entstehen lassen? Wir sehen ein Netz von Leitungsbahnen, ohne eigentliche Haltepunkte, ohne Kraftstationen vor uns. Da sind keine Schachteln, die Erinnerungen hinein zu legen, keine Kraftdepots, von denen die Gedanken ausgehen könnten. Wo stecken sie, die Erinnerungen? Ueberall die gleichen Fibrillen, die sich alle miteinander verbinden. Wir mühen uns ab und finden nicht, was den Erinnerungen eine neue Ruhestätte gewähren könnte. Da ist doch zu überlegen: Sind denn die Erinnerungen überhaupt in uns? Wie kommen wir dazu, unser Gehirn für einen Shannon-Registrator anzusehen, in dem alles eingelaufene niedergelegt und nach Gesichtspunkten geordnet wird, um aus seinem „Fach“ genommen zu werden, wenn es gebraucht wird? Ich weiß keine Antwort. Es ist eine alte, ehrwürdige Hypothese, geheiligt durch Theologen und Philosophen, die uns eine unsterbliche Seele geben wollten, aber nur eine Hypothese. Es ist zu untersuchen, ob sie nicht durch eine andere zu ersetzen ist, die sich mit dem neu gewonnenen Standpunkt und vielen Erfahrungen besser verträgt. (Ein Teil der hier folgenden Erwägungen ist alt und bekannt. Ein anderer Teil und die Haupt- sache scheint mir neu zu sein; da ich aber nicht die gesamte philo- sophische Litteratur durchsuchen konnte und wollte, so ist es vielleicht möglich, dass einzelnes auch hiervon bereits geäußert ist. Das ist ja kein Schade!) Wenn man in dunklem, stillem Raum plötzlich aus tiefem Schlaf erweckt wird, so ist man zunächst völlig desorientiert. Die Hände greifen umher und bringen die erste Erinnerung. Sie unterrichten einen, wenn sie auf bekannte Gegenstände treffen, über den Ort, wo man sich befindet; es kommt die Erinnerung zu Bett gegangen zu sein und alles mögliche andre reiht sich daran an. Sind die er- fassten Gegenstände aber unbekannt, oder sind die bekannten in einer ungewohnten Lage (wenn man sich z. B. im Bette umgedreht hat, oder nach einer Narkose auf ein gut bekanntes, aber sonst nicht von einem zum Schlafen benutztes Sofa gelegt ist), so ist es manchen un- müglich allein auf dem Wege des Gefühls zu einer Orientierung und zu einer Erinnerung an die letzten Begebnisse des bewussten Zustandes zu gelangen. Ein bekannter Ton, ein Lichtstrahl kann die Orientierung, die man krampfhaft und trotz des wachen Zustandes vergeblich erstrebt, Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 867 mit einemmal bringen. Der Ton einer Turmuhr ruft die Erinnerung, dass man zu einer bestimmten Zeit zudem und dem Geschäft auf- stehen muss, hervor, und eine Menge anderer Einzelheiten der Er- innerung schließen daran an. Und welche Flut von Erinnerungen ruft erst die Erhellung des Zimmers hervor. Aber es fällt einem immer nur etwas ein, man erinnert sich nur an Dinge, die für einen selbst zu dem Gesehenen, Gehörten, Gefühlten in irgend einem Zusammen- hang stehen. Ganz nötige Dinge kommen einem, da sie keine Be- ziehungen zu den augenblicklichen Einwirkungen der Außenwelt haben, nicht zum Bewusstsein. Man steht auf, thut alles nach Gewohn- heit, nimmt sein Frühstück ein und erinnert sich erst, als man beim Heraustreten aus der Hausthür die von einem selbst bestellte Droschke erblickt, dass man nicht wie sonst ins Geschäft, sondern zu irgend einer besonderen Angelegenheit sich zu begeben hat. Solche Dinge kommen nicht nur bei zerstreuten Leuten, sondern bei fast allen viel- beschäftigten Menschen vor. Ja es wird berichtet, dass zum Tode Verurteilten erst einfiel, dass sie an diesem Tage zum Schaffot geführt werden sollten, als die Schergen kamen, sie abzuholen, und es ist eine oftgemachte Erfahrung, dass nächste Angehörige von unlängst Verstorbenen lange Gedankenreihen spannen, als wären sie noch am Leben, und erst beim Anblick des umflorten Bildes oder durch irgend eine andere Association zu dem Begriff „Tod“ in die Wirklichkeit zurückgerufen wurden. Derartig ausgesprochene Fälle gehören aller- dings nicht zu den Alltäglichkeiten, aber ähnlicher wird sich jeder aus seinem Leben zu Dutzenden erinnern. — Es geht hieraus hervor — und das ist nichts neues —, dass zu jeder Erinnerung, welche in uns auftauchen soll, und ebenso zu jeder Assoccation, ein äußerer Reiz notwendig ist, dass niemals eine x beliebige Erinnerung in uns re- produziert werden kann, sondern immer nur eine solche, welche Be- zug hat zu äußeren Reizen, die als Wahrnehmungen zu uns gelangen, oder zu inneren Reizen, als welche ich hier eine vorausgegangene Erinnerung bezeichnen will. Jeder der sich selbst gut beobachtet, wird finden, — und dies ist ja schon oft ausgesprochen worden —, dass auch bei noch so langen Gedankenreihen niemals ein wirklicher Sprung vorkommt; dass sich eine Assoccation aus der andern oder aus der andern in Verbindung mit einer zufällig durch das Erblicken eines Gegenstandes, Hören eines Tones u. s. w. hervorgerufenen Erinnerung ergiebt. Jede Gedankenreihe ist aber zurückverfolgbar auf einen von außen kommenden Reiz. Der Erinnerungswert gleicher Reize ist für die verschiedenen Menschen je nach ihrer Natur und ihren früheren Erlebnissen ver-. schieden. Dem einen hat der Geruch von Kattunkleidern gar keinen Erinnerungswert, der zweite denkt dabei an holde weibliche Jugend, 55 * 868 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. in dem dritten steigt, das Bild einer alten Plätterin auf, die im väter- lichen Hause die schwesterlichen Kattunkleider bügelte. Genug: Jede Assoceation ist Folge einer eben voraufgegangenen Er- innerung, jede Erinnerung Folge einer voraufgegangenen Wahrnehmung, jede Wahrnehmung verursacht durch einen äußeren Reiz, und so ist auch die letzte Schlussfolgerung einer langen Gedankenreihe mechanisch verursacht durch einen äußeren Reiz. Unvermittelt auftauchende Er- innerungen und Gedanken giebt es nicht. Ohne äußeren Reiz ist auch bei dem gescheutesten Menschen Erinnerung und Gedankenarbeit un- möglich; es ist dies nur so schwer sicher zu erweisen, weil Pforten, auf denen äußere Reize zu uns gelangen können, so viele offen sind, und die meisten Erinnerungen bei jedem Menschen zu Eindrücken verschiedener Sinnesorgane in Beziehung stehen. — Wollen wir schlafen, so suchen wir dunkle und geräuschlose Orte auf, legen uns so, dass möglichst wenig die Haut gereizt wird; die letzten Reize, die auf uns einwirkten, setzen sich als Träume des ersten Schlafes fort und dann tritt mit der Abnahme ihrer Energie der tiefe, bewusstlose (von manchen geleugnete) Schlaf ein. (Siehe Pflüger [12]). — Aeussere Reize, die nie ganz fehlen, sind nötig uns wieder zu erwecken. — Erhellt auch hieraus die Wichtigkeit der äußeren Reize für das psychische Leben, so ist von ganz besonderem Wert ein pathologischer Fall, den Strümpell |14] vor 20 Jahren beschrieb. Er beobachtete einen 15jährigen, ganz gut begabten Schusterlehrling, der nach und nach die Sensibilität der gesamten Körperoberfläche und der Leibesöffnungen, den Geruch und den Geschmack verlor, auf einem Auge erblindete und auf einem Ohr taub wurde. Sehenden Auges konnte er noch schreiben und vielerlei Hantierungen machen (soweit dies seine z. T. gelähmten Glieder zuließen), sowie ihm aber das gute Auge verbunden wurde, war er vollkommen hilflos. Ver- stopfte man ihm das hörende Ohr und verband man sein sehendes Auge, so verfiel er nach 2—3 Minuten mit vollkommener Sicherheit in tiefsten Schlaf, aus dem ihn kein Rütteln erweckte. Dagegen war er zu erwecken, wenn man Licht in sein gutes Auge fallen ließ oder ihn anrief. Aus diesem objektiven Befunde und der spontan ge- machten Aevußerung des Kranken: „Wenn ich nicht sehen kann, dann bin ich gar nicht“, geht hervor, dass auch dann, wenn gar kein Schlafbedürfnis vorhanden ist, die psychischen Thätigkeiten sistieren, wenn man im Stande ist, alle Brücken zur Außenwelt abzubrechen. Wir müssen also mit Pflüger sagen, dass zum Zustandekommen psychischer Vorgänge die Aufnahme von Reizen aus der Außenwelt, genau wie bei den Reflexen, unumgänglich notwendig sind. (Auf diese Bezieh- ungen hat in neuester Zeit besonders Bickel [15] aufmerksam gemacht). Sind keine Pforten vorhanden, auf denen differenzierte äußere Reize zu einem menschlichen Wesen gelangen können, so bleibt es Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 869 trotz seines schönen Centralnervensystems auf niedrigster Stufe stehen. So wurde die bekannte Amerikanerin Laura Bridgman erst Mensch im socialen Sinne, als es ihrem Lehrer gelungen war, ihr auf dem Wege des Gefühls differenzierte Reize verständlich zu machen. Wenn wir also sehen, dass keine Erinnerung in jedem Augenblick bereit ist, sondern immer eines Reizes zu ihrem Erscheinen bedarf, dass jede psychische Thätigkeit schwindet, wenn äußere Reize fern gehalten werden, dass sich psychische Thätigkeit trotz des vorhandenen Gehirns nicht einstellt, wenn die Fähigkeit Reize in richtiger Weise aufzunehmen fehlt, so kommen wir zu dem Schluss, dass das Nervensystem an sich keiner psychischen Thätig- keiten fähig ist, dass auch in dem ausgebildeten Gehirn an sich keine Erinnerungen enthalten sind und keine Gedanken entstehen können, sondern dass alles Psychische zweier Faktoren bedarf: des Gehirns und des äußeren Reizes, dass es in einem Hauptteil nur umgesetzte lebendige Kraft der außerhalb gelegenen Welt ist. Wir müssen an- nehmen, dass auch die Erinnerungen nicht in uns sind, nicht in uns aufbewahrt werden wie Gegenstände in Schachteln, sondern jedesmal zu Stande kommen, neu entstehen und wieder verschwinden, ein Geschehen und nicht ein Zustand sind. Das Gehirn ist befähigt unter gewissen Einflüssen, die und die ganz bestimmten Erinnerungen zu produzieren, aber es enthält sie nicht, denn auch die Erinnerungen sind kinetische Energie, nicht potentielle. Das Nervensystem liefert einen Teil dieser kinetischen Energie, indem potentielle Energie sich in kinetische umsetzt, aber ein Teil kommt von außen und ohne den sind sie nicht, wie kein Magnetismus im weichen Eisen ist ohne elek- trischen Strom. Wie beim Reflexvorgang sättigt sich die lebendige Kraft, welche als Reiz dem Nervensystem zugeführt wird, auch beim psychischen Vorgang jedesmal ab, mit dem Unterschied, dass sie sich nicht not- wendiger Weise nach außen hin, indem sie im Muskel eine Bewegung hervorruft, absättigen muss, sondern auch innerlich gebunden werden kann. Wenn ich einen Gegenstand sehe, der mich reizt, ihn zu stehlen, so kann die lebendige Kraft, welche bei seinem Anblick in mich hinein gelangte, in dem Ergreifen und in die Tasche stecken, sich absättigen. Andre nebenherspielende Eindrücke können aber den Entschluss bewirken, dass. ich ihn zu passenderer Zeit hole und ich be- ginne auf einen neuen Reiz hin etwas anderes zu denken. Auch dann ist der Prozess, der durch die Lichtstrahlen angeregt wurde, vollständig mechanisch erledigt. Um die Erinnerung an den Gegen- stand wieder entstehen zu lassen, bedarf es neuer lebendigen Kraft. Der erneute Reiz des Gegenstandes kann sie liefern, sie kann durch eine mir offenstehende Assoceation, die ihrerseits äußeren Ursprunges ist, herbeigeschafft werden. 870 Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. Ich sage zu einem Begleiter: „Ich habe einen Gedanken!“ und er sagt: „der wäre?“ so kann es mir passieren, dass ich antworten muss: „Ich habe ihn vergessen“. Denn ich hatte ihn nicht, als ich es sagte, sondern da hatte ich ihn gehabt. Das Sprechen, die Frage und andere neue Reize hatten die Brücke zu dem Gedanken ab- gebrochen. Der Blick fällt auf den Gegenstand, der den Gedanken an- regte, und sofort ist er wieder da, oder ich suche zurückzuverfolgen und finde die Brücke wieder. Aber er kann auch unwiderbringlich verloren sein, weil ich nie den Reiz wiederfinde, der zu seinem Ent- stehen notwendig war, indem ich nur eine einzige Beziehung zu ihm hatte, oder weil ich nie auf ähnliche Reize treffe, die ihn repro- duzieren könnten. Da ist also die lebendige Kraft abgesättigt, ohne einen andern äußern Erfolg als etwas Wärme oder dergleichen; und so geht es millionenmal an jedem Tage bei jedem Menschen. Behalte ich den einen gehabten Gedanken für mich, d.h. verleibe ich ihn wirklich meiner Erinnerung ein, wie man sagt, so besteht das darin, dass ich Beziehungen zwischen ihm und allen möglichen Er- innerungsbildern mache, so dass ich ihn zwar nicht auf jeden aber auf sehr viele Reize hin aus vielleicht verschiedenen Sinnesgebieten reproduziren kann. Trifft mich später ein solcher Reiz, so habe ich denselben Gedanken von neuem, aber er ist neu und nicht derselbe; es ist ein neues Geschehen und nicht dasselbe, so wenig wie die Strahlen der Sonne, die heute die Erde treffen, die gleichen sind wie gestern. Aeußere ich den Gedanken in Worten, so ist der Prozess für mich damit beendet. In den Schallwellen steckt ein Teil der kinetischen Energie, die den Gedanken in mir wachrief. Hört niemand die Worte, so bleiben sie Schallwellen. Hört sie ein andrer und versteht er sie, so hat er einen Gedanken. Ich habe ihm nicht meinen Gedanken mitgeteilt, sondern habe ihn gezwungen meinen Gedanken zu denken, zu seinem eignen zu machen. Predigt einer einer Menge und die Menge vollführt darauf die außerordentlichsten Thaten mit der gewaltigsten Energieentfaltung, so haben die Gedanken des Predigers die Thaten nicht gethan. Seine Gedanken waren zu Ende, als die Schallwellen seinem Munde ent- flohen. Diese Schallwellen haben in den Tausenden von Menschen eigne Gedanken entstehen lassen, die sich mit denen des Predigers zum Teil deckten, aber ihre und nicht seine waren. Was er ihnen gab, waren Luftwellen und keine Gedanken. — Und so ist es mit dem Schreiben. Schreibt einer seine Gedanken nieder (an sich schon ein sekundärer Prozess), so ist für ihn die Sache zunächst abgethan. Seine Gedanken stecken nicht in dem Papier; da ist nur Papier mit Tinte daran und es hat keinen andern mechanischen Wert als das Wärmeäqguivalent, das in Papier und Tinte steckt. Liest jemand die Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 871 Buchstaben, so sind es nicht die Gedanken des Schreibers, die er da herausliest; was er liest, wird sein Gedanke. Nicht die Energie, die der Schreiber beim Schreiben verwandte, geht auf ihn über — denn die wurde Wärme -- sondern das Licht der Sonne, bei dem er die Schrift liest; dies ist die Energie, die auf ihn übergeht und sie erregt in ihm seine Gedanken, Gedanken, die mechanisch seine eignen sind und die er nur fälschlich dem Autor zuerkennt. — Ein Gedanke hat nur für den Wert, in dem er geschieht und für niemand anders. Hat der gleichartig geschehende Gedanke für einen andern Wert, so dass er ihn objektiv nach außen äußern, in Thaten umsetzen kann, so ist es sein Gedanke und nicht mehr dessen, in dem er zuerst geschehen und der ihn in ihm durch Sprache, Geberde oder Bild erzeugt hat. Widerspricht nun aber diese ganze Anschauungsweise, besonders die von dem Geschehen und Nichtsein der Erinnerungen nicht dem eigentlichen Wesen dieser Begriffe? Muss nicht das Erinnerungsbild, damit es wieder zum Vorschein kommen kann, wenn auch nicht materiell, so doch wenigstens potentiell in uns enthalten sein? Es ist eine alte Erfahrung, dass eine alte Geige vor einer neuen den Vorzug hat, dass sie sich leichter spielt, dass die Töne, die auf ihr erzeugt werden, reiner und voller erklingen. Und ist die alte Geige lange nicht gespielt, so hat sie ihre schönen Eigenschaften wenigstens zum Teil verloren, gewinnt sie aber leichter wieder, als damals, wo sie sie zuerst erwarb. Was ist es, was bewirkt, dass die Töne, die oft auf dem Instrument gespielt sind, leichter entsprechen? Man nimmt an, dass jeder angestrichene Ton, der ja die ganze Geige schwingen lässt, eine derartige Veränderung in der Lagerung der Holzteilchen zurücklässt, dass sie leichter in dieser Richtung und dieser Schnelligkeit schwingen als in einer anderen. In der schönsten und leichtest auf alle Töne der Tonleiter ansprechenden Geige sind ebensowenig Töne enthalten, wie in der nie gespielten. Wasan potentieller Energie in ihr steckt, ist eitel Wärme; eine potentielle Vorstufe zu Tönen ist nicht in ihr vorhanden. Auch auf der guten Geige entsteht erst der Ton durch die lebendige Kraft, die der Strich des Bogens zuführt; aber sie gebraucht weniger lebendige Kraft, es geht weniger bei ihr verloren, sie spricht leichter an als die neue. Aehnlieh denke ich mir den Vorgang der Erinnerung. Jede Erregung, welche dem Nervensystem zufließt, ist im Stande eine geringe Veränderung auf dem ganzen Wege zu hinterlassen, im peripheren wie im centralen Verlauf der Primitivfibrillen. Aber bei einem einmalig kurz dauernden Reiz ist in der Regel die Hinter- lassenschaft sehr gering, wie nicht jeder falsche Ton, der auf einer Violine gespielt wird, sie schon zu einer 'spätern Reproduktion des- selben besonders geeignet macht. So gehen ungezählte Wahrnehmungen täglich an uns vorüber, ohne einen Erinnerungswert zu hinterlassen. 872 Bethe, Elemente des Nervensystems nnd ihre physiol. Bedeutung. Kehrt aber derselbe Reiz ausgehend von dem gleichen Objekt z. B. einer Gabel immer wieder, so hinterlässt er auf seinem Wege im Nervensystem eine merkliche Aenderung der Art, dass beim Wieder- kehren desselben Reizes, wenn also dieselbe Gabel oder auch nur ein Teil derselben oder eine ähnliche dem Auge sich darbietet, die Wahr- nehmung sehr viel leichter anspricht als zuerst; und dieses leichte Ansprechen ist die Erinnerung. Ein sehr starker Reiz oder auch ein schwacher, wenn er für den Erinnerungsgeübten qualitativ ganz neu ist, kann bereits die Disposition zum leichten Wiederanklingen mit sich führen. | Zunächst würde das Wiederanklingen gebunden sein an einen Reiz, der auf der gleichen Sinnespforte in uns gelangt. Die Be- obachtungen an Kindern bestätigen uns das. Dadurch, dass aber zu- gleich mit einem gewissen Gesichtseindruck — der bereits Erinnerungs- wert hat — regelmäßig ein bestimmter Klang oder dergleichen vor- handen ist, stellt sich eine Korrelation her, indem ja bei dem auch für die Wirbeltiere und den Menschen zu supponierenden, allseits sich verbindenden Elementargitter der Lichtreiz abgeschwächt, bis er ins Bereich der Gegend gelangt, wo sich die Acusticusfibrillen ins Elementargitter begeben und umgekehrt. Daher kann, wenn jetzt der Klang allein zur Rezeption gelangt, das optische Erinnerungsbild des Gegenstandes auftauchen, da der Reiz bis ins optische Gebiet gelangt und hier, wo sonst eben vorzugsweise optische Bilder hervorgerufen werden, das mit dem acustischen Reiz korrelierte optische Bild her- vorruft und nicht das Klangbild bis in das Gebiet ausdehnt. So ent- stehen die Assoziationen zwischen verschiedenen Reizqualitäten oder auch Quantitäten. Dass das Wiederklingen, das Erinnerungsbild, welcher Art es auch sein mag, immer (unter normalen Verhältnissen) weniger intensiv ist, als die Wahrnehmung selbst, ist dabei ganz selbst- verständlich. Alle Beziehungen, die wir zwischen verschiedenen Wiederklängen (Erinnerungsbildern) der gleichen oder verschiedener Sphären machen, haben für uns immer einmal in der Wahrnehmung zeitlich oder örtlich existiert. Es würde niemand zwischen „Federhalter“ und „Schreiben“ assoziieren, wenn er nicht einmal jemand mit einem Federhalter oder etwas ähnlichem hätte schreiben sehen. Jede weitergehende Assoziation ist immer nur Komposition aus Wiederklängen, die für die Person schon assoziiert sind, so dass auch das Resultat der längsten Gedanken- reihe immer nur Mosaikarbeit aus Wahrnehmungen ist, die sich der Person einmal geboten haben. Kurz: Alles Psychische ist ein Spiel der Reize der Außenwelt im Fibrillengitter des Gehirns. Die Verschiedenheit des anatomischen Auf- baues, die Verschiedenheit der früheren Reize und die damit ver- bundene verschiedene Fähigkeit auf dies und das anzuklingen und Bethe, Elemente des Nervensystems und ihre physiol. Bedeutung. 875 dies und jenes zu assoziieren, ruft die Verschiedenheit der psychischen Aeußerung, der Begabung und vielleicht auch des Temperaments her- vor. Scharfe Abgrenzungen psychischer Provinzen im Gehirn sind natürlich unmöglich. Die Gegenden, wo die von der Peripherie kom- menden parallel geordneten Fibrillen sich zuerst aufsplittern, werden am meisten mit den Qualitäten dieses Sinnesnerven zu thun haben, aber auch nicht mehr. Hat ein Mensch sich hauptsächlich mit Musik beschäftigt, so werden grosse Teile des Elementargitters dafür in erster Linie in Anspruch genommen sein, Teile die ein Tauber vielleicht ganz mit ins Bereich des Sehens gezogen hat. Ist nun das Psychische ein Geschehen im Fibrillengitter des Ge- hirns, so ist auch selbstverständlich, da alle Sinnesnerven durch das Gitter mit einander verbunden sind, dass eine dauernde Konkurenz der Reize im Gitter statt hat, dass immer nur ein Reiz in jedem Moment prävalieren kann, dass nicht zweierlei zugleich in der „Auf- merksamkeit“ sein kann. Auf hundert Wegen gelangt in jedem Augenblick lebendige Kraft als Sinnesreiz in uns hinein. Diese Reize stören sich gegenseitig, heben sich mechanisch vielleicht auf, und immer nur einer kann zu einer Zeit eine mechanische Aeußerung der Person nach außen, eine „Willenshandlung“ hervorrufen. Noch ehe aber die Bewegung realisiert ist, kann ein neuer Reiz den andern aufhalten und hemmen; die Be- wegung war intendiert, wurde aber nicht komplet. Tausendmal kann man in jedem Gespräch diese Konkurenz der Reize beobachten, die sich entgegentreten und sich stören, und auch denen, die schon im Begriff waren auf der motorischen Bahn zu entschlüpfen, den Weg nur allzu oft abzuschneiden. Die Fibrillenbahnen, die den reinen Reflexen dienen, sind wie be- stellte Aecker. Was auf ihnen geschehen soll und kann, ist von Geburt an bestimmt. Die Bahnen, die der Psysche dienen, liegen brach, wenn das Wesen geboren wird. Dies und jenes kann der „Zufall“ darauf aufkeimen lassen, für vieles aber ist der Boden oft zu schlecht. Wenn die hier kurz geäußerten Hypothesen vielleicht auch nicht besser sind als die bisherigen, so haben sie doch wenigstens den einen Wert, zu zeigen, dass die Leugnung der centralen Natur der Ganglienzellen die psychischen Vorgänge nicht schwerer verständlich macht, als sie bisher waren — und das ist allein ihr Zweck. [120] Litteratur. [1] Bethe, Das Nervensystem von Carcinus maenas. Archiv f. mikrosk. Anat,, I u. II: Bd. 50; TI: Bd. 51. [2] Derselbe, Vergleichende Untersuchungen über die Funktionen des Centralnervensystems der Arthropoden. Pflüger’s Archiv, Bd. 68, 1897. [3] Derselbe, Pflüger’s Archiv, Bd. 70, 1898. ! 874 Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. [4] Derselbe, Schwalbe’s Morpholog. Arbeiten, Bd. 8, Heft 1. [5] Allen, Quarterly Jonrn. of mikrose. Science, Vol. 36. [6] Apäthy, Mitteilungen aus der zoolog. Station zu Neapel, Bd. 12, 1897. [7] Semi Meyer, Berichte d. k. sächs. Gesellsch. d. Wiss. zu Leipzig, 1897. [8] Held, Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abt., 1897. [9] Auerbach, Neurolog. Centralblatt, 1898. [10] Golgi, Bollettino della societä medico -chirurgica di Pavia, 1898. [11] Nissl, Münchner mediein. Wochenschr., 1898. [12] Pflüger, Ueber die physiologische Verbrennung, und die Theorie des Schlafes. Pflüger’s Archiv, Bd.10, 1875. [13] Goltz, Beiträge zur Lehre von den Funktionen der Nervencentren des Frosches. Berlin 1869. [14] Strümpell, Archiv f. klinische Medizin, Bd. 22, 1878. [15] Bickel, Pflüger’s Archiv, Bd. 65 und Münchner mediein. Wochen- schrift, 1898. Dr. Ed. Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. Beiträge zur Kryptogamenflora der Schweiz. Bd. I Heft 1. (Bern. Druck und Verlag von K. J. Wyss). 1898. Die vorliegende Arbeit bietet eine entwicklungsgeschichtliche Unter- suchung von ca. 40 schweizerischen Uredineenspecies und zwar auf ex- perimentellem Wege durch Infektionsversuche. Im Folgenden sollen die Resultate, welche die einzelnen Species er- gaben, kurz zusammengestellt werden: Uromyces Junci (Desm.az.). Dieser Pilz bildet seine Aecidien auf Pulcaria dysenterica und geht nicht auf Buphthalmum salicifolium, wie von Winter angenommen wurde. Uromyces Fabae (Pers.). Die Form auf Vicia Oracca ist identisch mit derjenigen auf Pisum sativum. Lathyrus vernus und L. montanus, sowie Phaseolus vul- garis und Faba vulgaris werden von derselben nicht befallen. Uromyces Orobi besitzt keine wiederholte Aeeidienbildung. Uromyces Alchemillae (Pers.). N) alpınae Ed. Fischer. Die bisher ne Uromyces Alchemillae-Formen auf Alche- milla vulgaris, alpina und pentaphylla sind in die zwei angeführten Species zu trennen, von denen die erste auf A. vulgaris Uredo- und Teleutosporen, die zweite auf A. pentaphylla und alpına nur Teleuto- sporen zu bilden vermag. Uromyces Cacaliae (DC.). Das 'Teleutosporenlager auf Adenostyles alpına stammt von Utro- myces Cacaliae, der ein Mikrouwromyces ist und dessen Aecıdium also eine andere Unterkunft besitzt. Puccinia dioicae Magnus. Sie bildet ihre Aecidien auf Oirsium oleraceum, rivulare, palustre, spinosissimum, heterophyllum, nicht aber auf Taraxacum officinale, Aposeris foetida, Centaurea montana, 0. scabiosa, Senecio cordatus und Uhrysanthemum Lucanthemum. Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. 875 Puceinia Caricis frigidae Ed. Fischer. Die Aecidien wurden auf Cirsium spinosissimum und C. hetero- phyllum im Engadin gefunden. Infektionsversuche ergaben die Zusammen- gehörigkeit mit den Puceinia-Teleutosporen auf Carex frigida. Von P. dioreae unterscheidet sich diese Puccinia abgesehen von geringen Formunterschieden, durch das Unvermögen, auf Oirsium oleraceum und palustre Aecidien zu bilden. Pucceinia Caricis = montanae Ed. Fischer, Puceinia Aecidii = Leucanthemi Ed. Fischer. Es war eine sehr lange Versuchsreihe notwendig, um die Entwick- lungsgeschichte der Puccinta auf Carex montana klar zu legen. Die Experimente ergaben, dass diese Pflanze 2 Puccinia- Arten beherberge, von denen die eine die Aecidien auf Centaurea Scabiosa und montana und die andere auf Chrysanthemum Leucanthemum Aeeidien bildet. Fischer nennt diese beiden Species: Puccinia Caricis = montanae und Puceinia Aecidii —= Leucanthemi. Ihre biologischen Unterschiede sind größer als die morphologischen, wo es kaum möglich sein wird, die Formen der Teleutosporen von einander zu unterscheiden. Puecinia silvatica Schröter. Sie ging stets nur auf Taraxacum, niemals auf Lappa minor, wie es von Dietel mitgeteilt worden ist. Puccina Caricis (Schum.). Die Zugehörigkeit der Urticae- Aecidien war bisher zu den Teleuto- sporen folgender Carices festgestellt worden: Carex hirta, CO. riparia, ©. acutiformis, C. acuta, ©. Goodenoughü, C. Pseudocyperus, ©. pen- dula. Fischer fügt nun als neue Nährpflanze noch Carex ferruginea hinzu. Puceinia graminis (Pers.). Infektionsversuche dieser Teleutosporen auf junge Knospen von Ber- beris vulgaris sollte die Frage entscheiden, ob dieser Pilz im Stande sei, Hexenbesen zu erzeugen. Das Resultat war negativ. Puceinia Phragmitis (Schum.) und P. Magnusiana Körn. Die Versuche ergaben keine neuen Resultate. Die Puceinia zum Aecidium Ligustri Strauss. Teleutosporen, welche auf Phragmites communis (oder Phalaris arundi- nacea) gefunden wurden, ergaben auf Zigustrum vulgare infiziert, das Aeeidium Ligustri. Diese erwähnten Teleutosporen weichen morpho- logisch von denjenigen der Puccinia Phragmitis ab und stimmen mit denjenigen überein, welche G. Otth im Jahre 1865 schon als Puceinia arundınacea var. Phalaridis beschrieben hat. Fischer benennt sie als Puecinia obtusata. Puceimia Festucae Plowr. Die Teleutosporen auf Festuca rubra L. var. fallac Thuell er- gaben auf Lonicera nigra Aecidien, keine dagegen auf Rhamnus cathar- ttca und Rhamnus Frangula. Puccinia Festucae ist also nicht identisch mit P. coronifera und P. coronata. Puceinia persistens Plowr. Das Aecidium auf Thalictrum minus gehört zu einer Puceinia, die auf Poa nemoralıs var. firmula vorkommt. Diese Aecidien werden auch noch auf Th. aquelegifolium und foetidum gebildet. In den morpho- logischen Eigenschaften stimmt sie mit Precinia persistens ziemlich gut überein. 876 Fischer, Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. Puccia Smilacearum —= Digraphidis Klebh. Bestätigung der Beobachtungen Klebahns. Puceinia helvetica Schröter. Sie ist eine Drachypuccinia und findet sich auf Asperula taurina mit folgendem Entwicklungsgang: „Die Teleutosporen produzieren im Früh- jahr Basidiosporen, diese dringen in die jungen Blätter von Asperula taurina ein und produzieren ein Mycel, das nach 9—12 Tagen Spermo- gonien bildet und nach weitern 15—20 Tagen die primären Uredolager zu reifen beginnt. Ob dasselbe Mycel im Stande ist, später auch Teleuto- sporenlager zu bilden, wurde nicht festgestellt. „Die Uredosporen ge- langen auf neue und zwar diesmal ausgewachsene Blätter und Stengel von Asperula taurina und bilden dort ein Mycel, welches keine Spermo- gonien, sondern direkt wieder (sekundäre) Uredolager bildet, welche eirca 16 Tage nach der Infektion hervorzubrechen beginnen; an der Peripherie des gleichen Mycels entstehen später T'eleutosporenlager*. Puccinia expansa Link und Puceinia conglomerata (Str.). Für beide weist Fischer den Charakter ais Micropuceinia nach, von denen die erste auf Homoyyne alpına nicht übergeht und die zweite nicht auf Senecio cordatus. Puceimia Trollii Karst. Auf experimentellem Wege konnte nachgewiesen werden, dass die Puccinva, welche auf Trollius europaeus vorkommt, nicht identisch ist mit derjenigen auf Aconitum Lyecoctomum. Erstere, die Puccinia Trolli, ist eine Mekropuccinia. Puceinia Morthieri Körn. und Puccinia Geramii silvatiei Karst. Für beide Species wurde nachgewiesen, dass sie zu den Mikro- puccinien gehören. Beide kommen auf Geranium stilvaticum vor, unterscheiden sich aber, dass bei der zweiten Species die Entwicklung der 'Teleutosporenlager rascher vor sich geht. Pucceinia Anemones virginianae Schweinitz. Vier Versuchsreihen ergaben, dass diese Puccinia eine Mekropucernia ist. Dagegen geht die P. Anemones virginianae von Atragene nicht auf die Anemonen und umgekehrt diejenigen der Anemonen nicht auf Atragene. Puccinia Veronicarum DC. Diese auf Veronica urticifolha häufig auftretende Puccimia zeigt zweierlei Teeleutosporen: a) fragilipes, derbwandig, lebhaft gefärbt, leicht abfällig; sie keimen nicht sofort und b) persistens, dünnwandig, nicht abfällig; sie keimen sofort. Infektionsversuche ergaben ihre Zugehörig- keit zu derselben Species ohne regelmäßige Alternation im Auftreten. Puceinia Malwacearum Mont. Ihre Teleutosporen sind sofort keimfähig. Sie können jedoch über- wintern, indem die Kälte die Keimung verhindert. Gymnosporangium confusum Plowright. Es wurde nachgewiesen, dass dieser Pilz, dessen Aecidien auf Uydona und COrataegus vorkommen, die Teleutosporen auf Juniperns Sabina schon im ersten Frühjahr ausbilden kann. Gymnosporangium celavariaeforme (Jacg.). Die Teleutosporen wurden von Juniperus communis genommen und ergaben positive Resultate auf Orataegus monogyna, Pirus Malus und Pıirus communis. Fischer, Entwickiungsgeschichtliche Untersuchungen über Rostpilze. 877 Gymnosporangium tremelloides A. Braun. Teleutosporenmaterial von Juniperus communis wurde auf Sorbus Aria, S. Aucuparia, Pirus commamis, P. Malus und Oydonia vul- garis infiziert und ergab den Schluss, dass Aecidium peniveillatum zu dem zweigbewohnenden Gymnosporangrium tremelloides gehört, und dass dieses nicht identisch ist mit @ymnosporangium Juniperinum. Melampsora Larieis R. Hartig. Die Teleutosporen stammten von Populus nigra var. pyramidalis und ergaben auf Lariz decidua positive Resultate, während Allvum ursinum, Pinus silvestris gesund blieben. Zu dem gleichen Resultate führten Infektionen mit Teleutosporen von Populus tremula. Oronartium asclepiadeum (Willd.) und Cronartium flaccidum (Alb. et Schw.). Die Experimente ergaben die Identität dieser beiden Species. Coleosporium Inulae (Kz.). Durch zahlreiche Versuche wies Fischer nach, dass diese Species auf Inula Vaillantii und auch auf Inula Helenium (?) ihre Teleuto- sporen erzeugt, welche dann auf Pinus silvestris übertragen Aeeidien hervorbringen. Dieses Coleosporium ist nicht identisch mit (. Senecionis, ©. Tussilaginis, C. Sonchi-arvensis, O. Cacaliae, ©. Campanulae. Coleosporium Seneciomis (Pers.). Es befällt höchst wahrscheinlich Senecio cardatus, Adenostyles alpina, Inula Vaillantii und Sonchus oleraceus nicht. Die Selbständigkeit der Art wurde noch für folgende Üoleosporium- Arten nachgewiesen: 0. Sonchi-arvensis (Pers.) mit den Teleutosporen auf Sonchus asper, oleraceus, arvensis und den Aecidien auf Pinus selvestris. C. Tussilaginis (Pers.). Teleutosporen auf Tussilago Farfara. Aecidien auf Pinus silvestris. 0. Cacaliae (DC.). Teleutosporen auf Adenostyles alpina. Aeeidien auf Pinus montana und P. silvestris (?). C. Petasitis De Bary. Teleutosporen auf Petasites officinalis. Ae- eidien auf Pinus silvestris. C. Campanulae (Pers.). Teleutosporen auf Campanula Trachelium. Aecidien auf Pinus silvestris. Im theoretischen Teile führt der Verfasser noch eine Reihe von Bei- spielen an, welche ihn zu dem Satze veranlassen: .‚Auf den Nährpflanzen der Aecidiengeneration bestimmter heteröcischer Arten kommen auch Lepto- Formen vor, deren Teleutosporen mit denen der betreffenden heteröcischen Art annähernd oder völlig übereinstimmen.“ Von diesen Beziehungen zwischen Uredineen, welche alle Sporenformen besitzen und solchen von reduzierten Entwicklungsgang glaubt der Verfasser Anhaltspunkte zur na- türlichen Systematik der Puccinia-Arten gewinnen Zu können, Auch auf das Thema über die biologischen Arten kommt der Ver- fasser zu sprechen. Unter biologischen Arten versteht man solehe Uredi- neen, die morphologisch nur wenig verschieden sind, aber in der Auswahl der Nährpflanzen sich scharf von einander unterscheiden. Es wird jeden- falls noch eine große Reihe von Untersuchungen nötig sein, bis man diese Erscheinung, die man mit Recht als in der Gegenwart sich ab- spielende Artendifferenzierung bezeichnen kann, klar durchschaut. Könnte 878 Kohlbrugge, Der Atavismus, es nicht möglich sein, dass bestimmte chemische Verbindungen, welche die eine Wirtpflanze von einer andern Species unterscheiden, dabei eine Rolle spielen, oder allgemeiner gesprochen, dass bestimmte physiologische Bedingungen diese Artendifferenzierung hervorrufen ? [118] Hans Bachmann (Luzern). Dr. J. H. F. Kohlbrugge, Der Atavismus. I. Der Atavismus und die Descendenzlehre. II. Der Atavismus und die Morpho- logie des Menschen. Utrecht 1897. Schon von verschiedenen Seiten ist gegen die Ueberschätzung des Atavismus, wie sie sich z. B. bei Haeckel, Testut und Wiedersheim findet, Einsprache erhoben worden. Auf anthropologischem Gebiet haben namentlich Ranke!) und Virchow an den vorgeblichen Atavismen, die man in den Anomalien der menschlichen Schädelbildung, in der Hyper- trichose, in gewissen menschlichen Rassenmerkmalen u, s. w. gefunden zu haben glaubte, eine strenge Kritik geübt. Ferner hat Emery im Biolog. Centralblatt (XVI, Nr. 8) sich mit Recht dagegen ausgesprochen, dass man in willkürlicher Weise für jede beliebige Anomalie des Menschen- leibes je einen seiner vermutlichen Ahnen verantwortlich mache; er suchte den Begriff des Atavismus auf jene ahnenähnlichen Bildungen zu be- schränken, die sich aus der Ontogonie der betreffenden Art als wirklich „ahnenerbliche“ Bildungen erweisen lassen. Neuerdings hat nun ein auf Java weilender Forscher, Dr. Kohl- brugge, die theoretischen wie die thatsächlichen Grundlagen des Atavis- mus in obenerwähnter Schrift einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. Er unterscheidet die atavischen Erscheinungen, die auf den Erfahrungen der Tierzüchter beruhen und dem Gebiete der Thatsachen angehören, von jenen atavischen Erscheinungen, deren Deutung als Rückschlag in eine Ahnenform auf descendenztheoretischen Hypothesen beruht und daher dem Gebiete der Spekulation angehört. Unter letzteren unterscheidet er wiederum drei Klassen: a) vorübergehende palingenetische Embryonalbildungen und rudimentäre Organe; b) Entwicklungshemmungen und c) eigentliche ata- vische Bildungen. Nur die letzte dieser drei Klassen lässt er als eigent- liche Atavismen gelten. Die sogenannten palingenetischen Bildungen in der Ontogonie und die rudimentären Organe schließt er von diesem Be- griffe aus, weil sie gesetzmäßige, nicht ausnahmsweise auftretende Er- scheinungen sind. Die Hemmungsbildungen schließt er aus, weil zu ihrer Erklärung ontogenetische Ursachen genügen und es deshalb unbegründet ist, sie als Ahnenerbschaften zu erklären. Er sucht ferner zu zeigen, dass Emery’s Auffassung der atavischen Erscheinungen, die in diese zweite Klasse gehören, den Begriff des Atavismus eigentlich überflüssig mache und denselben durch den besser verständlichen Begriff der „Ent- wicklungshemmung“ ersetzen lasse, Als eigentlich atavische Bildungen will Kohlbrugge nur jene gelten lassen, welche zufällig, d. h. unver- mittelt auftreten und nicht als Hemmungsbildungen normaler ontogene- tischer Durchgangsstufen erklärt werden können. Aber gerade bei diesen Bildungen ist ihre hypothetische Deutung als Erbstücke längst ausge- storbener Ahnen eine höchst problematische, eine Sache der spekulativen Willkür, wie bereits von Emery hervorgehoben worden war, der sie des- 1) Vergl. besonders dessen zweibändiges Werk „Der Mensch‘, 2. Aufl. Hertwig, Zelle und die Gewebe. 879 halb bloß als „ahnenähnliche“, nicht als „ahnenerbliche“ Eigenschaften bezeichnete. Durch diese Untersuchungen kommt Kohlbrugge zu dem Schluss: „Die Lehre vom Atavismus (im descendenztheoretischen Sinne) beruht nicht auf Thatsachen“ (S. 13). Für ihn sind „alle sogenannte atavische Anomalien neutrale Variationen, neutral in Bezug auf den gegenwärtigen oder zukünftigen Rassentypus, hervorgerufen ent- weder durch Variation oder durch Entwicklungshemmung. Die Hemmungen werden durch meist unbekannte, zufällige Störungen veranlasst, die sich meistens durch ungleichmäßige Verteilung der Wachstumsenergie äußern. Die Variationen beruhen auf der Variationsfähigkeit um ein Mittel, darum werden die Variationen stets den Charakter einer progressiven oder retro- gressiven Entwicklungsrichtung vortäuschen“ (8. 14). Im zweiten Teile seiner Schrift untersucht Kohlbrugge noch eine Reihe von vorgeblich atavischen Bildungen beim Menschen, und zeigt, dass dieselben nicht als wirkliche Atavismen, sondern als zufällige Ent- wicklungshemmungen u. s. w. zu erklären sind, die mit echten „ahnen- erblichen“ Bildungen nichts zu thun haben. [134] E. Wasmann. Oscar Hertwig, Die Zelle und die Gewebe. Grundzüge der allgemeinen Anatomle und Physiologie. II. Buch: Allgemeine Anatomie und Physiologie der Gewebe. Jena 1898. G. Fischer. Im Jahrg. 1894 dieser Zeitschrift wurde der erste Teil dieses Werkes angezeigt. Es wurde dort also eine Absicht des Verf. zitiert, seine Dar- stellung der Entwicklungsgeschichte, die rein morphogenetisch sei, zu er- gänzen durch eine physiologische Betrachtung derselben und Erörterung der Ursachen, die zur Differenzierung der Gewebe und Organe führen. Dieser Plan ist in dem jetzt vorliegenden Bande durchgeführt. Die Ausführung wurde dadurch verzögert, dass der Verf. in diesem Ge- biete Anschauungen weit verbreitet fand, denen er sich durchaus nicht an- schließen konnte. Er setzte sich in zwei Broschüren „Zeit- und Streit- fragen der Biologie“ mit der Vererbungstheorie Weismanns und der Mosaiktheorie der Entwicklung Roux’ auseinander!). In diese Disskussion griffen dann auch andere Forscher, insbesondere auch mit fruchtbaren experimentellen Untersuchungen ein. So wuchs dem Verf. der Stoff unter der Hand und er wurde veranlasst, seine nun gefestigten und geklärten Ansichten in diesem Buche als „Theorie der Biogenesis“ vorzutragen. Eine Beurteilung dieser Theorie ist in einer kurzen Anzeige nicht angebracht. Sicher werden eingehende Kritiken derselben von berufener Seite erfolgen. Ihre Hauptsätze sind die folgenden: „Die durch ihre Ab- stammung artgleichen Zellen, welche sich zu einem organischen System höherer Ordnung verbinden, werden im Laufe des Entwicklungsprozesses durch die Verhältnisse determiniert, in welche sie ein- treten.“ Diesen Ausdruck seiner Theorie ergänzt Hertwig durch drei „Gesetze*, I. „Die Wichtigkeit konstanter Verhältnisse für die Ausbildung besonderer Funktionen und Strukturen an den Zellen (Spezifische Ener- gie). II. Die Wichtigkeit der Wechselwirkung mit anderen Zellen für die Ausbildung besonderer Funktionen und Struktur in einer Zelle (Gesetz 1) Vergl. Biolog. Centralblatt, XVII, 769, 880 Hertwig, Zelle und die Gewebe. der physiologischen Arbeitsteilung). III. Entsprechend dem Grad ihrer Differenzierung wird die einzelne Zelle zu einem unselbständigen und ab- hängigen Teil einer übergeordneten Lebenseinheit (Gesetz der physiologi- schen Integration)‘. H. selbst giebt an, dass er sich mit seinen Anschauungen ganz wesentlich auf die Spekulationen Spencer’s und Nägeli’s stützt. Er habe nur versucht, an Stelle ihrer rein spekulativen Theorien eine solche zu setzen, die mit unseren heutigen Anschauungen von der wesentlichen Bedeutung der Zelle als Elementarorganismus übereinstimme. H. hat seine im wesentlichen schon in den „Zeit- und Streitfragen“ dargestellte Theorie in diesem Buch auf breitester Grundlage zu stützen versucht. Daher finden wir ein ausführliches Kapitel über den Begriff der Kausalität in der Biologie, eine ausführliche Kritik von Weismann’s Keimplasmatheorie, eine Erörterung der Vererbung erworbener Eigen- schaften, am Schluss des Buches ein Kapitel „ergänzende Betrachtungen“ mit den Untertiteln ‚‚das biogenetische Grundgesetz‘ und ‚das Prinzip der Progression in der Entwicklung“ und endlich eine historische Dar- stellung der Entwicklungs- und Vererbungstheorien seit Darwin. Hertwig selbst entschuldigt sich gewissermaßen in dem Vorwort, dass in Nachwirkung der Polemik seine Darstellung vielleicht eine für ein Lehrbuch zu subjektive Färbung erhalten habe. Nicht dies scheint dem Ref., wenn überhaupt etwas, tadelnswert, sondern eher der Umstand, dass die Symmetrie des ganzen Werkes „Zelle und Gewebe“ durch die Ein- fügung der eben genannten Kapitel etwas gestört worden ist. Das eigentliche Thema dieses Bandes, das ja auch zugleich den Hauptteil der Biogenesistheorie darstellt, ist in außerordentlich anregender Weise und mit Anführung sehr zahlreicher Beispiele, nicht nur aus den Gebieten der Entwicklungsgeschichte, Zoologie und Botanik, sondern auch aus der Pathologie, aus den Erfahrungen der Gärtner und der Tierzüchter dargestellt. Verf. handelt zunächst von den Individualitätsstufen im Or- ganismenreich, von verschiedenen Formen der Zellvereinigung (artgleich, symbiontisch, parasitär), vom Verkehr der Zellen im Organismus und den verschiedenen Wegen desselben; dann folgt der Hauptteil des Buches, in dem „die Faktoren der organischen Entwicklung“ behandelt werden. H. unterscheidet äußere Faktoren wie physikalische, chemische Bedingungen, aber auch von anderen Organismen (Parasiten, Embryonen) ausgehende Reize und innere Faktoren; die letzteren werden wieder eingeteilt in die Korrelationen der Zellen, Gewebe und Organe zu einander und in die inneren Faktoren im engsten Sinn, die ererbten Arteigenschaften der Zellen selbst. Im Anschluss daran werden auch pathologische Zu- stände der Gewebe und endlich die Formbildung bei Tieren und Pflanzen erörtert. Das vorliegende Buch läßt sich wohl dadurch am besten charakte- risieren, dass es durch die leicht verständliche Darstellungsform ebenso- wohl ein anregendes Lehrbuch ist als auch durch die auf reichem Thatsachen- material aufgebauten Spekulationen sowohl zu weiteren theoretischen Er- örterungen wie zu experimentellen Untersuchungen anregen wird. [131] "ern von A: Pe in a Br Das na = bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Alphabetisches Namen -Register, Agassiz 51. Blochmann 74, 77, 123, Chrapowicki 601. Allen 849. 267, 618. Chun, 98, 667. Andres 617. Bobrecki 737, 744. Cienkowski 578. Anikin 336. Bock, M. von 130, 614. Claude Bernard 813. Apäthy 218, 488, 704, 854. Bogdanoff 26. Claus 137, 604, 736, 849. Apstein 39, 175, 625. Bokorny 752, 809. Clessin 703. Arcangeli 214. Bonnier 470. Cohn F. 107. Arnold 286. Borge 529. Cohn, L. 589. Arrhenius, Svante 780. Bouvier 57. Conklin 16, 666. Auerbach, Leopold 157, Boveri 9, 11, 837. Crato 306. 859. Bower, Orpen 822. Creighton 813. Brady 84. Cuvier 608. Bachmann 301, 749, 878. Braem 662. Baer, v. 643. Brandt 52, 257, 475. Daddi 431. Baker 818. Brauer 667. Dahl 208. Balfour 643. Brebeck 386. Dall 58. Ballowitz 286. Brefeld 573. Darwin 817, 835. Barfurth 813. Brehm 63. Delage Yves 489. Bartels 261. Brun 164, Denys 286. Bary, de 107, 573. Buckle 751. Detmer 603. Bauer 304. Büchner 578. Disselhorst 32. Baur 239. Bütschli 54, Dixey 764. Behrens 511. Bugarszky 783. Dohrn 607, 744. Belajeff 209. Bullar 743. Dresen 78. Bellonei 287. Bumpus 568. Dreyer 645. Beneden, v. 737. Butler, Samuel 836. Driesch 645, 662. Bergh 560, 737. Butschinsky 737. Dubois, R, 475, 720. Bethe 578, 843. Duclaux 593. Bickel 868. Duncker 56% Birge 480. Car 87. Blanford 806. Carnoy 5. Ecker, A. 104. Bleibtreu 779. Carpiaux 600. Ehrlich 26. XVII. 56 882 Eimer 403, 721. Eisenschitz 306. Eisler 42, 682. Emeıy 6, 17., 878. Emmerling 596. Engelmann 637. Alphabetisches Namenregister. Goldsborough Mayer 229. Graher 87, 474. Gran 532. Greff 623, Grobben 12. Grübler 653. Erlanger, R.v.1, 11, 769. Gryns 777. Escherich 691. Exner 789. Eykmann 779. Feiertag 268. Field 4. Fischer 58. Fischer, E. 874. Fischer, N. 109, 597. Fischer, Bernhardt 306. Fischer, H. 778. Fleischmann 607. Flemming 5, 116, 286, 431. Fol 7. Forel 878. France 555. Frank 274, 597, Frech 111. Frenzel 516. Friedländer 837. Friese 609, Fruhstorfer 681. Fry, Edward 830. Galeotti 30. Galton 18, 835. Garbowski 457, 488, 704. Gauli 30. Gaupp, E. 104, 752. Gegenbaur 643. Gehuchten, van 489. Gerhardt 720. Gervais 289. Giard 621. Giesenhagen 273. Giltay 694. Godlewski 600. Goebel 273; 725. Göppert 257. Goette 643, 660° Golgi 859. Goltz 863. Haacke, W. 190, 607. 835. Haeckel 262, 380, 604, 643, 878. Häcker, V. 39, 658. Haller 57, 59, 87. Hallier 306, 590. Hamann 271. Hamburger 775. Hammar 432. Hansen 725. Hanstein 596, 726. Harting 608. Hartog 817. 837. Harrington 513. Hatschek 257. Haycraft 219. Hedin 777. Heidenhain 10. Hoppe-Seyler 785. Hubrecht 809. Hüfner 784. Huitfeldt-Kaas 625. Huppert 115. Huxley 605. Ihering, v. 51. Ihle 603. Ikeno 217. Imhof 169. Jaine 656. Jakobi 593. Jander 185. Jensen 115. Jickely 80. Johnson 33. Kaiserling 784. Kamerliug 386. Karsten 677. Kathariner 680, 810. Keller 241, 245, 545, 668, 689. Kelvin, Lord 834. Heider 658. Held 859. Helm 512, Hensen 29. Herbst 24 Anm. Hering 836. Hermann 5. Herrick 746. Hertwig, O. 24, 142, 188, 267, 647, 764, 837, 879. Hertwig, R. 605. Hersfeld 803. Heymons 412, 511, 663, 770. Hieronymus 306. Hilger 618. Hjort 658. Hirare 217. Hirth 311. Höber 774. t’Hoff, van 776. Hofmeister 210, 279. Holmgren 856. Holzner 603. Kennel 810. Kent, Savile 320. Kieritz-Gerloff 417. Kinoshita 601. Kionka 160. Kirchhoff 644. Kirschmann 650. Klebs 746. Knauthe 78. Kny 675. Kölliker 263. Köppe 779, 783. Kofoid 516. Kohlbrugge 878. Kohlwey 377. Kolkwitz 79. Kostanecki, von 10, 286, 2u9: Kosutany 599. Kraemer 341. Kröyer 606. Krüger 884. Küster 305. Kupfer 855. Alphabetisches Namenregister. Lacaze-Duthiers 768. Laloy, L. 65. Landolt 651. Lang 56. Langerhans 768. Langhoffer 609. Lankaster 768. Laurent 600. Lauterborn 2, 173,1 292,0 527. Lebrun 5. Leitgeb 669, Lendenfeld, v. 536. Lenhossek 537. Lester Ward 153. 95, 165, Leuckardt 221, 479, 721. Leydig 260, 723, 849. Lidforss 385. Linden, M. v. 103, 229, 380, 456, 509, 697. Linnaeus 608. Lister 86. Lloyd Morgan 758. Loew 752. Lorenz 402. Loven 768. Lubbock 19, 465, 578, 585. Mac Leod 470. Mae Murrich 43, 561, 743. Mann 283, 856. Marchat 600. Marshall 270, 578, 623. Matthews 2. Maupas 123, 181. Maurizio 764. Maurer 260, 262, 265. Mayer, A. 593. Mazzarelli 12, 13, 767. Mehnert 644, 660. Meisenheimer 767. Melzer 92. Merk 425. Meves 287. Meyer, Semi 859. Mez 507. Micholitz 60. Migula. W. 102. Milardet 214. Milne Edwards 606. Moebius 84. Molisch 690. Müller, H. 424. Müller, Johannes 42. Müller, Otto 167. Müller-Thurgau 596. Naegeli 190, 305, 880, Nagel 649. Neumann, E. 30. Nikiforoff 28, Nissl 859. Nussbaum, M.181, 557, 736, Ogata 30. Ognew 2%. Oka 619. Oltmann 748. Örschanski 386. Ortmann 139. Osawa 684. Otth 875. Oudemans 607. Overton 776, 839. Pagnoul 600. Pasteur 593. Patten 558. Pax 274. Pearson 570. Peck 513. Pelseneer 55, 774. Penard 74. Peragallo 164. Perrier 764. Perry 834. Pfeffer 101, 113, 140, 214, 213, 335, 399, 727: Pflüger 589, 863, 868. Platz 56, 59. Plateau 417, 469. Poljekoff 257, 431. Poulton 834. Powell 341. Pringsheim 214. Pruvot 768. Przesmycki 308. 883 Rabl 287, 427. Ramön, Pedro 106. Ramon y Cajal 880. Ranke 878. Ranvier 27. Rath, vom 5, 287, 677. Ranber, A. 31. Ray 249. Reibisch 48. Reibmayr 751. Reinke 7, 9, 286. Retzius 849. Rey Lankaster 57. Rho 772. Rhumbler 21, 33, 35, 61, 118. Rindfleisch 22. Ritzema Bos, J. 68. Rohde 539, 708. Romanes 578. Rösel von Rosenhof 623, Rosenthal, D. 479. Rosenthal, J. 384,403. 688. Rossljskaja - Koschewni- kowa 738. Roth 782. Rouget 495. Roux 22. Rüppel 61. Russ 682. Sabatier 685. Sabussow 183. Sacharoff 27, 30. Sachs 108, 279, 595, 725. Sack 257. Sala, Cl. 106. Samassa 103, 311, 642, 657. Sanfelice 286. Sarassin 15. Sars 768. Schab, von 50. Schäfer 590. Schaudinn 21, 83, 35, 36. Schellenberg 669. Schenk 279. Schewiakoff 95, 116. Schimper 597. Schmidt, Martin 165. 56* 884 Schmidle 528. Schneider 271. Schöndorff 777. Schostakowitsch 255. Schreiber 736. Schröder, Bruno 164. Schröter 527. Schütt 532. Schultze, Max 27, 854. Schwarze 27. Schwendener 187. Seeliger 136, 622. Seiroka Honda 805. Selenka 552, 607, 808. Seligo 165, Silvestri 510. Simroth 54, 86, 685. Sjöquist 783. Solger 293. Soury 865. Spalteholtz 428. Spencer ?79, 752, 817, 835, 880. Spengel 54, 57. Spuler 208, 753. Stadt, P. 63. Stahl 573, 668. Stauffacher 45. Steenstrup 259. Stefan 789. Steiner 749. Steudener 187. Stieda 92, 202, 263, 396, 402, 682. Stilling 480. Strasburger 214, 277, 727, 731, 840. Stricht, van der 286, Strodtmann 631. Strümpell 868. Susta 803. Szontagh 783. Tangl 783. Testuf 878. Tettenhammer 27. ‚ Thaxter 576. Thiele 58, 87. Tiebe 418, 465. Tigerstedt 687. Tönniges 659. Tornier 814. 475. Trautzsch 318, 357, 521. Trembley 270, 623. Trinchese 13, 768. Tschugunow 396. Unna 257. Verworn 86. Virchow 878. Voechting 276. Vries, De 603. :Alphabetisches Namenregister. Wagner, Franz von 130, 188, 614. Wagner, J. 737. Walther, Joh. 521. Wasmann, E. 17, 578, 879. Waszkiewiez 480. Wattenwyl, v. 456. Webber 218. Weber, Max 260. Weismann 121, 140, 203, 122.,2193, 811.832. Welcker 479. Wellmann 783. Wettstein 106. Wharton Jones 27. Whipple 521. Wiedersheim, R. 104, 262, 878. Wiesner 509, 673, 815. Wilson 3, 5. Woischwille 480. Wolff 599. Zacharias 161, 166, 299, 525, 714. Zaleski 599. Ziegler 10, 16. Zimmer 522. Zopf 735. Zschokke 102, 166, 720. Zukal 510, 573, 576. Zuntz 794. Zykoff 270. Alphabetisches Sachregister. A. Aasfliegen 590. Abraxas grossulariata 446. Abwehr gegen Prof. F. v. Wagner 614. Acanthometriden 52. Acanthopleura spinosa Brug. 60. Acariden 745. Accessorische dorso -laterale Organe 742. Acer campestre 679, platanoides 281. Achromatium oxaliferum 95. Acidalia tessellaria 446. Acolis exigua Tid. Aconitum Lycoctonum 576, napellus 66. Acorus calamus 529. Acraea egina 763. Actinastrum Hantzschiü Lagerh. 526, 534. Actinoglena Klebsiana Zach. 531, 714. Actinophrys 21, 26, 33, 36, sol 77. Actinosphaerium 33. Addisonia 58. Adenostyles alpina 874. Adianthum 678. Aecidium Ligustri Strauss 875, peni- eillatum 877. Aegialites hiaticula L. 365. Aegiothus Hornemanni Holb. 366, li- narta L. 363. Aesculus hippocastanum 677. Affen, Blattumkehr im Ei der A. 552, 808. After von Amphioxus 659. Agapanthus umbellatus 385. Agaricus campestris 746. Ageratum Mexicanum 692. Agrotis pronuba 447. Ajuga reptans L. 66, pyramidalis 68. Alchemilla alpina 874, pentaphylla 874, vulgaris 874. Alciopiden 43, 52. Algen des Riesengebirges 299. Allium oleraceum L. 66, scorodopra- sum L. 60, ursinum 877, vineale L. 66. Aloe vulgaris 676. Alpheus 746. Ameisenbiologie 5738. Ameisen, die zusammengesetzten Nester und die gemischten Kolonien der Ai 1% Ameisenleben, eine neue Reflextheorie des A. 578, Mitteilungsvermögen 584. Amoeba verrucosa 25, 115, 129. Amphimixis 148 fg. Amphinomiden 51. Amphioxus 659, 667. Amphipoda 737. Amphora ovaliıs Kütz. 527. Ampullaria 59, 699. Anabaena affinis Lemmermann 532, Flos Aqguae (Lyngb.) Bre&b. 532, 715, spiroides Klebahn 529, 532, 714. Analniere der freilebenden Larven der Opistobranchier 767. Anatomie des Menschen, Lehrbuch der A. Rauber 31. Anatomische Elemente des Nerven- systems und ihre physiologische Be- deutung 843, A. Nomenclatur, Ein- heitlichkeit derselben 192. 886 Anchistrophus emarginatus O.F.M. 719. Anpassungsfähigkeit phanerogami- scher Landpflanzen an das Leben im Wasser 241, 545. Anomalien der Nierenvenen 202. Anser leucopsis Bechst. 865, segetum 364. Anthidium (Gattung) 612, strigatum 609. Anthropologische Typen 193. Anthropologie in Kleinasien 197. Anurea aculeata Ehrb. 180, stipitata Ehrb. 714. Aphanizomenon Flos- Aquae (L.) Al- man 532, 719. Aphroditiden 43. Apidae 609. Apis (Gattung) 612. Aplysia-(Larve) 13, depilans 770 Aposeris foetida 874. Appendicularia 750. Arachnoidea 604, 607, 745. „Architypen“ im Pflanzenreiche 108. Arctia caja 811, purpurea 446, Argynnis Sagana 414. Aricia foetida 40. Artemia salina 589. Arten- und Rassenbildung 377. Arthropoda 604, 845. Atavismus 878. Attheya Zachariasi Brun. 526, und Rhizosolenia longiseta Zach. 161. Asarum europaeum L. 66. Ascaris 837. Asellus (Gattung) 738. Asperula laurina 876. Asplanchna Brightwelli Gosse 2,179, herricki de Guerne 714, priodonta Gosse 178, 528, 714, 719. Assulina semilunum Leidy 74. Astacus fluviatilis 437, 846. Asterias glacialis 2. Asterionella gracillima Heib. 526, 627, 714. Asymmetrie der Gastropoden, über die mögliche oder wahrscheinliche Herleitung der A. 54. Augenfleckbildung, Gesetz der A. 457. Aucuba japonica 676. Autonome Variationsbewegungen der Blätter 672. Sachregister. Autopotamische Planktonorganismen 523. Axolotl 28. B. Bacillariales aus den Hochseen des Riesengebirges 300. Bakterien, System der B. 102, Vor- lesungen über B. 104. Bacterium minutissimum 508. Bären-Arten 810, Balaena mysticetus Lin. 332. Balaenoptera musculus Lillj. 333, Sib- baldii Lillj. 334. Bambs-Arten 808. Basommatophoren, Urnieren der B. 16. Bauchganglien der Arthropoden 845. Befruchtung bei Metazoen 21, 33, 69, 113, durch unbewegliche Spermien 510. Begonien 831. Begonia ricinifolia 676. Berberis vulgaris 875. Bernicla brenta Pallas 365. Beteiligung der oberen Extremitäten beim Gehen 198. Bewegung der Lungenschnecken 86, B. der Hydra fusca L. 270. Biccia fluitans 278. Bierhefe, zur Kenntnis der B. 305. Bildung des Glykogens 813. Biologische Station zu Plön, Forsch- ungsberichte 288, 718. Biologische Studien an Pflanzen 241, 545. Bipalpus vesiculosus Wierz.u. Zach. 714. Bipinnarien 45. Blasia pusilla 278. Blattmoose 826. Blattschmetterlinge 410. Blattumkehr bei der Feldmaus 553, im Ei der Affen 552, 808. Blumentheorie Plateau’s 417, 465, 469. Blutuntersuchung, neue Methode 774. Blutgefäße, Verhalten derselben im Bereich der Bursae mucosae der Hände 199. Blutgerinnung, hemmendes Sekret 218. Bombus (Gattung) 612. Sachregister. Boreogadus polaris Sabine 369. Borstenartige Gebilde bei einem Hai 257. Bosmina lacustris 627, longirostris O. F. M. 715, obtusirostris 627. Botridium 728. Botryllius 667. Brachiolarien 45. Brachionus angularis Gosse 180. Brachionus bakeri Ehrb. 714, pala Ehrb. 180. Brachycephalie 194° Brachyuren 56. Brotolomia meticulosa 458. Bryopsis 732. Buccinum maculosum Lm. 701. Bulla hydatis 772. Buphthalmum salicifolium 874. Bythotrephes longimanus 627, 636. 718. Bythynia tentaculata 15. c. Cacteen 66, 68. Caenogenese 643. Calanus finmarchicus 100, propinquus 100. Calidris arenaria 361. Callidryas cubula 233. Callosoma promethea L. 230. Campanula Trachelium 877. Camptopoeum (Gattung) 612. Campylodiscus elypeus 719. Canaliferen 700. Cancellaria (Gattung) 700, cancellata L. 700, reeveiana 700, spengleriana 700, tuberculata Sow. 700. Canis lagopus L. 320. Capulus 14, hungaricus 769. Carchesium polypinum L. 714. Carcinus maenas 845. Carex acuta 875, acutiformis 875, ferruginea 875, frigida 875, Gorde- noughüi 875, hirta 875, pendula 875, Pseudocyperus 875, riparia 875, spec. 529. Cassis abbreviata L. 700. Catalog der Vögel Badens 512. Catocala-Arten 810. Caulerpa 732. Cavia cobaya 553. "887 Cellularphysiologie 844. Cellis sinensis Pers. 807. Cemoria s. Puncturella 58, 696. Centaurea Cyanus 419, montana 874, scabiosa 874. Centralnervensystem, die Funktionen des C. und ihre Phylogenese 749, der Arthropoden 846. Centralspindel 6. Ceratification (Verhornung) bei Myxo- myceten und Myxobakterien 573. Ceratina (Gattung) 612. Ceratium hirundinella 628, var. fur- coides 530, 714. Ceratoneis arcus 168. Cercocebus cynomolgus 809, Cercyonis alope 234. Cerebralganglion 750. Ceriodaphnia pulchella G.O.Sars 715, 718. Cerithium (Pyraeus) suleatum Born 699. Cervus tarandus Lin. 315. Chaetogaster diaphanus Gruith. 131,614. Chaetoceras muelleri 719. Chamaesaura tenuior 814. Chantransia spec. 527. Chelidonium majus 676, 693. Chemie der Fette 439, medizinische 384. Chemische Theorie der lebendigen Substanz 239. Chemnitzia lineata Roem. sp. Coralag 698. Chemoreflex 580. „Chitinbrücken“ von Spuler 232. Chlamydomonas tingens A. Br. 528. Chondromyces crocatus Beil. 576. Chromatin, Reduktionsteilung und die Funktion des Ch. 837. Chromoloris elegans 772. Chrysanthemum Leucanthemum 874. Chrysophanes phlaeas 458, Cidaria albicillata 446. Cimbex azillarıs 458. Cirrus und Cirrusbeutel von Triaeno- phorus nodulosus Rud. 183. Oirsium heterophyllum 874, 875, olera- ceum 874, palustre 874, rivulare 874, spinosissimum 874, 875. Cladoceren 658, 664. Cladophora 735. 888 Olathrocystis aeruginosa Henfr.529, 532. Olaviger (Gattung) 699. Closterium lineatum Breb. var. angu- statum Reinsch. 528. Clupea harengus L. 369. Cocculina spinigera 58. Coevus hesperidum 437. Coelastrum pulchrum Schmidle 531. Coelenterata 750. Coelioxys (Gattung) 612. Coelosphaerium dubium Grun. Kützingit Naeg. 532, 714. Coenophlebia Archidona Hew. 413. Colesporium Cacaliae 877, Campanulae 877, Inulae (Kz.) 877, Petasitis De Bary 877, sSenecionis 877, Sonchi- arvensis 877, Tussilaginis 877. Colletes (Gattung) 613. Coloenis dido 234. Columbella aspera Sw. 701, cendonulli Reeve 702, dorsata 701, (Atilia) ful- gida Reeve 702, (Atilia) hotessieri d’Orb.702, (Eugina) monilifera Pease 702, Philippinarum 701. Colutea arboroscens 670. Colymbus septentrionalis L. 363. Coniden 700. Conochilus unicornis Rousselet 714. Convolvulaceen 590. Copepoda-Larven 627. Coregonus lavaretus 636. Corethra plumicornis 437. Cormophyten 107. Corvus corax L. 361. Cosceinodiscus asteromphalus 516, occu- lus virıdis 516. Cottus scorpius L. 367. Craspedomonaden, Organismus 535. Crataegus monogyna 876. Cronartrium asclepiadeum (Willd.) 877, flaccidum (Alb. et Schw.) 877. Orucigenia irregularis n. sp. 302. Crustacea 604, 625. Crustaceenembryonen 736. Uryptomeria japonica 807. Cryptomonas ovata Ehrb. 527. Cupressineen 731. Cyanophyceen 720. Cyclas cornea 15. 932, der Sachregister. Cycelopiden 803. Oyclops 627, 636, oithonoides 529. Oyelopterus spinosus Müll. 368. Oyclotella comta Kütz. var. radiosa Grun. 526. Cydonia vulgaris 877. Oygnus musicus L. 365. Cymatopleura elliptica Breb. 527, Solea Breb. 527. Cymbella pediculus (Ehrb.) Kütz, 526. Cymothoa oestroides 562, 739, 743. Cyphoderia 70. Cypriniden 805. Oystophora cristata 327. Oytheridea lacustris 719. Cytogamie 38. Cytotropismus 22, 33, 38, 113. D. Danais plexippus Fabr. 230. Daphnella brachyura Liev. 715. Daphnia galeata 627, 636, longispina 0: 8% M.2715: Daphnien 803. Darmtraktus von Peripatus 656. Dasypoda plumipes 609. Daucus Carota 747. Delphinapterus Pallas 331, leucas 331, 369. Dendrocoelum lacteum 663. Desmodium gyrans 6172. Diaptomus gracilis 627, 636, sp. 715. Diatoma tenue Kütz. var. elongata Lyngb. 526. Diatomeen 795. Diatomeenflora von Berggewässern 166. Dictyophaerium ehrenbergianum Näg, 714 Difflugia bacillifera Pem. 36, con- stricta Ehrbg. 72, globulosa Duj. 37, 70, hydrostatica Zach. 715, lobo- stoma Leidy 34, 35. 37, 38, 72, pyri- formis Perty 81 Anm., ureceolata 35. Dinobryon elongatum Imhof 714, sertu- laria Ehrb. 526, 628, 714, stipitatum 526. Diospyros Kaki L. F. 808. Dioxys (Gattuug) 612. Diphyes arctica 98. Sachregister. Discorbina globularis d’Orb. 82. Disomiden 51. Doleschallia polibete 413. Doppelei eines Haushuhnes 304. Doritis apollinis 416. Dorussa macapa 699. Drepanopsetta platessoides (Fabr.) 367. Drepanopteryx phalenoides 458. Drift-Larven 45. Dufourea (Gattung) 612. E, Echinodermen 750. Einfluss des Klimas auf die anthro- pologischen Typen 193. Eiweißbildung in der grünen Pflanze 593. Eiweißsynthese im Pilzkörper 595. Elakatothrix n. gen. 302. Elasmobranchier 837. Elemente, anatomische, des Nerven- systems, und ihre physiologische Be- deutung 843. Endospermbildung 730. Entwicklung desMesoderms bei parasi- tischen Isopoden 557, b. Paludina 659. Entwicklungsgeschichtliche Unter- suchungen über Rostpilze 874. Entwicklungsgleichheit, unabhängige, bei Schneckengehänsen 697. Eneides 237. Energetische Epigenesis und epigene- tische Energieformen 311. Energidenlehre 725. Eosinophile Granulationen 26. Epeolus (Gattung) 612. „Epigenese“ und „Evolution“, Begriffe 188, 311, Entwicklungstheorie 646. Episcia bicolor 694. Epistylis lacustris 718. Epithelzellen, Beziehungen unterein- ander innerhalb der Drüsen 196. Equitiden 756. Erblichkeit 386, 402, 459, 817. Erfrieren der Pflanzen 690. Eriades (Gattung) 612. Erinnerung, psychische Qualität 867. Ernährung der Säuglinge 302. Eryeche-Gattung 590. Erzeugung monochromatischen Lichtes 650. 889 Eudorina elegans Ehrb. 526, 715. Eucera (Gattung) 610. Euglena acus Ehrb. 528, viridis Ehrb. 928. Euglypha 74. Euniciden 46. Eunonia Lavinia Cram, 411. Eunotia pectinalis 168. praerupta 168. Eupomatus 41. Eupotamische Planktonorganismen 523. Eurytemora lacustris 718. Evertebrata 750. „Evolution* und „Epigenese“, Begriffe 188. Evonymus europaea L. var. Hamilto- niana Maxim. 808, japonica Thumb. 808. Extremitätenhomologie 92, 195, 682. F. Faba vulgaris 874. Falco gyrfalco L 364. Farbenerosion, Gesetz der F. 457. Farblösungen, die monochromatisches Licht von möglichster Stärke durch- lassen 652. Farbenpracht der Insekten 456. Färbung der Schmetterlinge bei hohen Temperaturen 454, intravitale, der Vakuolenkörnchen der Hefezellen 306. Fauna der Seen 169, der Grönland- u. Spitzbergensee 313, 357, s. auch Plankton etc. Faunus Montfort. (Gattung) 699. Festuca rubraL. var. fallax Thuell 875. Fett, Entwicklung, Aufspeicherung und Abbau 429, Hautfett 425. Fette, Chemie der F. 439. Fettbildung in anderen Zellen 434. Fettläppchenr, Histologie und Anatomie der F. 426. Fibrillengitter systems 860. Ficaria ranunculoides Mot. 66, verna 549. Ficus elastica 676, indica Lam. 66. Fiona marina 772. Fische der Grönland- und Spitzbergen- see 367. des ÜCentralnerven- 890 Fissurella (Glyphis) asturiana 59. Floscularia mutabilis Bolton 714. Flüssige Strahlenfilter 649. Foraminiferen 35, 38. Formica-Arten 582, sanguinea 586. Forschungsberichte aus Plön 299, 718. Fortpflanzung, ‚ungeschlechtliche, der Phanerogamen 65, der Naiden 618. Fortpflanzungsprozesse 820. Fragaria fesca L. 66. Fragilaria capucina Desmaz 526, croto- nensis Kitt 526, parasitica W. Sm. 526, virescens Ralfs 526. Fratercula arctica L. 366. Fritillaria borealis Lohm. 100. Frosch, Anatomie des F. 104. Fuchsia coccinea 676. Fulmarus glacialis L. 366. Funktionen des Centralnervensystems und ihre Phylogenese 749, 843. Fusus tenutliratus Dkr. 700, variegatus Perry 700. 6. Gadus aeglefinus L. 369, carbonarius L. 370, morrhua L. 369. Galeocerdus arcticus Fab. 99. Gametophyt 827. Gammarus pulex 744. Ganglienzelle im Gegensatz zur Nerven- zelle 706. Gase der Gewässer, Kreislauf 785. Gasteropteron Meckeliri 14. Gastropoden 11, 54. Gauss’sches Gesetz 569. Gegenwart des Lichtes bei Eiweiß- bildung in der Pflanze 600. Gehen, Beteiliguug der oberen Ex- tremitäten 198. Gehirn, Furchen und Windungen 198 Genealogie 402. Geometriden 756. Germinalselektion 155, 753 Geranium Robertianum 676, silvaticum 876. Gerinnung des Bluts 218. Geschlechtsdimorphismus 450. Gewebe und Zelle 879. Grelenodinium acutum Apstein 528, 718. Sachregister. Gerinnungshemmendes Sekret der Hals- drüsen von Hirudo 218. Gliazellen 708. Gloiotrichia echinulata Richter 531,534. Gloxinien 831. Glykogen, Bildung des 813. Gonactinia prolifera 618. Gramineen 66. Granulationen, eosinophile 26. Graphosoma lineatum L. 456, punc- tatum 457. Grönland- und Spit2bergensee, Wirbel- tiere der 313, 357. Grundzüge der Vererbungstheorie 817. Gymnodinium fuscum (Ehrb.) 714. Gymnosporangium clavariaeforme (Jaecq.) 876, confusum Plowright 876, juniperinum 877, tremelloides A. Braun 877. Gymnelis viridis (Fabr.) 368. H. Haare und Zähne, mutmaßliche Homo- logie der 257. Halicore Dugong 485. Halictus (Gattung) 612. Haliaetus albicilla L. 369. Haliotis 61. Halsdrüsen von Hirudo medicinalis L. 218. Hamamelis japonica S. und Z. 808. Haminea hydatis 768, 772. Harelda glacialis L. 363. Harnblase, Sphinkteren 200. Hatteria punctata 684. Hefezellen 306. Heliconia dasyantha 677. Heliconiden 755. Heliconius 237. Helianthus annuus 69. Heliotropismus 748. Heliozoen 21. Helix pomatia 60. Hemisinus Swainson (Gattung) 699. Heterocope appendiculata 627, saliens 636, 718. Hieracium Pilosella L. 66. Hippoglossus vulgaris Flem. 369. Hirngewicht 475. Hirnwindungen 200. Sachregister. Hirudo medicinalis, Halsdrüsen und ihr gerinnungshemmendes Sekret 218. Holopedium gibberum Zadd. 627, 715. Homologie der Brust- und Becken- gliedmaßen 92, 195, 682. Homogyne alpina 876. Homöogenesis 697. Horadimorphismus 458. Hudsonella pygmaea Calm 186, 714. Hyalodaphnia ceristata 627, kahlbergen- sis 718. Hyalopus 86. Hydatina senta 181. Hydra fusca 270, viridis var. Bakeri 270. Hydrophilus 736. Hydrotropismus 748. Hylobates concolor 554. Hymenobolina parasitica 574. Hymenopteren 609. Hyperoodon rostratus Lillj 332. I. Icelus hamatus Kröyer 367. Idotea tricuspidata 739. Impatiens balsamina 439, noli tangere 670. Innervation der Drüsen 193, der Mus- keln 683. Insecta 607. Insektenblütige Pflanzen 417, 465, 470. Instinkt 17, Intelligenz 17. Intramyocardiale Nervenzellen 193. Inula Helenium 877, Vaillantii 877. Inzucht 751. Iris pseudacorus 529. Isoetes 215. Isopoden 736, parasitische 557. Juniperus- Arten 817, communis 876, chinensis L. 807, litoralis 808, rigida S. u. Z. 807, Sabina 876. K. Kallima - Formen, indische 410, rumia Wester 410. Katze, Skelett der 656. Karyogamie 38, 71, 127. Keimblätterlehre 662. Keimvariation 139. Kern der Trigeminus - Wurzel 201. 891 Kernteilung 1. Klima, Einfluss auf anthropologische Typen 193, photochemisches im ark- tischen Gebiet 815. Knospung von Ühaetogaster diaphanus Gruith. 131, 614. Koelreuteria paniculata Laxne 808. Kongress in Moskau 192. Kraniometrischer Zirkel 198. Kreislauf der Gase in unseren Ge- wässern 785. Kryptogamen 209. Kryptogamenflora der Schweiz 874. Küstenwald als Schutz gegen Spring- fluten 805. L Laccobius guttatus 720. Laemargus borealis Scoresby 99. Laemodipoda 608. Länge, Maße, Rauminhalt und Dichte des menschlichen Körpers 196. Lagopus hyperboreus Sund. 364, ru- pestris Gm. 361. Lamellibranchier 16. Landpulmonaten, Urnieren der 16. Landsäuger der Grönland- und Spitz- bergensee 315. Lappa minor 875. Larix decidua 877. Larus glaucus L. Brünn. 362, leucop- terus 363. Lasius - Arten 582, niger 582. Lathyrus montanus 731, 874, vernus 874. Lebendige Substanz 238. Lebensgeschichte des Maulwurfs 693. Lemna 67. Lepidium latifolium L. 66. Lepidoton dubium Seligo 527, 529. Lepisma saccharina 659, 663. Leptodora hyalina 435, 627, 715, 718. Lepus variabilis Pallas 321. Lestris crepidatus Banks. 363, longi- caudus Briss. 363, pommatorrhina Temm. 363. Ligia oceanica 558, 744. Ligustrum vulgare 875. Lilium bulbiferum L. 66, candidum 282, tigrinum 66. emarginatus 582, 892 Limax cinereoniger 89, maximus L. 88, 767. Limenitis Daraxa Doubl. 414, populi 414, Sibylla 414. Limnaea palustris 720, truncatula 719. Limnocalanus macrurus 627. Limulus 745. Linguatulidae 608. Liparus barbatus Eckström 368, Fa- bricii Kröyer 368. Listera ovata 424. Littorina littorea L. 569. Lonicera nigra 875. Lopadorhynchiden 43. Lota molara L. 370. Lumpenus Fabrici 368, medius Rhdt. 369, nebulosus (Fries) 367, nubilus (Richardson) 368. Lungenschnecken 86. Lycodes Rossi 368. Lycogala epidendron Fr. 574. Lyngbya contorta Lemmermann 531. Lyrapteryx Iyra 415. Lysimachia Nummularia 676. Lythrum salicaria 547. M. Macropis (Gattung) 610. Magelona (Larve) 42, 52. Magilus 59. Mallomonas acaroides Zach. 714. Malva rotundifolia 467, silvestris 467. Marantaceen 669. Marchantia polymorpha 837. Margarita imperialis 59. Marsenia 59. Mastax semicaecus Br. 456. Mastigocerca capucina Wierz. u. Zach. 714, hamata Zach. 714. Maß der Variabilität 569. Maulwurf 63. Mechanische Wirkung des Regens auf die Pflanze 673. Medicago sativa 670. Megachile (Gattung) 612. Megaptera boops Lillj. (Fabr.) 334. Melampsora Laricis R. Hartig 877. Melanatria Bowdich (Gattung) 699. Sachregister. Melania asperata Lam. 698, immanis Morelet 698, pantherina 698, spinata Godw. 698, subulata Lam. 698, tere- briformis 698, zeleborii Brot. 698. Melaniiden d’Orb. 697. Melecta (Gattung) 612. Melinaea parallelis 236. Melosira- Fäden 520, 714, granulata (Ehrb.) Ralfs 526, 534, varians Ag. 526, 715. Mergelus alle L. 366. Merismopedium elegans A. Br. 532, glaucum Näg. 532. Merops apiaster 681, -Arten 812. Merksysteme 311. Mertensia ovum 99. Mesoderm der Isopoden 557, von Pa- ludina 659. Metazoenbefruchtung 21, 33, 69, 113. Methoden der Blutuntersuchung 774. Micrococcus flavovirens 508, pyoalbus 508. Mimiery der Blattschmetterlinge 410. Mimicrytheorie 238. Mimosa pudica 678. Mitra cancellarioides Ant. 702, cereni- fera Lm. 702, erispata Schmidt 702. granulosa 699, pontificialis 699. Mitrariae 44. Mitraria Mülleri 47, 48, skifera 46, 48. Mitteilungsvermögen der Ameisen 584. Modderula hartwigi 95. Molekularattraktion 23. Mollusken, Urnierenartige Organe 12. Monochromatisches Licht, Erzeugung 690. Monodon monocerus Lin. 330. Monokotyleen 66. Motorischer Impuls 862. Mucor proliferus 255. Mundteile der Hymenopteren 609. Myodes torquatus 322. Myosotis palustris With 241, steineri Wartmann 545. Myriopoda 606. Myrmica - Arten 582. Mysis Chameleo 738, Lamournae 739. Myxobakterien 573. Myxococcus macrosporus 577. Myxomyceten 26, 573, 735. Reh- Sachregister. N. Nachtstellung der Blätter 668. Narcissus polyanthus 676. Natürliche Schöpfungsgeschichte 380. Naucoris cimicoides 458. Nauplius-Larve 605. Neidium affıne 168, bisulcatum 168, Iridis 168. Nectochäten 42. Neomysis vulgaris 737. var. baltica 138. Nephroasken 12. Nephrocysten 12, Nephrocyten 12. Nephthys 41. Nereiden 46. Nerita exuvia L. 699. Nerven, gemischte, der Crustaceen 849. Nervenelemente 488, 536, 704, 843. Nervenplasma 710. Nervenfasern, peripherische 475. Nervensystem 843. Nervenzelleim Gegensatz zur Ganglien- zelle 706, intramyokardiale 193. Nervus tegumentarius 849. Nester und Kolonien der Ameisen 17. Neuropil 843. Nierenvenen, Anomalien 202. Nicotiana rustica 695. Nitophyllum punctatum 691. Nitzschia sigmoidea W. Sm. 526. Noctuen 756. Nomada (Gattung) 610. Nuphar luteum 529. Nyctea scandiaca L. 361. Nymphaliden 756. Nymphonidae 608. ®. Octopus 750. Odobaenus rosmarus 327. Oedemia fusca L. 365, nigra L. 365. Oniscus (Gattung) 738, murarius 558. Ontogenie 643. Opistobranchier 12. 767. Orchis 67. Ornithogalum longibracteatum 66, 68. Ornithorhynchus 94. Orthogenesis d. Schmetterlinge 403, 444. Oscillatoria Fröhlichii Kütz. 526. 893 Osmia aenea 610, macroglossa 610. Ossifikation des ersten Halswirbels 198. Ostracoden 803. Ovibos moschatus 324. Oxalis acetosella 670. P. Pagophila eburnea Phipps 362. Palaenoptera Sibbaldii 260. Palingenese 643, 658. Palolowurm 337. Paludina 13, vivipara 197. Pandorina Morum Bory 526. Panmixie 759. Pantopoden 603. Panurginus (Gattung) 610. Panurgus (Gattung) 610. Papilio Agamemnon 415, Antenor 415, asterias Fabr. 230, Machaon 415, podalirius 410, ridleyanus 763, Tur- nus L. 230, Xanthus 415. Papilionaceae 671. Parapodopsis cornuta 737. Parnassius Amemosyne 810. Parthenosporen 749. Passive Schüttelvorriehtungen der Blätter 673. Patellina corrugata Will 82. Pedalion mirum Hudson 176, 714, 718. Pediastrum boryanum . (Turp.) 714, elathratum 716, duplex Meyer 714, reticulatum 716, simplex Breb. 534. Pelagische Polychätenlarven 39. Peridinium divergens 517, fusus 517, quadridens 530, tabulatum Ehrb. 528. Peripatus 656. Peripherische Nervenfasern 475. Peronia erinacea 168. Personalselektion 758. Petasites offieinalis 877. Petromyzon 699. Petroselinum sativum 424. Pflanzenmorphologie 273. Pflanzenphysiologie 335, 752. Phaeosporeen 732. Phalangium 745. Phalaris arundinacea 875. Phalaropus fulicarius L. Bonap. 362. Phanerogamen 65, 209, 241, 545. 894 Phaseolus multiflorus 680, 672, 874. Philine aperta 14, 768. Phlobetor ventralis (Cuvier und Val.) 367. Phoca barbata 325, groenlandica 326, hispida 327. Photochemisches Klima 815. Photographie 784. Phragmites communis 875. Phyllodociden 43, 46. Phylogenie 603. Phyllomorpha laciniata Vill. 457. Phymateus brunneri Bol. 456. Physiologie 245, 385, 668, 689, 720, 746, 844. Physiologische Ernährung der Säug- linge 303. Physcia pulverolenta 575. Phylobius velatus 720. Pieriden 764. Pieris rapae L. 230, 810. Pilze 746. | Pinnularia viridis 167. Pinus densiflora 807, montana 877, sil- vestris 877, Thumbergii Paul 807. Pirenopsis Brot. (Gattung) 699. Pirus communis 876, Malus 876. Pisum sativum 874. Pithecanthropus alalus 380, Dubois 381. Plactogamie 33, 35, 37, 38. Plagiochila asplenioides 278. Plankton 98, 513, 625, 714. Planktonalgen aus norwegischen Süß- wasserseen 302. Planktonorganismen, autopotamische 523, eupotamische 523, tychopota- mische 523. Plasma, achromatisches 842. Plastische Spiegelungen 311. Plastogamie 114 fg. Plateau’s Untersuchungen über Blütenfarben 417, 465, 469. - Plectrophanes nivalis L. 361. Pleretes matronula 810. Pleurobranchien 769. Pleurotomiden 700. Pleurotoma australis Roissy 700, mar- morata Sm. 700. vulgaris erectus Sachregister. Pleurotomaria 61. Pleurosigma attenuatum Sm. 527. Plumbago capensis 678. Poa bulbosa L. var. vivipara 66, ne- moralis var. firmula 875. Podalirius (Gattung) 610. Polarität der Zellen 732. Polyarthra platyptera Ehrb, 179, 714. Polychätenlarven, pelagische 39. Polyclinum 667. Polydactylie 194. Polyedrium Schmidlei nob. 530. Polyergus rufescens 582. Polygonatum 67. Polygordius 42. Polyinfoetation 815. Polymmatus phaeas 153. Polynoinen 42, 46. Polyphemis pediculus 627. Polyzonia jungermanoidis 280. Pontigulasia- Arten 69, incisa Rhblr. 35, 70, spiralis 72, 75. Populus nigra var. pyramidalis 877, tremula 877. Potamides eheninum Brug. 698. Potamoplankton, tierisches 522. Prakticum der wissenschaftlichen Photographie 784. Preisausschreibung 592. Primitivfibrillen 707. Primula chinensis 676. Profilstellung der Blätter 671. Propagation 819, kooperative 824. Prosobranchier, äußere Urnieren der 12. Prosopis (Gattung) 613. Protogonius (Gattung) 759. Protohydra Leuckartii 623. Protoplasma, Struktur des 459. Protospongia Haeckeliüi 820. Protrachcata 607. Pseudacraea boisduvalii 763. Pseudocreobotra ocellata Serv. 457. Psilura monacha 734. Psithyrus (Gattung) 610. Psychische Qualitäten 863, der Ameisen und Bienen 578. Pteridophyta 211. Pteris: cretica 830. Pteropus edulis 553. Sachregister. Puccinia Aecidi — Leucanthemi Ed. Fischer 875, Anemones virginianae Schweinitz 876, Carzcis frigidae Ed. Fischer 875, Caricis — montanae Ed. Fischer 875, Caricis (Schum.) 875, glomerata (Str.) 876, coronata 875, coronifera 875, dioicae Magnus 874, expansa Link 876, Festucae Plowr. 875, Geranü silvatiei Karst. 876, graminis (Pers.) 875, helvetica Schröter 876, Magnusiana Körn. 876, Malvacearum Mont. 876, Morthieri Körn. 876, obtusata 875, persistens Plowr. 875, Phragmitis (Schum.) 875, silvatica Schröter 875, Smilacearum — Digraphidis Kleb. 876, Trollii Karst. 876. Veronicarum DC. 876. Puget Sound, Plankton des 513. Pulicaria dysenterica 874. Puncturella (Cranopsis) arturiana 58, s. Cemoria 58. Purpuriden 699. Pyenogonidae 608. Pygaera bucephala L. 457. Pyraliden 756. Pyramidella 698. Pysophora hydrostatica 99. Q. Qualitäten, psychische 578, 863. Quercus-Arten 807, dentata Thumb. 808, glandulifera Bl. 808. Querdurchmesser des Gesichts 199. R. Rädertiere 73, Sommerformen 174, in der Oder 528. Rana fusca 22. Ranunculus repens L. 66. Raphidium longissimum Schröd. 528, polymorphum Fres. 528. Rapskeimlinge 693. Rassenbildung 377, 819. Rathkea 667. Raubameisen 582. Reduktionskörper 123. Reduktionsteilung und die Funktion des Chromatins 837. Reflexhemmung 863. Reflextheorie des Ameisenlebens 578. 895 Reflexvorgang 847, 86°. Regen, mechanische Wirkung Pflanzen 673. Regenbogenfärbung, Gesetz der 456. Reproduktion der Rasse 819, Rhamnus cathartica 875, frangula 875. Rhizosolenia comensis 526, eriensis H, Sm. 164, 529, 717, Tlongiseta Zach. 526, 718, und Attheya Zachariasi Brun. 161. Rhizophlictis Braunii (Zopf) Fischer 534. palmellacearum 534. Rhizopoden 21, 33, 69, 113. Rhodosthetia rosea Macg. 362. Rhopaloceren 756, 812. Rhyparia melanaria 446. Rhytina borealis 485. Ricinula horsida Lm. 699. Rimula 59. Ringkerne 286. Rissa tridactyla L. 362. Rissoen 701, Rissoiden 701. Rissoina bellula A. Ad. 701, erythraea Phil. 701, labrosa Schwarz 701. Robinia pseudacacia 670. Rosa rugosa "Thumb. 807. Rostpilze 874. Rostraria 44, biremis 51, galeata 51, oxyrhina 51, platyrhina 51. Rotatorien 173. Rückenorgane der Crustaceenembryo- nen 736. auf S. Saccammina socialis Brady 71, sphae- rica M. Sars 71. Saccharomyces apiculatus 246, viciae 307, ellipsoideus 245. Sacculus viridis Gosse 181, 714. Sagitta 837, hamata Möb. 99, hexap- tera 100. Salix-Arten 808. Salmo alpinus L. 369. Samenfäden und Spermatogenese der Paludina vivipara 157. Samia cecropia L. 230. Satyriden 756. Säugetiere 313, 357, 637, 814. Saxicola oenanthe L. 360. cere- 896 Saxifraga aizoides L. 66, hypnoidesL. 66, tuberculata 66. Schädel der Steinzeit 138. Schädelindex in Norwegen, Beziehung zur Körpergröße, topographische Verteilung 194. " Schizocerca dicorsicornis 718. Schizopel 12. Schizozoel 15. Schlafstellungen der Blätter 668. Schlauchconferven 726. Schmetterlinge 229, 403, 454, Verfolgung durch Vögel 680, 810. Schnecken, Bewegung 86. Schneckengehäuse, Entwicklungs- gleichheit der 697. Schuppen 229. Schuppenmoose 826. Scabiosa artropurpurea A422. Scenedesmus bijugatus (Turp.)Kütz. var. flexuosus Lemmerm. 534, Opoliensis Richter 534, quadıicauda Breb. 528. Scymnus microcephalus Bloch. 369. Scyphistoma-Polyp 623. Sebastes norwegicus Müll. 369. Seeigelei 1. Sekret, gerinnungshemmendes der Hals- drüsen von Hirudo medicinalis 218. Sekundäre Wirkungen des Regens auf die Pflanze 679. Selache maxima 257. Selaginella 215. Semnopithecus nasicus 554. Sempervivum tectorum L. 68. Senecia cordatus 874. Sergi’s Schädeltypen in ihrer Be- ziehung zum Index des Schädels 196. Sigunculiden 46. Siphoneen 727. Skelett der Katze 656. Smerinthus tiliae 458. Solanum tuberosum 66. Somateria mollissima L. 366. Somateria spectabilis 363. Sommerformen der Rädertiere 174. Sonchus arvensis 877, asper 877, olera- ceus 877. Sorbus Aria 877, Aucuparia 877. Speicherfette der Pflanzen 438. Speicherstoffe der Pflanzen 438. Sachregister. Spermatogenese von Paludina vivi- para 158. Spermien, unbewegliche 570. Sphaerechinus granularis 2. Sphären s. Centroplasmen. Sphaerocystis Schröteri Chod. 714. Sphaeroma serratum 739. Siphecodes gibbus 609. Sphinkteren der Harnblase 200. Sphin& ligustri L. 456. Spiegelungnn, plastische 311. Spilosoma lucericipedum 754. Spinax nigra 267. Spindelfasern 6. Spioniden 46. Spirillina 85. Sponge spicula 520. Sporodinia grandis 746. Sporophyt 827. Sprache 17. Springfluten 805. Stammbürtige Blüten u. Aasfliegen 590. Staurastrum arctiscon Lund 531. Staurogenia fenestrata Schmidle 528, quadrata Morren 531. Staurophanum ceruciatum (Wallich) 531. Staurophrya elegans 718. Stelis (Gattung) 612. Stenopterobia anceps 168, Stentor 615. Stephanodiscus Niagarae Ehrb. 534, Hantzschianus Grun. 526. Sterigmatocystis alba van Tieghem 249. Sterilisationsvorgang 822. Sterna paradisea Brünn. 362. Stibochiona nicea 416. Stirnnaht und Stirn-Fontanellknochen beim Menschen 193. Stoßfestigkeit, absolute, rückwirkende, relative 674. Strahlenfilter, flüssige 649. Streifung, Gesetz der 456. Strichelung, Gesetz der 457. Stützsubstanz der Retina 202. Stylommatophoren 88. Suriraya striata 719. Surirella biseriata Breb. 527, Caproniti Breb. 527, splendida Kütz. 527. Sißwasserpulmonaten, Urnieren der 12. Syllis ramosa 136, 619. Saehregister. Synchaeta pectinata Ehrb. 180, tremula Ehrb. 180. Synedra capitata Ehrb. 527, tissima W. Sm. 526. Synura uvella Ehrb. 526. Syringa vulgaris 677. Systropha (Gattung) 612. delica- T. Tabellaria fenestrata Kütz. 534. Tabellen zum Gebrauch bei mikrosko- pischen Arbeiten 511. Tachyris zarinda Boisd. 414. Tanalia gardneri Reeve 699, loricata var. erinacea Reeve 699. Taraxacum officinale 874. Tardigrada 608. Teilung und Knospung 615, im Tier- reich 130. Telegonie 637. Terebelliden 46. Terebra corrugatum 698, muscaria 698. Testacea 33, 69. Tetramastix opoliensis Zach. 523. Tetrapedia emarginata Schröder 531. Textularia folium Park u. Jones 84. Thais-Arten 756, Cerysii 681. Thalictrum foetidum 875, aquilegifolium 875. minus 875. Thallophyten, Systematik der Th. 106. Thea japonica Nois. 808. Tiefenverhältnisse in ihrer Bedeutung zur Planktonproduktion 632. Tierfett, Skizze einer vergleichenden Anatomie vom T. 435. | Tinea pronubella 447. Tortrix corylana 811, heparana 811, padana 811, viridana 811. Tomopteriden 43, 52. ® Tracelius ovum 524. Tracelomonas caudata 531. Tracheaten-Einteilung 606. Trachusa (Gattung) 612. Tradescantia zebrina 676. Transspiration der Blattspreiten 669. Transplantation am Pflanzenkörper 732. Trepanation 194. Triaenophorus nodulosus 183. Triarthra longiseta Ehrb. 179, 719. 897 Trichia fallax Pers.573, varia Pers. 575. Trifolium alpestre 670. R Trigeminus-Wurzel, Kern d. oberen 201. Triglops Pingeli Rheidt. 368. Trinema enchylis Leidy 74, Pen. 74. Tringa alpina 365, canutus L. 361, maritima Brünn 366, minuta Leist. 365. Triticum repens L. 66. Triton alpestris 22, taeniatus 22. Trochophoren 40, Larve 568. Trochus (Solariella) infundibulum 59. Trollius europaeus 876. Trophische Funktion der Ganglien- zellen auf das Neuron 853. Tunicata 621. Turbo japonicus 700. Turritella-Gehäuse 699. Tussilago farfara 677, 877. Tyehopotamische Planktonorganismen 523. Typhloscoleciden 43. Tyson’sche Drüsen, vermeintliche 199. lineare U. Ulothrix zonata 825. Umbildung der Wirbelsäule 396. Umbrella mediterranea Lam. 12, 767, Unabhängige Entwicklungsgleichheit bei Schneckengehäusen 697. Unfruchtbarkeit, spezialisierte 824. Unterschiede in der Schädelform 195. Uredineenspecies 874. Uria arra 363, grylle L. 366, U. gr. variat. Mandtü 363. Urmund von Petromyzon 659. Urnieren, sogenannte, der Gastropo- den 11, der Landpulmonaten 16, der Süßwasserpulmonaten 12. Urnierenartige Organe bei den Mollus- ken 12. Uroglena volvox Ehrb. 528, 714. Uromyces Alchemillae (Pers.) 874, al- pinae Ed.Fischer 874, Cacaliae (DC.) 874, Fabae (Pers.) 374, Junci (Des- maz.) 874, Orobi 874. Uronectes viridis (Fabr.) 368. Ursus maritimus L. 324, 898 v: Vanessa antiopa L. 230, c-album 412, polychloros 412, prorsa 414, urticae 810. Variabilität, das Maß der V. 569. Variationen der Planktonmenge 629. Variationsbewegungen der Laub- blätter 671. Variationstheorie Weismann’s 833. Vaucheria 726. Vegetabilische Stoffbildung in Tropen und Mitteleuropa 694. Vegetationspunkt 826. Verbindungsfasern bei d. Kernteilnng 8. Vererbung 59. Vererbungsfrage 203, 753. Vererbungstheorie, Grundzüge der 817. Verfolgung der Schmetterlinge durch Vögel 680, 810. Verhandlungen des internationalen mediz. Kongresses in Moskau 192, gelehrter Gesellschaften 106, 815. Veronica urticifolia 876. Versammlung (70.) deutscher Natur- forscher und Aerzte 591. Versuche über Reizreflexe am Astacus 847. Verticillium 575. Viburnum Lantana 677. Vicia Cracca 374. Viola tricolor 676. Vitis riparia var. sauvage 599. Vögel der Grönland- und Spitzbergen- see 357. Volvoceen 720. Volvocineen 79. Volvox Eudorina 529, minor Stein 526, 532, globator 532, 826, 832. Vorkommen und die Bedeutung der eosinophilen Granulationen 26. den Sachregister. W. Wasseranalyse, mikroskopische 507. Wassersäuger der Grönland- und Spitz- bergensee 330. Willenshandlung, mechanische Aeuße- rung einer Person auf einen Reiz 873. Willkürliche Bestimmung des Ge- schlechts 589. Windblütige Pflanzen 469. Wirbelsäule, Umbildung der W. 396. Wirbeltiere in der Grönland- und Spitz- bergensee 313, 357. Wissenschaftliche Botanik, Elemente der 509. Wodurch locken die Blumen Insekten an? 469. X. Xanthoria parietina 575. Aylocopa (Gattung) 612. 2. Zelkowa acuminata Pl. 807. Zelle und die Gewebe 879. Zellenfortpflanzung, kollaterale 824. Zellkern, Zur Physiologie des pflanz- lichen Z, 385. Zellleib, Schalen und Kernverschmel- zungen bei den Rhizopoden 21, 33, 69,.1113. Zellularfortpflanzung, direkte ununter- brochene oder wechselnde 824. Zell- und Kernteilung (Befruchtung und Furchung des Seeigeleies) 1. Zellteilung 201. Zuchtwahl, natürliche 817. Zugfasern bei der Kernteilung 10. Zygaena carniolica 446, phegea 446. Zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien 173. N ln, Y RR oh ERS ” = < & = - © Ei E _ zZ e ai li