BE Te er MARINE BIOLOGIGAL LABORATORY. Received Accession No.. Given by Place, *,*No book or pamphlet is to be removed from the Lab- oratory wuithout the permission of the Trustees. Biologisches Centralblatt. 2 BER REEN 17 SU REIKI HI h AR 9 ee un i Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Zw asneZz re sb er Ban.d 1900. Mit 122 Abbildungen. Leipzig. Neesrlkarps vom Arehur Georgi. ‘1900, 404 K. b. Hot- und Univ.- Buchdruckerei von Fr. Junge (Junge & Sohn) Erlangen. Inhaltsübersicht des zwanzigsten Bandes. G=0rLeinsals R = Referat. Seite Ziegler, Theoretisches zur Tierphysiologie und vergleichenden Ana- tomie, O4 2: Ab ir on. : 1 Driesch, Von der Allgemeingiltigkeit Ben senaricher een 0 08,16 Steuer, Das Zoo-Plankton der en Donaussbem Wien Or 25 Mitteilung der Redaktion . . N 39, 33 Stölzle, K. E. v. Baer’s Selne zum Propiem Een: Zweckmspieköit 0 34 Kathariner, Die Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen O0 45 Bokorny. Physiologisches und Chemisches über die Peptonbilduug aus Eiweiß O0... : el A A AOL RE DS Duclaux, Traite de Mieröhiolosie R MI: Ale ©. 59 Friedländer, Mikroskopische Technik zum Fepracen bei ntehen und pathologisch-anatomischen Untersuchungen R . ... 64 Laloy, Der Scheintod und die Wiederbelebung als Anpassung an die Kälte oder an die Trockenheit O0. . . .. TEE RI Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des akku: R Ben Bler 1 Davenport, Statistical Methods with especial reference to een VALIAUOnE BA RUM MENSA SEHIERS Fuhrmann, Beitrag zur Biologie 085 Neienbareer Sr o a Naturae Novitates R . . BE dee Rs: MN 196 Buttel-Reepen, Sind ne Bienen Ralenadchinene? Benarimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene O0 . . . . 97, 130, 177, 209, 289 Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Teectibranchi 0. . 110 Dalla Torre, Botanische Bestimmungs-Tabellen für die Flora vou Oester- reich und die angrenzenden Gebiete von Mitteleuropa, zum Gebrauch beim Unterricht und auf Exkursionen zusammengestellt R . . , . 128 de Vries, Sur la f&condation hybride de Palbumen R . . ...... 1% Gräfin v.Linden, Die ontogenetische Entwicklung der Zeichnung unserer einhermisehen Molehe On ua are: 2: ht er ee a ra 1144, 226 VI Inhaltsübersicht. Seite Henri, Ueber die Raumwahrnehmungen des Tastsinns. Ein Beitrag zur experimentellen Psychologie R . AuR 167 Baldwin, Die Entwicklung des Geistes Beim Kind, se Ye ia: Hanke R 168 Aus den Verhandlungen der 84. Jahresversammlung der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft . .. 2. u we 170 Sarasin, Die Landmollusken von Celebes R . . . 2... 174 de Vries, Ernährung und Zuchtwahl O. ‚24193 Oppenheimer, Versuch einer einheitlichen Batrachungereise der Fermentprozesse O0 ER 198 L’annee biologiue R .... ee 208, 432 Bunge, Karl Ernst v. Baer’s Selling, zur heise) nach dan Abstammung des Menschen © . 2... Ren . 224 Thilenius, Bemerkungen zu en Aufsätzen der Herrön Kae: und Friedlaender über den sogen. Palolo. Biol. Ctbl., XVII, XIX O 241 Duncker, Die Methode der Variationsstatistik R . 243 Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege . 256 Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen OÖ ; 257 Cholodkovsky, Ueber den Lebenszyklus der Ohermes - en Ed die damit verbundenen allgemeinen Fragen O 265 Amberg, Die von Schröter- Amberg otulleiie See Rat. ter’sche Methode der Planktonzählung O ... 0 .200,29283 Gaupp, Ecker’s und Wiedersheim’s Anatomie des Tuselie R Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren © . . . . 304, Frank u. Krüger, Schildlausbuch. Beschreibung und Bekämpfung der für den deutschen Obst- und Weinbau wichtigsten Schildläuse. Be- arbeitet für die Praxis R. . . .. use Wasmann, Einige Bemerkungen zur eelerhenden Poycholagie und Sinnesphysiologie O. . . . . Ä : ni Escherich, Ueber das regelmäßige Vorkanmen von 1 Sprosspilzen in ae Darmenithel eines Käfers O. Wallengren, Uebersicht von der Bahn: en St. on Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen BR. . . 2 2 2.2. ..864, Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa Rr.Nn. tar 2... von. Nemeec, Die reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen O0. . . 3 Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata ho- minis O Re Bachmann. Die Plankionfinse wiktels Be Busse o RE ERIK Traube-Mengarini, Francesco Castracane degli Antelminelli O 401, Rywosch, Ueber die Bedeutung der Salze für das Leben der Organis- mMEnBO ee Pe RE u Ce CEE- TE, Tullberg, Ueber das Sn, der Nagetiere, eine phylogenetische Studie R Delage, Sur la f&condation merogonique et ses r6sultats R . Burekhardt, Faunistische und systematische Studien über das Zoo- plankton der größeren Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete R . Thilo, Ergänzungen zu meiner Abhandlung „Sperrvorrichtungen im Tier- reiche“, OL, IE Joachimsthal, Die angebnrenknyeshdung en der Aeren Extremitäten R Zacharias, Trichodina pediculus Ehrb. als Mitglied des Planktons der Binnenseen O Inhaltsübersicht. vl Seite Stölzle, Nochmals Karl Ernstv. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen O . . . . Ameunse 2 465,503 Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden- „Gattung Mindar us Koch O0. 419 Rosa, La riduzione progressiva della variabilitä e i suoi rapporti coll’ estinzione e coll’ origine delle specie R AR. sus: 486 Plateau, Treffen die Insekten unter den Farben eine Anzwahle Ta, 4% Reh, Einige Bemerkungen za der Besprechung von Frank-Krüger’s „Sehildlausbuch“ durch Th. Kuhlgatz in Nr. 9 des Biol. Central- blattes 1900 O . ; 493 Uexküll, Ueber die Stellung Alan er erallenden ER eloeie zur Hyno: these der Tierseele O . a I RE A IT Schlater, en Spoisplans Polscellalaria o nm 2 2508,0944 Przibram, Experimentelle Studien über Regeneration O 525 Imhof, Multiocelläres geflügeltes Insekt O0 527 Berthelot, Chaleur animale R N 528 Küster, Ueber einige wichtige Fragen der na oldsischen Pflanzen, anatemie O0... . > a 529 Gräfin v. Linden, Die Färbung und Zeiehnuns ne Dandb lernen 0 556 Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche O .„ 561 Goebel, Bemerkung zu der vorstehenden Mitteilung von Möbius OÖ 971 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare O . . s re 002 Tschermak, Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum 0 5 Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen 0 . . . . a 2595, 637, 665,869 7 Wesenberg-Lund, Von dem En Eko vorhalahs zwischen dem Bau der Planktonorganismen und dem spezifischen Gewicht des Süß- wassers OBEN: : .. 606, 644 Cholodkowsky, Ueber Han innlichen Beschlechtsanpanat von Üher Mmesall sn ne TATTERT 619 Herlitzka, Einiges über Ovarlontennsnlantatten o en 619 Jost, Die aan der grünen Pflanzen O. 625 Str ne Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf de schlechtsverteilung O0 . . Be 694, 6897.217.193 Höber, Ueber die Wirkungen dor Katalyasforon Da RR a 5! Hertwig, Lehrbuch der Zoologie R. . .. . Re 22,688 Bretscher, Ueber die ee der een: in der Schweiz O at 703 Imhof, Nachträglicher Ze zur Notiz über ein ulsideslläres Bestes Insekt:O . . : sie alt Kuhlgatz, Eridenng auf Bar Reiki von u To in N 14, Ba. xx, 1900 des Biol. Centralbl. „Einige Bemerkungen zu der Besprechung von Frank-Krüger’s „Schildlausbuch“ durch Th. Kuhlgatz* O. 718 Reh, Versuche über die Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse 0.7 27°. De Pe VAN II Kathariner, Ergänzung nl Bideraee 0% A 751 Möbius, Nachträgliche Bemerkungen über Parasitismus and re Reproduktion im Pflanzenreiche OÖ Be 786 Minchin, The Porifera, Eine neue ueannenfassende Yarstellung ae Schwämme R 789 VIII Inhaltsübersicht. Seite Korotneff, Zur Kenntnis der Embıyologie der Pyrosoma O0 . . .. . 79 Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae) RB... ... 0.0.0.8 Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzung der mathematisch-naturwissen- schaftlichen Klasse vom 19. Oktober 1899. Wettstein, Descendenztheoretische Untersuchungen . .» 2. 2... 464 Beriehtigungen s. S. 120, 464, 720, Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. Emil Selenka Prof. in München herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 1. Januar 1900. XX. Band rl Inhalt: Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergleichenden Neurophysio- logie. — Driesch, Von der Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. — Steuer, Das Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. — Mitteilung der Redaktion. Theoretisches zur Tierpsychologie und vergleichenden Neurophysiologie. Von Prof. Dr. Heinrich Ernst Ziegler. Th. Beer, A. Bethe und J. v. Uexküll haben für die ver- gleichende Physiologie des Nervensystems Vorschläge zu einer objek- tivierenden Nomenklatur gemacht!), welche eingehender Beachtung wert sind. Denn alle Naturforscher, welche sich mit der vergleichenden Physiologie des Nervensystems oder mit der Tierpsychologie beschäf- tigen, müssen bestrebt sein solche Begriffe zu gebrauchen, welche von der philosophischen Tradition unabhängig sind, welche ferner auf ob- jektiv beobachtbaren Merkmalen beruhen und den feststehenden Kennt- nissen über den Bau des nervösen Apparates Rechnung tragen. Zunächst ist es sehr erfreulich, dass die genannten Autoren ihre Definitionen vom Begriff des Bewusstseins unabhängig gemacht haben. Denn mit der Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Vorgängen ist in der vergleichenden Physiologie und Tierpsychologie gar nichts anzufangen, da man bei Tieren darüber nicht durch Be- obachtung entscheiden kann. Ich habe dies schon früher einmal recht deutlich betont?). Wie das Bewusstsein ist auch die Empfindung bei 1) Biol. Centralbl., 19. Bd., 1899, Nr. 15, S. 517 (ebenso im Centralblatt für Physiologie, 1899, Nr. 6). 2) „Der Begriff des Bewusstseins erweist sich in der vergleichenden Psycho- logie als völlig wertlos; wer kann wissen, wann ein Hund, eine Eidechse, ein Fisch, ein Käfer oder ein Regenwurm eine Handlung mit Bewusstsein oder unbewusst begeht?“ (H. E. Ziegler, Ueber den Begriff des Instinkts. Ver- handlungen der deutsch. zool. Gesellschaft, 1892, 8.123). xXX, 1 ) Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. Tieren nicht beobachtbar. Bewusstsein und Empfindung sind nur sub- jektiv zu erkennen. Die genannten Autoren wollen das Subjektive klar abtrennen. Sie unterscheiden: I. Den objektiven Reiz (d. bh. den physikalischen Vorgang, welcher ein Sinnesorgan trifft, oder die chemische Substanz, welche mit einem Sinnesorgan in Berührung kommt). II. Den physiologischen Vorgang (d. h. den Vorgang im nervösen Apparat oder auf sonstigen Leitungswegen im Organismus, von der Aufnahme in das Empfangsorgan bis zur eventuell erfolgten Reaktion). III. Die (eventuelle) Empfindung (d. h. das subjektive Ab- bild von II, also den eventuell ins Bewusstsein kommendeu Teil des Vorgangs, in der Form, wie er im Bewusstsein erscheint). Das sub III Genannte ist Gegenstand der inneren Erfahrung; die Empfindung kann von jedem Menschen nur bei sich selbst be- obachtet werden und wird bei anderen Menschen nur per analogiam als gleichartig angenommen. Bei Tieren muss man natürlich mit den vom Menschen ausgehenden Analogieschlüssen sehr vorsichtig sein, und sind solche Analogien für umso bedenklicher zu halten, je weiter das betreffende Tier im Typus der nervösen Organisation vom Menschen entfernt steht. — Eine Tierpsychologie, welche (wie die Philosophen es wollen) sich nur mit dem Subjektiven, also mit den Empfindungen und bewussten Vorgängen befassen würde, wäre eine lediglich speku- lative Wissenschaft, nur ein geringwertiges Gebäude von mehr oder weniger willkürlichen Annahmen. Es ist ganz unrationell, in der Tierpsychologie die Empfindungen in den Vordergrund zu stellen, man muss von dem Sichtbaren ausgehen, nämlich von den Reaktionen. Wenn die Tierpsychologie eine fruchtbare Wissenschaft sein will, muss sie sich auf die vergleichende Physiologie des Nervensystems stützen '). Da ich mich mit der Tierpsychologie in diesem Sinne beschäftige, sei es mir gestattet, zu den terminologischen Vorschlägen der genannten Autoren einige Bemerkungen zu machen und daran einige verwandte £rörterungen zu knüpfen. Während die meisten der herkömmlichen Ausdrücke nicht sicher erkennen lassen, ob der physiologische Vorgang oder sein subjektives Abbild, die Empfindung gemeint ist, schlagen Beer, Bethe und Uexküll für das physiologische Geschehen neue unzweideutige Aus- 4) Man braucht iiberhaupt auf die Abgrenzung der Psychologie von der Physiologie nicht viel Wert zu legen, da die Psyche ja auch nichts anderes als die physiologische Funktion gewisser Organe ist. Beim Menschen kann man einen methodologischen Unterschied machen, indem man als psychisch bezeichnet, was durch „innere Erfahrung“ erkannt wird, aber bei den Tieren ist dieser Unterschied nicht anwendbar, indem wir da gar keine „innere Er- fahrung“ haben (vergl. S.7). Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 5 drücke vor. — Dabei ist es mit Freuden zu begrüßen, dass die ge- nannten Autoren auf die histologischen Verhältnisse Rücksicht nehmen und insbesondere zwischen Organismen mit Nervensystem und Orga- nismen ohne Nervensystem unterscheiden. Obgleich jedem Naturforscher die Bedeutung dieses Unterschieds klar ist, haben doch nicht alle naturwissenschaftlichen Autoren sich in der Terminologie darnach ge- richtet. Insbesondere bei den Protozoen sprechen manche Autoren von Reflexen und Instinkten, gebrauchen also Ausdrücke, welche für Tiere mit hochausgebildetem Nervensystem aufgestellt worden sind. Ich habe mich in meiner Schrift über den Instinkt gegen die Ver- wendung solcher Benennungen bei Protozoen erklärt!). Bei den Protozoen handelt es sich nur um eine Leitung innerhalb einer einzigen Zelle, bei dem Nervensystem der Metazoen um einen aus vielen Zellen zusammengesetzten Apparat. Wenn so die anatomische Grundlage verschieden ist, so kann die physiologische Funktion nicht homolog gesetzt werden, wenn auch der Erfolg der Thätigkeit ähnlich ist?). — Verworn hat in seinen „Psycho-physiologischen Protisten-Studien“ (Jena 1889) für die Protozoen den Ausdruck Reizbewegungen ge- braucht, welcher ja auch bei den Botanikerın für die Pflanzen all- gemein angewandt wird ?). 4) „Wenn man als anatomische Grundlage von Instinkt und Verstand die Verbindung von Sinneszellen und Ganglienzellen ansieht, so geht daraus her- vor, dass man die Begriffe Instinkt und Verstand bei Protozoen nicht benutzen darf. Es empfiehlt sich bei Protozoen nicht von Reflex, Instinkt oder Verstand zu reden, sondern den auch für Pflanzen gebräuchlichen Ausdruck „Reiz- bewegungen* zu verwenden“ (l. ec. S.131 Anm.). 2) Zum Vergleich führe ich beispielsweise an, dass man das Schwimmen eines Infusors mittels Cilien dem Schwimmen mittels Flossen niemals homolog setzt. ——- Beiläufig will ich darauf hinweisen, dass die Bewegung eines Pflanzen- teils, welche auf Aenderung der Turgescenz gewisser Zellen beruht, niemals einer durch Muskelkontraktion bewirkten Bewegung homolog sein kann; eben- sowenig eine Reizleitung pflanzlicher Zellen homolog der Reizleitung der Ganglien- zellen. Ich bin also nieht damit einverstanden, dass manche Botaniker das Bestreben haben, die Reizbewegungen der Pflanzen mit den Reflexen der Tiere zu homologisieren. Mit Recht hat Czapek darauf hingewiesen, dass die in der Physiologie der Metazoen verwendbaren Begriffe unbestimmt werden, ja teilweise unpassend sind, sobald man sie auf Protozoen oder Pflanzen an- wendet (F. Czapek, Reizbewegungen bei Tieren und Pflanzen. Centralblatt für Physiologie, 1899, Nr. 8, S. 209). 3) Außer den Reizbewegungen spricht Verworn bei den Protozoen noch von spontanen Bewegungen, also solchen, welche nicht in einem äußeren Reiz, sondern in einem inneren Vorgang ihre Ursache haben. „Wir können diese Unterscheidung beibehalten, allein wir müssen uns doch bewusst bleiben, dass die Spontaneität keine unbedingte ist, dass in Wirklichkeit die spontanen Lebenserscheinungen nicht minder auf einer Wechselwirkung der lebendigen Substanz mit der Außenwelt beruhen, als die Reizerscheinungen* (Verworn, Allgemeine Physiologie, Jena 1895, S. 346). 1* 4 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. Beer, Bethe und Uexküll führen für alle Reizbeantwortungen, welche auf protoplasmatischem Wege ohne Vermittlung differenzierter Zellen geschehen, das Wort Antitypien ein; dasselbe ist also so- wohl bei den Protozoen und Protophyten zu gebrauchen, als auch bei höheren Pflanzen, als auch ferner bei den niedersten Metazoen, welche noch keine Ganglienzellen besitzen, als auch eventuell bei einzelnen Organen höherer Metazoen, wenn da eine Reizleitung durch die Gewebs- zellen selbst (nicht durch Neuronen) stattfindet. Ob das Wort Antitypie geschickt gewählt ist, darüber lässt sich vielleicht streiten, aber der Begriff scheint mir ganz klar und brauchbar zu sein. Freilich muss er dann entsprechend den verschiedenen anatomischen Grundlagen in Unterabteilungen zerlegt werden. Für diejenigen Metazoen, welche ein Nervensystem besitzen !), schlagen Beer, Bethe und Uexküll folgende Nomenklatur vor. Die aufnehmenden Organe nennen sie Receptoren, die Schaltstätten Centren, die von den Centren abgehenden Nerven effektorische Nerven (je nach dem effektorischen Organ motorische, sekretorische ete.). Mit diesen Bezeichnungen befreundet man sich leicht. Die genannten Autoren fassen unter dem Namen der Antikinese folgende Vorgänge zusammen: „die physiologischen Vorgänge der Aufnahme des Reizes durch Umsetzung in eine Nervenerregung und Fortleitung der Erregung auf ausführende Organe, wobei eine Schal- tung und Verteilung der Erregung auf mehrere Bahnen stattfinden kann (beim Durchgang durch Schalt —, Rangierstätten, Centren, Ganglien)“. Der Begriff der Antikinese umschließt also dreierlei ver- schiedenartige Vorgänge, erstens die Umsetzung des physikalischen oder chemischen Reizes in den physiologisch-chemischen Vorgang in der receptorischen Zelle, zweitens den physiologisch-chemischen Vor- gang der Leitung in den receptorischen Nerven, centralen Neuronen und effektorischen Nerven, und drittens den Effekt, d. h. die resul- tierende sichtbare Bewegung. Das Wort Antikinese bedeutet Rückbewegung, hat also einen ähnlichen Sinn wie das sonst oft gebrauchte Wort Antwortbe- wegung. Während man aber unter Antwortbewegung gewöhnlich 1) Die niederste Stufe des Nervensystems ist bekanntlich ein subepithe- lialer Plexus von Ganglienzellen, darauf beruhend, dass einzelne Ektoderm- zellen unter das Epithel sich herabgezogen haben, um die Verbindung zwischen verschiedenen Sinneszellen und zwischen Sinneszellen und Muskelzellen herzu- stellen. Man findet diese Stufe bei Hydroidpolypen, Quallen und Anthozoen. (©. F. Jikeli, Bau der Hydroidpolypen. Morphol. Jahrbuch, 8. Bd., 1883; 0. u. R. Hertwig, Das Nervensystem und die Sinnesorgane der Medusen, Leipzig 1878; R. Hesse, Ueber das Nervensystem und die Sinnesorgane von Rhizostoma Cuwvieri. Zeitschrift f. wiss. Zool., 60, 1895; O.u R. Hertwig, Die Aktinien. Jenaische Zeitschr., 13. u. 14. Bd., 1880.) Ziegler, Theoretisches zur Tierphysiologie und vergl. Neurophysiologie. 5 das Endresultat, also die sichtbare Muskelbewegung versteht, um- schließt das Wort Antikinese auch die Aufnahme und Leitung (also die molekulare Bewegung in den Neuronen). Ich möchte die Anti- kinese zerlegen in zwei Teile, erstens in die Neurokinese, den un- sichtbaren Leitungsvorgang in den Neuronen !), und zweitens inSarko- kinese, den Vorgang in den Muskeln, welcher sichtbar zu Tage tritt. Es giebt ja auch Sinneswahrnehmungen, welche nicht zu Muskel- bewegungen führen, sondern nur im Gedächtnis eine Spur zurücklassen. Es giebt also Neurokinesen, mit welchen keine Sarkokinese sich ver- bindet; hier würde der Ausdruck Antikinese nach seiner Definition nicht passen. Beer, Bethe und Uexküll machen innerhalb der Antikinesen eine sehr wertvolle und wichtige Unterscheidung, welche allerdings nicht neu ist; sie trennen nämlich diejenigen Vorgänge, welche immer in gleieher Weise ablaufen, von denjenigen, welche „auf Grund vorher- gegangener Reize modifiziert verschiedenartig ablaufen“; sie nennen die ersteren Reflex, die letzteren Antiklise (Rückbeugung). In die erste Kategorie fallen also alle angeborenen (richtiger gesagt: er- erbten) Koordinationen und Assoziationen?), also die Vorgänge auf den ererbten Bahnen, welche bei allen normalen Indivi- duen einer Species dieselben sind. Diese Vorgänge habe ich früher mit genau derselben Definition als Reflexe und Instinkte bezeichnet (l. e. p. 125). Die Grenze zwischen Instinkt und Reflex habe ich als verschwimmend hingestellt, und möchte nur einen rela- tiven Unterschied insofern festhalten, als der Instinkt gemäß dem her- kömmlichen Sprachgebrauch das Kompliziertere ist; so haben manche Autoren nieht unpassend gesagt, dass der Reflex gewöhnlich nur auf die Bewegung einzelner Organe, der Instinkt aber auf die Thätigkeit des ganzen Individuums sich erstreckt. Es ist nun lediglich eine ter- minologische Frage, ob man den Sinn des Wortes Reflex so sehr er- weitern will, wie es die genannten Autoren thun, ob man also alles 1) Neurokinese ist ein etwas bestimmterer Ausdruck für Reizleitung oder Erregungsvorgang; er ist gleichbedeutend mit dem von Forel ge- brauchten Wort Neurocym oder Nervenwelle (Aug. Forel, Gehirn und Seele. Verhandl. der Gesellsch. deutscher Naturforscher, Leipzig 1894). — Vergleicht man die Bahnen des Nervensystems mit einem Eisenbahnnetz, so ist die Neuro- kinese (das Neurocym) dem Zug zu vergleichen, der auf irgend einem Geleise fährt. — Wahrscheinlich ist die Neurokinese ein chemischer Vorgang, welcher rasch fortschreitet (wie die Entzündung einer Zündschnür) und alsbald rück- gängig gemacht wird. 2) Assoziationen nenne ich alle Verbinduugen im receptorischen und im centralen Gebiet, Koordinationen nenne ich die Verbindungen im effek- torischen Gebiet. Es ist natürlich kaum möglich zwischen Assoziationen und Koordinationen eine Grenze zu ziehen. 6 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. Ererbte als Reflex bezeichnen will!). Die Hauptsache ist die Unterscheidung zwischen dem Ererbten und dem im in- dividuellen Leben Modifizierten oder Gelernten. Sie ent- spricht der Weismann’schen Unterscheidung zwischen somato- senen und blastogenen Eigenschaften, also zwischen den- jenigen Eigenschaften, welche bei jedem Individuum der Species durch die Keimesanlage bedingt sind, und denjenigen, welche bei dem einzel- nen Individuum in seinem Leben erworben sind. Die Reflexe und In- stinkte beruhen auf nervösen Bahnen, welche auf Grund der Keimes- anlage in der Ontogenie entstehen, so wie z. B. in der Ontogenie jeder Nerv zu seinem Muskel seinen Weg findet. Sowohl dem Wort Reflex als auch dem Wort Instinkt hängt das Bedenkliche an, dass man damit häufig das Merkmal des Unbewussten verbindet, was natürlich in der Tierpsychologie ganz undurchführbar und in der menschlichen Psychologie auch sehr misslich ist. Daraus ergeben sich fortwährend Unklarheiten und nutzlose Streiterei. Ich habe zwar schon früher den Begriff des Instinkts von dieser Unklar- heit zu befreien gesucht, aber trotzdem haben die Autoren immer wieder den Begriff des Unbewussten in irgend einer Form hinein- gebracht ?). Um die Unsicherheit zu vermeiden, welche der traditionelle Sinn der Worte Reflex und Instinkt leider mit sich bringt, will ich eine neue Bezeichnung einführen. Es heißt xAnoovoula die Erbschaft, und man kann alles Ererbte als Kleronomie, die ererbten Rigenschaften als kleronom bezeichnen. Die Reflexe und Instinkte beruhen auf kle- ronomen Bahnen, sie sind kleronome Assoziationen und Koordinationen. Wenn z. B. die jungen Hühnchen auf den Lockruf der Henne herbei- eilen, so ist dieser Effekt kleronom, denn es ist dem Hühnchen von Natur eingepflanzt, auf solchen Ruf so zu reagieren. Wenn aber die Hühner auf den Ruf der Hausfrau zum Futter herbeieilen, so ist dieser Effekt nicht kleronom, denn die Assoziation zwischen diesem Ruf und zwischen dem Futter hat sich erst unter der Wirkung der individuellen Erfahrung gebildet. 4) Bethe hat schon in früheren Publikationen dem Wort Reflex diesen erweiterten Sinn gegeben. 2) Merkwürdigerweise macht mir Bethe den Vorwurf, dass ich „in die Instinkte ein psychisches Moment hineinlege“; es kann dieses Missverständnis nur auf ungenügender Kenntnisnahme meiner Publikation beruhen. — Manche Autoren betonen, dass das Tier bei der Ausübung des Instinkts sich des bio- logischen Zweckes der Handlung nicht bewusst sei. Ich kann nicht zustimmen, dass man dieses subjektive Kriterium in die Definition des Instinktes herein- nimmt. — Beiläufig will ich erwähnen, dass in dem Buche von Karl Groos, Die Spiele der Tiere (Jena 1896, 8. 22- 77) eine hübsche und richtige Geschichte des Instinktbegriffes gegeben ist. Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 7 Beer, Bethe und Uexküll stellen dem „Reflex“ (Reflex und Instinkt) die Antiklise gegenüber. Dieser Begriff ist ganz gut ge- dacht aber nicht genügend scharf definiert worden. Die genannten Autoren sagen, dass die Reaktion bei der Antiklise „auf Grund vor- hergegangener Reize modifiziert verschiedenartig ablaufe“. Nach diesem Wortlaut würde auch eine durch Ermüdung oder Erschöpfung bewirkte Aenderung der Reaktion unter die Antiklise fallen !); dies ist aber offen- bar nicht die Absicht der genannten Autoren gewesen, sondern sie meinen das, was man im gewöhnlichen Leben als Erfahrung und Uebung, als Lernen und erworbene Gewohnheit bezeichnet; es sind diejenigen Vorgänge, welche auf im individuellen Leben erworbenen Assoziationen und Koordinationen beruhen, also alle Vorgänge, bei welchen in Folge individueller Erfahrung die ererbten Bahnen abge- ändert erscheinen oder neue Bahnen hinzugekommen sind?). Ob dafür der Ausdruck Antiklise (Rückbeugung) hinlänglich bezeichnend ist, will ich dahingestellt sein lassen. In Anlehnung an den gewöhn- 1) Es kommt ja auch bei Reflexen häufig vor, dass derselbe Reiz, wenn er in kurzer Zeit wiederholt einwirkt, allmählich nur eine schwächere Reaktion oder gar keine Reaktion mehr hervorruft. Z. B. hat J. v. Uexküll bei seinen physiologischen Echinodermenstudien beobachtet, dass ein Seeigel (Centro- stephanus longispinus) bei Beschattung seine Stacheln nach der beschatteten Seite wandte; nach drei Beschattungen hörte aber der Stachelreflex auf und kehrte nach einigen Minuten wieder (Zeitschr. f. Biologie, 1897, S. 330). 2) In diesem Sinne schrieb Bethe: „Empfindung, Wahrnehmung, Vor- stellung, Gedächtnis und Assoziation haben für ein Wesen nur dann einen Zweck, wenn es im Stande ist, auf Grund dieser Qualitäten sein Handeln zu modifizieren“ (Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 70, 1898, S. 19). — Bethe bezeichnet die Fähigkeit des Lernens als „psychische Qualitäten“ (Archiv f. mikr. Anat., 50. Bd., 1897, S. 491, und Arch. f. d. ges. Phys., 70. Bd., 1898). Dieses Wort führt zu Missverständnissen, insbesondere hat sich daran der nutzlose Streit geknüpft über die Frage, ob die Tiere (speziell die Insekten) Bewusstsein und Empfindungen besitzen. Erfreulicherweise ist der zweideutige Ausdruck in die Publikation von Beer, Bethe und Uexküll nicht übergegangen. — Es ist nicht rätlich, das Wort psychisch in der Naturwissenschaft als Terminus techniecus gebrauchen zu wollen. Die Philosophen bezeichnen als psychisch gewöhnlich nur das, was in das Bewusstsein tritt. Der Naturforscher kann auf die Unterscheidung von Bewusstem und Unbewusstem keinen großen Wert legen, da Bewusstes und Unbewusstes fortwährend ineinanderspielen, da ferner vielfache Abstufungen des Bewusstwerdens vorkommen, und da schließlich das Bewusste auch nur das subjektive Abbild physiologischer Vorgänge ist. — Für die Naturforschung wäre es praktisch, das Wort psychisch nur als allgemeine Vulgärbezeichnung für die relativ höheren Funktionen des Nervensystems anzusehen, und dann zu unterscheiden zwischen dem Objektiv-Psychischen, was man an anderen Menschen und an Tieren beobachten kann und zwischen dem Subjektiv-Psychischen (dem Gebiet der „inneren Erfahrung“), das man strenggenommen nur an sich selbst beobachten kann, 8 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. lichen Sprachgebrauch kann man die Fähigheit Erfahrungen zu machen als Verstand bezeichnen, wie ich dies in meiner Schrift über den Instinkt gethan habe. — Da ich nun oben für die ererbten Bahnen einen Terminus technicus eingeführt habe, so will ich die erworbenen Bahnen in entsprechender Weise bezeichnen und nenne sie enbiontisch, d. h. im individuellen Leben erworben. Es kommen also zu den kleronomischen (d. h. ererbten) Assoziationen und Koordinationen die enbiontischen (d. h. erlernten) hinzu‘). Die Fähigkeit, enbiontisch Verbindungen zu bilden, nennt man Ver- stand. Z. B. wenn ein Jagdhund auf den Zuruf des Jägers irgend eine Handlung thut oder unterlässt, so ist die Verbindung zwischen dem Wort und der dadurch bezeichneten Handlungsweise erlernt, also eine enbiontische Assoziation. Wenn enbionitische Bahnen häufig gebraucht werden, so werden sie sehr geläufig und darauf beruht die Uebung und die Gewohnheit. Die gut ausgeschliffenen enbiontischen Bahnen funktionieren ganz ähnlich wie die kleronomen Bahnen. Der Trieb zu einer gewohnheits- mäßigen Handlung kann ebenso stark werden, wie der Trieb zu einer kleronomen (reflektorischen oder instinktiven) Handlung. Aber man muss die Gewohnheit stets von der Kleronomie getrennt halten, da sie ihrem Ursprung nach davon verschieden ist. Auch lassen sich die enbiontischen Bahnen von den kleronomen leicht dadurch unterschei- den, dass die ersteren bei den einzelnen Individuen der Species nicht übereinstimmend, sondern nach der bisherigen Lebensweise und Er- fahrung der Individuen verschiedenartig ausgebildet sind. Auf der Bildung und Rückbildung enbiontischer Bahnen beruhen folgende psychologische Vorgänge. Zunächst die Merkfähigkeit, die Fähigkeit im Centralorgan von Sinneseindrücken eine Spur zu be- wahren, welche den Ablauf späterer Vorgänge beeinflusst. Mit Recht hat Wernicke vorgeschlagen zwischen Merkfähigkeit und Gedächtnis zu unterscheiden, indem Merkfähigkeit die Fähigkeit der Einprägung, Gedächtnis aber den Besitzstand an eingepräg- ten Eindrücken bedeutet (C. Wernicke, Grundriss der Psy- chiatrie, Leipzig 1874 S. 76). Auf der Merkfähigkeit beruht die Ansammlung von Erinnerungsbildern?). Die Summe der von außen 4) Auch Edinger hat in seinen „Vorlesungen über den Bau der nervösen Centralorgane“ (5. Aufl., Leipzig 1896, $.32) die ererbten und die erworbenen Bahnen unterschieden; er weist daraufhin, dass in einzelnen Teilen des Central- nervensystems (insbesondere in der Großhirnrinde) die Bestimmung der Neuronen hauptsächlich darin besteht, während des Lebens des Individuums neue Ver- bindungen zu bilden. 2) „Es ist klar, dass wir uns nicht ein Erinnerungsbild etwa in einer Ganglienzelle lokalisiert zu denken haben. Vielmehr ist offenbar das hinter- lassene Erinnerungsbild der veränderte (verborgene) Kraftzustand eines ganzen Komplexes von Zellen und Fasern — eine dynamische Assoziation, wie Ribot Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 9 aufgenommenen und im Centralorgan ruhenden Eindrücke, also die Summe der ruhenden Erinnerungsbilder nennt man Gedächtnis. Die Neurokinese in den betreffenden Neuronen, also das Hervortreten (Er- regtwerden) eines Erinnerungsbildes nennt man Erinnerung. Inso- fern die Erinnerungsbilder auf das weitere Denken und Handeln einen Einfluss haben, nennt man sie Erfahrung. Wieweit dieselben dabei ins Bewusstsein treten, ist gleichgiltig; denn es können auch schwach bewusste oder unbewusste Erregungen der Gedächtniseindrücke einen Einfluss auf das Denken und Handeln haben. — Das allmähliche Ver- schwinden der Erinnerungsbilder bezeichnet man als Vergessen; für das lange Persistieren der Erinnerungsbilder hat man die Bezeichnung gutes Gedächtnis. — Wenn ohne Hinzutreten neuer Eindrücke auf Grund der vorhandenen Gedächtniseindrücke neue Associationen ge- bildet werden, so wird diese Thätigkeit je nach ihrer Richtung als Reflexion oder als Spiel der Phantasie bezeichnet; die Fähigkeit zu solcher Thätigket kann Kombinationsvermögen genannt werden. Ich habe schon in meiner Schrift über den Instinkt dargelegt, wie ich mir die Bildung von Bahnen in’ den Centralorganen vorstelle; ich ill dies aber jetzt unter Berücksichtigung der neuesten Forschungen etwas deutlicher machen. Schon Max Schultze hat gesehen, dass in der Ganglienzelle ein System von Fasern sich befindet, welche von einem Fortsatz zum andern gehen und welche er Primitivfibrillen nannte. Flemming beobachtete, dass in der Ganglienzelle an den Abgangsstellen des Neuriten und der Dendriten Fasern ausstrahlen, welche im Innern der Zelle in ein fadiges Netzwerk übergehen. Durch Nissl, Apäthy und Bethe ist gezeigt worden, dass innerhalb der einzelnen Ganglien- zelle Bahnen bestehen, welche von einem Fortsatz zum andern gehen. Bei Würmern, Mollusken und Crustaceen haben Apäthy und Bethe sich ausdrückt. Dieser räumliche Komplex von Hirnelementen, der von einem Erinnerungsbild beansprucht wird, muss sogar oft sehr ausgedehnt sein. Zum Beispiel das Erinnerungsbild eines Feuers enthält zugleich ein Gesichtsbild im Hinterhauptslappen, ein Gehörbild des Feuerknisterns im Schläfenlappen und ein Gefühlbild der Wärme, welche zusammen in einer und derselben dynamischen Verbindung funktionieren“ (A.Forel, Das Gedächtnis und seine Abnormitäten, Rathausvortrag, Zürich 1885). — Die Einprägung eines Erinnerungsbildes ist zwar gewöhnlich ein in das Bewusstsein tretender Vorgang, kann aber auch unbewusst verlaufen. Man erinnert sich oft nachher etwas gesehen zu haben, was man im Moment der Betrachtung gar nicht beachtet hat. Forel (l.e) berichtet von Fällen abnorm erhöhter Merkfähigkeit (Hypermnesien), bei welchen die unbewusste Einprägung offenbar eine große Rolle spielt. Seibstverständ- lich kann auch bei Tieren eine unbewusste Einprägung vorkommen; es ist daher ein unkritisches Verfahren, bei Tieren aus der Merkfähigkeit und dem Gedächtnis auf das Vorhandensein eines Bewusstseins zu schließen. 140 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. : in den Ganglienzellen ein System von Busse Fibrillen gefunden, in der Weise, dass I aus den Dendriten Fibrillen in die Zelle treten, welche sich verzweigen und unter- einander netzförmig oder gitterförmig verbinden, wobei dieFibrillen des Neuriten (Axencylinderfortsatzes) aus diesem Netz- werk ihren Ursprung nehmen!). Bethe hat bei Wirbeltieren in Ganglienzellen des Gehirns und Rückenmarks die Fibril- len beschrieben (Fig. 1); er sah keine Netzbildung der Fibrillen, sondern die Fasern gehen gewöhnlich von einem Fortsatz zum andern; nur manchmal kommt eine Verzweigung einer Fibrille vor und gehen dann die Teiläste in zwei Zellfortsätze. Die physiologische Bedeutung dieser histologischen Beobachtungen ist leicht zu erkennen. Der Verlauf des Erregungs- vorgangs (der Neurokinese) ist abhängig von der Bahn; die Bahn ist gebildet dureh die Neurone mit ihren Neuriten und Dendriten, genauer gesagt, durch Neurofibrillen, welche iin den Neuriten und Dendriten und innerhalb der Ganglien- zellen verlaufen. Es kommt also = hauptsächlich darauf an, wie die ı\ Zellen des nervösen Apparats 1) Apäthy, Das leitende Element des Nervensystems. Mitt. der zool. Station zu Neapel, 12. Bd., 1897; A. Bethe, Ueber die Fig. 1. Zwei mittelgroße Pyra- Primitivfibrillen in den Ganglienzellen vom midenzellen. vom Menschen aus Menschen und anderen Wirbeltieren. Morph. on Arbeiten, herausg. v. Schwalbe, 8.Bd., 1898. (Copie einer Figur on Beth 0). Es scheint mir, dass die Beobachtungen von Bethe der Neuronenlehre nicht wider- sprechen, sondern zur Vervollständigung derselben dienen. Ich gehe daher nicht darauf ein, dass Bethe sich in einen gewissen Gegensatz zur Neuronen- lehre gestellt hat (A. Bethe, Die anatomischen Elemente des Nervensystems und ihre physiologische Bedeutung. Biol. Centralbl., 18. Bd., 1898, S. 843 fg.). Ich verweise auf die Schrift von Hoche (Die Neuronenlehre und ihre Gegner, Berlin 1899), insbesondere auf die dort citierten Aeußerungen von Lenhossek und Edinger. Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 11 durch die Endbäumchen der Fortsätze im Neuropil ver- bunden sind und wie die Fibrillen verlaufen, welche in den Ganglienzellen von einem Endbäumchen einer Zelle zu einem andern Endbäumchen der Zelle gehen!). — Ueber die Entstehung der kleronomen (ererbten) und enbiontischen (erwor- benen) Bahnen lässt sich nun Folgendes sagen. Es ist leicht begreiflich, dass sowohl die Verbindungen der Zellen durch die Fortsätze und Endbäumchen, als auch der Verlauf der Fibrillen in den Zellen schon in der Ontogenie sich ausbilden können, also schon durch die Vererbung bestimmt sein können. Die klero- nomen (ererbten) Bahnen und die daraus folgenden kleronomen Thätig- keiten (Reflexe und Instinkte) sind also relativ leicht zu erklären. Es ist lediglich das gewöhnliche Geheimnis der ontogenetischen Entwick- lung, an das wir uns schon so gewöhnt haben, dass es uns ganz ver- traut erscheint. Wenn man sich nicht darüber wundert, dass ein bestimmter Nerv zu einem bestimmten Muskel geht, so erscheint es ebensowenig merkwürdig, dass ererbte Bahnen bestehen, durch welche es bewirkt wird, dass z. B. bei einem Kitzel in der Nase das Niesen erfolgt oder die Schmeißfliege durch den Geruch des Fleisches zur Ablage ihrer Eier veranlasst wird. Die enbiontischen Bahnen sind nicht so einfach zu erklären wie die kleronomen Babnen. Es fragt sich, wie können im Leben des Individuums unter dem Einfluss newer Eindrücke neue Bahnen sich ausbilden. Um die Erklärung einzuleiten mache ich zunächst darauf aufmerksam, dass manche kleronome Thätigkeiten durch öftere Aus- übung geläufiger werden, während andere von Anfang an mit voll- endeter Geschicklichkeit ausgeführt werden. Wenn das Erstere zu- trifft, also eine gewisse Einübung stattfindet, so ist die Erklärung darin zu suchen, dass die Bahn durch den Gebrauch verstärkt wird ?), also 4) Ich sehe hier davon ab, dass für den Verlauf des Vorgangs nicht allein die histologische Beschaffenheit der Bahn, sondern auch der physiologische Zustand der Bahn in Betracht kommt, also die physiologische Dispo- sition. Z. B. wirkt der Anblick einer guten Speise auf einen Hungrigen anders als auf einen Satten. - Selbstverständlich ist als Aenderung der Dispo- sition auch die Ermüdung der Balın zu nennen, welche die Leitungsfähigkeit herabsetzt. Sehr wichtig ist ferner die Erhöhung oder Herabsetzung der Dis- position einer Bahn durch Neurokinesen auf anderen Bahnen, also, wie Gold- scheider sagt, die „gegenseitige Beeinflussung der im Nervensystem ab- laufenden Erregungen durch Bahnung (Exner’s Bahnung) und Hemmung“. Krankhafte Abänderungen der Disposition ergeben die „Ueberempfindlichkeit und Unterempfindlichkeit der Neurone“ (siehe: A. Goldscheider, Die Be- deutung der Reize für Pathologie und Therapie im Lichte der Neuronlehre, Leipzig 1898). 2) Man kann sowohl für die Verstärkung der Neurofibrillen als auch für die Verdickung der Endbäumchen analoge Vorgänge anführen. Wie es von 1412 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. die in Betracht kommenden Teile der Endbäumchen, sowie auch die durch die Zelle gehenden Verbindungsfibrillen der Endbäumchen unter dem Einfluss des funktionellen Reizes an Dicke zunehmen (Funktio- nelle Anpassung). Diese sehr naheliegende Hypothese!) ist nun der Ausgangspunkt für die folgende Hypothese, welche zur Erklärung der enbiontischen Bahnen dienen soll. Denken wir uns einen Komplex von Zellen, welche in mannig- facher Weise durch die Endbäumchen ihrer Fortsätze verbunden sind, und durch deren Zellkörper eine große Menge von Neurofibrillen hin- durchgeht; diese Fibrillen mögen noch schwach ausgebildet und sehr fein sein, und in vielen Richtungen gehend sozusagen alle möglichen Kombinationen der Verbindung der Fortsätze erschöpfen; wenn ein Netzwerk feiner Fibrillen vorhanden ist, thut es dasselbe?). Da nun mit dem Centralorgan zahlreiche Sinnesorgane in Verbindung stehen, welche verschiedenartige Reize aufnehmen, so werden fortwährend entsprechend den Reizen der Außenwelt einzelne Bahnen in Erregung versetzt. Diese Erregung zieht als funktioneller Reiz eine Verstärkung der betreffenden Bahn nach sich; es werden also einige der vielen feinen Neurofibrillen sich verdicken und auch einzelne Teile der End- bäumchen besonders kräftig werden ?). Insbesondere wird dies dann den Neurofibrillen in der Ganglienzelle angenommen wird, so verstärken sich die Muskelfibrillen in der Muskelzelle unter dem Einfluss des funktionellen Reizes. Die Endbäumchen können mit den Pseudopodien eines Rhizopoden ver- glichen werden; bei den Pseudopodien mancher Rhizopoden ist beobachtet, dass sie bei Berührung mit einem Nahrungskörper oder auf anderen passenden Reiz hin an Dicke zunehmen. 2) Bei Fig.2 ist im Zellkörper ein Netzwerk feiner Fibrillen eingezeichnet. Wenn man dem Protoplasma der Zelle einen gewissen Grad von Leitungsfähig- keit zuschreibt, so kann man sich an Stelle dieses Systems schwacher Bahnen das Protoplasma selbst denken. 3) Ich habe diese Theorie im Wesentlichen schon in meiner früheren Publikation (1892) ausgesprochen: „Es ist wohl denkbar, dass die Fortsätze, welche die Ganglienzellen unter einander in Beziehung setzen, in Folge des durch die Erregung der Sinneszellen oder anderer Ganglienzellen erzeugten Reizes (also in direkter oder indirekter Folge von Sinneseindrücken) neue Ver- bindungen eingehen oder vorhandene Verbindungen verstärken (erworbene Bahnen)“. — Ich kann nun auf einen Ausspruch eines der berühmtesten Meister der Histologie verweisen: „Wenn man erwägt, dass die Neurodendren mit ihren Dendriten und Axonen während der Entwicklung des Nervensystems auch in nachembryonaler Zeit leicht nachweisbar in langsam fortschreitender Entwick- lung begriffen sind, und ferner bedenkt, dass es in hohem Grade wahrschein- lich ist, dass je nach dem Grade der geistigen Entwicklung des Einzelindividuums auch die Ausbildung seiner Nervenelemente anatomisch eine höhere oder niedere Stufe erreicht, so liegt der Schluss sicherlich nahe, dass auch beim Er- wachsenen Weiterbildungen der angedeuteten Art (Entstehung neuer Verbindungen, Verlängerungen und Weiterausbreitung der Endigungen der Neurodendren) möglich sind; das wäre ein Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 13 der Fall sein, wenn dieselbe Reizkombination sich häufig wiederholt, also wenn dasselbe Objekt oder dasselbe Ereignis häufig zur Beob- achtung kommt. Eine derartige Theorie ist von manchen Autoren angedeutet, aber (soviel ich weiß) niemals anschaulich gemacht worden. Z.B. schreibt Wernicke in seinem Grundriss der Psychiatrie (Leipzig 1594, S. 21): „Wie soll man sich das Zustandekommen eines Besitzes an Erinne- rungsbildern denken? Offenbar handelt es sich um die ganz besondere Eigenschaft des Nervensystems, dass es durch vorübergehende Reize dauernde Veränderungen erleidet; dieselbe äußert sich auch darin, dass die faradische Erregbarkeit eines Nerven durch häufige Faradi- sation gesteigert werden kann (Mann, Deutsches Archiv f. klin. Med. 1893). Derselbe Reiz wirkt später leichter, wenn er vorher öfter stattgefunden hat. Alles Lernen, alle Uebung beruht auf diesem Prin- zip; Bahnen, die zuerst nur schwer gangbar sind, werden mit jeder neuen Uebung leichter gangbar, werden ausgeschliffen, wie man sich ausdrücken kann.“ — In demselben Sinne sagt Biedermann (Elektro- physiologie, 1895, 2. Bd., S. 503): Es sei bemerkt, dass Grund zu der Annahme vorliegt, dass jede im Centralnervensystem auf irgend einer Bahn ablaufende Erregung auf derselben Spuren hinterlässt, indem sie ge- wisse, immer schärfer hervortretende, molekulare Veränderungen da- selbst hervorruft, welche den abermaligen Ablauf von Erregungen längs derselben Entladungslinien mehr und wehr erleichtern, je öfter sich die betreffende Erregung wiederholt. — Auch Bethe hat sich in ähnlichem Sinne ausgesprochen. „Jede Erregung, welche dem Nerven- Wandel, ein Amöbismus, der sich hören ließe und bei dem selbst eine negative Phase der Rückbildung nicht als unmöglich erschiene, wie eine solche wohl unzweifelhaft nicht nur im hohen Alter oft sich vorfindet, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit bei Geisteskranken auftritt“ (v. Kölliker, Kritik der Hypothesen von Rabl-Rückhard und Duval, Ueber amöboide Bewegungen der Neurodendren. Sitzungsber. der phys. med. Ges. zu Würzburg, 1895, S. 42). Es haben verschiedene Autoren die Endbäumchen der Neurone mit den Pseudopodien von Rhizopoden verglichen und auf die Möglichkeit der amöboiden Bewegung der Endbäumchen hingewiesen (Rabl-Rückhard 1890, Tanzi 1893, Lepine 1894, Duval 1895 u. a.), Manche dieser Autoren scheinen aber den Neuronen etwas zu viel Beweglichkeit zuzuschreiben. Insbesondere meint Duval, dass der Schlaf darauf beruhe, dass durch allgemeine Retraktion der Endbäumehen die Verbindungen zwischen den Neuronen aufgehoben würden. Er stützt sich auf die Beobachtungen von Demoor und Stefanowska, welche nach der Einwirkung von Morphium oder Aether oder nach starker elektrischer Reizung eine Retraktion der feinsten Seitenästchen der End- bäumchen und ein perlschnurartiges Aussehen der Zweige konstatiert haben; ferner auf unter seiner Leitung gemachte Versuche von Manou@lian, welche bei Mäusen nach starker Ermüdung ähnliches ergaben (Mathias Duval, L’amoeboisme du systöme nerveux et la theorie du sommeil. Revue scientifique, 1598, Nr. 11, p. 321— 331). 14 Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. system zufließt, ist m Stande eine geringe Veränderung auf dem ganzen Wege zu hinterlassen, im peripheren wie im centralen Verlauf der Primitivfibrillen; kehrt derselbe Reiz ausgehend von demselben Objekt immer wieder, so hinterlässt er auf seinem Wege im Nervensystem eine merkliche Aenderung der Art, dass beim Wiederkehren desselben Reizes die Wahrnehmung sehr viel leichter anspricht als zuerst“ }). Fig. 2. a C Big. 3: Fig. 2, 3 und 4. Schematische Dar- stellung der Bildung enbiontischer Bahnen im Centralnervensystem. 4) A. Bethe, Die anatom. Elemente des Nervensystems. Biol. Central blatt, 18. Bd., 1898, 8. 871. Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergl. Neurophysiologie. 15 g $) o° o y C Ich will nun meine Hypothese über die Entstehung enbiontischer Bahnen an einem speziellem Beispiel klar und anschaulich machen. Fig.2 sei eine Zelle im Spracheentrum eines jungen Papageis, welcher noch kein Wort sprechen kann. Die Endbäumchen an den Dendriten und am Neuriten sind dünn und schwach und in der Zelle ist ein Netzwerk feiner Fibrillen vorhanden (vergl. S. 12). Das Tier werde nun in ein Zimmer gebracht, in welchem gewöhnlich auf Anklopfen „Herein“ gerufen wird; der Papagei wird nun bald dieses Wort sprechen lernen und das Wort wird bei ihm mit dem Anklopfen assoziiert sein, so dass er gewöhnlich auf ein derartiges Klopfen mit diesem Worte ant- wortet. Der Lautkombination des Wortes muss eine Bahn entsprechen, ebenso dem oft gehörten Gehöreindruck des Anklopfens, und diese beiden Bahnen müssen verbunden sein, so dass der Gehöreindruck das Aussprechen des Wortes veranlasst. Denken wir die obenerwähnte Zelle gehöre einer dieser Bahnen an, sie enthalte z. B. einen Teil der Lautkombination des Wortes „Herein“. In Fig. 3 sind einige Neuro- fibrillen und einige Teile der Endbäumehen verstärkt gezeichnet); bezeichnet man denjenigen Teil einer Bahn, welcher innerhalb eines einzigen Neurons geht, als Neuronstrecke, so erkennt man in der Figur die Neuronstrecken a—d, c—d und a—c. Die Bahn des ge- nannten Wortes mag also durch eine dieser Strecken repräsentiert sein, z. B. von der verstärkten Endverästelung « eines Dendriten zur verstärkten Endverästelung 5 des Neuriten gehen. — Denken wir dann, das Tier werde in seinen heimatlichen Tropenwald zurück- versetzt, so wird es das gelernte Wort vergessen, aber vielleicht die Rufe dortiger Vögel erlernen. Daher sind in Fig. 4 die früheren Bahnen wieder schwach gezeichnet und sind neue Bahnen eingetragen ; zwei andere Dendriten und zwei andere Aeste des Neuriten sind ver- stärkt gezeichnet und ebenso entsprechende Neurofibrillen im Innern der Zelle dargestellt (die Bahnen e—f, g—h und e—g). Selbstverständlich kann eine Zelle viel mehr Bahnen enthalten als in den obigen Figuren eingezeichnet sind; es zeigen ja eben die Figuren von Bethe, wie viele Neurofibrillen durch eine Zelle hin- durchgehen (Fig. 1). Ferner bedenke man, in wie vielfachen Kom- binationen die Zellen durch die Endbäumehen verbunden sein können. Daraus ergiebt sich, dass schon in einer mäßigen Zahl von Zellen die Bahnen einer Menge verschiedenartiger Eindrücke vorhanden sein können. Bei Säugetieren entspricht der Grad des Verstandes der Größe der Großhirnrinde, also der Zahl der verfügbaren Zellen; ist das Großhirn gefurcht, so ist die Rinde sehr ausgedehnt und enthält 1) Der Deutlichkeit wegen habe ich die verstärkten Neurofibrillen ziem- lich diek gezeichnet; das Bild wird genauer, wenn man sich an Stelle der dicken Neurofibrille ein Bündel feiner Neurofibrillen denkt, welche sich in die Dendriten und in das Neurit fortsetzen und in den-Endbäumehen ausstrahlen, 16 Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. zahllose Zellen; da durch jede dieser Zellen mehrere Bahnen gehen können, ist es begreiflich, dass die höheren Säugetiere das umfassendste Gedächtnis und den vielseitigsten Verstand haben. Lernen ist die Bildung neuer Bahnen, Gedächtnis der Besitzstand an vorhandenen Bahnen, Vergessen das Verschwinden von Bahnen. „Gutes Gedächtnis“ bedeutet langes Persistieren der Bahnen. Gewohn- heit beruht auf Bahnen, welche ausgefahren, d. h. durch den vielen Gebrauch sehr stark geworden sind. Je stärker eine Bahn ausgebildet ist, umso leichter geht die Neurokinese (Erregung) auf derselben. — Die Neurokinese (Erregung) auf vorhandenen Bahnen kann die Bil- dung neuer Bahnen veranlassen (Reflexion, Phantasie). Ich will hier die Hypothese über die Entstehung und Funktion der Bahnen nicht weiter ausspinnen. Aber ich musste sie erwähnen und anschaulich machen, weil damit auch die anfangs besprochene Ter- minologie, oder besser gesagt die Wahl der Begriffe zusammenhängt. Denn die naturwissenschaftliche Begriffsbildung ist nicht, wie manche Philosophen meinen, lediglich eine formal-logische Sache, sondern die naturwissenschaftlichen Begriffe stehen in einer komplizierten Wechsel- beziehung mit den Beobachtungen, Hypothesen und Theorien. [3] Jena, Zoologisches Institut, September 1899. Von der Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. Kritische Erörterungen. Von Hans Driesch. Wenn man mit Fachgenossen über unsere experimentelle Methode und deren Ziele sich unterhält, begegnet man sehr häufig der Bemer- kung, dass sich Entwicklungsphysiologie von der üblichen Morphologie deskriptiver Art gar nicht durch etwas wesentliches unterscheide. Könne doch die eine so wenig wie die andere „allgemeine“ Resultate zu Tage fördern, gelte doch, was für das Seeigelei gelte, nicht ohne weiteres für das Ctenophorenei, was für die Tudularia gelte, nicht ohne weiteres für Hydra, und so fort; lediglich Spezielles könne auch die Entwicklungsphysiologie ermitteln und nur etwa durch die „ver- gleichende“ Methode sei man zu Höherem befähigt. Ueber die Vergleichung und ihren Wert und Unwert ist anderen Orts!) von mir gehandelt worden: hier möchte ich, anschließend an die erwähnte gesprächsweise oft gehörte Bemerkung, einiges über die Begriffe der Allgemeinheit und der Allgemeingiltigkeit?) sagen. 4) „Von der Methode der Morphologie“. Diese Zeitschrift, XIX, 8.39 ff. 2) Das Wort „giltig“ soll in dieser methodologischen Arbeit im üblichen, gleichsam populären Sinne verstanden sein: ein Urteil ist allgemeingiltig, wenn es für sehr viele Einzelurteile zugleich „gilt“, d. h. sie nmfasst. Auf das erkenntniskritische Problem, dass ich mit Urteilen den phänomenalen Natur- verlauf in „giltiger“ Weise decken kann, soll hier also nicht eingegangen werden. Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. lg Da Allgemeinheit und Allgemeingiltigkeit aber die Kennzeichen solcher Urteile sind, welche allein im strengen Sinne das Wort „wissenschaftlich“ verdienen, so werden sich die folgenden Zeilen von selbst zu einem Aphorismus darüber gestalten, auf welchem Wege allein streng wissenschaftliche Urteile, d. h. Naturgesetze, gewonnen werden können. Knüpfen wir an die Aussagen unserer methodischen Gegner über den Wert der Experimentalmethode an, so müssen wir ihnen unum- wunden Recht geben, wenn sie sagen, dass eine Untersuchung nicht allein schon deshalb, weil sie experimentell ausgeführt sei, nun auch „allgemeine“ Resultate zu Tage fördern müsse. Aber das Kennzeichen dessen, was wir Entwicklungsphysiologie nennen, ist gar nicht allein das Experiment, wiewohl jene Wissenschaft auch nicht ohne dieses Hilfsmittel bestehen kann. Unter „Experiment“ versteht man die Beobachtung einer Ge- schehensfolge, bei welcher eines oder mehrere Anfangsglieder will- kürlich, absichtlich und eindeutig bestimmt worden sind. Durch das Experiment wird festgestellt, dass ein Geschehnis oder Zustand « von gewissen anderen Zuständen oder Geschehnissen a, b, c etc. abhängt oder nicht abhängt, und wie sich, im ersteren Falle, « mit Aenderungen der a, b, ce etc. ändert; das Experiment ermittelt Kausales, besser und allgemeiner vielleicht: Funktionales. Naturgemäß aber gelten die Resultate einer Experimentalunter- suchung oder wie wir, den mathematischen Funktionsbegriff heran- ziehend, auch sagen können, einer Funktionaluntersuchung, zunächst nur für denjenigen „Fall“, für den sie angestellt wurden: sind sie doch nichts anderes als der kurze, analysierte Ausdruck für das Geschehen in eben diesem „Falle“. Wenn zum Beispiel Boveri und Ziegler in geistvoller Weise aus Zellenexperimenten Schlüsse über die Abhängigkeit der Zellteilung von Centrosoma und Chromosomen ziehen, wenn Morgan uns mittels seiner künstlichen Astrosphaeren wertvolle Aufschlüsse über die Her- kunft und Bedeutung von Zellbestandteilen giebt, so liegen hier zwar exakt-experimentell ausgeführte Untersuchungsresultate, aber doch keine allgemeinen Resultate, sondern nur „Fälle“ von Abhängigkeiten vor, und bei allen im engeren Sinne entwieklungsphysiologischen Ar- beiten liegen zunächst die Verhältnisse ganz ebenso. So wären also unsere Gegner im Recht? Sie sind im Recht, wenn unter exakter Biologie nur Forschungen der gekennzeichneten Art, also kurz gesagt: kausale Untersuchungen, verstanden werden, wenn man denkt, man habe das Mögliche in einer Sache ermittelt, wenn man in ihr „experimentiert“ habe. Aber derken die Physik und die Chemie, jene beiden großen me- thodischen Lehrmeisterinnen, so? Ich meine, nicht. XX, 2 18 Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. Wenn sie aber nicht so denken, so dürfen wir wohl andererseits aus der Art wie sie, die wir unsere Lehrmeisterinnen nannten, denken und vorgehen, uns eine Lehre nehmen über die Art, wie wir selbst vorzugehen haben. Da wird es denn nicht ausbleiben können, dass wir gleichzeitig mit der Erkenntnis unseres hohen Zieles auch des gegenwärtig noch recht niederen Standes unserer Experimentalbiologie inne werden: ja es wird uns die Mehrzahl unserer entwicklungsphysiologischen Unter- suchungen nur als Vorarbeit zu wahrer wissenschaftlicher Arbeit er- scheinen. — Was wäre denn nun „wahre wissenschaftliche Morphologie“ und warum gehört irgend ein beliebiges Experimentalresultat solcher noch nicht ohne weiteres an? Kurz gesagt, deshalb nicht, weil es am spezifischen gegebenen Objekte haftet, weil es zwar kausal, aber noch nicht rationell ist. Man handelt von „der Tubularie“, von „dem Seeigelei* oder seinen Teilen. Aber auch wenn man von weniger Speziellem — ich sage nicht von Allgemeinem — handelt, handelt man noch vom gegebenen Objekte: man redet von der Zelle, dem Centrosom, dem Chromosom, das sind zwar Abstraktionen, Begriffe, aber solche Begriffe, welche durch Fortlassung!) von Merkmalen aus den Einzelbegriffen gewonnen worden sind: Begriffe für Gegebenes, für in der Natur Vorliegendes bleiben sie; ich will sie Kollektivbegriffe nennen. So gelten denn auch an Zellen oder Zellteilen gewonnene Ex- perimentalresultate zwar meinetwegen von allen Zellen oder von allen Zellteilen einer bestimmten Art, so gilt mein Ergebnis, dass eine See- igelblastomere des Zweierstadiums eine Ganzlarve liefert, meinetwegen von allen Echinodermeneiern: am gegebenen Objekte bleiben alle diese Untersuchungen, obschon sie kausal sind, haften; deshalb sind sie alle für wirkliche Wissenschaft zunächst nur Vorarbeit. Man wendet mir ein, dass ich den Begriff der Wissenschaft will- kürlich einenge, aber ich meine, eine nähere Besichtigung dessen, was Physik und Chemie wissenschaftlich nennen, wird zeigen, dass ich nur thue, was jene unsere methodischen Vorbilder auch thun. Nennt man wohl Optik das Studium der Lichtverhältnisse an Seeflächen, oder Elektrik die Beschreibung der speziellen Vorgänge an einer Elektrisiermaschine, oder Mechanik die Beschreibung des Falles einer Feder in seinem Gegensatz zum Fallen eines Steines? Nein! Aber das „Brechungsgesetz“ zählt man zur Optik, das Cou- lomb’sche Gesetz zur Elektrik, das Galilei’sche Gesetz zur Mechanik. 1) Eben darum gestatten Kollektivbegriffe nur „Klassifikation“ nicht wahre Einsicht gewährende Subsumption, selbst wenn sie sehr allgemein sind. Vergl. Diese Zeitschr., XIX, S. 39 ff. Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. 19 Und zwar deshalb nennt man die Ergebnisse letzter Art „Phy- sik“, diejenigen erster Art nur Vorarbeiten zur Physik, weil diejenigen erster Art an „Objekten“ haften, sich auf spezifische Objekte beziehen, Abhängigkeiten an spezifischen Objekten beschreiben. Wird doch aus diesem Grunde die gesamte Metereologie, gewiss eine „kausale“ Dis- ziplin, eine „Anwendung“ der wissenschaftlichen Physik genannt: sie operiert eben mit Kollektivbegritfen. Welches aber ist nun das Kennzeichen jener wahrhaft als „Phy- sik“ zu bezeichnenden Fakten? Wenn sie nicht am Objekte haften, sich nicht auf gegebene Objekte beziehen, was thun sie dann? Und ist für die Biologie überhaupt die Möglichkeit vorhanden, so zu ver- fahren, wie es die Physik (und die Chemie) bei der Gewinnung ihrer allgemeinen Wahrheiten that, oder kann etwa Biologie gar nicht Wissenschaft in unserem strengen Sinne werden, sondern ist gezwungen immerdar Vorarbeit zu bleiben, Registrierung bald speziellsten, bald etwas weniger speziellen Geschehens? Wenn wir, wie schon oben, Begriffe wie diejenigen der „Zelle“, der „Befruchtung“, der „Faltung“, aber auch der „Reibung“ der „Wärme“, der „Kälte“, der „Leichtigkeit“ u.s.w. Kollektivbegriffe nennen wollen, können wir sagen, die wissenschaftliche Physik habe ihre Resultate errungen dadurch, dass sie sich von der Behandlung von Kollektivbegriffen frei machte. Zwar knüpfte sie an Kollektivbegriffe an, aber sobald sie wissenschaftlich ward, übernahm sie sie nicht als ihre Allgemein- heiten, sondern suchte sie zu zerlegen. So schuf sich die Physik durch Analyse Elementarbegriffe. Wie sie diese Zerlegung jedesmal vornahm, darüber lassen sich allgemeine Aussagen nicht wohl machen: der Instinkt der Forscher entschied hier, ein gewisser praktischer Takt, praktisch mit Rücksicht auf das, was später mit jenen Elementarbegriffen geschehen sollte, und von dem sogleich die Rede sein soll. Die Begriffe: Geschwindigkeit, Beschleunigung, Wärmekapazität, Elektrizitätsmenge, Brechungsexponent und viele andere sind solehe von der physikalischen Wissenschaft durch Zerlegung gewonnene Ele- mentarbegriffe. Die Schöpfung von Elementarbegriffen ist aber für die Physik nur Mittel zum Zweck: sie schafft sich nämlich aus den Elementarbegrifien durch Synthese neue kombinierte und doch einheitliche eindeutige Begriffe, die ich kombinierte Kunstbegriffe nennen will. Kraft, Energie, Wärmemenge, Potential sind solche durch Syn- these von Elementarbegriffen gewonnene Kunstkombinationen. Naturgesetze nun sind Beziehungen zwischen Kunst- begriffen, sind Aussagen darüber, wie sich die einen derselben mit den anderen ändern. 2# 20 Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. Eben durch die Art, wie sie gewonnen sind, haben aber die Natur- gesetze der Physik die Charaktere der Allgemeinheit und der All- gemeingiltigkeit erhalten. Sie sind unabhängig von den zufälligen durch Natur oder Kunst gegebenen Objekten, da sie ja Aussagen sind über Begriffe, die durch willkürliche Synthese gewonnen wurden: das macht sie allgemein. Sie beziehen sich aber doch auf alle ganz beliebigen Objekte, alle ganz beliebigen Vorgänge sind unter sie als „Fälle“ subsummierbar, da ja die Elemente, auf die sie basiert sind, durch verallgemeinernde Abstraktion aus allen Objekten gewonnen wurden: das macht sie allgemeingiltig, rationell; das erhebt sie über bloße Klassifikation. Die Physik auf der höchsten „wissenschaftlichen“ Stufe, redet also nicht mehr im Speziellen von individuellen Kunstobjekten wie der Volta’schen Säule, der Elektrisiermaschine, der Dampfmaschine, und auch nicht von individuellen Naturobjekten wie der fallenden Feder, der Seeoberfläche, dem Regen u. s. w., sondern sie redet von elek- trischen Spannungsdifferenzen und deren Ausgleich, vom Umsatz zwischen Wärme und Arbeit, von Massenanziehung, vom Reflexions- gesetz; aber indem sie letzteres thut, thut sie auch zugleich implieite jenes: in ihrer Allgemeinheit ist sie allgemeingiltig. Was lernen wir Biologen nun aus allem diesem: wir sehen, denke ich, hier vor uns eine kausale Wissenschaft, welche allgemein und allgemeingiltig d. h. rationell in ihren Aussagen geworden ist, wir er- kennen aber auch unschwer, wie sie solches geworden ist. Da auch für uns nun das wissenschaftliche Ziel jenes ist, welches wir von der Physik erreicht sehen, so erwächst aus unserer Erkennt- nis für uns eine Lehre, nämlich: so zu thun, wie die Physik that. Die Physik aber experimentierte zwar, ans Gegebene anknüpfend, aber sie experimentierte nicht nur, sie formte sich auch Begriffe in bestimmter Weise: so wollen denn auch wir nicht nur am Gegebenen experimentieren, sondern wollen uns auch Begriffe nach dem Vorbild der Physik formen. Oder vermöchten wir solches etwa nicht? Das von vornherein zu behaupten, dürfte einer Bankerotterklärung unserer Wissenschaft gleich- kommen, es sei denn, dass man, wie eine gewisse Schule, besondere Gesetzlichkeiten im Bereiche des Lebendigen von Anfang an leugnen, dass man die Biologie in Physik und Chemie auflösen will. Wenn es gar keine Biologie als selbständige Wissenschaft giebt, giebt es auch natürlich keine biologischen Sondergesetze, das ist selbstverständlich. Aber diese ganze Art des jetzt noch vorherrschenden Denkens ist eine für den kritischen Forscher unziemliche, ist dogmatisch, zudem sach- lich mindestens an Unwahrscheinlichkeit reich, wie ich selbst denke, geradezu als falsch aufgezeigt. Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. 24 27 Fragen wir uns also, anstatt auf die dogmatische „antivitalistische“ Doktrin näher einzugehen, lieber, was denn im Gebiete der Biologie an einer der physikalischen ähnlichen Begriffsbildung bereits geleistet sei, und ob wir irgend einen Weg erblicken, auf welchem uns weitere Leistungen der ersehnten Art als möglich erscheinen. Experimentiert ist im Gebiete der eigentlichen Physiologie seit langer Zeit, im Gebiet des Formgeschehens in planvoller Weise seit etwa 2 Dezennien. Dass es sich, angesichts der Schwierigkeit des Gegenstandes, da- bei zunächst nur darum handeln konnte, Abhängigkeiten innerhalb der von Natur gegebenen Objekte festzustellen, ist selbstverständlich: musste doch die eigentliche Physiologie zunächst überhaupt nur rein deskriptiv einmal die „Funktionen“ der Organe ermitteln, und war es doch auch für die Entwicklungsphysiologie das Natürliche, mit der Er- ledigung gewisser gleichsam mehr topographischer Vorfragen ihre kau- salen Experimentaluntersuchungen zu beginnen. Aber konnten und können nicht daneben her wenigstens Versuche, Ansätze gehen, auch begrifflich, rationell, in selbständig-biologischer Weise zu arbeiten ? Man sage mir nicht, dass es „noch zu früh“ für solche Versuche sei. Das ist ein Ausspruch, der nur Bequemlichkeit entschuldigen soll. „Zu früh“ ist es nie für Versuche wissenschaftlichen Fortschritts; er- scheint doch übrigens unseren Zeitgenossen die Aufstellung gar vieler arg phantastischer Hypothesen nicht als „zu früh“. Auf dem Gebiete der Hirnphysiologie erblicke ich in der Auf- stellung des Begriffs der „Antwortsreaktion“ seitens Goltz den Versuch der Formulierung eines synthetischen Kunstbegriffs; aber er ist leider ganz vereinzelt geblieben. Sonst ist auch seitens solcher Forscher, welche gezeigt zu haben glaubten, dass gewisse physio- logische Erscheinungen nicht physikalisch - chemischer Art seien, durchgängig nicht der Versuch gemacht worden zu formulieren, was denn nun jene Erscheinungen „seien“, d. h., korrekt gesprochen, wie man sie analytisch formulieren könne. Man versuchte gar nicht über die Diskussion von Kollektiv- begriffen hinauszugehen, sich von ihnen zu befreien, man blieb an den gegebenen Objekten haften, gerade als wenn die Physik nur die Vor- gänge an spezifischen Apparaten zu ihrem ausschließlichen Studium machen wollte. In ein anderes Stadium ist die biologische Begriffsmethodik seit Begründung der Entwicklungsphysiologie getreten, und ‚ich scheue mich nicht es auszusprechen, dass ich gerade diese Wissenschaft für berufen erachte, den Grund zu einer Umgestaltung der gesamten Bio- logie zu legen. Dass scharfe Begriffsbestimmung das erste Erfordernis wahrer 22 Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. Wissenschaft sei, war schon dem ersten bewussten Arbeiter auf ent- wicklungsphysiologischem Felde kein Geheimnis, und obwohl ich seine eignen Begriffsschöpfungen nicht für durchaus zweckentsprechend, namentlich nicht für erschöpfend halte, kann ich es doch nicht über- sehen, dass Roux mit Schöpfung der Begriffe Selbstdifferenzierung und abhängige Differenzierung, eben weil es reine Begriffsschöpfungen sind, eine Leistung von prinzipieller Bedeutung für die Biologie voll- bracht hat. Um weiter zu illustrieren, was ich mir unter einer fruchtbaren biologischen Begriffsbildung d.h. unter der Schöpfung von analytisch- synthetischen im Gegensatz zu bloß kollektivistischen Begriffen, vor- stelle, bin ich leider auf Erörterung meiner eignen vorläufigen Ver- suche in dieser Hinsicht angewiesen, denn alle von Anderen neuer- dings geschaffenen Allgemeinbegriffe der Entwicklungsphysiologie (z. B. „Cytotropismus“, „funktionelle Anpassung“ etc.) sind eben auch kollektivistisch, beziehen sich auf gegebene Geschehnisse oder Objekte. Ein Durchdenken der verschiedenen Fälle ontogenetischen Ge- schehens verbunden mit begrifflicher Analyse der ausgeführten, zunächst nur für spezifische Fälle giltigen, Experimentaluntersuchungen ließ mich gewisse analytische Elementarbegriffe aufstellen. Die Begrifie: morphogener Elementarprozess, prospektive Potenz mit ihren Unterarten u. a. sind solche Begriffe. Durch Synthese von Elementarbegriffen schuf ich mir des wei- teren kombinatorische Kunstbegriffe; die Begriffe: harmonisch- aequipotentielles System, determiniert-aequipotentielles System u. a. sind solche. In einem Falle gelang es dann, eine analysierte Aussage über die so geschaffenen Kunstbegriffe zu machen, d. h. darzustellen, wie gewisse sie realisierende Objekte empirischer Realität ihren Zustand ändern, d. h. also ein Naturgesetz aufzufinden; die Differenzierung harmonisch-aequipotentieller Systeme ist es, von der ich rede!). Durch die befolgte Methode konnte ich es erreichen, meinen Aus- sagen Allgemeinheit und Allgemeingiltigkeit zu gewinnen, denn ich operierte mit Begriffen, welche willkürlich ohne Rücksicht auf spezielle Objekte kombiniert, aber doch durch Analyse aller Objekte in ihren Grundlagen gewonnen waren; meine Begriffe hafteten nicht am Objekte, waren nicht Kollektivbegriffe. Am Schlusse unserer Betrachtungen wird es nun wohl am Platze sein, gerade am Beispiel unserer biologischen Untersuchungen noch etwas näher auszuführen, was die Worte Allgemeinheit und Allgemein- giltigkeit denn eigentlich besagen sollen. Wenn ich sage, unsere Aussage über gewisse Differenzierungs- 1) Vergl. meine „Analytische Theorie“, Leipzig 1894, und meine „Lokali- sation“, Leipzig 1899, auch Arch. Entw.-Mech., 8. Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. 23 erscheinungen an harmonisch-aequipotentiellen Systemen sei allgemein- giltig und allgemein, also nicht nur kausal sondern auch rationell, so soll das natürlich nicht besagen, dass nun überall im Bereich des Lebenden, wo wir in unserem Sinne von „Systemen“ reden können, harmonisch - aequipotentielle Systeme und die gewissen von uns erör- terten Differenzierungsarten vorlägen. Was wir sagen wollen, ist viel- mehr dieses: für alle Fälle, in denen solche Systeme und solches Geschehen vorliegt, haben wir die Sachlage ein für allemal dar- gestellt. Oder um konkreter zu sprechen: wir sagen nicht, dass wir mit Erkenntnis des Differenzierungsgeschehens am Seeigelei nun auch das- Jenige am Ctenophorenei oder an der Tubularia durchschaut haben, wir sagen aber, dass wir das Geschehen am Seeigelei in einer Weise formuliert haben, welche unsere Erkenntnis als von dem speziellen Objekt unabhängig erscheinen lässt und so beschaffen ist, dass sie ohne Weiteres auch für Fälle gilt, in denen sich, trotz weitgehen- der äußerer Unterschiede, nur gewisse begriffliche Kombinationen als realisiert erweisen, wie das z. B. bei Tubularia der Fall ist. Wir sagen also nicht: „Was wir erkannten, gilt überall“, sondern: „wir erkannten etwas kausales in allgemeingiltiger, rationeller Form“. Ja, selbst wenn uns nur im Stamm der Tubularia und sonst nir- gends ein harmonisch-aequipotentielles System vorläge, würden unsere Aussagen über die Differenzierung desselben doch das Prädikat ratio- nell verdienen, da sie sich durch ihre Form vom gegebenen Ob- jekte erheben. Es wäre doch ein elementares Naturgesetz, das wir erkannt hätten, wenn es auch nur einmal, nur hier realisiert wäre, wir hätten in einem „Falle“ das Naturgesetz erkannt. Ganz ebenso übrigens in der Physik: wenn hier ein optisches Ge- setz gefunden ist, heißt das doch nicht, dass nun alles physikalische Geschehen optisch sei, sondern es heißt, dass dasjenige Geschehen, welches optisch ist, das Geschehen, wenn es optisch ist, ein für allemal in seiner Gesetzlichkeit erkannt ist. Durch ihre Begriffsform können also entwicklungsphysiologi- sche, allgemein gesagt: biologische Untersuchungen allgemein und all- gemeingiltig d. h. rationell werden, wenn sie auch nur an einem Ob- jekte angestellt wurden: was an Tubularia erkannt wurde, gilt zwar zunächst nur für Tubularia, aber es kann hier in einer solchen Form erkannt werden, dass es auch für beliebige andere Fälle ohne weiteres gelten könnte, und dass es, selbst wenn es praktisch für keinen anderen Fall gelten würde, doch für den einen Fall als Naturgesetz gälte. Es ist, um Rationelles und bloß Kausales noch einmal scharf zu kontrastieren, ein ganz anderer, höherer, nämlich eben rationeller Ausspruch, wenn ich sage: „die Größe des Reparationsareals der Tu- 24 Driesch, Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen. bularia hängt ab von der absoluten Größe des (harmonisch-aequipoten- tiellen) Systems und von den Relationszahlen im absolut-normalen Falle“!), als wenn ich den nur kausalen Ausspruch begründe, dass gewisse Entwicklungsvorgänge am Ütenophorenkeim zu den Teilen seines Eiprotoplasmas in festen Beziehungen stehen. — Das Experiment ist eine notwendige Vorbedingung jeder exakten Untersuchung, aber das Experiment an und für sich macht ein Resul- tat noch nicht zu einem im strengsten Sinne wissenschaftlichen, wenn- schon zu einem kausalen. Die eigentlichste wissenschaftliche Arbeit kommt erst hinter dem Experiment, wenigstens hinter der bisher fast ausschließlich geübten Art des Experiments, welche ich die orien- tierende nennen möchte. Es liegt in der Natur der Sache, dass fast alle unsere biologischen Versuche zur Zeit orientierende Experimente sind, einfache, naive, wenn- schon bestimmte Fragen an die Natur?). Aber die Erfolge und Ein- blicke, die uns solehe Experimente gewähren, dürfen uns nicht blind dagegen machen, dass es, um ein Gebiet zur Wissenschaft im strengen Sinne zu machen, noch einer anderen Sache bedarf, und dass es auch noch eine andere Art des Experiments giebt, als das wennschon ein- deutig bestimmte, so doch bloß orientierende Experiment, nämlich das „rationelle Experiment“, das von rationellen Kausalaussagen ausgeht. Man hat sich darüber ereifert, dass ich in einem früheren Ar- tikel ausführte, wie die deskriptiv-vergleichende Forschungsmethode ?) nur Vorarbeit für Wissenschaft liefern könne; hier muss es nun gesagt sein, dass auch die Experimentalmethode zur Zeit fast nur Vorarbeit für Wissenschaft, im strengsten Sinne, liefere. - Freilich besteht ein sehr großer Rangunterschied zwischen der Vor- arbeit, welche durch deskriptive und durch experimentelle Forschungen geliefert wird: beide Arten der Vorarbeit sind zwar keine rationellen Leistungen, aber die durch den Versuch gelieferte Art ist kausal im Gegensatz zu der anderen, sie stellt eindeutige Abhängigkeits- verhältnisse fest, sichere Beziehungen, während deskriptive For- schung nur lokal-temporale Koinzidenzen erweisen kann; rationelle d. h. Subsumtion gestattende kausale Einsicht jedoch leistet auch das beste orientierende Experiment noch nicht. 4) Siehe meine „Studien über das Regulationsvermögen“, II. Arch. Entw.- Mech., IX, sowie meine „Lokalisation“, ebenda VII, p.76 ff. 2) Von unanalytischen Versuchen sehen wir hier also ganz ab. 3) Mach hat bekanntlich einmal den Wert der „vergleichenden“ Methode für die Physik gepriesen. Es ist natürlich zuzugeben, dass alle Begriffsbildung im gewissen Sinne Vergleichung als Grundlage bat. Aber auf den Unterschied derjenigen Art der Allgemein-Begriffsbildung, welche auf dem Fortlassen von Merkmalen, von derjenigen, welche auf der Verallgemeinerung von Merkmalen beruht, ist Mach nicht eingegangen. Näheres siehe in meiner Schrift: „Von der Methode der Morphologie“. Diese Ztschr. XIX, 5.39 fi. Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. Ir mr Aber nur rationelle Aussagen sind im strengen Sinne wissen- schaftliche. Wir können eben den Begriff der strengen Wissenschaft gar nicht hoch und abstrakt genug formulieren, wennschon wir den bekannten Kant’schen Ausspruch, dass nur Mathematisches Wissenschaft sei, dahin abändern möchten, dass wir sagen: es ist in jeder Disziplin nur so viel wahre Wissenschaft vorhanden, als feste Aussagen über Beziehungen zwischen letzthin analysierten oder aus letzthinanalysierten bewusstkombinierten Begriffen in ihr enthalten sind. Denn mathematisch können nur Aussagen über Quantitatives sein; mit Kant nun nur Mathematisches als Wissenschaft gelten lassen zu wollen, würde uns als Willkür erscheinen; denn „es giebt“ nicht nur Quantitäten, Wissenschaft aber befasst sich mit allem, was „es giebt“. Sollen wir endlich der von uns als erwünschtes Ziel hingestellten Art biologischer, im besonderen morphologischer Forschung einen Namen geben, so mag sie passend rationelle Morphologie (Bio- logie) heißen. Dieser Name schließt ihre „kausale* Natur mit ein, denn alles rationell über Geschehnisse Ausgesagte ist zugleich kausal, während das Kausale, wie wir sahen, nur dann rationell ist, wenn es sich von dem Haften an Einzelbegriffen oder Kollektiv- begriffen befreit. [4] Neapel, 16. Oktober 1899. Das Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. Vorläufige Mitteilung. Von Adolf Steuer. (K. K. zoologische Station in Triest.) Das rege Interesse, welches man gegenwärtig ganz allgemein und seit kurzem auch in Deutsch-Oesterreich der modernen Planktonforschung entgegenbringt, sowie der Umstand, dass allerhand Amtsgeschäfte den Abschluss der Arbeit verzögerten, veranlasst mich, schon jetzt die wichtigsten Resultate meiner nun schon seit Juli 1897 im Verein mit Herrn J. Brunnthaler unternommenen Untersuchungen über das Plankton der „alten Donau“ bei Wien zu veröffentlichen. 1. Untersuchungsgebiet, Der Ort unserer Thätigkeit waren vornehmlich die an der Straße von Wien nach Kagran liegenden Teile des alten Donaubettes, das Brückenwasser und Karpfenwasser, die nun durch Damm- und Straßen- bauten von einander und dem neuen Strombette geschieden, als selb- ständige Wässer zu betrachten sind. Wie Herr Brunnthaler zuerst nachwies, ist das Brückenwasser ein „Chroococcaceensee“, dasKarpfen- wasser ein „Dinobryonsee* im Sinne Apstein’s. Das erstere ist im Mittel nur 4 m tief, das letztere, kleinere, noch seichter. Der „Chroo- 26 Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. Mei coceaceensee“ !) hat sandigen Grund mit stellenweise üppigem Stratiotes- Rasen, der Dinobryonsee mehr Schlammgrund und mannigfaltigere Vegetation (Schilf, Binsen, Ranunculus); ihm fehlt die Dreyssena poly- morpha, die den Chroocoecaceensee in Massen bevölkert. 2. Die Crustaceenfauna. Von der im Allgemeinen nicht sehr reichen Plankton-, Ufer- und Grundfauna wurden die Krebse mit besonderer Berücksichtigung der Copepoden und Cladoceren genauer untersucht; es wurden 28 Qlado- ceren und 12 Copepoden nachgewiesen. Die wichtigsten Vertreter der Planktonfauna sind: Cyelops oithonoides, Bosmina longirostris-cornuta, Diaptomus gracilis, Oyclops Leuckarti. Leptodora hyalina kam nur in geringerer Zahl und in kleinen Exemplaren zur Untersuchung, auch Sida und Diaphanosoma sind nicht sehr häufig. Dagegen könnten nicht nur Chydorus sphaericus sondern auch Pleuroxus nanus zur Planktonfauna gezählt werden. Vertreicr des Genus Daphnia und Hyalodaphnia wurden in den zahlreichen Fängen, die seit 1897 regel- mäßig gemacht wurden, nur in einigen Exemplaren(Jugendformen) aufgefunden — ein klarer Beweis für de Planktonarmut der unter- suchten Gewässer. Der Saisonpolymorphismus der Bosmina wurde eingehend studiert. Als Nahrung der pelagischen Crustaceen kommt in der warmen Jahreszeit hauptsächlich die pelagische Flora (Chroococcaceen u. a.) in Betracht. Obwohl Clathrocystis erst spät im Herbste ihr Maximum erreicht, nehmen die Krebse doch verhältnismäßig früh an Zahl ab und im Winter finden wir Cyclops und Diaptomus fast ausschließlich in der Region der Stratiotes-hasen, von deren Diatomeen-Flora sie sich im Verein mit den Grund- und Ufer-bewohnenden Cladoceren ernähren; sie büßen bei dieser Kost teilweise ihre Durchsichtigkeit ein und werden gelblich. Auch die kleineren Fischarten (Lauben, kotauge u. a.) suchen zur Winterzeit die mit Stratiotes bewachsenen Uferplätze auf und räumen mit der Crustaceenfauna dort so gründlich auf, dass grade noch zeitig genug der Frühling den decimierten Crustaceenherden zu Hilfe kommt und ihnen durch die Entwicklung der Schwebflora eine Ausbreitung uud stärkere Vermehrung im freien Wasser gestattet. 3. Die quantitative Planktonforschung. a) Rohvolumenmethode. Zur Entscheidung der Frage über die Art der Verteilung der einzelnen Planktonwesen im „Dinobryon*- und „Chroococcacensee“ wurde zunächst die sog. „Rohvolumenmethode* angewendet. Wenn- gleich ich mir der Unvollkommenheit dieser Methode vollkommen be- wusst bin, und alle bisher von verschiedenen Seiten gemachten Ein- 4) Wir wollen im Folgenden diese Namen beibehalten. Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau* bei Wien. 27. wände wohl erwog, glaube ich doch, dass sie in der ihr von Walter gegebenen Form für die praktische Teichwirtschaft von großer Be- deutung ist und auch ein rein wissenschaftliches Interesse beanspruchen darf, sofern man eben auf alle Eventualitäten Rücksicht nimmt und nieht gedankenlos und blindlings ihr vertraut. Die beigegebene Kurve (Figur 1) lässt in der Zeit von Juni- Dezember 1897 den Chroococcaceensee, von da ab bis Juni 1809 da- gegen den Dinobryonsee planktonreicher erscheinen. Die Maxima werden im ersten Falle durch das massenhafte Auftreten der Olathro- cystis zur Herbstzeit im Chroococeaceensee, im zweiten Fall durch die ungeheueren Mengen von Rotatorien bedingt, die im Frühjahr 1899 im Dinobryonsee erschienen. Fig. 1. cevrv 35 EHE re 30 Amı vom fe NR9) Man Rlon N ol ivvıeWw: 25 WM mobiyonoee 10 ae Ohronoreacen» er 2 & A so / Sr | —| 2 Eazil % N | ae > Ak - 2 % Be nl — | u ee er u v Anauss Zu „ 2 Ar. i Ä vr hi et g ii a Bes a er I" ir |} Ai at Zwischen der Rohvolumen- und der Temperaturkurve der beiden Gewässer ergiebt sich insofern eine Uebereinstimmung, als in der Zeit von Juni bis zum Ende des Jahres der Chroococeaceensee, von da ab bis Juni der Dinobryonsee um einige Grade wärmer war. Das Rota- torienmaximum fiel überdies im Jahre 1899 in Folge des abnorm warmen Winters ungleich später als es unter normalen Verhältnissen der Fall sein dürfte. In der Saison 1897—1898 konnten wir schon im Dezember 1897 das Maximum des Vorkommens der Rotatorien konstatieren; das Wasser erschien damals von ihnen gelblich gefärbt. 28 Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau* bei Wien. Was den Gehalt der untersuchten Gewässer an organischer Sub- stanz und insbesondere an animalischem Plankton, d. h. ihren Wert als Fischzuchtwässer anlangt, so fallen sie in dem uns kürzlich von Walter gegebenen Schema wohl unter die Gewässer „von geringer oder sehr geringer Produktivität“. Ihre Armut lässt sich auch schon qualitativ aus der Art der Zu- sammensetzung des Planktons erschließen: Ueberwiegen von Rotatorien, Dreyssena- Larven, Clathrocystis, Dinobryon, Copepoden, Zurücktreten der größeren Cladoceren. b) Zählmethode. Durch die Rohvolumenmethode wollen und können wir uns nur ganz allgemein von dem Reichtum eines Gewässers eine Vorstellung machen. Wollen wir weiter gehen und das Mengenverhältnis der einzelnen Organismen im Plankton zu verschiedenen Zeiten feststellen, dann müssen wir eben zur Statistik unsere Zuflucht nehmen. Fig. 2. jab Rliche Ve WUheilung emigev Pa an bon: 70000 organ merw der Oirpavercacecrneeeh _ _ SAotakorim. en Oycloys oilhonside GO San Dreynenalae i 40000 = oo 0000 1 ___|2 | 70008 BB 4 zen - - z—uzunn \ | | | \ | 2 re | EN: [ x ee ee | a pi lugust SeptemblOckober lovonlMeonbNnner Be eumilı | | 3899 ER Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. 39 Da zur Anschaffung einer Planktonpumpe, die uns schon vor Jahren der beste Fangapparat für die quantitative Planktonforschung zu sein schien, unsere sehr bescheidenen Mittel nicht ausreichten, wurde mit einem dem Apstein’schen ähnlichen, nur leider etwas zu kleinen Planktonnetz gefischt und ich trat, wie ich ausdrücklich her- vorheben muss, vollkommen unparteiisch an die „arithmetische Danaiden- Arbeit“, das Zählen der Planktontiere heran. Doch wurde die Hensen- Apstein’sche Zählmethode vereinfacht, es wurde nur mit einer Zähl- lupe gezählt und dabei hauptsächlich nur auf Krebse, Dreyssena-Larven und die Rotatorien in ihrer Gesamtheit Rücksicht genommen. Bei dem Umstande, dass die Zählmethode, trotzdem sie nun schon in Deutschland, in der Schweiz, in Norwegen, Nord-Amerika n. a.a. O. mit Erfolg angewendet wurde, noch immer vielfach, namentlich auch in Oesterreich für ganz wertlos angesehen wird, will ich nicht uner- wähnt lassen, dass mich die Resultate, zu denen ich gelangte, oft geradezu überraschten. Die Kurve (Fig. 2) soll die Verteilung einiger Planktontiere im Laufe eines Jahres veranschaulichen. Wie Apstein im Dobersdorfer See konnte auch ich einen deutlichen Abfall der Kurve im Juli konstatieren. Es zeigte sich weiters, dass die Planktonmenge seit 1897 wohl in Folge der abnorm milden Winter konstant abnahm. Des Vergleiches wegen wurde auch in anderen Gewässern quanti- tativ gefischt. Herrn Brunnthaler verdanke ich Fänge aus dem Vranasee auf der Insel Cherso — wohl einer der südlichsten Seen, über deren Plankton quantitative Angaben vorliegen. Herr Brunn- thaler fischte dort am 20. Juli 1898 aus 3 m Tiefe. Eine Wasser- säule von 1 m? Oberfläche und 3 m Tiefe enthielt 0'655 em? Plankton; dasselbe bestand aus 438.889 Ceratien, 2288 Anuraea und 100 As- planchna, 3 Nauplien und 1 juv. Acroperus. Der See war also außer- ordentlich planktonarm. Später im Jahre wird er allerdings wenigstens qualitativ etwas planktonreicher; ein Fang vom 14. September 1888 (leg. Dr. v. Lorenz-Liburnau) enthielt sehr viel Diaphanosoma und Asplanchna, außerdem einige Nauplien, Oyclops, Ceratium und Bosmina longirostris. Am 17. April 1899 fischte ich im Cepie- See (Istrien). 1 m3 Wasser enthielt kaum 0'7 cm? Plankton, das fast ausschließlich aus Rotatorien bestand. Weiters verdanke ich einen quantitativen Fang aus dem Wörter- see (Kärnten) Herrn Dr. R. Puschnig. Das Resultat ist folgendes: Am 28. April 1899 enthielt eine Wassersäule von 1 m? Oberfläche und 15 m Tiefe 14°92 em? Plankton. Vergleichen wir nun schließlich diesen Fang mit einem etwas später (2. Mai 1899) im Golf von Triest ausgeführten (bei 1 m? Ober- fläche und 15m Tiefe: 39:79 cm? Plankton), so ergiebt sich, dass die 30 Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. Adria zu der Zeit 2'6mal reicher an Plankton war als der Wörtersee. So gering auch der Wert solcher „Stichproben“ sein mag, geben sie uns doch vorläufig wenigstens eine schwache Vorstellung von dem Reichtum der untersuchten Gewässer und da wir schon seit langer Zeit an den Gestaden der Adria zwei biologische Stationen besitzen und hoffentlich in absehbarer Zeit auch an einem der österreichischen Alpenseen eine biologische Station errichtet werden dürfte, steht zu erwarten, dass diese Untersuchungen später hier wie dort in systema- tischer Weise werden fortgeführt werden können. 4. Die vertikale, tägliche Wanderung des Planktons und die Bedeutung des Experimentes für die Plankton- forschung. Nach dem Vorschlage Apstein’s wurden im Sommer und Herbst zu verschiedenen Stunden des Tages und der Nacht je 10 Liter Ober- flächenwasser geschöpft und filtriert und die so gesammelten Plankton- tiere gezählt; auf Grund dieser Zählungen wurden sodann Kurven gezeichnet. Nur in einem Fange zeigten einige Formen in der Nacht ein Minimum; in allen übrigen Fällen erreichte die Kurve sämtlicher gezählter Organismen in den Nachtstunden ikr Maximum. Auch quali- tativ waren die Nachtfänge durchwegs reicher als die Tagfänge. Die Nachtfänge bei Vollmond und Neumond zeigten kaum merkliche Unter- schiede. Ein Voreilen der Cladoceren konnte nicht konstatiert werden. Zur Kontrole der Zählungen und zur Erklärung des Phänomens wurden Experimente im Freien und im Laboratorium angestellt. Mit Hilfe eines einfachen Apparates konnte die Wanderung der größeren Planktonwesen an Ort und Stelle sofort beobachtet werden. Die interessanten Untersuchungen Loeb’s konnten im Allgemeinen bestätigt und in einigen Punkten ergänzt werden. Bosminen zeigten eine ganz eigentümliche Reaktionsfähigkeit auf reflektiertes Licht; außerdem be- wirkte eine Ueberführung in ein anderes Gefäß bei diesen Tieren momentan eine Umkehrung ihrer heliotropischen Bewegungen, die man etwa als „Schreckbewegung“ bezeichnen könnte. Die Experimente, die leider wegen der ungenügenden Behelfe unvollständig blieben, ließen einerseits das Phänomen als durchaus nicht so einfach erscheinen, wie man bisher vielfach annahm, andererseits eine Fülle interessanter Aufgaben erkennen, für deren Lösung eigentlich noch so wenig ge- schehen ist. Speziell für den modernen Planktonforscher ist das Ex- periment ein notwendiger Behelf, auf den wir nicht länger verzichten dürfen. 5. Die geographische Verbreitung einiger Plankton- Organismen. Die diesbezüglichen Erörterungen betreffen hauptsächlich den Aus- gangspunkt und die zoogeographischen Gebiete der Entomostrakenfauna Steuer, Zoo-Plankton der „alten Donau“ bei Wien. 1 unserer Süßwässer. Zur Lösung dieser Fragen stand mir die reiche Koelbel’sche Sammlung aus dem Wiener Hofmuseum zur Verfügung; die Angaben Burckhardt’s über die Entomostrakenfauna der Alpen- wässer konnten so vielfach ergänzt werden und zwar hauptsächlich bezgl. der Genera Bosmina, Diaptomus und Heterocope. Viele That- sachen sprechen dafür, dass wir den Norden der paläarktischen Region als den Ausgangspunkt der Entomostrakenfauna anzusehen haben: ein sehr strenger Winter, ein kurzer, heißer Sommer scheinen zu ihrer reichen Entwicklung unumgänglich notwendig; wir haben gesehen, dass nach einem milden Winter das Plankton nicht nur quantitativ ärmer wird, sondern auch die Maxima in der Jahreskurve der einzelnen Formen später fallen als es nach einem normalen kalten Winter der Fall ist. Bei einigen Cladoceren (Bosmina) sind die Tiere der Sommer- generation klein, wie verkümmert; in ihrer äußeren Form gleichen dagegen die jungen Tiere durchgehends der Winterform. Nach den allerdings mangelhaften bisherigen Untersuchungen zu urteilen, nimmt der Formenreichtum nach dem Süden ab. Einige für den hohen Norden als typisch bezeichnete Tiere sind aus den südlichen Gebirgsgegenden bekannt. Während zahlreiche Formen wahre Cosmopoliten sind, sind andere in ihrem Vorkommen nur auf einen oder einige Erdteile beschränkt oder kommen gar nur in engbegrenzten Bezirken vor. In einigen Fällen ergeben sich interessante Beziehungen zwischen den Verbrei- tungsgrenzen der Entomostraken und der Geologie der von ihnen be- wohnten Gebiete. Je mehr durch die immer sorgfältigeren und ge- naueren faunistischen Studien der Wert des seinerzeit immer mit Nachdruck hervorgehobenen Vorwurfes ungenügender, zoogeographischer Kenntnisse schwindet, desto deutlicher ersehen wir, dass unsere Süß- wässer nicht nur lediglich dem blinden Zufalle (Wind, Ueberschwem- mungen, Einschleppung durch wandernde Vögel ete.) ihre Kleintier- fauna verdanken, sondern dass wir auch hier durch geologische und klimatische Verhältnisse bedingte mehr minder genau begrenzte Faunen- gebiete!) zu unterscheiden haben; dass diese zum Teil wesentlich anders aussehen als die nur auf Grand der Verbreitung höherer Tiere seinerzeit aufgestellten ist wohl leicht begreiflich. 6. Potamo- und Heleoplankton. Die Frage, ob man berechtigt ist, von einem Fluss- oder Teich- plankton zu sprechen, scheint mir noch nicht definitiv entschieden. Nach den Fängen, die Herr Brunnthaler und ich in dem Donau- strom bei Wien machten, wäre es geradezu lächerlich, dieses Gemisch 4) Bei der Abgrenzung der Faunengebiete ist nicht nur lediglich auf die Qualität sondern auch auf die Quantität ihrer Bewohner Rücksicht zu nehmen — ein Gesichtspunkt, der bisher fast immer außeracht gelassen wurde, 32 Mitteilung der Redaktion. von Straßen- und Kohlenstaub, dem nur wenige vom Ufer losgerissene Organismen beigegeben sind, mit dem stolzen Namen „Potamoplankton“ zu belegen. Wenn man vor Kurzem zur Ueberzeugung kam, dass die gut- durchforschten norddeutschen Seen eher als Zwischenformen zwischen Sümpfen und Seen aufzufassen seien, so sind wohl auch die Flüsse der norddeutschen Tiefebene mit ihrem meist kaum merklichen Gefälle eher Teiche als Flüsse zu nennen; dagegen muss ich gestehen, dass mich das Oderplankton, das mir seinerzeit Herr Dr. Zimmer demonstrierte, wegen seiner Reichhaltigkeit überraschte. Will man an dem Terminus „Potamoplankton“ festhalten, dann ist die Zimmer’sche Einteilung (eu-tycho-autopotamische Planktonorganismen) jedenfalls einwandfrei, das „Autopotamoplankton“ ist allerdings sehr bedenklich formenarm. Den Unterschied zwischen Seen- und Teichplankton hat kürzlich Zacharias sehr gründlich erörtert. Aber birgt der Name „Heleo- plankton“ nicht wenigstens was die Tierwelt anlangt, einen Wider- spruch in sich ? 7. Plankton als Fischnahrung. Zahlreiche Magenuntersuchungen verschiedener Kleinfische haben ergeben, dass das Plankton der untersuchten Gebiete direkt als Fischnahrung nur eine unbedeutende Rolle spielt; es wurden meistens Insekten und zwar Larven und geflügelte, erwachsene Formen, ferner hauptsächlich uferbewohnende Oladoceren im Darmtrakt angetroffen, letztere kamen aber oft schon als halbverdaute Nahrung der Insekten- larven mit diesen in den Fischdarm; ist die tierische Nahrung aufge- zehrt, dann müssen Gräser und Schlamm als Ersatz dienen; ein Fischehen hatte sogar ein tüchtiges Quantum Kohlenstaub verschluckt. [6] Mitteilung der Redaktion. Mit dem Sehluss des Jahres 1899 hat Herr Professor Dr. Reess auf- gehört, an der Herausgabe des Biologischen Centralblatts mitzuwirken. Indem wir diese durch Gesundheitsrücksichten verursachte Aenderung zur Kenntnis unsrer geehrten Leser bringen, danken wir zugleich Herrn Prof. Reess für seine wertvolle Unterstützung, deren sich das Blatt seit seiner Begründung zu erfreuen hatte. Die Unterhandlungen wegen Ergänzung des Redaktionsausschusses sind noch nicht abgeschlossen. Wir hoffen von dem Ergebnis in der nächsten Nummer Mitteilung machen zu können. Erlangen, 28. Dezember 1899. Die Redaktion. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. Inhalt: Mitteilung der Redaktion. Stölzle, K. E. v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. — Kathariner, Die Mechanik des Bisses "der solenoglyphen Giftschlangen. — Bokorny, Physiologisches und Chemisches über die Peptonbildung aus Eiweiß. — Duclaux, Trait@ de Microbiologie. — Friedländer, Mikroskopische Technik zum Gebrauch bei medizinischen und pathologisch-anatomischen Untersuchungen, 15. Januar 1900. Nr. 2. Mitteilung der Redaktion. Unsern geehrten Mitarbeitern und Lesern beehren wir uns mitzuteilen, dass Herr Prof. Dr. Karl Goebel, Professor der Botanik und Direktor des botanischen In- stituts in München, in den Redaktionsausschuss des Bio- logischen Ccntralblatts eingetreten ist. Wir ersuchen die geehrten Mitarbeiter, alle Beiträge botanischen Inhalts fortan an Herrn Prof. Goebel, Wünchen, Botanisches Institut (Karlstr. 29), alle übrigen wie bisher an die Redaktion des Centralblatts, Erlangen, physiologisches Institut, einsenden zu wollen. Die Redaktion. xXX. 3) 34 Stölzle, v. aBer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. K. E. v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. Von Dr. Stölzle, Professor der Philosophie in Würzburg. DasProblem der Zweckmäßigkeit beschäftigt besonders heute wieder, wie zu den Zeiten des Democrit und Aristoteles, Philosophen und Naturforscher und scheidet sie in zwei feindliche Lager. Denn die Frage: Wie sind die zweckmäßigen Erscheinungen in der Natur zu erklären ? ist so tiefgreifend, dass die Art und Weise ihrer Beantwortung einen fundamentalen Unterschied der Weltanschauung bedingt. Lassen wir die hylozoistische Erklärung als eine phantastische bei Seite, so haben wir zwei einander entgegengesetzte Lösungen des Problems der Zweckmäßigkeit. Die eine leitet die Körper und ihre Formen in ihrer Zweckmäßigkeit bloß aus äußeren, materiellen Ursachen oder bewegen- den Kräften ab. Wir haben nur Kräfte und Gesetze, die rein mechanisch wirkend als Resultat zweckmäßige Erscheinungen zur Folge haben. „Die Zweckmäßigkeit ist eine notwendige und unausbleibliche Folge der mechanischen Naturgesetze*. So erklären die Zweckmäßigkeit alle Anhänger einer rein mechanischen Weltansicht, alle Vertreter des mechanischen Monismus. Eine zweite Lösung leitet die zweckmäßigen Erscheinungen aus inneren, idealen Ursachen oder zweckthä- tigen Kräften ab. Die Vorstellung der Wirkung ist die Ursache der Wirkung. Und zwar werden diese zweckthätigen Kräfte in derMaterie auf die letzte Ursache aller Dinge, einen geistigen Weltgrund bezogen, der, bald pantheistisch bald theistisch gefasst, die Dinge nach Ideen schafft. Der Gedanke, der Zweck .ist das Erste, das Bestimmende, Herrschende, der Stoff, die mechanisch-wirkenden Kräfte und Gesetze sind nur Mittel, durch welche die Zwecke erreicht werden. Die Dinge in der Welt erscheinen als beabsichtigt, eines bestimmten Zweckes wegen geschaffen, als Gedanken oder Wille der Natur, als für irgend ein Verhältnis der Erde organisiert, als Ausdruck eines höheren Willens, der die Ziele gehabt hat. Wie allerdings diese Ideen den Stoff in ihren Dienst nehmen, wie sie von dem geistigen Weltgrund ausgehen, kann diese Erklärungsweise nicht angeben. Es sind also meta- physische Prinzipien, die hier zur Erklärung der Zweckmäßigkeit in Anspruch genommen werden. Das ist die alte teleologische Er- klärung, 'sie macht die Zweckmäßigkeit der Natur begreiflich „durch die Annahme eines architektonischen Verstandes d. h. eines intelligenten und zweckthätigen Urwesens“. Man sieht wohl, dass die beiden Er- klärungsweisen einander diametral entgegengesetzt sind. Die mecha- nische erkennt den Zweck nur als Resultat, die teleologische als Prinzip ° an. Für die erste Lösung sind die mechanisch-wirkenden Kräfte das Einzige und Erste, der Zweck das Letzte als notwendige Folge der physi- kalisch-chemischen Kräfte. Bei der teleologischen Ansicht ist es um- Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. 35 gekehrt; hier ist der Zweck, die Idee das Erste, die mechanisch- wirkenden Kräfte sind das Zweite, das Sekundäre, das Mittel. So läuft der Gegensatz der geschilderten Lösungen des Zweckmäßigkeits- problems auf den Gegensatz einer rein mechanischen oder einer idealen Weltanschauung hinaus. Und einem Autor die eine oder andere Er- klärungsweise zuschreiben, heißt ihn für eine ganz bestimmte Welt- anschauung in Anspruch nehmen. Es ist daher nicht eine unter- geordnete Frage, ob ein Naturforscher der teleologischen oder mecha- nischen Naturansicht gehuldigt habe. Stellen wir diese Frage bei K. E. von Baer, so wird kein Kenner der Schriften dieses großen Naturforschers und Bahnbrechers einen Augenblick im Zweifel sein und Baer als einen entschiedenen Vertreter der teleologischen Naturauffassung bezeichnen. In diesem Sinne hat Weismann, der Freiburger Zoologe, Baer aufgefasst und ihm den Vorwurf gemacht, er lasse in seiner Zielstrebigkeit ein meta- physisches Prinzip in den Gang des Naturmechanismus eingreifen !). In diesem Sinne habe ich in dem Werke: „K.E. v. Baer und seine Weltanschauung“ (Regensburg 1897), gestützt auf das gesamte Schrifttum, auf briefliche und handschriftliche Dokumente von E.v. Baer, gezeigt, dass der Zweckgedanke ein herrschender war im ganzen Denken Baer’s, und dass Baer alle Probleme unter dem Gesichtspunkte der Teleologie betrachtete. Dieser Auffassung widerspricht Herrv. Kölliker in seinem neuesten Werke: „Erinnerungen aus meinem Leben“ (Leipzig 1899, S. 361), indem er gegen Weismann polemisiert. Er bemerkt gegen Weismann: „Wenn Weismann weiter annimmt, dass v. Baer und v. Hartmann, indem sie ein „inneres Entwicklungs- prinzip“ annehmen, das metaphysische Prinzip in den Gang des Natur- mechanisınus eingreifen lassen, so beruht dies auf einem Missverständ- nisse. Diese beiden Forscher und ebenso Nägeli, ©. Hertwig, ich selbst, Driesch sind der Meinung, dass die einzig zulässige Ent- wicklungstheorie das Prinzip der Zweckmäßigkeit mit dem der mecha- nischen Auffassung zu verbinden habe; mit andern Worten, dass auch das innere Entwicklungsprinzip oder die Zweckmäßigkeit eine not- wendige und unausbleibliche Folge der mechanischen Naturgesetze sei“. Demgemäß wäre K.E.v.Baer wie Herr v.Kölliker Anhänger einer rein mechanischen Naturauffassung. Da wir diese Auffassung von E. v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit für irrtümlich halten, sei es gestattet, nochmals in Kürze Baer’s Anschauung über diesen Punkt zu erörtern. Zu diesem Zwecke zeigen wir, dass drei Thatsachen es verbieten, Baer eine mechanistische Erklärung der Zweckmäßigkeit unterzulegen, nämlich erstens Baer’s entschiedene Ablehnung einer rein mechanistischen Naturauffassung, zweitens Baer’s klare Fassung der Zielstrebigkeit als eines metaphysischen 1) Studien zur Descendenztheorie, 1876, S. 317. >E 36 Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. Prinzipes, endlich drittens Baer’s Ableitung der Ziele in der Welt aus einem bewussten und wollenden Weltgrund !). I. Baer ein Gegner der rein mechanischen, Naturerklärung. Die rein mechanische Naturerklärung behauptet, auch das Leben und die Formen der organischen Körper restlos aus dem Wirken physikalisch-chemischer Kräfte begreiflich machen zu können. Nach ihr unterliegen die organischen Bildungen ganz und gar denselben Gesetzen, wie die anorganische Natur. Die Zweckmäßigkeit ist für diese Auffassung ein lediglich mechanisches Problem. Wie wenig man aber berechtigt ist, Baer diese Anschauung zuzuschreiben, beweist die Thatsache, dass Baer eine rein mechanische Erklärung des Lebens und seiner Organisationsformen und der Zweck- mäßigkeit überhaupt ausdrücklich verworfen hat. Baer erkennt durchaus an, dass Leben und Lebensformen an mechanische Vermittlungen gebunden sind, er hält die Erforschung der physikalischen und chemischen Kräfte, welche in den organischen Körpern wirksam sind, für ebenso notwendig als verdienstlich. Schon 1828 schreibt er in diesem Sinne am Schlusse der Widmung der Ent- wicklungsgeschichte an Pander: „Noch manchem wird ein Preis zu teil werden. Die Palme aber wird der Glückliche erringen, dem es vorbehalten ist, die bildenden Kräfte des tierischen Körpers auf die allgemeinen Kräfte oder Lebensrichtungen des Weltganzen zurückzu- führen. Der Baum, aus welchem seine Wiege gezimmert werden soll, hat noch nicht gekeimt“?). Er hält das Streben nach absoluter Not- wendigkeit für unzweifelhaft richtig im Hinblick auf die reichen Früchte, die man schon geerntet habe ?). Noch bestimmter giebt er der Hoff- nung Ausdruck, dass Physik und Chemie die Lebensprozesse immer mehr auf physikalisch-chemische Kräfte und Gesetze zurückführen werden, wenn er schreibt: „Mit Hilfe dieser Wissenschaften hat man auch den Lebensprozess der Pflanzen und Tiere als einen fortlaufenden chemisch-physikalischen Prozess, der für jede organische Form auf besondere Weise verläuft, zu betrachten gelernt, und da schon sehr Vieles darin erkannt ist, kann man hoffen, dass, wo noch Lücken sich finden, auch diese mit der Zeit ausgefüllt werden“*). Aber bei alle dem ist sich Baer stets bewusst geblieben, dass auch die vollste Er- kenntnis der physikalisch-chemischen Kräfte nicht zur Erklärung der Lebensvorgänge ausreiche. Er hat immer die Ueberzeugung bewahrt, 4) Wir bedienen uns bei den Citaten folgender Abkürzungen: z. B. 66 R II, 83 = Jahr der Abfassung Reden Bd. II S. 83. St 90 = Stölzle, K. E. v. Baer und seine Weltanschauung 1897 8.90. 2) 28 Ueber Entwicklungsgeschichte der Tiere, Teill, p. XXI (St. 187). 3) 66 R II, 64/65 (St 186). 4) 66 R II, 65 (St 187). Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. 37 dass Leben und Organisationsformen nicht rein mechanisch erklärt werden können, dass noch etwas mehr dazu nötig sei, eine Idee, ein Wnstoffliches, ein Geistiges, das die physikalisch-chemischen Kräfte in Dienst nehme. Aus dieser Ueberzeugung heraus schrieb er schon 1828: Ja es „kann die Naturforschung ... den Beweis führen, dass nicht die Materie, wie sie gerade angeordnet ist, sondern die Wesenheit (die Idee nach der neueren Schule) der zeugenden Tierform die Entwick- lung der Frucht beherrscht“). Baer huldigt der Ansicht, „dass auch in den Produkten der Natur das Geistige, Thätige .... das Pri märe ist, das, um sinnlich wahrnehmbar zu sein, verkörpert wird“ ?). Diese Ansicht hat er bis zu Ende festgehalten. Noch 2 Jahre vor seinem Ende schreibt er: „Er (sc. der Stoff) scheint nur der Leitung einer Idee zu folgen. Die Idee, deren Willen er ausgeführt, ist abeı der Entwicklungsgang, der ohne diese stoffliche Wirksamkeit freilich nicht ausgeführt werden könnte“ ?). Bei dieser Anschauung begreift man es,? wenn Baer eine rein mechanische Erklärung des Lebens noch ausdrücklich ablehnt. Schon 1821 spottet er über die Versuche, das Leben rein mechanisch zu er- klären. „Wissen möchten wir aber, ob das, 20. Jahrhundert nicht, wenn man die Kunst, das Leben im Leben zu beobachten, wieder ge- lernt hat, über die Selbstzufriedenheit des 19. lächeln wird, mit der es glaubt, aus dem Leichnam das Leben in seiner ganzen Fülle er- kennen zu können, fast vergessend, dass mit dem bildenden Leben ein handelndes innig verbunden ist, das dem Messer und dem Mikroskop sich entzieht“). Und in seinem Buche „Der Mensch“ erklärt es Baer geradezu für unvernünftig, die Harmonie des Lebens als Produkt der vielen chemischen und physikalischen Operationen zu betrachten. Wie niemand glaube, dass in einem Konzerte die Instrumente verschiedene Töne ohne früher gebildeten Plan hervorbringen, so dürfe man auch die organischen Erscheinungen, die noch viel komplizierter seien, weil in ihnen mechanische und chemische Prozesse engst verbunden seien, nicht ohne solchen Plan erklären wollen 5). Er erteilt einer rein mechanischen Erklärung der Lebenserscheinungen direkt eine Absage mit den Worten: „Den Lebensprozess halten wir nicht für ein Resultat des organischen Baues, sondern für den Rhythmus, gleichsam die Melodie, nach welcher der organische Körper sich aufbaut und umbaut. Allerdings müssen im Organismus die Mittel sich finden, durch welche 1) 28 Ueber Entwicklungsgeschichte der Tiere. 1. Teil, p. 148 (St 190). 2 60-R 1,273. 3) 74/75 R II, 467 (St 190). 4) 21 Zwei Worte über den jetzigen Zustand der Naturwissenschaften, p. 40/41 (St 187). 5) 51 Der Mensch, p.49 (St 189). 38 Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. die einzelnen Verrichtungen des Lebensprozesses sich äußern können. Aber aus ihnen wird nicht der Lebensprozess, sonst müsste ihm die Einheit fehlen. In einem Klavier, auf dem man soeben eine Melodie abgespielt hat, müssen allerdings die verschiedenen Saiten sich finden, durch welche man die einzelnen Töne hörbar machen kann. Deswegen hat aber doch das Klavier die Arie nicht abgespielt, die wir von ihm hörten, es kann auch ganz andere Arien oder musikalische Gedanken hören lassen“!). In derselben Zeit erklärt Baer, es sei ihm undenk- bar, „dass der Lebensprozess aus den einzelnen physikalischen und chemischen Vorgängen erwächst“?). Und wenig später schreibt er: „So sehr man auch in neuerer Zeit vorgeschritten ist in der Erkenntnis der einzelnen Vorgänge im organischen Lebensprozesse, immer bleibt etwas zurück, was sie leitet und was die chemisch-physikalischen Vor- gänge beherrscht, das Leben selbst“®). Und noch in seiner letzten Schrift verwirft er eine rein mechanische Erklärung ausdrücklich: „So ist mir der ganze Lebensprozess überhaupt nicht das Resultat physi- kalisch -chemiseher Vorgänge“*). Er fügt ironisch hinzu: „So stehe ich denn freilich nieht auf der Höhe der Zeit, dem mechanischen Standpunkt“). Aber das eben bestreitet Baer ganz entschieden, dass eine rein mechanische Naturerklärung der Weisheit letzter Schluss sei. „Dass ... die Naturforschung zu mechanischen Erklärungen führen müsse, ist doch wahrlich nicht notwendig“®). Er ist vielmehr der Ansicht, dass die Natur nicht mechanisch, sondern vernünftig wirkt. „Die ganze Natur wirkt vernünftig oder sie ist der Ausfluss einer Vernunft, oder wenn wir den Urgrund aller Wirksamkeit mit der Natur uns vereint denken: die ganze Natur ist vernünftig“). Wer so denkt, für den ist eine ausschließlich mechanistische Welterklärung ein Ding der Unmöglichkeit. Baer verwirft somit eine rein mechanische Naturerklärung über- haupt und eine solche der Lebenserscheinungen und organischen Körper insbesondere. Damit ist auch schon eine ausschließlich mechanische Erklärung der Zweckmäßigkeit ausgeschlossen. Baer lehnt aber noch mit besonderen Gründen den Versuch ab, die Zweckmäßigkeit als mechanisches Problem begreifen zu wollen. Auch hier schließt Baer die mechanische Erklärung bis zu einer gewissen Grenze nicht aus, er bekämpft nachdrücklich und wiederholt den Irrtum, als ob Zwecke ohne Notwendigkeiten, ohne mechanische Vermittelungen er- 4) 60 RI, 280 (St 189). 2) ibid. 3) 73-76 R II, 188 (St 188). 4) 74|75 R II, 468 (St 189/90). 5) ibid. 6) 74]75 R II, 466 (St 70). 7) 73-76 R II, 229 (St 437). Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. 39 reicht werden), aber ebenso entschieden verwirft er die Ansicht, welche Zwecekmäßigkeit bloß aus Notwendigkeiten erklären will, als verfehlt aus zwei Gründen. Einmal ruft Baer den Vertretern dieser An- schauung zu: Notwendigkeit zum Prinzip der Zweckmäßigkeit machen heißt den Zufall, also ein unwissenschaftliches Prinzip zum Erklärungs- grund machen. „Wenn ihr Notwendigkeiten ohne Ziele annehmt, so sind diese unter einander nicht verbunden, und ihre Wirkungen sind gegenseitig nur Zufälle“?). „Wenn die einzelnen „absoluten Notwendig- keiten“ (oder kürzer die Kräfte der Natur) nicht von einem gemein- schaftlichen Grunde ausgingen, so ständen sie unter einander nur in dem Verhältnisse des Zufalls und könnten nur zerstörend oder wenig- stens einander hemmend wirken“). Zweitens hält Baer denjenigen, welche die Zweckmäßigkeit als notwendige Folge der mechanischen Naturgesetze betrachten, entgegen: Notwendigkeiten für sich allein erzeugen nie etwas Geordnetes, Vernünftiges, sie zerstören nur. Das Zweckmäßige, das aus Notwendigkeiten entsteht, ist nur erklärbar aus Zielen, Zwecken, die in einer uns freilich unbegreiflichen Weise die Notwendigkeiten in ihren Dienst nehmen. Die Notwendigkeiten sind nur Mittel zum Zwecke. „Ganz gewiss kann nichts geschehen ohne genügenden Grund, allein Naturkräfte, welche nicht auf ein Ziel ge- richtet sind, können nichts Geregeltes erzeugen, nicht einmal eine mathematisch bestimmte l'orm, viel weniger einen zusammengesetzten Organismus, sie zerstören nur“*). „Alle Notwendigkeiten der Welt, die kein Ziel haben, können auch zu nichts Vernünftigem führen“). „Auch ich bin überzeugt, dass alles, was in der Natur ist und vorgeht, durch Naturkräfte und Stoffe geworden ist und wird. Aber diese Naturkräfte müssen gegen einander abgezielt und abgewogen sein. Kräfte, die nicht abgezielt sind, blinde Kräfte, wie man sich auszu- drücken pflegt, können, wie mir scheint, nie etwas Geordnetes er- zeugen“6). So wenig hält Baer die Zweckmäßigkeit für eine not- wendige Folge der mechanischen Naturgesetze, dass nach ihm auch ' die vollendete mechanische Erklärung das Problem der Zielstrebigkeit nicht lösen könnte. Dieser richtigen Einsicht giebt er Ausdruck da, wo er über den Darwinismus, der ja eine mechanische Erklärung der Organismen sein will, spricht. Baer schreibt: „Ich stelle mich diesem Strom (sc. des Darwinismus) entgegen und suche zu zeigen, dass Hypothesen, die als ferne Zielpunkte strenger Untersuchung wohl ihren Wert haben, nicht als erreichte Errungenschaften verkündigt werden 1) 66 RII, 80. — 73-76 R II, 228. — 66 RII, 68 u. 73 Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 130, p. 1987 b. u. ö. (St 80). 2) 73-76 R II, 175 (St 89). 3) 66 RI, 71 u. 73—76 R II, 173/74 u, 176 (St 89). « 4)66 RII, 88 (St 9). 5) 66 R II, 83 (St 91/92). 6) 73 Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 130, p. 1987b (St 92). 40 Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. sollten, und dass selbst, wenn sie künftig erreicht werden könnten, dieZielstrebigkeit. damit nicht im Entferntesten widerlegt werde“). Das Vorstehende zeigt deutlich, dass Baer weit davon entfernt ist, einer rein mechanischen Erklärung der Zweckmäßigkeit anzu- hängen. Er würde also den Versuch, die Zweekmäßigkeit nur als eine unausbleibliche Folge der mechanischen Naturgesetze zu betrach- ten, abgelehnt haben. Baer muss einen solchen Versuch auch schon abweisen, weil er die Ziele in der Natur als metaphysische Prinzipien fasst und sie im letzten Grund aus einem denkenden Wesen ableitet. Das führt uns zum zweiten Punkte. II. Baer’s Zielstrebigkeit ein metaphysisches Prinzip. Baer kann nicht für eine mechanische Erklärung der Zweckmäßig- keit in Anspruch genommen werden, weil er die Zweckmäßig- keit aus metaphysischen Prinzipien erklärt. Dagegen wende man nicht ein, dass Baer Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit in innige Verbindung setzt. So heißt es einmal bei ihm: „In dem Entwicklungsgange der Natur ist ja Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit innig verbunden, wirklich nur eins“?). Ein andermal spricht er davon, dass man die Verknüpfung des Zielmäßigen mit dem Notwendigen in den Naturgesetzen nicht verkennen werde°?). Aber damit will Baer keineswegs etwa Notwendigkeit und Zweckmälßigkeit identisch setzen, er will nur den Gedanken ausdrücken, dass Ziele, Zwecke nicht ohne mechanische Vermittelung erreicht werden. „Das Kausalitätsverhältnis, d. h. den hinreichenden Grund für eine Wirk- samkeit wollen wir durchaus nicht in Abrede stellen, wenn wir von Zielen sprechen“*). Die Ziele selbst sind nach Baer’s Auffassung nicht bloße Folgen der mechanischen Naturgesetze, sondern selbständige metaphysische Prinzipien, welche den Stoff, die Notwendigkeiten dirigieren, Gedanken, welche das zweckmäßige Resultat hervor- bringen. Das bestätigen erstens die unter I. von uns angeführten Aeußerungen Baer’s, wonach nicht die Materie, sondern eine Idee die Ursache der Zweekmäligkeit ist, wonach er das Geistige, Thätige das Primäre in den Produkten der Natur nennt. Das bekräftigt zwei- tens die Gleichsetzung der Baer’schen Zielstrebigkeit mit den Ente- lechien des Aristoteles, eine Gleichsetzung, die Baer selbst aus- drücklich anerkannt hat, als man ihn darauf aufmerksam machte°). 1) R II, VII—VII (St 286). 2) 59 Mem. de ’Acad., VI serie, sc. math.-phys. et nat., Bd. X, sec. partie p. 345 (St 396). 8) 74/75 R II, 332/33 (St 287). 4) 73—76 R II, 228 (St 153). 5) 74|75 R II, 458/59 (St 94). Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. 41 Die Entelechien des Aristoteles sind aber zweifellos metaphysische Prinzipien, also auch die Zielstrebigkeit Baer’s. Das beweist drit- tens, dass Baer überall, wo er von Zielen spricht, dieselben als das Künftige auffasst, die das Gegenwärtige bestimmen. Der künftige Ge- brauch schafft das Organ, die künftige Lebensweise, der künftige Aufenthaltsort, das künftige Element bedingt die Organisation, den Bau der Extremitäten, die Form des Gebisses ete. Es ist Baer offen- bar, „dass alle Tiere, welche werden, für irgend ein Verhältnis der Erde, für den Erdkörper mit seinen Pflanzen, für den Sumpf oder das offene Wasser organisiert sind“). Er bezeichnet es als seine Art zu urteilen, „dass nämlich die Organisation eines lebenden Geschöpfes schon ursprünglich den Mitteln zur Lebensunterhaltung angepasst sein muss“?). „Das Ziel der Ziele ist aber immer, dass der organische Körper den Verhältnissen der Erde, ihren Elementen- und Nahrungs- stoffen angepasst wird“?). Baer verwirft somit die entgegengesetzte Ansicht der mechanischen Erklärung, derzufolge das Organ den Ge- brauch, die Organisation die Lebensweise bestimmt. Damit bewegt sich Baer ganz im Gedankenkreise der alten Teleologie, der der Zweck, das Ziel ein metaphysisches Prinzip ist. Die metaphysische Natur der Baer’schen Zielstrebigkeit erleuchtet dann auch viertens der Umstand, dass Baer ihr Wesen als unerkennbar und ihre Wirkungs- weise als unbegreiflich bezeichnet. „Die Zielstrebigkeit im Entwick- lungsgang zu erklären, ist mir unmöglich, vielleicht ist sie uns über- haupt unerklärbar, aber ihre Existenz muss man anerkennen“ *). „Wie der Stoff unter die Herrschaft des Geistes gekommen, ob und wie er von ihm ausgegangen ist — das ist das allgemeine Geheimnis, das sich uns überall im Großen wie im Kleinen entgegenstellt. Dieses Geheimnis ist für unsern Verstand, wenigstens solange als wir selbst im Kampfe mit dem Stoffe begriffen sind, unerreichbar“5). Wäre die Zielstrebigkeit oder Zweckmäfßigkeit bloß Resultat des Mechanismus, so könnte sie nicht als unerkennbar oder unbegreiflich bezeichnet werden. Ganz außer Zweifel endlich wird es fünftens gesetzt, dass die Ziele bei Baer metaphysische Prinzipien sind, wenn er die Zweck- mäßigkeit als einen Gedanken oder Willen der Natur bezeichnet, der das Zweckmäßige bewirkt habe®), oder wenn er die Ziele als von einem geistigen Weltgrund ausgehend darstellt. Damit kommen wir zum dritten Punkt. 4) 74|75 R II, 433 (St 118). 2) 74|75 R II, 327 (St 119). 3) 75/75 R IL, 332 (St 119). 4) 74|75 R II, 458 (St 152). 5) 34 RI, 7273 (St 194). 6) 74/75 R IL, 433 (St 267). 42 Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. III. Baer leitet die Ziele aus einem geistigen Weltgrund ab. Dass man Baer mit Unrecht die Ansicht zuschreibt, die Zweck- mäßigkeit sei eine notwendige und unausbleibliche Folge der mecha- nischen Naturgesetze, geht endlich aus der Thatsache hervor, dass Baer den Grund der Zweckmäßigkeit ausdrücklich in einem geistigen Weltgrund findet. Baer bekennt einmal von sich, seine religiösen Ansichten seien bei ihm nie recht fertig geworden !). Demgemäß haben wir bei ihm auch ein Schwanken zwischen Pantheismus, Agnostieismus und Theismus zu konstatieren, bis er zuletzt wenigstens im Bekenntnis mit dem Theismus abschloss ?). Aber so wenig Baer die Fassung des Gottes- begriffes feststand, die Existenz eines geistigen Weltgrundes stand ihm vom Beginne bis zum Schlusse seiner wissenschaftlichen Laufbahn unerschütterlich fest, und zwar begründet er sie aus der Zweckmäßig- keit und Harmonie in der Welt und leitet wiederum die Ziele in der Welt ausdrücklich von diesem geistigen Weltgrunde ab — ganz im Sinne des alten teleologischen Gottesbeweises. Wir heben zum Beweise unserer Behauptung folgende Stellen aus Baer’s Werken aus. „Wohl erkennen wir, schreibt Baer in der Einleitung zu seinen Vorlesungen über Anthropologie (1824), dass über uns etwas Höheres ist, von dem wir uns selbst abhängig fühlen. Aber diesen Unendlichen können wir nicht unmittelbar erforschen, nur aus seinen Werken lernen wir ihn verstehen“®). Den Schluss von der Harmonie in der Welt auf ein zwecksetzendes Wesen zieht Baer, wenn er 1866 schreibt: „Zur Anerkennung eines gemeinsamen Urgrundes führt uns die Har- monie der Naturkräfte, und dieser Urgrund kann nicht verschieden sein von dem erhabenen Wesen, nach welchem das religiöse Bedürfnis der Menschen hinweist“ *). In dem nämlichen Sinne heißt es später bei ihm, man müsse anerkennen, dass der Fortgang der Natur von einer Einheit ausgehen müsse, weil sonst kein harmonisches Wirken in der Natur bestehen könnte°). Diese Ueberzeugung hält Baer auch noch in seiner letzten größeren Schrift „Ueber Darwin's Lehre“ fest. „Die Summe der Naturkräfte sind ihr (sc. der Naturforschung) die permanenten Willensäußerungen einer Einheit, welche der Naturforscher nicht vollständig aus der Beobachtung der Einzelheiten konstruieren kann, aber wahrlich doch noch weniger wegzuleugnen das Recht hat. Denn gingen die Naturkräfte nicht von einer Einheit aus, wären sie 1) Aus den Tagebuchblättern des Grafen Alexander Keyserling, herausgeg. von H. v. Taube, 1894, p. 122 (St. 441). 2) St 418—46. 3) St 419. 4) 66 R II, 79 (St 420). 5) 73—76 R II, 181 (St 419). Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. 43 nicht gegen einander abgemessen, so könnten sie unmöglich etwas Harmonisches, in sich Fortbestehendes erzeugen. Diese Einheit ist doch wohl dieselbe, die der Mensch vor aller Naturforschung gefühlt und geahnt hat, und deren Einheit und Unbeschränktheit er mit dem Worte Gott bezeichnet hat“!). Dazu stimmt auch eine handschrift- liche Bemerkung Baer’s, die ich seinem Enkel Herrn Oberlehrer M. von Lingen in St. Petersburg verdanke. „Immer aber lässt die Gesamtorganisation der Welt ein rationelles Prinzip erkennen oder abnen“?). Diesen Ausführungen können zur Ergänzung alle jene Aeußerungen Baer’s dienen, in denen er sich ausdrücklich dagegen verwahrt, dass die Naturwissenschaft zum Materialismus oder Atheis- mus führe?), oder dass zwischen Glauben und Wissen ein dauernder Konflikt möglich sei ®). Wie aber Baer diesen Aeußerungen zufolge aus der Zweckmälßig- keit in der Welt auf ein zwecksetzendes Wesen geschlossen hat, so erklärt er unzweideutig die Zweckmäßigkeit in der Welt nicht als notwendige Folge der mechanischen Naturgesetze, sondern bezeichnet den geistigen Weltgrund als den Urheber der Ziele in der Welt und die Naturnotwendigkeiten, durch welche die Ziele erreicht werden, als Ausdruck des höheren Willens, der die Ziele gehabt hat. Schon in dem Buche „Der Mensch“ nennt Baer die Lebens- prozesse der organischen Körper Gedanken der Schöpfung) und noch schärfer diese Anschauung hervorkehrend schreibt er 1860: „Man darf nicht nur, man muss, wie ich glaube, noch weiter gehen und die Lebensprozesse, die uns umgeben, und uns selbst mit ihnen für Ge- danken der Schöpfung auf die Erde herabgedacht erklären“®). Den Instinkt, den er mit Ed. von Hartmann als zweckmäßiges Handeln ohne Bewusstsein des Zweckes erklärt, leitet Baer direkt von einer höheren Einsicht ab: „Die Einsicht, die ihm (se. dem Instinkte) zu Grunde zu liegen scheint, ist nicht die Einsicht der Tiere, sondern eine Nötigung, die eine höhere Einsicht ihnen auferlegt hat“?). Er erklärt sich einverstanden, wenn viele Naturforscher die Zielstrebig- keit in der Organisation der Tiere nicht durch Zufall oder Willkür, sondern durch ein allgemeines Gesetz der Natur bedingt denken, aber er hält dieses Gesetz der Natur für den Ausdruck eines höheren Willens, der die Ziele gehabt habe?°). In diesem 4) 7475 R UI, 461/62 (St 420). 2) Msc. (St 420). 3) St 449/50. 4) St 450. 5) 1851 (St 193). 6) 60 R I, 275 (St 193). 7) 60 RI, 282 (St 309). 8) 65 Naturalist Nr. 20 p. 367 (St 155). 44 Stölzle, v. Baer’s Stellung zum Problem der Zweckmäßigkeit. Sinne nennt er in einer handschriftlichen Notiz die Naturgesetze Ge- danken Gottes!) oder an einer andern Stelle die ewig sich gleich bleibenden Formen oder Aeußerungen des Willens des Weltgrundes?). „Was können aber die Naturgesetze anderes sein als Gedanken Gottes ? Und was sind einzelne Körper anders als einzelne vorübergehende Realisierungen dieser Gedanken?“ vertraut Baer einem fliegenden Blatte an?). Zwecke, Ziele, bekennt Baer, könnten im letzten Grunde nur in einem bewussten und wollenden Wesen ihren Ursprung haben. Für die Gesamtheit der Natur wende er lieber den vollen Zweck- begriff an, müsse sich aber gestehen, dass er sich dabei ein bewusstes und wollendes Wesen denke *). Dieser Ansicht ist er auch später treu geblieben. „Einen Zweck können wir uns nicht anders denken als von einem Wollen und Bewusstsein ausgehend. In einem solchen wird denn auch wohl dasZielstrebige seine tiefste Wurzel haben, wenn es uns als ebenso vernünftig wie notwendig erscheint“). Ebenso unzweideutig führt er die Ziele auf einen pantheistisch ge- fassten Gott zurück, wenn er erklärt: „Immer aber kommen wir auf eine höhere Vernunft zurück, welche die Ziele und Mittel angeordnet hat“®). Ja, für eine wahre Erkenntnis der Natur können wir nach Baer’s Ansicht einer beherrschenden Vernunft nicht entbehren”). Darum lehnt Baer den Darwinismus ab, weil er alles Zweckmäßige nur durch die Erhaltung des besser Geratenen entstanden erklärt, nicht dadurch, dass eine innere Notwendigkeit uns als ein Gedanke oder ein Wille der Natur erscheinen könnte, der es bewirkt hat. „Unsere Meinung, fährt er fort, ist die entgegengesetzte. Es sind Ge- danken oder Aufgaben, welche die Naturgesetze bei der Erzeugung der Tiere verfolgt haben. Darum findet man die einzelnen Teile immer in Harmonie“®). Also nicht die mechanischen Notwendigkeiten, sondern Gedanken, Ziele eines Denkenden sind die Ursache der Zweck- mäßigkeit in der Natur, Die Zielstrebigkeit ist der Grund der Har- monie der Teile. Um jeden Zweifel an seiner Stellung zum Zweck- mäßigkeitsproblem, resp. zum Darwinismus auszuschließen, erklärt Baer in einem Briefe an Prof. Huber im Jahre 1876: „Dass Herr Seidlitz mich fortwährend als Darwinisten proklamiert, beruht nur darauf, dass er sowohl als andere mich überreden möchten, ich sei es, weil ich schon früher die Möglichkeit einer Transformation mir 1) Mse. (St 158). 2) 73-75 R II, 177 (St 424) 3) St 449. 4) 66 R II, 82 (St 155). 5) 74/75 R II, 473 (St 156). 6) 74/75 R I, 470 (St 168). 7) 74/75 R II, 473 (St 421). 8) 74/75 R II, 433/34 (St 278). Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. 45 gedacht habe. Dass ich aber den Aöyos aus der Welt nicht verbannen will, und die Weltbildung ohne zu Grunde ge- legtes Ziel mir völlig undenkbar ist, wollen die Herren nieht gelten lassen“!). In demselben Jahre schreibt er an Al. v. Keyserling, er verlange, dass man vor allen Dingen den Aöyog, den er anzuerkennen nicht umhin könne, nicht wegleugne?). Es ist somit nur eine Konsequenz aus dieser teleologischen Grundanschauung, wenn Baer sterbend noch von dem persönlichen und lebendigen Gott sprach, der alles vorher bestimmt hat?). Die Ziele, die Zweck- mäßigkeit in der Natur sind, — das ist der Tenor aller dieser aus den verschiedensten Zeiten von Baer’s Forscher- und Denkerleben stam- menden Aeußerungen — nicht die unausbleibliche Folge der mecha- nischen Naturgesetze, sondern sie sind gewollt, beabsichtigt, ausge- gangen von einem denkenden und wollenden Wesen. Wir sind am Ende. Man hat nicht das Recht, K. E. von Baer für eine mechanistische Lösung des Zweckmäßigkeitsproblems und damit für eimen mechanischen Monismus in Anspruch zu nehmen. K. E. von Baer hat während seiner ganzen wissenschaft- lichen Laufbahn die teleologische Naturauffassung fest- gehalten. [12] Die Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. Von Dr. phil. u. med. Ludw. Kathariner, Freiburg (Schweiz). In Nr. 15 des „Biolog. Centralblattes“, Bd. XIX in einer Abhand- lung von Thilo, „Sperrvorrichtungen im Tierreiche“, sind zu den „drei- teiligen Gesperren“ auch jene Vorrichtungen gezählt, „welche die Giftzähne der Schlangen feststellen“. Verf. hat dabei offenbar aus- schließlich die solenoglyphen Giftschlangen im Auge gehabt, bei denen der Oberkiefer beweglich am Schädel befestigt, samt dem ihm auf- sitzenden Giftzahne in der Ruhe nach hinten umgelegt ist, und erst zum Beissen aufgerichtet wird. Die Ausführungen leiden, von der ungenauen Darstellung der anatomischen Verhältnisse abgesehen, an einer falschen Vorstellung vom Beissakte selbst, dessen Eigenart Verf. nicht bekannt zu sein scheint. Da in der sonstigen, mir bekannten Litteratur, die mechanischen Grundlagen dieses Vorganges gar nicht, oder nur sehr knapp und daher leicht missverständlich behandelt sind, erlaube ich mir, im folgenden eine Darlegung derselben zu versuchen. Um so mehr sehe 1) St 675. 2) St 676. 3) St 440. 46 Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. ich mich dazu veranlasst, als ich selbst in einer früheren Mitteilung !) dieselben als für das dort behandelte Thema minder wichtig nur ober- flächlich und teilweise unrichtig skizziert habe. Vorliegender Untersuchung liegt lebendes und totes Material der Kreuzotter (Vipera berus), Viper (V. aspis) und Hornviper (Cerastes cornutus) zu Grunde. Von der andern Abteilung der Solenoglyphen, den Crotaliden, hatte ich keine Vertreter zur Verfügung; doch dürften auch diese, bei der großen Uebereinstimmung im Kopfskelett, im wesent- lichen dieselben mechanischen Verhältnisse darbieten. Besprechen wir zunächst den Beissakt selbst. Als solcher kann nur das Eindringen der Giftzähne zum vergiftenden Bisse in die Beute betrachtet werden, denn die andern Zähne, auf Palatinum und Pterygoid, dienen nur dem Hinabschaffen derselben beim Schlingakt. Bei Tieren mit feststehendem Oberkiefer, einem Raubtier z. B., werden die Zähne bekanntlich dadurch eingetrieben, dass die Kau- muskeln den Unterkiefer heben und dadurch den zwischen ihm und den Zähnen des Oberkiefers befindlichen Bissen mit großer Kraft gegen letztere anpressen, Ober- und Unterkiefer funktionieren als Zange. Für die Solenoglyphen und wohl die meisten Schlangen, ist eine solche Art des Beißens in einigermaßen feste Objekte unmöglich. Die dünnen, vorn nur durch Bindegewebe zusammenhängenden Unterkieferhälften nebst dem zwischen ihnen sich ausspannenden, außerordentlich dehn- baren Mundboden, gewähren nicht den dafür nötigen Widerstand. Auch die Form des Giftzahnes ist für eine derartige Benutzung nicht geeignet. Wenn der Zahn bei senkrecht gestelltem Oberkiefer in die Beute ein- gedrückt werden sollte, so würde er, da wegen seiner Krümmung dann der untere Teil mit der Spitze nicht vertikal sondern schräg steht, auf Biegung beansprucht werden; dies aber würde ihm bei seiner glasartigen Sprödigkeit leicht verderblich werden. Die Giftschlange geht vielmehr bei ihrem Angriff folgendermaßen vor. Der Kopf nebst dem vorderen Teil des vorher in Biegungen ge- legten Körpers — manche Arten bilden einen sog. „Teller“ — wird plötzlich und mit großer Energie nach vorn, dem Beutetier entgegen- geworfen, das Maul ist weit aufgerissen und die aufgerichteten Gift- zähne hauen bei dem unmittelbar folgenden Zurückreißen des Kopfes in der Richtung von vorn oben nach hinten unten ein; indem dabei auch noch die Oberkiefer eine selbständige Bewegung im Sinne eines sich Umlegens nach hinten machen, dringen die Giftzähne bis an ihre Basis ein, dabei noch unterstützt durch die in entgegengesetzter Rich- tung erfolgende Fluchtbewegung des gebissenen Tieres. Letzterer Umstand ist besonders günstig für das Einbringen des Giftes in die Blutbahn, indem durch die Zerrung eine Gewebslücke vor der Aus- 1) Ueber Bildung und Ersatz der Giftzähne bei Giftschlangen. Zool. Jahrb., Bd. X, 1897. Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. 47 gangsöffnung des Giftkanals des Zahnes, entsteht; in diese kann reich- lich Gift austreten und sich dem Blute beimischen. In Brehm’s Tier- leben!) ist dieser Umstand mit. Recht besonders hervorgehoben, auch wird daselbst ganz treffend von einem „Schlagen“ mit den Giftzähnen gesprochen. Bei dem geschilderten Vorgang ist von einem Feststellen des Ober- kiefers durch ein Gesperre, um dessen Umklappen nach hinten zu vermeiden, in keiner Weise die Rede. Auf Oberkiefer und Zahn wirkt ja beim Einhauen kein Druck nach hinten, sondern vielmehr ein Zug nach vorn. Mit aller Muße kann man die Bewegungen des Oberkiefers und der mit ihm verbundenen Teile sich zur Anschauung bringen, wenn man eine lebende Giftschlange im Genick fasst und sie dann zum Beißen reizt. Das sonst übliche Vorwerfen des Kopfes fällt dabei natürlich weg. Der Oberkiefer mit dem Giftzahn wird oft so weit nach vorn gedreht, dass er mit dem Dach der Mundhöhle einen nach hinten offenen stumpfen Winkel bildet, und beim Schließen des Maules der Zahu vor dem Vorderrande des Unterkiefers heruntergreift. Bei diesem exzessiven Aufrichten des Oberkiefers wird die Schleimhaut am Dach der Mundhöhle durch das Pterygoid und Palatinum stark abgedrängt, und die Vorwärtsbewegung dieser Knochen äußert sich in der Vor- wölbung der Schleimhaut durch das Vorderende des Palatinum in Form eines rundlichen Knöpfehens. Oft wird nur der eine der beiden, in ihren Bewegungen von einander völlig unabhängigen Oberkiefer aufgerichtet; dann kann man besonders deutlich die damit zusammen- hängende Verschiebung des zugehörigen Pterygoids und Palatinums beobachten, deren Verbindungsstelle dabei mitunter bis vor das Vorder- ende des Palatipums der ruhenden Seite zu liegen kommt. Da der Giftzahn beim Aufrichten im geschlossenen Maul keinen Platz findet, wird soleher durch Senken des Unterkiefers geschaffen; oft wird nun nur die eine Unterkieferhälfte gesenkt, das Maul also nur auf der rechten Seite geöffnet, wenn der rechte Zahn gestellt wird und um- gekehrt. Dass mit dem Oeffnen des Maules nicht automatisch ein Aufrichten der Oberkiefer verbunden ist, geht daraus hervor, dass bei weit geöffnetem Rachen dieselben völlig nach hinten umgelegt bleiben, andererseits auch erst nachträglich bei schon offenem Maul gestellt werden können. Recht anschaulich erscheint auch das bei Beiss- versuchen auf das Aufrichten unmittelbar folgende Umlegen des Zahnes nach hinten. Die Schlange „greift“ sozusagen mit dem Giftzahn nach vorn und führt „häkelnde“ Bewegungen nach hinten damit aus. Man kann also folgende Phasen in den Bewegungen des Ober- kiefers und Giftzahnes unterscheiden: Das Aufrichten des Zahns, das 1) Bd. VII, 3. Aufl. 48 Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. Einschlagen desselben in die Beute, das Herausheben aus der Wunde und endlich seine Beteiligung beim Schlingakt. Fig. 1. Fig. 1. Kopf der Kreuzotter von der linken Seite. Die Haut, das Jochband mit der Giftdrüse und die Kaumuskeln sind entfernt. Die Zahlen bezeichnen die in gleicher Weise im Text aufgezählten Muskeln. Muskel 4 ist nach unten abgezogen. m = Oberkiefer; p = Palatinum; pt = Pterygoid (die Zähne dieser beiden Knochen sind nicht gezeichnet); # — Transversum ; qu — Quadratum; s = Squammosum (Temporale); md = Unterkiefer. Wenn wir die einzelnen Bewegungen kurz analysieren wollen, so können zunächst die in Betracht kommenden Knochen des Soleno- glyphenschädels und ihre Verbindungen als bekannt vorausgesetzt werden. Nur muss ich darauf aufmerksam machen, dass die Dar- stellung des Herrn Thilo unrichtig ist. Th. lässt das Quadratbein mit dem Oberkiefer durch das Gaumenbein in Verbindung stehen. In Wirklichkeit setzt sich das Pterygoid (pt) an das Quadratum (gu) an, stößt nach vorn an das nur sehr kurze Palatinum (p) und steht durch das Transversum (£) mit dem Oberkiefer (m) in Beziehung (Fig. 1, 2). Das Aufrichten des Oberkiefers wird nun meist in der Weise dar- gestellt, dass beim Oeffnen des Maules das untere Ende des Quadra- tums nach vorn rückt, dabei das Pterygoid schiebt, dieses seine Be- wegung auf das Transversum überträgt, und letzteres endlich den Öberkiefer durch Drehung um eine quere Axe im Gelenk mit dem Präfrontale aufrichtet. Nun liegt aber gar kein Grund vor, warum mit der Bewegung des Unterkiefers im Unterkiefer-Quadratgelenk eine Vorwärtsbewegung dieses Gelenkes verbunden sein sollte; dann aber sieht man am lebenden Tier, wie erwähnt, dass beide Bewegungen völlig unabhängig von einander ausgeführt werden können. Nach Brehm’s Tierleben soll das Quergaumenbein (Transversum) durch eigene Muskeln bewegt, den Oberkiefer aufrichten. In Wirklichkeit aber ist die Bewegung des Pterygoids, welches durch zwei Muskeln nach vorn gezogen werden kann, das Primäre. Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. 49 Das untere Ende des Quadratums wird ebenso wie das Trans- versum, nur passiv mitgenommen. Wäre dabei das obere Ende des Quadratums unverschieblich am Schädel fixiert, so würde sein unteres Ende einen Bogen beschreiben, und das Pterygoid würde weit von der Schädelbasis abgedrängt. Nun ist aber die Gelenkkapsel, welche Quadratum und Temporale miteinander verbindet, sehr schlaff, wie dies schon Claus!) hervorhebt. Das Quadratum kann sich daher eiwas nach oben verschieben und dadurch gestaltet sich die Vorwärts- bewegung seines unteren Endes und des mit ihm verbundenen Ptery- goids annähernd horizontal, dem Dach der Mundhöhle parallel. Fig. 2. Fig. 2. Linke Hälfte von unten. Die Kaumuskeln sind quer durchschnitten, die Umhüllung der Giftdrüse (gd) ist ein Stück weit gespalten. 2 = Ligamentum zygo- maticum; dg = Ausführungsgang der Gift- drüse. Thilo scheint auf die Bewegung des hinteren Endes des Temporale nach oben besonderes Gewicht zu legen; ich glaube, dass dieselbe, wenn überhaupt möglich, nur äußerst gering sein kann, wegen der festen bindegewebigen Verbindung des Temporale mit der Schädel- kapsel. Die Muskeln, welche das Pterygoid nach vorn ziehen und dadurch das Aufrichten des Oberkiefers bewirken, sind, wie gesagt, zwei: 1. M. pterygo-sphenoidalis posterior. Entspringt breit in der Mittellinie der Schädelbasis am Sphenoideum basilare und inseriert mit konvergierenden Fasern an der innern Fläche des hinteren Endes des Pterygoids. Er reisst dieses bei seiner Verkürzung nach vorn (Fig. 2, 1). 2. M. pterygo-parietalis (Fig. 1, 2) entspringt hinter der Orbita an der Seitenfläche des Schädels und geht, fächerartig sich 1) Lehrbuch der Zoologie. XX, 4 50 Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. ausbreitend, nach unten und hinten, um an der oberen Kante des Pterygoids von dessen Verbindung mit dem Transversum an bis zu seinem hinteren Ende sich anzusetzen. Er zieht gleichfalls das Ptery- goid nach vorn und beschränkt gleichzeitig dessen Abrücken vom Schädel. Dem Aufrichten der Giftzähne folgt das Einhauen derselben, das wie oben erwähnt hauptsächlich durch die Bewegung des Kopfes der Schlange und die entgegengesetzte Bewegung des gebissenen Tieres erfolgt. Es findet im Anschluss daran auch eine Bewegung des Ober- kiefers selbst statt, im Sinne einer Drehung nach hinten; als isolierte Bewegung kann letztere auch bei festgestelltem Kopf der Schlange beobachtet werden. In Betracht kommt dabei die Wirkung folgender Muskeln. 3. M.pterygo-sphenoidalis anterior (Fig.1,3). Vom Sphenoid zieht derselbe nach vorn unten und außen zur oberen Kante des vor- deren Teiles des Pterygoids und der anstoßenden Strecke des Pala- tinums. Indem er das Flügelbein nach hinten zieht, wirkt er durch Vermittlung des Transversum auf den Oberkiefer, ihn nach hinten drehend. 4.M.transverso-maxillo-pterygo-mandibularis(Fig.1,4). Er zieht vom Quadrato-Mandibulargelenk nach vorn, erhält Fasern von der medialen Fläche des Ligamentum zygomaticum und spaltet sich in zwei Portionen, deren obere mit starker Sehne an Transversum und Öberkiefer ansetzt, da, wo beide Knochen aneinanderstoßen, deren untere von hinten her in die den Giftzahn umhüllende Schleimhaut- tasche einstrahlt.. Wäre die Verbindung zwischen Oberkiefer- und Unterkiefergelenk nur von einer Knochenspange gebildet, wie dies Thilo darstellt, so könnte bei einer Kontraktion dieses Muskels eine Bewegung nur dann entstehen, wenn die betreffende Knochenspange sich gleichzeitig biegen würde. So aber besteht diese Verbindung aus 2 Stücken. Bildet das Unterkiefergelenk den fixen Punkt, so kann der Oberkiefer etwas nach hinten umgelegt werden, indem dabei der nach außen offene stumpfe Winkel, unter dem Transversum und Ptery- goid aufeinander stoßen (Fig. 2), sich verkleinert. Dabei wird das Pterygoid zugleich etwas nach innen gedrückt und dies äußert sich darin, dass die vorher in gerader Linie liegenden Pterygoid und Pala- tinum nun gleichfalls einen nach außen offenen Winkel miteinander bilden. Dem besprochenen Muskel fällt aber noch eine andere, wichtige Funktion zu. Wenn der Giftzahn eindringt, und das Beutetier durch seine Rückwärtsbewegung einen Zug auf diesen und den Oberkiefer nach vorn ausübt, so hat die Verbindung des Oberkiefers mit dem Transversum und die des letztern mit dem Pterygoid einer unter Um- ständen gewaltigen Kraft zu widerstehen, soll der Oberkiefer nicht Kathariner, Mechanik des Bisses der solenöglyphen Giftschlangen. 51 nach vorn umgerissen werden. Dieser Angriff auf die Verbindung ge- nannter Knochen wird wesentlich durch diesen Muskel, der sich ja zur selben Zeit zusammenzieht, pariert. Die untere Portion, welche in die Giftzahntasche einstrahlt, zieht diese zugleich fest an die Vorder- fläche des Zahnes, sichert dadurch diesen und seine Befestigung auf dem Oberkiefer und presst außerdem die Mündungsstelle des Giftdrüsen- gangs an die Eingangsöffnung in den Giftkanal des Zahnes an. Als Hilfsmuskeln beim Einhauen des Zahnes, bezw. bei der Ab- wehr des Zuges, welcher danach der ganze mit dem Oberkiefer ver- bundene Knochenapparat auszuhalten hat, können noch betrachtet werden. 5. Ein kleiner Muskel, der von der Hinterfläche des Unterkiefer- Quadratgelenkes zum hinteren Teile des Pterygoids zieht und sich an dessen ventraler Fläche und äußerer Kante festsetzt. Er kann als eine hier selbständige Portion des vorigen aufgefasst werden (Fig. 2, 5). 6. M. retractor ossis quadrati, entspringt von der Haut des Nackens und geht mit schlanker Sehne zum oberen Ende des Quadra- tums (Fig. 1, 6). 7. M. cervieo-mandibularis. Stärker als der vorige, kommt er von den Dornfortsätzen in der Gegend des achten Wirbels und tritt über das Jochband zum Unterkiefergelenk. Unmittelbar nach dem vergiftenden Bisse lässt die Schlange ihre Beute los, indem sie mit offensichtlicher Mühe die Giftfänge aus der Wunde heraushebt. Letztere Bewegung ist für sie eine Notwendigkeit, wenn sie die Beute verschlingen will. Denn dies geschieht durch ab- wechselndes Vorschieben und Zurückziehen der mit Zähnen besetzten Mundhöbhlenknochen, des Oberkiefers, Palatinums und Pterygoids. An der lebenden Schlange beobachtet man, dass auch hier, ganz wie bei den ungiftigen Arten, abwechselnd rechte und linke Seite arbeiten. Während beispielsweise die Beute von den Zähnen der linken Seite festgehalten wird, heben sich die der rechten Seite heraus, werden nach vorn geschoben, greifen ein, werden mit der gefassten Beute ein Stückchen zurückgezogen, dann lösen sich die Zähne der linken Seite heraus, rücken nach vorn und so abwechselnd weiter). Die dabei in Betracht kommenden Muskeln sind offenbar dieselben wie die, welche das Aufstellen und Umlegen des Oberkiefers bewirken, da ja damit 1) Ich kann dies an einer lebenden Cerastes cornutus, die ich im letzten Frühjahr in Algerien fing und seitdem in der Gefangenschaft halte, sehr gut beobachten. Freiwillig frisst das Tier nie. Zugesetzte Mäuse beisst sie tot, lässt sie aber dann unbeachtet liegen. Ich stopfte sie daher anfangs, wie einen Jungen Vogel, mit Leber, Herzfleisch u. dergl. Sie hat sich bereits so gut an diese Fütterungsmethode gewöhnt, dass sie nun auch ein nur ganz vorn in das Maul gegebenes Stück Fleisch auf die oben geschilderte Weise in den Schlund schafft, 4* 59 Kathariner, Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. zugleich auch ein Verschieben bezw. Zurückziehen des Pterygoids und Palatinums verbunden ist. Es scheint mir nicht überflüssig, noch einen beim Bisse der Soleno- glyphen sich abspielenden Vorgang auf seine mechanische Grundlage hin zu besprechen, das Auspressen des Giftes aus der Gift- drüse. In den zoologischen Lehr- und Handbüchern findet sich die Angabe, dass die Kaumuskeln bei ihrer Kontraktion auf die Drüse einen Druck ausüben (Hertwig, Lehrbuch der Zoologie; Claus, Lehrb. d. Zool.; Brehm’s Tierleben) oder es ist nur ganz allgemein von einem Druck auf die Drüse die Rede (Kennel). Dies erweckt leicht die Vorstellung, als ob die Giftdrüse zwischen den Kaumuskeln gelagert, von diesen einen direkten Druck erführe. In anderen Fällen wird ein besonderer Muskel, Musculus constrietor (Wiedersheim, Grundriss der vergl. Anatomie) angeführt, unter dessen Wirkung die Drüse stehe, von Hoffmann (Bronn, Klassen und Ordnungen des Tierreichs) ist dieser für Crotalus als eine Portion des M. parietali-quadrato-mandibularis bezeichnet. Dürigen (Deutsch- land, Amphibien und Reptilien) lässt die Giftdrüse von einem sehr starken Muskel umhüllt sein, der in Gemeinschaft mit den Kaumuskeln das Gift auspresse. Einen richtigen Einblick in die thatsächlichen Verhältnisse kann man nach diesen Angaben kaum erhalten. Es ist zunächst zu betonen, dass die Kaumuskeln, M. parietali- quadrato-mandibularis und M. oceipito-quadrato-mandibularis (Fig. 2, 8) nicht direkt auf die Giftdrüse einwirken können, da letztere nach außen von ihnen unmittelbar unter der Haut liegt, also keineswegs von ihnen umhüllt wird. Der Druck auf die Drüse kommt folgendermaßen zu Stand. Letz- tere (Fig.2, gd) liegt bekanntlich in einer taschenartigen Verbreiterung des Ligamentum zygomaticum (/z) eingeschlossen. Das Jochband ent- springt als derber Bindegewebsstrang am Quadrato-Mandibulargelenk, zieht nach vorn über die Kaumuskeln hinweg, weicht, verbreitert, aus- einander um die Giftdrüse allseitig zu umhüllen, gewinnt dann, wieder verschmälert, Ansatz an der vorspringenden hinteren Ecke der knöchernen Begrenzung der Augenhöhle (*), geht unter dem Auge her und endigt als dünnes Band am oberen Ende des Oberkiefers, da wo dieser am Präfrontale gelenkt. Kurz hinter der Orbita verlässt der Ausführungs- gang der Drüse (dy) deren Umhüllung und zieht nach vorn um auf der Innenfläche der Giftzahntasche zu endigen, gegenüber dem Ein- gang in die Giftröhre des Zahnes (Fig. 2). Sind die nach innen von Jochband und Giftdrüse gelegenen Muskeln erschlafit, so zieht das Jochband geradewegs vom Unterkiefergelenk zum Orbitalfortsatz. Kontrahieren und verdicken sich dagegen dieselben, so drängen sie das Jochband nach außen, da sie selbst nach innen Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß. 53 eine unnachgiebige Unterlage, die Schädelknochen, haben. Dieser Druck setzt sich in eine erhöhte Spannung des Jochbandes um, und diese wieder in einen Druck des medialen und lateralen Blattes der die Giftdrüse umhüllenden Fascie auf diese. Die Drüse wird von beiden Seiten her zusammengedrückt und ihr Inhalt nach vorn in den Ausführungsgang und den Zahn gepresst. Am Zustandekommen dieses Efiektes beteiligt sich auch der von Wiedersheim und von Hoffmann angeführte Muskel. Er lagert sich mit horizontalen Fasern auf die Oberseite der Umhüllung der Drüse, steigt dann nach hinten, auf ihrer medialen Seite nach unten und setzt am Unterkiefer an (Fig. 2, 9). Sein vorderer Ansatz am Lig. zygomaticum ist wegen dessen fester Verbindung mit dem Orbital- rand als fixer Punkt zu betrachten. Seine Kontraktion hat also ein Heben des Unterkiefers zur Folge und seine dabei stattfindende Dicken- zunahme wirkt wie die der andern Kaumuskeln auf das Jochband bezw. die Giftdrüse. Es ist also thatsächlich die Kontraktion der Kaumuskeln, welche das Herauspressen des Giftes aus der Drüse bewirkt, allerdings auf indirektem Wege, indem zuerst eine Spannung des Jochbandes erfolgt, die sich erst wieder in einen Druck auf die Drüse umsetzen muss. ENT 3] Physiologisches und Chemisches über die Peptonbildung aus Eiweiß. Von Dr. Th. Bokorny. Allbekannt ist die Peptonbildung bei Einwirkung von Fer- menten auf Eiweiß. So erzeugt Pepsin binnen kurzer Zeit Pepton aus Eiweiß ver- schiedenster Herkunft; die Peptonisierung geht Hand in Hand mit einer Lösung des Eiweißstoffes, wenn es sich um einen zuvor unlös- lichen handelt. Von gutem Pepsin muss 0.1 g mit 100 ccm Wasser und 10 Tropfen Salzsäure gemischt, 10 g gekochtes und durch ein Sieb (für grobes Pulver) gegebenes Eiweiß binnen 1 Stunde bei 45° bis auf wenige weißgelbliche Häute lösen. Die Schnelligkeit der Verdauung steigt bis zu einer gewissen Grenze mit der angewendeten Pepsinmenge; jedoch wirkt auch ein und dieselbe Gabe Pepsin auf immer neu der Verdauung unterworfene Eiweißkörper lösend, wenn nur für Ersatz der verbrauchten Chlor- wasserstoffsäure gesorgt wird. Als Vorstufe der Peptone entsteht bei der Eiweißverdauung stets Albumose (Propepton), das bei vorsichtigem Verfahren sogar fast ausschließlich erhalten werden kann. Hiezu (zur Vermeidung der Peptonbildung) ist die Anwendung eines künstlichen Magensaftes von einigermaßen konstanter Wirksam- 54 Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß. keit wünschenswert. Derselbe wird erhalten, indem man die Innen- seite eines Schweinemagens abwäscht, mit einem Tuche abtupft und mit einem stumpfen Spatel sanft abstreif, so dass der Inhalt der Drüsen als dicker Brei austritt. 10 g dieses Breies werden mit 11 Salzsäure von 4°/,, 4 Stunden unter häufigem Umrühren auf 40° er- wärmt und die erhaltene Lösung vor dem Gebrauch filtriert. 500 g Fibrin wurden 24 Stunden in Salzsäure 2°,, bei Zimmertemperatur quellen gelassen, dann auf 37° erhitzt und mit 100 cem des künst- lichen Magensaftes gemengt, nach einer Stunde durch ein Haarsieb gegossen und mit Natronlauge bis zur schwach alkalischen Reaktion versetzt. Die von dem entstandenen Präzipitat abfiltrierte Lösung enthält nur wenig Pepton und gibt die Reaktion der Hemialbumose [Ausscheidung beim Erwärmen auf 50—60°, beim Sieden Lösung, beim Erkalten Wiederausscheidung!) besonders nach Zusatz von Chlor- natrium und etwas Essigsäure] Fällung durch Essigsäure und Ferro- eyankalium, Xanthoproteinsäurefärbung durch Salpetersäure schon in der Kälte, Biuretreaktion, Fällung durch eine gewisse Menge Salpeter- säure oder Salzsäure in der Kälte. Aus dem Neutralisationspräzipitat konnte durch kochendes Wasser oder Essigsäure von 2°/,, ein anderer Teil der gebildeten Hemialbumose ausgezogen werden (Kühne und Chittenden, Zeitschr. Biol., 19). Verfährt man weniger vorsichtig, so stellt sich immer reichlich Pepton ein, das sich oft durch einen sehr bitteren Geschmack verrät und durch chemische Reaktionen von den Albumosen unterschieden werden kann. Im weiteren Verlauf der Verdauung (oder auch beim Kochen mit Säuren) geht der Zersetzungsvorgang sogar noch weit über die Pepton- bildung hinaus, indem Amidokörper einfacher Art gebildet werden; freilich widersteht ein Teil der durch Verdauung gebildeten Peptone (die Anti-Peptone, siehe unten) der weiteren Umwandlung. Da nach Meissner (Zeitschr. f. rat. Med. III, R. 7, 8, 10, 12, 14) nur ein Teil der Pepsinpeptone durch Pepsin zerlegt wird, ein anderer nicht, und nach Schützenberger (Bull. Soc. chim. 23) das Eiweiß zur einen Hälfte unerwartet resistent gegen die Einwirkung verdünnter siedender Säuren, zur andern leicht zersetzbar ist, so hat Kühne gefolgert (Verh. d. naturh. med. Vereins Heidelberg, N. F., 1): Das Eiweißmolekül ist aus zwei verschiedenen Hälften zusammengesetzt, welche bei der Verdauung oder der Einwirkung von Säuren zwei ver- 1) nach Kühne charakteristisch für Hemialbumose; ein größerer Säure- überschuss verhindert die Reaktion. Durch künstlichen Magensaft wird Hemi- albumese in (Hemi-) Pepton umgewandelt, durch Trypsinverdauung in Pepton, Leuein und Tyrosin. Hemialbumose ist ein äußerst seltener Albuminstoff, den zuerst Bence-Jones im Harn bei Knochenerweichung fand (im Sediment des starksauren Harns). Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß, 55 schiedene Reihen von Produkten liefern, die „Anti“-Reihe, welche durch Trypsin nur bis zu Antipepton verändert wird, und die Hemi-kReihe!), welche durch Trypsin in Amidosäuren ete. zerlegt wird. Das Trypsin, welches in neutraler oder schwach alkalischer Lösung angewendet wird, nicht in saurer wie das Pepsin, ist bekannt- lich ein Ferment der Bauchspeicheldrüse (Pankreas); es zerlegt eben- falls die Eiweißkörper. Bei der pankreatischen Verdauung (3tägiger Selbstverdauung der zerhackten Drüse) erhielt M. Nencki (Ber. d. deutsch. chem. Ges., 28) folgende Eiweißzerfallsprodukte: Tyrosin, Amidosäuren der Fettreihe, Peptone, Proteinochromogen (nach Verf. die Muttersubstanz der tierischen Farbstoffe), Xanthin, Hypoxanthin, Guanin und Adeninhypo- xanthin. Wie mit verdauenden Fermenten, so kann man auch durch Er- hitzen mit verdünnten Säuren die Eiweißstoffe in Albu- mosen und Peptone überführen. W. Kühne und R. H. Chittenden (Zeitschr. f. Biol., 19) haben aus Eiereiweiß, Blutserum, Fibrin und Syntonin, welche in der Regel 4) Die Hemialbumosen von W. Kühne und H. Chittenden unter- scheiden sich (Zeitschr. f. Biol., 20) 1. vom Albumin durch: a) Löslichkeit in siedendem Wasser, in siedenden verdünnten Salzlösungen, selbst bei schwachem Ansäuern, ev. Wiederabscheidung in der Kälte, b) unveränderte Löslichkeit nach Ausfällung mit starkem Alkohol; 2. vom Pepton: a) durch sehr lang- same oder mangelnde Dialyse, b) Ausscheidung durch Chlornatrium oder Chlor- natrium und Essigsäure oder Koagulation bei Temperaturen weit unter 70°, mit und ohne Salz- und Säurezusatz, nebst Wiederlösung des Gerinnsels beim Erhitzen über 70°; 3. von den der Antigruppe angehörenden Stoffen: durch Zersetzlichkeit mit Tıypsin unter Bildung von Leucin und Tyrosin und eines durch Brom violett werdenden Körpers. Abweichungen in der Löslichkeit und Zusammensetzung der verschiedenen Hemialbumosepräparate führten die Verf. zu weiteren Untersuchnngen, deren Folge eine Unterscheidung von 4 verschie- denen Albumosen war: I. Protalbumose, durch festes Chlornatrium im Ueber- schuss fällbar (Fällung erst bei Essigsäurezusatz vollständig), in kaltem und heißem Wasser löslich, II. Heteroalbumose, durch Kochsalzüberschuss fällbar, in kaltem und siedendem Wasser unlöslich, dagegen sowohl in ver- dünntem als in konzentriertem Salzwasser löslich, II. Dysalbumose, ähn- lich II, aber in Salzwasser unlöslich, löslich in Salzsäure 0,1°/,, IV. Deutero- albumose, durch Chlornatrium nicht, dagegen durch Chlornatrium und Säure fällbar, in reinem Wasser löslich. Die elementare Zusammensetzung der ver- schiedenen Albumosen zeigt keine deutlichen Unterschiede. Durch Trypsin- wirkung wird Prot- und Deuteroalbumose fast vollständig zerlegt unter Bildung sehr geringer Mengen von Pepton; Heteroalbumose dagegen liefert reichlich einen Körper, der nur bis zu Pepton verdaut wird (also zu Antireihe gehört). Heteroalbumose also ein Gemisch von Hemi- und Antialbumose. I. und IV. geben mit Sublimat im Ueberschuss des Reagens unlösliche Fällungen, II. giebt erst nach Zusatz von Essigsäure einen in großem Ueberschuss von Eisessig löslichen Niederschlag. 56 Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß. durch Sieden mit schwefelsaurem Wasser koaguliert waren, Antialbu- mid, Antialbumat, Antialbumose und Antipepton dargestellt, ferner Hemialbumose und Hemipepton'!). Die Eiweißstoffe wurden mit verdünnter Schwefelsäure auf 100° erwärmt. Der Verf. dieses Aufsatzes erhielt ebenfalls Albumosen sowie Peptone beim Erhitzen von gereinigtem Hühnereiweiß mit verdünnten (4prozentigen) Säuren. Schon bei 2stündigem Kochen des Eiweißes mit 4prozentiger Schwefelsäure zeigte sich eine allmähliche teilweise Lösung und Umwandlung des Eiweißstoffes. In der filtrierten Lösung entstand beim Neutralisieren ein Präzipitat, das durch Filtrieren ab- getrennt wurde. Das Filtrat wurde mit Zinkvitriolkrystallen im Ueber- schuss geschüttelt und dann 24 Stunden stehen gelassen bis zum Absitzen der nicht gelösten Krystalle; es war eine starke Albumosen- ausfällung sichtbar. Im Filtrat dieser Probe entstand mit Phosphor- wolframsäure ein beträchtlicher Peptonniederschlag. Eine ähnliche Einwirkung, eher noch stärker, beobachtete ich auch beim Kochen des Hühnereiweißes mit 4prozentiger Salzsäure, ferner mit Aproz. Bromwasserstoffsäure. Sogar organische Säuren, wie Weinsäure, Oxalsäure, Essigsäure wirkten bei 2stündigem Kochen umwandelnd auf Hühnereiweiß (Essig- säure am schwächsten). Bekanntlich ist auch bei der fermentativen Verdauung des Eiweißes beobachtet worden, dass statt Salzsäure verschiedene andere Säuren dem Ferment beigegeben werden können. Sie wirken verschieden kräftig, aber nicht nach Maßgabe ihrer Aeidität. Bei längerer Einwirkung von alkoholischer Salzsäure (auf Glutin) werden nach Buchner und Curtius (Ber. d. deutsch. chem. Ges., XIX, 850) ebenfalls Amidosäuren gebildet, nur finden sie sich den Versuchsbedingungen entsprechend in Form der Ester vor. Sogar bloßes Erhitzen mit Wasser führı zur Pepton- bildung aus Eiweißstoffen oder Albumosen. Wenn man neutrale Lösungen von primären Albumosen (Proto- und Heteroalbumose) einige Zeit auf 150—160° erhitzt, so werden sie in ihre Deuteroalbumosen und zuletzt in Peptone übergeführt, gerade wie bei der peptischen Verdauung (Neumeister, Zeitschr. Biol., 26). Wird Fibrin mit Wasser in Glaskolben gebracht und im Papin- schen Topf eine Stunde auf 160° erhitzt, so werden als Zersetzungs- produkte erhalten: Schwefelwasserstoff, Ammoniak, Pepton. Bei Anwendung von 0,5proz. Natriumkarbonat-Lösung statt Wasser erhält man „Atmidalbumin“ (nach der Neutralisation mit Salzsäure). 4) Antipepton ist ernährungsphysiologisch nicht gleichwertig mit Hemi- pepton. In Voit’s physiolog. Institut wurde gezeigt, dass Antipepton (welches meist aus Protaminbasen besteht) unfähig ist, die echten Proteine in der Tierernährung zu ersetzen (0. Loew, chem. Energie leb. Zellen, S. 150). Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß. 57 „Atmidalbumin“ und „Atmidalbumose“ sind nach Neumeister Hydra- tationsprodukte, welche das ungespaltene Eiweißmolekül enthalten. Einwirkung von Laugen führt auch allmählich zum Zerfall der Eiweißstoffe. Meine eigenen Versuche über Peptonbildung durch Einwirkung von Natronlauge auf Eiweißkörper bei gewöhnlicher Temperatur führten zu einem negativen Resultate. Ich übergoss je 2 g Hühnereiweiß mit 20%, 10%, Do 2%, 190 Natronlauge und ließ die Lösungen unter öfterem Aufschütteln stehen (bei Zimmertemperatur). Es erfolgte fast völlige Lösung. Nach 24stündigem Stehen wurde ein Teil der Lösung auf Pepton geprüft [nach dem Neutralisieren und Entfernen des Neutralisationspräzipitates, das bei 20°), schwach, bei der verdünnteren Lösung successive stärker war'). Nirgends war eine Spur Pepton aufzufinden. Ganz dasselbe Resultat erhielt ich mit Blutalbumin. Auch nach 3wöchentlichem Stehen ergab sich in beiden Fällen kein Pepton, auch dann nicht, wenn die alkalischen Lösungen vor dem Neutralisieren kurze Zeit gekocht wurden. Bei stundenlangem Kochen allerdings ließ sich Pepton nachweisen. Es scheint, dass die Zersetzung hier einen etwas anderen und auch langsameren Verlauf nimmt. Der Schwefel wird durch die Natronlauge zum Teil als Schwefelwasserstoff aus dem Eiweilsmolekül abgespalten, wie man aus dem stinkenden Geruch beim Neutralisieren und der Schwärzung von Silberblech mit dem entwickelten Gas er- kennt. Durch Einwirkung Sprozentiger alkoholischer Natronlauge auf Eiweißsubstanzen (Eieralbumin, Leim, Rindfleisch, Casein, Wolle ..) in Wasserbadtemperatur erbielt W. Fahrion (Chem. Zeitg., 19) eine fast völlige Lösung jener Stoffe; darin war eine Säure enthalten, welche mit der von Schützenberger mit Eiweiß und Barythydrat erhaltenen identisch war (Proteinsäure). Bei lange andauernder Einwirkung und Anwendung von Tempe- raturen über 1(0° wird auch durch Basen eine Zerlegung in krystalli- sierbare einfache Amidokörper bewirkt. Nach P. Schützenberger?) tritt bei andauernder Erhitzung von Eiweißkörpern mit Barytwasser (3 Teile BaOH auf 4 Tl. Wasser) auf 160—200° endlich eine vollständige Spaltung ein, und man erhält durchweg krystallisierende Zersetzungsprodukte, es wird dabei freies Ammoniak gebildet; es entsteht ferner ein Niederschlag, welcher ein 1) Die Prüfung auf Pepton geschah, indem ich die Lösung mit Zinkvitriol- krystallen im Ueberschuss versetzte und 24 Stunden stehen ließ; im Filtrat hievon wurde auf Pepton mit Phosphorwolframsäure reagiert. 2) Ref. in: Ber. d. chem. Ges., 1875, ferner Chem. Centr., 1875; Bull. soc. chim., 23 u. 24; C. r. 80 u. 81. 58 Bokorny, Peptonbildung aus Eiweiß. Gemenge von kohlensaurem, oxalsaurem und schwefligsaurem Baryt ist, während in der Lösung Tyrosin, Amidosäuren der Reihe CaHzn +, NO, (von n= 7bis n=35), Asparaginsäure, Glutaminsäure und Glutimin- säure enthalten sind. Die Spaltung geht in verschiedenen Phasen von Statten; zuerst erhält man unkrystallisierbare Uebergangsprodukte („Hemialbumin“, „Hemiprotein“, „Hemiproteidin“ u. s. w.); später ge- winnen die Uebergangsprodukte mehr oder weniger bestimmt die Eigen- schaft zu krystallisieren, je nach dem Grade der fortgeschrittenen Spaltung („Leucein“, Leukoprotein“, Glykoprotein“). Die bei völliger Spaltung entstehenden Gemenge der Amidokörper zeigen bei den Haupteiweißkörpern eine fast vollständige Ueberein- stimmung; Hühnereiweiß, Bluteiweiß, Casein und Blutfibrin liefern fast dasselbe Resultat. Casein liefert mehr Tyrosin als das Albumin, Blut- fibrin steht zwischen beiden. E. Schulze und Barbieri!), ferner A. Kossel u. a. fanden, dass beim Eiweißumsatz in keimenden Samen verschiedene ein- fache Amidokörper in größerer Menge auftreten. Nachdem in den Keimlingen der Pflanzen die genannten Amido- säuren durch die Thätigkeit des lebenden Protoplasmas beim Eiweiß- umsatz und bei der tierischen Verdauung nachgewiesenermaßen zuerst (vor den Amidosäuren) Albumosen und Peptone entstehen, darf mit Recht gefragt werden, ob denn nicht auch in Pflanzen die Peptone und Albumosen gebildet werden. Einige Zeit lang hat man nach den Untersuchungen von Gorup- Besanez bei Wickensamen angenommen, dass die Pflanzen Peptone und Pepton-bildende Fermente enthalten. Aber ©. Krauch gelang es bei Wiederholung dieser Versuche nicht, mit Sicherheit ein peptoni- sierendes Ferment in den Pflanzen aufzufinden; auch O. Kellner und E. Schulze konnten in den Pflanzen kein peptonisierendes Ferment nachweisen; Schulze fand allerdings in den Extrakten von Keim- pflanzen, jungem Gras, von Kartoffel- und Rübensaft Peptone in sehr geringer Menge vor, er ist aber der Ansicht, dass dieselben nicht fertig gebildet in den Pflanzen vorhanden sind, sondern dass letztere (junges Gras) Fermente enthalten, welche während der Extraktion auf die Eiweißkörper wirken und dieselben teilweise peptonisieren. Meine eigenen Versuche über Peptonvorkommen in einigen grünen Pflanzen haben bis jetzt ein negatives Resultat ergeben. Dagegen ist in der Presshefe nicht unerheblich Pepton enthalten; OÖ. Loew fand darin 2°), Pepton vor. Ueber das Verhältnis der Peptone zu den Amidosäuren und Eiweiß- stoffen hat ©. Paal (über Peptonsalze des Glutins, Ber. der deutsch. chem. Ges., XXV, 1203) wertvolle Angaben gemacht. Die Peptone zeigen nach C. Paal chemisch ein ähnliches Ver- 4) Landw. Vers.-St., Bd. 21; Landw. Jahrb., 1877. Duclaux, Lehrbuch der Mikrobiologie. 59 halten wie die einfachen Amidosäuren, indem sie sich mit Säuren!) und Basen zu Salzen vereinigen. Auch die Propeptone (Hemialbumose) bilden Salze (R. Herth, Wiener Monatsh. f. Chem., V, 266). Die Pepton-Salze lösen sich leicht in wasserfreiem Methyl- und Aethyl- Alkohol; eine Ausnahme bilden nur die Sulfate, die sich in Alkohol nicht oder nur schwierig lösen. Der Salzsäuregehalt der mit Salzsäure hergestellten Peptonsalze (Glutinpeptonchlorhydrate) schwankt zwischen 10 und 12,5 Prozent. Da den Analysen C. Paal’s gemäß die Peptone sämtlich einen geringeren Gehalt an Kohlenstoff und einen höheren Wasserstofigehalt wie das Glutin besitzen, so sind dieselben als durch Hydratation ent- standene Spaltungsprodukte des Eiweiß- (Leim-) Stoffes zu betrachten. „Bei der Peptonisierung wird das Glutinmolekül unter Wasseraufnahme in stufenweise kleiner werdende Peptonmoleküle gespalten, bis schließ- lich ein Punkt erreicht wird, wo die fortschreitende Peptonisierung ein Ende nimmt und der Zerfall der einfachsten Peptone in ihre letzten Spaltungsprodukte, Amidosäuren, Lysin, Lysatinin ete. eintritt“ (l. c. S. 1236). Das Molekulargewicht der Glutinpeptone wurde von C. Paal mindestens gleich 278 gefunden (nach der Raoult’schen kryosko- pischen Methode). [11] E. Duclaux, Trait&E de Microbiologie. T. I: Microbiologie generale p. III u. 632; T. II: Diastases, toxines et venins p- IH u. 768. BParis’1899. Das Werk ist eine methodische Darstellung des heutigen Standes der Biologie der Mikroorganismen. Es ist nicht sowohl ein Handbuch, das die Daten einfach wiedergiebt und auf litterarische Vollständigkeit Anspruch macht, als ein kritischer Aufbau, in welchem „die beobachteten Thatsachen „durch ein notwendig provisorisches Band der Theorie mit einander ver- „bunden sind“. Der Verf. sucht zu beweisen, dass die Mikrobiologie heute ein wohlbegründetes Gebiet der Wissenschaft darstellt, „wo Alles mit einander verbunden ist und in einander greift“. Man darf wohl sagen, dass der Nachweis dessen dem Verf. durchaus gelungen ist und sein Werk den besten wissenschaftlichen Darstellungen angereiht werden kann. Bedenkt man, wie die Mikrobiologie mit dem Studium der Diastasen und der Eiweißsubstanzen mit einem der dunkelsten Gebiete der Chemie verbunden ist, wie sie durch das bakteriologische Studium des Bodens, der Luft und des Wassers in die allgemeine Hygiene, durch das Studium der Fermentorganismen u. a. m., der Krankheitserreger in die Physiologie und in die Medizin eingreift, so wird es begreiflich, dass ein Einziger das ganze Gebiet wird bald kaum umfassen können. — Wir finden in dem Werke eine sozusagen neu entstandene Wissenschaft dargestellt, über welche weder ein Handbuch der Bakteriologie noch ein solches der Hygiene genügende Auskunft geben kann. Nach den auch für die vom Verf. speziell verfolgten Ziele not- 1) Je 1 Molekül Pepton verbindet sich mit 1 Molekül Salzsäure. 60 Duclaux, Lehrbuch der Mikrobiologie. wendigen historischen einleitenden Kapiteln, folgt die Behandlung der Morphologie, Struktur, der Tinktions- und der Kultur-Methoden. Es werden dann die Zusammensetzung der Bakterien, ihre unorganische und organische Nahrung behandelt, denen die eigentlichen Abschnitte über die Biologie folgen. Diesen gehören die Kapitel an: physiologische Ver- änderungen bei gleicher Art der Gärung, die Reaktion der Produkte der Zellen auf die Mikroorganismen, morphologische Veränderungen unter dem Einflusse des Nährmittels, physiologische und pathologische Veränderungen unter dem Einflusse der Wärme und der Elektrizität, dieser Einfluss im Hinblick auf die gefärbten und nicht gefärbten Bakterien, das Licht in seiner verschiedenen Wirkungsweise bei gleichzeitigen, chemischen und physikalischen Aenderungen des Nährbodens und der Umgebung, Wirkung der Teile des Spektrums u. s. f£. Die zweite Hälfte des Bandes ist dem Boden, der Luft und dem Wasser gewidmet. Hier werden zunächst die neueren physikalischen Forschungen über die Beschaffenheit des Bodens vorgeführt, die Lösungsverhältnisse, Verteilung der Stoffe im Boden und Verteilung der Bakterien in ihm; hier finden auch wie bei den ent- sprechenden Behandlungen des Wassers und der Luft, die Besprechung der Untersuchungsmethoden der Bodenbakterien ihren Platz. In ähnlicher Weise werden die Bakterien der Luft behandelt. Eine besondere Berück- sichtigung hat das Vorkommen und Verhalten der Bakterien im Boden gefunden. Die Behandlung fängt mit dem Vorhandensein und der quanti- tativen Bestimmung der Bakterien, dem Einfluss der T’emperatur, der Jahreszeiten, der Tiefe etc. und geht zu ihren biologischen Verhältnissen über. Nach eingehender Würdigung der Einwirkung des Wassers auf die pathogenen und die eigentlichen Wasserbakterien wird die Reinigung der Kanalwässer, und ihre Reinigung durch die Flüsse und den Boden be- sprochen. Im weiteren behandelt der Verf. die für die Reinigung des Regen- und Trinkwassers durch verschiedene Arten der Filtration in Be- tracht kommenden biologischen Thatsachen und schließt den Band mit der Behandlung der Selbstreinigung der fließenden Gewässer und der Reinigung des Wassers durch die Sonnenstrahlen. Diese möglichst kurz gehaitene Aufzählung des im I. Bande Behandelten, giebt nur einen schwachen Begriff vom Reichtum des Dargebotenen, in welchem auf chemisch-botanischer Grundlage eine ganze Reihe von wichtigen theore- tischen Schlüssen aufgebaut werden. Der 2. Band, der mit dem Studium der Enzyme sich befasst, verdient eine noch größere Beachtung. Nimmt man nämlich das etwas andere Zwecke verfolgende gleichfalls unlängst erschienene Buch J. Effront’s Les Enzymes et leurs applications, aus, so bildet dieser Band die erste ausführliche Darstellung der durchaus modernen Enzyme-Forschung. Dem Verf. genügten im Jahre 1877 ein paar Seiten für die Behandlung des gleichen Gegenstandes; heute bildet die Darstellung einen Band von über 750 Seiten. Von der letzteren schließt Verf. eine Frage aus, welche mehr und mehr eine Frage der Diastasen und Toxine geworden ist: die Immunität. Um die Immunität zu behandeln, hätte er das Gebiet der Chemie verlassen müssen um dasjenige der Physiologie zu betreten. Der Verf. beschränkt sich also auf die Vorführung der eigentlichen Enzyme die er Diastasen nennt und der T'oxine, sowohl in „chemisch-systematischer“ als in physiologischer und biologischer Hinsicht. Duclaux, Lehrbuch der Mikrobiologie, 61 Bemerkenswert erscheint die in dem Buche adoptierte Bestimmung dessen, was eine Diastase ist. Nach dem Verf. sind „die Diastasen Mittel „der mehr oder weniger vollständigen Dislokation, Zerstörung und viel- „leicht auch des Aufbaues der beim Leben entstehenden, zusammenge- „setzten, molekularen Bildungen. Damit verlassen sie den engen Rahmen „der Verdauungserscheinungen, in welche man sie bisher hineinzwängte. „Es giebt diastatische Reaktionen in allen Zellen aller Gewebe sämtlicher „lebender Wesen“. Diese Ausdehnung der Wirksamkeitssphäre der Diastasen scheint die Existenz einer ansehnlichen Anzahl derselben einzuschließen. Dies ist in der That der Fall. „Man kann fast sagen, dass ihre Zahl „fast der Zahl der Species der Bakterien gleichkommt. ...* So ist es schon heute fast unmöglich, eine scharfe Trennung nahe verwandter Diastasen vorzunehmen. Die vom Verf. befolgte Klassifikation ist: Koagulierende und verflüssigende Diastasen: Labferment, Plasmase, Casease, Fibrinase, 'Trypsine, Papaine, Pepsine; auf Pectin- stoffe und Kohlehydrate wirkende: Pectase, Cytase; hydroly- sierende Diastasen der stärkeartigen Körper: Amylase, Inulase; hydrolysierende Diastasen der Zuckerarten: Invertin oder Sucrase, Maltase, Trehalase, Lactase; hydrolysierende Diastasen der Gly- coside: Emulsin, Myrosin, Rhamnase; Diastasen der Glyceride: Lipase; Oxydierende: Laccase, Tyrosinase; Desoxydiereude: Phi- lothion; Zymasen; andere weniger bekannte Diastasen. Es würde zu weit führen, die Art der Behandlung der Diastasen im einzelnen hier zu verfolgen. Dass wiederum die biologischen Daten in der immer anregenden kritischen Darstellung in den Vordergrund treten, versteht sich nach dem bisher Gesagten von selbst. Die Darstellung ist durchweg kritisch und auf das theoretisch Wichtige gerichtet unter Auslassung oder wo nicht anders angängig unter Beschränkung des technischen und statistischen Ballastes, das in: Handbüchern der Hygiene eine so große Rolle spielt und im Grunde wenig aussagt. Aehnlich wie die Diastasen sind die Tloxine behandelt; es sind dies die Diphtherie-, T’etanus- und andere Serum-Arten, Toxine und Antitoxine, die Extrakte der Leukocyten u. a. m. Bei der Behandlung der einzelnen Diastasen finden die Methoden der Reindarstellung so weit man von einer solchen sprechen kann, ihren Platz, die chemischen und physikalischen Einflüsse, quantitative Bestimmungen, Messungen der Wirkungsart, Ursprung und Bildung im Organismus und die Frage ob eine Diastase einfach ist oder aus mehreren besteht u. a. m. Die zusammenfassenden allgemeinen Bemerkungen am Schlusse dieses Bandes geben ein so anschauliches und erschöpfendes Bild von der Wich- tigkeit der Forschungen über die Diastasen für die Biologie, dass wir es uns nicht versagen können, sie hier möglichst gedrängt wiederzugeben. Die untersuchten Diastasen gehören den verschiedensten Typen an. Die einen bewirken Gerinnung der gelösten oder suspendierten Substanzen, die anderen verflüssigen sie wieder oder verhindern die Gerinnung. Es giebt Diastasen, welche ein Molekül Wasser mit einem kompliziert zu- sammengesetzten Molekül verbindend, dieses in zwei oder drei einfacher zusammengesetzte Moleküle spalten. Als Antagonisten funktionieren andere Diastasen, welche die entstandenen Moleküle zu dem vordem bestehenden molekularen Bau wieder vereinigen. Wir haben eine Gruppe von Sauer- stoffüberträgern; entnehmen sie den Sauerstoff der Luft, so sind sie ein- 62 Duelaux, Lehrbuch der Mikrobiologie. fach oxydierende Diastasen, entnehmen sie ihn aber einer chemischen Verbindung, sind sie für diese reduzierend, und oxydierend im Verhältnis zu einem andern chemischen Körper. Wir besitzen endlich Diastasen wie die Zymase Buchner’s, welche eine Verbindung vollständig zersetzen. Die zuletzt genannte verhält sich ganz gleich wie die Bierhefe, und diese Analogie zwischen den Diastasen und den Mikroorganismen wurde jedesmal, wo wir ihr in diesem Werke begegneten, besonders hervorge- hoben. Das Wunderbare dieser scheinbaren Identität zwischen etwas Lebendem und Totem verschwindet zum Teil, wenn wir erfahren, dass jede Lebensäußerung eines Mikroorganismus bewirkt wird durch die Ver- mittlung einer Diastase, welche ihm entzogen werden kann und dann außerhalb seiner Zelle funktioniert. So können wir dem Mikroorganismus eine Substanz entziehen, welche für die Zelle atmet, eine andere, welche die Nahrung für sie verdaut u. s. f£ Da zwischen der Zelle des Mikro- organismus und der Zelle der höheren Tiere kein grundsätzlicher Unter- schied besteht, — so gewinnen unsere Schlüsse eine allgemeinere Bedeu- tung; die Diastasen erscheinen uns als die unentbehrliche Grundlage der Thätigkeit unserer Gewebe. Von diesem Standpunkte aus betrachtet haben sie die Zelle ihrer Bedeutung beraubt. Was man der Zelle bisher zu entreißen nicht vermochte, ist die Ober- leitung der Gesamtheit der Kräfte, welche sie in der Weise verteilt, dass die Zelle gleichzeitig als ein sehr anpassungsfähiges und sehr widerstands- fähiges Organ erscheint. Nachdem man die Kenntnis vom lebenden Wesen auf diejenige der Zelle zurückgeführt hat, ist die Wissenschaft dahin ge- langt, die Kenntnis der Zelle, die so lange als die physiologische Einheit angesehen wurde, in der Ergründung ihrer aktiven Kräfte zu suchen. Die Zelle ist heutzutage ihrerseits zu einem komplizierten Apparate ge- worden, in welchem bald harmonisch, bald unter Reibungen und Stößen sich Kräfte verschiedenen Ursprungs begegnen, unter denen, allem Anschein nach, die diastatischen, die wichtigsten sind. Wir sahen in der That, dass sie ungefähr all die Veränderungen bewirken können, welche beliebige lebende Zellen bewirken: sie halten geeignete Nährstoffe auf ihrem Wege auf und bringen sie zur Gerinnung, befreien die Zelle von anderen unbrauchbaren, indem sie sie in Lösung bringen, sie ermöglichen die Atmung, stellen einfache Verbindungen dar aus zusammengesetzten wie bei allen Verdauungen, bauen zusammenge- setzte Verbindungen wieder aus einfachen auf wie in allen Erscheinungen der organischen Synthese. Alle diese Grundfunktionen im Leben der Zelle gehören in das Wirkungsbereich der Diastasen. Es giebt unter ihnen sehr energisch wirkende, und andere, welche sich passiver verhalten, neben solchen, welche durch einen von außen hinzutretenden Anstoß in Wirksamkeit gesetzt werden. Auf Grundlage des thermo-chemischen Ver- haltens kann man ihre Energiewirkung vergleichen. Diese wichtige Frage wurde nicht für alle Diastasen studiert, man darf ihr jedoch unter Berück- sichtigung der jetzt schon vorhandenen Daten näher treten. Die Buchner’sche Zymase macht, den Zucker in Alkohol und Kohlen- säure spaltend, dabei ungefähr für ein Gramm-Molekül der Glukose 34 Calorien frei. Die Wärmeabgabe ist noch fühlbar bei den oxydieren- den Diastasen. Die Verbrennungswärme der Oxalsäure ist — 60 Calorien; die bei der Umbildung des Hydrochinons in Chinon freiwerdende ist von Duclaux, Lehrbuch der Mikrobiologie. 65 ungefähr 6 Calorien. Die angeführte Wärmemenge nähert sich der für den Invertzucker — 3,8 Cal. gefundenen, während dieselbe für lösliche Stärke 0,6 Cal. beträgt. Genug, alle besser bekannten Diastasen geben wechselnde, wenn häufig auch nur geringe Mengen Wärme ab. Sie leisten eine positive Arbeit, was wohl eine Bedingnng ihrer Thätigkeit ist. Es giebt aber wahrscheinlich diastatische Wirkungen, bei welchen Wärme verbraucht wird. So ist es möglich, dass eine der Zymase Buchner’s entgegengesetzt wirkende Diastase existiert, welche Zucker aus Kohlen- säure und Alkohol wieder erzeugt, analog der Zucker-Synthese von chloro- phyliführenden Pflanzenteilen. Damit solche Diastasen wirken können, muss ihnen von Außen Energie, z. B. Sonnenlicht und Wärme durch die Vermittlung des Chlorophylis zugeführt werden. (Bekanntlich hatte E. Fischer aus anderen, nämlich stereochemisch -theoretischen Gründen, auf Anwesenheit von solchen enzymatischen Verbindungen im Chlorophyll, welche gleichzeitig optisch aktiv sein müssten, geschlossen. Der Ref.) Die gleiche Schlussfolgerung führt uns dazu, anzunehmen, dass umkehr- bare Prozesse nur diejenigen Diastasen, wie die Maltase, veranlassen können, deren Wirkungen von gar keiner oder nur geringer Wärme- produktion begleitet sind. Als Bestätigung dieser Auffassungsweise kann die Beobachtung gelten, dass überall, wo die Maltase, die einzige Diastase, welche die erwähnte Eigenschaft besitzt, in Wirkung trat, sie sehr schwach reagierte und sich von anderen mit ihr vermischten Diastasen überflügeln ließ. Ihre schwache Reaktionsfähigkeit erscheint leicht begreiflich, da sie in Bezug auf ihr thermisches Verhalten sich gleichsam auf dem toten Punkte befindet, in welchem ihre Wirkung zu einer umgekehrten werden kann. Der Verf. erwähnt die verschiedenen Erklärungen der Wirkungsweise der Diastasen. Am einfachsten kann man sie so deuten, dass die Diastasen die Prozesse, welche sie hervorrufen, selbst erleiden und sie dann auf ihre Kosten die betreffenden Körper erleiden lassen. Demnach würde eine hydrolysierende Diastase wie die Sucrase zuerst selbst hydrolysieren und dann das vorübergehend gebundene Wassermolekül, der Saccharose übermitteln. Analog würden sich anders wirkende Diastasen verhalten und das würde auch erklären, warum sie während und nach der bewirkten Reaktion nicht verschwinden. Allein in das Schema fügt sich die Maltase durchaus nicht ein, denn man kann doch nicht annehmen, dass die Maltase der Maltose bald Wasser zur Glukosebildung abgiebt, um bald dieses Wasser der Glukose zu entziehen und wieder Maltose zu bilden. Die gleiche Schwierigkeit erhebt sich auch bei der Zymase. — Die bekannten katalytischen Prozesse in der unorganischen und organischen Chemie sind den diastatischen ähnlich. Dies giebt dem Verf. die Veranlassung von „mineralischen Diastasen“, wir würden sagen mineralischen Enzymen, zu sprechen. Es ergeben sich auch Analogien mit anderen Energie- Arten. So erfolgen unter dem Einflusse des Lichtes und der Wärme ähnliche, Ja manchmal mit den von unorganischen Körpern ausgehenden, identische Prozesse, was hier nicht weiter ausgeführt werden kann. Man hatte ge- zeigt, dass solche katalytischen Vorgänge auch ohne Hinzutreten der er- wähnten Energieart, nur viel langsamer, einzutreffen pflegen. Demnach kann angenommen werden, dass in gleicher Weise die Diastase den auch ohne ihre Gegenwart sehr langsam verlaufenden und das chemische Gleich- 64 Friedländer, Mikroskopische Technik. gewicht bewirkenden Prozess beschleunigt, wobei es ganz gleichgiltig wäre, ob dieser Prozess umkehrbar oder nicht umkehrbar ist. An einer ganzen Reihe von Beispielen wird vom Verf. gezeigt, dass bei diastatischen Vor- gängen, die Diastase schließlich nur eine der zum Eintreffen des Pro- zesses notwendigen Bedingungen darstellt, und dass die anderen Be- dingungen die gleiche Bedeutung besitzen wie sie selbst. Zum mindesten ist der Einfluss der Nebenwirkungen für das Zustandekommen von diasta- tischen Prozessen bisher wenig beachtet worden. An diese wichtigen Ausführungen knüpft Verf. noch die Bemerkung über die Rolle einiger ähnlich den Diastasen wirkenden Körper. Es ist allerdings wahr, dass zwischen den Säuren, Salzen etc. und den Diastasen der Unterschied besteht, dass die Zelle die letzteren erzeugt und die ge- nannten chemischen Verbindungen von Außen aufnimmt. Allein sehr viele von den Körpern aus dem Boden oder aus der Nahrung werden nicht in der gebotenen Form assimiliert sondern sofort bei der Aufnahme in andere umgesetzt, und andererseits scheidet der Organismus eine ganze Reihe von Körpern aus, welche er nicht aufnimmt, sondern neu erzeugt. Die Zelle beeinflusst also alle Faktoren, welche für das Zustandekommen der diastatischen Prozesse wichtig sind und es liegt keine Veranlassung vor die betreffenden chemischen Körper in einseitiger Weise nach ihrer Entbehrlichkeit abzustufen. „Alle diese Faktoren sind Vertreter gewisser „funktioneller Fähigkeiten, welche zu erkennen der Wissenschaft noch „nicht gelungen ist, deren Geheimnis sie jedoch gewiss eines Tages ent- „hüllen wird“. Diese Zuversicht des in der chemisch - biologischen Forschung wohl bewanderten Verf. erinnert an die Beharrlichkeit einiger Chemiker, welche den gangbaren „vitalistischen* Gärungstheorien zum Trotz, die Gärung auf einen rein chemischen Vorgang zurückführten. Der Ausspruch Hoppe- Seyler’s, dass die Existenz eines von der Hefe trennbaren und die Gärung bewirkenden Enzyms keines Beweises bedarf und für jeden Chemiker selbstverständlich ist, hat sich bewahrheitet. Der Verf. wird nicht müde zu betonen, dass die modernen Studien die komplexen That- sachen der Physiologie auf die der exakten Forschung eher zugängliche Basis der Chemie stellen. A. Maurizio (Berlin). |2] C. Friedländer, Mikroskopische Technik zum Gebrauch bei medizinischen und pathologisch-anatomischen Unter- suchungen. Sechste vermehrte und verbesserte Auflage, bearbeitet von Prof. Dr. C. J. Eberth in Halle. Gr. 8. VII und 359 Stn. Berlin. Fischer’s Medizinische Buchhandlung, 1900. Mit 86 Abbildungen im Texte. Dass des vor mehr als 10 Jahren, leider zu früh, verstorbenen Fried- länder’s mikroskopische Technik immer wieder neu aufgelegt wird, zeugt für ihre Brauchbarkeit; der Name des Bearbeiters bietet genügende Bürgschaft für die Aufuahme alles dessen, was die Fortschritte der Technik als wirklich wertvoll erwiesen haben. Da der Gegenstand etwas abseits von dem Interessen- kreis unsres Blattes liegt, mag dieser kurze Hinweis auf das vortreffliche Werk genügen. P. [18] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 1. Februar 1900. Nr. 3. Inhalt: Laloy, Der Scheintod und die Wiederbelebung als Anpassung an die Kälte oder an die Trockenheit. — Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Proto- plasmas. — Davenport, Statistical Methods, with especial reference to bio- logical variation. — Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. — Naturae Novitates, Der Scheintod und die Wiederbelebung als Anpassung an die Kälte oder an die Trockenheit. Von Dr. L. Laloy, Universitäts- Bibliothekar in Paris. Die Erscheinung der Wiederbelebung (Reviviscentia) wurde zuerst von Leeuwenhoeck an Rädertieren beobachtet. Bekanntlich können diese Tiere vollständig austroeknen, entweder auf natürlichem Wege, infolge ihrer Lebensbedingungen, oder künstlich, wenn man sie erhitzt. Sie verlieren dann jede Bewegung und schrumpfen zu einem Klümpchen zusammen, welches jeden Anschein des Lebens verloren hat. Nach- dem sie eine mehr oder weniger lange Zeit in diesem Zustand zu- gebracht haben, kommen sie wieder zu sich, wenn sie ins Wasser gesetzt oder mit einigen Tropfen Wasser angefeuchtet werden. Analoge Erscheinungen werden bei gewissen Nematoden (Anguillula, Gordius), bei den Tardigraden und bei zahlreichen Protozoen be- obachtet. Es ist hier wohl nicht der Platz auf die zahlreichen Untersuchungen zurückzukommen, welche gemacht wurden, um diese wunderbare Er- scheinung zu studieren. Ich verweise auf den Bericht P. Broca’s an die Soeiete de Biologie (M&moires, Bd. II, 3. Serie, 1860, 8.1) und an das Werk J. Gavarret’s: Les phenomenes physiques de la vie, Paris 1869, S. 307. Ich möchte nur einige wichtige Thatsachen her- vorheben. Tiere derselben Art weisen oft im Grad ihrer Fähigkeit, sich wieder zu beleben, große Unterschiede auf: diejenigen, welche gewöhnlich in einem feuchten Medium leben, widerstehen dem Aus- xXX, 5 66 Laloy, Scheintod und die Wiederbelebung. trocknen schlechter als diejenigen, welche in einem trockenen Medium leben. Die Tiere, welche nach allmählichem Austrocknen und Be- feuchten wieder zu sich kommen, sterben, wenn sie abermals plötzlich ausgetrocknet werden. Andererseits, wenn man bei niederer Tempe- ratur ausgetrocknete Tiere erhitzt, so verlieren sie, falls die Temperatur nicht zu hoch ist und ihre Gewebe nicht chemisch verändert, nicht die Fähigkeit, sich beim Anfeuchten wieder zu beleben. Die genannten Tierarten können übrigens auch dem Gefrieren Widerstand leisten, und — unerwarteter Weise — besitzen auch viel höhere Wesen dieselbe Fähigkeit. In Russland und im nördlichen Amerika werden Fische im gefrorenen Zustand auf weite Strecken transportiert. Obwohl sie steif wie Holz sind, werden sie wieder lebendig, wenn man sie in gewöhnliches Wasser taucht. Dasselbe wird auch von Batrachiern (Kröten und Fröschen) berichtet: Findet das Erkälten und das Wiedererwärmen allmählich statt, so kommen diese Tiere wieder zu sich, sobald die Temperatur höher wird; sie seien auch so stark gefroren gewesen, dass ihre Glieder leicht abge- brochen werden konnten. Wenn wir nun zum Pflanzenreich übergehen, so finden wir zahl- reiche Fälle, wo das Leben trotz des scheinbaren Todes wieder er- weckt werden kann. Gewisse jahrelang im Herbarium aufbewahrte Pflanzen konnten, nach verschiedenen Angaben, durch Befeuchten wieder belebt werden. Von dem Samen aus den ägyptischen Gräbern, der angeblich zum Keimen gebracht wurde, wollen wir absehen, denn die Thatsache ist nicht sicher festgestellt und hat übrigens keine Wichtigkeit für unseren Zweck. Dagegen sind viele niedere Kryptogamen, z. B. Moose, Tange (in hohem Grade Tremella Nostoc) und Flechten ganz gut fähig, nach lange anhaltender Dürre, weiter zu wachsen. Dieses zeitweilige Auf- hören der Lebensthätigkeit geschieht übrigens bei diesen Pflanzen wie bei den meisten untersuchten Tieren unter ganz normalen Lebens- verhältnissen, nämlich beim Austrocknen bezw. Zufrieren der Teiche und Pfützen oder bei sonstigem Wassermangel, indem z. B. die Moose oder Flechten bei andauernder Hitze zusammenschrumpfen. Das Gesagte genügt, um zu zeigen, dass die Wiederauflebung nach scheinbar vollständigem Tod in der Natur viel häufiger auftritt, als man es im ersten Augenblick glauben könnte. Wir haben es da nit einer sehr verbreiteten Erscheinung zu thun; nichtsdestoweniger müssen wir einige Fälle ausschließen, wo die Wiederbelebung nur eine scheinbare ist. Von den Protisten trocknen einige wirklich aus, um bei eintretender Feuchtigkeit wieder aufzuleben. Andere aber kapseln sich ein und bilden Sporen, die sich sehr lange erhalten können. Wenn die Verhältnisse günstiger werden, so keimen diese Sporen, aber die Individuen, die jetzt zum Leben kommen, sind nicht diejenigen, Laloy, Scheintod und die Wiederbelebung. 67 welche getrocknet wurden, sondern deren Nachkommen. Man hat be- hauptet, dass dasselbe für die Rotiferen und Tardigraden gälte; es ist aber jetzt festgestellt, dass diese Tiere fähig sind, ihr indivi- duelles Leben von neuem anzufangen nach mehr oder weniger langem Scheintod. Im Pflanzenreich treffen wir saftige Organe, wie Tuberkel, Zwiebeln, Rhizome, oder sehr wasserhaltige Gewächse, wie die Crassulaceen und Cacteen, welche eine langwierige Dürre vertragen können obne abzu- sterben. Die Erscheinungen gehören aber doch nicht in den Kreis unserer Betrachtungen: wie wir sehen werden, findet da eine ganz andere Adaptation statt als bei den eigentlichen Reviviscierenden. Man könnte auch geneigt sein, eine weitere Erscheinung als Wiederbelebung zu betrachten. nämlich diejenige, welche wir bei der Jerichorose (Anastatica hierochontica) beobachten. Bei dieser und ähnlichen Pflanzen findet eine Anpassung statt in Bezug auf die Ausstreuung der Früchte, während der Trockenheit. Die losgelösten und zu einem Ball zu- sammengewundenen Aeste der Jerichorose sind noch fähig unter dem Einfluss der Feuchtigkeit einige Bewegungen auszuführen. Doch ist die Pflanze wirklich tod und es handelt sich hier nur um eine hygro- skopische Erscheinung, welche mit unserer Angelegenheit nichts zu thun hat. Nach Ausschluss dieser und ähnlicher Fälle bleibt uns eine ganze Reihe anderer Wesen übrig, bei welchen wirkliche Wiederbelebung nach vollständigem Austrocknen bezw. Gefrieren stattfindet. Wenn wir uun nach den Bedingungen dieser Erscheinung und nach ihrer Nützlichkeit für die Tiere und Pflanzen suchen, welche sie aufweisen, so müssen wir zuerst daran erinnern, dass die physikalischen und chemischen Phänomene, welche das Leben bilden, niemals in ihrer Gesamtheit vollständig ununterbrochen sind. Bei allen Lebewesen trifft man im Lauf eines Tages wenigstens eine Periode relativer Ruhe, welche man als Schlaf bezeichnet. Bei den Pflanzen hört dann, unter andern, die Assimilation mittels Chlorphyll auf, und bei den Tieren erfahren viele Funktionen einen Stillstand. In jedem Fall ist im Schlaf die Ruhe nur eine sehr relative: eine Reihe von Leistungen des Orga- nismus, z. B. die Atmung, sind immer noch im Gang. Wenn wir diese Phasen relativer nächtlicher Ruhe nicht in Betracht ziehen, so giebt der Vegetationswechsel nach den Jahreszeiten Anlass zu interessanten Betrachtungen. Wir sehen zuerst, dass in den Tropen- ländern das Leben der Pflanzen ein ununterbrochenes ist; besonders in den gut bewässerten Tiefebenen sind die Wärme- und Feuchtigkeits- bedingungen immer ungefähr dieselben, und der Einfluss der Jahres- zeiten macht sich nicht geltend: die Bäume verlieren nur ganz allmäh- lich ihr Laub, so dass sich in der Gesamtheit des Waldes der Blatt- wechsel gar nicht bemerkbar macht. Im Gegenteil erleidet die Vegetation 5* 68 Laloy, Scheintod und die Wiederbelebung. in den kälteren Gegenden während der Wintermonate einen Stillstand. Bei den perennierenden Pflanzen ist dieser Stillstand nur ein vorüber- gehender: im Frühling wachsen neue Blätter und Blüten, die ver- schiedenen organischen Fnnktionen beginnen ihren Kreislauf von Neuem; mit einem Worte das individuelle Wesen revivisciert. Während im Winter die meisten unserer Bäume nur als laublose Skelette da- stehen, haben andere Pflanzen fast alle ihre Organe eingebüßt und bestehen nur mehr als unterirdische Tuberkel, Zwiebeln, Rhizome u. s. w. Die jährlichen Gewächse endlich sind dann ganz abgestorben und existieren nur noch in Form von Samen, aus denen im nächsten Früh- ling eine neue Generation sich bilden soll. Wir finden also im Pflanzenreich eine Reihe von Anpassungen um die kalte Jahreszeit zu überstehen und bei günstigeren Wärmebedingungen entweder das indi- viduelle Leben fortzusetzen oder in der Nachkommenschaft fortzuleben. Im Tierreieh treffen wir auch eine Anzahl von Variationen des Ganges des normalen Lebens und des Grades seiner Kontinuität. Wenn die meisten Säugetiere das ganze Jahr hindurch thätig sind, entweder weil sie in warmen Gegenden leben oder weil sie durch einen dicken Pelz oder Fettablagerungen gegen die Kälte geschützt sind, so machen doch einige, die sogenannten Winterschläfer, davon eine Ausnahme. Viele Reptilien, Batrachier und Fische halten auch einen Winterschlaf. Die meisten Invertebraten hören auf im Winter thätig sein. Aber das beste Beispiel liefern uns die Insekten, unter denen man, wie im Pflanzenreich, jährliche Arten findet: die einen sind nur im Winter durch ihre Eier vertreten, die andern sind perennierende, indem sie entweder als Larven oder als ausgewachsene Formen mittels eines mehr oder wenigen tiefen Schlummers überwintern. — Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass die Erschei- nung der Winterruhe in den zwei organischen Reichen sehr verbreitet ist. Man findet übrigens alle möglichen Abstufungen zwischen dem Wesen, welches das ganze Jahr hindurch aktiv lebt, und demjenigen, welches im Winter in einen Zustand fällt, der dem Tode vollkommen gleicht. Nun lässt sich der Fall der Fische und Batrachier, welche nach vollständigem Gefrieren wieder belebt werden können, ganz un- gezwungen an die vorigen reihen. Es ist nur eine besondere An- passung an die Kälte, analog derjenigen der winterschlafenden Säuge- tiere. Der Unterschied besteht nur darin, dass letztere, besonders durch Fettanhäufung gewissermaßen gegen die weitgehende Erniedrig- ung ihrer Körpertemperatur geschützt sind, während bei den Fischen und Fröschen die Anpassung eine viel tiefere ist. Man muss nämlich annehmen, dass ihr Protoplasma selbst gewisse Eigentümlichkeiten besitzt, die es ihm erlauben, sehr niedrige Temperaturen zu vertragen, ohne seine wesentliche Beschaffenheit und chemische Struktur einzu- büßen. Die Natur dieser Eigentümlichkeiten zu erforschen, bleibt der Laloy, Scheintod und die Wiederbelebung. 69 Zukunft vorbehalten. Doch kann man, wie wir weiter unten sehen werden, darüber einige Hypothesen anstellen. Wenn wir jetzt den Fall der Rädertiere, Tardigraden und niederen Kryptogamen erörtern, welche der Austrocknung großen Widerstand leisten, so finden wir auch hier bloß eine Anpassung an gewisse Lebens- bedingungen, nämlich an den wechselnden Feuchtigkeitsgrad der Luft. Die Moose auf den Dächern sind, mit den sie bewohnenden Rotiferen und Tardigraden, bald dem Regen bald einer brennenden. Sonne aus- gesetzt; das Gleiche gilt von den Flechten; andere Moose, sowie Tange und Nematoden leben in Wasserpfützen, welche im Sommer vollständig austrocknen. Somit war es für alle diese Wesen unbedingt notwendig, etwas in ihrem Bau zu besitzen, das sie fähig macht, trotz dieser großen Schwankungen des Feuchtigkeitsgrades fortzuleben. Wie in der Anpassung an die Kälte, finden wir auch in derjenigen an die Trockenheit eine zweifache Tendenz. Bei den zuletzt genannten Wesen besteht die Anpassung darin, dass der Organismus, trotzdem er seinen Wassergehalt während der Trockenzeit vollständig eingebüßt hat, im Stande ist, sobald die Verhältnisse günstiger werden, wieder Wasser aufzunehmen und fortzuwachsen. Dagegen sind die höheren Lebewesen gegen Wasserverlust durch verschiedene Einrichtungen ge- schützt; die an das Leben in trockenen Gebieten adaptierten Pflanzen, die sogenannten Xerophyten, haben meist eine dicke Cuticula, welche die zu starke Transpiration verhütet, sie speichern während der feuchten Jahreszeit Wasser in ihren Geweben auf; manche schränken ihre Aus- dunstungsfläche ein, indem ihre Form geometrisch wird. Die Cactoiden bilden das vollkommenste Beispiel dieses Pflanzentypus. Bei den höheren Tieren finden auch verschiedenartige Anpas- sungen an Wassermangel statt, z.B. bei den Kameelen Aufspeicherung großer Wassermengen im Magen. Aber der interessanteste Fall ist derjenige der Lurchfische (Dipneusta). Während der trocknen Jahres- zeit vergraben sich diese Tiere in den eintroeknenden Schlamm und atmen dann Luft durch Lungen, während sie im Winter in den Flüssen leben und Wasser durch Kiemen atmen. Man findet im Pflanzenreich etwas ähnliches bei den Gewächsen, welche eine wasserbewohnende und eine landbewohnende Form besitzen, wie Polygonum amphibium, verschiedene Ranunculus- Arten u. s. w. Beiläufig sei bemerkt, dass es ähnliche Erscheinungen gewesen sind, welche im Laufe der Zeit, in den beiden organischen Reichen die Anpassung an das Landleben hervorbrachten; während die bei Wassermangel austrocknenden Formen inadaptativ waren und keine Aussicht auf vollkommnere Nachkommen- schaft hatten. Fassen wir das Gesagte kurz zusammen, so sehen wir, dass die Anpassung an die Kälte und die Anpassung an die Trockenheit die beiden großen Ursachen des Scheintodes der 70 Laloy, Scheintod und die Wiederbelebung. Reviviscierenden sind. Ich habe gezeigt, dass diese beim ersten Blick so sonderbare Erscheinung nicht einzeln in der Natur dasteht, sondern dass sie sich durch Uebergangsstufen an den partiellen Stillstand der Lebensthätigkeiten bei den Winterschlaf haltenden Pflanzen und Tieren heranreiht. Aber wenn die Reviviscierenden durch die Verlangsamung und den Stillstand aller ihrer Funktionen den Winterschläfern ähneln, so weisen sie doch in anderer Hinsicht wieder große Unterschiede auf. Sowie die Xerophyten gegen die Austrocknung, so sind auch die winter- schlafenden Pflanzen und Tiere gegen die Kälte geschützt, welche ihre Gewebe zersetzen würde. Dagegen besitzen die Reviviscierenden keinerlei Schutzvorrichtungen gegen die Trockenheit bezw. Temperatur- abnahme: die einen, wie die Fische nnd Batrachier, gefrieren voll- ständig, die andern, wie die Rädertiere, Tardigraden, Nematoden, Moose, Nostoe, trocknen aus und schrumpfen zusammen. Es wäre jetzt zu erörtern, wie das Leben in so modifizierten Organismen fortbestehen kann. Diese Frage ist mit den heutigen Mitteln der Wissenschaft nicht zu beantworten. Aber man kann für die reviviscierenden Tiere und Pflanzen dieselbe Hypothese aufstellen, wie für die Eier, Samen, Sporen und überhaupt für alle Wesen, deren Lebensthätigkeiten unscheinbar geworden sind. Man kann sich näm- lich vorstellen, dass, da das Leben wesentlich aus Molekularbewegungen des Protoplasmas besteht, bei allen Lebe- Wesen diese Bewegungen sehr verlangsamt, sowie der Stoffwechsel sehr vermindert sein müssen, ohne doch ganz aufgehört zu haben, was das endgiltige Aufhören des Lebens zur Folge hätte. Wie können aber Molekularbewegungen und Stoffwechsel, wenn auch in sehr geringem Maße — in solchen Geweben fortbestehen, die den größten Teil ihres Wassers entweder durch Gefrieren oder durch Austrocknen verloren haben? Das steht, wie wir schon vorher ange- deutet haben, mit einer bestimmten Eigentümlichkeit ihres Protoplasmas in Zusammenhang. Man findet im Eiweiß Wasser in zwei verschie- denen Zuständen: erstens freies Wasser, welches nur in den Zwischen- räumen des Stoffes vorhanden ist, und zweitens chemisch gebundenes Wasser, welches ein unentbehrlicher Bestandteil der Albuminoidstoffe ist. Das erstere kann durch Austrocknen oder Gefrieren verschwinden, ohne dass der Stoff seine wesentlichen Eigenschaften verliert, während dagegen eine Abnahme des chemisch gebundenen Wassers den Tod des Gewebes herbeiführen muss. Vielleicht besteht nun der Unter- schied der Reviviseierenden und der andern Organismen darin, dass bei den erstern das Verbindungswasser zäher am Protoplasma haftet, so dass es auch bei einem hohen Grad von Kälte oder von Trocken- heit nieht entfernt werden kann; somit behält der Organismus der Reviviscierenden seine wesentlichsten Eigenschaften und die Fähigkeit wieder aktiv aufzuleben. Bei den nicht reviviscierenden Organismen Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. 7A wäre dagegen die Verbirdung des Wassers mit dem Protoplasma eine lockere, so dass sie schon durch einen relativ geringen Grad von Trockenheit oder Kälte gelöst und der Tod des Organismus herbei- geführt würde. [9] Alfred Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Proto- plasmas. Jena. Gustav Fischer. 1899. In dem relativ kurzen Zeitraum der Entwicklung unserer modernen mikroskopischen Technik sind schon wiederholt Stimmen laut geworden, die davor warnen, alles was uns unsere fixierten, gefärbten, geschnittenen Präparate zeigen ohne Weiteres als Struktureigentümlichkeiten auch des lebenden Gewebes, der lebenden Zelle, anzusehen. Diesen Warnungen suchte man gelegentlich dadurch größeren Nachdruck zu geben, dass man Beobachtungen anstellte über die Wirkung von Fixierungsmitteln auf Ei- weißlösungen. Derartige Versuche, die sich in sehr engen Grenzen be- wegten, hatten keinen durchschlagenden Erfolg. Größeres Aufsehen erregten zuerst zwei kurze Mitteilungen von A. Fischer, die 1894 u. 1895 im Anatom. Anz. erschienen. Die damals nur in Bruchstücken mitgeteilten Beobachtungen und Ansichten hat Fischer auf breiter empirischer Grund- lage zu begründen und systematisch durchzuführen versucht in seinem vor kurzem erschienenen Buch über Fixierung, Färbung und Bau des Proto- plasmas. Dieses Buch erweckte hervorragendes Interesse in den Kreisen aller derer, die mikroskopisch arbeiten. Wenn auch vielleicht gegen manche Ausführungen und Erklärungsversuche Einwände und Zurück- weisungen hervortreten werden, so kann es doch keinem Zweifel unter- liegen, dass dieses Buch eine große Anzahl äußerst wertvoller Beobach- tungen, zusammengefasst durch anregende, fruchtbringende Gedanken ent- hält. Es wird wohl berufen sein auf dem Gebiet der Zellenlehre manche gründliche, klärende Diskussion herbeizuführen. Wie viele und welche von den Struktureneigentümlichkeiten, die wir an unseren fixierten und gefärbten mikroskopischen Präparaten beobachten, sind natürliche Bildungen, d.h. finden sich auch in der lebenden Zelle? — Diese Frage zu beantworten, das ist der Grundgedanke des Fisch er’schen Buches. Dasselbe gliedert sich in 3 Hauptabschnitte. Deren erster be- handelt die Fixierung, der zweite die Färbung; im Dritten wird erörtert, welche Resultate die vorstehenden Untersuchungen für unsere Anschau- ungen vom Bau des Protoplasmas ergeben. 1. Die Fixierung hat den Zweck, die Strukturen der lebenden Zelle derart in einen unlös- lichen Zustand zu überführen, dass sie all die eingreifenden Prozeduren der Entwässerung und Durchtränkung mit Paraffın, des Schneidens und Färbens ungeschädigt überstehen, so dass sie mit voller Naturtreue in unseren Präparaten hervortreten. Ja sogar wir erwarten in unseren Prä- paraten durch Färbung und Abänderung der Brechungsverhältnisse Struk- turen wahrnehmen zu können, die unserem Auge bei Untersuchung der lebenden Zelle nicht zugänglich sind. 2 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Die geforderte Unlöslichkeit der lebenden Zellstrukturen kommt nach F. bei der Fixierung zustande durch eine Fällung. Diese kann eine chemische sein, indem zwischen Bestandteilen des Fixierungsmittels und Eiweißkörpern chemische Verbindungen entstehen, oder eine physikalische, indem die Fixierungsmittel die Lösungskraft des Zellsaftes herabsetzen oder auch wasserentziehend auf die festeren Zellstrukturen einwirken. F. hält eine Fixierung durch chemische Fällung für den häufigeren Vorgang. Die Zelle erscheint als eine Mischung von Eiweißkörpern ver- schiedenster Art in wechselndem Mengenverhältnis. Diese Eiweißstoffe stimmen nach F.’s Ansicht in ihrem physikalischen und chemischen Ver- halten gegenüber den Fixierungsmitteln durchaus überein mit Lösungen von Eiweißkörpern, die wir künstlich herstellen können. Auf der Grundlage dieser Anschauung unternimmt Fischer eine systematische Prüfung der Einwirkungen zahlreicher Fixierungs- mittel auf eine große Anzahl von Eiweißkörpern. DieTechnik der Versuche ist eine einfache. Lösungen der Eiweißkörper werden in kleinen Fläschehen oder Petri-Schalen mit den Fixierungsmitteln aus- gefällt. Nach 24 St. hat sich der Niederschlag abgesetzt, die über- stehende Flüssigkeit wird abgegossen und durch Waschwasser ersetzt, das mehrmals gewechselt wird. Die Niederschläge wurden unter Wasser oder Alkohol aufgehoben. Die Fällungsform wird an gewöhnlichen Wasserpräparaten untersucht, zu Färbungsversuchen wurden Deckglas- trockenpräparate nach Art der Bakterien- und Blutpräparate hergestellt. Die Wahl der zu untersuchenden Eiweißkörper wurde durch verschiedene Momente beeinflusst. Zahlreiche Proteinstoffe sind in zu- verlässig reinen und brauchbaren Zustande nicht leicht zu beschaffen, — von diesen wurde deshalb abgesehen. Weiterhin wurden ausgeschlossen die Mehrzahl jener Stoffe, welche man unter dem Namen der Proteide oder Albuminoide zusammenfasst. Diese stellen, wie z. B. Mucin, Elastin, Keratin, vorwiegend Ausscheidungsprodukte des lebenden Zellleibes dar und beteiligen sich nicht oder nur gering am Aufbau des Zellkörpers, der aber für F. im Vordergrunde des Interesses steht. Die untersuchten Vertreter der Eiweißkörper im engeren Sinn und Nukleinkörper verteilen sich auf folgende Gruppen: 1. Verdauungsprodukte des Eiweißes, Peptone und Albumosen. 2. Albumine und Globuline, 3. Haemoglobin als Vertreter der Proteide, 4. Nukleoalbumine (Casein u. Conglutin), 5. Nukleinkörper (Nuklein aus Hefe, Hefe-Nukleinsäure, 'Thymus-Nukleinsäure). Als Lösungsmittel diente meist Wasser, gelegentlich erwies sich ein geringer Zusatz von Kalilauge oder Essigsäure als notwendig. Dementsprechend war die Reaktion der Lösungen teils alkalisch, teils sauer, teils neutral. Von einem Salzzusatz wurde abgesehen, da sich bald zeigte, dass ein so geringer Salzgehalt, wie er in tierischen und pflanzlichen Zellen vorkommt, auf die Fällungsreaktion keinen Einfluß ausübt. Die Konzentration der Lösung darf keine zu geringe sein, da sonst die Fällung ausbleibt, aber auch keine zu hohe, da dann die Fixierungsmittel nur zu partieller Wirkung gelangen und eine sehr große Menge derselben zu vollständiger Ausfällung erforder- lich ist. Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. 13 Von Fixierungsmitteln wurde eine große Anzahl geprüft und zwar sowohl einfache Lösungen wie auch Mischungen von solchen. Eine Ein- teilung der Fixierungsmittel wird gegründet auf das spezifische Ver- halten der Eiweißkörper zu denselben. Als Testobjekte erschienen ge- eignet: 1. Hefe-Nukleinsäure wegen ihren nahen Beziehungen zum Chro- matin; 2. Deuteroalbumose, wohl als Verdauungsprodukt in gewissen Ge- weben erscheinend, 3. Serumalbumin als Vertreter der großen, fixierungs- technisch übereinstimmenden Gruppen der Albumine und Globuline. Aus dem Verhalten dieser drei Eiweißkörper zu den Fixierungsmitteln ergiebt sich folgende Gruppierung derselben: I. Nukleinsäure wird nicht, oder nur durch starke Konzentration ge- fällt, Deuteroalbumose wird gar nicht, Serumalbumin sowohl aus alkalischen als sauren Lösungen gefällt (Salpetersäure, Essigsäure und damit ange- säuerter Alkohol). II. Nukleinsäure wird gar nicht, Deuteroalbumose und Serumalbumin werden nur aus sauren, nicht aus alkalischen oder neutralen Lösungen gefällt. Die Niederschläge sind im Wasser unlöslich (Osmiumsäure, Ka- liumbichromat, Altmann’s Gemisch, Müller’sche Lösung). III. Nukleinsäure, Deuteroalbumose und Serumalbumin werden bei jeder Reaktion gefällt. 1. Untergruppe. Die Fällung der Nukleinsäure und der Deutero- albumose ist in Wasser leicht löslich; Serumalbumin wird koaguliert (Alkohol, Aceton, Pikrinsäure, Pikrinschwefelsäure). 2. Untergruppe. Alle Fällungen in Wasser unlöslich (Chromsäure, Sublimat, Platinchlorid, Formaldehyd, Flemming’s Gemisch, Hermann’s Gemisch). Dieser allgemeinen Anordnung folgend bespricht dann F. in ein- gehender Weise die Wirkungen der einzelnen Fixierungsmittel auf die verschiedenen, zur Untersuchung kommenden Eiweißkörper und erläutert seine Angaben durch Beispiele (S.9—30). Aus diesen Darlegungen seien nur einige Punkte von allgemeinem Interesse hervorgehoben. Salpetersäure als wichtigster Vertreter der Gruppe I ist als ein durchaus unzuverlässiges Fixierungsmittel anzusehen, da sie in verdünntem Zustand anders wirkt als im konzentrierten und die Fällungen mancher Eiweißkörper im Ueberschuss sich wieder lösen. Aehnliches gilt von der Essigsäure. In Gemischen jedoch wirkt sie vorteilhaft durch Ansäuerung, weil dann manche Fixierungsmittel überhaupt erst oder doch besser wirken. Aus Gruppe II ist besonders hervorzuheben die Wirkung der Os- miumsäure und der Müller’schen Flüssigkeit. Beide werden hingestellt als schwache und unvollständige Fixierungsmittel, die gegenüber alkalischem Zellinhalt stets versagen. Die Veränderungen, welche alkalische Gewebs- stücke nach Fixierung mit Osmiumsäure bis zu ihrer Ueberführung in Xylol erfahren, schildert F. folgendermaßen: „Alle in den Geweben etwa gelösten Nukleoalbumine und Nukleinkörper, ferner alle Peptone, Albumosen, Albumine und Globuline, auch Haemoglobine — man kann kurz sagen, sämtliche gelöste Eiweißkörper — sind nicht gefällt. In diesem Zustande beginnt das Auswaschen, d. h. durch Diffusion und Dialyse soll das Fixierungmittel wieder entfernt werden. Gelöste Ei- weißkörper diffundieren nur äusserst langsam, selbst der schnellste unter ihnen, das Pepton, diffundiert nach Kühne nur !/, so schnell wie Trauben- 74 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. zucker. Beim Auswaschen von Gewebsstücken handelt es sich aber um Dialyse, um Durchwandern tierischer Membranen oder membranartiger Bil- dungen, durch die wohl die Osmiumsäure hindurchwandern kann, aber sicher nicht die gar nicht dialysierbaren Eiweißkörper, die auch die Cellulosemembranen der Pflanzenzellen nur schwer passieren können. Selbst wenn man die Zeit des Auswaschens über das übliche Maß weit aus- dehnen wollte, würde man doch die gelösten, von der Osmiumsäure nicht gefäll. ten Eiweißkörper nicht entfernen können. Noch weniger geschieht das beim all- mählichen Entwässern mit steigendem Alkohol, so dass dieser, wenn erfällungs- kräftig geworden ist, nun mehr alle diejenigen Eiweißkörper ausfällt, die ilım zugänglich sind. Da freie Säure oder Alkali beim Auswaschen dialytisch entfernt worden sind, so kann man annehmen, dass der Entwässerungs- alkohol auf neutrale Gewebe wirkt. Es werden nunmehr sicher gefällt: Pepton, Albumosen, Albumine, Globuline, Haemoglobin, Nukleoalbumine, Nukleine und Nukleinsäure; außer Pepton, Albumosen und Nukleinsäure werden alle die genannten Eiweißkörper durch den langen Aufenthalt in Alkohol koaguliert. Sie müssen also im farbigen Schnitt als Strukturen vortäuschende Fällungen berücksichtigt werden. Absoluter Alkohol würde auch aus alkalisch gebliebenen Gewebsstücken alle oben genannten Ei- weißkörper ausfällen. „Der Vorteil, den eine Osmiumfixierung alkalischer oder neutraler Gewebe wegen der geringen Fällungskraft der Osmium- säure vielleicht bieten könnte, wird also durch die Nachbehandlung mit Alkohol aufgehoben. In Paraffinschnitten wird man neben der Wirkung der Osmiumsäure eine kräftige Fixierung durch Alkohol vor sich haben.“ Zu der III. Gruppe, 2. Untergruppe, gehören einige der augenblicklich beliebtesten Fixierungsmittel. Sie sind ganz besonders geeignet Artefakte zu erzeugen. „Wenn überhaupt bei beliebiger Reaktion Eiweißkörper im Protoplasma oder im Kern gelöst vorkommen, und ihre Menge nicht unter das Fällungsminimum, das sehr gering ist, herabsinkt, dann müssen sie durch diese „Fixierungsmittel“ derartig dauerhaft und unlöslich abgeschieden werden, dass sie im fertigen Präparat auch hervortreten.“ Die Eiweißkörper werden nach der Form in der sie von den Fixierungsmitteln ausgefällt werden, eingeteilt mn Granulabildner und Gerinnselbildner. Die Niederschläge der ersteren bestehen aus Körnern sehr verschiedener Größe, die entweder isoliert sind, oder auch paarweise oder in Kettchen zusammengelagert. Die Niederschläge der Ge- rinnselbildner entsprechen dem sog. feinpunktierten Aussehen des Proto- plasmas. Sie bilden feine Gerüste und Netze, die aus winzigen Körnchen gleicher Größe sich aufbauen. Granulabildner und Gerinnselbildner sind durch Zwischenformen verbunden, indem manche Eiweißkörper, wie Hae- moglobin und Nukleinsäure, von den einen Fixierungsmitteln als Granula, von den anderen als Gerinnsel abgeschieden werden. F. erklärt sich die Entstehung der beiden Niederschlagsformen so, dass stets beim Zusammentreffen von Eiweißlösung und Fixierungsmittel zuerst winzige Körnchen abgeschieden werden. Der weitere Verlauf ist verschieden, je nachdem der Eiweißkörper mehr oder weniger stark kolloidal ist. Handelt es sich um eine stark kolloidale Eiweißlösung mit sehr geringer Diffusionsgeschwindigkeit, so wird die Konzentrations- differenz in der Umgebung der zuerst abgeschiedenen Körnchen langsam ausgeglichen werden durch hinzu diffundierende Eiweißmolekel. Diese Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. 75 werden zwischen den zuerst ausgeschiedenen Körnchen weiter ausgefällt und so entstehen die aus winzigen zusammengehäuften und an einander hängenden Globuliten aufgebauten Gerinnsel. Bei den weniger stark kolloidalen Eiweißstoffen aber wird sich die Konzentrationsdifferenz dank der größeren Diffusionsgeschwindigkeit um die zuerst ausgestellten Körn- chen rasch ausgleichen und auf letztere neue Schichten abgelagert werden, so dass sie zu größeren Granulis heranwachsen. Die einzelnen Granula- bildner und Gerinnselbildner werden dann nebst ihren Zwischenformen ausführlicher besprochen und mannigfache Reaktionen mit den verschie- denen Fixierungsmitteln geschildert und abgebildet (S. 33—50). Als Typus der Granulabildner fungiert Deuteroalbumose, der Gerinnselbildner Serumalbumin. Die Größe der Granula erweist sich abhängig von der Konzentration der Eiweißlösung und der Art des Fixierungsmittels. Je dünner die Eiweißlösung ist, desto kleiner und gleichmäßiger sind die niedergeschlagenen Granula. Manche Fixierungsmittel geben gleichmäßige Granula, andere ein buntes Gemisch großer und kleiner. Der größte Durchmesser der Granula ist bei verschiedenen Fixierungsmitteln außer- ordentlich wechselnd. Diese Beobachtungen gewinnen noch insofern Be- deutung, als es für später zu besprecheude Färbungsversuche wünschens- wert erscheint, Mischungen großer und kleiner Granula von durchaus übereinstimmendem chemischen Charakter herstellen zu können. Bei den Gerinnselbildnern erscheint Konzentration wie Reaktion der Lösung gleich- giltig für die Fällungsform, letztere aber bei manchen Fixierungsmitteln entscheidend für die Fällungskraft. Die Fällungsform der Eiweißkörper in Gemischen bleibt dieselbe wie in den isolierten Lösungen, wie aus mannigfachen mitge- teilten Versuchen hervorgeht. Aus Mischungen von Granula- und Ge- rinnselbildnern werden Granula und Gerinnsel neben einander oder in ein- ander eingelagert durch das zugegossene Fixierungsmittel abgeschieden. Diese Beobachtung erscheint natürlich besonders bedeutungsvoll für die Auffassung der Fixierung der verschiedenartigen Eiweißbestandteile der Zellen. Aus dem folgenden Kapitel über die Möglichkeit einer mikro- chemischen Fixierungsanalyse seien nur einige Hauptpunkte her- vorgehoben. Der Gedanke liegt wohl nicht zu fern, all die zahlreichen Erfahrungen, die aus den vorstehend geschilderten Beobachtungen und Ver- suchen über die Wirkungen zwischen Eiweißkörpern und Fixierungsmitteln hervorgehen, zu verwenden zu einer mikrochemischen Analyse des Zellinhalts. Vorläufig ist die Erkennung bestimmter chemischer Zellbestandteile aussichts- voll nur für 2 Körper, nämlich für Albumose und reine Nukleinsäure; eine Unterscheidung der einzelnen Gerinnselbildner von einander ist bis jetzt nicht möglich. Der Nachweis der Nukleinsäure ist aber deshalb ziem- lich bedeutungslos, da es sehr zu bezweifeln ist, dass irgendwo in der Zelle freie Nukleinsäure sich so ansammelt, dass sie im fixierten Prä- parat erkennbar wird. Nachzutragen wäre noch, dass Osmiumsäure ver- wendbar ist als ein Reagens auf die chemische Reaktion einer Zelle oder ihres Kernes. „Entstehen nämlich nur durch saure Fixierungsmittel Fällungen, durch Osmiumsäure und Kaliumbichromat aber nicht, so lag alkalische Reaktion vor.“ Jedenfalls sind vorläufig die Aussichten auf eine erfolgreiche mikrochemische Analyse der Zellbestandteile recht geringe. 76 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Der Abschnitt über Fixierung schließt mit einer zusammenfassenden Betrachtung über die Resultate, welche sich aus dem Mitgeteilten für un- sere Auffassung der Fixierung des Zellinhaltes ergeben. Die feineren Strukturen des Protoplasmas und Kernes bestehen aus Eiweißkörpern und stellen in der lebenden Zelle keine unlöslichen, dauer- haften Gebilde dar. Deshalb bedürfen sie der Fixierung. Aufgabe der Fixierung ist es also, diese Stoffe unter Bewahrung ihrer morphologischen Ausgestaltung unlöslich zu machen. Dazu sind nicht alle Fixierungs- mittel gleichmäßig befähigt, da manche wohl fällen, aber nicht unlöslich ; die gebräuchlichsten allerdings fällen alle Eiweißkörper unlöslich. Welche Veränderungen unter deren Einwirkung in der lebenden Zelle sich vollziehen, können wir nur dann ermessen, wenn wir uns die grundlegende Frage beantworten, in welchem Aggregatzustand die Eiweiß- körper in der lebenden Zelle vorhanden sind. Zwei Extreme stehen neben einander, entweder sie sind vollkommen gelöst, oder sie sind vollkommen fest. Letzteres schließt sich dadurch aus, dass sämtliche Eiweißkörper quellungsfähige Kolloide sind, die immer von dem Wasser des Protoplasmas etwas aufnehmen müssen. F. nimmt deshalb an, dass in der Zelle neben vollkommen gelösten Eiweißkörpern solche in allen Stadien der Quellung sich vorfinden. Die am stärksten gequollenen erscheinen zähflüssig, die am wenigsten gequollenen fest. Wie werden sich nun die Fixierungsmittel gegenüber diesem Aggregatzustand der Eiweißkörper verhalten ? Gelöste Eiweißkörper können diffus verteilt, oder in eine Vakuole eingeschlossen in der Zelle vorkommen. In beiden Fällen werden sie nach ihrer spezifischen Fällungsart je nach dem Fixierungsmittel in un- löslicher oder löslicher Form niedergeschlagen werden. Ist der Durch- messer der Vakuole, gering oder bei größerem Umfang der Vakuole die Konzentration des Inhalts groß, so kann es geschehen, dass die ursprüng- liche Fällungsform nicht zu Tage tritt, sondern die ganze Vakuole in toto gefällt wird als ein homogenes Gebilde. Gequollene Eiweißkörper werden umsomehr zur Ausscheidung in der spezifischen Fällungsform neigen, je dünnflüssiger sie sind; sie werden umso leichter sich in toto und homogen fixieren lassen, je zäher und wasserärmer sie sind. Dies sind die hauptsächlichsten Gesichtspunkte, welche bei der Beur- teilung der Fixierungswirkung im Auge zu behalten sind. Wir müssen also sagen: Fixierungsmittel haben eine äußerst mannig- faltige Gelegenheit durch Fällung das ursprüngliche Strukturbild zu ver- ändern. Nur für die lebend bereits festeren Gebilde bestehen einiger- maßen günstige Aussichten auf eine naturgetreue Erhaltung. So z. B. sind die Chromosomen in der lebenden Zelle nicht feste Gebilde mit un- verrückbarer Struktur, sie sind zähflüssig und nicht starr wie sie in den fixierten Präparaten erscheinen. Sicher werden sie durch die Fixierungs- mittel in etwas verändert durch Wasserentziehung und Verdichtung, bis- weilen wohl auch durch Gerinnung und spezifische Fällungsform der sie zusammensetzenden Eiweißkörper. Ein unverzerrtes Abbild der ursprünglichen Struktur ist niemals durch die Fixierungsmittel zu erreichen, da ja alle noch nicht unlöslichen Zellbestandteile ausgefällt werden. Jedem Fixierungsmittel entspricht ein Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. 77 ihm eigenes Fixierungsbild. Um nun eine kritische Scheidung zwischen künstlichen und natürlichen Strukturen vornehmen zu können ist es not- wendig bei cellulären Fragen stets mehrere Fixirungsmittel anzuwenden. Diese können aber nicht beliebig ausgewählt werden, sondern müssen ver- schiedenen der aufgestellten fixierungstechnischen Gruppen angehören. Abweichungen der Befunde an verschiedenen Stellen eines Präparates geben nicht ohne Weiteres die Berechtigung zwischen den Bildern eine Auswahl zu treffen, die einen als gut fixiert und naturgetreu zu erklären, die an- deren als schlecht fixiert unbeachtet zu lassen. II. Die Färbung. Ueber die Wirkungsweise der Farbstoffe auf die histologischen Prä- parate bestehen zwei sich bekämpfende Theorien, die man als physika- lische und chemische unterscheiden kann. Nach der letzteren würde die Aufnahme der Farbe durch einzelne Zellbestandteile eine chemische Ver- bindung darstellen, die auf einer chemischen Affinität beruht. Es würden also aus der Färbung Schlüsse über die chemische Ver- wandtschaft resp. Identität übereinstimmend sich färbender Zellbestandteile sich ergeben. Diese Ansicht ist augenblicklich die herrschende. Nach der physikalischen ‚Färbungstheorie beruht die Aufnahme der Farbe durch bestimmte Zellbestandteile nur aufderen, eventuell wechseln- den, physikalischen Beziehungen; es ist also nicht möglich, mit Hülfe der Färbung eine chemische Charakterisierung und Identifizierung be- stimmter Zellbestandteile vorzunehmen. Letztere Annahme, die bereits von einzelnen Forschern vertreten wurde, sucht F. fest zu begründen durch eine Reihe von Versuchen, an welche sich kritische Erörterungen mit Berücksichtigung der Litteratur anknüpfen. Zuerst wird besprochen die Wahl eines geeigneten Objektes für Färbungsversuche. Natürliche Objekte erscheinen dafür sehr wenig geeignet, da sie chemisch durchaus nicht präzis charakterisierbar sind. Wohl aber sind dazu verwendbar künstliche Granula und Gerinnsel. Diese sind chemisch annähernd bestimmbar, da sie entweder chemische Verbindungen zwischen Fixierungsmittel und Eiweißkörper oder physika- lische Fällungen darstellen, die aus der Unlöslichkeit des Eiweißkörpers im hinzugegossenen Fixierungsmittel hervorgingen. Diese Niederschläge sind außerdem dem natürlichen Objekt möglichst ähnlich als Eiweiß- körper, die mit denselben Fixierungsmitteln behandelt wurden. Ein weiterer, bereits erwähnter Vorteil derselben besteht darin, dass sie die Möglichkeit bieten ein und denselben chemischen Körper in verschiedener Größe des Kornes zu untersuchen. F. prüft zuerst die Beziehungen zwischen Fixierungsmittel und Färbung. Es geschieht dies in der Weise, dass Niederschläge ohne vorangehendes Auswaschen zu Deckglastrockenpräparaten verwandt werden. Diese enthalten also noch Reste des Fixierungsmittels und wer- den mit den verschiedensten Farblösungen behandelt. Es zeigt sich nun, dass sich die Fixierungsmittel nach ihrem Verhalten zu den Farbstoffen in 3 Gruppen ordnen lassen und zwar 1. Indifferente; diese hindern auch wenn sie nicht ausgewaschen werden, die Färbung nicht (Alkohol, Form- aldehyd, Essigsäure, nahezu indifferent Pikrinsäure). 2. partielle Farb- 78 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. feinde; sie verhindern unausgewaschen nur manche Färbungen (Chrom- säure, Kaliumbichromat, Flemming’sche Lösung, Sublimat). 3. Totale Farbfeinde, setzen unter allen Umständen die Färbbarkeit des nicht ausgewaschenen Niederschlages herab, oder heben sie ganz auf (Platin- chlorid, Hermann’sche Lösung, Tannin, Osmiumsäure, Altmann ’sche Lösung, Jodalkohol). Beruht diese Erscheinung der partiellen und totalen Farbfeindlichkeit auf einem chemischen oder physikalischen Vorgang? Darüber giebt folgender Versuch Aufschluß: Bringt man ein farbfeindliches Fixierungs- mittel im Reagensglas mit einer Farblösung zusammen, so treten keine farbzerstörenden Umsetzungen ein. Daraus geht wohl zur Genüge her- vor, dass die Farbfeindlichkeit keine chemischen Veränderungen zur Ur- sache haben kann. Auf physikalischem Wege aber sucht sich F. diese Erscheinung folgendermaßen zu erklären: Ein Teil des Fixierungsmittels geht mit dem Eiweißkörper eine chemische Verbindung ein, ein anderer Teil dagegen ist chemisch nicht gebunden, er ist chemisch überschüssig und lediglich adsorbiert. Dies nur physikalisch gebundene, adsorbierte Fixie- rungsmittel versperrt dem Farbstoff den Platz, da es alle Adsorptionsaffini- täten des Granulums sättigt, dasselbe „verstopft“. Dieser nur physikalisch gebundene Teil des Fixierungsmittels wird durch Auswaschen entfernt und nun kann das Granulum seine mechanischen Affinitäten aufs Neue sättigen und zwar mit dem Farbstoff. Die leichtere oder schwerere Auswaschbar- keit eines Fixierungsmittels ist die Resultante aus dem ‘aktiven Adsorp- tionsvermögen der Granula und dem passiven Adsorptionscoeffiicienten des Fällungsmittels. Indifferente Fixierungsmittel werden fast gar nicht adsorbiert uud verstopfen deshalb die Fällungsgranula nicht. Diese Erwägung bildet für F. die Grundlage einer physi- kalischen Färbungstheorie, die er nun weiter zu stützen sucht. Zuerst beschäftigt er sich mit der Frage; giebt es basophile und acidophile Eiweißkörper d. h. solche, die sich vorwiegend oder ausschließlich mit basischen oder mit sauren Farben färben ? Zur Entscheidung dieser Frage sind nur solche Fällungsniederschläge ver- wendbar, die mit indifferenten Fixierungsmitteln hergestellt wurden. Denn diese Fällungen bewahren am besten das einem Eiweißkörper oder Ge- webselement innewohnende Färbungsvermögen, da sie ja das Fixierungs- mittel fast gar nicht adsorbiert enthalten. Diese indifferenten Nieder- schläge lassen demnach das primäre Adsorptionsvermögen des Eiweiß- körpers für die Farbe, die primäre Chromatophilie deutlich hervortreten. Die farbfeindlichen Fixierungsmittel, und zwar die schweren Metalle in denselben, verleihen dem Eiweißkörper neue färberische Eigenschaften, ein sekundäres Adsorptionsvermögen, sekundäre Chromatophilie. Diese se- kundäre Färbungsstimmung richtet sich nur gegen saure Farben und Methylgrün und steht in gesetzmäßigen Beziehungen zum spezifischen Gewicht. Aus zahlreichen Färbungsversuchen von indifferent gefällten Eiweiß- körpern mit einfachen wässerigen Farblösungen ohne anschließende Diffe- renzierung ergiebt sich, dass alle Eiweißkörper mit alleiniger Ausnahme der Nukleinsäure sich indifferent verhalten, d. h. sowohl durch saure wie durch basische Farblösungen gefärbt werden. Die Nukleinsäure allein ist acidophob, sie färbt sich nicht mit sauren Farben. Diese eigentümliche Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. 79 Ausnahme bleibt insofern ohne Bedeutung für die Beurteilung der Fär- bung des natürlichen Objektes, als hier keine freie Nukleinsäure vorkommt. Uebrigens wird durch Schwefelsäure die Färbkraft saurer Farben er- höht und so kann durch Zusatz von Schwefelsäure zu sauren Farben die Acidophobie der Nukleinsäure mit Erfolg bekämpft werden. Die Wirkung der Schwefelsäure soll dabei keine chemische sein, weder auf die Farb- lösung, noch auf das Färbungsobjekt, sondern sie soll darin bestehen, dass sie die Löslichkeit des sauren Farbstoffes im Lösungswasser herab- setzt und so sein Ausfallen auf das Färbungsobjekt erleichtert. In indifferent fixierten natürlichen Objekten ist also kein einziger Zellbestand acidophob. Die Chromosomen wie der ruhende Kern stimmen in ihrem Verhalten mit dem Nuklein überein. "Totale Basophobie wird überhaupt nicht beobachtet. Dass die einzelnen Bestandteile in der Zelle denselben Farbstoff in sehr verschiedenem Grade speichern, ist auf mechanische, nicht auf chemische Ursachen zurückzuführen. Nach der Widerlegung der Basophilie und Acidophilie wendet sich F. zu einem zweiten Argument der chemischen Färbungstheorie, der Fär- bung mit Differenzierung und Nachfärbung. Diese sog. succedane Doppelfärbung besteht in maximaler Färbung mit einer einfachen Farblösung, dann maximale Entfärbung bis nur noch bestimmte Gewebs- elemente die Farbe behalten und darauf Nachfärbung mit einer zweiten, einfachen Farblösung. Von solchen bekannten Methoden succedaner Doppelfärbung wurden geprüft: 1. Altmann ’s Säurefuchsin-Pikrinalkohol, 2. Safranin-Säurealkohol-Gentiana (Flemming-Hermann), 3. Karbol- fuchsin-Säure-Methylenblau (Tuberkelbacillenfärbung), 4. Gram’sche Fär- bung, 5. Eisenalaun-Haematoxylin (Benda-Heidenhain). Aus den geschilderten Versuchen und Beobachtungen ergiebt sich, dass keine chemischen Affinitäten, sondern vielmehr die Masse der einzelnen Färbungsobjekte sowie die Reihenfolge in der Anwendung der Farb- lösungen den Effekt bestimmen. Färbt man einen indifferenten Nieder- schlag, der aus großen und kleinen Granulis besteht, so behalten nach der Differenzierung die großen Körner die zuerst angewandte Farbe am längsten, die kleinen erscheinen in der Kontrastfarbe. Kehrt man aber die angewandten Farben um, so bleibt das Verhältnis dasselbe, indem stets die großen Granula die erste, die kleineren die zweite Farbe er- halten. Dieser Vorgang lässt sich nicht als ein chemischer sondern nur als ein physikalischer verstehen. Auf die Einzelheiten des von F. ge- gebenen Erklärungsversuches können wir hier nicht eingehen. An dritter Stelle kommt zur Erörterung die Elektion gewisser Farb- stoffe aus Farbgemischen durch bestimmte Zellbestandteile. Es ist dies die sog. simultane Doppelfärbung. Eine Differenzierung kommt hier nicht zur Anwendung. Gerade diese Art der Färbung gilt als ein untrüglicher Beweis für die Richtigkeit der chemischen Färbungstheorie. Von vornherein erscheinen bedenklich die vielfach auftretenden Misch- farben und die bekannte Launenhaftigkeit in den Resultaten der simultanen Doppelfärbung. Die Farbmischungen sind einzuteilen in homogene und heterogene. Erstere sind entweder saure oder alkalische, sie bestehen nur aus sauren oder nur alkalischen Farblösungen, die heterogenen Gemische setzen sich aus beiden zusammen, 80 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. In den homogenen Farbmischungen wird die Färbkraft durch das Lösungsmittel — reines Wasser — für die einzelnen Komponenten in gleichem Sinne beeinflusst. Die Konzentration der einzelnen Farben ist aber in den meisten homogenen Gemischen verschieden wegen der ver- schiedenen Löslichkeit der Komponenten. Dies gilt auch in noch viel höherem Grade für die heterogenen Mischungen. In diesen wird auch die Färbkraft saurer Farben herabgedrückt, die der basischen erhalten. Außer- dern tritt bisweilen eine partielle Fällung der basischen Farbe durch die saure ein. Jedenfalls können wir annehmen, dass in der großen Mehrzahl so- wohl homogener wie heterogener Farbgemische die einzelnen Komponenten nicht äquivalent sind, in der Regel in verschiedener Konzentration sich vorfinden. Die Färbung beginnt mit einer Hydrodiffusion der Gemischkompo- nenten gegen die zu färbenden Objekte. Jede Komponente eines Farb- gemisches diffundiert mit der ihr eigentümlichen Geschwindigkeit und proportional ihrer Konzentraten und tritt in der hierdurch bestimmten Reihenfolge und Gewichtsmenge an das Objekt heran. Nach dieser Auf- fassung würde also das Resultat der simultanen Doppelfärbung nicht auf einer chemischen Elektion beruhen, sondern sich darstellen als das ge- meinsame Ergebnis der relativen Diffusionsgeschwindigkeit und der Kon- zentration der Gemischkomponenten. Dass dem wirklich so ist, sucht F. durch eine lange Reihe von Versuchen und Berechnungen darzuthun (S. 118—158). Sehr interessant und wichtig für die Begründung der physikalischen Färbungstheorie ist das Kapitel VI (S.158—174). F. berichtet hier über eine Anzahl von Experimenten, durch Einlagerung eines Stoffes, der chemisch die Granula nicht verändert und auch den Farbstoffen gegen- über indifferent ist, die Färbung zu unterdrücken. Erfolge wurden erzielt durch Imprägnierung mit Fixierungsmitteln, Amidokörpern, 'Tannin, Albumose, Nukleinsäure. „Statt das Färbungsvermögen vollkommen zu vernichten, wurde auch versucht, es umzustimmen, die Chromatophilie zu verschieben“ z. B. Beseitigung der Acidophobie der Nukleinsäure. Damit erscheint ein neuer Beweis erbracht für die physikalische Adsorptions- theorie. Der Platz, den sonst die Farbstoffe einnehmen wird durch einen harmlosen Körper versperrt. Dies kann nur auf einer Sättigung mecha- nischer Affinitäten beruhen. Nachdem F. in den dargelegten Beobachtungen und Reflexionen der physikalischen Färbungstheorie eine feste Grundlage gegeben, beschäftigt er sich in Kap. VII mit der Abfertigung einiger Einwände, welche in früherer Zeit gegen dieselbe erhoben wurden. Er weist dann noch in eingehender Besprechung darauf hin, dass es unberechtigt ist, das Chro- matin als einen chemischen Begriff zu fassen, da es richtiger ein morpho- logischer sei. Auch sei es als unbegründet erwiesen, von Kernfarbstoffen zu reden. Besonders wendet er sich noch gegen das Bestreben von Bütschli und vielen Bakteriologen, aus Färbungsversuchen auf die Kern- natur der Bakterien zu schließen. III. Der Bau des Protoplasmas. Der III. und letzte Teil des Buches zerfällt wieder in drei Unter- abschnitte. Deren erster behandelt die Strahlungen. Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. Si Ein charakteristisches Merkmal aller Strahlungen in den Zellen ist das Vorhandensein eines morphologischen Mittelpunktes, sei es nun Üen- trosom, Kern oder Nukleolus, von dem aus die Strahlen nach allen Rich- tungen hin sich erstrecken. Alle Strahlen erscheinen als morphologischer Ausdruck für lebhafte Umwälzungen in wichtigen Abschnitten des Zellenlebens. Versuche, Strah- lungen künstlich zu erzeugen, sind schon wiederholt gemacht worden. Die neuen Experimente von F. zeichnen sich den früheren gegenüber aus durch größere Annäherung an die natürlichen Verhältnisse. F. unterscheidet zwei Arten von künstlichen Strahlungen, nämlich Fremdstrahlung und Selbststrahlung. Erstere wird erzeugt in Hollundermarkprismen, die mit einer Eiweißlösung injiziert sind. Fertigt man hiervon Schnitte an und setzt einige 'T'ropfen Fixierungsflüssigkeit zu, während man unter dem Mikroskop beobachtet, so sieht man in vielen Fällen innerhalb je einer Hollundermarkzelle eine künstliche Strahlung auftreten. Diese beginnt stets an einem Kernreste, der im Innern einer sonst leeren Hollundermarkzelle zu liegen pflegt. Von hier schreitet die Strahlenbildung rasch nach der Peripherie der Zelle hin fort. Sind inner- halb einer Zelle mehrere (2—3) Kernreste vorhanden, so entstehen Strahlungen auch zwischen diesen und man erhält Bilder ähnlich den karyokinetischen Figuren. Die Erzeugung künstlicher Strahlungen im Hollundermark gelingt nicht nur durch Zusatz verschiedener Fixierungs- mittel, sondern je nach der Wahl des injizierten Eiweißkörpers auch durch Verdünnen der Lösung mit Wasser oder durch Neutralisierung. Auch wenn Mischungen von Eiweißlösungen injiziert werden, lassen sich Strah- lungen hervorrufen. Der Kernrest der Markzelle erscheint in allen diesen Versuchen als Centrum der Strahlung. Er wirkt dabei wohl ähnlich einem Staubteilchen, das in einer übersättigten Salzlösung Krystallisation verursacht. Von dem Ablauf des Vorganges macht sich F. folgende Vorstellung: Das Fixierungsmittel dringt von allen Seiten in Kugelwellen gegen den Kernrest vor und erreicht ihn in starker Verdünnung. All- mählich nimmt aber hier die Konzentration zu. Die Fällungskonzentration wird selbstverständlich zuerst in der Peripherie der Zelle erreicht, später erst in der Nähe des Kernrestes. Dieser wirkt nun als heterogener Körper, die Ausfällung beginnt in seiner Umgebung und setzt sich von da nach der Peripherie hin fort. Diese Erscheinung kann aber nur dann eintreten, wenn die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen Eiweißlösung und Fixierungsmittel gering ist. Andernfalls beginnt die Ausfällung bereits an der Wand. Ein anderer Versuch besteht darin, dass man einige Tropfen Eiweiß- lösung in einen Vaselinrahmen auf dem Öbjektträger einschließt, ein Deckglas auflegt und dann durch ein kapillares Glasröhrchen in das Centrum der Eiweißlösung Fixierungsflüssigkeit einströmen lässt. Es treten dann Strahlungen auf rings um die Mündung der Kapillare. Diese werden als Selbststrahlung bezeichnet. Im Prinzip ist diese Erscheinung in ganz analoger Weise zu erklären wie die Fremdstrahlung. F. vergleicht dann die natürlichen Strahlungen mit seinen künst- lichen. Die histologische Strahlung ist nicht dauernd in der Zelle vorhanden sondern entwickelt sich. In der Art dieser Entwicklung wie im Bau und Verlauf bestehen Uebereinstimmungen zwischen natürlichen XX, 6 89 Fischer, Fixierung, Färbung und Bau des Protoplasmas. und künstlichen Strahlungen. Diese Uebereinstimmungen erscheinen F. so vollkommen, dass er seine künstlichen Strahlungen höher geschätzt haben will als eine nur rein äußerliche Nachahmung der natürlichen. Wir kommen weiter zum zweiten Unterabschnitt. Derselbe beschäftigt sich mit Centralkörperchen und Sphäre. Einleitend sagt F., dass er Centrosomen und Strahlungen nicht durchweg als Fixierungsartefakte betrachtet. Es erscheint ihm aber wünschenswert, eine genaue Scheidung zwischen Natur und Kunst durchzuführen. In solchen Fällen aber, wo unbestreitbar natürliche Befunde vorliegen, soll der Versuch zu einer ein- facheren Erklärung der Erscheinungen gemacht werden, die ohne Annahme eines neuen Zellorgans, eines Uentralkörpers, auskommt. An der Hand der Litteratur führt F. den Nachweis, dass die Central- körper weder nach ihrer Färbungsart, noch nach morphologischen Eigen- tümlichkeiten, Zahl und Lage eindeutig charakterisiert sind. Es ist des- halb wohl anzunehmen, dass viele Dinge unberechtigter Weise als Central- körper beschrieben sind. So z. B. mag dies öfters gelten für Nukleolen, die aus dem Kern ausgestoßen wurden und durch eine succedane Dif- ferenzierungsfärbung, sogen. Spiegelfärbung mit dunkelm Centrum und heller, entfärbter Peripherie Aehnlichkeit mit Centrosomen erhielten. Weiterhin versucht F. zu zeigen, dass der Bau der mitotischen Figur und die Bewegungsvorgänge während der Kernteilung auch vollkommen sich verstehen lassen ohne die Annahme eines besonderen kinetischen Organs, ohne die Zuhilfenahme von Centralkörperchen und Sphäre. So soll nach F.’s Darstellung die Karyokinese beginnen mit einem Längenwachstum des Kernes. Wenn dieses einen gewissen Grad erreicht habe, erfolge an den Polen eine Zerreissung der Wand, hier träten dann Nukleolen aus und infolge der eröffneten Diffusion zwischen den Eiweiß- bestandteilen von Zellleib und Kern bildeten sich vitale Niederschläge, die sich als Strahlungen gruppieren um einen ausgetretenen Nukleolus als Mittelpunkt, so dass nun das Bild von Centralkörperchen und Sphäre entstünde. Strahlungen lassen sich künstlich erzielen, brauchen also keine be- sonderen Zellorgane zu sein. Die Ursachen der natürlichen Strahlungen sieht F. wie die der künstlichen, in Fällungsvorgängen innerhalb der Eiweißstoffe der Zelle. Diese Fällungsvorgänge sollen mit manchen Zell- prozessen einhergehen. Um die Bewegung der Chromosomen zu erklären ist es nach F.’s Ansicht nicht nötig, komplizierte Bewegungsmechanismen anzunehmen. Dazu bedarf es keiner ziehenden oder schiebenden Spindelfäsern und Pol- strahlen. Wenn man annehme, dass den Chromosomen keine eigene Be- wegungsfähigkeit zukäme, so genüge doch das Wachstum der Zelle und die gewöhnliche Protoplasmabewegung vollständig um den Ortswechsel der Chromosomen zu vollziehen. Ein besonderer kleiner Abschnitt behandelt die Centralkörper in der Spermatogenese. Auch hier wie bei der Befruchtung erscheint F. die Annahme von Centralkörpern unnötig. Die Spermatogenese gehe einher mit einer starken Verdichtung der Zell- und Kernsubstanzen der Spermatide im Dienste größerer Beweg- lichkeit. Solche verdiehtete Zellbestandteile seien besonders bei der Un- Davenport, Statistische Untersuchung biologischer Variation. 83 zuverlässigkeit der Färbemethoden, die ja nur physikalische Unterschiede anzeigen, wohl im Stande Centralkörper vorzutäuschen. Die Sperma- strahlung im befruchteten Ei sei auch ohne ein strahlenerregendes Central- körperchen verständlich durch die lebhaften physikalisch-chemischen Ver- änderungen, die bei diesem wichtigen Prozess sich jedenfalls abspielen werden. Wir kommen zum letzten Abschnitt. Dieser trägt den Titel: Die Polymorphie des Protoplasmas. F. weist aus der Litteratur nach, dass alle zur Zeit herrschenden Theorien über den Aufbau der lebendigen Substanz diese als monomorph erscheinen lassen, indem sie annehmen, dass die Struktur des Protoplasmas überall dieselbe ist. So lässt Altmann das Protoplasma sich zusammensetzen aus Granulis, nach Flemming ist es ein fädiges Gerüstwerk, nach Bütschli besteht es aus Waben. Dem gegenüber vertritt F. die Theorie der Polymorphie des Protoplasmas. Dasselbe ist im Allgemeinen flüssig, doch treten innerhalb desselben verschieden gestaltete, granuläre oder auch netzig gebaute, bald länger bestehende, bald schnell wieder verschwindende Ausfällungen auf, deren Aggregatzustand vom Zähflüssigen bis zum Festen schwanken wird. Homogen ist das Protoplasma häufig an der Oberfläche der Zellen, in deren Innern finden sich Granula, Gerüste, einzelne Fäden und auch gelegentlich Schaumstrukturen. Auch künstlich gelang es F. mit Hilfe von Eiweißlösungen, die in Hollundermarkzellen injiziert waren, Bilder zu erzielen, die mit den poly- morphen Gestaltungen des Zellprotoplasmas übereinzustimmen scheinen. So ergaben sich Granula, Gerüste und Fäden durch Fällungsprozesse. Schaumstrukturen entstanden durch Fällung und folgende Lösung mit einem langsam wirkenden Lösungsmittel. Zu diesen Fällungsversuchen fanden nicht nur Fixierungsmittel. sondern auch milder wirkende Reagen- tien, schwache Säuren und Alkalien Verwendung. In ähnlicher Weise mögen durch Fällung und Wiederlösung nach F.’s Ansicht die polymorphen Strukturen des lebenden Protoplasmas sich bilden und vergehen. Eggeling (Strassburg). [20] Charles B. Davenport, Statistical Methods, with especial reference to biological variation. New-York and London, 1899. kl. 8°, In einem außerordentlich handlich gestalteten Büchlein von VIII + 150 Seiten Umfang giebt der Verf. eine kurze, aber vollständige Uebersicht alles metho- disch wissenswerthen der Biostatistik und eine große Anzahl zweckmäßig aus- getührter Tabellen zum Gebrauch bei den vorkommenden Rechnungen. Der Textteil (p. 1—39, 28 Fig.) zerfällt in fünf Kapitel. Das erste enthält Defini- tionen, Ratschläge für das Sammeln statistischer Untersuchungsobjekte und für die Behandlung solcher, bei denen direkte Messungen mit Schwierigkeiten verknüpft sind (Photographie, Camera-Zeichnung); ferner werden darin die üblichen Zählungs- und Messungsmethoden, sowie eine Reihe praktischer Mess- instrumente (mit Abbildungen) besprochen, endlich Vorschläge zur schärferen und einheitlichen Bestimmung von Form- und Farbverhältnissen, erstere im Anschluss an die botanische Ausdrucksweise, gebracht. Das zweite handelt von der übersichtlichen Anordnung und der graphischen Darstellung der Zählungs- D% 84 Davenport, Statistische Untersuchung biologischer Variation. und Messungsresultate und von den wichtigsten Konstanten der Variations- reihen, wie Mittelwert, Central- (median) und Maximalwert (mode), Variabilitäts- index, Variationskoeffizient; p. 15, Z.5 v. u. ist ein Druckfehler zu berichtigen: lies „abstract (statt concrete) number“. Das dritte Kapitel stellt die Klassifikation der vorkommenden Variationsreihen und die hierfür notwendigen Berechnungen dar, welche an Beispielen erläutert werden, ferner die Berech- nung der einheitlichen theoretischen Variationskurven nebst Bestimmung der Abweichung derselben von den empirischen Resultaten; die verschiedenen Arten multimodaler (mehrgipfliger) Kurven werden genauer beschrieben und für die Lage ihrer Gipfel zu einander ein Divergenz- und ein Isolierungsindex bestimmt. Auf p. 18 findet sich in der Zeile oberhalb Fig. 23 ein anderer sinnstörender Druckfehler: lies „s is an abstract (statt unknown) positive number“. In diesem Kapitel tritt ein Dualismns der rechnerischen Behandlung von Variationsreihen, die sich auf Messungen, und solchen, die sich auf Zählungen beziehen, hervor, welcher dem Ref. nicht begründet erscheint. Für jene wird Pearson’s Methode der modifizierten, für diese die Methode der natürlichen Momente empfohlen; nach den Erfahrungen des Ref. aber ist die letztere stets vorzuziehen, so lange das Verhältnis der Varianteneinheit zu dem in ihr aus- gedrückten Variabilitätsindex (Wurzel aus der mittleren quadratischen Ab- weichung) den Wert 1, vielleicht sogar den Wert 1,5 nicht übersteigt. Doch bei einer so jungen Arbeitsrichtung kommt alles auf Erfahrungen bezüglich ihrer Methodik an; so möchte Ref. die Mitarbeiter auf biostatistischem Gebiet nur auf diese Meinungsverschiedenheit aufmerksam machen, damit in Bezug auf sie ausgiebigere Erfahrungen gesammelt werden. Den entsprechenden Dualismus in der Vergleichung der empirischen und der berechneten Variations- reihen kann Ref. jedenfalls nicht als berechtigt anerkennen; er hält die für Messungen angegebene Methode der mittleren prozentuarischen Differenz der Frequenzen aus andern Orts ausgeführten Gründen für gänzlich unzureichend, dagegen die Methode der Fehlerfläche der verglichenen Variationspolygone bei Messungen wie bei Zählungen für gleichmäßig anwendbar. Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit der Berechnung des Korrelations- koeffizienten nach Galton und Pearson und der Anwendung der Kor- relationstheorie auf das Vererbungsproblem bei ein- und zweielter- licher Fortpflanzung; diese letztere ist eine besonders wichtige Erweiterung der biostatistischen Methode, die von Galton ausgegangen und von Pearson durchgeführt ist. Endlich (Kap. 5) weist Verf. auf die mannigfache Anwend- barkeit der biostatistischen Methode hinsichtlich descendenztheoretischer, syste- matischer, morphologischer und physiologischer Probleme hin; der Schlusssatz dieses Abschnittes lautet: „In a word, by the use of the quantitative method biology will pass from the field of the speculative sciences to that of the exact sciences“, eine Ansicht, deren Richtigkeit mit der Zunahme biostatistischer Forschungen immer mehr bestätigt werden wird. Aus der Litteratur finden sich alle biologisch wichtigeren Arbeiten. in 39 Nummern zusammengestellt. Ein Anhang (p. 43—149) von zehn gut gedruckten Tabellen verleiht der Arbeit einen hohen praktischen Wert; der Gebrauch derselben wird eingehend erläutert, so dass er auch für Leser mit geringen mathematischen Reminis- cenzen keine Schwierigkeiten mehr bieten kann. Die Tabellen enthalten: Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. S5 1. Formeln. — 2. Gewisse häufig vorkommende Konstante und ihre Loga- rithmen. — 3. Ordinaten der Normalkurve (hier wären außer den numerischen auch die logarithmischen Werte für die Praxis der Rechnungen sehr wünschens- wert). — 4. Integralwerte der normalen Wahrscheinlichkeitskurve,. — 5. Sechs- stellige Logarithmen der 7-Funktionen der dreistelligen Dezimalwerte zwischen 4 und 2 (sehr wertvoll zur Berechnung binomialer Kurven des Typ. I u. II). — 6. Maßvergleiche des englischen und des metrischen Systems. — 7. Die ersten sechs Potenzen der natürlichen Zahlen 1—30. — 8. Quadrate, Kuben, Quadrat-, Kubikwurzeln und reziproke Werte der Zahlen 1—1054. — 9. Sechsstellige dekadische Logarithmen der natürlichen Zahlen 1000—9999, nebst Proportional- teilen. — 10. Sechsstellige Logarithmen der vier Winkelfunktionen sinus, cosinus, tangens, cotangens zwischen 0° und 180°. Die knappen und klaren Darstellungen des Verf. lassen ein hervorragendes pädagogisches Talent erkennen. Seine Bündigkeit im Verein mit der reichen und gut gelungenen Tabellenausstattung, sowie das handliche Format machen Davenport’s Buch für jeden der englischen Sprache mächtigen Leser zu einer wertvollen Hilfe, nicht nur am heimischen Arbeitsplatz, sondern besonders auch auf Studienreisen, bei denen es darauf ankommt, das Handwerkszeug möglich vollständig, aber auch unter größter Raumersparnis mit sich zu führen. Georg Duncker (Würzburg). [13] Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Von O. Fuhrmann, Privatdozent. Acad&mie Neuchätel. Einzig in Norddeutschland und Nordamerika sind Seen während eines oder mehrerer Jahre einer faunistischen Untersuchung unter- worfen worden. Es zeigen diese Wasserbecken, die alle nach der von Hensen und Apstein entwickelten Methode der Vertikalfänge unter- sucht wurden, mehr den Charakter von großen Sümpfen oder See- becken, mit von unseren Seen ganz verschiedenen Lebensbedingungen. Aus diesem Grunde haben Prof. Yung!) und ich es unternommen, der Eine das Plankton des Genfer Sees, der Andere das des Neuenburger Sees während eines ganzen Jahres zu untersuchen. Da meine Arbeit vollendet, will ich hier kurz die Resultate der- selben wiedergeben, da dieselben in vielen Punkten ganz anders aus- gefallen und sehr verschieden sind von dem was die Untersuchungen der norddeutschen und nordamerikanischen Seen ergeben haben. Zuerst Einiges über die angewandte Methode: Es wurden vertikale Stufenfänge gemacht, und zwar immer an derselben Stelle des Sees, etwa 800 m vom Ufer entfernt, wo derselbe eine Tiefe von ca. 70 m hatte. Das dabei angewandte Netz besaß eine Oefinung von 24 cm Durchmesser und war der Form nach ganz wie das Apstein-Netz gebaut, gab aber wie ich in dieser Zeitschrift Bd. 19, Nr. 17 nach- gewiesen und näher ausgeführt habe, viel bessere Resultate als das kleine Apstein- Netz. 4) E. Yung, Des variations quantitatives du plankton dans le lac L&eman. Arch. des’ sc. phys. et nat., t. VIII, 1899. 86 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Der Neuenburger See ist am Fuße des Jura gelegen in einer Höhe von 430 m. Die Oberfläche dieses großen Wasserbeckens beträgt 216 km!), seine größte Tiefe 1535 m, die mittlere Tiefe 65m. Der Kubikinhalt soll nach Penk 14,17 Km? sein. 200 cm.? 800cm.3 700.cm.3 Kurven für das Planktonvolumen aus 40 m Tiefe aus dem Plöner-?) und Neuenburger See. 600 cm — Plöner See 1895, 1896. --- Neuenburger See 1897— 1898. 500 cm 400 cm? 300 cm3 200 cm? 100 cm? Scm? 30cm? 25cm? Ik (Es School Ocm? Okt. | Wov.| Dee. | Jan.| Febr. | März| April | Vale Aug. | Die Produktion des Sees ist etwas größer als die des Genfer Sees, aber bedeutend geringer als die der Seen Norddeutschlands. Wir haben im Maximum im Neuenburger See in einer Wassersäule von 1 m? Basisfläche und einer Höhe von 40 m eine Planktonmenge von 1) Penk, Morphologie der Erdoberfläche, II. 2) Nach Zacharias Forschungsberichte der biol. Station in Plön, 1897. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees, 87 92 em?, während der Dobersdorfer See!) 4000cm? und der Plöner See?) ca. 900 cm? im Maximum produziert. Es ist also der Dobersdorfer See 40 mal, der Plöner See 10mal reicher an Plankton als der Neuenburger See. Worin der Grund dieser geringen Planktonproduktion besteht, werden wir später sehen. In folgendem sei die Planktonproduktion in den verschiedenen Monaten des Jahres angeführt und zwar für Wassersäulen von 1m? Basisfläche (s. S. 88). Zu dieser Tabelle will ich kurz einige Bemerkungen anführen, die mir von einiger Wichtigkeit zu sein scheinen und die in derselben nicht angeführt werden konnten. Was zunächst die angegebenen Zahlenwerte betrifft, so sind die- selben erhalten worden, indem ich die gefangene und gemessene Plank- tonmenge mit 22 multiplizierte, d. h. mit einer Zahl die ich erhalten, indem ich 1m? durch die Netzöffnung dividiere. Ein Netzkoöffizient ist nicht berechnet worden und zwar deshalb, weil derselbe bei gleicher Geschwindigkeit eine je nach der Zusammensetzung des Planktons und der Höhe der filtrierten Wassersäule ziemlich bedeutend variierende Größe ist. Wie ich in dieser Zeitschrift schon angegeben, sind die oben angegebenen Planktonmengen bedeutend größer als die, welche wir bei Anwendung des kleinen Apstein-Netzes erhalten. In ein- zelnen Fällen beträgt die Differenz mehr als 100°/,, was, wie übrigens Kofoid?) schon nachgewiesen, beweist, dass der von Apstein berech- nete Filtrationsko&effieient unrichtig, d. h. viel zu klein angegeben worden ist. Trotzdem aber sind die in obenstehender Tabelle angegebenen Zahlen weit entfernt, absolute zu sein, zunächst weil der schwankende Filtrationskoöffieient ein großer, dann auch weil die Fänge in der Regel nur bis in eine Tiefe von 40m gemacht wurden und so die wenn auch nieht sehr bedeutenden Planktonmengen enthaltende Zone von 40-—-70m leider unberücksicht blieb. Die aus 1, 2 und 5m erhaltenen Planktonmengen sind verhältnis- mäßig viel zu groß angegeben, da sie zum größten Teil aus Verun- reinigungen bestehen (vor allem die Fänge der Monate Juli und August) und namentlich tierische Organismen in diesen Oberflächenschichten in der Regel selten sind. Im Monat Dezember konnten wegen sich erhebendem starkem Wind nur zwei Fänge gemacht werden, im Januar der ungünstigen Witterung halber gar keine. Im Monat September und Oktober ist es wohl der Wind, der ein senkrechtes Versenken des Netzes verhindernd, 4) C. Apstein, Das Süßwasserplankton. Kiel u. Leipzig 1896. 2) O. Zacharias, Forschungsberichte der biol. Station Plön, 1897. 3) C. A. Kofoid, On some important sources of error in the plankton method. Science, N. S., Vol. VI, Nr. 153, p. 829-832, 1897. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 88 sun 7% gu do wu c9—0 ‚wop'gr u 09—0 ‚u 06 g8u9T'ce u 0C—0 was | sw 95 | ;mOg'6F sWOC/TL ;wog‘,F|,Wwog‘GE |;wag‘T6 | „WOK, |5W09T9 „wag‘FT |‚woF'cy m 05-0 so zz | gwmo 95 | ‚;wog‘F7J ‚wo TI ‚u gg |;wog'eg sgWICOF gWOTLCH, zus oQ u 08—0 8uaFTF | ;5u2 9% | zmoz/gT sw9g‘)F ‚wo JF | „wo 9% | zwoc'y,, suc‘6F | ;moy‘g | „wmoag‘g g8wmo ‘LT u 06-0 AucBa 8worz | zwar“, ‚uaß‘gg u cI—0 wo7‘ar | ‚wog‘g | „wog‘g |,mo g‘9 | wo 27 smorQ, a woy‘gz | zwog‘g | ‚wog'g wog) wm 0-0 way | wogig | mo .mac'g | mo jr) su giz zmagizg [TS EH wog‘ | .moziz |smorzy wc) wm a0 su 0% u 8-0 s8worgg| zwoTf | 5„uog‘F | ‚„uaz‘o u 90 8wa,r'z | 5u0,% | „wog | ,wo CO m To 909% | Do6F | 9 087 | 9.087 |D 01T ID v»SLET|O 007 9.0 0 I 06°6 Bosse y'p duo], 7gpopaq | popeq | ey 1u3 a8] ug | POOpaq | Ppapaq | Poapaq | au 287] | Ppopaq | auıy jowwiH MN yon N UelW A U6 MW °AUOT M’AUYOT M'AUON RM 'AUOR MN A USW N YElW N 49m A UOT M'AUOT mM 'N ug RE CE ENT SE BETITA LESE TTACST TA 08 | TA ST 1 A 2e S CAT TG SAT HP | TIER | 17:08 X EC | Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 89 schuld ist, dass im ersteren Monat die Werte für 20, 30 und 40m und im Oktober die für 30 und 40m. fast dieselben sind. Wir sehen, dass sich im Neuenburgersee in der Planktonproduk- tion 2 Maxima und 2 Minima finden. Die beiden Maxima erscheinen Ende Mai und Anfang Dezember, das erste Minimum im Monat März, das zweite merkwürdiger Weise im Monat August. Das Studium des Genfersees!) hat ganz dieselben Resultate ergeben, während dagegen in den norddeutschen Seen sich nur ein Maximum und ein Minimum findet. Auch zeigt sich das Maximum der Planktonproduktion in letz- teren Seen mehrere Monate später. Wir werden weiter unten sehen, welche Planktonorganismen es sind, die die Maxima der Produktion hauptsächlich hervorrufen. Werfen wir nun unseren Blick auf die Zusammensetzung des Plankton, so sehen wir, dass der Neuenburger See ungemein reich ist an Planktonorganismen. Das Phytoplankton, dessen Bestimmung ich der Güte von Prof. Chodat in Genf verdanke, setzt sich zusammen aus folgenden Arten: Chroococcus minutus var. carneusChod. Dinobryon stipitatum Stein var. la- Oscillatoria rubescens Dec. custris. Gomphosphaeria lacustris Chod. D. ceylindricum Imhof. Merismopedium elegans Al. Braun. D, thyrsoideum Chodat. Anabaena flos aquae Kütz. Cyclotella Bodanica Eulst. Sphaerocystis Schroeteri Chod. C. comta Grün, Ooeystis lacustris Chod. Fragilaria crotonensis Kitt. Oocystis Naegelii Kirchn. Asterionella gracillima Grün. Nephrocytium Aghardhianum Naeg. Tabellaria flosculosa Kütz. Raphidium Braunii Naeg. Stephanodiscus Astraea Grün. Closterium Nordstedtii Chod. Cymatopleura elliptica W. Sm. Mougeotia gracillima Wittr. Melosira orichalcea Kütz. Stichogloeoa olivaceaChd.var.sphaerica. Synedra ulna var, longissima Ehrb. Dinobryon divergens Imhof. Rhizolenia longiseta Zach. D. sertularia Ehrb. Mallomonas Hoesslii Perty. Von diesen Arten haben aber nur wenige einen Einfluss auf die Quantität des Planktons, es sind dies besonders Asterionella gracillima, die Dinobryon-Arten, dann Fragilaria crotonensis und in geringem Maße auch Cyelotella. Im Zooplankton sehen wir die Protozoen, Rädertiere und Ento- mostraken in zahlreichen Arten vertreten. 1) E. Yung, Des variations quantitatives du plankton dans le lac L&man. Compt. Rendus de l’Acad. des sc., Paris, 1. Juni 1899 und loe. eit. 90 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Protozoa: Ceratium hirundinella O. F. Müller. Cyphoderia ampulla Ehbg.'!) Acanthocystis spec.') Vorticella 2 spec. Epistylis spec. Stentor polymorphus Ehbg. Rotatoria?°): Floscularia pelagica Rouss. Conochilus unicornis Rouss. Asplanchna priodonta Gosse. Synchaeta stylata Wierz. Synchaeta tremula Ehbg.') Synchaeta pectinata Ehbg. Anurea cochlearis Gosse. Notholca longispina Kellicot. Notholca striata O. F. Müller!) Notholca foliacea Ehbg.') Pompholyx sulcata Hudson. Cathypna luna?) Bachionus Backeri Ehbg.?) Rotifer spec. ?) Philodina spec. ?) Entomostraken: Sida limnetica Burckhardt. Diaphanosoma brachyurum Liev. Ceriodaphnia pulchella Sars. Daphnia hyalina. Triarthra longiseta var. limnetica Zach. Mastigocerca capueina Wierz u. Zach. Ploesoma Hudsoni Imhof. Ploesoma truncatum Levander. Ploesoma lenticulare Herrick') Gastropus stylifer Imhof. Anapus ovalis Berg. Anapus testudo Laut. Bosmina longirostris O. F. Müller. Bosmina coregoni Baird. Bythotrephes longimanus Leyd. Leptodora hyalina Lillj. Cyelops strenuus Fischer. Cyclops Leuckarti Claus. Diaptomus gracilis Sars. Diaptomus laciniatus Lillj. Alle die oben angeführten Arten finden sich nun keineswegs während des ganzen Jahres und immer in derselben Menge im See vertreten, sondern wir sehen, dass dieselben während einer gewissen Jahreszeit nur in sehr geringer Zahl vorhanden oder ganz fehlen, dann an Zahl zunehmen, um zu einer bestimmten Zeit ihr Maximum zu er- reichen, worauf sie dann plötzlich oder allmählich wieder an Individuen- zahl abnehmen. Jede Jahreszeit zeigt also eine andere Zusammen- setzung des Planktons, weshalb zur vollständigen Kenntnis der Fauna eines Wasserbeckens immer das Studium derselben während wenigstens der Dauer eines Jahres notwendig ist. Die meisten faunistischen Arbeiten aber, so sorgfältig sie auch gemacht sein mögen, sind alle unvollständig, da sie mit ganz wenigen Ausnahmen immer nur die Aufzählung der zu einer bestimmten Zeit gefundenen Organismen ent- halten. Der Kürze halber will ich den Lebenszyklus der wichtigsten tierischen Organismen und einiger häufiger Pflanzen in einer Tabelle zusammenfassen, zu welcher ich den Kommentar weiter unten geben werde. Obwohl ich fast alle tierischen Planktonorganismen in jedem einzelnen Fange gezählt, bezeichne ich doch die Ab- und Zunahme 1) Arten die nur in einem Monat und in geringer Zahl gefunden wurden. 2) Arten die nicht dem Plankton angehören und nur in einzelneu Exem- plar gefunden wurden. 3) Dle Bestimmung der Arten der Genera Floscularia, Synchaeta, Ploesoma und Anapus verdanke ich Herrn Dr. E. Weber (Genf). Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 91 der Organismen, der Uebersichtlichkeit halber durch die Adjektiva sehr selten, selten, häufig ete. und nicht durch Zahlen. Diese Angaben haben natürlich für die verschiedenen Arten verschiedene Bedeutung die ich durch Zahlangabe des Maximums der Individuen für die ein- zelnen Species näher präcisiere (siehe folgende Seite). Betrachten wir nun zunächst das Verhalten der Planktonorganis- men und zwar namentlich der tierischen, während der einzelnen Monate und Jahreszeiten, zugleich Vergleiche anstellend mit den Be- funden im Plöner und Dobersdorfer See. Wir sehen im Winter die Planktonproduktion ihr Minimum einnehmen (Monat März), aber nicht dadurch, dass eine große Zahl von Arten verschwinden, sondern haupt- sächlich wegen der geringen Individuenzahl der einzelnen Arten. Es ist also das Plankton auch während des Winters reich an Formen. Es fehlen während des ganzen Winters einzig Mastigocerca, die Ploeosoma- Arten, Pompholyx, Sida limnetica?, Diaphanosoma, Ceriodaphnia, Lepto- dora, während die Synchaeta-Arten nur am Anfang und Floscularia nur am Ende des Winters nicht vorhanden sind. Im Gegensatz zu den norddeutschen Seen finden wir Conochilus, Anapus, Asplanchna, Anurea und Polyarthra während des ganzen Winters erstere sogar in sehr großer Zahl, während sie in dem von Zacharias und Apstein unter- suchten Seengebiet in dieser Jahreszeit fehlen. Eigentümlich ist die Beobachtung, dass Bythotrephes longimanus während des ganzen Jahres vorkommt, nach allen anderen Angaben aber im Oktober oder No- vember verschwindet, um im März oder April, in einzelnen Fällen noch später, zu erscheinen. Die Crustaceen sind fast alle nur wenig zahlreich, einzelne Arten fehlen ganz, Das gleiche gilt auch für die Plankton- algen, von welchen einzig die verhältnismäßig seltene COyeclotella ihr Maximum der Entwicklung erreicht. Mit dem Beginn des Frühlings nimmt die Planktonmenge sehr rasch bedeutend zu. Der Grund hiefür liegt vor allem in der starken Zunahme des pflanzlichen Planktons. Asterionella erreicht im Monat April sein Maximum um im Mai fast zu verschwinden und ersetzt zu werden durch ungeheuere Mengen der plötzlich erscheinenden Dinodryon- Arten. Die Rotatorien nehmen nur wenig an Individuenzahl zu, einzig Asplanchna erreicht im Monat Mai ihr Maximum, ohne aber dadurch die Menge des Planktons sichtlich zu beeinflussen. Anders steht es mit den Crustaceen die bedeutend an Zahl zunehmen; es erreichen Bosmina, Daphnia, Bythotrephes und Cyclops strenuus das Maximum. Diese letzteren sind es, welche im Verein mit dem Phytoplankton die plötzliche und starke Zunahme des Planktons und das Erreichen des Hauptmaximums der Produktion im Monat Mai (92 cm?) hervorrufen, Die Planktonproduktion nimmt von diesem Zeitpunkt an, d.h. im Sommer, sehr rasch ab um im Monat Juli das zweite Minimum (11 cm?) zu erreichen. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 92 “yaF = 0 :uofes Iyos —= 88 !uoyfos = 8 !Fyney Zum = ya !äguey = \t “ayng u 1704, — = Au :UINWIXeW = 'XeW y um 6 6 6 6 ya ym um y U y ® “2 SnDrunn] snwogdouT yum um um um um y ya | ya um u y y ee h syıoDıb snwogdouT ya ya um um S 8 8 y ss s y y = ; “ 290yo9n9 T sdopk,) um 3 Ss 3 s xeN 8 u Ss Ss un | 'xeW ne ee 2148-80) 88 8 S8 "XeW u um 8 S 0 0 0 5 2 ee vunphy DıopogdeT y N 8 y 'xeN y y Ss 8 u y y er snupwnbuo] saydaısoyahg 8 88 SS 8 u xtW y y um y Xen | um ; sn190.10 Duo) pun 2u069.109 Dunusosg 8 88 88 8 "Xen y y um 8 8 um D : } 'purphy vruydoer 0 ss 0 y 0 0 0 0 0 0 8 8 a SU onayaınd pruydopor.ıa) ya | 'xeW | ya SS 88 88 0 0 0 0 8 um : un. infy9vıq mwosounydourT S 8 S 8 S 8 um 8 & & 8 8 ° >: : voygauum ppıg y U uy | 'xaw | ya 8 8 o 0 0 8 u ne Dmaıns: chjoyduoT y um y xBW | 'XeN y um Um 8 N um y Au : vurdsıbuo] DIOJON Um y xem | 'xsew w y um S 8 8 8 8 or. “98240374909 maınuy y y y xen | Xen | ya 8 8 8 S 8 8 " .s2jpao pun opngsa} sndpup 8 u y y zen | yA D 8 ss 88 8 um 0" afuyfigs sndo4spH 8 ya |'xeN y um 8 0 0 0 0 0 0 * uimsboundg pm 2uoRpnEr »iU0B20IT ya ua | 'xeW 8 o 0 8 0 o 0 0 0 Dunndwd DI4I0D14SOAT 8 8 ya | zem| U um 8 8 8 8 8 8 ange vgasıbu0] DAyımıLL yy u y y Sem | yy Um 8 ss 88 SS 88 ae . Duardhrnıd D.y4.ıDKjoT 8 u XeW | us y 8 8 8 8 ss 0 0 pamgfgs pun »ypurad PIaDyD9uRst 0 0 0 8 Un |'XeN y y un um 8 8 i . 9uopornid Duydundsy "Xen S um 8 8 Um 8 8 8 ss u y De "2 SIULOUN SMWI0U0) 0 0 0 y Xen 8 SB 0 0 8 s Um : vorbpjad wıımndsoyT 0 0 0 0 8 S 8 um um y y "Xen er snydaoukjod doruags! 8 sem XeN | um um y ym 8 8 8 8 8 - Dpaurpundny wmı7D.49) 8 8 s um y ‘"xeH 0 0 0 0 0 0 2% “r* UOJIYV -uoshgounT B 0 0 0 0 ss 8 8 xeNn | ya 8 8 { me en 9070PRd y um 8 8 s 8 8 8 8 Um y xeW a a er DUDIMEDAT Um um ya ya 8 8 Xen | Xen | ya | ya yq y re “ vwımoDıb DIUorLaISsY | | ‘um 'xeW “um | "Xen | "6 "0% "8° 02 log gl 22 "I6 "6 "Lt | ‘Or G "6 a0!" mp | rung | tem | ımdy | IHdy | zıem "za(] | "AON DE N | Ve A 3sq10H7 I9WWOS SUyndg 1ajurM 3sq10H uoHIy Fuhrmann, Beitrsg zur Biologie des Neuenburger Sees, 93 Die Ursache dieser plötzlichen und starken Abnahme der Plankton- menge rührt her von einer bedeutenden Abnahme der Crustaceen, welche mit dem fast gänzlichen Verschwinden der Algen im Zusammen- hange steht, vielleicht gar die Ursache derselben ist. Die Rotatorien dagegen haben alle mit Ausnahme von Conochilus unicornis und Asplanchna im Sommer das Maximum der Individuenzahl. Von den Entomostraken hat einzig Leptodora im Juli ihr Maximum, alle anderen Crustaceen sind, wie schon bemerkt, wenig häufig z. T. sogar sehr selten. Wir sehen also hieraus, dass die Rädertiere nur einen sehr geringen Einfluss auf die Quantität des Planktons haben. Im Herbst finden wir eine neue Zunahme des Planktons, ver- ursacht zunächst durch das plötzliche Erscheinen von Diaphanosoma die im September ihr Maximum erreichen um dann zur Wintereierbil- dung übergehend im Dezember wieder zu verschwinden. Ein ähnliches Verhalten zeigt diese Art auch im Bodensee. Der Hauptgrund der Zunahme des Planktons liegt in der starken Vermehrung der Algen und gleichzeitig der der Copepoden und Bosminen, so dass wir am Anfang des Monats Dezember ein zweites Maximum haben. Dieselben Phänomene zeigen sich auch im Genfer See. Professor Yung sieht den Grund des Erscheinens der Minima im März und Juli in der Temperatur des Wassers, die im Winter sehr niedrig, im Sommer sehr hoch. Diese Extreme sollen einer starken Entwicklung des Planktons hinderlich sein. Ob die Temperatur des Wassers wirklich die Ursache und der einzige Grund dieser Erscheinung ist, ist wohl noch nicht ganz ent- schieden und es bedarf weiterer Untersuchungen um die Ursache des Auftretens der Maxima im Mai und Anfang Dezember, wo die Tem- peratur des Wassers 10—14° C beträgt, genauer zu erklären. Auf- fallend ist, dass in dem Monat, in welchem wir in unseren großen Seen ein Minimum haben, im Plöner und Dobersdorfer See, wenig später, gerade das einzige 10- bis 40 mal größere Maximum der Plank- tonproduktion sich findet, und zwar im Monat August und September, wo das Wasser am wärmsten ist. Wenn wir die Tabelle (S. 92) durchgehen, so sehen wir, dass die meisten Arten das ganze Jahr hindurch sich finden und nur wenige, wie ich schon oben bemerkt, während längerer Zeit im Plankton fehlen. Es seien im folgenden nur kurz der Lebenszyklus der wich- tigsten Arten angeführt und mit den Verhältnissen in den norddeutschen Seen !) verglichen. Diejenigen pflanzlichen Organismen, welche einen Einfluss auf die Quantität des Planktons haben, zeigen folgende Verhältnisse: 4) Die Angaben über den Plöner und Dobersdorfer See entnehme ich der Arbeit von Apstein „Das Süßwasserplankton“ und den Forschungsberichten der biol. Station in Plön von Zacharias (loc. eit.). 94 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Asterionella gracillima, eine typische Planktonalge, welche im Plöner See das ganze Jahr vorkommt, ist dort im Dezember sehr selten und erreicht im Mai ihr Maximum; dagegen findet sie sich im Neuenburger See sehr häufig während der Monate November und Dezember sowie im April, während sie im Mai und Juni sehr selten ist. Fragilaria cerotonensis zeigt im Monat November und Dezember ihr Maximum und ist sonst fast das ganze Jahr selten. Im Plöner See fehlt sie im Dezember und Januar und erreicht ihr Maximum im Juli; in ebendemselben Monat ist das Maximum im Dobersdorfer See. Cyclotella ist nur im Winter häufig (Maximum im März), während sie im Herbst und Frühling selten ist und im Sommer ganz fehlt. Die Dinobryon- Arten zeigen einen eigentümlichen Lebenszyklus, indem sie im Mai plötzlich in ungeheuren Mengen erscheinen, so dass sie fast die Hälfte des Planktons in diesem Monat bilden; im Juni sind sie noch häufig, während sie in den nächstfolgenden vier Monaten selten sind. Im Plöner See erscheint diese Alge im März, erreicht ihr Maximum im Juni und August; im September sind die Ver- treter dieses Genus selten. Nach Lauterborn!) soll Dinobryon in den Altwassern des Rheines das ganze Jahr vorkommen. Von den Protozoen spielen einzig Ceratium hirundinella und Stentor polymorphus eine Rolle im Neuenburger See. Ceratium hirundinella zeigt wie im Plöner See sein Maximum im August, nur finden sie sich im Neuenburger See das ganze Jahr, während sie im Dobersdorfer und Plöner See im März erscheint, und im November verschwindet. Ein eigentümliches Glied der pelagischen Fauna des Neuenburger Sees ist Stentor polymorphus der noch nie als solches angeführt worden. Es findet sich dieses Infusor vom November bis im Juni. Im Winter ist er ganz besonders zahlreich und macht in den Monaten November bis Februar die Hauptmasse des Planktons der Oberflächenzone von 0—2m aus, ohne sich deshalb etwa ganz an der Oberfläche zu finden. Sehr häufig ist ebenfalls eine Vorticellide, die sich immer auf Fragillaria findet und deren Lebenszyklus mit dem der Diatomee sich deckt. Rotatorien. Floscularia pelagica Rouss. zeigt ihr Maximum [6600 Individuen?)] im Juni, sie fehlt vom Juli bis Oktober und scheint ebenfalls im März und April nicht oder vielleicht nur in sehr geringer Zahl vorzukommen. 4) Lauterborn, Ueber die Periodizität im Auftreten und in der Fort- pflanzung einiger pelagischer Organismen des Rheines und seiner Altwasser. Verhandl. des naturhist. med. Vereins zu Heidelberg, Bd. 5, 1893. 2) Die Maximalzahlen der einzelnen Arten sind alle für eine Wassersäule von 40 m Höhe und 1 m? Basisfläche berechnet. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 05 Conochilus unicornis ist eine mit Conochilus volvox wohl sehr häufig verwechseltes kolonienbildendes Rädertier, das das ganze Jahr vorkommt und im Oktober sein Maximum von 39,600 Individuen er- reicht. Conochilus volvox, ein da, wo die Bestimmung sicher, nur aus Sümpfen bekanntes Rädertier, findet sich dagegen im Plöner See nur von Mai bis Dezember, wo es sein Maximum im Juli erreicht; im Dobersdorfer See findet sich dasselbe schon im Monat Mai mit 1 945 350 Individuen. Asplanchna priodonta zeigt sein Maximum bereits im Mai (mit 13200 Individuen) und fehlt vom August bis Oktober. Im Plöner See findet sich dieses große Rädertier von Juni bis November und erreicht seine Hauptentwicklung im Monat Juli und August. Für Synchaeta habe ich die drei vorkommenden Arten bei der Zählung nicht auseinander gehalten. Sie fehlen im November und Dezember, sind aber nur im Sommer häufig und erreichen im August das Maximum mit 60000 Individuen. Im Plöner See liegen die Ver- hältnisse ganz anders, indem das Maximum von Synchaeta pectinata, derjenigen Form, welche auch im Neuenburger See die häufigste ist, sich im November findet. Im Dobersdorfer See finden wir im April bereits 3 Mill. Individuen. Polyarthra platyptera ist eines der häufigsten Rotatorien des Neuen- burger Sees; es findet sich das ganze Jahr und zeigt seine Haupt- entwicklung im Juni mit 185000 Individuen. Vom November bis April ist es selten. Im Plöner See finden sich zwei Maxima im Mai und Oktober. Im Dobersdorfer See fanden sich im Juli und August fast 4 Mill. Individuen. Triarthra longiseta var. limnetica erscheint nur im Sommer häufig (Maximum im Juli mit 26490 Individuen). Einen ähnlichen Lebens- zyklus zeigt es auch in den norddeutschen Seen. Mastigocerca capueina ist ein relativ seltenes Rädertier, das eben- falls nur im Sommer sich findet, mit einem Maximum von 10500 Indi- viduen im Monat August. Auch bei dieser Art zeigen sich dieselben Verhältnisse im Dobersdorfer See (Max. 198 617) und Plöner See (Max. 20 500). Die Arten des Genus Ploesoma sind ebenfalls Sommerformen, deren Maximum sich im August findet (P. Hudsoni mit 3500, P. truncatum mit 61000 Individuen). Im Plöner See kommt P. Hudsoni von Mai bis August vor, mit einem Maximum von 191520 Individuen im Juli. Wie die Obigen so ist auch Gastropus stylifer eine nur im Sommer sich häufig findende Art, die im Juni ihr Maximum von 53000 Indi- viduen erreicht, also zu den häufigeren Rotatorien gehört. Die Anapus-Arten finden sieh das ganze Jahr, im Sommer aber am häufigsten (Maximum im Juli mit 11000 Individuen; im Plöner See mit 114000 Individuen). 06 Naturae Novitates. Anurea cochlearis ist das häufigste Rädertier, das das ganze Jahr vorkommt. Aber häufig nur vom Mai bis Oktober, mit maximaler Ent- wieklu.g im Juli und August (800000 Ind.). Im Plöner und Dobers- dorfer See ist sein Lebenszyklus derselbe, nur sind die Maxima be- deutend höher (ca. 6 Millionen und 4 Millionen). Notholca longispina findet sich ebenfalls das ganze Jahr besonders häufig im Juni und Juli (53000 Ind.). Auch im Plöner See zeigt sich diese Art als Sommerform mit einem Maximum von 304000 Individuen im Juli und August. Pompholy& sulcata ist ein in sehr großer Zahl auftretendes Räder- tier (155000 im Juli). Es scheint diese Art im Winter zu fehlen, ist aber vom Juni bis Oktober ganz besonders häufig. Ungefähr denselben Lebenszyklus zeigt es auch im Dobersdorfer See mit einer Hauptent- wicklung im Juli (9363458 Individuen). Crustaceen. Sida limnetica, diese interessante pelagische Form, die Burckhardt!) im Langensee zum ersten Mal gefunden, ist eben- falls im Neuenbnrger See heimisch, wenn auch immer in geringer Individuenzahl. Diaphanosoma brachyurum fand Apstein vom März bis November im Dobersdorfer und Plöner See, während sie im Neuenburger See erst im Mai erscheint und im Dezember verschwindet. Ihre Hauptentwick- lung zeigt sie im September, wo diese Art in großer Zahl erscheint und die Ursache der Zunahme der Planktonmenge in diesem Monat ist. Die seltene nur an der Oberfläche sich findende Ceriodaphnia pulchella ist wohl keine eigentlich pelagisch lebende Cladocere. Daphnia hyalina die im Laufe des Jahres ihre Form bedeutend verändert, findet sich nur in verhältnismäßig geringer Zahl. Sie fehlt in keinem Monat des Jahres und hat im Juni ihr Maximum (3000 Ind.) erreicht. Da in der Bestimmung der Daphniden bei Apstein einige Verwirrung herrscht, kann ich keine Vergleichszahlen angeben. (Schluss folgt.) Naturae Novitates. Bibliographie neuer Erscheinungen aller Länder auf dem Gebiete der Natur- geschichte und der exakten Wissenschaften. Berlin. R. Friedländer & Sohn. Diese von der bekannten Buchhandlung für alle naturwissenschaftlichen Fächer in 44tägigen Lieferungen herausgegebenen reichhaltigen Litteratur- verzeichnisse versendet die Verlagshandlung auch am Schluss des Jahres, zu einem Bande gesammelt. Namentlich die Vertreter der Zoologie und Botanik schätzen dieselben wegen ihrer Zuverlässigkeit schon lange; aber auch alle anderen können Nutzen aus ihnen ziehen. P. 117] 41) G.Burekhart, Vorläufige Mitteilung über Planktonstudien an Schweizer Seen. Zoolog. Anzeiger, Bd. XXII, S. 185—189, 1899. Neue Diagnosen von 8 limnetischen Cladoceren, ebenda S. 349— 351, 1899. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Uentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 15. Februar 1900. Nr. 4. Inhalt: von Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene. — Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi (3. Stück u. Schluss). — Fuhrmann, Beitrag zur Bio- logie des Neuenburger Sees (Schluss). — v.Daltia'Torre, Botanische Bestimmungs- Tabellen für die Flora von Oesterreich und die angrenzenden Gebiete von Mitteleuropa, zum Gebrauch beim Unterricht und auf Exkursionen zusammen- gestellt. — Anzeige. Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Experimentelle Bei- träge zur Biologie der Honigbiene. Von H. von Buttel-Reepen (Jena). Einleitung. Die hier auf Grund fast zehnjähriger Studien mitgeteilten Be- obachtungen waren der Hauptsache nach für eine „allgemeine Biologie der Honigbiene“ bestimmt. Diese größere Arbeit kann aber wegen der starken Inanspruchnahme meiner Zeit durch anderweitige Studien vorerst nur langsam zu Ende geführt werden. Verschiedene Umstände lassen es jedoch angebracht erscheinen, den vorliegenden Teil der Beobachtungen schon jetzt zu publizieren. Insbesondere sehe ich mich veranlasst, der durch Bethe!) auf das Lebhafteste angeregten Tagesfrage über die psychischen Fähigkeiten der staatenbildenden Insekten näher zu treten. Die überaus interes- santen Studien Bethe’s beziehen sich auf Ameisen und Bienen. Ich werde nur auf die Bienen Bezug nehmen, einerseits weil hier das Feld meiner Experimente ist, andererseits weil über die Ameisen viel mehr wissenschaftlich Biologisches vorliegt?) und neuerdings der ausge- 4) Albrecht Bethe, Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Quali- täten zuschreiben? Arch. f. die ges. Physiologie, Bd. 70, 1898. (Auch separat erschienen aber mit anderer Pagination.) 2) Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen. Stuttgart, xXX, 7 98 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? zeichnete Myrmekologe Wasmann (l. ce.) bereits in sehr eingehender Weise die Bethe’schen Ansichten über die Ameisen bekämpft hat. Dass ich der Wasmann’schen Definition des Instinktes nicht zu folgen vermag, wird aus Nachstehendem ersichtlich sein. Ich verweise auf die trefflichen Aeußerungen Forel’s: „Gehirn und Seele“, 5. u. 6. Aufl., Bonn 189. Schon im Jahre 1872 wies Dohrn!) darauf hin, dass es ein Vor- teil für die Wissenschaft wäre, wenn mehr Biologie getrieben würde und die Ergebnisse der Praxis nutzbar gemacht werden könnten. Es scheint mir aber als hätten die von der Praxis geförderten biologischen Kenntnisse über Apis mellifica wenig Eingang in die wissenschaftliche Welt gefunden; das Geförderte wird seltsamer Weise wenig beachtet, es ist nicht in Fleisch und Blut der Wissenschaft übergegangen. Ein Beweis hierfür sind die fehlerhaften, schwankenden Angaben, wie sie sich auch in den neuesten Auflagen verbreiteter wissenschaftlicher Werke finden. So heißt es in R. Hertwig’s Lehrbuch der Zoologie, Jena 1897, 4. Aufl., dass ein Bienenvolk aus etwa 10,000 Arbeitsbienen bestände. Ein solches winziges Völkchen von ca. 1 Kilo Bienen (man rechnet 5000 Bienen auf ?/, Kilo) ist unter normalen Umständen nicht überwinterungs- und entwicklungsfähig. Wenn man als Norm ein mittelkräftiges Volk heranziehen muss, so ist die Volkszahl auf mindestens 20—30,000 Bienen anzugeben. Unzutreffend ist auch folgender Satz (S.430): „Schlüpft aus einer Weiselwiege eine junge Königin aus, so verlässt die vorhandene Königin mit einem Teil des Volkes (Vorschwarm) den Stock, um einen neuen Staat zu gründen“. Normalerweise erfolgt der Schwarm schon, wenn die Weiselwiegen, in denen die jungen Königinnen heran- gezüchtet werden, zur Bedecekelung gelangen. Da eine Königin zur vollen Entwicklung 16—17 Tage braucht und die Weiselzelle am 9. Tage geschlossen wird, so ist also der Stock nach Abzug des Vorschwarmes ungefähr 7—8 Tage ohne freie Königin. Der Nachschwarm erfolgt daher normalerweise selten vor dem 9. Tage nach Abzug des Vorschwarmes. — In Bechhold’s Lexikon der Naturwissenschaften, 1894 finden sich ähnliche unrichtige Angaben. Hier wird u. a. die Volksstärke bis zu 30.000 Arbeiter angegeben. Da aber starke Völker Schwärme von 3—4 Kilo (27—36,000 Bienen) abstoßen können, so er- giebt sich, dass die Höchstzahl der Stockinsassen 60—75,000 und mehr be- tragen kann, da etwas mehr als die Hälfte im Stocke zurückzubleiben pflegt. Schwarmbienen rechnet man nur 9000 auf 1 Kilo, da bei allen die Honig- Erwin Nägele, 1899. Enthält ein Verzeichnis sämtlicher Werke Was- mann’s. Forel, Fourmis de la Suisse. Nouveaux m&moires de la societe Hel- vetique. Zürich 1874, etc. Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen. Internat. Wiss. Biblioth., LVII. Bd., Leipzig 1883, ete. Emery, Die Gattung Dorylus Fab. u.s.w. Zool. Jahrb., 8. Bd., 1895, etc. Janet, Etudes sur les Fourmis, les Gu&pesetles Abeilles. Limoges 1897, ete. Bethel.c. 1) A. Dohrn, Der gegenwärtige Stand der Zoologie ete., 1872. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 99 blase gefüllt ist. — Ferner bezweifelt Claus das Gehörsvermögen der Bienen, in einein Aufsatze!), welcher überhaupt zahlreiche unrichtige, den thatsächlichen Verhältnissen zuwiderlaufende Angaben enthält. Kein Zoologe der zugleich er- fahrener Bienunforscher ist, wird im geringsten darüber im Zweifel sein, dass die Bienen ein ganz vortreffliches Gehörsvermögen besitzen, da ihm die Beobach- tung hierfür hundertfältig die sichersten Beweise liefert, während der mit den biologischen Thatsachen nicht Vertraute sich ablehnend verhalten wird, weil wir bis jetzt kein Gehörorgan haben entdecken können, resp. mit Sicherheit kein solches erkannt haben. Während die Begründer?) unserer heutigen Kenntnisse auf diesem Gebiete, sich eng an die „Praxis“ anlehnten, sehen wir neuerdings hin und wieder ein fast völliges Ignorieren des reichen Materiales, welches ausgezeichnete Beobachter aus der Praxis in der bienenwirtschaftlichen Litteratur niederlegten *). Was die Terminologie betrifft, so werde ich den Beth e’schen Ausdruck „psychische Qualitäten“ nicht gebrauchen, da er in verschiedenartiger Weise aufgefasst werden kann. Bethe hat diese Bezeichnung freilich in einem bestimmten Sinn gedacht, er versteht darunter alles im indi- viduellen Leben Erworbene, wie auch jedes Empfindungs- und Lern- vermögen, kurz alles das, was über die empfindungslose Reflexthätigkeit hinausgeht). Die Ameisen und Bienen sieht Bethe als „Reflexmaschinen“ an: „Es scheint, dass diese Tiere über keine Sinne, über keine Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln und danach ihr Handeln zu modifizieren, verfügten, dass alle Reize unter der Schwelle der sinn- lichen Empfindung und Wahrnehmung bleiben, und dass diese Tiere rein mechanisch alle die oft so vernunftmäßig erscheinenden Thätig- keiten ausüben“ (Bethe l.e. S. 98). Ob diese Ansicht eine berechtigte ist, werden wir weiterhin sehen. Die Ausdrücke Reflex und Instinkt werde ich in dem Sinne ver- wenden, in welchem Bethe den Ausdruck Reflex gebraucht. Instinkt 4) Claus, Der Bienenstaat. Heft 179 der Sammlung gem. - wissensch. Vorträge, herausgeg. v. Virchow und Holtzendorf. 2) Francois Huber. Nouvelles observations sur les abeilles. Deutsch von G. Kleine. Einbeck 1856. Nur mit Hilfe seines außergewöhnlich tüch- tigen Bienenmeisters Burnens konnte der mit dem 20. Lebensjahre erblindete Forscher seine Beobachtungen durchführen. v. Siebold, Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen. Leipzig 1856. etc. Leuckart, Zur Kenntnis des Generationswechsels und der Partheno- genesis bei Insekten, 1858. etc. *) Ausdrücklich weist v. Siebold (l.c. S. 57) auf die Befunde der Bienen- züchter als auf „höchst wichtige Aktenstücke* hin. 3) Bethe lässt diesen Ausdruck neuerdings selbst fallen, s. Beer, Bethe und J. v. Uexküll, Vorschläge zu einer objektivierenden Nomenklatur. Biol. Centralbl., 19. Bd., 1899, Nr. 15, S. 517 (ebenso im Centralblatt für Physiologie, 41899, Nr.6), ferner Bethe, „Noch einmal über die psychischen Qualitäten der Ameisen“. Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. 79, 1900, S. 45. A400 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? ist komplizierter Reflex!). Er beruht wie der Reflex auf angeborenen Fähigkeiten; der Ablauf der Vorgänge ist durch die ererbten Triebe bestimmt. Den Gegensatz bildet das im individuellen Leben Erworbene, wo der Ablauf der Vorgänge auf Erfahrung, Gedächtnis, Lernen, Assoziationsvermögen u. s. w. hinweist?). Ich beschränke mich hier auf diese kurzen Angaben, um im Schlusskapitel noch einige psychologische Betrachtungen anzufügen. Ich werde zuerst den Nestgeruch und die von ihm be- wirkten Reaktionen besprechen, alsdann meine Experimente und Ansichten über das Mitteilungsvermögen der Bienen anfügen und mit den Ausführungen über den Orientierungssinn der Bienen schließen. Der Nestgeruch und die von ihm bewirkten Reaktionen. Im ersten Abschnitt der „Versuche an Bienen“ behandelt Bethe (l. e.) die Frage, wie sich die Bienen eines Stockes erkennen, und kommt zu dem Schlusse, dass dieses Erkennen lediglich von einem „ehemischen Stoffe“ (Geruchsstoff) bewirkt werde, den er als „Nest- stoff“ bezeichnet?). Er vermeidet den Ausdruck Nestgeruch, weil er den Bienen überhaupt keine Geruchsempfindung zuerkennt. Ich wende den bezeichnenden Ausdruck Nestgeruch (Stockgeruch, Aus- dünstungsgeruch) an, indem ich darunter nur den objektiven That- bestand des Vorhandenseins einer Mischung gasförmig im Bienenvolke 1) H.E. Ziegler, Ueber den Begriff des Instinkts. Verhandl. d. deutsch. zoolog. Gesellsch., 1392. 2) H. E. Ziegler, Theoretisches zur Tierpsychologie und vergleichenden Neurophysiologie. Biol. Centralbl., Bd. XX, Nr. 1, 1900. 3) Nach Bethe müssen wir das Wesen des „Neststoffes* als einen „Familiengeruch“ ansehen. „Ich glaube, dass diese Familiengerüche, dieser den Mitgliedern einer Familie gemeinsame und von den anderen Familien der- selben Species abweichende flüchtige chemische Stoff (oder eine Mischung von mehreren) in der Lebensgeschichte der gesellig lebenden Hymenopteren eine große Rolle spielt...“ (l. ec. S.31). Dieser „Neststoff* soll angeboren sein und auch Jäger (Zeitschrift für wissensch. Zoologie, Bd. 27, 1876, S. 327) soll dasselbe behaupten. Ich möchte gleich erwähnen, dass ich keinen Beweis in der angezogenen Arbeit dafür finde, dass Jäger den „Ausdünstungsgeruch“ eines Bienenstockes lediglich als einen „Familieugeruch“ ansieht, wie es Bethe thut und noch weniger, dass er diesen gemeinsamen erst durch die Vermischung von vielen tausenden angeborenen, individuellen u. s. w. Gerüchen entstehenden Stockgeruch als solchen „angeboren“ sein lässt. Bethe begreift unter dem Ausdruck „Neststoff“ zweierlei, einesteils den Familiengeruch andernteils aber zugleich die „verschiedenartige Reaktion auf Nestgenossen und Nestfremde“. Dass wir dieses Identifizieren aber nicht unter allen Umständen eintreten lassen dürfen, glaube ich im Verfolg meiner Aus- führungen darlegen zu können. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen‘“ ? 4101 verbreiteter Stoffe verstehe, deren Anwesenheit durch das Geruchs- vermögen der Bienen perzipiert wird. Beim Bienenvolke kommen nach meiner Ansicht folgende Gerüche in Betracht: 1. Der Individualgeruch. Ist es leicht nachweisbar, dass der Königingeruch (s. S. 106) stets bei verschiedenen Individuen verschiedenartig ist; so muss man auch den Arbeitsbienen aus gleicher Ursache (Keimesvariation) einen individuellen Geruch zusprechen. 2. Alle Kinder einer Mutter (Bienenkönigin) haben bei ihren individuellen Gerüchen einen gemeinsamen, gleichartigen, angeborenen Familiengeruch, wie er nur den Kindern dieser einen Mutter zukommt. 3. Der Brut- und Futterbreigeruch. 4. Der Drohnengeruch. 5. Der Wachsgeruch. Da das Wachs ein Drüsensekret, ein Ausschwitzungsprodukt ist, so dürfte als sicher anzunehmen sein, dass dem Wabenbau, abgesehen vom spezifischen Geruch des Wachses, auch die individuellen Gerüche der Wachserzeugerinnen anhaften. Dem- gemäß sind die Wachsgebäude verschiedener Völker von verschiedener Geruchswirkung. 6. Der Honiggerueh. Dass der mit den Speicheldrüsensekreten vermengte Honig eines jeden Volkes seinen spezifischen Geruch hat, geht schon daraus hervor, dass man eine Ersatzkönigin behufs fried- licher Annahme mit dem Honig des zu beweiselnden Volkes be- streicht. Auch Bethe weist auf diese alte Imkerregel hin. 7. Der Nestgeruch (Ausdünstungs-, Stockgeruch) setzt sich normaler Weise aus einer Vermischung der vorstehenden Gerüche oder aus einem Teile derselben zusammen. Die einzelne Biene besitzt daher neben ihrem individuellen Geruch den Familiengeruch und als Wichtigstes den gemeinsamen, anhaftenden Nestgeruch, der bei der verschiedenen Reaktion auf Nestgenossen und Nestfremde — also beim „Erkennen“ der Bienen untereinander — den ausschlaggebenden Faktor bildet. Setzt man eine fremde Königin einem weisellosen Volke in einem Käfig zu, so genügt ein 24stündiges Einsperren, um in den meisten Fällen erreicht zu haben, dass die Gefangene den „Neststoff ange- nommen“ hat, wie Bethe angiebt, also „verwittert“ worden ist!). Das äußerliche Anhaften des Stockgeruches genügt also, die Bienen mit der aufgedrungenen Königin für immer zu befreunden. Macht man einen Sammelschwarm ?), schöpft also mit der Schöpfkelle die ver- 1) Dass in sehr vielen Fällen eine Gewöhnung der Bienen an den Geruch de. Königin resp. eine Vermischung des Königingeruches mit dem Nestgeruch vorliegen dürfte, wird weiterhin erläutert werden. 2) G.Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht. 5. Aufl, Bensheim 1892. „Bienen- zeitung‘, 7. Jahrg., Nr. 19; u. a. O. 102 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? ei lagernden Bienen, die bei starken Völkern oftmals gewaltige „Bärte“* bilden, von 10, 20 oder 30 Stöcken in eine gemeinsame Wohnung zu- sammen, giebt eine Königin hinzu und stellt dieses so gewonnene Volk unter Beobachtung der nötigen Maßregeln auf, so bilden diese Bienen aus — sagen wir 30 Stöcken — in wenigen Stunden ein friedliches Volk, das sich in seiner Wohnung einrichtet und die Geschäfte des Tages aufnimmt. Es haben sich also 30 Familiengerüche mit eirca 30— 40,000 individuellen Gerüchen lediglich durch das Zusammenwerfen zu einem ganz speziellen eigenartigen, nur diesem Volke zukommenden Nestgeruch vereinigt. Der Beweis hierfür ist allein schon darin zu finden, dass eine diesem zusammengewürfeltem Volke beigegebene Königin oft schon nach 12 oder 24 Stunden freigelassen werden kann, sie hat den gemeinsamen Neststoff angenommen. Hier sehen wir also ein Volk ohne spezifischen Familiengeruch sich genau so verhalten wie andere Völker, die nur aus Kindern einer Mutter bestehen. In jedem Falle sehen wir, dass der Nestgeruch eines Stockes durch die Vereinigung und Mischung der Individualgerüche gebildet wird. Es entsteht daher die Frage, ist dieser Nestgeruch „angeboren“? Nein, sicherlich nicht, denn der Nestgeruch, also das Gemeinsame, das jeder Stockgenosse sich auf äußerliche Weise erwerben kann, ist etwas rein Exogenes. Das Wirksame des Nestgeruches scheint mir daher nicht in dem angeborenen Familiengeruch oder den angeborenen individuellen Ge- rüchen zu liegen, sondern in der exogenen Vermischung beider. Es dürfte damit nicht in Widerspruch stehen, was Bethe (l. ce. S. 43) gelegentlich der Schüttelnester von Ameisen und des auf S. 71 mit- geteilten Experimentes mit Bienen anführt. Denn, dass Bienen, die in einen anderen Stock versetzt wurden, trotzdem sie selbst nunmehr einen anderen Geruch angenommen, ihre im Mutterstock verbliebenen Geschwister kaum oder nur wenig feindlich anfallen, weil durch den gemeinsamen Familiengeruch „eine verminderte Reaktion“ ausgelöst wird, beweist doch nur, dass eben der Nestgeruch etwas Anderes ist als der Familiengeruch. Wäre letzterer das Wirksame, das Be- stimmende, so müssten sich Bienen derselben Familie stets und unter allen Umständen freundlich begegnen, was nicht der Fall ist. Auch kann ich diesen einzigen von Bethe (l. ec. S. 71) angestellten Versuch in seinen Einzelheiten nicht als völlig beweiskräftig ansehen, da sehr viele Umstände, die mit dem Nestgeruch nichts zu thun haben, die freundliche oder feindliche Annahme von Bienen — seien sie Ge- schwister oder Wildfremde — bewirken. Es sprechen da Tracht, Witterung, Jahreszeit, Stärke des Volkes, Menge des Vorrates u. 8. w. ein sehr gewichtiges Wort, wie Jeder weiß, der durch langjährige Beobachtung die Eigenarten der Bienen studiert hat. Nach meinen v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? 103 Erfahrungen tritt Entfremdung zwischen getrennten Nestgenossen im Allgemeinen sehr viel schneller ein, als Bethe angiebt, doch scheint mir dieses im Ganzen nebensächlich zu sein, da das Wesentliche nicht dadurch berührt wird. Modifikationen der Nestgeruchreaktion. Es wird von Bethe bestritten, dass die „verschiedene Reaktion“ auf Nestgenossen und Nestfremde Modifikationen unterliege!). Es will mich bedünken, als sei die Bethe’sche Ausführung noch kein schlagender Beweis dafür, dass die Nestgeruchreaktion nicht modifizierbar sei, abgesehen davon, dass das herangezogeue Beispiel, von dessen näheren Umständen wir nichts erfahren, schwerlich geeignet erscheint, einen so weittragenden Schluss zuzulassen. Es spielen bei Beurteilung von Räubereien zwischen Bienenvölkern eine große Anzahl anderer Faktoren mit, die nur durch jahrelange eingehende Beobachtung und glückliche Umstände der richtigen Wertschätzung unterliegen; wenn ich auch selbst in dem von mir herausgegebenen Lehrbuch der Bienenzucht befürworte, nur das raubende und nicht das beraubte Volk einzuräuchern ?), so ist damit noch kein Beweis geliefert, dass der Nestreiz überhaupt nicht Modifikationen unterliege. Die Meinung Bethe’s, dass bei allen Vorgängen im Bienenstaate keine „psychischen“ Elemente in Frage kommen, und vielleicht auch die etwas kurze Beobachtungszeit, die Bethe den Bienen widmen konnte, scheinen ihn zu diesem Schlusse veranlasst zu haben. Ich führe zu dieser Frage folgende Versuche an. Ueberlauf eines weisellosen Volkes. Stellt man zwei Bienenstöcke dicht nebeneinander und nimmt dem einen Stock seine Königin und sämtliche Brut, so ereignet es sich nicht gar selten, dass das ganze weisellose Volk, dem jede Möglichkeit genommen ist, eine Königin nachzuziehen, zu dem weiselrichtigen „freudig“ brausend ein- 4) „Man hat nun geglaubt, die” Individuen eines Stockes für einander besser „kenntlich“ machen zu können, wenn man den Stock mit stark riechen- den Substanzen (Kampher, Naphthalin, Baldrian) räuchert. Man thut dies, damit ein Stock, der häufig Plünderungen ausgesetzt ist, die fremden Räuber, welchen dieser Stoff nicht anhaftet, besser „erkennen“ kann. Wäre dies richtig, so wäre damit erwiesen, dass die verschiedene Reaktion auf Nestgenossen und Nestfremde modifizierbar wäre“. „Ich glaube aber mit Bestimmtheit versichern zu können, dass eine der- artige Behandlung die Reaktion gegen fremde Bienen nicht im Geringsten er- höht, sondern dass nur die Bienen aller fremden Stöcke heftiger auf die Indi- viduen des geräucherten reagieren. (Will man also einen Stock vor Raub schützen, so muss man nicht diesen, sondern den räuberischen Stock räuchern)*. „Wir sehen also, dass sich hier, wie bei den Ameisen, die verschiedene Reaktion auf Nestgenossen und Nestfremde auf einen einfachen Chemoreflex zurückführen Jässt* (Bethe l. c. S. 71). 2) G. Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht, 5. Aufl, herausgegeben von R. Dathe und v. Buttel-Reepen, Bensheim 1892, S. 181. 104 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? zieht. Ein Abstechen der Einziehenden findet hierbei äußerst selten statt, sie werden freundlich aufgenommen, obgleich das weiselrichtige völlig normale Volk dem „nicht modifizierbaren Chemoreflex“ folgend, eigentlich stets feindlich reagieren müsste. Welche Einflüsse diesen Ueberlauf der Weisellosen bewirken, sehen wir weiterhin. Erhöhung der Reaktion. Wird ein Volk beraubt und duldet die Räuberei, ohne sich zu wehren, so wird ihm ein aufregendes Futter gereicht z. B. mehrjähriger in Gärung übergegangener Buch- weizenhonig!) oder man mischt zwischen den Futterhonig etwas Brannt- wein, auch wird der Zorn des beraubten Volkes durch Schütteln des Stockes ete. erregt. In allen Fällen sehen wir eine bessere Vertei- digung eintreten, der Nestreiz wird erhöht und die Räuber werden besser erkannt und abgewiesen. Der „Mut“ und die „Aufmerksamkeit“ des Volkes wurden ge- steigert und dadurch die Reaktion auf Nestfremde ?). Ueberwindungen der Nestgeruchreaktionen. Interessant ist, dass die so mächtige Nestgeruchreaktion, die durch Nestfremde in den meisten Fälien in äußerst feindlicher Weise ausgelöst wird, über- wunden und in andere Bahnen gelenkt werden kann. So werden Bienen, die mit gefüllter Honigblase von der Tracht heimkehren und sich auf fremde Stöcke verirren, selten feindlich an- gefallen. Eigentümlich ist das Gebahren solcher sich einbettelnden Bienen. Mit dem Abdomen auf dem Boden (Flugbrett) schleifend, ihren Rüssel weit vorstreckend und willig von dem Honigvorrat an die sie rings umgebenden und sie weidlich zwiekenden Feinde austeilend, sucht sich die Verirrte in den Stock einzuschmeicheln, um sich der Honigbürde zu entledigen, was ihr auch oft gelingt. (Ich gebrauche hier wie auch weiterhin anthropomorphistische Bezeichnungen zur besseren Veranschau- lichung; es versteht sich, dass viele dieser Vorgänge nur auf Reflexen und Instinkten beruhen und z. B. von einem „einschmeicheln“ ete. in unserem Sinne selbstverständlich nicht die Rede sein kann.) 1) Dathel. c. S. 179. 2) Die Lüneburger Korbimker wenden zu Zeiten ein eigentümliches Mittel an, der sogen. „schleichenden Räuberei“ Einhalt zu thun. Wenn die Tracht sehr stark ist, so dass ein kräftiger Honiggeruch den Fluglöchern entströmt, stellt sich hin und wieder allgemeine Räuberei ein. Die Raubbienen werden aber von den Stockbienen kaum beachtet (wahrscheinlich verdeckt der starke Honiggeruch den fremdartigen Geruch der Räuber). Um eine stärkere Reak- tion hervorzurufen, legen die Imker die Körbe um, so dass die weite untere Korböffnung nach vorne gerichtet ist. Man sollte meinen, dass, da hierdurch der ganze Wabenbau frei zu Tage liegt, ein noch leichteres Berauben statt- finden könnte, aber da der kräftige Honiggeruch nun leicht „verfliegt“ und die Raubbienen durch die Veränderung im Anfluge unsicher und stutzig werden, wird die Aufmerksamkeit der Beraubten erregt, das „Werk“ wird gut belagert und jeder Angriff abgeschlagen. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 105 Auf dieser Erfahrung, dass mit Honigschätzen reichbeladene fremde Gäste freundlich behandelt werden, beruht die uralte Praxis des „Versetzens“ der Stöcke. Soll ein schwaches Volk aufgebessert werden, so wird es einfach mit einem sehr kräftigen verstellt, die Stöcke wechseln also ihre Plätze. Dieses Versetzen darf aber nur an solchen Tagen vorgenommen werden, an denen ein starker Flug vor- handen ist und alle Flugbienen schwer mit Honig belastet heimkehren. Wenn die Stöcke äußerlich dasselbe Aussehen hatten und vor allem das Flugloch in derselben Höhe war, so findet nur eine sehr geringe Stauung des Fluges statt. Die vielen Flugbienen des Starken kräftigen alsdann die Schwachen in gewünschter Weise. Eine Beisserei findet sehr selten statt. Auch wenn man ein Volk am Schwärmen verhindern will, werden ihm in ähnlicher Weise die Flugbienen abgezapft. Ich kann hier nicht auf die vielen Modifikationen dieser Erfahrung eingehen und muss auf die Lehrbücher der Bienenzucht verweisen. Sahen wir soeben, dass von zwei Völkern, die feindlich aufein- ander reagieren sollen, stets nur das eine in besondere Behandlung genommen wird oder beide einer andersartigen Behandlung unterzogen werden müssen, so werden bei gewünschter friedlicher Reaktion beide in derselben Weise behandelt. Besprüht man z. B. zwei Völker mit starkriechenden Flüssigkeiten oder bepudert sie mit Mehl, so können sie gefahrlos vereinigt werden. Betäubt man die Bienen mit Salpeter, Bovist, Chloroform, Aether ete., so kann ein Gleiches ohne Gefahr gegenseitigen Abstechens geschehen, zugleich aber geht durch dieses Betäuben das frühere Ortsgedächtnis vollkommen verloren. Aus der Betäubung aufwachende Bienen kennen ihren Stock nieht mehr und können beliebigen andern Stöcken zugeteilt werden. Welche Schlüsse hieraus auf das Lernvermögen etc. zu ziehen sind, werden wir später sehen. Beiläufig möchte ich hier eine seltsame Aberration des In- stinktes erwähnen. Die bienenwirtschaftliche Litteratur verzeichnet einige Fälle, die eine völlig unerklärliche feindliche Reaktion der Nest- genossen untereinander zeigen. — So ist es mehrfach beobachtet, dass ein Stock seine eigenen Flugbienen in großer Zahl bei der Rückkehr zum Stocke abstach, als wären es fremde Eindringlinge. Dieses Abstechen wurde längere Zeit hindurch beobachtet und führte die Stöcke dem Unter- gange entgegen. Möglicherweise liegt hier eine Entartung jenes In- stinktes vor, welcher die Fluglochbienen veranlasst, die Einfliegenden zu kontrolieren; vielleicht kommen Geruchsdifferenzen in Betracht, oder es wirkt beides zusammen. Auch liegt die Vermutung nahe, dass wir es hier mit mangel- hafter Beobachtung zu thun haben, aber Instinktsirrungen sind nicht gar selten bei den Bienen und häufig kann man im Frühjahr konstatieren, 106 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? dass die Bienen in rätselhafter Verirrung sogar ihre eigene Königin anfallen und „einballen“. Man findet dann den Stock in heller Auf- regung und zwischen den Waben oder am Boden inmitten eines Knäuels von Bienen die arg bedrängte Königin, die oft als Krüppel aus dem Tumult hervorgeht. Ein anderer Fall von Instinktsirrung ist folgender: Bekanntlich errichten dieBienen hin und wieder über Drohnen- eiern Weiselzellen!). Findet man eine Weiselzelle, die weit über die gewöhnliche Länge erreicht, so kann man ziemlich sicher sein, dass sie eine Drohnenlarve birgt. Das allzu kräftige Königinfutter?) scheint der Larve nicht zuträglich zu sein, sie fällt aus dem Brei heraus und infolge dessen verlängern die Bienen die Zelle über das Normale. Gewöhnlich stirbt die Larve ab. Der Geruch der Königin. Der individuelle Geruch der Königin ist zweifellos in vielen Fällen ein sehr wichtiger Teil des Nest- geruches, der oftmals den ausschlaggebenden Faktor bilden dürfte. Die Ausdünstung der Königin ist eine so intensive, dass sogar das menschliche Geruchsorgan den eigentümlichen, melissenähnlichen Geruch wahrnehmen kann, der überdies ein sehr anhaftender ist. Zer- drückt man eine Königin auf einem Brette, so riechen die weisellos gehaltenen Bienen des Stockes aus dem die Königin entnommen war, noch nach mehreren Tagen die Stelle auf der ihre Herrscherin ge- tötet wurde. Lässt man die Bienen über das Brett laufen, so sammeln sie sich auf dem Richtplatz und „sterzeln“ und schwirren mit den Flügeln in absonderlicher Art. Es ereignet sich oftmals, dass „Nachschwärme“, also Schwärme mit jungen Königinnen zusammenfliegen und sich zu einer gewaltigen Schwarmtraube vereinigen. Die Bienen befehden sich in dieser Traube nicht gegenseitig trotz der verschiedenen Neststoffe. Der „Schwarm- dusel“ löscht die Reaktion auf den fremden Neststoff aus, wie er auch das Ortsgedächtnis insofern zum Schwinden bringt, als der Trieb, den Mutterstock — das Heim — aufzusuchen, gleichfalls (wenigstens unter normalen Umständen) erlischt?). Schwarmbienen bleiben stets dort, wo sie ein „zusagendes“ Heim finden und haben die „Feldbienen“ noch 1) ©. vom Rath, Ueber abnorme Zustände im Bienenvolk. Berichte der Naturf. Ges. Freiburg i. Br., 8. Band, 1894. 2) Ueber die verschiedene chemische Zusammensetzung des Futtersaftes für die drei Bienenwesen s. A. v. Planta, „Ueber den Futtersaft der Bienen“, u. „Nochmals über den Futtersaft der Bienen“, Schweiz. Bienenzeitung, 1888 u. 1889; ferner A. v. Planta, Zeitsehr. f. phys. Chemie von Hoppe-Seyler, 1888, Bd. XII, Heft 4, S. 327—354 und Bd. XIII, Heft 6, S. 552—561, ferner Dathe l. ce. S. 24. 3) Bethe hat den zur Beurteilung der „psychischen Qualitäten“ überaus wichtigen Schwarmakt wie auch den individuellen Geruch der Königin über- haupt nicht in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen. Wir werden sehen, wie grade der Schwarmakt interessante Aufschlüsse zu geben im Stande ist. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 107 Tags zuvor oder noch unmittelbar vor dem Schwärmen in lang ge- wohnter Weise Honig, Pollen und Wasser dem Mutterstocke zuge- tragen, so bringen sie wenige Stunden später, nachdem sie sich aufs Neue „eingeflogen“ — orientiert — haben, die Sammellasten dem neuen Heim zu, das unter Umständen anstoßend der alten Wohnung gelegen sein kann. Die Erinnerung an die Geburtsstätte ist vollkommen geschwunden. Auf eine Ausnahme komme ich späterhin zu sprechen. Will man diese zusammengeflogenen Schwärme wieder trennen, so bringt man die Schwarmtraube in eine größere Kiste und hängt so viele Zweige hinein als Schwärme sind. Ueber Nacht sondern sich die Völker von selbst und hängen je an einem Zweige. Dass hier eine rein mechanische Sonderung vor sich geht, ist wohl als sicher anzunehmen und zwar anscheinend nach den ver- schiedenen Nestgerüchen. Ich glaube, dass jedoch noch ein,stärkerer be- stimmender Reiz in Frage kommt — der Geruch der Königin! Die Völker scharen sich um ihre Königm!). Nimmt man einem der Schwärme die Königin fort, so vereinigt er sich alsbald mit einem anderen, der eine Königin besitzt, trotz des feindlichen Nestgeruches. Sollte man der Meinung sein, dass hier der Familiengeruch, also die Zugehörigkeit aller Kinder zu ihrer Mutter, in sein Recht träte, so bemerke ich, dass sich ganz derselbe Vorgang ereignet, wenn auch die Königin ursprünglich nicht zu dem betreffenden Volke ge- hörte, sondern durch eine einem fremden Volke entnommene Weisel- zelle der Gemeinschaft künstlich eingefügt wurde. Ueberdies hat man es in den normalen Nachschwärmen stets mit unbefruchteten Königinnen zu thun, von Kindern einer Mutter kann also nicht einmal gesprochen werden. Die Nachschwarmkönigin ist besten Falles eine „Schwester“ der Volksbienen, wenn ich mich so ausdrücken darf. Es ist der den Nestgenossen vertraute Geruch der Königin der sie im Verein mit dem Nestgeruch, dessen Wirkung allerdings ja durch den Schwarmakt völlig zu verschwinden scheint, vielleicht zusammenhält, aber dominierend ist der Königingeruch, was auch aus dem ersten Experiment, auf das ich nunmehr zurückkomme, zu ersehen sein dürfte. Die Bienen des weisellosen Stockes wittern die Königin in der Nebenwohnung, und des fremden Neststoffes nicht achtend (auf den sie unter anderen Umständen scharf reagieren würden) ziehen sie „freudig brausend“ ins feindliche Lager über. Sehr wahr- 4) Ein Einwurf könnte mir hier vielleicht gemacht werden, dass es sich bei diesem Zusammenschaaren um ganz andere Instinkte und zwar um Ge- schlechts- oder um die den Bienen eigentümlichen Schwarminstinkte handele, aber es muss immerhin in Betracht gezogen werden, dass sich die Bienen nur dann in die einzelnen Völker sondern, wenn die den einzelnen Völkern zu- kommenden Königinnen vorhanden sind, deren Gegenwart sich durch die vonihnen ausgehende Witterung kundgiebt. 108 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? scheinlich kommt hier auch Tonempfindung in Betracht, nämlich Reak- tion auf den Ton der Weiselruhe. Wenn der Geruch der Königin ein so vorherrschender ist, so dürfte es klar sein, dass besonders zu Zeiten der Verstärkung des indivi- duellen Geruches der Königin, also während gesteigerter geschlecht- licher resp. körperlicher Thätigkeit!), die in den Frühlingsmonaten vorwaltet und sich durch die enorm vermehrte Eierlage (2000-3500 und mehr Eier innerhalb 24 Stunden) kundgiebt, schr wahrscheinlich dieser individuelle Geruch allem den speziellen Charakter des Nest- stoffes bestimmt. Dass er nicht immer der ausschlaggebende Faktor ist, geht schon daraus hervor, dass ein reaktionsfähiger Neststoff auch dann bestehen bleibt, wenn die Königin entfernt wird und entfernt bleibt. In der That sieht man die Bienen während der stärksten Brut- periode sich mit besonderem Eifer um die Königin bemühen. Wenn es auch nicht allein der den Bienen überaus „sympathische“ Geruch ist?), der sie um diese Zeit sich in verstärktem Maße ihr widmen lässt, da das erhöhte Nahrungsbedürfnis der Königin die ständige Pflege der sie umgebenden Bienen erheischt?), aber die Zuneigung des umgeben- den „Hofstaates“, die sich dadurch ausdrückt, dass von Zeit zu Zeit einzelne der „Höflinge“ das Abdomen oder den Thorax der Herrscherin auf das Eifrigste belecken unter gleichzeitigem eigentümlich „behag- lichen“ Summen, diese Zuneigung zeigt das besondere Wohlgefallen an der starken melissenartigen Ausdünstung der Königin®). Die Bienen wollen den Geruch sozusagen schmecken. Beobachtet man eine Königin in einem gläsernen Beobachtungskasten, so sieht man, dass sie stets von einem Kranz von Brutammen umgeben ist, die ihr stets den Kopf zudrehen. Schreitet die Königin lang- sam vorwärts, so weichen die im Wege stehenden rückwärts gehend aus. Von Zeit zu Zeit geschieht die erwähnte „liebkosende“ Be- leckung und die Fütterung. Es ist erklärlich, dass vielfach in diesem auffälligen Gebahren der Ausdruck einer besonderen Verehrung gegen das „Staatsoberhaupt“ erblickt worden ist. Das „respektvolle“ Rück- wärtsgehen, das „zärtliche“ Belecken, die tadellose Bedienung (da die Königin den Stock nie verlässt, ist sie gezwungen ihre Fäces im Stocke abzulegen und die „Höflinge* säubern diese Spuren sofort) 1) Jaeger, Ueber die Bedeutung des Geschmacks- und Geruchsstoffes. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, Bd. 27, S. 327, Jahrg. 1876. 2) Um Schwärme an einen Stock zu fesseln und das Wiederausziehen zu verhüten, reibt man die Wohnung mit Bienenkraut — Melisse — ein, 3) Bekamntiich genießt die Königin nur Honig selbständig, während ihr. der stickstoffhaltige Futterbrei durch den Rüssel der Arbeitsbienen gereicht wird. 4) Ich möchte nochmals betonen, dass die anthropomorphistischen Be- zeichungen nur zur klareren Veranschaulichung der Vorgänge gewählt sind. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 109 macht diese anthropomorphistische Anschauung zu einer sehr nahe- liegenden. Beweisen lässt sich aber vielleicht nur, dass das Indivi- duelle der Königin mit im Spiele ist, da eine fremde Königin, die den- selben stark ausgeprägten Melissengeruch hat, abgestochen wird trotz des Wohlgefallens am Geruch. Im Herbst und Winter, wie auch zeitig im Frühjahr, bekümmern sich die Bienen verhältnismäßig sehr viel weniger um die Königin und noch viel weniger um eine junge, unbefruchtete. Die verminderte Aus- dünstung resp. die noch sehr schwache dürfte diese Erscheinung zum Teil erklären. Ist der Geruch der Königin zweifellos ein sehr durchdringender und anhaftender!), so scheint es mir, als ob die auch von Bethe an- gegebene Annahme, dass die Königin den Neststoff des weisellosen Volkes annehme, dem sie im Käfig zugesetzt wurde, nicht in allen Fällen richtig ist, indem umgekehrt der sehr viel stärkere Geruch der Königin, der, wie schon erwähnt, sogar unserem Riechvermögen deutlich wahrnehmbar ist, eine „Verwitterung“ !des Volkes vornimnit. Sehr richtig sagt daher OÖ. vom Rath?), dass „die Arbeitsbienen sich erst an den Geruch der Königin gewöhnen“ Je stärker demnach eine Königin ausdünstet, je leichter müsste die Annahme resp. die Verwitterung vor sich gehen und demzufolge auch die gegenseitige Befreundung. In der That haben mir mannigfache Versuche gezeigt, dass eine befruchtete, eierschwangere Königin schneller angenommen wird als eine unbefruchtete. Hiermit harmonieren die Lehrsätze der imkerlichen Praxis®): 1. „Eine unbefruchtete Königin wird von solchen Völkern, die bisher eine befruchtete hatten, nicht angenommen.“ 2. „Je älter eine Königin ist, desto leichter wird sieangenommen.“ 3. „Schwache Völker nehmen eine Königin leichter an als starke.“ 4. „Königinnen derselben Art werden leichter angenommen, als solche einer anderen Varietät wie z. B. der italienischen, kaukasischen, eyprischen ete.“ Es spielt hier jedenfalls der andersartige Geruch dieser Varietäten seine Rolle. Dass schwache Völker leichter zu beweiseln sind wegen der leichteren einseitigen oder gegenseitigen Verwitterung dürfte ein- leuchtend erscheinen, doch kommen auch hier noch andere Instinkte in Betracht, die weiterhin ihre Erwähnung finden werden. 1) Aus einem starken Volke fing ich die Königin aus und setzte sie in einen Weiselkäfig, ließ sie einige Minuten darin und brachte dann den leeren Käfig nach einer Viertelstunde auf das Flugbrett des betreffenden Volkes. Sofort witterten die Bienen den Geruch und setzten sich flügelschlagend auf den Käfig, den sie vorher vollkommen ignoriert hatten (s. auch S$. 106). 2) OÖ. vom Rath, Ueber abnorme Zustände im Bienenstock. Berichte der Naturf. Ges., Freiburg i. Br., 8. Band, 1894. »rDiathe.1, e. S. 214, (Zweites Stück folgt.) 410 Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi. Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi del Dott. G. Mazzarelli, Privatodocente di Zoologia e di Anatomia comparata nella R. Universita di Palermo'). V. Morfologia del fegato. Henri Fischer, nelle sue ricerche sulla morfologia del fegato des Gasteropodi [1], dimoströ che quest’organo appare nelle larve di questi Molluschi sotto forma di due sacchi pari, di origine entodermica, che vengano ad abbraceiare gradatamenti i due grossi macromeri nutritivi. L’uno di questi sacchi, in segnitio alla torsione, si riduce, mentre l’altro si sviluppa enormemente: dimodocche nelle larve dei Gasteropodi il fegato & rappresentato da due sempliei sacchi, l’uno piü grande, l’altro piü piecolo, di eui ognuno ha uno sbocco proprio nel tubo digerente. Solo piü tardi la parete interna di ciascun sacco si solleva variamente, dividendo cosi la cavita del medesimo in piü lobi o concamerazioni secondarie, mentre si formano piü condotti epa- tiei, prineipali e secondari. In tal modo il fegato prende l’aspetto che gli & abituale nell’ adulto. Le mie ricerche sullo organiszazione delle Peltidae hanno intanto fatto conoscere, che in questi piccolissimi Teetibranchi, allo stato adulto, il fegato conserva presso a poco il suo primitivo aspetto larvale. In- fatti in una Pelta allo stato adulto asservansi nettamente due sacchi epatiei fra loro ben distinti, di cui l’uno piü grande e l’altro piü pie- colo, forniti ciascuno di un unico orifizio, che s’apre nello stomaco. D’altra parte il Pelseneer, che dopo la pubblicazione delle mie ricerche sulle Peltidae, ma senz’ averne potuto prendere conoscenza, pubblicöo anch’ egli delle ricerche sulla organiszazione di questi pic- coli Molluschi [6] esseriscee che il fegato nella Pelta sbocca nello stomaeo per merzo di orifizi multipli. Fig. 14. Sezione del fegato di Pelta capreensis Mazz. secondo Mazzarelli. Fig. 15. Sezione del fegato di Pelta coronato Quatr. secondo Pelseneer. m — stomaco; ld — sacco .epatico destro; II = sacco epatico sinistro. 4) Vergl. Bd. XIX, Nr. 15 u. 18. Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Teetibranchi. 115 col nome di „apparato olfattorio“, e che si estende, come una linea sensitiva, da eiascun lato del corpo dell’ animale, dall’ orifizio boc- bale sino al margine anteriore del mantelloe. Ora dall’ insieme delle mie osservazioni su quest’ organo risulta quanto segue: 1. L’organo di Hankock nella forma nella quale venne descritta dallo stesso Hankock trovasi solo nelle Bulloidee; 2. Nell’ organo di Hankock delle Bulloidee (fig. 18) si distingono tre regiori: anteriore (Ha), mediana (Hb) e posteriore (He). Le due prime sono sempre rappresentate da una semplice linea sensitiva: la terza invece puo assumere una forma pettinata, e tale da rassomigli- arla ad una branchia, 0 meglio ad un osfradio di un prosobranchio, come avviene nell’ Haminea (fig. 19), avvero puö restare anch’ essa allo stato di una semplice linea sensitiva, come per esempio nell’ Acera. 3. La porzione anteriore e la mediana sono riccamente innervate da rami del nervo labbiale, rafforzati da numerosi gangli accessori: la posteriore & innervata invece dal nervo olfattorio, proveniente dal ganglio olfattorio, e che anch’ esso presenta i suoi rami, massime in Haminea, rafforzati da numerosi gangli accessori ; 4. In alcuni Teectibranchi (ad es. Acera) la linea sensitiva dell’ organo di Hankock & interotta. Si hanno allora due regioni distinte tra loro, l’una anteriore, che riveste le vicinanze della bocca e il cavo orale, l’altra laterale (fig. 20), Fig. 21. Schema di un Aplysia punctata per mostrare le omologie dell’ organo di Hankock (la porzione anteriore Ha s’immagina vista per trasparenza). si — sifone; m = mantella; s = orifizio del sacco cocleare; r = rinofori; t = tentacoli; gr = doceia genitale; f = piede. La prima (Ha) &innervata‘da rami del nervo labbiale: la seconda nella sua porzione anteriore (Hb) & innervata anch’essa da altri rami del nervo labbiale, e nella sua porzione posteriore (He) & innervata dal nervo olfatorio. 5. Negli altri Tectibranchi provveduti di tentacoli (es. Ap/ysia) non trovasi come nelle Bulle la linea sensitiva ininterrotta dell’ organo di Hankock: trovasi invece una breve linea sensitiva in corrispondenza dell’ oriflzio boccale e delle labbra (organo del gusto), un’ altra linea g* A16 Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Teetibranchi. sensitiva contorna i tentacoli (organi del tatto), ed infine una terza regione neuro-epiteliale trovasi sui rinofori, e particolarmente nel loro infossamento auricoliforme (organo dell’ olfatto). La prima (Ha) e la seconda (Hb) sono innervate da rami del nervo labbiale: la terza (He) & innervata dal nervo olfattorio, che proviene direttamente dal ganglio cerebrale corrispondente, senza ganglio olfattorio intermedio; 6, Risulta da ciö che le porzioni anteriore, mediana e posteriore dell’ organo diHankock delle Bulloidee son rispettiramente omologhe all’ organo del gusto e alle porzioni sensitive dei tentacoli e dei rino- fori de gli altri Teetibranchi,' come del pari che i tentacoli e i rino- fori non sono omologhi allo scudo cefalico delle Bulle, ma ad espan- sioni laterali di esso; 7. Il cappueccio cefalico del Gastropteron (fig. 23) & omologo ai rinofori degli altri Tectribranchi: esso, innervato dal ganglio olfattorio, presenta sulla sua superfiicie inferiore uno zona mediana neuro-epeite- liale, non vibratile, eircoseritta da una zona vibratile; 8. Il velo boccale delle Pleurobranchidae (Fig. 22) & omologo ai tentacoli anteriori degli altri Tectibranchi; Fig. 22. Schema di una Pleurobranchia Meckeli per- mostrare le omologie dell’ organo di Hankock. v — velo boceale; r— rinofori; g = orifizio genitale; B = organo del Bourne; %k — branchia; f = piede. F’g. 23. Schema di un Gastropteron Meckeli per mostrare le omologie dell’ organo die Hanckock. cc = cappucecio cefalico. 9. L’organo di Hankock, che si trova appunto nei Tretibranchi piü arcaci (Bulloidee), rappresenta senza dubbio la eondizione primi- Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi. 117 tiva degli organi tattili eefaliei di questi Gasteropodi: nei Teetibranchi tentacolati ha avuto luogo un notevole differenziamento; 10. Sia per la sua struttura assai analoga, sia perch& trovasi sul prolungamento e a non molta distanza della linea sensitiva dell’ organo di Hankock, sia per la sua innervazione anche cerebrale (Pelseneer), Vorgano di Spengel ha potuto un tempo esserne la continuazione. Doveva quindi esservi allora una linea sensitiva laterale pari, che partendo dall’ orifizio boccale si estendeva sin verso la regione poste- riore del corpo, e che poi, differenziandosi, ha dato origine all’ organo del gusto, a un organo di tatto specializzato (tentacolo), all’ organo dell’ olfatto (rinoforo) e all’ organo die Spengel. Bisogna tener presente che l’organo di Spengel di molti Proso- branchi si differenzia in modo analogo alla porzione posteriore dell’ organo di Hankock di aleuni Tectibranchi (es. Hanimea)!). Letteratura. [1] W. Clark, Observations on the Animals of the Bullidae, in: Ann. Mag. Nat. Hist., Vol. VI (2), 1850. [2] R. Hankock, Observations on the olfaetory Apparatus in the Bullidae, in: Ann. Mag. Nat. Hist., Vol. IX (2), 1852. [3] G.Mazzarelli, Intorno al cosi detto „apparato olfattorio“ delle Bulle, in: Rie. Lab. an. um. Roma, Vol. IV, 1894. [4] P. Pelseneer. Recherches sur divers Opisthobranches, in: Mem. cour. et m&m. d. sav. etrang. Acad. R. d. Sec. d. la Belg., T.41, 1892. [5] A. Vayssi&re, Recherches anatomiques sur les Mollusques de la famille des Bullid&s, in: Ann. Se. Nat. Zool., t.IX (6), 1880. IX. Note di Filogenia. Le mie idee sui rapporti tra i Teetibranchi (o meglio gli Opisto- branchi in generale) e i Prosobranchi, secondo le quali gli Opisto- branchi deriderebbero dai Prosobranchi, e specialmente da forme inter- medie tra i Diotocardi e i Monotocardi. si accordano eompletamente con quelle poi amesse nello stesso anno (1892) dal Pelseneer, con- fermate piü tardi dallo Autore [12], e oggi universalmente accettate. Qanto ai rapporti tra i Tectibranchi e i Nudibranchie, io ho sosto- nuto che le Oxynoeidae, di eui le mie ricerche, confermate in massima parte dal Pelseneer (tranne alcuni punti tuttora in dissidio), hanno illustrato in particolar modo l’organizzazione, segnino, un interessante 4) I Pelseneer, nelle sue estese ricerche su diversi Opistobranchi (4 p. 11) ha osservato l’organo di Hankock delle Bulle, ma si & preoceupato soltanto della sua porzione posteriore, considerandola, giustamente, come omO- loga ai rinifori degli altri Tectibranchi, e anzi chiamandola col nome di rino- foro. Egli perö non ha posto mente al fatto, che questi cosi detti „rinofori* delle Bulle si prolungano anteriormente merce una semplica linea sensitiva, che ei ricongiunge l’uno all’ altro a livello dell’ orifizio orale, e gli & quindi sfuggito il valore morfologico di tutto questo interessantissimo apparato. 418 Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Teectibranchi. passaggio tra le Bulloidee e gli Ascoglossi. Infatti le Oyxnoidae, mentre presentano l’apparato digerente e il sistema nervoso quasi interamente similie a quelli degli Ascoglossi, possedono una conchi- glia e un organo di Spengel simili a quelli delle Bulle, e nello stesso tempo son provedute di una branchia e di un rene caractteristiei. Quanto ai rapporti dei Tectibranchi tra loro stessi, le mie idee in proposito riguardano speeialmente le Aplysiidae. le Tylodinidae, le Peltidae. Per le Aplysiidae, sono stato il primo a dimostrare, sin dal 1891, le loro importanti affinita con le Acere, per le quali io eostitui un’ ap- posita famiglia, e queste affinita, che furono da me largamente trattate nella mia Monografia pubblieata nel 1893, vengono oggi completa- mente riconoseiute dal Pelseneer (12 pag. 91, nota). E perö mera- viglioso che nel 1894 il Gilehrist pur giungendo alla stessa conclusione, non tenga punto conto dei miei lavori, che del resto egli conosceva, ed & ancor piü meraviglioso che sul prineipio di questo stesso anno (1899), doro che i miei lavori erano giä stati ampiamente riassemti nel „Zoologischer Jahresbericht“ e nel „Journal de Conchyliologie“, il Guiart venga anch ’egli alla stessa conclusione, senza preoceuparsi puntu di coloro che prima di lui avevano trattato lo stesso argomento!). E veramente deplorevole che si publichino lavori, senza conoscere suf- fiientemente la letteratura dell’ argomento, non fosse altro, almeno contemporanea! Per le Tylodinidae (9), nuova famiglia da me costituita, ho soste- nuto, eoncordemente al Pelseneer, che esse sono intermediarie tra Bulle e Pleurobranchi, perch@ mentre possedono la eonchiglia esterna e l’osfradio delle Bulle, possedono ancora il velo boceale, il cuore, la branchia e l’apparato riproduttore dei Pleurobranchi: ma non ho accettata l’idea del Pelseneer die collocare senz’ altro Tylodrina tra i Pleurobranchi, eome ho interamente distinto per ora, Umbrella dal le Tylodinidae, perch® quanto eonosciamo sinora sulla organizzazione di Umbrella ci farebbe fondare questa parentela solo su caratteri 4) II Gilehrist cosi si esprime: „Acera bullata ist ein Uebergangs- stadium; sie bildet einen Uebergang von einer beschalten zu einer unbeschalten Form. Beweise: Die zarte Schale, die nicht zum Schutz dienen kann, da sie weder groß noch stark genug ist. Die Entwicklung von Parapodien. Die einfache Gestalt der in der Kopfregion entwickelten Rhinophoren. Das Osphra- dium, das im Vergleich zu demjenigen der Prosobranchiaten klein ist, groß dagegen im Vergleich mit Aplysia oder anderen Formen mit stärker ent- wiekelten Rhinophoren. Acera oder eine ähnliche Form kann man als die Form ansehen, von der alle bisherigen abstammen. Acera ist wertvoll insofern sie einen Uebergang zu einem schalenlosen Zustand darstellt“ (1 p. 45). Ed il Guiart alla sua volta dichiara; „La souche des Aplysiens semble done se trouver chez les Bull&ens, dans une forme tres voisine de Acera ...* (3 p.59). ma tutto eiö era giä stato da me dimostrato sin dal 1891 e del 1893! Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi. 149 superfieiali, come la forma approssimativa della conchiglia e il grande sviluppo del piede. Inzultimo quanto alle Peltidae, contro alDayssiere, chele riteneva forme intermedie tra le Bulle e i Pleurobranchi, e il v. Ihering che le riteneva come Tectibranchi arcaili, ho sostenuto che, gl’interessan- tissimi caratteri del fegato, del rene, del cuore e dell’ apparato ripro- duttore, esse dovevano esser considerato come Pleurobranchi, ma come Pleurobranchi ridotti. Fig. 24. Pelta capreensis Mazz. II Pelseneer, fondandosi partieolarmente sull’ appareechio dige- rente {placche cornee dello stomaco) e sull’ apparato riproduttore naulo (quantunque la glandula genitale sia del 2. tipo), e non rieo- noscendo gl’interessantissimi caratteri di semplificazione offertici dal fegato (vedi $5) dal rene (vedi $3) e dal euore, ha considerato le Peltidae come Bulle, ma si affretta egli ad aggiungere, come Bulle molto differenziate!). Io invece ora, esaminando con maggiore serenitä la quistione, e dopo un nuovo ed attento studio dei miei preparati, ritengo attualmente che con tutta probabilitä noi eisiamo imbattuti nelle Peltidae in uno di quei non rari casi in eui conviene applicare il concetto della maturitä sessuale di aleune larve, le quali finiscono col non ragquingere piü lo stato adulto, concetto questo su eui giustamente insiste il Grassi. Ed io eredo appunto, attualmente, che le Peltidae non siano che larve di Tectibranchi assai vicini ai Pleurobranchi, diventate sessualmente mature, e, natu- ralmente alquanto differenziate. Esse hanno in tal modo conservato soprattutto il fegato, il rene, il euore in uno stato pressocche larvale, non hanno completato lo sviluppo del loro apparato riproduttore, che non & ancora quello di un Pleurobranchio, ma non & quello di una Bulla, mentre si sono differenzlati con la perdita della loro conchiglia e della loro cavita cocleare?) col loro sistema nervoso col loro ap- parato digerente (placche stomacali) e con l’estremo grado della loro „detorsione“ 2). 1) „Pelta constitu cependant un Bull&en (mais un Bull&en fort differencie). 10 p. 87. 2) Questo fatto & stato constatato per le prima volta dal Pelseneer 120 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Letteratura. [1] Rud. Bergh, Malakologische Untersuchungen, XVI. Heft, in: Semper’s Reisen im Archipel der Philippinen. Wiesbaden 1889. [3] J. D. F. Giichrist, Beiträge zur Kenntnis der Anordnung, Korrelation und Funktion der Mantelorgane der Tectibranchi. Inaug.- Dissert., Jena 1894. [3] Idem. On the torsion of the Molluscan body, in: Proceed. of the R. Soc. Edinburgh, Vol. XX, 1895. [4] J. Guiart, Contribution & la Phylogenie des Gasteropodes et en par- tieulier des Opisthobranches, d’apr&s les dispositions du systeme nerveux, in: Bull. Soc. zool. de France, T. 24, Nr. 2, 1899. [5] H. v. Ihering, Sur les relations naturelles des Cochlides et des Ichuo- podes, in: Bull. Seient. d. la France et de la Belg., T. XXIII, 1891. [6] &©. Mazzarelli, Intorno ali’ apparato riproduttore di aleuni Teeti- branchi. 4. Acera bullata, in: Zool. Anz., Nr. 367, 368, 1891. [7] Idem. Ricerche sulla morfologia delle Oxynoeidae, in: Mem. Soc. it. d. Sc. detta dei XL (3), Vol. IX, 1892. [8] Idem. Monografia delle Aplysiidae del Golfo di Napoli, II. parte, $ 9, Filogenia delle Aplysiidae, p. 203—205, ibidem 1893. [9] Idem. Ricerche sulle Peltidae del Golfo di Napoli, in: Mem. Accad. Se. Napoli (2). Vol. VI, 1893. [10] Idem. Intorno alle Phyllaplysia Lafonti O. Fischer, in: Boll. Soc. Nat Napoli, Vol. VII, 1893. [11] Idem. Contributo alla conoscenza delle Zylodinidae, in: Zool. Jahrb. syst. Abt., Bd. 10, 1897. [12] P. Pelseneer, Recherches sur divers Opistobranches, in: M&m. cour. et mem. d. sav. &trang. Acad. R. d. Sc. d. la Belg., T. 41, 1894. [13] Idem. Sur le manteau de Scutum (= Parmophorus), in: Mem. Soc. R. malac. de Belg., T.XXIV, 1889. [14] A. Vayssiöre, Recherches sur les genres Pelta e Tylodina, in: Ann. d. Sc. Nat. Zool., T.XV (6), 1883. Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Von ©. Fuhrmann, Privatdozent. Academie Neuchätel. (Schluss. Von den Bosminen finden sich zwei Arten, die ich aber nicht ge- sondert gezählt habe. Wir finden deshalb in der Zähltabelle zwei Maxima, von welchen das erste im Dezember (ca. 2600 Ind.) wohl Bosmina coregoni, das zweite im Mai (ca. 3500 Ind.) Bosmina longirostris an- gehört. nel 1889 (13) eontro il Vayssiere, il quale nel 1883 (14) aveva creduto di ritrovare in Pelta conchiglia e cavitä cocleare. Secoudo Rud. Bergh nel gen. Ildica, delle coste dell’ isola Maurizio, da lui descritto, esisterebbe pers una piccolissima conchiglia esterna. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. DT Im Plöner See findet sich das Maximum für B. longirostris im Juli mit ea. 740000 Individuen (B. cornuta und longirostris sind iden- tisch; die Zahlen für diese beiden Formen, sind also bei Apstein zusammenzuzählen). Bosmina coregoni zeigt im Plöner See seine Haupt- entwicklung im Monat November (31616 Ind.). Bythotrephes longimanus findet sich im Neuenburger See das ganze Jahr (Januar?); im Juni erreicht die Entwicklung ihr Maximum mit nur 290 Individuen. Leptodora hyalina fehlt im Winter und erreicht ihr Maximum im Juli mit 450 Individuen. Im Dobersdorfer See erscheint diese Art im April und verschwindet im Oktober; ihre Hauptentwicklung erreicht sie ebenfalls im Juli mit 16600 Individuen, im Plöner See mit 2888 Individuen. F An den Cyelopiden und Diaptomiden habe ich keine genaueren Zählungen ausgeführt. Von den vier vorkommenden Arten finden sich Oyclops strenuus und Diaptomus laciniatus im Vergleich zu den beiden anderen Species in bedeutend geringerer Individuenzahl. Wir ersehen aus Obigem, dass die Zahl der Individuen für die einzelnen Arten für den Neuenburger See bedeutend geringer ist und dass ferner viele Arten einen ganz anderen Lebenszyklus, andere Zeit- punkte größter Entwicklung zeigen, als in den norddeutschen Seen. Ueber die horizontale Verbreitung des Planktons kann ich leider nicht viel aussagen, da ich meine Fänge immer andemselben Ort ge- machthabe. Doch zeigen einige Fänge im Neuenburger See (z. B.21. April) und Fangserien aus dem Genfer See, sowie auch das Studium der Fangresultate von Prof. Yung in demselben Wasserbecken, dass Schwärme allerdings selten, die gleichmäßige Verteilung des Planktons aber so aufzufassen ist, dass die Planktormengen gefischt an gleichtiefen Stellen in der Regel gleichgroß sind, dass aber an sehr verschieden tiefen Stellen, wie solche an unseren zahlreichen großen und tiefen Seen vorkommen, auch die Planktonmenge, ja sogar die Zusammensetzung des Planktons eine ziemlich verschiedene sein kann!). In den von Apstein und Zacharias untersuchten Wasserbecken, die wenig und gleichmäßig tief sind, wird allerdings auch die Verteilung eine gleich- mäßige sein, so dass in der Regel ein einziger Fang genügt, um, wie Apstein sagt, über die Produktion des Sees und die Zusammen- setzung der Organismenwelt für einen bestimmten Tag Aufschluss zu erhalten. Derartige Bestimmungen der Produktion eines Sees können allerdings auch in tiefen Seen gemacht werden, wenn es auf Ab- weichungen von 100°, und mehr nicht ankommt! 4) H. Ward, A biological amination of Lake Michigan. Bull. of the Michigan Fish Commission, Nr, 6, 1896. Die Tabellen und Kurven dieser Autoren zeigen ebenfalls die so eben erwähnten Verhältnisse als bestehend für den Michigansee. Siehe auch Yung loe. eit. 122 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Schwärme kommen, wenn auch selten, vor; so habe ich im Juli einen solchen von Leptodora hyalina konstatieren können. Es zeigt nämlich die Stufenfangserie dieses Monats, dass der Fang aus 20 m bedeutend mehr Plankton enthielt als die Fänge aus 30 und 40 Meter. Die Zählung der Fänge hat ergeben, dass die Ursache dieser Erschei- nung in der großen Zahl von Leptodora hyalina lag, welche der 20 m Fang enthielt. Im Genfer See scheinen nach Prof. Yung (l. e.) solche lokale Ansammlungen von Plankton verhältnismäßig häufig zu sein. So habe ich in dem Material von Prof. Yung, das mir derselbe gütigst zur Besichtigung überließ, eine sehr starke Ansammlung von Sida limnetica bei St. Gingolph (in 2 Fängen um 140 m Tiefe zusammen ca. 400 Exemplare) konstatieren können, während zu derselben Zeit in der Nähe des gegenüberliegenden Ortes Montreux, obwohl daselbst mehrere Fänge (4) aus großer Tiefe (bis 120 m) gemacht worden sind, sich nur wenige Exemplare fanden (in den 4 Fängen zusammen 10 Exem- plare). Auch die Individuenzahl der anderen Arten war eine sehr verschiedene; so notierte ich in den Fängen von Montreux: Heliozoen, Rotatorien als sehr zahlreich, während in den Fängen bei St. Gingolph Rotatorien selten und Heliozoen ganz fehlten. Diese Beispiele zeigen deutlich, dass das Plankton nach Quantität und Zusammensetzung an nahegelegenen Punkten sehr verschieden sein kann. Ward (l. ec. p.64) hat im Michigansee ebenfalls einen Schwarm von Limnocalanus beobachtet. So hätten wir also bereits mehrere, mittels Vertikalfängen deutlich festgestellte Ansammlungen oder Anhäufungen von Planktonorganismen konstatiert. Zahlreichere Untersuchungen, namentlich in großen Seebecken, werden gewiss zeigen, dass diese Ausnahmefälle nicht gar so selten sind. Was nun die vertikale Verbreitung des Planktons anbetrifft, so ist dieselbe im Neuenburger See (überhaupt in den Schweizer Seen), wie längst bekannt, eine ganz andere als in den Seen Norddeutsch- lands und Amerikas. Hierauf habe ich bereits in einem Aufsatz in dieser Zeitschrift (1899, Nr. 17) hingewiesen und will nun die durch Zählung der Stufenfänge erhaltenen Resultate etwas näher ausführen und durch einige Beispiele belegen. Was die vertikale Verbreitung des Planktons als Ganzes betrifft, so zeigt es sich, dass während in den norddeutschen Seen (diese will ich hauptsächlich zum Vergleiche heranziehen, da sie am genauesten untersucht) sind die Hauptmasse des Planktons sich an der Oberfläche findet. Diese Region ist im Neuenburger See und anderen Schweizer- seen fast frei von tierischen Planktonorganismen. Erst in einer Tiefe von 2 oder 5 m erscheint das Letztere reichlicher. Außer den in dem schon erwähnten Aufsatz angegebenen Bei- spielen will ich hier noch ein weiteres anführen um diese Verhältnisse mit dem Plöner See vergleichend zu illustrieren. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 193 Neuen- | Pjöner Neuen- | pjöner Ri Ser See Planktonmenge S = See Planktonmenge De6 | per Kubikmeter De AI N. | SS NT: | AN SEN BENER ZUSNT RB. VI. in der Zone 0-2 m 76cm? || in der Zone 0-2 m 38 cm? 205, mI2,Scm! 052m EOHIemE Bere, 2-00 13 2cmale na 2 Hm Dem? nr 540m HIem! | IH2cmil, 5 „ .5=10 m '2cm?’ 3cm? 1020 13,2 Cm! Me 10 20m El iem? ” ” ” 10—40 m 60,8 cm? 020 30m #7 em® Dr ZAUEm 2 cm? | ” ” ” 20—30 m 0,7 cm? „ n „ 30—40 m 6,6 cm? R a R 30—40 m 0,6 cm? Dieses Beispiel zeigt des deutlichsten, wie ungemein groß die Unterschiede in Quantität und vor allem in der vertikalen Verteilung des Planktons in den beiden Seengebieten, sind. Apstein sagt, dass das Plankton am dichtesten in einer oberflächlichen Schicht von nur einigen Centimetern sich findet. Um zu untersuchen, ob ähnliches im Neuenburger See der Fall, habe ich mit einem Kessel eine bestimmte große Quantität Wasser aus einer Oberflächenschicht von ca. 10 cm Dicke geschöpft und dieselbe durch das Planktonnetz filtriert; das Resultat war, dass ich eine ganz geringe unmessbare Menge von im Wasser suspendierten Verunreinigungen desselben erhielt, welchen einige wenige tierische Organismen und zahlreichere Algen beigemengt waren. Ein ähnliches Resultat erhält man auch bei Vertikalfängen aus 2 m in vielen Fällen sogar aus 5 Meter Tiefe. Tierisches Plank- ton — dieses allein habe ich gezählt und genauer untersucht — findet sich in dieser Oberflächenzone (0—2—-5 m) bei hellem Sonnenschein sozusagen keines (s. unten S. 127). Sobald aber der Himmel bedeckt oder dichter Nebel auf dem See lagert, ist die aus der obengenannten Oberflächenzone gefangene tierische Planktonmenge messbar d. h. dieses viel zahlreicher vorhanden (siehe Tabelle 1). Bei Nacht ist die Oberfläche reich belebt, so dass durch Vertikal- fänge leicht zu konstatieren, dass vertikale Wanderungen stattfinden !). 4) Zur Illustration der vertikalen Wanderung will ich hier nur ganz kurz, ohne weiteren Kommentar, einen Teil der bei einem Tag- und Nacht-Fang im Genfersee bei Evian les Bains (Tiefe 120 m) erhaltenen Resultate anführen. Am Tage (4!/, Uhr) erhielt ich bis zu 5 m mit meinem großen Planktornetz (Durchmesser 24 cm) unmessbare Quantitäten von Plankton. Unter dem Quadratmeter fanden sich von 0—10 cm Tiefe: 32 Polyarthra, 16 Ploesoma, 12 Scapholebris mucronata, 2 Bosmina; von 0—1,50 m fanden sich 17,600 Polyarthra, 66 Ploesoma, 22 Notholca longispina, 22 Scapholebris, 22 junge Cyelops; von 0—5 m: 88,000 Polyarthra, 170 Ploesoma, 523 Notolca, 350 junge Bosmina, 520 junge C’yclops und 350 Nauplien. 3!/, Stunden nach Sonnenuntergang (11!/, Uhr) fanden sich von 0—10 em nnter dem Quadratmeter 0,5 em? Plankton, bestehend aus: 700 Polyarthra, 40 Anurea, 40 Pompholyx, 80 Notolca, 40 Ploesoma, ferner 800 ausgewachsene 124 Fuhrmann. Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Eine Erklärung dieser so verschiedenen vertikalen Verteilung der- selben Planktonorganismen in den beiden Seengebieten, werde ich am Schlusse des Aufsatzes zu geben versuchen. Zunächst scheint auf die Verteilung des Planktons die verhandene Planktonmenge einen gewissen Einfluss zu haben. Bei großem Plankton- reichtum findet sich verhältnismäßig mehr Plankton an der Oberfläche als in den planktonarmen Monaten. Vergleichen wir z. B. zum Be- weise dieser Thatsache die Verteilung des Planktons in je einem Monat der vier Jahreszeiten, so finden wir folgende Verhältnisse: Zeit des 0-3 m 2,2 cm? Maximums JNovember 3_50 m 33 cm? Zlankıon a der Mai 0—2 m 33,4 cm? N Er kt! Produktiont 2—40 m 57,9 cm? % A Zeit des (März 0—2 m 0,22 cm? Minimums 2—40 m 14,74 cm? 2 der ; 0—2 m unmessbar Produktion [J1ni 2—40 m 11 cm? ” Aus diesen Zahlen ersehen wir, dass das Verhältnis der Plankton- menge der Oberfläche zu der der darunter befindlichen Wasserzone in den Monaten des Maximums sich verhält wie 1:15 und 1:2; im den Monaten des Minimums der Produktion dagegen, wie 1:67 im März, während im Juni die Planktonarmut der Oberfläche im Vergleich zu der vorhandenen Planktonmenge noch viel bedeutender ist. Etwas ähnliches scheint Zacharias beobachtet zu haben, doch lassen sich wegen der ungeheuren Vegetation die sich in den norddeutschen Seen an der Oberfläche findet, diese Verhältnisse nicht deutlich erkennen. Betrachten wir nun die vertikale Verteilung einzelner Organismen und vergleichen wir ihr Verhalten im Neuenburger See mit dem in und 60 junge Diaptomus gracilis, 300 Cyelops Leuckarti, 40 Cyelops strenuus, 40 Nauplien, 60 Bosmina, 40 Leptodora, 4 Bythotrephes, 20 junge Sida limnetica. Von 0—1,50 m (7,3 em? Plankton) fanden sich 17,600 Polyarthra, 44 Ploesoma, 1760 Pompholyz, 220 Anurea, 18260 ausgewachsene, 660 junge Diaptomus, 7260 Cyclops Leuckarti, 2000 CO. strenuus, 220 Nauplien, 100 Sida limnetica, 220 Bosmina, 1760 Leptodora. Von 0—5 m aber (12 em? Plankton) 88,000 Polyarthra, 17,600 Pompholyz, 48,000 Notolca, 9900 Anurea, 3300 Gastropus, 198,000 ausgewachsene und 8800 junge Diaptomus, 56,100 Cyclops Leuckartü, 3850 C. strenuus, 16,500 Nauplien 1100 Sida limnetica, 1100 Daphnia hyalina, 260 Bosmina, 1100 Leptodora 130 Bythotrephes. Wir finden also während der Nachtzeit eine starke Vermehrung des Plank- tons an der Oberfläche, die wohl erst einige Stunden später, kurz vor Sonnen- aufgang, ihr Maximnm erreicht. Diese Zunahme der Planktonquantität ist einzig auf Rechnung der thätigen Wanderung zu setzen und keineswegs, wie gewisse Autoren annehmen, auch auf Vermehrung gewisser Organismen und Umwandlung der Nauplien in Copepoden! zurückzuführen. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. 125 den norddeutschen Seen, so finden wir bedeutende und interessante Ver- schiedenheiten. Nehmen wir zum Studium der vertikalen Verteilung die Zählresultate der im November und März gemachten Stufenfänge, so finden wir folgende Verhältnisse: Im November zeigt die Oberflächenzone von 0—3 m Tiefe 2,2 em? Plankton unter dem Quadratmeter, von welchen die Hauptmasse von Verunreinigungen und von Stentor polymorphus gebildet wird; es finden sich außerdem 110 Polyarthra, 220 Gastropus und ebensoviele Notholca longispina. Von Ürustaceen fanden sich nur 330 junge Bosminen, 220 junge Cyclops Leuckarti, 240 junge Diaptomus gracilis und ca. 350; Nauplien. In der Zone von 3—5 m kommen zu den obengenannten nur hinzu: Anurea mit 300 Individuen, Ceriodaphnia mit 200 Individuen und Cyelops strenuus mit 100 Individuen. Unterhalb 3 Meter nun er- scheinen erst die übrigen Planktonorganismen in größerer Zahl. In der Zone von 5—10 m finden wir 450 Floscularia, 2200 Individuen von Conochilus, 450 Polyarthra, 120 Triarthra, 3300 Gastropus, einige Anapus, 450 Anurea, 2000 Notholca longispina und 4000 Pompholgx suleata. Wir finden ferner: 700 Diaphanosoma, 150 Daphnia hyalina, 110 COyelops strenuus, sebr viele ©. Leuckarti und D. graceilis. Es fehlen aber immer noch: Sida limnetica, Diaptomus laciniatus, Lepto- dora und Bythotrephes, welche eigentliche Tiefenformen sind, besonders die beiden Ersteren. Dieselben erscheinen in der Regel erst unterhalb 30 m. Untersuchen wir in gleicher Weise die Verbreitung der Plankton- tiere im Monat März (Minimum), so finden wir in der Zone von 0—2 m 0,22 cm? Plankton, das wieder hauptsächlich aus Verunreinig- ungen und Diatomeen besteht. Es fanden sich ferner unter dem Quadratmeter: 22 Polyarthra, 22 Anurea, 20 junge Daphnia hyalina, 22 Bosminen, wenige junge Cyclops Leuckarti, Diaptomus gracilis und einige Nauplien. Von 2—5 m ist die Zusammensetzung des Planktons noch dieselbe. In der Zone von 5—10 Meter erscheinen Asplanchna (140 Ind.), Synchaeta pectinata und Polyarthra (je ca. 340 Ind.), Gastropus und Notholca (je ca. 120 Ind.), Daphnia hyalina (40), Bosminen (100), Bythotrephes, Cyclops Leuckarti, Diaptomus graeilis ziemlich häufig, sogar Diaptomus laciniatus zeigt sich ausnahmsweise bereits in wenigen Exemplaren. In der Zone von 10—40 m finden wir dann: 100 Cono- chilus unicornis, 900 Asplanchna, 900 Polyaıthra, 450 Triarthra, ferner Gastropus (100), Anurea (100), Notholca (1100). Die Crustaceen habe ich nicht gezählt, doch ist eine bedeutende Vermehrung der Individuen leicht sichtbar. Betrachten wir nun ganz kurz und summarisch die vertikale Ver- teilung einzelner Organismen, wie sie sich aus der Zählung aller Stufenfänge ergiebt, so sehen wir, dass in der Oberflächenzone von 0—2 Meter Rotatorien gewöhnlich nicht vorkommen; Ausnahme machen einzig Polyarthra, Ploesoma und Notholca die in wenigen Exemplaren 126 Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. in derselben sich finden können. Floscularia, Conochilus, Asplanchna, Triarthra, Notholca, Mastigocerca und Pompholyx erscheinen in der Regel erst unterhalb 5 Meter. Triarthra und Notholca auch Asplanchna haben die Hauptmasse der Individuen unterhalb 20 m konzentriert. Die Crustaceen zeigen sich ebenso leukophob wie die Rotatorien. In der Oberflächenzone (O—2 m) finden wir höchstens junge Bosminen, sehr selten junge Daphnia, ferner junge Entomostraken. Selten sind eier- tragende Individuen, am ehesten noch solehe von Diaptomus gracilis, aber immer nur in sehr geringer Zahl vorhanden. Das Gros der Crustaceen und besonders die geschlechtsreifen Formen sind erst unterhalb 2 m zu treffen. Cyelops strenuus zeigt sich oft erst unterhalb 20 m häufig, während Sida limnetica und Diaptomus laciniatus in der Regel erst unter- halb 30 m erscheinen. Diese beiden letzteren sind viel ausgesprochenere Tiefenformen als die bis jetzt als solche angesehenen Cladoceren Leptodora und Bythotrephes. Es können diese beiden Formen bereits unterhalb DB m sich nicht selten, sogar, wie schon von Vielen beobachtet, am Tage an der Oberfläche sich finden, was für die beiden Oben- genannten nie der Fall. Sehen wir nun, wie die Verhältnisse in den norddeutschen Seen liegen, so können wir der Kürze halber zusammenfassend bemerken, dass dort alle Planktontiere, in sehr großer Zahl, meist am häufigsten in der Oberflächenschicht von O—1 m zu finden (s. Apstein loe. eit. Tab. auf S.77 u. 78). Wie wir gesehen, ist im Neuenburger See und den übrigen großen Schweizerseen sowie den Alpenseen gerade das Gegenteil der Fall. Woher nun diese Verschiedenheit in den Gewohn- heiten derselben Tierspecies in den beiden Gebieten? Apstein und Zacharias glauben, dass der Grund der oberfläch- lichen Konzentration der Tiere im Nahrungsbedürfnis derselben liegt, da sich dieselben hauptsächlich von mikroskopischen Algen ernähren. Meine Beobachtungen am Neuenburger See, Genfer See nnd den Alpen- Seen zeigen, dass dies nicht der Grund dieser Erscheinung sein kann, schon deshalb nicht, weil wegen der viel geringeren Menge von Phyto- plankton in letzteren die Tiere noch mehr als in den norddeutschen Seen gezwungen wären, an der Oberfläche zu erscheinen. Der Haupt- grund der eigentümlichen vertikalen Verteilung liegt nicht in der Er- nährungsfrage der Rotatorien und Crustaceen, wohl aber in ihrer Em- pfindlichkeit gegen direktes Sonnenlicht. In allen norddeutschen Seen ist die Entwicklung des Phyto- planktons eine so ungemein starke, dass fortwährend ein leichter, die unteren Wasserschichten beschattender Schleier sich an der unmittel- baren Oberfläche des Wassers findet, der besonders zur Zeit des Maxi- mums der Entwicklung sehr viel Licht absorbieren muss. Unter dem Schutze dieses Schleiers nun können die tierischen Organismen bis nahe an die Oberfläche herankommen, ohne von den direkten MazzarelliÄ, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranehil. 111 Ed & strano intanto che mentre la descrizione data dalPelseneer &, come si vede, poco esatta, & esatta invece la sua figura, che &, si piü dire, identica alla mia, come it lettore poträ giudieare egli stesso (Fig. 14 e 15)'). In tutti gli altri Teetibranchi il fegato, variamente concamerato, sbocea per condotti multiplichi nello stomaco, sia, come nelle Aplisie, in un particolare diverticolo del tubo digerente, detto „eieco epatico“, il eui valore fisiologico, che nemmeno il Zuccardi aveva compreso (?) fu anche da me messo in luce. Infatti io ho potuto dimostrare, che la eavitä di questo cieco & divisa in due docce da un sepimento inter- medio incompleto, e che il eibo, penetrato in questo eieco da un lato (una delle docce), ne esce per l’altro (l’altra docecia), e puö cosi im- pregnarsi del liquido epatico, che eontinuamente si aceumula nel cieco stesso. E questo, senza dubbio, uno punto assai interessante del meca- anismo della digestione delle Aplisie. Letteratura. [1] H. Fischer, Recherches sur la Morphologie du foie des Gasteropodes, in: Bull. Se. de la France et de la Belg., T. XXIV, 1892. [2] G. Mazzarelli, Note anatomiche’sulle Aplysiidae. in: Bull. Soe. Natur. Nap., Vol. V, 1891. [3) Idem. Monografia delle Aplysöidae del Golfo di Napoli, in: Mem, Soc it. d. Se. detta dei XL (3), Vol, IX, 1893. [4] Idem. Ricerche sulle Peltidae del Golfo di Napoli, in: Mem. Accad. Se. Nap. (2), Vol. VI, 1893. [5] Idem. Intorno al tubo digerente ed al „centro stomato-gastrico“ delle Aplisie, in: Zool. Anzeiger, Bd. 22, Nr. 587, 1899. [6] P. Pelseneer, Recherches sur divers Opisthobranches, in: M&ın. cour. et mem. d. sav. Etrang. Acad. R. d. Sc. de la Belg., T. 41, 1894. VI. Comunicazione sanguigna reno-auriculare. Remy Perrier nelle sue ricerche sul rene dei Prosobranchi [8] notö che mentre nella maggior parte di quest Gasteropodi il sangue dalle lacune renali passa direttamente in quelle branchiali, per poi, ossigenatosi, riversarsi nel cuore, in aleuni invece (ad es. Vermetus) dalle lacune renali si versa direttamente nell’ orecchietta del cuore, mentre nell’ orecchietta stessa si versa anche quello proveniente dalla branchia, nella quale perviene direttamente dalle lacune del corpo. Cosiechi nell’ oreechietta del cuore di questi Gasteropodi si 1) Questa considerazione & stata fatta anche daHenri Fischer, il quale nel fasc. 2 dal vol. 46° (1898) del suo Journal de Conchyliologie a p.188) facendo la recensione del lavoro del Pelseneer, osserva in una nota quanto segue: „En ce point (orifizi epatiei multipli in Pelta) M. Pelseneer est en contradietion avee M. Mazzarelli, qui de&erit seulement deux orifices hepati- ques; toutefois la fig. 56 de Pelseneer et la fig. 23 de Mazzarelli, sont d’accord et ne montrent que deux orifices*, 442 -Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi. mescolano il sangue venoso proveniente dal rene e il sangue arteriosa proveniente dalla branchia!). Era quindi interessante eonosere quale tra le due disposizioni indicate si manifestasse nei Teetibranchi. Le mie ricerche, eseguite su quasi tutti i Teetibranchi del Golfo hanno mostrato, che anche in questi Gasteropodi, come nei Proso- branchi, Fig. 16, Comunicazione reno-aurisi possono dare i due culare nello Scaphander lignarius. Ora & bene che si sappia che casi su menzionati; ma che la co- municazione sanguigna reno-auriculare & molto piü frequente nei Teeti- branchi che nei Prosobranchi. Fig. 16. v® — ventricolo del cuore. au — orechietta. pe = pericardio. MH ==StONG: v.br — vena branchiale. n.au — eommunicazione reno-aurieulare. n.p = condotto reno pericardico. Infatti questa comunicazione manca nell’ Actaeon, nell’ Haminaea, nella Bulla, nel Gastropteron, nella Philine e nella Pelta, mentre esiste invece nello Scaphander, nel Doridium, nell’ Umbrella?), nell’ Acera, nell’ Aplysia nell’ Aplysiella, nel Notarchus, nell’ Osanius, nel Pleurobranchus, nella Pleurobranchaea e forse anche nella Tylodina e nella Tyloninella. H. Pelseneer [6] non ha punto notato questo fatto, che io misi in Juce per le Aplisie sin dal 1391 e successivamente per le altre specie nel 1894; n& esso & menzionato nei piü recenti Trattati, nem- meno in quello dello stesso Pelseneer [7]. 1) A proposito della branchia & opportuno ricordare che il Gilchrist, Beitr. zur Kenntnis der Anordnung, Korrelation und Funktion der Mantel- organe der Tectibranchiata. Inaug.-Diss., Jena 1894, p. 20) cosi ne descrive la struttura: „Außer einigen kleinen Zellen mit eiförmigem Kern, findet man große, stark bewimperte Zellen, sie sind aber nicht zahlreich. Die Cilien bilden einen diehten Büschel; man kann sehen, dass sie durch die Cutieula treten. Das Protoplasma dieser Zellen ist ziemlich grob granuliert. 2) Nell’ Umbrella una simile disposizione era stata osservata dal Moquin- Tandon (5), questa particolare struttura era stata deseritta-figurata esatta- mente da me l’anno precedente (1893) nella mia Monografia delle Aplysiüdae, e due anni prima nelle mie ricerche sul Lobiger (2). Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Teetibranchi. 113 Letteratura. [1] 6. Mazzarelli, Note anatomiche sulle Aplysüdae, in: Boll. Soc. Nat. Nap., Vol. V, 1891. [2] Idem. Ricerche sulla morfologia delle Oxynocidae, in: Mem. Soe. it. d. Sc. detta dei XL (3). Vol. IX, 1892. [3] Idem. Monografia delle Aplysiidae del Golfo di Napoli, in: Mem, Soc. it. d. Sc. detta dei XL (3), Vol. IX, 1893. [4] Idem. Intorno al rene dei Tectibranchi, in: Mon. Zool. ital., Vol. V, 1894. [5] 6. Moquin-Tandon, Recherches sur l’Ombrelle de la Mediterrande, in: Ann. Sc. Nat. Zool. (5), t. XIV, 1870. [6] P. Pelseneer, Recherches sur divers Opisthobranches, in: Mem. cour. Acad. R. Sc. de la Belg., t.41, 1894. [7] Idem. Mollusgnes, in: R. Blanchard. Trait& de Zoologie, Fasc. XVI, 1898. [8] R. Perrier, Recherches sur l’Anatomie et l’Histologie du rein des Gasteropodes prosobranches, in: Ann. Se. Nat. Zool. (7), t. VILL, 1887. VI. Gangli ottici. Tra gli Opistobranchi sono stati deseritti piü volte dei gangli ottiei Nudibranchi, ma nei Tectibranchi si credeva che non esistessero. Le mie ricerche hanno invece dimostrato sin dal 1891, che un piecolo ganglio ottico esiste nelle Aplisie, senza che nessun Autore lo avesse mai scorto (1 e 2). Questo ganglio, unito al corrispondente ganglio cerebrale mediante un corto peduncolo, ed avvolto con questo nella membrana connettivale che ricopre i centri nervosi, in modo da non potersi quasi riconoscere ad occhio nudo, & costituito soltanto di poche cellule ganglionari, ed & situato in corrispondenza del margine anteriore e laterale del ganglio cerebrale stesso, immediatamente dietro l’origine del nervo olfattorio (III. paio dei nervi cerebrali). Fig. 17. Fig. 17. Sezione del ganglio cerebrale destro e del ganglio ottico corri- spondente nell’ Aplysiu punctata (x 140). ce = commissura cere- brale. g.c = ganglio cerebrale. me — membrana conet- terale. g.o = ganglio ottico. no — origine del nervo ottico. Un ganglio simile al preeedente, e similmente disposto, & stato da me osservato anche nell’ Acera bultata |4|. Tanto perö nelle Aplisie xXX. 414 Mazzarelli, Note sulla Morfologia dei Gasteropodi Tectibranchi. che nell’ Acera manca che ganglio olfattorio, sebbene, possa dirsi che nelle-Acere questo esista allo stato rudimentale, perche il nervo olfat- torio, alla sua uscita dal ganglio cerebrale si rigonfia alquanto e pre- senta sempre in quel punto qualche cellula ganglionare. Nelle Bulloidee manca in generale il ganglio ottico (Haminea) ed esiste invece un ganglio ae molto sviluppato. Nelle Peltidae, invece esistono tanto i gangli olfattori che i gangli ottiei, situati, rispettivamente, l’uno dietro l’altro in corrispondenza del margine anteriore e laterale del ganglio cerebrale corrispondente |3]. Letteratura. [1] 6. Mazzarelli, Note anatomiche sulle Aplysüdae. I. Ganglio ottico, in: Boll. Soc. Nat. in Napali. Vol. V, 1891. [2] Idem. Monografia delle Aplyslidae des Golfo di Napoli, in: Mem. Soc. it. d. Se. d. d. XL, T. IX (3), 1893, p. 104. [3] Idem. Ricerche sulle Peltidae del Golfo di Napoli, in: Mem. R. Accad, d. Se. Nap., Vol. VI (2), 1893. [4] Idem. Intorno al cosi detto „apparato olfattori* delle Bulle, in: Rie. Lab. an. um. norm. R. Univ. Roma, 1894. VII. Organo di Hankock. Sotto il nome di „organo di Hankock“ & stato da me studiato quell’ organo di senso giä deseritto dall’ Hankock stesso nelle Bulle Fig. 18. Fig. 19. Fig. 20. Ha NE U RN N N Fig. 18. Schema dell’ organo di Hankock in un Bullideo tipico. Ha = porzione anteriore; Hb — porzione mediana; Hc — porzione posteriore; pl = pleuropodi. Fig. 19. Schema dell’ organo di Hankock nell’ Haminea hydatis. Fig. 20. Schema dell’ organo di Hankock nell’ Acera bullata (la porzione anteriore, che riveste il cavo orale e le vieinanze della bocca, & tratteggiata e s’immagina vista per trasparenza). Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. AT Sonnenstrahlen belästigt zu werden. Das Wasser dieser Seen ist meist weniger als halb so durchsichtig wie das unserer klaren Seen; ein Beweis, dass eben sehr viel Licht oberflächlich absorbiert wird. In unseren Wasserbecken dagegen, wo das Phytoplankton verhältnismäßig sehr gering, das Wasser sehr rein ist, ziehen sich die tierischen Orga- nismen, um sich dem direkten Sonnenlicht zu entziehen, bis in eine Tiefe von mindestens 2 Metern zurück, um sobald sich der Himmel bedeckt oder die Nacht hereintritt wieder an der Oberfläche, dem besten Weideplatz, zu tummeln. So erklärt sich, wie mir scheint, auf die einfachste Weise diese eigentümlichen Differenzen in der vertikalen Verteilung des Planktons sowie auch zugleich die Erschei- nung der vertikalen Wanderungen. Die S. 123f. gemachten Maß- angaben sowie eine Beobachtung von Zacharias scheinen mir für meine Ansicht einen Beleg zu geben. Zacharias beobachtete, dass im Sommer (Maximum der Planktonproduktion) die Crustaceen sich der Mehrzahl nach in der Oberflächenschicht von O—10 m finden, während sie im Winter (Zeit des Minimums) gleich oder stärker in der Tiefe vertreten sind. Zacharias glaubt den Grund in den durch das Untersinken der absterbenden Algen bedingten günstigen Ernährungs- verhältnissen in der Tiefe sehen zu müssen. Mir scheint aber, dass der Grund der Verteilung hauptsächlich in der im Winter fast doppelt so großen Transparenz des Wassers zu suchen ist. Die Zahl der ab- sterbenden und untersinkenden Algen ist wohl immer so groß, dass die Tiere der Pflanzen wegen uicht gezwungen sind, an die Oberfläche zu kommen; das beweisen die Verteilungsverhältnisse des Planktons in unseren Seen. Dass das Licht nicht der einzige Grund ist für das eigentüm- liche Verhalten der Tiere in den norddeutschen Seen scheint mir sehr wahrscheinlich zu sein. Es sind diese Wasserbecken alle ungemein reich an gelösten organischen Substanzen (viel Humussäure), was schon die braun- grüne Farbe des Wassers verrät, die gar nicht in der Forel’schen Farbenskala zu finden ist!). Dieser Reichtum der organischen Sub- stanz bedingt den großen Reichtum an Phytoplankton und dieser wohl die große Individuenzahl der tierischen Organismen. Durch diesen Reichtum an organischer Substanz und an Plankton nähern sich die sehr wenig tiefen norddeutschen Seen mehr großen Sümpfen als eigentlichen Seen. Doch nicht nur die chemische Zusammensetzung des Wassers und die ungeheure 10—40mal stärkere Entwicklung des Planktons in diesen Wasserbecken weisen darauf hin, dass wir es hier mehr mit Sümpfen oder Uebergangsformen zwischen Sumpf und See, oder doch einer ganz anderen Kategorie von Seen zu thun haben, AM Forel, Le Leman 1892 u. 1895; W. Ule, Die Bestimmung der Wasser- farbe in den Seen. Petermann’s Mitt., 1892, Heft III, S. 70. 4128 Torre, Botanische Tabellen. — Anzeige. sondern auch die Komposition des Planktons selbst weist zahlreiche typische Sumpfformen auf, die bis jetzt in unseren Seen nicht im Plankton gefunden wurden. Hier haben wir unter den Pflanzen nament- lich die Vertreter der Familie der Desmidiaceen und Volvocineen sowie gewisser Peridineen zu nennen, die bei uns eigentliche Sumpfformen sind. Unter den Tieren ist es Conochilus volwox der nie in Seen vorkommt. Ferner sind gewiss Castrada radiata, Chydorus sphaericus, 80wie Atax und Curvipes niemals als eigentliche Planktonorganismen von Seen, sondern als nur im Teichplankton vorkommende Tiere anzu- sehen. Von den untersuchten norddeutschen Wasserbecken sind deshalb ein Teil wohl eher als große Sümpfe aufzufassen (Passadersee, Molfsee, Westensee, Dobersdorfersee ete.). Die tieferen Holsteinschen Seen aber, von welchen keiner eine mittlere Tiefe hat, die viel mehr als 20 Meter beträgt (es findet sich also der größte Teil des Seebodens in einer Tiefe, in der Makrophyten gedeihen können), gehören einer ganz be- sonderen Kategorie von Seen an, wie sie in der Schweiz kaum ver- treten ist. So erklärt sich auch die zum Teil große Verschiedenheit meiner Resultate von den von Apstein und Zacharias beobachteten Thatsachen. [93] K. W. v. Dalla Torre, Botanische Bestimmungs- Tabellen für die Flora von Oesterreich und die angrenzenden Gebiete von Mitteleuropa, zum Gebrauch beim Unterricht und auf Exkursionen zusammengestellt. Zweite umgearbeitete und erweiterte Auflage. Wien 1899. Alfred Hölder. 16. 180 Seiten. Wegen Ihrer Handlichkeit werden die Tabellen für Exkursionen brauchbar sein. Der Einteilung ist das Engler’sche System zu grunde gelegt und die Nomenklatur nach dessen natürlichem System angewandt. Die frühere dritte Tabelle, das Linn&’sche System enthaltend, ist mit Recht in dieser Auflage fortgelassen. B. [49] Die Dresdner Gesellschaft zur Förderung der Amateur - Photographie beabsichtigt, im Mai d. J. in Dresden eine Ausstellung für wissensehaftliehe Photographie zu veranstalten, welche einen Ueberblick über die wichtigsten Anwendungen der Photographie für wissenschaftliche Zwecke, insbesondere auf Astronomie, Geologie, Meteorologie, Medizin, Mikroskopie, Physik und Chemie, Militär und Ingenieurwesen, beschreibende Naturwissenschaften, Krimi- nalistik, Farbenphotographie u. s. w., gewähren soll. Zur Beteiligung werden auch Nichtmitglieder höflichst eingeladen. Nähere Auskunft erteilt der II. Vor- sitzende der Gesellschaft, Herr Redakteur Hermann Schnauss, Dresden- Striesen, Wittenbergerstr. 26. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Ventralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der RE ERSER in em eyalie Dane Bilden einen Ba ande Preis a. Barden) 20 Mare Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 1. März 1900. Nr$, Inhalk: de Vries, Sur la feeondation hybride de Palbumen. — von Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene (2. Stück). — Gräfin M. v. Linden, Die ontogenetische Ent- wicklung der Zeichnung unserer einheimischen Molche. — Henri, Ueber die Raumwahrnehmungen des Tastsinns. Ein Beitrag zur experimentellen Psycho- logie. — Baldwin, Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse. — Aus den Verhandlungen der 84. Jahresversammlung der schweizeri- schen naturforschenden Gesellschaft. Neuenburg am 30, Juli bis 2. Aug. 1899. — P. u. F. Sarasin, Die Landmolusken von Celebes.. Hugo de Vries, Sur la fecondation hybride de Yalbumen. Comptes rendus de l!’Ac. d. Sc. Paris, 4 Dee. 1899'). Die Untersuchungen von Nawaschin und Guignard haben gelehrt, dass das zweite Spermatozoid im Pollenschlauch der Angiospermen zur Befruchtung des Embryosackkernes dient, dass somit auch das Endosperm durch Befruchtung entsteht. Im Falle von Kreuzung muss somit ein Bastardendosperm neben dem Bastardkeime gebildet werden. Ein schönes und bequemes Objekt, um die Richtigkeit dieser Folgerung zu demonstrieren, liefert der Zucker-Mais. Seine Körner sind runzlich, durchscheinend, und enthalten im Endosperm Zucker statt Stärke; sie unterscheiden sich also auch äußerlich und für das unbewaffnete Auge leicht vom gewöhnlichen Mais. Die Versuche wurden mit weißem Zucker-Mais ausgeführt. Dieser bildet eine reine, völlig konstante Sorte, deren Kolben, bei Selbstbefruch- tung, stets nur Zuckersamen tragen. Uebrigens wurde die Reinheit der benützten Samenprobe durch eine zweijährige Kultur festgestellt. Einige Pflanzen wurden 1898 auf einem besondern Beet im Versuchs- garten kultiviert, ihre männlichen Rispen wurden vor der Blüte größten- teils, jedoch nicht völlig entfernt, und die Narben, welche also teils eigenen Blütenstaub erhielten, wiederholt mit großen Mengen Pollen einer anderen, gewöhnlichen, stärkehaltigen Maissorte bestreut. Es reiften zehn Kolben, von denen jeder zwei Arten von Körnern durch einander, und in sehr wechselnder Anzahl trug. Erstens die selbstbefruchteten Zuckersamen, 4) Ueber denselben Gegenstand erschien dieser Tage eine vorläufige Mit- teilung von C. Correns in den Berichten d. d. bot. Ges,, Bd. XVII, Heft 10, dd. 22. Dez. 1899. xXX, 9 130 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? und dann die durch die Kreuzung entstandenen Samen, welche an dem stärkehaltigen Endosperm und der glatten gerundeten Oberfläche leicht kenntlich waren. Diese letzteren Körner konnten ihren Stärkegehalt offenbar nur dem Vater verdanken; ihr Endosperm war somit durch Bastardbefruchtung gebildet. Ein Teil der Zuckersamen dieser Kolben wurde dann im nächsten Jahre (1899) ausgesäet; sie zeigten sich als der reinen Sorte angehörend, und bewiesen dadurch noch weiter ihre Entstehung durch Selbstbefruchtung. Von den Stärkesamen wurde gleichfalls 1899 eine Probe ausgesäet. Diese Pflanzen bildeten bei Selbstbefruchtung Bastardkolben, deren Samen teils dem väterlichen, teils dem mütterlichen Typus angehörten. Jedes Korn der obenerwähnten zehn bastard-befruchteten Kolben, welches ein Bastard-Endosperm zeigte, enthielt somit auch einen hybriden Keim; während jedes Korn, dessen Endosperm zuckerhaltig war, einen sorten- reinen Keim enthielt. Hätte man die Kolben nur mit dem fremden Pollen bestäubt, so würden sie nur Stärkesamen enthalten und sich äußerlich nicht von einer reinen Stärkesorte unterschieden haben; sie wären dann für Demonstrations- zwecke bei weitem weniger geeignet. Kultiviert man Zuckermais und gewöhnlichen Mais neben einander, so findet Kreuzung durch den Wind statt. Man erhält dann in sehr ein- facher Weise Kolben, welche zwischen den Zuckersamen einzelne oder mehrere Stärkesamen aufweisen, und somit einen handgreiflichen Beweis für die Lehre von der Endosperm -Befruchtung bilden. [33] Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Experimentelle Bei- träge zur Biologie der Honigbiene. Von H. von Buttel-Reepen (Jena). (Zweites Stück.) Der Brutgeruch. Bei dem erwähnten Ueberlauf der weisel- losen Truppen ins feindliche Lager (8.103) ist es höchst wahrschein- lich nicht zu allen Zeiten der Königingeruch allein, der diese starke Reaktion auslöst, sondern während der hauptsächlichen Vermehrungs- monate, also März bis Juni und Juli, ein weiterer in diesen Monaten sehr prägnanter Hauptbestandteil des Nestgeruches nämlich der Brut- gseruch. Vielen tausenden von Brutzellen entsirömt ein warmer Brodem von sehr charakteristischer Art. Die um diese Zeit in den Zellen zum Aufbau der Larven vor sich gehenden chemischen Pro- zesse sind so intensiver Natur, dass im Brutnest ständig eine Wärme von 283—32° ©. entwickelt wird. An Frühlingstagen ist diese nach frischgebackenem Brod riechende Brutausdünstung in der Windrich- tung mehrere Schritt weit deutlich zu verspüren. Sehr wahr- scheinlich löst dieser kräftige Brutgeruch daher auf weisel- und brut- lose Völker dieselbe Reaktion aus wie der Königingeruch; aber da der Ueberlauf auch dann stattfindet, wenn keine oder nur eine mini- v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 131 male Brutmenge in dem weiselrichtigen Volke vorhanden ist, so dürften vielleicht doch trotz dieser anscheinend alle anderen Gerüche verdrängenden Brut- und Futtersaftausdünstung (die Larven schwimmen im Futtersaft) der Königingeruch und der Ton der Weiselruhe in erster Linie in Betracht kommen!!). Wie stark wiederum aber die Zuneigung der Bienen für die Brut ist, ergiebt sich z. B. daraus, dass ein widerspänstiger Schwarm, der schon einmal aus einer ihm nicht zusagenden Wohnung herausgezogen ist, sicher in derselben gehalten wird, wenn man eine Wabe mit Brut hineinhängt. Auch lassen sich Schwärme oftmals aus unbequemen Fangorten z. B. aus der Mitte einer dichten Hecke mittelst einer Brut- wabe hervorlocken ?). Indifferenter Geruch junger Bienen. Junge eben aus- schlüpfende Bienen haben anscheinend einen indifferenten, wenig aus- geprägten Geruch, sie werden daher in einem fremden Stocke oft- mals nicht feindlich angefallen. Ein Gleiches gilt von jungen Königinnen. Beim Herausschneiden von Weiselzellen passiert es häufig, dass die jungen Majestäten, die ziemlich oder ganz „reif“ sind, aus ihrer Be- hausung sich befreien. Lässt man eine solche Königin sofort einem weisellosen Volke durch das Flugloch zulaufen, so gelingt häufig die Beweiselung. Dies beruht vielleicht darauf, dass, wie erwähnt, der individuelle Geruch noch nicht ausgebildet ist — analog dem gleich- mäßigen indifferenten „Säuglingsgeruch“ — und dass der gemeinsame, reaktionsauslösende Nestgeruch noch wenig anhaftet. Seltsam ist, dass es Völker giebt, die sich überhaupt nicht wieder beweiseln lassen). Alle Verführungskünste sind dann vergeblich. Auch in den Wintermonaten, wo die körperlichen Funktionen, die die Höhe des Eigengeruches bedingen, größtenteils ruhen oder abge- 1) Die alle anderen Instinkte besiegende „Anhänglichkeit“ der Bienen an ihre Königin giebt sich auch dadurch kund, dass in einem verhungernden Volke die Königin stets zuletzt stirbt, da sie noch von den sterbenden Bienen ge- füttert wird. Um diese Angabe zu kontrolieren, brachte ich eine Königin mit einigen Bienen in eine mit Drahtgaze versehene und eine sehr geringe Futter- menge enthaltende Schachtel. Nach 48 Stunden waren die Bienen sehr er- mattet, nach weiteren zwei Tagen lebten nur noch 4, am Tage darauf nur noch eine, während die Königin anscheinend völlig kräftig umherlief. Die letzte Ueberlebende lag bereits aut der Seite unfähig zum Geben. Als sich die hungernde Königin Nahrung heischend nahte, brachte sie es noch langsam fertig, ihren Rüssel mit dem der Königin zu vereinen, in dem vergeblichen Bemühen Nahrung abzugeben. Schließlich ließ die Königin von ihr ab. Als ich nach ungefähr einer Stunde nachsah, war auch die letzte Biene verendet, während die Königin noch immer keine Spur von Ermattung zeigte. Ich gab sie hierauf ihrem Volke zurück. 2) Dathel. ce. S. 225 u. 230. 3) „Bienenwirtsch. Centralblatt“, Jahrg. 28, Heft 19, S. 298, 1892. 9% 27 4133 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? schwächt sind, nimmt demgemäß die Stärke des Eigengeruches ab und die Folge ist das schnelle Befreunden mit Nestfremden, weil der gemeinsame schwächere Nestgeruch auch nur schwache Reaktionen auslöst. Man kann daher zeitig im Frühjahr eine Vereinigung von Völkern ohne die sonst notwendigen Vorsichtsmaßregeln vornehmen. Fehlen der Nestgeruchsreaktion bei Königin und Drohne. Es ist von Interesse, dass bei Königinnen der Nestgeruch eines fremden Volkes keinerlei Reaktion auslöst. Königinnen reagieren niemals freundlich oder feindlich auf irgendwelche nestfremde oder nestangehörige Biene. Die Königin heischt Nahrung von jeder Biene und erhält sie auch im feindseligsten Stocke, sofern er weisellos ist. Von den „wüthend“ zischenden Bienen, welche z. B. einen Weisel- käfig in dichter Menge belagern und mit den Mandibeln das Drahtnetz bearbeiten, um die darin befindliche fremde Königin zu beißen und zu stechen, wird dennoch dem bettelnden Rüssel der Königin die erfor- derliche Nahrung gereicht. So füttert ein weiselloser Stock oft 10 bis 20 eingesperrte Königinnen; sollte aber eine sich zufällig befreien und von dem Volke angenommen werden, so kümmern sich die Bienen nicht mehr um die übrigen und lassen sie verhungern. Die Königin kennt nur eine Feindin, das ist die „Nebenbuhlerin“, die in demselben Stocke erzogen sind (Tochter, Schwester) und dem- nach denselben Familien- und Nestgeruch haben kann. Geraten zwei Königinnen aneinander, so bleibt eine auf der Wahlstatt!). Ist der Königin jedwede Biene eines jeden Volkes recht, so gilt das gleiche von den Drohnen, die überhaupt Kosmopoliten sind und nicht selten von Stock zu Stock bummeln und überall (wahrscheinlich 4) Normaler Weise ist die Königin unbedingte „Alleinherrscherin“ im Staate, aber die Fälle, wo zwei eierlegende Königinnen im Stocke gefunden wurden, sind trotzdem nicht so sehr selten. Es handelt sich dann aber um die alte abgängige Königin und die bereits zu Lebzeiten herangezogene Nach- folgerin. Immer aber wurden in solchen Fällen zwei getrennte Brutlager beobachtet. Die Königinnen kamen nicht zusammen. Völlig alleinstehend ist folgende Beobachtung, die um so merkwürdiger ist, da es sich nicht allein um zwei junge Königinnen handelt, sondern zugleich um zwei verschiedener Varietäten. „Da ich Gelegenheit hatte — schreibt ein Herr Breuer in der „Rheinischen Bienen-Zeitung“ eine schöne befruchtete Krainer Königin zu be- kommen, entfernte ich am 17. Juli die alte Königin und setzte die Krainerin zu, welche anstandslos angenommen wurde und sofort in die Eierlage trat. Eine andere Königin war bestimmt in dem Volke nicht vorhanden. Dasselbe entwickelte sich sehr stark, aber immer glaubte ich unter den jungen Bienen außer Krainern auch Deutsche zu sehen. Als ich den Stock revidierte, fand ich auf derselben Wabe, kaum 5 Zentimeter von einander ent- fernt, zwei prachtvolle Königinnen, eine Deutsche und eine Krainerin, fried- lich zusammen. Ein geteiltes Brutnest ist nicht wahrzunehmen, sondern das- selbe ist vollständig normal als ein Ganzes angelegt“ (s. Refer. im Bienenw. Centralblatt, Nr. 22, 1899, Hannover). v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 133 in Folge ihres spezifischen Geruches) friedlich aufgenommen werden, sofern die Drohnenschlacht noch nicht begonnen hat. Niemals zeigen sie die geringste Reaktion irgend welcher Art auf andere Bienenwesen, außer wenn sie auf dem Befruchtungsausfluge den Zweck ihres Da- seins erfüllen. Anormaler Nestgeruch. Bemerkenswert ist, dass afterdrohnen- brütige Völker, d. h. Völker in denen Arbeitsbienen aus Mangel einer Königin und wegen fehlender nachzuchtfähiger Brut zur Eierlage über- gingen, erstens schwer zu beweiseln und zweitensschwer mit weiselguten Völkern zu vereinigen sind. Es entwickelt sich zweifellos ein ganz eigen- artiger Nestgeruch hervorgerufen durch so viele Eierlegerinnen (After- königinnen oder Drohnenmütter), deren Zahl zunimmt, je länger dieser anormale Zustand andauert. Nach den Döhnhoff’schen Versuchen legen schließlich fast alle Bienen Eier, ohne sich in ihrem sonstigen Behaben oder gegenseitig anders zu benehmen als gewöhnliche nicht legende Bienen!). Ein eigentlicher Königingeruch scheint sich demnach nicht zu entwickeln, auch beobachtete ich demzufolge niemals, dass Drohnenmüttern die „Ehrungen“ erwiesen werden, wie einer nor- malen Königin, die solange sie noch unbefruchtet ist, von den Stock- 4) „Bienenzeitung“, XIII. Jahrg., Nr. 20. Beiläufig möchte ich hier folgen- des bemerken. Die seltsame Erscheinung, dass bei den geschilderten Umständen die unter normalen Verhältnissen völlig sterilen Arbeiterinnen in die Eierlage eintreten, hat Erklärungsversuche der mannigfachsten Art gezeitigt. Ich er- wähne hier nur eines solchen Versuchs und sehe ganz ab von den verschiedenen anthropomorphistisch behandelten Erklärungen. Man behauptete (diese Ansicht ist in Imkerkreisen weit verbreitet), dass die Arbeitsbienenlarven, welche einer Weiselzelle zunächst befindlich gewesen, aus Versehen gelegentlich mit Königin- futterbrei ernährt worden seien. Durch diese exceptionelle Fütterung glaubte man eine bessere Ausbildung der Ovarien annehmen zu dürfen, die bei einer Arbeiterin nur aus ca. 20—30 Eiröhren, bei einer Königin dagegen aus ca. 400 bestehen. Parallel mit dieser, und quasi bedingt durch diese Ansicht, geht die unrichtige Meinung, dass in einem afterdrohnenbrütigem Volke nur eine oder nur wenige eierlegende Bienen vorhanden seien. Erwägt man, dass schließlich, wie erwähnt, fast alle Bienen eines solchen Stockes Eier legen, so wird schon hierdurch obige Annahme hinfällig. Meines Erachtens haben wir es hier mit denselben Reflexen zu thun, die ein Volk veranlassen, — wie vorhin angeführt — zu Lebzeiten der alten „hinfälligen“ Königin, die nur noch Eier in ungenügender Zahl ete. produziert, eine junge Königin heranzuziehen. Welche „Voraussicht* und „Ueberlegung* sieht man gewöhnlich in diesem Vorgange. Es sind dieselben Reflexe, die ferner das Ansetzen von Weiselzellen bewirken, wenn die Königin längere Zeit eingesperrt gehalten wird (s. S.138). Es sind, so meine ich, größtenteils unbefriedigte Fütterungsinstinkte. Zugleich bewirkt der in Menge produzierte und seine natürliche Bestimmung nicht erreichende Futtersaft im ersteren Falle eine überstarke Ernährung der Erzeugerinnen des Futtersaftes und demgemäß die Anregung von Organen, die unter normalen Verhältnissen keinerlei Anregung empfangen. 134 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? insassen ziemlich unbeachtet bleibt, sobald sie aber in die Eierlage eintritt, stets einen Kranz von „Höflingen“ um sich hat (S.108). Ge- lingt es sehr häufig andere Völker ohne besondere Vorsichtsmaßregeln zu vereinigen, so werden afterdrohnenbrütige Völker infolge ihres eigenartigen Geruches in der Regel und trotz aller Vorsichtsmaß- regeln abgestochen!. Wir haben hier also einen anormalen Nest- geruch besonderer Art?). Jedenfalls dürfte aus Vorstehendem ersichtlich sein, dass der Nestgeruch außerordentlich viel komplizierter ist, als es den Bethe’schen Angaben nach den Anschein hat und die Annahme eines einfachen chemischen Stoffes und modifikationslosen „Uhemoreflexes“ nicht genügt, die verwickelten Vorgänge zu erklären. Das Mitteilungsvermögen der Bienen. Nach Bethe unterliegt es „keinem Zweifel“, dass die Bienen sich untereinander oder Nestfremde nur am Geruch (chemischer Stoff) erkeunen, und dass kein besonderes Zeichen, weder „ein Ton“ noch „eine bestimmte Bewegung der Antennen“ für ein Mitteilungs- vermögen in Frage komme). Eine andauernde und sorgfältige Beobachtung ergiebt jedoch zahl- reiche Thatsachen, die sich dieser Ansicht nicht fügen. Versuche mit entweiselten Völkern. Entweiselt man z.B. ein sehr starkes Volk, dass 50—60000 Bienen und mehr enthält, so wird der Verlust der Königin, namentlich wenn die Entnahme während einer reichen Tracht geschieht und die Bienen durch das Einheimsen und Aufspeichern des Nektars stark beschäftigt sind, oft erst nach einer Stunde, oft erst nach mehreren Stunden bemerkt. Eine auffällige Veränderung geht dann fast plötzlich vor sich, die sog. „Weiselunruhe“ bricht aus. Der behaglich summende Ton des Volkes verwandelt sich in einen tieferen, langgezogenen, klagenden. Die Bienen „heulen“, wie der Imker sagt‘). Die das Flugloch Belagernden und die Venti- lation Besorgenden werden unruhig, zugleich kommen unruhige Bienen aus dem Stock heraus, laufen wie ängstlich suchend an der Vorder- wand der Wohnung umher, einzelne fliegen schnell ab und zu, kurz der ganze Char akter Ber Stockes ist verändert und nicht nur was 1) Dathel.c. 8.161. 2) Auf die anormalen besonderen Nestgerüche, wie sie durch Krankheits- zustände (Ruhr, Faulbrut ete.) sowie durch Beunruhigungen u. S. w. (Weisel- unruhe) erzeugt werden, gehe ich hier nicht weiter ein. 3) Bethel. ce. S.70. 4) Dass „beunruhigte Bienen“ stets „heulen“, ist eine irrtümliche An- nahme Bethe’s. Vor Allem ist das Brausen beunruhigter auf dem „Flug- brett“ sterzelnder Bienen von dem was allgemein als „Heulen“ der Bienen be- zeichnet wird, grundverschieden. Die Skala der Töne wird von dem geübten Ohr scharf unterschieden. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 155 das äußerliche Behaben anbetrifft, sondern auch die innere Disposition, die Bienen werden besonders reizbar und stechlustig. Es ist mir mehr- fach passiert, dass ich zufällig eingetretene Weisellosigkeit erst an der auffällig verstärkten Stechlust sonst sehr sanfter Völker bemerkte. Es gehört freilich dazu, dass man ohne Schleier und Handschuhe operiert, sonst entgehen einem solch empfindlich nervöse Verstim- mungen sehr leicht. Oeffnet man die Thür eines weisellosen Volkes, so zeigt sich auch im Innern dieselbe Unruhe, und hineingeblasener Rauch bringt den Heulton zum Verstärken. Bemerkt sei, dass die Weiselunruhe oft auch sehr bald nach dem Entfernen der Königin auftritt, besonders in trachtloser Zeit und bei schwächeren Völkern. Es entsteht nun die nicht leicht zu beantwortende Frage: Wie merken die Bienen die Abwesenheit der Königin und wie teilen sie sich den Verlust mit? Ist es der plötzlich fehlende Geruch? Schwerlich, wenigstens nicht in allen Fällen, da wir im ersten Abschnitt gesehen haben, dass der Geruch der Königin ein überaus anhaftender ist, und sowohl die Waben als auch die Bienen imprägniert sein müssen mit diesem Geruch. Aber die Intensität wird immerhin eine schwächere! Diese ist aber auch eine wechselnde im gewöhnlichen Lauf der Dinge!) und es entsteht deshalb keinerlei Un- ruhe. Wie kommt es ferner, dass plötzlich das Volk in Weisel- unruhe gerät, nachdem die Königin oftmals schon eine Stunde und länger entfernt gewesen. Hat Bethe Recht, dass das Mitteilungsvermögen nur auf chemi- schen Einflüssen beruhe, so würde obige Beobachtung zum Mindesten beweisen, dass der Königingeruch em sehr dominierender im Stocke ist, die Königin also nicht, wie Bethe ausschließlich angiebt, den „Neststoff“ des Volkes annimmt, sondern umgekehrt die Königin den Nestgeruch stark beeinflusst oder doch eine gegenseitige Verwitterung vor sich geht. Stimmen wir andererseits Bethe zu, dass die Königin den „Neststoff des Stockes“ annehme, so kann das Mitteilungsvermögen nicht nur auf Geruchsreflexen beruhen, da alsdann der Stockgeruch durch das Entfernen der Königin nicht beeinflusst wird. Fragen wir die Bienenzüchter um ihre Meinung in dieser Ange- legenheit, so hören wir ungefähr folgendes: Die jungen Bienen, welche 1) Geht die Königin z. B. in den Honigraum, der gewöhnlich durch einen festen Holzschied — mit kleinem Schlitz zum Passieren der Bienen —, von dem unteren Brutraum getrennt ist und setzt dort oben ihre Eierlage fort, so ist klar, dass ihr Geruch den unteren Bienen fast verloren geht, zumal wenn sich im Honigraum auch ein Flugloch befindet, aber eine Weiselunruhe bricht deshalb niemals aus, höchstens setzen die unteren „vereinsamten“ Bienen hin und wieder nach einigen Tagen Weiselzellen an; häufig unterbleibt aber auch dieses. 136 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? die Fütterung der Brut und der Königin besorgen, „vermissen“ die Königin nach kürzerer oder längerer Zeit und beginnen eifrig zu suchen, alsbald teilt sich die Unruhe dem ganzen Volke mit, den Bienen kommt zum „Bewusstsein“, dass die Königin fort ist und das behagliche Summen verwandelt sich in den heulenden Klageton. Dass aber die jungen Bienen, wie es übrigens jedem Imker be- kannt ist, keine ausschlaggebende Rolle hierbei spielen, geht schon daraus hervor, dass man die jungen, fütternden Bienen sehr wohl zu- sammen mit der Königin entfernen kann. Nun werden die alten Bienen alsbald den Klageton anstimmen. Man kann auch künstlich ein Volk von alten Flugbienen zu- sammenstoppeln und eine beliebige Königin im Käfig hineinsetzen. So- wie das geschieht, beruhigt sich das soeben noch unrubige Volk wie mit einem Zauberschlage. Die der Königin zunächst befindlichen Bienen fangen unter besonderem Summen an zu sterzein!), dieses Summen wird von den andern Bienen aufgenommen und plötzlich ist friedliche Ruhe vorhanden. Bevor wir Schlüsse aus Vorstehendem formulieren, seien noch weitere Beobachtungen mitgeteilt. Interessant ist nachstehende Erfahrung, welche beweist, dass die Fütterung wie überhaupt sonstige Lebenserscheinungen der Königin — abgesehen vom Geruch — bei dem Ausbrechen der Weiselunruhe nicht in Betracht gezogen zu werden brauchen. Beim Einbringen eines Vorschwarmes zerdrückte ich die Königin durch einen Zufall. Da es mir unmöglich war, mich an demselben und am nächsten Tage mit den Bienen zu beschäftigen und eine Er- satzkönigin nicht zur Verfügung stand, wäre mir der Schwarm in der Zwischenzeit unfehlbar ausgerückt, um sich wieder auf den Mutter- stoek zu begeben. Um dieses zu verhindern, stellte ich foigenden Ver- such an. Ich heftete die tote Königin mit Nadeln auf einen durch- schnittenen Flaschenkork und hing diesen in die Bienentraube. Das Volk blieb ruhig und es zeigte sich später, dass es sich auch völlig weisel- richtig gefühlt hatte, da der stark geförderte Wachsbau keine Drohnen- zellen aufwies und die tote Majestät von tastenden Bienen umgeben 4) Unter „sterzeln“ ist jenes eigentümliche Aufbiegen des Hinterleibes mit gleichzeitigem langsameren Schwirren der Flügel zu verstehen, wie es die Biene im Affekt der „Freude“ zeigt, also im obigen Falle oder beim Wieder- finden der „vermissten“ Wohnung u. s. w., niemals aber beim Auffinden von Honigvorräten, selbst dann nicht, wenn starkes Hungerm vorhergegangen. Ueberaus ähnlich ist die Schreckstellung, wie ich sie nennen möchte. Nähert man den Finger dem Flugloch, so sieht man häufig einzelne der den Eingang belagernden Bienen mit drohend erhobenem Hinterleib dem sich langsam nähernden feindlichen Gegenstand entgegeneilen und in dieser Stellung ver- harren. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 153% war!). Wie lange eine tote Königin eine lebende ersetzen kann, ver- mag ich nicht anzugeben. Aber auch die tote Königin kann entbehrt werden. Um dieses zu entscheiden, versetzte ich ein kleines schwaches Völkchen in den Schwarmzustand d. h. entnahm ihm sämtliche Waben, da sich in diesem Zustande die Weiselunruhe sehr viel schneller und stärker be- merkbar macht. Die Königin wurde in einen Weiselkäfig gesteckt. Am nächsten Tage nahm ich den Käfig aus dem Volke heraus und sehr schnell wurden die typischen Zeichen der Weisellosigkeit be- merkbar. Als die Unruhe ihre Höhe erreicht zu haben schien, öffnete ich die Glastür und hielt den Käfig, nachdem die Königin schnell herausgenommen war, mitten in die Bienen. Sofort wurde er von vielen „freudig“ Sterzelnden belagert und der Heulton verschwand. Ein schlagender Beweis, dass der Geruch der Königin genügt, um alle die Instinkte zu befriedigen, welche sich unter der Weiselunruhe als unbefriedigte kund gaben. Es dürfte nun leicht der Schluss gezogen werden, dass wenn schon der schwache Geruch, welcher dem Weiselkäfig anhaftet, ein Aufhören der Weiselunruhe bewirkt, auch sicherlich der Geruch allein, resp. das Verschwinden oder Schwächerwerden desselben das Aus- brechen der Weiselunruhe bewirke. Diese Folgerung scheint mir aber nicht zutreffend zu sein, denn wie vorhin erwähnt, verschwindet mit dem Fortnehmen der Königin nicht ihr Geruch, wenn er auch schwä- cher wird und die Bienen merken den Verlust, wenn der Stock sehr stark ist und ihre Instinkte abgelenkt sind durch reiche Tracht, oft erst nach geraumer Zeit. In dem soeben erwähnten Fall des plötz- lichen Aufhörens der Weiselunruhe aber haben wir es mit einem aufs höchste geschärften Instinkt zu thun, dem in der Not des Bedürf- nisses, wenn ich mich so ausdrücken darf, auch das Wesenlose resp. schon das nur an das wirkliche Bedürfnis Erinnernde genügt. So tragen die Bienen im Frühling in pollenarmen Gegenden in der Not des Bedürfnisses anstatt des fehlenden Blütenstaubes — Scheunen-, Steinkohlen-, Ziegelstaub ein und einmal beobachtete ich, wie Bienen feines Holzmehl höselten. Ebenso wenig wie es gestattet ist, hieraus den Schluss zu ziehen, dass z. B. Ziegelstaub dem Blütenstaub gleich- wertig sei, trotzdem die Bienen in gleicher Weise auf Beides reagieren, ebensowenig dürfen wir, so glaube ich, den Schluss ziehen, dass, weil die Bienen im Verlangen nach der Königin schon mit dem an die wirkliche Existenz der Königin nur erinnernden Geruch zufrieden sind, auch der fehlende Geruch allein es ist, der die „Unzufriedenheit“ im Stock erzeugt. Nachstehendes dürfte dieses näher begründen. 1) Weisellose Bienen gehen stets zum Bau von Drohnenwachs über, sofern sie überhaupt bauen. 138 v. Buttel-Reppen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? Verhalten eines weisellosen Schwarmes. Einem aus- ziehenden Vorschwarme fing ich die Königin am Flugloche ab. An- statt nun, wie es in den meisten Fällen geschieht, wieder nach ver- geblichem suchendem Umherkreisen in den Stock zurückzugehen, hingen sich die Bienen dennoch an einen Zweig an und schlossen sich zu der bekannten Schwarmtraube zusammen. Da sich keinerlei Un- ruhe zeigte, musste ich annehmen, dass eine zweite Königin mit aus- gezogen sei, doch ergab eine sofortige Untersuchung des Mutterstockes keine Weiselzelle aus der eine junge Königin ausgeschlüpft sein könnte. Der Schwarm saß über eine halbe Stunde völlig ruhig, löste sich dann aber fast plötzlich auf und zog nach langem Umher- schwärmen auf den Stock zurück, ein sicherer Beweis, dass er weisel- los war. In dem vorliegenden Fall war also zwischen Wegnahme der Königin und dem Ausbrechen der Weiselunruhe eine ziemliche Zeit verstrichen. Es war offenbar nicht das Fehlen des Geruches der Königin was die Weiselunruhe auslöste, Der Geruch fehlte von Anfang an, weil weisellose Schwärme sich in den allermeisten Fällen garnicht an- legen oder wenn sie es thun, sich nicht beruhigen und sich gleich wieder auflösen; die Königin fehlt ihnen sofort. Draußen in der freien Luft kommt der Geruch der Königin wenig zur Geltung, was schon daraus ersichtlich ist, dass man eine in einem aus Drahtgaze bestehendem Weiselkäfig befindliche Königin sehr lange in einen umherkreisenden Schwarm halten muss, ehe die Bienen Witterung von ihr bekommen, was oftmals garnicht der Fall ist. Setzt sich aber erst eine Biene mit „freudigem“ Gesumm und sterzelnd auf dem Käfig nieder, so dauert es nicht gar lange und die anderen Genossen fliegen, von dem Ton der „Freude“ angelockt herbei. Bei- läufig möchte ich erwähnen, dass es bei den Imkern eine sog. „dia- mantne Regel“ giebt. Diese schreibt vor, die Königin kurz vor und während einer reichen Trachtzeit in den Weiselkäfig zu sperren, um sie an der Eierlage zu hindern. Die Bienen haben dann weniger Brut zu pflegen, die „Fresser“ werden vermindert und der Honigertrag soll sich steigern, was aber sehr häufig nicht der Fall ist, da der nor- male Zustand des Stockes gestört ist. Die Völker fühlen sich nämlich oftmals weisellos und setzen, trotzdem die eingesperrte Königin sich mitten im Volke befindet, Weiselzellen an. Ich erwähne gleich, dass sich diese Erscheinung jedoch nicht bei allen Völkern zeigt!). 1) Seltsam ist dass auch Weiselzellen angelegt werden, wenn die Königin altersschwach ist. Findet man daher Weiselzellen zu einer Zeit, da sie nor- maler Weise nicht gebaut werden und zugleich wegen Erschöpfung des Samen- vorrates Drohnenbrut in Arbeiterzellen oder stark lückenhafte Brut, so kann man sicher sein, dass die alte Königin in kurzem aus dem Stocke ver- schwindet. Es kommt hier vielleicht, wie erwähnt, derselbe Instinkt in Frage wie bei einer eingesperrten Königin (s. Fußnote 8. 133). v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 139 Wahrscheinlich handelt es sich hier, wie schon früher ausgeführt, um unbefriedigte Fütterungsinstinkte. Die Brutammen können den reichlich bereiteten Futterbrei nicht abgeben und so wird der Trieb ausgelöst, durch Anlage einer Weiselzelle den anormalen Zustand zu beseitigen. Ich kann mir diesen Vorgang sehr wohl als einen rein reflektorischen vorstellen. „Ueberlegungen“ irgend welcher Art brauchen hierbei nicht Platz zu greifen. Ich kehre nun zu dem Eingangs erwähnten sehr starken Volke zurück. Entweiselt man ein solch kräftiges Volk, welches Brutraum und Honigraum einer großen Wohnung dicht und gedrängt besetzt, so gehen die Zeichen der Weiselunruhe, wie geschildert, vor sich. Be- findet sich das Volk in stärkster Aufregung, so schiebe man den Weiselkäfig mit der Königin oben in den Honigraum einer von hinten zu öffnenden Wohnung und beobachte dann schnell das Verhalten der Bienen an dem am entgegengesetzten Ende des Stockes unten im Brutraum befindlichen Flugloche. Fast in demselben Augenblick wird man eine Aenderung in dem Benehmen der unruhig suchenden Bienen wahrnehmen; sowie der Heulton im Stocke verstummt, ziehen die außen an der Stockwand beim Flugloch Umherirrenden sterzelnd in den Stock hinein. Von einer Geruchswirkung kann hier absolut nicht die Rede sein, da der Geruch der Königin durch einen so stark be- setzten Stock durch den fast ganz vom Brutraum abgetrennten Honig- raum bis zum Flugloch nicht in dem Moment dringen kann. Sollte auf den ungemein weit sich verbreitenden Geruch der Insektenweib- chen hingewiesen werden, wie er z.B. bei einigen Schmetterlingen (Sphingiden ete.) zu Tage tritt, so verweise ich auf das Hineinhalten und Niehtbeachten einer gefangenen Königin in den Schwarm- tumult. Nichtbeachten der Königin in freier Luft. Um diese Frage noch beweiskräftiger zu entscheiden, hing ich den Weiselkäfig mit der Königin an einen Stab und steckte diesen so in die Erde, dass sich der Käfig in gleicher Höhe mit dem Flugloch seitwärts kaum 35 em von der Einflugstelle befand. Keine der zahlreich ein- und ausfliegen- den Bienen witterte die Königin, sie blieb gänzlich unbemerkt und der Stock in der Weiselunruhe. Gehörsvermögen undTonempfindung vorhanden. Ziehen wir nun aus den vorstehenden Beobachtungen Schlüsse, in welcher Weise sich die Weiselunruhe sowie die Beweiselung den Bienen mit- teilt, welches Mitteilungsvermögen hierbei in Frage kommt, so haben wir gesehen, dass das Gemeinsame der sämtlichen Beobachtungen nicht der fehlende oder aufs Neue vorhandene Geruch sein konnte. Zwar vermochten wir einerseits bei einem Teil der Beobachtungen mit ziemlicher Sicherheit zu schließen, dass in der That nur der Geruch den sämtlichen Bienen des Stockes die Abwesenheit oder Anwesenheit der Königin kund 440 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*“ ? that, ein besonderes andersartiges Mitteilungsvermögen also vielleicht nicht vorhanden zu sein brauchte, aber andererseits sahen wir auch Zeichen der Weisellosigkeit (Errichten von Weiselzellen) sich unter den Bienen kund thun bei Anwesenheit der Königin (Gefangenhaltung u. 8. w.) und die Zeichen der Weiselruhe und -unruhe eintreten in Fällen, wo eine Geruchswirkung völlig ausgeschlossen erscheint. Allen Beobachtungen gemeinsam ist jedoch eine Veränderung der den jeweiligen Zustand des Volkes deutlich charakterisierenden Töne, der Volksgeräusche, wenn ich mich so ausdrücken darf. Es unterliegt für mich daher nicht dem geringsten Zweifel, dass die Bienen sich durch Töne miteinander verständigen. Der Ton der „Freude“ lockt die Genossen an oder beruhigt sie, der heulende Klage- ton bringt das Volk in Aufregung, er schwindet sofort, wenn die Königin zurückgegeben wird; zugleich ändert sich der ganze Charakter des Stockes!), die stechlustigen weisellosen Bienen werden wieder ruhig und friedlich und nehmen die Arbeiten, die während der Weisel- unruhe stark vernachlässigt waren, wieder auf. Wir müssen daher den Bienen ein Mitteilungsvermögen durch Töne zugestehen, also Ge- hörsvermögen und Tonempfindung?). Jede einzelne Biene hat den Instinkt, wenn sie von anderen Bienen den Ton der Weiselunruhe hört, selbst alsbald auch in diesen Ton zu verfallen. Wenn also von einigen Bienen das Fehlen der Königin bemerkt wird, so pflanzt sich die Weiselunruhe sehr rasch durch den ganzen Stock hindurch fort. Wie dieses erste Bemerken des Fehlens vor sich geht, ist natür- lich, wie schon oben gesagt, sehr schwer zu entscheiden. Vielleicht giebt es hier verschiedene Möglichkeiten. Oft mag das Fehlen des Geruches der Königin die Wirkung hervorbringen; aber es kann auch das Fehlen des geschilderten eigentümlichen Summens in Betracht kommen, welches bei der Königin beschäftigte Bienen erzeugen; ferner ist es auch denkbar, dass die Königin unter normalen Verhältnissen Töne von sich giebt, deren Ausfall bemerkt wurde. Gehört habe ich 1) Genaue Beobachtung ergiebt. dass jedes Volk seinen ganz besonderen „Charakter“ hat, was einesteils durch die Volksstärke bedingt wird; ander- seits sehen wir aber bei ziemlich gleich starken Stöcken oft große Ver- schiedenheiten. Der eine Stock ist sanft, der andere stets sehr stechlustig, der eine besetzt sein Flugloch stets in besonders starker Weise, der andere fast garnicht, obgleich er sehr kräftig ist, der eine fliegt stets früher als sein Nachbar u. s. w. Und dass auch die einzelnen Bienen sich individuell ver- schieden benehmen, haben schon Herm. Müller und Lubbock gezeigt. (Herm. Müller, Versuche über Farbenliebhaberei der Honigbiene. Kosmos, Jahrg. 6; Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen. Leipzig 1883.) 2) Beim Ueberziehen eines weisellosen Volkes in den Stock eines weisel- richtigen (s. 8.103) kommt demnach möglicherweise vor Allem das Gehörs- vermögen in Frage. Der Ton der Weiselruhe wirkt als mächtiger Reiz und bewirkt das Hinüberwandern. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen‘“? 441 solche Töne niemals, doch ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass solche dem menschlichen Ohr nicht wahrnehmbare Laute existieren. Versuche an Schwärmen. Auch die folgenden Beobachtungen werden zeigen, wie sehr das Mitteilungsvermögen der Bienen auf Tonempfindungen beruht. Jedem der sich längere Zeit mit Bienen be- schäftigt bat, ist der laute, helle „Schwarmton“ bekannt, den die zum Schwärmen ausziehenden Bienen von sich geben und der mit Leich- tigkeit von dem gewöhnlichen Summen unterschieden wird. In stür- mischer Eile drängen die Schwarmbienen zum Stocke hinaus zum lustigen Schwarmtanz. Das wogt und wirbelt durcheinander in „bachan- tischer Lust“, es ist als wenn die Bienen in der That trunken wären vor „Freude“, der „Schwarmdusel“, wie der Imker sagt, hat sie er- fasst und in diesem Dusel vergessen sie alles Bisherige. Sie vergessen alles, was mit ihrer Wohnung zusammenhängt und sie vergessen sogar das Stechen. „Schwarmbienen stechen nicht“ ist ein alter Imkersatz. Daher auch die alte Fabel, dass die Bienen ihren Bienenvater kennen, weil zumeist der Nicht- imker einem Bienenstande nur zu Zeiten sich nähert, wenn es gilt dem interes- santen Schauspiel eines Schwarmeinfanges zuzuschauen. Sjeht man dann den Bienenvater, oft unbeschützt, ruhig und gelassen im dichtesten Schwarmtumult stehen, ohne dass seine Bienen ihn stechen, so ist der thörichten Fabel wiederum neue Nahrung gewährt. ; Der „Deutsche Bienenfreund“, Jahrg. 94, berichtet Folgendes: „Ein etwa zehnjähriger Knabe stand bloßköpfig und in Hemdärmeln nahe bei einem Bienenstande, als eben ein Schwarm auszog. Nach einigem hin- und herfliegen nahm die Königin ihren Sitz am Kopfe des Knaben und rasch folgten tausende von Bienen. Der Vater des Knaben, die Sachlage sofort erkennend, rief dem- selben, der schon öfter beim Schwarmfassen zugesehen hatte, nur in aller Eile zu: Rühr Dich nicht, Hansl! mach den Mund und die Augen zu und schnauf durch die Nase, ich werde den Schwarm gleich taufen und einfassen“. Richtig gehorchte der Knabe, der Vater aber goss hübsch Wasser über den von Bienen eingehüllten Kopf des Knaben, bog letzteren etwas nach vorn und strich mit einem Federwisch die ganze Gesellschaft in einen untergehaltenen Strohkorb. Der Knabe hatte keinen Stich erhalten !* Nach meinen Erfahrungen halte ich diese Erzählung für vollkommen glaubwürdig. Im Jahre 1893 brachte „Studers ill. Schweizer Bienenfreund“ die Abbildung eines jungen Imkers, welcher sich mit einem tüchtigen Schwarm, der ihm von der Hand herniederhängt, photographieren ließ. Beim Ausziehen des Schwarms fing er die Königin mit den Fingern ab und veranlasste dadurch den Schwarm, sich an seine Hand zu setzen. Bis endlich der Photograph kam, vergingen ®/, Stunden, die in Ruhe ausgehalten wurden. Der Arm wurde durch einen Stab gestützt. Kopf und Hände waren unbeschützt. Es steht mit Vorstehendem nicht in Widerspruch, dass die meisten Un- fälle gerade durch Schwarmbienen verursacht werden, da ängstliches Schlagen oder zufälliges Zerdrücken auch die Schwarmbienen reizt, und sticht erst eine, ‚80 stechen gleich hunderte, gereizt durch den strengen Geruch des Giftes, 149 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Kurz vor dem Ausschwärmen sieht man, wie sich einzelne aus dem Flugloch hervorkommende Bienen mit unruhigen Bewegungen in die vorlagernden Bienen (die oftmals eng zusammengeschlossen wie ein langer „Bart“ vom Flugbrett herabhängen) eindrängen und ein- bohren. Es ist kaum zu bezweifeln. dass essich hier um Mitteilungen vielleicht durch Töne besonderer Art, die aber dem menschlichen Ohre, in dem allgemeinen Gesumme verloren gehen!), handelt, wenigstens lässt sich sonst kein irgendwie plausibler Grund für das absonder- liche Gebahren finden, denn plötzlich löst sich der „Bart“ auf, die Bienen ziehen schnell zum Flugloche hinein und fallen über die Honigvorräte her und füllen sich den Wandersack, ein Gleiches machen alle anderen Schwarmlustigen im Stocke auch und plötzlich bricht der Schwarm hervor. Gerade vom Felde Kommende mit schweren Pollen- höschen Beladene werden in dem Tumuit mitgerissen, angesteckt von dem freudigen Schwarmton, fliegen sie mit. Ansteckende Wirkung des Schwarmtons. Dass in der That der Schwarmton, den die Bienen übrigens nur im Fliegen von sich geben, ansteckend wirkt, ist wohlbekannt, denn hin und wieder geschieht es, dass das Nachbarvolk, obgleich es noch garnicht schwarmreif ist, dem Schwarmtone folgt und sich gleichfalls in die Lüfte schwingt. Ziehen zwei Schwärme gleichzeitig aus, so locken sie sich gegenseitig an und vereinigen sich. Dass wir es hier mit Chemoreflexen zu thun haben, wie Bethe will, der allerdings den Schwarmakt seltsamerweise nicht in Betracht gezogen hat, erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Bedenkt man, welch reiches Tonvermögen den Bienen zur Ver- fügung steht, so ist es einleuchtend, dass diese Fähigkeit einen Zweck haben muss und das es nicht angängig ist, diese Thatsachen zu ignorieren. Lockton der Bienen (Sterzelton). Schüttet man einen Schwarm auf ein größeres auf dem Rasen ausgebreitetes Laken und stellt eine neue noch nie von Bienen besetzt gewesene Wohnung z. B. an die Nordseite des Lakens, so werden die Bienen, falls die Wohnung nicht in direkte Berührung mit dem Bienenhaufen gekommen ist, diese nicht beachten. Wirft man nunmehr aber mit der Schöpfkelle eine handvoll Bienen an das Flugloch, so werden sie sofort unter besonderem ver- stärktem Summen hineinziehen, teilweise auch draußen auf dem Flug- brett sterzelnd verharren. Die ganz in der Nähe befindlichen anderen Bienen drehen sich sofort um, falls sie der Wohnung abgewandt waren und folgen sterzelnd dem Lockton, immer mehr schließen sich an und ein breiter Zug marschiert der Behausung zu. Entfernt man diese 1) Vielleicht kommen auch Antennenbewegungen in Betracht, da das Spiel der Antennen stets ein lebhaftes ist und sehr häufig gegenseitiges „Be- trillern“ stattfindet. £ v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 143 nun und setzt sie an die Südseite, so marschieren die Bienen ruhig nordwärts weiter aber nur kurze Zeit, dann bewirkt der im Süden sich erhebende Sterzelton ein langsames allmähliches Umwenden des Stromes, der nun nach und nach in die Wohnung einzieht. Es kann dabei passieren, das ein kleines Häufchen Bienen unentwegt nord- wärts weiter schreitet, obgleich schon viele Genossen südwärts wan- dern. Der Lockton scheint nicht weit zu dringen, die Bienen hörten ihn aber vom Norden kommen, sie folgen dieser Erinnerung, denn thatsächlich ist er in dieser Richtung nicht mehr vorhanden. Dass gleich ein ganzes Häufchen dieser Erinnerung folgt, liegt meines Er- achtens im Nachahmungsdrang, der unzweifelhaft bei den Bienen vor- handen ist. Bleiben nun die ersten Bienen der Richtung treu, so wan- dert eine ganze Anzahl Genossen ruhig mit. Dem einigermaßen mit der Biologie der Biene Vertrauten muss es eigentlich befremdlich erscheinen, dass überhaupt ein Zweifel an einem Mitteilungsvermögen durch Töne entstehen konnte, wo doch das ganze Leben der Biene nur ein fortgesetztes Summen ist, wenn ich mich so ausdrücken darf. Sollte diese „Lautsprache“!) wirklich so ohne jeden Zweck sein? Nur die tote Biene ist stumm?). Wen die vorstehenden Angaben noch nicht von einem Gehörs- vermögen der Bienen haben überzeugen können, der findet diese Ueber- zeugung vielleicht in folgendem. Tüten und Quaken der Königinnen. Ist der Vorschwarm mit der alten Königin abgezogen, so dauert es unter normalen Ver- hältnissen gewöhnlich 9—11 Tage bevor der Nachschwarm erfolgt. Ein oder zwei Tage vor dem Auszug hört man nun ein seltsames Konzert im Stocke, dar an ruhigen Abenden oft zwei Schritte weit hörbar ist. Es ist das Tüten und Quaken der jungen Königinnen. Bekanntlich bestiftet die alte Königin vor ihrem Auszuge die Weisel- näpfchen in Zwischenräumen von einem zum andern Tage, die Folge davon ist, dass die jungen Königinnen nicht alle auf einmal flügge werden. Die zuerst Auskriechende macht sich alsbald über die an- deren Weiselzellen her, um die Nebenbuhlerinnen zu töten. Will der Stock jedoch noch schwärmen, so verhindern die Arbeiter eine Zer- störung der Zellen und nun fängt die Königin in „heller Eifersucht“ an zu tüten. Sie stemmt dabei nach meinen Beobachtungen den Kopf auf die Wabe und lässt wahrscheinlich vermittelst der Brust- stigmen — ein hellklingendes langgedehntes „thüt“, „thüt“ erschallen, sofort antwortet die reifste der eingeschlossenen mit einem kurzen tiefen „quak“, „quak*“. So geht dieser Wechselgesang mit kurzen oder 1) Ernst Häckel, Die Welträtsel. Bonn 1899. S. 145. 2) Hin und wieder sinken die Völker auch im sogen. Winterschlafe in einen Zustand völliger Ruhe, die aber meistens von einem kaum hörbaren Murmeln unterbrochen wird, 444 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. längeren Unterbrechungen stunden- und tagelang fort. Verhindert Regenwetter das Ausziehen des Schwarmes und werden mehrere Königinnen in den Zellen „reif“, so quaken sie ebenfalls. Sie „wagen“ aber nicht auszukriechen, so lange die tütende im Stock ist, da sie jedoch der Nahrung bedürfen, schneiden sie mit den Mandibeln einen kleinen Schlitz und stecken den Rüssel heraus und werden so von den Bienen gefüttert. Es würde mich hier zu weit führen, auf diese interessanten Ver- hältnisse weiter einzugehen. Können wir hier ein unzweifelhaftes Gehörsvermögen konstatieren, so auch bei folgendem Experiment. Angsttöne der Königin. Setzt man eine fremde» Königin einem weisellosen Volke zu, indem man sie einfach auf eine Wabe laufen lässt, so fallen die zunächst befindlichen Bienen über sie her und beissen sie in die Beine oder reiten auf ihr, um sie zu erstechen. Schnellen Laufes enteilt die kräftige Königin ihren Verfolgern, sie wird aber stets von neuem gepackt und stößt nun in ihrer „Angst“ laute Töne aus, die das ganze Volk alsbald in Aufregung bringen. Man könnte hier auch Geruchseinwirkung vermuten aber eine fremde Königin in einem Käfig bringt niemals ein ganzes Volk in Auf- regung, zumal nicht, wenn es weisellos ist. Es sind hier wohl zweifel- los die ängstlichen Töne, die diese Erregung des ganzen Volkes be- wirken. Wir haben hier also wiederum eine unverkennbare Reaktion auf Gehörseindrücke. (Drittes Stück folgt.) Die ontogenetische Entwicklung der Zeichnung unserer ein- heimischen Molche. Von Dr. Maria Gräfin v. Linden in Bonn. Litteraturverzeichnis. 1] E. D. Cope, A synopsis of the species of the Teid Genus Onemidophorus, in: Transaetions of the Americ. Philos, Soc. New Series XVII, 1893. [2] Dr. S. Ehrmann, Das melanotische Pigment und die pigmentbildenden Zellen des Menschen und der Wirbeltiere in ihrer Entwicklung nebst Bemerkungen über Blutbildung und Haarwechsel (Bibliotheca medica, D. II, Heft 6; referiert: Biol. Centralbl., Bd. XIX, Nr. 6). [33] G. H. Th. Eimer, Ueber das Variieren der Mauereidechse. Berlin 1881. [3b] Derselbe, Ueber die Zeichnung der Vögel und Säugetiere. (Vortrag, gehalten auf der Versammlung des Vereins für vaterländische Natur- kunde in Württemberg zu Nagold am 24. Juni 1882), Stuttgart, E. Schweizerbart, 1883. [3e] Derselbe, Die Entstehung der Arten auf Grund von Vererben er- worbener Eigenschaften nach den Gesetzen organischen Wachsens, I. Teil: Jena 1888. II. Teil: Leipzig 1897. v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 145 [34] Derselbe, Die Artbildung und Verwandtschaft bei den Schmetter- lingen I, II. Jena 1889, 1895. [4] K. Escherich, Ueber die Gesetzmäßigkeit im Abändern der Zeich- nung bei Insekten. Deutsche entomologische Zeitschrift, 1892. [5] F. Gasco, Intorno alla storia dello sviluppo del Tritone alpestre. Annali del Museo civico di storia naturale di Genova. Vol. XVI. [6] Dr. F. Knauer, Das Lebendiggebären bei Salamandra maculata Schr. und die Farbenveränderung bei den Jungen in der Zeit des Beginns bis zum Abschlusse der Metamorphose. Zool. Anz., 1. Jahrg, 1878; Zool. Garten, 20. Jahrg., 1879. [7] Franz Leydig, Ueber die Molche (Salamandrina) der württembergi- schen Fauna. Mit 3 Tafeln. Archiv f. Naturgeschichte, 33. Jahrg., Bd. 1, 1867. [8a] M. v. Linden, Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung bei den Gehäuseschnecken des Meeres. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie, LXI. Bd. (Tübinger zool. Arbeiten, Bd.II, Nr. 1) Inaug.-Diss. [8b] Dieselbe, Untersuchungen über die Entwicklung der Zeichnung des Schmetterlingflügels in der Puppe. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, LXV. Bd., 1. Heft, 1898. [9] W. J. Moenkhaus, Variation of North American Fishes: 1. The Variation of Etheostoma caprodes Rafinesque (Americ, Naturalist, XXVIII, 1894). [10] H. Simroth, Versuch einer Naturgeschichte der deutschen Nackt- schnecken und ihrer europäischen Verwandten, Zeitschr. f. wissen- schaftliche Zoologie, XLII. Bd. [11] Mauro Rusconi, Amours des Salamandres aquatiques et developpe- ment du tetard de ces Salamandres depuis l’oeuf jusquwä l’animal parfait. In 4°. Avee eing planches. Milan 1821. 12] Dr. Gustav Tornier, Die Kriechtiere Deutsch-Ost-Afrikas. Beiträge zur Systematik und Descendenzlehre. Mit 5 Tafeln und 11 Text- figuren. Berlin 1897. Geographische Verlagsbuchhandlung. Dietrich Reimer (Ernst Vohsen). [13] Franz Werner, Untersuchungen über die Zeichnung der Wirbeltiere. Mit 6 Taf. Zoologische Jahrb., Abt. f. Systematik, Bd. VI, 1892. [14a] Dr. J. Zenneck, Die Anlage der Zeichnung und deren physiologische Ursachen bei Ringelnatterembryonen. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie LVIII.Bd., Inaug.-Diss., 1894, 3. Heft). [14b] Derselbe, Die Zeichnung der Boiden. Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie, LXIV.Bd., 1./2. Heft, W. Engelmann, 1898. Ueber die Entwicklung der Amphibienzeichnung liegen bis jetzt zwei Arbeiten vor, die allgemeiner gehaltenen „Untersuchungen über die Zeichnung der Wirbeltiere“ von F. Werner [13] und eine mehr ins Einzelne gehende Studie der Rappienzeichnung von G. Tornier |12|. Die Schlussfolgerungen, zu welchen beide Forscher in Bezug auf die Fragen nach der ursprünglichsten Zeichnungsform innerhalb der ge- nannten Tiergruppe und nach dem Weg der Umbildung dieser Grund- zeichnung gelangten, sind einander widersprechend und stehen auch beide im Gegensatz zu den von Eimer für die Wirbeltiere ganz all- xXX, 10 446 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molehe. gemein aufgestellten Zeiehnungsgesetzen. Es schien mir aus diesem Grunde nicht uninteressant, die größtenteils an der Hand phylogene- tischer Studien gewonnenen Ergebnisse nachzuprüfen. Im Gegensatz zu meinen Vorarbeitern auf diesem Gebiet fasste ich indessen die Ontogenie der Zeichnung, ihre Entwicklung während des individuellen Lebens der Tiere ganz besonders ins Auge. Auf diesem Wege hoffte ich die strittigen Punkte klar legen zu können, umsomehr als aus den Untersuchungen Eimer’s an Wirbeltieren [3] und aus meinen eigenen an Schmetterlingen |Sb] hervorgeht, dass das biogenetische Gesetz auch für die Entwicklung der Tierzeichnung Giltigkeit besitzt. Um nun aber zu einem möglichst einwandfreien Resultat zu gelangen und nicht etwa von einer durch abgekürzte Entwicklung entstellten Phylo- genese irregeleitet zu werden, dehnte ich meine Untersuchungen auf alle vier bei uns einheimischen 7riton-Arten aus und zog auch die mir zugänglichen in der Litteratur zerstreuten Beobachtungen oder Dar- stellungen von Veränderungen der Amphibien-Zeichnung während des Larvenlebens zum Vergleiche heran. Die ersten Entwicklungsreihen von Triton-Larven züchtete ich in Tübingen im Frühjahr 1898; in diesem Jahre machte ich hier in Bonn Kontrolversuche mit Molge taeniata und alpestris, welche die Tübinger Ergebnisse vollkommen be- stätigten. Ehe ich indessen auf die Resultate meiner Untersuchungen eingehe, muss ich eine kurze Uebersicht über .die bisher vertretenen Anschauungen über die Entwicklung der Tierzeichnung, speziell über die Entwicklung der Zeichnung der Amphibien, geben. Die von Eimer für die gesamten Wirbeltiere und ebenso für einen Teil der Wirbellosen aufgestellten Zeichnungsgesetze gründen sich, wie bekannt, auf seine Studien der Varietätenbildung bei Lacerta muralis [3a]. Eimer hatte, indem er sich mit dieser durch die Veränderlichkeit ihres Kleides ausgezeichneten Eidechse eingehender beschäftigte, gefunden, dass bei der Umgestaltung ihres Farbenmusters nur wenige ganz be- stimmte Richtungen eingeschlagen werden, und dass die Entwicklung der Zeichnungsmerkmale mit einer ebenso bestimmt gerichteten Um- bildung anderer anatomischer Eigenschaften Hand in Hand zu gehen pflegt. Es war ihm gelungen zu zeigen, dass die ontogenetisch und phylogenetisch ursprünglichsten Formen der Mauereidechse längs- gestreift sind und dass sich diese Längsstreifen im weiteren Ver- lauf der individuellen und ebenso in der Stammesentwicklung in längs- gerichtete Fleckenreihen auflösen, dass die Fleckenreihen zu Quer- streifen verschmelzen und die Querstreifung zu einer Netzzeichnung und endlich zu Einfärbigkeit führt. Eimer erkannte somit bei Lacerta muralis in der Längsstreifung die niederste, in der Einfärbigkeit die höchste Zeiehnungsstufe. Er fand ferner, dass die neuen Zeichnungs- charaktere stets am Schwanzende der Tiere zuerst auftreten und von hier aus allmählich nach vorne rücken, so dass am Kopfe die v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 147 primitiven Längsstreifen am längsten zu beobachten sind. Neben dieser postero-anterioren Entwicklung nahm Eimer auch eine supero-inferiore Entwicklung an, die sich darin äußert, dass die Zeichnung des Rückens der des Bauches in ihrer Umbildung voranzueilen pflegt. Es ergab sich weiter, dass die jüngeren Individuen in der Entwicklung ihres Zeichnungsmusters vor den älteren, namentlich vor den alten Männchen, zurückstehen (Alterspräponderanz) und dasselbe gilt von der Zeichnung des Weibchens im Vergleich zum Männchen (männliche Präponderanz). Dieselbe Regelmäßigkeit in der Aufeinanderfolge der verschiedenen Zeichnungsformen beobachtete Eimer auch bei andern Wirbeltieren, namentlich bei Raubtieren und bei Raub- und Schwimmvögeln |3b, e]. Die gleichen Gesetze gelten aber auch für die Entwicklung der Zeichnung bei Schlangen (Boiden) |14b|, Sauriern (Genus C'nemidophorus) |1] und Fischen |9|. Ja sogar die Wirbellosen lassen bei der Umwandlung ihrer Zeichnung ähnliche Entwicklungsrich- tungen erkennen. Ich verweise nur auf die Arbeiten Eimer’s über Schmetterlinge |3e,d] und auf die anderer Autoren über Käfer |4|, Mollusken [Sa u. 10]. Es muss uns nun bei dieser weitgehenden Analogie in der Um- bildung der Tierzeichnung einigermaßen befremden, dass wie Werner und Tornier annehmen, innerhalb einer Wirbeltiergruppe, bei den Amphibien, plötzlich die ganze Zeichnungsfolge auf den Kopf ge- stellt sein sollte. Aus dem kurzen Ueberblick, den uns Eimer in seiner „Lacerta muralis“ über die Amphibienzeichnung giebt, ersehen wir zwar, dass er auch innerhalb dieser Tiergruppe an eine Bestätigung seiner Zeichnungsgesetze glaubt, die eingehenderen Untersuchungen Werner’s und Tornier’s führen indessen zu ganz abweichenden Ergebnissen, die allerdings, da sie gegenseitig keineswegs überein- stimmen, zur Nachprüfung auffordern. Nach Werner leitet sich die Zeichnung der Urodelen von einer unregelmäßigen Flecken- zeichnung ab, deren Elemente sich allmählich immer deutlicher in drei Reihen anordnen. Diese drei Längsreihen von Flecken bilden endlich drei Längsstreifen, die immer breiter werden und allmählich den größten Teil der Oberseite des Tieres einnehmen, indem sie die Grundfarbe des Tieres auf zwei schmale, dorsale Längsreihen von Flecken beschränken; auch die Ventralseite wird endlich schwarz. Mit der Ueberhandnahme der dunklen Färbung hört auch bei Sala- mandra maculosa die Regelmäßigkeit in der Anordnung der Fiecken auf; es entsteht die typische Form dieser Art, schwarz mit mehr oder weniger zahlreichen, unregelmäßigen und großen Flecken von gelber Farbe. Von einer solchen vorwiegend schwarzen Form wäre dann die konstant melanistische Hochgebirgsart Salamandra atra abzuleiten. Aehnliche Zwischenformen, welche die Zeichnung von 8. atra mit dem unregelmäßig gefleckten Spelerpes ruber (als niederste Stufe) ver- 10° 448 v. Linden. Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. binden, finden sich auch noch bei anderen als den als Beispiele auf- geführten Landsalamandern. Auch für die Molehe nimmt Werner an, dass die Zeichnung der heute lebenden Arten von einer den Sala- mandern ähnlichen, von einer unregelmäßig gefleckten Stamm- form abzuleiten sei. Die Zeichnung der Anuren wird danach diesen Befunden entsprechend, von Werner als eine sehr hochstehende be- zeichnet. Die von ihm als die ursprünglichsten Formen angesehenen Arten tragen längs angeordnete Fleckenreihen, häufiger ist hier indessen die noch höher stehende Längszeichnung zu finden. Nach den Anschauungen Werner’s würde also die Zeiehnung bei Amphibien — und wie er verallgemeinert, überhaupt bei Wirbel- tieren — mit unregelmäßiger Fleekung beginnen und durch Längsfleckung, Längsstreifung bezw. Querstreifung zur Einfärbigkeit führen. Diese Ansicht besonders, dass die ontogenetische Ausbildung der Zeichnung mit Fleckbildung auf farblosem Grunde beginne, hält auch Tornier für eine sehr große Gruppe von Tieren als durchaus wahr- scheinlich und zwar für alle diejenigen, welche ihre Entwicklung als „Embryonen“ d. h. so beginnen, dass sie im Anfang ihres Lebens in Eihüllen, oder in dem Mutterleib eingeschlossen sind. Dagegen giebt es nach Tornier „eine sicher ebensogroße Gruppe von Wirbeltieren, deren Ontogenese nicht mit Flecekenbildung, sondern mit Einfärbig- keit beginnt und deren Zeichnung stets aus dieser Einfärbigkeit ent- steht“. Es zählen zu diesen Gruppen, wie Tornier anführt, alle Wirbeltiere, welche ihre Ontogenese im Tageslicht und als selbständige Larven beginnen: vor allem die Froscharten mit sehr wenig Aus- nahmen und die weitaus meisten Urodelen. Tornier stützt diese Ansicht auf die Beobachtungen Jarich’s und Winkler’s, welche nachgewiesen haben, dass schon in den Froscheiern Pigment liege und dass jede weitere Ausbildung der Froschlarven durch Ausbildung von Pigment begleitet werde, welches später sämtliche Epidermis- una Cutiszellen anfüllt und die Larven bis zur Metamorphose, oder bis nahe an dieselbe einfarbig dunkel und gewöhnlich tiefschwarz er- scheinen lasse. Aus diesen total gefärbten Larven entwickeln sich dann die ebenso stark, oder weniger, oder garnicht gefärbten erwachsenen Individuen. Diesen zwischen den Embryonen und Larven bestehenden Unterschied während des ersten Entwicklungsstadiums ihres Farbkleides führt Tornier darauf zurück, dass die ersteren, so lange sie im Mutterleib oder in der Eihülle eingeschlossen sind, vom Lichte abge- schlossen sind, und erst nach dem Ausschlüpfen oder kurz vorher in Existenzbedingungen gelangen, welche Pigmentbildung ermöglichen. Die Larven dagegen, welche nach kurzem Eileben am Tageslicht ihr Leben fristen, können ihre Hautfärbung deshalb viel früher erwerben, und wenn sie „wie die Frosch- und Urodelenlarven, dabei noch viele v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 149 Charaktere ihrer Ureltern rekapitulieren, dann können wir wohl an- nehmen, dass ihre Farbkleidentstehung mehr phylogenetische Züge enthält, als die der Embryonen“. Auf diese Annahme glaubt nun Tornier die Vermutung stützen zu dürfen, dass das Farbkleid der Urwirbeltiere ihren ganzen Körper gleichmäßig bedeckt hat und schwarzfärbig war, das letztere deshalb, weil bei allen Wirbeltier- klassen sämtliche Hautfarben aus schwarz ihren Ursprung nehmen. „Mit mir“, fährt Tornier fort, „wird dies jeder Forscher annehmen müssen, der der Ueberzeugung ist, dass das Pigment nicht durch Ein- wanderung in die Haut, sondern in ihr selbst entsteht. Wenn es dort entsteht, dann müssen bei den Urwirbeltieren sämtliche Hautpartien die Fähigkeit in sich gehabt haben, Pigment zu erzeugen, da noch jetzt zahllose Nachkommen dieser Urwirbeltiere ein den ganzen Körper deckendes Farbkleid tragen. Aus der Thatsache aber, dass auch heute noch sehr viele Wirbeltierarten ganz schwarze und buntgefärbte Indi- viduen nebeneinander beherbergen und aus der zweiten Thatsache, dass bei den meisten Wirbeltierarten Melanismus auftreten kann, und aus der dritten Thatsache, dass die Färbung der Tiere so variabel ist, dass sie zur Artcharakterisierung nicht herangezogen werden darf, schließe ich weiter, dass die meisten Wirbeltierarten mit universeller schwarzer Körperfärbung begonnen haben oder beginnen konnten“. . „Man mag mit diesen Schlüssen übereinstimmen oder nicht, jedenfalls ist so viel zweifellos festgestellt, dass bei fast allen Fröschen die ontogenetische Entwicklung des Farbkleides mit universeller Schwarz- oder Dunkelfärbung des Kör- pers beginnt“. „Einige Frösche“, führt Tornier des weiteren aus, „behalten auch als Erwachsen diese „Urfärbung“ bei, andere ändern sie beim Uebergang aus dem Larven- ins Jugendstadium so um, dass bei ihnen an bestimmten Körperstellen ein Teil des ursprünglichen Hautpigments verloren geht und die Färbung des betreffenden Haut- stücks dadurch heller wird. Die gezeichneten Formen entstehen dem- nach durch „Verblassen der Urfärbung“. Von dieser Anschauung ausgehend, dass für die Amphibien dunkle Einfärbigkeit der Ausgangspunkt für alle spätere Zeich- nung sei, teilt Tornier die Rappien in fünf Gruppen und diese wieder in einzelne Entwicklungsreihen, deren Vertreter das von ihm gefundene „Descendenzgesetz“ veranschaulichen sollen. Bei dieser Zu- sammenstellung vermissen wir indessen, den durch ontogenetische Untersuchungen zu erbringenden Nachweis, dass das Amphibienkleid wirklich mit Einfärbigkeit beginne, auch bietet die, wie Tornier selbst hervorhebt, sehr große Variabilität der übrigen anatomischen Merkmale kaum die genügende Sicherheit, dass die von Tornier ge- wählte Zusammenstellung der Farbenvarietäten keine willkürliche sei. Tornier sagt wohl bei Beschreibung der ersten Gruppe: „Die 450 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. auf dem Rücken gleichmäßig schwarz gefärbten Larven dieser Indi- viduen, werden später auf dem ganzen Rücken gleichmäßig heller, er äußert sich indessen nicht weiter, ob ihm wirklich Rappienlarven aus diesem Formenkreis vorgelegen haben. Ich glaube vielmehr aus einer vorhergehenden Bemerkung auf das Gegenteil schließen zu dürfen, da Tornier an dieser Stelle schreibt: „Alle Rappien beginnen ihre Farbkleidentwicklung aus gemeinsamer universeller Grundlage d. h. als schwarze Larven. Diese erwerben, wie es scheint, ziemlich frühzeitig das Kleid der erwachsenen Indi- viduen, das nach sehr verschiedenen Mustern angelegt wird“. Ich halte die Begründungen der Anschauungen Tornier’s für viel zu unbestimmt, um durch sie eine Theorie aus dem Felde zu schlagen, wie es die Eimer’sche Zeiehnungstheorie ist, die durch eingehende Untersuchungen innerhalb der verschiedensten Tiergruppen ihre Be- stätigung gefunden hat. Das Tornier’sche „Descendenzgesetz“ steht aber auch im Gegensatz zu den Ansichten Werner’s, die ihrerseits sich mehr den Eimer’schen Befunden anschließen. Da nun Werner und Tornier hauptsächlich nur die Variationen erwachsener Tiere für ihre Schlussfolgerungen verwertet haben, so scheint es mir not- wendig, um über die Zeichnungsfrage bei den Amphibien ins Klare zu kommen, der Ontogenie dieser Tiere größere Aufmerksankeit zu schenken und festzustellen, ob sich bei der individuellen Entwicklung, wie Eimer annimmt: Längsstreifung, Fleckung, Querstreifung — Ein- färbigkeit, oder nach Werner: Unregelmäßige Fleckung, Längs- fleekung, Längsstreifen bezw. Querstreifen — Einfärbigkeit, oder nach Tornier: Einfärbigkeit, Fleekung — Längsstreifung, folgt. Ich habe mir vorgenommen, für die Tritonen in erster Linie diese Frage zu lösen und werde im Nachfolgenden die Ergebnisse meiner Unter- suchungen und der Befunde anderer, soweit sie aus der Litteratur zu erschließen sind, mitteilen. Die Ontogenese der Zeichnung bei Molge taeniata Schneid,, palmata Dug®s, alpestris Laur. und eristata Laur. Wenn wir die ausgewachsenen Tiere unserer einheimischen Molche miteinander vergleichen, so erscheinen deren Farbkleider auf den ersten Blick so verschieden, dass der Versuch dieselben auf ein einziges Grundschema, auf einen gemeinsamen Ausgangspunkt zurückzuführen, ziemlich aussichtslos vorkommen muss. Auf der einen Seite stehen die hellgefärbten Molche taeniata und palmata, auf der anderen die durch großen Pigmentreichtum ausgezeichneten M. alpestris und eristata. Es ist wohl nicht zu bestreiten, dass zwischen der Zeichnung von taeniata und palmata einerseits und eristata und alpestris andererseits einige Uebereinstimmung herrscht; die größte Schwierigkeit besteht indessen darin, die vier Arten untereinander durch ihre Zeichnungs- v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 151 merkmale in Beziehung zu bringen. Noch aussichtsloser wird diese Aufgabe, wenn wir die Tiere zu einer Zeit beobachten, wo sie ihr Hochzeitskleid angelegt haben und Männchen und Weibchen derselben Art in ihrem Aeußern schon so sehr von einander abweichen, dass man sie kaum für zusammengehörig halten möchte. Bei M. taeniata fällt es indessen bei genauerer Beobachtung auf, dass auch die Hoch- zeitskleider, die besonders den Männehen ein charakteristisches Aus- sehen verleihen, sehr variabel sind und sich bei einzelnen Individuen dem weiblichen Farbkleid auffallend nähern. Die auf dem grauen Grunde gewöhnlich mehr oder weniger unregelmäßig zerstreuten Flecke, ordnen sich hier auf dem kücken in 2 deutliche Längsstreifen an, die ihrer Lage nach dem bei dem weiblichen Tier vom Kopf bis zur Schwanzspitze verlaufenden Streifenpaar vollkommen entsprechen. Andererseits finden sich bei den Weibehen von /aeniata statt der beiden Längsstreifen nicht selten Längsreihen langgezogener Flecke. Die- selben Streifen beobachten wir auch bei dem Männchen und Weibchen von M. palmata und eine Andeutung derselben, ist bei genauer Be- trachtung der Zeichnung des M. alpestris-Weibchens leicht zu erkennen. Schwieriger ist es, die Flecken in der Zeiehnung der M. eristata auf diese Streifenanlage zurückzuführen, da sie meistens weniger regel- mäßig in Reihen angeordnet sind. Die Seitenflächen unserer Molche sind mit kleineren oder größeren Flecken bedeckt, die bei dem Weibchen von alpestris eine Netzzeich- nung, beim Männchen von eristata Querstreifen bilden. Ob nun diese Flecken und die aus ihnen entstehenden Zeichnungs- formen wie die Elemente der Rückenzeichnung von einem gleichartigen Grundscehema abzuleiten sind, kann kaum entschieden werden, ohne dass wir die Resultate benützen, welche das Studium der ontogene- tischen Entwicklung der Zeichnung an die Hand giebt. 1. Entwieklung der Zeichnung von Molge taeniata Schneid. Die jüngste Stufe von M. taeniata, auf welcher bei schwacher Vergrößerung am Embryo Pigmentzellen in den tieferen Schichten der Haut zu beobachten waren, sehen wir in Fig. 1 dargestellt. Der Kopf der noch im Ei eingeschlossenen Larve ist zu dieser Zeit undeutlich vom Rumpf getrennt, die Extremitäten sind durch kleine Vorwölbungen der Körperhaut angedeutet, die Kiemen bestehen aus drei Paar kurzen Hautausstülpungen, in denen noch kein Blut zirkuliert. Auf dem hücken der Larve verlaufen vom Kopf bis zum Schwanz zwei gelblich gefärbte Zonen, die dnreh einen helleren, an Stelle des Kammes stehenden Streifen getrennt werden. In diesen gelblich erscheinenden Rändern liegen die dunkeln stark verästelten Pigmentzellen, die in je zwei Längsstreifen angeordnet sind. Die Ausläufer der Pigmentzellen sind 152 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. zu diesem Zeitpunkt noch nicht untereinander verbunden, oder sie ent- halten noch kein Pigment und entziehen sich dadurch der Beobach- tung, jedenfalls lösen sich diese Streifen bei Anwendung stärkerer Vergrößerung in Punktreihen auf. Die beiden rechts und links des Kammes gelegenen Streifen enthalten eine größere Zahl von Pigment- zellen als die Seitenstreifen und sind von diesen durch einen unpig- mentierten Zwischenstreifen getrennt. Ich zähle bei der mir vorliegenden Kierr2. ıorla Figuren 14—3. Molge taeniata Schneid.! Fig. 1. Molge taeniata-Larve im Ei. Erste "mikroskopisch wahrnehmbare Zeichnung. circa 15:1. Fig. 2. Molge taeniata-Larve im Ei, 1—2 Tage älter. Es lassen sich makro- skopisch 2 Längsstreifen unterscheiden. eirca 15:1. Fig. 3. Molge taeniata-Larve im Ei. Ventralansicht. eirca 15:1. Larve auf dem Rückeu 3—4 ziemlich regelmäßig angeordnete Längs- reihen von Zellen. Die beiden an den Seiten verlaufenden Streifen werden nur aus je einer Zellreihe gebildet. Die auf dem Rücken be- findlichen pigmentierten Streifen setzen sich, wie wir aus Figur 1 ersehen können, auf den Kopf des Embryo bis über das Auge fort. Auf dieser frühen Entwicklungsstufe besteht also die Zeichnung des . Embryo von M.taeniata aus vier pigmentierten Zonen, die selbst wieder aus einer Anzahl Streifehen gebildet werden. Allein schon nach kurzer Zeit, 1—2Tage (die schnellere oder langsamere Entwicklung ist sehr abhängig von der Temperatur des Wassers), hat der Embryo ein sehr verändertes Aussehen angenommen. Wir sehen jetzt schon mit bloßem Auge vier deutliche Längsstreifen, von denen zwei auf dem Rücken ver- laufen und sich kontinuierlich von der Supraorbitalgegend bis zur Schwanzspitze fortsetzen und zwei an den Seiten, die ein kurzes Stück vor den Kiemen beginnen und bis zum Schwanzansatz nach hinten reichen. Ein Vergleich mit Fig. 1 zeigt, dass die beiden Rückenstreifen durch die Verbindung der die pigmentierte Rückenzone darstellenden Reihen von dort noch vereinzelt stehenden Pigmentzellen entstanden sind, und dass ebenso die Seitenstreifen den Seitenstreifen des jüngeren v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 153 Stadiums entsprechen. Auf der Bauchseite der noch im Ei einge- schlossenen Larve beobachten wir in der Gegend des Bulbus arteriosus ebenfalls eine Anhäufung von Pigmentzellen, die mit den Seitenstreifen in Verbindung zu stehen scheint. Auch an der Mundspalte sind Pig- mentzellen aufgetreten. Fig. 3. Fig. Fig. 4. Molge taeniata. Ausgeschlüpfte Larve 3—4 Tage nach dem Verlassen des Eies. circa 11:1. Fig. 5. M. taeniata-Larve 8 Tage nach dem Verlassen des Eies. Die Längs- streifen sind in Fleckreihen aufgelöst. ca. 11:1. Fig. 6. M. taeniata-Larve 4 mm lang. Wenige Tage älter als die Larve in Fig.5. Die Punktierung ist gleichmäßig geworden. Die Pigmentzellen ordnen sich z. T. in Querreihen an. ca. 11:1. Die nächste Abbildung Fig. 4 stellt eine Larve dar, die das Ei bereits seit 3—4 Tagen verlassen hat. Ihre Zeichnung ist jedoch im Wesent- lichen unverändert geblieben, neu ist nur die Pigmentierung der Kiemen und der vorderen Extremitäten. Unter dem Mikroskop beobachten wir indessen ein Netz von dunkeln Pigmentzellen, welche sich in den tieferen Schichten der Haut ausbreiten und die Rückenstreifen von der Schwanz- spitze bis in die Region des Schultergürtels miteinander verbinden. Der Kamm der Larve, der über diesem Netzwerk von Pigment- zellen steht und im Aufblick nieht zur Geltung kommt, besteht in diesem Stadium aus einer Hautfalte, welche fast farblos ist und ver- 454 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. schiedene in ihrer Form den Pigmentzellen ähnliche, aber jetzt noch ungefärbte Zellen enthält. Diese Zellen werden, wie ich jetzt schon vorausschicken will, später gelblich und verwandeln sich schließlich in echte Pigmentzellen, indem sich, wie es scheint, der anfangs licht- gelbe Zellinhalt zu dem für die übrigen Pigmentzellen charakteristischen gelbbraunen Farbstoff umbildet. Auf der Bauchseite der Larve ist aus der in der Bulbusgegend gelegenen Pigmentanhäufung ein Komplex von Farbzellen entstanden, der nahezu das ganze Herz bedeckt. Das Wachstum der Larven war nun in den folgenden Tagen, in der Zeit, in welche die Entwicklung der Vorderextremitäten und die Verzweigung der Kiemen fällt, ein außerordentlich rasches. Darauf ist auch die plötzliche Umwandlung zurückzuführen, welche regelmäßig in dieser Zeit mit der Zeichnung der Tiere vor sich geht. Die vor wenigen Tagen noch längsgestreifte Larve, wird plötzlich gefleckt, d. h. die Längsstreifen haben sich in längsverlaufende Punktreihen aufgelöst, weil offenbar die Vermehrung der Chromatophoren mit dem Flächenwachstum des Tieres nieht gleichen Schritt hält, vergl. Fig. 5. Von den Larven, von welchen die ersten am 3. Mai 1898 das Ei ver- lassen hatten, fand ich einzelne schon am 11. Mai in dieser Weise verändert, am 13. Mai hatten bereits alle die Fleckzeichnung ange- nommen und zwar sowohl diejenigen, welche im Schatten gestanden hatten, als auch die, welehe dem Licht ausgesetzt waren. Die Punkte sind zuerst noch deutlich in Längsreihen angeordnet und liegen ent- sprechend den Längsstreifen in vier Zonen. In Figur 5 sind nur die Rückenzonen sichtbar, weil die beiden seitlich gelegenen im Auf- blick durch die starke Wölbung des Körpers verdeckt werden. Nach einigen Tagen ist indessen von der Anordnung der Pigmentzellen in Zonen nichts mehr zu sehen, die Larve wird, wohl dadurch, dass die Pigmentzellen auseinander rücken, gleichmäßig gefleckt. Diese Ver- schmelzung der Zonen beginnt, wie schon in Fig.5 angedeutet ist, am Hinterende der Larve und die Trennung der Rückenstreifen bleibt, wie aus Fig. 6 ersichtlich, am Kopf am längsten erhalten. Aus Fig. 6 ersehen wir außerdem, wie sich die Flecken in Querreihen anzuordnen beginnen. Die feine Punktierung der Larven wird nun im weiteren Laufe der Entwicklung, die von einer starken Vermehrung der Pigment- zellen begleitet ist, immer dichter, wir beobachten sie noch an Tieren, die ihre Kiemen verloren haben und nahezu ausgewachsen sind, wir erkennen sie beim geschlechtsreifen Weibchen und beim Männchen, nachdem es sein Hochzeitskleid abgelegt hat. Wo die Pigmentzellen gleichmäßig verteilt bleiben, tragen sie dazu bei, die Grundfarbe des Tieres zu bestimmen, an andern Stellen entstehen, indem sich die Farbzellen enger gruppieren, neue Zeichnungsmerkmale wie die Figuren 7, Ta, 7b veranschaulichen. v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 155 In Fig.7 schließen sieh die Elemente der primären Fleckzeiehnung zu größeren Komplexen zusammen, die auf dem Rumpf den Eindruck Eig-T. Fig. 7a. Fig. 8. Fig. 7. Molge tacniata-Larve 3mal vergrößert, vorn: Beginn der Bildung quergerichteter Flecke. Fig. 7a. M. taeniata-Larve 3mal vergrößert. Fig. 7b. M. taeniata-Larve 3mal vergrößert, vorn: Bildung bleibender Längs- streifung. Fig. 8. M. taeniata- g' nach der Brunst. Nat. Gr. von Querstreifen auf den Schwanz den von größeren kreisförmigen Flecken machen. Diese Querstreifen, die bei der in Fig. 7 abgebildeten Larve in der 10—11 Zahl vorhanden sind, zeichnen sich gewöhnlich durch symmetrische Anordnung aus und 'entsprechen der Zahl nach, den bei dem ausgewachsenen männlichen Triton in Fig. 8 noch schwach angedeuteten die Flecken verbindenden Querstreifen. Die Querstreifen sind, wie Figur 7 zeigt, an ihrem proximalen Ende dunkler als in ihrem übrigen Verlauf, und es liegt nahe, anzunehmen, dass diese Konzentrationspunkte den in Fig. 8 deutlich ausgesprochenen Flecken entsprechen. Die Fleckenreihen des erwachsenen Molches deuten aber ihrerseits die Stellen an, wo die primären Längsstreifen der Larve gelegen hatten. Am Kopf der Larve gruppieren sich die Pigment- zellen weder zu Flecken noch zu Querstreifen, hier entstehen wieder deutliche Längsstreifen ihrer Lage nach den ursprünglichen und auclı beim erwachsenen Tier noch vorhandenen Streifen entsprechend (vergl. Fig. 8 u. 9). Bei einem Teil der Larven (vergl. Fig. 7b) kommt es indessen nicht zur Bildung von Flecken oder Querstreifen. Hier ent- stehen mehr oder weniger deutliche Längsstreifen, die sich mit den 156 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. primitiven Rückenstreifen und den besonders beim erwachsenen weib- lichen Tier hervortretenden Rückenstreifen identifizieren lassen. Eine dritte zwischen diesen Rückenstreifen gelegene sehr feine Längslinie entspricht wohl der Pigmentierung des Kammes. Ob die Molchlarven, bei denen die Längslinien so besonders deutlich ausgebildet sind, weib- liche Tiere waren oder nicht, habe ich leider nicht festgestellt. Fig. 9b. Fig. 9a u. 9b. Molge taeniata- S' im Hoch- 4,0 : \ Ä : R ar zeitskleid. Nat. Gr. In Fig. 9b beziehen vn Mn sich die Nummern auf die Zonen I-VI der n LAN Eidechsenzeichnung. Fig. 10. M.taeniata 2. Nat. Gr. Je älter nun die Larven werden, desto deutlicher prägen sich die bleibenden Zeiehnungsmerkmale aus, ohne indessen irgend welche weitere typische Umwandlung zu erfahren. Die Stellen, an denen bei der kleinen Larve zum ersten Mal Pigment auftrat, bleiben auch beim erwachsenen Tier in erster Linie der Sitz der Zeichnungsmerkmale. Beim Weibchen erhält sich die ursprünglichere Längsstreifung, beim Männchen erreicht besonders im Hochzeitskleid die Fleekung ihre höchste Entwicklung. Fassen wir die im vorstehenden mitgeteilten Beobachtungen über die ontogenetische Entwicklung der Zeiehnung von M. taeniata zu- sammen, so erhalten wir kurz folgende Formenreihe: Die erste bei der Larve makroskopisch sichtbare Zeichnung besteht aus 4 Längs- v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 157 streifen. Diese entsteht durch die Verschmelzung von in Längs- reihen angeordneten und auf vier Zonen verteilten Pigmentzellen, deren Vorhandensein in noch früheren Stadien durch das Mikroskop nach. gewiesen werden kann. Die zweite Zeichnungsstufe die makrosko- pisch zur Geltung gelangt, ist eine feine Punktierung, die wohl dureh. schnelles Wachstum der Körperoberfläche bei langsamerer Ver- mehrung der Pigmentzellen zu stande kommt. Die Längsstreifen werden in Punktreihen aufgelöst. Zuerst stehen die Punktreihen noch in vier Zonen, allmäblich wird aber die Punktierung eine gleichmäßige und, indem sich die Pigmentzellen vermehren, eine immer dichtere. Hierbei zeigen sich einzelne Stellen des Körpers und zwar gerade wieder diejenigen, wo die primitiven Längsstreifen auftreten, besonders begünstigt, es bilden sich hier Anhäufungen von Chromatophoren, die entweder in Streifen, oder aber in Fleckenreihen angeordnet sind. Diese Streifen und Flecken stellen die bleibende Zeichnung dar. In der Zeichnung des erwachsenen Tieres bleiben somit die ursprünglich pigmentierten Stellen der bevorzugte Sitz der Zeichnungsmerkmale. Die Zeichnung des Männchens, wie die des Weibchens entwickelt sich aus einem und demselben Grundschema aus vier durch Verschmelzung mehrerer Farbzellreihen entstandenen Längsstreifen. Bei dem Weibchen (Fig. 10) herrscht die Neigung zur Bildung von Längsstreifen vor, beim Männchen (Fig. Su. 9) das Bestreben Flecken zu erzeugen. Diese Entwicklungsrichtung erreicht beim Männchen im Hochzeitskleid (Fig. 9a und Fig. 9b) ihren. höchsten Ausdruck, unterliegt aber, wie wir sahen, individuellen Schwankungen. Nach der Paarungszeit werden sich die Kleider beider Geschlechter wieder sehr ähnlich (Fig. 8). 2. Entwicklung der Zeichnung: von Molge. palmata Duges. Das Material, welches mir von dieser Art zur Verfügung gestanden hat, war leider ziemlich beschränkt, so dass ich selbst nur wenige Ent- wicklungsstufen der Larvenzeichnung beobachtet habe, und mich, um die weiteren Stadien der Zeichnung zu schildern, an die Beschreibung halten werde, welche uns durch Leydig [7] für die Entwicklung aller Molche der württembergischen Fauna gegeben worden ist. Die erste Zeichnung der Larve von M. palmata besteht zuerst aus zwei Längsstreifen, die aber, wie in Fig. 11 ersichtlich, schon bei dem ganz jungen Embryo durch ein tiefer liegendes Chromato- phorennetz im hinteren Teil des Körpers zu einer breiten pigmentierten Zone verbunden sind. Bei der dem Ei entschlüpften Larve beobachten wir ähnlich wie bei M. taeniata eine Auflösung dieser Rückenstreifen in drei sehr eng stehende Punktreihen Fig. 12, die den ganzen Rücken der Larve bedecken. Die beiden Seitenstreifen, welche zum Unterschied von M. taeniata der palmata-Larve in den frühesten Stadien fehlen, 458 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. sind in dieser und in den späteren Entwicklungsperioden ebenfalls wahrzunehmen. Bei Larven, die eine Woche älter waren, ordneten sich diese Punkte ähnlich, wie wir es bei der vorher beschriebenen Art gesehen hatten, segmentweise in Querstreifen an, die wie dort eine Verbindung zwischen Rücken- und Seitenstreifen herstellen. Fig. 11. Fig. 12. Fig. 13. Fig. 11—14. Molge palmata Duges. Fig. 11. Molge palmata. Larve im Ei. Die erste aus Längsstreifen bestehende Zeichnung. eirca 11:1. Fig. 12. M. palmata. Ausgeschlüpfte Larve. Die Streifung hat sich in eine regelmäßige Punktierung verwandelt. ca. 11:1. Fig. 13. M. palmata. 2. Nat. Gr, Fig. 14. M. palmata. & im Hochzeitskleid. Nat. Gr. Bis hierher reichen meine eigenen Beobachtungen. Nach Leydig wird nun die Grundfarbe der Oberseite der halberwachsenen Larven aus Mitte oder Ende Juli hell olivenbraun, und der Schwanz zeigt auf hell olivenfarbenem Grunde ein dichtes Netz dunkler Pigmentierung. Es scheinen sich also die Pigmentzellen, welche anfıngs nur die Zeichnung des Tieres bilden, wie bei taeniata ebenfalls über den ganzen Körper ziemlich gleichmäßig auszubreiten und die Grund- farbe der Larve zu bestimmen. Ob nun die bleibende Zeichnung‘ in ähnlicher Weise entsteht wie bei M. taeniata, darüber wird von Leydig nichts erwähnt; es scheint mir dies indessen schon des- halb sehr wahrscheinlich zu sein, weil hier wie dort die Streifen und Fleckenzeiehnung des erwachsenen Tieres ihrer Lage nach der Zeichnung der Larve vollkommen entsprechen und weil auch die Zeichnung der Molge palmata besonders der weiblichen Tiere der- v. Linden, Ontogen. Entwicklurg der Zeiehnung unserer einheim, Molche. 159 jenigen des 2 von M. taeniata nahezu identisch genannt werden kann. Die Rückenstreifen des 2 palmata nehmen allerdings einen mehr zackigen Verlauf als bei faeniata, allein dieses Zeichnungsmerkmal ist auch bei /aeniata variabel, und ich habe z.B. in der Sammlung des Bonner Museums Larven von Zaeniata gesehen, bei denen die Binde ganz palmata-artig gezackt erschien. Jedenfalls sehen sich die weib- lichen Tiere von diesen beiden Molchen so ähnlich, dass es schwer wird, sie auseinander zu kennen, wenn sie in einem Gefäß beisammen sind. Das erwachsene Männchen von palmata ist wie das von fae- niata gefleckt Fig. 14. Die einzelnen Flecken sind aber kleiner, als bei der vorigen Art. Sie stehen bei einigen Exemplaren in vier Fig. 15. Fig. 16. Eie:51% a EEE Nr tn ir EL PR Fig. 15—20, Molge alpestris Laur. Fig. 15. Molge alpestris. Larve im Ei. Erste Zeichnungsanlage aus 4 Längs- streifen bestehend. ca. 11:1. Fig. 16. M. alpestris. Ausgeschlüpfte Larve. 1--2 Tage nach dem Verlassen des Eies. ca. 11:1. Fig. 17.- M alpestris. Larve eirca 14 Tage nach dem Verlassen des Eies. Auflösung und Umbildung der Längsstreifen für Netzzeiehnung. ca. 20:1. 460 v: Linden, Öntogen. Entwicklung ‘der Zeichnung unserer einheim. Molche. deutlichen Längsreihen, bei andern erscheinen sie unregelmäßiger zer- streut. Nach der Brunst eutwiekeln sich auch beim Männchen die für das Weibchen charakteristischen Zackenbinden auf dem Rücken und nur die Seiten des Bauches bleiben gefleckt. 3. Entwicklung der Zeichnung von Molge alpestris Laur. Auch die Zeichnung von M. alpestris beginnt, wie Fig. 15 zeigt, mit Längsstreifung und zwar beobachten wir, wie bei der gleich- alterigen Larve von M. taeniata vier Streifen, von denen zwei auf dem Rücken und zwei auf den Seiten des Körpers verlaufen. Die Zeiehnung der jungen alpestris-Larve tritt indessen schon in diesem Stadium viel deutlicher hervor als bei /aeniata, einmal weil die Eier und Embryonen ziemlich viel größer sind, dann aber auch, weil deren Haut sich jetzt schon durch größeren Pigmentreichtum auszeichnet. Auch in Fig. 16 bei einer Larve, die das Ei schon 1—2 Tage ver- Fig. 18. Fig. 19a. Fig. 18. Molge alpestris. Larve eirca 16 Tage nach dem Verlassen des Eies. Bildung von 'Querstreifen. ca. 20:1. Fig. 19a,b. M. alpestris. 2 nach der'Häutung gezeichnet. Nat. Gr. Fig. 20. M. alpestris. & nach der Brunst. Nat. Gr. v. Linden. Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 161 -Jassen hat, sind die vier. Streifen unverändert erhalten geblieben, aber wie in Fig. 4 bei M. taeniata werden die Rückenstreifen durch em tiefer liegendes: Chromatophorennetz miteinander verbunden. ‚Der größeren Neigung bei M. alpestris Pigment zu bilden, ist es wohl auch zuzuschreiben, dass hier das Stadium, in welchem die Längsstreifen, wie bei M. taeniata und M. palmata, in Punktreihen zerfallen, viel weniger deutlich ausgesprochen ist, obwohl das Wachs- tum der Larven in (diesem Alter ebenso schnell verläuft, wie bei taeniata. Wir beobachten allerdings auch eine Auflockerung der Längsstreifen, eine deutliche Punktierung tritt indessen nur am Kopf und an den Seiten auf. Auf dem Rücken ordnen sich die Chromatophoren zu Querstreifen oder zu einer eigentümlichen Netzzeichnung an, welche auf dem Schwanz besonders engmaschig wird. Wie bei Zaeniata und palmata die ursprüngliche Zeichnungsform am Kopf am deutlichsten erhalten bleibt, so beobachten wir auch hier bei der Larve von al- pestris noch ziemlich ursprünglich verlaufende Punktreihen, während sich auf dem übrigen Körper die Umbildung zur Netzzeichnung schon vollzogen hat. Die Larven, welche ich in Fig. 17 und 18 abgebildet habe, veranschaulichen sehr deutlich diese postero-anteriore Umbildung und zeigen wie das Schwanzende des Körpers schon fast zur Ein- färbigkeit fortgeschritten ist. Während sich nun ein immer dichteres Pigmentzellennetz über den Körper der älteren Larve verbreitet, treten, wie wir es bei M. taeniata gesehen hatten, einzelne Stellen durch be- sonderen Pigmentreichtum vor anderen deutlich hervor. Diese Pig- mentanhäufungen befinden sich, wie uns die Zeichnungen F. Gascos [5] veranschaulichen, an Stelle der vier ursprünglichen Längsstreifen. Sie haben die Gestalt quer gestellter Flecken, ‚die bei einzelnen Exem- plaren zu einer netzartigen Zeichnung verschmelzen. Diese Zeichnung, die beim erwachsenen Tier erhalten bleibt, aber wegen der fort- schreitenden Entwicklung der Grundfarbe nur wenig sichtbar .. ist, kommt später unmittelbar nach der Häutung der Tiere und dann ‘beim 2 am besten: zur Geltung (Fig. 19a,b). Das Männchen von M. alpestris ist auf dem Rücken mit Ausnahme des Kammes während der Brunst zu vollständiger Einfärbigkeit fortgeschritten, nachdem er das Hochzeitskleid abgelegt hat, wird indessen die Fleekung auch hier wieder sichtbar (Fig. 20). Eine ausgesprochene Fleckung bleibt bei d ünd 2 von M. alpestris nur im Seitenstreifen bestehen und wird hier durch eine weiße Umrandung jedes einzelnen Fleckehens noch besonders auffallend gemacht. 4. Entwicklung der Zeichnung von Molge cristata Laur. Die erste makroskepisch sichtbare Zeichnung, die ich bei den Larven von M. cristata angetroffen habe, war eine ausgesprochene xXX, 11 462 .v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. Punktierung. Die einzelnen Pigmentzellen, welche die Punkte dar- stellen, waren aber in Längsreihen angeordnet, und standen in vier Zonen (vergl. Fig. 21). Zwei Punktreihen verliefen rechts und links Fig, 21 . Fig. 22; 9.812223. Fig. 21—25. Molge eristata Laur. Fig. 21. Molge ceristata. Larve im Ei Erste Zeichnnngsanlage. ca. 20:1. Fig. 22. M.cristata. Larve- circa 9 Tage nach dem Verlassen.des Eies. ca. 11:1. Fig. 23. M. algestris. 2. Nat. Gr. von der Mittellinie über den Rücken hinweg und reichten von der Mitte der Supraorbitalgegend bis zur Schwanzspitze, zwei weitere Punktreihen verliefen je an einer Seite der Larve und erstreckten sich vom hinteren Augenrand bis in die Beckengegend. Die Punktreihen entsprechen somit ihrer Lage nach wiederum den Streifen der Larve von M. taeniata und der andern im vorhergehenden betrachteten Formen. Es scheint mir nun, dass diese Punktierung, welche wir an den noch im Ei befindlichen Larven beobachten, dem Entwieklungsstadium der Zeichnung identisch ist, welches die junge Larve von M. taeniata Fig. 1 darstellt, denn Leydig beschreibt die Zeichnung der älteren, aus dem Ei geschlüpften Larven als Längsstreifung. Aus Fig. 22 ist es auch ersichtlich, dass die Punktreihen in der That später zu Längs- binden zusammenfließen. Die folgenden Entwicklungsstadien der eristata- v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 163 Zeichnung gleichen sehr den Umwandlungen, wie sie sich in der Zeichnung von M. alpestris vollziehen. Wir beobachten, wie dort eine erhebliche Vermehrung des Pigmentes und eine Anordnung der Farb- zellen zu Querlinien. Zum Teil bleiben auch beim erwachsenen Tiere die Querlinien bestehen, nachdem sie sich vorher erheblich verbreitert und bis über die Hälfte des Bauches verlängert haben. Auf dem Rücken lösen sie sich meist in Flecke auf. Dadurch, dass bei M. cristata beim erwachsenen Tier die Querzeichnung vorherrscht, kommt hier die ur- sprüngliche Anlage von Längsstreifen nur wenig zur Geltung. Fig. 24. Fig. 25a und Fig. 25b. Fig. 24. Molge cristata. &. Nat. Gr. Fig. 25a,b. M. cristata. % von unten und oben gezeichnet. Nat. Gr. Zusammenfassung. Ich hatte mir Eingangs die Frage vorgelegt, welche der drei be- stehenden Zeichnungstheorien (Eimer’s, Werner’s und Tornier’s) wohl am meisten mit den Ergebnissen in Einklang zu bringen sei, die für die Entstehung der Amphibienzeichnung aus ihrer Ontogenie ab- geleitet werden müssen. Wenn ich nun die Resultate meiner Unter- suchungen an unseren einheimischen Molchen zusammenstelle, so zeigt ul * 164 v. Linden, Ontögen. Entwicklung. der Zeichnung unserer einheim. Molche. es sich, dass weder unregelmäßige Fleckung noch Einfärbigkeit den Ausgangspunkt für die Zeichnung unserer. Molche bilden, sondern dass in der Ontogenie aller vier Arten, die Eimer’sche Ansicht, dass: auch hier. wie bei andern Wirbeltiergruppen Längszeichnung zuerst auf: trete, vollauf bestätigt wird. Uebereinstimmend finden wir bei allen unsern Molchen, dass a Zeichnung der Larven in ihren Anfängen aus Pigmentzellen besteht, welche in Längslinien angeordnet sind. Je nachdem nun. die Chro- matophoren näher oder weniger nahe zusammenstehen, je nachdem ihre Fortsätze weit ausgebreitet bezw. bis in ihre ‚äußersten Spitzen pigmentiert sind, oder kurz und pigmentarm erscheinen, bezeichnen wir die Zeichnung als Streifung oder Punktierung, und ich stimme der Auffassung Zenneck’s |14b] vollkommen bei, der die Frage, ob Längsstreifen oder Fleckenreihen das Ursprünglichere sei, als nebensächlich bezeichnet und es allein für wesentlich hält, festzu- stellen, ob im einzelnen Fall longitudinale d. h. der Längsaxe des Körpers parallel laufende, oder transversale d. h. zu dieser senkrecht stehende Elemente, den Ausgangspunkt für die Zeichnung bilden. Da nun die Zellen, welche den Farbstoff tragen, nach den Untersuchungen Ehrmans [2] zuerst der Ausläufer entbehren, und das Pigment in ihrem centralen Teil aufzutreten beginnt, so können wir als wahrschein- lich annehmen, dass hier Punktierung, bei welther jede Pigmentzelle zur Geltung komnit, theoretisch alseine primäre, Streifung hingegen, die durch Verbindung der Zellen untereinander entsteht, als eine sekundäre Zeichnungsform aufzufassen ist. Vollzieht sich das Wachstum und die Pigmentbildung in den Farbzellen sehr schnell, so werden wir makroskopisch nur Längsstreifung wahrnehmen, vollzieht sich der Vor- gang der Pigmentierung langsamer, so werden wir auch die primäre Punktierung beobachten können. Ich sprecbe mit Absicht von Punktierung und nicht von Fleekung, da die letztere Zeichnungsform nicht aus einfachen Ele- menten besteht, wie die erstere, und eine viel höhere Stufe der Ent- wicklung darstellt. Deutliche Längsstreifen beobachten wir mit unbewaffnetem Auge bei den noch im Ei eingeschlossenen Larven von M. taeniata, pulmata und alpestris. Die Larve von M. eristata ist in diesem Alter noch punktiert. Bei /aeniata, alpestris nnd eristata treten die Elemente der Zeichnung in vier Zonen auf, d. h. es finden sich zwei Streifen oder Gruppen von Punktreihen auf dem Rücken der Larve, rechts und links vom Kamm und zwei weitere an.den Seitenflächen des Bauches. Die auf dem Rücken verlaufenden Streifen oder Punktreihen erstrecken sich von der Nasen- oder Supraorbitalgegend bis zur Schwanzspitze, die Seitenstreifen reichen dagegen nur von dem hintern Augenrand oder nur von der Kiemengegend bis zum Beckengürtel. Die: aus dem v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche, 165 Ei geschlüpften Larven bleiben nur kurze Zeit längsgestreift. Nach wenigen Tagen lösen sich die Streifen in Punkt- und Fleckenreihen auf, eine Umwandlung, welche sich wohl infolge des schnelleren Wachs- tums der. Larve vollzieht und das Eimer’sche Zeichnungsgesetz auf das schönste bestätigt. Die Larven erscheinen jetzt dem Auge fein gefleckt. Bei M. alpestris und eristata kommt die Fleckung weniger deutlich zum Ausdruck, weil sich hier die Pigmentzellen frühzeitiger als bei den anderen Formen zu Querstreifen oder zu einer netzförmigen Zeiehnung anordnen. Diese Quer- und .Netzzeichnung pflegt, neben einer allgemeinen Pigmentvermehrung und dadurch hervorgerufenen Dunkelfärbung der Larven, immer ‚deutlicher hervorzutreten. Indem sich eine wachsende Anzahl von Farbzellen an der Zeichnung be- teiligen, breitet sich schließlich die Netz- oder die Querzeichnung, welche anfangs nur in den Rückenstreifen angelegt war, auch auf die Seiten des Bauches und bei cristata z. B. sogar auf die Bauchfläche aus. Bei M. taeniata und palmata bleibt die Längsrichtung der Zeiehnungs- elemente auch beim erwachsenen Tier vorherrschend und wir können verfolgen, wie sich aus den segmentarisch angeordneten Querstreifen der jungen Larve eine auf dem Rücken in Längsreihen angeordnete Fleckung des erwachsenen Männchens herausbildet. An den’ Seiten pflegen die Flecken weniger regelmäßig zu stehen. Die Auflösung der Längsstreifen in Flecken, die Gruppierung dieser letzteren. zu Querstreifen oder zu einer mehr oder weniger ausge- sprochenen Netzzeichnung, das Verschwinden der die ursprünglichen Längsstreifen trennenden Bänder vollzieht sich in der Regel zuerst am Hinterende derLarve und verbreitet sich ganz allmählich auch über dio vorderen Teile des Körpers. Am Kopf bleiben die ursprünglicheren Zeichnungsformen am längsten erhalten, also gilt hier das Gesetz postero-anteriorer -Umbildung. Ebenso färbt sich der Rücken früher aus als Seiten und Bauchfläche (Gesetz der supero-inferioren Umbildung). Am wichtigsten bei der Ausgestaltung der Zeichnung unserer Molche ist die Thatsache, dass diejenigen Körperstellen, an denen die ersten Chromatophoren beim Embryo aufgetreten sind, die also für Pigmentbildung unter besonders günstigen Bedingungen stehen müssen, stets der Ort neuer Pigmentansammlung bleiben, während die die Streifen trennenden anfangs unpigmentierten Zonen später häufig zum Verblassen neigen. Wir können sagen, dass aus der Fleckung, die auf die ursprünglichen Längsstreifen folgt, die neue bleibende Zeichnung hervorgeht und dass sich diese von den Rücken- und Seiten- streifen aus nach unten verbreitet. So bilden sich die Flecken und Streifen der Molche taeniata und palmata, so bildet sich aber auch die Zeichnung der M..alpestris und eristata, die sich allerdings nur wenig von der viel dunkleren Grundfarbe abhebt. Es ist noch zu erwähnen, 466 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche, dass bei sämtlichen Tritonen in der Fleckung und Querstreifung eine symmetrische Anordnung, in gewissem Sinne, eine Segmentierung zum Ausdruck kommt. Wie diese regelmäßige Anordnung, die besonders anfangs in der Larvenzeichnung auffallend ist, erklärt werden soll, ist mir noch nicht verständlich, möglicherweise steht die Lagerung der Chromatophoren in Beziehung zu der Myomerenbildung. Eigen- tümlich ist es ferner, dass auch an den Füßen, besonders an den Zehen unserer Molche, Pigmentflecke, vorzüglich am Ende der einzelnen Phalangen, zu stehen pflegen. Trotzdem, dass die Zeichnung unserer Molche in ihren Anfängen nahezu vollkommen gleichartig ist, gestalten sich die Kleider der aus- gewachsenen Tiere in recht verschiedener Weise aus. Die späteren Verschiedenheiten sind einmal darauf zurückzuführen, dass die Zeich- nung einer Art auf niederer Stufe der Entwicklung stehen bleibt als die einer andern, und dass hauptsächlich die Fähigkeit, Farbstoff zu erzeugen, bei den Molchen recht wechselnd ist. Am pigmentärmsten sind M. taeniata und palmata; beide Formen stehen auch in ihrer Zeichnung, besonders in der Zeichnung des Weib- chens, auf sehr niederer Stufe. Viel größer ist die Fähigkeit, Farb- stoffe zu erzeugen, bei M. alpestris und ceristata. Bei letzterem ist nicht nur die Rückenseite, sondern auch der Bauch am dunkelsten pigmentiert. Auf Grund ihrer Färbungs- und Zeichnungsmerkmale stehen sich einerseits M. taeniata und palmata, andererseits M. alpestris und cristata näher, ähnlich verhält es sich in Bezug auf andere morpho- logische Merkmale, die Form des Schädels, der schlankere bezw. plumpere Körperbau, die glatte oder körnige Haut, das Vorhandensein oder Fehlen von Sehwimmhäuten ete. M. alpestris und ceristata haben außerdem beide die Neigung, weiße Fleckchen auf dem Rücken zu bilden, eine Entwicklungsrichtung die bei M. alpestris in Anfängen zu beobachten ist, bei M. eristata aber ihren Höhepunkt erreicht. Es wird sich zum Schluss noch die Frage aufwerfen, ob wir die von Eimer aufgestellten Zeichnungsgesetze, welche in der Ontogenie der Molchzeichnung ihre Bestätigung finden, auch als maßgebend für die Entwieklung der Zeichnung bei anderen Urodelen oder gar bei Anuren betrachten dürfen. Haben wir die Berechtigung anzunehmen, dass, weil bei den vier untersuchten Triton-Arten die Zeichnung mit Längsstreifung beginnt und hierauf in Fleckung, Querstreifung und Netzzeichnung übergeht, auch innerhalb anderer Gruppen diese Reihenfolge eingehalten wird? Ich glaube aus dem, was z. B. von F. Knauer [6] über die Farben- veränderungen bei den Larven von Salamandra maculata bekannt ge- worden ist, was ferner Sobotta an Menobranchus lateralis beobachtet hat, mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen ähnlichen Entwiecklungs- modus schließen zu dürfen, ich finde auch, dass die Zeichnung der Henri, Ueber die Raumwahrnehmuugen des Tastsinns, 167 halberwachsenen Frösche uns eine derartige Annahme aufdrängt. Dass die Zeiehnungsentwicklungsfrage für die Amphibien überhaupt in dem Eimer’schen Sinn erfolgen muss, scheint mir ferner aus den Unter- suchungen Ehrmann’s hervorzugehen, in denen er auf histologischem Wege den Beweis liefert, dass die Amphibienzeichnung nur aus Längs- zeichnung sich entwickeln kann. (Schluss folgt.) Vietor Henri, Ueber die Raumwahrnehmungen des Tast- sinns. Ein Beitrag zur experimentellen Psychologie. Berlin. Reuther und Reichard (XII, 228 S., 8°). Mk. 7.50. Vorliegende Arbeit Henri’s bildet eine Monographie über alle bisher auf dem Gebiete des Raumsinns der Haut von ihm und andern Forschern angestellten Untersuchungen. Das erste Kapitel giebt eine kritische Ueber- sicht über die bisher angestellten Experimente, beginnend mit E.H. Weber’s grundlegenden Zirkelversuch von 1829, und bespricht dann die theoretische Verwertung der Ergebnisse. Der Verfasser scheidet streng den Raumsinn der Haut, der Aufschluss über die Ausdehnung eines berührenden Gegen- standes giebt, und die Lokalisation, die den berührten Punkt der Haut angiebt. Die eigentlichen Lokalisationsversuche sind diejenigen, bei denen nach der genauen Lage der gereizten Hautstelle gefragt wird. Hierüber hat H. selbst in den Laboratorien von Binet, Wundt, G. E. Müller u. a. m. zahlreiche Versuche angestellt, die er eingehend schildert. Bei stets geschlossenen Augen hatte die Versuchsperson die berührte Hautstelle mit der freien Hand aufzusuchen, oder aber einen auf der Hant mit Farbe markierten Punkt zu betrachten und nach Schließung der Augen mit der Hand zu treffen. Auch die Aufzeigung (ohne Berührung) eines mit Worten beschriebenen ausgezeichneten Punktes der Körperoberfläche (Gelenke, Nägel, Knochenvorsprünge) und ähnliche Verfahrungsarten werden besprochen. Näher auf die infolge der Kompliziertheit der Versuchs- bedingungen recht schwierigen Ergebnisse einzugehen ist hier in diesem Blatte nicht der Ort. Trotzdem der Verf. verschiedene Vorgänger hat, so bleibt ihm das unbestreitbare Verdienst, die Arbeitsmethoden bedeutend verfeinert und viele neue Beobachtungen sorgfältig analysiert zu haben. So besteht ein von ihm neu eingeschlagenes Verfahren darin, dass nach Wiedereröffnung der Augen die Aufzeigung des gereizten Punktes nicht an dem Körperteil selbst, sondern an einer Photographie oder einem Gips- abguss desselben geschieht. Da nun die Lage des gereizten Punktes nach seinem mutmaßlichen Abstand von hervorragenden Stellen (Kanten, Gelenken u. dergl. m.) beurteilt wird, und diese Abstände regelmäßig zu niedrig geschätzt werden, so darf man von einem gesetzmäßigen Verhalten der hierbei auftretenden Fehler sprechen. Auffallende Verwechslungen treten auf, wenn Gesichtseindrücke und Tastempfindungen in Konflikt geraten. Im 3. Kap. bespricht Verf. Beobachtungen medizinisch-physiologischer Art, welche er aus der Litteratur gesammelt hat; sie beziehen sich auf die sog. zweckmäßigen Reflexe, auf die exzentrische Projektion und die 168 Baldwin, Die Entwicklung des Geistes. . falsche Lokalisation verschiedener Empfindungen bei Transplantation der Haut und bei Nervenkrankheiten. Darnach empfinden Hysterische die Berührung mit einem geformten Gegenstand viel genauer als Gesunde. Großhirnlose Tiere lokalisieren reflektorisch, aber ungenau. Bei Reizung sensibler Nerven wird die Empfindung an die Peripherie projiziert, ähn- lich bei Amputierten. Transplantierte lokalisieren oft nach Jahresfrist noch falsch. Bei Halbseitenläsion des Rückenmarks sind die Muskeln der verletzten Seite gelähmt, die kinästhetischen Empfindungen erloschen, während die 'Tastempfindlichkeit -dieser Seite erhöht, die Raumsinnschwelle und Lokalisation normal oder verfeinert ist. | Br ; Im zweiten Teil seiner Schrift prüft Henri die bisher aufgestellten Theorien über Ursprung und Wesen des räumlichen Moments im Tast- sinn, wie sie von Weber, Joh. Müller, Hering, Wundt, James u. a. m. aufgestellt worden sind. H. verwirft sie sämtlich. Henri’s eigne Ansicht, die er nur kurz skizziert (S. 209) geht von der 'Thatsache aus, dass Lokalisationsbewegungen, wenn auch ungenau, schon bei enthirnten Tieren vorkommen, deshalb ist der Ursprung aller räumlichen Orientierung in den angeborenen unbewussten Rückenmarks- reflexen zu suchen; die größere Genauigkeit der Lokalisation wird erst durch den zweiten Hauptfaktor (Berührungsempfindung) erreicht, sie ist mithin cerebral bedingt. t. |24] Baldwin, James Mark, Die Entwicklung des Geistes beim Kinde und bei der Rasse. Mit 17 Figuren und 10 Tabellen; übersetzt von A. E. Ortmann. Mit einem Vorwort von Th. Ziehen. 1898. Berlin. Reuther u. Reichard. gr. 8°. XVI, 470 S. 8 Mk. In Baldwin’s Buch, der mit James, Ladd und Hall zu den ersten amerikanischen experimentellen Psychologen rechnet, darf man zum ersten Male eine Psychologie des Kindes begrüßen, die sowohl hinsicht- lich der Masse des verarbeiteten Materials und der Sorgfalt der Beobach- tung als auch bezüglich der theoretisch wie auch praktisch gleich umsichtig angeordneten Experimente alle wissenschaftlichen Ansprüche befriedigen dürfte. Beachtenswert ist die Methode des Kinderversuchs.. Wenn man z. B. wissen will, ob ein Kind bereits Farben zu erkennen und zu unterscheiden vermag, so darf man nicht erwarten, dass dieselben auch richtig benannt werden, Ein wirkliches Anzeichen für einen einfachen sensorischen Reiz er- hält man nur, wenn man die motorische Reaktion oder einen direkten Reflex in seiner Einfachheit trifft. B. empfiehlt nun besonders das Studium der Handbewegungen des Kindes, und sucht durch Analyse seiner Ver- suchsergebnisse Probleme zu lösen, die bei der früheren Methode der Wortreaktionen ungelöst geblieben waren. Die Brauchbarkeit der neuen Methode der Erforschung der motorischen Reaktionen zeigt B.’s Werk zur Genüge. B. bespricht dann seine Versuche inbezug auf Entfernungs- und Farbenwahrnehmungen, Ursprung der Rechtshändigkeit, die Bewegungen Baldwin, Die Entwicklung des Geistes. 169 des Kindes, malende Nachahmung und die Entstehung der Handschrift, wobei er jedesmal die Experimeute durch eine kritische Theorie ergänzt. Besonders eingehend wird der Einfluss und die Bedeutung der Sug- gestion auf die kindliche Entwicklung dargestellt, zahlreiche höchst in- teressante Versuche hat B. in dieser Hinsicht an seinen eignen Kindern erprobt. Die Suggestion wird nach B. gekennzeichnet durch das plötz- liche Eintreten einer Idee oder eines Blickes, oder eines unbestimmt be- wüssten Reizes von außen her ins Bewusstsein, wodurch die Tendenz hervörgerufen wird, Muskel- oder Willenseffekte herbeizuführen, die auf ihre Gegenwart zu folgen pflegen. Suggestion wirkt im Allgemeinen dahin, Gewohnheit zu zerstören, Sehr lehrreich ist auch der eingehende Nachweis, wie der soziale Sinn des Kindes sich durch Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Sug- gestionen entwickelt. In der sich hieran anschließenden „Biologischen Entwicklung“ be- kennt sich B. als Gegner der neo-Lamarck’schen Theorie und versucht gleichzeitig durch sein Prinzip der organischen Selektion die von ihm vertretene neo-Darwinistische Theorie zu verbessern. Er definiert dies Prinzip etwa folgendermaßen: Erworbene Charaktere, Modifikationen oder individuelle Anpassungen, überhaupt Akkommodationen werden nicht direkt vererbt, sind aber indirekt für die Entwicklungsrichtung dadurch wichtig, dass sie gewisse Tiere am Leben erhalten und als Träger gewisser kongenitaler Variationen vor einer vernichtenden Wirkung der Natur- züchtung schützen. So gestatten sie, dass in der nächsten und den folgen- den Generationen diese Variationen in derselben Richtung sich verstärken. Variationen in anderer Richtung dagegen gehen verloren. Dieses Prinzip ist nach B. in hohem Maß geeignet, zwischen den beiden rivalisierenden obigen Theorien zu vermitteln, da es die Einwände, die gegen beide erhoben werden können, ziemlich zu entkräften vermag (?). Im dritten Teile seines Buches, betitelt „Psychologische Entwicklung“ entwickelt B. seine Ansichten über den Ursprung des Gedächtnisses und der Einbildung, des Denkens und des Affektes, des Wollens und der Auf- merksamkeit an der Hand eingehender Beobachtungen. In Bezug aüf die Entstehung des Bewusstseins äußert sich B. im Anschluss an Romanes dahin, dass das Leben mit selektiver Reaktion als Teil seiner ursprünglichen Ausstattung und zugleich mit Bewusstsein begann, d. h, mit Empfindung von Lust und Schmerz. Diese Annahme wahrt das Kriterium des Geistes, indem sie dasselbe ebenso zum Kriterium des Lebens macht und nimmt einen absoluten, gemeinsamen Anfang von Leben und Geist an. Ein vierter Teil, überschrieben „Allgemeine Synthese“ behandelt den Einfluss der Intelligenz auf die Entwicklung und den sozialen Fortschritt. Im Rassenfortschritt wird die Intelligenz zum herrschenden Faktor; ihrer Zunahme entsprechend, entziehen sich die Individuen der Wirkung der Naturzüchtung und der Abhängigkeit von den Variationen, und so wird der frühere Kampf ums Dasein in hohem Maße beiseite geschoben. Das Individuum entw’ckelt sich unter dem Einfluss von Tradition und sozialer Vererbung, indem sich Gewohnheiten bilden und allmählich. modifiziert werden (Akkommodation). Wesentlich an der Gewohnheit ist die Erhal- tung von günstigen Reizungen durch die eignen Bewegungen des Orga- 170 84. Jahresversammlung der schweiz. naturf. Gesellschaft. nismus. Anpassung bedeutet die Anpassung eines Organismus an kompli- zierbare Reizungszustände mittels komplizierterer Funktionen. Beide Prin- zipien, Akkommodation und Gewohnheit, stehen in Wechselwirkung bei Reaktionen, deren Aeußerung die Tendenz besitzt, die reizenden Be- dingungen, welche die Reaktion anregten, ganz oder zum Teil wieder herzustellen. Mit einem Kapitel über organische Centralisierung und Spezialisierung schließt das Buch, welches niemand, der sich für Ontogenie und Phylo- genie des Geistes interessiert, ohne lebhafte Befriedigung beiseite legen wird. t. [25] Aus den Verhandlungen der 84. Jahresversammlung der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft. Neuenburg am 30. Juli bis 2. August 1899. Botanik. Ö©. Schröter, Botanische Reiseskizze um die Erde. In der 1. allgemeinen Sitzung. August 1898 bis März 1899 unternahm Herr Prof. Dr. C. Schröter in Zürich am eidgenössischen Polytechnikum mit einem Schüler, Herrn Moritz Pernod, studiosus der Agrikultur, eine Reise um die Erde. Er spricht über die Wüstengebiete von Amerika, San Franzisko, über den pacifischen Ozean, Honolulu und Japan. Beschreibt eine Exkursion ins . Innere zu der Waldflora, reiht an Beobachtungen über die Mangrove- Küsten-Wälder auf Java, Beschreibung einer Exkursion auf den Vulkan Pangeraugo und eine Beschreibung des botanischen Gartens in Buitenzorg. Ferner berichtet er kurz über den Aufenthalt auf Ceylon und in Aegypten. Eine wertvolle Sammlung wird dem eidgenössischen Polytechnikum ein- verleibt. In der Sektionssitzung: 1. Ueber recentes und subfossiles Vorkommen und Fruchtbildungs-Varietäten der Trapa natans. 2. Plankton des Katzensees bei Zürich. Pflanzliche Organismen 25 Species. Praedominierend: Olathrocystis aeruginosa und Melosira. Tierische Organismen 34 Species und 13 Mastigophoren. Klasse der Rotatorien in größter Anzahl 15 vertreten. Periodizität des Planktons mit graphischen Darstellungen. Perennirend: Olathrocystis aeruginosa und Melosiren, erste Maximum im August, letztere Maxima im April und besonders im November, diese 2 Maxima harmonieren mit dem Wasserschichtentemperaturwechsel. Perennirend: Rotatoria, Anuraea cochlearis, Maximum im April; Cladocera, starkes Maximum im August; Copepoden ebenfalls; Flagellaten, Dinobryon Maximum im November. E. Cornaz, Plantago fuscescens Jrdn. aus dem Binnthal, dem Pl. montana Leh. ähnlich. E. Tripet, Botanisches Ergebnis einer Exkursion von Magnin (Besancon) im Berner Jura; als interessantere Funde führt er auf: Hera- 84. Jahresversammlung der schweiz. naturf. Gesellschaft. lzal cleum alpinum v. L., Scabiosa lucida V., Pediastrum calcareum, Hieracium scorzonerifolium VW. auf der Jurakette. Vorkommen von biscutella cichorifolia Ls. am Luganersee bei Capolago. M. Micheli berichtet über eine in seinem Auftrag durch Langlass& in Mexiko, Michoacan und Guerrero unternommene Reise. Von den bis- her gesandten Herbarien bearbeitet bisher Micheli die Leguminosen aus Höhen von 1000—2000 m. Viele Mimosen, mehrere Genera und neue Arten. Zoologie, E. Yung, Quantitative Ergebnisse des Planktons des Genfersees. E. Yung und OÖ. Fuhrmann, Einfluss längeren Nahrungsent- zuges auf den Verdauungstraktus der Fische. Esox lucius v. L. 1. Fehlen des Fettgewebes am Darmtraktus, sowie an Mesenterien. 2. Innere Schleim- hautfalten des 'Traktus reduziert, Wandungen dünner, Lumen geringer und Trennung des Mitteldarms vom Enddarm undeutlich. 3. Atrophie der Leber, Zellenverkleinerung. Cytoplasma bis auf eine Spur reduziert, Kern nur halber Größe. 4. Nicht alle Gewebe gleich affızirt, vorherrschend das Epithel und die Drüsen. Aehnliche Ergebnisse erzielten die Experi- mentatoren an Lota vulgaris v. L. OÖ. Fuhrmann, Plankton des Neuenburgersees (vgl. Nr. 3 u. 4). Vertikale Verteilung mit dem Hensen’schen Netz, Oeffnung 24 cm, von Oktober 1896 bis September 1897. Während des ganzen Jahres vorkommend: Alle, die keine Wintereier produzieren, außer diesen auch: Daphnia hyalinaLdg., Bosmina spec. und Bythotrephes longimanus Ldg.; ferner: Asterionella gracillima, Fragilarien, Veratium hirundinella Mr., Conochtlus unicornis Rouss., Polyarthra platyptera v. Ebg., Triarthra longiseta v. Ebg., Gastropus stylifer Imh. 2 Maxima: Mai und Dezember. 2 Minima: März und August, Algen und Daphniden fehlen. Maximum, Mai: Asterionella, Fragillarien, Cono- chtlus unicornis, Bosmina, Bythotrephes, Copepoda. Maximum, De- zember: Dinobryon,. Daphnia hyalina Ldg., Dosmina, Bythotrephes, Cyclops strenuus. Rotatorien, Maximum in den Monaten: Juni, Juli, August. Spezielle Tiefenverbreitung. Oberfläche zum Teil ganz frei von tierischem Leben während der Tageszeit bis zu 2 m Tiefe Erst zahlreich erscheinen Rotatorien, Daphniden, Copepoden in 10—20 m Tiefe. In den norddeutschen Seen dagegen sind die Oberflächenschichten am reichsten, außerordentlich reich an Algen, welche die Oberfläche trüben, das Licht absorbieren ; die sehr lichtempfindlichen Tiere können deswegen sich in der Oberflächenschicht aufhalten. In unsern viel durchsichtigeren Seen müssen die lichtempfindlichen Tiere in der Tiefe bleiben, können nur nachts an die Oberfläche kommen. W. Volz, Vorkommen einiger Turbellarienspeeies in unseren Bächen. Bei Aarberg gleiche Verteilung wie Voigt in gewissen Teilen Deutschlands konstatierte. Auf dem Grund lebte Planaria gonocephala und Polycelis cornuta, an der Oberfläche vorwiegend Planaria alpina. An gleichen Orten wie Planaria gonocephala kommen verirrte Exemplare der 2 anderen Species vor. 12 84. Jahresversammlung der schweiz. naturf. Gesellschaft. \ C. Emery, Vegetarianismus der Formiceiden. Experimentierte mehrere Jahre mit Messor structor aus Italien: 1. Sie fraßen. Schwämme und Pilze. 2. Grüne Samen und ‚Knospen. 83. Ge- kochtes und getrocknetes gewelltes Ochsenfleisch. 4. Reis- und andere Gräserkörner. 5. Italienische Pasta und Brot. Die Fütterung geschah hauptsächlich mit italienischer Paste. Mit diesem Futter allein erzogen die Ameisen ihre Larven bis zum ausgewachsenen Zustand. Die nächsten Verwandten dieser Species sind vorwiegend Fleischfresser, Aphaenogaster. F. A. Forel, Erinnert an das plötzliche Auftreten einer Farben- varietät des Oygnus olor v. L., falsche Albinos. Oefter wiederholte sich am Ufer des Genfersees die Varietätenbildung bei diesen halbwilden Schwänen, etwa 35°/, seit 1868, weniger häufig bei denen im Hafen der Stadt. Die Füße dieser Varietät sind rosa. ah anderwärts beobachtete Forel das Auftreten dieser Varietät, so in Nimes, Fleet of Portland. Forel betrachtet diesen falschen Albinismus als progressive Variation: P. Godet weist 70 kolorierte Tafeln und Verzeichnisse der bisher im Kanton Neuenburg gefundenen Protozoen vor. H. Fischer, 1. Vorkommen von Rana fusca, im Hochgebirg. Im Winter 1898 —1899 waren die Seen auf dem St. Gotthardsattel, Sellasee, Lucendrosee noch Ende Juni mit Eis und Schnee bedeckt. Am 31. Mai erhielt er von Andermatt Eier und frisch ausgeschlüpfte, am 14. Juni Larven von 25 mm, die etwa 20 Tage alt waren. 2. Es gelang ihm einen Proteus angwineus im Aquarium seit Juli 1896 lebend zu erhalten. Die Nahrung besteht aus Infusorien und Entomostraken. 3. Beobachtungen über die Fortpflanzung von Hydrophilus piceus im Aquarium. Bildung von Oocons mit Eiern. E. Pitard, 1. Serie alter vorwiegend brachycephaler Schädel aus dem Rhonethal. Von etwa 400 Schädeln waren 88°/, brachycephal, nur 1,56°/, dolichocephal. Augenhöhlen meist megasem, Nasen leptorrhin, Gesicht etwa die Hälfte leptoprosop. Besonders frontale und parietale Region ausgebildet, weniger die oceipitale. 2. Vergleichung einer großen Reihe Schädel aus dem Rhonethal bezüglich des Geschlechtes: weibliche Schädel morphologisch höher gestellt, fronto- oceipital, männliche parietal. H. Blanc, Vorkommen von Asellus aquaticus am Ufer des Genfer- sees, Hafen von Ouchy. Bisher waren nur sein Asellus foreli aus der Tiefseefauna und Asellus cavaticus aus den Brunnenschächten bekannt, der Autor nimmt die Abstammung der beiden Asellö vom littoralen aqua- bieus an. F. Kaufmann, Ostracoden der Fauna helvetica. Familie Oytheridea . . 3 Genera 4 Species. h Gypridoe:. 2.14 Ir, "8A + Darwinulidae .. 1 Genus. 1 ,„ Total 18Genera, '39 Species. Neu zu den früher bekannt gegebenen fügt er Limnicythera inopinata aus dem Vierwaldstättersee bei und nennt das. Vorkommen von Limn. sancti-patricii bei Bern, Oytheridea lacustris im St. Morizersee. . Es finden sich Ostracoden bis 2000 m ü.M. Die einzige Art der Darwinu- lidenfamilie ist schwensont, Vierwaldstättersee. . 84. Jahresversammlung der schweiz. naturf. Gesellschaft. 173 Medizin. C. Roux, Abdominale Chirurgie. 1. allgemeine Sitzung. Morin, Behandlung der Tuberkulose durch Höhenaufenthalt. 2. allg. Sitzung. E. Bugnion, Schulterartikulation der Tiere und des Menschen. H. Dor, Behandlung gelöster Retina. A.C.F.Eternod, Vorhandensein eines Canalis notochordalis beim menschlichen Embryo, Archenteron, homolog demjenigen der niederen Organismen. 3 Stadien der Entwicklung: 1. Canalis notochordalis oder Archenteron; 2. Chordaplatte; 3. Chordatraktus. Ch. Du Bois, Formo] zur Konservation makroskopischer Präparate von Embryonen und Föten. Bolles Lee und Henneguy’s Zusammensetzung der Flüssigkeit: Wasser 30 Teile, Alkohol 95° 15 'Tl., Formol 40°), 5 Tl., krystallisierbares Acidum aceticum 1 Tl, sehr empfehlenswert, konserviert besonders auch die Nervengewebe sehr gut. L. Cardenal empfiehlt etwas Chloroformzusatz als Begünstigung der Erhärtung der Gewebe. Agrikultur, Vitikultur und Sylvikultur. E. Chuard, Kupferverbindungen gegen die kryptogamen Para- siten der Reben, insbesondere gegen den Mehltau. Verfasser gelaugt zu 3 Schlusssätzen: 1. Die Vermehrung des Chloro- phylis nach den bisherigen Annahmen ist noch ungenügend erklärt, be- darf zutreffenderer Aufklärung. 2. Die Annahme von Rumm, Galloway, Schackinger etc. des günstigen Erfolges auf die Quantität und Qualität der Ernte sind übertrieben. 3. Kupfer im Chlorophyll der Blätter fehlt gänzlich. .C. Duserre, Zerstörung der Unkräuter mit chemischen Mitteln. Sodanitrat verbrennt die Uukräuter und begünstigt die Fruktifikation des Getreides. Lösungen von 10 —20°/,. 1000 Liter pr. Hektare verlangen 100—200 kg Nitrat. Besonders gegen Sinapis arvensis und Rhaphanus rhaphanistrum. Paläontologie. E. Baumberger, Das Valangien und Hauterivien in der Sch weizer- Jura-Kette. Sie enthalten die gleichen Einschlussformen von Ammoniten wie am Rande des Rhonebeckens, hauptsächlich Hoplites und Heleo- stephanus. Einige gleiche Formen finden sich im Schweizer- Jura im Wolgagebiet und im Speetongebiet. Das untere Valangien lieferte bis jetzt nur 1 Exemplar von Hoplites euthymi von Biel es entspricht daher dem Berriasien. Das obere Valangien weist bisher auf: Hoplites thurmanni, desort, leenhardti, arnoldi, euthymi (albini, dalmasıi). Saynoceras verru- cosum, Oxynoticeras gevrili, marconi, heteropleurum, Desmoceras (?) celestimi. Das Hauterivien enthält: Hoplites radiatus, leopoldi, castellensis, leenhardti, vaceki, frantxi, amblygonius; Heleostephanus stephano- phorus (von Douanne), sayni, pstlostomus, multiplicatus: 174 P. u. F. Sarasin, Landmolusken von Celebes. Die mediterranen Ammoniten fehlen fast alle in den Littoralformationen, es ist daher anzunehmen, dass an den Küsten eine von der subpelagischen Region verschiedene Ammonitenfauna lebte. H. Schardt, Bryozoen-Marne des Neocom zu St. Croix: Campich hat 2 gut unterschiedene Schichtenlagen unter diesem Namen zusammengefasst. Die untere Lage des Hauterivien dieses Ortes enthält hauptsächlich Bryozoen und eine ganze Reihe charakteristischer, der Heleostephanus multiplicatus-Lage entsprechende Petrefakten. Darunter liegt eine Schicht, dem oberen Valangien angehörend, als Valangien-Bryozoen oder bezeichnender Spongienlage zu nennen, weil die Spongien noch reich- licher enthalten sind. C.Mayer-Eymar, 1. Ampullaria bolteni Chtr. bei Ding am Fayoum- see in Aegypten. 2. Am gleichen Ort in der gleichen Schicht, Parisien II, fand er Kerumia cornuta, dibranchiater Cephalopod, zwischen Octo- poden und Ammoniten stehend. [27] Referat von Dr. phil. Othm. Em. Imhof. P. und F. Sarasin, Die Landmollusken von Celebes, Wiesbaden, C. W. Kreidel’s Verlag, 1899. Einen sehr wichtigen Beitrag zur Begründung der Eifner’schen Lehre von der Entstehung der Arten durch „organisches Wachsen“ haben in allerletzter Zeit P. u. F. Sarasin in dem zweiten Band ihres Werkes: Materialien zur Naturgeschichte der Insel Celebes, niedergelegt. Auf Grund eines sehr großen auf der Insel gesammelten Materials ist es den beiden Forschern gelungen, Formenketten oder Formenreihen von Landmollusken aufzustellen, die auf das deutlichste zeigen, wie die Arten nach wenigen ganz bestimmten Richtungen abzuändern pflegen. Die Formenketten bringen zur Anschauung, wie Arten, die man bisher als wohlcharakterisierte betrachtet, oder gar verschiedenen Gattungen oder Untergattungen zugeteilt hatte, durch Uebergänge verbunden sind; sie zeigen, was bisher hauptsächlich nur der Paläontologe in den übereinander- liegenden Schichten der Erdrinde zu sehen gewohnt war, wie eine Art vor unsern Augen zu einer andern sich umbildet. Derselbe Vorgang, der sich, wie uns Eimer gezeigt hat, in der Gruppe der Papilioniden ab- spielt, wenn wir deren Vertreter in Beziehung zu ihrer geographischen Verbreitung studieren, wiederholt sich hier bei den verschiedensten Formen von Landmollusken. So zeigt uns z. B. die Kette der Nanina cincta, wie eine kleine zarte Form allmählich größer und schwerer wird und wie die ursprünglich glatte Schale Runzelskulptur annimmt. Diese Ent- wicklung der Schnecke ist ihrer Verbreitung entsprechend, von Ost nach West zu verfolgen. Die kleinsten und zartesten Formen leben in der Minahassa, weiter nach Westen gegen Gorontalo folgen größere und derbere Schalen, und das Westende der nördlichen Halbinsel hat Riesenformen mit kräftiger, gerunzelter Schale aufzuweisen. Auch in der Planispira xodiacus-Kette sehen wir, wie eine kleine zarte Schnecke allmählich an Größe zunimmt, wie die anfangs behaarte Schale diese Eigenschaft ver- liert, schwerer und massiger wird und schließlich einen verdickten Mund- P. u. F. Sarasin, Landmolusken von Celebes. 175 rand erhält. Diesmal führt die Reihe von Süd nach Nord. Die kleinsten zarten mit dichtem Haarkleid überzogenen Formen leben auf der süd- lichen Halbinsel, während die großen und schweren, unbehaarten Glieder dieser Kette ausschließlich das Centrum, die südöstliche und östliche Halb- insel bewohnen. Allein auch die typische dickschalige P. zodiacus Fer. durchläuft in ihrer persönlichen Entwicklung Stadien, in welchen ihre Schale gleich der der südlichen Stammform ein dichtes Haarkleid trägt. Es ist dies sehr wichtig, weil diese Beziehung zu der südlichen Form ein Beweis dafür ist, dass ihre Stellung innerhalb der Entwicklungsreihe der Art richtig gedeutet wurde. Aehnliche, wenn auch kürzere Entwicklungsreihen ergaben sich auch für Planispira bulbulus Mouss, für Obba listeri Gray und 0. pa- pilla Müll.. Im Gegensatz zu diesen in einer bestimmten Richtung weiterwachsen- den „orthogenierenden“ Formen beschreiben die beiden Verfasser auch solche Arten, die nur kleine Schwankungen in ihrer Gestalt und den sonstigen Eigenschaften ihrer Schale zeigen. Sie nennen dieselben „oseil- lierende“ Formen und bezeichnen wieder andere, welche keinerlei Ver- änderungen aufweisen, als „stagnierend“. Diese oseillierenden und stag- nierenden Formen, welche Eimer als durch „Genepistase* durch „Ent- wicklungsstillstand“ hervorgebracht auffassen würde, bilden scheinbar isolierte Arten. Sie stellen indessen, nach der Ansicht der Verfasser, nur Glieder solcher Ketten dar, welche nicht in einem Horizont nebeneinander existieren, sondern zeitlich aufeinander folgen. Es sind gleichsam Quer- schnitte der vertikal aufsteigenden Aeste des die Entwicklung der organischen Welt darstellenden reichverzweigten Baumes, während die zu- sammenhängenden Formenketten in diesem Bild als längsgeschnittene Zweigchen zum Ausdruck kämen. Im weiteren legen sich die Verfasser die Frage vor, ob wohl eine der bestehenden Descendenztheorien im stande ist, eine Erklärung für die Entstehung solcher Formenketten zu geben. Die Theorie von der natürlichen Zuchtwahl, der Gedanke an mime- tische Anpassung, scheitert an der T'hatsache, dass die Veränderungen, welche mit den Schalen der Molusken vor sich gehen, für das Wohl und Wehe des Tieres von keinerlei Bedeutung sein kann. Der Versuch, die Veränderungen auf geschlechtliche Zuchtwahl zurückzuführen, ist deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil wir es mit hermaphroditischen Tieren zu tbun haben. Die geographische Verteilung der Formen macht es ferner unmöglich, die Zwischenglieder einfach als Bastardformen der Endglieder aufzufassen. Ebensowenig wie das Nützlichkeitsprinzip, scheint dasjenige eines inhärenten Vervollkommnungstriebes die Entwicklung dieser Orga- nismen zu regeln. Die Verfasser kommen daher zu dem Schlusse, dass keine der angeführten Theorien in diesem Falle stichhaltig genannt werden kann und dass die Gründe der Umbildung in ganz anderer Richtung zu suchen sind. Es ist allein die Theorie Eimer’s von der Entstehung der Arten aus konstitutionellen Ursachen nach den Gesetzen orga- nischen Wachsens, welche uns eine Erklärung für die Erscheinung bestimmt gerichteter Entwicklung zu geben vermag. Es ist die besondere Konstitution des Tieres, welche nach Sarasin die Entstehung von Formen- ketten bedingt, und ein Abändern nach vielen Richtungen unmöglich macht. 176 P. ü. F. Sarasin, Landmolusken von Celebes. In ganz beschränktem Maße nur erkennen die Verfasser eine direkte Einwirkung durch äußere Faktoren an. Es scheint zwar, als: ob hier und dort die vertikale Verteilung die Größe der Formen beeinflusse, gegen eine solche Einwirkung sprechen indessen die Erhebungen Clessin’s, aus denen hervorgeht, dass die meisten Landschnecken, welche zugleich die Alpen und das Flachland bewohnen, keinerlei Größendifferenzen .aufzu- weisen haben, obgleich der klimatische Unterschied zwischen den genannten Gebieten hier größer ist, als unter dem Aequator. Ebenso wenig. kann der größere oder geringere Kalkreichtum des Bodens hier ausschlaggebend sein, denn die ganze Nanina cincta-Kette lebt auf kalkarmem Gestein. Die Haarlosigkeit soll nach Clessin durch Trockenheit hervorgerufen werden, nun ist aber das Endglied der Pl. zodiacus -Kette im Alter stets unbehaart, einerlei, ob die Schnecke in feuchten Wäldern, oder aber im trockenen Buschlande lebt. Bei dem heutigen Stand unserer Kenntnisse ist es demnach nicht möglich, aus den äußeren Umständen eine Erklärung abzuleiten für die Entwicklungserscheinungen so wie sie sich in ‘den bestimmtgerichteten Formenketten zur Anschauung bringen. Die Verfasser sehen in dem Begriff des „organischen Wachsens“ einen glücklichen Ge- danken, um diese Formbildung zu erklären, denn „in der That, wenn wir unsere Kettentafeln betrachten, so drängt sich der Gedanke auf, dass wir es hier wesentlich mit einem Wachstumsvorgang zu thun haben. Jedes Glied einer Kette ist in einer bestimmten Richtung über das vor- hergehende hinausgewachsen, und wir können ruhig voraussagen, dass, wenn wir einmal das Wachstum des einzelnen Individuums vom Ei bis zu seiner ausgebildeten Gestalt verstehen werden, uns auch das Wachstum des Stammes kein Rätsel mehr sein wird“. Die Formenketten zeigen aber nicht nur, in welcher Weise neue Arten entstehen, sie führen uns auch,. wie von den Verfassern besonders betont wird, zur Erkenntnis des biogenetischen Gesetzes. Die Betrachtung vieler sichergestellter Formenketten ist die notwendige Grundlage und der einzige Weg, auf dem wir schließlich zum Verständnis der die. Formenbildung beherrschenden Gesetze gelangen werden, und Sarasin sagt mit vollem Recht: „Das größte Lob einer Molluskensamm- lung sollte in Zukunft nicht das sein, möglichst viele Arten zu enthalten, sondern möglichst viele Uebergänge zwischen Arten, d. h. möglichst viele Formenketten aufzuweisen“. Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass in dem Sarasin schen Werk neben diesen wichtigen die Theorie vom organischen Wachsen so deutlich bestätigenden biologischen Ergebnissen, una! weniger wichtige Resul- tate aufesismasachem, Anatenhsche ei en (rebiet niedergelegt und durch vorzügliche Tafeln illustriert: sind. v. L. [10| Botanische Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an Herrn Prof. Dr. K.Goebel, München, Nymphenburger 81.50 III, alle anderen an die Redaktion, Erlang ‚gen, physilog. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf In- serate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Arthur Georgi, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k, bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel wd Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 15. März 1900. Nr. 6. Inhalt: von Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene (3. Stück). — Ernährung u. Zuchtwahl. Vorläufige Mitteilung von de Vries. — Oppenheimer, Versuch einer ein- heitlichen Betrachtungsweise der Fermentprozesse. — L’annee biologique. Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Experimentelle Bei- träge zur Biologie der Honigbiene. Von H. von Buttel-Reepen (Jena). (Drittes Stück). Das Ortsgedächtnis der Bienen. „Wir sollten überhaupt nicht eher eine neue unbekannte Kraft in die Erklärung von Naturerscheinungen ein- führen, ehe nicht bewiesen ist, dass man mit den bekannten Kräften zu ihrer Erklärung nicht ausreicht.“ Aug. Weismann, „Keimplasma“ S. 539. Die Bienen werden nach Bethe’s Ansicht: „durch eine uns ganz unbekannte Kraft zum Stock zurück- „geführt. Diese Kraft haftet nicht dem Bienenstock selbst an, sie „führt die Bienen nicht zum Bienenstock hin, sondern zu der „Stelleim Raum, an der sich der Bienenstock gewöhnlich be- ‘ „findet. Diese Kraft, welche die Bienen zu dem Fleck Erde zurück- „führt, auf dem ihr Stock steht, wirkt nun nicht auf unbegrenzte „Entfernungen. Es ist eine alte Erfahrung der Imker, dass man „einen Bienenstock an einen anderen Platz bringen kann, ohne be- XX, 12 178 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? „fürehten zu müssen, dass die Bienen zur alten Stelle zurückkehren, „wenn der neue Platz vom alten nur 6 km entfernt ist. Daraus „geht hervor, dass die Kraft auf höchstens 6 km wirkt, da der „Trieb, zum Stock zurückzukehren, von allen Trieben bei den „Bienen der stärkste ist. Ich glaube aber, dass man nicht einen „Kreis von 6km Radius, sondern nur einen von etwa 3 oder 4km „als Wirkungszone der Kraft annehmen darf. Hätte der Kreis einen „Radius von 6 km, so würden die Bienen des versetzten Stockes, „wenn sie sich der alten Stelle auf mehr als die Hälfte beim Fou- „ragieren genähert hätten, in den Wirkungskreis dieser zurück- „gelangen und müssten zur alten Stelle zurückkehren. Dies geschieht „aber nur dann, wenn die alte Stelle weniger als 6km von der „neuen entfernt ist. Man muss also dieGrenze des Wirkungskreises „der Kraft auf etwa 3 km annehmen“ (Bethe l. ce. S. 89)!). Ich glaube, dass Bethe in Vorstehendem wie auch in vielen der angeführten Beobachtungen so vortreffliche Beweise für das Vorhan- densein eines Ortsgedächtnisses liefert, dass man sich kaum bessere wünschen kann. Aber Bethe nimmt eine „uns ganz unbekannte Kraft“ an, mit der wir nichts anzufangen wissen, die jedem Forschen ein Halt gebietet. Ich muss mich in diesem Kapitel enger an die Bethe’- schen Ausführungen anlehnen, um an der Hand von eigenen Beobach- tungen die Irrtümer klar zu legen, die uns in dem Abschnitt „Wie finden die Bienen nach Hause“ (Bethe l.c. S. 72) entgegentreten. Die „Bienenstraßen“ und deren Richtung. Stellt man Bienenstöcke auf die freie Heide, die in weitem Umkreis keine Er- hebung (Baum, Strauch ete.) zeigt, so können wir hier die besondere Art des An- und Abfluges, durch keine örtliche Beeinflussung getrübt, studieren. Im August 1898 fand ich Gelegenheitauf einem 1) Die „unbekannte Kraft“ kann unter Umständen viel weiter wirken, denn es liegen Beobachtungen vor, dass Bienen durch außergewöhnliche Ver- hältnisse veranlasst 5, 6 ja über 7km weit ausgeflogen sind (s. Bienenzeitung“, X, Nr.14; do. II, Nr.9 (Dzierzon); „Le Rucher“, Amiens 1876, IV, S. 30). In diesen Fällen war in der näheren Umgebung keine Tracht vorhanden. Nach der Beobachtung Dzierzon’s erhielten die Bienen unter solchen Um- ständen einmal Witterung von einem über „hundert Morgen“ großen Rapsfelde, welches weit außerhalb des gewöhnlichen Flugkreises gelegen war. Der Leiter der badischen Imkerschule, Roth, in Durlach, beobachtete, dass seine Bienen von einem 6 km entfernten Buchweizenfelde je nach 30 Minuten mit voller Ladung zurückkamen. Wenn gefragt wird, auf welche Entfernung sich die Bienen zurückfinden, so kann man nicht schlechthin mit einer Kilometerzahl antworten, sondern es kommt darauf an, ob die Bienen bei der Nahrungssuche resp. bei dem ÖOrientierungsausfluge (s. denselben‘\ schon mehr oder weniger weit ge- flogen sind, sei es nach einer bestimmten Richtung hin, sei es zu allgemeiner Orientierung (vgl. $. 188). v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 179 Hochmoore in der Nähe Oldenburgs diese Verhältnisse zu prüfen, die lediglich meine früheren Erfahrungen bestätigten. Die Völker waren kurz vor der Buchweizenblüte von dem Wander- imker auf die Heide geschafft worden. Die Fluglöcher schauten nach Osten. In den ersten Tagen war der Flug recht schwach, da es noch nichts zu holen gab. Regellos flogen die Bienen in kleineren und größeren Kreisen nach allen Himmelsrichtungen aus. Sie flogen sich auf dem neuen Stande ein. Von einer „Bienenstraße“ war noch nichts zu bemerken!). Sowohl im Norden als auch im Süden erstreckten sich große Buchweizenfelder. Als diese ihre Blüten öffneten, zeigte sich eine andere Art des Fluges. Ein Teil der Bienen flog ziemlich dicht vor dem Flugloche scharf nach links (Norden), ein anderer Teil scharf nach rechts (Süden). Infolgedessen waren die Bienenstraßen sehr kurz, da die verbreiterten Enden — die Stöcke standen dicht nebeneinander — zu einem allgemeinen Gewoge zusammenflossen ?). Es ist hieraus ersichtlich, dass der Ort der Bienenweide die Richtung des An- und Abfluges bestimmt. Als späterhin die Buchweizenfelder verblüht waren und rings- herum die Heide in voller Blüte stand, zeigten sich dieselben kurzen, vielleicht ein wenig verlängerten Bienenstraßen, nur das zusammen- fließende Gewoge war höher und anscheinend mächtiger geworden, durch die von allen Seiten herbeieilenden. „Langgestreckte“ Bienenstraßen, die Bethe als Norm angiebt, finden sich meistens nur bei Gartenbienenständen, wo Bäume, Häuser ete. den An- und Abflug modifizieren. Irrtümlich ist die Ansicht (Bethe S. 80), „dass es eine den Imkern bekannte Thatsache sei, dass bei verschiedener Witterung die Bienenstraße verschieden steil aufsteigt“ ?), irrtümlich ist es ferner, dass „die Bienenstraßen mit geringen Schwan- „kungen immer vom Stock nach derselben Himmelsrichtung“ gehen. „Dies ist fast immer Osten, Südosten oder Süden. Nicht nur des- „wegen, weil die Bienen Sonne haben müssen, um fleißig zu sein, 1) „Es ist bekannt, dass bei einem starken Bienenstock immer eine dunkle, langgestreckte Wolke vor dem Flugloch steht, welche aus immer wechselnden, kommenden und gehenden Bienen gebildet wird“ (Bethe 8.75). Das ist die „Bienenstraße* Bethe's. 2) Ich bemerke, dass die Bienen ein und desselben Stockes beiden Rich- tungen folgten. 3) Freilich lernt schon der junge Franzose in seiner Lesefibel: „Quand les abeilles volent en haut Nous aurons bientöt de l’eau.* Aber diese vielleicht volkstümliche Ansicht ist gerade so verkehrt wie die, dass „ein strenger Winter zu erwarten steht, wenn die Bienen die Fluglöcher stark verkitten“. Ueberhaupt ist manches in der bienenwirtschaftlichen Lit- teratur mit großer Vorsicht aufzunehmen. Sichere Beurteilung‘ gewährt nur eigene langjährige Beobachtung. 12* 4180 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? „stellen die Imker ihre Bienenstöcke gegen Süden oder Osten auf“ (Bethe S. 81). Auch diese Annahme ist irrtümlich). Eines wird aus vorstehendem klar, selbst wenn es Bethe nicht genauer angegeben hätte, dass, da die Bethe’schen Bienen anschei- nend nie nach Norden flogen (siehe die nachstehenden Bethe’schen Ausführungen), im Norden anscheinend nichts für seine Bienen zu holen war, und in der That breitete sich nordwärts des Bethe’schen Versuchsbienenstandes die Stadt (Straßburg i. E.) aus. Bethe nimmt nun an, dass die Stadt den Bienen „unbekannt“ geblieben sei. „Der Garten des Physiologischen Instituts, in dem meine Bienen- „stöcke stehen, liegt hart am Stadtwall. Der Wall ist grün be- „wachsen und dahinter dehnen sich große blumenreiche Wiesen aus, „auf denen es von Bienen wimmelt. Auf der anderen Seite des „Institutes dehnt sich die Stadt aus. In der Stadt sind sehr wenige „und nur kleine bewachsene Plätze, und ich habe trotz vielen „Suchens nur einmal innerhalb der Stadt auf zwei vereinzelt stehen- „den Sonnenblumen Bienen gesehen. Jedenfalls ist anzunehmen, „besonders da meine Bienen ihre Flugrichtung immer nach Süden „zu den Wiesen außerhalb des Walles nehmen, dass nur ganz ver- „einzelte Exemplare jemals in ihrem Leben innerhalb der Stadt ge- „wesen sind“ (Bethe S. 86). Auch diese Annahme muss ich als eine irrtümliche, jedenfalls als eine nicht beweiskräftige ansehen, da die Zuckerwarenhändler, Honig- verkäufer, Honigkuchenbäckereien und die Hausfrauen, die süßes Ein- gemachtes oder Honiggläser bei offenen Fenstern stehen lassen, wohl manches Unangenehme von besuchenden Bienen zu erzählen wissen ?). 1) Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht, 5. Aufl. S. 34ff., Bensheim 1892; Berlepsch-Lehzen „Bienenzucht“, Berlin 1899, $. 28ff.; „Bienenzeitung*, 2. Ausg., Nördlingen 1861—62, 2.Bd. S. 3ff.; v. Berlepsch, „Die Biene und die Bienenzucht, Mühlhausen 1860, S. 219 ff.; Dzierzon, Rationelle Bienen- zucht, Brieg 1861, S. 36 u. s. w. 2) Infolge derartiger Belästigungen wurden z.B. die Bienen aus der Ge- markung der Stadt Paris verbannt. Das „Bw. Centralblatt N. 19, 1899 meldet: „In einer kleinen Stadt hatte ein Aufkäufer die von ihm aufgekauften, aus faulbrütigen Völkern stammenden Waben in einem Raum gelagert, wo sie den Bienen zugänglich waren. Im folgenden Jahre waren fast sämtliche Stände der Stadt verseucht“ u.s.w. In trachtlosen Zeiten dürfte spez. im Bethe- schen Falle der Flug nach der Stadt, wo es immerhin etwas zu naschen gab, lebhafter gewesen sein, als nach den Wiesen, wo die Bienen nichts zu holen vermochten. Uebrigens liefert Bethe selbst einen guten Beweis, wie außerordentlich genau die Bienen die Stadt durchmustert haben, durch die An- gabe, dass er „innerhalb der Stadt aufzwei vereinzelt stehenden Sonnenblumen Bienen gesehen habe“. Wie sehr müssen die Bienen geforscht haben, ehe sie eine einzelne Blume aufzufinden vermochten,. Da es keine Sonderlinge bei v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 181 Nicht immer giebt es auf den Wiesen etwas zu holen (Trachtpausen, Wiesenschnitt); und außerdem orientiert sich die Biene bei ihrem ersten Ausfluge, der lediglich der Orientierung gewidmet ist, durch aus nicht nur nach der Seite hin, wo Tracht ist, sondern naturgemäß nach allen Seiten. Bethe lässt nun Bienen in den Straßen der Stadt fliegen und zwar aus der verschwindend geringen Entfernung von 350,400 und 650 m vom Stocke, trotzdem die „unbekannte Kraft“ 3 km weit reichen soll; und da es sich ergiebt, dass diese Bienen „mindestens ebenso gut nach Hause finden als die von der Wiese“ abgelassenen, so schließt er, dass es „gar keinem Zweifel unterliegen kann, dass die Bienen den Weg zum Stock nicht auf Grund von Erinnerungsbildern finden“ (Bethe S. 89). Ich kann in vorstehendem nicht den geringsten Beweis für diese Bethe’sche Ansicht erblicken. Wollte Bethe hiermit den bekannten Versuch von Romanes!) widerlegen, so glaube ich, dass der Ver- such nicht geglückt ist, denn Bethe bleibt uns den Beweis schuldig, dass die Stadt den Bienen thatsächlich „unbekannt“ geblieben ist. Aber wie erklärt sich das rätselhafte Verhalten der Bienen in den Straßen? Doch lassen wir Bethe (I. e. S. 88) selbst sprechen: „Alle Bienen, dieman irgendwo fliegen lässt, gehen in schrauben- „förmiger Linie in die Höhe, nehmen dann plötzlich Richtung und „fliegen geradlinig fort. Dies geschieht nun, wenn man die Bienen „in der Stadt von der Straße aus fliegen lässt, fast immer eher, als „sie das Niveau der Häuserdächer erreicht haben, oft schon in einer „Höhe von 4—6 m über dem Straßenniveau, also längst ehe sie „eine ‚Uebersicht‘ über die Gegend erlangt haben können. Sie „nehmen nun hierbei fast ausnahmslos genau die Richtung, in wel- „eher das Institut und somit der Stock gelegen ist.“ Ehe ich die Erklärung hierfür gebe, seien andere Stellen der Bethe’schen Ausführungen herangezogen: „Das Licht ist bei diesen Tagtieren der auslösende Reiz zum Fliegen“ (Bethe S. 83); ferner: „Das Licht giebt die Regulie- rung beim Fluge ab“ (Bethe S. 83). Ich erinnere weiterhin an den Herm. Müller’schen Versuch, der eine Biene in einem nach unten offenen Trinkglas durch den den Bienen ED er Ben abtrennen von der Masse um eigenen Wegen zu folgen, "vielmehr gleichartige Instinkte alle beherrschen, so kann man mit vollster Sicherheit annehmen, dass ungezählte (wenn auch von Bethe nicht beobachtete) Bienen denselben Instinkten folgten, welche diese Sonnenblumen- besucher in die Stadt zogen. Uebrigens genügt ein einziger alter blühender Lindenbaum in der Stadt, um viele hunderttausende von Bienen anzulocken. 1) Romanes, „Nature“ 1886. 182 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? ganzen Garten tragen konnte, ohne dass die Biene herausflog, da sie stets nach oben zum Lichte drängte'). Ich ließ in ein Reagensgläschen eine Biene schlüpfen und legte das Gläschen so auf die Fensterbank, dass der Boden dem Fenster zu- gekehrt war. Nach 8 Stunden war die Biene in dem Glase im frucht- losen Bemühen dem Lichte zuzustreben, verendet, trotzdem es ihr ein Leichtes gewesen wäre, aus der offenen Röhre herauszukriechen und durch das offene Fenster davonzufliegen. Erinnern wir uns nun, dass die Stadt im Norden des Bethe- schen Versuchsbienenstandes liegt, so stand die Sonne in der Rich- tung des Institutes und bei „ruhigem, sonnigem Wetter“ (Bethe S. 87) wurden die Bienen aufgelassen. In der dunkleren ihnen vielleicht unbekannten Straße versuchten sie durch Aufsteigen in Kreisen analog den Brieftauben ?) eine Orientierung zu ermöglichen und flogen dann instinktiv der hellen Lichtquelle zu (wie im Zimmer unfehlbar dem hellen Fenster), bis durch bekannte Regionen die Orientierung erreicht war. „Das Licht giebt die Regulierung beim Fluge ab“ (Bethe S. 33). Ich kann daher auch diese Versuche und die daran geknüpften Schlußfolgerungen nicht als beweiskräftig für die „unbekannte Kraft“ ansprechen. Die „unbekannte Kraft“ führt die Biene nicht zum Stock zurück, sondern wie Bethe angiebt, zu dem Ort, wo der Stock steht oder „gewöhnlich“ gestanden hat. Ist das nicht Ortsgedächtnis? Was versteht Bethe denn unter der unbekannten Kraft? Wir erhalten keine Erklärung. Bethe denkt sich, dass es eine außerhalb der Biene liegende Macht ist, „welche sie wie ein Magnet die blecherne Ente an diese Stelle im Raum“ — nämlich zum Stock u.8.w. — „zieht“ (Bethe S.93). Er hat keinen Versuch gemacht, zu er- örtern, ob diese unbekannte Kraft an irgend ein Organ der Biene ge- bunden sei. Versuchen wir aber einmal, dieser mysteriösen Kraft etwas näher zu kommen. Schwinden desOrtsgedächtnisses durch Betäubungeete. Betäubt man die Bienen durch Chloroform, Aether, Bovist, Salpeter- dämpfe ete., so schwindet, wie schon früher angegeben, ihr Ortsge- dächtnis völlig und für immer. Sie können nach dem Wiedererwachen jedem beliebigen Stocke zugeteilt werden, sie fliegen nicht an die Stelle im Raum zurück, an der sich der Stock für „gewöhnlich be- findet“. Sie kennen ihr Heim nicht mehr und nicht mehr den Ort, 1) Herm. Müller, Versuche über die Farbenliebhaberei der Honigbiene, Kosmos Jahrg. 6. S. 276, 1882. 2) H. E. Ziegler, Die Geschwindigkeit der Brieftauben, Zoolog. Jahrb. X. Ba,,.1897, 8.99, 278: v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 183 wo ihr Stock steht. Sie haben alles Frühere vergessen. Ein Tier aber, das vergessen kann, muss etwas zum Erinnern be- sessen haben. Die Erinnerungsbilder sind ausgelöscht. Wir sehen, dass die „unbekannte Kraft“ identisch ist mit dem Ortsgedächtnis, das sich aus Erinnerungsbildern aufbaut '). Es bedarf der Erwähnung, dass betäubt gewesene Bienen sich späterhin wieder vollkommen normal verhalten, d. h. sie machen aus der neu zugeteilten Wohnung ihren Orientierungsausflug und sammeln neue Erinnerungsbilder, welche sie befähigen, sowohl entdeckte Nek- tar- und Pollenquellen als auch ihr neues Heim sicher wiederzufinden. Die Biene vermag also zu lernen, wasBethe bestreitet. Sehen wir uns nochmals die Quintessenz der Beth e’schen Er- forschungen etwas näher an. Sowohl auf Seite 81 als auch auf Seite 89 formuliert Bethe seine Ansicht über die „unbekannte Kraft“ inhalt- lich gleichlautend, wie eingangs dieses Kapitels angeführt (s. 8. 177). Auf Seite 94 finden wir eine nochmalige Schlussformulierung mit fol- genden Worten: „Danach muss ich wiederholen: Die Bienen folgen einer Kraft, welche uns ganz unbekannt ist, und welche sie zwingt, an die Stelle im Raum zurückzukehren, von der sie fortgeflogen sind. Diese Stelle im Raum ist gewöhnlich der Bienenstock, sie muss es aber nicht notwendigerweise sein. Die Wirksamkeit dieser Kraft er- streckt sich nur auf ein Gebiet von wenigen Kilometern im Umkreis.“ Hier haben wir aber keine „Wiederholung“ des früher Gesagten, sondern etwas, das bei genauerer Prüfung unter sich und mit dem früher Gesagten im Widerspruch steht, wenn man die Beobachtungen, die Bethe zu dieser Schlussformulierung führten, in Betracht zieht (Bethe S. 95). Sehen wir uns diese Beobachtungen etwas näher an. Schachtelexperimente. Wenn die unbekannte Kraft that- sächlich nach Bethe 3—4 km im Umkreise eines Stockes wirksam ist, wie Bethe behauptet, so müssen alle Bienen dieses Stockes, die in diesem Umkreise aufgelassen werden, zu dieser Stockstelle, die „wie ein Magnet“ zieht, unweigerlich zurückkehren. Das ist aber nicht der Fall, wie Bethe selbst durch seine auf Seite 93ff. mitgeteilten Experimente beweist. Es heisst daselbst: „Bei einem meiner ersten „Versuche, Bienen von anderen Orten fliegen zu lassen, beobachtete „ich folgendes: Die Schachtel, in der die Bienen transportiert waren, „stellte ich auf einem Steinhauerplatz auf einen der vielen umher- „liegenden behauenen Sandsteine und öffnete den Deckel. Die „Bienen flogen alle auf, und die meisten nabmen nach einigem „Kreisen in der Luft die Richtung aufs Institut. Zwei Tiere „stiegen bis zu einer Höhe von etwa 3 m auf, machten hier einige 1) Ich möchte unsere Ameisenforscher bei dieser Gelegenseit auffordern, gleichartige Betäubungsversuche an Ameisen vorzunehmen. Es wäre von großem Interesse zu konstatieren, ob ein ähnliches Verhalten nachzuweisen ist. 184 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? „weite Kreise von 4-5 m Durchmesser und stießen dann gerad- „linig wieder auf die Schachtel herab. Ich jagte sie wieder in die „Höhe. Sie flogen in noch größeren Kreisen um die Stelle herum, „wo sie aufgestiegen waren, und stießen wieder auf die Schachtel „herab. Ich nahm nun, nachdem ich sie wieder aufgejagt hatte, „die Schachtel fort und setzte sie auf einen anderen Stein. Die „beiden Bienen flogen so hoch, dass ich sie aus den Augen verlor; „aber einige Sekunden später senkten sie sich wieder und flogen „gradlinig auf die Stelle des Steines los, auf der die „Schachtel vorher gestanden hatte.“ Wir sehen also bei einigen Bienen die unbekannte Kraft wirksam, bei anderen nicht. Dies verschiedenartige Verhalten kann Bethe nicht erklären und versucht es nicht einmal. Dass die Bienen auf den Stein niederstießen, wo die Schachtel gestanden hatte, setzt Bethe in Erstaunen, ist aber ganz selbst- verständlich und liefert einen schlagenden Beweis für den vorzüg- lichen Ortssinn der Bienen, für ihre vortreffliche Orientierung durch die Augen. Der Einwand Bethe’s: „Wären sie durch chemische oder photische Reize geleitet worden, so wären sie auf den nur 2m entfernten und ganz gleich aussehenden Stein geflogen, auf dem die Schachtel stand; sie flogen aber zu der Stelle zurück, von der sie aufgeflogen waren“, heisst Anthropomorphismus in höchster Potenz hereintragen. Den Schluss, die 2m entfernte Schachtel für die anzusehen, welche vorher am anderen Orte stand, vermag die Biene nicht zu machen. Ihr Ortsgedächtnis führte sie mit untrüglicher Sicherheit zu der Stelle zurück, die sie sich eingeprägt hatte durch die kreisende Orientierung. Warum aber flogen diese Bienen, wenn sie ein so vortreffliches Ortsgedächtnis besitzen, nicht nach dem Institut zurück? Aus dem einfachen Grunde, weil es junge Bienen waren, die ihre Orientierungs- ausflige noch nicht bis zu diesem Ort ausgedehnt, oder auch ältere, die ihre Ausflüge noch nicht bis hierher gemacht hatten. Keiner, der mit der Natur der Biene gründlich vertraut ist, wird hierüber den geringsten Zweifel hegen!). 1) Ich möchte darauf hinweisen, dass wir bei den Brieftauben ein ana- loges Verhalten konstatiert sehen. In der bereits eitierten Schrift von Prof, H. E. Ziegler heißt es in dem Abschnitte „Ueber die Orientierung der Brief- tauben“: „Nach allem, was ich über die Flüge der Brieftauben gelesen. und gehört habe, bin ich der Ansicht, dass die Orientierung der Brieftauben allein auf dem Gedächtnis beruht und dass es unnötig ist, denselben noch einen geheimnisvollen Richtungssinn zuzuschreiben.“ „Werden Tauben weit von der Heimat an einem Orte aufgelassen, wo sie keine Anhaltspunkte der Orien- tierung mehr haben, so schlagen sie verschiedene Richtungen ein, und ein Teil verirrt sich. Die Vereine unternehmen solches unvorbereitetes Aussetzen v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 185 Infolge der erwähnten und weiterer Experimente war Bethe aber gezwungen, in‘ die Schlussformulierung den Satz aufzunehmen: „Die unbekannte Kraft zwingt die Biene an die Stelle zurückzukehren, von der sie fortgeflogen ist“, und dadurch die frühere aus- schließliche Erklärung: „an die Stelle im Raum, wo sich der Stock gewöhnlich befindet“, zumodifizieren, denn von einer Gewöhnung und von einer alleinigen Rückkehr zur Heimstätte kann bei den Schachtel- experimenten nicht die Rede sein. Dieses Zurückfliegen zum Aufflugort trifft nun auf die Bienen zu, die zur Schachtel zurückkehrten, aber nicht auf die, welche nicht „zur Stelle zurückkehrten, von der sie fort- geflogen“, sondern sich nach dem Institut aufmachten. Ich muss ge- stehen, dass ich keine Logik in diese Ausführungen, die sich unter- einander widersprechen, hineinbringe. Doch hören wir Bethe weiter. „Ich habe dann später diesen Versuch oft wiederholt. Je „weiter der Ort, wohin man die Bienen transportiert hat, vom Stock „entfernt ist, desto weniger fliegen dem Stocke zu, desto mehr kehren „zu der Stelle, von der sie ausgeflogen sind, zurück'). Ich wählte „zu diesen Versuchen Plätze, an denen sich keine Gegenstände be- „fanden, nach denen sich die Bienen vielleicht optisch hätten „orientieren können, z. B. große gleichförmige Wiesen. Die Schachtel „wurde sofort aufgenommen, nachdem die Bienen fortgeflogen waren, „ich merkte mir die Stelle im Grase genau und trat selbst einige „Sehritte zurück. Die Bienen kehrten, wenn überhaupt, mit Regel- „mäßigkeit an die Stelle zurück, von der sie aufgeflogen waren, „und machten dabei kaum Fehler von mehr als einigen Decimetern; „viele trafen aber die Stelle ganz genau. Oft blieben sie minuten- „lang in der Luft, oft kehrten sie aber bald zurück. Einmal be- „obachtete ich sogar, dass ein Tier sich auf der Wiese niederließ, „hier aus einer Salvia pratensis Honig sog, dann wieder aufflog „und an die Stelle zurückkehrte, von der sie aufgeflogen war. Am auf weite Entfernung nicht gern, weil dabei stets ein mehr oder weniger großer Verlust guter Tauben eintritt.“ „Die Taubenzüchter dressieren die Tauben auf bestimmte Routen, indem sie die Tauben in einer Richtung stufen- weise nach immer weiter entfernten Orten bringen.“ Auch’ bei Nebel und in der Dunkelheit kann sich die Taube ebensowenig wie die Biene orien- tieren. 1) Diese Erfahrung stimmt vorzüglich mit den vorstehenden gegen eine unbekannte Kraft geltend gemachten Ausführungen überein. Die logische Konsequenz aus dieser Erfahrung ist, dass die unbekannte Kraft die Bienen zwingt nach zwei verschiedenen Richtungen zu fliegen — zum Stock und zur Schachtel — die einen hierhin die anderen dorthin. Hiermit ist dann freilich, wie schon erwähnt, nicht in Einklang zu bringen, was Bethe sonst über die Wirkungen der unbekannten Kraft angiebt, ferner nicht, dass der „Trieb zum Stocke zurückzukehren der stärkste von allen Trieben“ sei, u, s. w. 186 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen‘“ ? „verblüffendsten war es aber, als ich einmal die Schachtel beim „Oeffnen in die Luft hielt und dann, nachdem die Bienen aufge- „flogen waren, mit der Schachtel einige Schritte bei Seite trat. Es „kehrten vier von sechs Bienen nach einigem Kreisen in der Luft „zurück und flogen nun in Manneshöhe in ganz kleinen „Kreisen um die Stelle, wo ich vorhin die Schachtel „hingehalten hatte.“ Ich kann hierzu nur bemerken, dass wenn die Wiese für Menschen- augen vielleicht auch keine Gegenstände enthielt, nach denen man sich optisch hätte orientieren können, für die Bienen dennoch zahl- lose Orientierungsmerkmale vorhanden gewesen sein mögen. Wer da weiß, mit welcher bewunderungswürdigen, menschliches Vermögen weit übertreffenden Sicherheit die Biene unter Hunderten dicht zusammen- stehender Bienenwohnungen von verwirrender Gleichartigkeit ihr Heim im pfleilschnellen Fluge auffindet, der wird hieran nicht zweifeln. Und wenn Bethe es fertig gebracht hat, den Platz „in der Luft“ sich genau zu merken, was mir bei Kontrollversuchen, ich muss es zu meiner Beschämung gestehen, trotz außergewöhnlich scharfer Augen, nicht gelingen wollte, so werden es die Bienen auch fertig ge- bracht haben. Um den Bienen möglichst wenig Anhalt zu geben („Manneshöhe“), blieb ich nicht stehen, sondern legte mich nieder, bemerkte aber nur recht große Kreise der suchenden Bienen unge- gefähr in der Höhe und in der Richtung des gewesenen Abflug- ortes. Ich kann daher auch in diesem Bethe’schen Experiment keinen Anhalt für eine rätselhafte „unbekannte Kraft“ erblicken. Im Uebrigen ergaben einige weitere Kontrollversuche so abweichende und interessante Resultate, dass ich näher darauf eingehen muss. Auf einer weiten Wiese, die ungefähr 500 m von dem Standort der Bienen entfernt lag, ließ ich zuerst aus einer auf das sehr niedrige Gras gesetzten Schachtel einige Bienen fliegen, indem ich schnell einige Schritte bei Seite trat und wie auch bei den folgenden Experimenten meinen Standort mehrfach veränderte. Die Bienen stiegen lang- sam in immer größer werdenden Schraubenlinien auf, hielten sich im Ganzen aber sehr niedrig, vielleicht in doppelter Manneshöhe. Nach einer Minute kehrte eine Biene zur Schachtel zurück, nach 1'/, Minuten eine zweite. Nunmehr jagte ich diese beiden Bienen wieder auf und nahm die Schachtel fort. Es kehrte in den nächsten Minuten keine der Bienen zu der Stelle zurück, wo die Schachtel gestanden hatte aber man sah eine An- zahl eifrig suchender Bienen bald dicht über dem Grase in großen Krei- sen hinstreichen, bald sich etwas höher haltend. Plötzlich brausten die in einer zweiten unter dem Rocke gehaltenen Schachtel ziemlich zahl- reich vorhandenen Bienen aus unbekannter Ursache laut auf und fast sofort wurde ich von den Suchenden — ich stand grade in der Wind- richtung — so auffällig umschwirrt, dass meine Begleiter, die sich v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*® ? 187 stets dieht an mich gehalten hatten, ausriefen: „Das haben die an- deren Bienen gehört.“ Obgleich ich nun die erste Schachtel sofort wieder an den Aufflugort stellte, reagierte keine mehr darauf, der Platz blieb unbeachtet. Aber wohin wir auch gingen in der näheren Umgebung, die Bienen folgten uns und einzelne setzten sich auf Schul- tern, Hut und Rücken. Als ich mich weiter entfernte, wurden nun- mehr meine Begleiter, obgleich sie keine Bienen bei sich trugen, um- flogen. Es sei bemerkt, dass die Bienen in der zweiten Schachtel einem anderen Volke zugehörten. Ich schritt nun zu dem zweiten Experiment. Die andere Schachtel wurde hoch emporgehalten, die Insassen, ungefähr 30—40 an der Zahl, umkreisten sie eine Zeit lang sehr eng uud zogen dann größere Kreise. Einige hielten sich in mehr auf und niedersteigender Bewe- gung dicht bei der Schachtel, stets den Kopf dieser zugewendet, also genau wie bei dem ersten Stockorientierungsausfluge, auf den ich weiterhin ausführlich zu sprechen komme. Nach ungefähr einer halben Minute zog ich die Schachtel zurück und ging schnell rück- wärts fort, mir den gehabten Platz genau einzuprägen suchend. In ungefährer Höhe, wo die Schachtel gewesen, zeigten sich nach etlichen Sekunden zwei Bienen, aber an mehr seitlich verschobener Stelle, um aber gleich wieder mit sehr großen Kreisen dem Auge zu entschwinden. Ueberall sah man die regellos Suchenden, deren Gros sich nach wenigen Minuten in immer enger werdenden Kreisen zusammenthat!) und ungefähr 2 m von der Stelle, wo ich gestanden, ziemlich dicht über dem Boden umherflog. Die Bienen suchten nicht mehr die Schachtel, sondern ihr Heim, dessen Flugloch sich fast genau so hoch vom Erdboden befand, als die suchen- den Kreise gezogen wurden. Ich kann dieser auffälligen Erschei- nung keine andere Deutung geben. Nach einiger Zeit zerstreuten sich die Bienen wieder regellos und ein Teil umflog uns, wie früher geschildert, und begleitete uns einige 20 Schritt heimwärts, um dann zurückzubleiben. In der Höhe des Abflugortes flog keine Biene. Dass verhältnismäßig wenige zum Stande zurückeilten, findet darin seine Erklärung, dass die Bienen erst kürzlich aus der Heide zurück- gekommen waren und bei der kühlen regnerischen Herbstwitterung kaum ausgeflogen sein konnten, eine Orientierung dorthin war daher noch nicht möglich. Der Beobachtungstag war ein sonniger mit mässigem S.W.-Wind. Für die gleichfalls auffällige Erscheinung, dass meine Begleiter und ich so stark umkreist wurden, kann man so vielerlei Vermutungen aufstellen, dass uns das hier zu weit führen würde. 1) Man sieht hieraus, dass die Bienen aufeinander achten, da sie sich zu- sammenhalten und ein gleiches Benehmen zeigen. Nachahmungstrieb ?,Gehörssinn ? 188 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? Ich sehe in Vorstehendem mancherlei Beweise für das Vorhanden- sein eines Ortsgedächtnisses, halte im Uebrigen aber alle diese Schachtel- experimente für sehr wenig beweiskräftig, sofern die erziel- ten Resultatenicht mit den auf dem Bienenstande gewonnenen har- monieren, denn diese Versuche gehen alle unter für die Bienen so völlig anormalen Verhältnissen vor sich, dass es sehr gewagt er- scheint, Schlüsse für die Norm hierauf hin aufzustellen, weil man zu leicht Täuschungen unterliegt. Jahreszeit und Witterung sowie die Behandlung der Bienen werden die Resultate derartiger Experimente ebenfalls stark modifizieren. Wenn man weiß, wie leicht die Biene durch verschiedenartige Reize (z. B. Schütteln, Abkühlung, Anhauch- ung, Einsperrung, Fütterung, fremdartige strenge Gerüche u. s. w.) zu beeinflussen, abzulenken, zu „verwirren“, zu „demütigen“, „aufzu- stacheln“ oder zu „besänftigen“ ist, so wird man sich bewusst sein, wie schwierig die Deutung bei dieser Art von Experimenten ist und wie vorsichtig man hierbei zu Werke zu gehen hat. Fragen wir nun, warum wirkt die unbekannte Kraft nur 3—4 km weit, so erhalten wir von Bethe keine Erklärung. Er versucht auch nicht eine zu geben. Die Erklärung ist aber eine sehr einfache. Die rätselhafte Kraft tritt nur in dem Raum überhaupt in Erscheinung, in dem die Bienen vorher einen Orientierungsausflug gehalten, haben und sie wirkt nur so weit, als die Bienen vorher geflogen sind und Erinnerungsbilder gesammelt haben. Die Beweise hierfür sind leicht zu erbringen, sie zeigen wiederum, dass diese unbekannte Kraft unter diesen Kautelen eben nur identisch ist mit dem Ortsgedächtnis. 1. Entnimmt man einem Stocke junge, flugfähige Bienen (Brut- ammen), die noch nicht ihren Orientierungsausflug gehalten haben, und lässt sie unweit des Standes fliegen, so findet keine in ihren Stock zurück !!). 2. Wirft man alte Flugbienen selbst in sehr weiter Entfernung auf, so finden sie alle zurück. 3. Bringt man aus einer fernen Ortschaft, die mehr als 7 km ab- gelegen ist, ein Volk herbei nnd lässt alte Flugbienen, bevor sie einen 1) Bekanntlich fliegt die junge Biene erst ca. 14 Tage nach dem Aus- schlüpfen zum erstenmal aus. In den ersten zwei Wochen ihres Daseins ist sie „Hausbiene“, „Brutamme“, die alle Hausgeschäfte verrichtet und die jüngeren Geschwister (Larven) füttert. Das ist ihr, ich möchte sagen, festvor- geschriebenes Handeln, von dem nicht abgewichen wird. Und dennoch können wir ihre Thätigkeit wesentlich modifizieren. Bilden wir z. B. ein Volk aus lauter eben ausgeschlüpften Bienen und geben ihm eine befruchtete Königin, Brut- und Honigwaben, so zeigt es sich, dass ein Teil der jungen Bienen be- reits am 5. und 6. Tage zu „Feldbienen“ wird, also ganz wesentlich früher die Außengeschäfte aufnimmt, selbst wenn im Stocke alles vorhanden, was zur Existenz des Volkes notwendig ist. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 189 Orientierungsausflug machen konnten, auch nur 30--40 m von ihrer Wohnung fliegen, so findet keine in den Stock zurück. 4. Zwei Völker, die ich im Garten des Zoologischen Institutes in Jena zwecks anderweitiger Beobachtungen aufgestellt hatte, wurden am Schlusse des Sommersemesters 1899 an einen ungefähr 2000 m entfernten Bienenstand eines Jenenser Imkers geschafft. Da die Völker nicht betäubt wurden, war es vorauszusehen, dass sehr viele der alten Flugbienen auf den Institutsstand zurückkehren würden, und zum Unterschlupf dieser Heimatlosen stellte ich eine Wohnung mit einigen leeren Waben genau dort auf, wo früher das Heim gestanden hatte. Es kamen viele Hunderte, die sich trotz voller Flugfreiheit zwei Tage lang verstört in der leeren Behausung herumtrieben und hernach mit Chloroform betäubt und in Formol zu Demonstrationszwecken auf- bewahrt wurden. Ihr Ortsgedächtnis führte sie zurück. Naturgemäß und zwanglos erklärt sich das verschiedene Ver- halten der Bienen bei diesen vier Experimenten, wenn wir eine Orien- tierung durch die Augen, durch Erinnerungsbilder annehmen, während die unbekannte Kraft uns in Widersprüche verstrickt und uns vor un- lösbare Rätsel stellt!). Sehr merkwürdig erscheint es, dass Bethe durchweg nur zu er- klären versucht, „wie die Bienen nach Hause finden“, aber nicht wie sie vom Hause fortfinden. In Bezug auf das Zurückfinden zu einer Stelle außerhalb des Hauses sagt er nur Folgendes (Bethe |. ce. S. 90): „Dass der Ort wieder aufgesucht wird, an dem ein Honigvor- rat gefunden wurde, beruht, wie ich meine, sicher nicht auf einem Ortsgedächtnis, sondern wird durch dieselbe uns unbekannte Kraft ausgelöst“ ete. Bethe bezieht sich hier auf Beobachtungen von Lub- bock (l. e.) und Forel?), die Gefäße ete. mit Honig hinstellten und nun sahen, das gezeichnete Bienen stets wieder zu dem Honig zurück- kehrten. | Durch diese Aeußerung wird die Bethe’sche Lehre noch kompli- zierter und noch schwerer verständlich. Wir haben also nicht zu schließen, dass „die Bienen einer Kraft folgen, welche sie zwingt an die Stelle im Raum zurückzukehren, von der sie fortgeflogen sind, welche Stelle gewöhnlich aber nicht notwendigerweise der Bienen- 1) Bethe bezieht sich verschiedentlich auf die Fabre’schen Untersuch- ungen an Chalicodoma (Fabre, Souvenirs entomologiques, Paris 1879; Fabre, Nouveaux souvenirs entomol., Paris 1832), doch hat bereits Weismann (Weismann, Wie sehen die Insekten? Deutsche Rundschau, 1895 S. 434—452) im Jahre 1895 in einer interessanten Arbeit die Fabre’sche Annahme eines Richtungssinnes widerlegt. Weismann kommt zu folgendem Resultat: „Die einzige richtige Lösung des Rätsels vom Pfadfinden der Chalicodoma liegt darin, dass sich die Tiere ihren Weg mit ihren Augen zurücksuchen.“ 2) Forel, Recueil zoologique Suisse, 1 Serie, T. 4, 188688, 190 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? stock sein muss“, denn wollten wir diesen Ausspruch streng nehmen, so wären die Bienen gezwungen stets zwischen ihrer Wohnung und der Honigquelle, ob nun noch Honig vorhanden ist oder nicht, hin und her zu pendeln. Sie sind vom Stock fortgeflogen, sie sind von der Stelle, wo das Honiggefäß war, fortgeflogen, nach beiden Stellen „zwingt“ die unbekannte Kraft sie zurückzukehren‘). AuslöschungdesOrtsgedächtnisses durchdenSchwarm- dusel etc. Außer durch Betäubungsmittel werden die Gedächtnisbilder, wie schon früher erwähnt, durch den Schwarmdusel ausgelöscht oder wenigstens außer Wirkung gesetzt. Macht man einen sogenannten künstlichen Schwarm, d.h. fegt man einem starken Volke die Bienen von den Waben mit der Königin in eine neue auf demselben Stande befindliche Wohnung ab, so fliegen alle Flugbienen auf den abgefegten Stock zurück, nur die jungen Bienen bleiben mit der Königin im neuen. Bei einem echten Schwarme bleiben jedoch alle Bienen in der ihnen angewiesenen Behau- sung, sie haben ihre alte Wohnung vergessen. Es ist aber kein vollständiges Vergessen. Wird ein Schwarm in den ersten Tagen weisellos, so kehren dieBienen zum Mutterstock zurück. DieErinnerung an die alte Heimat erwacht wieder. Die Auslöschung des Orts- gedächtnisses ist also keine definitive wie bei Narkotisierung u. s.w. Die alten Bahnen bleiben erhalten, werden aber nicht mehr befahren, 1) Ein hier vielleicht zu machender Einwurf, es sei sehr wohl denkbar, dass die Biene nur solange durch die unbekannteKraft gezwungen werde, zu der Stelle, wo Honig oder sonst ein Reizmittel aufgestellt ist, zurückzukehren, solange eben das Reizmittel vorhanden sei und dass die Wirkung der un- bekannten Kraft mit dem Verschwinden des Reizmittels aufhören könne, ein solcher Einwurf dürfte aus folgenden Gründen unberechtigt erscheinen. Wir hätten nämlich mit dieser Annahme zweierlei ganz verschiedenartige unbe- kannte Kräfte, da die eine zum Stock zurückführende die Biene in der That zwingt an die Stelle zurückzukehren, wo der Stock steht oder auch nicht mehr steht. Hier wirkt der Reiz also weiter, trotzdem das Reizmittel entfernt ist. Dann hätten wir zweitens eine Kraft, die mit dem Verschwinden des Reizmittels versiegt. Also etwas ganz Anderes mit den Bethe’schen Defini- tionen nicht Vereinbares und schließlich gar nicht einmal Zutreffendes, denn man kann sehr häufig die Beobachtung machen, dass hingestelltes Futter oder Pollenersatzmittel, z. B. Mehl, nach fleißigem Eintragen unbeachtet bleibt, wenn die Natur ihre Quellen an Honig oder Pollen öffnet (Dathe, l. c. $. 176). Hier kehrt die Biene also nieht mehr an die Futterstelle zurück, trotzdem das Futter noch vorhanden ist. Ich möchte hier gleich er- wähnen, dass die Angaben von Lubbock (l.c.) und Herm. Müller (l. e.) über das Nichtbeachten oder Nichtwiederaufsuchen hingestellten Honigs sich durch erwähnte Eigenschaften der Bienen erklären. Die von diesen Forschern ange- nommene „geringe Findigkeit“ der Bienen wird also durch dieses Verhalten nicht bewiesen. Zu trachtlosen Zeiten ist die Biene gegenteils über- aus findig, extrafloreale Honigstätten aufzuspüren (s. $. 192). v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 191 da eine Ablenkung in andere Nervenbahnen erfolgt. Werden aber die neuen stärkeren Eindrücke durch die Weiselunruhe (s. S. 134) wieder- um beseitigt, so tritt die alte, eingefahrene Bahn aufs neue in Wirk- samkeit und vermittelt die Leitung der Reize in der früheren Weise, d. h. die früheren Erinnerungsbilder erwachen wieder und die Bienen kehren zum Mutterstock zurück. Eine Auslöschung des Ortsgedächtnisses wird außer den vor- erwähnten Ursachen bewirkt durch den anscheinend narkotisch wirken- den Buchweizenhonig!). Auch solche Bienen, welche mehrere Tage in einen dunklen Raum gebracht wurden, wie auch durch Kälte?) erstarrt gewesene, scheinen bis zu einem gewissen Grade ihr früheres Ortsgedächtnis ein- zubüßen. Ferner bewirkt das Inswasserwerfen, das Baden eines Bienenvolkes ein Zurücktreten der gewonnenen Ortseindrücke?). Ein so behandeltes Volk kann auf einen anderen Platz gestellt wer- den, ohne dass ein Zurückfliegen auf die gewohnte Anflugstelle eintritt. Von wesentlichem Einfluss auf das Schwinden der Erin- nerungsbilder aber ist die Zeit. In ungefähr 5—-6 Wochen vergißt die Biene, die in einen neuen Flugkreis versetzt wurde, die alten Ortseindrücke. Nach dieser Zeit kann der Stock zurtick- transportiert und an jeden beliebigen Platz am alten Ort gesetzt wer- den, ohne dass man zu befürchten hat, dass die Bienen die ursprüng- liche Stelle wieder aufsuchen. Aber das Gedächtnis schwindet nur so schnell, wenn neueEindrücke die alten verwischen. Wenn die Bienen monatelang in der Winterruhe im Stocke sitzen, also keine neuen Ortseindrücke empfangen, so bleiben die vor der Einwinterung vorhandenen Eindrücke unter Umständen lebendig. In sehr vielen Fällen freilich kann man eine vielleicht notwendige Umsetzung eines Bienenstockes, ohne irgendwelche Verluste an Volk befürchten zu müssen, kurz vor dem zu erwartenden ersten Frühlings- ausflug vornehmen. Die Bienen werden, wenn das allererste Aus- flugwetter, wie es meistens der Fall zu sein pflegt, recht wenig freund- 1) „Honigt der Buchweizen recht stark, so scheinen die Bienen davon förmlich berauscht zu sein und sie ziehen mit der gefüllten Honigblase beim nächstbesten Flugloche ein. Man hat die Erfahrung gemacht, dass Bienen- stände, welche von den Bienen dahinterstehender Stände überflogen werden, bedeutend an Volk und Honig, auf Kosten der rückwärtsstehenden Bienenstände, zunehmen“. Bw. Centralbl. Nr. 3 S.35. 1894, 2) „Deutscher Bienenfreund“ 35. Jahrg. 1899, Nr. 4. 3) Frangois Huber l. c. — Es kommt ja auch beim Menschen vor, dass nach einer heftigen Krankheit, nach Gehirmerschütterungen, nach Be- täubungen resp. Vergiftungen durch Kohlenoxydgas u. s. w., ein Teil der Erinne- rungen verloren ist und retrograde Amnesie eintritt (Aug. Forel, Das Ge- dächtnis und seine Abnormitäten, $.37ff., Zürich 1885; A. Gold scheider, Die Bedeutung der Reize im Lichte der Neuronlehre, $.28ff., Leipzig 1898), 1923 v. Buttel-Reepen, Sihd die Bienen „Reflexmaschinen“ ? lich ist und die Temperatur kaum die zum Ausflug absolut nötigen 7—8° C. im Schatten erreicht, nur zögernd zu kurzem, eng begrenz- tem Fluge abfliegen unter langsamer Orientierung und die nötige Rei- nigung erledigen. Dabei prägen sie sich den neuen Ort genügend ein. Ist aber, wie es doch hin und wieder vorkommt, nach langer kalter Zeit plötzlich ein verhältnismäßig sehr warmer Frühlingstag herein- gebrochen, so ist die Aufregung in den Völkern groß, tausende drängen hinaus und manche eilen unter flüchtiger Orientierung zu weitem Fluge fort. Unter solchen Umständen passiert es, dass eine größere oder geringere Anzahl dennoch wieder beim Rückfluge zu der alten Stelle zurückkehrt. Francois Huber!) berichtet, dass er im Herbst Bienen in einem Fenster gefüttert habe, die in großen Scharen dorthin gekom- men seien. Dann wurde der Honig fortgenommen und der Laden während des ganzen Winters geschlossen gehalten. Als die Läden im Frühling wieder geöffnet wurden, kamen die Bienen wieder, trotz- dem kein Honig mehr im Fenster vorhanden war. Bethe (l. e. S.90) äußert sich, wie folgt: „Wenn im Herbst die „Bienen aufhören zu fliegen, so kann man einen Stock (ich habe „dies selbst geprüft) auch innerhalb des Umkreises von 3km an „jeden beliebigen Ort stellen. Die Bienen kehren, wenn sie im Früh- „jahr zu fliegen anfangen, nicht zum alten Standort zurück, sondern „kommen von Anfang an zu dem neuen Standort des Stockes.“ Dieses Bethe’sche Experiment ist nicht beweiskräftig und ich möchte überdies keinem Beobachter oder Bienenzüchter empfehlen, es in der geschilderten Weise nachzumachen, da in den allermeisten Fällen alle Flugbienen eingebüßt werden. Setzt man nach Bethe’scher Angabe im Herbst ein Volk auf einen anderen Platz, so kann man nicht wissen, wenn auch infolge der kalten Witterung „die Bienen aufhören zu fliegen“, ob nicht doch, trotz des anscheinend hereingebrochenen Winterwetters, in den aller- nächsten Tagen oder in den ersten 3—4 Wochen, während deren die Bienen den alten Platz noch absolut sicher im Gedächtnis haben, eine Wärmeperiode mit Flugwetter einsetzt. Geschieht das (und so etwas geschieht häufig), so gehen alle Flugbienen auf den alten Platz zurück und sind verloren. Dann kann freilich im nächsten Frühjahr kein Rückflug auf den alten Standort stattfinden, denn alle oder fast alle, die den früheren Platz kannten, sind dort bereits um- gekommen. Assoziation von Eindrücken. In trachtloser Zeit, während der die Bienen überaus naschhaft zu sein pflegen (s. 5.190), hatten 1) Nouvelles observations sur les abeilles, 2 edit. 2 vol., Paris et Genöve 1814. Deutsch von G. Kleine, Einbeck 1856. de Vries, Ernährung und Zuchtwahl. 193 einige durch das offene Fenster in meiner Studierstube eine Wabe mit Honig ausgewittert. Nach und nach kamen immer mehr der Näscher, die sich z. T. an dem zweiten geschlossenen Fenster verfingen. Um das zu verhindern, stellte ich die Wabe in das geöffnete Fenster selbst. Als die Bienen vielleicht eine halbe Stunde lang ab- und zu- geflogen waren, jagte ich sie von dem Honig ab und schloss das Fenster. Nach ungefähr zwanzig Minuten verfügte ich mich in das darüber liegende Schlafzimmer, dessen Fenster weit offen standen, und fand das Zimmer voller Bienen. Nunmehr wurde ich aufmerksam und nachdem ich die Herumsuchenden hinausgejagt und die Fenster ge- schlossen, verfügte ich mich in den Garten und beobachtete das Ver- halten genauer. An dem Fenster, an dem ich gefüttert hatte, ver- suchten viele vergeblich einzudringen, von Zeit zu Zeit flogen einige an das Nebenfenster und versuchten dort ihr Glück, dann weiter zu den neben- und höherliegenden Fenstern und zwar immer unten an die Fenster ungefähr handbreit über dem Gesimse, in derselben Höhe, wo an dem Futterfenster der Honig gestanden hatte. So bemerkte ich an sämtlichen Fenstern des Hauses die suchenden Bienen. Waren die Bienen thatsächlich im stande Assoziationen von Ein- drücken zu machen und mit der Form des Fensters das Erlangen von Honig zu verbinden, so war zu vermuten, dass sie auch den Fenstern des seitlich ungefähr zehn Schritt abstehenden Nachbarhauses ihren Besuch machen würden, was in der That geschah!). (Viertes Stück folgt.) Ernährung und Zuchtwahl. Vorläufige Mitteilung?) von Prof. Hugo de Vries in Amsterdam. Seit etwa zehn Jahren habe ich im Versuchsgarten des Botani- schen Gartens zu Amsterdam Kulturen über die Beziehungen der Aus- bildung des Kranzes von Nebenkarpellen bei Papaver somniferum polycephalum s. monstruosum zu der Ernährung und der künstlichen 4) Unter der Marke „Instinkt oder Verstand“ fand ich im „American Bee-Journal“, Chicago 1892, folgende Notiz: „Setzt man ein Futtergefäß an den Stamm eines Baumes nieder, so werden die Bienen binnen kurzem bei sämtlichen in der Nähe befindlichen Bäumen an gleicher Stelle nach Honig suchen. Gleiches geschieht, wenn man die Bienen im Freien an einem nach Siiden gelegenen Fenster füttert. Bald wird man suchende Bienen an der Südseite aller benachbarten Gebäude entdecken.“ Bienenwirtsch. Centralbl., Nr. 5, 1892, 8. 75, 2) Die ausführliche Arbeit ist dieser Tage unter dem Titel Alimenta- tion et Selection erschienen in Volume jubilaire du Cinquan- tenaire de la Soei&te de Biologie de Paris, p. 17—30. XX 13 494 de Vries, Ernährung und Zuchtwahl. Auslese gemacht. Sie ergaben im Allgemeinen, dass wenigstens in diesem Falle die Zuchtwahl nichts anderes ist, als die Wahl der am besten ernährten Individuen. Sehr häufig macht man einen Unterschied zwischen der von der Ernährung, d.h. von den Lebensmedien im Allgemeinen, bedingten und einer angeblich von diesen letzteren unabhängigen Variabilität. Aber offenbar muss, zuguterletzt, jede Abweichung vom Mittel ihre Ursache in äußeren Einflüssen haben. Es rührt jene Unterscheidung wahrscheinlich von der landwirtschaftlichen Praxis her, welche die Exemplare der Ränder der Aecker und der Geilstellen erfahrungs- gemäß von der Zuchtwahl ausschließt, da diese letztere ja eine Adap- tation an normale Wachstumsverhältnisse beabsichtigt. Fällt der fragliche Unterschied hinweg, so fällt auch auf dem Gebiete der kontinuierlichen Variabilität der Unterschied zwischen erworbenen und nicht erworbenen Eigenschaften. Nennt man die durch die Ernährung bedingten Abweichungen vom Mittel er- worben, so sind gerade diese erblich, und bilden gerade sie das Material für die Selektion und Akkumulation. Die Lebensmedien beeinflussen die einzelnen Charaktere offenbar nur während ihrer Entwickelungsperiode. Sobald oder bereits einige Zeit bevor die fraglichen Gebilde am Vegetationskegel sichtbar wer- den, geht diese empfindliche Periode zu Ende. Solches tritt für die in Karpelle umgewandelten Staubfäden unserer Pflanze etwa in der siebenten Woche nach dem Anfang der Keimung ein. Die Einwirkung äußerer Bedingungen war in den Versuchen somit auf diese Periode beschränkt; Kontrollversuche zu späterer Zeit bestätigten die Fol- gerung. Die Umwandlung der inneren Staubgefäße beim Mohn bildet einen sehr variablen und von äußeren Einflüssen im höchsten Grade ab- hängigen und dennoch durch Zuchtwahl akkumulierbaren Charakter. Sie ist somit besonders geeignet um zu erforschen, ob es neben der abhängigen auch eine von den Lebensmedien unabhängige Varia- bilität giebt. Die Anzahl der überzähligen Karpelle wechselt zwischen fast 0 und über 150. Ebenso wechselnd ist auch der Grad ihrer Ausbildung. Häufig sind sie aber in kleineren oder größeren Gruppen derart ver- wachsen, dass ein genaues Abzählen äußerst schwierig wird. Es wird daher bei den Versuchen in der Regel unterschieden zwischen Blüten mit 1—10 Karpellen, mit weniger oder mehr als einen halbem Kranze, oder mit einem gerade geschlossenen oder stark gefüllten Kranze von überzähligen Karpellen. In gewöhnlichen Aussaaten bilden die halben Karpellenkränze die Mehrzahl, um diese gruppieren sich die übrigen nach den bekannten Gesetzen der individuellen Variabilität. de Vries, Ernährung und Zuchtwahl. 495 Die verschiedenen Blüten einer einzelnen Pflanze sind unter sich sehr ungleich, die Endblüte ist unter normalen Verhältnissen stets reicher, meist viel reicher als die axillären Blüten. So betrug z. B. die Anzahl die Nebenkarpelle: Pflanze 127 a EP ET er 5 6 7 8 Endblüte 120: 120120), 65 30 25 N 2 Seitenblüte 60 UNrBr 21 ON ER3N. EHE Bun dr Zweite dito 20 — I —- -- .— 1 v. Herbstblüten aus tieferen Achselknospen oder aus sekundären Achselknospen sind auch auf den besten Erben meist ohne Neben- karpelle. Die Größe resp. das Gewicht der Frucht der Endblüte ist das beste, und gleichzeitig das bequemste und einfachste Maß der indivi- duellen Kraft eines Papavers. Beide gehen stets parallel, voraus- gesetzt, dass nicht während des Wachstumes die Lebensbedingungen sich verändert haben. Waren diese in den ersten sechs Wochen z.B. ungünstig, nachher aber günstig, so bekommt man große Früchte mit wenigen Nebenkarpellen. Abgesehen von dieser Ausnahme weisen die Kulturen einen fast vollständigen Parallelismus zwischen der Größe der Frucht und der Anzahl der Karpelle nach. Ich gebe als Beispiel eine Kultur von 239 Pflanzen, in Prozenten für die einzelnen Gruppen: Höhe der Frucht . . . . ...05—1cem 1—15cm 15—2 cm Ohne Nebenkarpelle . . . . 31°, 61°], 8%), Kranz weniger als halbgefüllt . 6%, 53%), 41°), Mehr als halbgefüllt . . . . 0%, 40°), 60°), Voller Kranz . . . 0%, 25%, 75%. Ausnahmen von diesen. Beseln gab es in der langen Reihe von Jahren dieser Kulturen, und auch bei großer Ausdehnung nicht. Bei gleichbleibenden Lebensbedingungen ist es nicht möglich, unab- hängig von der individuellenKraft, eine Zuchtwahl nach der Anzahl der Nebenkarpelle vorzunehmen. Beim Ausjäten der überflüssigen Pflanzen auf den Beeten, in der ersten Jugend, entfernt man gewöhnlich die schwächsten. Diese sind aber die Individuen mit der geringsten Polycephalie; es kann somit durch starkes Ausjäten der mittlere Gehalt eines Beetes ganz bedeu- tend gesteigert werden. In Kontroll-Versuchen ist daher das Ausjäten vorzunehmen, wenn unerlässlich, bevor die individuellen Differenzen anfangen sich zu zeigen. Die Unterschiede zwischen leichteren und schweren Samen, zwischen den Samen größerer und schwächerer Früchte und zwischen der End- und Seitenfrucht einer selben Pflanze fallen gegenüber den während der Keimung wirkenden Einflüssen nur unerheblich ins Ge- wicht. Weiter oder gedrungener Stand während der ersten Wochen, guter 13* 196 de Vries, Ernährung und Zuchtwahl. oder schlechter Boden, kräftige oder ärmliche Düngung, Besonnung oder Schatten während dieser Zeit sind die wichtigsten Faktoren, welche für jede einzelne Pflanze den Grad der Polycephalie bestimmen. Eine Aussaat unter starker Düngung mit Guano resp. gedämpftem Hornmehl gab 75°, resp. 90°, Pflanzen mit schönem, vollem Kranze, während ein Kontrollversuch ohne Düngung deren nur 54°, gab. Auf dürrem Sand sank dagegen diese Zahl bis 9°/,, in einem Falle sogar auf O0 herab. Die einzelnen Parzellen umfassten in diesen Versuchen meist je etwa 100 Individuen. Gedrängte Aussaat (lcem pro qm) gab auf 580 Pflanzen nur 2 bis 5°, Individuen mit vollem Kranze, während der Kontrollversuch (0,3 cem pro qm) auf 182 Pflanzen deren 53—75°|, gab. Jeder Versuch um- fasste 4 qm, und war in eine stark und eine schwach gedüngte Hälfte geteilt, daher die doppelten Zahlen. Ohne Besonnung, im Baumschatten lieferten die Kulturen gar keine Pflanzen mit guten Kränzen von Nebenkarpellen, während das besonnte Kontrollbeet deren 21°/, gab. Hielt man die Aussaaten auf den Beeten (ohne zu verpflanzen) in der Jugend unter Glas, so nahm dagegen diese Zahl bis zu 55°), zu, u. 8. w. Ich erwähnte oben der Ausnahme von der Regel des Parallelismus zwischen individueller Kraft und Ausbildungsgrad der Polycephalie. Diese Ausnahme erhält man am einfachsten, wenn man die Pflanzen in den ersten Wochen der Keimung aus der Erde nimmt und ver- pflanzt. Auf kurze Zeit wird dadurch die normale Entwickelung ge- stört; die Pflänzehen erholen sich zwar bald wieder, aber dann ist die empfindliche Periode der Polycephalie vorüber. Solche Exemplare werden ganz auffallend kräftig, mit großen schweren Früchten und mehreren Seitenblüten. Ihre Endblüte ist aber fast stets arm an Kar- pellen, hat deren oft nur 1—3 oder wenige mehr und bringt es nur ganz selten zu einem halben oder fast vollen Kranze. Dagegen sind hier bisweilen die Seitenblüten ebenso reich oder sogar reicher an Kar- pellen als die Endblüte. Dieser Versuch wurde mit gleichem Erfolg mit der gewöhnlichen rotblühenden Form und mit einem neuen Bastarde: Papaver somniferum polycephalum Danebrog angestellt. Die Selektionsversuche wurden in zwei Richtungen angestellt: die eine behufs Vermehrung, die andere behufs Verminderung der An- zahl der Nebenkarpelle. Letztere Versuchsanstellung kann als Retour- selektion bezeichnet werden. Der polycephale Papaver ist für die Selektion sehr empfindlich. Aus vereinzelt unter anderen Aussaaten vorgefundenen Individuen mit wenigen Nebenkarpellen kommt man durch Isolierung und Auslese sehr bald zu einer, der Handelsrasse gleichwertigen Familie. Ebenso verhielt es sich bei der soeben erwähnten Kreuzung. Wählt man aus einer Aussaat Individuen mit verschiedener Aus- de Vries, Ernährung und Zuchtwahl. 197 bildung der Polycephalie, befruchtet man sie rein mit dem eigenen Blütenstaub und säet man ihre Samen getrennt, aber unter möglichst gleichen Bedingungen, so entspricht die Zusammensetzung der Nach- kommenschaft dem Charakter der Mutterpflanze, z. B. Ohne Neb. Halber Kranz. Voller Kranz. Mutterfrucht mit 50 Nebenkarp. 50°), 3201, 16°, mit 60—100 „ 39%, 39% 22],. Durch fortgesetzte Zuchtwahl kann man dann im Laufe von 2 bis 3 Generationen den Gehalt an guten Erben noch wesentlich verbessern. Es war auch in diesen ausgedehnten Versuchen einfach unmög- lich, eine von der individuellen Kraft unabhängige Wahl zu treffen. Der Parallelismus erleidet nur die oben erwähnte Ausnahme, welche von einer nachträglichen Umänderung der Lebensmedien bedingt ist. Die Keimungs- und Wachstumsbedingungen sind auf demselben Beete trotz aller Sorgen stets für die einzelnen Individuen verschiedene, und wenn man auf Reihen ausgesäet und stets alle Manipulationen selbst ausgeführt hat, so lassen sich die Umstände, denen jede einzelne Pflanze in der Jugend ausgesetzt war, zur Zeit der Blüte meist noch leicht beurteilen. Die kräftigen, karpellenreichen Pflanzen sind dann diejenigen, welche durch freien Stand und hinreichende Feuchtigkeit ihre Blätter am frühesten entfalten konnten; die ärmlichen Pflanzen standen mehr trocken oder fingen zu früh an sich zu berühren. Die durch dieLebensmedien bedingten günstigen Ab- weichungen vom mittleren Typus ergaben sich somit als erblich. Genau so verhielt es sich bei der Retourselektion. Diese ergab überdies das wichtige und älteren Angaben entgegengesetzte Resultat, dass man durch Selektion nicht zum völligen Verluste der Polycephalie gelangen kann. D.h. dass man auf diesem Wege das Papaver somni- ferum polycephalum nicht in gewöhnliches P. somniferum überzu- führen im stande ist. Stets werden, auch unter Tausenden von Indi- viduen, die ärmsten noch Spuren der Umbildung zeigen. Diese Spuren können ganz geringe sein; sie sind in älteren Versuchen wohl einfach übersehen worden; sie fehlen aber nie. Und dass auch solche Indi- viduen noch völlig zu der Unterart gehören, das zeigt sich jedesmal bei der Aussaat ihrer (selbstbefruchteten) Samen. Man braucht diese nur unter ganz besonders günstigen Bedingungen auszusäen, um wieder- um eine fast normale Kultur zu haben. Zwei Versuche über Retourselektion wurden angestellt. Der eine, unter möglichst normalen Bedingungen, dauerte von 1895 bis Ende 1897; der andere, in Verbindung mit ungünstigen Bedingungen, fand 1897 und 1898 statt. In beiden Fällen nahm der mittlere Gehalt der Kulturen an Polycephalie in den aufeinanderfolgenden Jahren regel- 498 Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. mäßig ab, ohne aber auch nur annähernd zu verschwinden. Aus meinen Versuchen wähle ich hier die folgende Uebersicht‘): €. 0. 0. 1-6. 1,K. K.!la. Voller K. Pracht-K. 1893 0 17 16 29 33 2 1894 0 0 9 26 50 15 1895 0 16 52 16 16 0 1896 5 32 33 29 0 0 1897 12 41 27 12 Ü t; Es ist selbstverständlich nicht leicht, die Lebensmedien in den aufemanderfolgenden Jahren hinreichend gleichmäßig zu haben; Un- regelmäßigkeiten in den Zahlen können also nicht befremden; sie be- einträchtigen das Endresultat aber nicht. Die Ernährung in der empfindlichen Periode und die Zuchtwahl wirken also stets in demselben Sinne; die bessere Ernährung bildet kräftigere Individuen mit zahlreicheren Nebenkarpellen aus; die ge- ringere Ernährung liefert karpellenarme Schwächlinge. Die Zuceht- wahl wählt daher als extreme Varianten einerseits die am besten, andererseits die am schlechtesten ernährten Exemplare aus. Ihre Eigenschaften zeigen sich aber als erblich und als akkumulierbar durch wiederholte Auslese. Für die Selbstbefruchtung, welche bei Papaver oft ohne künst- liche Hilfe stattfindet, wurden die Blüten einzeln in Säcken von transparentem Pergamyn eingeschlossen. [36] Versuch einer einheitlichen Betrachtungsweise der Fermentprozesse. Von Dr. phil. et med. Carl Oppenheimer. Der Begriff des „Fermentes“ hat im Laufe der Jahrhunderte manche seltsame Wandlung durchgemacht. Von der ganz äußerlichen Betrachtungsweise, die unter „Fermentatio“ jeden mit Gasentwicklung einhergehenden Vorgang begriff, bis zu seltsam mystischen Vorstellungen einer geheimnisvoll schaffenden Kraft, finden wir nach- und neben- einander alle möglichen Anschauungen, die zu einer unglaublichen Begriffsverwirrung führten. Erst im achtzehnten Jahrhundert klärten sich die Ansichten allmählich: Man verstand damals unter Ferment- prozessen solche Vorgänge, bei denen Umwandlungen organischer Stoffe durch ein sich'zersetzendes Agens ausgelöst werden sollten, und diese Zersetzung sollte sich durch Ansteckung weiter übertragen 4) C.0 = ohne Nebenkarpelle; C.1—6 —= mit 1—6 Nebenkarpelle; !/,K. = wenigen als ein halberKranz; K.!/, = mehr als ein halber Kranz; K. = Kranz, Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. 199 lassen (Stahl). In der Praxis entsprach das im Wesentlichen den bekannten Gärungserscheinungen, die man als weinige, saure und faulige Gärung unterschied. So energisch man sich nun auch seit Lavoisier bemühte, den chemischen Charakter dieser Gärungen, die Produkte dieser Spaltungen aufzuklären, so wurde doch die Theorie dadurch nicht weiter geführt, sondern sogar ziemlich vernachlässigt. Das Hauptergebnis ist eigentlich nur ein neues Wort für den fehlen- den Begriff, die „katalytische“ Wirkung durch den „Kontakt“ der Fermentsubstanz (Berzelius, Mitscherlich). In energischeren Fluss kam diese Frage erst, als man neue Fer- mentprozesse kennen lernte, alsRobiquet das Emulsin, Schwann das Pepsin, Payen und Persoz die Diastase fanden. Dadurch wurde das Feld der bekannten Thatsachen erweitert und Liebig war der erste, der durch eine wissenschaftliche Vertiefung der alten Stahl’schen Zersetzungslehre eine Theorie der Fermentprozesse schuf. Nach seiner Anschauung werden die Umsetzungen des Zuckers, der Eiweißkörper, der Stärke ete. ausgelöst durch den Kontakt mit der sich zersetzenden Fermentsubstanz, oder Hefe der jenen anderen „albuminoiden Substanzen“. Liebig hielt seine Theorie auch dann noch hartnäckig fest, als durch die klassischen Arbeiten von Pasteur nachgewiesen wurde, dass die Wirkung der Hefe und einiger anderer Gärungserreger fest mit dem Lebensvorgang von Mikro- organismen zusammenhängt. Und gerade dadurch, dass Liebig in seltsamer Verblendung die offensichtliche Bedeutung dieser Kleinwesen für den Gärprozess einfach leugnete, und nach wie vor diesen Vor- gang auf eine Zersetzung der Hefe zurückführte, hat er selbst seiner Anschauung jede Wertschätzung entzogen. Dadurch, dass man die völlige Unrichtigkeit seiner Ansicht von der Zersetzung der Fermente bei ihrer Wirkung leicht erweisen konnte, ist man leider soweit ge- gangen, auch den tieferen Kern der Liebig’schen Anschauung, näm- lich die einheitlich-energetische Betrachtungsweise der Ferment- prozesse, völlig in den Hintergrund zu drängen und der Pasteur- schen rein biologischen Auffassung zu fast unbestrittenem Siege zu verhelfen. Und doch hat Pasteur durch den absolut sicheren Be- weis, dass für die alkoholische Gärung Mikroorganismen nötig sind, doch noch keine Erklärung, keine Theorie der „geformten“ Fermente, wie man jetzt diese von Mikroben ausgelösten Prozesse, im Gegensatz zu den „ungeformten“ Fermenten: Pepsin, Dia- stase etc., nannte, gegeben. Im Gegenteil, die Pasteur’sche Theorie der Alkoholbildung, dass nämlich die Hefe durch Sauerstoffmangel gezwungen würde, dem Zucker Sauerstoff zu entziehen und daraus Kohlensäure zu produzieren, während der Alkohol den Rest des Nährmaterials darstellt, ist bald als falsch erwiesen worden. 200 Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. So sehen wir denn also das Sonderbare, dass ein Versuch einer energetischen Erklärung, bloß weil sein Autor sich gegen un- zweifelhafte biologische Thatsachen sträubte, von den Anhängern dieser biologischen Fakta völlig in den Hintergrund gedrängt wird, ohne dass man versucht, die gescheiterte Liebig’sche Theorie aller Fermentationen durch eine neue zu ersetzen. Man wiegte sich voller Genugthuung in dem erhebenden Bewusstsein, durch die Thätigkeit der Mikroorganismen die Wirkungen der geformten Fermente „er- klärt“ zu haben, und liess damit de facto jeden Zusammenhang dieser Fermente mit den ungeformten fallen, ohne sich auch zu einer for- mellen Trennung entschließen zu können. Die einzigen, welche noch nach einem Zusammenhang zwischen den „Enzymen“!) und den geformten Fermenten fahndeten, in der festen Ueberzeugung, dass auch die Mikroben ihre Thätigkeit durch abgesonderte Enzyme vollziehen, waren Traube und Hoppe- Seyler. Aber ihre Stimme verhalte ohne Wirkung, zumal es ihnen nicht gelang, solche Enzyme zu isolieren. Daneben gingen andererseits mehrfache Versuche, die Wirkungs- weise ausschließlich der Enzyme zu erklären, ohne die geformten Fer- mente mit in den Kreis der Betrachtung zu ziehen, so dass damit thatsächlich die Kluft immer mehr erweitert wurde, und beide Arten von Vorgängen nur noch in dem Namen zusammenhingen. So ist es denn auch zu erklären, dass Naegeli?), als er durch seine bedeutungsvolle Abänderung der Liebig’schen Hypothese eine neue Theorie der Fermentwirkungen schuf, an dem grundsätzlichen Unterschied zwischen den Enzymen und den Gärungserscheinungen festhielt. Naegeli ersetzte die unhaltbare Vorstellung von der „che- mischen Zersetzung“ der Fermente durch die theoretisch weit weniger angreifbare von der energieauslösenden Wirkung von Atom- schwingungen. Er nahm an, dass die normalen Schwingungen der Atome in jedem Substrat durch die Zufuhr des Fermentes so ver- stärkt wurden, dass sie schließlich über die für Erhaltung des statischen Gleichgewichtes zuläßige Amplitude hinausgehen und dadurch zu einem Einsturz des labilen Moleküles führen sollten. Dadurch hat er uns wenigstens ein Bild von der „katalytischen“ Wirkung geben können. Wodurch aber die Fermente diese Intensivierung der Atom- schwingungen bewirken, ist trotz Naegeli auch heute noch das große Rätsel. Immerhin hat er das große Verdienst, zum ersten Mal seit Liebig wieder eine energetische Betrachtungsweise der Fermente angestrebt zu haben. Indes untersuchte er nur die En- 1) So hatte Kühne die ungeformten Fermente kurz bezeichnet. 2) Naegeli, Theorie der Gärung, München 1879. Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. 201 zyme unter seinem neuen Gesichtspunkt und zog nicht die Konsequenz aus seiner Theorie, nunmehr alle Fermentwirkungen von einem ein- heitlichen Standpunkt zu betrachten. Im Gegenteil hält auch er an dem tiefgreifenden Wesensunterschied beider Arten von Fermenten fest. Die Kluft schien also unüberbrückbar und so war es denn leicht zu verstehen, wenn schließlich Hansen!) aus alle dem die Kon- sequenz zog, dass man den Begriff „Ferment“ als logisch und materiell unhaltbar überhaupt streichen sollte, um zu unterscheiden zwischen Enzymen und denGärungserscheinungen alsTeil des Stoff- wechsels der Mikroben. Damit wäre wenigstens eine reinliche Scheidung unpassend kombinierter Begriffe gegeben. Indessen lernte man bald wichtige Thatsachen kennen, welche es unmöglich machen, selbst praktisch eine haarscharfe Grenzlinie zwischen Enzymen und geformten Fermenten zu ziehen. Es giebt nämlich Fermente, die eine Mittelstellung einnehmen. Während manche Enzyme von der sie erzeugenden Zelle ohne Weiteres an die um- gebenden Medien abgegeben, sezerniert werden, wie z. B. das Pepsin und die Diastase, zeigen andere eine viel festere Bindung an das Protoplasma. Während es z. B. unmöglich ist, der gesunden Hefezelle außer Diastase irgend ein Ferment zu entziehen, gelingt dies, wenn man die vitale Energie der Hefezelle, z. B. durch Aus- trocknen oder durch gewisse Gifte (Chloroform, Toluol), lJähmt. Da- durch wird zwar die alkoholisierende Fähigkeit der Hefe vernichtet; sie giebt aber in diesem Zustande neue Enzyme an einen Wasser- infus ab, besonders diejenigen, die die Maltose und den Rohr- zucker in einfache Zucker spalten, die Maltase und die Inver- tase?). Es ist kaum zu entscheiden, ob man diese Fermente, die normalerweise fest an die Hefezelle gebunden sind, zu den „geformten“ rechnen darf: es ist dies kaum durchzuführen, wenn wir sehen, dass die Fermente, wenn sie einmal vonder Zelle getrennt sind, wie echte Enzyme wirken. Noch viel mehr gilt diese eigen- tümliche Mittelstellung von dem invertierenden Enzym der Monilia candida, das auch aus der toten Zelle nicht zu isolieren ist und doch unabhängig von der vitalen Energie der Zelle wirksam ist, wenn man diese durch Toluol lähmt (E. Fischer |. e.). War also schon durch diese Thatsache die durchgreifende Bedeu- tung des Unterschiedes zwischen geformten Fermenten und Enzymen gewaltig erschüttert, so erwiesen die epochemachenden Resultate von E. Buchner?), dass hier ein fundamentaler Gegensatz gar nicht be- steht. Dadurch, dass es ihm gelang, den Typus der geformten 4) Hansen, Arbeiten a. d. botan. Inst. Würzburg Il. 2) S. dazu E. Fischer, Z. f. physiol. Ch. 26. 71 (1898). 3) E. Buchner, Chem. B. XXX, XXXlI. 202 Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. Fermente, dasjenige, das man als untrennbar fest mit dem Leben der Zelle verbunden erachtet hatte, das Ferment der alkoholischen Gärung des Traubenzuckers als Enzym, das ohne lebende Zelle wirken kann, aus der Hefe zu isolieren, bietet er uns die Mög- lichkeit, den biologischen Standpunkt in der Betrachtung der Fermentprozesse als relativ unwesentlich bei Seite zu schieben zu Gunsten einer einheitlichen energetischen Anschauung über das Wesen dieser Vorgänge. Wir müssen uns also fragen: Welcher Art müssen die Umsetz- ungen sein, die wir als Fermentwirkungen bezeichnen; und wo ist die Grenze zu ziehen zwischen ihnen und anderen Prozessen nicht fermentativer Art? Nun wissen wir, dass die Enzyme die Fähigkeit haben, auf- gespeicherte Energiemengen auszulösen, und wissen, dass auch die Hefe einen derartigen Vorgang bewirkt; hier ist also der Angelpunkt des Verständnisses: Wir müssen diese energetische Grundlage auf alle Fermentprozesse ausdehnen. Als Fermentprozesse werden wir dem- zufolge alle derartigen Prozesse der organischen Welt bezeichnen, bei denen aufgehäufte Spannkräfte ausgelöst werden, bei denen durch geringfügige Erschütterungen ein labiles Gleichgewicht der Atome eines Moleküls zusammenstürzt unter Bildung eines neuen stabileren Gleichgewichtes. Dies ist ein Vorgang, bei dem ein Teil der auf- gespeicherten Spannkraft als lebendige Kraft abgegeben wird, also ein exothermaler Prozess: die bei einem Fermentprozess gebildeten Spaltprodukte müssen also weniger Spannkraft enthalten, als das ursprüngliche Substrat; unddies können wir zahlenmäßig dadurch aus- drücken, dass sie eine geringere Verbrennungswärme aufweisen. Wir'werden also alle exothermal verlaufenden Spaltungsprozesse, die mehr oder minder direkt in dem Machtbereich lebender Organismen stattfinden, alsFermentprozesse bezeichnen,alleendothermal, d.h. unter Aufnahme von Energie, unter Bildung neuer Spannkräfte einhergehenden Vorgänge von den fermentativenscheiden müssen. Wenn wir dieses Prinzip aus der energetischen in die chemische Betrachtungsweise übersetzen, so finden wir, dass von den in Orga- nismen stattfindenden ehemischen Prozessen nur zwei Gruppen unter unsere Definition fallen können, insofern als sie exothermal verlaufen, nämlich die einfache hydrolytische Spaltung unter Aufnahme von Wasser und ferner die oxydativen Vorgänge, mögen sie unter Verbrauch atmosphärischen Sauerstoffes oder durch intramolekulare Oxydation verlaufen. Alle anderen Prozesse der tierischen und pflanzlichen Zellen, vor allem jene umfangreichen Re- duktionen und Synthesen müssen wir als endothermal streng von den Fermentprozessen trennen und als unlösbar fest verbunden mit dem Stoffwechsel der Lebewesen betrachten, z.B. die Synthese Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. 203 von Eiweiß in den Pflanzen, von Glykogen in der Leber der Tiere. Wir gelangen dadurch noch fernerhin zu einer wertvollen Einheitlich- keit auf dem nunmehr von der theoretischen Betrachtung der Fer- mente losgelösten biologischen Gebiet. Nach der Pasteur’schen Ansehauung war Gärung identisch mit dem Stoffwechsel der Mikroben bis zu den niederen Pilzen inklusive; was aber berechtigt uns hier willkürlich eine Grenze zu ziehen? Wieso ist der Stoffwechsel der höheren Pilze nicht mehr Fermentwirkung, wieso nicht der der Algen und Moose? Oder gar der höherer Lebewesen? In der That ist in der Konsequenz dieser Anschauung von Green!) der Versuch gemacht worden, alle Fermentprozesse dem Lebensprozess im weiteren Sinne zuzuschreiben, womit auf jede dynamische Erklärung vorläufig verzichtet wird. Wir aber ziehen die trennende Grenzlinie dort, wo sich die Vor- gänge thermodynamisch an dem Unterschiede ihrer Energieumsetz- ungen differenzieren lassen: die biologische Betrachtung kommt erst an zweiter Stelle. Die Beziehungen aller Fermente zum Leben be- schränken sich darauf, dass alle von lebenden Zellen erzeugt werden und mehr oder minder fest an ihnen haften, sowie auf die enorme Wichtigkeit, die die Fermente für die Zelle besitzen; wir vereinigen aber einerseits die Fermente aller Lebewesen vom Bakterium bis zum Menschen unter eine Kategorie, und sind dadurch in der Lage, nunmehr davon befreit auch die rein vitalen, nur durch die Energie der Zelle selbst ausführbaren, endother- malen Umwandlungen im Stoffwechsel aller Lebewesen zu einer zweiten Kategorie zu vereinigen. So zerfällt die Gesamtheit der Energieumsetzungen aller Lebe- wesen in zwei parallel gehende, theoretisch von einander unabhängige, praktisch freilich bisweilen äußerlich ineinandergeflochtene Vorgangs- reihen: die Aufspeicherung der von der Allmutter Sonne gelieferten Energie im endotbermalen, rein vitalen, synthetisch-reduktiven Stoff- wechsel und die Rückführung dieser Energie in den großen Kreislauf durch fermentative Prozesse exothermaler Natur. Für unsere Betrachtungsweise ist es sehr unerheblich, ob die Fermente mehr oder minder fest an das Protoplasma gebunden sind; noch hat man nicht alle Fermente, die wir als solche auffassen dürfen, isoliert, z. B. das Milchsäureferment; aber selbst wenn dies auch in Zukunft nicht gelingen sollte, so würde es doch für unsere rein energetische Definition genügen, ein Agens für ein Ferment zu er- klären, wenn seine Wirkung losgelöst von der vitalen Energie der Zelle vorgestellt werden kann, auch wenn sie nicht als solche demonstriert werden kann. Selbst wenn also Buchner’s Zy- 4) Green, Ann. of botan. VII. 204 Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. mase noch mit Protoplasmasplittern im Zusammenhang stünde, würde diese unsere Anschauung wenig beeinflusst. Wir haben also durch unsere Definition die Möglichkeit erlangt, theoretisch scharf zwischen Fermentwirkungen und rein vitalen Umsetzungen zu unterscheiden; in der Praxis ergeben sich indessen einige Schwierigkeiten. Es giebt biologische Prozesse, bei denen wahrscheinlich echte Fermentprozesse hydrolytischer und oxydativer Natur so vielfach mit rein vitalen Reduktionen und Synthesen ver- flochten sind, dass es praktisch sehr schwierig ist, den Knoten zu entwirren. Dies gilt besonders von den Fäulnisprozessen der Eiweißkörper. Hier walten zweifellos auch einfache Enzyme, die man zum Teil sogar schon isoliert hat; daneben wirkt aber die vitale Energie der Bakterien so vielfach sekundär verändernd ein, dass ein klares Bild des Gesamtvorganges nicht zu erhalten ist. Giebt uns so unsere einheitliche Auffassung der Fermentprozesse die Möglichkeit, das Gebiet dieses Problems scharf zu umgrenzen, so ist damit Grund gegeben für die Hoffnung, auch Einblick in das in- nere Wesen der Prozesse zu gewinnen. Noch sind wir davon frei- lich weit entfernt. Mag man auch die sehr geistvolle Naegeli’sche Hypothese acceptieren; sie giebt uns auch nur ein, allerdings sehr plausibles Bild von der Erscheinungsform dieser Vorgänge; ihr in- neres Wesen, die Ursache dieser gesteigerten Intensität der Atom- schwingungen kann sie uns auch nicht enthüllen. Man ist vielfach zu der Annahme geneigt, dass die Fermente ganz analog wirken den katalytischen Stoffen der anorganischen Natur und unter diesen namentlich den verdünnten Säuren. Und in der That verlaufen vielfach die fermentativen Prozesse ganz analog den Säurespaltungen der betreffenden Substanzen, so namentlich die Ein- wirkung der sacharifizierenden Fermente auf die Stärke. Indessen, abgesehen davon, dass diese Analogie nur bis zu den hydrolytisch wirkenden Fermenten reicht, die oxydativen dagegen nicht betrifft; es finden sich doch sehr gewichtige Unterschiede zwischen beiden Prozessen. Außer Differenzen, welche sich im Verlaufe der Reaktion in Intensität und Geschwindigkeit physikalisch-chemisch konstatieren lassen (Tamman)'), ist es namentlich die Spezifizität der Fermentwir- kung, welche einer einfachen Analogisierung beider Prozesse Halt gebietet. Denn während die Säuren bei ihrer spaltenden Wirkung unter annähernd gleichen Bedingungen wahllos ebensowohl Proteide, wie Stärke und Glukoside angreifen, wirkt ein Ferment mit ganz be- stimmter Eigenart nur auf eine ganz beschränkte Zahl von verwand- ten Stoffen: Diastase hat keinerlei Einwirkung auf Eiweißkörper und Glukoside, ebensowenig Pepsin auf Stärke etc. An einer spezifi- 1) Tamman, Z. f. physiolog. Ch. XVI. Öppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse, 205 schen Auslese scheitert der Versuch, die Fermentwirkung einfach den katalytischen Kräften gleichzustellen. Worauf beruht denn aber diese spezifische Wirkung? Emil Fischer ist es durch geniale Versuche gelungen, den ersten Licht- schimmer in dieses Dunkel zu werfen, und zwar dadurch, dass er die stereochemische Betrachtungsweise in dieser Frage anwandte. Dass der lebenden Zelle, und den „geformten“ Fermenten ein außer- ordentlich feines Unterscheidungsvermögen für sterische Verschieden- heiten innewohnt, ist schon seit den denkwürdigen Versuchen von Pasteur bekannt, der fand, dass Schimmelpilze aus racemischen Weinsäuregemischen nur die rechtsdrehende Form verzehren. Aehn- lich ergab sich, dass sie aus racemischen Zuckergemischen ete. stets nur die d-Form bevorzugten. Ferner kannte man längst das eigen- artige Verhalten der Hefe gegen die Zuckerarten. Von allen Zuckern sind überhaupt nur die mit 3, 6, 9 Kohlenstoffen gärfähig, und auch von diesen nur bestimmte Konfigurationen, und von diesen wiederum nur die d-Form! So gären von den Hexosen nur d-Glukose, d-Mannose, d-Galaktose und die linksdrehende d-Fruktose. Emil Fischer aber war es vorbehalten, auch für die Enzyme der- artige stereochemische Empfindlichkeiten nachzuweisen. Erstens zeigte er, dass die Infuse der „kranken“ Hefe zwei Enzyme enthielten, von denen das eine die Maltose, das andere den Rohrzucker spaltet, die aber beide auf den Milchzucker, der sterisch von ihnen verschieden ist, nicht einwirken, dass hingegen dieser wieder nur von einem be- sonderen Enzym der Milchzuckerhefen, der Laktase gespalten wird. Besonders prägnant sind aber seine Versuche, die er mit seinen künstlichen Glukosiden anstellte. Durch Kondensation von Zuckern mit Methylalkohol erhielt er Methylglukoside dieser Zucker und zwar in zwei stereoisomeren Formen, die er als « und £ bezeichnet. Auf diese ließ er nun Enzyme und zwar einerseits Hefeninfus (enthaltend Maltase und Invertase) und andererseits Emulsin einwirken. Es ergab sich dabei folgendes: die Glukoside der nicht gärfähigen Zucker wurden von beiden Enzymen nicht angegriffen; von den Glukosiden der gärfähigen Zucker wurde die «-Reihe nur von dem Hefeninfus, die $-Reihe nur vom Emulsin gespalten; im Anschluss davon konnte er ferner zeigen, dass der vom Hefeninfus nicht spaltbare Milchzucker durch Emulsin angegriffen wurde. Wir sehen also, dass durch diese Ergebnisse die Spezifität der Fermente als eine ungemein fein differenzierte erscheint. Anderer- seits wird sie aber dadurch auch in ganz bestimmter Richtung ein- geschränkt. Dass die Fermente nicht in dem Sinne spezifisch wirken, dass sie ihre Thätigkeit ausschließlich auf einen Stoff von ganz be- stimmter chemischer Individualität richten, kann man ja ohne weiteres 206 Oppenheimer, Versuch e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentpr ozesse. daraus erschließen, dass Pepsin z.B. alle die verschiedenen Eiweiß- körper, Emulsin zahlreiche Glukoside spaltet. Es zeigt sich aber auch besonders prägnant in diesen Versuchen, bei denen die Hefen- enzyme und das Emulsin sich im stande erwiesen, künstlich her- gestellte Stoffe, auf die sie also sicher nicht eingestellt sein konnten, zu spalten. Es scheint also bei der spezifischen Fermentwirkung, die einer- seits so streng die feinsten Unterschiede respektiert, anderer- seits ganz verschiedene Stoffe angreift, viel weniger auf das Vor- handensein von strukturellen Aehnlichkeiten, als auf das Vorhandensein ganz bestimmter sterischer Eigentümlichkeiten anzukommen, der wohl bestimmte Eigenarten im sterischen Bau des Fermentes entsprechen; und in diesem Sinne ist das berühmte Wort vonFischer von dem „Schlüssel“ Ferment, der zu dem „Schlosse“ Substrat passen muss, aufzufassen. Wenn wir diesen Gedankengang weiter verfolgen, so drängt sich uns unwillkürlich ein Vergleich auf, den exakt zu verfolgen freilich unendlich schwierig und völlig verfrüht sein würde; nur als eine Ahnung dessen, was vielleicht kommen wird, schwebt er uns ver- lockend vor und ermuntert uns, diesen Gedanken Worte zu leihen: es ist der Vergleich der spezifischen Fermentwirkung mit der der bak- teriellen Toxine und der ihnen verwandten pflanzlichen Toxalbu- mine. Den Lesern dieser Zeitschrift wird es erinnerlich sein, dass ich vor kurzem!) in wenigen Worten auf den Zusammenhang zwischen Toxinen und Fermenten hingewiesen habe. Er dokumentiert sich besonders in der Wirkung außerordentlich kleiner Mengen, in der Ab- weichung von dem normalen toxikologischen Verhalten, in der außer- ordentlichen Empfindlichkeit, z. B. gegen Säure und Wärme. Nament- lich wird für das Tetanustoxin die Fermentnatur sehr energisch proklamiert?). Auch darin, dass die Wirkung beider Agentien so exquisit spe- zifisch ist, zeigt sich eine weitgehende Uebereinstimmung. Es ist darum außerordentlich verlockend, auch für die Art der spezifischen Wirkung Aehnlichkeiten anzunehmen. Bekanntlich erklärt Ehrlich die spezifische Wirkung der Toxine durch das Vorhandensein von haptophoren Gruppen, die sich in passende haptophore Gruppen der angegriffenen Zelle verankern und dadurch Gelegenheit finden, die Wir- kungen ihrer toxophoren Gruppen auf die Zelle ausstrahlen zu lassen. Dürften wir uns vorstellen, dass die sterischen Angriffspunkte für die Fermente (das „Schloss“) und die sterisch-spezifischen Gruppen der Fermente selbst (der „Schlüssel“) in irgend einer Art den „haptophoren“ Gruppen verwandt sind, und dass die Fermente an Stelle der toxo- phoren eine „zymophore“ Gruppe tragen, die die chemische Spal- 4) Biol. Centralbl. 1899, 799. 2) Tizzoni und Cattani, Arch. ital. d. Biol. XIV. Oppenheimer, Versuche e. einheitl. Betrachtungsweise d. Fermentprozesse. 207 tung der angegriffenen Substanz in ähnlicher Weise bewirkt, wie die toxophore die physiologische, so hätten wir eine handliche Vorstellung von dem spezifischen Wirken der Fermente. Und wie die krystalloiden, einfachen Gifte sich um keine spezifische haptophore Gruppe küm- mern, sondern wahllos, resp. nur nach rein chemischen Gesetzen, die Zelle angreifen, so brauchten auch die „katalytisch“ wirkenden Substanzen, wie die Säuren, keine spezifischen Wirkungen mehr auszuüben. Und ferner, wie die toxophore Gruppe an sich nicht spe- zifisch zu sein braucht, sobald sie erst durch die haptophore der Zelle nahe gerückt ist, so brauchte auch die „zymophore“ Gruppe, sobald sie erst einmal fest an das zu fermentierende Substrat gebunden ist, nur noch die einfachen Funktionen einer Säure oder dergl. auszu- üben und wir hätten dadurch das Mittel, thatsächlich die gesuchte Analogie zwischen den Fermentwirkungen und den einfachen kata- lytischen Prozessen zu konstatieren. Indessen, so schön das alles klingen mag, noch haben wir kein Recht, diese Anschauung etwa mit dem Vollklang einer wissenschaft- lieben Hypothese zu bezeichnen. Zu groß ist die Kluft, welche die Vorstellung von haptophoren Gruppen im Protoplasmaleib der.Zelle von der solcher Gruppen in einfachen Stoffen, wie dem Rohrzucker, scheidet. Doch giebt es einige Thatsachen, welche man wohl in ‚diesem Sinne verwerten könnte. Zunächst haben die Fermente die Fähigkeit sich schon vor der Wirkung fest an ihre Substrate zu binden, so dass sie nicht mehr durch Wasser fortgewaschen werden können, wie dies besonders vom Pepsin gegenüber frischem Fibrin bekannt ist. Das könnte man im Sinne einer Bindung der haptophoren Gruppen verwerten. Ferner kann man für den Zusammenhang einer „zymophoren“ Gruppe mit Säuren die Thatsachen ins Treffen führen, dass alle Fermente am besten in sehr verdünnten Säuren wirken und einige, wie das Pepsin, sich auch mit Salzsäure zu einer lockeren Verbindung vereinigen. Viel bedeutsamer aber ist die Erscheinung der spezifischen Bak- teriolysine und Hämolysine, die ich am angegebenen Orte aus- führlieh geschildert habe. Hierbei entwickelt sich zur Abwehr des eingedrungenen protoplasmatischen Schädlings ein ganz spezifisch auf ihn eingestelltes proteolytisches Ferment, dasmit seiner hapto- phoren Gruppe die haptophore Gruppe des Bakteriums oder des Erythroeyten ergreift und ihn durch seine zymophore Gruppe, das „Addiment“, zur Auflösung bringt. Hier, für diesen einen Fall, haben wir also thatsächlich die gesuchte Spezifität durch passende haptophore Gruppen. Indessen darf man diesen ‚speziellen Fall nicht ohne weiteres verallgemeinern. Eine andere Entdeckurg, die die Beziehungen ‘zwischen Fermenten und Toxinen von einer anderen Seite her beleuchtet, ist die Ent- deckung eines spezifischen Antikörpers gegen das Labferment durch 208 L’annee biologique. Morgenroth!). Genau in derselben Art, wie der Organismus sich der Toxine durch abgestoßene Seitenketten zu erwehren sucht, die die Antitoxine darstellen, so scheint er auch unter dem Einflusse des Fer- mentes Antikörper zu bilden, die, der Milch beigemengt, das Ferment, wenn wir bei jenem Bilde bleiben wollen, an seiner haptophoren Gruppe abfängt, und es hindert, seine spezifische Wirkung auf die Milch auszuüben. Noch ein Wort zum Schluss. Es ist mir nicht möglich gewesen, die hier gebotene Anschauung, die wohl in der Durchführung einiges Neue enthält, wenn es auch gerade kein großes Verdienst sein mag, diese, ich möchte sagen, in der Luft liegenden Konsequenzen zu ziehen, in allen ihren Beziehungen in volles Licht zu rücken. Ich bin mir wohl bewusst, dass noch viele Fragen, die hier nur gestreift werden konnten, einer ausführlicheren Darstellung bedürfen, und hoffe, in einer umfangreicheren Arbeit darauf zurückkommen zu können. [30] L’ann&e biologique. Comptes rendus annuels des travaux de biologie generale, publi& sous la direction de Yves Delage, professeur ä la Sorbonne, avec la collaboration d’un comite de redacteurs. Seceretaire de la redaction Georges Poirault, docteur &s sciences. Paris. Librairie C. Reinwald, Schleicher freres, Editeurs. Den Sammelwerken, welche in gedrängter Zusammenfassung die Fortschritte der Wissenschaft in einem Jahrbuch zuammenstellen und so manche schwer zugängliche Einzelabhandlung zugänglich machen, zugleich aber das Gesamt- ergebnis der Jahresarbeit übersichtlich vorlegen, hat sich jetzt auch dieses französische Unternehmen unter der Leitung des berühmten Biologen Yves Delage zugesellt.e. Vor uns liegen zur Zeit zwei stattliche Bände in gr. 8 von 731 und 808 Seiten, die Litteraturen der Jahre 1895 und 1896 umfassend. Die Liste der Mitarbeiter weist neben einigen Belgiern, französischen Schweizern, Amerikanern, Engländern und einem Italiener (Errera, Bologna), Franzosen und in Frankreich lebende Ausländer auf, darunter meist bekannte und all- gemein geachtete Namen. In der ausführlichen Vorrede zum ersten Band setzt der Herausgeber Delage auseinander, dass es in dem neuen Sammelwerke hauptsächlich darauf abgesehen sei, die theoretischen Schlusstolgerungen aus den Einzelthatsachen zu ziehen, das, was er in seinem Werk: La structure du Protoplasma et les th&ories sur P’heredite et les grands probl&mes de la bio- logie generale (Paris, ©. Reinwald et comp., 1895) begonnen hat, fortzusetzen und die Fortschritte dieser Arbeiten zu registrieren und zu verwerten. Dem- entsprechend nehmen die Arbeiten über Morphologie der Zelle, Erblichkeit u. dgl. den größten Raum ein. Die Art der Berichterstattung weicht etwas von der unsrer „Jahresberichte“ ab. Das Ganze ist in 20 Kapitel eingeteilt. Jedes Kapitel zerfällt in drei Abschnitte; der erste giebt eine möglichst gedrängte Uebersicht der wichtigsten, in dem Jahre veröffentlichten Fortschritte des betreffenden Gebiets, der zweite die Bibliographie, der dritte eine Analyse der einzelnen Abhandlungen, methodisch geordnet, während durch Zahlen auf die bibliographischen Angaben des zweiten Abschnitts hingewiesen ist. Aus- geschlossen bleiben alle rein deskriptiven, dem Zweck des Werks nicht dienen- den Arbeiten. Alle Uebersichten und Analysen der Einzelarbeiten sind von ihren Verfassern unterzeichnet. So ergänzt das neue Unternehmen in vieler Beziehung die vorhandenen Sammelwerke und wird den Forschern auf allen Gebieten der Biologie von Nutzen werden können. P. 146] 4) Morgenroth, Centralblatt f. Bakt. 26, 349 (1889). Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Öentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in’ München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Eumiplesi in net: nheränzig Anamerni bilden einen Band. Preis des. Bandes. er) Mark, Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 1. April 1900. Nr, 7. Ennalt: von Buttel- -Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? nspermanläite Beiträge zur Biclogie der Honigbiene (4. Stück). — Bunge, K. E. v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. — Gräfin M. v. Linden, Die ontogenetische Entwicklung der Zeichnung unserer einhei- mischen Molche (Schluss). — @. Tiiilenius, Bemerkungen zu den Aufsätzen der Herren Krämer und Friedlaender über den sogen. Palolo. B.C. XVIU. XIX. — 6. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. — Jahresversammlung des deutschen Vereins für öffentiiche Gesundheitspilege. Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Experimentelle Bei- träge zur Biologie der Honigbiene. Von H. von Buttel-Reepen (Jena). (Viertes Stück.) Erinnerung des Futterplatzes im Stocke. Oefinet man die hintere Holzthür einer Bienenwohnung, so können die Insassen nicht heraus gelangen, da stets noch eine innere Glas- oder Drathgaze- thür den Verschluss bewirkt. Zwischen dieser äußeren und inneren Thür ist gewöhnlich so viel Raum, um ein Futtergefäß einstellen zu können. Hat man dieses mit Honig oder Zuckerwasser gefüllt, so öffnet man einen Schieber, der unten an der Glasthür angebracht ist, damit die Bienen zum Futter gelangen können und schließt dann wie- der die äußere Thür. Füttert man zum erstenmale, so bedarf es oft- mals der Hinleitung der Bienen, dadurch, dass man einige auf das Futter setzt oder sonstwie, da sie andernfalls das Gereichte infolge zu späten Bemerkens nicht mit der erwünschten Schnelligkeit auf- tragen. Wegen der durch die Fütterung entstehenden Aufregung wird stets abends gefüttert und anderen morgens das geleerte Gefäß fortgenommen und der Schieber der Glasthür wieder geschlossen. Aber schon am nächsten oder übernächsten Abend beobachtete ich zu vielenmalen, dass wenn ich den Schieber der Glasthüre öffnete, die In- sassen so schnell herausströmten, dass ich mich beeilen musste, die äußere Thür zu schließen, um keine zu zerquetschen. Auch wenn im XX 14 10 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Freien gefüttert wird, kommen bekanntlich die Bienen oft noch stun- den-, oft noch tagelang zu der Stelle, wo ihnen der Honig einmal ge- reicht wurde. Es wird wohl schwerlich zu bezweifeln sein, dass wir es hier mit Gedächtnisprozessen zu thun haben, denn wären die Bienen Reflex- maschinen, die auch hier lediglich mechanisch adaequaten Reizen „ehemotropisch“ folgen, so ist nieht zu verstehen, warum die Bienen, wenn auch dieser Reiz längst nicht mehr vorhanden ist, dennoch wieder und wieder in derselben Weise reagieren, als ob der Reiz noch vorhanden sei. Eine Pflanze wird niemals heliotropisch oder chemo- tropisch u. s. w. reagieren, wenn der betr. Reiz nicht mehr auf sie einwirkt. Hier sehen wir aber Bewegungserscheinungen ausgelöst, obgleich die Ursache — in diesem Falle der Honig auf der Futter- stelle — gar nicht mehr existiert. Wir sehen einmal gefütterte Bienen oft noch am zweiten Tage diese Stelle wieder vergeblich aufsuchen, dann aber modifizieren sie ihre Handlungsweise, sie lernen, dass es dort nichts mehr für sie zu holen giebt und unterlassen weitere Hinflüge, wie erwähnt, oft schon nach wenigen Stunden. Verhalten der Bienen in der Buchweizentracht. Stehen die Völker im Buchweizen, so ist der Flug nur in den frühen Morgen- stunden bis gegen 10 Uhr sehr lebhaft, dann lässt er nach und ruht den übrigen Teil des Tages fast ganz, um am andern Morgen wieder stark zu beginnen. Der Buchweizen honigt nämlich nur früh morgens; sowie die Nektarquellen versiegen, fliegen die Bienen noch ein paar Mal hinaus und stellen dann den vergeblichen Flug ein. Trotz des schimmernden Blütenmeeres, trotz des starken Duftes findet man tagsüber von ungefähr 10 Uhr an gewöhnlich nur sehr wenige Bienen in den Buchweizenfeldern. Hier ist der Reiz der Farbe und des Duftes andauernd vorhanden und es kommt auch noch die Gewöhnung des täglichen Fluges zu denselben Feldern hinzu und trotzdem sehen wir, dass der Flug eingestellt wird!). Es dürften hier wie bei den vor- stehend geschilderten Futterexperimenten wohl unzweifelhaft Lern- und Erinnerungsprozesse ihre gewichtige Rolle spielen. 4) Die strittige Ansicht, dass die Bienen beim Besuche der Blumen nur von der Farbe und dem Dufte angelockt werden (Forel, Recueil zoologique Suisse, 1. Serie, T. 4 18386— 88) oder nur dem chemischen Reizstoff des Nektars in den Blüten folgen (Plateau, Bulletins de l’acad&mie royale de Belgique. Troisieme serie Bd. 30, 32 u. 33. Referate im biolog. Centralbl. 1896 u. 1897), dürfte sich dahin entscheiden, dass beides richtig ist, wenn das Wörtchen „nur“ fällt. Spricht das Verhalten der Bienen im Buchweizen für letztere Ansicht, so darf nicht vergessen werden, dass die einzelue Biene auf ihren Ausflügen fast niemals zweierlei Arten von Blumen besucht, sondern sich stets an eine Art hält, also doch wohl die Farbe genau beobachtet. Man v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 9311 Ortssinn der Königin. Die Beobachtungen über das Orts- gedächtnis der Königin gehen, soweit die Dauer dieses Gedächtnisses in Frage kommt, in der bienenwirtschaftlichen Litteratur ziemlich weit auseinander. Einige erkennen ihr ein mehr als dreijähriges Erinne- rungsvermögen ihres Stockes zu, dessen Außenseite und Umgebung sie nur auf dem einmaligen Befruchtungsausfluge kennen lernte, andere nur ein mehrtägiges oder mehrwöchiges. Die Fehlerquelle dieser Be- obachtungen hängt mit dem oftmals ganz unbemerkt vor sich gehen- den Wechsel der Königinnen zusammen. Oft meint der Imker noch die alte Königin im Stocke zu haben, während sie längst durch eine junge ersetzt worden ist. Thatsache ist, dass Königinnen die von einer gerade aus dem Stocke genommenen Wabe abfliegen, häufig verloren gehen, da sie ihr Heim nicht wiederfinden. Ich machte folgende Beobachtung. Als mir, wie eben geschildert, eine Königin abflog, verhielt ich mich völlig ruhig, blieb genau so stehen wie ich im Moment des Abfliegens der Königin stand, in der Erwägung, dass wenn sie keine Erinnerung ihres Stockes mehr hätte, sie sicherlich zur Abflugstelle zurückkehren würde, da sich vorher nichtorientiert habende Bienen stets auf die Stelle zurückbegeben, von der sie fortgeflogen sind!). Nach kaum !/, Minute senkte sieh die Königin in der That wieder herab, allerdings nicht auf die Wabe, sondern auf ein kleines Brettechen, welches einen Schritt entfernt, im Grase lag. Dort konnte ich sie leicht fangen und dem Stocke zurück- geben. Ich befolgte übrigens, mit dem Ruhigverhalten und dem Nichtverändern der Umgebung eine alte Imkerregel, da vielfache Be- obachtungen dem Obigen gleichartige Erfahrungen gezeitigt hatten. Unzweifelhaft aber ist von zuverlässigen Beobachtern schon oft- mals festgestellt worden, dass die Königin das Flugloch ihres Stockes sicher wiederfindet, selbst wenn schon einige Monate nach dem Be- fruchtungsausfluge vergangen waren. Bei engem Zusammenstehen der Stöcke verirren sich die jungen Königinnen häufig, wenn sie vom Hochzeitsfluge eilig heimkehren. Man kennzeichnet daher gerne solche Stöcke, aus denen ein solcher Flug stattfinden wird z. B. mit einem belaubten Zweige?), der Anflug ist dann ein sicherer. Ein Beweis, dass sich die Königin das Aussehen ihrer Wohnung genau einprägt. Ortssinn der Spurbienen. Einen der schlagendsten Beweise kann sich hiervon leicht überzeugen, wenn man die Höschen der mit Pollen Zurückkehrenden untersucht. Es wird sich dann stets einfarbiger Blüten- staub finden. Gemischtfarbigen fand ich erst einmal. 4) Mit dem Moment des Abfluges beginnt also die Orientierung (8. „Schachtelexperimente“ S. 183). 2) Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht, 1892, Bensheim $. 279. 14* >12 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen* ? = gegen die vage Hypothese einer „unbekannten Kraft“ finden wir in dem Behaben der sogenannten Spurbienen, die meines Erachtens auf das Eklatanteste beweisen, dass thatsächlich eine Orientierung dureh den Gesichtssinn, durch Gedächtnisbilder stattfindet. Ich kann es mir nicht versagen, den interessanten Bericht über Spurbienen, den der Baron v.Berlepsch, der sog. „Bienenbaron“?), der „Bienenzeitung“ VIII, N. 7 1852 zusandte, hier herzusetzen. „Alljährlich um die Schwärmzeit sieht man an den Löchern und Ritzen „alter Gebäude, Mauern und Bäume, Bienen, oft in ziemlicher Quantität; „sie kriechen, scheinbar etwas suchend, ein und aus, laufen außen ängst- „lich auf und nieder, fliegen ab und an, schwirren wie ein vorspielender „Stock umher, und man muss schon ziemlich Bienenkenner sein, um diese „sog. Spurbienen von einer wirklichen Kolonie sofort unterscheiden zu „können. Wenn hinter dem Loche oder der Ritze kein Raum ist,” so habe „ich schor gesehen, dass sie sich 6—8 Zoll lang, 2—3 Zoll breit, nie aber „auch nur einigermaßen dick, vorlegten. Dabei waren sie immer unruhig, „was bekanntlich die vorliegenden Bienen eines wirklichen Stockes nicht sind. „Gewöhnlich hält man diese Bienen für Angehörige schwarmlustiger Stöcke, „ausgesendet, taugliche Wohnplätze für die demnächst abgehenden Schwärme „auszuspüren, Quartier für sie zu machen — daher ihre Namen „Spurbienen oder Quartiermacher. Bei mir erscheinen diese Bienen „alljährlich an den Ritzen der alten Ritterburg, einer Gartenmauer und „einem Scheuergiebel. Die Beschaffenheit dieser Ritzen, die auch für den „kleinsten Afterschwarm nicht Raum haben, oft kaum 1 Zoll tief und „./, Zoll breit sind, sowie die Wahrnehmung, dass sich noch nie ein Schwarm „hier anlegte, obwohl fast kein Jahr verging, wo mir nicht einige, meist „Afterschwärme durchgingen, ließ mich an dem allgemeinen Glauben zwei- „feln und ich beschloss im Jahre 1844, recht genaue Beobachtungen und Ver- „suche anzustellen und alles sorgsam aufzunotieren. Als daher am 12. Mai „jenes Jahres sich die ersten Bienen an der Ecke einer Mauer zeigten, ließ „ich dieselben gegen Abend durch meinen gewöhnlichen Bienengehilfen „tüchtig mit Kreide bestreuen und — stellte mich mit dem Gärtner vor dem „Bienenhause auf, um zu sehen, welchem Stocke diese Bienen angehörten „und ob sie nur aus einem oder aus mehreren Stöcken wären. Bald ange- „kommen, gingen sie sämtlich auf Nr. 77 (Suleiman, den Prächtigen). Tags „darauf waren sie ziemlich früh wieder an der Mauerecke. So vergingen „vier Tage. Jeden Abend wurden sie gepudert und ihre Heimkehr genau „konstatiert (es hatten sich nämlich inzwischen auch an vielen anderen „Orten Spurbienen gezeigt): sie gehörten bestimmt dem prächtigen Sulei- „man an. Endlich am 17. brach der gewaltige Padischah mit einer furcht- „baren Heeresmasse gegen 10 Uhr los, ging nach der Richtung seiner Spur- „bienen, hing sich aber an ein Zwergbäumchen, kaum 20 Schritte vom „Bienenhause, der brennenden Sonne völlig exponiert. Ich ließ ihn hängen „und blieb nahe dabei stehen. Schon gegen 11 Uhr ging er wieder los, 2) Auf dem v. Berlep’schen Gute Seebach wies v. Siebold bekanntlich erstmalig die Parthenogenesis bei den Bienen nach im Jahre 1855 (s. Wahre Parthenog. bei Schmetterl. u. Bienen, Leipzig 1856, 8. 110 ff. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? 2153 „legte sich bald abermals in geringer Entfernung etwas schattiger an, blieb „hier bis 3 Uhr, brach dann zum drittenmale sehr schnell auf und ging über „den Gartenpavillon nach dem freien Felde zu. Der Bienengehilfe musste „nachlaufen, ich selbst bestieg möglichst schnell ein Pferd und sprengte „nach; ehe ich jedoch beim Gehilfen ankam, hatte dieser den Schwarm schon „aus den Augen verloren, und wir sollen ihn heute noch wiedersehen. Die „Spurbienen waren noch an der Mauerecke, gingen am Abend auf Nr. 77 „zurück und erschienen am 18. früh wieder. Dieses Wiedererscheinen war „Jedoch blos Täuschung; denn die am Abende des 18. gepuderten gingen „sämtlich auf Nr. 7 (Dr. Franzia), und auch nicht eine auf den Suleiman. „Den 19. ganz früh ließ ich die Ritzen jener Stelle sorgsam mit Kalk ver- „streichen und dicht davor einen Strohkorb mit Standbrett anbringen. Die „Spurbienen kamen, krochen anfänglich hinter dem Korbe an den ver- „schmierten Ritzen herum, nahmen jedoch sehr bald den Korb in Besitz. „Ich kippte denselben mehrmals auf, um zu sehen, was die Bienen im Innern „trieben. Ich sah wenig; sie liefen ängstlich umher, ohne dass sie ‚den „Stock ausgeputzt hätten. Noch an demselben Tage in der Mittagsstunde „schwärmte Franzia und legte sich endlich gegen 4 Uhr nachmittags, nach- „dem er zuvor seine Stelle zweimal gewechselt hatte, unter einen schattigen „Lindenbaum an. Hier konnte er ganz gemächlich beobachtet werden. „Einzelne Bienen flogen nach allen Richtungen ab (zuvor malten. sie sich „jedesmal ihren Platz mittels des bekannten Kreisabfluges aus), einzelne „kehrten zurück. An dieser Stelle blieb der Schwarm über Nacht hängen. „Mit dem ersten Schimmer der Morgenröte saß ich schon mit dem Gehilfen „wieder dabei; die Gartenthüren waren, wie schon tags zuvor, nach allen „Seiten geöffnet, in geringer Entfernung hielt der Reitknecht (alle Schwarm- „utensilien auf dem Rücken, ein wahrer beköcherter Kupido) mit zwei ge- „sattelten Pferden. Von 5!/, Uhr an sah ich mehrere Bienen in südlicher „Richtung ohne Kreise geradeaus schnell abfliegen; keine einzige kehrte „zurück, und 7!/, Uhr brach der Schwarm in südlicher Richtung los, ganz „langsam, tiefgehend und man konnte an der Spitze des Schwarmzuges „ziemlich deutlich die Zugführer beobachten. Der Reitknecht eilte zu Pferde „voraus, ich ging resp. trabte ipsissimis pedibus neben der Spitze des „Schwarmes bis ziemlich an das Ende des Gartens und überzeugte mich „immer mehr, dass der Schwarm sicher wußte, wohin er wollte. Der Ge- „hilfe führte das zweite Pferd nach; endlich warf ich mich auf dasselbe, „eilte zum Garten hinaus und verfolgte mit dem Reitknechte den Schwarm „durch dick und dünn. Im mäßigen Trabe konnten wir wohl !/, Stunde „Weges folgen; endlich aber ging der Schwarm — immer nur zwischen „4 bis 9 Fuß hoch und in ganz gerader Südrichtung — so schnell, dass wir „fast en carriere reiten mussten. Beim nächsten nicht ganz °/, Stunden ent- „fernten Dorfe angekommen, ging der Schwarm in einen Bauerngarten. Ich „setzte, wie auf einer Parforcejagd, über den Zaun, war mit dem Pferde „mitten im Schwarm und sah nun, wie er in einen hohlen Birnbaum einzog. „Dieser Einzug geschah mit einer solehen Sicherheit und einer solchen „Schnelligkeit, dass es mir gar nicht mehr zweifelhaft erschien, dass der „Schwarm diese Stelle sich schon in Seebach (durch die Spurbienen) aus- „erkoren hatte. An ein Einfangen ohne Rauch war nicht zu denken, und „ich bat nun den Garteneigentümer, mich einige Zeit in seinem Eden auf- „halten zu dürfen (dafür wollte ich ihm auch noch heute den Schwarm aus 914 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? „dem Baum in einen Korb räuchern und als Eigentum überlassen). Nach „kaum 20 Minuten fingen die Bienen an, Holzspänchen (Zunder) aus dem „Baume zu tragen, gingen auf die Weide, höselten u. s. w.* — Können wir uns diese interessanten Vorgänge ohne Annahme eines Gedächtnisses, ohne Orientierungsvermögen durch die Augen, durch Erinnerungsbilder, nur auf Grund einer zum Stock zurück- führenden unbekannten Kraft erklären? Ich vermag es zum Mindesten nicht. Müssen wir hier nicht einMitteilungsvermögen, ein Verständigungs- mittel, welches nicht nur auf Geruchsreflexen beruht, annehmen? Ich kann mir diese Vorgänge nicht ohne ein Verständigungsmittel denken und vermute, dass die Spurbienen durch einen Lockton den Schwarm leiten, was sich natürlich nicht beobachten lässt. Merkwürdig ist, dass von 60—80000 Bienen ungefähr 50— 100 als Spurbienen dienen, eigentümlicherweise aber nur vor dem Aus- zuge des schwerfälligen, sich fast stets niedrig ansetzenden Vor- schwarmes (eierschwangere, oft alte Königin), während der Stock vor dem Abziehen der leichtfüßigen, sich gewöhnlich höher anlegenden Nachschwärme mit unbefruchteter, leichtbeschwingter Königin niemals oder doch sehr selten Spurbienen aussendet. Hin und wieder machen es die Spurbienen dem Züchter sehr be- quem, indem sie eine auf demselben Stande befindliche noch leere Wohnung ausersehen und den Schwarm dorthin führen!). Unredliche Leute, die ihnen nicht gehörige Schwärme abfangen wollen, stellen leere sog. Lockkörbe oder Kasten auf und wenn die Spurbienen diese auskundschaften, leiten sie oft den Schwarm dorthin. „Eines der höchststehenden Bienenvölker befindet sich (300 Fuß hoch) in der Statue der Freiheit auf der Kuppel des Kongresshauses in Austin, Texas. Wie hoch müssen die Spurbienen geflogen sein, um diesen seltsamen Zufluchtsort zu entdecken“ ?). Und welche Kraft der Anlockung muss von den Kundschaftern ausgehen, um das Volk in solche gänzlich ungewohnte Höhen hinaufleiten zu können. Die Augen der Biene. Bevor wir uns einigen interessanten weiteren Beobachtungen über den Ortssinn zuwenden, müssen wir uns fragen, wenn den Bienen die Orientierung durch den Gesichtssinn ab- gesprochen wird, warum'wir bei den drei Bienenwesen so große, stark- entwickelte Augen konstatieren können? Es ist dieses keine müßige Frage, denn überall dort, wo die Augen wenig oder gar nicht mehr benutzt werden, sehen wir eine Verkümmerung u. s. w. eintreten, so, wenn wir uns auf die staatenbildenden Insekten beschränken wollen, z.B. bei einer Ameisenart Solenopsis fugax, deren Arbeiterinnen nur noch Augen mit 6—9 Facetten besitzen, während die Arbeiterin der 4) „Deutsche Bienenz. in Theorie u. Praxis“, Nr. 9 S. 144, 1899. 2) American Bee-Journal, 1892, Chicago. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 215 Apis mellifica ca. 4—5000, die Drohne ca. 5500 und die Königin ca. 5000 Facetten auf jedem Auge hat und überdies die drei Stem- mata, die anscheinend zum Sehen in der Nähe dienen). Bethe spricht den Bienen nur „ein recht geringes Photoreceptions- vermögen“ zu (Bethe S. 82), auf Grund eines Experimentes, das ich wiederum nicht als beweiskräftig anzusehen vermag. Das Hinein- stellen eines großen Schirmes in die gewohnte Flugbahn, die von den Bienen gewohnheitsgemäß eingehalten wird und dann das plötzliche Nehmen des Hindernisses 1—1'/, m vorher beweist durchaus nicht, dass die Bienen den riesigen Schirm von 2:/, m Höhe und 3m Breite nicht längst vorher gesehen haben. Sie folgten lediglich der gewohnten Bahn so lange als möglich, sagt Bethe doch selbst, „dass einmal eingefahrene Bewegungskorrelationen lange Zeit beibe- halten werden können“ (Bethe S. 92). Wenn man gerne die Erfahrung machen will, dass die Bienen nicht „kurzsichtig* sondern recht weitsichtig sind, so gehe man zur Zeit der Buchweizenblüte, dessen Nektar, wie schon erwähnt, außer- ordentlich aufregend wirkt, in einer Entfernung von 10—15 Schritten und mehr vor den Völkern vorüber; die pfeilschnell aus den Flug- löchern Abfahrenden hinterlassen schmerzliche Beweise der Sehkraft und dabei bietet die menschliche Figur eine bedeutend kleinere Oberfläche als der erwähnte Schirm. „Nachdem was wir wissen, hat alles in der lebenden Natur einen Zweck . . .* (Bethe S. 19), so werden auch wohl die sehr großen Augen der Bienen den Zweck haben, das Tier sicher und gut zu leiten ?). Und zwecklos dürfte auch wohl nicht das im Vergleich mit an- deren Insekten sehr stark entwickelte „Gehirn“ der Bienen sein. Die mächtigen Lobi optici weisen unmittelbar auf die starke Beteiligung der Augen bei den nervösen Prozessen hin. Der Orientierungsausflug. Wie sehr die Bienen der Augen beim Fortfluge von der Wohnung bedürfen, geht in sehr klarer Weise aus dem auffälligen Verhalten bei dem ersten Ausfluge hervor. Sowie die Biene abfliegt, wendet sie sich mit dem Kopf dem Stocke zu und in fortwährendem Auf- und Niederschweben (dem Mückentanz ähnlich) wird der Stock selbst, die Nachbarstücke und das Bienen- schauer genau gemustert und zwar, ich wiederhole es, stets mit den Augen der Wohnung zugerichtet, wodurch also auch ein leichtes 1) Thos. Wm. Cowan, DieHonigbiene, ihre Naturgesch., Anat. u. Physiol. Deutsch von Gravenhorst, Braunschweig 1891. 2) Es ist bis jetzt wohl von niemand bezweifelt worden, dass sich die Stubenfliege (ca. 5000 Facetten) oder die Libelle (ca. 12000 Facetten) während des Fluges lediglich durch die vortrefflich entwickelten Augen orientiert. 916 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? Rückwärtsfliegen bewirkt wird. Das ist das sog. „Vorspiel“t), dessen von Bethe gar nicht gedacht wird und dessen für die Orien- tierung dureh den Gesichtssinn überaus charakteristische und beweisende Ausführung von ihm nicht beachtet worden ist. Erst nach diesem engeren Vorspiel werden kleine und immer größere Orientie- rungskreise gezogen und dabei die nähere und fernere Umgebung eingeprägt. Eine alte Biene fliegt bei reicher Tracht grade und pfeil- schnell aus dem Flugloche fort, sie „schießt“ aus dem Flugloche, sie hat sich völlig eingeflogen und kennt ihre Flugbahn, eine junge erstmalig Fliegende macht es stets wie eben geschildert. Ein schlagender Beweis, dass die Biene lernt!?) Das Finden der Wohnung durch den Gesichts- und den Gerucehssinn. Während unter den gewöhnlichen Verhältnissen der Gesichtssinn der Biene allein zum Auffinden ihres Heims genügt, bedarf sie unter folgenden Umständen auch noch des Geruchssinnes. Lässt man sich ein Volk aus einem anderen Flugkreis kommen und öffnet nach der Aufstellung den Fluglochschieber, so werden die abfliegenden Bienen ohne weitere Orientierung davoneilen, da sie natürlich von der Veränderung ihres Standortes nichts wissen können und sich in bekannter Gegend wähnen. In einem solchen Falle sieht man die Abfliegenden entweder graden Fluges abstreichen, oder in den bekannten Schraubenlinien aufsteigen, ohne die Augen dem Stocke zuzuwenden, wie es beim eben geschilderten Orien- tierungsausflug stets der Fall ist. Nach meinen Beobachtungen finden auch solehe ohne Orientierung Abgeflogene oft in überraschend kurzer Zeit wieder zurück, da jedenfalls auf dem Fortfluge infolge Fehlens der gewohnten Merkmale eine suchende Orientierung eintritt. Steht der neu hergeschaffte Stock zwischen anderen gleichartig aus- schauenden, so tritt, wie mir der Leiter der badischen Imkerschule, Herr Roth, treffend schreibt, bei den wieder zurück Gefundenen „ein Tasten mit dem Geruchssipn ein, das sich bis auf die Nachbarstöcke erstreckt.“ Dieses Einfinden vermittelst des Geruches ist eine auf- fällige/und leicht zu beobachtende Erscheinung. Es findet hierbei zugleich eine Orientierung durch die Augen statt, so dass ein eigentlicher Orientierungsausflug später nicht mehr abgehalten wird. 4) Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht, Bensheim 1892, 5. Aufl. S. 146. 2) Wie wenig „eingeflogene“ Bienen bei dem pfeilschnellen Abfluge auf den Abflugsort achten, beweist folgende Beobachtung. Oeffnet man während reicher Tracht das zweite im oberen Honigraum befindliche Flugloch, so sieht man oft tagelang nur aus dem Flugloch Abfahrende aber niemals Einfliegende. Das Einfliegen geschieht stets auf der gewohnten Bahn durch das untere altgewohnte Flugloch. Erst nach und nach finden sich auch oben Einfliegende (vgl. S. 222). v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen Reflexmaschinen“? 47 Wie erwähnt, kehren auch solche schnell Abgeflogene oft schon nach 5-—-10 Minuten mit voller Ladung zurück, sofern die Witterung milde ist und Windstille herrscht. Bei kühler Witterung und scharfen Winden werden aber viele in der unbekannten Gegend verschlagen und finden nicht wieder heim!). Länger als eine halbe Stunde bleibt die Biene im allgemeinen “selten auf einem Ausfluge fort, sofern in der Nähe Tracht vorhanden ist, über eine Stunde auch bei ferner Weide und in unbekannten Verhältnissen fast niemals?). Sie kehrt dann anscheinend lieber mit halber oder viertel Ladung heim, wie man leicht an den winzigen Pollenhöschen und an den dünnen Leibern sehen kann. Hören wir nach diesem die Bethe’sche Schilderung, einen ver- setzten Stock betreffend (l. e. S. 92). „Lubbock stellte in einem Zimmer Honig auf, zu dem einige „Wespen kamen. Er schloß nun das Fenster, welches dem Nest „zugewandt war. Die Wespen flogen zunächst immer gegen dies „Fenster, gingen aber schließlich durch das andere geöffnete hinaus. „Nach einigenmalen flog die Mehrzahl sofort zu dem geöffneten „Fenster. Da nun nach diesen Versuchen eine Art von „Gewöh- „nung, basierend auf einer uns unbekannten Kraft, beim Finden 4) Einem Privatbriefe Dr. Dzierzons, eines ausgezeichneten Imkers, dem wir bekanntlich die Entdeckung der Parthenogenesis verdanken und der jetzt auf eine fast 80jährige Beobachtungszeit bei den Bienen zurückblicken kann, entnehme ich Folgendes: „Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, dass die Bienen auf die von Ihnen angegebenen Weise, geleitet durch die beim Ausflug aufgenommenen Bilder ihrer Wohnung und deren näheren und ent- fernteren Umgebung ihren Rückweg zum Stocke finden. Vom Instinkt kann nur insofern die Rede sein, als derselbe sie anleitet beim ersten Abfluge sich die Lage der Wohnung und der nächsten Umgebung genau zu betrachten, weshalb sie sich, wie bekannt, beim ersten Ausflug — dem Vorspiel — um- wenden und anfangs kleine, dann immer größere Kreise beschreibend ein genaues Bild ihres Stockes und seiner Umgebung in sich aufnehmen. Wie schnell sie dieses zu thun fähig sind, habe ich oft zu bewundern Gelegenheit gehabt. Brachte ich einen Stock aus einem entfernten Stande, so flogen nach Eröffnung des Flugloches einzelne Bienen, die Versetzung nicht ahnend, schnell, etwa nach Wasser aus. Bei gelindem Wetter waren sie nicht verloren, son- dern sie kamen auf demselben Wege wieder und der Flug nach Wasser war bald in vollem Gange als sei nichts vorgefallen. So schnell hatte sich ein Teil der Bienen auf dem neuen Stande eingeflogen“ u. s. w. Bringt dieser Brief dem mit der Biologie der Biene Vertrauten auch nichts Neues, so schien mir dessen Veröffentlichung im Hinblick auf die nach- folgenden Bethe’schen Ausführungen angebracht zu sein. 2) Wie schon früher erwähnt (s. S. 178) beobachtete der oben erwähnte Leiter der bad. Imkerschnle, dass seine Bienen von einem 6km entfernten Buchweizenfelde durchschnittlich innerhalb 30 Minuten mit voller Ladung zurückkehrten. 218 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? „des Heimweges stattzufinden scheint, so hoffte ich durch die ge- „naue Beobachtung eines neuen Stockes vielleicht zu einem Re- „sultat zu gelangen. Der Stock wurde aus einem 7 km entfernten „Dorf gekauft und am Morgen um 7 Uhr im Institutsgarten aufge- „stellt. Zuerst summten nur wenige Bienen in der Luft herum!). „Eine große Anzahl saß auf dem Flugbrett und der Vorderwand „des Stockes, wie das bei beunruhigten Stöcken der Fall zu sein „pflegt. Zwischen 9 und 10 Uhr vormittags flogen die ersten Tiere „davon?). Sie schraubten sich, wie Bienen, die man irgendwo aus- „gesetzt hat, mit größer werdenden Kreisbögen in die Höhe. Nach „3 oder 4 Kreisen (wobei sie nota bene die Augen nie dem Stocke „zugewandt hatten)?), nahmen sie Richtung und flogen schnell den „Wiesen zu. Eine große Zahl anderer folgte, alle schraubten sich „in die Höhe®). Um drei Uhr kehrten die ersten mit Honig und „Pollen beladen heim5). Sie kamen von Osten (nicht von Süden, „wohin sich die meisten gewandt hatten) an und flogen von der „Stelle, wo sie das Auge zuerst erblickte (5—6 m), geradlinig „auf das Flugloch zu. Wäre hier eine „Gewöhnung notwendig, „spielten hier irgend welche Erinnerungsprozesse eine Rolle, es „wäre undenkbar, dass die Tiere so geradlinig auf den Stock zu „flögen. Es muss eben eine Kraft vorhanden sein, welche sie wie „ein Magnet an diese Stelle im Raum zieht, und die konstatierte „Ge- „wöhnung“ ist etwas Sekundäres, zum Eintreten der Reaktion Un- „nötiges“. Da wir nieht den geringsten wissenschaftlichen Beweis erhalten, ob diese erst um 3 Uhr Zurückgekehrten, die „geradlinig aufdas Flug- loch zuflogen“, nicht zu denen gehörten, die frühmorgens den Stock „umsummt“ hatten und sich dabei die Lage der Wohnung genau 4) Leider erfahren wir nicht, wie sich diese Bienen benahmen, ob sie sich vielleicht orientierten etc. 2) Es scheint demnach ein kühler Herbst- oder Frühlingstag gewesen zu sein, da es sonst unverständlich ist, warum die Bienen so lange mit dem Fortfliegen zögerten. Oder war es regnerisches und windiges Wetter? Oder waren die Bienen auf dem Transport stark ermattet ? 3) Bethe scheint dies für den normalen Ausflug zu halten, zumal er an keiner Stelle des ganz andersartigen Orientierungsausfluges erwähnt. 4) Da keine Bienen in gerader Linie abstrichen, so liegt die Vermutung nahe, dass die Bienen auf dem Transport stark beunruhigt wurden oder an Luftmangel litten. Auf das Letztere weist auch das starke Belageın der Außenseite hin, wie auch der späte Abflug. 5) Also nach 5—6 Stunden!! Zweifellos sind hiernach fast alle am Vormittag ausgeflogenen Bienen verloren gegangen, oder wieder in bekannte Gegend geraten, weil das Dorf nur 7 km entfernt lag, da unter den geschil- derten Verhältnissen ein 5—6 stündiges Ausbleiben nicht angenommen wer- den kann. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 219 merken konnten, so beweist dieses Experiment nichts, zudem wir über den Anflug der später Anlangenden nicht unterrichtet werden. Bethe spricht ausdrücklich von „genauer Beobachtung“, wir müssen daher selbstverständlich annehmen, dass kein Irrtum in dem Beobachteten vorliegt. Ist also der Verlauf der Vorgänge thatsächlich wie geschildert vor sich gegangen, so bietet dieses Experiment, so glaube ich, nicht einen schlagenden Beweis für sondern gegen die unbekannte Kraft. Ein 5—6 stündiges Umherirren oder Ausbleiben der Bienen ist nach meinen langjährigen Erfahrungen unter den er- wähnten Verhältnissen vollkommen ausgeschlossen. Wir haben hier nach allem, was über die Biologie der Biene nach dieser Rich- tung hin bekannt ist, nur mit den vorhin ausgesprochenen Möglich- keiten (s. Fußnote?) S. 218) zu rechnen. Wäre in der That eine Magnetkraft vorhanden, welche die Bienen heimwärts zieht, so wären ganz zweifellos die Ausgeflogenen innerhalb 10 Minuten bis höchstens 1 Stunde nach dem Fortfluge wieder im Heim angelangt gewesen. Das Bethe’sche Baumexperiment. Esist hier vielleicht der Ort das Beth e’sche Baumexperiment näher zu prüfen: „Im Herbst 1396 „setzte ich meineBienenstöcke in ein Häuschen, welches nach Osten „gelegen war. Vor dem Häuschen erhob sich eine 7 m hohe Pla- „tane, deren Zweige sich bis auf 1,50 m demselben näherten. Die „Krone des Baumes war 8m breit und begann 3 m über den Boden, „so dass das Bienenhäuschen vollkommen beschattet war. Da nun „die Bienen wegen des Mangels an Sonne in diesem Frühjahr 1897 „nur sehr schlecht flogen, so entschloss ich mich, den Baum ab- „schlagen zu lassen. Es geschah dies am Vormittag um 10!/, Uhr „(11. Juni 1897), als gerade die meisten Bienen draußen waren. Da- „durch wurde nun die Umgebung des Häuschens vollkommen ver- „ändert. Statt des hohen Baumes war auf einmal ein großer, freier „Platz von 15 m im Quadrat entstanden. Während nun die Bienen „bis dahin senkrecht zwischen Baum und Häuschen zum Stock her- „abgekommen waren, flogen die Heimkehrenden (welche alle längst „vor der Veränderung ausgeflogen waren, da sie fast alle Höschen „anhatten) sofort, nachdem der Baum gefallen war, in schräger „Riehtung grallinig auf das Flugloch Jos. Sie flogen also durch „den Raum hindurch, in dem sich einige Sekunden vorher noch der „Baum befunden hatte, und zeigten nicht die geringste Unruhe, sie „waren nicht „verwundert“, wie ohne Zweifel so mancher Autor „mit Erstaunen berichten würde“ (Bethe, S. 85). Bethe schließt hieraus, dass das Finden des Heimweges nicht auf Gedächtnisbildern beruhen kann. Ä Nach dem Bericht Bethe’s müssen wir annehmen, dass außer der Platane keine weiteren Flughindernisse vorhanden gewesen sind. Bis 220 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? zum Beginn der Krone war also eine freieFlugbahnvon 3 m Höhe. Keiner, der mit den Gewohnheiten der Bienen vertraut ist, wird be- zweifeln, dass die Bienen diesen großen Raum zum Anfluge benutzt haben, also unter der Krone fortgeflogen sind. Die Biene fliegt auf Tracht stets niedrig, wenn keine Flughindernisse vorhanden sind oder außergewöhnliche Entfernungen in Betracht kommen und es liegt nicht der geringste vernünftige Grund vor, warum die Bienen diese bequeme Flugstraße nicht benutzt haben sollten, wenn sie über- haupt in der Richtung des Baumes flogen. Es wäre anormal gewesen, wenn sie es nicht gethan hätten. Dass Bethe die unter der Krone oder durch die Krone Hinfliegenden erst bemerkte, als der Baum gefallen, ist leicht erklärlich, da der Flug dadurch sehr viel sichtbarer wurde und der Baum ja nicht zu Beobachtungs- zwecken fiel, sondern nur um den Schatten zu beseitigen. Die An- nahme dürfte daher erlaubt sein, dass die besondere Art des Anfluges vorher nicht genügend becbachtet wurde. Dass die Bienen durch locker stehende Gebüsche oder durch Bäume, die erst spät sich be- blättern (wie die Platane) hindurch fliegen, beobachtete ich viel- fach. Sie halten den gewohnten Flug so lange als möglich aufrecht. Es liegt aber kein Widerspruch darin, dass Bienen und vielleicht sehr viele „senkrecht zwischen Baum und Häuschen zum Stock“ herabkamen, diese flogen aber sicherlich nieht über den Baum fort, sondern nach der anderen Seite über das Dach des „Häuschens“ oder seitwärts über das Dach zu den im „Süden“ liegenden „Wiesen“. Ich werde in dieser Annahme bestärkt durch folgende Ausführungen Bethe’s: „Ich habe berichtet, dass die heimkehrenden Bienen, nach- „dem ich die hohe Platane vor den Bienenständen hatte abschlagen „lassen, sofort die Stelle, an der sie gestanden hatte, gradlinig „Aurchflogen, anstatt, wie vorher, senkrecht in Schraubenlinien her- „abzukommen. Ganz anders verhielten sich die fortfliegenden Bienen. „Sie schraubten sich nach dem Fall des Baumes ebenso „senkrecht in die Höhe, als wenn der Baum noch dage- „standen hätte. Als ich die Bienen in diesem Jahr zum letzten- „mal fliegen sah — es war dies am 14. September, also rund drei „Monate, nachdem der Stamm (am 14. Juni) gefallen war —, flogen „fast alle fortfliegenden Bienen immer noch senkrecht vor dem „Häuschen in die Höhe, als ob der Baum noch davor gestanden hätte. „Ich bin gespannt, wie es im nächsten Jahre sein wird. Von irgend „welchen sinnliehen Wahrnehmungen, von irgend einer Ueberlegung „kann hier also gar keine Rede sein“ (Bethe 8. 92). Bethe übersicht hier, dass höchst wahrscheinlich alle Bienen, die am 14. September flogen, den Baum niemals gesehen haben, da die Biene im Sommer höchstens 6-7 Wochen lebt!). Die 1) „Wie groß die Sterblichkeit, überhaupt der Abgang der Bienen zur v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 391 Ursache dieses besonderen Abfluges ist daher sicherlich nicht der schon vor über 14 Wochen gefallene Baum gewesen. Von „sinnlichen Wahrnehmungen“ kann daher in der That keine Rede sein, wenn auch in anderer Hinsicht, als Bethe meint. Und nun gar erst „im nächsten Jahr!“ Selbst wenn genaue Beobachtung vorliegt, ist es klar, dass der besondere Flug der Bienen nicht durch den Baum im wesentlichen be- stimmt worden ist und damit ist die Beweiskraft dieser Beobachtung eine sehr zweifelhafte. Die exakte Beurteilung dieses Falles ist nur möglich, wenn auch die anderen vielleicht etwas ferner stehenden Flughindernisse, die un- zweifelhaft vorhanden gewesen sind, angegeben werden. Ich machte folgenden Kontrollversuch. Dicht an meinem sechseckigen Bienenpavillon führen östlich und südwestlich Garten- wege vorüber. Damit die Passierenden nicht belästigt werden, war ich gezwungen Gebüsche und Bäume so dicht vor den Ausflug zu pflanzen, !/,—1,50 m, dass die Bienen gezwungen wurden, sofort hoch- zugehen. Weitaus die Meisten thaten mir auch den Gefallen, nur die- jenigen, die sich zeitig im Frühjahr, ehe die Blätter voll entwickelt waren, größere und kleinere Lücken zwischen den Zweigen oder zwischen den Gebüschen als Passage gewählt hatten, behielten diese Bahn bei, auch wenn der Raum durch die sich entwickelten Blätter fast ganz verkleidet war. Durch eine an der südwestlichen Seite stehende Birke, deren Krone 6 m hoch und ca. 2 m breit war und deren unterste Zweige schon 1 m von der Erde begannen (also mehr buschähnlicher Wuchs) wurde ein 1,50 m davon befindliches über 1 m hoch stehendes Volk gezwungen, seinen Flug zu gabeln. Ein Teil der Bienen flog links der andere rechts vorbei, da die nebenstehenden jungen Bäume den Zusammenschluss noch nicht völlig bewirkt hatten. Die Birke wurde gefällt und ich beobachtete nun folgendes. Ein irgend- wie auffälliges Stutzen der Bienen, wie es regelmäßig geschieht, wenn man das Aeußere des Stockes selbst verändert, fand nicht statt. Die Erklärung hierfür liegt m. E. darin, dass die abfliegenden Trachtzeit ist, beweisen folgende Versuche. Ich machte mehrere Kunst- schwärme aus rein deutschen Bienen mit einer rein italienischen Königin. In sechs Wochen war nicht eine deutsche Biene mehr vorhanden. Am 17. Juli nahm ich einem Stocke seine deutsche schon etwas alte Königin, und gab am dritten Tag darauf eine italienische. Obschon noch 3 Wochen lang deutsche Brut auslief, war nach 6 Wochen kaum die zwanzigste Biene deutsch.“ Dzierzon in„Bienenzeitung“ IX, Nr. 23. „Die Lebensdauer der Arbeitsbiene ist meist sehr kurz; die im Frühjahre und Sommer erbrüteten leben oft kaum 6—8 Wochen.“ Ludw. Huber, „Die neue, nützlichste Bienenzucht“, 13. Aufl. Lahr. 1900, S. 16. Bei starker Tracht lebt die Biene oft nur 2—3 Wochen, Viele eigene Beobachtungen bestätigen Vorstehendes. 239 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Traehtbienen überhaupt keine genaue Inspektion der näheren Um- gebung mehr vornehmen, sie kennen ihren Flugkreis'). Die Anfliegen- den aber können sich nach so vielen anderen Orientierungsmerkmalen, die alle noch vorhanden sind, bis in die unmittelbare Nähe des Stockes richten, dass das in so großer Nähe des Stockes fehlende Merkmal nicht mehr irritiert, da dann der Stock selbst schon erblickt wird Der Flug selbst blieb mehrere Tage gabelförmig. Einige wenige Bienen flogen aber schon einige Minuten nach dem Fällen geradeaus durch den Platz, wo der Baum gestanden hatte. Da das Volk ein sehr schwaches war, sah man überhaupt nur eine sehr geringe Zahl unter- wegs, ob daher diese Bienen schon vorher durch die lockeren Zweige geflogen, vermag ich nicht zu sagen, da es eine Stunde dauerte, ehe ich wieder eine durch den jetzt leeren Raum hindurch fliegen sah. Diese spärlichen Durchflieger können mir vorher leicht entgangen sein. Aber wenn selbst alle Bienen plötzlich geradeaus geflogen wären, könnte ich hierin bei so vielen Gegenbeweisen keine Bestätigung einer unbekannten Kraft, sondern nur besonderes Orientierungsvermögen er- blicken. Besonderes Orientierungsvermögen der Bienen. Dass die Bienen sich in der That in besonderer Weise orientieren, geht aus Vielem hervor. Auch Lubbock?) ist dieser Ansicht. Im allgemeinen ist man jedoch geneigt, stets nur den menschlichen Maßstab anzulegen. Ein einfaches Experiment zeigt uns aber, dass die Biene ihre spezielle Ortsabschätzung hat. Verändert man die Höhenlage eines Stockes derart, dass das Flug- loch sich plötzlich, sagen wir, 30 em höher oder niedriger befindet, so sehen wir, dass die Bienen nichtsdestoweniger genau auf die Stelle anfliegen, wo sich das Flugloch früher befand. Es dauert Stunden und oft Tage, ehe wieder ein glatter grader Anflug in die neue Höhenlage zu bemerken ist. Es geht hier- aus für mich hervor, dass die Biene in der That, wie auch Lub- bock meint, „ihren Weg nach der relativen Lage des wohl- bekannten Flugloches zu umgebenden Bäumen und anderen größeren Gegenständen, dann aber auch zum Stock selbst zu finden weiß“. Das Wesentliche ist die relative Lage des Flugloches zum Erdboden, 1) Den Imkern ist dieses sorglose, den Flugbienen oft verderblich wer- dende Abfliegen wohl bekannt. Es basiert darauf die alte Regel, die Völker, die in die Buchweizenfelder sollen, stets früher hinauszuschaffen als der Buch- weizen blüht, damit die Bienen sich vorher gründlich „einfliegen* können. Geschieht das nicht, so ist die Nähe der starkduftenden Felder so reizend, dass die Bienen ohne oder in flüchtiger Orientierung hinausstürzen und dann sich verirren ete. Die Völker fliegen sich „kahl“ (vgl. S. 216). 2) Lubbock, Die Sinne und das geistige Leben der Tiere, Leipzig 1889, Int. wiss. Bibl., Bd. 67. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 295 A denn Bäume und größere Gegenstände können auch fehlen und doch wird das Flugloch getroffen, da die Biene ein ganz besonders feines Ab- schätzungsvermögen für die Höhenlage hat (s. a. S. 187). Das Flug- loch selbst wird aus größerer oder geringerer Entfernung nicht be- achtet, wie oben angegebener Versuch beweist, erst in unmittel- barster Nähe tritt eine Berücksichtigung desselben ein. Dieses ört- liche Abschätzungsvermögen geht so weit, dass die Biene unter nor- malen Verhältnissen sich angewöhnt z. B. den Stock stets an ein und derselben Fluglocheecke anzufliegen. Pudert man eine an der äußer- sten rechten Ecke des Fluglochs einfliegende Biene, so wird man beobachten, dass sie bei ungestörtem Anfluge stets wieder in grader Richtung rechts anfliegt, selbst wenn das Flugloch nur 10 em breit ist. Verstopft man dort das Flugloch auch nur in Zollbreite, so wird sie versuchen trotzdem gerade dort einzudringen und erst nach kurzer oder längerer Suche den noch offenen Teil finden. Bei solch genauer Innehaltung resp. Eingewöhnung in eine be- stimmte Flugbahn, die wohl mit der allgemeinen Lage des Stockes resp. des Flugloches, nicht aber mit diesem selbst oder mit dem Flug- loch selbst irgend etwas zu thun hat (denn auch wenn der Stock ganz fortgenommen wird, wird an dieselbe gewöhnte Stelle in derselben gewöhnten Höhenlage angeflogen resp. gesucht), bei solcher genauen Innehaltung haben naturgemäß alle Maskierungen, wie Bethe sie ausgeführt hat, wenig beweisenden Wert (Bethe S. 85), sofern da- mit — und Bethe führt sie in der That zu diesem Zwecke aus — bewiesen werden soll, dass die Biene nicht durch Erinnerungsbilder auf ihrem Wege geleitet wird. Die einfache Erwägung, dass die Biene genau an die Stelle zurückfliegt, wo sich das Flugloch, des viel- leicht schon mehrere Tage gänzlich entfernten Stockes befunden hat, dürfte es klar machen, dass ihr Anflug nicht wesentlich irritiert werden wird, wenn der Stock oder der „Hintergrund“ gänzlich maskiert wird, wie Bethe es gethan. Auch das Ausbreiten farbigen Papiers auf den Boden vor dem Stocke kann selbstverständlich die Abschätzung der Orts-, resp. der Höhenlage nicht sonderlich beein- flussen. Hieraus den Beweis ziehen zu wollen, dass die Biene nicht durch Erinnerungsbilder auf ihrem Wege geleitet wird, scheint mir Anthropomorphismus bester Art zu sein!). 1) Die amerikanischen Bienenjäger basieren ihre Fangmethode auf die eben erwähnte Thatsache, dass die Bienen, haben sie sich erst eingeflogen, ihre Flugbahn außerordentlich scharf regulieren, und stets in beinahe schnur- gerader Linie fliegen. „In einer Waldlichtung wird ein kleines Feuer gemacht und eine alte Wabe darüber gehalten. Durch den Geruch angelockt, kommen die Bienen und naschen von dem hingestellten Honig. Nach genügender Orientierung werden sie allmählig anfangen, eine gerade Fluglinie anzunehmen. Dieser Fluglinie folgt der Bienenjäger und markiert sie durch irgend welche 924 G. v. Bunge, v. Baer’s Stellung z. Frage n. d. Abstammung d. Menschen. Es steht hiermit nicht im Widerspruch, dass sich die Biene das Aussehen, die Form ihres Stockes, wie schon früher erwähnt, sehr genau merkt. Man braucht nur ein Stück farbiges Papier oberhalb des Flugloches zu befestigen oder die Form des Stockes zu verändern, so ist sofort ein Stutzen im Anfluge, ein sofortiges näheres Mustern beim Einflug zu bemerken. (Fünftes Stück folgt.) Karl Ernst v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. Von G. v. Bunge, Professor in Basel. Da die Weltanschauung Karl Ernst v. Baer’s in unseren Tagen zu lebhaften Erörterungen unter Naturforschern und Philosophen ge- führt hat und auch in dieser Zeitschrift (Bd. XX, S. 33, 1900) bespro- chen wurde, so halte ich es für meine Pflicht, die folgende Unter- redung der Vergessenheit zu entreissen. Sie betrifit eine Frage, über die K. E. v. Baer in seinen Schriften sich meines Wissens niemals vollkommen klar und entschieden ausgesprochen hat — die Frage nach der Abstammung des Menschen. Es war im Jahre 1869. Ich war damals noch Student in Dorpat. An die Lehre Darwins und seine mechanische Erklärung der Ent- stehung der Arten hatte ich nur in meinem Fuchssemester geglaubt. Sobald ich anfing, über diese Probleme nachzudenken, musste ich mich vom Darwinismus lossagen. Um so entschiedener überzeugte ich mich von der Richtigkeit der Descendenzlehre in dem Maße, als ich mit den Thatsachen der Entwicklungsgeschichte und vergleichenden Anatomie mich bekannt machte. Neben meinen naturwissenschaftlichen Studien las ich die Werke der Philosophen Locke, Hume, Kant, Schopen- hauer, Fechner. Ich freute mich über die mir gebotene Gelegenheit, mit den Professoren der Theologie zu verkehren und zu disputieren und die Stichhaltigkeit meiner Ueberzeugungen im Kampfe mit Anders- Merkmale. Nunmehr wird die Lockspeise an das andere Ende der Lichtung getragen. Nach kurzer Zeit haben die Bienen sie wieder aufgefunden und die von dort aus sich bildende Fluglinie wird wiederum markiert. Dort wo die beiden Linien sich kreuzen, befindet sich das Bienenvolk. Der Herbst ist am Günstigsten, da keine andere Tracht die Bienen ablockt und den Jäger irre führt.“ Amerikan Bee-Journal, Chicago 1893. Auch der Imker benutzt diese Eigenschaft der Bienen, um einen räube- rischen Stock ausfindig zu machen. „Die Bienen fliegen immer in gerader Richtung von dem Orte, wo sie Nahrung finden, zu ihrem Stock zurück. Man gehe also dieser Richtung nach und man wird bald vor dem Stocke stehen, wo diese Räuber einziehen.“ Ludw. Huber |, e. p. 35, 1900. G. v. Bunge, v. Baer’s Stellung z. Frage n. d. Abstammung d. Menschen. 995 g 8 denkenden zu prüfen. So oft ich nun den Theologen gegenüber die Abstammung des Menschen vom Tier verteidigte, wurde mir stets die Autorität K. E. v. Baer’s entgegengehalten. Dass Baer kein Dar- winist sein konnte, war mir ja klar. Dass er aber auch die Des- cendenzlehre leugnen würde, schien mir unglaublich. Schließlich riss mir die Geduld. Ich beschloss mich in die Höhle des Bären zu wagen und nicht eher wieder fortzugehen, als bis ich eine entschiedene Antwort erhalten hatte. Ich erinnerte mich der von Baer in seiner Auto- biographie so ergreifend geschilderten Scene, wie er selbst als un- bekannter junger Student in der Studierstube Döllingerrs auftaucht und sofort das Wohlwollen des großen Gelehrten gewinnt. Das gab mir Mut. Der alte Herr war anfangs etwas ungehalten, als ich in seiner Studierstube ihm gegenübersaß und um Auskunft bat über die Frage, deren Beantwortung er bis dahin so sorgsam in seinem Innern ver- schlossen hatte. „Ich kann mir nicht denken, wie der Mensch aus dem Säugetiere entstanden sein soll,“ war die kurze Antwort. Ich fragte nur ganz bescheiden, ob er zugebe, dass zur Tertiärzeit noch keine Menschen auf der Erde existiert hätten. Das gab Baer zu. Dann, sagte ich, bleibe uns doch nichts anderes übrig, als anzu- nehmen, dass der Mensch von einem tertiären Säugetiere abstamme. Denn sonst müßten wir ja glauben, der Mensch sei durch Generatio aequivoca entstanden. Darauf antwortete Baer, er halte es für denk- bar und möglich, dass ein Ei durch Generatio aequivoca entstanden sei und dass aus diesem der Mensch sich entwickelt habe. Ich er- widerte, ein Ovulum humanum sei doch ein hilfloses Wesen und könne sich nicht frei entwickeln. Baer antwortete, die klimatischen Ver- hältnisse seien damals anderen gewesen. Ich erwiderte, die ganze Flora und Fauna der Tertiärzeit spreche dafür, dass die klimatischen Verhältnisse keine wesentlich andere gewesen seien, jedenfalls nicht soweit andere, dass ein Ovulum humanum sich frei hätte entwickeln können. Hierauf folgte eine längere Diskussion, deren Einzelheiten ich nicht mehr genau anzugeben vermag. Schließlich aber erklärte Baer mit aller Entschiedenheit, er müsse es zugeben, es bleibe uns nichts übrig, als die Abstammung des Menschen von einem tertiären Säuge- tiere anzunehmen. „Aber,“ fügte er hinzu, „ich kann mir nicht er- klären, wie diese Umwandlung möglich wurde.“ Damit waren wir einig. Welcher denkende Mensch wollte sich vermessen, über das Wie der Umwandlung etwas auszusagen?! Genug — Baer glaubte an die Abstammung des Menschen vom Säugetier. Basel, den 6. Februar 1900. [35] XX 15 226 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. Die ontogenetische Entwicklung der Zeichnung unserer ein- heimischen Molche. Von Dr. Maria Gräfin v. Linden in Bonn. Ergebnisse der Untersuchungen Ehrmanns [2] über die Bildung des melanotischen Pigments im Körper der Amphibien. (Schluss aus Nr. 5). Die Resultate, welche Ehrmann nach jahrelang fortgesetzten eingehenden Studien auf dem Gebiet der Pigmentbildung bei Wirbeltieren und besonders der Amphibien, erlangt hat, bilden neben der Zenneck- schen Untersuchung an Schlangen |i4a] einen weiteren histologischen Beweis für die Richtigkeit der Eimer’schen Zeichnungstheorie !). Sie dienen aber auch gleichzeitig zur Bestätigung meiner im Vorhergehen- den mitgeteilten Beobachtungen über die Entwicklung der Zeichnung unserer Molche und zeigen damit ebenso wie die Ergebnisse dieser makroskopischen Untersuchungen, 'dass sowohl die von Werner als auch dievonTornier aufgestellten Zeichnungsgesetze innerhalb dieser Tiergruppe keine Geltung besitzen. Ehrmann unterscheidet scharf zwischen originär-pigmentierten und originär nicht pigmentierten Amphibienarten. Zu der ersten Gruppe gehören die Batrachier und der mexikanische Axolotl, zu der zweiten Salamandra maculata, alra, Molge eristata u. a. m. Einen Uebergang bildet M. taeniata, dessen Eier schwach pigmentiert sind. Es ist nun für die Zeichnungsfrage von Wichtigkeit, dass Ehr- mann festgestellt hat, dass die originär-pigmentierten Bier und Larven in den ersten Stadien ihrer Entwicklung in der That einfärbig sind. Tornier hätte demnach nicht Unrecht, bei den Fröschen eine einfärbige Grundform als Ausgangspuukt für die Zeichnung zu wählen, wenn Ehrmann nicht auch gleichzeitig nachgewiesen hätte, dass das originäre Pigment mit der Zeichnung des erwachsenen Tieres über- haupt garnichts zu thun hat. Es ist nämlich sehr wahrscheinlich, dass das originäre Pigment garnicht vom Embryo gebildet wird, sondern dass es im Stroma des Eierstocks im mütterlichen Tier entsteht und in die Bildungszellen des Embryo einwandert. Sicher ist es jedenfalls, dass es später wieder ausgeschieden wird und dass es die Bildung des embryogenen bleibenden Pigments in keiner Weise be- einflusst. 1) Neuerdings ist von A, Graf in den ’Nova Acta. Abh. kais. Leop. Carol. Deutsch. Akad, Naturf., Bd. 72, Nr. 2, 1899 eine umfassende Arbeit „Hirudineenstudien“ erschienen, in welcher er u.a. nachweist, dass bei Olepsine phalera die Zeichnung vom Verlauf der Blutgefäße und Muskelbänder abhängig ist. Der Verfasser kommt zu dem Schlusse, dass die Zeichnung eine Reiz- auslösung von Elementen des Tieres gegenüber dem Sauerstoff der Luft sei, welche sich auf gegebenen Bahnen vollzieht. v. Linden, Öntogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche, 2997 In die Zeit nun, in welcher sich der Reduktionsprozess des ori- ginären Pigmentes vollzieht, fällt die Bildung der Farbstoffe, die die spätere Zeichnung der Larve bestimmen. Das embryogene Pigment, das sehr wahrscheinlich als ein Produkt des Blutfarbstofies anzusehen ist, entsteht in gewissen Mesodermzellen des Embryos, ist im Gegensatz zum originären Pigment der Vermehrung fähig und bildet, wie bereits gesagt, die Grundlage für die Zeichnung der Tiere. Ehrmann fand nun, dass die ersten Melanoblasten im Kopfteil des Embryo er- scheinen und zwar an dessen dorsaler Seite; die Bildung derselben schreitet dann gegen das caudale Ende der Larve fort, so dass der Embryo schon dem unbewaffneten Auge leicht längsgestreift erscheint. Die Streifen sind von meist reich verzweigten Melanoblasten zusammen- gesetzt. Allmählich dehnt sich die Pigmentierung ventralwärts aus, zunächst durch Umwandlung neuer bis dahin indifferenter Zellen in Melanoblasten. Später, wenn das definitive Bindegewebe sich ge- bildet hat, pflanzen sich die Melanoblasten ventralwärts nur noch durch Zellteilung fort. Auch auf den Extremitäten verbreiten sieh die Melanoblasten zuerst auf der dorsalen und dann auf der ventralen Fläche. Diese Beobachtungen über die Entstehung der ersten Zeich- nungsanlage gelten sowohl für originär pigmentierte als auch für originär nicht pigmentierte Amphibienarten, sie gelten also ebenso für Urodelen wie für Anuren. Wir sehen nun ein, warum weder bei Salamandern noch hei Fröschen Einfärbigkeit oder unregelmäßige Fleckung als erste Zeichnungsstufe angenommen wer- den kann; da die Melanoblasten sich zu allererst in zwei Rücken- streifen anordnen, so muss die erste Zeichnung bei Amphibien in Längsstreifen auftreten. Damit fälltdie Zeichnungstheorie W erner’s, der eine unregelmäßige Fleckung seinem Schema zu Grunde legt und mit ihr das Descendenzgesetz Tornier’s. Bis auf einen Punkt wird durch Ehrmann die von Eimer aufgestellte und innerhalb zahlreicher Tiergruppen begründete Zeichnungstheorie bestätigt. Auch bei den Amphibien tritt zuerst Längszeichnung auf und die Zeich- nungselemente verbreiten sich von oben nach unten — supero-inferiore Entwicklung — Eine postero-anteriore Entwicklung konnte in- dessen Ehrmann nicht beobachten, im Gegenteil, nach ihm treten die Melanoblasten in ihrer typischen Form und Farbe zuerst im Kopfteil und zuletzt im Schwanzteil auf. Wie ist diese antero-posteriore Ent- wicklung in Einklang zu bringen mit den Beobachtungen Eim er’s, an Reptilien, Vögeln und Säugetieren, dann aber auch mit den Be- funden Zenneck’s an Boiden [14b] und schließlich mit meinen eigenen in der Öntogenie unserer Molche? Meiner Ansicht nach ist dieser schein- bare Widerspruch zwischen dem ersten Auftreten von Zeichnungsele- menten und der späteren Zeichnungsfolge durch die Wachstums- verhältnisse im Tierkörper zu erklären. Die Entstehung von Me- 15* 98 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. lanoblasten ist, wie uns Ehrmann gezeigt hat, an gewisse Differen- zierungen im Mesoderm, an bestimmte Wachstumsvorgänge gebunden, die sich in den vorderen Körperabschnitten früher vollziehen als in den hinteren. Die Zeichnung wird demnach in ihrem Auftreten naturgemäß eine antero-posteriore Richtung einschlagen, wie sie sich auch z. B. bei Schmetterlingen findet. Diese für die Zeich- nung wichtigen Differenzierungen beginnen aber nicht nur in den vorderen Körperabschnitten, sie werden auch hier zuerst abgeschlossen und während die weiter nach hinten gelegenen Körperregionen noch im Wachstum begriffen sind, sind die vorderen bereits ausgewachsen. Der distal gelegene Körperabschnitt wird in seiner Zeichnung immer der variabelste bleiben, und jeder äußere oder innere Einfluss wird sich hier am wirksamsten fühlbar machen. Eine Abänderung in der Zeichnung kann also hier am leichtesten auftreten und wird sich in der Richtung über den Körper verbreiten, in der ihr am wenigsten Widerstand durch fertig differenzierte Gewebe geboten wird. Der Weg, den eine Abänderung einschlagen wird, kann somit nur der umge- kehrte von demjenigen sein, der der Zeichnung in ihrer Entstehung durch die Wachstumsrichtung im Mesoderm vorgeschrieben wurde. Die neue Zeichnungsform wird von der weniger differenzierten Körperregion zur differenzierteren fortschreiten, ihre Richtung wird eine postero- anteriore werden müssen. In gleicher Weise wird sie von einer zweiten Abänderung verdrängt werden und auch diese wird sich wie eine Welle von hinten nach vorne über den Körper verbreiten. Ver- hältnismäßig sehr selten wird, wieEimer und Zenneck hervorheben, der Kopf von der neuen Zeichnungsform erreicht. Hier am Kopfe bleiben die primitiven Zeichnungen mit großer Konstanz erhalten. Auch bei den Molchen tritt diese merkwürdige Erscheinung deutlich hervor, und sie ist wohl damit zu erklären, dass das Wachstum des Kopfes dem Wachstum des übrigen Körpers ganz besonders vorauseilt und unverhältnismäßig früh zum Abschluss kommt. Wenn wir nun auf Grund des biogenetischen Gesetzes annehmen, dass in der Stammes- geschichte der Amphibien die ersten Zeichnungselemente ebenfalls auf dem Kopf erschienen sind und sich von hier aus über den übrigen Körper verbreitet haben, so muss im weiteren Verlauf der Entwick- lung die Zeichnungsfolge ebenfalls eine postero-anteriore geworden sein, denn da die Zeichnungsmerkmale vorne zuerst auftraten, wurden diese mit größerer Zähigkeit vererbt als die weiter caudal gelegenen Zeichnungen neueren Datums. Wir sehen also, dass ein antero- posteriores Auftreten der Zeichnung mit einer postero-anterior ver- laufenden Umbildung derselben durchaus nicht im Widerspruch steht, dass im Gegenteil die postero-anteriore Entwicklungsriehtung nur die notwendige Folge eines antero-posterior gerichteten Wachstumsvor- ganges ist. v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 229 In der Ehrmann’schen Arbeit ist noch besonders hervorzuheben, dass er zu dem Schlusse gekommen ist, dass die Entwicklung der Melanoblasten von Anfang an in innigem Zusammenhang mit der Bil- dung der Blutgefäße steht, eine Anschauung, welche derjenigen Torniers vollkommen widerspricht. Tornier spricht sich nämlich dahin aus, das Farbkleid der Amphibien verdanke weder der Vertei- lung von Blutgefäßen noch- von Nerven seine Entstehung und stellt sich dadurch auch in Gegensatz zu den Untersuchungsergebnissen Zenneck’s [14a], der für Ringelnattern auf histologischem Wege die enge Beziehung der Blutgefäße und der pigmentierten Hautstellen nachgewiesen hat. Die Beziehungen der Amphibien- und der Reptilienzeichnung. Aus allem was wir heute über die Ontogenie der urodelen Am- phibien wissen, geht hervor, dass Längsstreifung in der Zeichnung dieser Tiergruppe eine wichtige Rolle spielt, dass sie als ursprünglichste Zeiehnungsform anzusehen ist, eine Behauptung, die nach den Unter- suchungen Ehrmann’s auf die Zeichnung der ganzenKlasse, der Urodelen wie der Anuren ausgedehnt werden darf. Von nicht geringerer Bedeutung ist diese Zeichnungsform, wie uns die Studien Eimer’s und Zenneck’s an Eidechsen bezw. Schlangen zeigen, bei den Reptilien, und es schien mir nicht uninteressant zu prüfen, ob etwa zwischen der primitiven Zeichnung beider Tierklassen Bezieh- ungen bestehen und im bejahenden Falle festzustellen, in welcher Weise sich dieselben zu erkennen geben. Ich legte dieser vergleichenden Studie das Schema zu Grunde, welches Eimer für die Zeichnung der Lacerta muralis striata cam- pestris aufgestellt hat. Eimer unterscheidet in der Rückenzeichnung des genannten Tieres 11 Zonen oder Längsstreifen (ein Mittelstreifen und zweimal 5 Seitenstreifen). Zone I (Mittelband) wird durch ein ungezeichnetes, lichtbraunes nach außen jederseits von dunkleren sehr variablen Grenzlinien ein- gefasstes Band gebildet. Zone II (oberes Seitenband) ist hell ohne Zeichnung und besteht aus einem inneren helleren und einem äußeren dunkleren Teil. Zone III (obere weiße Seitenlinie) beginnt am Kopf hinter dem Winkel, in welchem die obere in die Seitenwand des Kopfes zusammen- stoßen und reicht bis zur Schwanzwurzel, oder über dieselbe hinaus. Zuweilen verlängert sie sich nach vorne als Supraorbital-, oder Augen- bogenstreif. Nach innen und außen wird die obere weiße Seitenlinie durch eine unregelmäßige dunkle Linie begrenzt. Diese Begrenzungs- linien zeigen nicht selten Verdichtungen, die in die Seitenlinien her- eintreten, oder sie lösen sich in längliche Flecken auf. Wenn die obere der Begrenzungslinien in Flecke zerfällt, so rücken dieselben 930 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim,. Molche. häufig in die II. Zone ein und tragen zur Bildung anderer Varietäten besonders der maculata bei. Spuren der III. Zone finden sich auf dem Schwanz vieler Mauereidechsen als obere Schwanzlinie. Zone IV (mittleres Seitenband), Augenstreifen, wird durch ein braunes Band dargestellt, das vom hinteren Augenrand bis zur Schwanz- wurzel und vom vorderen Augenrand bis zur Schnauzenspitze verläuft. Von der unteren Grenzlinie der III. Zone und von der oberen der V. treten häufig mehr oder weniger zahlreiche Fleckchen oder Flecke in das mittlere Seitenband herein und bilden aus ihm zuweilen eine von Flecken besetzte Binde oder sogar ein schwarzes Band. Zone V stellt die untere weiße Seitenlinie dar und wird von zwei dunkeln Streifen begrenzt. Sie beginnt am Oberkiefer (Oberkieferstreif) hinter dem Auge, kreuzt die Ohrspalte, zieht oberhalb der Wurzel der Vorderextremitäten vorbei und besetzt, indem sie sich auf die Ober- schenkel fortsetzt, deren hinteren Rand. Auf dem Schwanze setzt sich die Zone V als untere Schwanzlinie fort. Zone VI (uuteres Seitenband) nimmt den Raum zwischen der V. Zone und der ersten Bauchschilderreihe ein und verläuft in der Höhe des Unterkiefers (Unterkieferstreifen). Sie ist von heller oder dunkel brauner ursprünglich fleckenloser Färbung. Sämtliche Varietäten der Mauereidechse entstehen nun durch Um- bildung der elf Zonen der längsgestreiften Lacerta muralis striata — campestris. Die hauptsächlichsten Umwandlungen bestehen nun darin, dass sich die Zonen oder deren Begrenzungslinien, besonders gilt dies für Zone I, III u. V, in Flecke auflösen. Dass diese Flecke in be- nachbarte Zonen einrücken und gefleckte Formen erzeugen, oder aber dass sich die kleineren Flecke zu größeren verbinden, die sich schließ- lich als Querstreifen über die ganze Breite des Rückens erstrecken können. Ferner kommt es vor, dass diese Querstreifen zu breiteren Bändern verschmelzen und dass auf diesem Wege Einfärbigkeit er- zeugt wird. Auf Grund derartiger Veränderungen unterscheidet Eimer 11 Zeichnungsvarietäten. Ausgangspunkt ist: I. Lacerta muralis striata. Von ihr leiten sich ab: 1. L. m. striata s. str. — campestris de Betta (Fig. 1u. 2 Eimer). 2. L. m. maculato-striata = albiventris Bonaparte (Fig. 13,14,3). 3. L. m. punctato-striata (Fig. 4 u. 5). 4. L. m. punctato-fasciata (Fig. 10). 5. L. m. punctulato-fasciata (Fig. 6—9). Eine zweite Hauptgruppe bildet: II. Lacerta muralis maculata. 6. L. m. striato-maculata (Fig. 16, 17). 7. L. m. maculata s. str. (Fig, 18). ns v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim, Molche, 231 8. L. m, reticulata (Fig. 11, 12). 9. L. m. tigris (Fig. 20). In einer dritten Gruppe sind nur einfärbige Formen inbegriffen: Ill. Lacerta muralis concolor. 10. L. m. modesta —= olivacea Rafin. (Taf. II Fig. 4). il. L. m. elegans (Taf. II Fig. 1). Diese Ergebnisse fallen nun wieZenneck in seiner Arbeit über die Zeichnung der Boiden [14b] hervorhebt fast völlig mit den bei der von ihm bearbeiteten Tiergruppe erhaltenen Resultate zusammen. Es finden sich auch hier die aus Streifen oder Fleckenreihen bestehenden elf Zonen wieder, und ihre Umwandlung folgt denselben Gesetzen und geschieht nach denselben Richtungen wie bei den Eidechsen. Ist es nun möglich, auch die in der Amphibienzeichnung vor- kommenden Streifen und Fleckenreihen auf ein ähnliches Schema zurückzuführen, wie es bei Eidechsen und Schlangen die Grundlage der Zeichnung bildet? Aus dem folgenden werden wir ersehen, dass ein solcher Versuch, die Zeichnung der Reptilien und Amphibien in Beziehung zu bringen, keineswegs illusorisch ist. Aus der Ontogenie unserer einheimischen Molche haben wir er- sehen, dass schon sehr früh zwei Längsstreifenpaare auftreten, die mit mehr oder weniger großer Deutlichkeit auch in der Zeichnung des ausgewachsenen Tieres wieder zu erkennen sind. Zwei dieser Streifen verlaufen von der Nasengegend am obern Augenrand vorbei nach der Schwanzspitze. Die beiden anderen beginnen am hinteren Augenrand oder erst in der Kiemengegend und setzen sich bis zum Beckengürtel fort. Beim erwachsenen Männchen von M. taeniata be- stehen regelmäßig Verlängerungen dieser Streifen vom vorderen Augen- and bis zur Schnauzenspitze. Wenn wir nun diese in der Ontogenie unserer Tritonen früher oder später auftretende Streifung mit dem von Eimer für die Lacerta muralis aufgestellten Zeichnungsschema vergleichen, so ergiebt sich ohne weiteres, dass die beiden auf dem Rücken verlaufenden Streifen ihrer Lage nach mit der oberen dunkeln Begrenzungslinie der III. Zone, der oberen weißen Seiten- linie identisch sind. Das helle Band, welches das Streifenpaar trennt, würde der eigentlichen weißen Seitenlinie entsprechen, deren untere Begrenzungslinie wie bei vielen Eidechsen, z.B. L. m. striato-maculata d Fig. 17 nieht mehr getrennt vorhanden ist. Als IV. Zone bezw. mittleres Seitenband (Augenstreifen) haben wir die beiden an den Seiten der Larve und z. T. der erwachsenen Tiere verlaufenden braunen Linien anzusehen. Weitere Homologien sind zwischen der Larven- zeichnung unserer Molche und der Eidechsenzeichnung nicht aufzu- führen, wenn etwa nicht der Pigmentfleck am Unterkiefer der Larve von M. taeniata (Fig. 35) als eine Spur der VI. Zone des Unterkiefer- streifens und das Pigmentzellennetz zwischen den Zonen III in Fig. 4 939 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. als I. Zone oder Mittelband gedeutet werden muss. Viel deutlicher werden die Relationen zur Reptilienzeichnung, wenn wir außer der Larvenzeiechnung unserer urodelen Amphibien auch die Zeichnung des fertigen Tieres zum Vergleich heranziehen. Wie bei den Boiden, so ist es auch hier Kopf und Hals, der die ursprünglichsten Verhältnisse, Längsstreifung am längsten beizubehalten pflegt, an dem die auf dem üb- rigen Körper z. T. stark variirenden Zeichnungsmerkmale am leichtesten zu identifizieren sind. Am besten eignet sich zum Vergleiche das Männchen von M. taeniata (Fig.9b). Am Kopf und Hals ist hier die Streifung sehr schön erhalten geblieben, während sie auf dem übrigen Körper in Fleckung übergegangen ist. Die Mitte des Kopfes wird durch einen nach der Schnauze zu spitz ausgezogenen nach hinten verbreiterten Fleck eingenommen, der sich auf dem Rücken in zwei rechts und links vom Kamme fast bis zur Schwanzspitze verlaufende Punkt- oder Fleckenreihen fortsetzt. Es ist dies Zonel, das Mittelband mit seinen beiden Grenzlinien, die wie Eimer beschreibt, bei Ei- dechsen sehr häufig in Flecke zerfallen. Auf Kopf und Hals verbinden sich die Grenzlinien des Mittelbandes bei dem mir vorliegenden sehr kräftig gezeichneten Molche zu einem breiteren Streifen, dass dies aber nicht immer der Fall ist, ersehen wir aus Fig. 9a, wo außerdem, wie auch in Fig. 8, das Mittelband durch einrücken der Begrenzungslinien, ähnlich wie bei Lacerta muralis, punctato-striata vom Karst u.a. in eine einzige mittlere Kettenlinie verwandelt ist. Das Mittelband pflegt von der III. Zone durch eine schmälere oder breitere Binde Zone II getrennt zu sein, die bei den in Fig. 8 u. 9a abgebildeten Individuen zeichnungslos ist, aber auch durch das Einrücken der zu den benachbarten Zonen gehörenden Zeichnungselemente fleckig unterbrochen werden kann. Die III. Zone trägt beim erwachsenen M.taeniata-Männchen vollkommenen L. m. striato-maculata-Charakter, da sie auf dem ganzen Rumpf in Flecke aufgelöst ist. Spuren der Begrenzungslinien dieser Zone setzen sich, kleine Fleckchen bildend, auf dem Schwanz des M. taeniata fort, wie bei vielen Mauereidechsen eine obere Schwanzlinie bildend. Am Kopf sind die weißen Augen- bogenstreifen ebenso wie ihre oberen dunklen Begrenzungslinien meistens deutlich ausgeprägt, besonders im Hochzeitskleid. Nicht weniger charakteristisch ist das mittlere Seitenband, der Augenstreif, die IV.Zone an Kopf und Hals gekennzeichnet. Sie verläuft von der Schnauzenspitze bis in die Schultergegend als breiter nur einmal durch das Auge unterbrochener brauner Streifen, biegt dann etwas nach unten ab und setzt sich als deutliche Flecken- linie bis in die Beckengegend fort. Bei einigen Exemplaren von M. taeniata hat es den Anschein, als ob vereinzelte auf dem Schwanz be- findliche Punkte eine Verlängerung dieser Linie bilden würden, bei anderen aber bricht die Zone an den hinteren Extremitäten plötzlich v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 233 ab. Die V. Zone mit ihrer dunkeln unteren längs des Oberkiefers verlaufenden Begrenzung ist nur an Kopf und Hals deutlich ausge- prägt. Die obere dunkle Grenzlinie ist indessen auch hier nicht mehr sichtbar und ist wahrscheinlich mit Zone IV, dem Augenstreif, ver- schmolzen. Auf dem Thorax sind sogar stellenweise die zu Zone IV gehörigen Flecken mit der in Flecken aufgelösten unteren Grenzlinie von Zone V verbunden, so dass beide Binden in einen einzigen ge- fleckten Streifen umgewandelt erscheinen. Als Fleckenreihe stellt sich auch Zone VI (unteres Seitenband) dar. Sie beginnt mit einem dunkeln Streifen längs des Unterkiefers (Unterkieferstreifen), der im Mundwinkel mit der dunkeln Begrenzung von Zone V zu einen größeren langgestreckten Fleck verschmilzt. Von bier an ist die Zone in eine Fleckenbinde umgewandelt, die sich bis auf den unteren Saum des Schwanzes erstreckt und hier zusammen mit der Zone V die untere Schwanzlinie bildet. Auch die an der Vorderfläche des Oberarmes bezw. Oberschenkels befindlichen dunkeln Flecken scheinen der VI. Zone anzugehören. Eimer erwähnt nun, dass besonders bei L. muralis striata cam- pestris außer diesen sechs Zonen auf der ersten Bauchschilderreihe eine den letzteren parallel laufende Reihe von schwarzen Fleckchen vorkommt. Auch bei M. taeniata beobachten wir noch eine weitere am Bauch verlaufende Fleckenreihe, doch liegt dieselbe der Medianlinie zu nahe, um mit der von Eimer erwähnten Fleckenreihe identisch zu sein. Diese einer VII. Zone entsprechenden Fleckenbinde beginnt am Unterkiefer und setzt sich über die Kloake an der Unterseite des Schwanzes fort. Wir sehen also, dass die Zeichnung von M. taeniata des Männchens wenigstens ohne Schwierigkeit auf das Zeichnungsschema zurück- zuführen ist, welches von Eimer für die Eidechsenzeichnung auf- gestellt wurde. Der ursprüngliche s/riata- Charakter ist beim er- wachsenen Molche nur an Kopf und Hals noch zu erkennen und hier auch nicht mehr in der primitiven Form, wo die Zonen mit ihren Be- srenzungen deutlich geschieden sind. Die Zeichnung von Rumpf und Schwanz entspricht genau der Variation, wie sie in der Gruppe Lacerta muralis maculata besonders bei L. m. striato-maculata zu be- obachten ist: Die Neigung der dunkeln Binden in Flecken zu zer- fallen, das Bestreben dieser Flecken, da wo sie die Grenzlinien der Zonen bilden, in diese selbst einzurücken,.und mit benachbarten Binden- Bruchstücken zu größeren Flecken zu verschmelzen sind Verände- rungen, wie sie sich in gleicher Weise vollziehen, wo es sich darum handelt, aus einer L. m. striala, eine L. m. maculata oder striato- maculata zu bilden. Die Zeichnung des weiblichen M. taeniata trägt einen Charakter, der in verschiedener Hinsicht mit der Zeichnung des Weibchens der 934 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. L. m. maculato-striata auffallende Analogien besitz. Das Mittel- band, ZonelI, stellt eine feine zusammenhängende Linie dar. Zone II erscheint als breites feinpunktiertes Rückenfeld. Der obere Begrenzungsstreifen der III. Zone bildet stellenweise eine ununter- brochene auf dem Schwanz ziemlich breite Linie, an anderen Stellen ist er dagegen unterbrochen und seine Bruchstücke treten in Zone II über. Die Fortsetzung von Zone III auf dem Schwanz ist im Gegen- satz zu den Eidechsen bei dem Weibchen ebenso wie bei den Larven von M. taeniata sehr deutlich ausgesprochen. Der helle Teil der III. Zone und Zone IV sind nur am Kopf von einander zu unter- scheiden. Auf Rumpf und Schwanz stellen beide Zonen ein einziges hellbraunes feindunkel punktiertes Feld dar. Zone V, die untere weiße Seitenlinie, ist mit ihren dunkeln, aus feinen Punkten be- stehenden Grenzlinien sehr deutlich ausgeprägt, dagegen pflegt Zone VI bis auf Spuren zu fehlen, dasselbe gilt für Zone VII, die ich am männlichen M. taeniata beschrieben habe. Aus allem ergiebt sich, wie ich schon im ersten Teil dieser Arbeit angedeutet habe, dass die Zeichnung des Weibchens von M. taeniata weniger ausgesprochen ist, zum Teil wenigstens noch in deutlichen Längsstreifen besteht und mehr den jugendlichen, den Larventypus beibehält, als die Zeichnung des männlichen Tieres, die besonders während der Brunstzeit aus- gesprochen maculata ähnlich wird. Der Zeichnung des M. taeniata zunächst, steht diejenige von M. palmata, und auch hier ist es wieder das Männchen (Fig. 14), dessen Zeichnungsschema‘, wenn auch auf höhere Stufe vorgerückt, viel deutlicher ausgeprägt und viel leichter zu entziffern ist, als das des Weibehens. Die Rückenzeichnung von Männchen und Weibchen ist nach der Brunstzeit ziemlich ähnlich. Wir finden entweder ein von feinen Fleckchen oder Längsstrichen begrenztes Mittelband oder einen durch gegenseitiges Verschmelzen dieser Elemente hervor- gebrachten schmalen Mittelstreifen oder aber ein heller oder dunkler braunes aus Zone I und II bestehendes Mittelfeld, in dem feine dunkelbraune Pünktchen die ursprünglich das Mittelband be- srenzenden Linien andeuten. Sehr deutlich ausgesprochen wie bei M. taeniata-Weibehen ist die obere Grenzlinie der III. Zone, der oberen weißen Seitenlinie. Sie verläuft ohne Unterbrechung nahezu bis an die Spitze des Schwanzes und bildet auf dem Thorax mehrere scharfe Zacken, die in die II. Zone einspringen. Die untere Grenz- linie der III. Zone ist beim Männchen von M. palmata durch eine Reihe dunkler Flecken bezeichnet, die am Kopf in den Augenstreifen Zone IV übergehen. Die Verlängerungen der bisher besprochenen Binden auf dem Kopf oder besser ihrer dunkeln Begrenzungen vereinigen sich bei ein- zelnen Exemplaren wenigstens infolge ihres eigenartigen zackigen v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 235 Verlaufes zu einer Art Netzzeichnung, in der indessen die einzelnen Streifen noch deutlich zu unterscheidea sind. Zone IV ist sowohl vor als hinter dem Auge durch einen breiten dunkelbraunen Streifen gekennzeichnet. In der Gegend des Schultergürtels löst sich die Binde beim männlichen M. palmata in eine Fleckenreihe auf, die bis in die Kloakengegend reicht und sich auf dem Sehwanze scheinbar mit der unteren Schwanzlinie vereinigt. Zone V, das untere weiße Seitenband, ist am Kopf wohl ausgeprägt, hat aber auf dem Thorax stellenweise wenigstens einen undentlichen Verlauf, indem ihre in Flecken aufgelösten Grenzlinien zum Teil verschmelzen. Als untere Schwanzlinie setzen sich die miteinander verschmolzenen Flecke der beiden Grenzlinien in geradem Verlauf bis zur 'Schwanzspitze fort. Zone VI ist bei M. palmata-Männchen durch eine Fleekenreihe ver- treten, welche sich nicht immer bis zum Unterkiefer erstreckt. Bei einem mir vorliegenden Exemplar beginnt die Binde auf der einen Seite erst in der Halsgegend, auf der andern Seite, setzt sie sich dagegen durch eine Anzahl sehr feiner Punkte bis in den Mundwinkel fort. Die charakteristische Verlängerung des Streifens längs des Unter- kiefers fehlt vollständig. Die VII. Zone, welche bei M. taeniata so deutlich ausgeprägt war, ist hier bei pa/mata nur durch wenige blasse Flecke angedeutet. Zwischen der Zeichnung des M. palmata-Männchens und des Weib- chens dieser Art besteht ein ganz ähnliches Verhältnis, wie ich es für Weibehen und Männchen von M. taeniata beschrieben habe, nur sind die Verschiedenheiten namentlich in der Rückenzeiehnung von palmata weniger groß als bei taeniata. Die Hauptunterschiede bestehen darin, dass bei dem weiblichen M. palmata die Zacken der oberen Grenzlinie von Zone III noch tiefer in Zone II einspringen als bei den Männchen und dass außer dem Augenstreifen auf Kopf und Hals der oberen und unteren hellen Seitenlinien, soweit sie den vorderen Körper- abschnitt und den Schwanz einnehmen, alle Zeichnung sehr undeutlich und verwachsen auftritt, Es giebt natürlich auch hier individuelle Unterschiede , wie Fig. 12 zeigt, in der ein Weibehen mit ziemlich deutlich punk- tierten Seitenzonen dargestellt ist. Es ist somit für die Zeich- nung ‘der Weibchen beider Molcharten ein charakteristisches Merk- mal, dass dieselbe viel weniger scharf hervortritt und dass die Elemente, aus der sie besteht, erheblich kleiner zu sein pflegen als beim Männchen. Auch M. palmata-Weibehen hat diese Eigen- tümlichkeit, welche eigentlich ein Anklang an die Larvenzeich- nung ist, beibehalten. Das palmata-Männchen trägt besonders im Hochzeitskleid, wo die Grenzlinien des Mittelbandes und die oberen Grenzlinien des oberen weißen Seitenbandes in Flecke aufgelöst sind, geradeso wie das M. taeniata-Männchen einen ausgesprochenen striato- 936 v.Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. maculata-Charakter, während die Weibchen beider Arten nach Eimer als punctulato-faciata zu bezeichnen wären. Es besteht also hier zwischen männlicher und weiblicher Zeichnung ein ähnliches Verhält- nis, wie es Eimer für die Zeichnung des Männchens und Weibehens der deutschen Mauereidechse beschrieben hat. Es war der leichtere Teil meiner Aufgabe, Beziehungen zwischen der Eidechsenzeichnung und der Zeichnung des M. taeniata und pal- mata aufzustellen. Viel schwieriger ist es, in dem weit mehr verän- derten Kleid der M.alpestris und eristata, die charakteristischen Ele- mente wieder zuerkennen. Der Versuch, die Zeichnung dieser beiden Formen aut das maßgebende Grundschema zurückzuführen, wird in- dessen wesentlich erleichtert, wenn wir von der Ontogenie der Zeich- nung ausgehen. Als Larven finden sich bei M. alpestris und ceristata ebenso vier Längsstreifen, welche ihrer Lage nach den Streifen bei M. taeniata und jalmata genau entsprechen und auf das Grundschema der Eidechsenzeichnung bezogen als Teile der Zone III und als Zone IV aufzufassen sind. Aus diesen Streifen entwickelt sich, wie wir im ersten Teil der Arbeit gesehen haben, die bleibende Zeichnung und zwar dadurch, dass an Stelle der Streifen Fleckenreihen entstehen, dass diese Fleckenreihen sich untereinander verbinden und schließlich im ausgewachsenen Tier zu einer Netzzeichnung führen, in der (Fig.19b) von einer Trennung in Zonen oft kaum noch eine Spur zu sehen ist. So vollkommen ist die Verwischung der ursprünglichen Zeichnung allerdings nicht immer, in Fig. 18 u. 19a sind z. B. die Zonen I u. Ill, bezw. I, III, IV recht deutlich als Streifen oder Fleckenreihen zu erkennen. Das Männchen von M. alpestris vertritt nach der Brunst, wie Fig. 19 zeigt den striato-maculata-Typus, im Hochzeitskleid verbinden sich in- dessen die Flecken untereiander, es trägt jetzt mehr einen „reticulata“- Charakter, noch öfter aber erscheint es vollkommen einfärbig schwarz mit mehr oder weniger lebhaft blauem Schimmer, eine Ent- wieklungsrichtung, wie sie auch bei Eidechsen wiederzufinden ist, ich erinnere nur an Lacerta muralis coerulea. In der Zone V u. VI bleibt die Fleekung jedoch immer erhalten, ebenso in Zone I und am Kopf, wo z. B. auch Zone IV als Fleckenreihe erscheint. Auch beim Weibchen von alpestris finden wir ausgesprochene Netzzeichnung. Sie entsteht wie auch beim Männchen dadurch, dass sich die Zonen bezw. deren dunkle Grenzlinien in Flecke auflösen und dass diese untereinander Verbindungen eingehen. Je nach dem nun die Flecke an ihrer ursprünglichen Stelle stehen bleiben, oder aber in andere Zonen einrücken, ist in der Zeichnung des ausgewachsenen Tieres die erste Anlage leichter oder schwerer wiederzuerkennen. Bei dem Weibchen in Fig. 18 ist auf dem Rumpf eine undeutliche Netzzeichnung v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 237 vorhanden, während der Kopf auch hier die ursprünglichere Zeich- nung trägt, die aus Streifen oder Flecken besteht. Auch beim Weib- chen bleibt die V. u. VI. Zone immer gefleckt. Die Zeichnung von M. alpestris ist meistens nur unmittelbar nach der Häutung deutlich zu erkennen auch bei Exemplaren, die längere Zeit in Alkohol waren, tritt dieselbe leicht sichtbar hervor. Bei M. cristata ist es weniger die veränderte Zeichnung als die oft eintönig schwarze Grundfarbe, welche uns eine Identifizierung der Zeichnungsmerkmale erschwert. Es giebt indessen auch Individuen mit hellerer Grundfarbe, bei denen sich die Zeichnung in Gestalt von längs oder quer angeordneter Fleckenreihen erkennen lässt. Auch an Spiritusmaterial pflegt die Grundfarbe abzublassen, ohne dass die Zeichnung beeinträchtigt wird. Von Längsstreifung ist beim ausge- wachsenen M. cristata keine Spur mehr zu sehen (Fig. 23 und 24), höchstens erhalten sich am Kopf die dunklen Streifen der Zone III, IV u. V und diese auch nur in ihrem vorderen Teil, von der Schnauzen- spitze bis zum Auge. Im übrigen beobachten wir bei Männchen und Weibehen rechts und links vom Kamm eine deutliche Reihe dunkler Flecke (lig. 25b), die ihrer Lage nach den Grenzlinien des Mittel- bandes entsprechen. Beim Weibehen rücken die Flecken bisweilen in die Mittelzone selbst ein. Zone II ist durch ein breiteres meist unge- zeichnetes Band vertreten. Auf diese folgt eine Reihe dunkler Flecken (z. T. sind es Fleckenpaare), die mit einer aus zwei Fleckenreihen kombinierten Binde über dem Auge in Verbindung steht. Die Zeich- nung der Supraorbitalgegend entspricht den dunkeln Grenzlinien von Zone III und die daran anschließende Fleckenreihe ist als Fortsetzung von einer der beiden, wahrscheinlich der oberen Grenzlinie zu be- trachten. Zone IV ist durch eine Reihe großer Flecke vertreten und setzt sich als undeutlicher Augenstreif bis in die Schnauzengegend fort. Zone V und VI d. h. die Begrenzungslinien der V. Zone und Zone VI haben sich in Flecken aufgelöst und sind untereinander zu Querstreifen verbunden, die sich auch noch mit den Flecken der bei cristata vorhandenen VII. Zone vereinigen und sich bei einzelnen Exem- plaren über den ganzen Bauch fortsetzen. Diese Neigung, Querstreifen zu bilden, beobachten wir auch innerhalb der übrigen Zonen, doch ist hier diese Zeichnungsform nie so ausgesprochen wie an den Seiten und an dem Bauch des Tieres, auf dem Rücken bleibt vorherrschend Fleckung bestehen (Fig. 25a). Zwischen der Zeichnung des Männchens und Weibchens von M. cristata bestehen, soweit ich beurteilen kann, keine wesentlichen Ver- schiedenheiten. Beide vertreten die „maculata“-Stufe und neigen mehr oder weniger zur Tigriszeichnung hin, ihre Zeichnung ist ebenso wie die von M. alpestris, wenn auch nach anderer Richtung umge- 938 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. bildet, höher entwickelt als die Zeichnung von M. taeniata und pal- mata. Derselbe Fortschritt äußert sich auch in der Grundfarbe, die bei einzelnen Exemplaren von eristata geradezu schwarz zu nennen ist. Für M. alpestris-Männchen ist im Hochzeitskleid außerdem eine Blaufärbung charakteristisch, die deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil wir sie auch bei hochentwickelten Eidechsenformen nament- lich im Frühjahr und zwar vorzüglich bei den Männchen auftreten sehen. Wenn wir nun die wesentlichen Punkte aus dem oben Mitgeteilten zusammenfassen, so sehen wir, dass Eimer seine Erwartungen nicht zu hoch gespannt hat, wenn er in seinen Untersuchungen über das Variieren der Mauereidechse sagt, dass mit seinem Schema der Ei- dechsenzeichnung auch der Schlüssel für das Verständnis der Zeich- nung von Amphibien gegeben sei. Die Zeichnung unserer ein- heimischen Molche lässt sich besonders, wenn wir auch derenLarvenformen berücksichtigen, ohne Schwierigkeit auf die 11 Streifenzonen, welche das Grundschema der Eidechsen und der Schlangenzeichnung bildet, zurück - führen. Die Entwicklungsrichtungen, welche die Zeichnung der verschiedenen Formen einschlägt, sind identisch mit den Entwicklungs- richtungen, die auch bei der Mauereidechse zur Varietätenbildung führen. Hier wie dort haben die dunkeln Längsstreifen, welche die Grenz- linien der Zonen I, III, u. V und Zone IV u. VI bilden, die Neigung, sich in Flecken aufzulösen, vielleicht noch ausgesprochener als bei Lacerta. Innerhalb beider Gruppen sehen wir, wie durch Verschiebung der pigmentierten Grenzlinien des Mittelbandes eine gefleckte Mittel- linie wird, und wie sich die seitlich gelegenen Zonen durch Ver- schmelzung der Flecken in senkrechter Richtung zur Körperlängsaxe in breite quergestreifte Binden verwandeln. Wir beobachten ferner, dass auch bei den Molchen eine ausgesprochene Netzzeichnung zustande komut, in der die ursprüngliche Lage der Binden mehr oder weniger deutlich erhalten bleibt und dass Hand in Hand mit den höheren Zeichnungsstufen eine Verdunklung der Grundfarbe eintritt, die zu vollständiger Einfärbigkeit führen kann. Auch die Bildung blauer Farbtöne ist nicht auf die Reptilien beschränkt. M. alpestris ist ein Beispiel dafür, dass diese Stufe der Färbung ebenfalls von Amphibien erreicht wird, wenn hier ihr auch der starke Glanz und die Intensität der Farbe mangelt, der das Kleid der Lacerta muralis coerulea aus- zeichnet. In beiden Gruppen sind wiederum diese Kraftfarben beim Männchen am ausgesprochensten und zwar hauptsächlich im Frühjahr und bei Beginn des Sommers. Schießlich sei wiederholt, was schon im Vorhergehenden erwähnt wurde, dass Eidechsen und Molehe über- einstimmend in der Jugend ursprünglichere Zeiehnungsmuster tragen, als später, dass die Männchen meist höhere Zeichnungsstufen er- v. Linden, Öntogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. 239 reichen, als die Weibehen und dass stets der vordere Körperabschnitt die jugendlichen Zeichnungscharaktere länger bewahrt als Rumpf und Schwanz. Allgemeine Zusammenfassung. Es war in der vorstehenden Arbeit mein Bestreben, die Frage zu entscheiden, welche der für die Entwicklung der Amphibienzeichnung aufgestellten Theorien für die Entwicklung der Zeichnung der bei uns einheimischen Molcharten die maßgebende sei. Ich habe versucht, die Lösung dieser Frage, auf drei verschiedenen Wegen anzubahnen, und ich hoffte von der Uebereinstimmung oder Nichtübereinstimmung der so erhaltenen Ergebnisse mit einiger Sicherheit auf die Richtigkeit der bestehenden, sich aber widersprechenden Theorien schließen zu können. In erster Linie schien es mir von Wichtigkeit, die Ontogenie der Zeichnung unserer Molehe kennen zu lernen und die Ergebnisse des Studiums der individuellen Entwicklung von Zeichnung und Färbung dieser Tiere mit den Resultaten in Beziehung zu bringen, welche uns auf diesem Gebiet für andere Wirbeltiergruppen schon vorliegen. Ich hoffte auf diese Weise wichtige Analogien zu erhalten und nur ge- stützt auf diese Analogien und auf die Folgerungen des biogenetischen Gesetzes den Einblick in den phylogenetischen Entwicklungsgang der Triton-Zeichnung erschließen zu können. Als Maßstab für die Rich- tigkeit meiner Beobachtungen benützte ich die Mitteilungen anderer Forscher über die Ontogenie der Amphibien- besonders der Urodelen- zeichnung und fand namentlich in den Arbeiten F. Leydig’s [7] und F. Gasco’s|5] sehr wertvolle Bestätigungen und Ergänzungen der Ergebnisse meiner Studien. Dass diese Uebereinstimmung keine zufällige ist, dass sie nicht etwa auf gemeinschaftlichen Beobachtungsfehlern beruht, beweisen die Untersuchungen Ehrmann'’s, der auf histologischem Wege die Lösung der Zeichnungsfrage bei Amphibien angestrebt hat und un- zweideutig zeigt, dass auf Grund der eigenartigen Entwicklung der Gewebe während des embryonalen Lebens der Amphibien überhaupt ‚nur eine ganz bestimmte erste Zeichnungsanlage möglich ist. Diese ist aber identisch mit der in der ÖOntogenie beobachteten primitiven Zeichnung. Nachdem ich festgestellt hatte, dass die während des individuellen Lebens der Urodelen sich vollziehenden Umwandlungen in der Zeich- nung den nach der Eimer’chen Theorie für alle Wirbeltiere gelten- den vollkommen entsprechend und histologisch begründet waren, schien es mir von Interesse zu sehen, wie weit die Beziehungen zwischen der Zeichnung der Amphibien und der Reptilien reichen, inwieweit be- sonders das Grundschema der Eidechsenzeichnung dem der Triton- zeichnung angepasst sei. 940 v. Linden, Ontogen. Entwicklung der Zeichnung unserer einheim. Molche. Waren die wesentlichen Merkmale der Eidechsenzeichnung in der Urodelenzeichnung wiederzufinden, so stand für mich einmal die Rich- tigkeit der von Eimer auch auf die Amphibien ausgedehnten Zeich- nungsgesetze außer allem Zweifel, andererseits war dann auch für die Reptilien nahe gelegt, dass ihre Zeichnung durch äbnliche histologische Verhältnisse bedingt sei, wie die der Amphibien. Dass eine solehe Zurückführung der Amphibienzeichnung auf die Reptilienzeichnung wirklich möglich ist, ersehen wir aus dem dritten Teil dieser Arbeit, und wir können, wenn wir die ganze Reihe über- einstimmender Ergebnisse zusammenfassen, für die Entwicklung der Zeichnung unserer Molche, wahrscheinlich aber auch für die aller Amphibien folgende Regeln als feststehend betrachten: 1. Die Zeichnung der bei uns einheimischen Molcharten, wahrschein- lich aber die Zeichnung aller Amphibien entwickelt sich aus Längsstreifen oder aber aus längsgerichteten Punktreihen. Diese primitive Zeichnungsanlage hat nach Ehrmann ihren Grund in der auf bestimmte Körperregionen beschränkten Bildung von Melanoblasten, und die Entwicklung der letzteren steht von An- fang an in innigem Zusammenhang mit der Bildung der Blut- gefäße. Die Zeichnungsanlage der Amphibien, speziell der Molche ist identisch mit der bei andern Wirbeltieren besonders bei Eidechsen und Schlangen beobachteten ersten Zeichnung. 2. Die Längstreifen haben, entsprechend ihrer histologischen Grund- lage eine ganz bestimmte Lage, und zwar entspricht ihre An- ordnung auf dem Körper des Tieres genau derjenigen, welche wir bei Reptilien beobachten. 3. Die Zeichnung tritt zuerst auf dem Rücken auf und verbreitet sich von da nach den Seiten (supero-anteriore Entwicklung, Eimer), ihre späteren Umwandlungen verlaufen in der Regel von hinten nach vorne. An Kopf und Hals bleiben für ge- wöhnlich die ursprünglichen Zeichnungen am längsten bestehen (postero-anteriore Umbildung, Eimer). 4.Die Stellen des Körpers, wo embryonal die ersten Zeichnungs- merkmale auftreten, bleiben auch später der hauptsächlichste Sitz der Zeichnung, hier beobachten wir bei der älteren Larve die zur bleibenden Zeichnung bestimmten Pigmentconcentrationen, nachdem vorher durch gleichmäßige Ausbreitung und Ver- mehrung der Pigmentzellen die Grundfarbe der Larve verdunkelt und die ursprüngliche Zeichnung undeutlich geworden war. 5.Die bleibende Zeichnung ist der ersten Larvenzeichnung ent- weder identisch z. B. besteht aus Längsstreifen, oder sie ist höher entwickelt als die letztere: sie besteht aus Flecken. 6. Die Veränderungen, welche sich in der Larvenzeichnung voll- Thilenius, Bemerk.z.d. Aufs. d. Hın. Krämer u. Friedlaender ü.d. sog. Palolo. 241 ziehen bis zum Auftreten der bleibenden Zeichnung, sind die- selben, die im späteren Leben des Tieres beobachtet werden und schließlich zur Einfärbigkeit führen. 7.Die Umbildungen der Zeichnung im erwachsenen Tier stimmen 2: 10. mit jenen überein, welche Eimer bei Lacerta muralis be- obachtet hat; d. h. die Varietätenbildung geschieht hier in gleicher Weise wie dort. Die Längsstreifen lösen: sich in Flecke auf, diese vereinigen sich mit benachbarten Flecken- reihen zu Querstreifen und nehmen entweder nur wenige Zonen oder aber einen großen Teil der Rückenfläche bezw. Bauch- fläche ein. Verbinden sich die Flecken nicht nur in einer son- dern in mehreren Richtungen, so erhalten wir Formen mit Netzzeichnung. Hand in Hand mit der Entwicklung höherer Zeichnungen. beobachtet man in der Regel eine, Verdunkelung der Grundfarbe, die bis zu schwarzer Einfärbigkeit fortschreiten kann ‘und das Auftreten von Blau als „Kraftfarbe“ begünstigt. . Die Umänderungen in der Zeichnung, welche sich. während der individuellen Entwicklung der Tiere vollziehen, sind gleichartig mit denen, welche während der Entwicklung des Stammes stattgefunden und zur Bildung neuer Varietäten und Arten ge- führt haben. Die Männchen eilen den Weibehen gewöhnlich in der Entwick- lung ihrer Zeichnung voraus. Weder die Theorie Werner’s, nach welcher als erste Zeich- nungsform unregelmäßige Fleckung auftreten soll, noch die Tornier’s, die die spätere Zeichnung von Einfärbigkeit ab- leitet, findet in der Ontogenie oder Phylogenie der Tritonen- zeichnung Unterstützung. Das Zeichnungsgesetz Eimer’s, wel- ches alle spätere Zeichnung aus Längsstreifung entstehen lässt, behält dagegen für die von mit untersuchten urodelen Amphi- bien und wahrscheinlich auch für die anuren Vertreter der Klasse volle Geltung. Bonn im Oktober 1899. Bemerkungen zu den Aufsätzen der Herren Krämer und Friedlaender über den sogenannten Palolo. B. C. XVIIL, XIX. In Von Dr. G. Thilenius. den Monaten Oktober und November 1897 fügte es der Zufall, dass die Herren Krämer, Friedlaender und ich gleichzeitig in Apia anwesend waren. Während der erstgenannte Studien über Korallenritfe und die zuge- hörigen Erscheinungen betrieb, war letzterer wohl hauptsächlich wegen des sogen. Palolo gekommen; mir selbst- lagen diese Dinge ferner, da die Avifauna meine ganze Zeit in Anspruch nahm. An den Ausflügen auf das Riff, welche xXX 16 949 Thilenius, Bemerk. z. d. Aufs.d. Hrn. Krämer u. Friedlaender ü. d. sog. Palolo. Herr Krämer regelmäßig unternahm, beteiligte ich mich mehrfach, soweit es meine sonstigen Arbeiten erlaubten, und dies war natürlich der Fall an den Tagen des Palolo, dessen rätselhaftes Erscheinen mich veranlasste, meinen über den Gegenstand orientierten Hausgenossen zu begleiten, da ich selbst Interesse an der Frage gewann. In den Tagen des November-Palolo brachten Herr Krämer und ich, wie auch sonst, Stücke verschiedener Korallenarten in unser gemeinsames Haus, um in denselben nach Würmern zu suchen. In einem dieser Stücke, das ich einem zum Teil daraus hervorragenden großen Borstenwurm zu Liebe aufzumeißeln versuchte, legte ein Schlag ein kurzes Wurmstück bloß, welches seinem Aus- sehen nach ein „Palolo* sein konnte; nahe an der Bruchstelle des Blockes ging dieser Abschnitt anscheinend in einen erheblich breiteren über. Leider fiel der nächste Schlag etwas kräftig aus, so dass ein größeres Stück ab- sprang und die erwähnten Wurmstücke zerquetscht wurden, wie auch der In- halt benachbarter Gänge. Ich legte das Korallenstück fort und tröstete mich über den Verlust um so eher, als ich im Zweifel war, ob das während weniger Minuten gesehene Wurmstück trotz seiner Farbe und Durchmesser ein Palolo sein konnte, welcher mit einem normalen Wurmstück zusammenhing. Am gleichen oder am folgenden Tage traf ich Herrn Friedlaender, welcher von seinem Palolo-Ausfluge zurückkehrte. Er legte mir die Skizze eines Wurm- stickes vor, an welchem ein sehr dünner Abschnitt unvermittelt in einen brei- teren übergeht. Ich erinnerte mich sofort meines Versuches, ein ähnliches Wurmstück herauszumeißeln, und äußerte die Vermutung, dass es sich um die iang gesuchte Verbindung von Palolo und Wurm handelte, Herr Fried- laender bestätigte dies und erläuterte mir darauf seine Skizze; daran schloss sich natürlich ein lebhafter Meinungsaustausch, gelegentlich dessen ich auch einige Beobachtungen des Herın Krämer erwähnte, welcher bereits in der Frühe des letzten Palolo-Tages abgereist war. Da mir die ganze Palolo-Frage ferne lag, so war ich gerne bereit, Hermm Friedlaender meinen zufälligen Fund zur Erwähnung zu überlassen; ich hatte ein Uebergangsstück gesehen, dessen einer Teil ein Palolo sein mochte; dass dem auch so war, wurde mir erst durch die erwähnte Skizze zweifellos. Die bezügliche Veröffentlichung ging mir später in Neuseeland zu. Bei der Durchsicht derselben hatte ich den Eindruck, dass Herr Friedlaender meinen Namen mehr in den Vordergrund stellte, als den Verhältnissen ent- sprach, und besonders den von Herın Krämer ausgeführten Eimerversuch auch mir zuschrieb. Diese Darstellung mochte ihren Ursprung darin haben, dass Herr Krämer und ich in demselben Hause wohnten und oft gemeinsam auf das Riff hinausgingen. Da ich über die Ergebnisse, zu welchen Herr Krämer gelangt war, keinerlei Verfügungsrecht hatte, so konnten meine Aeußerungen über dieselben Herrn Friedlaender gegenüber nur privater Natur sein. Leider erhielt ich die Arbeit nur wenige Tage vor meiner Ab- reise nach Melanesien und musste mich daher darauf beschränken, Herrn Frieid- laender brieflich darauf aufmerksam zu machen, dass seine Darstellung eine missverständliche war, Bei meiner viel später erfolgten Rückkehr nach Europa wurde ich zu- fällig auf die Differenz gewiesen, welche sich im Anschluss an jene Veröffent- lichung zwischen den Herren Krämer und Friedlaender ergeben hat, und nehme daraus Anlass auch meinerseits in der Angelegenheit mich zu äußern, was sonst natürlich unterblieben wäre, angesichts meiner sehr geringen G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 243 Beteiligung an den Vorgängen. Jedenfalls betrache ich mit dem Vorstehenden die ganze Angelegenheit als erledigt. Was die Untersuchungen über den Palolo selbst betrifft, so entnehme ich einem Briefe des Herrn Krämer, welcher zur Zeit in Mittelamerika weilt, dass derselbe ein ferneres Eingehen auf die Veröffentlichungen des Herrn Friedlaender ablehnt und sein sehr reichliches Material an Herrn Woodworth von der Agassiz’schen Südseeexpedition auf dessen Bitte über- lassen hat. Da somit ein ungewöhnlich vollständiges Material vorhanden ist, so kann zu den trefflichen Arbeiten von Ehlers manche wertvolle histo- logische Ergänzung erwartet werden. Die Herren Krämer und Wood- worth werden ihre biologischen Erfahrungen wahrscheinlich gemeinsam ver- öffentlichen. [40] Georg Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 8. 75. Stn. 8 Textfiguren, Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1899 (Abdruck aus dem Archiv für Entwickelungsmechanik, VIIL 1). Die Methode der Variationsstatistik, zu welcher der Herr Verf. auch in unserem Blatte schon wiederholt wertvolle Beiträge geliefert hat, erlangt immer größere Bedeutung für die Lösung biologiseher Probleme. Dennoch verhalten sich die meisten Biologen noch sehr spröde gegen sie, weil sie entweder ihren Wert verkennen oder sich den mathematischen Anforderungen, welche dieselbe stellt, nicht gewachsen fühlen. Verf. hat es daher unternommen, das Wesen derselben leichter verständlich und die zu ihr erforderlichen Formeln auch den deutschen Biologen zugänglich zu machen. — Es liegt in der Natur einer solchen Arbeit, dass ein kurzes Referat von ihr keinen klaren Begriff geben kann. Wir ziehen es daher vor, uns mit diesem Hinweis zu begnügen, dafür aber, mit Erlaubnis des Herrn Verfassers, einen Vortrag desselben in der Deutschen Zoologischen Gesellschaft abzudrucken, aus welchem das Wesent- liche deutlicher, als es durch ein Referat geschehen könnte, hervorgeht. (Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Deutsche Zoologische Gesellschaft 1899). Vortrag des Herrn Georg Duncker (Hamburg). Wesen und Ergebnisse der variationsstatistischen Methode in der Zoologie. Von jeher hat man die zoologischen und botanischen Objekte für gewöhn- lich als isolierte Naturkörper betrachtet, welche einzeln beschrieben und dem Grade ihrer morphologischen und entwicklungsgeschichtlichen Aehnlichkeit nach in abstrakte Gruppenbegriffe, die systematischen Kategorien, zusammen- gefasst werden. Diese herkömmliche Betrachtungsweise ist jedoch insofern unzureichend, als die Individuen irgend welcher systematischen Kategorien niemals einzeln, sondern stets in mehr oder minder großen Komplexen, als In- dividuenstämme, auftreten. Seit ungefähr einem Jahrzehnt nun besteht neben ihr noch eine andere, welche nicht bloß die morphologischen Eigenschaften der einzelnen Iudividuen, sondern vor allem diejenigen der natürlichen Komplexe gleichartiger Individuen zum Gegenstand ihrer Untersuchungen erhebt. Sie nimmt innerhalb der Botanik und der Zoologie dieselbe Stellung ein, wie etwa die Ethnographie in der Anthropologie. Entsprechend ihrer besonderen Aufgaben bedient sie sich einer besonderen Arbeitsmethode, deren mannigfache Entwick- 16* 244 G. Duncker, Die Methode der Variationsstätistik. lungsstufen und Auszweigungen unter dem Namen „Variationsstatistik“ zusammengefasst seien und deren Wesen und Ergebnisse uns hier beschäftigen sollen. In der Anthropologie ist die Variationsstatistik seit 4—5 Jahrzehnten heimisch. Der Grund hiefür liegt teils darin, dass am Menschen zuerst die Verschiedenheit der Individuen in ihren einzelnen Eigenschaften wissenschaft- liche Beachtung fand, teils darin, dass dieser Zweig der Biologie sich am längsten mit Problemen beschäftigt hat, welche sich nicht mehr durch zu- sammenhanglose Beobachtungen an einzelnen Individuen lösen lassen, sondern die eingehende Untersuchung von Individuengruppen als solchen fordern, Pro- bleme, welche vor allem durch die Rassenbildung der Menschheit gegeben sind. Zoologie und Botanik beschäftigen sich zunächst mit der Untersuchung der individuellen Objekte auf ihre einzelnen Eigenschaften und deren Ent- stehung hin (anatomische Morphologie und Entwickelungsgeschichte). Dabei ergiebt sich die morphologische Ungleichwertigkeit der Individuen, so dass sie nach dem Grade ihrer Uebereinstimmung zu Gruppen höheren oder niederen Ranges zusammentreten, welche dann ihrerseits als einheitliche Objekte wissen- schaftlicher Untersuchung dienen (Systematik, vergleichende Anatomie). Derjenige als Einheit angesehene Individuenkomplex, welcher der z00- logischen und botanischen Betrachtungsweise für gewöhnlich zu Grunde ge- legt wird, ist die Species. Mehr oder minder ausschließlich werden alle bio- logischen, systematischen und anatomischen Erkenntnisse auf sie bezogen. Die Species ist jedoch keineswegs etwas Einheitliches; abgesehen von ihren syste- matischen Unterbegriffen, der Varietät und der Rasse, besteht sie empirisch aus Individuen, welche räumlich und zeitlich getrennt sind und gegenseitig in Blutsverwandtschaft verschiedenen Grades stehen. An diesen Individuen nun treten innerhalb der Speeies regelmäßig morphologische Differenzierungen. ihrer gemeinsamen Eigenschaften auf, welche durch sog. konstitutionelle Faktoren (Geschlecht und Entwickelungsstufe), sowie durch die Schar der erkennbaren äußeren Existenzbedingungen (Lokalität, Bodenformation, Klima, Nahrung u. s. w.) hervorgerufen werden. Wirklich einheitliche und in sich ohn Weiteres zusammen- gehörige Individuenkomplexe sind erst solche, deren morphologische Beschaffen- heit durch keinen der genannten Faktoren differenziert worden ist. Doch selbst noch innerhalb solcher „Formeneinheiten“, wie ich sie genannt habe [7], findet man bei Untersuchung jeder einzelnen Eigenschaft individuelle Verschiedenheiten. Die Species ist also nichts in sich Einheitliches, ein Erkenntnis, welche durch die an Unmöglichkeit grenzende Schwierigkeit ihrer Begriffsdefinition bestätigt wird. Sie zerfällt in zahlreiche, durch verschiedene Faktoren be- dingte, in sich variable Formeneinheiten, die sich vielfach zu Rassen oder Varietäten vereinigen lassen. Jede Formeneinheit wieder ist eine Summe von unter sich mehr oder weniger verschiedenen Individuen, deren einzelne Eigen- schaften sich zwar im Laufe ihrer Entwicekelung, d.h. zeitlich, verändern, aber in einem einzelnen gegebenen Zeitpunkt unveränderlich erscheinen, so dass es un- richtig ist, von variierenden oder nicht variierenden Individuen zu sprechen. In- dividuengruppen dagegen sind in jedem Augenblick ihrer Existenz und in jeder einzelnen Eigenschaft variabel. Somit tritt erst an den Eigenschaften von Individuengruppen die Thatsache der Variation hervor und kann nur an solehen erkannt und untersucht werden. Die exakte Kenntnis der Variationserscheinungen ermöglicht eine rich- G; Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 245 tigere Einsicht in die systematische Beziehung von Individuenkomplexen zu einander; ferner ist sie ein Mittel, pathologische von normalen morphologischen Befunden zu unterscheiden; ihre größte Bedeutung endlich erlangt sie für die theoretische Erklärung der als Vererbung und als Descendenz bekannten Be- ziehungen der organischen Individuen zu einander. Objekt einer Variationsuntersuchung sind die Eigenschaften des Indi- viduenkomplexes und zwar, den Gesetzen der Induktion gemäß, zunächst die des primitivsten, der Formeneinheit. Das Ziel derselben ist sowohl qualitativ: die Erkenntnis der existierenden individuellen Verschiedenheiten dieser einzelnen Eigenschaften, die wir ihre Varianten nennen wollen, als auch quantitativ: die Erkenntnis des Häufigkeitsverhältnisses, in welchem die Varianten jeder Eigenschaft zu einander stehen. Der prinzipielle Unterschied zwischen der einzelnen Eigenschaft eines Individuums und der eines Individuenkomplexes besteht also darin, dass die erstere durch eine einzige qualitative Angabe ausgedrückt werden kann, während für die zweite mehrere qualitative Angaben, außerdem aber auch die Angabe des Häufigkeitsverhältnisses, in welchem diese Varianten der Eigenschaft zu einander stehen, notwendig sind. Bisher hat man im all- gemeinen diese Notwendigkeit wenig berücksichtigt. Die Eigenschaften einer Individuengruppe, wie z. B. die der Species, wurden entweder durch kritik- lose Verallgemeinerung entsprechender, als „typisch“ oder „normal“ betrachteter Einzelbefunde oder durch aus meist wenig zahlreichen Einzelbeobachtungen gewonnene Durchschnittswerte, welche natürlich nur idealisierte Einzelbefunde darstellen, oder besten Falls durch Angabe sog. Variationsumfänge (Variations- breiten) beschrieben; die letzteren sind rein zufällige Beobachtungsresultate ohne dauernden Wert, lassen aber wenigstens erkennen, dass die Gruppe in der betreffenden Eigenschaft überhäupt variiert, ohne den Modus ihrer Va- riation anzugeben. Als einzige quantitative Angaben dienten gelegentlich unbestimmte Ausdrücke wie „häufig“ und „selten“. Um jedoch sowohl qualitative Differenzen vergleichbarer Objekte als auch die Häufigkeit jener zu fixieren, bedient man sich der Statistik. Eine Statistik ist die nach bestimmten Gesichtspunkten geordnete Zusammenstellung qualita- tiver Differenzen eines als Untersuchungsgegenstand dienenden Komplexes zahlreicher Objekte und der Häufigkeit, in welcher dieselben gefunden wurden. Zwecks Eıforschung der Variation irgend einer Eigenschaft bei einer Formeneinheit hat man demnach diese Eigenschaft an möglichst zahlreichen Individuen der Formeneinheit zu untersuchen, die Einzelvarianten, in welchen sie bei ihnen auftritt, zu notieren und schließlich die Häufigkeit jeder der so gefundenen Varianten zu ermitteln. Dieses Verfahren ist für jede Eigenschaft, für Form- und Farbverhältnisse sowohl wie für Maß- und Zahlverhältnisse von Organen der Individuen anwendbar. ...... Als erste Erkenntnis vom Wesen der Variation ergiebt sich dann, dass bei etwas größeren Mengen untersuchter Individuen derselben Formeneinheit die relativen Frequenzen der Einzelvarianten der Eigenschaft nahezu konstant bleiben, Hat man also z.B. dreimal je ca. 500 Individuen derselben Formen- einheit auf eine Eigenschaft.hin untersucht und stets nahezu gleiche Prozent- sätze ihrer Varianten gefunden, so darf man auf Grund des Gesetzes der großen Zahlen schließen, dass auch. bei der gesamten Formeneinheit diese Varianten in gleichem Häufigkeitsverhältnis stehen. Zweitens ergiebt sich, dass nahe verwandte Formeneinheiten, wie z. B. die beiden Geschlechter derselben 946 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. Rasse und zu gleicher Entwickelungsstufe, sowohl in dem Durchschnittswert wie in dem Variationsumfang einer Eigenschaft übereinstimmen können und doch in der Frequenzverteilung ihrer Varianten merklich differieren. Solche Diffe- renzen von Individuenkomplexen aber ergeben sich ausschließlich bei der statistischen Betrachtung der Variationsverhältnisse ihrer Eigenschaften. Für isoliert betrachtete, nieht zahlenmäßig ausdrückbare Eigenschaften, wie plastische Form- und Farbverhältnisse, ist die statistische Untersuchung ihrer Variation hiermit abgeschlossen). Handelt es sich jedoch um numerische Eigenschaften, wie Anzahlen homologer Organe, oder Dimensionen, so stellen ihre Varianten Zahlen dar, welche um konstante Größen, die Zählungs- oder die Maßeinheiten, differieren, und dieser Umstand erlaubt eine weitere Verwertung der bisherigen Resultate. Zunächst ordne man die beobachteten Varianten ihrem Zahlenwerte nach und notiere bei jeder derselben die Häufigkeit, in welcher sie bei den (n) untersuchten Individuen gefunden wurde. Auf diese Weise ergiebt sich die empierische Variationsreihe der Eigenschaft für » Individuen. So untersuchte Weldon [20] die Zahl der oberen Rostralzähne an 915 Individuen von Palaemonetes varians aus Plymouth; er fand die Varianten: 1 2 3 4 5 6 7 (Rostralzähne). mit den Frequenzen: 93..18123 ı 3721349: 50: ©1° (Individuen). Für eine solche Variationsreihe erhält man eine übersichtliche graphische Darstellung dadurch, dass man auf einer Abseissenachse als Basis die einzelnen Varianten ihrem Zahlenwerte nach geordnet als Punkte gleichen Abstands einträgt und die’ relative (prozentuarische) Häufigkeit jeder dieser Varianten durch eine in dem betreffenden Punkte errichtete Ordinate von bestimmter Länge darstellt. Die gradlinige Verbindung je zweier benachbarter Ordinaten be- grenzt zugleich mit der als Basis dienenden Abseissenachse das 100 Flächen- einheiten enthaltende Variationspolygon der Eigenschaften (Fig. 1). Der Durchschnittswert der letzteren (hier 4,3117), aus den einzelnen Varianten und ihren Frequenzen ermittelt, ist als ein Punkt (M) der Abseissenachse darstell- bar; die in diesem errichtete Ordinate heisse die Schwerpunktordinate (ye) des Variationspolygons. Der Bipfel des Aolygons liegt gewöhnlich in der Nähe der Schwerpunktordinate; die Variante, zu welcher er gehört, hat man als Modalvariante bezeichnet (Fig. 1, Var.4); dieselbe ist jedoch weder „ty- pischer“ noch „nützlicher“ als irgend eine andere existierende Variante. In Fig. 2 (0, N, P) sind drei Variationspolygone, die Strahlzahl der Afterflosse bei drei verschiedenen Lokalformen von Pleuronectes flesus dar- stellend, über derselben Abscissenachse gezeichnet. Ihre Mittelwerte betragen: westliche Ostsee (0) 39,46, südöstliche Nordsee (N) 41,56, Plymouth (P) 43,61; ihre Modalvarianten sind dementsprechend 39, 41 und 44. Die einzelnen Frequenzordinaten werden in der Regel um so niedriger, je weiter sie sich von der Schwerpunktsordinate entfernen. Ferner ist das Variationspolygon um so breiter und niedriger, je beträchtlicher die Variabi- 1) Neuerdings strebt man mehr und mehr dahin, auch diese Verhältnisse zahlenmäßig auszudrücken; speziell für die numerische Bestimmung von Farben- variationen empfiehlt Davenport (in: Science. N. S. V.9. Nr.220, p. 415—419) die Anwendung eines Farbenkreisels mit gegeneinander verstellbaren Scheiben, welche sechs verschiedene Grundfarben aufweisen. Die bestimmten Kombina- tionen dieser Farben ergeben ein numerisches Maß für die beobachteten Farbenvärianten. G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 247 lität der Eigenschaft ist, während umgekehrt einer geringen Variabilität ein hohes und schmales Variationspolygon entspricht (siehe Fig. 1 und 2). Einen einfachen Ausdruck für. die Variabilität einer Eigenschaft findet man in der Wurzel aus dem Mittel der Quadrate der Abweichungen ihrer einzelnen be- obachteten Varianten von ihrem Durch- schnittswert. Diese Größe, welche wir den Variabilitätsindex (e) der Eigenschaft nennen wollen, ist als ein Abschnitt der Abseissenachse darstell- bar und in derselben Einheit wie die Varianten der Eigenschaft ausgedrückt. Für die oben angeführte Variations- reihe (Palaemonetes) beträgt e 0,3627 Rostralzähne, für die Reihen von Pleuro- nectes flesus bezw.1,4838, 1,7739, 1,6026 Flossenstrahlen. Während nun die Durchschnitts- werte einer Eigenschaft schon bei ver- schiedenen Formeneinheiten derselben Species beträchtlich differieren können, bleiben ihre Variabilitätsindices nicht nur bei den Formeneinheiten derselben, sondern häufig auch bei denen ver- schiedener,derselben@attung oder sogar nur derselben Familie angehöriger Spe- ciesannähernd gleich !), eine Thatsache, welche bisher nicht genügend beachtet worden ist und deren Bedeutung m. E. darin besteht, dass der Variabilitäts- index der Ausdruck der physiologischen Reactionsfähigkeit eines bestimmten Organs aufdie gleich näher zu betrach- tendenindividuellen Variationsursachen hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft ist. Kig:.1; Empirisches ( - ); und theore- tisches ( ---------- ) Variationspolygon der Zahl der oberen Rostralzähne bei Pa- Taemonetes varians in Plymouth Wel- don [20]. %e Schwerpunktsordinate, errichtet in M (Durchschnittswert), in theoretischer Länge; 4m Gipfelordinate d.Variationskurve ; eVariabilitätsindex. Einzelne Autoren nehmen je- doch eine mehr oder weniger konstante Beziehung zwischen der Größe des Durchschnittswertes einer Eigenschaft und der ihres Variabilitätsindex an. 1) Beispiele: I. Strahlzahlen der bei Pleuronectes flesus, Ostsee Nordsee Plymouth » ” n ” ” n ” ” II. Zahl der Rostralzähne bei Palaemonetes varians (Weldon [20]) n vulgaris americanus (Bumbus [4]) „ Rhombus maximus (Petersen |14]) 62,78 Rückenflosse Afterflosse M € M & 39,46 1,4838 41,56 1,7739 61,7214 2,3895 43,6098 1,6026 65,0600 2,4467 48,6200 1,8188 2,2533 45,86 1,6792 dorsal ventral 4,3137 0,8627 8,2819 0,8145 1,6984 0,4799 2,9781 0,4477 348 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. Durchsehnittswert und Variabilitätsindex einer numerischen Eigenschaft sind die ersten zur Beschreibung ihrer Variation notwendigen Daten. Beide müssen sich stets ergänzen; doch vermögen sie nur eine angenäherte Vor- stellung von der Variation der Eigenschaft zu. geben. Eine vollkommene Be- schreibung derselben liegt erst vor, wenn durch Analyse ihres Variationspoly- gons eine Curve ermittelt ist, welche die- Gestalt desselben bestimmt, ‘d.h. auf welcher die Eckpunkte desselben liegen. Dies setzt aber voraus, dass mathe- matische Beziehungen zwischen den Varianten resp. ihrer Abweichung vom Durchschnittswert der Eigenschaft und ihren Frequenzen bestehen. Fig. 2. Variationspolygone der Strahlzahl der Afterflosse bei drei Lokalformen von Pleuronectes flesus; noch eigenen Zählungen. O0 = westliche Ostsee, N = süd- östliche Nordsee, P = Plymouth. Weitere Erklärungen unter Fig. 1. Schon bei oberflächlicher Betrachtung fällt die Aehnlichkeit der Variations- polygone mit Binomialpolygonen auf. Letztere entstehen durch graphische Darstellung der Summationsreihen, die sich bei der Entwicklung von Binomial- ausdrücken, wie (p+g)‘, ergeben. Thatsächlich stehen beide in naher Ver- wandtschaft zu einander. Bei numerisch variierenden Eigenschaften hat man im Vergleich zum Durchschnittswert positiv und negativ von ihm abweichende Varianten zu unterscheiden. Da jedes Geschehen in der Natur von Ursachen abhängig ist, so sind wir gezwungen, teils positiv, teils negativ wirksame Variationsursachen anzunehmen, über deren Anzahl und Wirkungsintensität jedoch nichts bekannt ist. Diese Ursachen müssen verschieden von denen sein, welche den Gesamtcharakter der Formeneinheit bestimmen und gleichzeitig schwächere Wirksamkeit als diese besitzen. Jedes Individuum einer Formen- einheit nun erfährt sein besonderes Lebensschicksal, und dieser Ausdruck um- fasst die Summe außerordentlich zahlreicher und minimaler, in den verschieden- sten Kombinationen auf es einwirkender Prozesse, die natürlich weder für alle Individuen der. Formeneinheit, noch für jeden Augenblick der Existenz des Einzelwesens dieselben zu sein brauchen. So gelangt man zu der Vorstellung, dass eine enorme Anzahl ihrer geringen Wirksamkeit halber als unter sich gleich- wertig zu betrachtender Elementarursachen der Variation, von denen ein Teil positive, ein anderer Teil negative Abweichungen vom Durchnittswert der einzelnen Eigenschaften hervorzurufen im Stande ist, innerhalb der Formen- G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 949 einheit auf jedes Individuum einwirken könnte, in jedem einzelnen Falle jedoch nur zum Teil einwirkt. Dieser Teil ist eine beliebige Kombination von positiv und negativ wirksamen Varintionsursachen und besitzt als solche eine größere oder geringere Wahrscheinlichkeit, welcher entsprechend auch ihr Effekt inner- halb der Gesamtheit: der Individuen häufiger oder seltener eintritt. Die Gruppe der positiv wirksamen Ursachen kann der negativen an Umfang gleich oder von dieser verschieden sein. Von deraıtigen Ueberlegungen ausgehend hat man die Variationsreihen numerischer Eigenschaften mathematisch untersucht und thatsächlich gefunden, dass die Größe der Variantenfrequenzen dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit von Kombinationen nach den eben besprochenen Bedingungen unterliegt, ein Gesetz, für welches neuerdings Pearson [12] einen umfassenden Ausdruck in seiner verallgemeinerten Wahrscheinlichkeitskurve (Variations- kurve) gefunden hat. Dies ist meines Wissens der erste Nachweis von einer mathematischen Gesetzmässigkeit biologischen Geschehens. — Die weitere Thätigkeit bei der Untersuchung einer Variationsreihe besteht also in der Auf- findung der ihr Variationspolygon bestimmenden Wahrscheinlichkeitskurve. Sie setzt das Studium der bereits ziemlich umfangreichen mathematischen Litteratur über diesen Gegenstand voraus, und ich kann daher an dieser Stelle nicht näher auf sie eingehen. Die Methode Pearson’s habe ich kürzlich in einer Form dargestellt, welche speziell für den Gebrauch seitens des Biologen be- rechnet ist [7]. Die Variationskurven sind symmetrisch, wenn die beiden Gruppen von Variationsursachen gleich, oder asymmetrisch, wenn dieselben ungleich groß sind, und innerhalb der Formeneinheit stets eingipflig, Bei symmetrischen Kurven fallen die Gipfel- und die Schwerpunktsordinate zusammen (Fig. 3b), während sie bei asymmetrischen einen Abstand von einander aufweisen (Fig. 3 «), der mit der Asymmetrie der Kurve wächst. Drückt man diesen Abstand durch den Variabilitätsindex aus, so erhält man eine unbenannte Zahl, den Asym- metrieindex (A) der Kurve, welcher entsprechend der Stellung der Schwer- punkts- zur Gipfelordinate entweder positiv oder negativ ist. Positive Kurven- asymmetrie bedeutet Ueberwiegen der wirksamen Variationsursachen, negative das Gegenteil. Fragt man also nach der Variation einer numerischen Eigenschaft bei einer Formeneinheit, so wird diese Frage durch Angabe des Durchschnitts- werts, des Variabilitäts- und des Asymmetrieindex, sowie durch die Ordinaten- formel der Variationskurve der Eigenschaft vollständig beantwortet. Aus diesen vier Daten kann man die Variationsreihe jederzeit bis auf einen gering- fügigen Fehler!), der mit steigender Anzahl der untersuchten Individuen ab- nimmt, rekonstruieren. Die ersten drei derselben lauten für unser Beispiel (Palaemonetes) M —= 4,3137, e = 0,8627, A= — 0,1735; die Kurve selbst (Fig. 3a) ist eine Variationskurve des Typ IV (Pearson [12]) von der Form yy, (Cs Wlan. =, in welcher y,, m und 7 durch Rechnung zu bestimmende Constante und 9 = f (x) die Variable bedeuten. Der Fehler, um welchen sich das empirische und das berechnete Variationspolygon (Fig. 1) nicht decken, beträgt nur 0,3°/, der Area jedes derselben, wie sich aus der vorzüglichen Uebereinstimmung der 1) Die Größe des Fehlers ist bei sonst gleichen Bedingungen umgekehrt proportional der Wurzel aus der Zahl der untersuchten Individuen. 350 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. empirischen (f) und der berechneten (y) Frequenzen der Variationsreihe er- giebt: Varianten: 0 1 2 3 4 5 6 7 (Rostralzähne) F' a Ne El 1 | (Individuen). Yy 0,1°°7,7 18,3 12272 7374,6 345,9 51,0 505 Ferner lässt sich aus jenen vier Daten der wahrscheinliche Variations- umfang der Eigenschaft für jede beliebig angenommene Individuenzahl be- rechnen; wie aus der Eigenschaft der Variationskurve als einer Wahrschein- lichkeitskurve hervorgeht, ist derselbe direkt von der Anzahl der existieren- IN © Fig. 3. Die Variationskurven von Fig. 1 (a) und Fig. 2 P (b), mit ihren Abseissen und ihren Schwerpunktsordinaten zur Deckung gebracht. «a ist asymmetrisch; ihr Gipfel liegt rechts von der Schwerpunktsordinate, der flacher abfallende Ast links, der steiler abfallende rechts vom Gipfel. 5b ist um die Schwer- punktsordinate symmetrisch. Alle sechs Variationspolygone sowie die beiden Kurven enthalten die gleichen Area 100 - 10 - 2 mm? = 20 cm’. den Individuen abhängig, so dass wir z. B. eine Variante von der Wahrschein- lichkeit —n nicht wohl in einem Stamm von nur 10000 Individuen er- warten dürfen. Findet man umgekehrt bei einer im übrigen gut passenden Variationskurve, dass eine einzelne extreme Variante empirisch wesentlich häufiger auftritt, als es ihrer Wahrscheinlichkeit nach zu erwarten ist, so deutet dieser Befund darauf hin, dass die Variante nicht oder nicht ausschließ- lich durch normale Variation zu stande gekommen ist, sondern dass patho- logische Prozesse bei ihrer Entstehung mitwirkten; diese Annahme findet ihre Kontrolle in der später zu erwähnenden Korrelationsrechnung. Durch derartige Variationsbefunde wurde ich z. B. auf die bisher anscheinend unbekannte G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik, 351 Fähigkeit der Syngnathiden aufmerksam gemacht, nach Verlust der hinteren Körpersegmente nicht nur eine vollständige Schwanzflosse, sondern wahrschein- lich auch das Urostyl zu regenerieren. Ich behalte mir vor, über die betr. Befunde und Experimente an anderer Stelle ausführlich zu berichten. Beim Vergleich mehrerer Formeneinheiten derselben oder verschiedener Species hin- sichtlich einer einzelnen numerischen Eigenschaft müssen alle etwaigen Diffe- renzen jener in den Differenzen der vier statistischen Daten ihren präecisen Ausdruck finden. — Nach Untersuchung sämtlicher Formeneinheiten einer Species auf eine einzelne Eigenschaft hin würde man durch graphische Dar- stellung ihrer Variation ein System von Variationskurven erhalten, die sich zum Teil decken und deren Schwerpunktsordinaten mehr oder weniger von einander entfernt wären, während die Variabilitätsindices annähernd gleiche Länge behielten (siehe Fig. 2). Ein Teil der Formeneinheiten bildete den Aus- druck der konstitutionellen Differenzierung der Species nach Geschlecht und Entwicklungsstufe, während der übrige ihrer Differenzierung durch die Ver- schiedenheit der äußeren Lebensbedingungen entspräche. Haben letztere nicht nur eine einzige, sondern mehrere Eigenschaften gleichzeitig beeinflusst, so liegt Rassen- oder Varietätenbildung innerhald der Species vor. Bisher handelte es sich um die Variation je einer einzelnen Eigenschaft in der Formeneinheit. Da jedoch alle Eigenschaften derselben |variiren, so bleibt zu untersuchen, ob dies stets unabhängig von einander geschieht oder ob sich eine Abhängigkeit zwischen den Variationsprozessen verschiedener Eigenschaften nachweisen lässt. Auch hier kommt wieder die Wahrscheinlich- keitsrechnung zu Hilfe. Die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens unab- hängig von einander eintretender Ereignisse ist bekanntlich gleich dem Produkt der Wahrscheinlichkeit des Eintretens jedes einzelnen dieser Ereignisse. Jede Abweichung von diesem Verhalten innerhalb einer gröfseren Beobachtungs- serie lässt auf eine ursächliche Beziehung der Ereignisse, hier der individuell kombiniert auftretenden Varianten, zu einander schliefsen. Diese ursächliche Beziehung kann direkt: die eine Eigenschaft eine Variationsursache der anderen (Korrelation s. str.), — oder indirekt sein: beide sind von gemeinsamen Variationsursachen abhängig (Symplasie). Der Vergleich der wirklichen Fre- quenzen von individuellen Variantenkombinationen zweier Eigenschaften inner- halb einer größeren Menge von Individuen derselben Formeneinheit mit ihren wahrscheinlichen Frequenzen lässt also stets erkennen, ob zwischen diesen Eigenschaften sogenannte korrelative Beziehungen bestehen oder nicht. Hinsichtlich numerischer Eigenschaften nun existieren einfache Berech- nungsmethoden (Galton, Pearson) für den Grad der Abweichung der wirk- lichen Frequenz ihrer Variantenkombinationen von ihrer wahrscheinlichen Häufigkeit. Diese ergeben unbenannte Zahlen zwischen Null (keine Abweichung von der Wahrscheinlichkeitsrechnung) und Eins; durch letztere wird der denk- bar höchste Grad der Abweichung der Kombinationsfrequenzen von ihrer Wahrscheinlichkeit bezeichnet, insofern jede einzelne Variante der einen Eigenschaft bei sämtlichen sie aufweisenden Individuen nur mit einer be- stimmten einzelnen der anderen kombiniert auftritt. Solche unbenannten Zahlen heißen die Korrelationskoeffizienten der untersuchten EFigen- schaftspaare. Der empfehlenswerteste Korrelationskoeffizient wird nach Pearson’s Methode [13] als das mittlere Produkt der individuell kombiniert auftretenden relativen Abweichungen der beiden Eigenschaften von ihren Durch- schnittswerten berechnet, wobei unter „relativen Abweichungen“ die absoluten 352 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. Abweichungen ausgedrückt durch ihre Variabilitätsindices zu. verstehen sind. Wie die Variabilitätsindiees homologer Eigenschaften, so zeigen auch die Korrelationskoeffizienten homologer Eigenschaftspaare eine gewisse Aehnlich- keit, selbst bei verschiedenen Species (Warren [17]). Ich erblicke in die- sem Verhalten wiederum den Ausdruck von physiologischen Reaktionen der Organe hinsichtlich der betr. Eigenschaften. Je nachdem die korrelativ kombinierten Varianten zweier Eigenschaften durchschnittlich beide gleichzeitig über resp. unter ihren Durchschnittswerten liegen oder die eine von ihnen eine positive, die andere eine negative Ab- weichung von ihrem Durchschnittswert darstellt, erhält man positive oder negative Korrelationskoeffizienten und spricht demgemäfs von positiver oder negativer Korrelation. Variationsreihen, welche in positiver Korrelation stehen, streben zur Bildung konstanter Differenzen der individuell kombinierten Varianten (Antimerie), umgekehrt solche, die in negativer Korrelation zu einander stehen, zur Bildung konstanter Variantensummen (Metamerie), und zwar wird die Konstanz dieser Summen resp. Differenzen um so bemerkbarer, je höher der Korrelationskoeffizient ist. Die Konstanz der Variantensummen d. i. negative Korrelation, kommt vorwiegend für metamer angeordnete Eigen- schaften, bei sog. homöotischer Variation derselben in Betracht, die der Variantendifferenzen, also positive Korrelation, bei antimer angeordneten Eigenschaften, besonders bei solchen mit symmetrischer Variation. — Bei partiell abnormer Variation einer Eigenschaft werden ihre korrelativen Be- ziehungen zu anderen Eigenschaften seitens ihrer abnormen Variante durch- brochen. Wie es möglich ist, die Frequenzen von individuellen Varianten- kombinationen zweier oder mehrerer Eigenschaften auf ihre Wahrscheinlichkeit, resp. ihre korrelativen Beziehungen hin zu prüfen, so ist es umgekehrt möglich, das Zusammentreffen von Varianten einer und derselben Eigenschaft bei zwei oder mehreren Individuen, die zu einander in bestimmten Beziehungen stehen, in gleicher Weise zu behandeln. Dies kann z. B. bei dem Nachweis in Be- tracht kommen, ob eine Eigenschaft bei der geschlechtlichen Zuchtwahl eine Rolle spielt; ferner bei der Untersuchung, ob eine Eigenschaft erblich ist oder nicht. In ersterem Falle müssen die durch die Paarung bewirkten Variantenkombi- nationen einer und derselben Eigenschaft der weiblichen Tiere korrelative Beziehungen aufweisen, also nicht bloß durch ihre Wahrscheinlichkeit bedingt sein, im zweiten gilt dasselbe für Erzeuger und Nachkommen. Diesem 200- logisch noch fast!) völlig brach liegenden Gebiet haben sich Galton und Pearson auf anthropologischem Felde gewidmet. Variationsstatistische Untersuchungen sind für alle Arten von Figen- schaften möglich; ihre unmittelbaren Resultate bestehen in der Erkenntnis der relativen Frequenz ihrer Varianten und darin, ob ihre Variation in Abhängig- keit von derjenigen anderer Eigenschaften steht oder nicht. Sofern es sich um numerisch ausdrückbare Eigenschaften handelt, erhält man außerdem das spezielle Gesetz, nach welchem sich ihre Varianten auf die existierenden Individuen der Formeneinheit verteilen, und den Korrelationskoeffizienten, nach welchem die Varianten verschiedener Eigenschaften individuell kombiniert auf- 1) Warren [18] hat neuerdings eine kleine Studie über parthenogenetische Vererbung bei Daphnia veröffentlicht. | G. Duncker, Die Methode der Variationsstätistik. 355 treten. Aus der mathematischen Analyse der Variationserscheinungen ergiebt sich, dass konstitutionelle Faktoren und die erkennbaren äußeren Lebensbe dingungen die Species zu Formeneinheiten und deren Obergruppen differenzieren, welche in erster Linie durch die Durchschnittswerte ihrer Eigenschaften ge- kennzeichnet sind. Innerhalb der Formeneinheit sind zahlreiche weitere un- bekannte Variationsursachen in schwächerem Maße wirksam, welche durch ihre Kombination die individuellen Verschiedenheiten der Eigenschaften in charakteristischen Frequenzverhältnissenhervorrufen. Jenach der physiologischen Eigenart der Organe bestimmter Species reagieren dieselben hinsichtlich ihrer Eigenschaften stärker oder schwächer auf die Variationsursachen, so dass jene ihren Ausdruck in den Variabilitätsindizes der letzteren findet. Der Gedanke, Individuenkomplexe statistisch bis zur Aufstellung von Variationsreihen zu durchforschen, ist nicht neu; speziell in der Ichthyologie, in welcher weitaus die meisten systematischen Merkmale Maße und An- zahlen, also numerische Eigenschaften sind, hat bereits 1857 A. Czernay [5] „Beobachtungen über das Variieren der Artkennzeichen der Sülswasserfische in der Umgegend von Charkow“* angestellt. Aus den siebziger Jahren sind hier ferner Heincke’s [10] Untersuchungen über die Varietäten des Herings zu erwähnen. Doch alle derartigen älteren Arbeiten beziehen sich stets auf ein so kleines Material, dass es für die mathematische Analyse der Variations- erscheinungen wertlos bleibt. Erst 1890 erschien in den Proc. Roy. Soc. London die erste zoologische Arbeit, in welcher die Ergebnisse statistischer Beobachtungsreihen numerischer Eigenschaften mathematisch analysiert wurden. Weldon [19] hatte, Galton’s Anregung folgend, Crangon vulgaris von drei Fundorten auf vier verschiedene Dimensionen in größeren Mengen untersucht und gefunden, dass ihre Variation dem Gauss’schen Fehlergesetz, einem häufigen Specialfalle von Pearson’s verallgemeinerter Wahrscheinlichkeitskurve, folgte und dass dieselben für jeden dieser Fundorte eigentümliche Mittelwerte besaßen. Hieran anschließend ‘wies Weldon [21] zwei Jahre später korrelative Beziehungen zwischen einigen untersuchten Eigenschaften von Crangon nach Galton’s Methode nach. Es folgte eine Reihe von Untersuchungen über Variation und Korre- lation bei Carcinus maenas, Alters-, Geschlechts- und Fundortsunterschiede gewisser Dimensionen behandelnd und dieselben zum Teil auf selektive Prozesse zurückführend [22, 23]. Ferner ergab sich hierbei ein Dimorphismus des weiblichen Geschlechts der Neapler Lokalform, welchen Girad [9] auf parasitäre Einwirkungen zurückzuführen suchte. Inzwischen beschäftigten sich Weldon’s Schüler Thompson und Warren mit der Variation und Korre- lation von Dimensionen des Palaemon serratus |15|, Careinus maenas [16| und Portunus depurator |17|. Warren konstatierte zuerst die später wiederholt bestätigte Thatsache, dass Korrelationskoeffizienten homologer Eigenschaften nicht nur bei den Formeneinheiten derselben, sondern auch bei solchen ver- wandter, aber verschiedener Spezies annähernd gleich bleiben. Auch hat Warren als erster Zoologe Pearson’s veryollkommnete Methodik in der mathematischen Analyse statistischer Untersuchungsreihen befolgt. Thomp- son fand, dass eine und dieselbe Formeneinheit in verschiedenen Jahren bestimmt gerichtete Abänderungen ihrer Eigenschaften nach Durchschnitts- wert und Variabilitätsindex erkennen lässt, ein Befund, der von Wel- 254 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. don weiter verfolgt und erst kürzlich [24] als ein Beweis zu Gunsten der Selektionstheorie angeführt wurde. Während der Führer der englischen statistisch-zoologischen Schule vor allem das Selektionsproblem verfolgt, hat sich die nordamerikanische Schule unter Führung C. B. Davenport’s mehr morphologischen Untersuchungen gewidmet. An einem sehr reichen Material (4060 Individuen) untersuchte zu- erst Davenport in Gemeinschaft mit C. Bullard [6] den Einfluss des Ge- schlechts auf die Variations- und Korrelationskonstanten. Auf seine Anregung hin untersuchten ferner Brewster [1] und Field [8], der eine an Säugetieren, der andere an Insekten, die Beziehung zwischen der Variabilität bestimmter Eigenschaften und ihrer systematischen Bedeutung, um zu dem Resultat zu gelangen, dass jene mit dieser steige. Allerdings scheint mir das Untersuch- ungsmaterial dieser Forscher zur definitiven Erledigung der Frage noch zu klein. Neben diesen mathematisch-analytischen Arbeiten sind seit dem Auf- kommen der statistischen Methode noch manche nicht analytische veröffent- licht worden, welche ebenfalls ein großes Untersuchungsmaterial umfassen ; von diesen möchte ich als besonders interessant Bumpus’ Untersuchungen über Variation und Mutation zweier von Europa nach Nordamerika eingeführ- ter, recht heterogener Tierarten erwähnen, des Sperlings [2] und der Strand- schnecke [3]. In beiden Fällen ist vor Allem die bedeutende Steigerung der Varjabilität gegenüber den europäischen Stammformen bemerkenswert. In Deutschland stehen auf zoologischem Gebiet Heincke und iel mit der Anwendung der variationsstatistischen Methode noch isoliert da. Heinckes Interesse liegt vorwiegend auf dem Gebiet der Rassenbildung innerhalb der Species, und ich betrachte als eine besonders wichtige Erweiterung der Vari- ationsstatistik seine Methode, auf Grund der statistischen Eigentümlichkeiten der einzelnen Rassen die Zugehörigkeit jedes einzelnen Individuums zu einer von ihnen zu bestimmen [11]. — Die Zahl der Mitarbeiter auf botanischem Gebiet nimmt von Jahr zu Jahr in erfreulicher Weise zu. Abgesehen von deutsch veröffentlichenden ausländischen Forschern, wie H. De Vries und E. Verschaeffelt, hat sich F. Ludwig seit Langem mit der statistischen Erforschung des Fibonacci-Gesetzes') im Pflanzenreich und H. Voechting kürzlich in einer klassischen Arbeit mit Blütenvariation beschäftigt. Der große Vorzug der botanischen Objekte besteht in ihrer leichteren Verwendbarkeit für das Experiment, wie z. B. bezüglich der Erforschung der Vererbungsgesetze. 1) Das Fibonacci-Gesetz drückt die Thatsache aus, dass ihrer Anzahl nach variierende Organe der Pflanzen, wie Blüten eines Blütenstandes, Kelch- und Kronenblätter, Staubgefäße ete. nicht nur eine maximale Variante und da- her eine eingipflige Variationskurve aufweisen, sondern dass gewisse Vari- anten, die einem bestimmten Zahlengesetz unterliegen, stets häufiger auftreten, als die unmittelbar benachbarten; so entstehen Variationskurven mit mehreren jedoch ungleich hohen Gipfeln. Die so bevorzugten Anzahlen gehören in erster Linie der Reihe 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21 ete. (Fibonacci-Reihe) an, in welcher von 3 ab jedes neue Glied gleich der Summe der beiden vorhergehen- den ist; als Nebengipfel der polymorphen Kurve treten überdies häufig ganz- zahlige Multipla dieser Zahlen auf. Verwandte Erscheinungen finden sich im Tierreich bezüglich der variierenden Segmentzahl der Chilopoden, bei denen die ungeraden, und der Skyplıomedusen, bei denen die geraden Zahlen häufiger sind, als die entgegengesetzten. (Nachträglicher Zusatz des Herrn Vortragenden.) G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 955 Falls es mir in diesem Vortrag gelungen ist, nachzuweisen, dass die variationsstatistische Methode auf haltbaren logischen Grundlagen beruht und durch ihre Eigenart im Stande ist, neue und wertvolle Erkenntnisse zu fördern, die nieht mittels irgend einer anderen Arbeitsmethode gewonnen werden können, so glaube ich die Hoffnung hegen zu dürfen, dass ihre Anwendung auch bei den deutschen Zoologen allmählich Verbreitung finden wird. Die für sie not- wendigen mathematischen Vorkenntnisse gehen nicht über die Anforderungen des Maturitätsexamens hinaus. Die exakten und eindeutigen Resultate der analytischen Methode bieten einen besonderen Reiz, und es darf nicht über- sehen werden, dass eine präcise Ausdrucksweise jeder wissenschaftlichen Thätigkeit zum Vorteil gereicht. Die rein statistische Forschung, sei sie auf die Lösung theoretischer oder auf die morphologischer Probleme gerichtet, betrachte ich nur als die Vorstufe zu einer wichtigeren Arbeitsrichtung, bei welcher statistisch-analytische und somit kritisch verwertbare Resultate mit Hilfe von Massenexperimenten gewonnen werden. Hierzu würde allerdings ein beson- deres Institut notwendig sein, welches sich von dem üblichen biologischen Laboratorium durch den grossartigen Maßstab seiner Einrichtungen zu Zucht- zwecken, vom taxonomischen Museum durch Vorkehrungen zur übersichtlichen Bewahrung großer Mengen gleichartiger Individuen unterschiede, deren Nach- untersuchung sowohl zur Kontrolle als zur Vervollständigung früherer Forsch- ungen wichtig werden kann. Auf die hervorragende praktische Bedeutung eines solchen Instituts für Land-, Forst- und Gartenwirtschaft, für Fischerei und Viehzucht kann ich an dieser Stelle nur hinweisen; seine Hauptaufgabe aber bliebe naturgemäß die wissenschaftliche Forschung, deren Resultate direkt oder indirekt wieder der Praxis zu Gute kommen. -- Vorerst aber wünsche ich der statistisch-analytischen Methode in der Zoologie die ihr gebiührende Anerkennung: nicht als der einzig giltigen Art wissenschaftlichen Arbeitens, sondern als eines neuen und den übrigen gleich geachteten Werkzeugs zum Aufbau unserer Wissenschaft. Verzeichnis der angeführten Schriften. 41. Brewster, E. T., A measure of variability and the relation ofindividual variations to speeifie differences, in: Proc. Amer. Ac. Arts Se. V. 32. Nr. 15, 1897, p. 268— 280. 2. Bumpus, H.C., The variations and mutations of the introduced sparrow, in: Biol. Leetures Woods Holl (1896), 1897, p. 1—15. 3. —, The variations and mutations of the introduced Littorina, in: Zool. Bull. V.1 Nr. 5, 1898, p. 247 —259. 4. —, On the identifieation of fish artıfieally hatched, in: Amer. Natural, V.32, Nr. 378, 1898, p. 407—412. 5. Czernay, A., Beobachtungen über das Variieren der Artkennzeichen der Süßwasserfische in der Umgegend von Charkow, in: Bull. Soc. Imp. Natural. Moscou Vol. 30, Nr. 1, 1857, p. 227— 249. 6. Davenport, C. B. and Bullard, C.,, Studies in morphogenesis. VI.: A contribution to the quantitative study of correlated variation and the comparative variability of the sexes, in: Proc. Amer. Ac. Arts Se. V.32, Nr.4, 1896, p. 85—97. 7. Duncker, G., Die Methode der Variationsstatistik, in: Arch. Entwicke- lungsmech. V.8, H. 1, p. 112-187. Sep.: Leipzig, Engelmann, 1899. Field, W.L. W., A contribution to the study of individual variation in » 956 G. Duncker, Die Methode der Variationsstatistik. 10. 41: the wings: öf Lepidoptera, in: Proc. Amer. Ac. Arts Se. V. 33, Nr. 21, 1898, p. 389 — 39. . Giard, A., Sur ceertains cas de dedoublement des courbes de Galton dus au parasitisme et sur le dimorphisme d’origine parasitaire, in: C. R. Soc. biol. (ser. 10.) V. 1, No.13, 1894, p. 360—353. Heincke, F., Die Varietäten des Herings, in: Jahresb. Comm. wiss. Unters. dtsch. Meere. I: Jg. 4—6, 1876—1878, p. 37—132. II: Jg. 7—11, 1879— 1883, p- 1—86. —, Naturgeschichte des Herings, in: Abh. dtsch. Seefischerei-Ver. V.2, H. 1 u. 2, 1898. . Pearson, K., Contributions to the mathematical theory of evolution. II. Skew variation in homogeneous material, in: Phil. Trans. Roy. Soe. London. V. 186 A, No. 123, 1894, p.71—110. —, Idem. III. Regression, heredity and panmixia, ibid. V. 18TA, No. 175, 1896, p. 253— 318. . Petersen, C. G. J., On the biology of our flat-fishes: Appendix I. in: Dan. biol. Station Rep. 4 (1893), 1894, p. 123—137. . Thopmson, H., On correlations of certain external parts of Palaemon serratus. in: Proc. Roy. Soc. London. V.55, No. 333, 1894, p.234— 240. — , On certain changes observed in the dimensions of parts of the cara- pace of Carcinus maenas, ibid. V. 60, No. 361, 1896, p. 195 —198. . Warren, E., Variation in Portunus depurator, ibid. No. 362,:1896, 221—243. —, An observation on inheritance in parthenogenesis, ibid. V.65 No. 415, 1899, p. 154—158. . Weldon, W. F. R.,, The variations oceurring in certain Decaped Crustacea. I. Crangon vulgaris, ibid. V. 47, No. 291, 1890, p. 445—453. —, Palaemonetes varians in Plymouth, in: Journ. mar. biol. Assoc. Un. Kingd. (N. S.) V.1, Nr.2, 1892, p. 459—461. ‚ Certain correlated variations in SE vulgaris, in: Proc. Roy. Soc. ran V.51, No. 308, 1892, p. 2—21. ‚ On certain correlated variations in Mares maenas, ibid. V.54, N0.328, " 1898, p. 318—329. —, Report of the ecommittee for conducting statistical inquiries into the measurable characteristics of plants and animals. Part I: An attempt to measure the death-rate due to selective destruction of Carcinus maenas with respect to a particular dimension, ibid, V.57, No. 344, 1895, p. 360—379. —, On the prineipal objections urged against the theory of natural se- leetion, in: Rep. 68. Meet. Brit. Assoc, Bristol. 1890, p. 887—902, und in: Nature, V.58, No. 1508, 1898, p. 499—506. Deutscher Verein für öffentliche Gesundheitspflege. Die diesjährige Jahresversammlung wird in den Tagen des 12. bis 15. September in Trier stattfinden. Folgende Verhandlungsgegenstände sind in Aussicht genommen: 1. Maßregeln zur "Bekämpfung der Pest. 2. Die kleinen Woh nungen in Städten, ihre Beschaffung und Verbesserung. >. Wasserversorgung mittels Thalsperren in gesundheitlicher Be- ziehung. 4. Ursachen u. Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit. a Hygiene des eur ads. Ve von Ders Georgi in R -- Drac® der = Dr Hof- mg Univ. - Fe druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. Inhalt: @. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. — N. Cholodkovsky, Ueber den Lebenszyklus der Ühermes-Arten und die damit verbundenen allgemeinen Fragen. — Otto Amberg, Die von Schröter- Amberg modi- fizierte Sedgwick-Rafter’sche Methode der Planktonzählung. — %aupp, Ecker’s und Wiedersheim’s Anatomie des Frosches. 15. April 1900. RE 9: Die Auxosporenbildung der Diatomeen. Von G. Karsten. Zu den wenigen Organismen, die sich der Beachtung von zoolo- gischer und botanischer Seite seit langer Zeit fast gleichmäßig zu er- freuen hatten, gehören die Diatomeen. Die Ursachen dieser Bevor- zugung liegen auf der Hand. Ihre Häufigkeit, die Schönheit und Dauerhaftigkeit der Schalenzeichnung zogen frühzeitig die Blicke der Mikroskopiker an, welche hier ein Objekt fanden, das mit zunehmen- der Schärfe und Vergrößerung immer neue Einzelheiten erkennen ließ und somit bald zu einem allgemein anerkannten Maßstab für die Brauchbarkeit der Instrumente wurde. Der Gefahr durch die An- ziehungskraft der äußeren Hülle von der Beobachtung und Erkennt- nis des eigentlichen lebenden Objektes abgehalten zu werden, sind naturgemäß die botanischen Beobachter leichter zum Opfer gefallen als die zoologischen, da sie in der Schalenzeichnung ein Mittel sahen, die systematischelStellung der zahllosen Diatomeenformen zu einander aufzuklären. Die Zoologen dagegen wurden meist durch die Bewe- gungsfähigkeit dieser Zellen gefesselt, die ihnen durch den scheinbaren Mangel eigentlicher Bewegungsorgane zu einem besonders anziehenden Gegenstand der Untersuchung geworden sein dürfte. Die wesentliche Verschiedenheit der Diatomeenzelle anderen XX 17 958 G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. Pflanzenzellen gegenüber wurde in Pfitzer’s!) grundlegender Arbeit ausführlich dargestellt. Die Zweischaligkeit der Zellhaut, d. h. ihre Zusammensetzung aus zwei Schalen verschiedenen Alters, deren eine in die andere eingeschachtelt ist, die Unfähigkeit der Schalen in irgend einer Riehtung zu wachsen, so dass die Zellvergrößerung auf die Ent- fernung einer Schale von der anderen beschränkt bleiben muss, end- lich die hieraus folgende stete Verkleinerung der von einer Mutterzelle sich ableitenden Tochterzellen und die plötzliche Wiederausgleichung der erlittenen Größenabnahme durch zeitweise Entwickelung von Auxo- sporen — das sind die wichtigsten Ergebnisse der erwähnten, 1871 erschienenen Veröffentlichung, die sich jetzt allgemeiner Anerkennung erfreuen. Die Art und Weise, wie die Auxosporenentwickelung stattfindet, fand aber durch Pfitzer für die Mehrzahl der Formen keine genü- gende Aufklärung, obgleich der Vorgang eine der für die Existenz- fähigkeit dieser Gewächse wichtigsten Begebenheiten ihres Lebens dar- stellt. Vielleicht ist hierin ein Grund zu suchen, dass dies Gebiet un- serer Wissenschaft zwei Jahrzehnte lang fast völlig brach liegen musste. Und doch waren erst einige Jahre vor Beginn seiner Arbeit von J. Lüders?) bequem zu handhabende Methoden angegeben, welche eine kontinuierliche Beobachtung der Entwickelung gestatteten. Einen direkten Rückschritt bedeutete dem gegenüber der Aufsatz von Fr. Schmitz), der an einem von Lüders vorher untersuchten Ob- jekte durch unvollständige Beobachtung zu einem unrichtigen Resul- tate kam und leider die Angaben von Lüders damit für lange Zeit zu diskreditieren vermochte. Es sind sonst nur noch die Arbeiten von Schütt*) zu nennen, welche die Auxosporen einiger Plankton-Dia- tomeen kennen lehrten, bis Klebahn’) den Bann brach und die Auxosporenbildung von Rhopalodia gibba ausführlich darstellte. Durch Ausnützung der besonders günstigen Verhältnisse des Kieler botanischen Institutes gelang es mir bald darauf eine ganze Reihe von Auxo- sporenbeobachtungen an marinen Formen zu machen®), so dass jetzt diese Lücke einigermaßen ausgefüllt sein dürfte. Dabei stellte sich 4) E. Pfitzer, Bau und Entwickelung der Bacillariaceen. Aus: Botan. Abhandlungen herausgegeben von J. Hanstein, II. Heft, Bonn 1871. 3) Beobachtungen über Organisation, Teilung und Kopulation der Dia- tomeen, Bot. Ztg. 1862, 41. 3) Bildung der Auxosporen von Cocconema Cistula, Ehrbg., Botan. Ztg. 1872, 117. 4) Auxosporenbildung von Rhizosolenia alata, Ber. D. Bot.Ges. 1886, 3. Auxosporenbildung der Gattung Chaetoceros, Ber. D. Bot. Ges. 1839, 361. 5) Beiträge zur Kenntnis der Auxosporenbildung, I, Rhopalodia gibba (Ehrenb.) 0.Müller, Pringsh. Jahrb. f. w. Bot. XXIX, 595, 1896. 6) &. Karsten, Untersuchungen über Diatomeen I—III, Flora 1896— 97 G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. 359 heraus, dass die Beobachtunger vonLüders bis dahin fast allein auf Zuverläßigkeit Anspruch machen konnten. Betrachten wir hier den Vorgang an einigen charakteristischen Beispielen: Rhabdonema arcuatum ist eine häufige Diatomee der Ostsee, welche an tieferen Stellen zwischen Florideen ete. ihre Zellen zu langen, flachen Bändern oder Ziekzackketten vereinigt und sich mit einer End- zelle durch kleine Galiertpolster an beliebigen Stützen befestigt. Der Schalenbau ist recht kompliziert insofern, als jede Schale aus einer oft erheblichen Anzahl von Zwischenschalen zu bestehen pflegt, die dem Längenwachstume der Zelle folgend gebildet werden und deren jede durch unvollständige Septen den Zellraum kammert, so dass nur in der Mitte eine ovale Oeffnung durch die ganze Zellenausdeh- nung erhalten bleibt. Wenn nun eine derartig herangewachsene Zelle, die sich dem Wachstumgesetze der Diatomeenzellen gemäß nur in der Richtung ihrer Längsaxe auszudehnen vermag, zur Auxosporenbildung schreitet, so teilt sich ihr Zellinhalt in zwei Teile. Darauf werden die Schalen auseinander gedrängt, und eine Gallertblase verbindetihre klaflen- den Ränder. Der plasmatische Zellinhalt tritt aus beiden Schalen in die an Umfang wachsende Gallertblase ein und bildet zwei gesonderte Klumpen. Jeder dieser Klumpen wächst in sehr kurzer Zeit zu einem die verlassen daneben liegende Mutterschale erheblich überragenden läng- lichen Körper, der Auxospore, heran, welche von einem kieselsäurehaltigen, allseitig geschlossenen, quergeringelten Panzer, dem Perizonium um- hüllt ist. Innerhalb dieses Perizonium scheidet der von der Wand zurücktretende Plasmakörper nacheinander zwei Schalen aus, welche den Mutterschalen gleichen, ihnen aber an Größe überlegen sind. Die junge Rhabdonema-Zelle ist jetzt wiederum auf das Wachstum in Rich- tung ihrer Längsaxe beschränkt. Nach Sprengung des Perizonium werden zahlreiche Zwischenschalen eingeschoben werden, es wird eine sehr große Zahl von Zellteilungen stattfinden, schließlich aber wird die Nachkommenschaft der von der Auxospore her verfolgten Zelle wiederum so starke Größenverminderung erfahren haben, dass aber- malige Auxosporenbildung eintreten muss. Der ganze Vorgang besteht hier also in einer modifizierten Zell- teilung: die Tochterzellen werfen die alten, zu klein gewordenen Scha- len ab und umhüllen sich nach schnell erfolgter Streckung mit neuen, größeren, Eine verwandte Species Rhabdonema adriaticum zeigt ein etwas abweichendes Verhalten. Nachdem die Teilung des Kernes vollendet und Diatomeen der Kieler Bucht 1899. Wissenschaftl. Meeresuntersuchungen, IV, 2, 1899; hier die weitere Litteratur, =] er 960 G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. ist, wird einer der beiden Tochterkerne nicht weiter ernährt. Er nimmt an Größe ab und wird schließlich aus dem Zellplasma aus- gestoßen. Bei der inzwischen erfolgten Oeffnung der Schalen ver- einigt sich dementsprechend das ganze Zellplasma zu einer einzigen, der vorher besprochenen in der Form sehr ähnlichen Auxospore. Diesem Vorgange bei Rhabdonema adriaticum entspricht die Auxosporen- bildung bei der Gesamtheit der centrischen Diatomeen, welche ihrer Mehrzahl nach dem Plankton angehören. Zwar ist die Teilung des Kernes durchaus nicht immer nachgewiesen, sie wird in vielen Fällen vielleicht auch nieht mehr nachweisbar sein, trotzdem sind Anzeichen genug vorhanden, dass eine Zellteilung der Auxosporenbildung auch in diesen Fällen zu Grunde liegt. Bei Melosiraarten z.B. darf ein solcher Schluss schon aus der Thatsache gezogen werden, dass der Kern seinen Platz in der Zelle mit einem neuen in der Auxospore gelegenen vertauscht, ein Vorgang, der nach allen, in dem Punkte übereinstimmenden Beobachtungen bei dieser Gattung nur nach einer vorausgegangenen Kernteilung einzutreten pflegt. Die Teilung selbst ist bis auf unscheinbare Andeutungen unterdrückt worden. Ganz abweichend spielt sich die Auxosporenentwickelung bei den mit eigener Bewegung begabten Formen ab, welche meist am Grunde oder auf Böschungen des Ufers sich aufhalten, oder aber epiphytisch auf anderen Pflanzenteilen angesiedelt sind. Es sind hier der Regel nach zwei Individuen beteiligt, welche durch Vereinigung ihres In- haltes eine oder zwei Auxosporen bilden. Cocconeis Placentula ist eine epiphytisch lebende kleine Form, die im süßen und salzigen Wasser gleich häufig zu seinscheint. AufObjektträgern sammeln sich leicht große Kolonien dieser zierlichen Form, deren untere Schale dem Bewegung oder Festheftung vermittelnden Plasma Durchtritt durch eine „Raphe“ gestattet, deren die abweichend gebaute obere Schale entbehrt. Es ist nicht schwierig an solchen Objektträger-Kulturen die Ent- wickelung der Auxosporen genau zu verfolgen. Schon an der tieferen und unregelmäßig fleckigen Färbung erkennt man Individuen, welche zu dem Vorgange sich anschieken. Sie liegen meist paarweise nahe beisammen und es scheint völlig gleichgiltig, welche Seiten einander zugekehrt sind. Die Verfärbung des Inhaltes wird durch eine der Auxosporen- bildung vorhergehende Umlagerung des einzigen plattenförmigen Chromatophoren bedingt, welches die umgeschlagenen Ränder einzieht. Zu dieser Zeit fixierte und gefärbte Individuen lassen stets zwei Kerne in jeder der beiden beteiligten Zellen deutlich hervortreten. Der eine, Großkern genannt, überragt den Kleinkern an Größe mehr oder weniger erheblich. Es ist also auch hier ein freilich nur bis zur Kernteilung durchgeführter Teilungsvorgang nachweisbar. G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. 261 DZ Am lebenden Objekt kann der Fortgang leicht weiter verfolgt werden. Man sieht an den einander zugekehrten Seiten der beiden Zellen winzige Gallertpapillen über den Schalenrand hervortreten. Es sind also die Schalendeckel ein wenig gelüftet worden. Darauf erfolgt sehr schnell die Verbindung dieser beiden Papillen und lang- sam tritt der ganze Inhalt einer Zelle rings von dünner Gallertschicht umhüllt in die andere Zelle über. Man könnte sie demnach als männ- liche und weibliche unterscheiden. Dabei sieht man wie die Kerne zu langen spindelförmigen Gebilden gestreckt werden, wie das Chroma- tophor in enge Falten gelegt wird, um den schmalen Weg besser passieren zu können. Die aufnehmende Zelle erfährt bis nach völligem Uebertritt der männlichen Zelle keinerlei Vergrößerung. Nach kurzer Ruhepause tritt dann aber eine plötzliche Streckung ein, welche die Deckelschale hoch emporhebt, während die untere Schale unter der Auxospore deutlich er- kennbar bleibt; die beiden Schalen der entleerten Zelle liegen zur Seite. Die Auxospore erreicht in jeder Richtung etwa das doppelte Maß der Mutterzellen und umhüllt sich schnell mit einem Perizonium, das keinerlei Oberflächenstruktur zu besitzen schien. Die beiden Großkerne nähern sich einander und verschmelzen, die zwei Kleinkerne sind verschwun- den, die beiden Chromatophoren scheinen sich zu einem zu vereinigen, jedenfalls ist bald darauf nur eines nachweisbar. Die Kopulation von zwei Mutterzellen zu einer Auxospore durch Verschmelzung ihres Inhaltes ist außerdem nur noch für Surirella be- kannt, doch muss ich einstweilen unentschieden lassen, ob der Vor- gang genau so verläuft. Cymatopleura, welches sich nach Pfitzer ebenso verhalten soll, zeigte mir in zwei verschiedenen Species stets zwei Auxosporen aus zwei Mutterzellen. Ich muss es noch dahin- gestellt sein lassen, welche Beobachtung dem normalen Vorkommen entspricht. Die bei weitem häufigere Form der Auxosporenentwickelung von Grunddiatomeen liefert zwei Auxosporen und verläuft folgendermaßen. Zwei Mutterzellen einer Naviculee, Cymbellee, Achnanthee oder Nitz- schiee — doch sind für die beiden letztgenannten Familien einige Aus- nahmen bekannt — legen sich parallel neben einander und treten durch mehr oder minder große Gallertabscheidungen in feste Verbin- dung. Jedes Mutterindividuum teilt sich in zwei Tochterzellen, deren jede ihren Kern noch weiter in einen Großkern und einen Kleinkern zerlegt. Darauf vereinigen sich die vier Tochterzellen paarweise mit- einander und aus den beiden Zygoten entwickeln sich die zwei Auxo- sporen, welche in der Mehrzahl der Fälle parallel den Mutterschalen oder bei den Cymbelleen im rechten Winkel zu ihnen auswachsen. Die weiteren Vorgänge innerhalb jeder Auxospore entsprechen völlig dem vorher für Cocconeis geschilderten Verhalten. [6) ©) [s) G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. Die intimeren Vorgänge bei den Kernteilungen mögen hier unerörtert bleiben, da die Untersuchungen darüber noch keines- wegs abgeschlossen sind; jedenfalls hat sich bisher kein Re- sultat ergeben, welches den bekannten Angaben Lauterborn’s über die Teilung der vegetativen Kerne an die Seite gesetzt werden könnte. Als durchgreifendes Merkmal der Auxosporenbildung hat sich bei dieser Betrachtung gezeigt, dass stets eine Zellteilung dem Vorgange unmittelbar voraufgeht, ihn einleitet. Es scheint mir dies eine nicht unwesentliche Thatsache zu sein, da die ganze Erscheinung der Auxo- sporenbildung damit auf einheitlichen Boden gestellt wird. Bei den sroßen Verschiedenheiten, wie die voraufgehende Betrachtung sie ge- schildert hat, wird kaum daran zu denken sein, die Formen direkt von einander abzuleiten, vielmehr können wir nicht verkennen, dass die Auxosporen eine relativ neue Bildung in der Entwickelungsreihe der Diatomeen darstellen. Es ist aus der bisher nur kurz berührten Thatsache, dass erhebliche Verschiedenheiten der Auxosporenentwick- lung innerhalb anerkannter und unzweifelhaft natürlicher Gattungen vorkommen, zu schließen, dass die betreffenden Species dieser Gat- tungen älter sind als die Bildung der Auxosporen; sie würden sonst in der Entstehungsweise übereinstimmen müssen. Wenn wir nun anderer- seits wissen, dass, solange die jetzige Organisation der Diatomeenzelle herrscht, zur Ausgleichung der Zellgröße zeitweilige „Vergrößerungs- zellen“ notwendig sind, so würden wir unsere jetzt lebenden Dia- tomeengattungen und Species bis in Zeiten verfolgen können, in denen ihnen noch ein ganz anderer, der Auxosporenbildung entbehrender Entwickelungsgang zukam. In jenen Zeiten dürfte andauernde Zell- teilung die einzige Art der Vermehrung und Fortpflanzung gewesen sein. Mit dem Auftreten der nach dem Einschachtelungsprinzip gebauten Kieselpanzer sind die einzelnen Diatomeenformen dann zur Auxosporen- einschiebung genötigt worden, deren Bildungsweise der jedesmaligen Ausrüstung der Form angepasst sein musste. Vielleicht kann außerdem die Auxosporenbildung als in physio- logischer Beziehung abhängig von einer vorausgehenden Zellteilung gedacht werden. Osmotische Versuche haben wiederholt dargethan, dass der Wider- stand, welchen die Diatomeenzellen einer Oeffnung durch Steigerung des Turgors entgegensetzen, sehr beträchtliche Werte erreichen kann, obgleich nur die Reibung der Gürtelbänder gegeneinander zu über- winden ist. Ein regelmäßiges Auseinanderweichen der Schalen erfolgt aber nach jeder Kernteilung, beziehungsweise bei jeder Zellteilung. Es scheint daher nicht außer dem Bereiche der Möglichkeit zu liegen, dass etwa eine Abhängigkeit der Schalenöffnung von einer auslösend wirkenden Kernteilung vorhanden sei. G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. 263 Auf noch eine weitere Thatsache möchte hier hinzuweisen sein. Nach allem vorher Gesagten ist mit der wichtigste Punkt bei der Auxosporenbildung der, dass diese Zellen thatsächlich wachsen, dass sie der neuen Generation eine Größe erwerben, von der aus eine Zeit lang die stetigen Einbußen bei jeder Zellteilung ertragen werden können. Und wirklich lassen sich in allen aufgeführten Typen die Perioden der ersten Auxosporenbildung und diejenige ihres Wachstumes deutlich auseinanderhalten. Sehr klar tritt diese Scheidung bei Coc- coneis Placentula hervor. Der Inhalt der beiden Mutterzellen fließt zusammen und nimmt zunächst mit dem bis dahin von der Hälfte des Auxosporenplasma innegehabten Raume vorlieb. Es ist also nicht etwa die notwendige Folge der Vereinigung zweier Zellen, dass sich die Auxospore jetzt ausdehnen müsste. Vergleicht man z. B. den völlig analogen Fall der Kopulation von Spirogyra, so begnügt sich auch hier die verdoppelte Plasmamasse der Zygote mit einem ge- ringeren Raume als die eine der kopulierten Zellen vorher allein ausfüllte. Das bei Cocconeös gleich eintretende Wachstum der Auxo- spore ist demnach der zweite wesentliche Abschnitt der Auxosporen- bildung, welcher bei den anders organisierten Konjugaten fehlt. Bei den einfacheren asexuell verlaufenden Typen des Vorganges setzt dagegen die Wachstumsperiode sofort nach der Oeffnung der Mutterzelle ein. Daran schließt sich naturgemäß die Frage, warum können denn die Auxosporen wachsen, obgleich auch ihre Wandung von Kiesel- säure imprägniert ist, während die Diatomeenzellen es nicht können? In der Fragestellung liegt bereits, dass nicht etwa die Einlagerung von Kieselsäure das Hindernis des Wachstumes bilden kann; ebenso ist die schon vorher erörterte Art des Wachstumes durch Entfernung der beiden Schalen von einander hier nicht gemeint. Nehmen wir vielmehr als Beispiel etwa eine Naviculazelle, so ist ihre natürliche Längsaxe, d.h. die gerade Verbindungslinie ihrer Schalenmittelpunkte eine sehr kurze Linie im Vergleich zu derjenigen, welche in die ellip- tische Teilungsebene als große Axe einzutragen wäre. Diese Axe wird von ©. Müller die Apikalaxe der Zelle genannt, und es mag obige Frage dahin präzisiert werden, warum ist die Apikalaxe einer Navieulazelle eines Längenwachstumes nicht fähig? Betrachtet man ein in die Länge wachsendes beliebiges Zell- gebilde z.B. die erwähnten Auxosporen und denkt sich Schnitte rechtwinkelig zu der in die Länge wachsenden Axe geführt, so wird man in jedem Falle finden, dass gleichartige und gleichaltrige Mem- branstücke jeden einzelnen Querschnitt umgrenzen. Auch in kompli- zierten Fällen z. B. beim Längenwachstum der Oedogonien sehen wir, dass zwischen die alten Membranstücke neue Teile eingeschaltet wer- den in der Weise, dass wiederum jeder noch so feine Querschnitt mit 264 G. Karsten, Die Auxosporenbildung der Diatomeen. ringsum gleichaltriger Membran abschließt. Oder bei den Desmidiaceen: Schreitet eine Closterium- oder Comarium-Zelle zur Teilung, so sehen wir, dass zwischen die auseinanderweichenden Zellhälften neue ihnen symmetrische Stücke eingeschaltet werden. Diese neuen Teile wachsen oft — je nach der Zellform — sehr erheblich in die Länge und jeder Schnitt der rechtwinkelig zu dieser Wachstumsaxe geführt würde, müsste wiederum ringsam gleichaltrige Membran aufweisen. In einer Richtung aber, welche in die Teilungsebene einer Closte- rium- oder Cosmarium-Zelle fällt, würde eine solche Desmidiaceen- Zelle nicht wachsen können, da in jedem Falle ungleichaltrige Mem- branen auf der einen und auf der anderen Seite eines rechtwinkelig zur angenommenen Wachstumsaxe geführten Schnittes vorhanden wären. Und derselbe Fall liegt für die gemachte Annahme vor, dass eine Navieula ein Wachstum in Richtung ihrer Apikalaxe aufweisen sollte. Ein Querschnitt rechtwinkelig zur Apikalaxe zeigt auf der einen Seite die umfassende ältere, auf der anderen die eingeschachtelte jüngere Schale, und es ist mir kein Beispiel aus der Pflanzenwelt be- kannt, welches ungleichaltrige und darum schon ungleichartige Membranstücke einer Zelle zu gemeinsamem Wachstume ‚vereinigte. Vergleichen wir hiermit die Verhältnisse, welche in der wirklichen, wachsenden Längsaxe der Naviculazelle vorliegen, so erkennen wir leicht, dass auch hier die oben ausgesprochene Bedingung erfüllt ist, auch hier würde jeder einzelne Sehnitt, rechtwinkelig zur Längsaxe geführt, ringsum nur gleichaltrige Schalenteile aufzuweisen haben. Mit dieser Ausführung scheint mir die Frage nach dem Wachs- tume der Diatomeenschalen ein kleines Stück dem Verständnisse näher gerückt zu sein als bisher, obschon ich nicht glaube, eine befriedigende Erklärung damit gewonnen zu haben. Suchen wir nach dieser Orientierung über die Fortpflanzung der Diatomeen ihre nächste Verwandtschaft ausfindig zu machen, so ist bereits von Pfitzer erkannt worden, dass die Familie der Desmi- diaceen wohl die nächststehende ist. Der Panzerkleidung wegen hat man neuerdings auch die Peridineen heranzuziehen gesucht, doch lässt sich im Zellbau, wie in der einer großen Menge von Formen eigenen Kopulation eine sehr viel größere Hinneigung zu den Desmidaceen wahrnehmen. Eine besondere Verstärkung hat diese Meinung durch den von Hauptfleisch geführten Nachweis erfahren, dass die Des- midiaceen eine ebenfalls nicht einheitliche sondern aus zwei Schalen zusammengesetzte Membran besitzen. [38] Bonn, Februar 1900. Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der Ohermes-Arten. 265 Ueber den Lebenseyklus der Chermes-Arten und die damit verbundenen allgemeinen Fragen. Von N. Cholodkovsky (St. Petersburg). Dich im Unendlichen zu finden, Musst unterscheiden und dann verbinden, Goethe. Seit 1887 beschäftige ich mich mit der Untersuchung verschiedener Arten der Gattung Chermes und habe die Resultate meiner Forschungen in einer Reihe kleinerer Mitteilungen sowie in einer größeren Arbeit!) veröffentlicht. Hier will ich jetzt eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten gewonnenen Resultate nebst Mitteilung eimiger neuen Thatsachen geben und dabei einige allgemein-biologische Fragen be- rühren. In den Jahren 1889—1890 habe ich erstens die Artenunterschiede einiger in Nordrussland vorkommenden Chermes-Arten festgestellt, zweitens aber ermittelt, auf welehe Coniferen-Bäume die in ver- schiedenen Gallen auf der Fichte (Picea excelsa) lebenden Arten periodisch emigrieren. Ich kam nämlich zu dem Schlusse, dass Chermes strobilobius Kalt. auf die Lärche, Ch. coceineus m. auf die Weißtanne, Ch. sibiricus m. auf die Zirbelkiefer wandert, der geflügelte Ch. abietis Kalt. aber meistens seine Eier auf der Fichte (d.h. nicht emigrierend), bisweilen aber auch auf anderen Nadelhölzern ablegt. Die Thatsache der Eiablage von Ch. abietis Kalt. auf verschiedenen Coniferen- Arten schien mir ganz besonders interessant. Für Westeuropa haben näm- lich Dreyfus und Blochmann eine periodische Wanderung dieser Species ausschließlich auf die Lärche beschrieben; da nun in unseren nordischen Wäldern (in der Umgebung von St. Petersburg) die Lärche vollständig fehlt, so hielt ich für sehr wahrscheinlich, dass Ch. abietis bei uns auf die Kiefer (Pinus silvestris) emigriert. Indem ich eine Reihe Experimente angestellt habe, sah ich vielmals den geflügelten Ch. abietis auf Kiefernnadeln Eier ablegen; die aus solchen Eiern geschlüpften Larven krochen langsam auf den Nadeln und auf der Rinde, starben aber stets nach einiger Zeit und kein einziges Mal ge- lang es mir, dieselben glücklich über den Winter zu bringen. Ganz ebenso starben auch die Larven, die aus den vom geflügelten Chermes abietis auf Lärchen- und Weißtannennadeln abgelegten Eiern stammten. Mehrere Jahre hindurch habe ich diese Experimente immer mit dem- selben Resultate wiederholt, bis endlich im Sommer 1894 ein glück- 1) Vgl. besonders: Zur Biologie und Systematik der Gattung Chermes. Horae Societatis entomologicae Rossicae, Bd. XXIV, 1890; Beiträge zu einer Monographie der Coniferen-Läuse, ibidem Bd. XXX, 1895, Bd. XXXI, 1896. 266 Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Chkermes-Arten. licher Zufall meiner Ungewissheit das Ziel setzte. Im Ende Juli habe ich im Parke des Gutes Waiwara in Esthland zahlreiche geöffnete und sich eben öffnende Gallen, die ihrer Form nach den Adietis-Gallen ganz ähnlich sahen, auf den benachbarten Lärchen aber geflügelte In- dividuen gefunden, die aus diesen Gallen ausgeschlüpft waren und auf Lärchennadeln zahlreiche Eier legten. Diese Eier aber waren nicht gelb, wie ich sie bei den entsprechenden von mir in der Um- gebung von St. Petersburg beobachteten Cherrmes-Fliegen, fand, — son- dern tiefgrün. Aus diesen Eiern schlüpften nach kurzer Zeit grün- liche Larven mit einer kurzen Rüsselborstenschlinge, während aus gelben Eiern stets gelbliche Larven mit einer langen Rüsselborsten- schlinge ausschlüpften. Diese Beobachtungen machten mir den steten Misserfolg meiner Versuche den Ch. abietis auf Kiefern, Lärchen und anderen Nadelhölzern zu züchten, sofort klar. Dass die aus den von Chermes-Emigranten auf der Lärche abgelegten Eiern schlüpfenden Larven eine kurze Borstenschlinge besitzen, behauptete schon Bloch- mann (1880), ich konnte es nur nicht bestätigen, da mir nur gelbe Bier legende Abdietis-Fliegen zur Verfügung standen, grüne Eier aber von anderen Chermes-Fliegen abgelegt werden. In der That sind nicht nur hibernierende Larven der bezüglichen Chermes-Arten zweierlei, sondern es spaltet sich der Chermes abietis autorum überhaupt in zwei Varietäten oder Arten, — eine gelbe und eine grüne, von welchen die gelbe in Russland ungleich häufiger vorkommt, als die grüne, in den Wäldern der Umgebung von St. Petersburg aber sogar ausschließlich die gelbe existiert, welche mir bis 1894 auch einzig bekannt war. Weitere sorgfältige Beobachtungen und Experimente, die ich im Sommer 1895 angestellt habe, überzeugten mich endgiltig, dass der sogenannte Chermes abietis zwei ganz gesonderte, nirgends zusammenhängende Formenreihen oder Arten darstellt und zwei völlig unabhängige Ent- wicklungseyklen bildet, von welchen der eine mit einer Migration ver- bunden und zweijährig, der andere aber einjährig ist und keine Mi- gration aufweist. Es gelang mir auch morphologische Unterschiede dieser beiden Arten, die ich Ch. viridis Ratz. und Ch. abietis Kalt. nenne, festzustellen. In der folgenden Tabelle sind die morphologi- schen und biologischen Unterschiede der beiden Arten zusammen- gestellt (s. S. 267): Solange mir die Unabhängigkeit und völlige Selbständigkeit dieser zwei Arten und Entwicklungseyklus unbekannt war, stimmte ich vollständig der Meinung Dreyfus’ bei, nach welcher ein Teil der aus einer gegebenen „Abietis“-Galle stammenden Geflügelten auf die Lärche wandert, ein anderer Teil aber auf der Fichte seine Eier ab- legt und dass in soleher Weise die Nachkommenschaft einer Funda- triessich inzwei paralleleReihen spaltet. Eserwies sich nun, dass gerade in diesem Falle die Theorie der parallelen Reihen unanwend- Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Chermes-Arten. 267 bar ist: die in Rede stehenden Entwicklungsreihen sind keine pa- rallelen, von einer Fundatric stammenden, sondern völlig getrennte, von verschiedenen Fundatrices stammende Formenreihen. Fr | | Sselesuss Die hiber.) ‚Die Farbe, |DieFühler| „2 3 E 22 >| Die Fort- Arten ne ‚der geflü- (der geflü-| 5 SE 13 SS S pflanzung u. Bundateiz gelten In- gelten mes. 230 5% d. Entwick- | dividuen | dividuen 2375 ‚© zu as lungseyklus RI I ee Biel IND Chermes gelb, hellgelb | das | gelb | mit einer ausschließ- abietis Kalt. lang- ı 3. Glied | ' langen |liche Parthe- gestreckt ‚kürzer als ı Rüssel- |nogenese, der ı das4. | borsten- ‚Cyklus einjäh- | | schlinge 'rig, keine Mi- | | gration. | | Chermes | grün, | rotgelb | das | grün ı mit einer abwechselnde viridis Ratz. | breitoval | oder rot | 3. Glied kurzen , Parthe- | länger alsı | Rüssel- 'nogenese und | das 4. | borsten- | Amphigonie, | ' schlinge d.Cyklus zwei- | | | jährig, Migra- | | | | tion auf die | | | | Lärche. Wenn dem aber so ist, so erhebt sich die Frage, warum bei meinen Experimenten der Ch. abietis Kalt. so bereitwillig seine Eier nicht nur auf der Fichte, sondern auch auf den verschiedensten Nadel- hölzern ablegte? Um auf diese Frage zu antworten, muss ich zuerst darauf hinweisen, dass diese Chermes Species ihre gelben Eier offenbar auf jedem beliebigen Substrat abzulegen sucht, gleichsam um sich da- von zu befreien. Schließt man die Geflügelten von Ch. abietis in ein zugeschlossenes Glas oder in eine zugedeckte Schachtel ein, so werden die Eier in großer Menge an den Wänden des Glases oder der Schachtel abgelegt, während andere Chermes-Species unter gleichen Bedingungen solches nicht thun, sondern sterben, ohne ihre Eier abzulegen, oder sie legen nur ausnahmsweise einige wenige Eier ab. Die Ursache dieser Erscheinung liegt, wie mich die von mir im Sommer 1399 unternommenen anatomischen Untersuchungen lehrten, darin, dass bei Oh. abietis Kalt. die Blastodermbildung bereits in den Eiröhren anfängt, während bei anderen Chermes-Arten die Furchung und Blastodermbildung erst nach der Eiablage vor sich geht. Der Ch abietis Kalt. schließt sich also in dieser Hinsicht den viviparen Aphiden an, die bekanntlich ihre Larven ebenfalls auf beliebiger Pflanze, in einer Glasdose u. dgl. ablegen. Zu ähnlichen Resultaten, wie für Ch. abietis Kalt., bin ich auch für eine andere in unsern Wäldern und Parks weit verbreitete, unter dem Namen Ch. strobilobius Kalt. bekannte Species gekommen. Hier 268 Cholodkovsky, Ueber den Lebensceyklus der Chermes-Arten. erwies sich aber die Sache noch etwas komplizierter. Durch die Untersuchungen von Dreyfus und von mir wurde es in den Jahren 1889—1891 nachgewiesen, dass in Parks und Gärten, wo die Fichten mit den Lärchen gemischt wachsen, eine periodische Wanderung der ge- flügelten Individuen auf die Lärche und im nächsten Jahre zurück auf die Fichte stattfindet und dass die unter den Namen Ch. hama- dryas Koch und (teilweise) Ch. laricis Ratz. beschriebenen Formen keine selbständige Arten, sondern nur gewisse Strobilobius-Genera- tionen darstellen. Schon damals habe ich aber bemerkt und fest- gestellt, dass in unseren natürlichen Wäldern, woselbst die „Strobilobius“ Gallen äußerst häufig vorkommen, die Lärche aber fehlt, keine Migra- tion dieser Chermes-Species stattfindet, da der „Oh. strobilobius“ unserer Wälder, im Gegensatz zu Ch. abietis, durch keine Mittel genötigt wer- den kann, seine Eier auf die Kiefer zu legen. Auch die von mir an- gestellten Versuche den „wilden Strobilobius“ auf die Lärche zu über- siedeln, haben keinen Erfolg gehabt: nicht nur bleiben seine Larven auf der Lärche nicht leben, sondern sogar die Eier werden nicht ab- gelegt, da diese Species ausschließlich auf der Fichte sich fortpflanzt. Früher war ich geneigt, wie für Ch. abietis, anzunehmen, dass ich auch hier mit „Parallelreihen“ im SinneDreyfus’ zu thun habe; so- bald mir aber die Lebensgeschichte von Ch. abietis Kalt. und Ch. vi- ridis Ratz. klar wurde, kam ich natürlich auf den Gedanken, ob auch bei Ch. strobilobius nicht etwas ähnliches vorliegt. Und in der That habe ich gefunden, dass auch hier mehrere unabhängige, zwei- oder einjährige, mit einer Migration verbundene und ausschließlich auf der Fichte sich vollziehende Entwicklungseyklen vorhanden sind. Ich musste also auch hier getrennte Arten oder Formenreihen aufstellen, wobei ich den „wilden Strobilobius“ Ch. lapponicusm. genannt, für die emigrierende Species aber den Namen Ch. strobilobius Kalt. bei- behalten habe. Dabei erwies sich, dass der Ch. lapponicus m. sich in zwei Varietäten spaltet; die Gallen der einen Varietät, die ich var. praecox m. genannt habe, reifen nämlich bereits im Vorsommer, während die Gallen einer anderen Varietät, — var. tardus Dreyf. — erst im Nach- sommer sich öffnen. Die soeben genannten Arten und Varietäten unterscheiden sich von einander durch morphologische und biologische Merkmale, wobei merkwürdigerweise der Oh. praecox weniger verschie- den ist von Ch. strobilobius, als von Ch. tardus, mit welchem letzteren er durch seine Lebensweise übereinstimmt. In folgender Tabelle sind die Merkmale dieser Species und Varietäten zusammengestellt (s. S.269): Durch fortgesetzte Beobachtungen und Experimente habe ich mehrmals die Richtigkeit meiner Schlussfolgerungen geprüft und mich vollständig überzeugt, dass die sogenannten „Parallelreihen“ der aus den Gallen schlüpfenden Geflügelten ebensoviel selbständige Entwick- lungsreihen darstellen, wobei gewisse Arten stets parthenogenetisch Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der C'hermes-Arten. 369 sich fortpflanzen, bei den anderen aber die Parthenogenese regelmäßig mit der Amphigonie abwechselt. Die Parallelreihen existieren aber in der That in gewissen Generationen einiger Chermes-Arten, doch nicht auf der Fichte, sondern auf den sogenannten Zwischenpflanzen und lassen sich bei Ch. strobilobius Kalt. auf der Lärche, bei Ch. coccineus m. auf der Weißtanne, bei Ch. sibiricus m. auf der Zirbelkiefer und bei Ch. pini Koch auf der gemeinen Kiefer beobachten. Hier folgt das Schema des Entwicklungseyklus dieser Chermes-Arten: 1. Generation. Die aus dem befruchteten Ei ausgeschlüpfte Stammmutter (Fundatrix vera) überwintert auf einer Fichtenknospe Farbe der Fühler der Eier der | Fortpflanzung und Arten geflügelten | geflügelten geflügelten 3 > Individuen | Individuen | Individuen rk dibiesenahs. Chermes | rot das 4. Glied | gelblichrot, | abwechselnde Par- strobilobius | ist länger grünlich thenogenese und Kalt. | als das 3. schimmernd, | Amphigonie, der | fast kahl | Cyklus zweijährig, | Migration auf die | Lärche. Chermes | hellrot das 4. Glied | gelblichrot, | ausschließliche Par- lapponieus m. | ist länger fast kahl thenogenese, der var. praecox m, | als das 3. Cyklus einjährig, | ohne Migration. Chermes dunkelrot | das 4. Glied rötlich, stark | ausschließliche Par- lapponiceus m. ist kürzer mit weißer thenogenese, der var. tardus als das 3. Wolle bedeckt] Cyklus einjährig, Dreyf. ohne Migration. oder bei der Basis der Knospe, legt im Frühlinge Eier und giebt zur Gallenbildung Anlass. Im überwinternden Zustande besitzt sie eine lange Rüsselborstenschlinge. 2. Generation. Die aus den von der Stammmutter abgelegten Eiern schlüpfenden Läuse saugen in der Galle, bekommen beim Bersten der Galle Flügel und überfliegen auf eine Zwischenpflanze (Lärche, Kiefer, Weißtanne). Das sind die geflügelten Emigranten (Mi- grantes alatae). 3. Generation. Aus den von den geflügelten Emigranten auf der Zwischenpflanze abgelegten Eiern schlüpfen Larven mit kurzer Rüsselborstenschlinge, überwintern auf der Rinde oder auf den Na- deln, häuten sich im Frühlinge und legen Eier. Das sind die inter- mediären oder scheinbaren Stammmütter (Fundatrices inter- mediae s. spuriae). 4. Generation. Aus den von den scheinbaren Stammmüttern abgelegten Eiern schlüpfen Läuse, die auf den Nadeln (Strobilobzus, Coceineus) oder auf der Rinde (Sibirieus, Pini) saugen, sich häuten und zu zweierlei Individuen werden, nämlich einerseits zu geflügelten Sexuparen (Sexuparae), andererseits aber zu ungeflügelten Ueber- I70 Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der Chermes-Arten, siedlern (Exsules). Die Sexuparen verlassen die Zwischenpflanze und kehren auf die Fichte zurück, während die Uebersiedler auf der Zwischenpflanze verbleiben. Hier haben wir also zwei parallele Reihen der Individuen, die von einer gemeinsamen Quelle (die scheinbare Stammmutter) stammen, aber verschieden gestaltet sind und verschiedene Lebensweise führen. 5. und dienachfolgendenGenerationen. A. aufder Fichte: aus den von den Sexuparen auf Fichtennadeln abgelegten Eiern schlüpfen kleine flügellose Männchen und Weibchen (Sexuales) und erzeugen befruchtete Eier, die den echten Stammmiüttern (Fundatrices verae) den Ursprung geben, wodurch der Cyklus ge- schlossen wird. B. auf derZwischenpflanze: aus den von den Ueber- siedlern abgelegten Eiern entsteht ein neue flügellose Generation, die wieder Eier legt u.s. w. Nach der Ueberwinterung geben die den Fundatrices spuriae ähnlichen Exsules einer. Frühlingsgeneration den Ursprung, welche sich wieder in zwei parallele Reihen (Sexuparae und Exsules) spaltet, und so geht es weiter — jahraus, jahrein. Synoptisch kann diese Entwicklung in folgenderweise dargestellt werden: Fundatrix vera | Migrantes alatae | Fundatrices spuriae Sexuparae Exsules Sexuales Exsules | Fundatrices verae Exsules (nach der Ueberwinterung) Sexuparae Exsules Sexuales Exsules | :U.8. W. Fundatrices verae. So entsteht auf der Zwischenpflanze (Larix, Pinus, Abies), Dank dem Vorhandensein der Exsules, eine unbestimmt lange Reihe parthe- nogenetischer Generationen, welche jeden Frühling einerseits den Sexu- paren, andererseits den Uebersiediern Ursprung geben. Um diese Verhältnisse experimentell zu prüfen, habe ich zwei mit Ch. sibirieus stark behaftete junge Zirbelkiefer so isoliert, dass auf dieselben keine Migrantes alatae (aus den Gallen) geraten konnten. Im nächsten Frühlinge erschienen auf dem einen Bäumchen nur sehr wenige ge- Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der Ohermes-Arten. 271 flügelte Sexuparen, auf dem anderen war aber sogar kein einziges geflügeltes Exemplar zu erbeuten. Auch beim Beobachten des Ch. sibiricus m. und Ch. coccineus m. in der freien Natur war ich jedes Jahr durch Missverhältnis zwischen der Anzahl der Gallen auf Fichten und derjenigen der Exsules auf Zwischenpflanzen in Erstaunen gesetzt: die Gallen sind nämlich nichts weniger als zahireich und ziemlich schwer zu finden, die Exsules bedecken aber ganz große Bäume von oben bis unten! Man bekommt unwillkürlich den Eindruck, dass die Exsules, sich selbst überlassen (d. h. ohne Zuschuss der Migrantes alatae aus den Gallen), immer weniger Sexuparen erzeugen und danach streben, auf der Zwischenpflanze eine selbstständige rein parthenogenetische Species zu bilden. Es kann freilich die Frage aufgeworfen werden, ob die parthenogenetische Fortpflanzung auf der Zwischenpfianze nicht vielleicht durch Einschaltung einer amphigonen Generation unterbrochen werden kann? Aber bis jetzt kennen wir keinen einzigen genau beobachteten Fall, in welchem die Chermes- Sexuales anders als aus den von den geflügelten Sexuparen ab- gelegten Eiern erschienen. Dreyfus!) teilt zwar mit, einmal spät im Herbste auf abgefallenen Lärchennadeln junge Strobilobius-Sexuales gefunden zu haben, welche aus den von einem ungeflügelten Individuum (Exsul?) abgelegten Eiern stammten; ob es aber wirklich Sexuales waren, bleibt dahingestellt, da Dreyfus dieselben nicht gezüchtet hat, die jungen Sexuwales-Formen aber wenig charakteristisch sind. Ich meinerseits konnte hei meinen mehr als 12 jährigen Forschungen nie etwas Aehnliches finden. Für die Beurteilung der Exsıles als der zu einer vielleicht unbe- srenzt langen parthenogenetischen Fortpflanzung befähigten Formen scheinen mir noch folgende Thatsachen von Wichtigkeit zu sein. Bei der Wanderung von Ch. viridis Ratz. auf die Lärche entwickeln sich keine Exsules, weil aus den von den Fundatrices spuriae abgelegten Eiern lauter nur geflügelte Sexuparen entstehen, die auf die Fichte zurückwandern. Ich habe die Exsules dieser Species lange und ver- geblich gesucht; auch andere Forscher haben dieselben nicht gefunden. Dafür habe ich auf der Lärche eine neue grüne Ohermes-Species ent- deckt, welche ich Chermes viridanus m. benannt habe. Das ist eine ziemlich große Species, die ihrer Färbung nach dem Ch. viridis Ratz. ähnelt, aber nicht auf den Nadeln, sondern auf der Rinde der jungen Lärchentriebe lebt. In ihrem Fühlerbau nähert sie sich ebenfalls dem Ch. viridis, im Bau der Flügel aber dem Oh. strobilobius Kalt. und ist außerdem durch die starke Flaumbildung charakteristisch. Zum ersten- 4) Dreyfus, Neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes und Phyl- loxera, Zoologischer Anzeiger Nr.299, 1889. 372 Cholodkovsky, Ueber den Lebensceyklus der Chermes- Arten. male habe ich diese merkwürdige Species (die ich seiner Zeit genau beschrieben und abgebildet habe) im Juni 1895 in Esthland gefunden; in den nachfolgenden Jahren habe ich dieselbe vielmals, jahraus, jahr- ein auf denselben Bäumen beobacbtet. Als ich Geflügelte bekam, fing ich sogleich an mit denselben zu experimentieren, indem ich sie auf andere Nadelhölzer zu übersiedeln versuchte. Es erwies sich aber, dass dieser Chermes weder auf der Fichte noch auf anderen Bäumen außer Lärche Eier legen kann, und nur auf Lärchennadeln seine dunkelgrünen Eier ablegt. Aus diesen Eiern schlüpfen längliche gelb- liehgrüne Larven mit einer langen Rüsselborstenschlinge, die einige Zeit auf den Nadeln saugen, später aber auf die Rinde sich begeben um in den Rindenritzen zu überwintern und dann auf die jungen Triebe überzugehen. Der Entwicklungseyklus dieser Species ist also sehr einfach, nämlich einjährig, rein parthenogenetisch und ohne Migration. Das Merkwürdigste ist aber, dass dieser Cyklus ganz auf der Lärche sich vollzieht, welche für andere Chermes-Species nur als Zwischenpflanze dient und die Exsules ernährt. Die Exsules bilden, wie wir es gesehen haben, eine lange, — vielleicht eine unbegrenzte — Reihe parthenogenetischer Generationen, indem sienur von Zeit zu Zeit einigen geflügelten Sexuparen den Ursprung geben, die Mehrzahl aber ungeflügelt bleibt. DieSexuparen dienen dazu, auf die Fichte zurückzukehren; wenn nun aber eine solehe Zurückwanderung (z.B. infolge des Verschwindens der Fichten in der Nachbarschaft) unmöglich wird, so müssen die plumpen unbeweglichen Zxsules auf der Lärche bleiben, so lange sie lebt, und mit ihr zugleich sterben. Was nun aber den Chermes viridanus anbetrifft, so bekommt er jeden Sommer Flügel und dadurch die Möglichkeit, auf andere Lärchen zu überfliegen. Erwägt man nun, wie stark die Exsules auf der Zwischenpflanze sich fort- pflanzen und wie wenig Sexuparen dieselben selbständig erzeugen, — so kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, dass diese flügel- losen Generationen sich von der ursprünglichen Art gleichsam zu emanzipieren suchen und zu einer selbständigen Art zu werden streben. Um das Letztere zu erreichen, fehlt ihnen nur die Fähigkeit selbstän- dige Geflügelte zu bilden, d.h. nicht Sexuparen, sondern solche Geflügelten, welche auf der Zwischenpflanze Eier legen könnten. Der Chermes viridanus m. hätte nun dieses Ziel erreicht, indem er die bei Ch. viridis Ratz. fehlenden Exsules ersetzt. Von diesem Gesichtspunkte aus ist die Thatsache des Fehlens der Exsules bei Ch. viridis besonders interessant und bedeutungsvoll. Als die periodische Wanderung gewisser Chermes-Arten auf die Lärche und zurück auf die Fichte festgestellt wurde, hat Dreyfus den Satz ausgesprochen, „dass wir keine ausschließlich auf der Lärche lebende Chermes-Arten mehr kennen“. Diese seiner Zeit vollkommen richtige Behauptung kann natürlich nach der Entdeckung des Ch. vi- Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Ohermes- Arten. 975 ridanıs m. nicht mehr aufrecht erhalten werden. Es können aber auch andere auf Zwischenpflanzen lebende selbständige Chermes- Arten existieren. Zu solchen scheint Chermes piceae Ratz. zu gehören, der in Deutschland sehr verbreitet ist und auf der Rinde der Weißtanne (Abies pectinata) weiße schimmelartige Wollenbedeckung bildet. Mir gelang es nur ungeflügelte Formen dieser Species zu sehen, Dreyfus hat aber auch Geflügelte gefunden, von welchen er leider nichts Näheres mitteilt. Die Lebensgeschichte dieser Chermes-Species ist noch unbe- kannt, es ist aber möglich, dass dieselbe, wie Ch. viridanus auf der Lärche, ausschließlich auf der Weißtanne lebt, ohne auf andere Nadel- hölzer zu emigrieren. Auch anf der Rinde der Fichte (Picea excelsa) kommen häufig weiße Wollenklümpcehen vor. Die dieselben bildende Chermes-Art ist bis. jetzt noch rätselhaft genug. Ihrem Baue nach ist sie völlig identisch mit Chermes pini Koch, welcher auf der Kiefernrinde lebt; die auf der Fichte vorkommende Species ist aber ausschließlich in un- geflügelten Generationen bekannt. Bei meinen vieljährigen Forschungen gelang es mir kein einziges Mal auf der Fichtenrinde entwickelte ge- flügelte Chermes-Formen zu bekommen. Was den Ch. pini (der nach meinen Beobachtungen mit Ch. strobi Hartis identisch ist) anbetrifft, so habe ich, außer den schon früher bekannten ungeflügelten Formen (fundatrices, spuriae, exsules) und den geflügeiten Sexuparen, auch Sexuales und befruchtete Eier dieser Species beobachtet, — kein ein- ziges Mal ist mir aber, trotz zahlreicher Versuche, gelungen, aus diesen Eiern die überwinternde Fundatrix zu züchten, welche also bis jetzt unbekannt bleibt. Ebensowenig sind auch die Gallen von Ch. pini Koch bekannt, welche ich im Verlauf vieler Jahre vergeblich gesucht habe. Da ich dieselben trotz allen Bemühungen nicht fand, so fing ich sogar an überhaupt an der Existenz derselben zu zweifeln und war geneigt, die auf der Fichtenrinde saugenden Chermes-Formen zum Kiefernrinden-Ohermes in Beziehung zu stellen. Wie plausibel aber diese Hypothese auch schien, konnte ich doch, wie oben gesagt, keine auf der Fiehtenrinde sich entwickelnden geflügelten Formen finden, obgleich die den Migrantes alatae entsprechenden Formen all- jährlich auf Kiefernnadeln (etwa um 2—3 Wochen später als die Sexuparen) zu finden waren, woselbst sie ihre rotgelben, mit viel Wolle bedeekten Eier legten. Aus diesen Eiern schlüpften Lärvchen, die später auf der Kiefernrinde saugten und zu ungeflügelten Generationen führten. Woher diese, den Migrantes alatae anderer Chermes-Arten entsprechenden Pini-Geflügelten stammen, — bleibt mir bis jetzt, trotz aller Bemühungen diese Frage zu entscheiden, ein Rätsel. 274 Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der C'hermes-Arten. Die soeben dargelegten Thatsachen und Schlüsse führen zu einigen Fragen von allgemein-biologischer Bedeutung. Diese Fragen sind: 1. über die Möglichkeit einer unbegrenzten parthenogenetischen Fort- pflanzung, 2. über das Kriterium des Artbegriffes, 3. über den direkten Einfluss äußerer Faktoren auf die Artbildung. Was zuerst die Frage über die Möglichkeit der unbegrenzten (aus- schließlichen) Parthenogenese anbelangt, so halten die Mehrzahl der Forscher diese Möglichkeit für sehr zweifelhaft. Der hochverdiente französische Entomologe, Dr. Paul Marchal, der meinen Arbeiten über Chermes-Arten ein ausführliches Referat in Annee biologique ge- widmet hat, konnte bei dieser Gelegenheit nicht umhin, die Vermutung oder sogar Hoffnung auszusprechen, dass mit der Zeit auch für die- jenigen Chermes-Arten oder Generationen, die ich für rein parthe- nogenetisch halte oder zu halten geneigt bin, — die Sexuales sich finden werden. Was die Eixsules anbetrifft, so ist diese Hoffnung viel- leicht nieht ganz aussichtslos, obgleich für dieselbe keine faktischen Anhaltspunkte (die oben erwähnte zweifelhafte Mitteilung Dreyfus’ ausgenommen) sich anführen lassen. Es ist nämlich nicht zu leugnen, dass das Leben der Exsules bis jetzt noch sehr wenig erforscht ist und dass sich hier ganz unerwartete Perspektiven eröffnen können. In Betreff soleher Formen aber, wie Ch. abietis Kalt. oder Oh. lappo- nicus m., deren Lebenseyklus äußerst einfach, bis in die feinsten De- tails untersucht und im Verlaufe von mehr als zehn Jahren verfolgt worden ist, — scheinen mir keine Zweifel mehr zulässig zu sein. Ich bin fest überzeugt, dass diese Arten rein parthenogenetisch sind. Im Grunde genommen, ist dasauch gar nicht sonderbar und steht keines- wegs einzig da. Man kann auf viele analoge Thatsachen in der Tier- und Pflanzenwelt hinweisen, wo die Fortpflanzung durch unbe- fruchtete Geschlechtszellen zu einer regelmäßigen, typischen Erschei- nung geworden ist. So hat Adler auf Grund mehrjähriger Beobach- tungen und Experimente für eine Reihe Gallwespenarten (Uynipidae) eine regelmäßige Abwechselung der parthenogenetischen und amphi- sonen Fortpflanzung nachgewiesen, für vier Arten aber (Apkdlotrix seminationis Gir., A. marginalis Schltdl., A. quadrilineatus Hart., A. albo- punetata Schltdl.) eine reine Parthenogenese konstatiert. Für die große Mehrzahl der Rädertierchen (Rotatoria) sind die Männchen völlig un- bekannt und ist es sehr wahrscheinlich, dass viele der hierher ge- hörigen Arten rein parthenogenetisch sich fortpflanzen. Ebenso steht es fast außer jedem Zweifel, dass gewisse Daphniden und Östra- coden jede andere Fortpflanzungsart, außer der jungfräulichen, gänz- lich eingebüßt haben. Wenn aber für die Rotatorien, Daphniden, Ostracoden und andere Tiere, die ich hier nicht alle nennen will, die reine Parthenogenese nur in hohem Grade wahrscheinlich ist, so können wir dieselbe für die oben genannten Chermes- und Cyni- Cholodkovsky, Ueber-den Lebenseyklus der C’hermes-Arten., 375 piden-Arten, deren Entwicklungseyklus besonders scharf umschrieben und sehr vollständig untersucht ist, — für streng bewiesen halten. Hier begegnen wir einer ähnlichen Erscheinung, wie die Apogamie gewisser Farne (Pteris cretica, Aspidium falcatum), welche die ge- wöhnliche Fortpflanzungsart ganz verloren haben. Es wird öfters die Meinung ausgesprochen, dass die reine Parthenogenese „theoretisch nicht verständlich“ sei. Ist aber die gewöhnliche geschlechtliche Fort- pflanzung „theoretisch verständlich?“ Wir kennen dieselbe nur als eine weit verbreitete Fortpflanzungsart, als eine alltägliche Thatsache, die uns nur kraft ihrer Allgemeinheit „verständlich“ scheint, im Grunde aber ebensowenig verständlich ist, wie die Parthenogenese. Weshalb die Befruchtung des Eies bei gewissen Arten für die Entwicklung des Organismus absolut notwendig ist, bei anderen aber nicht, — darüber wissen wir nichts oder müssen uns mit mehr oder weniger nebelhaften Hypothesen begnügen. Die Thatsachen zeigen uns, dass nicht nur die Parthenogenese, sondern auch die echte ungeschlechtliche Fortpflanzung (durch Teilung und Knospung) zu einer ausschließlichen Fortpflan- zungsart der hoch entwickelten Organismen in einer unabsehbar langen Generationenreihe werden kann, wie uns z. B. die gewöhnliche Fort- pflanzung der Pappeln lehrt. Dieselbe gilt gar nicht für sonderbar, da sie allgemein verbreitet ist, — die reine Parthenogenese scheint aber vielen Forschern fast unmöglich zu sein. So groß ist die Macht der Gewohnheit. Eine große Bedeutung ist der Thatsache beizulegen, dass gewisse Tier- und Pflanzenarten nur in gewissen Oertlichkeiten sieh rein parthenogenetisch fortpflanzen. So lenkt mit Recht Prof. OÖ. Nüsslin in seinem Referate über meine Chermes-Arbeiten die Aufmerksamkeit des Lesers darauf, dass die rein parthenogenetischen Arten(Ch. abietis Kalt., Ch. lapponicus m.) besonders den nördlichen Wäldern eigen sind, „so dass man unwillkürlich an das gleichfalls mehr nordische Vor- kommen der ausschließlich parthenogenetischen Fortpflanzungweise von Psyche helix Sieb. erinnert wird“!). Gleichfalls pflanzen sich gewisse Ostracoden-Arten in gewissen Oertlichkeiten ausschließlich parthe- nogenetisch fort, wie es A. Weismann (im allgemeinen ein Gegner der Theorie einer reinen Parthenogenese) für Cypris reptans, die er im Verlaufe mehrerer Jahre in Freiburg i. B. beobachtete, konstatiert hat?2). Auf dem botanischen Gebiete kann man in dieser Hinsicht auf Chara crinita hinweisen, die in Nordeuropa ebenfalls in weib- lichen Exemplaren vorkommt und parthenogenetisch sich fortpflanzt. Obgleich ich nun auf Grund meiner Erfahrungen über die Lebens- weise der Chermes-Arten, wie oben gesagt, fest überzeugt bin, dass 4) Zoologisches Centralblatt, IV. Jahrg. 1897, S. 453—455. 2) A. Weismann, Amphimixis oder die Vermischung der Individuen, Jena 1891, S. 83. 155 276 Cholodkovsky, Ueber den Lebeuscyklus der Cherimes-Arten. gewisse Arten dieser interessanten Gattung sich ausschließlich parthe- nogenetisch fortpflanzen, — so wollte ich doch diese Thatsache durch anatomisch-histologische Forschungen noch einmal prüfen und habe also eine detaillierte Untersuchung der Geschlechtsorgane der Chermes- Arten unternommen. Indem ich nun über die ceytologischen Resultate meiner Arbeit an einem anderen Orte berichten will, sollen hier nur einige rein anatomische Ergebnisse mitgeteilt werden. An erster Stelle interessierte mich die Zahl der Eiröhren in ver- schiedenen parthenogenetischen Generationen. Wie bekannt, hat Balbiani!) eine progressive Verminderung der Eiröhrenzahl in Nach- sommer- und Herbstgenerationen der wurzelbewohnenden Phylloxera vastatrie beschrieben und daraus auf eine „sterilile finale“ der aus- schließlich parthenogenetisch sich fortpflanzenden Generationen ge- schlossen. Da ich nun sehen wollte, ob nicht etwas Aehnliches auch in Chermes-Generationen sich vollzieht, habe ich die Zahl der Ei- röhren bei einer großen Anzahl Individuen verschiedener Arten und Generationen untersucht und gebe die Resultate in folgender Tabelle wieder. 8 = 8 o | ! SZ | Seo (ee ee Generationen Sv MD) ES S S I ee re SI EDS S & Ss ae S Ss S 8 Arten SS Der no Sole 3 SIT NS a | Chermes abietis Kalt. | 30 10— 20 = IE — Chermes viridis Ratz. | ? 20 | 6 |4-6| — Chermes strobilobius Kalt. Br ? | 410 | 6-7 | 2-6 | Chermes lapponicus m... . . . . 20—36 | | x „ var. praecox m. . 2 I U | | | | | n „ var. tardus Dreyf. % 11412 I — | Chermes eoccineus m. * . 2... ..%0-40 | 20-30 |2-3 2-6 | 3 | | | | | Chermes sibirieus m. . . . | ? | ? RS Ale n | | Chermes pini Koch | ? | ? 6—8 A Si, | | | | Chermes viridanus m. | = N a ee a Da diese Untersuchung im Verlaufe eines Sommers ausgeführt worden ist und da mir natürlich nicht alle Generationen jeder Species in die Hände kamen, so sind die Resultate nicht ganz vollständig. Jedenfalls sieht man schon jetzt aus der Tabelle, 1. dass die Anzahl der Eiröhren bei einer und derselben Generation und Species erheblich variiert, 2. dass sie bei den auf Zwischenpflanzen lebenden Genera- 1) Balbiani, Le phylloxera du ch@ne et le phylloxera de la vigne. Institut deFrance, Academie des Sciences. Observations sur le phylloxera. IV, 1884, Paris (p. 24—25, pl. VI, fig. 6-9). Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der COhermes- Arten, DIT tionen (Fundatrices spuriae, Sexuparae, Exsules) im allgemeinen viel kleiner ist als bei den auf der Fichte saugenden Generationen, 3. dass sie bei den nicht emigrierenden Arten keineswegs kleiner ist, als bei den periodisch emigrierenden. Ich habe mich vielfach überzeugt, dass wo die Anzahl der Eiröhren innerhalb einer Generation stark variiert (z. B. bei den Abietis- oder Tardus-Geflügelten), — diese Erscheinung ausschließlich von der ungleichen Größe einzelner Individuen abhängt, was sich auch leicht verstehen lässt, da die Größe der Eier ziemlich konstant ist und die kleineren Individuen eo ipso weniger Eiröhren haben müssen. Da nun die auf Zwischenpflanzen lebenden Generationen überhaupt aus kleinen Individuen bestehen, so müssen auch bei ihnen wenig Eiröhren sein. Bisweilen könnte es scheinen, als ob die Zahl der Eiröhren in einer Reihe jungfräulicher Generationen sich vermindern sollte, — so haben z.B. die Individuen der ersten Generationen von Strobilobius- Exsules je sechs Eiröhren, die Nachsommer-Generationen aber je 2-4. Dass solche Erscheinungen aber höchst wahrscheinlich nieht auf einer „Degeneration“ beruhen, zeigt der Vergleich mit den kleinen Coc- cineus-Exsules, welche stets die gleiche Zahl der Eiröhren (2—3) auf- weisen, im Vorsommer ebenso wie im Nachsommer. Ich glaube also, dass die Zahl der Eiröhren bei Cherrmes-Arten überall einzig und allein von der Körpergröße der betreffenden Individuen abhängt, die Körper- größe aber vor allem durch Ernährungsbedingungen bestimmt wird. Ich kann nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass ich auch für Phylloxera die Balbiani’sche Theorie der „sterilite finale“ keines- wegs für bewiesen halte. Es kann die Zahl der Eiröhren im Verlaufe der Generationen bis zu einem gewissen Minimum sinken, wobei doch die etwas verlangsamte Fortpflanzung noch lange — vielleicht grenzen- los — fortbestehen kann. Außer den Ovarien besteht der weibliche Geschlechtsapparat bei Chermes und Phylloxera noch aus zwei Ovidukten, einer Vagina, zwei Schmierdrüsen und einer sogenannten Samentasche (Receptaculum seminis). Was das letztere Gebilde anbelangt, so hat bereits Leuckart!) mit Recht hervorgehoben, dass seine Lage unterhalb der Schmier- drüsen seiner Deutung als Samentasche nicht günstig ist. Dessen un- geachtet haben die späteren Forscher immer von einem „Receptaculum seminis“ bei den Phylloxeriden gesprochen, obgleich nach Bal- biani’s eigener Mitteilung bei den befruchteten Phylloxera-Weibchen die Spermatozoen im Ovidukte, nie aber in der sogenannten Samen- tasche sich ansammeln. Er schreibt diese Erscheinung der Kleinheit der Samentasche und der Enge ihres Ausführungskanals zu, in wel- chen der Penis bei der Begattung nicht eindringen kann. Balbiani 4) R. Leuckart, Die Fortpflanzung der Rindenläuse. Troschel’s Archiv für Naturgeschichte, Jahrg. 25, I, 1859. 278 Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Chermes-Arten. hat aber vergessen, dass bei den Insekten der Penis in die Samen- tasche überhaupt nicht eingeführt wird und der Samen nicht direkt in das Receptaculum seminis, sondern gewöhnlich in die Vagina oder in eine Bursa copulatrix entleert wird, woher derselbe erst nachträglich in die Samentasche übergeht. Was speziell die Chermes-Arten anbe- trifft, so schreibt Bloehmann?) über das befruchtete Weibehen von „Ch. strobilobius“, dass es ein großes, „prall mit Spermatozoön ange- fülltes Receptaculum seminis“ besitzen soll. Nachdem ich den weib- lichen Geschlechtsapparat von befruchteten Strobilobius-Weibchen sorg- fältig (total und an Schnitten) untersucht habe, kann ich diese An- gabe nicht bestätigen: erstens besitzen diese Weibchen kein größeres „Receptaculum“ als die parthenogenetischen Individuen, zweitens aber enthält das vermeintliche Receptaculum nie Spermatozoen, welche hier ebenso wie bei Phylloxera, im erweiterten oberen Ende des Eileiters sich ansammeln. Ich halte also das fragliche Gebilde überhaupt für keine Samentasche, sondern für eine besondere, wahrscheinlich zur Bestäubung der Eier dienende Anhangsdrüse der Legeröhre. Was die wahre Samentasche der Blattläuse ist, hat bereits Siebold?) und nach ihm Balbiani?) für die oviparen Aphiden gezeigt: dieses Gebilde befindet sich oberhalb der Schmierdrüse und ist nach der Begattung thatsächlich mit Spermatozoön angefüllt. Die Chermes- und Phylloxera-Arten besitzen also weder in den parthe- nogenetischen, noch in der Geschlechtsgeneration einRe- ceptaculum seminis. Auch der männliche Geschlechtsapparat von Chermes strobilobius Kalt. ist nach meinen Untersuchungen etwas anders gebaut, als es Dr. Blochmann (l. ce.) beschreibt. Nach Blochmann „ergiebt die anatomische Untersuchung zwei ansehnliche Hoden und einen ziem- lich langen, mit kurzen Widerhaken besetzten Penis“; ich finde aber zwei sehr kleine bläschenförmige Hoden, einen unpaaren Ductus ejaculatorius und zwei große Anhangsdrüsen, von wel- chen Bloehmann kein Wort spricht und welche er vielleicht gerade für die Hoden gehalten hat (vgl. die beistehenden Abbildungen). Wir wollen uns nun zum Besprechen der zweiten oben aufge- stellten allgemeinen Frage — nämlich der Frage über dasKriterium des Artbegriffes — wenden. Für gewöhnlich werden die Arten auf Grund gewisser morphologischen Merkmale aufgestellt, indem man 1) Ueber die Geschlechtsgeneration von Chermes abietis L., Biologisches Centralblatt, Bd. VII, 1887—1888, S. 419. 2) Ueber die inneren Geschlechtswerkzeuge der viviparen und oviparen Blattläuse. Froriep’s Notizen Bd. 12, Nr. 262, 1839, S. 305— 308. 3) Memoire sur la generation des Aphides. Annales des sciences na- turelles, 5°, Zoologie, XIV, planche 18; 1870. Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Chermes-Arten. 379 zu einer „Art“ (Speeies) solche Formen vereinigt, die keine deut- lichen morphologischen Uebergänge zu anderen Formen aufweisen und außerdem eine bestimmte geographische Verbreitung haben. Wenn wir eine solche Definition des Species-Begriffes annehmen, so müssen wir nieht nur Ch. viridis Ratz. und Ch. abietis Kalt., sondern auch die beiden Lapponicus-Varietäten (Praecox und Tardus) für selbständige Arten halten, da dieselben außer den biologischen Unterschieden auch durch konstante morphologische Merkmale charakterisiert werden. In Fig. 1 Kig. 2 Erklärung der Abbildungen. Geschlechtsapparat von Chermes strobilobius. Fig.1. o ein reifes Ei, od der Eileiter, ac die accessorischen Drüsen, vg die Vagina, d die Legeröhrendrüse, op die Legeröhre. Fig.2. t die Hoden, de Ductus ejaculatorius, p Penis, ap die accessorischen Drüsen. diesem Falle, wie in vielen anderen, tritt die Schwierigkeit, Arten von Varietäten zu unterscheiden, offen zu Tage. Ueberhaupt kann ich Nägeli nur beistimmen, wenn er sagt, dass „die Varietäten sich er- fahrungsgemäß nicht von den wirklichen Arten unterscheiden lassen, und wenn wir ihnen eine geringere Konstanz zuschreiben als diesen, so geschieht dies, weil die Konsequenz der Theorie es unabweis- lich verlangt, nieht weil es durch bestimmte Thatsachen sich beweisen lässt). Die hier aufgeworfene Frage bietet aber ein tieferes Interesse in einer anderen Hinsicht dar. Oben haben wir gesehen, dass Ch. strobilobius Kalt. morphologisch mit Ch. lapponicus var. praecox m. fast identisch 4) 0.Nägeli, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre, München u. Leipzig 1884, S. 235. 280 Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Ohermes-Arten. ist und dass Oh. praecox von Ch. tardus, mit welchem er die gleiche Lebensweise führt, morphologisch stärker abweicht, als von Ch. stro- bilobius, welcher letztere aber einen ganz anderen Lebenseyklus dureh- macht. Es erweist sich also, dass die beiden unzweifelhaft gesonderten Arten (Strobilobius und Praecox) morphologisch sich von einander nicht unterscheiden lassen (die kleine Verschiedenheit der Farbe der Eier ausgenommen). Sehr wichtig ist es nun, dass gleichzeitig auch auf botanischem Gebiete gleichartige Thatsachen konstatiert worden sind. So wandern nach Klebahn!) einige der morphologisch fast identischen, auf Kiefernnadeln lebenden Oecidien auf Duphrasia, die anderen aber auf Melampyrum und haben also verschiedenartige Lebensgeschichte. Solehe Arten pflegt man in neuester Zeit biologische und physio- logische Species oder Schwester-Arten (Species sorores) zu nennen. Theoretisch ist wohl denkbar, dass zwei Speeies, die keine morphologischen Unterschiede bekunden, doch von einander tief ver- schieden und ganz selbständig sein können. Schon Nägeli (op. eit.) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Eier verschiedener Tiere öfters einander täuschend ähnlich sind, obgleich sie äußerst ungleiche Anlagen enthalten. Ein Hunde-Ei, äußerlich dem Schweine-Ei sehr äbnlich, stellt nichtsdestoweniger ebensogut eine bestimmte Speeies vor, wie das entwickelte Tier; durch seine inneren Eigenschaften ist das- selbe vom Schweine-Ei ebenso sehr verschieden, wie ein erwachsener Hund von einem erwachsenen Schwein. Bei einer völligen äußeren Gleichartigkeit ist also eine völlige innere Verschiedenheit möglich und es steht nichts der Annahme im Wege, dass eine solche latente Verschiedenheit bis in die spätesten Entwickelungsstadien sich erhalten kann. Vor einer solchen Erscheinung stehen wir gerade im Falle der Schwester-Arten, wie es Ch. strobilobius Kalt. und Ch. lapponicus m. oder gewisse Uredineen-Species sind. Aus allem Obigen erhellt, glaube ich, zur Genüge, dass das mor- phologische Kriterium des Species-Begriffes an sich allein unzureichend ist und durch ein biologisches Kriterium vervollständigt werden muss, welches lautet, dass die zu einer Species gehörenden In- dividuen einen gleichenbiologischen Cyklus haben sollen. Die Notwendigkeit eines biologischen Species-Kriteriums ist für die polymorphen und heterogenetischen Geschöpfe, wie die Blattläuse, ganz besonders groß. Streng genommen, müsste hier kein einziger Speciesname aufgestellt werden, ehe der Entwicklungseyklus in allen Hauptstadien bekannt ist. Da aber dieses Postulat zu schwer zu er- füllen ist, so werden bekamntlich nur zu oft neue Aphiden-Arten auf Grund der Kenntnis einer oder weniger Generationen beschrieben. 1) H. Klebahn, Kulturversuche mit heteröcischen Uredineen. Tubeufs Forstl. naturwiss. Zeitschrift, 1893. Heft 2. Cholodkovsky, Ueber den Lebenseyklus der Üermes-Arten. 281 Wenn nun der Entwieklungseyklus der betreffenden Species nicht sehr kompliziert ist und die fehlenden Glieder sich leicht erraten lassen, so bleibt eine solche Vernachlässigung des biologischen Kriteriums unbestraft, im entgegengesetzten Falle führt sie aber zu einer ungeheuren Ver- wirrung, besonders wenn noch die Schwesterarten mit im Spiele sind. Indem ich nun zur dritten der hier zu erörternden allgemeinen Fragen, — nämlich über den direkt abändernden Einfluss der äußeren Faktoren übergehe, will ich nochmals an die merkwürdige Parallele zwischen Ch. viridanus m. und den Esxsules verschiedener Chermes- Arten erinnern. Wenn der Ch. viridanus wirklich die bei Ch. viridis Ratz. fehlenden Exsules ersetzt, so liegt der Gedanke sehr nahe, dass der Ch. viridanus von den auf die Lärche emigrierten Veridis-Gene- rationen abstammt, wobei die letzteren zu einer gesonderten, speciell an die Lärche angepassten und rein parthenogenetischen Species ge- worden sind und gewisse morphologische Besonderheiten erworben haben. Es ist wohl zu merken, dass auch die Eirsules, die durch die Fundatrices spuriae mit der ursprünglichen Species noch in Verbindung stehen, bei gewissen Arten von den Fundatrices spuriae durch einige morphologische Unterschiede abweichen: so haben die Strobilobrus- Exsules eine andere Farbe und andere Struktur der Haut, als die be- zügliche Fundatrix spurie und unterscheiden sich von derselben auch dureh die Fähigkeit viel weiße Wolle auszuscheiden. Wenn wir an- nehmen, dass die Zxsules sich bis ins Unbegrenzte parthenogenetisch fortzupflanzen im Stande sind, so können dieselben bei der Unmög- lichkeit einer Zurückwanderung auf die Fichte zu beständigen Be- wohnern der Zwischenpflanze werden, auf welcher dieselben alsdann eine besondere Species bilden. Da nun die von ihnen dabei erworbenen morphologischen Merkmale infolge des Saugens auf der Zwischen- pflanze entstanden, so können wir den Schluss ziehen, dass die be- treffenden Merkmale durch die Veränderung der Nahrung hervor- gerufen sind. Wenn also aus den Ersules selbständige Arten (wie vielleicht der Ch. viridanus) entstehen, so ist der Ursprung dieser Arten dem veränderten Einfluss der äußeren Faktoren und zwar namentlich dem Einflusse der Ernährung zuzuschreiben. Hier finden wir wieder eine Stütze für unsere Theorie in den Er- scheinungen, welche neuerdings auf dem botanischen Gebiete für die Uredineen festgestellt worden sind. Eriksson und Henning haben nämlich gezeigt!), dass die auf Secale cereale gezüchteten 4) J. Eriksson, Ueber die Specialisierung des Parasitismus bei den Getreiderostspitzen. Berichte der deutschen botanischen Gesellschaft, Bd. XII, Heft 9, 1884, S. 292—331. 382 Cholodkovsky, Ueber den Lebenscyklus der Ohermes-Arten. Uredosporen von Puccinia graminis auf Secale cereale, Hordeumvulgare und Triticum repens, nicht aber auf Avena sativa und Triticum vul- gare sich weiter entwickeln können, dass also durch eine Ernährung mit den Säften gewisser Pflanzen die inneren Eigenschaften des Pilzes in solchem Grade beeinflusst werden, dass er einen besonderen bio- logischen Cyklus bekommt. Aehnliche Erscheinungen sind durch Nobbe für die symbiotischen Bakterien der Papilionaceen konstatiert worden: wenn dieselben nämlich in einer langen Reihe Generationen auf einer gewissen Pflanzenspecies leben, so verlieren sie die Fähig- keit auf anderen Papilionaceen sich zu entwickeln ?). Wieder zum Tierreiche zurückkehrend, sehen wir, dass analoge Thatsachen auch für gewisse Würmer konstatiert worden sind. Nach Ritzema-Bos verliert Tylenchus devastatrix, nachdem das Tierchen in mehreren Generationen in Stengeln gewisser Gramineen (z. B. Roggen oder Weizen) sich entwickelt hat, die Fähigkeit, sich in Zwiebelgewächsen zu entwiekeln?). P. Marchal (Anneebiologique II, 1896, p. 257) bemerkt ganz richtig in Betreff der soeben erörterten und ähnlichen Thatsachen: „on peut penser qu’un grand nombre des especes tres voisines que decrivent les entomologistes ont une origine ana- logue“, und führt als ein Beispiel die nahe verwandten Arten Ceci- domyia destructor und Cecidomyia avenae an?). Die erste der beiden Arten — die allgemein bekannte Hessenfliege — unterscheidet sich morphologisch sehr wenig von (©. avenae Marchal, welche besonders durch rein biologische Merkmale charakterisiert wird. Marchal hält für möglich, dass die Unterschiede beider Arten in der Verschie- denheit der Nahrung ihren Ursprung haben: ©. avenae lebt auf dem Hafer und ist unfähig sich auf der Weize zu entwickeln, ©. destructor entwickelt sich aber auf dem Weizen, auf dem Hafer aber nicht. Auf dem Gebiete der Forstentomologie kann man auf zwei allgemein be- kannte Borkenkäferarten — Myelophilus piniperda und Myelophilus minor hinweisen, welche einander so ähnlich sind, dass Hartig, der Entdecker des M. minor, denselben zuerst nur nach der Form der Brutgänge von M. piniperda zu unterscheiden vermochte und erst später hat der Zeichner, dem Hartig das Abbilden der Käfer anver- traute, bemerkt, dass kleine Höcker am Hinterende der Elytren bei M. minor etwas anders verteilt sind, als bei M. piniperda. Diese beiden Borkenkäferarten leben auf der Kiefer, machen aber ihre Brutgänge in verschiedenen Regionen des Baumes (M. piniperda unten am Stamme 4) Citiert nach Ann&e biologique, 2®me annee, 1896, p. 257. 2) Ritzema-Bos, Zoologie für Landwirte, Berlin, 1896, S.190. 3) P. Marchal, LesCecidomyes des cer&ales et leurs parasites. Annales de la sociöt&e entomologique de France, Vol. 66, 1897, p. 1—105, pl. 1—8. O0. Amberg, Methode der Planktonzählung. 353 und M. minor oben — auf dem Gipfel) und befinden sich in ungleiehen Ernährungsbedingungen. Die hier mitgeteilten Thatsachen und Analogien machen, glaube ich, wenigstens sehr wahrscheinlich, dass die äußeren Faktoren, insbesondere die Bedingungen der Ernährung, auf die Organismen einen tief abändernden Einfluss ausüben können und dass im Resultate dieses Einflusses nieht nur leichte, schnell vergehende Umgestaltungen (Ernährungs- modifikationen nach Nägeli), sondern auch stabileFormen sich entwickeln können, welche an ihrer Konstanz den sogenannten „guten“ Varitäten und Arten nicht nach- stehen. Besonders leicht entstehen solche Abänderungen bei den parasitären oder halbparasitären Organismen, wie bei den Aphiden, Würmern, Pilzen, Bakterien. Hieraus folgt natürlich noch nicht, dass jede Anpassung an eine Nahrung durchaus eine Abänderung des be- treffenden Organismus bedingen sollte; eine stabile Abänderung er- scheint nur in den Fällen, wo der äußere Einfluss in irgend welcher Weise das Idioplasma trifft, — diejenige erbliche Grundsubstanz des Organismus, die vorzugsweise in den Geschlechtszellen und höchst- wahrscheinlich in größerem oder geringerem Grade auch in allen übrigen Zellen des Körpers enthalten ist. Welche Einflüsse aber fähig sind, das Idioplasma abzuändern und welche es nicht vermögen, — darüber kann man vorderhand nichts sagen schon aus dem Grunde, weil wir vom Baue des Idioplasmas nichts wissen, obschon das Vor- handensein des Idioplasmas wohl mehr als eine bloße Hypothese ist. [22] Die von Schröter-Amberg modifizierte Sedgwick-Rafter’sche Methode der Planktonzählung. Von Dr. Otto Amberg (Zürich). Bei allen bisher gebräuchlichen Zählmethoden handelt es sich darum, den quantitativen Fang auf ein bestimmtes kleines Volumen zu bringen. Hensen gießt zu diesem Zwecke von seinen Fängen Flüssigkeit ab, bis nur noch 50 em? übrig bleiben. Sedgwick filtriert den Fang durch feinen Sand, der dann alles Plankton zurückhält. Unsere Methode basiert auf der Sedgwick-Rafterschen; wir filtrieren die quantitativen Fänge und bringen dann den Filterrück- stand in ein bestimmtes Wasservolumen. Als Filtrationsmedium be- nützen wir Müllergaze der feinsten Sorte (Nr. 18 mit Maschenweite 45 x 50 w). Der Filtrationsapparat ist sehr einfach. Der wesent- lichste Teil desselben ist das Filterrohr, eine nicht mehr als 20 em lange, dieckwandige Glasröhre mit einer maximalen lichten Weite von l cm, die beidseitig eben abgeschliffen ist. Ueber das eine Ende des 284 OÖ. Amberg, Methode der Planktonzählung. Rohres spannen wir ein Gazeläppchen von etwa 4cm Seite, das vorher einige Minuten in Wasser gekocht wurde. Durch das Kochen verengen sich die Maschen und das nasse Läppchen lässt sich besser ausspannen als ein trockenes. Außer dem Rohr gehört zum kompleten Filtrationsapparat ein Pumpkolben (tubulierter Erlenmeier) mit durch- bohrtem Pfropfen. Durch die Bohrung des Pfropfens wird das Filter- rohr gesteckt mit dem zugebundenen Ende nach unten, hernach wird der Pfropf luftdicht aufgesetzt. Am Ansatzrohr des Pumpkolbens wird ein Schlauch befestigt. Ist der Apparat montiert, dann folgt die Filtration. Der Fang wird in das Filterrohr eingegossen, wenn nötig durch ein Trichter- chen und man gießt in dem Maße nach, als Wasser durchfiltriert. An- fänglich geht die Filtration leicht und von selbst, wird dann immer langsamer und schließlich muss mit der Pumpe nachgeholfen werden. Als Saugpumpe darf ein schwaches Vakuum angewandt werden, am einfachsten aber saugt man mit dem Mund. Es muss in diesem Falle dann der Schlauch mit einem Mundstück (Glasrohr) versehen werden. Die Anwendung des Pumpkolbens kann dadurch vermieden wer- den, dass man anstatt den Luftdruck auf die Wassersäule wirken zu lassen, von oben in das Filterrohr hmeinbläst. In diesem Falle fängt man dann das Filtrat in einem reinen Becherglase auf. Ist die Filtration auf die eine oder andere Art beendigt, dann folgt die Prüfung des Filtrates Sollten sich in diesem irgend welche Organismen befinden, so gießt man es noch einmal durch das Filter. Bei meinen Untersuchungen von Plankton des Katzensees bei Zürich hielt der Filter alles zurück. Damit die Methode wirklich quantitativ sei, muss das Glas, in dem sich der Fang befand, sorgfältig ausgespült werden, ebenso muss, wenn ein Trichter zum Eingießen des Fanges verwendet wurde, dieser gespült werden und alle Spülwasser werdeni durch das Filter gegossen. Wenn an den Wänden des Filterrohres Organismen hängen bleiben, so spült man sie mittels eines kräftigen Wasserstrahles auf das Filterläppehen. Nach allen diesen Operationen wird schließlich das Filterchen trocken gesogen oder geblasen und um es vollständig zu trocknen, stellt man das Rohr mit dem zugebundenen Ende auf eine mehrfache Lage von Filtrierpapier. Die Uebertragung des Rückstandes in das bestimmte Wasser- volumen, welches je nach der Menge des Planktons bemessen wird, sagen wir 10 cm?, muss sehr sorgfältig geschehen. Als Gefäße zur Aufnahme des Wassers und Planktons eignen sich tarierte Probegläs- chen mit ebenem oder halbkugligem Boden, ferner Messzylinder ohne Ausguss und Büretten. Alle diese Gefäße müssen einen inneren Durch- messer haben, der größer ist als der äußere des Filterrohres. O. Amberg, Methode der Planktonzählung. 285 Die Uebertragung kann auf zwei Arten geschehen. In das tarierte Gefäß werden 1—2 em? Wasser eingegossen. Vom Filterrohr wird das Läppchen losgebunden und das Rohr selbst wird mit dem nunmehr freien Ende nach unten in das Messgefäß geschoben, dieses wird einige- male geschwenkt, damit das darin enthaltene Wasser das untere Ende des Filterrohres reinwasche. Diese Operation wird bei beiden Methoden der Uebertragung angewandt. Weiter verfährt man wie folgt: 1. In das Messglas wird Wasser eingegossen bis zur Marke 9em’?. Ueber die Oeffnung wird das Filterläppchen gelegt mit der belegten Seite nach unten. Dann legt man den Daumen über das Läppehen und schüttelt so lange, bis das Läppehen rein ist. Das Läppchen wird unter dem Mikroskop auf Reinheit geprüft. Man füllt dann tropfen- weise mit Formalin auf 10 em? auf. 2. Das Filterchen wird wie oben aufgelegt und über der Oeffnuung festgebunden oder mit zwei Fingern festgehalten. Mit der freien Hand fasst man die Spritzflasche und lässt einen kräftigen Strahl aus der- selben aus etwa 20 cm Höhe schön senkrecht auf das Filterchen wirken. Die Organismen fallen dann von diesem in den Grund und auch teil- weise an die Wände des Messgefäßes. Ist das Läppchen rein, laut mikr. Prüfung, dann wird es von der Oeffnung weggenommen. An den Wänden haftende Planktonten werden mittels Wasserstrahl in den Grund des Gefäßes befördert und schließlich wird Wasser und tropfenweise Formalin in das Meliglas gegossen bis 10 cm? erreicht sind. Bei der ersten Uebertragungsweise zerbrechen wegen des Schüttelns die Peridineen leicht, bei Nr. 2 fällt dieser Fehler weg, dagegen kommen bei nicht genau senkrechtemSpritzen viele Organismen an die Wände, lassen sich jedoch leicht wegwaschen. Ich habe bei meinen Untersuchungen den in das tarierte Probe- gläschen gebrachten Fang drei Tage stehen lassen und habe dann das Volumen des Planktons abgelesen, miteingerechnet das Volumen des Auftriebes (Wasserblütealgen), welcher sieh nicht oder nur teil- weise absetzt. Dieser Auftrieb ist auch eine der Ursachen die das Filtrieren nötig machen, beim einfachen Abgießen der Flüssigkeit geht der oft sehr voluminöse Auftrieb verloren. Wollen wir nun zählen, so müssen wir von den 10 em? Plankton und Wasser einen herausnehmen und in die Zählkammer einfüllen. Die Zählkammer, wie wir sie benützen, ist mit wenigen Modifikationen dieselbe, wie sie Sedgwick eingeführt und angewandt hat. Auf einen großen Objektträger ist ein Rahmen aus 5 mm’breiten und 1 mm diekem Messingblech aufgekittet von den innern Dimensionen 20 x 50 mm. Der Boden der Kammer ist bei Sedgwick eingeteilt in mm? und in standard unites (1 stu= 400 u?). Wir haben die Einteilung weg- gelassen. Die Zählkammer wird bedeckt mit einem dünnen Objekt- träger, ihre Kapazität beträgt genau 1 cm?. 286 0. Amberg, Methode der Planktonzählung. Haben wir den Fang in eine Bürette gebracht, so können wir nach leichtem Umschütteln aus derselben 1 cm? ausfließen lassen. Haben wir aber das Plankton in ein Probegläschen oder in einen Messzylinder gebracht, so müssen wir anders verfahren. Entweder können wir nach dem Umschütteln mit einer Pipette einen em? her- ausnehmen oder wir verfahren wie folgt. Das Messgläschen nehmen wir zwischen zwei Finger und verschließen die Oeffnung mit dem Daumen derselben Hand, schwenken das Glas bis in ihm eine ho- mogene Mischung entstanden ist, neigen es über die Zählkammer, lüften den Daumen einen Augenblick und lassen ein kleines Quantum Wasser ausfließen. Nach dem Füllen leiten wir mittels einer Nadel die Flüssigkeit in die Ecken der Kammer und schieben hernach das Deckglas flach auf (— als solches kann auch ein dünner Objektträger figurieren! —). Durch dieses Verfahren wird allfällig überschüssiges Wasser weggeschoben. Befindet sich weniger als 1 cm? in der Kam- mer, dann entstehen Luftblasen, welche dann durch Eingießen von mehr Flüssigkeit verdrängt werden müssen !). Noch bevor wir die Kammer füllen, montieren wir das Mikroskop. Auf dem Tisch bringen wir eine Schiebeeinrichtung an, die es erlaubt mittels Schrauben das Objekt von links nach rechts und von vorne nach hinten zu verschieben. Die Schiebebühne ist nicht absolut not- notwendig, das Objekt kann auch von Hand langsam verschoben werden. Als Okular verwenden wir ein Okularmikrometer, dessen Mess- einlage ersetzt ist durch eine Blecheinlage mit quadratischem Aus- schnitt. Diese Einlage ist von Rafter in die Zählmethode eingeführt worden. Der Ausschnitt deckt sich bei der Vergrößerung Hartnack Obj. 3 Oe. 2 bei ausgezogenem Tubus mit einem mm? des Objekts, unter dem Quadrat befindet sich also ein mm? Flüssigkeit mit Plankton. Ist das Mikroskop aufgestellt, dann legen wir die Zählkammer in die Schiebevorrichtung resp. auf den Tisch und stellen ein auf die obere Ecke links. Haben wir die Absicht alle 20 x 50 Quadrätchen zu zählen, so verschieben wir horizontal und zählen eine Reihe ab, dann Verschiebung um 1 mm nach vorne und die zweite Reihe wird abgezählt u.s. w. Ich habe mich in der Regel mit 50 Quadrätchen begnügt und habe diese in der Diagonale des Rechtecks gewählt aber alle gezählt, leere wie überfüllte. Die Cruster zähle man nicht, denn wir fangen ja nie alle und während des Zählens wechsle man be- 1) Es empfiehlt sich das Deckglas aus zwei Gründen auf der Unterseite zu befeuchten. Erstens findet dann kein kapillares Eindringen von Flüssigkeit zwischen den Rahmen und das Deckglas statt, wird also ein Verlust von Flüssigkeit vermieden und zweitens findet keine Adhäsion von Kammerwasser zum nassen Glas statt und dadurch werden Schiebungen in der Flüssigkeit ver- unmöglicht. O0. Amberg, Methode der Planktonzählung. 987 ständig die Einstellung; denn indem 1 mm hohen Raum liegen nicht alle Planktonten gleich hoch, wir wollen aber alle zählen. Will man die Cruster zählen, was man aber klugerweise aus dem angeführten Grunde unterlässt, so wähle man die Vergrößerung (?) und zähle dann alle 7 x 17 Quadrate die sich ergeben. Hat man nun z. B. bei der Zählung in 50 Quadraten 214 Melo- sirazellen gefunden, so muss man multiplizieren mit 20 und erhält 4280 in 1 em?, in 10 em? sind demnach 42800 Melosiren enthalten, die 10 em? entsprechen aber dem ganzen Fang. Multipliziert man dann noch mit dem Filtrationskoeffizienten, so erhält man die Anzahl der Zellen unter 1 m?, Aus dem Rechenbeispiel ist ersichtlich, dass bei unserer Methode nur wenige Multiplikationen gemacht werden müssen, ebenso müssen wir nur einmal eine homogene Mischung herstellen und unsere Zähl- platten sind bedeckt, alles Vorteile, die der Hensen’schen Metliode fehlen. Endlich ist es gleichgiltig worin der Fang aufbewahrt sei, wir müssen vor der Filtration die Flüssigkeit nicht wechseln, eines nur muss bemerkt werden, nämlich, wenn der Fang mit Sublimat fixiert ist, so spüle man ihn auf dem Filter mit Jodlösung aus, damit das Sublimat unschädlich wird und den Messingrahmen der Zählkammer nicht angreift. Zum Schlusse will ich hier noch eine kurze Geschichte der Ent- wicklung der Methode anführen. Prof. Sedgwick von der Rochester University in Amerika hat zuerst Plankton filtriert durch eine Schicht feinen Sandes, der im Ablaufrohr eines Triehters mittels einer Sprungfeder festgehalten war, brachte dann den Sand mit den Organismen in die Zählkanımer mit Bodeneinteilung und zählte ohne Okulareinlage. Diese wurde ein- geführt durch Rafter, der die ganze Methode außerdem folgender- maßen umgestaltete. Als Filtrationsmedium diente Sand, festgehalten in einem Triehterrohr durch einen durchbohrten Gummipfropfen. Er schüttelt die Organismen nach der Filtration aus dem Sand heraus (bekommt aber wohl nie alle), bringt die Flüssigkeit in die oben beschriebene Zählkammer u. 8. w. Prof. Schröter- Zürich (dem ich die Anregung zu dieser Arbeit verdanke) führte Seidengaze als Filtrationsmedium ein, die er über dem eben abgeschnittenen Ende eines Triehterrohres festband. Ich habe den Triehter durch das Filterrohr ersetzt. Die Planktonübertragungs- methode 1 ist von Schröter angegeben, Nr. 2 habe ich eingeführt: Ebenso empfehle ich den Fang in eine kleine Bürette mit Glashahn zu übertragen. Unsere Filtrationsmethode hat in neuester Zeit durch Herrn Th. Hool in Luzern eine weitere Modifikation erfahren, und ich er- 388 Gaupp, Ecker’s und Wiederheim’s Anatomie des Frosches. laube wir hiermit auf die bezügliche Arbeit, die in dieser Zeitschrift erscheinen wird, aufmerksam zu machen. E. Gaupp, Ecker’s und Wiederheim’s Anatomie des Frosches. Neu bearbeitet, 2. Abteil., 2. Hälfte, Lehre vom Gefäßsystem. Brauuschweig 1899. 4°. 323 8. 84 Abb. Im Jahrgang 1898, S. 104 ds. Blattes wurde die erste Abteilung und die erste Hälfte der zweiten Abteilung des Gaupp’schen Werkes ange- zeigt. Nun ist die zweite Hälfte der zweiten Abteilung mit der Lehre vom Gefäßsystem erschienen; wer den Band auch nur flüchtig durch- blättert, wird die Verzögerun gseines Ersch einens erklärt finden durch die außerordentliche große Arbeit, die er erforderte. Fast alle Figuren sind neu gezeichnet, das ganze Blutgefäßsystem ist auf das genaueste dargestellt und das Lymphgefäßsystem, das bei dem Frosch in so eigen- artiger Weise entwickelt ist, ist auf 102 Seiten so gut wie ganz neu behandelt worden; in dem alten Werke fehlte z. B. die Darstellung der tiefen Lymphräume ganz. Wie in den früheren Abschnitten, hat sich auch hier der Verf. nicht auf die anatomische Beschreibuug im engsten Sinne, systematisch und topographisch, beschränkt, sondern geht auf den histologischen Bau der Teile, auf ihre Funktionen, ihre Entwicklungs- geschichte und ihre vergleichend anatomische Bedeutung ein. Im beson- deren seien folgende Abschnitte hervorgehoben: Blutbildung; Herz und große Gefäße und im Anschluss daran die Erläuterung der außerordent- lich komplizierten und doch bei genauer Untersuchung überraschend zweck- mäßigen Vorkehrungen zur Trennung des arteriellen und venösen Blutes im Kreislauf, trotz der einzigen Herzkammer; Pfortaderkreislauf der Leber und der Niere; Entwicklungsgeschichte dieser Venengebiete, und vorher, die der großen Arterien; vergleichende Betrachtung des Arteriensystems der vorderen und hinteren Extremitäten, endlich die allgemeinen Bemer- kungen über das Lymphsystem und seine Ausbildung und die Lymph- herzen. Erinnern wir noch daran, dass bei allen wichtigeren 'T'hatsachen in knapper Form die Geschichte ihrer Auffindung gegeben ist und den Halbband systematisch geordnete Litteraturverzeichnisse mit zusammen 189 Nummern beschließen, so ergiebt sich von selbst, dass auch dieser Abschnitt des Werkes für jeden Biologen, dessen Arbeitsgebiet irgendwie zu dem Frosch Beziehung hat, ebenso nützlich zu thatsächlicher Orien- tierung als anregend und grundlegend für weitere Forschungen sich er- weisen wird. W. [23] Botanische Einsendungen für das Biol. Centralblatt bittet man an Herrn Prof. Dr. K.Goebel, München, Nymphenburg er St.50 III, alle anderen an die Redaktion, Erlangen, nhysiolog. Institut, Bestellungen sowie alle geschäftlichen, namentlich die auf Versendung des Blattes, auf Tauschverkehr oder auf In- serate bezüglichen Mitteilungen an die Verlagshandlung Arthur Georgi, Leipzig, Salomonstr. 16, zu richten. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. 1. Mai 1900. Nr. 9. Inhalt: von Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen*? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene (Schluss). — Wiedersheim, Brut- pflege bei niederen Wirbeltieren (Erstes Stück). — Frank u. Fried. Krüger, Schildlausbuch. Beschreibung und Bekämpfung der für den deutschen Obst- und Weinbau wichtigsten Schildläuse, Bearbeitet für die Praxis, — Be- riehtigungen. XX. Band. Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? Experimentelle Bei- träge zur Biologie der Honigbiene. Von H. von Buttel-Reepen (Jena). (Fünftes Stück und Schluss.) Wir haben gesehen, dass die Bienen -auf Grund ihrer Orientierung in der Gegend nach der Stelle des Flugloches fliegt, ohne dasselbe oder seine nächste Umgebung sehen zu müssen; dass sie aber an- dererseits ganz in der Nähe angekommen, gewöhnlich auch die Um- gebung des Flugloches soweit beachtet, dass sie eine etwaige Verände- rung des Stockäußeren gewahr wird. Je eiliger sie (z.B. bei reicher Tracht) zu dem Stocke zurückfliegt, umsoweniger wird sie das Aus- sehen des Stockes selbst beachten und umsoweniger wird ein Stutzen oder Zögern bemerkbar sein, selbst wenn eine Beachtung durch sehr auffällige Veränderung erzeugt sein sollte. Beeinflussung des Gesichtssinnes resp. des Orien- tierungsvermögens durch Witterungsverhältnisse. Wirft man Bienen in der Dämmerung unweit ihrer Wohnung in die Höhe, so finden sie ihr Heim nicht wieder. Sie ziehen einige kleine Kreise und fallen dann „scheu und verloren“ zu Boden. Auch Bethe hat diesen Versuch gemacht, bleibt uns aber die Antwort schuldig, warum die „unbekannnte Kraft“ nicht wirksam ist unter solchen Umständen. Dass hier lediglich der Gesichtssinn in Bezug auf die Orientierung maß- gebend ist, dürfte auch aus folgenden Beobachtungen klar werden. xXX, 19 90 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? „Ein Obstzüchter in England war erstaunt, in einem Teile seines ausgedehnten Gartens, wo einige Bienenvölker standen, die Bäume viel stärker mit Früchten beladen zu finden als in den anderen Teilen. Er erinnerte sich nunmehr, dass starke Nebel während der Blüte- zeit geherrscht hatten und die Bienen infolgedessen nur eine kurze Strecke geflogen waren“ !). Wie stark plötzlich aufsteigende dunkle Wolken den Flug be- einflussen, weiß jeder, der Bienen längere Zeit beobachtet hat. Es entwickelt sich in solchen Fällen oftmals, zumal während der Tracht- zeit, ein hübsches Schauspiel. Die Hunderttausende von Bienen, die aus wenigen starken Stöcken aufs Feld geeilt sind, stürzen bei dem Herannahen des Unwetters in wilder Hast ihrem schützenden Heim zu. Mit kaum begonnenen „Höschen“ oder halb vollendeten kommen sie in blinder Eile in unaufhörlichem Zuge herbeigeströmt, sie „schla- gen“ sich auf die Stöcke. Stellt man sich so, dass die dunkle Wetter- wolke im Hintergrunde steht und die Sonne auf den Tausenden von schwirrenden Flügeln blitzt, so ist der Anblick in der That ein höchst eigenartiger. Dass wir es bei dieser stürmischen Heimreise mit einer Orientie- rung durch die Augen und nicht mit einer „unbekannten Kraft“ zu thun haben, geht auch weiterhin daraus hervor, dass in der erwähn- ten „blinden Eile“ vielfache Irrungen vorkommen und viele Bienen in fremde Stöcke einziehen. Eine „unbekannte Kraft“ die „wie ein Magnet zieht“, dürfte solche Verirrungen nicht gestatten. Ein sehr bedeutender Bienenwirt, Herr Dathe in Eystrup, teilt mir folgendes mit. Auf einem seiner ungefähr 500 Völker umfassen- den Bienenstände befanden sich verschiedene frei stehende Stapel von Kastenvölkern. Die Ausflugrichtung ging, wie nachstehende Figuren verdeutlichen sollen, nach verschiedenen Richtungen. Die Pfeile geben ‚ die Mündung der Fluglöcher resp. die Richtung des An- oder Ab- fluges an. Ta d Ta d BT 4 —1 pe | > db | vr |@ d ja d Bei aufziehendem Gewitter u.s.w. machte Dathe nun vielfach die Beobachtung, dass infolge der überstürzten Heimkehr viele Bienen sich auf die falschen Stapel warfen und solche, die gewohnt waren an den Seiten — also beic — einzuziehen, sich an den Stapeln 1 u. 3 4) Bienenwirtschaftl. Centralblatt, 1892 Hannover, S. 205. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 291 an entsprechender Stelle (#4) vergeblich abmühten, in den Stock zu gelangen, obgleich sich dort keine Fluglöcher befanden. In gleicher Weise suchten die „a“-Bienen an den Stapeln 2 und 4 bei d vergeblich ihr Flugloch. Eine gleiche Erscheinung zeigte sich bei heftigen Windstößen, die ein Hinausschleudern aus der gewohnten Flugbahn bewirkten. Es geht hieraus hervor, dass ein Erinnerungsbild des Stockes vor- handen ist, sowie eine richtige Orts- und Höhenlageabschätzung, wenn auch am falschen Stapel. Die Erklärung dieser Irrungen ist, so möchte ich sagen, naturgemäß, sobald man den Bienen Orientierung durch den Gesichtssinn zuschreibt; sie ist schwer denkbar auf Grund der „unbekannten Kraft“. Eine weitere interessante Beobachtung verdanke ich dem schon erwähnten Leiter der „Badischen Imkerschule“ Herrn Roth. Diese leitet uns zugleich über zu dem besonderen Reagieren der Bienen auf Farben. Einfluss der Farben auf die Bienen. Ich erwähne hier nur zwei Beobachtungen, im Uebrigen kann ich hinsichtlich des Ein- flusses der Farben auf die Bienen nur auf die bekannten Lubbock’- schen !Jsund Herm. Müller’schen ?) Experimente sowie auf die Beth e’- schen (l. e.) u.s. w. hinweisen. Haben wir oben gesehen, dass schon in der Dämmerung der Flug vollkommen unsicher wird, so ist es einleuchtend, dass auch bei trübem Wetter eine wesentliche Beeinflussung des Orientierungsver- mögens eintritt). „Einer meiner früheren Nachbarn“, so lautet die Roth’sche Mit- teilung, „strich den Hausgiebel über dem Bienenstand luftblau an. Die- selben Bienen, die immer über den Giebel hinweggeflogen waren, rannten an den nächsten trüben Tagen mit den Köpfen an den Giebel, sie wollten durchfliegen.“ Ein Lehrer Stähelin machte folgende Beobachtung. „Ein schwa- cher Nachschwarm mit größtenteils jungen Bienen aus einem vorn blau angestrichenen Kasten zerstreute sich bei starkem Vorspiel der an- deren Völker‘) und setzte sich überall in kleinen Klümpchen an. Bald suchten sie ihre alte Heimat wieder auf, aber nur einzelne fan- den sie, die übrigen flogen zu anderen Stöcken und welchen? Ueber- 4) Lubbock, Ameisen, Bienen und Wespen. Intern. wiss. Bibliothek. Bd. 57, Leipzig 1883. 2) Herm. Müller |, c. 3) Man vergleiche hiermit das gleichartige Verhalten der Brieftauben (H. E. Ziegler, Ueber die Geschwindigkeit der Brieftauben |. c.). 4) Weil der Schwarmton, der die schwärmenden Bienen zusammenhält (s. 8.141) von dem lauten Summen der stark vorspielenden anderen Völker verschlungen wurde. Also Mitteilungsvermögen durch das Gehör! 197 399 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? all wo ein blaues Thürchen sie einlud, begehrten sie Einlass, sonst nirgends; leider wurden sie aber so unfreundlich empfangen, dass vor allen blau markierten Kasten der Boden mit Leichen bedeckt war)“, Auch diese Fälle zeigen nichts von einer unbekannten Kraft, wohl aber die große Bedeutung des Gesichtssinnes für die Bienen resp. ihre Irreleitung durch Augentäuschungen. Einige weitere Beiträge zur Biologie. Einfliegen der Bienen in ein Zimmer. Setzt man Honig in die Tiefe eines Zimmers und öffnet dann das Fenster, so werden alsbald einzelne Bienen vor dem Fenster erscheinen?). Der Einflug voll- zieht sich in sehr charakteristischer Weise. Ueberaus langsam, wie vor- sichtig spürend, wagen die Bienen sich in den immerhin gegen draußen liehtgedämpften Raum. „Zaghaft“ wird ein Vorstoß gemacht, auf und nieder, hin und her geht der tastende Flug, bis der Honig erreicht ist. 1.) Schweiz. Bien. Ztg. Aarau. Jahrg. 1893. 2) Es geht hieraus hervor, wie schnell die Bienen (allerdings meistens nur in trachtarmer oder trachtloser Zeit) Honig aufzuspüren wissen, und dass die Bethe’sche Ansicht, den Bienen sei „die Stadt unbekannt geblieben“, nicht begründet sein dürfte, da sich überall Honig in einer Stadt findet. Ich ver- weise auf meine diesbezüglichen Ausführungen auf $.180. Ich möchte an dieser Stelle eines Briefes des Redakteurs des „Els.-Lothring. Bienenzüchter“, Karl Zwilling, erwähnen, der mir nachträglich zuging und der eine Be- stätigung meiner Ausführungen enthält. „Außerhalb Strassburgs sind mehrere Bienenstände dicht an den Wällen, deren Bienen kein Bedenken haben (aber nur in trachtloser Zeit), bis in das Innere der Stadt zu fliegen und dort in die Bonbons-Fabrik des HerrnPale, Tiergartenstraße, einzudringen, um daselbst die Arbeiter zu belästigen und Süßigkeiten mitzunehmen. Selbst im Monat Dezember 1899, bei warmem Sonnenschein, flogen die Bienen nach meiner Beobachtung mitten in die Stadt auf den Kleberplatz, wo hunderte von Töpfen mit Blumen zum Verkaufe aufgestellt waren. Sie sammelten darauf Pollen und Honig. Jedes Jahr fliegen selbst Schwärme in die Stadt Strassburg hinein und hängen sich an Kastanien, Linden, Ahorn und Akazienbäume, welche sich in mehreren Stadt- teilen befinden, selbst einmal an die Vitrinen eines Handschuhladens in der Nähe des Münsters. Zur Blütezeit werden diese Bäume sehr stark von den Bienen beflogen. — Im Innern der Stadt giebt es längs der Ill schöne Alleen von Kastanien, rings um den Kleberplatz eine Allee von Linden u. s. w., die sämtlich in der Blütezeit von den Bienen aufgesucht werden. Die Honig- händler und Zuckerwarenhändler in der Stadt Strassburg, die ihre Waren unter Deckel halten, werden von den Bienen nicht belästigt. Da ich in der Nähe von Strassburg wohne (10 Minuten per Bahn) und seit 30 Jahren Präsident des dortigen Bienenvereins bin, kenne ich daselbst die Bienenverhältnisse ge- Na re v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 293 ww Als ich im Sommer, mit Bieneneieruntersuchungen beschäftigt, einige Waben im Laboratorium des Instituts stehen hatte und eines Tages das Fenster öffnete, flogen alsbald einige Bienen herein, aber merkwürdig sicheren Fluges bis an die Tiefenwand. Das machte mich stutzig und ich lenkte die Aufmerksamkeit des gerade anwesenden Assistenten Dr. L. Schulze darauf hin, mit dem Bemerken, dass diese Bienen wegen ihres sicheren Einfluges jedenfalls schon anderswo in einem anderen Zimmer genascht haben müssten. Der einzige Honig im Institut befand sich im Zimmer des Assistenten, doch erwiesen sich die Fenster als geschlossen. Es waren, wie ich aus der Färbung erkannte, fremde Bienen d. h. keine Bienen des Beobachtungsstandes im Institutsgarten. Das Rätsel löste sich folgendermaßen. In einer Villa kaum 20 Schritt von dem geöffneten Laboratoriumsfenster ent- fernt, hielt ein Bienenfreund ein paar Stöcke auf dem Dachboden. Der Flug ging durch das Dachfenster, die Bienen hatten sich also an den Einflug in einen lichtgedämpften Raum gewöhnt. In diesem modifizierten Verhalten liegt für mich zweifellos, dass die Biene lernt. Die Bienen eines Freistandes würden sich sicher anders benommen haben. Das Verhalten der Raubbienen. Da die Raubbienen durch das Eindringen in fremde Stöcke sehr bald ihres Haarkleides ver- lustig gehen, weil sie infolge des fremden Nestgeruches von den Be- raubten gezupft und gezerrt werden, auch durch das Besudeln mit Honig sich! energisches Belecken gefallen lassen müssen, wird ihr Aeußeres sehr bald in der That räubermäßig. Das farbige Haar- kleid verschwindet und das nackte, dunkle Chitin tritt zu Tage, wie man es im Frühling bei alten überwinterten Bienen auch finden kann!). Im Sommer, wo die Bienen überhaupt nicht alt werden (s.S. 220), kann man in den meisten Fällen derartig ausschauende Bienen als „Näscher“ oder als „Räuber“ ansprechen. Da der Verlust der Haare die Bienen kleiner erscheinen lässt, hielt man diese „schwarzen Bienen“ früher für eine besondere Bienen- sorte?). Von besonderem Interesse ist es, das Verhalten dieser Raubbienen zu beobachten, da sie in ihrem Gebahren vollkommen von den gewöhn- lichen Arbeiterinnen abweichen. Ihr Anflug an fremde Stöcke ist im Anfang, wenn sie ihr Metier beginnen, ein sehr unsicherer „scheuer“ und „ängstlicher?)*. Es macht in der That auf das täuschendste den Eindruck, als ob sie nicht wagten, ihren Raubgelüsten zu folgen, als seien sie sich der Gefahr 4) Dathe |. c. S.180. 2) „Bienenzeitung“ Nr. 5 u. Nr. 11 I; Nr. 13, 14, 15 V; ferner Dr. Mager- stedt, Der praktische Bienenvater, 2. Aufl. S. 154, Sondershausen 1845 u. 8. w. 3) Ludw. Huber, Neue nützl. Bienenzucht, 13. Aufl., Lahr 1900. 294 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? bewusst, in die sie sich begeben. Ist es ihnen aber gelungen, in einen Stock einzudringen, so werden sie bald immer frecher und „die, welche schon längere Zeit die Näscherei betrieben haben, kann man anihrem flüchtigen, im Eindringen geübten Benehmen erkennen“!). Hier haben wir wieder ein schönes Beispiel der Lernfähigkeit?). Enstehung des feindlichen Verhaltens. Während einzel- lebende Bienen wie Chalicodoma muraria oder Andrena ovina oder Anthophora personata keine Kenntnis ihrer Feinde haben, und der ganzen Sachlage nach auch gar keine Kenntnis haben können, sehen wir bei Apis mellifica, dass sie diese im Stock größtenteils unschädlich zu machen versteht. Carriere?) meint, dass sich diese Kenntnis und Vertilgungsfähigkeit bei Apis mellifica findet, weil sie einen „dauernden Staat darstellen“ und sich infolge dessen eine „Tradition“ ausbilden konnte. Ich vermag diese Ansicht nicht zu teilen, die gar zu sehr menschliche Intelligenz substituiert. Ich glaube, dass auch hier das Selektionsprinzip gewirkt hat. Für die Bienen- kolonie, welche einen Vorrat von Honig ansammelt, ist es natürlich von großer biologischer Bedeutung, dass Schutzmittel gegen das Ein- dringen fremder Räuber u. s. w. bestehen; daher entstand der Trieb auf Eindringlinge mit fremdem Geruch oder mit abweichendem Ver- halten feindlich zu reagieren. DasSchwindenderTriebebeiabnehmenderVolksstärke. Nur das starke Volk erwehrt sich seiner Feinde, sei es der Raubbienen, sei es der Wachsmotten ete.; nicht, dass das schwächere es nicht auch sehr gut vermöchte, da es hierzu noch reichlich Streiter aufstellen könnte, aber thatsächlich schwindet der „Mut“, die „Thatkraft“ des Volkes bei geschwächter Volksstärke. Das enge Flugloch könnte mit Leichtigkeit verteidigt werden, aber solche Völker besetzen das Flug- loch oft gar nicht mehr. Sie lassen die einzelne Raubbiene, die einzelne Wachsmotte u. s. w. ruhig gewähren, obgleich sie sie ohne Mühe vertreiben resp. töten könnten. Je mehr man ein Volk verkleinert, je mehr versagen alle Triebe. Das Heim wird nicht mehr gesäubert, der Flug wird mehr und mehr eingestellt. Träge und „apathisch“ sitzen die Bienen auf den Waben herum. Entfernt man schließlich fast alle Bienen, so dass 4) Dathe, Lehrbuch der Bienenzucht ]. ce. S. 180. 2) „Die Näscher werden oft so dreist, dass sie die ankommenden Tracht- bienen anhalten, und diese, welche dadurch in den Wahn kommen, dass sie an einen fremden Stock angeflogen seien, reichen ihnen den Rüssel und lassen sich so den Honig aus dem Munde stehlen. Solche Räuber sind wie Gauner in großen Städten, welche sich als Polizeibeamte verkleiden und unter dieser Maske Betrügereien ausführen“; Dathe |. ce. S. 183. 3) Carriere und Bürger, Entwicklungsgeschichte der Mauerbiene. Abhd. der Kaiserl, Leop. Carol. deutsch. Akad. der Naturf. Bd. LXIX Nr. 2. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 295 [7 die Königin nur noch mit einer Handvoll zurückbleibt, so wird oft nicht einmal mehr untergestellter Honig aufgetragen!). Auf dieses eigentümliche Versagen oder Schwächerwerden der Triebe bei abnehmender Volksstärke ist bei Beobachtungsexperimenten ein Hauptaugenmerk zu richten, da anderenfalls die gewonnenen Re- sultate niemals einwandfrei sind. Ein schwaches Volk benimmt sich ganz anders, als ein starkes und die Reaktionen verlaufen oft entgegen- gesetzt. Auch auf die Abarten der Apis mellifica ist in dieser Hin- sicht Rücksicht zu nehmen, da sich ein kleines Voik der Haidbiene z. B. anders benimmt als ein schwaches Volk der in Mittel- und Süd- deutschland heimischen Biene und dieses wieder anders als die Krainer oder Italiener Biene unter gleichen Verhältnissen. Kurz, es gehört völliges Vertrautsein mit allen einschlägigen Faktoren dazu, um fehler- freie Ergebnisse zu erhalten. Reaktion auf den Anflug. Sehr zu beachten ist ferner eine Reaktion der Bienen, deren bislang nur flüchtig gedacht wurde, deren Nichtbeachtung jedoch falche Sehlüsse veranlassen kann; es ist die scharfe Reaktion auf die Art und Weise des Anfluges an den Stock resp. in das Flugloch. In vielen Fällen dürfte es daher nicht der be- sondere Geruch sein, der die Raubbienen verrät, sondern, wie erwähnt, ihr „scheuer“, zögernder Flug. Es lässt sieh nämlich oft beobachten, dass die das Flugloch und das Anflugbrett belagernden Bienen solchen Raub- gesellen beiihren Versuchen einzudringen, entgegenfliegen und sie in der Luft packen, ehe meines Erachtens von dem Geruch dieser einzelnen Biene in der starken Fluglochausdünstung auch nur die leiseste Wahr- nehmung gemacht werden kann?). Es ist die Reaktion auf die be- sondere Art des Anfluges. Im Einklang damit steht, dass, wenn die Raubbienen kühner werden und ihr Flug glatt in das Flugloch geht, die Abwehr kaum bemerkbar und oft gar nicht vorhanden ist. Macht man nun Versuche z. B. mit in Wasser oder schwachem Alkohol gebadeten Bienen, um den anhaftenden Nestgeruch zu ent- fernen und lässt sie nach dem Trocknen in ihre Stücke laufen, so wird sich infolge ihres sicheren Einziehens in das gewohnte Flugloch keinerlei bezeiehnende Reaktion bei den Stockinsassen bemerkbar machen. Hat man die Baderei recht gründlich besorgt, so wird auch bei einem fremden Stocke keinerlei bezeichnende Reaktion ausgelöst, nicht 4) Und doch ist bekanntlich der Reiz des Honigs auf die Biene ein alles überwiegender. Lässt man eine Biene an einem Tropfen Honig saugen und schneidet ihr mit geschicktem Schnitt den Hinterleib unmittelbar hinter dem Thorax fort, so saugt sie noch lange Zeit ruhig weiter, während das Auf- gesogene hinten wieder ausfließt. 2) Wie wenig die Bienen im Freien aus verhältnismäßig sehr geringen Entfernungen selbst den starken Königingeruch zu perzipieren vermögen, wurde früher schon erwähnt (s. S. 139). 296 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? nur, weil der fremde Nestgeruch nun entfernt ist, wie vielleicht ge- schlossen werden könnte, sondern weil durch das Baden das Orts- gedächtnis ausgelöscht ist (s.S. 191)!) und die betreffenden Bienen nunmehr jeden beliebigen Stock als ihren eigenen ansehen und ohne Zögern einlaufen und infolge dieses ruhigen Einziehens oft sehr wenig oder gar nicht beachtet werden. Lässt man ein weiselloses Volk einem weiselrichtigen zulaufen oder wandert es selbst hinüber (s. S. 103), so zieht ein breiter Strom „freudig“ sterzelnder Bienen in den fremden Stock hinein und dieses sichere, ich möchte sagen, selbstverständliche Usurpieren der fremden Wohnstätte, muss in den meisten Fällen wohl etwas „Verblüffendes“, „Verwirrendes“ für die Insassen haben, denn nur in seltenen Fällen wird eine Abwehr versucht. Es scheint daher, als wenn der Nest- geruch nicht das einzige absolut sichere Erkennungszeichen sei, son- dern dass die Art des Anfluges, das besondere Benehmen beim Einfluge, eine wesentliche Rolle beim Erkennen von Freund und Feind spiele oder doch jedenfalls bei der Auslösung feindlicher Reaktionen. Schüttet man betäubte Bienen, die also außer dem fremden Nest- geruch noch den strengen Geruch des Betäubungsmittels an sich haben, einem Volke zu, so werden fast niemals feindliche Reaktionen aus- gelöst, da die Zugeschütteten vollkommen ruhig liegen oder sich nur sehr langsam bewegen. Die Entstehung des Wabenbaues. Der anscheinend so „kunstvolle“ Wabenbau kann als’ Beweis für höhere Fähigkeiten der Biene kaum herangezogen werden, da er bekanntlich nur das Resultat mechanischer Kräfte ist, wie Müllenhoff?) nachweist. Mit manchen Einzelheiten der Müllenhoff’schen Erklärungen vermag ich mich nicht zu befreunden, da sie mit meinen Beobach- tungen nicht völlig übereinstimmen. Gegen die Grundlage der Müllenhoff’schen Theorie mechanisch wirkender Prinzipien dürfte aber schwerlich ein Zweifel zu erheben sein. Nach der Müllenhoff’schen Theorie kann eine sogen. einseitige Wabe nicht die aus drei Rhomben gebildeten pyramidalen Zellenböden auf- weisen, dennoch sehen wir sie aber nicht selten bei solchen Waben. Auch darf man meines Erachtens nicht die Sache so darstellen, als arbeiteten die Bienen mit halbflüssigem Material, um dadurch die Spannung der Plateau’schen „Flüssigkeitshäutchen“ resp. der Böden und Seitenwände der Zellen einer Erklärung näher zu führen. In der Bienen- 4) Ich muss erwähnen, dass durch das Baden die früheren Erinnerungs- bilder nicht immer zurückgedrängt werden. Es scheint, als ob die Zeitdauer und namentlich die Temperatur des Wassers eine besondere Rolle spielen. Meine Versuche nach dieser Richtung hin sind noch nicht abgeschlossen. 2) K. Müllenhoff, Ueber die Entstehung der Bienenzellen, Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. XXXII, Bonn 1883. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 297 traube herrscht eine Wärme von28—34°, während Wachs erst bei 62° schmilzt. Allerdings ist das Wachs bei ca. 30° weich und leicht dehnbar, dennnoch verbleibt für die instinktive Thätigkeit der Biene als selbst- ständige Leistung das Verdünnen und Glätten der Böden und Wan- dungen, sowie die besondere Größe der Zellen. Die Mechanik erklärt nicht, warum die Drohnenzellen so sehr viel größer sind als die Ar- beiterzellen. Die entstehenden Winkelformen resp. -größen haben freilieh mit der „Kunst“ der Bienen nichts zu thun. Ich kann hier dieserhalb nur auf die interessante angeführte Arbeit verweisen. Die Müllenhoff’sche Angabe, dass in die so entstandenen und mit Honig gefüllten Zellen „ein Tropfen von dem Sekrete der Gift- drüse hinzugefügt“ würde, zur Konservierung des „nicht für den augen- blieklichen Verbrauch bestimmten“ Inhaltes, ist menschlich recht ein- leuchtend, entspricht aber nicht den thatsächlichen Verhältnissen. Diese Angabe wurde bereits von Schönfeld!) und durch von Planta?) auch auf dem Wege der chemischen Analyse als unhaltbar nachge- wiesen. Auch die Ansicht Müllenhoff’s, „dass die Körperform der Tiere hauptsächlich von der Form der Zellen, in welchen sie sich entwickeln, abhängig ist (l. ec. S.616), muss ich in Frage ziehen. Ich setzie — zwecks anderweitiger Beobachtungen — ein Volk auf Drohnen- waben, so dass der Königin nur die großen Drohnenzellen zur Ver- fügung standen. Nach längerem Zögern begann sie die Eierlage. Aus den Drohnenzellen schlüpften neben einer Anzahl Drohnen in der Hauptsache Arbeiterinnen von normaler Größe. Die Ernährung kommt hier nicht in Betracht, da sie jedenfalls die gewöhnliche ge- wesen ist. Auch Drohnen, die in Weiselzellen erbrütet wurden, haben sehr häufig die normale Größe. Dass die Zelle „den ganzen Körper des Tieres wie eine enganliegende und dabei hermetisch geschlossene Kautschukhülle umschließt und demgemäß es die Zelle sein muss, die die Körperform bestimmt, welche dasjunge sich entwickelnde Tier annehmen soll“, diese Ansicht ist unzutreffend. Die Larve hat Spiel- raum in der Zelle, sonst wäre sie auch nicht im stande, sich in einen Cocon einzuspinnen. Es ist der Cocon, welcher stets der Größe des jungen Tieres entspricht und nicht die Zelle. Dass Drohnen, die in Arbeiterzellen erbrütet wurden, kleiner ausfallen, ist kein positiver Beweis für die allgemein gehaltene Theorie Müllenhoff’s; das sind, ich möchte sagen, Notverhältnisse und erlauben nicht den Schluss, dass wir „somit in den Molekularwirkungen des Zellmateriales eine Andeutung erhalten über eine causa effieiens, welche die Körperbil- dung der Tiere zu verändern im stande ist.“ Wenn die Bienen zum Drohnenbau übergehen, der von den Imkern ungern gesehen wird, 1) Gravenhorst’s illust. Bienenzeitung Heft 11 u. 12, Braunschweig 1893. 2) Schweizerische Bienenzeitung, Nr. 5 u. 6, Aarau 1893. 298 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? da er nur Konsumenten und keine Produzenten erzeugt, so hängt man künstliche Wabenmittelwände mit eingepressten Arbeiterzellen- böden in den Stock. Der Instinkt wird hierdurch irre geleitet und die Bienen errichten nach Wunsch des Imkers nur Arbeiterzellen. Man hat nun in der Hoffnung, die Größe und damit die Leistungs- fähigkeit der Arbeiter zu erhöhen, Völker - auf Mittelwände gesetzt, denen Zellenböden eingeprägt waren, die in der Größe die Mitte hielten zwischen Arbeiter- und Drohnenbau. Die Bienen erbauten darauf auch dementsprechende Zellen, aber trotz des größeren Raumes für die Brutentwicklung blieb die Größe der Arbeiter völlig die gleiche. Der Spieltrieb der Bienen. Wenn ich auch der sicheren Meinung bin, dass man in dem lustigen Umherkreisen der schwär- menden Bienen zugleich auch die Bethätigung eines gewissen Spiel- triebes zu erblicken habe, so ist freilich eine Beweisführung insofern schwierig, als alle dabei in Betracht kommenden Vorgänge alleinig auf den Schwarmtrieb zurückgeführt und nur als Ausflüsse desselben aufgefasst werden können. Immerhin weist dieses stürmische Her- ausdrängen aus dem Flugloch, dieses Anstimmen des „freudigen“, hellen Schwarmtones, der auch, wie erwähnt, noch gar nieht schwarm- reife Völker mit in den Trubel reisst, dieses Auf- und Niederwogen im Sonnenschein in „trunkner Lust“ (Schwarmdusel) auf die spielende Bethätigung eines gewissen Kraftüberschusses hin, und somit auf eines der Grundelemente des Spiels. Sowohl Schiller als auch Herbert Spencer sehen im Spiel lediglich die Aeußerung überschüssiger Kraft. Ich verweise auf das geistreiche, fesselnde Werk von KarlGroos!), der aber mit Recht an dieser Definition nicht sein volles Genüge findet und auf die große biologische Bedeutung der frühzeitig sich im Spiel äußernden und im Spiel sich vervollkommenden Instinkte hinweist. Groos erwähnt der Bienen in seinem sehr umfassenden Werke nicht und doch haben wir außer dem Schwarmtanz, dessen Spielcharakter anzuzweifeln sein mag, eine seltsame Thätigkeit der Bienen zu erwähnen, die meines Erachtensin unzweifelhafter Weise ein wirkliches Spielen darstellt. Besonders an warmen Sommerabenden — doch auch zu an- deren Zeiten — sieht man nämlich hin und wieder bei Stöcken, denen es an nichts mangelt, an der äußeren Stockwand in unmittelbarer Nähe des Flugloches oder auf dem zum Flugloch führenden Anflug- brette Reihen von Bienen sich in eigentümlich rhythmischer Weise hin und her bewegen. Da der Kopf dabei gesenkt gehalten wird, sieht es aus, als ob der Boden im Takte abgenagt oder abgeleckt werden solle, doch geschieht nichts dergleichen. Ein ganz besonderes „be- 1) Karl Groos, Die Spiele der Tiere, Jena 1896. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? 299 hagliches“ Schnurren wird dabei hörbar. — Wir haben hier wohl zweifellos den spielenden Ausdruck eines Wohlbehagens. Sieht man auch oftmals einzelne Bienen sich nicht dem allge- meinen Rhythmus der Reihe einfügen, so beobachtete ich doch häufig ein allmähliches Eingewöhnen in die vorherrschende Art und Weise der Ausführung. Es muss ein besonderes Lustgefühl in diesen rhyth- mischen gemeinsamen Bewegungen vorhanden sein, sonst würden diese selbst und die gegenseitigen Anpassungen nicht stattfinden. Die ganze interessante Erscheinung scheint mir nur erklärbar, wenn wir hier die Aeußerung eines Spieltriebes annehmen. Sie ist übrigens jedem erfahrenen Bienenzüchter unter dem Ausdruck „Schau- keln“ oder „Hobeln“ !) bekannt. Schlussbetrachtung. Ausdem sehr reichen Materiale, welches die Biologie der Honigbiene bietet, habe ich im Vorstehenden nur einiges Wesentliche zu bringen vermocht. Dieses dürfte uns aber, so hoffe ich, gezeigt haben, dass es überflüssig ist, beiden Bienen eine „unbekannte Kraft“ anzunehmen, da sich die biologischen Vorgänge leicht und ungezwungen durch die bekannten Kräfte erklären lassen. Es ist für mich fraglos, dass die Bienen über ähnliche Sinne wie die Menschen verfügen, und dass insbesondere der Gesichtssinn, das Gehör und der Geruchssinn eine große Rolle spielen. Freilich sind wir, wie schon Wundt betont, „bei den Tieren wesentlich auf die äußere Beobachtung angewiesen; was diese uns lehrt, ist aber nicht eine totale Verschiedenheit in den Seelenvermögen, son- dern die wesentlichste Uebereinstimmung mit den psychischen Pro- zessen, die wir am Menschen beobachten und die wir vor allem aus unserer Selbstbeobachtung kennen“?). Sehr groß ist infolge 1) Schmid und Kleine, Leitfaden einer ration. Bienenzucht, Nörd- lingen 1865 u. 8. w. 2) Wundt, Vorles. über dieMenschen- und Tierseele, Leipz. 1863, S. 318. Ich möchte bemerken, dass Wundt das Angeführte persönlich nichtmehr vertritt, wie aus der II. Auflage seines Werkes (1892) hervorgeht. Beiläufig will ich erwähnen, dass die ausführliche Schilderung des Bienen- staates, welche Wundt (II. Aufl. 8.453) giebt, viele Unrichtigkeiten enthält. Ich führe nur kurz an, dass die Königin weder „von Anfang an“ befruchtete und unbefruchtete Eier legt, noch dass „die Arbeiter aus einer gewöhnlichen Zelle eine Larve in eine noch nicht ganz vollendete königliche Zelle tragen, wo sie dann durch gutes Füttern zur Königin wird.“ Die Bienen sind hierzu völlig unfähig. Man bedenke nur, das unverletzte Uebertragen einer zarten Larve in eine nach unten offen senkrecht herabhängende Zelle! Die Biene macht es sich bequemer, indem sie einfach die betr. Arbeiterinzelle zur Weisel- zelle erweitert. Diese sog. „Nachschaffungszellen“ sind stets daran kenntlich, dass der Boden das prismatische Gefüge der Arbeiterinzelle zeigt, während 300 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? dessen die Gefahr zu anthropomorphisieren und auch in niedrig stehende Tiere menschliche Regungen hineinzutragen oder deren Re- gungen an dem zu hohen menschlichen Maßstabe zu messen. So die eigentliche Weiselzelle einen runden Boden aufweist. Unzutreffend ist ferner, dass die zuerst entschlüpfende Königin im Stocke bleibt, während „die anderen mit einem Teil der Arbeiter ausziehen.“ Grade das Umgekehrte ist der Fall. Auch das über die Drohnen Berichtete ist teilweise unrichtig. Ferner kann man „den zahmen Bienen das Schwärmen“ nicht „abgewöhnen“, „indem man ihren Korb nach Bedürfnis vergrößert.* Verhindern lässt es sich dadurch wohl hin und wieder, aber ein Volk, das schwärmen „will“, schwärmt auch in der größten Wohnung. Von einem Gewöhnen darf da- her nicht gesprochen werden. „Zahme“ Bienen giebt es überdies nicht. Auch das über die Raäubbienen Angegebene ist meines Erachtens nicht zutreffend. Wundt meint, dass, wenn ein Nachahmungstrieb bei den Bienen anzu- nehmen sei — der in der That vorhanden ist —, man daraus folgern könne, dass „nicht jede Kolonie ein neuesLeben beginnt, sondern dass in früheren Generationen erworbene Gewohnheiten nicht blos durch vererbte Anlagen der Organisation sondern auch durch den direkten Einfluss der älteren auf die jüngeren Tiere sich fortpflanzen können“. Dieser Ansicht kann ich nicht beipflichten. Wenn sich auch Erinnerungen in Ausnahmefällen über den Winter hinüberretten (s. S. 192), die aber zweifellos bei der großen Kurzlebigkeit der Trachtbienen (s. S. 220), ohne Schule gemacht zu haben, aussterben, so ist doch eine Ver- erbungsmöglickeit ausgeschlossen, weil die Arbeiterinnen steril sind. Dass in der That auch die zweite Möglichkeit, individuell er- worbene Gewohnheiten durch den Einfluss der älteren auf die jüngeren Tiere zu übertragen, nicht angenommen werden darf, geht aus Folgendem hervor. Es ist ein alter Imkerkniff, eine wertvolle Königin dadurch in absolut sicherer Weise zuzusetzen, dass man ein Volk aus Brutwaben mit gerade ausschlüpfenden Bienen gründet, dem dann die Königin sofort ohne weitere Vorsichtsmaßregeln beigegeben werden kann. Diese jungen Bienen, die niemals mit alten zu- sammen kamen, benehmen sich von vorneherein in genau derselben Weise wie andere, sie füttern, sammeln, bauen u. s. w. Ein Nachahmen oder Erlernen von alten Bienen findet also nicht statt, und doch ist nicht der geringste Unterschied mit anderen Stöcken zu bemerken (s. a. Kogevnikow, Biol. Centralbl. 1896). So lange Nachrichten über die Biene existieren, so lange hat sie sich uns stets in vollkommener Unveränderlichkeit gezeigt. Es ist demnach nicht richtig, dass „wir unter unseren Augen in den Gewohn- heiten der Bienen solche Veränderungen vor sich gehen sehen und dass der Annahme nichts im Wege steht, die Eigenschaften des Bienenstocks seien allmählich entstanden teils durch vererbte physische Anlagen teils durch Nachahmung ständig gewordener Gewohnheiten.“ Alle weiteren Ausführungen Wundt’s über die Entstehung des Bienen- staates (l. c. S. 455), sind, da sie zum Teil auf der angenommenen „Konti- nuität mit der Vergangenheit“ beruhen, wohl kaum als beweisend anzusehen. Ebenso kann die Wundt’sche Theorie der Entstehung der Instinkte durch den Hinweis auf die Bienen nicht gestützt werden, noch können, wie Wundt es versucht, abweichende Theorien über den Instinkt auf obiger Basis eine be- friedigende Widerlegung erfahren. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“? 301 kann ich mich mit den Lubbock’schen Versuchen an Bienen (l. e.), soweit die Prüfung der „psychischen Fähigkeiten“ dabei in Betracht kommt, nicht einverstanden erklären, daLubbock einmal eine gründ- liche Kenntnis der Biologie der Honigbiene abgeht, ohne die eine sichere Beurteilung kaum möglich erscheint und zum anderen die anthropomorphistische Behandlungsweise das Ergebnis mancher Ver- suche verwirren muss. Sehr charakteristisch ist in dieser Hinsicht, dass Lubbock große Zweifel an dem Gehörsinn der Bienen hegt, weil er ihnen etwas vorgegeigt, vorgepfiffen, -geflötet und vorge- schrieen hat und niemals die geringste Notiznahme bemerkte. Wenn auch die Bienen hören, so reagieren sie doch nur auf solche akusti- schen Reize, welche für sie biologische Bedeutung haben z. B. auf die verschiedenen Töne, welche sie selbst erzeugen. Ein sicheres Resultat in allen diesen Fragen erhalten wir nur, wenn wir die Tiere im Benehmen unter sich beobachten oder zum mindesten bei Experimenten mit künstlich erzeugten Tönen, diese Töne denen nähern, welche von den betreffenden Tieren selbst erzeugt werden. Da vielleicht der Versuch gemacht werden dürfte, die in vorstehender Arbeit angegebenen Beweise für ein Gehörsvermögen durch den Hinweis abzuschwächen, dass es bis jetzt noch nicht ge- glückt sei, bei Insekten eine Reaktion auf künstlich erzeugte Töne nachzuweisen, so möchte ich erwähnen, dass unlängst der ameri- kanische Forscher Weld bei zwei Vertretern der Formieidae (Lasius americanus und Formica nitidiventris) und bei zwei Vertretern der Myrmieidae (Crematogaster lineolata und einer Aphoenogaster Art) eine unzweifelhafte Reaktion auf Stimmgabeltöne u. s.w. konstatieren konnte. Ich kann hier nur auf den interessanten Bericht hinweisen). Die anthropomorphistische Auffassung hat auch bezüglich der Be- wusstseinsfrage bewirkt, dass man den Bienen ein menschenähnliches Bewusstsein und demgemäß die verschiedenartigsten rein menschlichen Empfindungen zugeschrieben hat. Bei der Prüfung derartiger Fragen ist aber äußerste Vorsicht am Platze. Auf Grund meiner Beobachtungen bin ich der Meinung, dass die Biene ein Bewusstsein entweder gar nicht oder nur auf niederer Entwickelungsstufe besitzt. Die Frage des Bewusstseins bleibt subjektivem Ermessen überlassen aber die Frage, ob ein Tier lernen und Erfahrungen machen kann, lässt sich objektiv entscheiden. Es kommt darauf an, ob außer den kleronomen Bahnen (Reflex und Instinkt) noch enbiontische Associationen gebildet werden (H. E. Ziegler). Wir sehen, dass die Bienen sowohl bei der Orientierung als auch bei anderen Thätigkeiten die Anzeichen eines zum Teil vortrefflichen Gedächtnisses erkennen lassen; ferner glaube ich, gezeigt zu haben, dass die Biene neben der Farben- auch eine 4) Science Nr.5, Vol.X, Nr.256. Referat s. Prometheus Nr. 539, Jahrg. XI (19), 1900. 302 v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen“ ? Formenwahrnehmung besitzt und ein reiches Mitteilungsver- mögen vermittelst ihrer sehr entwickelten „Lautsprache“ entfaltet, dass sie weiterhin im stande ist, Erfahrungen zu sammeln, zu lernen und Associationen von Eindrückenzu bildenu.s. w.; Ich kann Bethe also nicht beistimmen, wenn er der Biene die Fähig- keit abspricht, Erfahrungen zu sammeln und danach ihr Handeln zu modifizieren (s. S. 99). Die Biene steht offenbar viel höher als eine „Reflexmaschine“. Jena, Zoologisches Institut, Novbr. 1899. Litteraturverzeichnis. . American Bee-Journal, Chicago. . Bechholds, Handlexikon der Naturwissenschaften und Medizin, Frank- furt a. M. 1894. . Beer, Bethe u. J. v. Uexküll, Vorschläge zu einer objektivierenden Nomenklatur. Biol. Centralbl., 19. Bd., 1899, Nr. 15, S. 517. . v. Berlepsch, Die Biene und die Bienenzucht, Mühlhausen 1860. 5. v. Berlepsch-Lehzen, „Bienenzucht“, Berlin 1899. 6. Bethe, Albrecht, Dürfen wir Ameisen u. Bienen psychische Qualitäten 18. 19, zuschreiben? Arch. f. d. ges. Physiologie Bd. 70, 1898 (auch separat erschienen mit anderer Pagination). . —, Noch einmal über die psychischen Qualitäten der Ameisen, Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. 79, 1900, S. 45. . Bienenzeitung, Organ des Vereins deutscher Bienenwirte, Eichstädt- Nördlingen. . „Bienenzeitung“, 2. Ausg., Nördlingen 1861—62, 2. Bd. . Carri@re u. Bürger, Entwickelungsgeschichte der Mauerbiene. Abhdl. der Kaiserl. Leop. Carol. Deutsch. Akad. der Naturf. Bd. LXIX, Nr. 2. . Centralblatt, Bienenwirtschaftliches, Hannover, Organ des deutsch. Bienenw. Centralvereins. . Claus, C., Der Bienenstaat, Heft 179 der Samml. gem. wissensch. Vorträge, herausgeg. v. Virchow und v. Holtzendorf, Hamburg 1873. .Cowan, Thos. Wm., Die Honigbiene, ihre Naturg., Anatom.und Physiol. Deutsch von Gravenhorst, Braunschweig 1891 (enthält ein reiches Quellenverzeichnis, 172 Werke). . Dathe, G., Lehrbuch der Bienenzucht, herausgeg. von R. Dathe und H. Reepen (v. Buttel-Reepen), 5. Aufl,, Bensheim 1892. . Deutsche Bienenzuchtin Theorie u. Praxis, Zeitschrift, heraus- geg. v. F. Gerstung, Freiburg i. B. . Deutscher Bienenfreund, Zeitsch. f. prakt. B.-zucht, Crimmitschau. . Dohrn, A., Der gegenwärtige Stand der Zoologie und die Gründung z00- logischer Stationen, XXX. Bd. d. Preuss. Jahrbücher 1872. Dzierzon, Dr., Rationelle Bienenzucht, Brieg 1861. Emery, Die Gattung DorylusFab. u. s. w. Zoolog. Jahrbücher, 8. Bd., 189. 20. 21: 22. 23. 24. v. Buttel-Reepen, Sind die Bienen „Reflexmaschinen* ? 303 Fabre, Souvenirs entomologiques, Paris 1879, —, Nouveaux souvenirs entomologiques, Paris 1882. Forel, Aug., Fourmis de la Suisse. Nouveaux m&moires de la soci6te Helvetique, Zürich 1874. —, Recueil zoologique Suisse, 1 serie, T.4, 1886—88. —, Das Gedächtnis und seine Abnormitäten, Zürich 1885. 243 —, Gehirn und Seele, 5. u. 6. Aufl, Bonn 1899. 25. 26. 21. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 3. 36. 3. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. Goldscheider, A., Die Bedeutung der Reize im Lichte der Neuron- lehre, Leipzig 1898. Gravenhorst’s Deutsche illustr. Bienenzeitung, Braunschweig. Groos, Karl, Die Spiele der Tiere, Jena 1896. Haeckel, Ernst, Die Welträtsel, Bonn 1899. Hertwig, Richard, Lehrbuch der Zoologie, Jena 1897. Huber, Frangois, Nouvelles observations sur les abeilles. Deutsch von G. Kleine, Einbeck 1856. Huber, Ludw., Die neue nützlichste Bienenzucht, 13. Aufl., Lahr 1900. Jaeger, G., Ueber die Bedeutung des Geschmacks- und Geruchsstoffes, Zeitschr. f. wiss. Zoolog., Bd 27, 1876. Janet, Etudes sur les Fourmis, les Guöpes et les Abeilles, Limoges 1897. Kogevnikow, 'G, Zur Frage vom Instinkt, Biolog. Centralblatt 1896, XVI. Bd. Nr. 18. Leuekart, Rud., Zur Kenntnis des Generationswechsels und der Par- thenog. bei Insekten, Frankfurt 1858. Lubbock, John, Die Sinne und das geistige Leben der Tiere, Leipzig Intern. Wissensch. Bibliothek, LXVII Bd., 1889. —, Ameisen, Bienen und Wespen, Internat. Wissensch. Biblioth., LVII. Bd., Leipzig 1883. Magerstedt, Dr., Der prakt. Bienenvater, 2. Aufl, Sondershausen 1845. Müllenhoff, K., Ueber die Entstehung der Bienenzellen, Pflügers Archiv f. d. ges. Physiol., Bd. XXXII, 1883. Müller, Herm., Versuche über Farbenliebhaberei der Honigbiene, Kosmos. Jahrg. 6, 1882. Planta, A., v., Ueber den Futtersaft der Bienen, Zeitschr. f. phys. Chemie von Hoppe-Seyler, Bd. XII, Heft4, S. 327—354; ebenda Bd. XII, Heft 6, S. 552—561, 1888; ferner Schweiz. Bienenzeitung 1888 u. 1889. Plateau, Bulletins de l’acad&mie royale de Belgique. Troisieme serie Bd.30. 32 u. 33. Referate im Biolog. Centralblatt 1896 u. 1897. vom Rath, O., Ueber abnorme Zustände im Bienenvolk. Berichte d. Naturf. Ges., Freiburg i. Br., 8. Bd., 1894. Romanes, George J., „Nature“, 1886. Schmid u. Kleine, Leitfaden f. d. Unterricht in Theorie u. Praxis einer rat. Bienenzucht, Nördlingen 1865. Schönfeld, P., Gravenhorst’s illustr. deutsche Bienenzeitung, 1893, Heft 141, u. 412: 304 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 47. Schweizerische Bienenzeitung, Organ der schweiz. Vereine f. Bienenzucht, Aarau, 48. v. Siebold, Wahre Parthenogenesis bei Schmetterlingen und Bienen, Leipzig 1856. 49. Wasmann,E., „S.J.“, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, Stuttg., Erwin Nägele, 1899. Enthält ein Verzeichnis sämtlicher Werke Was- mann’s über Myrmekophilen und Termitophilen. 50. Weismann, Aug. Wie sehen die Insekten? Deutsche Rundschau, 1895, S. 434—452. 51. Wundt, W., Vorlesungen über die Menschen- und Tierseele, Leipzig 1863 und 1892. 52. Ziegler, H. E., Ueber den Begriff des Instinkts. Verhandl. der deutsch. zoolog. Gesellsch. 1892. 53.—, Ueber die Geschwindigkeit der Brieftauben, Zoolog. Jahrbücher, X.Bd., 1897, S. 99, 278. 54. —, Theoretisches zur Tierpschologie und vergleichenden Neurophysiologie, Biolog. Centralbl., Bd. XX, Nr. 1, 1900. Brutpflege bei niederen Wirbeltieren !). Von R. Wiedersheim. Während fast alle unsere einheimischen Frösche und Kröten ihren Laich bekanntlich ins Wasser absetzen, ohne sich weiterhin darum zu kümmern, sehen wir, dass unsere Wassermolche schon etwas fürsorg- licher zu Werke gehen. Sie ergreifen mit den Gliedmaßen ein Blatt, den Stengel einer Wasserpflanze oder dergleichen, knieken ihn zu- sammen und bilden so eine Art Oese, in welcher das abgelegte Ei untergebracht und festgeklebt wird. Dadurch wird es wenigstens bis zu einem gewissen Grade vor den vielen Nachstellungen geschützt, die ihnen von seiten zahlreicher räuberischer Mitbewohner der betreffenden Gewässer drohen. — Hierin prägt sich somit bereits die Spur einer Brutpflege aus; was will sie aber bedeuten gegen die gerade zu wunderbare Fürsorge, welche — und damit wende ich mich zu den einheimischen schwanzlosen Ba- trachiern zurück — die sogen. Geburtshelferkröte oder der Fessler 1) Der folgende Aufsatz bildet z, T. eine Reproduktion einer Abhand- lung, die ich kürzlich in der „Rivista di Scienze Biologiche, Nr. 11—12, Vol.I, unter dem Titel „Cure parentali nei vertebrati inferiori“ in italienischer Sprache veröffentlicht habe. — Von den beigegebenen Figuren sind Nr. 1 u. 10 von mir selbst nach der Natur gezeichnet; ebenso stammen die Figuren 11 u. 13 von meiner Hand. Alle übrigen Abbildungen sind mehr oder weniger frei be- handelte Kopien aus den Arbeiten anderer Autoren, deren Namen bei den einschlägigen Aufsätzen jeweils in den Fußnoten aufgeführt werden. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 305 (Alytes obstetricans), der zur Familie der Scheibenzüngler (Diseglos- sidae) gehört, seiner Nachkommenschaft angedeihen lässt! — (Fig. 1). Die Geburtshelferkröte, welche in Frankreich, in der Schweiz und in Westdeutschland!) häufig vorkommt, ist der einzige europäische Lurch, welcher auf dem Lande laicht, und bei welchem man von einer wirklichen Brutpflege reden kann. Und merkwürdig genug! Es ist hier nicht das Weibehen, sondern der Gatte und Vater, welcher sich jenem Geschäft unterzieht, ein beschämender Anblick für manchen ge- wissenlosen Vertreter der stolzen Species „homo sapiens!“ Fig. 1, Fig. 1. Männliche Geburtshelferkröte mit Eiern (um !/, vergrößert). Während die Eier aus dem A/ytes-Weibehen austreten, werden die- selben von dem Männchen um die Hinterbeine geschlungen, allein über die Art und Weise, wie dies geschieht, lauten die Nachrichten ver- schieden. Nach den einen soll das das Weibchen umklammernde Männ- chen die Eischnüre abwechselnd bald mit dem rechten, bald mit dem linken Hinterfuße erfassen und sie im achterförmigen Touren um die Beine schlingen. Nach andern säße das Männchen hinter dem Weibchen in ent- gegengesetzter Richtung, Cloake gegen Cloake. Die im ersten Lege- drang abgehenden Eier sollen dann bei angezogenen Hinterfüßen mit der Kniekehle gefasst und aus dem Leibe des Weibchens gezogen wer- den (daher der Name: Alytes obstetricans). Währenddem wirft sich das Männchen unter drehenden Bewegungen bald auf denBauch, bald auf den Rücken und haspelt sich die Eischnüre um die Hinterbeine. Sehr eingehende Beobachtungen hierüber haben Brongniart, Agas- 1) Sie geht im Rheinthal bis Bonn hinab. X 20 306 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. siz, Tsechudi und namentlich De l’Isle angestellt, eine Ueberein- stimmung ist aber bis heute noch nicht erzielt. Hat sich das Männchen den Eipack aufgeladen, so lässt es seine helle Stimme ertönen, welche man am besten anne kann, wenn man an ein Krystallglas schlägt, und schweift dann, namentlich abends, beutesuchend in feuchtem Gras ete. herum. Zur Zeit, wo die Em- bryonen auskommen sollen, geht der Vater mit ihnen ins Wasser, ver- lässt dasselbe aber gleich darauf und überlässt nun seine Kinder, die er bis dahin vor jeglicher Gefahr treu behütet hat, sich selber. Sie sind ja nun bereits herangereift und vermögen sich selber fortzu- _ helfen. Es ist nicht ohne Interesse noch zu betonen, dass das längere Verweilen der Embryonen im Ei, ähnlich wie dies von den später zu besprechenden Schleichenlurchen, vom Beutelfrosch und dem schwarzen Bergsalamander gilt, auf die Form der Kiemen in- sofern zurückwirkt, dass sie sich größer und anders gestalten, als z. B. bei gewöhnlichen Fröschen und Kröten. Es entwickelt sich nämlich nur eines der drei Kiemenpaare auf jeder Seite und zwar in flächenartiger Ausbreitung mit eigenartigen Fortsätzen. An die Brutpflege der Geburtshelferkröte reihen sich am pas- sendsten die Beobachtungen an, welche an einer Reihe südamerika- nischer, sowie an ceylonesischen Fröschen gemacht worden sind, und ich will gleich bemerken, dass die größere Zahl derselben in jene Batrachiergruppe hineingehört, die in unserer deutschen Fauna durch den Laubfrosch (Hyla viridis) repräsentiert wird. Fig. 3. Fig.2. Rhacophorus reticulatus Fig. 3. Hyla Goeldii (vergrößert). (vergrößert). Bei dem ceylonesischen Frosch Polypedates reticulatus (Kthaco- phorus reticulatus, Boulenger) trägt, wie A. Günther!) berichtet, 4) A Gü nther, Notes on the Mode of Propagation of some Ceylonese Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 307 das Weibchen die Eier, welche zu einer flachen, kuchenartigen Masse vereinigt sind an der Bauchseite angeheftet mit sich herum. Sie liegen zu zwanzig zusammen, sind von Hanfsamengröße und hinterlassen auf der Bauchhaut leichte Eindrücke, ohne dass man weiß, wodurch sie eigentlich befestigt sind (Fig. 2). Es ist auch nicht bekannt, ob das Tier während jener Zeit auf dem Lande oder im Wasser lebt. Bei Colonia Alpina in Brasilien kommt eine Laubfroschspeeies, die Hyla Goeldii Blgr, vor, bei welcher das Weibchen seine großen, weißlichen Eier auf dem kücken mit sich herum trägt. Dieselben werden in ihrer Gesamtmasse allseitig von einer leicht aufgeschlagenen Hautfalte umgeben und so gleichsam wie in einer flachen Schüssel getragen. Aller Wahrscheinliehkeit machen die Jungen ihre ganze Entwicklung im Ei durch. Boulenger!) konnte wenigstens bei den von ihm untersuchten Embryonen keine Kiemen mehr konstatieren (Fig. 5). Im Jahr 15905 wurde von A. Brauer?) auf der östlich von Afrika im indischen Ozean liegenden Inselgruppe der Seychellen folgender neue Fall von Brutpflege bei einem Frosch (Arthroleptis Seychellensis) beobachtet (Fig. 4). Die Eier werden auf dem Boden zwischen feuch- Fig. 5. EIER ua Eh = € Fig. 4. Arthroleptis Seychellensis mit Fig. 5. Larve von Larven auf dem Rücken (vergrößert). Arthroleptis Seychellensis (vergrößert). ten Blättern, in alten hohlen Baumstämmen u. dergl. abgelegt, vom alten Tier (— wahrscheinlich ist es das Männehen —) mit dem Leibe Tree Frogs ete. Annals and Magazine of Natural History, Vol. XVII, 4. ser. 1876. 1) Proc. Zoolog. Soe., London 1885. 2) A. Brauer, Ein neuer Fall von Brutpflege bei Fröschen, Zool. Jahrb. Abt. f. Systematik ete.) XII. Bd. 1898. 20 * 308 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. - bedeckt und so feucht gehalten. In dem Entwieklungsstadium, wo die hinteren Gliedmaßen angelegt sind, und ein großer Ruderschwanz vorhanden ist, kriechen die Larven, höchst wahrscheinlich unter Bei- hilfe des letzteren auf den Rücken des alten Tieres, halten sich dort mit dem Bauche fest und machen so ihre Entwicklung durch. Die Befestigung geschieht durch einfache Adhäsion wobei das Haut- sekret vielleicht unterstützend mitwirkt, allein notwendig ist letzteres sicherlich nicht, was schon durch die Thatsache bewiesen wird, dass sich isolierte Larven auch an der Wand des zu ihrem Aufenthalt dienen- den Glasgefäßes zu halten vermögen, ähnlich wie wir dies von unserem Laubfrosch kennen. Ob die Larven in irgend welchem physiologischen Konnex mit dem alten Tier stehen, ob also von der Rückenhaui aus vielleicht die Abgabe von Nährflüssigkeit in den dicht anliegenden Dottersack des jungen Tieres erfolgt, oder ob respiratorische Beziehungen bestehen, ist nicht bekannt geworden, da Brauer das einzige ihm zur Verfü- gung stehende Exemplar, das sich jetzt in der zoologischen Sammlung der Universität Marburg befindet, nicht für anatomische Zwecke opfern wollte. Dass die oben angedeuteten Beziehungen nicht a priori aus- zuschließen, ja dass sie sogar sehr wahrscheinlich sind, glaube ich aus den Mitteilungen Brauer’s schließen zu dürfen, wonach die Dottermasse sowohl bei den jüngsten wie bei den ältesten Larven (Fig.5) außerordentlich groß sein soll. Nun sollte man doch nach den an unseren einheimischen Kaulquappen gemachten Erfahrungen an- nehmen, dass die Dotiermasse umsomehr reduziert wird, je mehr sie zum Aufbau des Larvenkörpers Verwendung findet. Da aber, wie es scheint, bei Arthroleptis der Körper wächst, ohne dass eine Einbuße an Dottermaterial erfolgt, so muss es doch von irgend woher eine Ergänzung erfahren, und die Quelle dafür kann wohl nur im Körper des alten Tieres liegen. — Dass auch respiratorische Beziehungen zu letzterem besiehen, wenn man nicht auf die Hautatmung der Larve selbst rekurrieren will, dürfte daraus zu erschließen sein, dass eine Kiemenhöhle zwar vorhanden ist, dass aber eine äußere Kiemen- öffnung wie auch innere Kiemen vollständig fehlen, und die Lungen erst in den ältesten Larvenstadien zur Anlage gelangen. Noch ein Fall, in welchem ein schwanzloser Batrachier seine Brut mit sich herum trägt, ist im Jahr 1895 bekannt geworden!). Es handelt sich um den aus Trinidad und Venezuela stammenden Frosch Phyllobates trinitatis S. Garm. Die geschwänzten aber noch fußlosen Kaulquappen saugen sich bei herrschendem Wassermangel mit den Mundsaugnäpfehen auf dem 1) Boulenger, (Proc. Zool. Soe., London 1895 und Boettger Zool. Centralbl. II. Jahrg. 1895). Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 309 Rücken des Männchens fest und werden so zum nächsten größeren Gewässer getragen. Nach Kappler und Klunzinger beobachtet man dasselbe bei Dendrobates trivittatus und nach H.S. Smith bei D. brraccatus, jedoch ist bei diesen beiden Arten das Geschlecht des fürsorglichen Tieres nicht bekannt; wahrscheinlich aber ist es auch bier das Männchen. Hierher gehört auch der von Wyman!)inNiederländisch Guiana (Surinam) beobachtete Frosch Ay- lodes lineatus, allein hier ist es das Weibehen, welches die Larven mit sich herumträgt (Fig. 6). Ueber die Art der Befestigung dersel- ben ist W., wie es scheint, nicht sanz ins Klare gekommen, doch geht aus der Abbildung hervor, dass es sich auch hier um ein Ansaugen handelt. Die Köpfe der 12—20 auf dem Rücken des Muttertieres befindlichen Larven sind sämtlich gegen die Mittellinie, die Schwänze nach außen und hinten gerichtet. Fig. 6. Hylodes lineatus. Die Befestigung ist eine so solide, dass die Larven, auch wenn die die Mutter im raschem Lauf entflieht, nicht abfallen. Wie die Brut auf den Rücken gelangt, ob ihre ganze Entwicke- lung auf dem Muttertier erfolgt, oder ob sie später ins Wasser abge- setzt wird, ist unbekannt. Sicher konnte nachgewiesen werden, dass die äußeren Kiemen bereits’geschwunden waren und inneren Platz gemacht hatten. Die Lungen standen erst im Begi sinn ihrer Entwickelung. oO Was die geschwänzten Amphibien, die Molehe, betrifft, so ist bisher nur ein einziger Fall von Brutpflege bekannt geworden, in welchem das Muttertier in ähnlicher Weise, wie ich dies von einer Reihe von Fröschen beschrieben habe, die Eier mit sich herumträgt. Es handelt sich um den in den Vereinigten Staaten von Nord- Amerika häufig vorkommenden Salamander Desmognathus fusca?), welcher, wie mein früherer Schüler, Professor H. H. Wilder, be- obachtet hat, seine Eier nicht ins Wasser absetzt, sondern sie sich ro- senkranzartig in mehreren Touren um den Leib schlingt. Häufig liegen sie auch, durch Stränge, welche in einem Punkte zusammenlaufen’°), 4) J. Wyman, On some unusual modes of Gestation, Americ. Journ. of Science and Arts Vol. XXVII. May 1859. 2) H.H.Wilder, Desmognathus fusca (Rafinesque) und Spelerpes bilineatus (Green) Amerie. Naturalist. Vol. XXXII. Nr. 337. March 1899. 3) Vergl. später das Verhalten von Epierium glutinosum. 310 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. unter sich verbunden, hinter dem Kopf in der Nackengegend zu einem srößeren Klumpen geballt, so dass man an ein Bündel jener kleinen Kinderluftballons erinnert wird, welche die Händler auf Jahrmärkten zum Verkauf anbieten (Fig. 7). Die Befestigung der Eier am Körper ist eine lose und offenbar dadurch erzielt, dass sich das Muttertier in die abgelegten Eier mit ihren Strängen hineinwühlt. Infolge dieser ihrer lockeren Befesti- Y 4 7. N ER = E,, A . N —R a al. Fig. 7. Desmognathus fusca mit Eiern. sung wechseln sie mit jeder Bewegung der Mutter ihre Lage. Wilder hält es sogar nicht für unmöglich, dass die Mutter die Eier zeitweise, z. B. bei Nacht, verlässt und am Tage wieder zu ihnen zurückkehrt. Aus diesem Grunde ist ein physiologischer Konnex zwischen Mutter und Brut kaum anzunehmen, obwohl derselbe auch nicht a priori von der Hand zu weisen ist. Sicheren Aufschluss hierüber kann natürlich nur das Experiment, d.h. der Versuch geben, die Eier zu isolieren und so ihre Entwicklungsfähigkeit zu prüfen. Die Larven erreichen im Ei eine hohe Entwicklung, da sie) sehr lange darin verweilen und mit großen Dottersäcken ausgerüstet sind. Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass der junge Molch das Ei in einem Stadium verlässt, in welchem er auf die Kiemenatmung d.h. auf den Aufenthalt im Wasser nicht mehr oder doch nur ausnahmsweise angewiesen ist. Nachträglich sei noch bemerkt, dass sich das Muttertier sofort nachdem die Eier abgelegt und um den Leib geschlungen wor- den sind, unter Steinen, Baumklötzen ete., kurz in einem verhält- nismäßig trockenen Platz, wo es sich eine mäßig tiefe Höhlung gräbt, verbirgt. In Erwägung dieses Umstandes aber kann ich mich des Gedankens Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 311 nieht entschlagen, dass es sich bei der eben geschilderten Brutpflege nicht allein um ein einfaches Schutzverhältnis, sondern auch um eine für die Erhaltung der Eier wichtige Befeuchtung seitens des mütter- lichen Hautsekretes handelt. Ich wende mich nun zu einer zweiten Art der Brutpflege, welche von der bis jetzt von uns betrachteten insofern beträchtlich abweicht, als das Muttertier die Eier oder die Larven nicht mehr am Leibe an- geheftet mit sich herumträgt, sondern dieselben nur mit seinem Körper schützend umschlingt (Fig. 8). Dies gilt nach den Beobachtungen von P. und F. Sarasin!) für Fig. 8. Fig. 9. Nas , Ä N x ERTTEIITITETTEN RZ IRRE ERZER ZZ + Fig. 9.. Eier und Eischnüre nn von Ichthyophis glutinosus. Fig. 8. Ichthyophis glutinosus. gewisse fußlose Lurche, wie z. B. für den auf Ceylon vorkommenden Ichthyophis glutinosus, sowie nach den Berichten von O. P. Hay?) für einen nur noch kleine stummelartige Gliedmaßen besitzenden, die Länge eines Armes erreichenden Molch Amphiuma, welcher in den Südstaaten Nordamerikas heimisch ist. Beide Tiere legen ihre Eier nicht ins Wasser, sondern in einer feuchten Erdhöhlung ab, welche ziemlich nahe der Oberfläche und in der Nähe eines Gewässers ge- legen zu sein pflegt. Die Eier, welche speziell bei /chthyophis eine für Amphibien ex- veptionelle Größe (9 mm in der Längs-, 6 mm in der Querachse) er- reichen, liegen — und ganz dasselbe gilt auch für Amphiuma — in einem Knäuel zusammen und sind unter sich durch Stränge verbunden, 1) P. und J. Sarasin, Ergebnisse naturwissensch. Forschungsreisen auf Ceylon II. Bd. 1.H. 1887. 2) 0. P. Hay, Observations ou Amphiuma and its Young. 319 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. - welche sich als aus einer zähen den Dotter umhüllenden Eiweißschicht bestehend erweisen. Sie gehen von beiden Eipolen ab, zeigen eine spiralige Drehung und erinnern dadurch genau an die beim Vogelei von der sogenannten Membrana chalazifera an den beiden Dotter- polen sich abspinnenden und in zwei in entgegengesetzten Richtungen spiralig gedrehten, strangartigen Ausläufer, die sogenannten Chalazen oder „Hagelschnüre“ (Fig. 9). Indem nun der Eiklumpen, der bei Amphiuma aus etwa 150 Eiern besteht und faustgroß ist, während er bei Ichthioj his lange nicht diesen Umfang erreicht, von dem Leib des Muttertiers aufs Innigste um- schlungen und durch das reichlich abgesonderte Hautsekret benetzt wird, ist in erster Linie für die eleiehmäßige Feuchthaltung der Brut gesorgt, zweitens aber wird letztere dadurch vor den Angriffen zahl- reicher Feinde (wühlende Schlangen und andere unterirdische Räuber) geschützt. Abgesehen davon aber müssen vom brütenden Weibchen dem Embryo noch Nährstoffe zugeführt werden, denn sonst wäre es nicht denkbar, dass ein fertig entwickelter, aus der Eihülle heraus- präparierter Embryo fast viermal so schwer ist, wie das frischgelegte Ei, wie dies z. B. bei Ichthyophis der Fall ist. Jedenfalls wird Wasser in großen Quantitäten aufgenommen, viel wahrscheinlicher aber ist es, dass, wie schon erwähnt, das Hautsekret eine eigentlich ernährende Rolle spielt. Dies wird dadurch so gut wie zur Gewissheit erhoben, dass Eier, beziehungsweise Eiklümpchen, die von der Mutter isoliert wurden, auch wenn sie unter günstige Lebensbedingungen gebracht wurden, nicht zur Entwicklung kamen, Weibchen, die schon: einige Zeit dem Brutgeschäft abgelegen hatten, erschienen, wie P. und S. Sarasin berichten, stets außer- ordentlich mager und matt und waren kaum noch im Stande sich zu bewegen. Dies kann allerdings auch Ursache des langen Hunger- zustandes sein. Bei der weiteren Entwicklung sprossen jederseits am Kopf drei Kiemenbüschel hervor, und nach deren Rückbildung treten Kiemenspalten auf, kurz (und dies gilt wahrscheinlich für alle Schleiehenlurehe), es werden sämtliche Entwicklungsstadien der Molehe durchlaufen. Jene äußeren drei Kiemenbüschelpaare, welche auch bei Amphiuma auf- treten, fungieren natürlich als Atmungsorgane. Sie sind, gerade so wie bei dem schwarzen Bergsalamander unserer heimischen Fauna, zu reinen Embryonalorganen geworden, die hier wie dort nach der Befreiung des Embryo aus der Eihülle bezw. dem Uterus als fürs freie Leben unbrauchbar abgeworfen werden (vgl. Sarasin. e.)}). 1) Dasselbe gilt auch sicherlich für die monströsen Kiemenlappen der. Caecilia compressicauda, welche der Uterinalschleimhaut innig anliegend, dem Embryo Sauerstoff und vielleicht auch Nahrungsstoffe aus. dem. mütterlichen Blute zuführen. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren, 313 Dass auch die Amphiuma-Larven ihre ganze Entwicklung im Ei durchlaufen, kann kaum bezweifelt werden, obgleich direkte Beobach- tungen hierüber fehlen. Nähere Untersuchungen sind also erwünscht. In eine dritte Kategorie gehört die Brutpflege der von Fräulein Sibylle vonMeriam 1705 entdeckte Surina m’sche Wabenkröte, Pipa dorsigera (Fig. ı0). Bei dieser zur Gruppe der „zungenlosen“ Batrachier gehörigen, in Guiana einheimischen Kröte sind bis zur Fortpflanzungszeit beide Geschlechter nieht voneinander zu unter- Fig. 10. Pipa dorsigera mitJungen auf dem Rücken (?/,d. natürl. Größe). scheiden. Tritt aber jene ein, so machen sich in der kissenartig auf- schwellenden Rückenhaut des Weibchens tiefgreifende Veränderungen bemerklich. Es kommt nämlich zu zahlreichen Einstülpungen, welche dicht nebeneinander liegend, ein wabenartiges Gefüge zu stande bringen und welche als Brutstätten für die großen Eier fungieren. Je in eine Wabe kommt nämlich ein Ei zu liegen, ohne dass bis Jetzt mit voller Sicherheit bekannt wäre, auf welche Art und Weise dasselbe hinein gelangte, jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Männchen dabei behilflich ist'). Ist das Ei im Grunde der etwa 1) Die Begattung ist bis jetzt nur einmal, und zwar von P. L, Sclater 314 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 10—15 mm tiefen Wabe geborgen, so wird letztere durch einen aus einem leder- oder hornartigen Stoff bestehenden Deckel von 5-6 mm Durchmesser nach oben hin abgeschlossen (Fig. 11). Durch ihre schwarze Farbe und eigenartige Struktur heben sich die scheibenartigen Wabendeckel scharf von der übrigen Haut ab, je- doch ist man über ihre Bildungsgeschichte, wie auch über diejenige der Waben selber noch nicht mit genügender Sicherheit unterrichtet!). Die Waben sind von einem Epithel, einer verdünnten Fortsetzung der Oberhaut des Rückens, ausgekleidet und grenzen alle nach abwärts b a C I > N 5 I Ba a0 9 WER OR, Fig. 11. Ein Embryo von Pipa dorsigera mit großem Dottersack, in der Hauttasche liegend (halbschematisch) 3 mal vergrößert. a Deckel der Hauttasche („Wabe“); db Scheidewand zwischen den einzelnen Hauttaschen; ce Epidermis- papillen auf dem freien Rand der Scheidewände; d umhüllende Gelatinmasse ; e Muskulatur; f eingestülpte Epidermis; g Corium der Haut; A subkutaner Lymphraum (die von 5 ausgehende Linie sollte tiefer in die Taschenscheide- wand herabgeführt sein). beobachtet und in den „Proceedings“ der Zoolog. Gesellsch. zu London anno 1895 beschrieben worden. Wir erfahreu aber gerade über die geheimnisvolle Beförderung der Eier auf den Rücken des Weibchens nichts, sondern müssen uns mit der kurzen Mitteilung begnügen, dass das Weibchen etwa 24 Stunden lang vom Männchen umfasst wird, und dass man dann gleich nach der Tren- nung den Laich auf dem Rücken des Weibchens und das allmähliche Ein- sinken der Eier in die Hautwaben bemerkt. — Nach Bartlett soll sich das Weibchen die Eier selbst auf den Rücken streichen. 1) A. v. Klinkowström [Zur Anatomie der Pipa americana, Zoolog. Jahrb. Abt. f. Anatomie etc. VII. Bd. 1894] neigt zu der Ansicht, dass die Wabendeckel nicht von der äußeren Haut des Tieres, sondern von den Ei- hüllen stammen. Letztere sollen also, während das Junge in die gleichzeitig sich entwickelnde Wabentasche tiefer einsinkt, in höherem Niveau haften bleiben und den Wabenverschluss bilden. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 35 an einen großen Lymphsack, der das ganze Wabengebiet von der unterliegenden Muskulatur trennt. Auf dem freien, im Niveau der äußeren Haut befindlichen Rand der in der Regel nur sehr dünnen Wabenscheidewände sitzen kleine dornartige Hautpapillen, welche um jede Wabe herum kranzartig an- geordnet sind. Die Zahl der Waben unterliegt großen Schwankungen (40—114). Für gewöhnlich kommen 60—70 Junge zur Ausbildung, welche nach 82 Tagen die Mutter verlassen. Lange vorher aber werden die Wabendeckel gesprengt, und die Jungen strecken, nachdem das Kiemen- stadium durchlaufen und der Lungenkreislauf eingeleitet worden ist, die Köpfe und einen mehr oder weniger großen Abschnitt des Rumpfes mit den vorderen Extremitäten heraus. Diese wie auch die hinteren Gliedmaßen entwickeln sich verhältnismäßig viel rascher als bei den übrigen Amphibien und zwar schon vor der Anlage der äußeren Kiemen?). Auffallend muss die Ausbildung des starken Ruderschwanzes er- scheinen, der ja nie, wie dies sonst bei Batrachierlarven die Regel bildet, als Lokomotionsorgan fungieren kann (Fig. 12). Wenn er nun auch als vererbt gelten kann aus einer Zeit, wo er noch in der genann- ten Weise seine Verwendung fand, so sollte man eher eine Reduktion desselben voraussetzen und zwar umsomehr, als die eigenartige Brut- pflege sicherlich schon eine nach Erdperioden zu messende Zeit besteht. Da aber von einer Rückbildung keine Spur zu merken ist, so liegt der Gedanke an einen Funktionswechsel nahe genug, und es könnte sich um ein Respirationsorgan handeln, wie wir einem solchen im Schwanz des Antillenfrosches (Hylodes martinicensis) begegnen (s. später). Wenn man die überaus starke Gefäßver- sorgung der Wabenwand und den Umstand in Erwägung zieht, dass das Gesamtvolum des herangewachsenen Embryos das ursprüng- liche Eivolum bedeutend übertrifft, so geht daraus zur Genüge hervor, dass das Dotter- material zum Körperaufbau nicht genügen kann, sondern dass der Embryo eine weitere Nahrungszufuhr von der Wabenwand, d.h. von der Mutter aus, erfahren muss. Dabei ist allerdings schwer zu sagen, wie das Junge zum Genuss derNahrung kommt, ob dieselbe zunächst dem Dotter zuströmt und erst von hier aus resorbiert wird oder ob selbständige NNRÄII =. Fig.12. Larve der Pipa dor- sigera (3mal vergrößert). 1) J. Wyman, Observ. on the Development of the „Surinam Toad* (Pipa americana). Amerie. Journ. of Seience and arts, Vol. XVII, 1854. 16 Frank u. Krüger, Schildlausbuch. Schluckbewegungen mit dem Mund ausgeführt werden, wie dies von den Embryonen des schwarzen Bergsalamanders sicher nachgewiesen ist. Aus der Fig. 11 ist zu ersehen, wie das im Wabenraum liegende Junge derart um den großen Dottersack herumgebogen liegt, dass der Rumpf nach oben gegen den Wabendeckel zugekehrt ist, während der Ruderschwanz den Dotter z. T. seitlich umgreift. Embryo und Dotter liegen der Wabenwand enge an, doch lässt sich zwischen beiden noch eine dünne Schicht einer Gelatinemasse konstatieren, deren Beschaffen- heit man nicht näher kennt, die aber vielleicht im obgenannten Sinne als ausgeschiedene mütterliche Nahrung gedeutet werden darf. Nachdem der Ruderschwanz und die Dottermasse verschwunden, die Kiemenlöcher verstrichen, der Lungenkreislauf entwickelt und die Gliedmassen sämtlich gut ausgebildet sind, verlässt das Junge die Mutter und ähnelt letzterer in der äußeren Form vollkommen. Zum Schlusse sei noch bemerkt, dass der Holländer Ruysch der erste war, der die wissenschaftliche Welt mit den wunderbaren Rücken- waben des Pipaweibchens in seinem „Thesaurus animalium“ (1725) be- kannt machte. Seine Beobachtungen wurden jedoch von seinen Zeit- genossen und auch noch von späteren Generationen ziemlich skeptisch aufgenommen. (Zweites Stück folgt.) Frank und Friedr. Krüger, Schildlausbuch. Beschreibung und Bekämpfung der für den deutschen Obst- und Weinbau wichtigsten Schildläuse. Bearbeitet für die Praxis. Berlin. Paul Parey. 1900. Die systematische und. biologische Forschung auf dem Gebiete der Coceiden oder Schildläuse hat bis vor wenigen Jahrzehnten fast gänzlich brach gelegen. Arbeiten, wie die von Claus „zur Kenntnis von (occus cacti* in Müller’s Archiv (1859) und von Targioni-Tozzetti „Studii sulle Coeeiniglie (1867) waren anatomischen und histologischen Inhaltes. Der erste, der umfassendere systematische Untersuchungen über diese Familie veröffentlichte, war Signoret. Seine in den Ann. Soc. Ent. France in den Jahren 1868—76 erschienenen Aufsätze kann man, so- viel Ungenauigkeiten und Fehler sie als erster grundlegender Versuch naturgemäß auch aufweisen, als die Basis der modernen Coceidenforschung ansehen. Das Jahr 1877 brachte eine Arbeit von Mark „Beiträge zur Anatomie und Histologie der Pflanzenläuse, insbesondere der Coceiden *. — Biologisch sehr wichtig und scheinbar bei weitem noch nicht genügend gewürdigt ist die im Jahre 1882 in den Abhandl. d. Wiener zool.-bot. Ges. erschienenen Arbeit über „das Schild der Diaspiden“ von Franz Löw, welche wichtige Forschungsergebnisse über die Häutungen und die damit innig zusammenhängende Schildbildung dieser Unterfamilie der Coceiden enthält. — Mehr unter praktischem Gesichtspunkt wurden die für Wein- und Obstbau so sehr gefährlichen Insekten .im Jahre 1884 von dem Oekonomierat R. Goethe in den Jahrbüchern ‚des nassauischen Ver. f. Frank u. Krüger, Schildlausbuch. 317 Naturkunde abgehandelt. — 1885 veröffentlichte O. Schmidt interessante Beobachtungen im Archiv für Naturkunde über die „Metamorphose und Anatomie des männlichen Aspidiotus Nervii*, welchen im Jahre 1886 Untersuchungen von E. Witlaczil — „zur Morphologie und Anatomie der Coceiden“ in der Zeitschrift f. wiss. Zoologie folgten. Die praktische Bedeutung der Coceiden für die Landwirtschaft ist es gewesen, die neuerdings die Schildlausfrage zu einer brennenden gemacht hat. Seit dem Jahre 1873, wo man in den Vereinigten Staaten auf den ungeheueren Schaden aufmerksam wurde, den eine Schildlaus in den Obstplantagen des San Jos&-Thales in Kalifornien anrichtete, ist die Coceidenforschung für die Staatsentomologen der Vereinigten Staaten in erste Linie getreten. Eine Hochflut von zum Teil sehr wertvollen Ver- öffentlichungen systematischen und biologischen Inhaltes über die Coceiden und speziell über den Aspidiotus perniciosus, die „San Jos&-Laus“, ergießt sich schon seit einer Reihe von Jahren von Nordamerika aus über die gelehrte Welt. Für Australien und Neuseeland hat Maskell eme große Anzahl systematisch und biologisch interessanter Aufsätze in den Transaetions and Proceedings of the New Zealand Institute veröffentlicht. — In Italien, wo die Schildlausfrage wegen der Agrumen-Plantagen eine sehr brennende ist, arbeiten Berlese und Leonardi schon seit längerer Zeit auf diesem Gebiete. — E. Green giebt augenblicklich ein umfassendes Werk über die Coceiden von Ceylon heraus. — Auch in Deutschland ist seitdem die Coceidenforschung in ein neues Stadium getreten. 1895 haben Judeich und Nitsche in ihrem „Lehrbuch der mitteleuropäischen Forstinsekten- kunde“ den Coceiden und ihrer Lebensgeschichte eine sehr eingehende Aufmerksamkeit geschenkt. Mehrere Aufsätze sind in letzter Zeit von Frank und Krüger geschrieben, zu deren Auffassung Leopold Krüger in seinen „Insektenwanderungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika‘ (Stettin 1899) mehrfach in Gegensatz tritt. Aus der Pflanzenschutzstation in Hamburg sind neuer- dings drei Arbeiten hervorgegangen: Die erste von L. Reh „Untersuchungen über amerikanische Obstschildläuse“* bringt bemerkenswerte Resultate über die Wirkung äußerer Verhältnisse auf die Schildläuse. Die beiden an- deren von W. May handeln „über das Ventralschild der Diaspinen“ und „über die Larven einiger Aspidiotus- Arten“. Frank und Krüger geben uns nun nach jahrelangen, mühsamen Vorstudien mit ihrem „Schildlausbuch“ eine sehr dankenswerte Zu- sammenfassung alles dessen, was für den deutschen Obstbau hinsichtlich der Coceiden bis jetzt als wichtig erkannt ist. Die Verfasser beschränken sich dabei mit Recht auf die beiden Unterfamilien der Diaspinae und Lecaninae. Vor allen Dingen betont das Buch die praktische Seite der Frage, und beschäftigt sich daher auch, soweit das bei dem gegenwärtigen Stand der Forschung möglich ist, eingehend mit der Lebensgeschichte der Schildläuse, von der richtigen Voraussetzung ausgehend, dass die Be- kämpfung von Schädlingen nur dann rationell erfolgen kann, wenn man biologisch mit ihnen vertraut ist. Nach einigen Vorbemerkungen über die systematische Stellung der Diaspinen und Lecaninen wird in einem besonderen Kapitel das über die postembryonale Entwicklung bisher Bekannte behandelt. Die Fortpflan- 318 Frank und Krüger, Schildlausbuch. zung ist eine ovipare oder ovovivipare. Männliche und weibliche Larven sind zunächst freibeweglich. Nach kurzer Zeit suchen sie sich an den jungen Aesten des Baumes, manchmal auch an Blättern und Früchten eine geeignete Stelle aus, um hier ihren Rüssel tief in das zarte Gewebe einzubohren. Damit beginnt ihre parasitäre Thätigkeit. Durch eine Häutung treten sie in das für Männchen und Weibchen auch äußerlich schon verschiedene Nymphenstadium ein. Eine weitere Häutung lässt aus der weiblichen Nymphe das geschlechtsreife Weibehen hervorgehen, das unter dem Schutze eines Rückenschildes nach erfolgter Befruchtung die junge Brut produziert. Aus der männlichen Nymphe entsteht durch Häu- tung die sogenannte Propupa, aus dieser wieder durch Häutung die Pupa oder Puppe, aus welcher später das zweiflügelige freibewegliche, sehr kurzlebige Männchen ausschlüpft, dessen verkümmerte Mundwerkzeuge keine Nahrungsaufnahme mehr gestatten. Die Wahrnehmung, dass bei manchen Schildläusen die Männchen außerordentlich selten sind, bringt die Verfasser zu der interessanten Ver- mutung, dass hier wohl vielfach parthenogenetische Fortpflanzung vor- kommt. Wahrscheinlich ist, dass in unserem gemäßigten Klima jedes Jahr nur eine Generation erzeugt wird. Die Fruchtbarkeit des einzelnen Weibchens überschreitet bei den Diaspinen wohl kaum die Zahl 50, steigt aber bei den Lecaninen auf mehrere hundert Eier. Ein weiterer Abschnitt enthält die angestellten Beobachtungen über den „Einfluss der Schildläuse auf die Pflanze“. Ueber diesen Punkt wich- tige Aufschlüsse zu bringen, waren die Verfasser als Botaniker von Fach ganz besonders berufen. Die Schildlaus senkt ihren Rüssel in das lebende, saftführende Gewebe der Pflanzen ein, bei Holzgewächsen in die Rinde und bis ins Cambium. Die Ansiedelung auf Blättern und Früchten ist als Verirrung aufzufassen. Borke verhindert natürlich das Eindringen des Rüssels. Aber selbst an den Stämmen alter Apfelbäume, wo die Rinde „zwischen dicken Borkenteilen große dünne Peridermbedeckungen zeigt“, siedeln sie sich an. Worin besteht nun der Schaden für die Pflanze? Die wichtigsten Momente sind diese: a. Die Schildläuse bewirken durch den Reiz ihres Stiches starken Saftzufluss — Rotfärbung der infizierten Stelle häufig bei Pflanzen, die zur Rotfärbung neigen. b. Sie hindern das Gewebe in seiner normalen Entwicklung: lokale Wachstumsstockung, Vertiefungen auf der Oberfläche, an Aesten abwechselnd Vertiefungen und wulstige Erhebungen. c. Sie hindern das Reifen der von ihnen befallenen Früchte: Grüne Flecke auf Birnen, Citronen, Mandarinen und Apfelsinen; bei Birnen manchmal Bildung von Steinzellen unterhalb der infizierten Stelle. Die Frage nach der Art und Weise, wie die Infektion der Bäume mit Schildläusen zu stande kommt, wird im Wesentlichen folgendermaßen beantwortet: a. Die Infektion kann stattfinden durch Einführung bereits befallener Bäume. b. Durch Veredelungen, welche Läuse enthalten. Berichtigungen. 319 c. Die Männchen verbreiten sich durch Flug. d. Die freikriechenden Larven wandern bei ineinander greifendem Geäst von einem Baum zum anderen. e. Der Wind kann die Larven von Baum zu Baum blasen. f. Auf die Erde gekrochene Larven werden mit dem Bodenstaub vom Winde fortgeführt. Von großer praktischer Bedeutung ist die Frage nach den natür- lichen Feinden der Schildläuse, da mau durch geflissentliche Ansiedelung und Pflege der Feinde die Entwicklung der Parasiten stören kann. Ein besonderes Kapitel stellt deshalb das über diesen Punkt Bekannte nebst den Resultaten eigener Beobachtung zusammen. Es kommen als natürliche Feinde der Schildläuse in Betracht: a. Schlupfwespen, welche ihre Eier in die weiblichen Schildläuse ablegen, bevor diese zur Fortpfanzung kommen, wodurch Absterben und „Mumifizierung“ herbeigeführt wird. Die Verfasser haben selbst Züchtungs- versuche mit Schlupfwespen angestellt. b. „Stechwanzen“, von denen die Läuse ausgesogen werden. c. Käferlarven. d. Vielleicht Pilzarten, wie Sphaerostilbe, deren Mycelfäden ‘man vielfach in toten Schildläusen gefunden hat. Doch fragt es sich noch, ob diese die Ursache des Todes waren oder sich erst auf dem toten "Tier ansiedelten. Von rein praktischem Interesse sind die ausführlichen, auf lang- jährige Praxis gegründeten Ausführungen der Verfasser über die indirekte und direkte Bekämpfung der Schildläuse, auf die wir hier nieht näher eingehen wollen. Besonders verdient indessen hervorgehoben zu werden, dass die reichen Erfahrungen der amerikanischen Entomologen auf diesem Gebiete endlich einmal in deutscher Sprache ausführlich, übersichtlich und kritisch für unsere Landwirte und Gärtner zusammengestellt sind. Der spezielle Teil des Schildlausbuches, der etwa zwei Drittel der Seitenzahl umfasst, bringt nun in ähnlicher Weise, wie es im allgemeinen Teile geschehen ist, systematische und biologische Angaben über die für den deutschen Obstbau in Betracht kommenden einzelnen Coceiden-Arten. Hier finden wir übersichtliche, zum Teil als Tabellen gegebene Diagnosen der einzelnen Arten, die es auch dem gebildeten Laien möglich machen, die Arten zu erkennen. Nährpflanzen,'geographische Verbreitung, natürliche Feinde und Bekämp - fungsmittel finden bei den wichtigeren Arten eine eingehende Würdigung. Besonders erwünscht für weitere Kreise der Gärtner und Landwirte ist die Wiedergabe der „Verordnung betreffend die Einfuhr lebender Pflanzen und frischen Obstes aus Amerika“ vom 5. Februar 1398. Im allgemeinen wie im speziellen Teile des Buches finden sich zahlreiche Textabbildungen. Hinsichtlich der beiden Buntdrucktafeln mit 18 Abbildungen von fünf der wichtigsten Arten ist mit der Anwendung der Farben vorsichtiger umgegangen, als dies vielfach zu geschehen pflegt. Th. Kuhlgatz. |34] Berichtigungen. In dem Aufsatz von Herrn Mazzarelli (Fortsetzung in Nr.4 ds. Bd.) sind leider wegen zu spät eingegangener Revision folgende Fehler stehen geblieben, Man bittet solche verbessern zu wollen. Auf 320 Seite 110 Zeile „ 1o „ 110 a „11 4 al) 412 „ 112 119 „112 Ei 2 „..143 0,113 Saas „ 114 „18 „415 „ 116 „116 LT A Salz „ 117 LE „ 118 „. 118 „ 118 = 118 ents „ 118 „ 118 8 „ 419 „ 149 „ 119 „119 „119 „1.149 5.49 5119 „ 120 letzte Notenzeile lies: pero statt: pers. » ” ” » 6 24 25 6 18 2A V. V. V. Wo V. V. 0. lies: 0. v0. u. u. N Berichtigungen. seguito statt: segnitio. asserisce statt: esserisce. mezzo statt merzo, multipli sia statt: multiplichi. questi statt: quest. Cosieche statt: Cosiechi. 6, 7, 8 v. o. lies: branchi si possono dare i due casi si men- zionati; ma che la comunicazione etc. | Fig. 16 (Ueberschrift) muss heissen: Comunicazione reno-aurieulare nello Scaphander lignarius. Z. 44 v. u. lies: Oscanius statt: Osanius. ON De Ivan, 18.v. 0. „ Tylodinella statt: Tyloniella. „ P. Pelseneer statt: X. Pelseneer. am Schluss der Note muss es heissen: Das Protoplasma dieser Zellen ist ziemlich grob granuliert. Ora & bene che si sappia che questa particolare struttura era stata deseritta e figurata etc. Note 2 muss heissen: Nell’ Umbrella una simile disposizione era stata osservata dal Moquin-Tandon(). Zeile 4 v. o. lies: Oxynoeidae statt: Oxynocidae. ” (Nudibranchi) statt: Nudibranchi. Figurenerklärung mc lies: connetivale statt: conetterale. soll die Figur: 18 — 19 und 19 = 18 heissen. Zeile 3 v. o. lies: ” boceale statt: bocbale. 7 v. o. distinguono stait: distingono „»„ 16 v.0. „ neuro-epiteliale statt: neuro-epeiteliale. Figurenerklärung lies: Pleurobranchaea statt: Pleurobranchia. Zeile29 v. u. lies: deriverebbero statt: deriderebbero. „ lv u „ .emesse statt: amesse. 40 9... 5 ‚Einefori,istatt:. infor: RASSE eastattercke 3 VO. m 5 Bm, Statt: simalie, »„ 3.0. „ Pösseggono statt: possedono, „: 5Bv.0. „. provvedute statt: provedute. „ . 17. vw. 0% „°., dope Statt: doro. „ 17 v.0o. „. riassunti statt: riassemti. „ »D0OrV.20..., : puntosstatts puntu. » 26 v. U. „ posseggono statt: possedono. „ 2Iv.W „ » n » „ 29 v.u. „ Tylodina statt: T'ylodrina. »..38 v0. „..:Vayssiere,statt: Dayssiere. „ .5v.0.;,„. ‚areaici statt: areaili. „ 5Dwo. „.:per glinteressantissimi. »„. 7w0. „ considerate statt: considerato. „17m u „ci siamo statt: eisiamo. „ 20 v.u. „ raggiungere statt: ragquingere. wodlıya u, u manaulo statt: naulo. ZEV: differenziati statt: differenzlati. ” Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge. & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt. ‚Unter Mitwirkung von Dr. K. &oebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 15. Mai 1900. -Nr10. Inhalt: Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren (Schluss). — E. Was- mann, Einige Bemerkungen zur vergleichenden Psychologie und ' Sinnes- physiologie. — K. Eseherich, Ueber das regelmäßige Vorkommen von Sproß- pilzen in dem Darmepithei eines Käfer. — Hans Wallengreen, Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. — J. P. Pawlow, Die Arbeit der Ver- dauungsdrüsen. — L. Gangeibauer, Die Käfer von Mitteleuropa. Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. Von R. Wiedersheim. (Schluss) An die Besprechung der Wabenkröte reihe ich die Schilderung der Brutpflege eines in Venezuela einheimischen, zu der Gruppe der Laubfrösche gehörigen Batrachiers, des sogen. Beutelfrosches (Notodelphys ovifera W einl., Nototrema oviferum Gthr.)‘). Das Tier ist etwa von der Größe unseres gewöhnlichen braunen Grasfrosches, weicht aber im übrigen, wie z. B. durch seine Schädelform, mannig- fach von ihm ab. Kurz vor dem After stülpt sich die Rückenhaut unter Formierung einer Spalte zu einer Art von plattgedrücktem Beutel -ein, welcher sich nach rechts und links in Blindsäcke von viel größerem Umfang als er selbst fortsetzt. Sie liegen an den Rumpfseiten des Frosches hin und sind so voluminös, dass sie leer und angezogen vorne fast bis an den Schädel reichen und unter dem Bauch sich berühren können. Sie sind seitlich an die Cutis angewachsen, nach unten und innen aber sind sie frei und drängen sich soweit gegen die Bauchhöhle hinein, dass sie, nur noch durch das Bauchfell von ihr getrennt, die Eingeweide derselben nach vorne drängen. Die, wie schon erwähnt, dureh Einstülpung sich bildende Sackwand behält die charakteristischen Eigenschaften der äußeren Haut nahe der Einstülpungsöffnung noch bei, d. h. ‘sie ist noch pigmentiert und dunkel, ähnlich wie auf dem 1) Vgl. D. Fr. Weinland, Ueber den Beutelfrosch, Arch. f. Anat. u. Physiol. 1854. xx. | 21 322 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. kücken. Weiterhin, namentlich in der Tiefe der Säcke, werden die Pigmentzellen spärlicher und schließlich nimmt das Ganze ein silber- graues Aussehen an; die Membran wird dünner, fein, durchsichtig, zeigt sich von dichten Kapillaren durchzogen, und maschenartige Bildungen treten auf. Wie die Säcke entstehen, ist nicht direkt beobachtet, und man weiß nicht, ob man bei ihrer Bildung eine Periodizität annehmen muss, wie dies bei der Pipa während der Fortpflanzungszeit sicher konstatiert ist. Wahrscheinlich ist der Beutel immer vorhanden, er wird aber wohl nach Analogie aller Fortpflanzungsorgane zur Laichzeit, also periodisch, eine größere Ausbildung erfahren. In jenen Beutel nun kommen die Eier hinein, ohne dass man je- doch weiß, auf welche Art und Weise. Vielleicht werden sie vom Männchen hinein geschoben, denn wie bei Pipa, so ist es auch beim Beutelfrosch das Weibchen, welches die Brutpflege übernimmt. Weinland traf vier Eier in dem Rückenbeutel und elfandere in den Seitensäcken. Sie sind außerordentlich groß, fast 1 em im Durch- messer, doppelt so groß als ein gewöhnliches Froschei (ohne die gal- lertige Hülle). Die von W. beobachteten Embryonen waren schon ziemlich weit entwickelt; Hornkiefer und Haftapparate wurden ver- misst und scheinen überhaupt, weil im vorliegenden Falle nutzlos, nicht zur |Entwicklung zu kommen. Sehr früh kommen die Extremi- täten (auch die vorderen) zur Ausbildung. Kurz alles weist darauf hin, dass das junge Tier nicht in jener hilflosen Kaulquappenform sondern in schon höher entwickeltem Zustande frei werden soll?). Das größte Interesse erheischen die Atmungsorgane, welche aus zwei, in ihrer Form an Windenblüten erinnernden, glockenartigen Or- ganen bestehen. Jede dieser Glocken ist durch zwei lange, schlanke Stiele an zwei Kiemenbögen befestigt. Im Innern der hohlen Stiele, deren Wandungen aus quergestreiften 1) Bei Nototrema marsupiatum und N. plumbeum setzt die Mutter die Kaul- quappen ins Wasser ab. Bei dem kleinen Nototrema pygmaeum, Boettger, aus Puerto Cabella, Venezuela, dessen Bruttaschenöffnung sehr klein und spalt. förmig ist, reißt die Tasche, wenn die Entwickelung der 4—7 Jungen vollendet ist, durch den Druck und die Bewegungen derselben in der Mittellinie des Rückens auseinander, und zwar von dem hinteren Schlitz aus nach vorne. Es geschieht dies an der Stelle, wo die beiden die Bruttasche erzeugenden Hautfalten unter Bildung einer feinen Längsfalte miteinander verwachsen sind. Insofern scheint also Nototrema pygmaeum ein Zwischenstadium zwischen Hyla Goeldii und den übrigen Nototrema-Arten vorzustellen. Wahrscheinlich schließt sich der Brut- sack nicht wieder, sondern es dorren die beiden Hautlappen ab und bilden sich vor der nächsten Brutperiode vielleicht neu. Wenn dies der Fall ist, so dürften wohl die Eier vor der Bildung der Tasche, beziehungsweise vor der Verwachsung der Hautränder auf den Rücken gebracht werden, ‘wodurch die Frage nach der Art und Weise, wie das Weibchen die großen Eier durch den .Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 323 Muskeln bestehen, laufen zwei Gefäße, eine Arterie und eine Vene, zu den Glocken hinaus, wo sie sich in einem reich entwickelten Capillar- netz verbreiten. „Ursprünglich waren jedenfalls an jeder Seite des Halses zwei Kiemenblasen ausgewachsen, am dritten und vierten Kiemenbogen, welche schlauchartig in die Länge wuchsen und, an der Eihaut angekommen, an ihrem äußeren Ende pilzartig sich aus- breiteten; wo dann je ein Paar einer Seite mit den Rändern zu- sammenstieß, da verwuchs es und bildete mit dem anderen zusam- men die „Kiemenglocke“ (Sarasin). Die Kiemenglocken umhüllen ‚den Embryo wie mit einem weißen Mantel und bringen so sein Blut mit dem mütterlichen Körper in nächste Berührung. Ob die Larven, wenn sie herangereift sind, schließlich mit dem Muttertier ins Wasser geraten, weiß man nicht, doch neigt Weinland zu dieser Annahme, weil sich sonst, wie er meint, die Anwesenheit der obenerwähnten Muskelelemente in den Glockenstielen nicht erklären ließe. Dass die Kiemenglocken im Brutbeutel nicht bewegt werden können, ist allerdings einleuchtend, was sollen die Muskeln um jene Zeit bedeuten? -- Die Kiemenglocken scheinen übrigens später durch innere Kiemen, .von welchen durch Weinland bereits deutliche Spuren nachge- wiesen werden konnten, ersetzt zu werden. Wenn uns nun auch bei der Wabenkröte und dem Beutelfrosch schon ans Wunderbare grenzende Formen der Brutpflege begegnet sind, so werden sie doch noch weit übertroffen durch diejenigen einer kleinen, von Darwin auf seiner Reise des „Beagle* nm Valdivia (Chile) entdeckten Kröte namens Rhinoderma Darwini!). Sie ist verwandt mit der Gruppe der Phrynisciden und misst von der Schnauze bis zum Hinterende nur 3 em. Die Eier geraten hier auf eine bis jetzt nicht aufgeklärte Weise in die Mundhöhle des Männchens und von da aus in den rechts und links von der Zunge sich öffnenden Schall- oder Kehlsack. Letzterer, welcher sich unter normalen Verhältnissen nicht über die Mitte der Brust erstreckt, wird durch seine Arbeitsleistung als väterlicher Brut- raum in ausserordentlicher Weise ausgedehnt. Er erstreckt sich dann nach hinten bis an die Weichen, seitlich bis an die Wirbelsäule em- :por, und reicht nach vorne bis zum Kinn. Die an sich sehr dehnbare Haut der Kehle, der Brust und des Bauches bietet genug Raum für jene Ausdehnung, und die Wand des Brustsackes selbst bewahrt dabei ‚engen Spalt der Tasche bringt, wegfällt (F. Werner). Sicheres ist darüber nieht bekannt. 1) Vgl. J. W. Spengel, Die Fortpflanzung des Rhinoderma Darwini ‚mach Imenez de la Espada) Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. XXIX, 1877 und G. B. Howes, Notes on the Gestar Brood-pouch of Rhinoderma Darwini, Proc. Zool. Soe., London 1888. 21% 924 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. ihren ursprünglichen Charakter, nämlick den der Mundschleimhaut, deren Fortsetzung sie darstellt. Stellenweise liegt sie der Haut nur an, stellenweise aber ist sie vollständig damit verwachsen und ebenso mit len unterliegenden Brust- und Bauchmuskeln'). Der Einfluss auf die benachbarten Organe ist z. T. nur ein vorübergehender z. T. ein bleibender, insofern gewisse Teile des Schultergürtels Lageverschiebungen und Formveränderungen erfahren. Bei genauerem Zusehen ergiebt sich, dass es sich den Eingeweiden gegenüber nicht sowohl um eine mechanische Wirkung, d. h. um eine Verdrängung und ein Zusammen- gedrücktwerden derselben handelt, sondern dass eine Rückbildung, ein wirkliches Schrumpfen derselben stattfindet. Sie sehen aus wie abge- zehrt?). Offenbar erleiden die Ernährungsfunktionen während der „Jrächtigkeit“ eine schwere Schädigung, und vielleicht ist das Tier während jener Zeit, wie dies Plate*) annimmt, überhaupt nicht fähig zu fressen. Es muss übrigens bemerkt werden, dass der Brutsack in manchen Fällen keine so grosse Ausdehnung gewinnt, indem er zu- weilen wenig an den Seiten emporragt und den Unterleib nicht er- reicht. Die Folge davon ist, dass dann die Eingeweide ihre gewöhn- liche Lage und Form haben können (Fig. 13). Die Zahl der Jungen, die man in dem Brutsack getroffen hat, schwankte bei fünf Individuen zwischen 5 und 15, und ihre Verteilung schien eine regellose zu sein. Die Gliedmaßen waren bei den ein- zelnen Tieren verschieden weit entwickelt; der Schwanz fehlte bei keinem einzigen. Er besaß einen nur sehr schmalen Hautsaum und war stets auf die Seite des Rumpfes umgeschlagen. Hornkiefer und äussere Kiemen waren nicht vorhanden, so dass man bis jetzt über die Art der Atmung und der Ernährung, wie überhaupt über den physiologischen Konnex zwischen dem elterlichen Tier und der Frucht so wenig weiß, als über die Art des Freiwerdens der Jungen. Doch wird man mit der Annahme, dass sie nach Ablauf ihrer Entwicklung lungenatmend durch den väterlichen Mund zu Tage treten, unzweifel- haft das Richtige treffen. 1) Nach G. B. Howes (l. e.) ist der Kehlsack nur in der praeclaviku- laren Gegend mit seiner Umgebung, nämlich mit dem Mundhöhlenboden und dem vorderen Rand der Clavikula, verwachsen. In seinem weitaus größeren, übrigen Umfang liegt er frei im subkutanen Lymphraum des Bauches. 2) Im Gegensatz zu diesen von Espada gemachten Angaben vermochte 6. B. Howes an dem von ihm untersuchten Exemplare, abgesehen von einer Verlagerung und Schrumpfung der Leber nur die allerbesten Ernährungs- zustände, einen gefüllten Darmkanal und Magen, sowie sehr gut entwickelte Fettkörper zu konstatieren. Von einem Hungerzustand war nichts zu bemerken. 3) L. Plate, Männliche Rhinoderma-Frösche mit Brutsack, Verhandl. d. d.Zoolog. Gesellsch., VII. Versamml., Kiel 1897 (Ref. von Boettger im Zool. Centralbl. VI. Jahrg. Nr. 2, 31. Januar 1899). Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 325 In Anbetracht dieser höchst eigenartigen Brutpflege ist es nicht zu verwundern, dass frühere Autoren, wie z. B. Gay in seiner Fauna chilena von Rhinoderma Darwini nicht nur die Männchen für träch- tige Weibchen!) genommen, sondern dass sie letztere auch für „durch- aus vivipar“ erklärt haben. Erst Imenez De La Espada?) hat den Irrtum aufgedeckt. Später werde ich zu zeigen Gelegenheit haben, dass die eben ge- schilderte Brutpflege bei gewissen Fischen ihr Analogon hat. In allen den bis jetzt geschilderten Fällen von Brutpflege bei Am- phibien handelt es sich, wie wir gesehen haben, um mehr oder we- niger enge Lagebeziehungen zwischen dem elterlichen Tier und seiner Brut, sei es dass letztere durch besondere, an die Haut bezw. die x oe 2 NS B% ne IN Fig. 13. Rhinoderma Darwini. Schematischer Längsschnitt durch den vorderen Rumpfabschnitt. a Magen; b Lungen; ce Zugang zum Kehlsack; d Kehlsack, wie er beim Schrei-Akt ausgedehnt zu denken ist; e zum Brutsack umgewan- delter Kehlsack wit Eiern; f Körperhöhle; g Darmkanal. Mundschleimhaut geknüpfte Vorrichtungen geschützte und für die Er- nährung günstige Lageverhältnisse gewinnt, oder dass sie nur um irgend einen Körperteil geschlungen und so mit demselben mehr oder weniger fest verbunden wird. Wieder in anderen Fällen sahen wir, dass die Eier von dem elterlichen Tier nur umschlungen werden, allein nichtsdestoweniger lag der für die Brut daraus entspringende Nutzen klar zu Tage, kurz wir konnten auch hier erkennen, dass sich das Muttertier um seine noch hilflosen Jungen kümmerte, ihnen sozusagen eine Pflege angedeihen ließ, dass es in engster Verbindung mit ihnen 1) Die Weibehen unterscheiden sich, wie dies bei vielen anderen Anuren der Fall ist, schon äußerlich von den Männchen durch das Fehlen des Kehl- sackes. 2) Anales de la Sociedad Espaüola de Historia Natural., TI, p. 136. 396 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 27 blieb. Letzteres gilt nun für die jetzt zu erwähnenden Fällen nicht mehr; dagegen begegnen wir Einriehtungen, welche auch, wenn jene Beziehungen gänzlich fehlen, dennoch auf eine möglichst sichere und ungestörte Entwicklung der Brut berechnet sind. Derartige Fälie sind meines Wissens zum erstenmal vonR. Hensel?) gut beobachtet und beschrieben worden und erstrecken sich auf brasi- lianische Frösche, wie z. B. auf Cystignathus mystaceus (Rana mysta- cea, Spix). Dieser Frosch laicht nicht in den Pfützen selbst, sondern macht in ihrer Nähe, aber immer noch innerhalb der Grenzen, bis zu denen das Wasser nach heftigem Regenwetter steigen kann, unter Steinen, faulenden Baumstämmen u. s. w. eine Höhlung ungefähr so groß wie ein gewöhnlicher Tassenkopf. Diese füllt er mit einem weißen, zähen Schaume aus, der die größte Aehnlichkeit mit recht festem Schaume aus geschlagenem Eiweiß hat. In ‘der Mitte dieser Schaummasse be- finden sich die fahlgelben Eier. Die jungen Larven besitzen zuerst die Farbe der Eier und zeigen äussere Kiemen, werden jedoch bald auf der Oberseite dunkler und später grünlichbraun, unten grauweiß, fast silberweiß, so dass sie in ihrem Habitus den Larven der Rana esculenta nicht unähnlich sind, nur scheint bei ihnen die Schwanzflosse nicht ganz so stark entwickelt zu sein. Steigt das Wasser der Pfütze bis an das Nest, so begeben sie sich in jene und unterscheiden sich ferner in der Lebensweise nicht von den Larven anderer Batrachier; nur be- merkt man schon jetzt an ihnen eine reichlichere Schleimabsonderung und eine wahrscheinlich damit zusammenhängende srößere Lebens- zähigkeit. Trocknen nämlich zu flache Pfützen infolge eines Regen- mangels vollständig aus, so sterben die Larven der übrigen Batrachier, nur die des C. mystaceus ziehen sich unter schützende Gegenstände wie Bretter, Baumstämme u. s. w. zurück und bleiben hier, klumpenweise zusammengeballt, liegen, um die Rückkehr des Regens abzuwarten. Hebt man den bergenden Gegenstand in die Höhe, so wimmelt der ganze Haufen durcheinander, und man sieht, dass er sich immer noch eines ziemlichen Grades von Feuchtigkeit zu erfreuen hatte. Je grösser die Larven in den Nestern werden, um so mehr schwindet der Schaum, der ihnen zur Nahrung dient. Ob sie aber jemals, ohne ins Wasser gelangt zu sein, in ihren Nestern oder später, nach Vertrock- nung der Pfützen, in ihren Zufluchtsörtern eine vollständige Metamor- phose durehmachen können, habe ich nieht beobachtet, jedoch dürfte es kaum anzunehmen sein, da die jungen Tiere noch bis zu einer nicht unbeträchtlichen Größe mit den Rudimenten des Schwanzes ver- sehen sind. 1) R. Hensel, Beitr. z. Kenntnis der Wirbeltiere Südbrasiliens, Arch, f. Naturgesch,, 33. Jahrg., I. Bd. 1867. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 327 Ganz ähnlich verhält sich der Laubfrosch von Guadeloupe (Hylo- des martinicensist). Die 3—4 Mill. großen Eier beherbergen den Em- bryo bis zur vollsten Ausbildung. Er bewegt sich im Ei sehr lebhaft und sein reich vascularisirter Schwanz dient als Atmungsorgan. Nach Ablösung desselben wird das Tier frei und tritt als Lungenatmer zu Tage. Dasselbe gilt für einen Frosch von den Salomon-Inseln, Rana opisthodon, der seine 6—10 Mill. grossen Eier ebenfalls nicht in das Fig. 14 A. Fig. 14B. Eizahn EN N Fan Eizahn "u Fig. 14D. Atmungsfalten Fig. 14A. Rana opisthodon von der Ventralseite. Fig. 14B. Rana opisthodon, kurz vor dem Ausschlüpfen (3mal vergr.). Fig. 14C. Ei von Rana opisthodon (stark vergrößert). Das Junge hat mit dem Eizahn die Eischale bereits durehbohrt. Fig. 14D. Rana opisthodon, nach dem Ausschlüpfen (vergrößert). Wasser, sondern auf feuchtem Boden abseizt. Hier besteht aber keine Schwanzatmung, sondern die Atmungsorgane werden durch eine Reihe von regelmäßig auf beiden Seiten der Bauchhaut gelegenen, queren Falten repräsentiert. (Fig. 14, A—D). Von besonderem Interesse ist eine an der Schnauzenspitze auftre- tende, schmale, kegelartige Vorragung, durch welche die Eihülle an 1) R. Meyer, Der Laubfrosch von Guadeloupe (Hylodes martinicensis) und seine Metamorphosen. Der „Zool. Garten“, XIV. Jahrg. 1573. Vgl. auch M. A. Bavay in den „Comptes rendus“ der französ. Akademie, Nr. 22 vom 2. Juni 1871. 828 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen. Wirbeltieren. der betreffenden Stelle vorgetrieben und schließlich beim Ausschlüpfen des Tieres durchbohrt wird. In funktioneller Beziehung erinnert jenes Gebilde an den Eizahn der Reptilien!). Auch die Eier der in Westafrika vorkommenden Chiromantis rufes- cens (zur Gruppe der Laubfrösche gehörig)?) umhüllt ihren auf Baum- blättern abgesetzten Laich mit einer eiweißartigen, an der Luft er- starrenden 'Schaummasse. Im Innern der sich verflüssigenden Substanz schwimmen die mit Ruderschwanz und Kiemenbüscheln versehenen Larven munter herum und werden, da die Schaummasse offenbar nicht lange für die Ernäh- rung vorhält, durch die Regengüsse ins Wasser herabgespült. Fig. 15. Fig. 15. Eier von Phyllomedusa Jheringü, zwischen Blättern in einer Schaummasse geborgen. Oft fand Buchholz mehrere Blätter durch die Schaummasse mit- einander verklebt, ganz’ so, wie dies H. von Jhering?) und E. A. Goeldi*) von brasilianischen Laubfröschen (Phyllomedusa Jheringii und Zlyla nebulosa) beschrieben haben (Fig. 15). So berichtet der erstgenannte Forscher, dass die Phyllomedusa ihre Eier in 40— 50 Mill. 1) G. A. Boulenger, On the Reptiles and Batrachians of the Salomon Island. Trans. Zool. Soe., London, Vol. XII, 1890. 2) W. Buchholz (refer. von W.Peters), Ueber in Westafrika gesam- melte Amphibien. Monatsber. d. k. Akad. d. Wissensch. zu_Berlin, 1876, 3) H. von Jhering, On the Öviposition in Phyllomedusa Jheringii, with vemarks by G. A. Boulenger, Ann. and Magaz..of Nat. Hist, Vol, XVII, 5, 1886. 4) E. A. Goeldi, Proc. Zool. Soe., London 1895. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 329 langen und 15—20 Mill. breiten Klumpen zwischen Blättern (z. B. an Weiden) absetze, die über stagnirenden Wasser hängen. Die großen, weissen Eier sind derart von zwei oder drei Blättern umhüllt, dass nur unten eine Oeffnung übrig bleibt. Die von v. Jhering gemachte Annahme, dass die in der umgebenden Gelatinemasse reifenden Larven schließlich ins Wasser hinabfallen um ihre Entwieklung zu vollenden (eine direkte darauf bezügliche Beobachtung liegt nicht vor) glaubt Goeldi bezweifeln zu müssen, da die von ihm aus der Schaummasse befreiten Larven!) von Hyla nebulosa Spix beim Einsetzen ins Wasser in wenigen Stunden infolge von Atmungshemmung zu Grunde gingen. Er vertritt also die Meinung, dass die gesammte Entwicklung in der Schaummasse verlaufe. Bei der in Paraguay vorkommenden Phyllomedusa hypochondrialis?) setzt sich das Weibehen mit dem auf ihm reitenden Männchen auf ein Blatt und beide Geschlechter biegen mit den hinteren Gliedmaßen die Ränder desselben zusammen. In den auf diese Weise (also nur durch ein Blatt) gebildeten Trichter werden die Eier abgelegt und gleichzeitig vom Männchen befruchtet. Die die Eier umhüllende Gallertmasse besitzt Festigkeit genug, um die Blätter zusammenzu- halten. Sowie die Eiablage, die ?/, Stunden dauert, vollendet ist, entfernt sich das Männchen. Die betr. Blätter befinden sich entweder dicht am Wasser oder doch nicht weit davon entfernt, und die Larven wer- den durch Regengüsse unter gleichzeitiger allmählicher Verflüssigung der Gallertmasse fortgeschwemmt. Dies geschieht aber erst, wenn die Kaulquappen bereits in der Entwicklung begriffen sind. Endlich gehört hierher noch der in Japan einheimische Frosch Rhacophorus Schlegeli Gthr., dessen Brutpflege von S. Ikeda?) kürz- lich geschildert worden ist ir 16.2287330): Gleich nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf trägt das viel grössere Weibchen das Männchen auf dem Rücken und beide verkrie- chen sich meist gegen Abend am Ufer der überschwemmten Reisfelder oder der Sümpfe. Hier graben sie sich in dem schlammigen Boden, 4) Bei Hyla nebulosa klebt das Weibehen die in eine weiße, an den Kuckucksspeichel erinnernde Masse eingebetteten Eier auf die Innenseite und in die Blattscheiden absterbender Bananenblätter, wo selbst während der heissen Tagesstunden noch genügende Feuchtigkeit und Kühle herrscht. 2) J. L. Budgett, Notes on the Batrachians of the Paraguayan Chaco, with Observations upon their Breeding Habits ect. Quart. Journ. of micoscop. Science. New Series, Nr. 167 (Vol. 42, p.3) 1899. 3) 8. Ikeda, Notes on the Breeding Habit and Development of Rha- cophorus Schlegei Gthr. Annot. Zool. Japon. Vol. I, Tokyo 1897 (vgl. auch das Referat von Boettger im Zool. Centralblatt, VI. Jahrg. Nr. 2, 31. Januar 1899. 390 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. etwa 10-15 em über dem Wasserspiegel, eine rundliche Höhlung von 6-9 em: In diese Höhle, die durch Umdrehen des Körpers vom Weibchen noch ausgeglättet wird, werden bei Nacht die Eier abgelegt, worauf sieh Männehen und Weibchen von einander trennen, die Höhlung ver- lassen, die, dieselbe vom Wasser trennende, dünne Erdschicht durch- brechen und ihr sommerliches Baumleben beginnen'). Der Laich ist sehr ansehnlich und besteht aus einem weißen mit Luftblasen vermengten Stoffe von kugeliger Gestalt, bedeutender Elasti- zität und Zähigkeit. Der Durchmesser beträgt 6—7 em. Diese Schaummasse, welche die Athmung der jungen Larven begünstigt und zugleich für genügende Feuchthaltung sorgt, tritt zugleich mit den Eiern Fig. 16. Rhacophorus Schlegeli, in der Begattung begriffen. Hinter beiden Tieren liegt die ausgeschiedene, die Eier umhüllende Schaummasse. Der Pfeil zeigt die Stelle an, wo die Wand der Höhle später durchbrochen wird (vgl. den Text). aus der Kloake hervor und wird sofort in höchst eigenthümlicher Weise durch die Füsse, bezw. Zehen, bearbeitet. Diese führen Greif- und Streekbewegungen aus, zerren und mengen die Masse durcheinander, formen sie und durchsetzen sie durch jene Bewegungen gleichzeitig mit 4) Manchmal scheint das Weibchen bei den Eiern zurückzubleiben. Nach den Berichten von W. J. Holland soll übrigens dieselbe Froschart ihre Eier gelegentlich auch auf Bäumen oder Sträuchern über Wasser zwischen Blätter absetzen und sie auch hier mit einer schaumigen Masse überziehen. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 331 Luftblasen. Leiztere fangen sich zwischen den dünnen, elastischen und klebrigen Membranen, zu welehen das Gemengsel ausgezogen wird; sie sind anfangs sehr groß, werden aber durch die häufigen Tretbe- wegungen immer feiner zerteilt. Zugleich führt das auf dem Rücken des Weibehens sitzende Männchen eigentümliche Streichbewegungen in der Beckengegend des Weibehens aus, die anscheinend dazu dienen, die Eiablage desselben anzuregen. Wie das Weibchen, so führt auch das Männchen Streckbewegungen mit den Beinen aus, und diese dienen dazu, die an der Kloakengegend des Weibchens sich ansammelnden Schaummassen nach hinten zu schaffen und die Eier für die gleich- zeitig erfolgende Befruchtung frei zu legen. Fig. 17. a Nesterbau der Hyla faber, über der Wasserfläche emporragend. Später plattet sich das ganze Schaum-Ei-Gemengsel etwas ab, ver- flüssigt sich und fliesst durch die Oeffnung, welche das Elternpaar beim Verlassen der Höhle bereits durchgebrochen hatte, gegen das benachbarte Wasser ab. Wie die Entwicklung weiter verläuft, und bis zu welehem Stadium sie bereits in der Höhle gediehen war, wird nicht berichtet. Eine Brutpflege ganz anderer Art, wobei es sich sozusagen um die Schaffung einer Wiege handelt, wurde von E. A. Goeldi in Bra- silien beobachtet und in den Berichten der Zoologischen Gesellschaft zu London 1895 beschrieben. O. Boettger hat im II. Jahrgang des Zoologischen Centralblattes desselben Jahres eine fast wörtliche Ueber- setzung davon geliefert, so dass ich nichts besseres thun kann, als dieselbe hier wieder zu geben. 332 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. Zuvor will ich nur noch bemerken, dass es sich auch im vorlie- genden Falle wieder um eine Laubfrosch-Art (Hyla faber Wied!) han- delt, deren nächtliches Treiben Goeldi in seinem eigenen Garten genau beobachten konnte (Fig. 17). „Um die Frösche bei der Arbeit zu belauschen, mussten mondhelle Nächte abgewartet werden. Bei genauem Zuschauen bemerkte man zunächst eine leichte Bewegung im Wasser, die durch etwas hervor- gerufen wurde, das unter der Oberfläche thätig war. Gleich darauf erschien denn auch eine Quantität von Schlamm an der Oberfläche, die von einem Laubfrosch emporgehoben wurde, von dem man übri- gens meist nicht mehr als die beiden Hände zu sehen bekam. Nachdem der Frosch kurz darauf wieder untergetaucht war, brachte er eine zweite Portion von Schlamm in die Höhe und vergrösserte so allmäh- lich den Wall. -Dies wurde vielmals wiederholt, bis die ganze kreis- förmige Umwallung hergestellt war. Von Zeit zu Zeit erschienen Kopf und Vorderteil des kleinen Baumeisters plötzlich zugleich mit einer Ladung Schlamm an irgend einem noch unfertigen Teile seines Baues. Erstaunlich war aber vor allem die Art und Weise, wie der Frosch seine Hände gebrauchte, um das Innere des Schlammwalles zu festigen und zu glätten. Dies sorgfältige Glattstreichen konnte am besten beobachtet werden, als der Wall höher — bis zu 10 em hoch — wurde, und die Höhe des Bauwerkes den Frosch zwang aus dem Wasser zu steigen. Der obere Rand des Walles empfing dieselbe sorg- fältige Behandlung und Glättung wie die Mulde, während die Aussen- seite vernachlässigt wurde. Die Glättung des Bodens der fußweiten Umwallung, die uns an den mit Wasser gefüllten Miniaturkrater eines erloschenen Vulkans erinnern könnte, geschieht durch Drücken und Schieben mittels Bauch und Kehle und Glattstreichen mittels der Hände. Während dieser emsigen Bauthätigkeit des Weibchens ist das Männchen zwar ebenfalls anwesend, aber es verhält sich vollkommen passiv, indem es auf dem Rücken des Weibehens reitet. Während der Arbeit herrscht absolute Stille; die Schreier, die man vielleicht in der Nähe hört, sind fremde Männchen, die mit ihren Tönen ein Weibehen anzulocken suchen Eine dieser Umwallungen war in zwei Nächten fertig gemacht worden, und am dritten Tage morgens war die Mulde mit Eiern be- legt, doch kann dies auch manchmal erst am vierten oder fünften Tage nach ihrer Fertigstellung geschehen. Weitere vier bis fünf Tage sind nöthig, bis die jungen Larven auskriechen; aber verschiedene, namentlich vom Wetter abhängende Umstände verzögern gelegentlich 1) Von den Eingeborenen „Ferreiro“, d. h. der Schmid genannt, weil die Stimme dieses Laubfrosches an den Ton erinnert, welcher erzeugt wird, wenn man auf Blech schlägt. ‚Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 333 ihre Entwicklung. Heftige Regen können die Wallwände abtragen und so Anlaß dazu geben, dass ein Teil der Larven vorzeitig aus den Nestern herausgespült wird; aber ein anderer Teil wird wohl in der Mulde auszuharren und seine Wiege zu behaupten imstande sein. Die Eltern halten sich auch während der Tageszeit in der Nähe ihrer Brutbauten auf, sind aber sehr schwer zu finden; nur ab und zu wurde das Weibehen am Grunde des Nestes beobachtet. — Die Larven wachsen zwar sehr rasch, behalten aber doch ihren Schwanz eine lange Zeit; erst bei 3 cm Körperlänge schwindet er')*. Auch aus Australien sind Fälle von Brutpflege bei Fröschen ge- meldet worden, doch bedürfen dieselben dringend der Bestätigung. Gewisse Frösche der dortigen tropischen Zone sollen einen Lehm- ballen formen, in welchem sich eine etwa '/, Liter kalten Wassers bergende Höhlung befindet. In diesem, so wird berichtet?), halten sich die Frösche während der heissen, trockenen Zeit auf und ver- mutlich kommt diese Einrichtung auch der Erhaltung des Laichs und der Larven zu_Gute. In anderen tropischen Gegenden fand man die Froscheier in hohlen Baumstämmen bezw. Zweigen, in welchen sich etwas hegenwasser an- gesammelt hatte. Im Vorstehenden glaube ich alles, was bisher über die Brutpflege bei Amphibien bekannt geworden ist, berücksichtigt zu haben, und es dürfte von Interesse sein, nun auch zu untersuchen, ob und in wie weit man auch schon bei Fischen von einer Brutpflege reden kann. Die in der Litteratur hierüber sich findenden Angaben sind außer- ordentlich spärlich, was seinen Grund darin hat, dass derartige Bei- spiele überhaupt nicht allzu häufig sind. Bis jetzt kennt man nur zwei Fische, bei denen das Weibchen eine Sorge für die Nachkommen- schaft bekundet; es sind dies der zur Gruppe der Welse gehörige Aspredo /aevis und der Büschelkiemer Solenostoma. Ersterer gehört Guyana, letzterer dem indischen Ocean an?). 1) Aehnliche Beobachtungen, wie sie uns hier Goeldi mitteilt, hatte früher schon Hensel (l. e.) in Rio Grande do Sul gemacht; aber dieser schrieb die gefundenen Wallnester dem Cystignathus ocellatus zu. Goeldi ist nun ganz sicher, dass dies auf einem Irrtum beruht, was um so glaubhafter ist, als sich allerdings dieser Cystignatus bei Tage häufig an den Mulden der Hyla herumtreibt, ohne aber in irgend einer Beziehung zu deren Bauwerken zu stehen. Was die Hyla polytaenia Cope anlangt, so macht sie nach Goeldi keine Wallnester wie H. faber, sondern legt ihre Eier frei in klumpigen Massen an Stengel oder Zweige von Wasserpflanzen. Die Entwicklung der Larven ist bei dieser Art bemerkenswert langsam; wahrscheinlich dauert sie ein volles Jahr. 2) A. W. Atiken, Trans. New. Zool. Inst. II, 1870 p. 87. 3) Bei Tilapia und Tropheus (s. später) scheinen sich beide Geschlechter an der Brutpflege zu beteiligen. 534 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. Der Wels Aspredo, welcher in den Gewässern von Surinam sehr gemein ist, zeigt zur Zeit der Fortpflanzung folgendes merkwürdige Verhalten. Die Bauchhaut nimmt eine weiche schwammige Beschaffen- heit an und wird sehr blutreich. Wenn die Eier abgelegt sind, so legt sich der Fisch einfach darauf und heftet sie der Unterfläche der Mundgegend, des Rumpfes und des Schwanzes bis zu dessen Mitte sowie der ganzen Unterfläche der Flossen an (Fig. 18)'). Jedes Ei wird von einem fadenartigen, biegsamen Gebilde, wie von einem Stiele getragen, welcher mit leichter Verbreiterung an seiner Basis beginnt und am freien Ende eine schalen- oder napfartige Form gewinnt (Fig. 19). Im Innern des Stieles steigen von der Haut aus Gefässe empor, welche sich im Schalenende zu feinen Netzen ausbreiten und so (— dafür spricht die allmähliche Volumzunahme der Eier —) für die Ernährung der Eier beziehungsweise der Jungen sorgen. S gl ge: 8° Ex ee N BIT se . ne ; R 2 San is HAM IN) l. a er a0. Fig. 18. Aspredo laevis, von der Bauchseite mit anhängenden Eiern. Wie jene faden- und pokalartigen Organe sich bilden, ist unbe- kannt, jedenfalls aber handelt es sich um hohle Fortsätze der Haut, welche außer Blutgefäßen auch Bindegewebe und spindelförmige Zellen enthalten und von einem kubischen Epithel ausgekleidet sind. Wenn das junge Fischehen das Ei verlässt, so löst sich die Ei- haut mit großer Leichtigkeit vom Schalenträger ab, letzterer wird resorbiert und die Haut wird wieder glatt. Ganz andere Vorgänge beobachtet man bei Solenostoma. Hier verschmilzt die Innenseite der langen und breiten Bauchflossen - mit den Körperdecken, wodurch eine geräumige Tasche zur Aufnahme der Eier gebildet wird. An der Innenwand der Tasche entwickeln sich 1) Es erinnert dies an das bereits geschilderte Verhalten des ceylone- sischen Frosches Polypledates reticulatus. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 335 lange Fäden, welche reihenförmig entlang den Bauehflossenstrahlen angeordnet sind und als Befestigungsmittel der Eier dienen. Fig. 19. Stiel, von Blutgefäßen durchzogen. Kelchförmige Ausbreitung des / Stieles, auf welchem das Ei be- festigt ist. Haut des Muttertieres. ee nn. Fig. 19. Junger Aspredo laevis im Ei (stark vergrößert). Männliche Fische, welche sich mit der Brutpflege befassen, sind ungleich zahlreicher. Es sind folgende: Antenarius (Familie der Pediculati ) Ophiocephalus (Abteilung der Acanthopterygii channiformes) Oyelopterus (Familie der Discoboli) Cottus (Familie der Cottidae) Gasteresteus (Familie der Gastrosteidae) Callichthys (Familie der Siluridae proteropodes). Alle diese bauen Nester, und am besten ist die Brutpflege unseres gemeinen Stichlings (Gasterosteus aculeatus) bekannt. Das Nest befindet sich in einer Höhlung am Grund des Wassers und besteht aus Wurzelfasern und bunt durcheinander geschichteten Pflanzenstengeln, Blattresten ete. Die ganze Masse wird durch Haut schleim 'zusammengekittet. In seiner Weite misst das Nest etwa 7—S cm, in. der Tiefe 15—16 em. Zuerst wird der Boden angefertigt, dann erst kommen die Seiten- wände und das Gewölbe an die Reihe. Ein kleines Loch wird zum Eingang gelassen. Ist der Bau fertig, so holt das Männchen ein Weibehen und führt es unter zahlreichen Liebkosungen zur Kammer herein, wo es zwei bis drei Eier!) legt. Darauf durehbohrt es die dem Eingang gegen- Sur gın m => 1) Der Seestichling (vgl. die Note auf nächster Seite) produziert die im 336 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. überliegende Nestwand und entwischt. Durch die nun existierenden zwei Oefinungen kann nun der kühle Wasserstrom stetig durchpassieren und die Eier umspülen. Am nächsten Tage holt sich der polygam lebende Gatte wieder ein Weibchen, oft das frühere wieder oder ein neues, und dies wird so lange wiederholt, bis das Nest reichlich mit Eiern besetzt ist. Die Befruchtung wird vollzogen, indem sich das Männchen jedesmal am Weibchen reibt und über die Eier hinwegschwimmt. Einen Monat lang wird der Schatz ängstlich bewacht und gegen alle Eindringlinge, auch gegen die Weibchen, die grosse Lust bekun- den, zu den Eiern zu gelangen, energisch verteidigt. Dieses Gebahren giebt das Männchen erst auf, nachdem die Jungen ausgeschlüpft sind und für sich selber sorgen können?). Auch bei einer Arius-Art, nämlich bei Arius australis wurde ein Nesterbau konstatiert. Nach Semon baut dieser Wels im Sande des Flussgrundes eine Art Nest, indem er in einem Umkreise von etwa einem halben Meter eine Grundschicht aus Kies und kleinen Steinen zusammenträgt. Auf diese legt er die Eier ab und bedeckt sie mit einer mehrfachen Lage größerer Steine, so dass sie vom Strome nicht fortgeschwemmt und von Fischlaich liebenden Wasservögeln und kleinen Raubfischen nicht leicht gefunden werden können. Das Mate- rial für diese Deckschicht entnimmt er einem peripheren Ringe um den inneren Kreis des Nestes herum, dessen Breite etwa 20 em be- trägt. Der helle Sand dieses Ringes, der von großen und mittelgroßen Steinen entblößt ist, schimmert weithin im Flusse, und die hellen, ge- nau kreisförmigen Ringe im Flussbette verraten schon von ferne die Anwesenheit des Fischnestes. (Vgl. M. Weber, Zool. Forschungsreisen in Australien ete. von Semon Bd. V II. Lief. 1895. Verhältnis zur Körpergröße größten Eier unter allen Teleostiern. Ihr Durch- messer beträgt 5 mm. 2) Nach den Untersuchungen von K. Möbius sind die das Nest des See- stichlings (Spinachia vulgaris) umspinnenden zarten, elastischen, seidenähnlichen Fäden als ein ursprünglich schleimiges und später im Wasser hart gewordenes Sekret der Harnkanälchen des männlichen Tieres anzusehen. Zur Zeit der Fortpflanzung hypertrophieren der Enddarm, die sogenannte Harnblase und der kaudale Abschnitt der Nieren. In den Epithelzellen der letzteren, welche da- bei verschiedene histologische und mikrochemische Zustände durchlaufen, bildet sich ‘das Spinachia-Muein. Dieses gelangt dann in die Harnleiter und von dort in die Blase, wo es sich anhäuft. Nach Ausstossung des Sekretes, d. h. nach der Fortpflanzungszeit, vermindert sich wieder das Volumen der Nieren und der Harnblase. Beide sind dann nicht größer, als bei weiblichen Indivi- duen von gleicher Körperlänge, und die Harnblase enthält, wie bei Weibchen, den farblosen, wässerigen Harn. Möglicherweise handelt es sich bei dem eben- falls Nestfäden spinnenden Chironeetes pietus um ähnliche Verhältnisse. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 337 Eine besondere, in gewissem Sinne an Rhinoderma Darwini erin- nernde Brutpflege zeigen einige Arten von Arius und Galeichthys (Fa- milie der Welse), sowie gewisse zur Gruppe der Cichlidae gehörige Formen, nämlich: Tropheus Moorii'), Tilapia simonis und Tilapia ni- lotica. Alle diese tragen die Eier in der Mund- und Kiemenhöhle mit sich herum, und zwar handelt es sich bei Arius und Galeichthys sowie bei den Tilapia-Formen in der Regel um das männliche Ge- schlecht, während bei Tropheus sich das Weibchen der Eier annimmt. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sich bei Tropheus auch beide Geschlechter an der Brutpflege beteiligen können, wie dies bei Tilapia nilotica (2) und Tilapia simonis (S') nachgewiesen ist?). Bei Arius sind die betreffienden Verhältnisse etwas genauer be- obachtet und es ist hier konstatiert, dass die Mund- und Kiemenhöhle unter gleichzeitiger Verdrängung des Zungenbeins und der Kiemenhaut- strahlen eine starke Erweiterung erfahren. Dabei ist es sehr zu ver- wundern, dass die Eier, welche an dem angegebenen Orte ihre ganze Entwicklung durchmachen, weder zerbissen werden, noch in den Magen gelangen, obgleich der Mund bis zu seiner größten Erweiterungsfähig- keit davon vollgestopft ist. Nicht weniger räthselhaft ist, wie die Fische während jener Zeit zur Nahrungsaufnahme gelangen. Hierüber sowie über die Art und Weise, wie die Eier in die Mundhöhle gelangen, sind noch genauere Untersuchungen anzustellen. Wieder einer andern Art der Brutpflege begegnen wir bei den zur Gruppe der Büschelkiemer gehörigen Seenadeln (Sygnathiden). Hier werden die Eier in einer Tasche geborgen, welche durch eine an jeder Seite des Rumpfes und Schwanzes vorspringende Hautfalte gebildet wird. Die freien Faltenränder werden in der Mittellinie fest miteinander verbunden. Bei dem Seepferdchen (Hippocampus) ist die Tasche vollständig geschlossen und nur vorne bleibt eine enge Oefinung bestehen. Zum Schlusse sei noch des Fisch-Genus Embiotoca Agass.?) ge- dacht, wo ähnlich wie bei Poecilia*) eine im Eierstock verlaufende Schwangerschaft besteht, d.h. wo die Jungen im Eierstock°) heran- wachsen und hier eine außerordentliche Größe erreichen. So werden 1) Vgl. G. A. Boulenger, Report on the Collection of Fishes made by Mr. J. E.S. Moore in Lake Tanganyika ect. Trans. Zool. Soc., London, Vol. XV, 1898. 2) Es mag bei dieser Gelegenheit erwähnt werden, dass der Siluroide Arius commersonii die absolut größten Eier unter allen Teleostiern produziert. Der Durchmesser beträgt 17” mm (Boulenger). 3) Embiotocidae — Halconoti, Lippfische der Westküste Kaliforniens. Lebendig gebärend. 4) Poecilia Bloch., Familie der Zahnkarpfen, Brasilien. Lebendig gebärend. 5) Bei Poeeilia entwickelt sich das Ei innerhalb des blutreichen Follikels. XX. 22 398 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. sie bei 25—30 em langen und 10—11 cm hohen Muttertieren von Embiotoca Jacksoni fast 7—8 em lang und 2,5—3 em hoch. Agas- siz meint, dass, da die Kiemen der Jungen dabei eine so gewaltige Entwicklung erfahren, dies auf ein Eindringen von Wasser in den Ovarialsack zurückzuführen sei. Dies würde aber nur die Respiration, nicht aber die Zufuhr von Nahrungsstoff erklären. Wahrscheinlich aber verhält es sich dabei ähnlich wie bei der lebendig gebärenden Aalmutter oder Aalquappe (Zoarces viviparus) '), wo sich während der Schwangerschaft im Innern des Ovariums außerordentlich blut- reiche Zotten entwickeln, welche aus den entleerten Follikeln (Corpora /utea) hervorgehen. Sie scheiden in die Höhle des Eierstocks eine seröse, trübe, reichlich von Blut- und Lymphzellen durchsetzte Flüssig- keit aus, von welcher die zahlreichen, zu diehten Klumpen zusammen- geballten Embryonen umspült werden. Letztere führen Schluckbe- wegungen aus, und so gelangt jene Flüssigkeit in den Darm, in dessen letztem, blutreichen Abschnitt die Blutzellen verdaut werden. Uebersicht über die Brutpflege bei Amphibien und Fischen. Amphibien ?). I. Die Eier werden ins Wasser abgesetzt. Die Mehrzahl der Amphibien. II. Die Eier werden außerhalb des Wassers abgesetzt, und die Larve macht die ganze oder einen Teil ihrer Metamorphose innerhalb des Eies durch. 1. In Höhlungen in der Nähe des, Racophorus Schlegeli w Ufers, auf Blättern, oder einfach |Oystignatkusmystaceus w auf feuchtem Grund. Die Eier wer- „Hylodes martinicensis w den von einer eiweißartigenSchaum- Van opisthodon w masse umgeben. Chiromantis rufescens W 2. Die Eier werden zwischen Blät- , Phyllomedusa Jheringii w tern abgelegt, die durch eine (Ayla nebulosa w Schaummasse miteinander verklebt { Phyllomedusa hypochon- sind. drialis m w . Es werden in seichtem Wasser in der Nähe des Ufers eigentliche Nester in Form von kleinen Ring- /Hyla faber w wällen aus Schlammmasse ge- baut: 4. Die Eier werden nach der Ablage nn glutinosus w vom Muttertier umschlungen: Amphiuma w (Sb) 1) Zoarces gehört zu der Familie der Schleimfische (Blenniidae). 2) Aus dem beigesetzten männlichen (m) und weiblichen (w) Zeichen ist zu ersehen, welches von den beiden Eltern die Brutpflege übernimmt. Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 339 5. Die Eier werden nach der Ablage von einem der beiden Eltern her- umgetragen. a) An den hinteren Extremitäten: b) Am Bauche: Alytes obstetricans m Racophorus reticulatus w A trinitatis m Dendrobates trivittatus ce) Am Rücken: m? Dendrobates braccatus m? Hylodes lineatus w Desmognathus fusca wW | Arthr us seychellensis 6.Es bestehen besondere Schutz- resp. Brutvorrichtungen: a) Die Eier werden in ihrer Ge- samtmasse ringsum von einer Hautfalte auf dem Rücken des Muttertieres umschlossen: Hyla Goeldii w b) Die Eier kommen in waben- | artige Räume der Haut zu ‚Pipa dorsigera W liegen: | en Notodelphys ovifera W e) Die Eier machen ihre Ent- pP f . "1...:.0 1 Notodelphys marsupia- wicklung ganz oder teilweise ; EN 3 tum w in der beutelartigeingestülpten RE J- Bückenhautdureh: N. plumbeum w u. 949 maeum W 7. Die Eier entwickeln sich im Kehl- ulhinoderma Darwin’ sack des Männchens: \ m Fische. I. Die Eier werden ins Wasser abgesetzt und sich selbst über- lassen. Die weitaus größte Mehrzahl der Fische. II. Die Eier werden unter den verschiedensten Modifikationen am Körper eines der beiden Eltern befestigt und machen hier ihre Entwicklung durch. 1. An der ventralen Körperfläche und der Unterseite der Flossen: 2. In einer durch Verschmelzung der Bauchflossen mit den Körperdecken |solenostoma w gebildeten Tasche: \ Aspredo laevis W 340 Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 3. In einer durch die Verbindung bezw. Verwachsung zweier Falten der Bauch- und Schwanzhaut ge- Syngnathiden m bildeten Tasche: Galeichthys m III. Die Eier entwiekeln sich in der Mund- ( Arzus m und Kiemenhöhle: Tilapia m und w Tropheus w (m?) Embiotoca w Poicilia w Zoarces w U. a. Be m IV. Die Entwicklung der Eier vollzieht sich im Innern des Eierstockes: Ophiocephalus m Oyclopterus m Cottus m [art m V. Es wird ein Nest gebaut, in welchem die Eier abgelegt werden: Callichthys m Arius australis w? Zusammenfassung und Schlussfolgerungen. Werfen wir nun einen Blick zurück, so können wir nicht genug staunen über die mannigfachen und oft fast wunderbar zu nennenden Wege, welche wir gewisse Fische und Amphibien bei der Brutpflege einschlagen sehen, und es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie, wann und wodurch dies alles so geworden ist? — Dass“hierzu ungeheuer lange Zeiträume nötig waren, wird wohl Niemand bezweifeln, allein über die Ursachen jener so planvoll erscheinenden Einrichtungen dürften die Meinungen vielleicht geteilt sein. Gerade das Planvolle, Zweckmäßige, das in der Brutpflege zu liegen scheint, könnte den Gedanken erwecken, dass das betreffende Tier sozusagen absichtlich, d. h. vorbedacht, auf Grund seiner, auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Ueberlegung handelt. Diese Auffassung erweist sich bei näherer Ueberlegung als nicht stichhaltig, sondern es ist auf jenes Gesetz zu verweisen, das man als „Naturzüchtung“ bezeichnet, und auf Grund dessen die Tiere sich nach dieser oder jener Richtung verändern, beziehungsweise physio- logische Funktionen auszuführen und zu handeln gezwungen sind. Wie es bekanntlich eine künstliche Züchtung giebt, bei der der Wille des Menschen planmäßig und bewusst die Auswahl oder Auslese betreibt, um neue Formen zu erzeugen, so gilt dies auch für die natürliche Züchtung, nur dass bei letzterer der unter der Wechselwirkung von Anpassung sich abspielende „Kampf ums Da- sein“ in planlose unbewusste Wirkung tritt. Das Resultat aber ist Wiedersheim, Brutpflege bei niederen Wirbeltieren. 341 hier wie dort dasselbe, d. h. die Erzeugung neuer Formen beziehungs- weise Formteile oder irgendwelcher physiologischer Einrichtungen und Lebensgewohnheiten. Kurz, bei der Naturzüchtung handelt es sich um eine im Interesse der Art und des Individuums liegende Auswahl, wie es sich bei der künstlichen, allerdings viel schneller, weil, wie schon erwähnt, planvoll wirkenden Züchtung um die Er- zielung eines Vorteiles für den züchtenden Menschen handelt (E. Häckel)!). Wenden wir diese fundamentalen Sätze der Entwickelungslehre auf den vorliegenden Fall an, so werden wir zu folgenden Schlüssen gelangen. Die Stammformen aller Amphibien, die heutzutage durch eine Brutpflege charakterisiert sind, haben — darüber kann kein Zweifel bestehen — ihre Eier ursprünglich ins Wasser abgesetzt. Die Eier waren damals klein, dotterarm, d. h. so, wie wir ihnen heute noch bei weitaus der größten Zahl der geschwänzten und ungeschwänzten Amphibien begegnen. Zugleich wird ihre Zahl eine ungleich größere gewesen sein, da sie durch räuberische Wassertiere der verschiedensten Art sehr gefährdet waren und deshalb durch ihre Masse den Ausfall decken mussten. Als dann durch irgend welche Einflüsse tellurischer oder klimatischer Natur eine Reduktion des Wassers stattfand, oder wenigstens das Stagnieren desselben verhindert wurde, waren der ge- wöhnlichen Larvenentwicklung die natürlichen Bedingungen entzogen, und die betreffenden Amphibien mussten notwendig darauf durch irgend welche, auf die Aufbringung der Brut gerichtete Anpassung rea- sieren, sollte die Erhaltung der Art gesichert bleiben. Vor allem war eine Beschränkung in der Zahl der produzierten Eier erforderlich, da sich das einzelne Ei größer zu gestalten hatte, d.h. da so viel Dottermasse dafür aufzubringen war, dass die ganze Larvenent- wicklung innerhalb des Eies ablaufen, und das Junge so- fort luftatmend zu Tage treten konnte. Weiteres Material musste auch für die Schaummasse beschafft werden, von welcher, wie wir wissen, der Laich mancher Frösche der heissen Zone umhüllt wird. 4) Der Grund der rascheren Wirkung der künstlichen Züchtung liegt darin, dass der Tierzüchter stets nur die ihm passend erscheinenden Formen zur Kreuzung zulässt, während bei der Naturzüchtung die Auswahl keine so strenge ist, und häufig wieder Kreuzungen mit der alten, unveränderten Form einzutreten vermögen, wodurch, infolge von Rückschlägen, die Schaffung neuer Formen eine mehr oder weniger starke Verzögerung erfährt (E. Häckel). Unter denselben Gesichtspunkt der Naturzüchtung fällt, um dies hier kurz zu erwähnen, z.B. auch die sogenannte „sympathische Farbenwahl* der Tiere, die dem Besitzer, der sich dadurch wenig oder gar nicht von der Umgebung unter- scheidet, von Vorteil ist, ohne dass er von sich aus irgend etwas zur Er- reichung jener Schutzfärbung zu thun im stande wäre. 542 Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. Wenn schon darin eine gewisse Sicherheit für die gedeihliche Ent- wicklung der Brut erblickt werden darf, so gilt dies in noch höherem Grade für die Fälle, wo man von einem Nesterbau oder gar von mehr oder weniger innigen Lagebeziehungen zwischen dem elterlichen Körper und den abgelegten Eiern reden kann, d. h. wo die letzeren von einem der beiden Eltern auf der Haut oder in Einstülpungen derselben ge- tragen werden. Jene Beziehungen gewinnen, von Ichthyophis und Amphiuma an- gefangen, bis zu Hyla Goeldii, Pipa dorsigera, Notodelphys und Rhino- derma stufenweise an Bedeutung, und wir begegnen den mannigfachsten und physiologisch z. T. bedeutungsvollsten Brut- und Schutzvorrichtungen. Während uns nun, was die Amphibien anbelangt, die betreffenden Untersuchungen verhältnismäßig leicht ermöglicht sind, und eine be- friedigende Erklärung sich häufig auch von selbst aufdrängt, entziehen sich die einschlägigen Verhältnisse bei den Fischen aus naheliegenden Gründen da und dort einer sicheren Beobachtung und Deutung. Hier wie dort aber begegnen wir dem Walten der natürlichen Züchtung, und hier, wie in vielen anderen Fällen des natürlichen Geschehens sehen wir die im Kampf ums Dasein mit den vorteilhaftesten Eigen- schaften ausgerüsteten, d. h. die am besten an die äußeren Verhält- nisse angepassten Individuen die Oberhand gewinnen und die Vorteile wieder auf die Nachkommenschaft vererben. [44] Einige Bemerkungen zur vergleichenden Psychologie und Sinnesphysiologie. Von E. Wasmann. S.J. (Luxemburg). Im verflossenen Jahre erschien ein in mancher Hinsicht recht in- teressantes und lehrreiches Buch: Einleitung in die vergleichende Gehirnphysiologie und vergleichende Psychologie, mit besonderer Be- rücksichtigung der wirbellosen Tiere, von Dr. Jacques Loeb, Direktor des physiologischen Instituts an der Universität Chicago. Der Verfasser derselben vertritt bezüglich der Nervenphysiologie die „Bnegmentaltheorie* im Gegensatz zur bisher üblichen „Centrentheorie“. Für ihn sinken die nervösen Centralorgane nur zu „protoplasmatischen jrücken für die Reizleitung“ herab oder zu Hemmungsorganen der nervösen Erregung, während die periphere Nervenleitung und der Bau der nervösen Endorgane als die Hauptsache, als das eigentlich spe- zifische und bestimmende Element für die verschiedenen Sinnesthätig- keiten und für sämtliche psychischen Reaktionen hingestellt werden. Ich kann mich hier auf eine weitere Kritik dieser neuen Theorie nicht einlassen!), sondern bemerke nur, dass sie mir nach des Verfassers 1) Vgl. über dieselbe auch Will. Nagel im Zool. Centralblatt VI, 1899 Nr. 18/19, S. 611—614. Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. 345 Ausführungen ein kaum minder einseitiges Extrem zu sein scheint wie eine extreme Form der Centraltheorie, welche die Lokalisation der Funk- tionen übertreiben, und für jeden Instinkt und sogar für jede einzelne Sinneswahrnehmung einen eigenen, engbegrenzten Teil des Central- nervensystems als ausschließliches Centrum aufstellen würde. Was ieh hier etwas eingehender besprechen möchte, ist die mechanische Instinkttheorie Loeb’s, nach welcher er die tierischen Instinkte als bloße Tropismen zu erklären sucht, die mit pflanzlichen Tro- pismen wesentlich gleichartig sind. Es ist nicht zu verkennen, dass Loeb’s Ausführungen über diesen Gegenstand manchen nützlichen Wink zur einfachen Erklärung gewisser scheinbar komplizierter Instinkte geben und namentlich die Vermenschlichung des Tierlebens, welche in den Instinkthandlungen der Tiere „bewusste Wahl“ finden will, recht gut widerlegen. Allen Loeb dürfte in der wesentlichen Gleich- stellung der tierischen Instinkte mit den pflanzlichen Tropismen zu weit gegangen sein, viel weiter als die Thatsachen es erlauben. Dies will ich hier an einigen, nach Loeb’s Ansicht besonders beweiskräf- tigen Beispielen zu zeigen suchen. Der „Instinkt“ der in das Licht fliegenden Motte ist nach Loeb bloß positiver Heliotropismus, wie er auch bei Pflanzen vor- kommt (8. 121ff.). Nach ihm wird die von den Lichtstrahlen getroffene Motte durch dieselben mit mechanischer Notwendigkeit so orientiert, dass sie den Kopf der Lichtquelle zukehren und dieser sich nähern muss; daher wird sie, da sie ein Tier mit „rascher Progressivbewe- gung“ ist, in die Flamme geraten, bevor die von letzterer ausstrahlende Wärme eine hemmende Wirkung auf jene Progressivbewegung ausüben kann. Diese Erklärung Loeb’s ist ohne Zweifel ihrem Klange nach sehr wissenschaftlich. Aber ein Biologe fragt sich, weshalb denn nun thatsächlich doch keineswegs alle Motten dieser Erklärung des Herrn Loeb Folge leisten und in der Flamme verbrennen. Da sie Tiere mit rascher Progressivbewegung sind, müssten sie es nach jener Theorie eigentlich alle ausnahmslos thun; denn Loeb hat es durch seine Erklärung für die Motte mechanisch unmöglich gemacht, sich seitlieh gegen die Lichtquelle zu orientieren und um das Licht herum zu fliegen; sie thut es aber vielfach dennoch. Zwischen den Thatsachen und ihrer Erklärung durch Loeb besteht somit ein Wider- spruch, aus dem wir schließen müssen, dass in seiner Beweisführung ein bedeutender Fehler verborgen sein muss. Dieser Fehler liegt eben darin, dass er die Sinnesempfindung des Tieres außer acht ge- lassen hat, weil er es nach seiner Theorie von vornherein nur als eine pflanzliche Maschine ansah. Wie die Lichtempfindung die physio- logische Reizursache ist für die Annäherung der Motte an die Licht- quelle, so ist die Wärmeempfindung die andere entgegengesetzte Reiz- ursache, welche das Tier in vielen Fällen noch rechtzeitig davon ab- 344 Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. hält, mit der Flamme in Berührung zu kommen. Mit der „rein me- chanischen“ Erklärung dieses Instinktes ist es also recht schlecht be- stellt, weil dieselbe sich als thatsächlich ungenügend erweist. Selbst- verständlich braucht man jedoch der Motte nicht etwa einen eigenen „in das Lichtfliege-Instinkt“ zuzuschreiben, mit einem eigenen ner- vösen Centrum für dasselbe, wie Loeb der Centrentheorie irrtümlich unterschiebt; denn das sinnliche Empfindungsvermögen des Tieres mit dem entsprechenden Vermögen der willkürlichen Bewegung erfordert für unseren Fall nur die Annahme einer nervösen Reizbarkeit der optischen Nerven für die Lichtstrahlen sowie einer entgegengesetzt wirkenden nervösen Reizbarkeit der Hautsinnesorgane für die ther- mischen Reize, welche durch das Centralnervensystem vermittelt wer- den kann, ohne dass wir einen eigenen Instinkt für das zum Lieht Fliegen der Motte oder für das sich vom Lichte noch recht- zeitige Abwenden der Motte mit eigenen Centren anzunehmen brauchen. Das Irrtümliche der rein mechanischen Erklärung des Instinktes, welehe Loeb versucht hat, zeigt sich noch klarer an einem anderen Beispiele, welches er für noch beweiskräftiger für jene Theorie ge- halten hat. Es handelt sich abermals um einen Fall von „bloßem positiven Heliotropismus“, wie er ebensogut bei Pflanzen sich finden soll (8. 126ff.). Die jungen Raupen des Goldafterspinners (Porthesia chrysorrhoea) überwintern, nachdem sie im Herbst aus dem Ei gekrochen sind, in einem Nest auf Bäumen oder Sträuchern. Im Frühling kriechen sie dann an den Zweigen empor und beginnen an den Spitzen derselben, wo die Blätter zuerst aus den Knospen brechen, ihren Fraß. Der Instinkt dieser Raupen, nach dem Erwachen aus dem Winterschlafe aufwärts zu wandern, ist offenbar für ihre Lebens- erhaltung von großer Wichtigkeit, weil sie sonst, wie Loeb mit Recht bemerkt, verhungern müssten. Diesen Instinkt der Aufwärtswande- rung versucht nun Loeb als eine rein heliotropischeReaktion nachzuweisen. Jeder Lichtstrahl, der im Freien auf das Tier fällt, lässt sich in eine horizontale und eine vertikale Komponente zerlegen. Die horizontalen Komponenten heben einander auf und nur die verti- kalen Komponenten bleiben übrig. „Die Tiere müssen also infolge ihres positiven Heliotropismus in die Höhe kriechen, bis sie die Spitze eines Zweiges erreichen. Hier werden sie durch das Licht festgehal- ten.“ Um zu erklären, weshalb die Raupen nicht ewig oben sitzen bleiben, sondern, wenn es dort nichts mehr zu fressen giebt, wie- der herabkriechen und einen anderen Futterplatz aufsuchen, stellt Loeb den Satz auf, dass’die Raupen „nur so lange positiv heliotropisch sind, als sie nüchtern sind. Sobald sie gefressen haben, verlieren sie ihren positiven Heliotropismus.“ Was sagt die Biologie zu diesem scheinbar so einfachen und Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. 345 wissenschaftlich klingenden Erklärungsversuch? Es ist eine allgemein bekannte Thatsache, dass Raupen, die nicht mehr nüchtern sondern vollgefressen sind, überhaupt nicht wandern, sondern ruhig sitzen bleiben, es sei denn, dass sie gerade zur Häutung oder zur Verpuppung einen anderen Platz aufsuchen müssen. Sonst kriechen sie erst dann von ihrem alten Frassplatz herunter, wenn sich ein erneutes Nahrungsbedürfnis einstellt, für das sie oben kein Futter mehr finden. Dann sind sie aber bereits wieder nüchtern, also nach Loeb’s Be- hauptung positiv heliotropisch. Was folgt aus diesen biologischen Thatsachen? Dass die Raupen nach jener schönen helio- tropischen Theorie bereits auf dem ersten Baume oder auf dem ersten Zweige des ersten Baumes mit absoluter Notwendigkeit verhungern müssten. Was sollen sie anfangen, wenn der über ihnen befindliche Zweigteil von den höher sitzenden Raupen kahlgefressen ist? Aufwärts zu gehen nützt ihnen nichts, und abwärts gehen können sie nicht, denn sie müssten sich ja um- kehren, und das hat ihnen Herr Loeb mechanisch unmöglich ge- macht, weil sie als nüchterne Raupen positiv heliotropisch sein müssen; also bleibt ihnen nur der Hungertod übrig! Ich fürchte fast, dass man durch so übergelehrte Erklärungs- versuche, wie die eben skizzierte Loeb’s dem Ansehen der Physio- logie keinen besonderen Dienst erweist. Durch das Bestreben, in so einseitiger Weise die tierischen Instinkte auf pflanzliche Tropismen zurückzuführen, zeigt man nur die gänzliche Unhaltbarkeit einer „rein mechanischen“ Instinkttheorie, welehe das psychische Element, näm- lich die sinnliche Empfindung mit den durch sie angeregten Bewe- gungstrieben, völlig übersieht und dadurch mit ihren Erklärungsver- suchen offenbares Fiasko macht und zwar nicht etwa bloß vor „mittel- alterlichen Philosophen“ sondern vor allen denkenden Biologen. Solche einseitige Erklärungsversuche sind meines Erachtens ebenso verfehlt wie die vulgäre Vermenschlichung des Tierlebens verfehlt ist, welche den nahrungsuchenden und deshalb nach oben kriechenden Raupen eine „bewusste Wahl“ zuschreibt. Die Wahrheit liegt in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, wie ich bereits in meiner Schrift „Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen“ (Stuttgart 1899, Zoologiea Heft 26) an vielen anderen Beispielen hinreichend nachgewiesen habe. Was die hungrigen jungen Raupen zum Aufwärtskriechen nach dem Winterschlafe zunächst veranlasst, mögen allerdings vielleicht die von oben kommenden Lichtreize sein. Aber die Raupen sind eben keine bloßen „heliotropischen Fressmaschinen“, wie sie in Loeb’s Buch stehen, sondern lebendige, mit sinnlicher Empfindung und willkürlicher Be- wegung begabte Wesen. Deshalb werden sie durch das Nahrungs- bedürfnis, das sie anfangs in der Richtung der Lichtstrahlen nach oben leitete, später, wenn es oben nichts mehr zu fressen giebt, 345 Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. wiederum nach unten geleitet. Dass das Verhalten dieser Raupen gegenüber den Lichteinflüssen wesentlich gleichartig sei mit bloßem pflanzlichem Heliotropismus, wie Loeb vorgiebt, ist somit eine völlig irrtümliche Anschauung. Eine wichtige Rolle bei der mechanischen Erklärung vieler Instinkte spielen nach Loeb ferner die Chemotropismen. Aber auch hier zeigt sich dieselbe Einseitigkeit und deshalb auch dieselbe Unhaltbar- keit seiner rein mechanischen Instinkttheorie. Bezüglich der Chemo- tropismen bei den Ameisen beruft sich Loeb hauptsächlich auf Bethe’s Schrift „Dürfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben“? (Bonn 1898). Es ist jedoch Herrn Bethe völlig miss- lungen, den Beweis dafür zu erbringen, dass die betreffenden Reak- tionen der Ameisen, bei denen sie mittelst einer „Chemoreception“ sich untereinander erkennen, ihren Weg finden u.s. w. nichts weiter als bloße Chemoreflexe seien. Ich brauche hierfür nur auf meine oben- erwähnte Schrift „Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen“ zu ver- weisen. Die in derselben gegebene Kritik der Bethe’schen Experi- mente hat, soweit mir bekannt, auch bei den Zoologen allgemeine Zu- stimmung und von keiner Seite eine Widerlegung gefunden). Loeb stellt ähnlich wie Bethe als Kriterium des „psychischen Lebens“ das „associative Gedächtnis“ hin. Dass dieses Kriterium unhaltbar ist, wurde bereits in meiner obigen Schrift (besonders in dem Absehnitte über die verschiedenen Formen des „Lernens“) zur Genüge nachgewiesen. Auch Willibald Nagel bemerkt bezüglich des „associativen Gedächtnisses“ in einem Referate über das Loeb’sche Buch?) mit Recht, dass Loeb den Beweis für die Berechtigung des- selben als eines allgemeingiltigen Kriteriums für die Bewusstseinsvor- gänge schuldig geblieben sei und statt dessen nur die endlose Wieder- holung seiner unbewiesenen Behauptung geboten habe. Das „asso- ziative Gedächtnis“ Loeb’s ist ein ebenso unklarer wie elastischer Begriff, unter dem er alle jene Reaktionen unterzubringen sucht, die er nicht als rein „segmentale Funktionen“ des tierischen Nerven- systems zu erklären vermag. Auch auf die Widersprüche, zu denen die Anwendung jenes Kriteriums führt, ist bereits durch Nagel auf- merksam gemacht worden. Da eine Taube, der man das Großhirn 4) Erst während des Druckes vorliegender Arbeit kam mir Bethe’s Er- widerung zu „Noch einmal über die psychischen Qualitäten der Ameisen“ (Arch. f. Physiol. Bd. 79 S.39—52). Aber auch dort ist keine Widerlegung meiner Kritik zu finden. B. bleibt daselbst bei der offenbar falschen Behaup- tung, dass es bei dem Verhalten der Ameisen gegenüber den Geruchsstoffen ihrer Gefährtinnen „nur auf die erste Reaktion“ ankomme, nicht aber auf die weitere Verwertung der erhaltenen Geruchseindrücke von Seiten der Tiere. Solehen Behauptungen gegenüber hört jede weitere Erörterung auf. 2) Zoolog. Centralblatt VI, 1899, Nr. 18/19 8.613. Wasmann, Einige Bemerk: z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. 347 exstirpiert hat, auf Futter und auf sexuelle Lockung nicht mehr reagiert, müsste Loeb konsequentermaßen auch die Nahrungssuche und die sexuelle Reaktion als auf assoziativem Gedächtnis beruhend, als erworben und erlernt bezeichnen. Dies ist aber unrichtig und steht mit den Thatsachen im Widerspruch, weil sowohl die Nahrungs- suche wie die sexuelle Reaktion dem Tiere angeboren sind. Vor einiger Zeit haben die Herren Beer, Bethe und Uexküll!) den Vorschlag gemacht, eine neue „objektivierende“ Nomen- klatur in der vergleichenden Sinnesphysiologie und Tierpsychologie einzuführen. Auch H. E. Ziegler?) hat sich diesem Vorschlage an- geschlossen. Dass man klare, unzweideutige Ausdrücke zur Bezeichnung der Begriffe verwenden müsse, ist auch meine Ansicht. Weshalb man aber neue griechische und lateinische Termini in solcher Menge einführen will, auch für Begriffe, die schon längst eine gute deutsche Bezeich- nung haben, ist mir nicht recht klar. Dieses Vorgehen führt zu einem ähnlichen Uebelstande in den biologischen Wissenschaften wie er im Bureaukratismus des Verwaltungswesens besteht, nämlich zu einer Ueberhäufung mit Formelkram. Ein derartiges Bestreben ist kein Zeichen des Fortschritts sondern eher des Niederganges einer Wissen- schaft. So ging es z. B. in der mittelalterlichen Seholastik, dessen letzter entarteter Ausläufer, der Nominalismus, unter einer Masse neuer lateinischer Kunstausdrücke seine Gedankenarmut verbarg. Man machte neue Worte, während man auf die Begriffe, als deren Ausdruck sie ursprünglich erfunden waren, viel zu wenig Gewicht legte. In denselben Fehler könnte auch die physiologische Psychologie ver- fallen, wenn sie die kritische Analyse der psvchologischen Begriffe gering schätzt und statt dessen nach neuen, gelehrt klingenden Namen für alle möglichen Vorgänge sucht. Was soll es beispielsweise nützen, wenn man mit H.E. Ziegler die im individuellen Leben erworbenen Assoziationen neuerdings als „enbiontisch“, die ererbten dagegen als „kleronomisch“ bezeichnen will? Sind diese neuen Worte viel- leicht klarer und bezeichnender als „erworben“ und „ererbt?“ Das wird niemand behaupten wollen; sie sind im Gegenteil nur mittels eines griechischen Lexikons dem Uneingeweihten verständlich. Aber vielleicht liegt der Zweck, den man bei Einführung dieser und ähn- licher neuer Termini im Auge hat, gerade darin, dass sie nur dem „Fachmanne“ verständlich sein sollen. Vielleicht will man durch sie zwischen der sogenannten „wissenschaftlichen“ und der „niehtwissen- schaftlichen“ Biologie eine möglichst hohe Scheidewand errichten, hinter der man sich sicher fühlt gegen jede philosophische Kritik. Wenn dies der Fall wäre, dann enthielten jene neuen Kunstausdrücke 1) Centralbl. f. Physiol. Bd. XIII, Nr. 6, 1899, S. 137—141. Biol. Cbl. 1899,78.,917. 2) Biolog. Centralbl. Bd XX, 1900, Nr.1 8. 1ff. 3498 Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologıe. in der That trotz ihres wissenschaftlichen Klanges ein Armutszeugnis, das sich die wissenschaftliche Biologie nicht auszustellen braucht; denn sie hat keine Kritik von irgend welcher Seite zu fürchten, so lange sie bei ihren Schlüssen an die Gesetze der Logik sich hält. Auch Willibald Nagel!) hat bereits berechtigte Bedenken ge- äußert gegen die Notwendigkeit und die Nützlichkeit der vorgeschlagenen neuen Terminologie, soweit es sich um Begriffe handelt, für die be- reits eine gute, unzweideutige Bezeichnung besteht. Wenn die Ver- fasser jenes Vorschlages Ausdrücke wie „Empfinden, Wahrnehmen, Sehen, Riechen, Sinne, sensibel“ u. s. w. nicht auf Tiere anwenden können, ohne sich einen „Menschengeist“ in das Tier hineinzudenken, so dürfen sie dafür nur sich selber, keineswegs aber die Mehrzahl der übrigen Biologen verantwortlich machen. Es beruht auf mangelhaften philosophischen Kenntnissen, wenn man glaubt, jene Ausdrücke hätten notwendig eine anthropomorphistische Bedeutung. Es liegen ihnen Be- griffe zu Grunde, die man allerdings teilweise als analoge bezeichnen könnte, weil sie auf verschiedene Objekte in verschiedener Weise sich beziehen. Die Sinneswahrnehmung ist ihrem innern Wesen nach ver- schieden beim Menschen und beim Tiere, bei den höheren und den niederen Tieren, schon wegen der Verschiedenheit des anatomisch-his- tologischen Baues der Sinnesorgane und des Gehirns bei jenen ver- schiedenen Trägern. Aber das Wesen der Sinneswahrnehmung kommt sowohl den Sinneswahrnehmungen des Menschen, wie der Hunde, wie der Insekten zu; daher kann und muss auch das Wort „Sinneswahrnehmung“ für alle die verschiedenen Klassen von Sinnes- wahrnehmungen beibehalten werden. Eine nomenklatorische Neuerung in dieser Beziehung ist nicht bloß völlig überflüssig, sondern auch phi- losophisch unhaltbar. Statt nach neuen wissenschaftlichen Termini für alte Begriffe zu suchen, wäre es besser, etwas mehr Aufmerksamkeit auf die kritische Analyse der psychologischen Begriffe, auf den wahren In- halt und den wahren Umfang ihrer Bedeutung, zu verwenden. Wenn man, wie Bethe es in seiner Ameisenstudie gethan, den herkömm- lichen Begriff des Reflexes umstößt und durch einen neuen zu ersetzen sucht, der ein unentwirrbares Chaos darstellt, indem er alles umfasst, was man früher mit vielgrößerem Rechte „Instinkt“, „Sinnesempfindung“, „Sinneswahrnehmung“, „willkürliche Bewegung“ u. s. w. nannte, so wird man keine Fortschritte in der vergleicbenden Psychologie machen, sondern nur Verwirrung anstiften, zu deren Klärung andere wieder eigene Bücher schreiben müssen. Ebensowenig kann es fruchten, wenn man das ebenso unglückliche „assoziative Gedächtnis“ als alleiniges 1) Zool. Gentralbl. VI, 1899 Nr. 18/19 8. 609. und „Ueber neue Nomen- klatur in der vergleichenden Sinnesphysiologie in: Centralbl. f. Physiologie, 1899, Heft 12. Wasmann, Einige Bemerk. z. vergleich. Psychologie u. Sinnesphysiologie. 349 Kriterium des psychischen Lebens aufstellt, wie Loeb und Bethe es versucht haben. Auch H. E. Ziegler’s Unternehmen, das „Be- wusstsein“ als Kriterium aus der vergleichenden Psychologie völlig zu beseitigen, gehört zu diesen unhaltbaren Neuerungen. Den näheren Beweis dafür wird man in der Schrift „Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen“ S. 79 finden. Uebrigens bietet Ziegler in seiner letzten Abhandlung im Biologischen Centralblatt (1900, Nr. 1) noch einen weiteren Beleg für die Widersprüche, zu denen diese Neuerung führt. Nachdem er (S. 1) gesagt, Bewusstsein und Empfindung könnten als Kriterium in der vergleichenden Psychologie keine Verwendung finden, weil sie „bei Tieren nicht beobachtbar“ seien, widerlegt er sich auf der folgenden Seite bereits selber, indem er als dritten Einteilungs- punkt der von Beer, Bethe und Uexküll vorgeschlagenen neuen Nomenklatur die „eventuelle Empfindung“ anführt und ausdrücklich zugesteht, auch dieser Punkt könne und müsse unter vorsichtiger An- wendung des Analogieschlusses seine Bedeutung in der Tierpsychologie haben. Letztere Auffassung ist offenbar die richtige, und ich nehme daher an, dass Ziegler hierdurch seine unmittelbar vorhergehende ent- gegengesetzte Behauptung bereits selber widerrufen habe. Ich komme nun auf jenen Punkt, den ich für den wesentlichsten halte für eine gedeihliche Entwicklung der vergleichenden Psychologie und Nervenphysiologie, nämlich aufdie philosophischeVorbildung, welche zu einer kritischen Analyse und zum richtigen Gebrauch der in Anwendung kommenden Begriffe unbedingt nötig ist. Diese Not- wendigkeit ist namentlich durch Bethe’s Schrift über die Ameisen klar erwiesen worden. August Forel, denZiegler in seiner jüngsten Abhandlung im Biologischen Centralblatt wiederholt für seine Auffas- sungen eitiert, und dem man um so weniger Parteilichkeit wird zu- schreiben dürfen, da er zu meinen „metaphysischen Gegnern“ zählt, hat sich in der neuesten (5. und 6.) Auflage seiner Schrift „Gehirn und Seele* (Bonn 1899) in einer noch viel schärferen Weise ausge- sprochen als es in meiner Kritik der Bethe’schen Studie geschehen war. Er nennt jene Schrift Bethe’s (auf S. 34 Anm. 1) „eine eben- so selbstbewusste wie unlogische“ und hält es für überflüssig, auf „die Denkfehler und Unkenntnis der ersten philosophischen Grundsätze von seiten Bethe’s“ nochmals einzugehen, da dieselben in meiner Schrift über die psychischen Fähigkeiten der Ameisen bereits vollgül- tig nachgewiesen seien!). Dem Mangel an philosophischen Vorkennt- 4) Aus demselben Grunde halte auch ich es für unnötig, auf Bethe’s Rechtfertigungsversuch im Archiv f. Physiol, 79, S. 39—52 nochmals einzu- gehen. Sachlich bietet derselbe nichts Neues, sondern geht nur darauf aus, die Objektivität meines Standpunktes zu verdächtigen. Wenn Bethe in seiner Schrift über die Ameisen und Bienen sich so unklar ausgedrückt hat, dass er von allen seinen Kritikern „missverstanden worden ist, so möge er sich selber 350 Escherich, Ueb.d. regelm. Vorkom. v.Sprosspilzen i.d. Darmepithele. Käfers. nissen muss aber auf andere Weise abgeholfen werden als durch eine neue Terminologie, die auf eben jenen mangelhaften philosophischen Kenntnissen basiert. [26] Ueber das regelmäßige Vorkommen von Sproßpilzen in dem Darmepithei eines Käfers. Von Dr. K. Escherich, Heidelberg. (Aus dem zoologischen Institut zu Heidelberg.) Erst im den letzten Jahren begann man dem Vorkommen von Hefe im tierischen Organismus eingehendere Beachtung zu schenken. Hauptsächlich trugen dazu die Mitteilungen Busse’s!) über das Vor- kommen von Saccharomyceten in erkrankten menschlichen Geweben bei. Durch diese Entdeckung wurde eine Reihe weiterer Untersuchungen eingeleitet, die meistens von italienischen Forschern ausgingen [San- felice?), Roncali?, Aivolo?, Binaghi?, Casagrandi?), Bus- calione? u. a.], und die manche neue Eigenschaft der Hefe kennen lehrten. In vielen karzinomatösen und anderen bösartigen Geschwülsten wurde durch diese Autoren Hefe nachgewiesen; Reinkulturen davon auf andere Tiere übertragen, riefen hier verschiedene Krankheits- erscheinungen hervor, wie Eiterung, Geschwulstbildung, Marasmus, und nicht selten trat auch der Tod des infizierten Tieres ein. Infolge dieser Resultate schrieb man der Hefe pathogene Eigenschaften zu. Man wies ferner auf die große Aehnlichkeit der in den Geschwülsten aufgefundenen Blastomyceten mit den sogen. „Zelleinschlüssen“* der bösartigen Tumoren hin, und versuchte so alle diese bisher beschrie- benen vermutlichen „Krebsparasiten“ als Hefe zu deuten. Einige von den italienischen Autoren zweifeln auch gar nicht mehr daran, in der Hefe den langgesuchten Erreger des Krebses gefunden zu haben (Konecali?). — Wenn nun auch zu solch weittragenden Behauptungen durch die bisherigen Untersuchungen nicht die geringste Berechtigung gegeben ist, so ist doch wenigstens das eine sicher festgestellt, dass nämlich in lebenden warmblütigen Tieren (und zwar in den Geweben) gewisse Hefen lebensfähig bleiben und hier auch zur Fortentwicklung gelangen können, was vordem von mehreren Seiten bestritten wurde (Neumayer?, Raum?). Der Saccharomyces guttulatus hat sogar nach den neueren dafür verantwortlich machen, nicht aber seinen Kritikern Sophismen und ten- dentiöse Verdrehungen vorwerfen. 1) Otto Busse, Ueber parasitäre Zelleinschlüsse und ihre Züchtung. Centralbl. für Bakt. u. Parasitk. 1894 und: Ueber Saccharomykosis hominis. Virchow’s Archiv 1894. 2) Die genauen Litteraturangaben siehe in Busse, Die Hefe als Krank- heitserreger, Berlin 1897. Escherich, Ucb.d. regelm. Vorkom. v. Sprosspilzen i.d.Darmepithele.Käfers. 351 Untersuchungen von Casagrandi und Buscalioni!), seinen nor- malen Aufenthalt im Magen und Darm des Kaninchens, und ent- wickelt sich demzufolge auch hier, resp. nur in dem Magen. Ein sichtbarer Schaden wird aber dem Tiere durch die Anwesenheit der Hefe gewöhnlich nicht zugefügt. — Auch beim Menschen wurden schon oft Hefen im Darm gefunden; doch müssen diese lediglich als acci- dentelle Bestandteile der Fäces betrachtet werden (Casagrandi?). Ebenso wie oben bei den Kaninchen konnte auch hier keine schäd- liche Wirkung auf die gastroenterischen Funktionen nachgewiesen werden ?); ein Eindringen der Hefen aus dem Darm in die Drüsen findet nach letzterem Autor bei unverletzter Schleimhaut wohl kaum statt. — Während also die zahlreichen Arbeiten der letzten Jahre lehren, dass das Vorkommen von Hefen in warmblütigen Tieren keine seltene Erscheinung ist, wurden dagegen bei niederen Tieren bis jetzt nur ein einziger Fall einer Sprosspilzinfektion bekannt. Es ist dies die sogen. „Hefekrankheit“ der Daphnien, die Metschnik off) schon im Jahre 1884 beschrieb’). Die von der genannten Krankheit befallenen Daphnien sind dadurch kenntlich, dass sie ihre Durchsichtig- keit, allmählich verlieren und eine diffusmilchweiße Färbung an- nehmen; nach ca. 14 Tagen tritt gewöhnlich der Tod ein. Als Er- reger der Krankheit entdeckte Metschnikoff einen Sprosspilz, der sich durch mehrere Eigenschaften von den echten Saccharomyces- Arten unterscheidet und für den infolgedessen ein besonderes Genus, Monospora, errichtet wurde. Wie schon der Name sagt, bildet der Pilz nur eine einzige Spore von langer nadelförmiger Gestalt mit scharfer Spitze an beiden Enden. Am Anfang der Krankheit enthält die Leibeshöhle der Daphnien nur vegetative Sprosse, erst bei Nahrungsmangel und besonders nach erfolgtem Tode des befallenen Tieres tritt Fruktifikation ein und bilden sich obige Nadelsporen. Werden nun diese Leichen von gesun- den Individuen verschluckt, so werden die in ihnen massenhaft ent- 1) Centralbl. für Bakt. Parasitenk. u. Infekt, Bd. XXIV, 1. Abt. 1898, S. 758. 2) Centralbl. für Bakt., Parasitenk. und Infekt., Bd. XXIV, 1. Abt., 1898, S. 758. 3) Außer indirekt, durch die Einwirkung etwaiger Gärungsprodukte. 4) Metschnikoff, Ueber eine Sprosspilzkrankheit der Daphnien. Virchow’s Archiv 1884, Bd. 96. Vgl. auch Zopf, Die Pilze (Breslau 1890) und Busse, Die Hefe als Krankheitserreger, Berlin 1897. 5) Im Lumen des Darmes von Insekten findet man natürlich nicht selten Hefe. Ein auffallendes Verhalten dieser accidentellen Hefe sah ich in einem Präparat einer Borkenkäferlarve (bei Prof. Nüßlin). Der Pilz bildet hier einen geschlossenen Ring, der parallel zur Darmwand verläuft und dieser fest toR} anliegt, so dass die Nährung von Darmepithel durch die Pilzschichte getrennt ist. 352 Escherich, Ueb.d. regelm. Vorkom. v.Sprosspilzen i. d. Darmepithel e. Käfers. haltenen spitzen Sporen durch Auflösung der Zellleiber der Hefen frei, bohren sich bei der Peristaltik des Darmrohres durch die Wandung desselben hindurch, und gelangen so in die Körperhöhle. Ein Teil von ihnen wird von Phagocyten vernichtet. „Wird aber die Zahl der Eindringlinge allzugroß, dann entwickeln sich aus den nicht von Phagocyten umlagerten Sporen allmählich durch seitliche Aussprossung Conidien, die durch den Blutstrom losgerissen und verschleppt wer- den, und nun durch lebhafte Sprossung sehr zahlreiche junge Hefe- zellen bilden. Diese erfüllen allmählich die ganze Leibeshöhle und verursachen hierdurch die Trübung und Vergrößerung der erkrankten Tiere, welehe dann endlich der Hefe-Invasion erliegen“. Kulturen der Monospora bicuspidata herzustellen, ist Metschnikoff nicht gelungen. In folgendem soll nun ein 2. Fall von Hefeninfektion, der eben- falls einen Arthropoden betrifft, mitgeteilt werden. Dieser unter- scheidet sich aber in mehreren Punkten wesentlich nicht nur von der oben beschriebenen Metschnikoff’schen „Hefekrankheit“ der Da- phnien, sondern überhaupt von allen Fällen, die bisher über das Vorkommen von Sprosspilzen in tierischen Organismen bekannt geworden sind. Das von der Hefe bewohnte Tier ist ein kleiner Käfer, Anobium paniceum, der überall häufig in Häusern, Magazinen u. s. w. anzu- treffen ist, sich hier von verschiedenen trockenen organischen Substanzen, wie Brot, Cakes, Pflanzenvorräten ete., nährt und dadurch bisweilen recbt schädlich werden kann. — Der Darm dieses Käfers weist mehrere Eigentümlichkeiten auf, die vor Jahresfrist von W. Kara- waiew') in dieser Zeitschrift eingehend gewürdigt wurden. Besonders auffallend gestaltet ist der vorderste Abschnitt des Mitteldarms, der sich durch Auswüchse der Wand, die wie traubenförmige Anschwel- lungen‘ zu beiden Seiten stark hinausragen, auszeichnet. Viel stärker noch als bei der Imago ist diese Partie bei den Larven aus- gebildet, wo beinahe die ganze Leibeshöhle von dem Darm eingenom- men wird. Wie groß die Differenz zwischen dem Larven- und Imago- darm ist, kann man ungefähr an den Fig. 1 und 2 ersehen, die beide bei der gleichen Vergrößerung (Zeiss, Obj. A, Oc. 2) gezeichnet sind. Fig. 2 stellt allerdings einen Querschnitt durch einen Puppendarm dar, doch ist der Imagodarm nicht viel voluminöser als letzterer. Auf Querschnitten durch den fraglichen Mitteldarmabschnitt der Larven fallen vor allem vier große divertikelartige Ausstülpungen auf, von denen jede wieder eine sekundäre Einstülpung (Fig. 1 u. 2d) besitzt. Die Wand des Darms besteht aus einer einfachen Epithelschicht, in der aber zwei ganz verschiedene Zellarten zu unterscheiden sind. Karawaiew hat dieselben genau beschrieben und abgebildet (l. ce. AM Karawaiew, W., Ueber Anatomie und Metamorphose des Darm- kanals der Larve von Anobium paniceum. Biol. Centralbl. 1899, Nr. 4, 5. u. 6. Escherich, Ueb.d regelm. Vorkom. v. Sprosspilzeni.d. Darmepithele.Käfers. 355 S. 130 Fig. 4—7); die Zellen der ersten Art sind groß, annähernd iso- diametrisch, und zeigen grobkörnigen Inhalt (Fig. 1f.), die anderen dagegen, „welche in Bezug zu den ersteren als Stützzellen bezeichnet werden können, sind typische Epithelzellen und gleichen ganz denen des übrigen Mitteldarmes. Die Verteilung der beiden Zellsorten geht deutlich aus meiner Fig. 1 hervor: die großen, grobkörnigen Zellen (f) bilden den größten Teil der Wand der Divertikel, während die Ein- faltungen (g) zwischen den letzteren ausschließlich aus den typischen Mitteldarmepithelien bestehen; auch die sekundären Falten der Di- vertikel scheinen stellenweise einfache Epithelzellen zu besitzen (Fig. 1d). Zwischen den grobkörnigen großen Zellen finden sich viel- fach die „Stützzellen“ Kara wa iew’s zerstreut (Fig. 1 st). Ganz ähn- lieh wie bei der Larve sind die Verhältnisse bei der Imago, nur ist 5 ls Ries. Fig. 2. Fig. 1. Querschnitt durch die Larve von Anobium paniceum im vorderen Drittel. f grobkörnige Zellen; st Stützzellen; d sekundäre Einstülpungen; g primäre Falten mit normalem Epithel; M Malpighische Gefäße. Fig. 2. Querschnitt durch den Mitteldarm der Puppe von Anobrum paniceum. Fig. 3. Stück eines Schnittes durch die Mitteldarmwand der Imago. hier, wie oben schon erwähnt, die Ansehwellung der fraglichen Mittel- darmpartie lange nicht so umfangreich wie dort; auch zeigen die „grobkörnigen“ Zellen vielfach abweichende Formen und sind z.B. hoch eylinderförmig, oder sind zu langen Keulen mit langem dünnem Hals ausgezogen u.s. w. Etwas anderes aber als bei Larve und Imago erscheint die Darmwand bei der Puppe (Fig.2). Auf Querschnitten sieht man die 4 Divertikel sehr regelmäßig angelegt, auch Andeu- X, 23 354 Escherich, Ueb.d.regelm. Vorkom. v.Sprosspilzen ij. d. Darmepithel e. Käfers. tungen von sekundären Einstülpungen (Fig. 2d) sind zu erkennen; die Wand der Divertikel ist (wie bei der Larve) dicker als die der dazwischenliegenden tiefen Falten, doch wird dieselbe von einfachen Cylinderepithelzellen gebildet und die „grobkörnigen“ Zellen erscheinen rückgebildet und nur noch als kleine runde Nester erhalten, die zerstreut in der verdickten - Divertikelwand eingelagert sind (Fig. 2/). Uns interessieren hier vor allem die großen grobkörnigen Zellen, wie wir sie oben bei der Larve kennen lernten. Das Protoplasma derselben scheint ganz geschwunden; statt dessen befindet sich in den Zellen „eine homogene schleimige Masse, in welcher grobe Körnehen“ eingelagert sind; der Kern ist meistens unverändert erhalten. Was die Natur der „Körnchen“ betrifft, so zeigte Karawaiew, dass es sieh um parasitische Organismen handelt. Er fand „einzellige Wesen von Keulenform“, deren „größter Durchmesser ungefähr 4,5 w Fig. 4. Fig. 4. Verschiedene Formen des Fig. 5. Verschiedene Formen des Pilzes Pilzes aus den Darmzellen. nach 2tägiger Kultur in Trauben- zuckerlösung (1°/,). beträgt“. Mit Hilfe von Thioninfärbung konnte er im Inneren ihres Protoplasmas zwei rundliche Gebilde entdecken, von denen das eine als Kern, das andere als die kontraktile Vakuole gedeutet wird. An dem zugespitzten Ende des kleinen Organismus glaubte Karawaiew eine „Geißel, die jedenfalls ungemein fein ist“, zu bemerken; doch ließ er diese Frage noch offen, zumal er an lebendem Material keine Geißelbewegung wahrnehmen konnte. Ueber die „tierische Natur“ der Parasiten hegt genannter Autor keinen Zweifel, zumal er öfter zwei an Größe stark verschiedene Individuen mit ihren zugespitzten Enden vereinigt sah, ein Vorgang; der auf eine Kopulation hindeutet. Be- züglich der systematischen Stellung des fraglichen Organismus ist Karawaiew geneigt, ihn den Flagellaten zuzuweisen. Eine Nachuntersuchung dieser Parasiten meinerseits hat nun zu dem Ergebnis geführt, dass hier gar keine tierischen Organis- men vorliegen, sondern dass die vermeintlichen Flagel- laten vielmehr pflanzlicher Natur sind. Es handelt sich um Pilze und zwar um Saecharomyceten. Meine Unter- e Escherich, Ueb.d. regelm. Vorkom. v. Sprosspilzen i.d. Darmepithel e. Käfers. 355 suchungen betr. der Zugehörigkeit des Pilzes zur Gattung Saccharo- myces sind zwar noch nicht vollständig abgeschlossen, doch dürfte auch aus den bisherigen Befunden die Hefenatur des fraglichen Or- ganismus zweifellos hervorgehen. Schon das einfache mikroskopische Studium des lebenden Materials ließ mit ziemlicher Sieherheit auf Hefe schließen. Die meisten Individuen zeigen die von Karawaiew hervorgehobene „Keulenform“, d.h. das eine Ende ist bereits gerundet, während das andere zugespitzt erscheint; doch trifft man in jedem Präparat eine Menge verschiedener Modifikationen davon (siehe Fig. 4 u. 5): Durch Einschnürung in der Mitte können die Zellen bisquitt- förmig werden; oder sie sind mehr oval; oder der zugespitzte Pol ist beträchtlich in die Länge gezogen; oder aber sie haben überhaupt eine mehr oder weniger unregelmäßige Form. Trotz der großen Va- riabilität bezüglich der Form, kann man aber doch die ursprüngliche Keulenform fast überall noch erkennen und sind der zugespitzte und der breite Pol meistens unschwer zu unterscheiden. Aueh den Vorgang, den Karawaiew alsKopulation deutete, konnte ich sehr häufig beobachten; aoch ließsich derselbe leicht als Sprossung nachweisen. Schon allein der Umstand, dass die Größendifferenz der beiden zusammenhängenden Individuen ungeheuer verschieden ist, in- dem das eine bald nur als kleiner Fortsatz des anderen erscheint, bald aber dem anderen an Größe gleichkommt, spricht für einen Sprossungsprozess. Dafür spricht ferner, dass die Verbindungsstelle der beiden Individuen verschieden gelegen sein kann, sowohl an der Spitze als auch an den Seiten; und endlich ist auch anzuführen, dass auch Formen mit 2 Sprossen vorkommen (Fig. 5). Sicher bewiesen ist die Sprossung dadurch, dass ich den ganzen Prozess an einem In- dividuum unter dem Mikroskop verfolgen konnte. Außer diesen Formverhältnissen konnte ich am lebenden Material auch einiges vom feineren Bau des Pilzes erkennen. Zu äußerst be- findet sich eine ziemlich dicke, doppelt konturierte Membran; im Innern der Zelle trifft man fast stets eine große Vakuole dem breiten Pol ge- nähert, und außerdem oft auch eine oder zwei kleinere Vakuolen ; ferner nimmt man in vielen Zellen sehr kleine stark lichtbrechende Körper wahr, die an verschiedenen Stellen in die homogen erscheinende Grundsubsianz eingelagert sind. An fixierten und mit ganz verdünntem Hämatoxylin gefärbten Zellen konnte ich deutlich eine netzig-alveo- läre Struktur erkennen und in dem Netzwerk ließen sich ein oder mehrere dunkel gefärbte größere Körper unterscheiden. Diese dürften vielleicht mit den von Bütschli') bei Bakterien gefundenen sog. „roten Körnchen“ identisch sein. Da ich mich jedoch nicht eingehen- 1) ©. Bütschli, Ueber den Bau der Bakterien und verwandter Organismen, Leipzig 1890. 23# 356 Escherich, Ueb. d. regelm. Vorkom. v.Sprosspilzen i. d. Darmepithel e. Käfers. der mit der feineren Struktur befasst habe, muss ich mich mit diesem kurzen Hinweis begnügen. So viel über die morphologischen Verhältnisse des fraglichen Mikroorganismus. Es erübrigt nun noch, einiges über die Kultur- versuche mitzuteilen. Obwohl diese noch nicht zum Abschlusse ge- langt sind, so ergaben sie doch schon wichtige Resultate, indem durch sie die „Pilznatur“ unseres Organismus, die übrigens auch aus obigen Schilderungen schon zur Genüge hervorgeht, mit Sieherheit bewiesen wird. Zunächst versuchte ich eine Kultur in einer 1°/, Traubenzuckerlösung und zwar im hängenden Tropfen. Ich konnte diese Kultur in der feuchten Kainmer mehrere Wochen erhalten und konstatierte während dieser Zeit nieht nur eine starke Vermehrang des Pilzes, sondern auch Veränderungen des Zellinhaltes. Diese beziehen sich hauptsächlich auf die oben erwähnten stark lichtbrechenden Kör- perchen. Während nämlich solche bei Hefen, die eben der Darmwand entnommen, äußerst klein und nur spärlich vorhanden sind (Fig. 4), Fig. 6. Hefe aus dem Anobiumdarm nach Stägiger Kultur in 1°/, Trauben- zuckerlösung. treten sie schon in einer zweitägigen Kultur sehr zahlreich auf und sind auch bedeutend größer (Fig. 5); manchmal scheint es, als ob mehrere von den Körperchen, die sehr an Oeltropfen erinnern, zusam- mengeflossen wären, und es finden sich dann nur ein oder zwei große Tropfen, die meist an den beiden Polen der Zelle liegen. Der Vorgang der Sprossung schien in der Kultur häufiger als in den Epithelzellen; auch traf ich mehrmals Formen mit 2 Sprossen (Fig. 5), die meistens vom zugespitzten Pol ausgingen; nur in einem Fall sah ich von beiden Polen gleichzeitig je eine Sprosszelle hervorwachsen. Später, nach etwa 8 Tagen, bildeten die Sprosszellen kettenartige Verbände (Fig. 6); auch traten jetzt ziemlich häufig lange schlauchförmige Sprossen auf. Die Vakuolen sind nun, besonders in den Zellen der Escherich, Ueb.d. regelm. Vorkom. v. Sprosspilzeni. d. Darmepithel e.Käfers. 557 Ketten, bedeutend spärlicher; dagegen haben die stark lichtbrechenden Körperchen eine weitere Vermehrung erfahren, und nicht selten ist fast die ganze Zelle mit denselben angefüllt. Außer der genannten Traubenzuckerlösung verwandte ich noch Traubenzuckeragar und gewöhnliche Gelatine zu Kulturversuchen !) Auf ersterem bildeten sich bei einer Temperatur von 37° nach 2 Tagen schon einige Kolonieen von annähernd runder Form ohne scharfen Rand; auf letzterer jedoch fand kein Wachstum statt. Die Versuche mit Bierwürze sind noch nicht abgeschlossen. Eine Sporenbildung zu beobachten, ist mir bis jetzt noch nicht gelungen; doch ist dies in An- betracht der komplizierten Bedingungen, die zum Eintritt einer solchen gewöhnlich nötig sind, nicht auffällig; jedenfalls wäre es nicht ge- rechtfertigt, aus diesem Grunde allein die Zugehörigkeit des Pilzes zu den Saceharomyceten in Abrede stellen zu wollen. Nähere Angaben über die Wachstums- und Fortpflanzungsverhältnisse hoffe ich übrigens in Bälde geben zu können. Vergleichen wir nun zum Schluss diesen hier beschriebenen Fall vom Vorkommen von Hefe im Anobium-Darm mit den Eingangs er- wähnten Fällen von Hefe-Infektion, so finden wir zwischen beiden einen wesentlichen Unterschied. Dieser besteht 1. darin, dass die Hefe bei Anobium (bei der Larve wie bei der Imago) regelmäßig vorkommt und infolgedessen als normaler Bestandteil der Mitteldarmwand betrachtet werden muss; und 2) darin, dass der Pilz auf ganz bestimmte, scharf umschriebene Stellen der Darmwand lokalisiert ist. — Von Parasiten kann daher hier nicht die Rede sein; wir müssen vielmehr annehmen, dass sich zwischen Hefe und Käfer ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis ausgebildet hat, dass also, wie auch Karawaiew vermutete, eine Art Symbiose zwischen den beiden so verschiedenen Organismen vorliegt. Am naheliegendsten ist jedenfalls die Annahme, dass die Hefe bei der Verdauung des Anobium eine Rolle spielt. Dafür spricht außer der Lokalisation der Hefe auf den verdauenden Darmabschnitt auch noch der Umstand, dass bei der Larve, der das Haupternährungsgeschäft zufällt, der Pilz am zahlreichsten vorhanden ist, dass er bei der Puppe bis auf einzelne kleine Nester verschwindet, um dann endlich bei der Imago sich wieder zu vermehren, jedoch bei weitem nicht in dem Maße wie bei der Larve. Wir können also sagen, dass zwischen dem Grade der Nahrungsaufnahme und der Hefevegeta- tion gewisse Beziehungen (direkt proportionale) bestehen. An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass in dem Gefäß, in dem die von 1) Die letzteren Kulturversuche stellte ich im hiesigen hygienischen Institut an. Herrn Dr. Marschall, der mir dabei stets behilflich war, sei hier bestens gedankt! 358 Wallengren, Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. Anobium befallenen Cakes aufbewahrt sind, ein intensiver Butter- säuregeruch wahrnehmbar ist; und es wäre immerhin denkbar, dass im Darm durch Einwirkung der Hefe Buttersäure gebildet würde. Um aber die Beziehungen zwischen Hefe und Käfer ganz zu ver- stehen, werden noch eingehendere Studien notwendig sein. Vor allem wird die Frage zu beantworten sein, wie die Hefe in die Darmepithelien gelangt, ob sie mit der Nahrung aufgenommen wird und vom Darmlumen aus in die Epithelzellen einwandert, oder ob sie von Generation zu Generation durch die Eier übertragen wird. Letzteres ist wahrscheinlicher in Anbetracht des regelmäßigen Vor- kommens der Hefe und der verschiedenartigen Nahrung, die der Käfer zu sich nimmt. Eine Untersuchung der Eier sowohl, als auch Versuche, Anobium-Larven aus dem Ei auf sterilisiertem Nährmaterial auf- zuziehen, werden sicheren Aufschluss darüber geben. Ferner liegt die Vermutung nahe, dass auch bei anderen Insekten, die eine ähnliche Lebensweise führen, Sprosspilze in den Darmepithelien vorkommen. Ich hoffe, bald einiges darüber berichten zu können. Zum Schluss möchte ich mir erlauben, Herrn Geh. Hofrat Prof. O0. Bütschli für seine wertvolle Unterstützung bei der Ausführung vorliegender Untersuchungen meinen verbindlichsten Dank zu sagen. Heidelberg, 1. III. 1900. [43] Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. Von Hans Wallengren, Lund, Schweden. In verschiedenen Beziehungen sowohl an Organisation als an Teilung und Knospung bietet diese Gattung sehr großes Interesse dar. Ich werde aber auf diese Fragen nicht hier eingehen, sondern möchte nur einige für die Artsystematik, hinsichtlich des Baues des Gehäuses und besonders der Mündung, wichtige Organisationsverhältnisse darzu- stellen suchen, welche ich vorigen Sommer Gelegenheit hatte bei einigen hiergehörigen Arten näher zu untersuchen. Insofern es mir möglich zu finden gewesen, werden in der Lit- teratur sieben Arten dieser Gattung aufgenommen: Lag. vagenicola, ampulla und nassa, von Stein') erst gefunden, Lag. aselli und aperta, von Plate?) beobachtet und beschrieben, und zwei von Kellicott?) aufgestellte, Lag. singularis und Lag. eupagurus®) 1) Die Infusionstiere, Leipzig 1854, S. 88—95. 2) Studien über Protozoen: Zool, Jahrb. Abth. f. Anat. u. Ontog. Bd. 5, 1889, S. 155. 3) Ann. Rep. Ohio St. Acad. Se. I, p. 10 und P. Ann. Mier. Soc. Thenth. An. Meeting 1889, p. 187—90. 4) Da die Abhandlungen dieses Verfassers mir nicht zugänglich gewesen, kann ich leider die beiden letzterwähnten Arten hier nicht berücksichtigen. Wallengren, Uebersicht von der Gattung Layenophrys St. 359 Die von Stein ursprünglich aufgestellte Art L. ampulla umfasst, wie Plate:) gezeigt hat, zwei verschiedene Formen, die eigentliche ampulla, welehe auf den Kiemenblättern des Süßwassers-Gammarus lebt, und die auf Asellus aquatieus vorkommende, welche dieser Ver- fasser Lag. aselli genannt hat. Von diesen Arten bin ich in der Lage gewesen, Lag. ampulla St. zu untersuchen, welehe man gewöhnlich auf Gammariden aus verschiedenen Gegenden von Schonen sich findet, obgleich sie nie in beträchtlicher Menge auf den Kiemenblättern auftritt. Auf Asellus aquatieus habe ich eine Lagenophrys-Form gefunden, die, wie Plate betreffend Lag. aselli angiebt, sehr häufig vorkommt; sie kann aber infolge der Ungleichheiten, welche im folgenden hervorgehoben werden, mit dieser Art doch nicht völlig identifiziert werden; auch stimmt ihre Organi- sation mit der anderen auf diesem Wirttiere vorkommenden Zag. aperta Pl. nicht überein. Es scheint mir also notwendig, da es sich nicht recht gern denken lässt, dass Plate bei seiner sorgfältigen Untersuchung von Lag. aselli in den abweichenden Punkten eine fehler- hafte Darstellung der Verhältnisse gemacht hat, diese als eine neue Art oder vielleicht eher als eine neue Form abzusondern. Ich erlaube mir dieselbe nach Professor L. Plate Lag. Platei zu benennen. Die eigentliche Lag. aselli und L. aperta habe ich auf Asellus aus diesen Gegenden leider nie beobachtet. Der erwähnte Verfasser giebt in- dessen an, dass diese beiden Arten auf verschiedenen Seiten der Kie- menblätter vorkommen sollen, jene auf der unteren und diese auf der gegen den Körper des Wirttieres gewandten Fläche. Die von mir ge- funde Form ist aber nicht an eine bestimmte Seite gebunden; oft habe ich nämlich zahlreiche Exemplare derselben beiderseits der Kiemen- blätter sitzend gefunden. Eine andere Art, welche ich ebenfalls zu einer vorher bekannten nicht glaube rechnen zu können, fand ich im Juli vorigen Sommers an der Außenseite der Schale kleiner grünlicher Cypriden häufig vor- kommend, welche in einem kleinen, beinahe ausgetrockneten Teiche auf dem Grunde des sogenannten „Rönnebergagärd“ nahe bei Landskrona eingefangen wurden. Oft fand ich 15—20 Exemplare dieser Lage- nophrys auf demselben Wirttiere sitzen. Ich habe sie L. /abiata ge- nannt. Die übrigen vorher bekannten Lagenophrys-Arten habe ich nicht gefunden, obgleich ich ihre respektiven Wirttiere aus verschiedenen Orten von Schonen untersucht habe. Lag. vagenicola und nassa sollen nach Stein, die erstgenannte an den Beinen und den borstenartigen Schwanzanhängen von Cyelopsine staphylinus, die letztere an den Beinen von Gammariden vorkommen, aber sie sind auf solchen Wirttieren nur aus Niemegk gefunden. 317’c, 360 Wallengren, Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. Bei der Gattung Lagenophrys ist die Gestalt des Gehäuses, von oben gesehen, im allgemeinen gerundet. L. ampulla (Fig. 1), nassa und /abiata (Fig. 2) besitzen ein fast kreisrundes, während dasselbe bei L. aselli und L. Platei (Fig. 3) am Vorderrande abgeplattet ist. Bei L. aperta ist das Gehäuse ausgedehnt, aber der Breite nach. Nur L. vagenicola hat ein mehr langgestrecktes, umgekehrt herzförmiges Gehäuse. Die untere, gegen die Fläche des Wirttieres gewandte Seite des Gehäuses, mit welcher es festsitzt, ist plan, die entgegengesetzte mehr oder weniger konvex. Bei ZL. labiata (Fig. 2 und 4) ist das Ge- häuse sehr kräftig, aber doch nicht längs der ganzen Rückseite gleich- förmig gewölbt, denn im vorderen medialen Teile, unmittelbar hinter der Mündung, ist eine sehr tiefe Einsenkungspartie (Fig. 4). L. Platei hat die Dorsalseite nicht völlig so stark konvexiert, aber auch hier Fig. 1. Fig. 2. Fig. 1. Lag. ampulla von der Rückseite gesehen. Sämtliche Figuren sind mit Kamera und Fig. 2. Lag. labiata n. sp. Die- Leitz’scher Wasserimmersion und selbe Orientierung. Ocular gezeichnet. (Fig. 3), wie bei L. ampulla, ist eine ähnliche, aber schwächere Ein- senkung hinter der Schalenmündung. Dass eine ähnliche Bildung auch bei L. aselli vorkommt, dafür spricht jener Umstand, dass Plate auf seiner Taf. III, Fig. 27 eine schwach gekrümmte Linie auf entsprechen- der Stelle gezeichnet hat. Außerdem hat dieser Verfasser bei L. am- pulla die hintere Kontur der eingesenkten Partie wahrscheinlich be- obachtet, diese aber als eine verdichtete Leiste gedeutet. Das Gehäuse ist bei den jüngeren Individuen immer dünnwandig, membranös und durehsichtig; bei einigen Arten aber wird es als älter an der Seitenkante sehr stark verdickt und von gelblicher Farbe. Bei L. ampulla, Platei und nassa (?) bleibt es membranös. Während das- selbe nach Stein bei. vagenicola nur in seinem hinteren sich etwas Wallengren, Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. 361 verschmälernden Teile verdiekt ist, wird bei L. aselli, aperta und labiata (Fig. 2) ringsum die ganze Kante auf diese Weise verändert. Bei dieser letztgenannten Art habe ich gefunden, dass es eigentlich nicht die Wand des Gehäuses ist, welche auf diese Weise verdickt wird und eine gelbliche Farbe annimmt, sondern dass es die basale Scheibe ist, auf weleher es ruht und mit welcher dasselbe auf dem Wirttiere festsitzt, deren Kante so verändert wird (Fig. 4). Wenn nun das Gehäuse von oben gesehen wird, so scheint es, als wären es nur seine lateralen Wände, die verdiekt wären. Diese Basalscheibe muss Fig. 3. Fig. 4, Fig. 3. Lag. Platei. Dieselbe Fig. 4. Lag. labiata, von der Seite Orientierung. gesehen. begreiflicherweise jener scheibenförmigen Erweiterung von dem distalen Ende des Stieles bei den Vorticelliden entsprechen, mit welcher her- gehörige sessile Formen festsitzen. In der Wand des Gehäuses habe ich nie irgendwelche Strukturver- hältnisse beobachten können. Plate bildet bei Z. aselli und uperta eine feine Granulation ab; außerdem soll die letzte Art sich dadurch kenn- zeichnen, dass die Schale mit einer radiären Strichelung versehen ist. Es dürfte wohl wahrscheinlich sein, dass diese Strichelung eigentlich der Basalscheibe oder der ventralen Wand des Gehäuses gehört. Obgleich, wie ich erwähnte, das Gehäuse bei 2. ampulla und L. Platei dünn membranös ist, besitzt es doch an seiner Vorderseite, gleich unterhalb der Mündung, eine leistenförmige Verdiekung von gelblicher Farbe (Fig. 1 und 3). Diese ist bei Z. ampulla, wie Stein schon betont hat, sehr kräftig entwickelt und springt etwas außerhalb der Kante des Gehäuses hervor, ist sehr stark bogenförmig, an den beiden Enden sich verschmälernd und reicht beiderseits der Mündung herauf. Bei L. Platei ist die entsprechende Bildung weit schwächer entwickelt und an der eigentlichen Vorderkante des Gehäuses ge- legen. Die Mündung, durch welche das Tier seine ziemlich langgestielte 362 Wallengren, Uebersicht von der Gattung Lagenophrys St. Peristomscheibe herausschieben kann, ist an der Dorsalseite bei der Vorderkante des Gehäuses gelegen. Nur bei Lag. aperta liegt sie, nach Plate, unsymmetrisch, ein wenig nach links verschoben. Sie ist meistens oval und kann durch das Zusammenlegen von den an der Kante befindliehen lippenförmigen Bildungen gewöhnlich zugeschlossen werden. Hiervon macht doch L. aperta, wie der Name auch angiebt, eine Ausnahme, da diese Art einer solchen Fähigkeit entbehrt. Dieses Ver- hältnis kann aus dem Umstande erklärt werden, dass bei dieser letzteren Form das Tier nur an der oberen Kante der Mündung befestigt ist (Plate), während bei den übrigen der verdiekte und gut entwickelte „Peristomsaum“ längs der ganzen inneren Kante der Mündung und an ihrem lippenförmigen Schließapparate festsitzt. In Bezug auf die Entwicklung des Schließapparates machen sich zwischen den hier, erwähnten Arten eine’sehr große Ungleichheit und, wie es scheint, auch konstante Verschiedenheiten geltend. Am ein- fachsten erscheinen die Verhältnisse, wie auch a priori zu vermuten ist, bei L. aperta, wo die Schalenöffnung nur in der Kante leistenför- mig verdickt ist, stärker an der dorsalen\ als an der ventralen Seite. Dieser Art am nächsten kommen ZL. labiata und vagenicola, bei welehen die Mündung von zwei sehr hohen, lippenförmigen Bildungen umgeben ist. Bei der ersterwähnten findet sich-eine dorsale und eine ventrale Lippe, jene dieker, stärker und an der Kante mit einer ver- diekten gelblichen Leiste versehen, diese ein wenig kleiner und dünner (Fig. 2). Da die Lippen aufgesperrt sind, springt die ventrale mit ihrer Kante außerhalb derjenigen des Gehäuses hervor und zeigt an ihrer nach unten gewandten Seite tiefe Falten (Fig. 2 und 4). Nach Stein’s sämtlichen Figuren über L. vagenicola (Taf. VI, Fig. 4—9) zu beurteilen, sitzen indessen die Lippen bei dieser Art lateral an beiden Seiten der Mündung und nicht, wie bei der oben erwähnten, dorsal und ventral. Bei beiden Arten ist die Kante der Lippen ganz, ohne Einschnitte. Hauptsächlich mit dem Verhältnisse bei den oben beschriebenen Arten übereinstimmend ist L. nassa, aber die Mündung ist jedoch hier von einem höheren Rohre umgeben, welches schief nach vorne und nach oben gerichtet ist, und dessen Wand in längsgehende, parallele Falten gelegt ist Das Rohrist in zwei Lippen geteilt, eine dorsale und eine ventrale, welche an ihrer freien Kante fein sägezähnig sind (Stein). Als ein Uebergang zu jenen mit einem mehr komplizierten Schließ- apparate versehenen Formen steht L. aselli. An der unteren Seite der Mündung sitzt eine Ventrallippe, welche ihrer Bildung und ihrem Baue nach vollständig mit derselben bei Z. Zabiata übereinzustimmen scheint; doch bemerkt Plate, dass sie oft inmitten ihrer freien Kante mit einem schwachen Einschnitte versehen ist. Dorsal von der Mündung, in der Wallengreen, Uebersicht von ber Gattung Lagenophrys St. 369 Oberlippe, liegen zwei ein wenig bogenförmige, stark verdiekte Leisten, durch deren Bewegung gegen die unbewegliche Unterlippe die Mündung geschlossen wird. Bei Lag. ampulla aber ist jene Andeutung von der Zweiteilung der Unterlippe, die schon bei der vorigen Art oft merkbar war, weiter entwickelt, indem sich hier ein sehr tiefer Einschnitt inmitten derselben befindet, ferner zwei starke, gelbliche Leisten längs ihrer freien Kante liegen, welche gegen das mediale Ende, wo sie zusammenstoßen, breiter sind, aber lateral sich verschmälern (Fig. 1). Bisweilen findet man, anstatt dieser zwei größeren, vier kürzere Leisten, ein Verhalten, welches davon abhängt, dass jede von den größeren ursprünglich durch Zusammenschmelzen von zwei kleineren entstanden ist. Es ist also bei den jüngeren Individuen, wo vier solche Leisten vor- kommen. Um die Ventrallippe noch mehr zu stärken, können bei älteren Individuen unter diesen an der Kante gelegenen Leisten noch zwei schwächere auftreten. Die niedrige Dorsallippe ist an ihrer Kante mit zwei schwachen Einschnitten versehen und also in drei kleinere Klappen abgeteilt; jede von ihren Kanten ist mit einer stärker differentiierten, gleich breiten Leiste besetzt, welche doch weit schwächer als die entsprechende Bildung der Ventrallippe entwickelt ist. Wie bei dieser kann auch hier unter jeder Randleiste bei älteren Individuen eine leistenförmige Verdickung vorkommen, was übrigens schon Stein in seinen Figuren angedeutet hat (Fig. 1). L. Platei zeigt bezüglich des Baues des Schließapparates bestimmte Abweichungen von den hier oben geschilderten Arten. Auch hier kann man eine dorsale und eine ventrale Lippe unterscheiden, durch deren Bewegung gegeneinander die Mündung geschlossen wird. Jede von diesen Lippen, welche höher als bei L. ampulla sind, ist dureh sehr tiefe Einschnitte in drei kleine Klappen geteilt, welche an der Dor- salli,,pe, wenn die Mündung geöffnet ist, sehr stark nach hinten ge- bogen werden (Fig. 3). Leistenbildungen findet man nie, die Lippen sind indessen, im ganzen genommen, kräftiger als das Gehäuse im übrigen und von etwas gelblichem Farbentone. Die dorsale Lippe scheint hier wie bei einigen vorher erwähnten Arten stärker als die ventrale zu sein. Wenn die Mündung geschlossen wird, nähern sich die Lippen und die gleich gelegenen Klappen werden gegeneinander gepresst. Es scheint als wäre hierbei die dorsale Lippe etwas beweg- licher als die ventrale. Wahrscheinlich bei sämtlichen Arten, sicherlich aber bei den von mir untersuchten ist das Zuschließen der Mündung des Gehäuses eine aktive Bewegung des Tieres, während ihr Oeffnen nur eine pas- sive ist, von der Blastizität der Lippen und der Gehäusewand ver- ursacht. Man findet daher auch immer die Mündung leerer Gehäuse weit aufgesperrt stehen. [39] 964 Pawlow,. Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Autorisierte Uebersetzung aus dem Russischen von Dr. A. Walther. XII u. 199 S., Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1898. Die sekretorische 'T'hätigkeit der Speicheldrüsen haben um die Mitte dieses Jahrhunderts C. Ludwig und seine Schüler Becher u. Rahn klargestellt. Von ihren Arbeitent), die zu den klassischen Untersuch- ungen der neueren Physiologie gehören, datiert in der Lehre von der Speichelsekretion und damit von der Sekretbildung überhaupt eine neue Aera. Hatte man bis dahin geglaubt, der Speichel sei ein Bluttransudat und seine Menge und Zusammensetzung hänge allein von dem Druck und der Zusammensetzung des die Drüsenschläuche umspülenden Blutes ab, so zeigten Ludwig und seine Schüler, dass die Speichelbildung und -abson- sonderung in erster Linie unter dem Einfluss der zu den Drüsen treten- den centrifugalen Nerven stehe. Bei der Unterkieferdrüse (Hund) ließ sich die Bedeutung der „sekretorischen* Nerven am deutlichsten daran erkennen, dass bei Reizung der die Drüse versorgenden Chorda tympani der Sekretionsdruck d. h. der Druck, unter dem der Speichel durch den Ausführungsgang der Drüse abfließt, den gleichzeitig gemessenen Blut- druck in der Carotis übersteigen kann. Von Ludwig’s grundlegenden Untersuchungen ausgehend, haben Cl. Bernard, Eckhard, Heidenhain, Hering u. A. die Lehre von der Bedeutung der Innervation der Speicheldrüsen weiter ausgebaut; ins- besondere haben sie dabei auch die bei der Nahrungsaufnahme allein in Betracht kommende reflektorische Anregung der Speichelsekretion ge- bührend gewürdigt. Auf diesem Gebiete, auf dem ja die anatomischen Verhältnisse für das Experiment ziemlich günstig liegen, wurde so die Theorie der Absonderung zu einem befriedigenden Abschluss gebracht. Von den Speicheldrüsen zu den übrigen Verdauungsdrüsen, den in der Magen- und Darmwand selbst liegenden Drüsen und den drüsigen Anhängen des Darmkanals, ist nurein Schritt. Was von der Innervation jener galt, konnte auch bei diesen mit einiger Wahrscheinlichkeit vorausgesetzt werden. Zum mindesten war es angezeigt, die Absonderung des Magen- und Pankreassaftes ebenso zu prüfen, wie dies bei der Speichelsekretion geschehen war. So einfach diese Forderung erscheint, so schwierig ist sie zu erfüllen; ja sie kann streng nach dem Vorbild der Ludwig’schen Versuche an den Speicheldrüsen überhaupt nicht erfüllt werden. Die Magendrüsen sind über einen großen Teil der Magenschleimhaut ausgebreitet; ein gemein- samer Ausführungsgang, in den zur Ableitung des Sekrets nach außen eine Kanüle eingebunden wirden könnte, fehlt; der Mageninhalt oder, wenn der Magen leer ist, der verschluckte Speichel mischt sich jederzeit dem Drüsensekret bei; der N. vagus, der den Magen innerviert, ist da, wo seine Reizung vorgenommen werden müsste, d. i. unterhalb der Hals- region, ohne sehr schweren Eingriff nicht zugänglich: kurz, die ana- tomischen Verhältnisse bereiten dem vorgezeichneten Versuch außerordent- liche Schwierigkeiten. Etwas besser sind die Bedingungen beim Pankreas. Eine direkte Reizung der Drüsennerven ist zwar auch hier nicht durch- 4) Ostwald’s Klassiker Nr. 18. Die Absonderung des Speichels. Ab- handlungen von C. Ludwig, E. Becher u. C.Rahn. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. 365 zuführen, aber der Ausführungsgang der Drüse (Ductus Wirsungianus) kann nach außen dislociert werden und ermöglicht so das Auffangen eines ganz reinen Pankreassaftes. Die Absonderung des Magensaftes ist am häufigsten an Magenfisteln untersucht worden, deren Anlegung weder Schwierigkeiten bereitet noch dem Öperierten Gefahren bringt. Ein Hund mit permanenter Fistel er- fährt durch diese, auch wenn sie monate- oder gar jahrelang besteht, keine Störung seines Wohlbefindens und kann daher zu vielen Beobach- tungen dienen. Auch an zahlreichen Fällen von Magenfistelu beim Men- schen, die entweder durch zufällige Verletzung entstanden waren oder wegen Undurchgängigkeit der Speiseröhre angelegt werden mussten, ist die Sekretion verfolgt worden. Die Unvollkommenheiten dieses Verfahrens — wir haben ihrer schon gedacht — liegen auf der Hand. Klemensiewicz, Heidenhain u. A. haben versucht, sie wenigstenszum Teil auszuschalten, indem sie ein Stück des Magens ganz abtrennten und daraus eine in der Bauchwand nach außen sich öffnende blindsackartige Tasche bildeten. An diesem Teeilmagen, dieser jederzeit zugänglichen Hauttasche konnte man die T'hätigkeit der Drüsen verfolgen, ohne durch Speichel oder anderen Inhalt gestört zu sein. Das Verfahren hat große Aehnlichkeit mit der Anlegung einer T’hir y’schen Darmfistel, die darin besteht, dass ein Stück Dünndarm reseziert und als ein blind endender, handschuhfingerartiger Sack in die Bauchwand einge- näht wird. Ein solcher nach außen offener Treilmagen hat jedoch einen Kardinalfehler, den nämlich, dass ihm die Vagusinnervation fehlt, da bei der Operation die in der Magenwand verlaufenden Vagusäste völlig durch- trennt werden. An dieser Stelle setzen die Arbeiten von Pawlow ein. Er hat der Magenfistel eine andere und wesentlich bessere Form gegeben, und es ist ihm damit gelungen, über den Vorgang der Sekretion und über die Zusammensetzung des Sekrets neue überraschende Aufschlüsse zu ge- winnen. Was er in dem in der Ueberschrift genannten Buch publiziert, sind die Ergebnisse jahrelanger, von ihm selbst und von seinen Mit- arbeitern an Hunden ausgeführtsr Untersuchungen. Da er den Gegen- stand zuerst in emem Cyklus von Vorlesungen, die im Institut für ex- perimentelle Medizin in St. Petersburg gehalten wurden, behandelt hat, so hat er auch hier für die Darstellung die Form von Vorlesungen gewählt. Alle dieser Form eignen Vorzüge hat er seinem Buch mit auf den Weg gegeben. Die Untersuchungen beziehen sich auf die Sekretion des Magen- und des Pankreassaftes; in einem Kapitel wird auch die Speichel- absonderung berücksichtigt. Ihre Ergebnisse, die ja zunächst das Inter- esse der Physiologen und Aerzte in Anspruch nehmen, sind so bedeutungs- voll, dass es uns angezeigt erscheint, sie auch in dieser Zeitschrift ein- gehend zu besprechen. Um bei der Anlegung eines Teilmagens die Innervation nicht ein- zubüßen, haben Pawlow und Chigin die Operation folgendermaßen ausgeführt: „Der erste Schnitt, welcher im Fundusteil des Magens, an der großen Kurvatur, 2 cm von der Grenze des Pylorusteiles beginnt, wird in Längsrichtung 10—12 em weit fortgesetzt und durchtrennt die vordere und hintere Wand des Magens. Dadurch wird ein dreieckiger Lappen gebildet, dessen Höhe in der Längsrichtung des Magens liegt, 366 Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Genau der Grundlinie dieses Lappens entsprechend wird ein zweiter Schnitt, jedoch lediglich durch die Schleimhaut geführt; die Muskel- schicht und Serosa bleiben intakt. Die Schnittränder der Schleimhaut werden ' nach beiden Seiten hin von der Submucosa abpräpariert, und zwar zum Magen hin in der Breite von 1 bis 1!/, em und zum Lappen hin in der Breite von 2 bis 21/, em“. Die Wundränder des Schleimhautstückes, das zum großen Magen gehört, werden mit einander vernäht. Aus dem Schleimhautstück, das zum Lappen gehört, wird eine Kuppel gebildet. „Sodann wird sowohl der Magen, als auch der Lappen längs der ersten Schnittlinie durch Nähte geschlossen ; zwischen ihren Höhlen ist dann ein Septum gebildet, das aus zwei Schichten Schleimhaut besteht, einer un- versehrten (die Kuppel) und einer in der Mitte vernähten ... Kurz gesagt: wir schneiden aus dem Magen ein Längsstück aus und bilden aus ihm einen Öylinder, dessen eines offenes Ende wir in die Oefinung der Bauchwunde einnähen, dessen anderes Ende aber mit der Magenwand in Zusammenhang bleibt. Die Höhle des Blindsacks und die Magenhöhle werden durch ein Septum getrennt, das nur aus Schleimhaut gebildet ist.“ Der kleine Magen, wie wir mit Pawlow den offen in die Bauch- wand ausmündenden Blindsack nennen wollen, hängt an seiner Basis durch unverletzte Serosa und Musecularis mit dem großen Magen zusammen. Die Vaguszweige, die den zur Bildung des Blindsacks verwendeten Teil der Magenwand versorgen — es kommt vorwiegend der linke Vagus in Betracht —, sind größtenteils unverletzt geblieben. Der kleine Magen hat also seine normale Innervation, sein sekretorisches Verhalten muss, soweit dabei Einflüsse des Nervensystems maßgebend sind, mit dem des großen Magens übereinstimmen. Mit anderen Worten; der kleine Magen ist der Spiegel des großen. Wenn die Operation gut gelungen ist, bleiben die Tiere dauernd munter; ihre Ernährung bereitet keinerlei Schwieriskeit. Für gewisse Versuche kann man von der Anlegung eines kleinen Magens absehen und sich mit einer Kombination von gewöhnlicher Magen- fistel mit Oesophagotomie begnügen, einer Kombination, wie sie Pawlow und Frau Schumow-Simanowski im Jahre 1889 zuerst zur Ausführung gebracht haben. Bei einem Magenfistelhund wird die Speiseröhre etwa in der Mitte des Halses durchschnitten, und die beiden Stümpfe werden ge- sondert in die Winkel der Halswunde eingeheilt. Damit ist, ohne jede Beeinträchtigung des Kau- und Schlinggeschäfts, ein Hineingelangen von Speichel und Nahrung in den Magen auf dem natürlichen Wege ein für allemal ausgeschlossen. Die Ernährung der oesophagotomierten Hunde geschieht durch Zufuhr von Speise von der Magenfistel aus. Werden die Tiere gut gepflegt, so können sie jahrelang erhalten bleiben, ohne irgend- welche Störungen zu zeigen. Bei der Anlegung von Pankreasfisteln schlug Pawlow ein Ver- fahren ein, das er schon im Jahre 1879 erprobt hatte. Es kommt dem Verfahren von Heidenhain sehr nahe, das dieser, unabhängig von Pawlow, ein Jahr später beschrieben hat. Aus dem Duodenum wird ein rautenförmiges Stück, in dessen Mitte die Schleimhautpapille mit der Mündung des Ductus Wirsungianus liegt, herausgeschnitten und in die Bauchwand eingenäht. Damit ist das Sekret des Pankreas dauernd nach außen abgeleitet. Nach früheren Erfahrungen war bei Hunden mit ee. Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa. 367 permanenter Pankreasfistel nicht darauf zu rechnen, dass sie die Opera- tion länger als einige Wochen überlebten. Auch wenn die Wundheilung ohne jede Komplikation verlaufen war, pflegten sie plötzlich ganz akut zu erkranken und unter Konvulsionen und Krämpfen, wie wenn sie ver- giftet worden wären, zu Grunde zu gehen. Diesem schlechten Ausgang der Operation haben Pawlow und seine Schüler Wassiljew und Jab- lonski durch passende Ernährung vorzubeugen gesucht. Und in der That ist es ihnen gelungen, ihre Hunde mit Pankreasfistel viele Monate und sogar Jahre dadurch am Leben zu erhalten, dass sie sie ausschließ- lich mit Brot und Milch fütterten und dem Futter stets eine gewisse Menge Soda zusetzten. (Schluss folgt.) L. Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa. [Die Käfer! von Mitteleuropa. — Die Käfer der österreichisch-ungarischen Monarchie, Deutschlands, der Schweiz sowie des französischen und italienischen Alpengebietes. Bearbeitet von L. Ganglbauer, Kustos a. k. k. Naturhist. Hof- museum in Wien. — III. Bd. 2. Familienreihe: Olavicornia. Mit 46 Holzschnitten im Text. 8°. S, 409-1046. Preis Mk. 24. Wien, Carl Gerold, 1899.] Der erste und zweite Band dieses hervorragenden Werkes wurden in dieser Zeitschrift im Jahrg. 1895, Nr. 19, S. 719, der erste Teil des dritten Bandes im Jahrg. 1899, Nr. 8, 8.286 besprochen. In dem vorliegenden umfangreichen zweiten Teile des dritten Bandes, welcher dem ersten Teile desselben rasch gefolgt ist, behandelt G. die Familien der Sphaeritidae, Ostomidae, Byturidae, Nitidulidae, Passandridae, Cueujidae, Erotylidae, Phalacridae, Thorictidae, Derodontidae, Lathridiidae, Mycetophagidae, Colydiidae, Endomychidae und Coceinellidae, welche er wegen ihrer nahen Verwandtschaft zu einer großen Familienreihe der Clavicornia zusammenfasst. Im Vorwort erklärt G. seinen Standpunkt bezüglich der Anwendung der Nomenklaturgesetze .auf die Gattungsnamen der Coleopteren. Er spricht sich aus gegen „die heillose Verwirrung, die in die coleopterologische Litteratur in den letzten Jahrzehnten durch Umtaufung der populärsten Gattungen im Geoffroy’schen Sinne (ZLucanus in Platycerus, Anobium in Byrrhus, Byrrhus in Cistela, Ptinus in Bruchus, Bruchus in Mylabris, Clythra in Melolontha ete.) gebracht wurde“. Indem er nachweist, dass die von Geoffroy 1762 eingeführten Gattungsnamen, welche bekanntlich von Crotsh, Reitter, Bedel etc. in den letzten Jahrzehnten an Stelle der Linn&’schen gesetzt wurden, keine histo- rische Priorität vor letzteren beanspruchen können, da die Editio Xa des Systema Naturae Linne’s bereits 1758 erschien, und dass die von Linn& und Fabricius später (1767 und 1775) von Geoffroy herübergenommen und in die binäre Nomenklatur erst dadurch eingeführten Gattungsnamen im Sinne Linn@’s (bezw. Fabricius’), nicht aber im Geoffroy’schen Sinne gefasst werden müssen, begründet er seinen Standpunkt. Referent stimmt hierin Herın Ganglbauer völlig bei. Auch Everts hat in seinen „Coleop- tera Neerlandica“ neuerdings diesen Standpunkt vertreten. Ref. hofft, dass es durch konsequente Festhaltung desselben gelingen werde, die durch die unbe- rechtigte Umtaufung so vieler Gattungsnamen verursachte Verwirrung endlich wieder zu beseitigen. Bezüglich der vortrefflichen Methode, nach welcher auch dieser Teil der „Käfer von Mitteleuropa“ bearbeitet ist, verweisen wir auf die eingehendere 368 Ganglbauer, Die Käfer von Mitteleuropa. Besprechung derselben im Referate über den ersten und zweiten Band des Werkes (Biol. Centralbl. 1895, Nr. 19, S. 719). Es sei nur bemerkt, dass auch in diesem Bande die Entwicklungsgeschichte (Besprechung der Larve und Puppe) und die Biologie der betreffenden Gattungen gebührende Berücksichtigung gefunden hat. Besonders gut und zuverlässig sind auch hier wieder die Wirtsarten der myrmekophilen Species angegeben. Ebenso befriedigend wird auch die äußere Anatomie der betreffenden Gattungen sowie ihrer Entwicklungsstände behan- delt. Bei der Gattung 7horictus schließt sich G. (8. 763) der vom Referenten gegebenen Auffassung an, wonach die regelmäßig am Fühlerschafte ihrer Wirte angeklammerten Arten aus biologischen und vergleichend morphologischen Gründen (Modifikation der betreffenden Mundteile) als Ektoparasiten der lebenden Ameisen und zugleich als echte Gäste (Symphilen) derselben anzu- sehen sind. Was dem Werke Ganglbauer’s einen besonders hohen Wert für die Systematik verleiht, ist die sorgfältige, gründliche und auf umfassende Ver- gleichungen gestützte Untersuchung der natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse der einzelne Coleopterenfamilien, deren Zahl bekanntlich ungeheuer groß und deren verwandtschaftliche Beziehungen sehr verwickelte sind. Ich bin jetzt durch G.s Ausführungen davon überzeugt worden, dass die Thorietiden nicht, wie ich früher glaubte, mit den Histeriden, sondern mit den Lathridiiden verwandt sind. Ihre habituelle Aehnlichkeit mit den Histeriden beruht auf den, einen für die Ameisen unangreifbaren „Trutztypus* bildenden, Anpassungscharakteren an die myrme- kophile Lebensweise. Ebenso glaube ich auch, dass G. die Monotomini mit Recht als Subfamilie der Cucujiden anführt. Was die Verbreitung von Monotoma anlangt, sagt G. (S. 572), dieselbe erstrecke sich über die paläarktische und die nearktische Region. Ich besitze jedoch eine bei Atta sexdens L. in der brasilianischen Provinz S. Paulo lebendei, wahrscheinlich neue Monotoma-Art (Badariotti!)und erhielt auch aus der Kapkolonie eine myrmekophile Monotoma zur Ansicht (Brauns!). Das Verbreitungsgebiet dieser Art erstreckt sich somit auch über die neotropische und die äthiopische Region. Bezüglich des Ver- breitungsgebietes der Gattung Thorictus, welche man bisher auf die paläark- tische und die äthiopische Region beschränkt glaubte, kann ich beifügen, dass dasselbe auch die ostasiatische Region umfasst; ich besitze zwei myrme- kophile Arten dieser Gattung aus Mittelindien (Ahmednagar-Distrikt), deren eine (7'h. Heim‘, Wasm.) in der Deutsch. Ent. Ztschr. 1899, I, S. 159 beschrieben wurde, während die andere (TR. braminus, Wasm.) im Jahrg. 1900, I, jener Zeitschrift beschrieben werden soll. Da das 1. Heft 1399 erst Ende Juli aus- gegeben wurde, konnte G. dasselbe für sein Werk nicht mehr benutzen. Zur Biologie von Nausibius clavicornis, Kug., bemerkt G. (S.581), dass diese Art durch den Schiffsverkehr über einen großen Teil der Erde verbreitet sei, auch in alten Nestern südamerikanischer Bienen lebe und vielleicht südameri- kanischen Ursprungs sei Zu diesen Angaben kann ich eine Bestätigung aus meiner Sammlung geben. Dieselbe enthält eine Imago und 7 fast erwachsene Larven von N. clavicornis, welehe von H. v. Jhering in der südlichsten Provinz Brasiliens, Rio Grande de Sul, in den Nestern von Trigona (Melipona) rufierus Latr. in größerer Anzahl gefunden worden waren. Luxemburg. E. Wasmann. S.J. [32] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Maik. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 1. Juni 1900. Nr... Inhalt: Nömee, Die. reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen. — Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. — Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen (Schluss), — Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. Die reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen. Von Dr. B. Nemec in Prag. Mit einer Figur mr Text. Die Thatsache, dass bei den Pflanzen eine Fortpflanzung des Reizes stattfinden kann, ist heute unleugbar. Es fragt sich nur, ob diese Fortpflanzung, resp. Leitung sich direkt mit einer Reizleitung vergleichen lässt, wie man dieselbe bei den Tieren beobachtet, welche mit einem Nervensystem ausgestattet sind. Für einige Fälle ist diese direkte Vergleichung sicher nicht zulässig. Denn es kann sich um eine bloße Fortpflanzung von hydrostatischen Druckdifferenzen handeln, die auch in toten Pflanzenteilen vor sich gehen kann (Mimosa), oder es handelt sich um diosmotische Vorgänge (Droser«), bei welchen keine besonderen Strukturen des lebenden Protoplasmas nötig sind u. s. w. Für einige Fälle ist es unentschieden, wie die keizleitung stattfindet, es ist jedoch erwiesen, dass dieselbe in leben- den Zellen vor sich geht (Blätter von Biophytum sensitivum, Plu- mula der Gramineenkeimlinge, vielleicht Wurzelspitzen der Gefäß- pflanzen, einige reizbare Narben, Ranken ete.). Es wird allgemein angenommen, dass in diesen Pflanzenteilen nichts vorkommt, was sich mit dem Nervensystem der höheren Metazoen vergleichen ließe. Ist diese Annahme berechtigt? Ist es berechtigt auf Grund derselben an- zunehmen, die Reflexbewegungen der Pflanzen, auch da, wo man eine Fortpflanzung des Reizes in lebenden Zellen feststellen kann, seien ganz verschieden von Reflexbewegungen, wie man dieselben bei Me- tazoen, welche nervöse Leitungsbahnen besitzen, feststellen kann? Zu dieser Annahme hat besonders der Umstand geführt, dass man über- xXX. 24 370 Nemee, Die reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen. y zeugt war, die Pflanzen besäßen nichts, was sich mit diesen nervösen Bahnen vergleichen ließe. Ich meine, man hat gar keine ernsten Versuche gemacht, der- artige Leitungsbahnen bei den Pflanzen aufzufinden.. Es ist ja von vornherein klar, dass dieselben bei den Pflanzen äußerlich vom Nerven- system der Metazoen verschieden sein müssen und dass nur im letzten Prinzip eine Identität zu erwarten wäre. Ich habe die letzten drei Jahre hauptsächlich der Arbeit gewidmet, die Frage nach der Existenz derartiger Leitungsbahnen bei den Pflanzen positiv oder negativ za beantworten. Die Antwort lautet nun positiv. Zahlreiche Gefäßpflanzen besitzen in einigen Organen reizleitende Strukturen im Cytoplasma ihrer Zellen. Meine Befunde lassen sich direkt mit denjenigen, welche der große Forscher Apäthy bekannt gemacht hat, in Einklang bringen. Die elementaren Nervenfibrillen, wie solche Apäthy in den reizleiten- den Bahnen der höheren Metazoen aufgefunden hat, gelang es mir auch bei den Pflanzen, allerdings bisher nur bei Gefäßpflanzen, fest- zustellen. Zunächst habe ich in einigen Pflanzenteilen, wo Reizleitung statt- finden soll, Strukturen aufgefunden, welche parallel mit der vermeint- lichen Reizleitung orientiert waren. Später fand ich, dass es sich um Fibrillen handelt, welche meist parallel in einem eigentümliehen Plasma eingebettet verlaufen. Es kommen so förmliche Faserbüschel zu stande, welche bei geeigneter Tinktion der Präparate schon bei ganz schwachen Vergrößerungen zu sehen sind und in den Nach- barzellen geometrisch korrekt an den Scheidewänden korrespondieren. An den Stellen dieser gegenseitigen Korrespondenz kann eine Kon- tinuität oder nur ein bloßer Kontakt vermutet werden. In einigen Fällen meinte ich eine Kontinuität annehmen zu können, doch ließ sich dieselbe nicht immer streng nachweisen und ich begnüge mich mit der Annahme eines Kontaktes. Doch könnte noch dann eine Kontinuität mit Hilfe gewöhnlicher interzellulärer Plasmabrücken an- genommen werden, die man hier unter Anwendung der üblichen Me- thoden feststellen kann. Ich will hier noch bemerken, dass die Faser- bündel auch in vivo zu sehen sind, allerdings nur an Schnitten. Der Wundreiz bringt die Faserbüschel bald zur Degeneration, es sind daher schnelle Beobachtung und besondere Vorsichtsmaßregeln not- wendig. Dies wären die topographischen und formalen Beobachtungen. Die Thatsache, dass die Form der erwähnten Faserbündel sowie die Kontaktverhältnisse, weiter auch ihre Orientierung in der kichtung der Reizfortpflanzung mit den Apäthy’schen Befunden auffallende Aehnliehkeiten aufweisen, kann immerhin nicht als Beweis gelten, Nemee, Die reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen. 371 dass man hier auch physiologisch ähnliche, homodyname Strukturen vor sich hat. Ich war daher bestrebt, ihre Bedeutung auch experi- mentell nachzuweisen. Es galt vorerst sicher zu machen, dass in den Richtungen der Fäserchen auch eine besonders schnelle Reizleitung stattfindet. Zu diesem Zwecke wurde eingehend die Fortpflanzung des Wundreizes in verschiedenen Richtungen geprüft. Es hat sich herausgestellt, dass die, größte Geschwindigkeit parallel mit dem Verlaufe der Fäserchen vor sich geht. Erst nach der Prüfung verschiedener Reize, habe ich den Wundreiz zu speziellen Untersuchungen erwählt, wobei ich mich allerdings meist auf die traumatropische Reaktion des Protoplasmas und des Zellkernes beschränken musste. Jedoch konnte ich weiter experimentell nachweisen, dass diese bevorzugte Geschwindigkeit der Reizfortpflanzung nicht zu konstatieren ist, wenn man die Faserbüschel zu einer Degeneration oder Interrup- tion bringt, was ziemlich leicht durch verschiedene äußere Eingriffe zu erzielen ist. Es muss natürlich der Versuch so ausgeführt werden, dass die Sensibilität des Cytoplasmas nicht verloren geht. Andere Beobachtungen, besonders an spontan nutierenden Pflanzenorganen haben die Ergebnisse dieser Versuche bestätigt. Alle Versuche führten zu dem Schlusse, dass die Fäserchen im Dienste der Reizfortpflanzung stehen. Man könnte auch an eine Lei- tung von plastischen Nährstoffen mit Hilfe der Faserbüschel, oder an Analoga des „Ergastoplasmas“ von Garnier und Bouin denken, doch musste ich diese Annahmen wenigstens vorläufig bald fallen lassen. Denn spezielle Versuche, die Leitung gewisser plastischer Stoffe in Beziehung zum Verlaufe der Fäserchen zu bringen, gaben keine positive Ergebnisse. Auch der Verlauf der Fäserchen ist interessant. »>o verlaufen dieselben in den jüngsten Teilen der Wurzelspitze in den äußeren Zellenlagen meist annähernd radial, im den centralen Partien der Wurzelspitzen longitudinal. Nür longitudinal verlaufende (mit der Hauptachse parallele) Fäserchen findet man in den älteren Teilen, wo die Zellteilungen erloschen sind. Die Faserbündel lassen sich bis in diejenige Partie verfolgen, wo sonst die Krümmungen vor sich gehen. Schließlich verschwinden die Fäserchen und gleichzeitig auch die Fähigkeit der Zellen zu einer relativ schnellen Reizleitung in bestimmien Richtungen. Ich bin nach mannigfachen Versuchen zu dem Schluss gekommen, dass die pflanzlichen Fibrillen eine reizleitende Struktur der lebenden Substanz vorstellen, die sich mit den Apäthy’schen Nervenfibrillen vergleichen lassen. Es soll jedoch keineswegs geleugnet werden, dass den Faserbündeln auch andere Funktionen zukommen können. Auch ist nicht zu bezweifeln, dass nicht überall da, wo Reizleitung 94* 372 Nömec, Die reizleitenden Strukturen bei den Pflanzen. stattfindet, die Fäserchen vorhanden sein müssen. Die Reizleitung könnte denn auch in anderer Weise vor sich gehen, was für. einige Fälle thatsächlich schon bewiesen ist. Die nebenstehende Figur stellt schematisch das plasmatische Fibrillen- system in einer Wurzelspitze (Hya- einthus orientalis) vor. In der Wur- zelhaube (H) liegt die geotropisch sensible Zellengruppe (S), von wel- cher in die eigentliche Wurzelspitze Fibrillen ausgehen, die zunächst auf- sind. In den äußeren Lagen der me- ristematischen Zone der Wurzel ver- laufen sie radial und biegen allmäh- lieh nach oben um. In der älteren Partie der Wurzelspitze verlaufen auch im Periblem und Dermatogen (PD) sämtliche Fibrillen longitu- dinal. Die Figur ist natürlich sche- matisch gehalten. Oft verlaufen die Fibrillen vielfach geschlängelt und gebogen, doch zeigen sie immer eine gewisse Hauptrichtung. Berücksichtigt man speziell die Perception und Leitung des geo- tropischen Reizes sowie die darauffolgende Reizkrümmung, so kommt man zu sehr auffallenden Resultaten. Meine Versuche haben ergeben, dass die sensible Zone meist in der Wurzelhaube liegt und zwar in einer Gruppe von besonderen Zellen, welche sich durch das Vor- handensein von permanenter Stärke auszeichnen, die je nach der Orien- tierung der Wurzel zur Schwerkraft eine verschiedene Lage ein- nehmen können. Das Protoplasma dieser Zellen ist relativ dünn- flüssig und die Stärkekörner fallen!) — da ihr spezifisches Gewicht größer ist als dasjenige des Protoplasmas — sehr leicht je nach der Lage der Wurzel bis an die äußere Plasmahaut, wo sie durch ihren Druck Vorgänge hervorrufen, die analog denjenigen, welche durch einen Kontraktreiz hervorgerufen werden, sein dürften. Von diesen Zellen gehen Fibrillen aus bis zur Krümmungspartie — oder besser 1) Schon von Rosen konstatiert, fallender im Plerom (Pl) ausgebildet TE Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. 379 gesagt — durch die ganze Krümmungszone der Wurzelspitze, wobei be- sonders die mächtigen, in den Pleromzellen vorhandenen Faserbündel aktiv sein dürften, obzwar sich auch aus der Wurzelhaube Reize in die Periblemzellen fortpflanzen können. Dass sich Reize aus der Wurzelhaube weit in die Plerom- und Periblemzellen mit ungeschwäch- ter Intensität fortpflanzen können, habe ich durch Untersuchung der traumatischen Reaktion sicher gestellt. Die erwähnten Gruppen von besonders differenzierten Zellen in der Haube, welche zahlreiche leicht bewegliche Stärkekörner enthalten, sind in einigen Wurzeln (Brosi- mum macrocarpum) zu einem förmlichen besonderen Organ ge- worden, das sich wohl mit den mit Statolithen versehenen statischen Organen mancher Metazoen im Prinzip vergleichen lässt. Nach all dem ist zu sehen, dass die Gefäßpflanzen in einigen Organen reizleitende Strukturen besitzen, welche eine auffallende Aehnlichkeit mit den Nervenfibrillen, wie man dieselben bei den höheren Metazoen festgestellt hat, zeigen. Wenn nun manche Reflexbewe- gungen bei den Pflanzen nach Czapek prinzipiell nicht von den tierischen Reflexbewegungen verschieden sind, so wird diese Aehn- lichkeit durch die Auffindung von reizleitenden speziell differenzierten Strukturen bei den Pflanzen noch vollständiger. Es ist auch sicher, dass dann nicht alle Reizbewegungen der Pflanzen als Antitypien den Reflexbewegungen der höheren mit einem Nervensystem ausge- statteten Metazoen, gegenüber gestellt werden können. In allen Einzelheiten verweise ich auf eine bald erscheinende Abhandlung, in welcher ich die reizleitenden Strukturen beschreiben sowie ihre physiologische Funktion begründen werde. Prag, botanisches Institut der böhmischen Universität. [45] Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. Dr. med. A. Pappenheim (Königsberg i. Pr.). Es sind keineswegs neue Einzelheiten und Bestandteile des Baues und der Struktur der Samentierchen, welche die mitzuteilenden Methoden aufzudecken beanspruchen können; sie wären deshalb auch gar nicht veröffentlicht worden, wenn es sich bloß darum gehandelt haben würde, Altes und Bekanntes auf eine andere neue Weise darstellen zu können, zumal wenn diese „neue“ Weise weder wirklich eine eigentlich „neue“ ist, noch an Praktikabilität und Bequemlichkeit, oder irgendwie durch besonders hervorragende Schönheit der Resultate mit dem früher Er- reichten konkurrieren kann. Da es vielleicht aber zeitgemäß und von gewissem wissenschaftlichen Interesse sein dürfte, wenn die Bestrebungen der Histologie auch der biochemischen Valenz der in deskriptiver Hin- sicht bereits genügend erforschten Objekte zugewandt werden, so möchte ich mir erlauben, das gelegentlich mit einigen auf die Spermien ange- wandten Färbemethoden erzielte Ergebnis kurz bekannt zu geben, ohne 374 Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. vorläufig aber, bis hinreichend genug Kontroluntersuchungen auch noch mit anderen Färbungen vorliegen, irgendwie weittragende Folgerungen daraus ziehen zu wollen. I. Nachdem die Romanowsky’sche Färbung so ausgezeichnete und wertvolle Resultate für die Biologie der Hämamöba Malariae ergeben hatte, hat man angefangen, auch andere Protisten dieser Färbemethode zu unterwerfen. Bei den verschiedensten Protozo&ön wurde gleiches oder äquivalentes Verhalten wie bei den Malaria- parasiten von Ziemannt), Rabinowitsch-Kempner?) und andern gemeldet und auch bei den Protophyten, speziell den Bakterien, scheinen die Untersuehungen von Zettnowg) und Feinberg*) analoge Resul- tate, d.h. Vorhandensein eines erythrophilen „Kerns“ in eyanophilem Cytoplasma ergeben zu haben. Mir deucht nun, dass man hier auf einen Punkt von ganz besonderer theoretischer Wichtigkeit gestoßen ist, weil einerseits die Bakterien bisher als nur aus Kernsubstanz be- stehend gegolten haben), anderseits die Ergebnisse der „Plasmodien“- färbung uns gezeigt haben, dass es einmal Zellkörper giebt, die sich nicht oxyphil verhalten (denn Malariaparasiten färben sich nicht mit dem sauren Farbstoff des Methylenblau-Eosingemisches) dann aber Zellkerne, die im Gegensatz zu der Auerbach’schen Lehre erythrophil sind. In dem eben geschilderten Verhalten erweisen sich alle diese einzelligen niedersten Lebewesen identisch geformt mit den den Amöben und Myxomyceten oft zum Vergleich entgegengehaltenen Leukocyten höherer Tiere, speziell aber nur mit den sogenannten „Lymphocyten“, welche ja als die niederste und wenigst differenzierte Stufe der Leuko- eyten zu gelten haben. Färbt man Lymphoeyten mit Unna’s poly- ehromem Methylenblau, welches ja, wie Nocht’s®) schöne und glän- zende Untersuchungen gezeigt haben, im Prinzip weiter nichts wie eine Romanowsky’sche Farblösung ist, so erweist sich ihr Kern als matt erythrophil, während der schmale, basophile Zellleib, wie bei den Plasmazellen, kräftig dunkelblau wird. Die Hoffnung, bei diesem Verfahren etwa den Nukleolus der Lymphocyten vom Kern differen- ziert gefärbt zu erhalten, erfüllt sich leider nicht. Erythrocyten er- halten bei dieser Färbung einen dunkelvioletten Kern und einen gelb- grünlichen Zellleib; die groben Körnungen der Mastzellen nehmen das N aus Be auf, enhnlien sich hier also nicht wirklich 1) Ziemann, Centralbl. f. Bakteriol., XXIV, 1898, S. 945. 2) Rabinow isch: Kempner, Zeitschr. f. Hygiene, XXX, 1899. 3) Zettnow ibidem. 4) Feinberg, Verh. d. Ver. f. innere Med., 8, I, 1900; ef. Deutsch. med. Wochenschr., 1900, V. Bd., S. 18 und Centralbl. f. Bakteriol., 1900. 5) ef. hierzu Nakinishi, Münchner med. Wochenschr., 1900. S. 187. 6) Nocht, Centralbl. f. Bakteriol, XXIV, 1898, 8.839 u. XXV, 1899, Se dw, a1. 2764 Wi. Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. 91) metachromatisch, wie bei Methylviolett, Kresylviolett, Thionin, Toluidin- blau und Amethyst, welche Farbstoffe sie wie ein Alkali alterieren. Während de Romanowsky-Nocht’sche Malariafärbung gewöhn- lich sehr schöne Resultate ergiebt, erzielt man bei ihrer Anwendung auf Deckglaspräparate von sonstigen Gewebszellen meist ziemlich un- ansehnliche, wenn schon instruktive Präparate, was wahrscheinlich durch die alkalische Reaktion der Farblösung verursacht ist. Distinkter werden die Resultate, wenn man die Nocht’sche Lösung durch Essig- säure neutralisiert, am besten nach meiner Erfahrung, wenn man ge- wöhnliches reines Methylenblau (3 Teile) mit roten basischen Farb- stoffen wie Fuchsin, Acridinrot, Chinolinrot, Pyronin, Safranin, Magdala- rot, Neutralrot (2 Teile) versetzt und somit einerseits jeden alterierenden Zusatz vermeidet, anderseits rationellere Mischungsverhältnisse zwischen dem roten und blauen Farbstoff verwendet wie in den polychromen Lösungen, wo der blaue viel zu stark prävaliert. Verwendet man ein anderes Gemisch zweier basischer Farbstoffe, etwa Methylgrün und Pyronin!), oder Methylgrün und „Rot aus Methylenblau“ (welch letzteres man durch Ausschütteln von poly- chromem Methylenblau durch Chloroform oder Epichlorhydrin erhält), so sind die Resultate ganz andere und z. B. bei Lymphoeyten der Auerbach’schen Lehre entsprechend: Kern rötlichblau, Plasma dunkel- rot, was aber nur in den Besonderheiten des Methylgrüns liegt, eines Farbstoffs, der geradezu eine innige und einzige Affinität zum Nuklein besitzt, aber andere basophile Substanzen nicht färbt. Der Kern der Erythroeyten wird hierbei blaugrün, ihre Leiber gelblichrot, Mast- zellenkörungen ebenfalls rot. Wo durch Schleim, Chondromucoid, Amyloid, absterbendes Plasma Methylgrün „metachromatisiert“ wird, handelt es sich um unreinen, mit Methylviolett versetzten Farbstoff. Dasselbe gilt von Safranin, falls solches durch die erwähnten Substanzen nicht gelb, sondern schmutzigviolett wird. Es wäre interessant und für die Frage der Kernnatur wichtig, die Methylerün-Pyroninfärbung auch auf die Hämatozo@ön der Malaria ‚etc. anzuwenden, was bisher noch nicht geschehen sein dürfte. In Bezug auf Bakterien hat sich bei meinen gelegentlichen Beobachtungen — viele Formen habe ich nicht durchgeprüft — ergeben, dass sich dieselben im großen und ganzen schwer mit Methylgrün färben, ja, bei Methyl- grün enthaltenden Gemischen, entweder ungefärbt bleiben (Triacid, wo daneben nur saure Farbstoffe vorhanden sind) oder andere basische Farbstoffe aufnehmen: hiervon kann man sehr bequem Gebrauch machen dort, wo es darauf ankommt, Gonokokken und Zellkerne, different gefärbt, zu erhalten. Im Methylgrün-Pyroningemisch gefärbt, erscheinen die Kerne der polynukleären Leukocyten grün, ihre oxy- 1) ef. Pappenheim, Virch. Arch. 157, 1899. 376 Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. philen Leiber ungefärbt, ihre neutrophilen Granula unsichtbar, die Kokken hingegen rot. Aus den Ergebnissen derFärbungen mitMethylgrün scheint aber soviel hervorzugehen, dass die Kernsubstanz der Bakterien von der der sonstigen Zellen verschieden ist. Dieses vorausgeschickt, wollen wir nun die Färbungsergebnisse bei den Spermatosomen betrachten. a) Die große Achnlichkeit dieser Gebilde mit Infusorien, speziell Flagellaten, legte den Gedanken nahe, auch hier die Romanowsky’sche Kernfärbung anzuwenden, zumal dieselbe ja bei den spermatozoiden Mikrogameten des Hämosporidion Malariae durchaus positive Ergeb- nisse gezeitigt zu haben scheint. Deckglaspräparate eines Ejaculats werden hergestellt am besten durch Absaugen des Spermatröpfehens mittels Fließpapiers (ef. Pappenheim, Dissert., Berlin 1895) oder Ab- schleudern (E. Neumann), da beim Abziehen eines zweiten Deck- släschens die Schwanzfäden leicht abbrechen; das lufttrockene Präparat wird dann durch dreimaliges Flambieren (wasserentziehende Mittel Nikiforoff, Benario ete. ergeben Niederschläge, chemische corrosive Ingredienzen, Sublimat, Pikrinsäure, Lugol alterieren die natürlichen chemischen Affinitäten) fixiert. Wird nun nach der Nocht’schen Modifikation 24 Stunden im Brut schrank gefärbt, so ergiebt sich, dass das „Mittelstück“ des Geißel- fadens ziemlich gleichmäßig rein dunkelblau erscheint, auch das End- stück des Schwanzes erschien mir eher blau als rosa; das Köpfchen dagegen zeigt eine deutliche und eklatante Differenzierung. Der dem Geißelschwanz unmittelbar knospenförmig aufsitzende basale Binnen- kegel erscheint rot mit leiehtem Stich ins violette, die restierende periphere Hülle um ihn, die Kopfkappe, in reinem Mattblau (s. Figur). b) Färbt man in gleicher Weise hergestellte Deckglaspräparate nach der Methylgrün-Pyroninmethode, so ist auch hier, wie bei den Lymphoeyten, das Ergebnis verschieden. Der innere Basalkegel des Köpfehens wird nicht rot, auch nicht allein für sich grün, was man vielleicht beides nach den Resultaten der vorigen Methode hätte erwarten können, weil etwa nur hier das eigentliche Kernnuklein zu suchen sei, sondern das Köpfehen nimmt in toto die grüne Färbung an, nur erscheint, was man auch bei gelungener Hämatoxylinfärbung wahr- nehmen kann, der kleine Innenkegel dunkler, die Kappe matter ge- färbt. Dagegen erscheint das „Mittelstück“ bei dieser Färbung leuch- tend rot, besonders schön und deutlich bei etwaigen unreiferen und daher noch breiteren und stärker protoplasmatischen Samenfäden, während der Rest der Schwanzgeißel ungefärbt bleibt. Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. 317 II. Auch die Löffler’sche Geißelfärbung lässt sich mit positivem Erfolg auf die Spermatozoen anwenden, wodurch man die Köpfe und Schwänze different gefärbt erhält, was mir bei Versuchen, die Köpfe mit basischen, die plasmatischen Schwänze mit sauren Anilinfarben zu tingieren, auch bei Verwendung des Gram’schen Verfahrens nie aus- reichend gelungen war, da die sauren Farben diffus färbten, eine etwaige zweite basische Farbe sich aber stets zu der ersten Kernfarbe im Köpfehen hinzusummierte. Man färbe nun die Deekglaspräparate erst mit einer Hämatoxylinlösung, lasse dann '/, Stunde in der Kälte Löffler’sche Beize einwirken und färbe mit verdünnter Karbolfuchsin- lösung (Ziehl) nach: die Köpfe erscheinen violett, die Schwänze in toto distinkt_rot, die „Mittelstücke“ nicht besonders färberisch differenziert. Im Anschluss an vorstehendes möchte ich noch ganz kurz hier einige Thatsachen aus dem Gebiete der Farbehemie anführen, welche bei der Deu- tung der hier mitgeteilten Thatsachen vielleicht mit in Betracht kommen dürften). Wir stehen im Gegensatz zu Auerbach, der auf Grund seiner Färbungen mit Gemischen blauer und roter Farben cyanophile und erythrophile Sperma- tozoen- und Ovula (seil. Kerne) unterscheidet, auf dem Standpunkt, dass der Färbeakt in allererster Linie ein chemischer ist und erst in zweiter Linie von dem physikalischen Zustande des zu färbenden Substrates oder des Farb- stoffes abhängig ist. Dafür sprechen in erster Linie die Resultate differen- tieller Kombinationsfärbung, soweit sie sich auf Gemische basischer und saurer Farben beziehen. Stets nämlich wird sich bei Kombination von gelben oder roten basischen (Fuchsin, Pyronin, Acridinrot, Safranin, Magdalarot, Neutral- rot, Phosphin, Auramin, Chrysoidin, Vesuvin) mit blauen oder roten oder violetten sauren Farbstoffen (Wasserblau, Azoblau, Benzazurin, S. Violett, Indulin), selbstverständlich bei entsprechenden quantitativen Konzentrationsverhältnissen, der Kern nicht eyanophil und das Plasma nicht erythrophil erweisen, sondern umgekehrt. Gegen Auerbach sprechen ferner die Resultate der sogenannten „vitalen“ Färbung „überlebender* Zellen. Ich habe zu frischem, unfixiertem leukämischem Blute die verschiedensten basischen und sauren Farbstoffe zu- gesetzt: niemals trat eine Färbung der Kerne mit sauren Farben ein, auch nicht mit den oben erwähnten blauen und violetten, wohl aber stets mit basischen, selbst mit den hellroten und gelben ?). Dass eine Cyanophilie und Erythrophilie der Gewebsteile existiert, ist nicht zu bestreiten, dieselbe ist aber nicht der Ausdruck essentieller Differenzen und beruht nicht auf chemischen, sondern nur graduellen physikalischen Unter- schieden). Die Differenz verschiedener Gewebsteile darf daher nicht in erster 1) cf. A. Pappenheim, Virch. Arch., 151, 1898, S. 122. 2) Ich will an dieser Stelle bemerken, dass von sämtlichen, so ziemlich allen mir zugänglichen Farbstoffen sich am brauchbarsten für die „vitale*“ Kernfärbung isolierter Zellen in erster Linie Thionin, Tooluidinblau und Neu- tralrot, nicht ganz so gut Methylenblau und Acridinrot erwiesen haben, während bekanntlich für „abgestorbene* Kerne Methylgrün (Strasburger) und Vesuvin (E. Neumann) in Verbindung mit Essigsäure am meisten leisten. 3) Es ist richtiger, statt Cyanophilie und Erythrophilie, Cyanophilie und Xanthophilie in Gegensatz zu stellen. Die mit roter Farbe tingierten Gewebs- teile verhalten sich zu anderen, blau und violett gefärbten, allerdings erythro- phil, dagegen „eyanophil“ zu mit gelben Farben tingierten. Die fuchsinophilen Erythrocyten verhalten sich „eyanophil* zu den orangeophilen, dagegen die eosinophilen Granulationen „xantophil* zu den indulinophilen u. s. w. 378 Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. Linie nach dem Gesichtspunkte, ob dieselben sich cyanophil oder erythrophil verhalten, beurteilt werden, sondern in erster Linie danach, ob sie basophil oder oxyphil sind; erst dann nach Feststellung dieses allgemeinen chemischen Verhaltens mag innerhalb der oxyphilen Plasmen oder Granulierungen bezw. innerhalb der basophilen Kerne!) etc. eine quantitative Abstufung zwischen Cyanophilie und Xanthophilie konstatiert werden. Zur Bestimmung dieser quanti- tativen, physikalischen Differenz innerhalb oxyphiler odor innerhalb basophiler Gewebsteile hat Ehrlich?) zwei Farbgemische angegeben, deren eines, das Glyceringemisch, aus drei sauren Farbstoffen, Indulin, Eosin und Aurantin, das andere aus drei basischen Farbstoffen, aus Chromgrün, Fuchsin und Vesuvin besteht, dagegen bilden die verschiedenen von Ehrlich empfohlenen neutralen Mischungen Reagentien zur Feststellung der allgemeinen chemischen Oxyphilie und Basophilie. Während das Wesen der chemischen Färbung auf dem verschiedenen elektropositiven oder elektronegativen Verhalten der Gewebsteile beruht, ist in der Cyanophilie ein Ausdruck des mehr lockeren Gefüges, in der Xantophilie ein Zeichen der Verdichtung der färbbaren kleinsten Gewebsteilchen zu schen; erstere kann dann weiter unter Umständen einen Ausdruck der Jugendlichkeit?), letztere einen Ausdruck des Alters *), der höheren Differenzierung und plastischen Progression bedeuten, selbst dann, wenn diese bereits degenerativen Charakter an sich trägt. Bei der ersteren sind die Intermicellar-Spatien groß und weit, also für Farbstoffe mit großem Molekularvolumen imbibibel, bei letzteren lassen die dichten wasserarmen (geschrumpften) Intermicellar- Spatien nur Farbstoffe mit kleinem Molekularvolumen eindiingen. Wie nämlich R. Nietzki empirisch gefunden, Schütze°) und Gräbe°) wissenschaftlich durch Spektralanalyse bestätigt haben, geht durch Anhäufung von Gruppen in dem Molekül eines Farbstoffes, die Farbnuance desselben von Grünlichgelb und Orange über Rot und Purpur zu Violett und schließlich zu reinem Blau hinüber. Die einfachst konstituierten Farbstoffe der verschiedensten Chromogene sind überall bei Acridinen, Thiazolen, Oxyketonen ete., stets gelb gefärbt. Sie haben meist sehr schwachen Farbeharakter und liefern ziemlich unechte diffuse und leicht diffundierende substantive Färbungen (z. B. Monamidotriphenylmethan). Bei grünen (Diamidotriphenylmethan) (Bindscheidlers Grün) und bei roten (Rosanilin-Neutralrot) Farbstoffen ist infolge genügend vorhandener Anzahl aurochromer Gruppen der Farbstoffcharakter meist völlig ausgesprochen. Werden die auxochromen Amidogruppen alkyliert, so entstehen oft violette Farbstoffe (Methylviolett- methyliertes Rosanilin, Amethyst -aethyliertes Safra- nin), die umso blaustichiger sind, je mehr Radikale eingetreten sind. Die Pikrinsäure, ein Trinitrofarbstoff, ist hellgelb, das Aurantia, ein Hexanitrofarb- stoff schon mehr rötlich, orangefarben und weil durch größere Zahl salzbildender Nitrogruppen saurer, auch echter als ersterer. Hexamethylviolett ist blauer als Monomethylviolett, Triphenyl-Rosanilin blauer als Monophenyl-Rosanilin. 4) ef. Hermann, Anat. Anz., 1888, welcher ebenso wie Flemming, zwischen gentianophilen und safranophilen Kernen unterscheidet. 2) Ehrlich, Anämie, S. 25. 3) ef. Ehrlich, Farbenanalytische Untersuchungen, S. 14 u. ff. und S. 39 über das Verhältnis der indulinophilen Granula zu den eosinophilen. 4) ef. Hermann ]. ce. dessen safranophile Kerne die pyknotischen sind, ferner Bettmann, Ziegler's Beiträge, XXIII, S. 482, sowie R. Hertwig, Verh. der deutsch. zool. Gesellschaft, 1892. 5) Schütze, Zeitschrift für phys. Chemie, IX, 1892, S. 109. 6) Gräbe, Zeitschrift für phys. Chemie, X, 1892, S. 673. ee Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. 519 Dieses Gesetz gilt nun zwar sowohl für basische wie auch für saure Farbstoffe, jedoch nicht allgemein, sondern nur unter bestimmten Umständen, Nicht überall und nicht ohne weiteres nämlich, bestimmt die Zahl der auxochromen und salzbildenden Gruppen, d. h, also die Molekulargröße, die Nuance eines Farbstoffes. Methylenblau ist im Prinzip ziemlich ebenso kon- stituiert wie Pyronin. Die Moleküle sind fast gleich gebaut, nur ist hier der Ring durch ein Sauerstoffatom, dort durch Schwefel geschlossen. Trotz- dem ist der Farbstoff hier rot, dort blau; durch Alkylierung der zwei Amido- gruppen im violetten Thionin entstehen rein blaue (methylenblaue) im roten Safranin violette (Amethyst-) Farben. Eine weitere Ausnahme machen die Salze der Farbsulfosäuren, für welche eigene Gesetze gelten. Auch hier nämlich ist die Nuance präformiert. Durch den Eintritt einer Sulfo- gruppe wird zwar der betreffende Farbstoff sofort in einen sauren verwandelt, dabei aber seine Nuance nicht geändert, sondern nur seine Wasserlöslichkeit erhöht, d. h. seine Echtheit vermindert. Je mehr saure salzbildende Sulfo- gruppen eintreten, desto saurer wird der Farbstoff, desto mehr nimmt seine Löslichkeit und Diffusibilität zu, seine Echtheit und Tinktorialkraft ab, aber seine Nuance bleibt unverändert. Hier bei den Sulfosäuren nimmt also die Dunkelheit der Nuance nicht mit der Zahl der Sulfogruppen zu, sondern blaue Sulfofarbstoffe entstehen nur durch Sulfurierung schon vorher blauer, groß- molekularer basischer Farbstoffe. Die Sulfosäuren dieser (S. Violett, Wasser- blau) sind nun auch echter als die Sulfosäuren roter oder gelber basischer Farbstoffe (Orange, S. Fuchsin, Lichtgrün). Also auch hier geht die Echt- heit mit dem Molekularvolumen, d. h. der dunkeln Nuance, parallel, nur ist dieselbe hier nicht, wie sonst bei basischen und sauren Farbstoffen, be- dingt durch die Menge des auxochromen resp. salzbildenden Gruppen, ist also nicht Funktion des stark ausgesprochenen Farbcharakters, der Acidität; son- dern hier ist die Nuance präformiert und die Acidität ist der Diffusibilität proportional, die Echtheit also umgekehrt proportional. Hieraus ist ersichtlich, dass nicht schlechthin die Molekulargröße und die Nuance des Farbstoffes, wie Auerbach will, sonderu nur die besondere chemische Natur seiner Gruppen sein chemisches Verhalten, seine Basicität oder Aecidität und somit seine Karyo- philie oder Plasmophilie bestimmt. Schon die bloße Thatsache des Vorhandenseins roter basischer und blauer und violetter saurer Farbstoffe könnte dieses bestä- tigen. Die beste Illustration hierfür liefert aber die Geschichte des Auramins!), dessen Nuance allein durch Substitution eines seiner Radikale durch andere Gruppen also nieht durch Vergrößerung desMol. Vol. geändert wird, derartig, dass eine helle gelbe Farbe nur an basische Amidogruppen geknüpft ist. Substituiert man das eine nicht alkylierte Amidoradikal in verschiedener Weise durch andere Gruppen, so geht die Farbe bei Abnahme der Basieität dieser substituierenden Gruppe von Gelb, je nachdem in gelbrot und rot über; führt man direkt einen Säure- rest ein, so erhält man einen dunkel-bräunlich violetten Farbstoff. Ebenso zeigte E. Nölting, dass die Farbnuancen des roten basischen Rosanilins, ab- gesehen von ihrer Stellung, von der Zahl der basischen Amidogruppen abhängig ist, also nicht von der Zahl der Radikale überhaupt. Eliminiert man nämlich in dem roten Triamidotriphenylmethan eine NH,-Gruppe oder schwächt man ihre Basieität dureh Acetylierung oder durch Umwandlung in eine Chinolin- gruppe oder Ammoniumbase ab, so sind die entstehenden Diamido - Triphenyl- methane stets dunkelgrüne (malachitgrüne) Farbstoffe. Wir sehen schon hieraus, 1) ef. Stock, Journal für praktische Chemie, XLVIII, 1894. 380 Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. dass die grünen Farbstoffe von Auerbach mit Unrecht zur Prüfung der Cyano- philie herangezogen wurden. Erstens haben viele derselben, wie oben erwähnt, ein viel kleineres, einfacher konstituiertes Molekül als rote und blaue Farb- stoffe, ferner aber oft auch, wie hier, eine viel geringere Basieität als rote Farbstoffe. Hieraus ergiebt sich aber weiter ein wesentlicher Gesichtspunkt, auf den man bei der Kombination von Farbgemischen und der Beurteilung ihrer Ergeb- nisse sehr achten muss und der einen Augenblick lang scheinbar, aber auch nur scheinbar zu Gunsten Auerbach’s sprechen könnte. Nicht alle basischen oder saueren Farbstoffe sind eben gleich stark basisch oder sauer. Malachitgrün ist weniger basisch als Methylgrün, ebenso Chrysoidin weniger als Vesuvin, Oxonin weniger als Thionin und Kresylviolett weniger als Methylviolett. Desgleichen sind Amidoazosulfosäuren weniger sauer als die gleich nnaneierten Oxyazosulfosäuren, die Oxysulfosäuren weniger als die Dioxydisulfo- säuren ete. Basische und saure Gruppen gemischt enthaltende oder wenigstens basische und saure Prinzipien in sich vereinende Farbstoffe sind also mehr oder weniger in sich neutral und können für sich allein angewandt, sowohl als Basichromatinfärber, wie Plasmafärber, auftreten. Hier bestimmt lediglich das Ueberwiegen der Acidität, beziehungsweise Basicität der aurochromen Gruppen den chemischen Farbceharakter. Basisch konstituierte Farbkörper mit viel Oxy- gruppen, wie bei dem Aurin, Sudan, Resorufin, Eurhodol wirken eben schon als schwache Farbsäuren, Chromgrün und Rhodamin enthalten neben zwei Amido- radikalen einen Karbonsäurerest, sind aber doch noch basisch, wennschon ihre Basieitätschwach ist ; dagegen verwandelt. die salzbildende Nitro- oder Sulfogruppe einen Farbkörper ohne weiteres in einen sauren Farbstoff, mag er daneben noch so viel basische Amidogruppen besitzen. Entsprechend werden umgekehrt auch die meisten Gewebe, ja selbst auch die Bacillen sich schließlich stets, bei Anwen- dung immer nur eines einzelnen Farbstoffes, mehr oder weniger gut mit diesem, sei er nun sauer oder basisch, anfärben lassen, und sich nur in den seltensten Fällen absolut refraktär gegen irgend einen verhalten. Freilich über den Chemismus der Gewebe sagen diese singulären Färbungen nichts aus. Deshalb ist aber noch lange kein Grund vorhanden, mit Auerbach eine chemische Elektion überhaupt ganz zu leugnen und die Färbung nur nach physikalisch maßgebenden Gesetzen der Dichtigkeit des Gewebes und Molekulargröße (Nuance) des Farbstoffs sich vollziehen zu lassen, bloß weil basische Farbstoffe auch Plasma färben können und saure Farbstoffe Kerne. Dass sich das allgemein als oxyphil geltende Hb auch mit! basischen !)! Farbstoffen anfärben lässt, dürfte z. B. ebenso bekannt sein wie die Färbnng der basophilen Kerne im dreifach sauren Glyceringemisch mit dem blauen Indulin, einem der sauren Komponenten. Auf die Färbung von Bindegewebskermen?, mit dem sauren roten Eosin hat u. a Renaut mit dem blauen, sauren Benzazurin Bonnet°) hingewiesen. Die elektive Affinität, die allgemeine Basophilie oder Oxyphilie der Ge- webe kann eben nur durch differentielle Kombinationsfärbung mittels basisch- sauren Farbgemischen bestimmt werden, und zwar müssen die Komponenten ausgesprochenen basischen und saueren Charakter haben, da bei in sich neu- tralen schwach basischen und schwach saueren Komponenten die Elektion sich 4) Vergleiche Unna, Monatsschrift f. prakt. Dermatologie, XXVIII, 1895) 2) Es scheint aber fraglich, ob diese „Keinfärbung* auch mit „Basi- chromatinfärbung“ identisch ist. 3) Auch Zschokke, Zeitschrift für wissenschaftliche Mikroskopie, V, 1888, S. 468 und Martin, ibid. VI, 1889, S. 193. Pappenheim, Färbetechnisches zur Kenntnis der Spermatosomata hominis. 381 allordings auch nur nach dem physikalischen Prinzip der Cymophilie vollzieht wie eben bei Gemischen aus Farbstoffen gleichen Charakters. Gewöhnlich pflegt man in neutralen Gemischen einen dunklen Kern- oder einen hellen Plasmafarbstoff anzuwenden. was Auerbach für seine Lehre ausnützt. Wählt man also einen ausgesprochenen basischen gelben und einen feinen violetten Farbstoff (Auramin- S Violett) so fällt das Färbeergebnis im Sinne der chemischen Elektion aus. Dass diese existiert und die Ergebnisse neutraler „triacider“ Farbgemische nicht auch etwa bloß von der Molekular- größe der angewandten Farbstoffe abhängen, beweist feıner das Vorkommen von histologischen Elementen höchster Basophilie (Mastzellengranula) sowie solcher absoluter Oxyphilie (Eosinophile Kömungen). Die Mastzellenkörner färben sich lediglich mit basischen Farbstoffen und retinieren den auf- genommenen Farbstoff sogar gegenüber Essigsäureeinwirkung (säue recht), und die «-Granula nehmen keinerlei basische Farbstoffe auf, echtfärbende saure Farben (blaue Sulfosäuren, starksaure, dunkler nuancierte Nitrofarben und Phtalein) wie das Eosin) aber sogar bei gleichzeitiger Anwendung von Entfärbungsmitteln, wie Glyzerin!), Aber wie diese eosinophilen Granulationen Gebilde höchster Oxyphilie vorstellen und sich mit ausgesprochenen echten basischen Farbstoffen, die keine sauren Gruppen enthalten, selbst bei gewaltsamsten Einwirken der letzteren nicht anfärben oder mechanisch imprägnieren lassen?), so scheint auch umgekehrt die Indulinsulfosäure ein Farbstoff zu sein, gegen den sich ver- schiedene Bacillen (Milzbrand, Typhus) unbedingt resistent und refraktär ver- halten. Jeder Farbstoff hat eben seine besonderen Eigentümlichkeiten und Vorzüge für bestimmte Zwecke, die sich aus seiner Konstitution ergeben und dann den Index für das biochemische Verhalten des betreffenden histologischen Substrates abgeben. Es ist also unzulässig, alle möglichen grünen, blauen und roten Farben als äquivalent in einen Topf zu werfen. Allerdings färbt bei regressiven Verfahren Azoviolett und $ Violett ziemlich distinkt und echt Kerne ebenso wie etwa Methylviolett oder Thionin bei progressiven, während helles gelbes basisches Phosphin und Vermin sie viel diffuser und unechter färbt. Trotzdem sieht ein mit Methylgrün gefärbtes Präparat ganz anders aus als ein mit Malachitgrün, Chromgrün oder Lichtgrün gefärbtes; desgl. wird Fuchsin nur von den Mastzellkörnungen aufgenommen, S Fuchsin aber nur von den Eosinopbilen. Aus dem voranstehenden ist also wohl soviel jedenfalls ersichtlich, dass zur Deutung der Färbungsergebnisse mit Farbmischungen in Betracht kommt, einmal die besondere Natur des Farbstofis; (Indulin S färbt Bacillen nicht, Methylgrün nur basophiles Nuklein). Ferner kommt es darauf an, ob die Ge- mische uur Farbstoffe desselben Charakters enthalten, wie das Glyceringemisch, oder ob sie neutrale Mischungen, wie die Triacide sind. Aus den Ergebnissen mit letzteren darf man stets einen Schluss auf das chemische Verhalten der Gewebsteile ziehen. Methylgrün aber als einzigen basischen Farbstoff ent- haltende triacide Gemische sind am besten zu vermeiden, weil dieser Farb- stoff nicht alle basophilen Substanzen sondern nur Nuklein färbt; besser 1) Die wasserreichsten gequollenen oder jungen Körner nehmen aus dem Glyceringemisch die blaue Sulfosäure, die reiferen und dichteren Körner die rote Karbonsäure, stärker erhitzte (aurantiophile) sogar die gelbe Nitrofarbe von noch kleineren Molekularvolumen auf. 2) Mit basischen Farben, die saure Gruppen enthalten (Chromgrün, Rho- damin) lassen sich die pseudoeosinophilen, amphophilen und indulinophilen Specialkörnungen färben. 389 Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. ind Gemische aus Methylenblau - Eosin, Methylenblau - Fuchsin - Orange G oder aber Methylgrün-Pyronin-Narcein. Nur in dem einen Fall, wenn man Ge- mische von Farbstoffen gleichen Charakters (Chromgrün - Fuchsin - Vesuvin; Glyceringemisch) angewandt hat, darf man von Cyanophilie und Xantophilie im Sinne Auerbach’s reden, und aus dem Ergebnis einen Schluss auf das mechanische Gefüge des histologischen Substrats ziehen, vorausgesetzt, dass nicht auch hier wieder Besonderheiten der Farbstoffe im Wege stehen, wie es bei dem von uns oben angewandten Methylgrün-Pyroningemisch betreffs des Methylgrüns der Fall sein dürfte. Ueber den Grad der Basophilie oder Oxy- philie darf man aus solchen Färbungen aber ohne weiteres nichts folgern. Für die freundliche Durchsicht und Prüfung meiner Präparate fühle ich mich Herrn Geh. Rat Neumann dankbarst verpflichtet. [41] Königsberg im Februar 1900. J. P. Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. (Schluss.) Wir kommen nun zu den speziellen Beobachtungen. Beginn der Sekretion. Hund mit großem und kleinem Magen. Hund nüchtern, kleiner Magen völlig leer. Hund frisst, kleiner Magen beginnt 5 Minuten nach der Fütterung zu sezernieren. Menge des Sekretes. Die Menge des Sekretes ist der Menge der Nahrung proportional, wie folgende Zahlen zeigen. Auf Verfütterung von 100 & Fleisch wurden abgesondert 26 ccm, ” n„ 200 8 ” » ” 40 ccm, 2) ae „ „ ” 106 cem. Bei einer bestimmten Ration gemischten Futters „ n 42 ccm, bei einer doppelt so großen Ration > 5 83 ccm. Verlauf der Sekretion beim Magen und beim Pankreas. a) Hund mit großem und kleinem Magen b) Hund mit Pankreasfistel erhält 100 g Fleisch erhält 600 cem Milch Sekret in der 1. Stunde 11,2 ccm, 8,75 ccm, = ll De 8,2 ccm, 7,9. :ccm, h Mana 4,0 ccm, 22,5 cem, h Mini, n 1:9 ccm, 9,0 ccm, e al = 0,1 cem, 2,0 ccm. Die stärkste Sekretion zeigt den Magen schon in der ersten Stunde nach der Nahrungsaufnahme, das Pankreas dagegen erst in der dritten. Eigenschaften der Sekrete. Dass qualitative Aenderungen bei den Sekreten vorkommen, ist längst bekannt. Ihr Wasser-, Salz- und Säuregehalt hängt u. a. von der Blutzufuhr zu den Drüsten und von der Zusammensetzung des Blutes ab. Aber auch der Fermentgehalt, auf den es doch vorwiegend ankommt, unterliegt ziemlich großen Schwankungen. Zur Bestimmung des Pepsins und Trypsins bedienten sich Pawlow und seine Mitarbeiter einer von 8. Mett ausgearbeiteten Methode. Sie Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. 383 brachten Eiweiß in Glasröhren von 1—2 mm lichter Weite zur Gerin- nung, schnitten die Röhren in passende Stücke und ließen auf diese im Glasmantel steckenden Eiweißeylinder die zu prüfende Fermentlösung einwirken. Je mehr Ferment vorhanden war, um so mehr wurde in einer bestimmten Zeit der Eiweißeylinder verkürzt. Die Beziehung konnte so formuliert werden: Die Pepsin- und T'rypsinmengen verhalten sich wie die Quadrate der Höhen der in Lösung gegangenen eylindrischen Biweißstücke (Relation von Borissow, durch polarimetrische Bestimmungen der Peptonmengen von Schütz bestätigt). Das diastatische Ferment wurde z. T. durch Titration des aus Stärkekleister gebildeten Zuckers nach Fehling bestimmt, z. T. nach einem Verfahren, das dem von $. Mett nachgebildet ist. Gefärbter dicker Stärkekleister wurde in ein enges Glasrohr gefüllt, dann das Rohr zerschnitten. Wirkte auf einen solchen Stärkecylinder amylolytisches Ferment ein, so nahm die Länge des Cylinders ab; die Größe dieser Abnahme erwies sich als ein gutes Maß für den Fermentgehalt (und zwar galt auch hier die Relation von Borissow-Schütz). Als Maß für den Gehalt des Pankreassaftes an fettspaltendem Fett (Steapsin) diente der titrimetrisch zu ermittelnde Säuregehalt einer Fettemulsion, auf die der Pankreassaft eingewirkt hatte. Die Menge des Sekrets und sein Fermentgehalt gehen durchaus nicht immer parallel; es kommt sehr reichliche Sekretion bei wenig Fer- ment und umgekehrt sehr spärliche Sekretion bei großem Fermentge- halt vor. Der Säuregehalt des Magensaftes scheint, genau untersucht, wenig zu schwanken. In praxi verschiebt sich freilich die Aeidität durch die neutralisierende Wirkung des alkalischen Schleims, der sich bald mehr, bald minder reichlich dem Magensaft beimischt. Von größtem Interesse ist die Abhängigkeit des Fermentgehalts von der Zusammensetzung der Nahrung. Bezeichnet man, der Kürze halber, mit „Brotsaft“, „Fleischsaft“, „Milchsaft“ die nach Verfütterung von Brot, Fleisch, Milch abgesonderten Sekrete und prüft man deren ver- dauende Kraft, so ergiebt sich beim Magensaft: Brotsaft hat die größte peptische Kraft (= 6,64 mm Eiweißsäule), Fleischsaft hat eine mittlere peptische Kraft (= 3,99 mm Eiweißsäule), Milchsaft hat die kleinste peptische Kraft (= 3,26 mm Eiweißsäule). Bei Fleisch und Milch wird aber mehr Sekret geliefert als bei Brot; hinwiederum dauert die Sekretion nach Brotfütterung am längsten (schlep- pende Verdauung). Das Pankreassekret zeigt folgende Aenderungen: am meisten 'Trypsin enthält der Milchsatft, weniger Trypsin enthält der Brot- und Fleischsaft, am meisten Diastase enthält der Brotsaft, am meisten Steapsin enthält der Milchsaft. Alle diese Befunde sprechen deutlich dafür, dass die Verdauungs- säfte sich nach Menge, Fermentgehalt und zeitlichem Verlauf ihres Auf- tretens den Anforderungen der Nahrung anpassen. Aber diese Anpassung erfordert doch auch wieder eine gewisse Zeit. Lehrreich ist in dieser Beziehung folgende Beobachtung. Ein Hund mit Pankreasfistel erhält täglich Milch und Weißbrot. Das Sekret ist reich an Diastase. Nach 3854 Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. 1!/, Monat wird der Hund auf 1!/, Pfund Fleisch täglich gesetzt: der Trypsingehalt geht von Tag zu Tag in die Höhe, der Diastasegehalt fällt. Solche Befunde lassen die Bedeutung der Gewöhnung an bestimmte Ernährungsweisen erkennen und erklären auch, warum plötzliche Ueber- gänge zu ganz anderer Kost unter Umständen schwere Verdauungsstö- rungen hervorrufen können. Bedeutung der Innervation der Verdauungsdrüsen. Dass eine den Appetit reizende Erregung des Geschmackssinns nicht bloß die Speichel-, sondern auch die Magensaftsekretion lebhaft anregen kann, ist bekannt. Schon eine einfache Magenflstel giebt hierüber unzwei- deutige Auskunft. Am besten aber lässt sich die Wirkung dieses Reizes an einem oesophagotomierten Hund mit Magenfistel erkennen. Setzt man einem solchen Hund, ehe ihm seine Futterration in den Magen gelegt worden ist, Fleisch vor, so fällt er gierig darüber her und schlingt auch die Bissen, die nach jedem Schlingakt aus dem offenen Ende des Oeso- phagus an der Seite des Halses herausfallen, immer von neuem herunter. Von der Vergeblichkeit seines Beginnens, so lange er sich auch damit beschäftigt, merkt er nichts. Diese „Scheinfütterung“ führt nun zu einem sehr kräftigen Fluss des Magensaftes. Es gelingt oft 500 und mehr cem in mehreren Stunden aufzufangen. „Sie können von Ihrem Hunde Magensaft beinahe ebenso gewinnen, wie man von einer Kuh Milch ge- winnt* (Pawlow). Die hier in Betracht kommende reflektorische Er- regung der Magendrüsen wird durch den Vagus vermittelt. Denn durch- schneidet man beide Vagi (rechterseits unterhalb des Abgangs der Rami cardiaci und des Laryngeus infer.!), so bleibt der so überaus mächtige Reiz des Fressens wirkungslos; woraus aber nicht geschlossen werden darf, dass der Magen überhaupt nicht mehr sezerniert. An einem Hund mit Pankreasfistel konnte Pawlow sich auch von dem Einfluss des Vagus auf das Pankreas überzeugen. Wenn er nach der Durchschneidung des Vagus vier Tage wartete, bis die Herzfasern ihre Reizbarkeit verloren hatten, und dann den peripheren Stumpf reizte, so erhielt er eine beträchtliche Steigerung der Sekretmenge. Was ist nun bei dem Erfolg der Scheinfütterung das Ausschlag- gebende? Das Verschlucken von Schwammstücken oder Steinen ist ganz wirkungslos, ebenso die Applikation stark reizender Stoffe, wie Pfeffer, Senf, Bitterstoffe, Säuren. Es bleibt als Ursache des plötzlich ein- setzenden starken Sekretflusses nur übrig das heftige Verlangen nach Speise, der Appetit. Bei fressgierigen Hunden fördert das Necken mit vor- gehaltenen Fleischspeisen fast ebensoviel Magensaft zu Tage als der Fress- akt selbst. Der „Appetitsaft“, wie ihın Pawlow nennt, kann natürlich bei Hunden mit einem großen und einem kleinen Magen aus beiden aufgefangen werden, wenn der große noch eine Fistel hat; man findet, dass die Sekretion in beiden gleich stark ist. Wird das Futter gierig aufgenommen (Hund mit großem und mit kleinem Magen, nicht oesophagotomiert; der große Magen ohne Fistel), so fließt bei Fleisch und bei Brot gleich viel Appetitsaft. Später jedoch ändert sich die Sekretion in dem einen Fall gegenüber dem andern, der mit Brot gefüllte Magen liefert ein spärlicheres, aber ferment- reicheres Sekret. Der Appetitsaft bedingt für den Gang der Verdauung Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. 355 große Unterschiede: führt man einem Hund Brot oder hartes Eier- eiweißß durch die Fistelöffnung in den Magen, ohne dass er von dieser Fütterung etwas merkt, so bleibt die Sekretion stundenlang aus. Damit steht freilich die Lehre von der Wirksamkeit der mechanischen Reize im Widerspruch. Aber diese Lehre entbehrt ganz und gar der sicheren Begründung und kann überhaupt nicht mehr aufrecht erhalten werden, Denn es lässt sich durch sorgsame Versuche, bei denen alle nicht ge- wollten Einflüsse ausgeschlossen werden, zeigen, dass die mechanischen Reize gar nicht wirksam sind. Berühren der Magenschleimhaut mit einer Federpose, Abwischen mit Schwämmen, Ausblasen des Magens mit scharfem Sand — alles dies ist erfolglos, wenn jede Erregung des Appetits ver- mieden wird. Bei der normalen Verdauung schließt sich im Gang der Sekretion an den Appetitsaft der infolge des chemischen Reizes der Schleimhaut abgesonderte Saft an. Von den in Frage kommenden Substanzen wirken sekretionsanregend Wasser, Fleischextrakt, gewisse Peptonpräparate (reine Albumosen und reine Peptone erregen nicht), Fleischbrühe, Milch, Gelatinelösung, frisches gehacktes Fleisch (ausgekochtes Fleisch wirkt nicht anregend), sekretionshemmend Soda, weder fördernd, noch hemmend NaCl, HCl, die Bestandteile der Fleischasche, gekochtes Eiweiß, Stärke, Fett, Trauben- und Rohrzucker, Bei gemischter Kost wurde die sekretionsanregende Wirkung des frischen Fleisches durch Beigabe von Olivenöl bedeutend herabgesetzt: Beigabe von Stärke erhöhte dagegen die Verdauungskraft des Sekretes. Die normale Verdauung führt fast immer zu einer Kombination des Appetitsaftes mit dem auf chemische Reize hin sezernierten Saft. Zuerst wird die Verdauung durch den Appetitsaft in Gang gebracht, „angezündet“ (‚Zündsaft“); ist sie „angezündet“, so entstehen auch chemisch wirksame Verdauungsprodukte, die nunmehr die Sekretion weiter anregen und da- mit die Verdauung fortführen. Unterstützend wirken dabei die in der Nahrung von vornherein enthaltenen oder ihr absichtlich zugesetzten chemischen Erreger. Der chemische Reiz wirkt jedenfalls auf die Endigungen sensibler Nerven, nicht unmittelbar auf die Drüsen; die Sekretion wird also auch durch die chemischen Erreger reflektorisch hervorgerufen, Bei dem Pankreas sind die chemischen Erreger ganz andere Körper als beim Magen. Führt man einem Hunde mit Pankreasfistel HCl in den Magen ein, so wird die Absonderung des Pankreassaftes mächtig an- geregt. Aehnlich wirken Phosphorsäure, Essigsäure, Citronensäure, Milch- säure. Bei dem normalen Gang der Verdauung regt der saure Magen- inhalt reflektorisch durch Reiz der Duodenalschleimhaut die Pankreas- sekretion an. Neutralisiert man den Mageninhalt, so wird die Pankreas- sekretion verzögert. Resorption von Salzsäure spielt dabei keine Rolle; es lässt sich direkt beweisen, dass die Säure, um erregend zu wirken, die Duodenalschleimhaut treffen muss. Ob Stärke die Thätigkeit des Pankreas hervorzurufen vermag, ist noch nicht ausgemacht. Dagegen steht. fest, dass Fett stark sekretions- xXX. 25 386 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. anregend wirkt. Auch Wasser ist ein direkter, selbständiger Erreger des Pankreas. Alkalien und Alkalikarbonate wirken hemmend.. Dass es auch für das Pankreas eine psychische Anregung (Appetitreiz) der Sekretion giebt, unterliegt kaum mehr einem Zweifel. Indessen sind doch hierüber wie auch über andersartige Erregungen des Pankreas noch weitere Versuche anzustellen. Diese Versuche erfordern stets besondere Vor- sicht, da fast immer die Möglichkeit besteht, dass bei Prüfung irgend- welcher Erreger zuerst die Magensekretion einsetzt und dann sekundär durch Säurewirkung die Pankreassekretion nach sich zieht. Dies der Inhalt des Pawlow’schen Buches. Wir sind, ohne ihn zu erschöpfen, in seiner Wiedergabe absichtlich etwas ausführlicher gewesen, weil wir die Befunde selbst sprechen lassen wollten. Die Kritik kann sich kurz fassen. Ob alle hier dargelegten Resultate im einzelnen jeder Nachprüfung standhalten werden, bleibt abzuwarten; das aber dürfen wir unumwunden anerkennen, dass die Pawlow’schen Untersuchungen einerseits die physiologische Technik um eine Reihe wertvoller Methoden bereichert, andererseits die Lehre von dem Einfluss des Nervensystems auf die Verdauung ganz außerordentlich gefördert haben. Und weil in letzterer Beziehung ihre Ergebnisse über eminent wichtige praktische Fragen Licht verbreiten, so werden sie, was nicht gering zu veranschlagen ist und was Pawlow stets als ein erstrebenswertes Ziel vorschwebte, der Ernährungstherapie sehr zu gute kommen. Oskar Schulz (Erlangen). |29] Die Planktonfänge mittels der Pumpe. Von Hans Bachmann (Luzern). Veranlassung zu den folgenden vorläufigen Mitteilungen giebt mir der Aufsatz von Dr. OÖ. Fuhrmann „Zur Kritik der Planktontechnik“, welcher in Nr. 17 Bd. XIX dieser Zeitschrift erschien. Auch das rege Interesse, welches man der Erforschung der Süßwasserseen entgegenbringt, sowie meine Ueberzeugung, dass die Technik dieser Untersuchungen noch lange nicht vorwurfsfrei ist, bewegen mich, über die Erfahrungen mit der Pumpmethode einen kurzen Bericht zu veröffentlichen und dadurch ander- weitige Erfahrungen in die Diskussion zu ziehen. 1. Wert der quantitativen Planktonbestimmung. Bei dem Studium der Süßwasserbewohner hat man sich nicht damit be- gnügt, eine Liste der Organismen aufzustellen und der Lebensweise der ein- zelnen Arten nachzuspüren, sondern man warf auch die Frage auf: welches ist die Produktionsfähigkeit der Seen ? Dies führte zur'quantitativen Plank- tonbestimmung. Diese letztere scheint viele Planktologen so sehr zu be- schäftigen, dass sie darob weit wichtigere Fragen gänzlich vergessen. Ist es denn so wertvoll, zu wissen, wie viele Millionen die- ser oder jener Alge, dieses oder jenes Krusters ein Wasser- beeken bewohnen? Wenn ja, dann müssen wir eine Fangmethode anwenden, welche aus einer bestimmten Wassermenge alle schwebenden Organismen fängt und der quantitativen Untersuchung zugänglich macht. Dass von den bisherigen Methoden keine genügt, darauf haben Kofoid und Fuhrmann hingewiesen. Um eine genaue quantitative Be- stimmung zu machen, darf nach meiner vollen Ueberzeugung überhaupt kein Netz als Filtrator verwendet werden. Ich Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 387 gebrauche zu meinen Planktonstudien in Vierwaldstättersee und im Baldeggersee Seidengaze Nr. 20, also die feinste Nummer, welche er- bältlich ist. Dieselbe besitzt eine Maschenweite von 54—70 u. Ver- gleichen wir damit die Mafßzahlen der gewöhnlichen Planktonalgen, so ergiebt sich, dass die meisten unter günstigen Stellungen zur Maschenöff- nung hindurchschlüpfen können. Es mag ein Netz noch so vollkommen konstruiert sein, es wird nie- mals sämtliche Organismen der filtrierten Wassersäule fangen. Es werden nicht nur viele Organismen aus dem Innern des Netzes nach außen treten, sondern ohne Zweifel werden auch von der das Netz umgebenden Wasserschicht Organismen durch die Seidengaze in das Netz hinein- gelangen und dort gefangen. Im Baldeggersee, wo Oscillatoria rubes- cens De. massenhaft vorkommt, konnte schon makroskopisch nachgewiesen werden, dass diese Alge sehr zahlreich die Maschen passiert. Vertikal- fänge sind zur genauen quantitatiygn Planktonbestiimung unbrauchbar. Experimentell könnte nun bestimmt werden, der wie- vielte Teil der wirklichen Planktonmenge zurückbehalten wird, wenn das Netz bei jedem Zuge die gleiche Filtration aufwiese. Dass dieses nicht der Fall ist, das zeigt die oberflächlichste Betrachtung der Schwebeflora. Liegt das Oscillatoria-Stäbehen quer zur Maschenöffnung, dann wird es zurückbehalten, sonst aber schlüpft es hindurch. Ist das Vorderhorn von Ceratium nach der Maschenöffnung gerichtet, dann schlüpft es hindurch, liegt es schief, dann bleibt es zurück. Wird das Netz nicht sehr lang- sam gezogen, dann wird infolge des Zuges, der gleichsam eine Strömung durch die Netzmaschen hervorbringt, ein größerer Teil von Organismen verloren gehen, als bei langsamem Zuge. Unter diesen Umständen wer- den sogar Organismen aus dem Netze gezogen, die einen größeren Durchmesser besitzen, als die Maschenöffnungen. Dieses betrifft nament- lich die kolonienbildenden Algen, wie Dotryococcus Braunii, Olathro- eystis aeruginosa, Anabaena flos aquae ete. Diese Kolonien werden, an der Maschenöffnung angekommen, durch den Wasserzug in dieLänge gestreckt und zusammengedrückt. Auf diese Weise schlüpfen sie mit großer Leich- tigkeit aus dem Netze heraus. Wenn auch durch den Gebrauch des Netzes die Maschenöffnungen kleiner werden, so sind diese Löchelehen doch immer noch zu groß,. um sämtliche Organismen zurückzubehalten. Ich mache aber noch auf einen anderen Uebelstand aufmerksam. Bei sehr langsamem Aufziehen des Netzes liegt die Gefahr nahe, dass das Netz nicht senkrecht hängt. In diesem Falle liegt erstens das Netz nicht in der Tiefe, welche durch die Schnurmarke angegeben wird und zweitens wird, da das Schiff vom Winde fortgetrieben wird, eine größere Wassersäule filtriert, als die Schnurmarke angiebt. Eine genaue Bestimmung der fil- trierten Wassersäule ist da unmöglich. Durch Anbringen eines Gewichtes und durch geschicktes Rudern kann die Schnur in die senkrechte Lage gebracht werden. Aber auch in dieser Lage kann das Netz mit dem Schiffe eine horizontale Bewegung durchmachen, welche dem Netze eine seitliche Wasserströmung und eine Veränderung der Filtration verursacht. Da also auch die filtrierte Wassermenge, abgesehen von der Veränderung des Filtrationskoeffizienten, worauf Kofoid und Fuhrmann hingewiesen, nicht bestimmt werden kann, sind zur genauen quantitativen Plankton- bestimmung Vertikalzüge mit dem bestkonstruierten Netze unbrauchbar. 25 * 388 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. Will man eine bestimmte Wassersäule filtrieren, dann kann als einziges Mittel die Pumpe angewendet werden. In Seen von geringer Tiefe wird es leicht möglich sein, eine bestimmte Wassermenge aus allen Plankton produzierenden Tiefen zu pumpen. In tieferen Seen ist zuerst die Frage zu beantworten, wie tief hinunter Planktonorganismen vor- kommen. Im Vierwaldstättersee habe ich bis zur Tiefe von 70m ge- pumpt und aus dieser "Tiefe lebende Kruster und Algen erhalten. Eine Wassersäule von 70 m zu durchpumpen ist mit so vielen Schwierigkeiten verbunden, dass man deren Notwendigkeit gerne vorher überlegt, bevor man sie ausführt. Gesetzt der Fall, man würde eine senkrechte Wasser- säule von z. B. 100] auspumpen, so muss man dieses Wasser fil- trieren. Was soll nun da als Filter verwendet werden? Obschon die Seidengaze, wenn das Filter nicht durch das Wasser gezogen wird, be- deutend vorteilhafter ist, als beim Vertikalzuge, so haften ihr doch noch so viel Fehler an, dass auch dadurch eine genaue quantitative Bestimmung unmöglich ist. Man müsste zu diesem Zwecke Papier- oder T'honfilter verwenden. Ich kenne die Berkefeldfilter, welche Kofoid gebraucht, nicht, kann aber zum voraus den Papierfiltern deswegen keine Sympathie entgegenbringen, da die Planktonorganismen an den Wänden hängen bleiben. Auch die Thonfilter eignen sich zu diesen Zwecken nicht, wie meine Experimente mit zwei 'T'honzellen es bewiesen. Ein Filter, das alle Organismen zurückbehält, filtriert langsam und befördert dadurch das Ankleben der Organismen an die Wände zu sehr, als dass es praktisch verwendet werden könnte. Eine vorwurfsfreie Methode zurgenauen quantitativenPlanktonbestimmung ist weder die U enauLUe des Netzes noch diejenige der Pumpe. Die zuverlässigste ist die Pumpmethode. Mit Recht ınan ne Planktonforschern die Frage auf, ob denn die genaue quantitative Planktonbestimmung von oben edit. lichen oder praktischen Werte sei? Man studiert wohl die Produktions- fähigkeit des Wiesen-, des Waldbodens, der Alpentriften ete. Mit Rück- sicht darauf, dass die Süßwassermassen noch vor wenigen Dezennien als eine an Organismen arme Zone aufgefasst wurden, ist es interessant zu vernehmen, welche enormen Mengen an organischer Substanz da erzeugt werden. Aber so wenig es einem Zoologen einfällt, die Individuenzahl von irgend einer Wirbeltier- oder gar z. B. einer Insektenspecies festzu- stellen, welche eine Gegend, d. h. das Land- und Luftleben hervorbringt, so wenig Wert hat eine genaue quantitative Zooplanktonbestimmung. Und so lächerlich es wäre, auf einer Wiese die Individuen von Tarazacım offieinale zu zählen, um eine genaue quantitative Bestimmung der Wiesenflora fest zu stellen, so lächerlich muss einem Nichtplanktologen die Zählung der Algenspecies vorkommen, um ein genaues Bild der Produktionsfähigkeit des Wassers zu erhalten. Ich mag es überlegen, wie ich will, so kann ich einer mathematisch genauen Feststellung der Planktonmenge keinen großen Wert zuschreiben. Die quantitative Planktonbestimmung hat nur einen Sinn, wenn sie zu tier- oder pflanzengeographischen Zwecken Verwendung findet oder aber in den Dienst der biologischen Beobachtungen ge- stellt wird. Bei dem Studium der geographischen Verbreitung eines Organismus findet man, dass ein See eine Species in großer Ueppigkeit Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 389 besitzt, ein anderer See zeigt dieselbe Art in untergeordnetem Grade, während sie in einem dritten See nur sehr vereinzelt auftritt. Um nun statt der allgemeinen Ausdrücke: „vorherrschend“, „häufig“, „vereinzelt“ etc. bestimmtere Vergleichungsfaktoren zu haben, bietet die quantitative Be- stimmung ein wertvolles Mittel. Mir liegen Planktonfänge von 24 Schweizer- seen vor, welche Dr. Burckhardt von Basel Ende August und Anfang September 1898 getischt hat. Ich bestimmte in diesen Proben die Pflanzen nach der gewöhnlichen Schätzungsmethode und fand z. B. Ceratium hirundinella OÖ. Müll. mit dem Prädikat „häufig“ zu be- zeichnen in folgenden Seen: Genfersee, Jouxsee, See von Brenets, Murten-, Bieler-, Comer-, Luganer-, Thuner-, Brienzer-, Lungern-, Sarner-, Zuger-, Aegeri-, Walen-, Greifen- und Untersee. Dass aber das wirkliche Auf- treten von Üeratium hirundinella in. diesen Seen ein verschiedenes war, zeigt uns eine Zusammenstellung der gesamten Planktonmengen, welche Burekhardt in den angeführten Seen, wie folgt, bestimmt hat: Genfersee 0,8 cm? Murtensee 0,85 cm? Luganersee 1,5 cm? urn al), 0, Bieler2 3.140 Ser elhunerern 2, AR Brenets „ 1,8. , Comer“ «,' 1,6 »' y Brienzer »,..0,8,=, Lungen„ 30 „ Bares a2 MR Zuger nr. ls 02075 Never „ 0,8, Walen. a... 07. ", Greifen! 02,2. Unter „ 15 Nur müssen an den zu vergleichenden Seen die gleichen Methoden oder solche angewendet werden, welche unter sich einen Vergleich zulassen. Noch wichtiger ist die quantitative Planktonbestimmung zum Studium der Biologie der einzelnen Organismen. Im allgememen sind die physiologischen Bedingungen, welche das Süßwasser den Organismen bietet, überall, wenn nicht die gleichen, so doch die analogen. Man wird sich daher nicht verwundern, in pflanzengeographisch total verschiedenen Gegenden die nämliche Planktonzusammensetzung zu finden. Und doch werden die verschiedenen Seen zu der gleichen Zeit große Ab- weichungen aufweisen. Um nun diese Abweichungen deutlich zum Aus- drucke zu bringen, wird die quantitative Planktonbestimmung ein wich- tiges Hilfsmittel sein. Aber auch während des Jahres ändert sich das Vegetationsbild eines Sees ganz bedeutend. Um diese Aenderung auf demonstrativem Wege zur Anschauung zu bringen, wird wiederum die quantitative Bestimmung wertvolle Dienste leisten, wie sie auch über vertikale und horizontale Verbreitung der Planktonorganismen zu Ver- gleichszwecken brauchbare Angaben macht. Alle diese quantitativen Be- stimmungen sollen aber nur ein Mittel. sein, um wichtige biologische Erscheinungen aufzudecken: dann sollen aber die Experimente eintreten, um die physiologische Erklärung zu liefern. Ich sehe nicht ein, warum vertikale Netzfänge zum Studium der Planktonveränderung während des Jahres nicht ganz brauchbares Material liefern. Ob Apstein’sches Netz oder diese oder jene Verbesserung, wird wenig zu bedeuten haben. Da- gegen eine Frage sollte niemals durch einen Netzzug beantwortet wer- den, die Frage nach dem Aufenthaltsorte der verschiedenen Organismen in der vertikalen Wassersäule. Darüber kann und wird nur die Pump- methode genügenden Aufschluss geben. Die Stufenfänge und die Anwendung des Schließnetzes werden durch die Pump- methode weit übertroffen. Das ist auch ihr größter Vorteil, 390 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. dass sie ganz genaue Angaben über den Aufenthaltsort der Planktonten macht und dadurch das Studium der physio- logischen Bedingungen sehr erleichtert. 2. Anwendung der Pumpe bei der Untersuchung des Vierwaldstättersees. So viel mir bekannt, ist der Vierwaldstättersee der erste europäische Süßwassersee, wo die Pumpe zur Anwendung kommt. Die Einrichtung besteht aus folgenden Utensilien: Pumpe, Schlauch, Kessel und graduierte Schnur, Die Pumpe ist eine Flügelpumpe, wie sie bei uns von den Spezereihändlern als Petroleumpumpe gebraucht wird. Diese Pumpe ist so montiert, dass sie an den Rand einer jeden Schiffswand angehängt und angeschraubt werden kann. Der größte Uebelstand bei dieser Pumpe besteht darin, dass sie intermittierend und nicht kontinuierlich Wasser liefert. Der Wasserstrahl wird mit ziemlicher Gewalt herausgestoßen, so dass dadurch die Organismen durch das Netz hindurch geschleudert würden. Des- halb bringt man das Schlauchende der Ausflussöffnung in ein Oylinderglas, wodurch der Wasserstrahl gebrochen wird. Das überfließende Wasser wird dann filtriert. Als Schlauch verwende ich englischen Gummischlauch mit Leinwandeinlagen von 10 mm Lichtweite. Der Schlauch ist in verschie- dene Stücke geteilt, welche durch gut schließende Schrauben zusammen- gesetzt werden können. Am Ende des Schlauches ist ein 'Triehter ange- bracht, um das Entweichen der Organismen vor der Schlauchmündung zu verhindern. Bis zu 25m Tiefe liefert die Pumpe 10 Liter Wasser in ca. 5 Minuten. Von 30 m an wird die Wassermenge in der gleichen Zeit immer geringer, denn die Reibung des Wassers an den Schlauch- wänden ist so groß, dass das Wasser nicht mehr so rasch nachfließt, als es herausbefördert wird. Bei 70 m Tiefe gebraucht man für 10 Liter ca. 15 Minuten Pumpzeit. Es wäre jedenfalls ein Schlauch von größerem Durchmesser für diese Zwecke günstiger. An einer graduierten Schnur befestigt man den Trichter und lässt ihn zu der gewünschten Tiefe hin- unter. Zuerst pumpt man den vermutlichen Inhalt des Schlauches aus. Dann wird die gewünschte Wassermenge in das kleine Apstein’sche Netz gepumpt, welches in einem Kessel von bestimmtem Inhalte hängt. Als Kessel verwende ich einen eylindrischen Zinkkessel von der Höhe, dass das Netz frei im Innern hängt. Auf der Seite giebt eine Wasserstands- röhre die gewünschte Wassermasse an. Nachdem mit dem filtrierten Wasser die Netzwände gut äbgespült sind, wird aus dem Filter der ‚Inhalt abgelassen und der Filter noch gut abgespült. Auch die Spritz- flasche wird nur mit filtriertem Wasser gefüllt. Soll der Fang quantita- tiv verwendet werden, so wird er mit Formol beschickt. Auf den ersten Blick scheint die Pumpmethode etwas mühsam zu sein. Bei einiger Uebnng wird man in 1!/, Stunden 160 Liter Wasser aus ver- schiedenen Tiefen pumpen und filtrieren, welche Arbeit den Stufenfängen weit vorzuziehen ist. Auch sind die Stufenfinge und das Ziehen des Schleppnetzes mit wenigstens ebensoviel Mühe verbunden; die Resultate sind aber nicht im mindesten an Genauigkeit den vorhergehenden gleich. Wie für die Netzfänge ist auch für diese Arbeit ein verhältnismäßig ruhiger See notwendig. Dass durch die Pumpe die Organismen nicht getötet werden, das beweisen die zahlreichen muntern Kruster, welche im Fläschehen sich herumtummeln. Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 5391 3. Quantitative Bestimmung der Fänge. Zur quantitativen Bestimmung der Fänge ist es notwendig, das Filtrat des Apstein’schen Netzes noch mehr zu konzentrieren. Zu diesem Zwecke bediene ich mich des Apparates, wie ihn Sekundarlehrer Hool bei der Untersuchung des Rothsees gebraucht. Ich gebe im folgenden die Beschreibung, welche mir Herr Hool gütigst zustellte: „Zur Konzentration der Planktonfänge, welche das Material zu den nachstehenden Zählungen lieferten, bediente ich mich eines Filtrierappa- rates, wie er in verkleinertem Maßstabe durch die beigefügte Zeichnung dargestellt ist (siehe Figur). Derselbe ist im Grunde genommen, einige Abänderungen ausgeschlossen, ein kleiner Apstein’scher Filtrator. An einem ca. 6 cm langen, trichterförmigen Netzchen aus feinstem Beuteltuch ist ein 5 cm? fassendes Metalltrichterchen mittels eines Klemmringes befestigt. Der obere Rand des Netzchens besitzt ebenfalls eine Metallfassung, die genau in das Randgesenke eines T'ragringes passt, der an einem ca. 4 dm hohen Stativ verschiebbar befestigt ist. Zwischen dem obern und untern Rande des Netzchens befindet sich, vom Apstein’- schen Filtrator abweichend, keine metallische Verbindung, so dass das Metalltrichterchen nach allen Richtungen hin bewegt werden kann. 392 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Punipe. Drei Schnüre helfen den Metalltrichter tragen, aber so, dass das 'Tuch keine Falten wirft, sondern in glatten Wandungen abfällt. Der Vorgang des Filtrierens von irgend einer Planktonprobe ge- staltet sich nun in folgender Weise. Das Plankton wird, falls es sich bereits auf dem Boden des Konservierungsglases abgesetzt hat, zuerst wicder mit dem Wasser vermengt und dann in den Trichter gegossen. Indem dessen Wandungen nach mit den Fingern gestrichen wird, kann das überschüssige Wasser rasch zum Abfließen gebracht und in. einem Papier- filter aufgefangen werden, so dass allfällige Organismen, welche auch hier wie beim Apsteinnetz das Seidentuch durchdringen, nicht für die Zäh- lung verloren gehen. Durch ein Neigen des Metalltrichterchens kann auch aus diesem das Wasser fast vollständig ausgegossen werden. Mittels einer Spritzflasche werden nun die dem Tuche anhaftenden Organismen in den Metalltrichter abgespült, bis letzterer sich wieder mit ca. 4 cm? Wasser angefüllt hat, worauf letzteres in einen Messeylinder abgelassen wird. Das Wasser im Papierfilter wird in einen Erlenmeyer abgesaugt, was am besten und einfachsten mit Hilfe des Mundes geschieht. Ist im Papierfilter nur noch ein kleiner Ueberrest von Wasser vorhanden, so wird derselbe unter gleichzeitigem Nachspülen mit der Spritzflasche eben- falls in den geschlossenen Metalltrichter gegossen und von hier in den Messcylinder abgelassen, wobei abermals nachgespült wird, was diesmal natürlich bei geöffnetem "Trichter geschieht. Mit dieser Filtrationsmethode gelingt es bei einiger Uebung binnen einer Viertelstunde jeglichen Planktonfang auf 10cm? zu konzentrieren. Es ist dabei allerdings noch zu bemerken, dass gewisse Organismen wie z, B. Olathroeystis, Oseillaria, Peridinium etc. trotz aller Sorgfalt bei der Filtration verloren gehen, da sich dieselben nur unschwer oder gar nicht aus dem Papierfilter herausspülen lassen; allein die Zahl derselben ist, wie man sich zu jeder Zeit durch Absuchen des Filters unter dem Mikroskop leicht überzeugen kann, eine so kleine, dass dieser Fehler bei der Zählung außer Betracht fällt. Diese in aller Kürze beschriebene Filtrationsmethode dürfte vor andern vielleicht noch den Vorteil genießen, dass bei ihr die Organismen voll- ständig unbeschädigt bleiben und so auch nach der Zählung qualitativ verwendbar sind.“ Das Pumpmaterial, gewöhnlich aus 10 1 Wasser stammend, kon- zentriere ich gewöhnlich auf 10 cm? Volumen, das Material aus Vertikal- fängen dagegen auf 20cm?. Bei reichlichen Planktonmengen (d,. h. bei mehr als 0,2 cm?) wird vor der Bestimmung, die gewöhnlich einen Tag nach der erwähnten Konzentration erfolgt, das Volumen des abgesetzten Planktons abgelesen. Hierauf schüttle ich das Filtrat laugsam hin und her, um dasselbe zur gleichmäßigen Verteilung der einzelnen Organismen zu bringen. Von diesen 10.cm? wird 1cm? auf einen Objektträger ge- gossen, auf welchen ein Metallrahmen aufgeklebt ist, der bei der Be- deckung mit einem zweiten Objektträger 1 cm? Raum abschliesst. Es ist nicht ratsam, das Filtrat mit einer Pipette auf diesen Objektträger zu bringen, da an den Wänden der Pipette viele Organismen hängen bleiben. Ich lege das Deckglas derart schief auf den Metallrahmen, dass von dem Raume eine kleine Einflussöffnung und an der entgegengesetzten Seite eine Oeffnung zum Entweichen der Luft frei ist. Wird nun das Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 395 gut gemengte Filtrat etwas rasch eingegossen, so sind in dieser Objekt- trägerkammer die Organismen ziemlich gleichmäßig verteilt. Nun können die einzelnen Arten gezählt werden. Im Okular ist eine quadratische Oeffnung aus einem Papier oder Blech herausgeschnitten, durch welche 1 mm? Gesichtsfeld abgegrenzt ist. Mit diesem Zählokular zähle ich 50 mm? ab, was bei einer Pumpprobe ca. 30 Minuten, bei einem Ver- tikalfange 1 Stunde erfordert). Auf diese Weise erhält man eine statisti- sche Tabelle, worin das gegenseitige Verhältnis der einzelnen Organismen zum Ausdrucke kommt. Diese statistischen Tabellen, namentlich die- jenigen der Pumpproben aus verschiedenen Tiefen werden es sein, welche mannigfache biologische Aufschlüsse geben können. 4. Beispiele von quantitativen Bestimmungen nach voriger Methode. a) Vierwaldstättersee. Untersuchung vom 26. August 1899. Mit der Pumpe wurden aus jedem Meter Tiefe 61 Wasser gepumpt und das Filtrat nach dem 4., 8., 12., 16., 20. m gefasst und bestimmt. Aus der Strecke von 20—30 m wurden 20 | gepumpt. Resultat der Zählung von 50 mm? geschüttelten auf 10 cm? konzentrierten Filtrats. |0-—4 m!5—-8m| 9—12/13— 16,17—20]21— 30 1. Peridinium einetum | 2 — 4 — 1 2. Ceratium hirundinella Verl zes | #6 5 6 7 20 3. Dinobryon divergens | == _ 2 5 6 43 4, „ stipitatum ln Bel | 3 3 1 1 5. Anabaena flos aquae | un) = 41 6) | 2 6. Asterionella gracillima | 3 el) 10 24 302 1F 56 7. Fragilaria erotonensis I: 24.1231 43 54 54 | 119 8. Uyclotella comta var.? | 3 50 65 98 63 104 9. $ „ var. radiosa | 2 N 1 1 2 | — 10. Botryococcus Braune | —- |: - | — _ 1 1 11. Sphaerocystis Schroeteri OA & 2 2 Diese Zahlen müssen nun mit 200 multipliziert werden, um die wirkliche Menge in dem gepumpten Wasser zu ergeben. Die unsichersten Werte werden also diejenigen sein, wo bei der Zählung von 50 mm?’ weniger als 5 Individuen gezählt wurden. Unterschiede von 5 können als Andeutung, Unterschiede von mehr als 10 Individuen in den verschie- denen Zählkolonnen sind als entschiedene Verschiedenheit der wirklichen Planktonmenge anzusehen. In der Liste der wirklichen Planktonmenge sind zur andeutungsweisen Verschiedenheiten eine Differenz von 1000 und zum Beweise eines sicheren Unterschiedes eine Differenz von 2000 not- wendig. 1) Amberg-Schröter’sche Methode. 394 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. Nach obiger Zählung beträgt die wirkliche Planktonmenge. (25 1) | 0—4 | 5-8 | 9—12]13—16117—2021— 30 1. Peridinium cincetum 200 ME] 8001|. — | 200 2. Ceratium hirundinella 3400 1200 | 41000 4200 , 1400 4000 3. Dinobryon divergens | — _ 400 1000 , 1200 | 8600 4. stipitatum 1600 | 7800| 600: 600| 2001 200 5. Anabaena flos aquae I 2200 1600 4001| — 6. Asterionella gracillima 600 2000 2000 2800 | 6000 11200 7. Fragillarina crotonensis ' 4800 | 6200 , 8600 10800 | 10800 23800 3. Cyelotella comta var ? 600 , 10000 ‚15000 | 11600 | 12609 | 20800 9. s „ var. radiosa | 400) 200| 200. 200| 400) — 10. Botryococcus Brauniüi I — = —_ 200 | 200 11. Sphaerocystis Schroeteri 2000 ı 800 | 2001 18001 400, 400 Am gleichen Tage wurden mit dem kleinen Apsteinnetze Vertikalfänge aus 30 und aus 80 m gemacht, resultate folgende sind: und dem mittleren deren Zähl- a — kleines Netz. °b.,== mittleres. Netz. | 30 m 80 m | a | b an).b 1. Peridinium cinctum | — 2. Ceratium hirundinella 4200 | 3000| 3200 | 3000 3. Dinobryon divergens 3000 | 12600 | 1500 | 5700 4. a stipitatum 4000 | 11700 , 2100 | 5700 5. Anabaena flos aquae — 7 900 | 4500 6. Asterionella gracillima 9200 | 32700 | 12900 | 24600 7. Fragilaria cerotonensis 22200 | 80100 | 27000 | 58500 8. Uyclotella comta var. 18400 | 17400 | 8100 | 6000 gJ. 4 „ var. radiosa 400 | — 60 | — 10. Botryococeus Braunii _ 1200| - — = 11. Siphaerocystis Schroeteri 600 ' 1800 — 900 b) Baldeggersee. Am 31. August 1899 besuchte ich den Bal- deggersee, wo ich zunächst die nämlichen Pumpproben fasste, wie ich sie oben beschrieb. Dafür lautet die Zähltabelle: |0—4m| 5—8 | 9—12| 13—146 |17— 20|21—30 1. Peridinium einctum 1500 | 2100 | 4400| 8160, 1200 | 1520 2. Ceratium hirundinella 42300 36000 18000 | 11220) 7200 3040 3. Dinobryon divergens 18350 15000 | 13200 | 1700, 400 | 380 4. n stipitatum A N 5. Asterionella gracillima | 8300| 1200 | 18800 | 13260 4000 | 1520 6b. Fragilaria erotonensis | 1500| — | — = — = 7. Synedra_ delicatissima 600 600 | 1200 5100 800? 380 3. Oscillatoria rubesceens | — 300 ? 2348001203600 258800, 26220 Bachmänn, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 395 Außerdem pumpte ich aus 10, 11, 12 und 13 m je 10 1 und be- stimmte aus jeder Probe die Planktonten, wie folgt: | 10m | Mm |, 12m 43 m 1. Peridinium einetum 5100 270 | 4160 | 2360 2, Ceratium hirundinella | 15000 3000 4160 | 1652 3. Dinobryon divergens 9600 4200 1560 472 4. Asterionella gracillima 18900 15900 | 19760 | 3068 5. Fragilaria crotonensis 900 _ | E | 472? 6. Synedra delicatissima 1800 7800 | 5720 | 472 7. Oscillatoria rubescens 13650 141000 | 400400 | 6223880 Es interessierte mich, aus der nämlichen Tiefe mehrere Proben aus je 101 zu zählen und erhielt am 4. Januar 1900 aus 10 m Tiefe im Baldesgersee foleende Liste: oO | 1. IST 1. Peridinium cincetum 3000 1200) 1800 2. Ceratium hirundinella | 5700, 4500) 5700 3. Dinobryon divergens 6300| 8700, 4500 4. Oscillatoria rubescens 106800 104100 78000 5. Asterionella gracillima | 900| 1800, 1200 6. Symedra delicatissima , 1200 900. 900 Aus diesen Tabellen ziehe ich folgende Schlüsse: 1. Die angewendete Methode ist vortrefflich geeignet, verschiedene Seen bezüglich der einzelnen Organismen mit- einander zu vergleichen. Würde ich das Plankton der beiden ge- nannten Seen durch Schätzung quantitativ bestimmen, so hätte ich im Plankton beider Seen das Auftreten von (eratium hirundinella mit dem Prädikat „häufig“ bezeichnet. Man müsste die Schätzung des Materials beider Seen unmittelbar nacheinander vornehmen, um das Ueberwiegen von Ceratium des Baldeggerseeplanktons über dasjenige des Vierwald- stättersees zu konstatieren. Die vorigen Tabellen geben den großen Unterschied im Auftreten des Ceratium in den beiden Seen auf. den ersten Blick zu erkennen. Noch deutlicher würde mein Schlusssatz be- weisen, wenn ich noch andere Seen in den Vergleich hinein zöge. 2, Die angegebeneMethode gestattet eine Charakterisie- rung des Planktons in befriedigendem Maße. Das Plankton des Vierwaldstättersees ist dadurch als Diatomeen- plankton gekennzeichnet. Sowohl in den Netz- als auch in den Pump- fängen steht Fragilaria obenan. Die Netzfänge ergaben ein Ueberwiegen von Asterionella gracillima über Oyelotella, während die Pumpfänge ein Vorherrschen von Uycelotella aufwiesen. Dieser Widerspruch ist leicht begreiflich, wenn man bedenkt, dass beim Ziehen des Netzes hauptsäch- lich die CUyclotella durchschlüpft. Auch das gegenseitige Verhältnis von Ceratium und Dinobryon wird durch den Netzfang wieder infolge des Hindurehschlüpfens von Ceratium ganz unrichtig angegeben, durch die Pumpmethode dagegen viel besser bestimmt. Im Plankton des Baldegger- sees herrscht Oscillatoria rubescens stark vor: aber auch Ceratium und Dinobryon waren sehr gut entwickelt. Von den Diatomeen nalım Asterionella den Vorrang ein. Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 396 — Fr — _ a Mer = = EEE 3 == u Z = ER =7 = ==; 66 X 86 v91390B3SDAT =: = = = 1% 68% og 006 08 66 'XI 'CZ € — = = 008% 0057 0007 008 00PT VO8T | 66 IX 'EÖ = == 00% 007 0057 0007 0008 009 006 66 X €6 von.ınuy > == 008 = 00F VOST 00FL 0031 008 66. XI 'C2 — — — 08% ObT 09 OPT 02% reset 66TX ;ER = = IE 00° 008 OLL 189 0871 Olise 1966..X 7EG D4Y41DÄR]OT = = = = 00% 008 Ira) 057 Op, 21266 Rice == = — 0% 08 08 OFI 067 = 66 IX '£0 Ze = 08 007 0C07 0722 06% 0%G SE 66 X EG vıuydopor«a,) = = z = OTp= sage 007 00% 027 66 "XI 'C@ = = = 06 04 OFT 097 097 0% 66 IX 'E2 TE 2 = Jr 0% 08 OPi 04 =z 66, IX 7355 pruydoer = > — — — — = — = 66. "XI ' — _ 08 008 096 088 0L0TF 0968 06% | '66 IX 'E = = or Or 08 098 72 067 098 66. X :£6 Dunusog = = = = 08 08% 097 087 078 | 66 XI = == = 091 OFT 00% OFT 08€ 07 | 66 IX '82 = = OF 08 08 oFl c97 08T = 66 X E60 smWuogdDuT = = = = 0% 0% 0% 09 O7 ‘66 "XI 'C2 = = Or Or 0E = == — = ‘66 IX '£2 — — — Or OF 06G 3c8 008 a ER. sdoph) = = = = 09% LIOT 068 0sF 066 66 "XI 'C6 a =E — 087 OFF 00. 069 00° 060 - ..66 Terer — = = — 12:8 08 08 08 ee Ann z = = = os | oe | our 087 ost |.66 "1° | w 97 | wu HF] | wuxy wu oJ | ug | wg | ur ud” auogyaago) odurg op | "SO9STION SOp De Bm BT nn mn nn m nn nn m nn nenn uopıma 4dıundes | OF Pl uouep sung uagqeZuruejeL], | wungea uHM.IOFUOINULIT PU9200Z || I| || Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. JIOZUIO.IOA “ 4IOZUIO.TOA 00807 00808 u 97 LLLL————————————— Y]9ZUI9.THA %“ 9[pZu1a.IaA OZUIHLDA “ IT9ZUIO.ADA 4]9zu1910A 00r 0091 YIOZUID.IIA 00F8 0098} 00966 O00FG 009097 wu O0] 008 00981 0097 II9ZUIO.THA 0084 00FG D00G8$ O00E6 O090FJ 0077 | 00987 %“ | y[9ZUIa.19A | | | 0097% 00OFFOTF 0085 HF 0097 00F8 0057 00067 0057 “ 4]9Zu19.I9A 00951 0087 0068 001% 0079 0087 00C6TF 00816 0001 008 a | Se: 19ZUIO.IHA FOZUIO.IOA 00028 00818 00979 00887 00216 | ODOBHT — = a! ——— — wg Ppprgiogo uopına 3dumdes [ O7 Ol uauop suw uoquSurunjoLL SUR T I9p wngedl unurpıtaT Dyaupun.ımy wunıyD.a,) DJauoL(agsy »1.11980 vsourdn.«oD Ssı95K90440]) 998UNOMy wop NY UOULIOF -uoyyurjgd 9U9FoIÄyg 395 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 3. Die Pumpmethode ist die einzige unanfechtbare Me- thode, um über die vertikale Verteilung der einzelnen Or- sanismen Aufschluss zu geben. Ich verweise nur auf die Tabelle des Baldeggersees, was Oseillatoria rubescens betrifft. Während das Oberflächenwasser keinen einzigen Faden von Oseillatoria rubescens aufwies, war das Filtrat aus den gepumpten 10 1 aus einer Tiefe von 13 m wie roter Weinmost anzusehen. Nach den Pumpresultaten musste in 13 m Tiefe diese Alge eine eigentliche schwebende Algenwiese bilden. Ohne die Pumpmethode wäre es unmög- lich, die interessanten Lebenserscheinungen dieser Alge zu studieren. Die Publikation derselben wird später erfolgen. 4. In der letzten Tabelle habe ich die Planktonwerte hinzugesetzt, welche für drei gleiche Fänge aus der nämlichen Tiefe bestimmt wurden. In allen drei Proben war Oscillatoria weitaus vorherrschend, daun folgen Ceratium und Dinobryon und in drittem Häufigkeitsgrade: Peridinium, Asterionella und Synedra. Vie Unterschiede in den Zahlen sind auf verschiedene Gründe zurückzuführen, worunter die unterlaufenen Fehler- quellen keineswegs die letzte Stelle einnehmen. Niemals wird man auch bei fehlerlosen Parallelbestimmungen gleicher Fänge die gleichen Zahlen- resultate erhalten, denn eine mathematische Gleichmäßigkeit in der Ver- teilung der Planktonten in der gesamten Wassermasse oder sogar auf einem verhältnismäßig kleinen Raum annehmen, heißt nichts weniger, als die gewöhnlichsten Lebenserscheinungen misskennen. 5. Die dritte Tabelle giebt die Zählresultate der Netzfänge. Der Vergleich des kleinen Netzes mit dem mittleren, sowie der Netze mit den Pumpresultaten lautet so ungünstig, dass, wenn immer möglich die Methode der Vertikalzüge durch die Pumpmethode ersetzt werden sollte. Herr Sekundarlehrer Hool stellte mir einige Resultate seiner Unter- suchungen des Rothsees zur Verfügung, die ich unverkürzt gefolgen lasse: „Auf den Wunsch von Dr.Bachmann erlaube ich mir, seiner Arbeit noch eine Tabelle (S. 396 u. 397) beizufügen, welche abgesehen von einigen pflanzlichen Organismen hauptsächlich Zählungen von tierischen Plankton- formen aus dem Rothsee enthält. Dieselben stammen ebenfalls aus Fängen, welche mittels der von Bachmann beschriebenen Pump- methode macht wurden. Die in der Tabelle zusammengestellten Resultate meiner Rothsee- untersuchungen eingehender zu diskutieren, um allgemeine Gesichtspunkte über die vertikale Verteilung der. tierischen Planktonorganismen aufzu- stellen, wäre in Anbetracht des noch allzu kleinen Zahlenmaterials ver- früht. Gewiss ist hiezu mindestens eine Jahresbeobachtung unter Berück- sichtigung der entsprechenden Tiefentemperaturen und der vertikalen Ver- teilung des Planktons während der verschiedenen Tageszeiten notwendig. Die beigefügte "Tabelle soll vielmehr den Zweck haben, darzuthun, dass die Pumpmethode sich auch zum Fange der tierischen Planktonformen eignet, ja, wie es. mir scheint, über die vertikale Verteilung derselben uns noch einen weit zuverlässigeren Aufschluss verschafft, als dies alle bis jetzt angewendeten Verfahren zu thun im stande waren. In Anbetracht der geringen maximalen Tiefe des Rothsees von nur 17 m mag aus meiner Tabelle als auffallendes Resultat immerhin jetzt schon zu entnehmen sein, dass die Crustaceen von 10m an abwärts sozu- Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. 399 sagen vollständig verschwinden, während sie in srößern Gewässern wie z. B. im Waldstättersee noch aus einer Tiefe von 70 m gepumpt wurden. Ferner sei auch auf das fast plötzliche Auftreten von Oserllaria sp. in verhältnismäßig großer Tiefe hingedeutet; eine ähnliche Beobachtung in noch weit prägnanterer Weise machte Bachmann im Baldeggersee an Oseillatoria rubescens. Clathrocystis aeruginosa, die im letzten und vor- letzten Herbstmonat starke Wasserblüten erzeugte, belebte den See bis auf dessen Grund, doch herrscht auch diese Alge, wie aus der "Tabelle ersichtlich ist, in bestimmten Tiefen vor. Die Zählung der Crustaceen führte ich mit geringen Abweichungen nach der Amberg-Schröter’schen Methode aus und zwar mit dem Objektiv I, Ocu- lar II. Das Gesichtsfeld von genau quadratischer Form gestaltete sich dabei so, dass esin der Länge des abzuzählenden Kubikcentimeters 14 mal in der Breite 5!/,mal enthalten ist. Die quantitative Bestimmung nahm nun folgenden Verlauf. Bei zahlreichem Vorhandensein der Planktonorganis- men und bei gleichmäßiger Verteilung derselben im Zählrahmen, zählte ich in dessen Längsrichtung 2 mal 14 Felder und zwar das eine Mal der Mittellinie, das andre Mal dem Rande des Rähmchens entlang. Um hier- auf die Gesamtzahl der gefangenen Organismen zu bekommen, mußte bei einer Konzentrierung des Planktons auf 10 em?, die Zahl der gezählten - 5,5 Formen mit dem verhältnismäßig kleinen Faktor 27,5 (aus 10.——-) mul- tipliziert werden. Fanden sich nur wenige tierische Organismen vor, oder waren dieselben sehr ungleich verteilt, so suchte ich jeweilen den ganzen Kubikcentimeter ab. Mit diesem Verfahren glaube ich grobe Zählungsfehler vermieden und somit auch gute Zählresultate erhalten zu haben. Damit will ich nun allerdings keineswegs sagen, dass obige Zählungen dazu dienen könnten, die Quantität des tierischen Planktons in irgend einer Wasserschicht zu bestimmen, denn dafür halte ich auch die Pumpmethode als unbrauchbar. Die Zahlen sollen vielmehr auch hier einzig und allein einen besseren Anhaltspunkt bilden zur Beurteilung einer vertikalen Plauktonverteilung, worin ich mich voll und ganz den An- sichten Bachmann’s anschließe. Immerhin bin ich zur festen Ueberzeugung gelangt, dass die Pumpe in gantitativer Beziehung mindestens ebensogute, wenn nicht noch bessere Ergebnisse liefert als z.B. das Apstein’sche Netz, auf dessen Mängel besonders beim Fang von Crustern OttoFuhrmann in seiner „Kritik der Planktontechnik* genügend hingewiesen hat. Nachstehende vergieichs- weise Zusammenstellung vonPump- und Netzfängen möge eimigermaßen meine Behauptung bestätigen. (s. Tabelle S. 400.) Die erste Kolonne enthält die Zahlen der verschiedenen Organismen, welche sich aus einem Vertikalzug mit einem kleinen Apsteinnetz er- gaben, dessen Oeffnungsweite 8,5 em beträgt, so dass bei einem Vertikal- zuge aus 16 m Tiefe eine Wassermasse von 901 filtriert wurde. Die ‘zweite Kolonne enthält die Zählungen aus einer gleichzeitig gepumpten Wassermenge von 160 1, die allerdings in der Weise gewonnen wurden, dass in Abständen von 2 zu Am bis auf 16 m Tiefe je 10 1 herauf- gepumpt wurden; richtiger wäre es allerdings gewesen, wenn während des Pumpens der Trichter kontinuierlieh mit gleichförmiger Geschwindigkeit 400 Bachmann, Die Planktonfänge mittels der Pumpe. I. II. III. Netz Pumpe Netzfänge 90 l filtriert LEO FEIERIERE mal 1,8 Nauplius | 1490 2750 | 2682 Diaptomus | 690 . | 1030 1242 Oyelops | 30 | 50 54 Bosmina | 1980 | 73% 3564 Ceriodaphnia | 220 510 | 396 Daphnia | 330 Se 594 Polyarthra 170 800 306 Anuraea 3740 9400 6732 Asterionella 2860 7800 5148 Clathrocystis 37620 220800 | 67716 heraufgezogen worden wäre; allein ich muss gestehen, dass ich damals nicht an die Abfassung einer solchen Vergleichung von Pump- und Netz- fängen gedacht habe. Die dritte Kolonne enthält die Fänge des Netzes auf die Wassermasse von 160 I berechnet. Die entsprechenden Zahlen in den Kolonnen II u. III verglichen, weisen nun bei den größeren Formen der Crustaceen eine merkwürdige Uebereinstimmung auf, währeud bei den kleinen Organismen, welche die Maschen des Netzes leicht durchdringen können, die Fänge mit der Pumpe diejenigen des Netzes durchweg weit übertreffen. Geradezu erstaunlich gestaltet sich der Unterschied bei Ola- throcystis, der sicher darauf schließen lässt, dass eine sehr große Zahl dieser Gitteralge das Netz ungehindert passiert. Hätte nun die zu obigen Fängen angewendete Pumpe nicht den großen Nachteil, dass sie das Was- ser nur stoßweise liefert, so würden sich die Unterschiede noch auffallen der und gewiss zu Gunsten des Pumpverfahrens gestaltet haben. Auch bei den Crustern würde sich dann eine größere Differenz eingestellt haben, indem dieselben dem Zuge des angesogenen Wassers weniger leicht zu ent- rinnen vermocht hätten. Ich mußt allerdings selbst gestehen, dass diese Art der Vergleichnng von Netz und Pumpe aus dem oben angeführten Grunde keine einwandfreie ist, und einer allzu strengen Kritik kaum Stand zu halten vermag. Möge sie aber trotzdem auch anderwärts zu ähn- lichen kritischen Untersuchungen Anlass geben, denn auch ich bin der An- sicht, dass die jetzigen quantitativen Planktonbestimmungen noch auf sehr unsichern Füssen stehen“. [28] Luzern, Jänner 1900. Nachtrag. Seit der Abfassung dieser Mitteilung sind folgende Arbeiten erschienen, welche hier noch keine Berücksichtigung fanden: Stener, Das Zooplankton der alten Donau bei Wien. Biol. Centralbl. H.21,01900. Fuhrmann, Beitrag zur Biologie des Neuenburger Sees. Ebenda H.3 u. 4. —, Propositions techniques ete. Archives d. se. nat., Gentve 1899. Amberg, Methode der Planktonzählung. Biol. Centralbl. 1900, H.8. Da meine oben mitgeteilten Ansichten in keiner Weise modifiziert wurden, sollen ar angeführten Arbeiten Eupley ya lne werden. H.B. van) von Arthur Georgi in Der — Druck der k. bayer. Hof- und ne Sen druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Era in meer Vierundzwanzig Nummern bilden einen n Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 15. Juni 1900. Nr. 12. Beaiı; Franceseo Castracane degli Antelminelli. — - Rywosch, Ueber die Be- deutung der Salze für das Leben der Organismen. — Tullberg, Ueber das System der Nagetiere, eine phylogenetische Studie. — Delage, Sur la fecon- dation merogonique et ses resultats. — Burckhardt, Faunistische und syste- matische Studien über das Zooplankton der größeren Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete. — L’annee biologique. Francesco Castracane degli Antelminelli. Von Margherita Mengarini-Traube. Charakter; Lebensweise in Rom; Umgebung und Freunde. Es giebt einen bevorzugten Platz von besonderer Schönheit in Rom, den Monte Pineio, auf dem hervorragenden Männern des Landes nach dem Tode eine Marmorbüste errichtet wird. So prägen sich ihre Züge den neuen Generationen ein, die dort unter Cedern und Palmen, und dem dichten Geflecht rankender Rosen ihre kindlichen Spiele treiben. Auch das mittelmäßigste dieser Marmorbilder gewinnt durch all das Grünen und Blühen und die Lebhaftigkeit der heiteren Kinder ringsumher einen Lebenshauch, der der Konventionalität der modernen Monumente abgeht, die mindestens durch ein Postament und ein Gitter von den Lebenden und den Brutalen getrennt, meist keinen anderen Einfluss auf diese ausüben als ihrem schnellen Straßenverkehr im Wege zu sein. Eine weise Norm regelt die Wahl der Begünstigten: die Büste darf erst 25 Jahre nach dem Tode des großen Mannes bewilligt wer- den. 25 Jahre! Diese Zeit genügt meist um Vorurteile zu klären, um ephemere Größen der Vergessenheit zu übergeben: sie ist auch häufig ausreichend, um die Lehren, die der Ueberlieferung wert sind, zu ver- breiten. Ob die Züge Castracane’s, dessen großer Ahnherr von Dante verewigt wurde, einst vom Meißel eines Künstlers, der ihn nie gekannt, der Nachwelt übergeben werden, ob die Nachkommen seiner Freunde xXX, 26 402 Francesco Castracane. inmitten ihrer Kinderspiele einst zu seinem Abbilde aufschauen werden, unbewusst der Liebe, die ihm die Ihrigen verband, das wird die Zu- kunft lehren. Zu einer Büste freilich eignen sich seine Züge wenig, trotz des eigentümlichen Ausdruckes von Ruhe und Kontemplation, den ich nur an echten alten Priestern kenne, die ihren Gelübden schwere Opfer gebracht, und nach hartem Kampfe den Frieden ihrer Seele errungen haben. Da aber Don Francesco seinem Gemüte folgend Priester, und seinem Verstande folgend Naturforscher war, so komplizierte sich der Ausdruck seines Gesichtes kraft seiner Beobachtungsgabe, die sich nicht etwa auf sein Fach beschränkte, sondern allen Phänomenen mit Anteil zuwandte. Der alte Herr — er starb im 83. Lebensjahre — war nicht ohne berechtigte Eitelkeit; er war sich seiner prachtvollen, vorzüglich gepfleg- ten, starken und fruchtbaren alten Rasse wohl bewusst. So deutete er gelegentlich auf sein, trotz bedeutender Höhe und angemessener Breite, feines Knochengerüst, seine wohlentwickelten Muskeln und die etwas reiche Fettschicht, die seinem gesunden Alter eine liebenswürdige Ruhe verlieh. Er beklagte sich auch wohl scherzhaft über die Schwierig- keit, bei seinem starken Haarwuchse die Tonsur frei zu erhalten. Die nur in der Nähe scharfen und sonst auf die Unendlichkeit gerichteten Augen des Kurzsichtigen unter den buschigen Augenbrauen, die etwas kurze Nase mit den großen beweglichen Nüstern, und den großen, geistreichen, und dabei feinschmeckenden Mund vermag ein Bildhauer nicht wiederzugeben. Eine echte Würde war über seine ganze Erscheinung verbreitet. Er war der Geschicktesten einer trotz des angeborenen Zitterns in seinen kleinen, edelgeformten Händen. Er war auch ein Kavalier von der alten Schule mit einer ausnahmslosen Höflichkeit gegen Jung und Alt, und einer besonderen Zärtlichkeit für kleine Kinder, wie man sie selten bei alten, einsamen Männern findet. Einsam war eigentlich Don Francesco nur in seinem Häuschen am Fischmarkte, auf Piazza delle Copelle. In seinem ausgesprochenen Unabhängigkeitstriebe hatte er es sich als jüngerer Mann gekauft, als er nur über geringe Mittel verfügte. Es liegt in der tiefsten Gegend Roms, ganz tief, ganz zerdrückt von umstehenden hohen Gebäuden, an einem winzigen Platz, der ganz von einem besonders übelriechenden Fischmarkte eingenommen wird. Dort hauste er mit einem treuen Diener 8 Monate des Jahres. Das Häuschen und er trotzten allen Regeln der vorschriftsmäßigen Hygiene mit dem besten Erfolge. Den Besucher umfing gleich beim Eintritt in den dunklen engen Hausflur eine kellerartige, feuchte Luft. Das Empfangszimmer im ersten Stock war trotz seiner drei Fenster auch ziemlich dunkel. Es diente Don Francesco nur selten und sah recht unbewohnt aus, Francesco Castracane. 403 Selbst die verblichenen Empirestühle an den Wänden schienen ihrem Alter zum Trotz nicht oft ihrem Zweck gedient zu haben. Zwei Sopha- kissen, von längst verstorbenen Nichten gestickt, ein Spiegel, ein Porträt des Pio IX., mit dem Don Francesco’s Mutter nachbarlich als Kind gespielt hatte, eine unter einem Rahmen vereinigte Sammlung kleiner photographischer Ansichten, die Don Francesco zu einer Zeit aufgenommen, als die Photographie in den ersten Anfängen war, und für die er auf einer Ausstellung eine Auszeichnung erhalten, bildeten den einzigen Schmuck des Zimmers, welches Don Francesco wohl nur betrat, wenn Damen ihn besuchten. Im übrigen hielt er sich im oberen Stock in seinem Studierzimmer auf, welches heller war, und ganz der Wissenschaft geweiht. Dort standen seine Bücher an den Wänden, unter denen die kostbare Samm- lung der Challengerforschungen, und Manuskripte und Inkunabeln, die sich auf die Schicksale des Castruccio Castracane bezogen. Auf drei Tischen, um verschiedene Beleuchtung zu genießen, seine Mikro- skope, die in ihrem Messingglanze die einzige Helligkeit und Heiter- keit in dem trüben Häuschen verbreiteten. Nachet, Zeiss und Koristka dienten ihm alle drei. Die Tische waren mit Fläschchen aller Art, mikroskopischen Präparaten, Objektträgern und einer Menge heterogener Dinge bedeckt, unter denen sich Don Francesco nicht immer schnell zurecht fand. Er beklagte sich oft über seine Unord- nung und behauptete, dass sie ihn am fleißigen Arbeiten verhindert habe. Das Verzeichnis seiner Schriften, 112 an der Zahl, spricht umsomehr gegen diese Behauptung, als er seine erste Arbeit im Jahre 1865, das heißt als fast Vierzigjähriger, veröffentlichte. Dies späte Erscheinen in der Oeffentlichkeit ist eine Eigentümlich- keit der katholischen Priester. Sie fangen an nach langer Lehrzeit, ganz ausgereift, wenn andere ihr Leben fast hinter sich haben, und das Greisenalter trägt ihnen reichliche Früchte. Vielleicht sind es diese Winterfrüchte, die die Herrschaft des Vatikans mehr als alles andere von der übrigen Welt unterscheiden: nichts von der Großmut und Himmelstürmerei der Jugend, wohl aber eine große Feinheit und voraussehende Weisheit, die mit treffender Sicherheit uach entfernten Zielen strebt. Aber kehren wir in das enge Haus am Fischmarkte zurück, in dem Castracane es verstand, sich sein Leben methodisch und ganz seinen Neigungen entsprechend einzurichten. Er stand des morgens spät auf und nahm dann ein Vollbad in dem kältesten, im Winter eisigen Wasser Roms, der Acqua Mareia. Dann ging er, die Messe in der Jesuskirche zu lesen, eine Gewissens- pflicht, die er krankheitshalber nur wenige Tage seines Lebens versäumte. Heimgekehrt frühstückte er, und zwar nach einem seiner Lieb- lingsrezepte, indem er das Kaffeepulver in die kochende Milch schüttete, 26 * 404 Francesco Castracane. weil diese eine größere Siedehitze als das Wasser besitzt und so das Pulver seines Aroms schnell und vollständig beraubt, ohne lästige Extraktivstoffe mit sich zu reißen. Don Francesco war der einzige mir bekannte Mensch, der die Haushaltung, die ihm großes Vergnügen bereitete, nach wissenschaftlichen Grundsätzen betrieb, die er mit wahrem Talente dem Leben anpasste ohne nennenswerten Zeitverlust, und vor allem ohne dadurch auch nur den mindesten Grad derjenigen Beunruhigung zu erfahren, die guten Hausfrauen das Leben verbittert und sie leicht unerträglich macht. Das Zweite seiner Lieblingsrezepte war etwas halsbrechend: er ließ seine Stiefelsohlen mit gekochtem Leinöl tränken. Dadurch wur- den sie unendlich dauerhaft und widerstanden der Feuchtigkeit, aber allerdings gleichzeitig auch spiegelglatt. Vielleicht verdankte er ihnen einen schweren Fall, bei dem er sich in seinem 73. Jahre den Hals des Femur brach, der, falsch eingeheilt, ihm seitdem beim Gehen durch zu große Auswärtsstellung des Beines hinderlich war. Das dritte Lieblingsrecept ist so äußerst praktisch, dass es nicht nur den Hausfrauen, sondern auch den Schmetterlingssammlern und allen denen zu empfehlen ist, die Gegenstände vor tierischen Parasiten bewahren müssen. Don Francesco ließ seine vor Motten zu schützen- den Kleider, die im übrigen so ungepflegt waren, wie dies nur bei lebenslänglichen Cölibatären der Fall zu sein pflegt, in eine Blechkiste packen, auf deren Boden er ein offenes Fläschehen mit Schwefelkohlen- stoff stellte. Dann verklebte er die Kiste luftdicht mit Papierstreifen und war so der Ertödtung sämtlicher Motteneier sicher. Nach dem Frühstück begab sich Castracane an seine Arbeit, meist an das Mikroskop, und blieb ohne Unterbrechung dabei bis zur eintretenden Dunkelheit. Dann nahm er seine, mit Ausnahme des ohne Brot verzehrten Kaffees, einzige Mahlzeit. Der große starke Mann deckte seinen 24stündigen Bedarf mit sehr großen Quantitäten Nahrung, ohne je eine Störung irgendwelcher Art zu empfinden. Jeden Abend, bei gutem wie bei schlechtem Wetter besuchte er eine der ihm befreundeten Familien. Er gehörte zu den Gelehrten, denen die Geselligkeit Bedürfnis ist. Unter den bedeutendsten Gelehrten unserer Zeit habe ich deren einige gekannt, denen die abendliche Ge- selligkeit, die „eonversazione“, nicht nur ein Ausruhen von ihren Mühen bedeutet, sondern die ihrer bedürfen, um sich an ihrer Umgebung, die eine recht passive Rolle dabei spielt, aufzuregen und ihr Gehirn für neue Thätigkeit in Gang zu setzen. Vielleicht haben diese Männer auch das Bedürfnis, von Zeit zu Zeit etwas zu behaupten, was sie nicht zu beweisen brauchen. Sie entziehen dann mit einer gewissen Leidenschaft ihre künstlerische Schöpfungskraft der wissenschaftlichen Selbstkontrole. Don Franeesco geschah es in derartigen erhöhten Augenblicken sogar, fast Darwinistische Theorien aufzustellen, die er Francesco Castracane. 405 sonst verdammte. So hat er gelegentlich seiner Untersuchungen der Diatomeen aus der Steinkohlenperiode ausgesprochen [30], dass er von der Unveränderlichkeit der Species überzeugt sei. Gewöhnlich sprach er jedoch von den Dingen, die ihn tagsüber beschäftigt hatten. Einmal fragte ich ihn, weshalb er Menschen, die nicht einmal wüssten, was eine Diatomee sei, so ganz detaillierte Mitteilungen über diese zarten Wesen mache, die er im Scherz seine Geliebten nannte? Er antwortete mir mit dem naiven Egoismus desjenigen, der nur seiner Leidenschaft lebt: was schadet es, wenn sie mich nicht verstehen? Ich selbst gewinne beim Sprechen häufig größere Klarheit. Im kleinen Kreise war Don Francesco ein glänzender Erzähler. Er war in jüngeren Jahren viel gereist, ohne je seine Diatomeen außer Augen zu lassen. Besonders ergötzlich waren seine Erlebnisse in England, wo ihm die gänzliche Unkenntnis der Sprache und sein den Engländern erschreckend großer Brotgenuss oft in die komischste Ver- legenheit setzte. So war er einst bei einem anglikanischen Geistlichen eingeladen, der nur Englisch sprach. Don Francesco erzählte, er habe nie ein verlegneres und schweigsameres Diner mitgemacht. Nach dem Essen aber habe er sich mit seinem Diatomeen liebenden Gast- freunde an das Mikroskop begeben, und da hätten sie sich auf das Sehönste verständigt. Eine internationale Sprache verstand übrigens Don Francesco in all ihren Feinheiten und Schattierungen, und das war die Musik. Er hatte ein besonders feines Gehör und eine Leiden- schaft für Bach und Beethoven. Aber auch die „Dii minorum gentium“ waren ihm, gut wiedergegeben, recht. Don Franceseo’s geselliger Verkehr hatte mit der Zeit, in Uebereinstimmung mit seinen Ueberzeugungen, eine Veränderung er- fahren. In jüngeren Jahren war er ein ausschließlicher Anhänger des Geburtsrechtes gewesen. So war er z. B. unglücklich, als nach über tausendjährigem Bestehen seiner Familie die ersten sog. Mesalliancen in ihr geschlossen wurden, und zwar mit besonders schönen jungen Mädchen aus guten, bürgerlichen Familien. Später drängten ihn seine Neigungen mehr und mehr in die Gesellschaft der Gelehrten. Außer- dem ward er nach dem Jahre 70 Augenzeuge des Unterganges so manchen alten Geschlechtes, die schon in der ersten Generation nach der gesetzlichen Aufhebung des Majorates zu Grunde gingen. Die barocke und kleinliche Art des Verfalles bei mehr denn einem der- selben, fern von jeder versöhnenden tragischen Größe, verletzte seine wahrhaft vornehme Natur auf das Peinlichste und gab ihm manches über die Entartung der Rassen zu denken. Das Verständnis für die geistigen Optimaten und die von Don Francesco erst in späteren Jahren geübte sociale Toleranz ist eine von den schönen Seiten des katholischen Priestertums. Es ist dieses die einzige Organisation, in der außer der amtlichen Gleichstellung der Tüchtigen auch deren ab- 406 Francesco Castracane, solute gesellschaftliche Anerkennung stattfindet. So fand ich einst bei einer mir befreundeten Dame einen besonders schönen und würde- vollen Prälatan auf dem Sopha sitzen. Die eintretenden jungen Männer, meist dem schwarzen, d. h. dem klerikalen Adel angehörig, neigten sich tief und demütig auf seine wohlgepflegte Hand. Die Damen saßen auf Stühlen und Tabourets bewundernd um ihn her, fast zu seinen Füßen. Der Prälat war der Schwager einer Frau, die in ziemlich unsauberem Kostüm in der Küche stand und der Dame, deren Gäste wir waren, möblierte Zimmer vermietete. Im italienischen Charakter liegt im allgemeinen nichts von der Steifheit und Unbehülflichkeit, die anderswo in der Gesellschaft Abgründe zwischen Männern in Amt und Würden und den gewöhnlichen Sterblichen gräbt. In einem politischen Salon, in dem die Führer der Rechten verkehrten, die damals an der Regierung war, hörte ich, bis dahin an ganz andere Verhältnisse ge- wöhnt, zu meinem Erstaunen den Minister des öffentlichen Unterrichts, Bonghi, sich mit einem sehr jungenPrivatdozenten dutzen. Don Fran- cesco war in diesem Salon ein gerngesehener Gast, der Professor Tommasi Crudeli der liebenswürdigste Wirt. Die damals eine Rolle spielenden Politiker zeichneten sich aus- nahmslos durch eine große allgemeine Bildung aus. Viele waren Universitätslehrer gewesen, z. B. Bonghi der in Rom Professor der Geschichte war. Sella, der Retter der italienischen Finanzen, lehrte vorher am Polytechnikum in Turin Geologie. Finali lehrte, ehe er Minister der öffentlichen Arbeiten wurde, an der römischen Universität. Spaventa war gerade in Pisa zum Professor ernannt worden, als ihm das Minister-Portefeuille der öffentlichen Arbeiten angeboten wurde. Der der Linken angehörige de Sanctis, der allerdings durch sein hin- reißend gütiges und kindliches Gemüt das italienische Unterrichtswesen arg verwirrte, war Professor der Litteraturgeschichte in Neapel. Er ist durch seine italienische Litteraturgeschichte und seine besonders schönen kritischen Essais allgemein bekannt. Viel zu wenig weiß man im Auslande von seinem Verdienste um die Darstellung von Schopen- hauer’s Lehre, für den er in Italien etwas Aehnliches geleistet, wie Schopenhauer in Deutschland für Kant. Er hat ihn in einem Dialoge, im glänzendsten und durchsichtigsten Stile den Profanen er- läutert. Ich kann mich hier nicht enthalten, trotzdem ich ganz von meinem Thema abkomme, einer längst vergessenen Anekdote zu ge- denken, die den Unterrichtsminister de Sanetis mehr denn alles andere charakterisierte. Er war von der Güte der menschlichen Natur und dem eingeborenen Fleiße der Schuljugend so überzeugt, dass er eine Verordnung erließ, in der er das Lesen des Xenophon auf den Gymnasien abschaffte, da die Knaben ihn ja doch zu Haus studieren könnten. Die Neapolitaner Schulbuben waren außer sich vor Wonne. Sie zogen in Prozession vor das Haus des guten de Sanctis und Francesco Castracane. 407 . schrieen aus Leibeskräften: Evviva de Sanctis! abbasso Senofonte! De Sanctis, ein ebenso gelehrier als feinfühlender Mann, hat in seinem Leben nie eine schmerzlichere Niederlage erlebt als dies etwas ver- spätete „Pereat“ auf den — nicht ihm — verhassten Griechen. Kehren wir nun zu Don Francesco’s engerem Freundeskreise zurück. Dass sein klarer Blick sich nie lange von Vorurteilen trüben ließ, geht aus seinen Beziehungen zu liberalen Gelehrten und Politikern hervor. Dennoch überrascht es, dass er in seinen wissenschaftlichen Bestrebungen, im Beginne seiner Gelehrtenlaufbahn von einer Frau beeinflusst wurde. Diese Frau war eine Botanikerin, die Gräfin Elisa- betta Fiorini Mazzanti, welche im letzten Jahre des 18. Jahr- hunderts geboren wurde. Als Castracane sie kennen lernte, hatte sie den Gipfel ihres Ruhmes erreicht. Die Botaniker Italiens scharten sich um sie, und mit vielen der hervorragendsten Gelehrten des Aus- landes unterhielt sie eine lebhafte wissenschaftliche Korrespondenz. Sie hat sich besonders um die Kenntnis der Moose große Verdienste erworben. Eine ihrer Arbeiten bezieht sich auf die Identifikation des Nostoc comune mit dem Collema pulposum. Da sie aber annahm, dass die Alge sich in die Flechte verwandele, so war sie doch noch weit von Schwendner’s Entdeckung entfernt. Don Francesco erzählt in ihrer Biographie folgendes über den Beginn ihrer langjährigen Freundschaft: Als ich ihr von einem ge- meinschaftlichen Freunde vorgestellt wurde, und ihr meine Absicht aussprach, mich ganz dem Studium der Diatomeen zu widmen, und ihr meine ersten mikrophotographischen Versuche zur Beurteilung vorlegte, beschenkte sie mich mit dieser interessanten Ausbeute (Amphora bullosa) und vielen anderen Diatomeenpräparaten. Ich werde nie vergessen, wieviel wertvollste Hilfe und Anregung ich in meinem neuen Studium ihrem Rat verdanke; auch lieh sie mir freundlich Abhandlungen und Atlanten über Diatomeen aus ihrer reichen botanischen Bibliothek. Es ist eine fremdartige und schöne Vorstellung, sich den Priester im besten Mannesalter zu denken, der sich für seine Studien Rat und Hilfe bei einer alten, und durch schwere Schicksalsschläge (sie hatte in jungen Jahren ihren Gemahl und ihre drei Kinder verloren) ganz auf ihre Studien konzentrierten Frau holte. Die Erinnerung an die Gräfin Elisabetta giebt Don Francesco folgende schöne Worte über die Frauen ein: „Die Idee der guten Frau entstammt der göttlichen Weisheit und ist erhaben entwickelt und ge- schildert in den Parabeln Salomons. Diese sind der ehrwürdige und unveränderliche Kodex, welcher unter den Menschen die kechte und Pflichten der Frau bestimmt. Während in dem inspirierten Buche die Frau gelobt wird, welehe sich in demütigen Handarbeiten beschäftigte und die Spindel drehte, welehe den Armen hilfbereit war und die Ihrigen mit warmen Kleidern versah, die sich und ihren Gemahl hielt, 408 Francesco Castracane. wie es ihrem edlen Stande zukam, wird sie auch geschildert wie sie Felder einschätzt und ankauft und wie sie den Reichtum des Hauses vermehrt, indem sie Weinberge anbaut und mit fremden Nationen Handel treibt; schließlich wird erinnert und gelobt, dass sie Reden der Weis- heit gesprochen. „Os suum aperuit sapientiae“. Dies ist das Ideal der Frau nach dem ewigen Codex, das höchste und vollendetste Ideal. Daher kann es nur wenigen erwählten Frauen gegeben sein, es zu erreichen. Müssen doch die Auserwählten die Höhe des Geistes be- sitzen, um die Wissenschaft zu erstreben, und dabei zugleich die Recht- lichkeit des Herzens und einen gestählten Charakter, um der Wissen- schaft die Erfüllung demütigerer Pflichten und die Bethätigung häus- licher Tugenden vorauszuschicken und sich dann erst zu ernsteren Beschäftigungen, ja zur wissenschaftlichen Forschung zu erheben“. Diese Worte lauten gerade unmodern genug, um Vertrauen in ihre dauernde Giltigkeit einzuflößen. Sie sind zu unmodern, um je aus der Mode zu kommen. Il. Sommeraufenthalt in Fano; Verdienste um die Landwirt- schaft. Ich deutete schon oben an, wie unhygienisch Don Francesco lebte, ohne an seiner eisernen Gesundheit Schaden zu nehmen. So war es auch erstaunlich, dass er viele Monate des Jahres fast ohne Be- wegung und Luft leben konnte, trotzdem er sich in den fünf Sommer- monaten, in früheren Jahren mittels großer Fußreisen, später durch stundenlange Schwimmbäder eine fast übertriebene Bewegung im Freien machte. Seit Don Francesco seines unbehilflichen Beines wegen das Reisen aufgegeben hatte, verbrachte er die Sommermonate fast ausschließlich in Fano. Im Beginn einer seiner Schriften (91) erzählt er darüber folgendes: „Das Studium der Schöpfungswunder und besonders derjenigen, die wir in den kleinsten Organismen be- sitzen, bildet meine hauptsächlichste Beschäftigung während des Winters und Frühlings in Rom, so dass mir die Zeit mit schwindelnder Eile verstreicht. Aber gerade deshalb fühle ich die Notwendigkeit meine Lieblingsbeschäftigungen zu unterbrechen und dem Gehirn ein wenig Ruhe zu gönnen. Zu diesem Zweck ziehe ich mich für den Sommer und einen Teil des Herbstes nach Fano, meiner Heimat (patria), zurück, wo ich mir am Strande ein bequemes Häuschen bauen ließ, welches mich einerseits mit meinen zahlreichen Verwandten in Berührung bringt und mich andrerseits durch den zauberhaften Blick auf das Adriatische Meer ergötzt: dieses zieht mich durch die Erfrischung des Bades an und bietet mir zu gleicher Zeit Gelegenheit, Material für”meine Studien zu sammeln, und regt mich zu neuen Experimenten an, um die Diato- meenbiologie aufzuhellen“. Francesco Castracane. 409 Don Francesco hing mit einem dem Italiener eigentümlichen Lokalpatriotismus an Fano, dem interessanten Städtchen in den alten päpstlichen Marken, welches eine Reihe von beachtenswerten Monu- menten zählt, die sein Alter und seine Bedeutung bekunden. Fanum, wie es im Altertume hieß, besitzt einen besonders schönen, vorzüglich erhaltenen Triumphbogen des Augustus, schöne Kirchen und Paläste aus der Renaissance. Das Villino Don Francesco’s liegt außerhalb der imposanten mittelalterlichen Stadtmauern; in seiner Nähe entstand später das Badeetablissement, der Mittelpunkt zahlreicher seebadender Sommergäste. In diesem brachte Don Francesco einen Teil seines Tages zu. Er war ein berühmter Schwimmer und der Lehrer der badenden Jugend. Mehr als einmal gelang es seiner Geistesgegenwart und Kraft, Ertrinkende zu retten. In seinem 75. Jahre hatte er den Schmerz, sich von dem wilden Meere, in das sich kein anderer zum Helfen wagte, einen schon. Bewusstlosen aus den Armen gerissen zu sehen. Trotz mehrfachen Tauchens gelang es ihm nicht, ihn nochmals zu erreichen. Die Leiche des Unglücklichen wurde erst nach einigen Tagen von den Wogen an den Strand geworfen. Don Francesco badete in der heißesten Zeit zwei, selbst dreimal am Tage. Da er seine Studien nie außer Augen ließ, hatte er sich sogar in seinem Badeanzug eine Brusttasche anbringen lassen, um beim Schwimmen Diatomeen-verdächtige Gegenstände, wie Algen und Seetiere darin zu bergen. Mit dichterischem Genusse schilderte er die nächtlichen Bäder bei Meeresleuchten und den Sturm auf dem Meere. Ich gebe hier seine eigenen Worte wieder, in denen er allerdings seinen Enthusiasmus dämpft der wissenschaftlichen Arbeit zu Liebe, der sie als Einleitung dienen [91]: „Die Lage meines Häuschens verlockt mich manchmal in den wärmsten Nächten zu einem Bade, und dann verweile ich mich, die Stärke der Phosphorescenz, die Verteilung ihrer Erzeuger zu be- obachten und alles übrige, was sich auf diese beziehen könnte. Sie leuchten bei dem geringsten Stoße auf, um sofort zu erlöschen, so dass es mir nur gelang, einige dieser leuchtenden Punkte für die Strecke von wenigen Centimetern zu verfolgen. Alsich jedoch aus dem Wasser stieg, waren mir Brust und Arme mit unendlich vielen Lichtehen be- sternt, die allmählich erloschen. In diesem Jahre habe ich die Zeit messen können, die bis zum Aufhören der seltsamen Beleuchtung meiner Brust und Arme verfloss; es waren nicht weniger als 40 Sekunden,, Die folgenden Zeilen entstammen einer Schrift über eine in Fano beobachtete Wasserhose: „wer am Meere lebt .... hat das an- ziehendste Schauspiel des unbegrenzten Meeres vor Augen, welches durch den beständigen Wechsel der Farbenharmonien und Licht- wirkungen stets die erhabensten Bilder bietet. Wenn es auch Jemanden gäbe, der an das erhabene Schauspiel gewöhnt, nicht mehr die Poesie des ruhig gebreiteten Wassers fühlte, dessen reiner Spiegel den Himmel 410 Francesco Castracane. zurückstrahlt, so würde er doch mächtig bewegt, wenn sich das Meer ergrimmend zum Kampfe anschickt und die Wellen drohend sich er- eilen und neue Farbenkontraste in ihnen entstehen. Wie oft geschah es auch mir, der, an den zauberhaften Anblick des Meeres gewöhnt, nicht mehr genügend seine erhabene Poesie schätzte, dass meine Auf- merksamkeit durch den veränderten Anblick des auf Augenblicke verführerisch ruhigen, und dann wieder furchterregend wilden Meeres erregt wurde. Wenn die Luft anfängt unruhig zu werden und, be- sonders im Sommer, drohende Wolken aufsteigen, welche plötzlich beim Zucken der Blitze und dem Näherrollen des Donners sich in strömenden Regen lösen, versäume ich es nie an das nach dem Meere gelegene Fenster zu treten und den Verlauf des Gewitters am weit offenen Horizonte zu verfolgen, wo die Phänomene der atmosphärischen Blektrieität häufiger zu sein pflegen, da sie, wie ich glaube, von der salzigen Atmosphäre des Meeres angezogen werden“. Castracane geht dann zu einer sachlichen und dabei anschau- lieben Schilderung der von ihm beobachteten Wasserhose über. Es gelingt ihm an einer Tamariskenhecke, die vertikal getroffen wurde, nicht nur den Diameter der Wasserhose zu messen, sondern auch an- nähernd ihre vertikalwirkende Kraft. Er giebt auch eine Erklärung des Phänomens, welches er für elektrischen Ursprunges hält, eine An- nahme, die jetzt, soviel ich weiß, den Meteorologen geläufig ist. Das Badeetablissement besitzt, wie alle italienischen Badeorte, eine sich ziemlich weit in das Meer erstreckende Plattform, eine Erin- nerung an die Gewohnheit der antiken Römer, die sogar die Häuser in das Meer hinausbauten, um das Arom und die Kühlung des Meer- windes voll zu genießen. Auf der Fanenser Plattform versammelten sich die Badegäste um Don Francesco, der ohne Hut, im heiteren, angeregten Kreise als unbestrittener Herrscher seiner Vaterstadt, die Honneurs derselben machte. Gegend abend fuhr Don Francesco auf seine weit auseinander- liegenden Güter. Er lenkte das leichte, von einem wohlgenährten Schimmel gezogene Wägelchen selbst. Wie das Pferd die Lenkung seines Herrn verstand, ist mir unbegreiflich geblieben. Die zitternden Hände Don Francesco’s mussten das Tier notwendigerweise ver- wirren. Einmal besonders sah ich, als wir beide mit dem Wagen scharf um die Ecke, und gleichzeitig bergab, in dem sonst ganz flachen Lande bogen, dem sicheren Umwerfen mit Standhaftigkeit entgegen. Das Pferd entwickelte jedoch eine unglaubliche Geschicklichkeit und Vernunft, und mit wenigen Stößen und dazugehörigem Hin- und Her- werfen waren wir bald wieder auf der Straße und im gewohnten Trabe. Besonders schön waren Don Francesco’s Beziehungen zu seinen Bauern. Wenn er mit seinem überall gekannten Schimmel ankam, halfen ihm die Bauern ehrerbietig von dem hohen Wagen herunter, Francesco Castracane. 411 Sie küssten ihm die Hände und brachten ihm ihre Kinder, die er lieb- koste und ihnen freundliche und segensreiche Worte sagte. Dann trat der Landwirt in seine Rechte, der von den dankbaren Bauern auf das Höchste bewundert wurde. Don Francesco verstand das Befehlen, und die Bauern ordneten sich seiner doppelten Autorität freudig unter. Das ganze Verhältnis hatte etwas ungemein Schönes und Patriarcha- lisches. Das dem so war, in einer Provinz, in der der Socialismus zahlreiche Anhänger hat, beruhte vor allem in Don Franceseo’s Verdiensten um die Landwirtschaft, in denen sich sein origineller Geist, dem, der den Gelehrten allein in ihm kennt, von einer neuen Seite zeigt. Um seine Verdienste in dieser Hinsicht verständlich zu machen, ist es nötig, die Zustände der Landwirtschaft in den Marken kurz zu berühren. In der Umgebung Fanos ist die Mezzadria üblich, der beste und menschlichste Pachtvertrag. Der Besitzer liefert außer seinen Feldern die Geräte und das Vieh. Zu den Steuern trägt in einigen Provinzen der Bauer bei; in anderen, wie in den Marken, werden sie ausschließ- lich von dem Herrn bestritten. Der Ertrag der Felder wird geteilt, nachdem die Aussaat abgenommen wurde. Den Bauern steht es außer- dem frei, Hühner, Bienen und Seidenwürmer zu züchten, die ihnen dann allein gehören. Trotzdem geht es den Bauern dort, wo dasLand durch Raubbau erschöpft wurde, schlecht, und den Herren eigentlich noch schlechter, da die Grundsteuer bekanntermaßen in Italien höher ist als im ganzen übrigen Europa. So waren auch die Güter Don Fran- cesco’s sehr wenig einträglich, als er sie übernahm. In seiner letzten Arbeit, die er kurz vor seinem Tode verfasste, erzählt er in seiner schönen, malerischen Sprache von seinen ange- strebten und erreichten Verbesserungen des Feldbaues und dem Zu- stande seiner Bauern vor und nach Ausführung derselben. Um den Wert derselben richtig zu würdigen, ist es nötig, auf eine Frage ein- zugehen, die jetzt gelöst ist, welche aber die Gelehrten und die Land- wirte jahrelang in Aufregung erhalten hat. Die von Castracane eingeführten Verbesserungen, die dem Ackerbau in seiner Provinz eine neue Richtung gegeben haben, beruht in der richtigen Verwendung der Leguminosen zur Stickstoffdüngung der Felder. Das Besäen eines erschöpften Ackers mit Leguminosen und das Umackern und Eingraben derselben, wofür es im Italienischen ein eigenes Wort giebt (sovescio), ist ein uralter Gebrauch, der, wie es scheint, älter ist als die antike römische Kultur. Er wurde aber ohne eine klare Vorstellung dessen betrieben, was eigentlich damit zu er- reichen sei, und mithin ohne Methode. Erst in den sechziger Jahren dieses Jahrhunderts fanden in Frankreich experimentelle Untersuchungen statt, ob die Leguminosen wirklich fähig seien, den Feldern Stickstoff zuzuführen, den man ihnen sonst nur mittels kostspieligen Düngers 412 Francesco Castracane. schaffen kann. Der berühmte Botaniker Boussingault leugnete dies auf Grund sehr genauer Untersuchungen, die in, wie man jetzt sagen würde, sterilisierter Erde angestellt wurden. Sein Assistent G. Ville wurde beauftragt, dieselben Beobachtungen an freiwachsenden Pflanzen anzustellen. Er gelangte zu positiven Ergebnissen, die von den La- boratoriumsgelehrten geleugnet wurden. Dass die einen wie die anderen Recht hatten, ergab sich erst aus den im Jahre 1885 veröffentlichten Untersuchungen Hellriegel’s, der bewies, dass die Bakterien in den Wurzelknöllchen der Leguminosen den Stickstoff speichern. Während all der Jahre jedoch hatte Ville praktisch auf seinen eigenen Feldern gezeigt, dass die Leguminosenkultur den Feldern gedeihlich sei. Einige Landwirte waren ihm gefolgt. In Italien waren es während langer Jahre nur Solari im Genuesischen und Castracane in den Marken, die die Leguminosen in der richtigen Weise verwerteten, d. h., die sie säten, zur Entwicklung kommen ließen, dann aber nicht wieder in die Erde eingruben, sondern sich ihrer als Viehfutter bedienten, und nur die Wurzeln mit ihren Knöllehen dem Boden überließen. Da Castracane das Glück hatte, in seinen Feldern auf Jahre hinaus die dem Boden nötigen Phosphate zu besitzen, während die Stickstoff- verbindungen mangelten, konnte er sich während der achtzehn Jahre seiner veränderten Feldwirtschaft damit begnügen, dem Boden nur durch den Dünger des Rindviehs, welches er durch den stärkeren Futterbau sehr vermehren konnte, einen Teil der entzogenen Phosphate zurückzuerstatten. Er bedurfte also des kostspieligen chemischen Düngers während dieser langen Zeit überhaupt nicht und verdoppelte, ohne seine Ausgaben zu vermehren, seine Einnahmen und die seiner Bauern. Er selbst sah sehr wohl ein, dass das nicht ewig so gehen könne und dass zwar der ganze Stickstoffbedarf durch die Leguminosen gedeckt werde, hingegen dem Boden doch in längeren Zwischenräumen Phosphate künstlich zugeführt werden müssten. Die von ihm auf seinen Gütern eingeführte Rotation, d. h. der periodische, sechsjährige Wechsel auf demselben Felde von Mais, Weizen und Futterkräutern hatte er auf Grund auch anderweitiger Betrachtungen über die ver schiedene Art dieser Pflanzen, den ihnen gebotenen natürlichen Dünger zu verwerten, eingeführt. Die Ergebnisse waren, wie gesagt, vorzüg- lich, und machen ihn zum Wohlthäter seiner Heimat. Don Fran- cesco kannte Goethe nicht. Wer aber, „die Selbsterlösung der Felder“, Don Franceseo’s letzte Arbeit liest, muss dadurch an das „Vermächtnis des Parsen“ erinnert werden. Als ein Vermächtnis an seine Mitbürger betrachtete er auch diese seine Arbeit, von der er selbst ahnte, dass sie seine letzte sein werde. (Zweites Stück folgt.) Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. 413 Ueber die Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. Von Dr. D. Rywosch. Die Frage von der Bedeutung der Salze für das Leben des Proto- plasmas und der Organismen ist bis jetzt verhältnismäßig wenig be- arbeitet worden, trotz des großen Interesses, welches sie doch bean- spruchen dürfte; auch vermisst man, selbst in den neuesten Lehr- und Handbüchern der Physiologie wie der physiologischen Chemie, sogar eine mehr oder weniger übersichtlicheZusammenstellung derjenigen Punkte dieser Frage, die bereits hier und da in Betracht gezogen worden sind. In den folgenden Zeilen möchten wir den Versuch machen, diese Lücke auszufüllen und eine kurze Uebersicht über den gegenwärtigen Stand dieser Frage zu geben, wie auch einige Bemerkungen in Betreff gewisser Funktionen der Salze hinzuzufügen, ohne jedoch Anspruch zu erheben, die Litteratur derselben hier erschöpfend erörtert zu haben, es lag uns vielmehr daran, die Hauptpunkte zu präeisieren. Vor v. Liebig hat man die mineralischen Bestandteile der proto- plasmatischen Gebilde, wie auch der verschiedenen Flüssigkeiten im tierischen Organismus für zufällige, mehr oder weniger bedeutungslose Stoffe für dasLeben desOrganismusgehalten. Liebig war unseres Wissens der erste, der die Bedeutung der Salze anerkannte und sie, neben den organischen Bestandteilen und Wasser, als für die Entwieklung und Erhaltung des Lebens unentbehrlich erklärt hat. Ausgehend von der Auffassung, dass beim Stoffwechsel das Organeiweiß zerfällt, wobei auch die darin enthaltenen resp. gebundenen Salze frei werden und sich ausscheiden, erklärt er, dass Nahrungsmittel ohne die entsprechen- den Salze „dem Ernährungszweck so gleichgiltig wie der Genuss von Steinen wäre“. Obgleich manche von den physiologischen Ansichten des großen Forschers sich in der Nachzeit als nicht stichhaltig erwiesen haben, so ist doch diejenige von dem Wert der Salze fast im vollen Maße durch spätere Untersuchungen bestätigt worden. In erster Linie wäre hier die Thatsache zu erwähnen, dass sämt- liche Analysen von Organisınen stets die Anwesenheit von Aschen- bestandteilen darthun konnten; auch fehlte es nicht an experimentellen Versuchen, die es ebenfalls bestätigten. Hier kämen, wenigstens für die höheren Tiere, die bekannten Forster’schen Versuche, die in den meisten Lehrbüchern der Physiologie und physiologischen Chemie als Basis für die Beurteilung der Bedeutung der anorganischen Nahrungs- mittel dienen. Durch eingehende Versuche an Hunden hat Forster!) nachweisen können, dass die Entziehung der Salze aus der Nahrung, trotz Zufuhr der organischen Nahrungsstoffe und H,O auf die Dauer nicht ertragen wird; ja, die Tiere sollen vollständige Karenz-, Ent- 1) Zeitschritt f. Biologie, Bd. IX, 1871, 414 Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. ziehung jeglicher Nahrung, verhältnismäßig besser ertragen, als Salz- hunger. Die Tiere leben bei letzterm kürzere Zeit, als bei vollstän- diger Nahrungsentziehung, auch treten krankhafte Erscheinungen, wie Zittern, Krämpfe, nur bei Salzhunger auf. In der Pflanzenphysiologie ist ebenfalls durch Versuche genügend erwiesen worden, dass zum Gedeihen der Gewächse die Anwesenheit von Salzen unentbehrlich ist. v. Liebig war auch der erste, der die einzelnen Funktionen, die die Salze im lebenden Organismus ausüben, näher zu präeisieren suchte. Nach ihm lassen sich die Salze, ihren Funktionen nach, in Gruppen einteilen, je nachdem 1. sie in Verbindung mit dem Eiweiße zum Auf- bau der Organe dienen, 2. sie die Reaktion der Körpersäfte, vor allem die Alkalescenz der die Organe und Gewebe umspülenden Flüssigkeit (Blut) herstellen und 3. sie die Diffusion und die Lösung der Eiweiß- stoffe (Globuline) beeinflussen. (Speziell zählt er zu dieser Gruppe Kochsalz.) Wir werden die Erörterung der ersten, und vielleicht der Haupt- funktion der Salze, die sie beim Aufbau der lebenden Substanz, des Protoplasmas, ausüben, auf später verschieben und zuerst prüfen, inwie- fern sich die Liebig’schen Anschauungen bestätigt resp. erweitert haben. Eine Gruppe der Salze, die alkalisch reagieren (Na,CO,, NaHCO,, sekundäre phosphorsaure Alkalien) sind für den Organismus nötig, um die Alkalescenz zu erhalten. Es ist eine jetzt fast allgemein ange- nommene Ansicht, dass das Leben nur bei einer schwachen alkalischen Reaktion möglich ist. Dafür scheint auch teilweise die Thatsache zu sprechen, dass lebende Gewebe, wie auch die innerhalb des Organismus sie umspülende Flüssigkeit fast durchgehend alkalisch reagieren. Diese Erscheinung hat wahrscheinlich in den bekannten Versuchen von Setschenow über die Absorption von CO,-Salzlösungen ihre Er- klärung. Setschenow') bewies, dass Lösungen von Na,CO,, NaHCO,, Na,HPO, sehr viel CO, in sich aufnehmen, selbst bei schwachem, par- tiellen Druck dieses Gases. Er erklärt zugleich die Tragweite dieses Befundes dahin, dass ohne diese Salze eine Stagnation der CO, in den Geweben stattfinden müsste, was für den Organismus in Folge der Stoekung des Atmungsprozesses nur schädlich sein könnte ?). 1) Setschenow, Ueber die Absorption der Kohlensäure durch Salzlösung. Mem. de l’Acad. imper. des sciences de St. Petersburg, 7. Ser., 1875, T. XXII, Nr. 6. 2) Das Verhalten der Insekten schien dieser Anschauung Schwierigkeiten zu bieten: nach der Angabe von Halliburton (Lehr. der phys. Chemie) soll das Blut derselben sauer reagieren. Er beruft sich dabei auf die Untersuch- ungen von Poulton (Proceed. of the roy. society, 1835, p. 294), der das Blut Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. 415 Neben dieser Funktion, die die sogenannten basischen Salze aus- üben, hat man ihnen später noch eine zweite Bedeutung zugeschrieben, nämlich die Neutralisation der im Körper sich bildenden Säuren: der beim Abbau des Eiweißmoleküls sich bildenden H,SO, sowie der beim Zerfall des Leeithins entstehenden Phosphorsäure. So erklärt Bunge!) das schnelle Verenden der Forster’schen Versuehshunde bei salzarmer Nahrung teilweise durch eine Vergiftung mit H,SO,, welche sich beim Zerfall des Eiweißes im Organismus bildet. Auch Setsehenow?) äußert sich in seinen letzten Arbeiten dahin, dass diese Funktion der basischen Salze von hoher Bedeutung für das Leben der Organismen sei. A priori lässt sich zwar die Notwendig- keit der Salze nach dieser Richtung hin nicht gut einsehen. Der Organismus besitzt für eventuelle Fälle eine genügende Quelle von NH,, welches sich beim Zerfall des Eiweißes bildet, um die verhältnis- mäßig geringe Säuremenge, die beim Zerfall entsteht, zu neutralisieren. Die Versuche von Walter?) in Schmideberg’s Laboratorium haben das in Bezug auf Hunde überzeugend bewiesen. Bei Einverleibung von mineralischen Säuren an Hunden konnte Walter stets eine Ver- mehrung von NH,, welche die Säure neutralisiert, konstatieren. Auch bei gewissen Diabetesformen, wo eine abnorme Säurebildung im Orga- nismus stattfindet, lässt sich zugleich eine reichlichere Bildung von NH, ermitteln, welche die Säure, die sich im Organismus bildet (Oxy- buttersäure) zu neutralisieren vermag. In Nencki’s Laboratorium in Petersburg wurde neuerdings nachgewiesen, dass in den Geweben der Tiere geringe Mengen von NH, stets vorhanden sind. Allerdings kommt diese Fähigkeit des Organismus, Säuren durch NH, aus dem Stickstoff des Eiweißes zu neutralisieren, wie aus vielen Versuchen (Salkowski, Walter, Knierim) zu schließen ist, bloß den Fleischfressern zu. Die Pflanzenfresser (Kaninchen) sind lediglich auf die Alkalien, die sie mit dem Futter aufnehmen, angewiesen. Zwar wäre noch hinzu- zufügen, dass unter normalen Verhältnissen, wie es scheint, die Hunde die mineralischen, im Körper entstehenden Säuren, durch fixe Alkalien und nicht durch Ammoniak neutralisieren: man findet im Harn die genannten Säuren stets als Salze fixer Alkalien oder alkalischer Erden. der Raupen von saurer Reaktion fand. Diese Angabe beruht aber entschieden auf einem Irrtum. Wir haben das Blut von Käfern, Orthopterenlarven, sowie auch der Raupe von Gastropacha quercus untersucht und das frische Blut stets alkalisch gefunden. Das hat schon im Jahre 1867 H. Landois (Beob. über das Blut der Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 14, S. 65) auf Grund von Unter- suchungen zahlreicher Insekten, darunter auch vieler Raupen, feststellen können; „das Blut der Insekten im frischen Zustande reagiert alkalisch*. 1) Bunge, Lehrbuch der physiol. Chemie. 2) Setschenow, Des alkalis du sang et de la Iymphe, Physiol, russe, Vol. I, 1898, 3) Walter, Arch. für exp. Path., 7. 416 Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. Jedenfalls besteht, wie die zahlreichen Untersuchungen bewiesen haben, ein großer Unterschied zwischen den pflanzen- und fleischfressenden Tieren. Von seiten einiger Forscher wurde sogar der Versuch gemacht es im Sinne eines teleologischen Prinzips zu erklären. Die Pflanzen- fresser nehmen mit der Nahrung genügend Kohlensäure und pflanzen- saure Alkalien, die sich im Körper mit Leichtigkeit zu kohlensauren verwandeln, auf. Diese Mengen reichen sowohl für die Erhaltung der beim Atmungsprozess so wichtigen Alkalescenz des Blutes, wie auch für die Neutralisation der beim Stoffwechsel sich bildenden Säuren, vollständig aus. Nun fragt sich aber, woher die Fleischfresser die nötigen basischen Salze beziehen? Im Fleische nämlich sind diese Salze in minimaler Menge resp. garnicht vorhanden, und trotzdem finden wir im Blute 0.2°/, Na;CO, (nach Setschenow) und NaHCO,. Ohne diese Salze wäre die Atmung erschwert, ja auf die Dauer unmöglich. Die Frage wird noch schwerwiegender, wenn wir bedenken, dass diese Tiere durch den Harn beständig Verluste an fixen Alkalien er- leiden. Wenn dies nicht der Fall wäre, könnte man noch annehmen, dass der Organismus die einmal gegebene nötige Menge mit Zähigkeit zurückhält. Wir müssen also schließen, dass der Organismus der Fleischfresser über gewisse Mechanismen verfügt, die ihm ermöglichen, die nötigen basischen Alkalien aus den Salzen der Nahrung zu fabri- zieren. Setschenow!'), der dieser Frage eine Abhandlung widmet, glaubt, dass die Bildungsstätte des Soda das Pankreas und die Lieber- kühn’schen Drüsen seien. Wir wollen auf seine Beweisgründe hier nicht näher eingehen — es würde uns zu weit führen — wir möchten nur hervorheben, dass wir die Existenz einer solchen Stätte der Soda- bereitung im Organismus der Fleischfresser wohl anzunehmen ge- zwungen sind. Ob sich die Werkstätten in allen Zellen oder bloß in gewissen Organen befinden, ist eine andere, spezielle Frage. Wir können nur ganz allgemein sagen, dass die Fleischfresser in Bezug auf die nötige Beschaffenheit ihrer Körperflüssigkeit mehr unabhängig von den äußeren Umständen (Nahrung) zu sein scheinen, als die Pflanzen- fresser. Dieses Bestreben, sich so viel als möglich von der Außenwelt in Bezug auf die inneren Lebensbedingungen frei zu machen, scheint überhaupt in der Natur der lebenden Wesen zu liegen. So haben sich z.B. die Vögel und Säugetiere in Bezug auf Wärme von der Tempera- tur der Umgebung mehr oder weniger befreit; so sind auch die höheren Tiere in Bezug auf den Salzgehalt von dem umgebenden Medium un- abhängig geworden [worauf Höber?) in seiner Arbeit aufmerksam macht]. Während nämlich die sonstigen Seetiere in ihrer Körperflüssig- Dale: 2) Höber, Ueber die Bedeutung der Theorie der Lösung für Physiologie und Medizin. Biol. Centralbl., Bd. XIX, Nr. 8. Rywoseh, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. 417 keit so viel Salze enthalten, wie das Seewasser, in dem sie leben, be- sitzen die darin lebenden Knochenfische und Reptilien fast dieselben Mengen von Salzen, wie ihre Genossen im Süßwasser resp. auf dem Lande. Nach dieser längeren Abschweifung kehren wir zu unserem eigent- lichen Thema zurück. Dass die Bedeutung der Salze nicht nur in der Herstellung der nötigen Reaktion resp. der Neutralisation der sich im Organismus bildenden Säuren liegt, ist aus der Thhatsache zu er- sehen, dass wir neben diesen basischen Salzen auch neutrale wie NaCl, KCl überall im Tierreich vorfinden. Liebig hat, wie schon erwähnt, die Bedeutung dieser Salze für die Diffusion und Lösung der Eiweiß- stoffe hervorgehoben. Die Notwendigkeit dieser Salze zur Erhaltung gewisser Eiweißstoffe (Globuline) in Lösung wird wahrscheinlich auch jetzt zugegeben werden müssen. Dagegen hat die Ansicht über den Wert der Salze, insofern sie die Diffusion im Körper ermöglichen, an Bedeutung abgenommen, seit man allmählich durch eingehendere Ver- suche zu der Ansicht gekommen ist, dass bei der Resorption der Eiweiß- stoffe und andrer Nahrungsmittel, sowie auch bei den ex- und sekre- torischen Vorgängen im Organismus es sich nicht lediglich um einfache Diffusion handle, sondern vielmehr um aktive Beteiligung der Zellen. An ihre Stelle trat in der neueren Zeit eine Ansicht über die Funk- tion dieser Salze, die sich dahin definieren lässt, dass dieselben die osmotischen Druckverhältnisse im Organismus regeln. Am klarsten finden wir diese Ansicht bei Tigerstedt!) wiedergegeben. „Die in den Körperflüssigkeiten befindlichen Aschenbestandteile sind für die osmotische Spannung derselben von einer durchgreifenden Bedeutung und die Erfahrungen an einzelligen Geschöpfen lehren uns, dass der Salzgehalt d. h. die osmotische Spannung der Flüssigkeit, in welcher sie leben, außerordentlich wichtig ist. Es ist daher nicht zu kühn, anzunehmen, dass bei den mehrzelligen Organismen die Gewebsflüssig- keit, um ihre Aufgabe erfüllen zu können, auch eine gewisse Menge von Aschenbestandteilen nötig hat“. Er erklärt, von diesem Gesichts- punkte ausgehend, auch warum die Forster’schen Versuchstiere zu Grunde gehen mussten. „Nun werden diese (Aschenbestandteile) aber durch die Ausscheidung des Körpers unaufhörlich abgegeben. Wenn sie nicht durch die Nahrung wieder ersetzt werden, so müssen endlich die lebenden Gewebe von sich selbst solche zu der Gewebsflüssigkeit abgeben, damit dieselbe keine allzu abnorme Zusammensetzung be- komme“. Besonders betont die Bedeutung der Salze nach dieser Richtung hin Höber?), welcher selbst das Wachstum der Zellen, diese funda- mentale Lebensäußerung derselben, den osmotischen Spannungsdifferenzen 1) Tigerstedt, Lehrb. d. Phys., Bd. I, S. 114, 2) Höber, |. c. xx, 27 418 Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. zuschreibt. Neuerdings wird auch von seiten der Mediziner den Salzen, dank ihrem osmotischen Drucke, eine hohe Bedeutung zuge- schrieben. So will Dr. med. Hans Köppe!) die Salze geradezu als Nahrungsmittel betrachten, „denn mit ihnen (den Salzen) resp. ihren Lösungen wird dem Körper Energie zugeführt“. Diese Energie lässt sich allerdings nicht, wie die Energie andrer Nahrungsmittel, in Ka- lorien ausdrücken; „die Energie der Salzlösungen äußert sich in Druck- oder Bewegungserscheinungen und wird in Atmosphärendruck ange- geben“. Dass aber nicht bloß in der Regulierung des osmotischen Druckes die Bedeutung dieser neutralen Salze liegt, geht daraus her- vor, dass sie auch anzutreffen sind bei Lebewesen, bei denen weder von einem flüssigen „Milieu interne“, noch von einem flüssigen „Milieu externe“ (Claude Bernard, Höber) die Rede sein kann. Man findet sie auch beispielsweise bei Aethalium septicum. Wir sind that- sächlich auch genötigt, anzunehmen, dass diesen Salzen im Organis- mus noch insofern eine Bedeutung zukommt, dass sie gewisse Prozesse, die sich im lebenden Wesen abspielen, ermöglichen resp. erleichtern. Es ist sogar der Versuch gemacht worden, verschiedenen Salzen be- stimmte chemische Funktionen zuzuschreiben. So glaubt z.B. O.Loew?), dass die Kaliumsalze für die Kondensationsprozesse, die Caleiumsalze für die Thätigkeit der Zellkerne, des Chlorophylikörpers, Magnesium- salze für die Assimilation der Phosphorsäure nötig wären. Diese Fragen sind so komplizierter Natur und unsre Kenntnisse über die inneren Vorgänge der Zelle so gering, dass es schwer fällt, an der Hand der vorhandenen Versuche ein sicheres Urteil über die speziellen Funk- tionen der einzelnen Salze abzugeben, obgleich einige Beobachtungen hauptsächlich der Botaniker (Molisch) gewisse Anhaltspunkte für manche der Loew’schen Angaben zu liefern scheinen. Dagegen liegen verhältnismäßig viele Erfahrungen und Versuche vor, die deutlich uns den Wert der Salze für die verschiedenartigsten Fermentationsprozesse darthun. Wenn wir bedenken, dass die meisten chemischen Prozesse, die im Organismus vorgehen, hauptsächlich auf fermentativer Thätigkeit beruhen, wird uns zugleich auch die Bedeu- tung der Salze nach dieser Richtung hin einleuchten. Die chemischen Prozesse, die durch Fermente befördert werden, bestehen teilweise in Hydratation, wo die Verbindungen durch Aufnahme der Elemente des Wassers in einfachere übergeführt werden. Die Verdauungsfermente, Ptyalin, Pepsin, Trypsin gehören in diese Gruppe. Ueber diese Fer- mente liegen uns Versuche von Nasse, Grützner, Alex. Schmidt vor, die sämtlich die große Abhängigkeit der Thätigkeit derselben von der Anwesenheit von Salzen beweisen. Die Gärungsprozesse, die man 4) Köppe, Die Bedeutung der Salze als Nahrungsmittel. Vortrag, ge- halten im 68. Verein deutsch. Naturf. u. Aerzte in Frankfurt a./M., 1896. 2) 0. Loew, Chem. Energie der lebenden Zelle. Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. 419 früher nach Pasteur an die Gegenwart von Lebewesen knüpfte, be- ruhen, wie mau jetzt nach den Untersuchungen von Buchner weiß, ebenfalls auf der Thätigkeit eines Fermentes. Nun hat bereits Liebig den Einfluss der Salze auf diese Prozesse betont, und neuerdings haben Spohr, Prior und viele andere dasselbe nur bestätigen können. In der letzten Zeit hat man eine große Anzahl von Oxydationsfermenten wie in tierischen (Jaquet und Schmideberg, Spitzer und Röh- mann) so auch in pflanzlichen Zellen (Bertraud) nachgewiesen. Man nennt sie gegenwärtig Oxydasen. In Bezug auf die Thätigkeit dieser Fermente äußert sich Bertraud, dass die Gegenwart von Salzen, die er geradezu Kofermente nennt, notwendig sei. Auch in Bezug auf die sogenannten Koagulationsfermente (Fibrinferment, Labferment) liegen uns derartige Aeußerungen seitens vieler Forscher vor. So giebt Alex. Sehmidt in seinen „Weiteren Beiträgen zur Blutlehre“ deutlich an, dass ohne die Gegenwart von Salzen die Fibringerinnung unmöglich sei. Ueber die Ursache der Beeinflussung dieser Prozesse durch Salze sind wir allerdings noch nicht im klaren. Vielleicht haben wir hier wiederum Aufklärung von seiten der physikalischen Chemie zu er- warten, wie sie uns bereits Verständnis für die Bedeutung der Salze zur Regulierung des osmotischen Druckes gegeben hat. Und zwar scheint die Lehre, die von Arrhenius begründet und näher ausge- führt wurde, und nach welcher die Salze in Lösung teilweise in ihre Ionen zerfallen sollen, eine Lehre, die im besten Einklange mit den meisten physikalisch-chemischen Eigenschaften der Lösungen steht, hier mit der Zeit Aufklärung geben zu können. Wir kehren jetzt zum letzten Punkte der Liebig’schen Lehre, zur Betrachtung derjenigen Gruppe von Mineralstofien, die in Ver- bindung mit dem Eiweiße an dem Aufbau der Organe teilnimmt. Bei seinen bekannten Versuchen über die Bedeutung der Aschenbestand- teile in der Nahrung hat Forster von Schwefel abgesehen, weil, wie er sagt, dasselbe zur Konstitution des Eiweißes gehört. Wir kennen außer S noch einige andre Aschenbestandteile, die zur Konstitution des Eiweißes gehören, also in rein chemischer (atomistischer) Verbin- dung mit dem Eiweiße sich befinden, wie z. B. Phosphor, vielleicht auch Eisen. Die eigentlichen Salze aber, wie z.B. NaCl, KCl finden sieh bloß in Molekular- resp. nach Nägeli in Micellarverband im Protoplasma vor. Wenn uns die Bedeutung der ersten Reihe von mineralischen Be- standteilen (S, P, Fr) für dasLeben des Protoplasmas mehr oder weniger verständlich ist, indem es eben zur Konstitution des Eiweißes, das die wichtigste Grundsubstanz der lebenden Materie ausmacht, gehört, ist die Rolle der physikalisch beigemengten Salze, der Salze, die in großen Micellarverbänden mit eingenommen sind, weniger klar. Nach einer Richtung hin könnte ihre Bedeutung, einigermaßen vielleicht, verständ- 2 420 Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. lich werden, wenn wir uns den Aggregatzustand des Protoplasmas ver- gegenwärtigen. Man bezeichnet gewöhnlich den Aggregatzustand des Protoplasmas als fest-flüssig, oft findetman auch den Vergleich mit Gallerte vor, was unsrer Ansicht nach auch zutreffend ist. Dieser Vergleich ist besonders konsequent bei Nägeli durchgeführt; ja, seine Micellar- theorie beruht hauptsächlich auf dieser Parallele. Nägeli setzt zuerst den Unterschied zwischen Lösung kolloidaler und krystalloidaler Sub- stanz auseinander und formuliert ihn dahin, dass bei den letzteren die Substanz in einfache Moleküle aufgelöst sich befindet, bei den ersteren aber, den kolloiden Lösungen, in Molekulargruppen (Micellen). In organischen Körpern, welche hauptsächlich aus kolloiden Sub- stanzen bestehen, sind diese Micellen in Verbände geordnet, welche zu Micellarketten, die Gerüste, weiter Maschen bilden, sich anlegen. In den Lücken dieser Maschen befindet sich Wasser mit den darin auf- gelösten Stoffen verteilt. „Nur auf diesem Wege wird es möglich, mit wenig Substanz und viel Wasser ein festes Gefüge herzustellen, wie es die Gallerte darbietet“. Dieser fest-flüssige Aggregatzustand ist der einzig mögliche für lebendes Protoplasma, welches nicht starr sein darf, um seine Funktionen ausüben zu können, aber auch nicht zer- fließbar. In chemischer Beziehung behält es aber einige Eigenschaften des flüssigen Aggregatzustandes, worauf schon Graham aufmerksam gemacht hat. Nach Reformatsky!) gehen die chemischen Reak- tionen in Gallerten ebenso geschwind vor sich wie in Flüssigkeiten. Auch in Bezug auf Diffusion, welche ja im Lebensprozesse von Wich- tigkeit ist, verhalten sich die Gallerten wie Flüssigkeiten (Graham, Voigtländer). Kurzum dieser gallertartige Zustand scheint für das Leben des Protoplasmas unentbehrlich zu sein. Was wissen wir von diesem Aggregatzustande? wodurch wird er ermöglicht? Graham, dem wir über die kolloide Substanzen das meiste, was wir darüber wissen, zu verdanken haben, hebt hervor, dass der Gelatinierungs- prozess der kolloiden Substanzen von Salzen stark beeinflusst wird, dass die Salze diesen Prozess beschleunigen. Allerdings hebt er her- vor, dass diese Substanzen, wenn auch nach sehr langer Zeit, wie es ihm scheint, ohne Salze gerinnen können. Bei der Kieselsäure, welche bekanntlich ebenfalls in diesen gallertartigen Zustand gebracht werden kann, glaubt Graham, dass die Salze diesen Uebergang wenig be- einflussen. Nun hat Alex. Schmidt und sein Schüler, W. Kise- ritzky, durch eingehende Versuche nachgewiesen, dass die Salze einen großen Einfluss auf die Gerinnung haben, und sie ziehen aus ihren Versuchen grade an der Kieselsäure den Schluss, dass die Gelatinierung ohne Salze nicht gut zu stande kommen kann. Wir verweisen auf die interessanten Versuche und die geistreiche Aus- einandersetzung in den „Weiteren Beiträgen zur Blutlehre“ von Schmidt 1) Zeitschr. f. physik. Chemie, Bd. VII, S. 34. Rywosch, Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen. 421 (Kap. I), wo man auch weitere Beweise für die Unentbehrlichkeit der Salze für den Gelatinierungsprozess vorfindet, so z. B. die Bildung von Fibrin, dieser gallertartigen Modifikation des Fibrinogens, welche nur in Ba von Salzen stattfinden kann. Von der Gallerte (Leim), diesem Prototyp des nach ihm benannten Aggregatzustandes, wissen wir, dass das Gelatinierungsvermögen mit Abnahme des Aschengehaltes abnimmt [Tigerstedt!)l. W. Kiese- ritzky vermutet, dass „die Koagulierbarkeit (das Uebergehen in den gallertartigen Aggregatzustand) nicht eine essentielle, sondern erworbene, durch die kıystalloide Beimengungen den Kolloidsubstanzen erteilte Eigenschaft darstellt“. Dieser Satz ist vielleicht zu gewagt, indem es wahrscheinlich anzunehmen ist, dass diesen sog. Kolloidsubstanzen die Fähigkeit zu gelatinieren innewohnt, nur kann sie aber erst zum Vor- schein kommen, wenn Salze zugegen sind. Es fehlt allerdings noch an einen absolut sicheren Nachweis, dass in völlig salzlosen Flüssig- keiten das Gelatinieren nie zu stande käme. Wir können es nur aus dem günstigen Einfluss des Salzzusatzes schließen (es darf ein gewisses Optimum nicht überschritten werden; ein Zusatz von Salzen über dieses Optimum wirkt nur hinderlich). Diese Versuche müssten mit absolut reinem, destilliertem Wasser (geprüft nach Kohlrausch) angestellt werden. Das Wasser, dessen man sich bis jetzt bei der- artigen Versuchen bedient hat, kann nicht als solches angesehen wer- den. Jedenfalls scheint uns die Gegenwart von neutralen Salzen in protoplasmatischen Gebilden, um den nötigen Aggregatzustand derselben zu erhalten, von Wichtigkeit, wofür die Angaben von Graham, ge- schweige denn diejenigen von Schmidt, Kieseritzky sprechen. Inwiefern die Salze den „fest-flüssigen“ ed ermöglichen, resp. begünstigen, ist en Wissens noch nicht aufgeklärt. Wir haben vermutlich, auch in Bezug auf diese Frage, Aufklärung von der physikalischen Chemie zu erwarten. In unsrer Uebersicht haben wir die Bedeutung der Salze, insofern sie die Skelettbildung angeht, als eine selbstverständliche, unberück- sichtigt gelassen; wir hielten es am besten uns an der Hand der ihrer Bedeutung nach von Liebig angegebenen Gruppierung der Salze zu halten. — Aus dieser kurzen, hier und da vielleicht auch lückenhaften Ueber- sicht können wir dennoch ersehen, dass es noch vieler Arbeit und Forschung bedürfen wird, ehe die Frage von der Bedeutung der Salze für das Leben der Organismen ihre allseitige Aufklärung findet. — Warschau, den 20. Januar 1900. [31] 1) Tigerstedt, Lehrb. der Phys., $. 68. 429 Tullberg, Ueber das System der Nagetiere. mw Tycho Tullberg, Ueber das System der Nagetiere, eine phylogenetische Studie. Mit 57 Tafeln. 4°. Upsala 1899. (Nova Acta Reg. Societ. Sc. Upsala. Ser. III.) 514 + 18 Seiten. Nur wer selbst einmal den Versuch gemacht auf Grund der Gesamt- organisation und mit Berücksichtigung des patäontologischen Materials eine Vorstellung von den stammesgeschichtlichen Beziehungen einer der höheren und formenreicheren Tiergruppen zu gewinnen, vermag die gewaltige Arbeit, welche in dem oben angeführten, neuerdings erschienenen Werke Tullbergs niederlegt ist, völlig zu schätzen. Monographien von solcher Ausführung wie die vorliegende bilden wahre Prüfsteine unseres heutigen Wissens und Könnens auf dem phylogenetischen Gebiete und sind wegen der zeitraubenden, komplizierten und ermüdenden Untersuchungen, welche sie erheischen und deshalb manchem undenkbar vorkommen, seltene Er- scheinungen in der biologischen Litteratur — selten den rein vergleichen- den anatomischen Arbeiten gegenüber, welche der Natur der Sache nach nur Vorarbeiten für derartige stammesgeschichtliche Darstellungen abgeben können. Diese Erwägungen, sowie der Umstand, dass 'Tullberg’s Arbeit in einer der Mehrzahl der Fachgenossen weniger zugänglichen Gesellschafts- schrift erschienen ist, haben mich veranlasst, die Aufmerksamkeit der Leser des biologischen Zentralblattes auf dieses Werk zu lenken. Dasselbe will „ein Versuch sein, innerhalb einer besonderen 'Tier- gruppe, der Ordnung Glires, so weit es thunlich gewesen, im Detail die Verwandschaftsverhältnisse der wichtigeren Formen, die Ursachen der Divergenz und der Konvergenz zu ergründen und davon ausgehend, die Tiere systematisch zu ordnen“. Dass ein solches Programm in Bezug auf die Nager nicht zu den leicht oder rasch ausführbaren gehört, geht schon aus dem Umstande hervor, dass bisher etwa 160 lebende Nagetiergattungen unterschieden worden sind. Diese Thatsache brachte es mit sich, dass die anatomische Untersuchung sich auf Organe beschränken musste, welche die klarsten Merkmale hinsichtlich der Stammesgeschichte der fraglichen Tiere liefern. Nachdem im ersten Teile die das System der Nagetiere behandelnde Litteratur besprochen, werden im zweiten Teile Angaben über die Ana- tomie von etwa 100 verschiedenen Arten (oft in mehreren Exemplaren untersucht) gemacht. Der dritte Teil enthält die phylogenetischen Er- gebnisse und schließt mit einem Stammbaum der Simplieidentaten. Da ein auch noch so kurz gefaßtes Referat dieses an anregenden und neuen morphologischen Gesichtspunkten reichen Teiles schwerlich innerhalb eines gebührenden Rahmens gehalten werden könnte, muss ich mich darauf be- schränken, auf einige Punkte in dieser Darstellung die Aufmerksamkeit zn lenken. In Bezug auf die oft ventilierte Frage betreffend der Verwandtschaft der Nager mit den Beuteltieren räumt T. ein, dass diese beiden Gruppen von einer gemeinsamen Stammform, welche bereits Säugetier war, her- geleitet werden können, wenn er auch diese Stammform sehr weit zurück- verlegt, da alle Placentalien, auch die Nager, nach ihm einer Urform ent- stammen, welche schon vor ihrer Differenzierung in verschiedenen Formen Tullberg, Ueber das System der Nagetiere. 423 sich von der Urform der Beuteltiere getrennt hatte. Die Urform der Nager gleichwie die der übrigen Placentalier hat aber nicht in dem Sinne eine Beuteltierstufe durchlaufen, dass die Vorfahren dieser Tiere einmal wirkliche Beuteltiere, mit denen der Jetztzeit eng verwandt gewesen wären. Von den Befunden, welche den Verf. zu dieser Folgerurg führt, wird besonders das Verhalten der Ausführungsgänge des Urogenitat- systems besprochen. Die Duplieidentaten und Simplieidentaten entstammen nach T. einer gemeinsamen Urform, womit aber keineswegs gesagt sein soll, dass diese Form sich bereits zum Nager entwickelt habe. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die beiden fraglichen Gruppen, bereits ehe sie zu eigentlichen Nagetieren wurden, aus anderen Ursachen zu differenzieren begonnen hatten, und dass erst späterhin jede Gruppe sich zu Nagetieren ausbildete. Es geht dies teils aus den großen Verschiedenheiten ihrer Gesamtorganisation, teils und hauptsächlich aus der verschiedenen Art und Weise, in welcher die Nage- und Kaufähigkeit bei beiden entwickelt worden sind, hervor. Die Entstehung der Beweglichkeit der Unterkieferhälften gegen- einander bei den Simplieidentaten wird in letzter Instanz auf die Ent- wicklung des Nagevermögens zurückgeführt. Bei Behandlung der Urform der Hystricognathi wird das Zustandekommen der wechselseitigen Ver- schiebung des Unterkiefers während des Kauens und die damit verknüpften Umbildungen der Kauwerkzeuge erörtert. Die Entstehung wurzelloser Zähne, welche bei zahlreichen Nagern vorkommen, bei den übrigen Säugetieren recht selten sind, wird dadurch begünstigt, dass die Nahrung der betreffenden Tiere aus harten oder zähen Wurzeln besteht. Die Ursache lässt sich deshalb hierin erblicken, dass diese Tiere mit der Nahrung eine Menge Sandkörner in den Mund bringen, welche bei dem behufs der Zerteilung solcher Nahrungsstoffe selbstredend sehr kräftigem Kauen die Zähne stark abnutzen; der Magen solcher Nager enthält stets zahlreiche Sandkörner. Von besonderem Interesse sind die Bemerkungen des Verf. betreffs des Herausbrechens der Unterkieferhälften — eine Eigentümlichkeit, welche bei keinen anderen Säugetieren als bei den Simplieidentaten vorkommt. Dieser Vorgang besteht darin, dass die betreffende Unterkieferhälfte beim Kauen ihre Lage dahin ändert, dass der Prozessus angularis mondibulae „herausgebrochen“ wird, und die unteren Backenzähne sich mehr einwärts einstellen als bei Nichtanwendung dieser Kieferhälfte; die Kauflächen der unteren Backenzähne können sich hierdurch genau an diejenigen des Ober- kiefers anschließen. DBetreffs der Bedeutung dieser Eigentümlichkeit muss auf die Ausführungen im Original verwiesen werden. In Bezug auf die physiologische Bedeutung des Blind- und Dick- darms ist Verf. zu der Ueberzeugung gelangt, dass diese Darmteile der Hauptsitz der Digestion und Resorption von cellulosehaltigen Stoffen sind, und dass infolge dessen jene Darmteile größer und komplizierter (oder beides) werden, je nachdem die Nahrung des Tieres sich mehr aus Cellu- lose zusammensetzt, während sie umgekehrt an Größe abnehmen oder ver- einfacht werden, falls die Cellulosehaltigen Stoffe einen unwesentlichen Teil der Nahrung ausmachen. Insbesondere wird der Blinddarm bei Tieren, welche keine Cellulosehaltigen Stoffe verzehren, sehr klein oder verschwindet gänzlich. In Uebereinstimmung hiermit steht, dass allein 494 Delage, Ueber die merogonische Befruchtung und deren Resultate. unter allen Nagern die Myoxiformes keinen Blinddarm besitzen. Diese Tiere ernähren sich nämlich mehr oder weniger ausschließlich von solcher Nahrung, deren Cellulosegehalt gering oder keiner ist. Die Aufgabe der Hornschicht des Magens, welche die Muriformes auszeichnet, ist die Magenwanderung gegen die ihr schädliche Einwirkung gewisser Nahrungsstoffe zu schützen, während diese für den Uebergang in den Darm vorbereitet werden — eine Anschauung, welche auch durch anderweitige Untersuchungen (Moritz, Oppel) unterstützt wird. Das Schlusskapitel enthält eine übersichtliche Darstellung der Ver- breitung der Nagetiere, woran sich sehr beachtensweute Bemerkungen über allgemeine zoogeographische Fragen und über die Herkunft und den Zu- sammenhang der Säugetierformen im allgemeinen knüpfen. Schließlich gebe ich hier eine Uebersicht der Hauptgruppen des von Tullberg aufgestellten Systems. Subordo 1 Duplieidentati: Fam. 1 Leporidae, Fam. 2 Layomyidae. 2 Simplieidentati. Tribus 1 Hystricognathi: Subtr.1 Bathycogomorphi (Fam. Bathyergidae). Subtr.2 Hystricomorphi (Fam. Hiystricidae, Caviidae, Erethigontidae, Chinchil- lidae, Aulacodidae, Echinomyidae, Petromyidae. Tribus 2 Sciurognathi: Subtr. 1 Myomorphi. Sectio 1 Ütenodactyloidei (Fam. Üteno- dactylidae). »„ 2 4Anomaluroidei (Fam. Anomalu- ridae, Pedetidae). » 3 -Myoidei mit Subs. 1 Myoxi- formes (Fam. Myoxidae) ; Subs. 2 Dipodiformes (Fam. Dipodidae) ; Subs. 3 Muriformes (Fam. Spala- cidae, Nesomyidae, Üricetidae, Lophiomyidae, Arvicolidae, Hes- peromyidae, Muridae, Gerbil- lidae). Subtr. Sceiuromorphi. Sectio 1 sSciuroidei (Fam. Haplodontidae, Sciuridae. » 2 Castoroidei (Fam. Castoridae). » 3 Geomyioidei (Fam. Geomyidae). Stockholm, im April 1900. [61] Wilhelm Leche. n Yves Delage, Sur la fecondation merogonique et ses resultats'). Compt. rend. des seances de l’Acad. des sciences de Paris. 1899. p. 645. Die experimentellen Untersuchungen des bekannten französischen Forschers führten zu überaus überraschenden Resultaten, die von bedeu- tender theoretischer Tragweite sind. Es ist dem Verfasser gelungen, absolut kernlose Fragmente von Eizellen von Mollusken (Dentalium), Würmern 1), Die ausführliche mit Figuren versehene Arbeit findet sich ‘unter dem Titel: Etudes sur la M&rogonie in Arch. de zoologie experimentale, T. 7, p. 383—417. Ebendaselbst p. 512—527 findet sich eine Widerlegung der von Le Danteec und Giard veröffentlichten Kritiken. Delage, Ueber die merogonische Befruchtung uud deren Resultate. 425 (Polychäten) und Echinodermen zu befruchten, aus welchen dann normale typische Larven hervorgingen. Er nennt diese biologisch interessante Erscheinung Merogonie. Die Grenze bis zu welcher die Befruchtung kernloser Eiplasmafragmente möglich, ist z. B. für das See- igelei !/,, des Volumens desselben. Ein Ei könnte also bei idealer Tei- lung ungefähr 40 Larven produzieren, von welchen alle, mit Ausnahme von einer, ohne mütterliches Kernplasma wären. Merogonische Hybridation gelang zwischen drei Echiniden: Echinus, Strongylocentrotus und Sphaerechinus. Entgegen den herrschenden Ansichten existiert eine cytoplasma- tische Reifungserscheinung, die wohl korrelativ ist der des Zellkernes, denn es gelang nicht kernlose Plasmafragmente von Eiern, die nicht ihre Rich- tungskörperchen ausgestoßen, zu befruchten. Nach gewissen herrschenden Theorien besitzen die Chromosomen eine Individualität. Die experimen- telle Untersuchung der Meregonie erlaubte diese Ansicht einer Kontrole zu unterwerfen. — Die Zellen von Echinus haben 18 Chromosomen; die normalen Eier besitzen 9 und erhalten 9 durch das befruchtende Sperma- tozoid. In der Merogonie haben die Eifragmente 0 Chromosomen, das Spermatozoid bringt 9; es sollten also die Zellen der Larve 9 Chromo- somen haben, was nicht der Fall ist, indem dieselben 18 Chromosomen besitzen wie bei Larven von intakten Eiern. Hieraus zieht Yves Delage den Schluss, dass die Chromosomen keine Individualität besitzen, sondern einfache Fragmente des Chromatinknäuels sind. Die Eigenschaft eine bestimmte Zahl von Chromosomen zu bilden, ist also einfach eine be- sondere Charaktereigentümlichkeit der Zelle, wie die, gewisse Substanzen zu secernieren, sich zu kontrahieren etc. Statistische Aufzeichnungen über das Gelingen der Befruchtung führten zu folgendem scheinbar paradoxalen Schluss, dass die Merogonie die Befruchtung begünstigt, was wahrscheinlich am Fehlen des Eikernes liegt. Nach den Experimenten des Verfassers ist man gezwungen, anzunehmen, dass nur das Cytoplasma der Eizelle zur Befruchtung absolut nötig ist. Man fragt sich unwillkürlich, ob das nach Ausstoßung der Rich- tungskörperchen bleibende Viertel des Kernes nicht unnütz ist für die Befruchtung. Es drängt sich also die Frage auf, ob ein Ei, welches die Fähigkeit besäße, auf natürlichem Wege seinen ganzen Kern zu elimi- nieren nicht bessere Bedingungen für die Befruchtung und auch die wei- tere Entwicklung böte als das normale Ei. Die aus den Experimenten von Yves Delage sich ergebenden Re- sultate verwerfen diejenigen T'heorien der Befruchtung (und es sind dies fast alle), welche eine Polarität des Eikernes und eine Notwendigkeit der Wiederherstellung der durch die Reifungserscheinungen reduzierten Chromo- somenzahl annehmen, oder überhaupt besonderen Eigenschaften ihren Sitz im Eikern geben. Im Gegenteil zeigte es sich, dass in der Befruchtung das wichtige Phänomen, nicht wie man glaubte, die Verschmelzung des weiblichen und des männlichen Kernes ist, wohl aber die Vereinigung des Spermakernes mit dem Eiplasma d. h. die Uebertragung eines ener- getischen Protoplasmas, enthalten im Spermatozoid. [50] 0. Fuhrmann (Neuchätel). 426 Burckhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete.‘ G. Burckhardt, Faunistische und systematische Studien über das Zooplankton der größeren Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete. Inauguraldissertation. Basel. (Genf 1900). Die ziemlich umfangreiche Arbeit behandelt die Tierwelt der Schweizer Seen nach folgenden Hauptmomenten. Teil I. Hydrographische Orientierung. Teil III. Systematik. „ U. Faunistik. „ IV. Zoogeographie. Teil I enthält eine Tabelle der untersuchten Seen in nachstehender Gruppierung. I. Schwarzwaldseen. 1 Titisee, 2Säckinger Bergsee. — Juraseen. 1 Bre- netssee, 2 Jouxsee. II. Ebene und nördliche Voralpenthäler. a) Ostschweiz. 1 Bodensee, 2 Untersee, 3 Pfäffikersee, 4 Greifensee, 5 Wallensee, 6 Zürichsee. b) Centralschweiz. 1 Egerisee, 2 Zugersee, 8 Rothsee, 4 Lowerzersee, 5 Lungensee, 6 Sarnersee, 7 Vierwaldstättersee, 8 Baldeggersee, 9 Hallwyler- see, 10 Sempachersee, 11 Mauensee. c) Westliches Aaregebiet. 1 Brienzersee, 2 'T'hunersee, 3 Moossee, 4 Murtensee, 5 Neuenburgersee, 6 Bielersee. III. Rhonegebiet. 1 Genfersee. IV. SüdlicheVoralpenthäler. 1 Comersee, 2 Luganersee, 3 Langensee. V. Alpenseen. 1 Wenigerweiher, 2 Klönsee, 3Engstlensee, 4 Tanaysee. Graubündner Hochalpenseen. 1 oberer Arosasee, 2 Crestasee, 3 unterer Duanasee, 4 Silsersee, 5 Silvaplanersee, 6 Campfersee, 7 St. Morizersee, 8 Cavloceiosee. Teil II giebt faunistische Zusammenstellungen vorhergehender Publi- kationen und der Befunde des Verfassers. Aus diesem Teil erhalten wir folgende Gesamtkomponistenliste des Zooplanktons. Protozoa. Sarcodina. Rhizopoda, Testacea. Difflugia hydrostatica Zch. cyclotellina Gbn. Heliozoa, Aphrothoraca. Actinophrys sol Ebg. Chalarothoraca. Acanthocystis viridis lemani Ble. Heterocystis pavesi Gbn. Infusoria. Tintinnodea. Codonella erateralf., acuminata If. Vermes. Rotatoria, Rhizota, Flosculariadae. Floscularia mutabilis Bltn. Melicertadae. Conochilus volvox Ebg., unicornis Rsslt. Ploima, Illoricatae. Asplanchnadae. Asplanchna priodonta Gss., Sacculus viridis Gss. S'ynchatadae. Synchaeta pectinata Ebg. Triarthradae. Polyarthra platyptera Ebg, maior Bdt., euryptera Wrz. Triarthra longita Ebg., limnetica Zchs. Loricata. Rattulidae. Mastigocerca capucina W. Z. Euchlanidae. Euchlanis dilatata Ebg., triquetra Ebg., macrura Ebg. Ploesoma truncatum Lodr., flexile Igkld., Iynceus Ebg. Hudsonella pygmaea Cn. Anapus ovalis Bgdl. Anuraeadae. Anuraea aculeata Ebg., cochlearis Gss., foliacea Ebg. Notholca acuminata Ebg., longispina Ktt. Scirtopoda. FPedalionidae. Pedalion mirum Hdsn. Burckhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete. Arthropoda. Entomostraca. Diaphanosoma brachyurum Lvn. Sida erystallina Mr. limnetica Bdt. Holopedium gibberum Zdd. Daphnia longispina Mr. rectifrons Stgln. rotundirostris Bdt. sphaerica Bdt. stecki Bdt. hyalina Ldg. caudata Sr8. galeata Sıs. eristata Sts. cucullata Sts. pulex pulicarioides Bdt. kahlbergensis Schalr., crassiseta Bdt. Ceriodaphnia quadrangula Mr. pulchella Sıs. Cyclops strenuus Fschr. brevicaudatus Uls. leuckarti Cls. brevicornis Cls. serrulatus Fschr. oithonoides Sr8. Diaptomus castor Jrn. gracilis Sr8. gracilis - guernei If. Oladocerd. Scapholeberis mucronata Mr. cornuta Jin. longicornis Ltr. Bosmina cornuta Jrm. longispina Ldg. laevis Ldg. coregoni Brd. acrocoregoni Bdt. stingelini Bdt. bohemica Hllch. longicornis Schalr. longirostris Mr. pelagica Stgln. maritima M. P. E. dollfusi Mnz. Chydorus latus Srs. sphaericus Mr. Bythotrephes longimanus Ldg. Leptodora hyalina Lllj. Copepoda. Diaptomus graciloides Lil). padana Bdt. laciniatus L1]j. quernei If. bacillifer Klbl. denticornis Wrz. Heterocope saliens Ll]j. weismanni If. Neu für das Gebiet sind: Polyarthra platyptera maior Bdt. Triarthra longiseta limnetica Zch. Mastigocerca capucina W. 2. Anapus ovalis Bgil. Sida limnetica Bdt. Daphnia longispina rotundirostris Bdt. sphaerica Bdt. cuceullata Srs. pulex pulicarioides Bdt. Daphnia crassiseta Bdt. 42T Bosmina coregoni stingelini Bdt. acrocoregoni Bdt. Diaptomus graciloides padana Bdt. Besonders zahlreiche neue Fundorte sind für folgende Arten hervorzu- heben: Ploesoma truncatum Lvdr. 7 Seen Daphnia hyalina Ldg. 10 Seen Polyarthra platyptera Ebg. 14 „ Bosmina longirostris Mr. Aa Anuraea cochlearis Gss. 16577 Oyclops strenuus Fschr. DE Notholca longispina Ktt. Dar, = leuckarti Cls. isn Hudsonella pygmaea Clm. er Diaptomus gracilis Sıs. 1277, Diaphanosoma brachyuraLon. 11 „ laciniatus Ll]j. Sn Die weiteste Verbreitung haben: Asplanchna priodonta Gss. 29 Seen Bosmina coregoni Brd. 20 Seen Polyarthra platyptera Ebg. 33. 4 Leptodora hyalina Lllj. 2Du Anuraea cochlearis Gss. Ban Cyclops strenuus Fschr. Man Notholca longispina Ktt. Dun leuckarti Cls. 2A Diaphanosoma brachyurumLon.26 „ Diaptomus gracilis Srs. 20005 Daphnia hyalina Ldg. 26.0, Mit der reichsten pelagischen Fauna steht obenan der Luganersee 32 Formen und reihen sich an Genfersee 30, Comersee 28, Langensee 26, Vierwaldstättersee 24, ebenso Brenetssee, Jouxsee, dann Zürichsee 22, Sempachersee 21, Untersee 20 desgleichen Greiffensee und Zugersee, 498 Burckhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete, hierauf Neuenburger- und Moossee mit 18 und die 5 Seen, Bodensee, Pfäffikersee, Lungernsee, Hallwylersee, Murtensee je 16 Formen. \ Teil III. Systematischer Teil, die einzelnen Zooplankton-Speeies. Ueber Protozoen giebt der Autor kaum einige Bemerkungen. Ueber die Rotatorien sind nur wenige Angaben zusammengestellt. Den Haupt- teil der Dissertation machen die eingehenden Untersuchungen über Clado- ceren speziell die Genera Daphnia und Bosmina aus. Zuerst wird eine neue Art Sida limnetica aufgestellt. Die wenigen Formen der weitverbreiteten Gattung Diaphanosoma zieht der Verfasser vorläufig in eine Art zusammen. Die 2 Genera Daphnia und Bosmina sind in ähnlicher Weise, wie Schmeil die Copepoden in Formengruppen vereinigte, bearbeitet. Die zahlreichen Daphnia-Formen konzentriert der Verfasser in folgendes System. Daphnien mit Nebenkamm. Daphnia pulex pulicarioides Bdt. Daphnien ohne Nebenkamm, mit Pig- mentfleck. Daphnia longispina Ldg. rotundirostris Bdt. Miecrocephala - Gruppe. Seen primitiva Bat. 5 microcephala Sıs. Fforeli Bdt. 4 brachycephala Srs. plitwicensis Sstre. Hyalina - Gruppe. richardi Bdt. 15 typica Bdt. N) pellucida M. P. E. 2 rotundifrons Srs. 2 turicensis Bdt. 5 stecki Bdt. a lucernensis Bdt. 10 eylmanni Bdt. 13 Daphnia longispina decipiens Bat. sphaerica Pdt. rosea STB. rectifrons Stgln. crassiseta Bdt. hyalina Ldg.-Gruppen: Hoyalina - Gruppe. heuscheri Bdt. di: cyclocephala Bdt. rotundata Stnrs. ceresiana Bdt. 2 Galeata- Gruppe. obtusifrons Sts. 2 goniocephala Bdt. 2 angulifrons Srs. notodon Bdt. galeata Srs. Jurassica Bdt. pavesi Bdt. bohemica Bdt. Peore Daphnien ohne Nebenkamm, ohne Pigmentfleck. Daphnia cucullata Srs. Daphnia hyalina Ldg. Danach haben die weiteste geographische Verbreitung: richardı 15, eylmanni 13, lucernensis 10, typica 9 Seen. Formenreichtum der Seen. Zugersee 6, Jouxsee, Untersee, Pfäffikersee, Greiffensee, Bodensee, Baldeggersee, Hallwylersee, Bielersee Sarnersee und Luganersee 3. see, Murtensee und Langensee je 2, Neuenburgersee je 5. je 4. und Comersee je 1. Vierwaldstättersee 11, Genfersee 7, Lungernsee, Egerisee, Lowerzersee, Sempacher- Wallensee, Zürichsee, "Thunersee Die Bearbeitung des Genus Üeriodaphnia steht noch aus. Das Studium der Gattung Bosmina bildet mehr als die Hälfte der ganzen Arbeit, bestehend in einer außerordentlich mühevollen Darstellung der Gestaltsverhältnisse und proportionellen Vergleichung der Maßverhält- nisse nach den verschiedensten Seiten dieser sonderbar charakterisierten zierlichen kleinen Lebewesen die mehr als andere dieser Wasserschweber meist in Gesellschaften zahlreicher Individuen die herrlichen Seen, dem menschlichen Auge in ihrem Aufenthaltsort kaum erkennbar, bevölkern. Die Studie beruhend auf reichem Material führt den Verfasser zur Burckhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete, 429 Creierung einer Menge neuer Formennamen, die das Bild der reichen Mannigfaltigkeit in den verschiedenen Seen repräsentiert. Wir bewundern alle die schönen Alpenseen, fast jeder mit eigenem Gepräge; bewundern wir auch mit diesem Namenbild alle die feinen Charaktere kleiner Geschöpfehen, im Aeußeren alle sich ähnlich und doch mannigfaltigster feinstverschiedener Gefühlsart. Ich erinnere mich gesehen zu haben, wie auf einmal diese sensiblen Tierchen in angstvollstem Ge- fühl sich mehrmals überstürzten und nachher, noch nicht beruhigt, eilige Ruderschläge in geradester Linienrichtung machten. Ich hoffe bald diese Beobachtungen, und zwar in einem Glase frei in der Hand haltend ge- macht, deren Deutung weittragend und kaum fasslich ist, wieder aufzu- nehmen. Es müssen diese Tierchen ein gauz wunderbares Seh-, Denk- und Willensvermögen haben. Es machte ganz den Eindruck, als hätten sie mich gesehen und verstanden, und zeigten mir die eben genannten Bewegungen. Ueber das Sehvermögen dieser kleinen Geschöpfchen, die immer rings von Wasser umgeben sind — ein kugeliges Auge fast ringsherum mit feinsten klarsten Linsen, eine äußerst lebendige Muskulatur die das ganze Auge nach fast allen Seiten wendet — wissen wir noch kaum etwas; wenig- stens kenne ich keine Arbeit, die die Vermutung enthielte, dass vielleicht die Tierchen, die ja vielfach nahe unter der Oberfläche schwimmen, durch den Oberflächenspiegel hindurch die Außenwelt wahrzunehmen vermögen. Dass die Tierchen im Glase in meiner freien Hand die Außenwelt empfunden und erkannt haben, mag ein kühner Gedanke sein, aber ich bin nach dem Eindruck, den mir ihr Gebahren gemacht hat, geneigt, es zu glauben. Eine andere Gruppe kleiner Tierchen möchte ich bei dieser Gelegen- heit erwähnen, die Smynthuriden. Auch bei diesen habe ich beobachtet, dass sie den Himmel und den Wolkenzug erkennen, ich möchte selbst sagen, ob nach der Richtung er gut oder bös sei, an den Wolkengebilden Denkvorstellungen empfinden im Erkennen des Entstehens und wieder sich Auflösens des Gewölkes. — Wie der Aar hoch in der Luft schwebend die Natur, wo ihm Gott das — Leben giebt — sieht, so sehen auch diese kleinen im Wasser schwebenden Gottesgeschöpfchen mit gleichem Gefühl was unter und über ihnen sich auch des Daseins erfreut, ein allmächtiger Wille beseelt sie Alle. Nun aber zurück zu unserm Bosminentableau. Longirostris - Gruppe. dollfusi Mnz. typica. longispina Nrm. Brdy. cornuta Jrn. humilis Lil). curvirostris Fschr. rotunda Schdlr. longicornis Schälr. gibbera Schdlr. laevis Ldg. thersites Ppp. pelagica Stgln. striata Stnrs. japonica P. Rech. diaphana Mr. P. E. Coregoni - Gruppe. lilljeborgi Srs. longispina Ldg. bavarica If. macrospina Stnrs. berolinensis If. flexuosa Srs. elegans Ll]j. bohemica Hllch. intermedia Stnrs. e Stgln. crassicornis Lilj, 430 Burckhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete. gibbosa Sr8. tugina Bdt. kessleri Nrävgst. helvetica Bdt. Longispina - Gruppe. maritima Mr. ? coregoni longispina Ldg. Dollfusi- Gruppe. peteniscensis Bdt. coregoni stingelini Bdt. flexuosa Srs. 5 zschokkei Bdt. elegans Lil]j. 5 dollfusi Mnz. macrospina Stars. Ceresiana - Gruppe. Bohemica - Gruppe. coregoni lariana Bdt. coregoni acronia Bdt. ceresiana Bdt. rivaria Bdt. sempacensis Bdt. turicensis Bdt. humilis Bdt. bohemica Hllch. Acrocoregoni - Gruppe. longispina Nrm. Brdy. acrocoregoni Bdt. coregoni neocomiensis Bdt. matilei Bdt. Helvetica - Gruppe. styriaca If. coregoni lemani Bdt. Eucoregoni - Gruppe. Es ergiebt diese mühevolle Studie die Erkenntnis einer kaum ge- ahnten Formen- Ausbildung, die den Verfasser zu den Schlussfolgerungen leitet: Jeder geographische individualisierte See hat im Schweizerland eine eigene systematisch individualisierte Lokalvarietät, und ferner erklärt der Verfasser es als unerlaubt, solche verschiedene Lokalvarietäten in eine Form zusammenzuziehen und schließt mit drei möglichen Wegrichtungen: 1. Jede Kolonie ist eine besondere Art. 2. Die Varietäten werden ganz ignoriert, nur je eine Art wird aufgestellt. 3. Nur eine Species wird für alle aufgestellt und alle vorkommenden Formen sind nach Lokal- varietäten zu beschreiben. Copepoda. Ueber die Cyelopiden giebt der Verfasser nur wenige systematische Daten. Oyelops strenuus Fschr. — Ü. leuckarti Cls. Ueber Diaptomus: Diaptomus denticornis Wrzk.; D. bacillifer Klkl.; D. gracilis Srs.; D. graciloides padana Bdt.; D. laciniatus Li}. Auch die Gattung Heterocope mit den 2 Arten saliens Lllj. und weismanni 1£. wird näher beschrieben. Teil IV. A. Verbreitung der einzelnen Species. Ueber die Rotatorien, Copepoden und Cladoceren. Das Ergebnis des Verfassers ist, dass außer Mastigocerca capueina und vielleicht Poly- arthra platyptera euryptera keine einzige Rotatorien-Species zur zoologischen Einteilung der Seen dienen kann. Nur sind Anuraea cochlearis, Notholca longispina wohl auch Conochilus untcornis für die eigentlichen Seen charakteristisch. Bei den Cyelopiden ist auffällig die ganz allgemeine Verbreitung ohne aber überall im Plankton eine große Rolle zu spielen, besonders in den subjurassischen Seen. B. Lokalvariation. Verfasser bespricht die Möglichkeit der Ver- schleppung und dadurch Verursachung der neuen Lokalvariationenbildung. C. Gruppierung der Seen. Am Anfang von Abschnitt A berührt Verfasser schon die Berücksichtigung der negativen Daten, Seine Gruppierung ist: Burekhardt, Seen der Schweiz und ihrer Grenzgebiete. 431 Positives Vorkommen. I. Große Seen der Ebene. Polyarthra platyptera euryptera Wrz. Mastigocerca capucina W. 2. Diaphanosoma brachyurum Lvn. Daphnia hyalina Ldg. Bosmina coregoni Brd. acrocoregoni Bdt. longirostris Mr. Bythotrephes longimanus Ldg. Leptodora hyalina Ll]j. Diaptomus gracilis Srs. 1. Ganz tiefe, kalte Seen, ohne flache Ufer. Bythotrephes longimanus Ldg. westliche und südliche Gebiete 2 Diaptomus - Species. 2. Tiefe Seen und ganz tiefe, warme Seen. Bythotrephes longimanus Ldg. Diaphanosoma brachyurum Lon. Mastigocerca capucina W. 2. westliches und südliches Gebiet 2 Diaptomus - Species. 3. Wenig tiefe Seen. Diaphanosoma brachyurum Lvn. Mastigocerca capucina W. 2. nur 1 Diaptomus. Bosmina coregoni meist acrocoregoniBdt. „ longirostris Mr. Oft Polyarthra platyptera eurypteraWrz. ll. Kleine Seen der Ebene. Anuraea aculeata Ebg. Daphnia hyalina Ldg. longispina Mr. cucullata Srs. Ceriodaphnia. Bosmina longirostris Mr. Leptodora hyalina Ldg. Diaptomus 1 spec. III. Alpenseen über 750 Meter. Daphnia longispina Ld. seltener Bosminen. IV. Gebirgsseen des Schwarzwald und Jura. Keine eigene Charakteristica. Mischtypen aus den benachbarten Ge- bieten. Herkunft noch zu lösen. Negatives Vorkommen. I. Große Seen der Ebene bis etwa 750 Meter. Anuraea aculeata Ebg. Daphnia longispina Mr. 1. Diaphanosoma brachyurum Lvn. Mastigocerca capucina W. 2. Bosmina longirostris Mr. 2. Bosmina longirostris Mr. 3. Bythotrephes longimanus Ldg. II. Kleine Seen der Ebene. Bosmina coregoni Brd. Bythotrephes longimanus Ldg. Diaptomus laciniatus Llj. Heterocope. III. Mastigocerca capueina W. 2. Diaphanosoma brachyurum Lon. Ceriodaphnia. Bythotrephes longimanus Ldg. “ Leptodora hyalina Lil). IV. — D. Herkunft der echt limnetischen Tierwelt unserer größeren Seen. Diese Seen müssen ihre echten limnetischen Bewohner aus derselben Quelle bezogen haben: Daphnia hyalina, Bosmina core- goni, wohl auch Bythotrephes longimanus und Leptodora hyalina Lil). und die 3 Diaptomiden. 2 erste Arten, schon seit langer Zeit getrennt, nach den seither durchgemachten Veränderungen zu schließen. Diaptomus laciniatus lässt die Hypothese des Glacialsees oder vielmehr von tem- porären Verbindungen der einzelnen Becken plausibler erscheinen als die Verschleppung. Es würde dann eine schon lange bestehende "Trennung von Zuger- und Zürichsee angenommen werden. Die kleinen Seen haben ihre Fauna jedenfalls durch Verschleppung erhalten; sie besteht nur aus solchen Formen, die auch noch jetzt in ein neugebildetes Wasserbecken einwandern können. Unsere eigentlichen Seen und ihre Fauna sind verhältnismäßig alt, freilich in ganz anderem Sinne als Pavesi, der sie als marine Relikten auffassen wollte. s 432 L’annee biologique. Soweit die Ergebnisse und Resolutionen des Verfassers über dieses schwierige Gebiet, die auch jetzt noch ein unermessliches Arbeitsfeld in den verschiedenen Kontinenten als Hauptstudium erst vorbereiten helfen, Das fleißige Litteraturverzeichnis enthält 131 Autoren und 440 Arbeiten und schließlich ein alphabetisches Verzeichnis der Fundorte und Organis- men. Die 4 Doppeltafeln und 1 einfache Tafel sind sehr schön. Sie enthalten folgende Abbildungen: Tafel I. Sida limnetica Bdt.; Diaphanosoma brachyurum Lvn.; Daphnia pulex pulicarioides Bdt.; D. crassiseta Bdt.; D. rectifrons Stgln.; D. longespina sphaerica Bdt.; D. longispina rotundirostris Bdt.; D. hyalina Ldg. S d- Tafel II. Daphnia hyalina Ldg.; Bosmina coregoni Brd. Tafel III. Bosmina coregoni Brd.; B. coregoni stingelini Bdt.; B. longirostris Mr. Tafel IV. Bosmina coregoni Brd.; B. longirostris Mr.; Diaptomus lacinvatus Ll]j. Tafel V. Diaptomus gracilis Sars; D. denticornis Wrz.; Hetero- cope saliens Lllj.; H. weismanni 1£. Ich gratuliere dem Verf. zu seiner ersten Arbeit. Ich werde später auf sie zurückkommen. Dr. phil. Othm. Em. Imhof. [42] L’annee bivlogique. Comptes rendus annuels des travaux de biologie generale, publies sous la direction de Yves Delage, professeur ä la Sorbonne ete. Troisieme annee 1897. Gr. 8. XXXV u. 842 Stn. Paris. Librairie C. Reinwald. 1899. Von diesem „Jahresbericht“, über dessen Eigentümlichkeiten wir gelegent- lich der Anzeige der beiden ersten Bände berichtet haben, liegt jetzt der dritte Band, die Litteratur des Jahres 1897 umfassend, vor (vergl. Nr. 6, S. 203). Die dort hervorgehobenen Vorzüge kommen auch dem neuen Bande in vollem Maße zu. Die Kapitel-Einteilung ist zum Teil verändert. Eine dieser Ver- änderungen, welche die Herausgeber für wichtig genug erachten, um sie in der Vorrede besonders hervorzuheben, wird an dieser Stelle folgendermaßen erläutert. Unter dem Namen Polymorphismus begreift man die Erscheinung, dass innerhalb einer und derselben Species ganz verschieden gestaltete Indi- viduen vorkommen. Der Polymorphismus kann aber von dreierlei Art sein. Bei Bienen z. B. unterscheidet man die Königin, die Arbeiterinnen und die Drohnen. Bei den Hydromedusen entstehen aus dem Ei die festsitzenden Polypen; aus diesen entstehen durch Knospung die treischwimmenden Medusen. Endlich findet man Polymorphismus, welcher durch den Einfluss des umgeben- den Mediums hervorgerufen wird, z. B. wenn die einfachen Zellfäden der Spiro- gyra durch Zusatz von 4°/,, Magnesia zum Wasser, in welchem die Pflanze lebt, veranlasst wird, sich zu verzweigen, oder bei Zusatz von Kaliumphosphat in einzellige Algen zu zerfallen. Diese drei Fälle sind aber durchaus verschieden. Den ersten bezeichnen die Herausgeber als Polymorphismus durch Arbeits- teilung (polymorphisme ergatog&nique); den zweiten nennen sie polymorphisme metagenique, da er mit dem Generationswechsel zusammerhängt; den dritten als polymorphisme oecog£nique, weil er durch das umgebende Mittel (oiz0s, Wohnung) bedingt ist. Demgemäß wird der erste dem Kap. IX (Geschlecht), der zweite dem Kap.X (Generationswechsel), der dritte dem Kap. XVI (Variation) angereiht. Wie die früheren Bände wird auch dieser neue den Arbeitern auf dem gesamten Gebiete der Biologie häufig von großem Nutzen sein, zumal das be- arbeitete Material ein sehr umfassendes ist und zahlreiche Publikationen be- rücksichtigt, welche selbst sehr große Bibliotheken nicht alle zu liefern im stande sind. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der yes in Erlasse Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle ‚Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 1. Juli 1900. Nr. 13. Inhalt: Franeeseo Castracane degli "Antelminelli (IT. Stück und Schluss). — Thilo, Ergänzungen zu meiner Abhandlung „Sperrvorrichtungen im Tier- reiche“. — Joachimsthal, Die angeboreneu Verbildungen der oberen Extremi- täten. — Zacharias, Trichodina pediculus Ehrb. als Mitglied des Planktons der Binnenseen, — Aus den Verhandlungen gelehrter Geselischaften: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien: Wettstein, Descendenz- theoretische Untersuchungen, Francesco Castracane degli Antelminelli. Von Margherita Mengarini-Traube. (I. Stück und Schluss.) IM: Familie; Kindheit; Religiosität; Ende. Die Familie Castracane ist jedenfalls eine der ältesten Europas. Die authentischen in Lucea und im Familienarchiv zu Fano aufbewahrten Dokumente und Stammbäume, die jetzt, so viel ich weiß, in dem städtischen Archiv aufbewahrt werden, reichen bis in das fünfte Jahrhundert zurück. Unter dem Kaiser Arkadius und dem Papste Zosimus lebte der erste beglaubigte Ahnherr der Familie in Lucca, der adelige Ciatto degliAntelminelli. Bis zum neunten Jahrhundert besitzt die Familie nur eine weitere Nachricht und zwar, dass die Familie sich so enorm vermehrt habe, dass die Mitglieder übereingekommen seien, zwar den Geschlechtsnamen der Antelminelli beizubehalten, aber jedem ver- schiedenen Zweige noch einen Namen beizulegen, die alle genannt sind. So erhielten die Castracani ihren Namen. Die berühmtesten Biographen der Familie, Tegrimi, Macchiavelli, Aldo Manuzio, stammen aus dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, doch giebt es deren auch moderne. Alle haben zum Hauptgegenstand das hervor- ragendste Mitglied der Familie, den wilden und genialen Castruceio, der davon träumte ein Königreich Toscana zu gründen, woran er nur durch einen frühen und plötzlichen Tod nach gewonnener Schlacht verhindert wurde. Der Hass des toskanischen Niecolö Macchiavelli gegen den Feind seiner Vaterstadt war, fast 200 Jahre nach dessen XX, 28 434 Francesco Castracane. Tode, noch groß genug, um Castruccio zu einem Findelkinde zu stempeln, welches von zwei kinderlosen alten Castracane’s in einem Weinberge gefunden wurde. Zwei andere Biographen aus derselben Zeit, Tegrimiund Aldo Manuzio, hingegen geben seine genaue Genea- logie. Nach diesen ist Castruccio der einzige Sohn des Gerio Castra- cane und seiner Gemahlin Puccia degli Streghi. Wie dem auch sei, da, nach Macchiavelli, Castruccio weder zur Familie gehörte noch Kinder hinterließ, so würde der Stammbaum der Familie in keinem Falle verkürzt, und ein Zeichen für ihre Kraft und Fruchtbarkeit bleiben. Der Groll des Florentiners wird nur noch, nach fast ferneren vier- hundert Jahren, von dem jüngsten Biographen der Familie, dem Grafen Alessandro'), Bruder unseres Don Francesco, übertroffen, der dem großen Florentiner die Rache am Ahnherrn nicht verzeihen will und die ehrenrührigen Worte des Paolo Giovio gegen ihn besonders in Betreff der Biographie des Castruecio wiederholt. Eigentlich sollte es nicht nötig sein, die Wichtigkeit einer genealogischen Frage für den über- zeugten Darwinisten hervorzuheben. Die Leidenschaft der demokra- tischen Gleichmacherei ist aber so groß, dass derartige Fragen gern wie veraltete Spielereien betrachtet werden. Der moderne Mensch sollte sich anstatt dessen erinnern, dass die Abstammung eines Menschen eine günstige oder ungünstige Prognose, nie aber ohne Bedeutung für ihn sein kann. Die Familie Castracane hatte in den 1300 Jahren, in denen sie bisher auf der Höhe eines reichen Adelsgeschlechtes lebte, welches stets an den politischen Ereignissen und Umwälzungen seiner Vaterstadt teilnahm, Zeit, bestimmte Familien- charaktere zu züchten und zu befestigen. Die Familie zählt bisher ungefähr 45 Generationen, von denen 15 in Fano ansässig waren, wohin die Familie im 15. Jahrhundert aus Lucca übersiedelte. Diese Zahlen übersteigen, auch wenn man von den ersten, etwas sagenhaften Jahrhunderten absieht, um ein bedeutendes die von Reib- mayr?) gefundenen, der für das Mittel langlebiger, am Grundbesitz hän- gender Familien 300 Jahre mit ungefähr 10 Generationen angiebt. Die Familie zeichnet sich noch in der jetzigen Generation durch Energie, Körper- kraft und Langlebigkeit aus, während ihre Fruchtbarkeit abgenommen zu haben scheint. In der Familie sind so ziemlich alle Gewerbe ver- treten. Im frühen Mittelalter gingen aus ihr besonders Kaufleute her- vor, später Soldaten, Geistliche und Diplomaten. Einen einzigen, seinerzeit berühmten Rechtsgelehrten zählt die Familie im 16. Jahr- hundert und einen Naturforscher, den Gegenstand dieser Blätter. Ein Grundfehler der Familie ist nach dem Verfasser ihrer Genealogie, dem 4) Alessandro Castracane degli Antelminelli, Genealogia dei Castracani di Fano. Rimini 1896. 2) A. Reibmayr, Inzucht und Vermischung beim Menschen. Leipzig und Wien. Deuticke 1898, Francesco Castracane. 435 Grafen Alessandro, die Streitsucht, die sich meist in Prozessen, in früherer Zeit jedoch auch gelegentlich durch Verwandtenmord offen- barte. Erst seit dem 15. Jahrhundert scheint die Basis der Familie auf dem Grundbesitz zu beruhen. Die Familie selbst jedoch lebte, wie dies in Italien fast überall der Fall, in der Stadt. Der noch in ihrem Besitz befindliche Familienpalast aus dem 15. Jahrhundert weist in den Linien seiner Facade wie in seinen Sälen die Großartigkeit und den ernsten Adel auf, den wir stets in den Bauten dieser politisch so aufgeregten Zeit finden. Die Eltern Don Francesco’s, reiche Grundbesitzer, erzogen ihre elf Kinder mit eiserner Strenge. Diese hingen auf das Liebevollste an ihnen, trotzdem jene durch Wiedererrichtung des Majorates alle anderen dem ältesten opferten. Don Francesco wurde bereits als siebenjähriges Kind den Je- suiten in Reggio Emilia zur Erziehung übergeben. Ein bemerkens- werter Zug seiner eisernen Willenskraft in diesem zarten Alter ist die Art, wie er versuchte, sich von den Frostbeulen zu befreien, die er sich in den eisigen Pensionatssälen des im Winter recht kalten Ortes holte, und an denen er während seines ganzen Lebens litt. Ein Ge- fährte hatte ihm als untrügliches Heilmittel geraten, die kranken Füße in Papier zu wickeln und dieses nicht eher abzunehmen als bis sie völlig geheilt seien. Der Knabe befolgte den Rat und beharrte trotz wütender Schmerzen bei seiner Kur, bis andere Knaben die Aufseher auf das ebenso spartanische als unsaubere Verfahren aufmerksam machten. Sie fanden die Füße des Kindes mit Eitergängen durchsetzt und geschwollen durch eine Entzündung, die auch die Beine er- griffen hatte. Don Francesco!) fasste schon damals den Vorsatz, Priester zu werden. Nachdem er seine in Reggio begonnenen Studien in seiner Vaterstadt beendigt, wurde er dort 1840 zum Priester geweiht. Vier Jahre später wurde er zum Canonicus an der dortigen Kathedrale ernannt. Das hinderte ihn nicht, seine Studien in Rom im Collegio dei Nobili zu vervollständigen. Auch legte er sein Amt als Canonicus, welches mit nieht unbeträchtlichen Einnahmen verknüpft war, bereits im Jahre 1852 nieder, um ganz frei zu sein. Don Francesco hatte ein Bedürfnis nach persönlicher Freiheit, wie es den modernen, in ihre Aemter eingeklemmten Menschen zu ihrem Glücke häufig abgeht. Er hätte zu den höchsten geistlichen Würden aufsteigen können, die ihm nicht nur durch seine hervorragende Begabung zukamen, sondern Kraft seiner Abstammung und der Freundschaft des Pio IX. für seine Fa- 1) Die Daten über C.’s Priesterlaufbahn entnahm ich der schönen Com- memorazione del conte ab. Francesco Castracane degli Antelminelli fatta dal socio Prof. Giambattista de Toni. Memorie della Pontifieia Accademia dei Nuovi Lincei. Roma 1999, 28* 436 Francesco Castracane. milie besonders leicht erreichbar waren. Er hat sie in Demut abge- lehnt. Er erzählte mir, dass er, der stolz auf seinen persönlichen Mut war, den größsten Schreck seines Lebens erfuhr, als er eines Tages einen Verkünder hoher geistlicher Ehren vor seinem Hause anhalten sah. Dass ein Mensch wie er nichts halb that, und stets und voll für seine Ueberzeugung eintrat, versteht sich von selbst. So nahm er es vor allem ernst mit seinem Amte. Er war ein echter Priester und innig fromm. Er empfand nie einen Widerspruch zwischen Wissen- schaft und Religion, zwei Dinge, die seiner Ueberzeugung nach des- halb garnicht in Streit geraten können, weil sie, wie Ton und Farbe, von zwei verschiedenen Organen aufgenommen werden. Der Intellekt diente ihm zur Auffassung der Dinge, und seine Seele zur Aufnahme religiöser Offenbarung. Ein geistreicher Dilettant der Chemie, der damals unter dem Einflusse Moleschotts stehende Marquis Stefano Capranica, suchte ihn einst in Verlegenheit zu bringen, indem er ihn fragte, wie er sich zu der Fastenvorschrift der Kirche verhielte, die die Fische nicht unter den Fleischspeisen zählt. Castracane ant- wortete ihm: mein lieber Vetter, ich habe die Vorschriften der Kirche zu befolgen, aber nicht zu diskutieren. Wenn Du Lust zur Diskussion hast, so wähle ein wissenschaftliches Thema. Einst schrieb er mir, als ich ihm meine Sorge um mein schwerkrankes Kind mitteilte: ich erwähne Sie und ihren Knaben täglich in der heiligen Messe. Nie hat Jemand der Ungläubigen ein schöneres und einfacheres Trostwort gespendet.‘ Zwei Jahre vor seinem Tode schrieb er mir, er fühle sich seinem Ende nahe und wünschte mich noch zu sehen. Dass es sein inniger Wunsch sei, mich in den Schoß der Kirche aufgenommen zu sehen, hatte er mich dabei zum ersten male in einer zwanzigjährigen Freund- schaft ahnen lassen. Er war kein Proselytenmacher und achtete die persönliche Freiheit wie kein anderer. Nur der Gedanke an seinen Tod vermochte ihn, das zu sagen, was sich in seiner Seele barg. Ich eilte nach Fano und fand den alten Herren in der besten Stimmung, nachdem er, während einer halbstündigen schweren Ohnmacht, ehe er noch einer Bewegung, ja nur eines Atemzuges mächtig war, von den grausam unvorsichtigen Aerzten gehört hatte: quält ihn nicht; es ist zu Ende. Wir verbrachten den heitersten Abend zusammen in der Gesell- schaft seines Neffen Antonio, der, vielseitig wie sein Onkel, eine Fabrik von Thonröhren betreibt, die er selbst gegründet hat, und deren Pro- dukte. er in einem eigenen Segelschiff bis nach Dalmatien verhandelt. Außerdem ist er sehr musikalisch und hat in diesem Jahre seine erste Oper mit Erfolg in Rom aufgeführt. Seine junge Gemahlin verklärte den Abend durch ihre Schönheit. Don Francesco setzte uns ein Mal vor, welches dem Bewunderer ” Francesco Castracane. 437 Brillat Savarin’s — er eitierte ihn gern — alle Ehre machte. Er selbst, von den Aerzten zur strengsten Diät verurteilt, saß beiter neben uns und freute sich, die Speisen loben zu hören, die er nicht berührte. Nie habe ich einen Menschen gekannt, der so wie er die Vorschrift Friedrich des Großen verwirklichte, alles zu genießen und alles ent- behren zu können. Der nächste Tag war ein Sonntag. Don Francesco las die Messe in einer winzigen, schlichten Kapelle im eigenen Hause. Ein römischer Botaniker und ich waren, mit Ausnahme einiger Bauerfrauen, allein zugegen. Don Francesco’s innige Ueberzeugung, sein Wunsch, mich zu bekehren, erhoben ihn über sich selbst. Seine sonst schwache, zitternde Stimme tönte in der Macht der Verheißung. Der flehende Wunsch: „dona nobis pacem“ weckte die Sehnsucht nach dem Frieden, der das Sterben leicht macht. Während ich dem Priester zu folgen suchte, störte mich der Botaniker durch allerlei unverständliche Zeichen, auf die ich allerdings nicht weiter achtete. Nach der Messe machte er mir ganz aufgeregt Vorwürfe, dass ich in den vorschriftsmäßigen Momenten nicht niedergekniet, ja mich sogar nicht einmal erhoben hätte. So lernte ich zwei Dinge: erstens, dass es auch für die An- dacht eine Technik giebt, die dem Dilettanten fehlt, und zweitens, wie die Gewalt der Form den, dem der Inhalt nicht lebendig ist, noch beherrschen kann. Ob ich die braven Bauerfrauen gekränkt habe, weiß ich nicht. Don Francesco hat mich sicherlich verstanden. Nach der Messe sagte er noch das Credo. Ich nahm den erhebenden Ein- druck dieser Stunde mit nach dem einsamen Ravenna. Don Francesco war ein wahrhaft glücklicher Mensch, und sein Glück war um so seltener, als er sich dessen täglich und stündlich bewusst war. Er war gesund; er hatte eine Selbstbeherrschung, die ihn vor jedem Abwege bewährte und ihm kein Opfer allzu schmerz- lich machte, wenn ihm das Ziel erstrebenswert erschien. Er hatte eine unendliche Freude an der Natur und an der Naturwissenschaft. Er nahm ein besonderes Interesse an den neuesten technischen Fort- schritten, die ihm unsere Zeit besonders anziehend machten. Er war ganz fest in seinem Glauben, der ihm die Norm für sein Handeln gab und ihm nie auch nur einen augenblicklichen Zweifel zwischen gut und böse ließen; er hatte Freude an den Menschen wie an der Musik. Er hatte ein tiefes Verständnis für beide, aber konnte beide mit hei- terer Ruhe entbehren. Er war garnicht ehrgeizig und garnicht eitel. In seinem echten Unabhängigkeitssinne, der den anderen die gleiche Freiheit zugestand, die er für sich selbst forderte, hat er nie jemanden tyrannisiert und andererseits seine eigenen Rechte stets mit der größten, ja eigensinnigsten Energie gewahrt. Er hat es verstanden, sich sein Leben genau seinen Bedürfnissen anzupassen. Er hat vom Leben N soviel gesehen, wie er wollte. Er hatte die Freunde, die er haben 438 Francesco Castracane. wollte, und die Stellung, die er sich erwählt hatte. Er hat nie einen Menschen beneidet. Dieser absolut glückliche Mensch, den ich soeben geschildert, war jedoch ein alter Mann. Als ich ihm einst sein Glück pries, sagte er mir: es ist wahr, ich bin glücklich. Aber glauben Sie mir, ich habe einen schweren Kampf ausgefochten. Don Francesco war eine starke und leidenschaftliche Natur. Er erzählte viel von seinen Erleb- nissen, nie etwas von dem, was ihn bewegt hatte. Da er kein Dichter war und andererseits seine Seele ernst nahm, so schwieg er. Das Alter brachte ihm den Frieden. Es war ihm vergönnt, im späten _ Alter nicht nur nicht zurückzugehen, sondern sich weiter zu entwickeln und selbst in seiner Wissenschaft fortzuschreiten. Seine letzten Arbeiten standen mindestens auf der Höhe seiner besten Jugendleistungen. In den letzten Jahren bereitete er sich mit Heiterkeit auf sein Ende vor, ohne irgendwelche Einbuße an seiner Lebensfreudigkeit zu erleiden. Am Tage vor seinem Tode hat er wie stets gearbeitet; am Morgen seines letzten Tages las er wie stets die Messe; beim heiteren Mahle hat er dann noch mit den Seinigen gescherzt. Er ist schmerzlos ge- storben. IN. Wissenschaftliche Arbeiten. Castracane bezeichnete sich bis zuletzt als einen Dilettanten. Dies Wort kann man nur gelten lassen, wenn es wörtlich verstanden wird, da ja Dilettant einen Menschen bedeutet, der Freude an seinem Gegenstande hat. Es gab nicht leicht einen Menschen, der größere Freude an der Betrachtung der Natur hatte als er. Im übertragenen und banalen Sinne war er nichts weniger als ein Dilettant, sondern ein echter Gelehrter, der frei von persönlicher Eitelkeit nur und aus- schließlich die Wahrheit suchte. Castracane war hingegen ein Auto- didakt. Erhatniedie Universität besucht, und von naturwissenschaftlichem Unterricht war natürlich zu seiner Zeit in den Schulen wenig die Rede- Er selbst erzählt in einer seiner späteren Arbeiten (88) wie die Dia- tomeen das Studium seines Lebens wurden. Ich gebe seine eigenen Worte in der Uebersetzung: „Angezogen von der wunderbaren Ent- deckung Fox Talbot’s in England, Niepce’s und Daguerre’s in Frankreich, fing ich seit dem Winter 1841 an, verschiedene Verfahren der Photographie zu studieren, indem ich ihre Entwicklung verfolgte und mich der Verbreitung dieser merkwürdigen Kunst widmete, mittels deren wir die Natur zwingen, sich selbst zu malen; ich hielt es jedoch für mich für richtig, die Photographie vorzugsweise in einer Art anzu- wenden, die der Wissenschaft dienen könnte.... so wollte ich es ver- suchen durch die Photographie eine authentische Darstellung jeder geringsten Einzelheit zu geben, die durch das Mikroskop enthüllt werden könnte, Ich kann nicht genau angeben, aus welcher Zeit Francesco Castracaue, 439 meine ersten Versuche der Mikrophotographie stammen, jedoch finde ich in meinen Notizen, dass ich mich im Beginn des Jahres 1862 übte, Mikroorganismen photographisch abzubilden. Um nicht in tausend verschiedenen Gegenständen die guten Erfolge zu zersplittern, die ich mit den verschiedensten Mikroorganismen erzielt hatte, beschloss ich ausschließlich Diatomeen zu photographieren, die mir gerade in dieser Zeit bekannt wurden“. Castracane war einer der Allerersten, wahrscheinlich der Erste, der die Mikrophotographie in die biologischen Wissenschaften einführte, die jetzt einen so reichlichen und fruchtbaren Gebrauch davon machen. Er selbst sagt darüber: „Diese Ehre (Mitgliedschaft der päpstlichen Akademie) wurde mir zu Teil... für einige nicht zu verachtende Mikrophotographien der Diatomeen, welche mich anspornten, diese fast gänzlich neue Methode weiterzuführen“. In England sind seine Ver- dienste auch in dieser Hinsicht seit Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn anerkannt worden, wie denn all seine Arbeiten fast gleich- zeitig auch in englischen wissenschaftlichen Zeitschriften erschienen, während sie in den Akten der päpstlichen, dem Publikum fast unzu- gänglichen Akademie sonst begraben worden wären. In Deutschland kümmerte man sich damals wenig oder garnicht um das, was auf wissenschaftlichem Gebiete in Italien veröffentlicht wurde. Erst sehr spät ist er dort bekannt geworden, eigentlich erst in den letzten Jahren seines Lebens, was um so erstaunlicher ist als er die seinerzeit all- gemein anerkannte Theorie Pfitzer’s über die Wachstumsunfähigkeit der Diatomeen und ihre ausschließliche Reproduktion durch Teilung mittels zahlreicher scharfsinniger Beobachtungen beseitigte, worauf ich später noch zurückkommen werde. In einer seiner letzten Arbeiten führt Castracane eine glückliche Neuerung in Bezug auf die Mikro- photographie ein, der allgemeine Verbreitung zu wünschen ist (99). Ich führe seine eigenen Worte an: „Um das Verständnis der Mikro- photographien zu erleichtern, welche, obgleich sie alle optischen Quer- schnitte des dargestellten Gegenstandes mit gleicher Treue wieder- geben, doch nur einen davon mit der gewünschten Klarheit wieder- geben können, habe ich es zweckmäßig gefunden, jeder photomikro- graphischen Figur eine halbschematische Zeiehnung beizufügen, in welcher eingezeichnet ist, was der Verfasser besonders auf der Photo- graphie hervorheben möchte“. C. führte außerdem auch die vor der Herstellung apochromatischer Linsen wichtige monochromatische Beleuch- tung beim Mikroskopieren ein. Trotzdem C. durch die Photographie zu dem Studium der Diato- meen geführt wurde, war es doch nicht die morphologische und syste- matische Seite, die, wie es den meisten derartigen Specialisten geschah, seine besondere Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Der erste Vortrag, den er in der Akademie zur Erläuterung seiner Photographien hielt, 440 Francesco Castracane. beschäftigte sich, nachdem er eine kurze historische Uebersicht über die damals sehr unvollständige Diatomeenkunde gegeben, mit Bemer- kungen über die Biologie der Wesen, die noch nicht von allen Botanikern zu den Pflanzen gezählt wurden. Castracane, der über ihre starke Sauerstoffausscheidung experimentiert hatte, hebt ihre Bedeutung als wahrscheinlich einzige Erzeuger freien Sauerstoffes in großen Meeres- tiefen hervor, wodurch sie das tierische Leben der Meeresabgründe ermöglichen (fauna abissale). Sie bilden gleichzeitig fast die aus- schließliche Nahrung jener Wesen, die durch ein mangelhaftes Loko- motionsvermögen in jene Abgründe gebannt sind. Castracane hat dies Thema mehrfach behandelt. In einer seiner älteren Schriften weist er nach, dass die Diatomeen noch in einer Tiefe von 2460 m leben. Er fand das Cölom zweier Seeigel damit vollgestopft, die von der Challengerexpedition in dieser Tiefe gefischt waren (67). In einer späteren Arbeit (70) untersucht er den Darminhalt von sechs Holo- thurien, die von derselben Challengerexpedition in verschiedenen Tiefen von 2512 bis zu 5274 m gefischt waren. Die sechs Tiere waren mit Myriaden von Diatomeen angefüllt. Castracane erhebt selbst den Einwand, dass diese Tiere vielleicht nur die Schalen von zu Boden gesunkenen Diatomeen verschlungen hätten. Dies sei um so eher mög- lich, als er selbst beobachtet habe, dass Holothurien, die im seichten Wasser leben, in den warmen Monaten, in denen sie sich also fast an der Oberfläche des Meeres aufhalten, sich mit Sand vollstopfen, wahr- scheinlich um den Wellen einen größeren Widerstand zu bieten. Er schließt jedoch diese Zweifel aus, nachdem er erstens festgestellt hat, dass äußerst gebrechliche Schalen, die aus viel geringeren Tiefen nur zertrümmert an das Tageslicht gelangen, sich im Verdauungsapparat der Challenger-Holothurien unversehrt in großen Mengen fanden. Es ist dies die Synedria Thalassiothrix, das einzige Genus, welches eine dem unbewaffneten Auge sichtbare Länge, bei einem mikroskopisch kleinen Durchmesser besitzt. Die besagte T’halassiothrix erreicht näm- lich die für eine Diatomee enorme Länge von 3, selbst 4mm, während ihr Durchmesser nur wenige Hundertstel eines Millimeters beträgt. Bei einem solchen Missverhältnis ist ihre äußerste Gebrechlichkeit selbst- verständlich, die sich nach dem Absterben durch den Schwund des Colleoderms und des protoplasmatischen Inhaltes noch steigert. Dass zahllose Exemplare derselben unversehrt im Darminhalt der Tiefsee- holothurien angetroffen wurden, ist für Castracane ein Beweis, dass die Diatomeen dort geboren waren, wo sie verschlungen wurden. Aber einen zweiten ausschlaggebenden Beweis führt Castracane ebenfalls an. Er fand in einigen Exemplaren unzweifelhafte Reste des Endochroms, welches allerdings durch die Aufbewahrung in Alkohol gelitten hatte aber doch ganz unverkennbar war. Dass eine noch lebende oder eben abgestorbene Diatomee von der Oberfläche in die Tiefe gelangen könnte, Francesco Castracane. 441 ist ganz auszuschließen, da sie, auch wenn man den Einfluss der Strömungen und den Widerstand des Salzwassers nicht mitberechnet, sondern einfach die Daten zu Grunde legt, die Faraday für das Sinken von Goldstaub in einem ruhig dastehenden Gefäße süßen Was- sers fand, immerhin in runder Summe 3500 Jahre betragen würde. Dabei ist der Unterschied des spezifischen Gewichtes der beiden Körper noch ganz außer Augen gelassen, während in Wirklichkeit das Gold 196,0 und Kiesel 14,2 wiegt. Rätselhafter denn je wird das Problem von dem Eindringen des Sonnenliehtes in diese Meerestiefe, ohne welches das Leben der auf ihr Chlorophyll angewiesenen Diatomeen undenkbar ist. Castracane sucht dafür nach hypothetischen Erklärungen, denen er selbst als ge- wissenhafter, nach Thatsachen suchender Forscher natürlich nur ihren hypothetischen Wert beimisst. Er erinnert daran, dass das Wasser den breehbareren Teil, und besonders die chemisch wirksamen Strahlen des Spektrums weniger absorbiert als die Wärmestrahlen, dass das Salzwasser für Lieht durchlässiger ist als das süße Wasser. End- lich hält er es nicht für unmöglich, dass die gewölbte Oberfläche des Meeres die Strahlen, die aus dem dünneren Medium der Luft in (las diehtere des Wassers übergehen, ablenkt und kondensiert. Castra- cane sprieht in seiner ersten Arbeit davon, dass die Oberfläche des Wassers wie eine Linse wirken könne. Er hat diese Vorstellung dann aufgegeben, da ja der Brennpunkt einer Linse außerhalb derselben liegt. In jedem Falle bleiben die Bedingungen des an das Licht ge- bundenen pflanzlichen Lebens in der Meerestiefe eine offene Frage, die in keinem Falle zu umgehen ist, da auch ohne die von Castracane entdeckten Tiefseediatomeen doch das Dasein von dort lebenden Tieren, der Echinen z. B., die nur eine kriechende Bewegung besitzen, ohne das Bestehen niederster Pflanzenorganismen in der Tiefe nicht zu denken ist. Castracane hebt zum Schlusse hervor, wie aus theore- tischen Ueberlegungen über die Unmöglichkeit der Belichtung des Meeresgrundes noch bis vor einem Vierteljahrhundert das tierische Leben in einer Tiefe von mehr als 1000 m unter dem Meeres- spiegel für unmöglich erklärt wurde, während die neuere Erforschung der Meeresabgründe in allen Tiefen Leben fand. Für Castracane war das Diatomeenstudium gewissermaßen ein Mittel zum Zweck, eine vorzügliche Methode, um nach dem Zusammenhange der Dinge zu forschen. Er drückt dies besonders klar in einer Abhandlung aus, deren deutscher Titel also lauten würde: Probleme, die durch die Diatomeenforschung gelöst werden können, und ihre Bedeutung (25). Er betont darin noch einmal die Bedeutung der zahllosen Diatomeen für die Erzeugung freien Sauerstoffes im Meere und außerdem für die Assimilierung stickstoffhaltiger Substanzen, wodurch sie das Wasser reinigen, wie er im Aquarium beobachtet hatte. 442 Francesco Castracane. Zur Erforschung der Flora der Meeresabgründe, die hauptsächlich aus Diatomeen besteht, schlägt Castracane vor, Wasserproben aus verschiedener Tiefe zu entnehmen und die Entwicklung der stets vor- handenen Sporen im Aquarium abzuwarten. Die erwachsenen Diato- meen finde man nur an anderen Algen oder Tieren haftend oder durch Fischen mit einem seidenen Netz. Bei Besprechung der reichen Dia- tomeenflora des nördlichen Polarmeeres sprach Castracane schon damals die Vermutung aus, dass das elektrische Licht das Sonnen- licht ersetzen könne, und dass also das Nordlicht während der Winter- nacht am Pole die von Nordenskjoeld beobachtete Fruktifikation der Algen und das besonders reichliche Wuchern der Diatomeen ermögliche. Castracane schreibt der Diatomeenforschung zwei ganz aus- einanderliegende Verdienste zu: Erstens wurde sie direkt Veranlassung zu den außerordentlichen Fortschritten in der Konstruktion der mikro- skopischen Linsen, die nur durch die „Testobjekts“ in Form der ge- schmücktesten Diatomeenschalen möglich waren. Zweitens verdankt die Geologie der Unzerstörbarkeit der kieseligen Diatomeenschalen manche interessante Aufklärung. C. hat z. B. festgestellt, dass der Boden der großen Schwefellager in Sieilien Meeresboden war, da er ausschließlich aus Salzwasser- diatomeen besteht. Er weist auch nach, dass das große Diatomeen- lager, welches sich durch das ganze Gebiet Urbino’s bis nach Senigallia am adriatischen Meere erstreckt, nicht, wie man bis dahin annahm, gleichzeitig und gleichartig mit dem berühmten Biliner Lager sei. Letzteres besteht aus Süßwasserdiatomeen, während die ersteren nicht nur Meeresdiatomeen sind, sondern auch, wie die Species beweisen, in großer Tiefe und bei einer Temperatur von ca. 0° gelebt haben. Hin- gegen besteht der Diatomeengrund Livorno’s in Uferflora und zwar einer, die in der Nähe einer Flussmündung bestanden hat. Die fossilen Diatomeen der adriatischen Küste sind wahrscheinlich älter als die des Mittelmeeres, da ihre Formen der Eismeerflora angehören. Ueber die Bildung der Kohlen in den geologischen Epochen ver- mag 0. mittels seiner Diatomeen höchst interessante Aufschlüsse zu geben. Er fand sowohl in einer Braunkohlenader, die sich durch das Steinsalzlager von Wieliezka zieht, als in Braunkohlen des unteren Mio- cän in der Nähe Urbino’s Salzwasser- und Süßwasserdiatomeen. Er schloss daraus, dass die Braunkohlen aus Meeresdetritus hervorgingen, welcher nachher dem Süß- oder Sumpfwasser ausgesetzt war. Er war der Erste, der in der Steinkohle Diatomeen fand und also ihr Vor- kommen in der paläozoischen Periode feststellte. Das Vorkommen der Diatomeen in der Steinkohlenperiode beweist vor allen Dingen, dass die Steinkohlenbildung nicht ausschließlich an der Luft stattfand, sondern dass das Wasser oder der sumpfige Boden zu ihrer langsamen Verbrennung beitrug. C. hebt hervor, dass er in dem paläozoischen Francesco Castracane. 4453 Material nicht eine einzige von den jetzigen abweichende Species an- getroffen habe, und dieser Befund bekräftigt ihn in seiner Ueber- zeugung von der Unveränderlichkeit der Arten). Das von den Autoren behauptete Vorkommen von Diatomeen im vulkanischen Gestein schließt C. auf Grund eigener negativer Be- funde aus. Sogar die Hydrographie kann der Diatomeenkunde Aufschlüsse verdanken. Das Sinken abgestorbener Diatomeenschalen ist nur dort möglich, wo das Wasser absolut ruhig ist, oder aber, was viel wahr- scheinlicher, wo sich ein Wirbel bildet, dadurch, dass zwei einander entgegengesetzte Strömungen sich tangential berühren. Nur auf diese Weise sind die ungeheueren Diatomeenbänke zu erklären, deren eine die Challengerexpedition im antarktischen Ozean entdeckte. Denselben Ursprung müssen die fossilen Diatomeenlager in Sieilien und am adriatischen Meere haben. C. war der sorgfältigste Beobachter und mit einem unglaublichen Gedächtnis für all die Rippehen und Knöpfehen und Raphe und sonstigen stereometrischen Eigentümlichkeiten der Diatomeen begabt. Ueber den Bau ihrer Schale hat er verschiedene interessante Beobach- tungen gemacht. Er fand (18) durch die Betrachtung abgeriebener Schalen und an Querschnitten, dass die Schalenwände aus geschichteten Lamellen bestehen. Die innere und die äußere Längswand sind durch Querwände verbunden und gekammert; so besteht bei großer Dauer- haftigkeit eine solche Leichtigkeit, dass die Diatomeen an der Ober- fläche des Wassers treiben. C.’s Hauptarbeit in der Systematik ist die Beschreibung und Klassifikation der von der berühmten Challengerexpedition gemachten Diatomeenbeute. Er hat in dieser Arbeit?) drei neue Genera, 225 neue Species und einige dreißig Varietäten veröffentlicht (67). Er betrachtete jedoch diese Arbeiten nur als Vorarbeiten zu einer endgiltigen Klassi- fikation, die erst in Angriff genommen werden könne, wenn die Re- produktion der Diatomeen und all ihre Entwickelungsstufen vollständig erkannt seien. Trotzdem C.’s Hauptarbeiten gerade in dieses Gebiet fallen, war er doch überzeugt, dass es noch nicht genügend erforscht sei, um eine natürliche Klassifikation darauf zu begründen. C. hatte sich vor Allem um die Zerstörung einiger biologischer 4) Saporta und Marion in der Bibliotheque seientifique internationale, L’Evolution du Regne vögötal, Paris 1881, bemerken hingegen zu dieser Ent- deckung folgendes: Ce fait important d&montre d’une maniere indiscutable que les types d’une grande simplieit& ont rapidement atteints leur stade definitif et ont pu se perpetuer ensuite sans &tre trop impressionees par les change- ments biologiques. 2), DesKoni loe:. it! p.24. 444 Francesco Castracane. Vorurteile verdient gemacht. So hatte er in einer seiner ersten Ar- beiten (4) nachgewiesen, dass man die Gestalt des Endochroms, wie das von Pfitzer vorgeschlagen und von den Autoren angenommen war, nicht zu Klassifikationszwecken verwerten dürfe. Das Endochrom ver- ändert seine Form während der Sporenbildung. Seine sogenannte Kranzform ist einfach die Einleitung dieser; die kleinen Massen, in die es unter Umständen zerfällt, sind die jungen Sporen, die sich in der Mutterdiatomee bilden und sofort mit einer Kieselhülle umgeben. Gerade diese Sporenbildung wurde von den Autoren bis vor wenigen Jahren auf das energischste geleugnet. Schon vor CO. hatten Rabenhorst und O’Meara zwei vereinzelte Beobachtungen über das Ausschwärmen von Sporen aus der Diatomeenmutter angestellt. Da die Diatomeen vielfach von Parasiten heimgesucht werden, wurden diese nicht näher charakterisierten Sporen in ihr Bereich gewiesen. C. (9) wies jedoch überzeugend nach, dass die von ihm beobachteten Wesen wirklich junge Diatomeen seien, junge Podosphänien, die beim Aus- schlüpfen aus der Mutter dem Beschauer am Mikroskop in ihrer drehenden Bewegung ihre beiden charakteristischen Profile zeigten. Die Sporenbildung wurde von den Autoren deshalb so hartnäckig geleugnet, weil sie ein zweites Vorurteil notwendigerweise zerstören musste, nämlich das von der Wachstumsunfähigkeit der Diatomeen, die ihres starren Kieselskelettes wegen nur durch aufeinander folgende Teilungen kleiner werden könnten. C., der in einer Diatomeenwucherung Sporen in allen Größen bis zu der einer erwachsenen Diatomee fand, betonte die Wachstums- fähigkeit des Kieselskelettes, welches nicht wie die zweischaligen Muscheln am Rande wachse, sondern an der ganzen Oberfläche. Er folgerte letzteres vor allem daraus, dass er an den kleinsten Sporen eines fossilen Coseinodiseus (80) die Kieselgranula, die sie schmücken, ganz dieht zusammengelagert fand. Je größer die Sporen, je weiter standen die Granula auseinander. Er schloss noch außerdem daraus, dass die Zahl der Granula wahrscheinlich nach der Bildung der Spore nicht mehrzunehme. Castracane war überzeugt, dass der von ihm unzweifelhaft nach- gewiesenen Sporenbildung eine Konjugation vorausgehen müsse. In den meisten seiner Arbeiten kam er auf diesen Kardinalpunkt zurück. Die Vermehrung durch Teilung sei nur eine Erweiterung des indi- viduellen Lebens wie die vegetative Vermehrung bei den höheren Pflanzen. Die Vermehrung durch Teilung sei sogar bei den Diatomeen nur auf jene Genera beschränkt, die zwei Symmetrieebenen besitzen. Bei den anderen sei sie nicht denkbar und auch nie nachgewiesen worden. C. hat Zeit seines Lebens die von ihm vorausgesetzte Diatomeen- konjugation zu überraschen gesucht, ohne dass ihm dies gelang. Einmal Francesco Castracane, 445 beobachtete er in meiner Gegenwart zwei Diatomeen, die durch eine protoplasmatische Brücke verbunden schienen. Er wurde jedoch später, ich weiß nicht weshalb, an der Erklärung dieses Vorganges, den er im ersten Augenblick als Konjugation deutete, zweifelhaft und hat nichts darüber veröffentlicht. Den von den Autoren angenommenen Vorgang der Verschmelzung zweier Diatomeen in eine sogenannte Auxospore, d.h. eigentlich in eine Diatomee maximaler Größe, welche die durch fortwährende Teilung zu klein gewordenen Diatomeen wieder auf das richtige Maß zurückzuführen bestimmt sei, ohne dass diese zu wachsen brauchten, hat er nie beobachtet; er ist stets von ihm be- zweifelt worden. Eine endlose Vermehrung durch Teilung sei undenkbar. Die wirk- liche Vermehrung, nämlich die Reproduktion, könne nur auf Grund geschlechtlicher Konjugation und Bildung von Keimen stattfinden. Dieser Satz wird vielleicht vielen wie ein Gemeinplatz erscheinen. Dass er es nicht ist, beweisen die großen niederen Pflanzen- und Protozoengruppen, denen bisher die geschlechtliche Vermehrung ab- gesprochen wird, weil sie noch nicht beobachtet wurde. Die allerneuesten Beobachtungen drängen zur Anerkennung dieses von C. so klar formulierten Satzes. Ich erinnere beispielshalber an die geschlechtliche Vermehrung der Malariaparasiten, die erst kürzlich entdeckt wurde. Auch kann ich mich nicht enthalten, der großen Gruppe der Amöben zu gedenken, denen sie offiziell noch abgesprochen wird, trotz der gegenteiligen Beobachtungen Maggi’s. Ich habe die Konjugation der Amöben und zwar zwischen Makro- und Mikrogameten schon vor mehreren Jahren in äußerst zahlreichen Fällen beobachtet. Herr Prof. Sanfelice war so gütig, mir mit der camera lucida die Zeichnungen zu machen. Es ist vorauszusehen, dass auch die Amöben binnen kurzem nicht mehr als Ausnahme betrachtet werden. — Aber kehren wir zu den Arbeiten C.s zurück. In einer seiner letzten Arbeiten beobachtete er und bildete ab die gleichzeitige Teilung und Sporenbildung bei Melosira und Odontidium. Diese Diatomeen teilen sich so, dass die neue Diatomee aus einer alten und einer neuen Schale besteht. Während die neue Schale noch in der Anlage war, beobachtete C. ganz junge Sporen in der sich teilenden Diatomee. C. betont, dass die Teilung der Dia- tomeen nur bei denjenigen Genera eine Verkleinerung herbeiführe, in denen die beiden Schalen schachtelartig imeinandergreifen, eine Ver- kleinerung, die höchst wahrscheinlich auf dem natürlichen Wege des Wachstums ausgeglichen würde. C. spricht hier vorzugsweise von Vermehrung (moltiplieazione), da bei Odontidium und Molosira augen- scheinlich außer der Teilung der Mutterschalen eine Art Sprossung der neuen Schale vom Gürtelringe aus erfolgt. So ist also die Teilung bei den Diatomeen ein Vorgang, der nicht nur nicht in allen Genera 446 Francesco Castracane. stattfindet, sondern dessen Typus auch von der Form der Diatomeen beeinflusst wird. Die wirkliche Reproduktion, die Sporenbildung, ist hingegen ein allen Diatomeen gemeinsamer Vorgang, den C. an sehr verschiedenen Genera beobachtet hat, wie er auch die Sporen in fossilen Dia- tomeen fand. Außer diesen verschiedenen Vermehrungsweisen giebt es nun höchst wahrscheinlich einen dritten Vorgang, der zu der Teilung in näherer Beziehung steht. Es ist dieses ein Generationswechsel. C. berührt ihn nur kurz (99). Er beobachtete in einer Melosira varians, die eine eylindrische Form besitzt, Ketten, die nach beiden Seiten mit einer halbkugeligen Form endigen. C. nimmt an, dass die Mutterdiatomee eine vollständige Kugel war, die sich durch Teilung (eher wohl durch Sprossung?) in eylindrische Formen vermehre, so dass die erste und letzte Halbkugel ursprünglich zusammengehörten. C. hat nur Halb- kugeln gesehen, berichtet aber über Beobachtungen Miquel’s, der einzelne kugelförmige Melosiren beschreibt, die nach ihm dazu dienen, die durch Teilung zu klein gewordenen Diatomeen auf ihr richtiges Maß zurückführen. Ich maße mir nicht an, in den vorliegenden Zeilen eine irgendwie erschöpfende Uebersicht über Castracane’s Arbeiten gegeben zu haben. So schwieg ich über seine zahlreichen optisch-mikroskopischen und seine mikrophotograpbischen Arbeiten und auch über seine inte- ressanten Beobachtungen über das Leben der Diatomeen in heißen Quellen und die Studien über Uferflora und die wogende Flora der Süßwasserseen. (C. nennt das sogenannte Phytoplankton der Seen flora lacustro-vagante). Seine systematischen Arbeiten, in denen er Auf- schluss über so viele neue Formen giebt, habe ich kaum berührt. Castracane selbst beschäftigte sich in den letzten Jahren seines Lebens fast ausschließlich mit den Reproduktionsvorgängen der Dia- tomeen und den daran sich knüpfenden allgemeinen Betrachtungen. Die meisten seiner Arbeiten enthalten Beobachtungen, die wohl ge- eignet sind, zu neuen Studien anzuregen. So seine Beobachtungen über die Fortpflanzungsbedingungen der Diatomeen, die weder zu allen Jahreszeiten, noch im Aquarium ihren ganzen Cyklus durchlaufen, weswegen ihre Sporulation so lange unbekannt blieb, und ihre Em- pfindlichkeit gegen verschiedene Dichten des Wassers, wodurch Myriaden von Diatomeen in den Sümpfen nahe am Meere dem Untergange ver- fallen und nur durch eine Dauersporenbildung vor gänzlicher Aus- rottung bewahrt werden. Vor allem ist jedoch noch der Generations- wechsel zu studieren, mit dem sich Castracane erst in seinen letzten Arbeiten beschäftigte, und der erst in seinen allerersten Stadien über Francesco Castracane, 447 die Hypothese hinaus ist. Gar manche Anschauung, die sich Castracane in Antizipation und hypothetisch gebildet, ist uns jetzt geläufig und wohl bewiesen. Ein unleugbares Zeichen ihres Wertes. Verzeichnis der Schriften desGrafen Ab. Francesco Castracane degli Antelminelli. Mit Erlaubnis des Verfassers abgedruckt aus: Commemorazione del conte ab. Francesco Castracane degli Antelminelli fatta dal Socio Prof. Giam- battista de Toni. Memorie della Pont. Ace. dei Nuovi Lincei. Vol. XVI. Roma 1899. [1] On a new method of illumination (monocromatiec) in the Study of Dia- toms. (Quart. Journ. Mier. Sc., vol. V, Nr.5, p. 249). London 1865. [2] Catalogo di Diatomee raccolte nella Val Intrasca. (Comm. Soe. erittog. ital., vol. II, fase. II, p. 214.) Genova 1866. [3] On Micerophotography. (Quart. Journ. Mier. Se., vol. VII, Nr. 5, p. 60.) London 1867. [4] On the multiplieation and reproduction of the Diatomaceae. (Ibid. vol. VII, Nr. 5, p. 255.) London 1868. Su la moltiplicazione e riproduzione delle Diatomee. (Atti Ace. pont. N. Lincei, anno XXI, p.147.) Roma 1868. [5] Cenmni storiei e generali su le Diatomee. (Ibid. XXI, p. 65). [6] Su Tuso delle linee di Nobert e delle preparazioni di Diatomee a valutare l’effieacia dei mieroscopii. (Ibid. XXII, p. 111.) Roma 1869. [7] Rettifieazione alla memoria presentata nella sessione IV su l’uso delle linee di Nobert e delle preparazioni di Diatomee a valutare l’effieacia dei mieroscopii. (Ibid. XXII, p.170). Roma 1869. [3] Sui diversi metodi di misurare oggetti mieroscopiei. (Ibid. XXII, p. 73). [9] Osservazioni sopra una Diatomea del genere Podosphenia Ehrb. (Ibid. XXI, p.138.) Roma 1869. [10] Sopra un sistema nuovo di ricerche su le Diatomee e risultati ottenuti da quelle nel 1869. (Ibid. XXIII, p. 100.) Roma 1870. [11] Cenni su l’esame mieroscopico di un fango estratto dal fondo dell’ Oceano Atlantico. (Ibid. XXI, p. 212.) Roma 1870. [12] Esame microscopico e note eritiche su un campione di fango Atlantico ottenuto nella spedizione del Poreupine nell’ anno 1869. (Ibid. XXIV, p. 16). Roma 1871. [13] Su la illuminazione monocromatica del mieroscopio e la fotomierografia e loro utilitä, con 1 tav. (Ibid. XXIV, p. 106.) Roma 1871. [14] The magnifying power of the microscope, markings on Surirella Gemma etc. (Monthly Micr. Journ., vol. V, Nr. XXVIII, p. 173.) London 1871. [15] Le Diatomee e la geologia nelle formazioni marina. (Atti Accad. pont. N. Lincei, anno XXV, p.55.) Roma 1872. [16] Su la risoluzione delle linee di Nobert e su i progressi della micro- grafia. (Ibid. XXV, p. 363.) Roma 1872. [17) Sopra la straordinaria apparenza presentata dal mare Adriatico nella seconda metä del luglio 1872. (Ibid. XXVI, p. 37.) Roma 1873. [18] *ulla struttura delle Diatomee. (Ibid. XXVI, p. 127.) Roma 1873. [38] Francesco Castracane. Le Diatomee del Litorale dell’ Istria e della Dalmazia, con 1 tav. (Ibid. XXVI, p. 335 e 399.) Roma 1873. Le Diatomee in relazione alla geologia a proposito di una scoperta fattane in una lignite del territorio di Urbino. (Ibid. XXVII, p. 68.) Roma 1874. Le Diatomee nell’ etä del carbone. (Ibid. XXVII, p. 68.) Roma 1874. Die Diatomeen der Kohlenperiode, übersetzt von Prof. F. Boll. (Pringsheim’s Jahrb. f. wiss. Bot., Bd.X.) Berlin 1874. Sur l’existence des Diatom&es dans differentes formations g&ologiques. (Comptes rendus, Acad. Sc., LXXIX, p.52.) Paris 1874. La visione binoculare in relazione alla micerografia. (Atti Accad. pont. N. Lincei, XXVII, p. 263.) Roma 1874. La teoria della riproduzione delle Diatomee, con 1 tav. (Ibid. XXVII, p. 317.) Roma 1874. Problemi che potranno venire sciolti dallo studio delle Diatomee e importanza di quello. (Ibid. XXVIII, p. 153.) Roma 1875. Istruzioni per chi voglia raccogliere Diatomee. (Ibid. XXVIII, p. 263.) Roma 1875. Contribuzione alla florula delle Diatomce del Mediterraneo, ossia esame del contenuto nello stomaco di una Salpa pinnota pescata a Messina. (Ibid. XXVIII, p. 377.) Roma 1875. Sulle Diatomee esistenti nel Carbon fossile e rapporti scientifici delle medesime. (Ibid. XXVIII, p. 424.) Roma 1875. Diatomaceae in the Carboniferons Epoch. (Month. Mier. Journ., XII, p. 243.) London 1875. Examination of coal for Diatoms. (Ibid. XIV, p. 291.) London 1875. Note critiche alla teoria del Dr. Pfitzer. (Atti del Congr. botan. internaz. di Firenze, maggio 1874). Su una tromba di acqua scaricatasi sul territorio di Fano il giorno 2 Sett. 1875 (Att. Ac. Pont. N. Sincei, XXIX, p. 59.) Roma 1876. Nuovi argomenti a provare che le Diatomee riproduconsi per mezzo di germi. (Ibid. XXIX, p. 223.) Roma 1876. Del limite della visibilitä nel mieroscopio. (Ibid. XXIX,. p. 387.) Össervazioni e note ad eluceidazione dello sviluppo delle Diatomee. (Ibid. XXX, p. 69.) Roma 1877. Analisi mieroscopiea di un deposito di Diatomee dei Monti Livornesi. (Ibid. XXX, p. 241.) Roma 1877. Studi sulle Diatomee. (Ibid. XXX, p. 399.) Roma 1877. Osservazione ad una nota del Prof. M. S. de Rossi sulla variazione di temperatura osservata nelle acque termominerale. (Ibid. XXX, p. 438.) Roma 1877. Traduzione con prefazione e note del discorso pronunziato il giorno 2 febb. 1876 alla R. S. microscopiea di Londra dal President H. C. Sorby | (sulla relazione fra il limite degli ingrandimenti del micro- scopio e le molecole ultime della materia organica ed inorganica) |. Roma, E. Loescher, 1877. Studi sulle Diatomee (Triplicee omaggio alla Santita di Papa Pio IX nel suo giubileo episcopale offerto dalle tre Romane Accademie: Pontifieia di Archeologia, Insigne delle belle Arti denominata di S. Luca, Pontificia dei Nuovi Lincei, vol. Scienze, p. 139, con 1 tav.) Roma 1877. Francesco Castracane. 449 Nuovo genere e specie di Diatomee. (Atti Accad. pont. N. Lincei, XXXI, p. 179.) Roma 1878. Una nuova varietä di Melosira Borrerü. (Ibid. XXXI, p. 321.) Roma 1878. Nouvelle forme de Melosira Borrerü et Cyclophora tenuis nouVv. gen,, n. sp., traduit par M. Paul Petit. (Brebissonia, I ann., Nr. 2, p. 21.) Paris 1878. Replique & l’observation de M. Paul Petit sur le Cyelophora tenuis, (Ibid. I ann., Nr. 5, p.75.) Paris 1878. Considerations sur l’&tude des Diatom&es. (Brebissonia, I ann., Nr. 1—4), Paris 1878. Nuova forma di Melosira Borrerü Grev. (Atti Soc. erittog. ital., vol. I, p. 17.) Milano 1878, La Grammatophora longissima Petit fra le Diatomee italiane. (Ibid., vol. I.) Milano 1878. Se e qual valore sia da attribuire nella determinazione delle specie al numero delle strie delle Diatomee. (Atti Acc. pont. L. Lincei, XXXI, p. 442.) Roma 1878. Distinzione delle Diatomee marine in flora littorale e flora pelagiea. (Ibid. XXXII, p. 36.) Roma 1879. Cenni biografici su la eontessa Fiorini-Mazzanti. (Ibid. XXXII, p. 307.) Roma 1879. Nuova contribuzione alla florula delle Diatomee del Mediterranes. (Ibid. XXXIIL, p. 99.) Roma 1880. Presentazione di una nota del Sig. A. Certes. (Ibid. XXXIII, p. 239.) Note eritiche intorno a due nuovi tipi di Diatomee italiane. (Ibid. XXXII, p. 250.) Roma 1880. Össervazioni su i generi Homoeocladia Schizonema. (Ibid. XXXII, p. 337.) Roma 1880. Striae of the Diatomaceae, with a note by F. Kutton. (Journ. R. Mier. Soe., vol. I, Nr. 5, p. 787). London 1881. Straordinario fenomeno della vita del mare osservato nell’ Adriatico nella estate del 1880. (Atti Ac. Pont. N. Lincei, XXXIV, p. 9.) Roma 1881. Analisi mieroscopiea di uno scandaglio. (Ibid. XXXIV, p.481.) Roma 13S1. Studio su le Diatomee del lago di Como. (Ibid.XXXV, p. 119.) Roma 1882. Importanza dello studio delle Diatomee per il Geologo. (Ibid. XXXV, p. 296.) Örigine dei depositi marini di Diatomee ed esistenza probabile di speciale flora lacustro-vagante delle medesime. (Ibid. XXXVI, p. 17.) Roma 1883. Generalitä sulle Diatomee. (Ibid. XXXVI, p. 151.) Roma 1833. Profonditä ceui giunge la vita delle Diatomee nel mare. (Ibid. XXXVI, p. 195.) Roma 1883. Intorno ad alcune carte nautiche dei secoli XIV, XV e XVI. (Ibid. XXXVI, p. 296.) Communicazioni diverse. (Ibid. XXXVII.) Sulle polveri raccolte nella pioggia dell’ 8 gennajo 1884. (Ibid. XXXVII, p. 151.) Roma 1884. Presentazione di una nota. (Ibid. p. 307.) 29 450 [60] 167] [68] [79] Francesco Üastraeane. Sopra il vegetare delle Diatomee in fondo al mare, (Ibid. XXXVIII, p. 46.) Roma 1885. Communiecazione: A. Certes. Sulle fermentazioni .sotto pressione. (Ibid. XXXVII, p. 47.) Analisi mieroscopiea di un cealcare del territorio di Sl (Ibid. XXXVIII, p. 115.) Roma 1885. Össervazione su una Diatomea fossile relativa al processo di ripro- duzione. (Ibid. XXXVIII, p. 218.) Roma 1885. Le raccolte di Diatomee pelagiche del Challenger. ln XXXIX, p. 231.) Roma 1886. Sulla moltiplieita delle forıne che osservansi fra le Daaıe di acqua dolce e piü fra le marine. (lbid XXXIX, p. 244.) Roma 1886. I tripoli marini nella valle Metaurence. (Boll. Soc. geologiea ital., vol. V, P.343.), Roma 1887. Nuove osservazioni sulla profonditä eui giunge la vegetazione delle Diatomee nel mare. (Memorie Accad. pont. N. Lincei, vol. I, p. 229.) Roma 1837. Report on the Diatomaceae collected by H. M. S. Challenger during the years 1873—76. (Report on the scientific results of the voyage of H. M. S. Challenger during the years 1873—76: Botany, vol. I.) London 1886. Contribuzione alla flora diatomacea africana. Diatomee dell’ Ogone riportate dal conte Giacomo di Brazzä. (Atti Ace. pont. N. Lincei, X 1,5px127.)7 21880 Saggio sulla flora diatomacea delle cosidette Muffe delle Terme di Valdieri. (Notarisia di de Toni e Levi, vol. III, p. 384.) Venezia 1888. Quale sia l’estensione della vita vegetale nella profonditä del mare. (Atti Congr. naz. botan. erittog. in Parma, fase. II.) Parma 1888. Le Diatomee e il trasformismo darwiniano. (Memorie Ace. pont. N. Lincei, vol. Ill, p. 231.) Roma 1888. Sopra una bivalva. (Ibid. XLI, p. 78.) Roma 1888. Su la Cyelophora. (Ibid. XLI. p. 82.) La Cyelophora e da rignadarsi qual genere fra le Diatomee? Consi- derazioni su questo e su altri casi analoghi. (Ibid. XLIL, p. 52.) Roma 1889. Il tripoli africano della valle del Dobi tra Assab ed Aussa. (Ibid. XLII, p. 120.) Roma 1889. Forma critica e nuova di Pleurosigma del Golfo di Napoli. (Ibid. XLII, p137.) La visione stereoscopiea nello studio delle Diatomee. (Ibid. XLII, p. 250.) [Anche in Rivista seientifico-industriale, vol. XII, Firenze 1390.] Reproduetion and multiplieation of Diatoms. (Journ. R. Mier. Soc., read. Ith January 1889.) London 1889. [Tradotto poi dal Dr. J. Pelletan in francese e ripubblicato nel Journal de Microgr., t. XIII, p. 396, Paris 1889.] Aggiunte alla flora diatomologica italiana. Lettera aperta ai redattori della Notarisia. (Notarisia di De Toni e Levi, IV, Nr. 15, p. 790.) Venezia 1889. [80] [81] [82] [83] [84] [85] [86] [87] [88] [89] [90] [91] [*2] [93] [94] [95] 196] [97] [98] [99] [100] [101] Francesco Castracane. 451 Sul deposito di Jackson’s Paddock, Oamaru nella Nuova Zelanda. Osservazioni biologiche. (Atti Acc. pont. N. Lincei, XIII, p. 79.) Roma 1890. Sopra un nuovo obiettivo di mieroscopio. (Ibid. p. 215.) Össervazioni sulla vita del mare fatte a Fano nell’ estate del 1889—90. (Nuova Notarisia, II, p. 293.) Padova 1891. Azione delle Diatomee marine in rapporto al cealeare. (Atti Accad. pont. N. Lincei, XLIV, p. 104.) Roma 1891. Ricerca di Diatomee sul mar Morto. (Ibid. p. 139.) Sopra un fenomeno ottico. (Ibid. p. 139.) Nuovo sistema di illuminazione per lo sviluppo delle immagini foto- grafiche. (Ibid. XLV, p.40) Roma 1892. Nıuovo metodo di osservazione mieroseopica delle Diatomee. (Ibi@. p. 117.) La riproduzione delle Diatomee. (Memorie Accad. pont. N. Lincei, vol. VIII, p. 211.) Roma 1892. Su una raccolta di Amphipleura pellueida Knetz. (Notarisia, VII, p. 1271.) Venezia 1892. De la r&produetion des Diatomees. (Le Diatomiste, I, Nr. 13 —15; II, Nr. 1—3.) Paris 1893. Studio biologieo delle Diatomee. (Atti Accad. pont. N. Lincei, XLVI, p. 66.) Roma 1893. Le Diatomee del lago di Ploen, (Ibid. p. 138.) La visione stereoscopica applicata alle Diatomee. (Ibid. p. 145.) Le spore delle Diatomee. (Ibid. XLVII, p. 48.) Roma. [Tradotto in Francese nel Diatomiste, 1894; negli Annales de Micrographie, X, P..30 35; Paris. 1893. Die Diatomeen des Großen Plöner Sees. (Forschungsber. aus der biol. Stat. zu Plön, II, 1894.) Nachtrag zum Verzeichnis der Diatomeen des Großen Plöner Sees. (Ibid. III, 1895.) La sporulazione e la divisione della Melosira varians Ag. (Ibid. XLVII, p. 73.) Roma 1895. La sporulazione e la divisione della Fragilaria crotonensis Edw. (Ibid. XLVII, p 87.) Roma 1895. Risultati da trarre dalla sporulazione delle Diatomee. (Ibid. XLIX, p. 107.) Roma 1896. Intorno all’ epoca di riproduzione nelle Diatomee marine. (Nuova Notarisia, VII, p. 37.) Padova 1896. I processi di riproduzione e quello di moltiplicazione in tre tipi di Diatomee. (Memorie Accad. pont. N.Lincei, vol. XI, p. 22, tav. X—XI.) Roma 1896. [Uebersetzt in Annales de Micrographie, X, p. 67—80, Paris 1998.] Nuovo tipo di Rhizosolenia e note critiche sui genera Rhizosolenia € Attheya. (Atti Acead. pont. N. Lincei, L, p.53.) Roma 1897. Una raccolta di Diatomee all’ imboccatura del porto-eanale di Fano. (Ibid. LI, p. 67.) Roma 1898. Autorendenzione delle terre povere. (Memorie Acead. pont. N, Lincei, vol. XV, p. 383.) Roma 189. 29 # 4529 Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. Ergänzungen zu meiner Abhandlung !) „Sperrvorrichtungen im. Tierreiche”. Von Dr. med. Otto Thilo in Riga. Herr Dr. Kathariner hat vor kurzem in dieser Zeitschrift?) be- hauptet, ich hätte in meiner Abhandlung „Sperrvorrichtungen im Tier- reiche“ die anatomischen und mechanischen Verhältnisse am Gebisse der Vipern unrichtig dargestellt, die von mir dort geschilderten „Sperr- vorrichtungen“ kämen an diesem Gebisse überhaupt nicht vor. — Aus dieser Behauptung scheint mir hervorzugehen, dass Herrn Dr. K.- der Bau von Sperrvorrichtungen überhaupt nicht ganz ge- läufig ist. Das soll kein Vorwurf sein; denn bisher hat sich ja der ver- gleichende Anatom kaum je eingehender mit Gesperren beschäftigt, und nur in der Maschinenlehre wurde ihr Bau genauer theoretisch und praktisch untersucht. Im Maschinenbau spielen sie eine so große Rolle, dass Reuleaux?) von ihnen sagen konnte: „Von allen Mechanismen, „über welche die praktische Mechanik verfügt, zeigen sich bei näherer „Untersuchung die Gesperre als die am meisten benutzten.“ Da die Mechanik der Tierkörper ja auch nichts anderes ist, als eine praktische Mechanik, so müssen in ihr selbstverständlich die Gesperre dieselbe Rolle, wie im Maschinenbau spielen. Man bemerkt denn auch bei näherer Untersuchung, dass an den Tierkörpern die Gesperre ganz besonders häufig vorkommen. Ueberall dort, wo es erforderlich ist, einen Körperteil sehr lange in einer bestimmten Stel- lung zu erhalten, findet man diese Arbeit den Muskeln durch Sperr- vorrichtungen abgenommen oder erleichtert. Dieses von mir schon früher aufgestellte Gesetz*) wurde, wie mir scheint, sehr richtig von Reh folgendermaßen erläutert: „Wenn der „tierische Organismus alle seine Bewegungen nur durch Muskeln regu- „lieren wollte, hätte er nieht nur eine unendlich viel größere Menge „davon nötig, sondern manche müssten auch eine so ungeheuere Stärke „haben, dass sie in keinem Verhältnisse mehr zum Körper stünden. „Die Tiere sorgen daher dureh rein mechanische Vorrichtungen für Ent- „lastung der Muskeln“. Hieraus kann man wohl ermessen, wie häufig Gesperre an den Tierkörpern vorkommen müssen. Trotzdem hat man sie noch wenig 1) Vergl. Biolog. Centralbl., Bd. XIX, Nr. 15, Aug. 1899: Otto Thilo, Sperrvorriehtungen im Tierreiche. 2) Dr. phil. u. med. Ludw. Kathariner, Die Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. Biolog. Centralbl., Bd. XX, Nr. 2, Jan. 1900. 3) Reuleaux, Konstrukteur, S. 601. 4) Vergl. Sperrvorrichtungen im Tierreiche. Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. 4553 erkannt! Ich glaube wohl deshalb, weil der Naturforscher noch zu wenig mit dem Bau der technischen Gesperre vertraut ist. Auch das Gesperre am Viperngebiss ist wohl nur dem vollkommen verständlich, welcher die Hauptformen der technischen Gesperre kennt. Ich halte es daher für notwendig, hier ganz kurz diese Haupt- formen zu besprechen. Uebrigens hat ja heutzutage der Naturforscher so viel mit den verschiedenartigsten, technischen Mechanismen zu thun, dass er immer mehr das Bedürfnis fühlt, sich genauer mit den Errungenschaften der technischen Wissenschaften bekannt zu machen. Fig. 1. Fig. 2. 7 So schreibt u. a. bekannter Wiener Professor der Chirurgie in seiner Arbeit über Kniegelenkverkrümmungen!) folgendes: „Ein näherer „wissenschaftlicher Kontakt zwischen der Chirurgie und einzelnen „polytechnischen Doktrinen, wie Baumechanik und Maschinenlehre „wird schon heute zum Bedürfnis. Ja in vielen Zweigen der Chirurgie „macht sich das Bedürfnis fühlbar, nach einer ständigen, in theore- „tischen wie in praktischen Fragen organisierten Berührung mit der „Technik.“ — Man unterscheidet an einem jeden Gesperre den gesperrten Teil (Fig. 15), den sperrenden Teil ce (die Sperrklinke) und den Steg «a, welcher d und c verbindet. In Fig. 1 ist die Sperrklinke e so geformt, 1) Prof. E. Albert, Die seitlicheu Kniegelenkverkrümmungen. Wien 1899. A. Hölder, 454 Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. dass sie durch einen Druck den gesperrten Teil 5 zurückhält. Sie wird daher auch „Druckklinke“ genannt. Es giebt aber auch haken- förmige Sperrklinken, welche einen Zug auf das gesperrte Stück aus- üben. Diese führen den Namen „Zugklinke“ (Fig. 2c). Die in Fig. 1 und 2 dargestellten Gesperre nennt Reuleaux „laufende Gesperre“, da sie nach einer Richtung beweglich sind, nach der anderen Richtung nicht bewegt werden können. Z. B. im Gesperre Fig. 1 ist 5 nach f beweglich, nach g nicht beweglich. Fig. 3 hingegen zeigt ein Ge- sperre, das weder in der Richtung /, noch in der Richtung 9 bewegt werden kann, wenn die Sperrklinke „geschlossen“ ist. Derartige Ge- sperre nennt Reuleaux „ruhende Gesperre“. Bei ihnen ist die „Ver- zahnung“ eine derartige, dass die Sperrklinke ec zugleich als Druck- und Zugklinke wirken kann!). Die in Fig. 1, 2 u. 3 dargestellten Gesperre heißen „Zahngesperre“. Auch im Tierreiche kommen Zahngesperre vor. Ich entdeckte ein solches an den Stacheln der Rückenflosse des Fisches Heringskönig (Zeus faber) Fig. 4. Der gesperrte Teil ist der erste Flossenstrahl der kückenflosse mit seinem Zahn (Sperrfortsatz, Fig. 4). Der zweite Strahl bildet die Sperrklinke?). Es giebt aber auch Gesperre ohne Zähne. Reuleaux nennt sie „Reibungsgesperre“, da bei ihnen durch keibungswiderstände die Bewegungen verhindert werden. Bei ihnen tritt also gleichsam die Reibung an die Stelle der Zähne. Zu den keibungsgesperren gehören z. B. die Hemmschuhe, die Bremsen der Eisenbahnwagen und Veloeipede, der Hebewerke u. s. w. — Ein schönes Beispiel von Reibungsgesperren im Tierreiche ist das Gesperre am Rückenstachel des Fisches Einhorn (Monacantus) Fig. 5. Ich habe schon früher?) darauf hingewiesen, dass dieses Gesperre der 1) Genaueres siehe Reuleaux Konstrukteur. 2) Näheres siehe „Sperrvorrichtungen im Tierreiche“ und „Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische* von Otto Thilo. Morphol. Jahrb., 1896. Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. 455 „Zuhaltung“ am amerikanischen Yaleschloss entspricht. Eine voll- ständig andere Art von Reibungsgesperren sind jene Vorrichtungen, welche die Giftzähne der Vipern feststellen; diese Gesperre erinnern in gewissem Sinne an unsere Bremsvorrichtungen. Hievon kann man sich leicht überzeugen durch Versuche an toten Vipern. Fig. 6 giebt ein Schema jener Knochenspangen des Kiefergerüstes, welche dazu dienen, den Oberkiefer nebst Giftzahn (8) aufzurichten und aufrecht zu erhalten. Mir gelingt es am bequemsten, die Giftzähne einer toten Viper aufzurichten, wenn ich auf das hintere Ende der Spange ce mit dem Finger einen derartigen Druck ausübe, dass ce zur Schnauze hin vor- geschoben wird. Dieses Verschieben ist jedoch nur so lange möglich, bis d das Hinterhaupt erreicht hat. Wenn d dem Hinterhaupt fest anliegt, so kann 5 nicht mehr nach vorn gedreht werden, da Spange c dann als „Zugklinke“ wirkt und 5 zurückhält. Es wird also das Umklappen von Ö nach vorn hiebei lediglieh durch Knochen- teile verhindert und den Muskeln fällt nur die Aufgabe zu, d gegen das Hinterhaupt zu drücken. Die hiezu erforderliche Kraft ist sehr gering, sie entspricht daher, vollständig der sogenannten „Schliesskrafi“ unserer Bremsvorrichtung en welche ja auch nur einen verhältnismäßig geringen Kraftaufwand er- fordert. Es genügt z. B. ein Druck der Hand, um ein Velociped bei voller Fahrt plötzlich za bremsen. Schwerlich aber ist wohl eine Menschenhand im stande, ein schnell dahinrollendes Velociped plötz- lich ohne Bremse aufzuhalten. Der Muskel, dem hauptsächlich die Aufgabe zufällt, d gegen das Hinterhaupt zu drücken, ist in Schema 7 mit m’ bezeichnet. Er ent- springt vom unteren Ende der Spange d und setzt sich an den unteren Teil des Hinterhauptes (os oceipit. later. et basil.) und bisweilen auch an einige der vordersten Wirbel. Er verläuft nahezu rechtwinklig zur Längsachse des Schädels, wenn die Spange c so weit vorgeschoben ist, dass d dem Hinterhaupt anliegt, ist also ganz besonders geeignet, d gegen das Hinterhaupt zu drücken. 456 Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. Ich finde diesen Muskel weder bei Hoffmann!) beschrieben, noch auch bei Kathariner, welcher ja im Wesentlichen mit Hoff- mann übereinstimmt. Ich fand diesen Muskel m‘ an der Klapperschlange, Lachesis mutus, Kreuzotter, Vipera aspis, Sandotter. Aber auch der Muskel m (Schema 7) zieht c gegen die Schädel- basis, wenn D aufgerichtet ist und erzeugt so bedeutende Reibungs- widerstände. Die Wirkung dieser beiden Muskeln kann man leicht nachahmen, wenn man den Oberkiefer aufriehtet, durch einen Druck auf das hin- tere Ende von c, wie oben erwähnt. Drückt man jetzt ganz leicht mit dem Finger die Mitte von c gegen die Schädelbasis, so steht der aufgerichtete Oberkiefer 5 so fest, dass es nicht mehr gelingt, ihn niederzulegen, selbst wenn man recht stark gegen die vordere Fläche von b drückt. Es bildet dann eben ce eine „Druckklinke“, welche durch Reibungswiderstände das Niederlegen von 5 verhindert. — Wir haben soeben gesehen, unter welchen Verhältnissen e als Druckklinke wirkt, oben legte ich dar, dass ce aber auch unter Umständen als Zug- klinke dienen muss. — .. Ein Gesperre aber, dessen Klinke sowohl dem Drucke als auch dem Zuge widerstehen kann, bezeichnet Reuleaux als „ruhendes Gesperre“ (vergl. S. 454). Ich hoffe daher, dass der Leser mir beistimmen wird, wenn ich die Vorrichtung, welche die Giftzähne der Vipern feststellt, als „ruhen- des Reibungsgesperre“ bezeichne. — Ich habe oben gezeigt, wie das „Schließen“ dieses Gesperres von den Muskeln m und m’ (Schema 7) bewirkt wird. „Gelöst“ wird das Gesperre durch Muskeln, die vom Schädel- dach und den Dornfortsätzen der vordersten Wirbel entspringen und sich an die Spangen e u. d ansetzen (M. pterygoparietalis, M. parietali- quadrato-mandibularis Hoffmann, Bronn’s Klass. u. Ord.). Ziehen sieh diese Muskeln zusammen, so werden die Spangen c und d vom Schädel abgehoben und es zeigt sich dann erst, wie wackelig das ganze Kiefergerüste ist, wenn es nicht mehr dem. Schädel anliegt. Herr Dr. K. giebt an, er habe nur Vipera berus, V. aspis und Cerastes cornutus untersucht. Ich gebe zu, dass an diesen kleineren Schlangenarten das Feststellen der Giftzähne durch einen Druck auf die Mitte der Spange c weniger deutlich hervortritt. Hat man jedoch erst einige größere Schlangenarten untersucht, so erkennt man auch ohne Mühe an der Kreuzotter und anderen kleineren Schlangen die- selben Verhältnisse. 1) Bronn, Klass. und Ordn. d. Tierreiches. 6. Bd., III. Abt. Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche, 497 Sehr erleichtert wird das Untersuchen kleiner Körperteile von Tieren, wenn man sie in eine Reissfeder klemmt, und die Reissfeder an einem stellbaren Arme eines Statives befestigt. Es gelang mir nur auf diese Art, die Gelenke von Stichlingen und anderen kleinen Tieren zu präparieren!). Ganz besonders klärend wirkte es auf meine Untersuchungen, als ich aus starker Pappe ein Modell herstellte, mit dem ich die Be- wegungen am Kiefergerüste der Giftschlangen nachahmen konnte. Ich glaube mit Hilfe eines derartigen Modelles würde auch Herr Dr. K. ohne Schwierigkeiten erkennen, dass es unmöglich ist ein freistehendes ‚Gelenkvieleck‘ (wie es das Kiefergerüste der Giftschlangen darstellt) durch Zugkräfte allein plötzlich festzustellen. In der praktischen Mechanik ist man daher genötigt ‚Gelenkvielecke‘ durch Stützungen (Sperrvorrichtungen) festzulegen“. Wenn nun der Giftzahn, welcher an einem derartigen Gestelle sitzt, in ein Tier geschlagen wird, das zu entfliehen strebt, so giebt es einen so gewaltsamen Ruck, dass ihn selbst die stärksten Muskeln plötzlich nicht aufhalten können. Wohl aber gelingt es den Muskeln leicht, das ganze Gestell gegen den Schädel zu drücken und so fest- zulegen. Die hiezu erforderliche Kraft ist sehr gering. Sie entspricht daher vollständig der mehrfach erwähnten „Schließkraft* an den technischen Gesperren. Man kann wohl sagen, wenn der Giftzahn gewaltsam nach vorn gerissen wird, so wirkt der Knochenstab ce als Zugklinke und so liegen gewiss sehr oft die Verhältnisse, wenn die Viper beißt, aber nicht immer, In Brehm’s Tierleben heißt es Seite 399 von der Kreuzotter: „Eine sinnlose Wut ist der hervorstechendste Zug ihres Wesens. Jedes „Ungewohnte reizt ihren Zorn; sie unterscheidet aber nicht, lässt „sich auf das gröblichste täuschen und wird niemals durch Erfahrung „gewitzigt. Fast mit derselben Wut, wie nach einem lebenden Wesen, „beisst sie nach dem ihr vorgehaltenen Stocke oder nach dem hinter „einem Glase gezeigten Finger. Sie stöss! sich die Schnauze blutig, „ohne zu erkennen, dass ihr Zorn zwecklos ist; sie beißt, wenn sie „erregt wurde, noch wütend in die Luft, auch wenn es nichts mehr „zu beißen giebt.“ Ich glaube nicht, dass in dieser „blinden Wut“ die Kreuzotter sehr genau den Winkel abmessen wird, unter dem sie ihren Giftzahn in die Beute schlägt. „Die blutige Schnauze“ zeigt, dass beim Beissen, auf den Zahn sehr häufig ein Druck ausgeübt wird, und dann muss der Stab c als Druckklinke wirken und nicht als Zugklinke, wie Herr Dr. K. es für alle Bisse behauptet. 4) Genaueres siehe: Anatomischer Anzeiger, Bd. XIV, Nr. 7, 1897; Otto Thilo, Das Präparieren mit Feilen, 458 Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. Auch wenn die Schlange den Giftzahn aus der Wunde hebt, kann dieses natürlich nicht durch einen einfachen Zug nach hinten geschehen. Herr Dr. Kathariner sagt, „dass die Schlange mit offensichtlicher Mühe die Giftfänge aus der Wunde hebt“. — Hiebei wird der Zahn hin und her gezerrt, so dass der Knochenstab © sowohl gegen Druck als gegen Zug festgestellt sein muss. Er wirkt dann als Druckklinke, aber auch als Zugklinke und bildet somit ein ruhendes Gesperre (siehe oben). — Wenn nun nach den obigen Darlegungen beim Feststellen der Giftzähne die Muskeln nicht die Hauptrolle spielen, so ist man wohl berechtigt zu fragen: was ist denn die Hauptaufgabe der ungeheueren Muskelmassen, die man am Kiefergerüste der Giftschlangen findet? Hierauf muss man antworten, dass beim Verschlingen der Beute alle Kiefermuskeln schwer arbeiten müssen und dass sie hiedurch sich so auffallend stark entwiekeln. Man bedenke doch nur was die kleine Kreuzotter alles nach den Angaben von Blum!) verschluckt: Frösche, Maulwürfe, junge Vögel. Leunis fand einen Siebenschläfer; Ho- meyer ein altes und ein junges Wiesel (Mustella vulgaris) im Magen einer Kreuzotter. — Ich wende mich nun noch zu einer anderen Behauptung des Herın Dr. K. Er sagt $. 50: „Die Darstellung (der anatomischen Verhältnisse) des Herrn Thilo ist unrichtig.“ — Der Leser wird es wohl bemerkt haben, dass ich in meinem Schema (Fig. 6) e als eine einheitliche Knochenspange dargestellt habe. Von der Richtigkeit dieser Darstellung kann man sich leicht über- zeugen, wenn man den Kopf einer Kreuzotter erfasst und das Quadrat- bein d zur Schnauze hin verschiebt. Es richtet sich dann, wie mehr- fach erwähnt, der Oberkiefer d mit dem Giftzahne auf. Dieses ist doch nur möglich, wenn zwischen d u. 5 eine feste Knochenspange besteht! Knickt man die Spange c etwa bei F' ein (Fig. 7) oder be- steht hier eine Gelenkverbindung, so ist es selbstverständlich nicht mehr möglich, durch einen Druck auf das hintere Ende der Spange © den Oberkiefer d aufzuriehten. Unverständlich ist es mir daher, wenn Herr Dr. K. behauptet, dass dieses doch möglich sei, und dass c aus Teilen besteht, die bei # (Fig. 7) beweglich sind. Ich glaube wenigstens eine Stelle in der Abhandlung des Herrn Dr. K. so deuten zu müssen. Er sagt S.50: „Wäre die Verbindung zwischen Oberkiefer „und Unterkiefer (Schema Fig. 6) nur von einer Knochenspange ge- „bildet, wie dies Thilo darstellt, so könnte bei einer Kontraktion „dieses Muskels eine Bewegung nur dann entstehen, wenn die be- „treffende Knochenspange sich gleichzeitig biegen würde. So aber 1) J. Blum, Die Kreuzotter und ihre Verbr. in Deutschl. Abhandel. d. Senkenberg. Nat. Ges., 1888, Frankfurt a. M. Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. 459 „besteht diese Verbindung aus 2 Stücken (?). Bildet das Unterkiefer- „gelenk den fixen Punkt, so kann der Oberkiefer etwas nach hinten „umgelegt werden, indem dabei der nach außen offene stumpfe Winkel, „unter dem Transversum und Pterygoid aufeinanderstoßend, sich ver- kleinert.“ Doch ganz abgesehen von allen mechanischen Betrachtungen kann man sich ja mit Leichtigkeit an Präparaten davon überzeugen, dass an der Kreuzotter bei F (Fig. 7) keine Gelenkverbindung besteht und dass nennenswerte Bewegungen hier nicht möglich sind. Ich besitze eine größere Anzahl präparierter Kreuzottern, an denen dieses sehr deutlich hervortritt. Dasselbe gilt von der Klapperschlange, Lachesis mutus, Vipera aspis und Sandotter. Natürlich will ieh hiemit durch- aus nicht behaupten, dass c bei einem gewaltsamen Druck bei #’ sich nicht biegen oder brechen kann. Ich habe sogar in meiner Abhand- lung (Sperrvorrieht. u. s. w.) darauf hingewiesen und dargelegt, durch welehes mechanische Mittel die verhältnismäßig große Spannung von ce verringert wird. Ebensowenig will ich behaupten, dass bei Z#' in der frühesten Jugend keine Beweglichkeit bestand. Es ist ja allgemein bekannt, dass die in meinem Schema (Fig. 6) mit ce bezeichneten Knochenteile durch die Vereinigung von drei Knochen entstanden sind (Os pterygoid., Os transversum und Os palatinum). Ich hielt es aber für durchaus unrichtig, in einer mechanischen Abhand- lung auf diese allgemein bekannte Thatsache hinzuweisen. Wir sprechen ja oft vom Becken des Menschen ohne jedesmal dabei hervorzuheben, dass jede Beckenhälfte durch die Vereinigung eines Hüftbeines, Sitz- beines und Schambeines entstanden ist. In einem Ueberblick über mechanische Verhältnisse wären entwicklungsgeschichtliche Einzel- heiten gar nicht am Platze. Ich konnte dem Gebiss der Vipern in meiner angegriffenen Abhandlung nur eine halbe Druckseite widmen, da ich auf elf Druckseiten einen Ueberblick über sehr zahlreiche und sehr verschiedenartige Mechanismen gab und diese von vergleichend physiologischen und mechanischen Gesichtspunkten aus betrachtete. — In meiner Abhandlung „Sperrvorricht.“ u. s. w. habe ich auch auf die Herzklappen und andere Ventile hingewiesen, welche dazu dienen, flüssige und gasförmige Körper abzusperren. Hier will ich zur Ergänzung auf jene „klappenartigen Vorrich- tungen“ aufmerksam machen, die Herr Prof. V. v. Ebner in den Arterien der Schwellkörper der Rute des Mannes entdeckte')*“. Da diese Untersuchungen noch nicht veröffentlicht sind, so hatte Herr Prof. v. Ebner die große Güte, auf meine Bitte hin mir brief- lich folgende Mitteilungen zu machen: 1) Vergl. Anatom. Anzeiger. Verhandl. d. anatom, Gesellschaft auf der 15. Versamml. zu Pavia, 1900. 4650 Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreiche. „In den kleineren Aesten der Schwellkörper des Bulbus urethrae „und der Schenkel der Schwellkörper der Rute des Mannes kommen „polsterartige Verdiekungen der Intima vor“, welehe am Querschnitte halbkreisförmig, in der Lichtung vorspringen. Am Längsschnitte dachen sie sich allmählich ab, entweder stromaufwärts oder stromabwärts. „Bisweilen jedoch erheben sie sich auch steil gegen den Blutstrom. „Die Wülste sind besonders häufig an den Abgangsstellen von Aesten. „Sie finden sich in besonders großer Zahl in den kleinen Arteriae „belienae, welche zum Teil — wie ich an Schnitten sicher sehen „konnte — in die kavernösen häume direkt einmünden. „Um eine automatische Sperrvorrichtung handelt es sich hier wohl „uicht. Ich stelle mir vor, dass bei der Arterienerweiterung während „der Erektion die Wülste fast völlig sich ausglätten werden, dass da- „gegen bei nicht erigiertem Schwellgewebe, wenn die Arterien sich „kontrahieren und die Längsmuskeln gleichzeitig sich zusammenziehen, „der Blutstrom in diesen Arterien auf ein Minimum herabgedrückt „wird, indem die Wülste die Lichtung fast verlegen.“ Dieser Auffassung Ebner’s möchte ich (Thilo) mich vollständig anschließen. Ich glaube daher, dass diese „klappenartigen Vorrich- tungen“ nicht den Zweck haben, Erektionen zu erzeugen, sondern dass sie im Gegenteil dazu dienen könnten, das Abschwellen einer erigierten Rute zu bewirken. Wenn der Blutstrom in den Arterien durch die „polsterartigen Verdiekungen auf ein Minimum herabgedrückt wird“, so gelangt natür- lich nur ein Minimum von Blut in die Schwellkörper und das in ihnen aufgestaute Blut kann allmählich abströmen. Ohne eine derartige Abschwächung des Blutzuflusses wäre über- haupt das Abschwellen einer erigierten Rute im höchsten Grade er- schwert; denn der Blutstrom ist ja in den Venen bedeutend langsamer als in den Arterien. — Es sind also die von Ebner entdeckten „polsterartigen Ver- diekungen“ wohl regulatorische Sperrvorrichtungen, welche den Arterienmuskeln in hohem Grade das Verengern des Arterienrohres er- leichtern und so dazu dienen, Kraft zu sparen. Derartige regulatorische Vorrichtungen kommen gewiss im Arterien- system viel häufiger vor, als man bisher annahm. Prof. Ebner schreibt mir: „Aehnliche klappenartige Vorrichtungen kommen auch in anderen „Arterien vor; zuerst hat wohl Strawinski!) in den Nabelarterien „des Kindes solche Klappenwülste beschrieben und abgebildet. Diese „litterarische Notiz verdanke ich Prof. Sigmund Mayer in Prag.“ Mir erscheinen die klappenartigen Vorrichtungen des Gefäßsystemes ganz besonders deutlich darauf hinzuweisen, wie unentbehrlich dem 4) Strawinski, Sitzungsberichte der kaiserl, Akad. in Wien, 70. Bd,, II, Abt., 1874, S. 85, Tafel Ill, Fig. 6 u. 7. Joachimsthal, Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten. 461 Tierkörper die Sperrvorrichtungen sind; denn schon anscheinend ge- ringfügige krankhafte Veränderungen der Herzklappen können zu den schwersten Störungen des Blutkreislaufes führen. — Gewiss ist man daher wohl berechtigt zu sagen, dass die Sperr- vorrichtungen im Tierkörper eine ebensogroße Rolle spielen wie an unseren von Menschenhand gebauten Maschinen. — Zum Schluss sage ich allen meinen herzliehsten Dank, die mich bei der vorliegenden Arbeit unterstützten. Das große Material an Schlangen, welches ich für die vorliegenden Untersuchungen benutzte, verdanke ich Herrn Akademiker Salenski in Petersburg. Er stellte mir die großen Strauch’schen Sammlungen zur Verfügung. Herrn Prof. Reuleaux und Prof. v. Ebner sage ich meinen herzlichsten Dank für ihre liebenswürdigen, belehrenden, brieflichen Mitteilungen. Litteratur. 4. Otto Thilo, Sperrvorrichtungen im Tierreicke. Biolog. Centralblatt, Bd. XIX, Nr. 15, Aug. 1899. 3, Derselbe, Die Umbildungen an den Gliedmaßen der Fische. Morphol. Jahrb., 1896, Leipzig, Engelmann. 3. Dr. Ludw. Kathariner, Die Mechanik des Bisses der solenoglyphen Giftschlangen. Biolog. Centralbl, XX. Bd., Nr. 2, Januar 1900. 4. Prof. Dr. F. Reuleaux, Der Konstrukteur, Braunschweig 1895, Vieweg u. Sohn. 5. Prof. Dr. F. Reuleaux, Kinematik im Tierreiche. Braunschweig 1900. Vieweg u. Sohn. 6. J. Blum, Die Kreuzotter und ihre Verbr. in Deutschl. Abhandl. d. Senckenberg. Gesellsch., Frankfurt a. M., Diesterweg 1888. 7. Brehm’s Tierleben, Bd. 7. Neu bearbeitet von O0. Boettger und Pechuel-Loesche. 8. ©. K. Hoffmann, Bronn’s Klassen u. Ordn. des Tierreiches, 6. Bd., III. Abt.: Schlangen. 9, Vitus Graber, Die äußeren mechanischen Werkzeuge der Wirbeltiere und wirbellosen Tiere; in der Universalbibliothek: „Das Wissen der Gegenwart, Leipzig: Freytag; Prag: Tempsky. 10. Ed. Albert, Prof. der Chirurgie, Vorstand der I. chir. Klinik an der Universität Wien. Die seitlichen Kniegelenksverkrümmungen und die kompensatorischen Fußformen. Wien 1899. Alfred Hölder. G. Joachimsthal, Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten. (Atlas der normalen und pathologischen Anatomie in typischen Röntgenbildern, Ergänzungsheft 2 der „Fortschritte auf dem Gebiete der Röntgenstrahlen“. Hamburg 1900.) „Wohl kaum überzeugender,* so sagt Verf. in seinem Vorwort, „lässt sich der hohe praktische, namentlich aber wissenschaftliche Wert des Röntgenverfahrens vor Augen führen, als bei einer Besprechung der Ex- 462 Joachimsthal, Die angeborenen Verbildungen der oberen Extremitäten. tremitätenmissbildungen unter Hinweis auf die mittelst der Durchleuchtung lebender Individuen gewonnenen Ergebnisse. Unsere bisherigen klinischen Beobachtungen litten gegenüber den spärlichen anatomischen Beschreibungen einschlägiger Fälle an dem empfindlichen Mangel, dass sie uns über die tiefer liegenden Teile, namentlich über die Knochenverhältnisse, völlig im unklaren ließen und so dazu führten, Vermutungen nachzugehen, denen später die thatsächlichen Verhältnisse nicht entsprachen. Das Verfahren, über das wir nunmehr verfügen, hilft uns über diese Mängel hinweg, indem es, wie die folgende Beschreibung zunächst der Verbildungen der oberen Extremität darthun dürfte, auf das genaueste über Form, Größe, Gestalt und Artikulationsverhältnisse der Knochen orientiert und, da es die Lagerung der einzelnen Teile in situ vorführt, vielfach wertvollere Aufschlüsse giebt, als die Durchforschung anatomischer Präparate.“ Es gilt das durch dies Verfahren erschlossene reichhaltige Material zu sam- meln und dadurch auf dem noch vielfach dunkeln Wege zur Erforschung der Ursache der angeborenen Deformitäten vorzudringen. Im vorliegenden Werke wird hierzu ein Schritt gethan. Der erste Abschnitt behandelt den Hochstand des Schulterblattes, der durch die Röntgenbilder als unab- hängig von anderweitiger Missbildung, etwa Verkrümmung der Wirbel- säule oder Exostosenbildung am Schulterblatt, selbst erkannt wird. Es folgt die Darstellung einer Anzahl Fälle von „fötaler Amputation“, bei denen öfters Einzelheiten, die klinisch nicht erkennbar waren, in der Röntgenaufnahme klar hervortreten. Aus der Litteratur wird eine Reihe von Fällen angeführt, in denen der „amputierte* Körperteil bei der Geburt noch aufgefunden wurde, sodass durch seinen Entwicklungszustand sogar der Zeitpunkt der Abtrennung ziemlich sicher festgestellt werden konnte. In allen Fällen, die Verf. beobachtete, war Erblichkeit nicht nachweisbar. Für den ganzen oder partiellen Defekt der Röhrenknochen, der im dritten Abschnitt besprochen wird, ist. noch keine befriedigende Theorie gegeben. Um so wichtiger ist es, durch das Röntgenverfahren den Befund der vorkommenden Fälle wirklich genau feststellen zu können. Im vierten Abschnitt kommt Verf. zu den Defekten an den Fingern und den entsprechenden Teilen des Handskeletts, die große Mannigfaltigkeit zeigen. Hier führt Verf. zum Beleg für die ausgesprochene Neigung dieser Form der Missbildungen zur Vererbung aus eigener Beobachtung den Fall an, dass ein Vater und seine beiden Kinder erhebliche ange- borene Defekte der Hände aufwiesen. Im übrigen zeigen die Röntgen- bilder, dass statt der nach der Flossentheorie zu erwartenden Verbreiterung des Handskeletts distalwärts, die Missbildungen im Gegenteil vielfach den Charakter der Verschmälerung nach der Peripherie hin zeigen. Brachy- daktylie, Hyperphalangie, Polydaktylie, Syndaktylie, endlich die als „Spalthand“ bezeichnete Form der Missbildung finden in den weiteren Abschnitten ihre Stelle. Auch hier zeigen sich wiederholt die Vorzüge des Röntgenverfahrens zur Feststellung des Befundes, sodass mehrfach theoretisch wichtige Aufschlüsse gewonnen werden. Ein umfangreiches Litteraturverzeichnis und die Erklärung zu den 34 Abbildungen beschließen diesen Teil des Atlas. [69] R. du Bois- Reymond. Trichodina pediculus Ehrb. als Mitglied des Planktons der Binnenseen. 465 Trichodina pedieulus Ehrb. als Mitglied des Planktons der Binnenseen. Von Dr. Otto Zacharias (Plön). Das bekannte Schmarotzerinfusorium Trichodina pediculus, welches oft massenhaft als Ektoparasit auf Planarien, Hydren und jungen Fischen gefunden wird, kommt gelegentlich auch vollkommen freilebend und in erstaunlicher Anzahl als Planktonbestandteil vor. So z. B. enthielt ein Fang, den ein be- freundeter Fischereisachverständiger im Hertha-See auf Rügen für mich ge- macht hatte, neben einigen Bosminen und R ädertieren ausschließlich nur noch Trichodina, sodass an dem freien planktonischen Vorkommen dieser Ciliate nicht zu zweifeln war. Diese Beobachtung machte ich 1898. Jetzt berichtet Dr. A. Seligo in seiner trefilichen Arbeit über das Plankton der Stuhmer Seen ') bei Marienbuürg (Westpreußen), dass im dortigen Hintersee dieselbe Erscheinung von ihm beobachtet worden ist und zwar das ganze Jahr hindurch. Ich habe den Befund aus dem Hertha-See, der in meiner Erfahrung ganz vereinzelt dastand, bisher nicht publiziert; im Hinblick auf Seligo’s Wahr- nehmung scheint es mir aber angezeigt, denselben nun ebenfalls zu allgemei- nerer Kenntnis zu bringen. Im Anschluss daran möchte ich erwähnen, dass ich 1897 im Plankton des Wakenitzflusses (Lübeck) auch das bekannte Rotatorium Actinurus neptunius Ehrb. in ganz zahllosen Exemplaren antraf, welches doch gewöhnlich nur vereinzelt (oder wenigstens nicht zahlreich) in Fängen aus der Pflanzenzone des Ufers oder im Bodenschlamm konstatiert zu werden pflegt. Es muss als ein ganz ungewöhnliches Vorkommnis betrachtet werden, wenn gerade dieses Rädertier in so reichlicher Menge völlig freischwebend in einem Gewässer angetroffen wird, weil es seiner ganzen Organisation nach mehr zum Kriechen als zum Schweben geeignet erscheint. Allerdings ist der merkwürdig lange, fernrohr- artig ausziehbare Fuß (welcher ebensolang ist wie der ganze Körper des Tierchens) ein wirksames Mittel zur Oberflächenvergrößerung und damit zur Herabsetzung des spezifischen Gewichts, sodass hierdurch ein Moment gegeben ist, welches dem Actinurus das freie Schweben im Wasser hochgradig zu er- leichtern vermag. Meines Wissens ist aber dieses Rotatorium bisher noch nicht als Planktonbestandteil registriert worden und somit hat es den Anschein, dass es nur ganz ausnahmsweise als solcher auftritt und dann den Fuß als Schweborgan gebraucht. Im vorliegenden Falle war es nicht nur zahlreich, sondern geradezu massenhaft im Plankton zu konstatieren., [21] 4) Untersuchungen in der Stuhmer Seen. Mit 10 Tafeln und 9 Tabellen, Danzig 1900. 464 Wettstein, Descendenztheoretische Untersuchungen. Aus den Verhandlungen gelehrter Gesellschaften. Kaiserliche Akademie der Wissensehaften in Wien. Sitzung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse vom 19. Oktober 1899. Das e. M. Herr Prof. Dr. R. v. Wettstein übersendet eine Abhandlung, betitelt: „Descendenztheoretische Untersuchungen. I. Unter- suchungen über den Saisondimorphismus im Pflanzenreiche“* Unter dem gemeinsamen Titel „Descendenztheoretische Untersuchungen® gedenkt der Verfasser eine Reihe von die Entstehung neuer Forınen im Pflanzen- reiche betreffenden Einzeluntersuchungen zu veröffentlichen. Die vorliegende erste Abhandlung behandelt in eingehender Weise die vom Verfasser vor vier Jahren für das Pflanzenreich nachgewiesene Erscheinung des Saisondimor- phismus. Verfasser konnte zeigen, dass eine, dem sogenannten Saison- dimorphismus der Tiere analoge Erscheinung auch im Pflanzenreiche zu be- obachten ist, allerdings mit dem Unterschiede, dass es sich bei Fällen der letzteren Art stets um verschiedene, aus gemeinsamem Ursprung in Anpassung an die klimatisch verschiedenen Abschnitte der Vegetationszeit entstandene Arten handelt, weshalb der Verfasser zur Bezeichnung dieser Erscheinung den Begriff des Saisonartdimorphismus aufstellt, im Gegensatze zum Saisongenerationsdimorphismus, dem die Mehrzahl der aus dem Tier- reiche bekannt gewordenen Fälle angehört. Im Jahre 1895 hat Verfasser das Vorkommen saisondimorpher Arten bei den Gattungen Gentiana, Euphrasia, Alectorolophus nachgewiesen; seither gelang ihm die Auffindung der Erscheinung bei Arten der Gattungen Odontites, Orthantha, Melampyrum, Galium, Ononis und Campanula. Das umfangreiche, nunmehr vorliegende Beobachtungsmaterial gestattet eine eingehende Kritik und Erklärung der Erscheinung, welche in der vorliegenden Abhandlung gegeben wird. Danach stellt sich der Saisondimorphismus im Pflanzenreiche alseinspezieller Fall der Neubildung von Arten dar, beiwelchem inAnknüpfung an Formveränderungen durch direkte Anpassung an standortliche Verhältnisse, sowie dureh zufällige Variation es zu einer Fixierung der neuen Formen durch Zuchtwahl kommt. Der direkten Anpassung, respektive derindividuellen Variation (Heterogenesis) fällt hiebei die Neuschaffung der Formen, der Selektion die Fixierung und schärfere Ausprägung derselben dureh Ausscheidung des Unzweckmäßigen zu. Als der die Zuchtwahl bewirkende Faktor erscheint die seit Jahrhunderten regelmäßige Wiederkehr des Wiesen- und Felderschnittes auf den mittel- europäischen Wiesen und Feldern, welche bei den genannten Gattungen die Spaltung der Arten in je zwei zur Folge hatte, von denen die eine vor dem erwähnten Schnitte zur Fruchtreife gelangt, die zweite erst nach diesem zu blühen beginnt. Berichtigung. Bitte den Fehler in Nr. 10, 1900, verbessern zu wollen: S. = . 2 lies: EEE nenne statt: ae aa an von ne Pe: in Leipzig. — Druck der k. Den Hof- und Univ. Suche druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 15. Juli 1900. Nr. 14, Inhalt: Stölzle, Nochmals Karl Ernst v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Ab- stammung des Menschen, — Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. — Rosa, La riduzione progressiva della variabilitä e i suoi rapporti coll’ estinzione e coll’ origine delle specie. — Plateau, Treffen die Insekten unter den Farben eine Auswahl? — Reh, Einige Bemerkungen zu der Besprechung von Frank-Krüger’s „Schildlausbuch“ durch Th, Kuhl- gatz in Nr. 9 des Biol, Centralblattes 1900, Nochmals Karl Ernst v. Baer's Stellung zur: Frage nach der Abstammung des Menschen. Von Dr. R. Stölzle, Professor der Philosophie in Würzburg. Folgerichtigkeit des Denkens ist eine schöne Sache. Sie zeigt sich darin, dass bei einem Denker mündliche und schriftliche, briefliche und gedruckte, private und öffentliche Aeußerungen über irgend ein Problem zusammenstimmen, sie offenbart sich in höherem Maße, wenn ein Denker eine gewonnene Weltanschauung sein ganzes Leben durch bis zum Ende festhält. Solche ungebrochene Konsequenz können wir freilich nicht vielen Denkern und Naturforschern nachrühmen, auch nicht K. E. von Baer. So konsequent der Vater der Entwicklungs- geschichte an der Teleologie festhielt, wie wir an diesem Orte (siehe Bd. XX S.33 ff.) gezeigt haben, so vielfach müssen wir in anderen Fragen der Weltanschauung bei K. E. v. Baer Widersprüche mannig- facher Art feststellen. Verschiedene dieser Widersprüche lösen sich dahin, dass die widersprechenden Ansichten als von Baer zu verschie- denen Zeiten durchlaufene Entwicklungsstadien erscheinen, andere Widersprüche dagegen bleiben unausgeglichen stehen. Liegt uns daher irgend eine Kundgebung K. E. v. Baer’s vor, so sind wir nicht be- rechtigt, dieselbe sofort schlechthin als Baer’s Ansiebt über das frag- liehe Problem zu proklamieren, wir müssen vielmehr eine solche Aeußerung Baer’s im Zusammenhalt mit andern von Baer herrühren- den Aussprüchen betrachten. Dann erst wird sich zeigen, ob eine xXX. 90 466 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. Ansicht Baer’s bloß eine Eingebung des Augenblicks ist, oder ob sie immer von ihm vertreten wurde, ob sie zu der sonstigen Haltung Baer’s in einer Frage stimmt oder nicht. Diese Vorsicht und Zurück- haltung hat Herr Prof. G. v. Bunge, ein sonst sehr kritischer und aueh philosophisch geschulter Forscher, leider außer acht gelassen, als er in der interessanten Mitteilung „Karl Ernst von Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen“ (in dieser Zeitschrift Bd. XX Nr. 7) diese Frage als eine solche be- zeichnete, über die K, E. v. Baer in seinen Schriften sich niemals vollkommen klar und entschieden ausgesprochen habe, und als er seine Mitteilung über eine mit Baer im Jahre 1869 gehabte Unterredung mit den Worten schloss: „Genug — Baer glaubte an die Ab- stammung des Menschen vom Säugetier.“ Denn genau ge- nommen durfte Herr G. v. Bunge nur sagen: Im Jahre 1869 glaubte 3aer an die Abstammung des Menschen vom Säugetier. Bunge’s weitere Behauptung aber, dass Baer sich in seinen Schriften über die Abstammung des Menschen niemals vollkommen klar und ent- schieden ausgesprochen habe, müssen wir als irrig bezeichnen. Zum Beweise unserer Behauptung zeigen wir, dass Baer die Lehre von der Tierabstammung des Menschen vom Jahre 1854, wo er zum ersten Male darüber sich aussprach, bis zum Jahre 1874/75 mit empirischen und spekulativen Gründen unzweideutig bekämpft hat. Danach fassen wir Bunge’s Mitteilung aus dem Jahre 1869 ins Auge, machen dann drittens eimen Versuch, den Widerspruch in Baer’s Ansichten zu erklären und beleuchten viertens die Bedeutung des Widerspruches. I: Baer’s Polemik gegen die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen!). Baer hat zu verschiedenen Zeiten sich über unsere Frage ge- äußert. Wir gliedern demgemäß unsere Darstellung: 1. Baer’s Polemik vor Darwin, 2. nach dem Erscheinen von Darwin’s Entstehung der Arten und vor dem Jahre 1871 und endlich 3. nach dem Erscheinen von Darwin’s Werk „Die Abstammung des Menschen.“ 4. Vor Darwin. Baer ist schon lange vor Darwin für die Transmutation, aller- dings nur innerhalb beschränkter Grenzen eingetreten ?). Aber dass durch Umwandlung aus eimem Affen ein Mensch entstanden sei, 4) Vergl. dazu mein Buch: K. E. v. Baer und seine Weltanschauung, 1897, p. 368 ff.: Ursprung des Menschen. 2) Vergl. mein Buch a. a. 0. p. 195: Baer’s Stellung zur Descendenz- lehre; bes. p. 219 ff.: Gründe für die Transmutation innerhalb beschränkter Grenzen, Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 467 das erklärt Baer für unmöglich. Er behauptet, „dass wir von einer durch die Zeugung bedingten Umformung in sehr verschiedenen Formen auch keine Erfahrung haben, dass wir uns nach dem wirklich Be- obachteten nicht einmal eine Vorstellung davon zu machen im Stande sind, wie z. B. der Mensch aus dem Orang-Utang habe hervorgebildet werden können“!). Daraus ergiebt sich ihm die Gewissheit: „Kein Klima, keine Nahrung, keine Krankheit kann nach unserer Erfahrung aus der Hinterhand des Orang-Utangs den menschlichen Fuß gestalten, der in der gesamten Schöpfung nicht wieder vorkommt. Ja, wenn nun gar erwiesen werden kann, was ich für erweisbar halte, dass der aufrechte Gang des Menschen nur Folge von der Entwicklung seines Hirns, sowie die höhere Entwicklung des Hirns nur der Ausdruck der höheren geistigen Anlage ist, so haben wir weiter zu fragen: „Wie konnte in den Orang-Utang die höhere geistige Anlage kommen ?“) Baer glaubt, dass wir offenbar nur das Gepräge unserer Schwäche in unsere Vorstellung von der Schöpfung hineintragen, wenn wir glauben, es sei leichter gewesen, den Affen in einen Menschen umzu- formen, als den letzteren ganz neu zu gestalten. Den Affen könnten wir ebensowenig als Umformung aus anderen Gestalten erklären, und sei einmal ein Affe oder irgend ein anderes Säugetier, gleichviel auf welche Weise erzeugt, so sei es nicht um ein Haar breit schwerer gewesen, einen Menschen ohne die Form der Fortpflanzung neu erstehen zu lassen?). Baer lehnt also die Entstehung des Menschen durch Um- wandlung z. B. aus einem Affen entschieden ab und wiederholt diese Absage 20 Jahre später in der Erklärung: „Wenn ich — sind seine Worte — weil mir die Urzeugung unverständlich ist, die Umwandlung soweit annehmen wollte, dass ich auch den Menschen aus anderen Tieren hervorgebildet mir dächte und diese wieder weiter bis zur Monade, so, scheint es, dass ich ganze Reihen von nicht erkannten und nicht verstandenen Geheimnissen aneinanderfüge“ 3). Was Baer in vereinzelnten Aussprüchen hier vertritt, das hat er in ausführlicher Darstellung festgehalten, nachdem er Darwin’s Lehre kennen gelernt hatte. 2. Nach dem Erscheinen von Darwin’s „Entstehung der Arten“ und vor dem Jahre 1871. Besonders eingehend setzte sich K. E. v. Baer mit der Frage nach dem tierischen Ursprung des Menschen auseinander in der rus- sischen Zeitschrift Naturalist, wo er 1865-67 über die Stellung des Menschen in der Natur 18 Artikel veröffentlichte. Er giebt einen summarischen Ueberblick über die Entwicklung der Lehre von der 1) 3£&R 1, 56. 2DVZER E57 3) 59 Me&m. de l’Acad., VIs£erie, Bd. X see, partie p. 344. 468 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. ’ © 5 Tierabstammung des Menschen, wie die Griechen die Menschen aus den Steinen von Deukalion und Pyrrha, einige nordamerikanische Stämme sie von einem Raben oder Hunde abstammen ließen. Später seien diese Versuche, den Menscheu vom Säugetier abzuleiten, besonders auf menschenähnliche Affen beschränkt worden. Freilich gründlich sei die Frage nach de; Möglichkeit der Affenabstammung des Menschen nie erforscht, sondern nur so bei Betrachtung der Aehnlichkeit von Mensch und Tier ausgesprochen worden. Man habe nur wahr- scheinlich machen wollen, dass eine Form aus der anderen durch allmähliche Veränderungen entstehe. So habe sich der Mensch nur allmählich gewöhnt, senkrecht zu gehen und infolge dieser Gewohn- heit hätten sich allmählich die Formen seines Körpers verändert — eine Dummbeit, die auch Rousseau vertreten habe. Noch im 19. Jahr- hundert habe der Naturforscher Sehubert in München den Menschen durch Umwandlung aus einem Delphin entstehen lassen!). Vom Stand- punkt der Wissenschaft sei hiezu zu bemerken, dass der Typus der Säugetiere im Delphin sehr wenig entwickelt sei, wie überhaupt in walfischähnlichen Tieren. In der Theorie könne man alle Arten der Säugetiere aus walfischähnlichen entstehen lassen, weil diese Form sehr wenig Besonderheiten habe?). Nach dem Erscheinen von Dar- win’s Werk im Jahre 1850, der nichts darüber sagte, aus welcher tierischen Form der Mensch entstehen konnte, seien es besonders deutsche Naturforscher gewesen, wie Vogt und Haeckel, welche die Anwendung der Darwin’schen Prinzipien auf den Menschen als notwendige Konsequenz forderten®). Ihnen sei in demselben Sinne Huxley zur Seite getreten, der durch sein Buch „über die Stellung des Menschen in der Natur“ alle Schwierigkeit, den Menschen vom Affen abzuleiten, beseitigt zu haben schien ®). Sein Buch habe be- sonders in Russland viel Sympathie gefunden und dort in kurzer Zeit zwei Auflagen erlebt°?). Dieser Erfolg von Huxley bestimmte Baer, sich gegen Huxley zu wenden und seine Lehre vom tierischen Ur- sprung des Menschen zu bekämpfen. Er streitet mit empirischen und spekulativen Gründen. a) Empirische Gründe. Baer wendet sich zuerst gegen Huxley’s Folgerung, die Darwin’sche Hypothese allein erkläre die Entstehung der Tiere, also auch die des Menschen. Baer erklärt es für einen einfacheren Aus- weg zu bekennen, dass wir die Entstehung der verschiedenen Tiere 4) 65 Naturalist Nr. 19 p. 344/45 und 74/75 R U, 266. 2) 65 Naturalist Nr. 19 p, 345. 3) 65 Naturalist Nr. 21 p. 385 u. Nr. 24 p. 431 u. 74/75 R II, 309. 4) 65 Naturalist Nr. 21 p. 376 u. 74/75 RII, 310. 5) 65 Naturalist Nr. 19 p. 544 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 469 auf natürlichem Wege nicht kennen und verstehen. Und da Darwin wenig ursprüngliche Formen oder auch nur Eine ursprüngliche Form annehme, deren Entstehung er nicht erklären könne, und von welcher alle anderen durch allmähliche Umwandlung entstanden seien, so sei es viel einfacher und logischer, zuzugeben, dass viele Formen auf eine uns unverständliche Weise entstanden seien. Aber da er das nicht könne, so hätten wir recht, das alles für ein Werk der Phantasie zu halten !). Zweitens erklärt Baer die Voraussetzung eines allgemeinen Affentypus, aus dem die Affen und auch der Mensch entstanden wären, für eine leere Fiktion. Auch könnte man den Sitz dieses Urvaters von Affen und Mensch nicht angeben. Für ein Werk der Phantasie müsse man es auch halten, führt Baer näher aus, wenn der allge- meine Typus, welcher durch Abstraktion von allen Affen gebildet werde, für die wirklich lebendige Wurzel genommen werde, welche sich in der alten wie in der neuen Welt vermehren musste. Nun aber sehen wir in Wirklichkeit, dass in der heißen Zone alle Arten von Tieren ohne Ausnahme und der größte Teil der Varietäten in der alten und neuen Welt ganz verschieden sind. Wo soll aber dann der gemeinsame Urvater der Affen existiert haben? Baer meint ironisch, vielleicht musste der Urvater der Affen mitten zwischen beiden Erd- teilen oder gar im Meer leben ?). Drittens müssten, folgert Baer aus der Voraussetzung, dass der Mensch irgendwie von Affen oder einer gemeinsamen Urform abstammte, sich die Mittelglieder, die Uebergangsformen in körperlicher und geistiger Hinsicht aufzeigen lassen. Baer bekennt, er nehme gar nicht an, dass alle organischen Wesen unveränderlich seien, und habe das schon bei verschiedenen Gelegenheiten vor Erscheinen des Werkes von Darwin ausgesprochen, aber um an eine so große Ver- änderliehkeit zu glauben, verlange er Beweise und vorerst die Ueber- gangsformen. Aber solche finde er nirgends?); auch müsse Huxley bekennen, dass die bis jetzt entdeckten fossilen Reste des Menschen uns nicht näher zu affenähnlichen ursprünglichen Formen führen *). Ebensowenig lassen sich Affen aufzeigen, welche in geistiger Hin- sicht eine Annäherung an den Menschen, also ein Mittelglied zwischen der hypothetischen Urform und dem Menschen bedeuten. Baer weist hier darauf hin, dass die Affen zwar an einem angezündeten Feuer sich wärmen, aber es nicht durch Zulegen von Holz, trotzdem sie dies sahen, zu unterhalten wussten; dass sie die Sprache nicht mehr als andere Tiere haben, sondern wie diese Töne von sich geben, ent- 1) 65 Naturalist Nr. 24 p. 432. 2) 65 Naturalist Nr. 24 p. 432. 3) 65 Naturalist Nr. 24 p.43 4) 65 Naturalist Nr. 24 p. 432. 470 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. weder um der Gefahr zuvorzukommen, oder zum Zeitvertreib oder um Schmerz auszudrücken; dass sie wie z. B. Orang und Gorilla für Nachtlager den. Zweig auswählen, der sich gabelförmig teilt, und diese Gabelung mit Blättern bedecken, um weicher zu liegen, dass aber der Gorilla sich nie zweimal anf denselben Ort legt, dass er sich nie eine Art Hütte baut; dass sie wie z. B. der Orang Kunststücke aller Art lernen, aber nie die Anhänglichkeit an den Menschen zeigen wie ein Hund; dass sie wie Hunde Koffer tragen lernen, aber im Falle der Gefahr denselben wegwerfen, während die Hunde denselben ver- teidigen !). Viertens wendet Baer sich gegen Vogt, welcher die Menschen von 3 verschiedenen Arten der Affen abstammen lässt, und gegen die, welche den Menschen direkt auf den Gorilla zurückführen. Gegen Vogt, der seine Ansicht damit begründet, dass die menschlichen Rassen sich mehr unter einander unterscheiden als die Arten der Affen, bemerkt Baer, dass er nie von einer solchen Verschiedenheit gehört habe. Die größte Verschiedenheit bezüglich der Extremitäten bestehe darin, dass die Arme der Neger etwas länger seien als die der Europäer. Diejenigen aber, welche den Gorilla als direkten Ahn- herrn des Menschengeschlechtes betrachten, verdienen kein Wort der Widerlegung, weil sie die Forschungen über den Gorilla nicht studiert haben ?). Fünftens führt Baer die Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen ad absurdum. Er lässt hypothetisch die Darwin’schen Prinzipien gelten, nämlich dass der Typus jedes Tieres veränderlich sei, dass jede Art ihre Existenz zu erhalten suche (Kampf ums Dasein von Darwin genannt), dass der Bau der Tiere sich im Lauf der Jahre durch die äußeren Bedingungen verändere und dabei nur die- jenigen Veränderungen sich erhalten, welche den äußeren Bedingungen am meisten angepasst seien, während die anderen verschwinden). Diese Prinzipien als wirksam vorausgesetzt prüft Baer, ob sich mit ihnen der Mensch von einem bestimmten Affen z. B. vom Gorilla oder einem anderen Affen oder von einer unbestimmten Mittelform ableiten lasse ®). Baer fasst die erste Möglichkeit ins Auge, dass der Mensch von einem Gorilla oder anderen Affen abstamme und fragt, wie man sich dann die Umwandlung der Affenhand in den menschlichen Fuß zu denken habe, und worum sich der Kampf ums Dasein gedreht habe. „Müssen wir, erläutert Baer die Frage näher, annehmen, dass dieser Urvater die Bäume verlassen und sich im Gehen auf platter Ebene 1) 65 Naturalist Nr. 24 p. 434. 2) 65 Naturalist Nr. 24 p. 432. 3) ibid. p. 432/33. 4) 65 Naturalist Nr. 24 p. 433. Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 471 zu üben angefangen hat? Annehmen, dass dadurch der Fuß allmäh- lich sich verbesserte, dass die große Zehe allmählich weniger von andern abzustehen begann, dass der... Gorilla sich aufrecht hielt und senkrecht zu stehen sich gewöhnte, dass die Kniee allmählich im Laufe der Tausende von Jahrhunderten wenigstens gerade gemacht wurden, dass die Beine länger, und die Arme und Kiefer kürzer wur- den, und die Haare ausfielen außer auf dem Kopfe und auf anderen Teilen des Körpers, wo sie, wie es scheint, am wenigsten notwendig sind“!)? Die Antworten auf diese Fragen bedeuten lauter Unwahr- scheinlichkeiten oder Unmöglichkeiten. Ebenso ist es mit der zweiten Frage, welche den Kampf ums Dasein betrifft. Baer erinnert daran, dass die Früchte, mit welchen der Gorilla sich früher ernährt habe, auf Bäumen wachsen, und fragt nun: „Warum wird der Gorilla nicht zu ihnen zurück auf die Bäume gehen, wenigstens in der ersten Zeit, wenn er auch später gelernt hat, Wassermelonen und vielleicht auch heis zu pflanzen? Und warum bleibt er nicht auf den Bäumen, da doch jede Tierart für ihre Erhaltung sorgt? Müssen wir annehmen, dass alle Bäume plötzlich vernichtet waren, oder brachte keiner von ihnen mehr Früchte hervor? Aber dann mussten notwendig alle Affen zu Grunde gehen. Oder muss man annehmen, dass die Affen im Lauf der Jahrtausende sich im Gehen auf platter Ebene «eübt und von der Erde Früchte genommen haben, nur um sich von der fatalen Form der Füße zu befreien, und um sie nicht durch Uebung im Klettern zu konservieren? Aber dann würde nieht Kampf ums Dasein stattfinden, sondern Kampf um die Civilisation, der sie sich im Laufe der Jahr- hunderte ergeben müssen. Aber wo finden wir beim Menschen, dass die Magenbedürfnisse den geistigen Bedürfnissen geopfert sind? Diese Gorillas waren früher viel erhabener als jetzt, wo sie sich in Menschen umgewandelt haben. Die Menschen unserer Zeit müssen die Bedürf- nisse des Hungers befriedigen, aber die Gorillas, welehe Bildung such- ten, mussten etwas wie haarige Engel sein, welehe dem Hunger nicht unterworfen sind“?). Die gehäuften Fragen bringen ebenso viele Be- denken gegen die vorausgesetzte Annahme zum Ausdruck. Aber auch wenn ‚man den Menschen von einer unbestimmten mittleren Form abstammen lässt, gewinnen die Verteidiger der Lehre vom tierischen Ursprung nach Baer’s Ansicht nichts. Denn diese mittlere Form sei ja unbekannt. Sie müsse an den unteren Extremitäten entweder Füße oder Hände haben; auch müsse sie für Jede Nahrung organisiert sein, welche die Natur hervorbringe. Zweifellos müsse sie für Früchtenahrung organisiert sein, denn wenn die Urform für Fleischnahrung organisiert wäre, hätte sie die. lebendigen Tiere verfolgt und gefangen. Wenn die Urform nur die Hände zum Umfassen 1) 65 Naturalist Nr. 24 p. 433. 2) ibid. 412 >Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. gehabt habe, konnte sie nicht lange auf den Bäumen bleiben, und die Hände konnten gar nicht zum Angreifen dienen. Habe sie Füße ge- habt, wie beim Menschen, dann sei sie natürlich auf die Bäume ge- klettert, um Früchte zu sammeln, welche in heißen Ländern viel höher wachsen als auf unseren Apfelbäumen. Nach Darwin’s Vorstellung hätte dann der Fuß durch langen Gebrauch für Klettern den Charakter der umfassenden Hände bekommen. In Wirklichkeit aber findet Baer, dass es naturhistorisch viel eher möglich sei, dass die Affen von dem Menschen abstammen, als umgekehrt, wie die Araber glauben, dass alle Affen die Nachkommen der bösen und von Allah verdammten Menschen sind. Und die Neger in Westafrika sind überzeugt, dass die Gorillas früher Menschen waren, welche nicht sprechen wollten, um nicht zum Arbeiten genötigt zu sein!). Wie man sich also die Urform denken mag, mit Händen oder Füßen verschen — in jedem Fall stellen sich einer Umwandlung zum Menschen schwere Bedenken entgegen. Im übrigen erklärt Baer alle diese Hypothesen über Umwandlung für Phantastereien, welche nicht auf reale Beobachtung gegründet seien ?). b) Spekulative Gründe. Zu diesen wesentlich empirischen Gründen gegen die Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen fügt Baer noch einen spekula- tiven, indem er ausführt, dass gegen die Hypothese von der Um- wandlung eines Affen in einen Menschen die Zielstrebigkeit spreche. Ihr zufolge nämlich sind und bleiben die Affen für das Leben auf Bäumen organisiert. Diesen Gedanken begründet Baer im einzelnen durch anatomische Nachweise. „Die Affen, führt er aus, sind für das Leben auf Bäumen organisiert, und deshalb enden alle ihre Extremi- täten mit Händen. Bei ihnen steht der innere Finger von den anderen nicht nur ab, sondern kann gegen sie gestellt werden und giebt da- durch die Möglichkeit, die Zweige zu umfassen und sich auf ihnen zu - halten. Aber auch die übrigen Finger sind bei den wirklichen Affen sehr lang und vermehren noch die Fähigkeit, die Zweige zu umfassen. An den hinteren Extremitäten entwickelt er sich nicht, und in diesem Falle sind die übrigen Finger so groß, dass die Möglichkeit gegeben ist, die Zweige zu umfassen. An den hinteren Extremitäten fehlt nie der Daumen. An den vorderen Extremitäten entwickelt er sich nicht, und in diesem Falle sind die übrigen Finger so groß, dass die Mög lichkeit gegeben ist, die Zweige ganz leicht zu umfassen. Daher kann man diese Säugetiere die Kletternden nennen, weil Klettern für sie die natürlichste und bequemste Bewegung ist. Deshalb verändern sie auf ebener Erde sehr ungern ihren Platz und laufen sehr schnell, um einen Baum oder ähnlichen Ort zu erreichen. Sehr langsam auf der Erde 1) 65 Naturalist Nr. 24 p. 433. 2) ibid. Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 4753 und besonders senkrecht auf den hinteren Extremitäten gehen, ist für sie ganz unnatürlich. Lange stehen können sie gar nicht. Die Ursache hiefür liegt darin, dass ihre Hände den hinteren Extremitäten nicht als natürliche Stütze dienen können. Das Hügelchen der Ferse ist mit Ausnahme zweier Arten von Affen bei ihnen nach oben gerichtet und nicht nach unten wie beim Menschen. Daraus folgt, dass die Hände der hinteren Extremitäten bei ihnen keine natürliche Stütze haben. Deshalb dehnen die Affen ihre Daumen nach der Seite aus, um die Unterstützungsfläche nach Möglichkeit zu vergrößern. Aber eine solche Vergrößerung kann nur durch große Anstrengung der Muskeln erreicht werden und ist deshalb sehr mühsam. Nur zwei Arten der großen Affen haben ein Fersenhügelchen, welches nach unten gerichtet ist. Das sind der Orang-Utang und der Gorilla. Aber bei beiden ist die Hinterhand durch Gelenke nicht so mit dem Schien- bein verbunden wie der Fuß beim Menscheu, bei welchem das Schien- bein senkrecht zum Fuß steht. Daraus folgt, dass beim Menschen, wenn er sich aufrichtet, der Fuß von selbst sich zur Erde, und der gewölbte Teil des Fußes sich nach oben richtet. Beim Orang und beim Gorilla ist die Verbindung des Schienbeins mit der Hinterhand so weit von diesem inneren Rand der Hand abgedrängt, dass die Hand in natürlicher Lage flach nach innen und mit dem Rücken nach außen gerichtet ist. Solche Lage hat die Hinterhand mehr oder weniger bei allen Affen. Das bestätigt nur, dass die Affen zum Klettern be- stimmt sind, weil in natürlicher Lage die Extremitäten und zwar die hinteren Hände flach zur Erde gerichtet sind. Das giebt die Möglich- keit, die Bäume zu umfassen. Diese Umfassung wird erleichtert durch die Länge der Finger an den Händen. Beim Orang sind die Finger der hinteren Hand so lang und so gebeugt, dass, wenn das Tier auf den Fülsen stehen will, es dann den zweiten und dritten Finger unter die Sohle umbiegt und nur vier oder fünf Finger ausdehnt. Es geht also auf halber Faust, was gewiss keine sehr feste Stütze geben kann. Der Orang kann also nie senkrecht stehen. Beim Gorilla sind die Finger weniger lang“ !). Aus diesen Gründen also lehnt Baer die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen ab und hat dieser Ueberzeugung am Schlusse der Artikel über die Stellung des Menschen in der Natur nochmals energisch Ausdruck gegeben. „Die Abstammung von Affen, erklärt er, verwerfe ich mit Entrüstung so lange, als mir nicht ein Affe ge- zeigt wird, welcher spricht, Werkzeuge bereiten, Feuer machen oder Pflanzen anpflanzen kann, welche später Früchte bringen, oder als bis mir die Gesellschaft von Affen gezeigt wird, welche selbst den einfachsten Staat bilden, oder solehe Affen, welche den Menschen ge- zwungen haben, ihm zu dienen. Wenn die Affen zur Umwandlung in 1) 65 Naturalist Nr. 3 p. 49/50. 474 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. menschlichen Zustand fähig waren, dann haben sich wenigstens irgendwo die Anfänge solcher Umwandlung gezeigt. Zeit haben sie genug gehabt, weil die Affen noch vor dem Menschen existiert haben“). 3. Nach dem Erscheinen von Darwin’s Werk „Die Abstammung des Menschen“. Die von Baer im Naturalist gegen die Lehre vom tierischen Ur- sprung des Menschen geführte Polemik ist, weil nur russisch erschienen ?), so gut wie unbekannt geblieben. Baer selbst hat sie auch nicht er- wähnt, als er nach dem Erscheinen von Darwin’s Werk „Die Ab- stammung des Menschen“ den Kampf gegen die Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen von neuem aufnahm, zuerst in einem Artikel in der „Beilage zur Allgemeinen Zeitung“ vom Jahre 1873 Nr. 130 und dann in der Hauptschrift: „Die Lehre Darwin’s“. Baer schreibt: „Darwin’s Buch über die Abstammung des Menschen ist... erschienen, hat mich aber nicht überzeugt. Noch jetzt kann ich nicht begreifen, wie der Mensch aus einem affenartigen Tiere im Laufe der Zeit geworden sein könne“ ?). Im Nachweis, dass der Mensch vom Tiere abstamme, erblickt Baer den Probierstein der neuen Lehre*). Diese Probe aber hat nach Baer’s fester Ueber- zeugung die neue Lehre nicht bestanden. Darum bekämpft sie Baer mit allen Gründen, die ihm Empirie und Spekulation an die Hand geben. a) Empirische Gründe. Nach Darwin müsste die Umwandlung einer ausgebildeten Form in die andere durch kleine Variationen in unendlichen Zeiträumen erfolgt, also z. B. ein Greiffuß ein Menschenfuß geworden sein. Das ist aber unmöglich und thatsächlich unwirklich. Es sei erlaubt, erhebt Baer gegen diese Annahme den Einspruch, „darauf aufmerksam zu machen, dass die unermesslichen Zeiträume, welche nach Darwin zur Summierung ganz kleiner Veränderungen nach einer bestimmten tichtung erfordert werden, besonders für den Menschen am wenigsten passen. Um den Greiffuß eines Affenmenschen in den Plattfuß eines Menschen umzuwandeln, würden Jahrtausende erforderlich sein. Keine Sage, kein historisches Dokument überhaupt, keine Fußform aus alter Zeit, auch keine Erfahrung von anderen Umänderungen berechtigt zu dieser Annahme“). Baer erklärt diese Annahme als eine solche, die nur auf dem Bestreben beruhe, die Entwicklung des Menschen zu erraten, ohne sie als sein Ziel zu betrachten ®). nn 4) 67 Naturalist Nr. 1—3 p. 15. 2) Die Uebersetzung dieser russisch geschriebenen Artikel verdanke ich dem früheren eand. med. Anani Karfunkel aus Odessa. 3) 73 Beilage zur allg. Zeitung Nr. 130 p. 1986. 4) 74/75 R II, 307. 5) ibid. p. 307. 6) ibid. p. 328. Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 475 Außer dieser Unbegreiflichkeit der Umwandlung der Affenhinter- hand in den menschlichen Fuß sprieht gegen die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen die Paläontologie. Wären nämlich Affen die Ahnen des Menschen, so folgte, schließt Baer, „dass die frühesten Menschen in ihrem Hirn und Schädelbau den Affen be- deutend näher stünden als den jetzigen Menschen“!). Aber davon sei bis jetzt nichts gefunden, denn die von manchen Naturforschern für affenähnlich erklärten Schädel, nämlich der aus der Engishöhle und der Neanderthalschädel würden selbst von Huxley, obgleich er den Menschen aus einem affenartigen Tiere hervorgebildet sein lasse, nicht als solche anerkannt. Wie wenig diese Schädel als einer den Affen nahe stehenden Rasse zugehörig hetrachtet werden dürfen, be- weise auch die Thatsache, dass Baer selbst einen Schädel von der- selben Form, wie sie die Stirn des Neanderschädels habe, aus ganz neuer Zeit in der anatomischen Sammlung zu Göttingen gefunden habe. Der Neanderthalschädel müsse einem altkeltischen Volke angehört haben?). Die neueren Forscher bestätigen Baer’s Schlussfolgerung, denn so sehr sie in der Auffassung und Deutung dieser Schädel aus- einandergehen, darin sind alle einig, dass diese Schädel nicht affen- ähnlich seien ?). . Der Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen sind ferner nach Baer abträglich die Thatsachen der Entwicklungsgeschichte. Darwin babe das Lanzettfischehen als unbezweifelten Urahn des Menschen bezeichnet. Der Amphioxus selbst sei nach Darwin als Abkömmling einer untergegangenen Tierform zu betrachten, welche den Larven der schlauchförmigen Seescheiden, Ascidien. ähnlich war. Diese Larven nämlich, welche kurze Zeit hindurch einen fast eylin- drischen Leib und deutlichen Schwanz haben, also von den ausgebil- deten sackförmigen Ascidien sehr verschieden seien, aber mit den Kaulquappen der Frösche einige äußere Aehnlichkeit haben, sollen sich ursprünglich nach der Form der Wirbeltiere entwickelt haben, da der einzige Nervenknoten, den die Ascidien haben, sich so ausbilden solle, wie das Hirn und das Rückenmark der Wirbeltiere®). Baer giebt zu: „Wäre die Abstammung der einzelnen Tier- und Pflanzen- formen von anderen und diese wieder von anderen bis zu den ein- fachsten herab, auf anderen Wegen als allein giltig erwiesen, so müssten wir freilich eine gleiche Abstammung auch vom Menschen erwarten, und dürften uns durch die früheren niederen Formen wie Amphioxus oder dergleichen nicht ‘erschrecken lassen“). Aber Baer 1) 74/75 R II, 326. 2) 74175 R II, 326/27. 3) s. Ranke, Der Mensch 1894 Bd. II p. 475/74 u. 478. 4) 74/75 R II, 341/42. 5) 74/75 R II, 344. 476 Stölzle, v. Bacr’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. leugnet nicht nur eine allgemeine Transmutation, sondern hat auch speziell die Gleichstellung der Aseidienlarven mit dem Typus der Wirbeltiere als irrig abgelehnt!). So wird ihm „dieser mensch- liche Vorfahr, den andere noch bis zu den Infusorien hinab verfolgen, zum Märchen“ ?). Damit ist auch schon dem sog. biogenetischen Gesetz, einem beliebten Argumente für die tierische Abstammung des Menschen, seine Beweiskraft genommen. Baer bemerkt gegen dieses Argument zweierlei. Erstlieh: Es sei eine Annahme, die erst des Beweises bedürfe. „Dass die verschiedenen Zustände, die der menschliche Keim durchläuft, um eine menschliche Gestalt zu erreichen, nur die Vererbungen ehemaliger selbständiger Lebensformen sind, das ist ja nur die Annahme, die erst bewiesen werden sollte“3). Zweitens fehle jede Bestätigung dieser Annahme durch fossile Funde. „Würden sich, schreibt Baer, fossile Reste zeigen, die man zweifellos als von unvollständig ausgebildeten vorweltlichen Menschen herrührend ansprechen müsste, so wäre etwas für diese Ableitung des Menschen aus anderen Formen gewonnen. Aber solche Vorstufen haben sich ungeachtet des eifrigen Suchens nicht gefunden, auch nicht aus der doch wohl erreichbaren Zeit kurz vor der entschieden menschlichen Gestalt“). Einen letzten Einwand gegen die Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen gewinnt Baer aus der Thatsache des Atavismus. Er folgert, „dass, wenn der Mensch aus einem Quadrumanen sich ent- wickelt hätte, durch Atavismus nicht selten Verbildungen vorkommen müssten, die von dem Urstamm ererbt sein würden, als da sind: Ein wirklich abstehender Schwanz, Gefäßsehwielen, Backentaschen, Hände au allen Extremitäten’). Aber gerade solche Missbildungen seien kaum erhört®). Die in Umlauf gesetzten Erzählungen von einem Schwanz der Embryonen und den sog. Schwanzmenschen seien entweder Märchen oder würden falsch gedeutet. Was man von einem regelmäßig vor- ragenden Schwanze bei menschlichen Embryonen gesagt habe, bemerkt Baer gegen alle derartigen Einwände, sei eine Fabel und beruhe nur darauf, dass in sehr früher Zeit die Rückenseite etwas länger sei, als die Bauchseite, weshalb ‘die erstere in einer ganz kleinen Spitze vor- rage, welche aber schwinde, sobald das Rückenmark sich zu verkürzen anfange. Nur sehr selten sei ein rudimentärer Wirbel oder auch zwei 1) 74/75 R IL, 342 u. 73 Me&m. de l’Acad. VII. serie Bd. XIX Nr.8: „Ent- wickelt sich die Larve der einfachen Ascidien in der ersten Zeit nach dem Typus der Wirbeltiere ?* 2) 74/75 R II, 343144. 3) ibid. 344. 4) 74/75 R II, 344, 5) ibid. p. 338. 6) ibid. p. 338. — —_ Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 477 mehr vorhanden als gewöhnlich!). Die Verbildung, die in einem prominierenden Schwanze bestehe, gehöre, wie Förster über „die Missbildungen des Menschen“ $ 44 ausführe, zu den größten Selten- heiten. Was eben dort von einem merklich vorragenden Fettschwanze erzählt werde, habe offenbar mit dem Sehwanze der Affen nichts ge- mein, sondern werde wohl ein nicht zur Ausbildung gekommener /willingsembryo sein. Solche unterdrückte Bildungen gehen dann leicht in Fettmassen über, die nur einige regellose Knochen enthalten, wie hier ausdrücklich gesagt werde?). Auch die bloß von der Haut gebildeten Verlängerungen, die zuweilen am Steiße sitzen sollen, könne man nicht für Schwänze halten?). Endlich fehle es ganz und gar an menschlichen Missbildungen mit 4 Händen, die als Rückfall in die Quadrumanenform am häufigsten vorkommen müssten, wenn der Mensch vom Affen abstammte®). Schließlich begegnet Baer auch dem Einwande, zu dieser Umwandlung eines Affen in einen Menschen seien Jahrtausende nötig. Er bestreitet die maßlosen Zeiträume für die einzelnen Gruppen der höheren Tiere und schreibt speziell mit Rücksicht auf den Menschen: „Was nun gar die Umwandlung des Menschen aus einem anthropoiden Affen anlangt, so scheint es mir unzweifelhaft, dass ein Zeitraum von sehr zahlreichen Jahrtausenden, etwa einigen Hundert, durchaus un- statthaft ist“ °). b) Spekulative Gründe. Was nach Baer Anatomie, Paläontologie, Entwicklungsgeschichte und Pathologie beweisen, dass nämlich der Mensch nieht tierischen Ursprungs sein könne, das findet Baer noch besonders bestätigt durch die Spekulation d. h. die Lehre von der Zielstrebigkeit. Baer zeigt, dass schon die Zielstrebigkeit die Umwandlung eines Affen oder irgend einer zwischen Affen und Menschen stehenden Form in den Menschen ausschließe. Zur ersten Möglichkeit bemerkt Baer. „Noch jetzt kann ich nicht begreifen, wie der Mensch aus einem affenartigen Tiere im Lauf der Zeit geworden sein könne. Meine Zweifel daran sind sehr einfach. Wie ich auch die Affen betrachten mag — immer scheinen sie mir für das Leben auf den Bäumen organisiert, der Mensch dagegen für den aufrechten Gang auf festem Boden. Zwar sagt man: Beide Be- fähigungen haben sich ja erst im Laufe der Zeit durch „Anpassung“ entwickelt. Aber wofür soll denn die problematische Urform der Primaten organisiert gewesen sein, da doch sonst offenbar alle Tiere 1% 7479 R II, 338. 9) 74|75 R II, 339. 3) ibid. p. 339. 4) 74/75 R II, 339/40. 5) ibid. 294. 478 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. auf einen bestimmten Aufenthaltsort angewiesen sind? Waren es etwa Klettertiere, von denen einige Nachkommen von Fortschrittsideen er- griffen, sich Jahrtausende und Jahrmillionen der Bäume und des Klet- terns enthielten, bis ihre hinteren Extremitäten die passende Form für den aufrechten Gang bekamen? Eher könnte ich mir noch denken, dass jene Urform plantigrad war, einige Nachfolger aber die Bäume, welche ihre Speisekammer trugen, aus Nahrungsgier gar nicht ver- lassen wollten und so aus ihnen unsere „verbummelten Vettern“ wurden, wie man die Affen genannt hat. Aber — fragt vielleicht jemand — warum quälst du dieh überhaupt ab mit der Frage, wie der Urprimat gelebt haben mag. Es ist genug, dass er existiert haben muss, um die Abstammung des Menschen zu erklären. Darauf erwidere ich: Für jene Erklärung mag es notwendig scheinen; ich aber kann mir nicht denken, dass ein Lebendiges bestanden und sich fortgepflanzt habe, welches nicht für irgend eine auf dieser Erde mögliche Lebens- form ursprünglich organisiert war !). Aber auch wenn man den Menschen von einer zwischen Affen und Menschen stehenden, jetzt ausgestorbenen Mittelform ableiten will, wie es die besonnenen Darwinisten thun, stellte sich die Ziel- strebigkeit einer solehen Annahme in den Weg. „War der hypothe- tische Affenmensch, formuliert Baer das Dilemma, bestimmt vom Boden aus die leicht erreichbaren Früchte von den Bäumen und den Pisangen zu pflücken, so waren ihm Kletterfüße oder Greiffüße wenig passend für sein Suchen nach Nahrung. Und ist nur das völlig auf- rechte Säugetier zur Sprache und damit zu fernerer Ausbildung be- fähigt, so kann ich nicht bezweifeln, dass dieses Geschöpf d. h. der Mensch erst am Schluss der ganzen Reihe entstehen musste, die nun ihren natürlichen Abschluss gefunden und ihm in ihren andern Gliedern bald als Material für seine Bekleidung und Nahrung zu dienen hatte?). Baer erklärt es offen, dass ihn bei seiner Opposition gegen die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen eben der teleologische Gedanke leite, „dass nämlich die Organisation eines lebenden Geschöpfes schon ursprünglich den Mitteln zur Lebensunterhaltung angepasst sein muss, und nieht erst im Laufe der Jahrhunderte aus irgend einer un- bestimmten Form, zu der es aus innerem Variationsgrunde geworden ist, den Lebensbedingungen sich anpasst“ 3). Er weiß zwar, wie gerade ein solches Argument in naturwissenschaftlichen Kreisen wegen der dort herrschenden Teleophobie wenig gilt, aber er wendet dagegen ein, „dass, um diese (teleologische) Ansicht zu vernichten, man für die Umwandlung einer ausgebildeten Form in die andere ganz anders entscheidende Beweise vorbringen müsste, als bloß gedachte Möglich- 1) 73 Beilage zur allgemeinen Zeitung Nr. 130 p. 1986. 2) 74/75 R II, 327 u. 325/26. 3) ibid. 327. Nisslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. 479 keiten“ !), und dass ihm gedachte kleine Variationen ohne alle be- dingenden Notwendigkeiten als ein sehr ungenügendes Mittel, die Ziele zu ersetzen, erschienen ?). Spekulative und empirische Gründe machen also Baer dieLehre vom tierischen Ursprung des Menschen unannehmbar. Er giebt dieser Ueber- zeugung Ausdruck, wenn er von dem Mangel jedes Beweises für die Ab- stammung des Menschen von den Affen sprieht?), wenn er sich das derbe Urteil des Paläontologen Fraas völlig zu eigen macht. Fraas schreibt: „Dass aus einer dieser Affenspezialitäten das Menschengeschlecht her- vorgegangen sein soll, ist der wahnwitzigste Gedanke, den Menschen je über die Geschichte der Menschheit dachten, würdig einst verewigt zu werden, in einer neuen Auflage der „Geschichte der menschlichen Narrheiten“. Von irgend einer Begründung dieser baroken Idee durch Thatsachen, etwa durch Belege aus Erfunden n. s. w. ist ohnehin gar keine Rede“*). Baer begleitet diese Worte mit seiner Zustimmung. Dieser Ausspruch sei etwas derb, aber doch darin wichtig, dass er uns nachweise, dass Herr Fraas, der sein ganzes Leben hindurch sich mit den Tieren der Vorwelt beschäftigt habe, dadurch nicht den Eindruck erhalten habe, dass alle Tiere nur durch Umwandlung aus früher bestehenden entstanden sein können ?°). Diese ganze Polemik, wie sie Baer von 1834 bis 1575 gegen die Lehre von der tierischen Abstammnng des Menschen führt, kehrt sich nicht etwa bloß gegen die Darwinistische Forn der Descendenzlehre, auch will Baer nicht etwa damit sagen, das „Wie“ der Abstammung des Menschen vom Tiere sei unerklärlich, sondern alle diese Ausführungen sollen zeigen, dass die Abstammung des Menschen vom Tier nicht erwiesen sei. Mit andern Worten: Baer glaubt nieht an die Abstammung des Menschen vom Tiere. Dieser dureh zahl- reiche Aussprüche Baer’s aus den verschiedensten Perioden seines Forscherlebens bestätigten Auffassung tritt nun Bunge entgegen durch seinen Bericht über. eine mit Baer im Jahre 1869 gehabte Unter- redung. (Schluss folgt.) Zur Biologie der Schizoneuriden- Gattung Mindarus Koch. Von Prof. ©. Nüsslin in Karlsruhe. 1. Die Eiablage und das Auskommen der Fundatrix aus dem Winke'rei. Die Schizoneuriden-Gattung Mindarus®) Koch ist durch eine An- zahl von Besonderheiten, welche das Winterei betreffen, ausgezeichnet. 1) 74|75 R IL, 328. 2) ibid. 3) ibid. 344 u. 385. 4) 74/75 R IL, 413. 5) ibid. 6) Vergl. O. Nüsslin, Weißtannentrieblaus (Mindarus abietinus Koch). Allgem. Forst- u. Jagdzeitung, Juniheft 1599. 480 Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. Da das Winterei der beiden Species dieser Gattung, M. abietinus Koch und M. obliquus Cholodk. zehn Monate liegen bleibt, mussten demselben besondere Schutzmittel verliehen werden. Als solches kommt zunächst, wie bei Wintereiern anderer Aphiden, eine dieke lederartige Schale in Betracht, welche das Ei gegen Aus- trocknung zu schützen hat. Da dieselbe gleich allen festeren Chitin- ablagerungen braun gefärbt ist, vermöchte sie das Winterei von Mindarus nicht genügend gegen Feinde zu schützen. Dasselbe ist nicht wie bei Lachnus und Aphis nur die Wintermonate den Augen der Feinde ausgesetzt, sondern fast den ganzen Sommer und Fig. 1. Fig. 1. 60/1. 2-Mindarus abietinus Koch. Ventralfläche mit den brutflecken- artigen Drüsenfeldern (Dr). m dorso-ventraler Muskel. a'—a° Abdominal- Segmente. St Samentasche. Kd Kittdrüse. Ch Chitinspange. Ei größtes Ei. Winter. Deshalb wohl in erster Linie, das heißt zum Zwecke der Maskierung, und daneben vielleicht auch zum Schutze gegen Nässe, wird das Winterei mit einer Schicht von Wachsfäden gedeckt, welche die. braune Farbe der Schale verhüllend eine silberigweiße Oberfläche erzeugt. Hierdurch wird das Ei den Orten seiner Ablage außerordent- lich angepasst. Ein besonderes Interesse verdient zunächst die Art und Weise, wie die Natur die Mittel zur Maskierung des Wintereis schafft. Gegen Ende des dritten Entwicklungsstadiums, kurz vor der dritten Häutung sieht man auf Querschnitten durch die 2-Mindarus an zwei Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattnng Mindarus Koch. 481 seitlichen auf der Ventralfläche des fünften und sechsten Segments ge- legenen Stellen eine schwache Vergrößerung der Hypodermiszellen be- ginnen. Während in den älteren Stadien an der übrigen Körperober- fläche von der Hypodermis nur noch kleine der Cutieula anliegende Kerne erkennbar sind, erscheinen an genannten Stellen wieder deut- liche Hypodermiszellen, anfangs kubisch, später hocheylindrisch (siehe Fig. 2 u. 3). In letzterer Form treten diese Zellen gleich nach der III. Häutung hervor, sodass das ganze IV. Entwicklungsstadium der ?-Mindarus durch zwei große ventrale und zwar an den Seiten des fünften und sechsten Segments gelegene unregelmäßig rundlich ovale Drüsenfelder charakterisiert wird (Fig. 1). In der Mitte wird jedes Drüsenfeld von einem der dorso-ventralen Muskeln, welche zwischen Fig. 2. Ka D m Kd Fig. 2. 2001. 2@ -Mindarus obliquus Cholodk. Querschnitt in der Gegend des 6. Abdominalsegmeuts. Dr brutfleckenartige Drüsenfelder. D Enddarm. Kd Kittdrüsen. Od Eileiter. St Samentasche. m Muskeln. % Kerne der Hypodermiszellen. %k' solche in den dem Drüsenfelde benachbarten größeren Hypodermiszellen, dem 5. und 6. Segment verlaufen, durchbohrt. Ebenso kann das Drüsenfeld vorn an der Grenze des 5. und hinten an der Grenze des 6. Segmentes die entsprechenden Muskelansätze umfassen. Die Drüsen selbst sind einzellig, ganz ähnlich wie bei den gewöhnlichen dorsalen, beziehungsweise lateralen Wachsdrüsen. Jede der hohen Cylinder- oder Schlauchzellen zeigt scharf von den Nachbarzellen abgegrenzte Wandungen, an die sich nach dem Innern der Zelle ein homogener Wandbelag anschließt, welcher einen centralen Oylinder von weniger dichter Substanz umfasst. Die Kerne liegen meist an der Basis, seltener in mittlerer Höhe der Zellen. Die beschriebene Struktur der Drüsen- zellen wird sowohl auf deren Längsschnitten (Fig. 2 u. 3), als be- sonders auf queren Schnitten, welche parallel zur Ebene des Drüsen- feldes verlaufen, deutlich erkannt. Die Cuticula, welche das Drüsenfeld X, Sl 482 Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. überzieht, zeigt die einzelnen Zellbezirke in Form vier-, fünf- und sechs-, vereinzelt auch dreieckiger Figuren; sie ist von äußerst feinen, nicht deutlich erkennbaren Poren durchbrochen, im übrigen dick und dunkel gefärbt. Auf sehr dünnen Flächenschnitten lässt sie eine äußerst feine, wie schaumige Struktur erkennen. Die Wachsmasse wird gleichsam dureh die Outieulaporen durchfiltriert (durchgepresst), jeder Zelle ent- spricht ein Wachsfaden und dieser nicht etwa dem centralen Cylinder der Drüsenzelle, sondern dem Umfang des peripherischen Wandbelags der Zelle. Aehnlich wie an den Wachsfäden der Fundatrix von Chermes orientalis Dreyfus, enthält auch hier der Wachsfaden eine peripherische, dichtere Mantelschicht, deren innere Konturen, besonders nach Alkohol- durchtränkung, erkannt werden können. Diese Schicht ist aus ein- zelnen Fäden zusammengesetzt, die am freien Ende etwas verdickt sind und hierdurch eine leichte Ringwulst am Ende des Gesamtfadens erzeugen. Wie der Innenraum beschaffen ist, lässt sich schwer er- Kioa 3, Fig. 3. Ein Drüsenfeld von Mind. abietinus Koch. 500/1. Man sieht läng- liche Drüsenzellen mit peripherisch diehterem Plasma. Die Cutieula über den Drüsenzellen stark verdiekt und mit feinschaumiger Struktur. mitteln, ein hohles Gesamtlumen liegt nieht vor, dagegen scheinen feine Luftkanäle zwischen fadenartigen Sekretmassen zu bestehen. Im Alkohol erscheint der Faden unter dem Mikroskop hell und fein ge- streift, bei Verdunstung des Alkohols dagegen sofort dunkel, ohne dass es dem beobachtenden Auge gelingt, einzelne Cutatropfen ein- treten, oder Luftsäulen entstehen zu sehen, wie sonst in mikroskopischen Röhren. Die Zusammensetzung des Wachsfadens aus feinen Fädchen lässt sich durch Deckglasdruck nachweisen, in welchem Falle nicht selten das Ende des Fadens in ein feines Strahlenbündel aufgelöst wird. Die Fäden sind etwas gekrümmt, durchschnittlich 0,05 mm lang und 0,006 mm dick. Die Drüsenfelder des 2 machen nach Ausscheidung ihrer Fäden bei schwacher Vergrößerung den Eindruck zweier Pilzrasen (Fig. 1). Im Gegensatz zu den übrigen Wachsdrüsen bleiben hier die Sekret- fäden sämtlich von annähernd gleicher Länge und erscheinen daher insgesamt bürstenartig und wie über den Kamm geschoren. Auch brechen sie leicht an ihrer Basis ab. Nachdem das 2% ein Ei abgelegt hat, reibt es seine Drüsenfelder an der Eischale, so dass ein Teil der Fäden abbricht und an der Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. 483 klebrigen äußersten Schalenschicht hängen bleibt. Da ein 2 durch- schnittlich 5 bis 6 — im Extrem ca. 4 bis 9 — Eier ablegt, erscheinen seine Drüsenfelder bald mehr und mehr abgerieben, jedoch verbleiben einzelne Fäden, wie dies an den auf natürlichem Wege abgestorbenen Weibehen zu sehen ist. Die Drüsenfelder, anfangs schwach konvex, können nach Ablage einiger Eier tief konkav erscheinen; überhaupt schrumpft dabei der Leib des 2 ganz enorm und verkürzt sich durch Zurückziehen der letzten Segmente. Auch dorso-ventral findet eine erhebliche Abflachung statt. Das Ei der Mindarus- Arten hat eine unregelmäßige zugespitzt eiförmige Gestalt. Meist bei beiden Arten ca. 0,4 mm lang (bis 0,5), 0,23 mm breit. Der etwas zugespitzte Pol entspricht dem Kopfende, der abgerundete breite dem Hinterende. Hier liegt eine einfache Mikropylöffnung. Die eigentliche gelbbraune Schale ist bald dieker und dunkler, bald dünner und heller. Oefters lassen sich Poren, be- ziehungsweise am Rande Porenkanäle, deutlich erkennen. Fig. 4. Fig. 4. 60/1. Ei von Mindarus obliquus 2 Cholodk. durehsichtig gemacht ( Wachs- IAIK- -.-- fäden Wf nach anderen Präparaten zu- - H gefügt). Innen der Embryo mit Helm (H) und Cutieula (ce). Man erkennt die Augen, IA das Vorderhirn, die Schnabelbasis und R en die Gliedmaßen. Sch Schalenhaut, pH feine DO" Sch peripherische Hülle, auf welcher die \ WW Wachsfäden sitzen. Nach außen liegt auf dieser Schale eine farblose dünne Schicht, welche sich leicht in toto von der gefärbten Schale ablösen lässt und ihrerseits die Wachsfaden trägt (Fig. 4). ° Offenbar ist diese äußere Sehieht ursprünglich klebend gewesen. Die Wachsfäden stehen teils senkrecht auf der Oberfläche der Schale, teils sind sie in anderen Lagen an der Schale befestigt. Die Dichtigkeit der Wachsfaden- bedeckung ist sehr verschieden und im allgemeinen bei M. abretinus Koch eine größere, als bei M. odliguus Cholodk. Wohl im Zu- sammenhang hiermit versteckt die letztere Art ihre Eier viel besser als Mindarus abietinus, indem dieselben ganz besonders am Innen- winkel der verschmälerten Nadelbasen befestigt werden und oft nur nach Zurückbiegung der Nadeln zu sehen sind. Bei M. abietinus werden die Eier besonders an die jüngeren Triebe abgelegt, mehr frei und sind infolge der weißlichen Haare der jungen Tannentriebe kaum zu erkennen. Ueberaus deutlich scheiden sie sich dagegen durch schwarzbraune Färbung, sobald der helle Tannentrieb in Alkohol als 484 Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. betrachtet wird, indem durch Luftverdrängung die Fäden durchsichtig werden und das dunkle Pigment der Eischale hervortritt. Wenn Mindarus abietinus zur Eiablage in verkorkten Gläschen genötigt wurde, versteckte sie ihre Eier stets in den Spalten und Löchern des Korkes. Auf diese Weise sah ich zum ersten Male den silberweißen Fadenbelag genannter Eier und konnte mir bald Aufschluss über die Bedeutung der brutfleekenartigen Wachsbürsten des 2 ver- schaffen. Nachher gelang es auch, die Eier zunächst an stark belegten Trieben der Zuchttannen, zuletzt auch in der freien Natur zu finden, was dem Nichtkenner kaum gelingen wird. 121247733 -- Hk Hpl Fig. 5. 120/1. Mind. obliquus Cholodk. Ein aus dem Winterei befreiter reifer th! ümbryo der Fundatrix. H% Helmkamm, Hpl Helmplatte, e Cutieula, th'— th? die I drei Thoraxsegmente, a'—a’ Abdominal- ih? segmente, f Borstenfollikel, die Borste a lässt sich nach zwei Umrollungen bis zum a? Schnabel verfolgen. Im Inneren sieht a3 man den Bauchstrang, Darm und die at Eifollikel (Endfächer). - a? a® en Das Ei wird im Juni, meist nach Mitte des Monats, abgelegt. M. abietinus besorgt die Ablage besonders am Triebe, dann an den Knospen, seltener auf der Unterseite der Nadeln längs deren silber- weißen Streifen. M. obliquus bevorzugt die geschützteren oberen (inneren) Nadelachsen, außerdem legt auch diese Species an die Knospen. M. abietinus lebt und legt ab an den Maitrieben der Tanne (Abies peetinata), M. obliquus an den Maitrieben der amerikanischen Weiß- fichte (Picea alba). Von Juni bis Ende April, also 10 Monate, verharrt die Gat- tung im Stadium des Wintereis. Sobald Ende April bis Anfang Mai die Knospen aufbrechen, kommt auch die junge Fundatrix aus dem Ei hervor. Die Vorgänge dieses Auskommens bieten wie die Eiablage einige interessante, bisher unbe- kannte, Eigentümlichkeiten dar. /uin Durchbruch durch die feste Chitinschale hat der reif ge- wordene Fundatrix-Embryo in der Mediane des Kopfendes einen harten gezähnelten Chitinbogen zur Ausscheidung gebracht, welcher, wie alle diekeren und festeren Chitinbildungez sich durch dunkle hraune Färbung hervorhebt (Fig. 5). Derselbe sitzt mit seinem am meisten verdickten Ende in der Mediane des Hinterkopfes etwa in der Höhe der Augen Nüsslin, Zur Biologie der Schizoneuriden-Gattung Mindarus Koch. 489 an und zieht nach oben und vornen median über den Kopf, bis er die Ventralseite erreicht hat. Zu beiden Seiten am Kopfe setzt sich diese Bogenleiste in eine leicht verdickte hellbraune Chitinplatte fort, welche hinten bis in die Gegend des Auges reicht, um sich dreieckartig nach der Spitze des Bogens zu verschmälern. Diese Bildung hat eine ent- fernte Aehnlichkeit mit der Raupe des ehemaligen bayrischen Helms. Sie ist nichts anderes, als eine lokale Verdiekung einer ursprünglich sehr zarten Cutieula, welche der herangereifte Embryo absondert, Der Zusammenhang zwischen dieser Cuticula und der verdiekten Helm- bildung lässt sich in der vorderen Hälfte des Embryokörpers ohne Schwierigkeit verfolgen. Zum Zweck der Durchschneidung der Chitinschale macht der Embryo dorso-ventrale Nickbewegungen, infolge deren eine Spalte am zugespitzten Ende der Eischale entsteht. Darauf durchbrieht der Embryo die ihn umgebende Cuticula am vorderen Ende des Helms und erhebt sich ganz allmählich unter fort- gesetzten dorso-ventralen Nickbewegungen aus der Schale empor, wobei er zugleich die eigene Cutieula hinter sieh abstreift. Es ist hierbei besonders bemerkenswert, dass während dieses Austritts aus der Schale keinerlei Bewegungen mit den Gliedmaßen stattfinden. Fühler und Beine sind fest angeschlossen, etwa wie bei einer freien Metabolen-Puppe. Während des Heraus- arbeitens sieht man durch die noch weiche Haut des jungen Larven- körpers hindurch die inneren Organe in Auf- und Abwärtsbewegungen den äußeren Niekbewegungen folgen und unter Atembewegungen und Luftaufnahme die anfangs blassen gelblichen Pigmente sich in tiefere graugrüne Töne verfärben. Erst nachdem die junge Larve bis gegen die Hinterleibsspitze aus der Schale herausgetreten ist, beginnt eine Lösung der Gliedmaßen, welche nunmehr in regelmäßigen Hebungen und Senkungen, Streckungen und Beugungen den baldigen Gebrauch vorbereiten. Am Hinterleibs- ende hängt die Larve noch kurze Zeit durch ihre band- oder strang- artig zusammengezogene Cuticula mit der Schale zusammen. An diesem Cutieulaband ist auch der abgeworfene Helm zu erkennen. Nach völliger Ablösung von ihrer Cuticula begiebt sich die Larve, jetzt grau grünlich, mit durehscheinendem spangrünem Pseudovitellus und viel dunkler als die jugendlichen Stadien der beiden folgenden Genera- tionen, auf den Weg nach einem jungen Triebe. Hier versteckt sie sich bald unter den noch blassgelblichen Nadeln oder kriecht an der Basis des Triebs unter der Knospenschuppenhülle und beginnt zu saugen. In kurzer Zeit, oft schon am ersten Tage ist die erste Häu- tung: vollendet, die Fundatrix-Larve ist jetzt gelblich wie der Trieb und die Nadeln und verfärbt sich in der Folge durch Wachsreif in Korrespondenz mit der allmählichen Umfärbung des Maitriebs. [63] 486 Rosa, Fortschreitende Abnahme der Variabilität. Daniele Rosa, La riduzione progressiva della variabilita e i suol rapporti coll’ estinzione e coll’ origine delle specie. 8. 133 pp. Torino, Carlo Clausen, 1899. Kap. I. Das Erlöschen der Arten und der allmähliche Rückgang der Variationen. Verf. beginnt seine Erörterungen mit der Frage: woher kommt es, dass viele Gruppen von Organismen ganz verschwunden sind, ohne Nachkommen, wenn auch aheennderie, zu hinter- lassen ? Dieses vollständige Erlöschen kann man nicht einer sehr schnell ein- tretenden Veränderung der Umgebung zuschreiben, wenn es sich um große Gruppen handelt, die über ein weites Gebiet verbreitet sind. Bei vielen der größten Gruppen, die erloschen sind, bemisst sich überdies die Zeit von ihrer kräftigsten Blüte bis zu ihrem Erlöschen nach geologischen Perioden. Wie langsam mächtige Geschlechter verfallen, dafür finden wir eine sehr große Zahl von Beispielen, wenn wir auch diejenigen ‚Gruppen in Betracht ziehen, von denen eine vereinzelte Form übrig geblieben ist. Es handelt sich nun darum zu erklären, weshalb nicht viel mehr verschiedene Stämme nebeneinander ihre Entwicklung unter Einhaltung eines richtigen Gleichgewichts zwischen ihnen erreichen konnten, ohne dass vollständige Ersetzung der lange vorherrschenden Klassen durch die neu aufgekommenen stattzufinden brauchte. Nun wird dieses vollständige Erlöschen ganzer Gruppen nicht durch den Kampf ums Dasein allein erklärbar. Man muss annehmen, dass neben diesem bei den im Erlöschen begriffenen Gruppen die ua an Varia- tion eine Rolle spielt. Hier versteht der Verfasser unter Variation nur diejenige Verände- rung der Arten und Gruppen, welche uns durch die Phylogenese enthüllt wird; er meint also die wirkliche Variation, deren Grenze durch die aus- sondernde Thätigkeit der natürlichen Auswahl bedingt sein kann, selbst bei vollständig freier Variabilität. Die stark spezialisierten oder einseitig differenzierten Formen sind diejenigen, bei welchen diese Insufficienz der Variation sich am deut- lichsten zeigt, und es ist gerade diese ihre geringe Anpassungsfähigkeit, welche die erste Ursache ihres Erlöschens gewesen ist oder sein wird. Aber diese äußersten Formen bieten uns, nach dem Verfasser, nur noch um so schlagendere Beispiele für eine allgemeine Erscheinung. In allen organischen Formen zeigt sich immer im Verhältnis, wie sie in ihrer phylogenetischen Veränderung fortschreiten, eine allmähliche Verminderung der Variation. Dies folgert der Verfasser aus der Phylogenese de Tierreichs (der der größte Teil dieses ersten Kapitels gewidmet ist). Aus den gegebenen T'hatsachen gehe hervor, dass die gleichwertigen Gruppen nur an der Wurzel lan nen, dass eine neue Gruppe immer aus den weniger differenzierten Formen einer andern hervorgeht, woraus folgt, dass mit fortschreitender Entwick- lung die Abänderungen immer weniger tiefgehende sind und sich auf weniger wichtige und immer untergeordnetere Veränderungen beschränken. Dieses allmählich zunehmende Zurückgehen der Variation ist daher, nach dem Verfasser, eine allgemeine Erscheinung und bildet die erste Ursache für das Erlöschen der Arten und vor allem der großen Gruppen; ee Rosa, Fortschreitende Abnahme der Variabilität. 487 es ist auch der Grund dafür, dass der historische Entwicklungsprozess ein Vertauschungsprozess ist, in welchem die einzelnen Gruppen naeh einer Periode größerer Entwicklung zuletzt im Kampf ums Dasein von weniger entwickelten Formen besiegt werden, die noch tiefergehender Abänderungen fähig waren und sich deshalb besser den veränderten Umständen anpassen konnten. Der Verfasser weist darauf hin, dass die in diesem Kapitel be- sprochenen allgemeinen Ergebnisse sich schon bei andern Autoren mehr oder weniger deutlich ausgesprochen finden und dass das Gesetz der nach und nach zurückgehenden Variation nur eine allgemeine Form des Law of tbe unspecialized von Cope ist. Viele, auch neuere phylogene- tische Hypothesen zeigen jedoch, dass jene Ideen noch nicht eine allgemeine Zustimmung in der Wissenschaft erlangt haben. Kap. II. Zunehmende Verminderung der Abänderungen und zunehmende Verminderung der Abänderungsfähigkeit. Die zunehmende Verminderung der Abänderungen ist nur eine empirische 'That- sache; für diese T’hatsache beabsichtigt der Verfasser in diesem zweiten Kapitel die Ursachen aufzusuchen. Der Verfasser erkennt zunächst, dass, auch wenn eine unbeschränkte Veränderungsfähigkeit der Organismen angenommen wird, wir wirklich zum großen Teil die zunehmende Verminderung ihrer Abänderungen durch die natürliche Auswahl erklären könnten. Verf. fährt daher fort, zu zeigen, dass, wenn die natürliche Auswahl durch Begünstigung der Spezialisierung der Organismen zu einer zu- nehmenden Verminderung der Abänderung führt, sie nur die Schwierig- keit einer Erscheinung steigert, welche sich auch ohne sie aus den Orga- nismen innewohnenden Ursachen vollzieht, d. h. durch eine wirkliche zu- nehmende Verminderung der Variabilität. Eine erste Reihe von 'T'hat- sachen, welche auf ein Gesetz der zunehmenden Verminderung der Variabilität hindeutet, findet der Verf. in den zurückgebildeten oder verschwundenen Organe. Solche Organe haben im weiteren Verlauf der Phylogenese niemals eine fortschreitende Entwicklung wieder aufgenommen, Dieser Thhatsache sind sich fast alle Naturforscher bewusst; wenige von ihnen werden solche Wesen, in welchen eine bestimmte Struktur gut ent- wickelt ist, von Vorfahren abstammen lassen, in welchen dieselbe Struktur schon zurückgebildet oder verschwunden war. Hier zeigt der Verfasser von neuem, dass es zur Erklärung dieser Thhatsachen nicht ausreicht, wenn man sagt, die Abänderungen, welche eine Wiederaufnahme der fortschreitenden Evolution verschwundener oder zurückgebildeter Organe anzeigen, würden durch die natürliche Auswahl ausgemerzt werden, weil sie, wenigstens im Anfang, unnütze oder an sich schädliche gewesen wären, oder weil sie dadurch unnütze geworden waren, weil inzwischen die in Wechselwirkung stehenden Strukturen verschwunden waren; er zieht daher den Schluss, dass es sich hier um Beispiele von wahrer Verminderung der Variabilität handelt. Diese Verminderung ist fortschreitend, weil im Verlauf der Phylo- genese fortwährend gewisse Strukturen rudimentär werden und ver- schwinden, wodurch immer neue Reiben von Veränderungen unterdrückt werden mit allen ihren möglichen Verzweigungen. Eine zweite Reihe von T'hatsachen, welche eine fortschreitende Ver- Ass Rosa, Fortschreitende Abnahme der Variabilität. minderung der Variabilität anzeigt, findet der Verf. in der Zahl, in welehem sich untereinander im allgemeinen homologe Organe vorfinden. Diese Zahlen wechseln mehr oder weniger in den niedern Formen, in den höheren hingegen bleiben sie fest und werden von da an konstant als Maximum, weil sie in den Nachkommen abnehmen aber nicht wachsen können (die Finger der Vertebraten, Segmente und Extremitäten der Arthropoden etc.). Auch durch diese Reihe von 'T'hatsachen beweist der Verf., dass es sich hier nicht nur um eine fortschreitende Verminderung der Veränderung handelt, die auch durch die natürliche Auswahl zu erklären wäre, sondern vielmehr um eine Verminderung der Variabilität. Diese beiden Reihen von 'T'hatsachen stellen sich uns, nach dem Verf, nur als überzeugendere Beispiele eines thatsächlich allgemeinen Phänomens gegenüber. Aus der ganzen Systematik geht thatsächlich hervor, dass in dem Maße, wie die Veränderung fortschreitet, die verschiedenen Beschaffen- heiten der Struktur sich nacheinander festsetzen, von da ab konstant bleibend (immer mit Ausnahme der möglichen Rückschläge) bei allen Nachkommen der Formen, in welchen die Fixierung sich vollzogen hat. Je nachdem sich eine Modalität der Struktur fixiert hat in Formen, welche einem ganzen 'Iypus, einer Klasse, einer Ordnung, einer Familie den Ursprung gegeben haben, bleibt sie charakteristisch für den ganzen Typus, für die Klasse, die Ordnung, die Familie. Eine progressive Verminderung der Variation findet sich also in allen Charakteren, so muss man wenigstens nach Analogie annehmen, und sie beruht auf einer fortschreitenden Verminderung der Variabilität, wie vorhin durch zwei Reihen von Thatsachen bewiesen wurde, welche inner- halb der allgemeinen Thatsache sich geltend machen. Der Verf. zeigt ferner, dass diese progressive Verminderung der Variabilität mehr in die Augen springend bei der phylogenetischen Ent- wicklung der Zellen und Gewebe ist, da diese auf einer fortgesetzten phy- siologischen Arbeitsteilung und auf einer gleichzeitigen morphologischen Differenzierung beruht (hier werden mögliche Einwendungen widerlegt). Hingegen ist der Gang des Phänomens bei den Organen und Orga- nismen verlangsamt durch die Thatsache, dass sich die verschiedenen "Teile im Verlauf der Phylogenese nicht gleichzeitig differenzieren. Daher die weniger differenzierten Teile, da sie sich größere Variabilität bewahren, sich entwiekeln und der äußern oder innern Umgebung anpassen, indem sie mit den schon bestehenden Teilen zusammenwirken oder sie ersetzen (Substitution der Organe), so dass sie dem Organismus neue Anpassungs- mittel zuführen. Wenn trotzdem das Gesetz der allmählich zurückgehenden Variabilität sich auch für die Organe und die Organismen bewährt, so kommt dies nach dem Verf. daher, weil auch diese Substitutionen und Koordinationen Erscheinungen sind, deren Wirksamkeit sich allmählich zurückbildet im Laufe der Phylogenese, weil ihre Anpassungsfähigkeit bei den einzelnen Bestandteilen immer schwächer wird. Hieraus schließt der Verf., dass, unabhängig von der natürlichen Auswahl, alle Arten der Vollendung fortschreiten, ohne dass deshalb eine absolute Vollendung erreicht werden kann; er leugnet daher die Gültigkeit des Häckel’schen Gesetzes der unbegrenzten Anspannung. "Rosa, Fortschreitende Abnahme der Variabilität. 489 Kap. III. Die fortschreitende Verminderung der Varia- bilität und der Ursprung der Arten. Der Verf. beginnt damit, dass er die Beziehungen zwischen dem Gesetz der fortschreitenden Verminderung der Variabilität und der 'T'heorie der natürlichen Auslese untersucht, und er weist nach, dass jenes Gesetz uns dahin führt, eine Orthogenese anzunehmen, indem es uns ge- stattet, weniger Gewicht auf die natürliche Auswahl bei der Erklärung der Bildung der Arten zu legen. Verf. untersucht sodann gewisse Schwierigkeiten, die sich gegen sein Gesetz und auch gegen die Orthogenese erheben und die von den indi- viduellen Abänderungen herrühren, vom Atavismus, von der Neo- tenie u. s. w. und schließt, dass man aus ihnen keine Einwände herleiten kann, weil man dann außer den pylogenetischen Abänderungen im Scott '’- schen Sinne auch nicht phylogenetische im Dar win’schen Sinne annehmen müsste, welche letztere, obwohl sie in gewissem Maß erblich sein können, selbst unfähig sind, neuen Stämmen Ursprung zu geben. Der Verf. geht dann dazu über, die Beziehungen zwischen dem Gesetz der allmählich zurückgehenden Variabilität und den präformistischen und epigenetischen Theorien zu untersuchen, indem er die letzteren näher betrachtet. Obwohl auf präformistischer Grundlage von Weis- mann eine T'heorie aufgestellt worden ist (Germinalseleetion), welche die Örthogenese erklären würde, zeigt der Verf., dass die Orthogenese (zu welcher sein Gesetz führt) auch mit den epigenetischen "Theorien erklärbar ist, durch welche man auch die Trennung der Abänderungen in phylo- genetische und nicht phylogenetische besser erklären kann. Dann untersucht der Verf. ferner die Beziehungen zwischen dem Gesetz der allmählich zurückgehenden Variabilität und dem Lamarckis- mus, bekämpft diesen letzteren, indem er neue Einwendungen und Schwierigkeiten, die seinen Gegnern entgegengehalten wurden, untersucht und schließt damit, dass durch das Gesetz an sich der Lamarckismus über- flüssig wird, aber dass die allgemeinen T'heorien, die besser mit dem Gesetz übereinstimmen, uns dazu führen, die Einmischung eines solchen Faktors bei der Evolution zu leugnen. Bei der Behandlung dieser Frage kommt der Verf. dahin, die Bio- genesetheorie von Hertwig (soweit sie den Lamarckismus zugiebt) und die Theorie der aktuellen Ursachen von Delage (insofern sie den äußeren Faktoren zu großen Wert beilegt) nicht acceptieren zu können, und sich vielmehr durch eine Untersuchung der Orthogenese den Driesch'- schen Ideen zu nähern und im Grunde auch den Weismann ’'schen, aber ohne die Bezeichnungen des letzteren anzunehmen. Für die Gesamtheit der von ihm aufgestellten Ideen schlägt er die Bezeichnung Theorie der vorbestimmten Epigenese vor, die seine Zwischenstellung anzeigt. Zuletzt untersucht der Verf. die Beziehungen zwischen seinem Gesetz und dem Problem der Anpassung und kommt zur Schlussfolgerung, dass dieses Problem deshalb nicht zu schwierig scheint, weil wir eine pro- gressive Abnahme der Variabilität anerkannt haben. Der Schluss endigt mit folgenden Worten: „Was die Theorie von der allmählichen Abnahme der Variabilität anlangt, die den Hauptinhalt dieses Buches ausmacht, so ist es möglich, dass man ihre allgemeine Giltig- 490 Plateau, Treffen die Insekten unter den Farben eine Auswahl ? keit bestreiten kann; aber man wird schwerlich leugnen können, dass sie für den größten Teil der Fälle zutrifft. „Daraus folgt, dass jede Ausnahme, die dem Gesetz entgegen gestellt wird, sich mit großer Wahrscheinlichkeit als unhaltbar beweisen wird; es bleibt somit eine Reihe von Untersuchungen, die jedenfalls interessant ist, wie auch immer das Resultat sein wird. — Dass hingegen, wenn das Gesetz sich bestätigt und die Ausnahmen festgestellt sein werden, es eine wertvolle Bereicherung für die phylogenetischen Untersuchungen sein wird.“ W. |52] Plateau, Treffen die Insekten unter den Farben eine Aus- wahl?!) Zahlreiche Forscher haben sich mit dieser Frage beschäftigt. Die meisten unter ihnen legen den Insekten farbige Papier- oder Zeugstreifen, auch farbige Glasplättehen zur Auswahl vor. Derartigen Untersuchungen kann aber, wie schon Vitus Graber?) hervorgehoben hat, eine Bedeu- tung nicht beigemessen werden, weil keine Rücksicht auf die Helligkeit genommen ist, vor allem aber, weil die hier verwendeten Gegenstände den farbigen Naturobjekten, welche den Insekten entgegentreten, durchaus unähnlich sind. H. Müller hat sich den natürlichen Verhältnissen mehr genähert, indem er farbige Blumenblätter unter Glasplättchen legte, auf diese je einen Tropfen Honig brachte und sie nun Bienen zur Auswahl vorlegte. Aber auch hier ist noch zuviel „Kunst“ dabei; unzweideutig geht das daraus hervor, dass bei den ersten Versuchen Müller’s nicht eine Biene sich auf eine Glasplatte setzte, es vielmehr besonderer Ver- anstaltungen bedurfte, um die Insekten dazu zu bringen, dass sie an den Honigtröpfehen sogen. Auch hat man die Insekten in ihrem Verhalten gegenüber Blumen im Naturzustande beobachtet. Hierzu ist u. a.?) zu bemerken, dass man leicht zu irrtümlichen Schlussfolgerungen gelangen kann, wenn man die Zahl der Besuche notiert, welche die Insekten verschieden gefärbten Blumen verschiedener Arten, Gattungen oder Familien abstatten. Es braucht ja die größere oder kleinere Zahl von Besuchen gar nicht von der Farbe allein abzuhängen, es können der Duft, die größere oder ge- ringere Menge, die leichtere oder schwierigere Zugänglichkeit des Blüten- staubes oder Nektars eine Rolle spielen, die vielleicht wesentlich oder gar ausschlaggebend ist, die man aber keinesfalls einfach außer acht lassen darf. Es bleibt, wenn man zu möglichst einwurffreien Ergebnissen gelangen will, nur ein Weg: man muss die Insekten bei Besuchen beobachten, welche sie verschiedengefärbten Varietäten derselben Art machen. In diesem Falle —- und zwar nur in diesem Falle — darf man hoffen, den Einfluss des Duftes, des Blütenstaubes und des Nektars nach Möglichkeit so weit ausgeschaltet zu haben, dass die Farbe der ausschlaggebende Faktor ist. Diesen Weg hat Felix Plateau betreten und zunächst Unter- 4) M&m. de la Soeiet& zoologique de France, tome XII (1899), p- 336 ff. 3) Grundlinien zur Erforschung des Helligkeits- und Farbensinnes der Tiere (Prag-Leipzig 1884), S. 8, 17/18, 23 u. a. 3) Vitus Graber a. a. 0. S. 259/260. Plateau, Treffen die Insekten unter den Farben eine Auswahl? 491 suchungen mit Salvia horminum L. angestellt. Er hatte von dieser Art eine blaue und eine rötliche Varietät in seinem Garten dicht neben- einander angepflanzt uud durch Wegschneiden übermäßig wuchernder Zweige dafür gesorgt, dass sie beide denselben Umfang behielten. Die Beobachtungen wurden an 12 Tagen bei schönem Wetter an- gestellt; sie wurden dadurch erleichtert, dass nur zwei Hymenopteren-Arten (Anthidium mantcatum L. und Beben Megachile ericetorum Lep.) und auch diese zu gleicher Zeit nur in 1 oder 2 Exemplaren erschienen; man konnte hiernach die Insekten mit Ruhe und Sorgfalt verfolgen und alle Vorgänge genau und vollzählig notieren. Es wurden besucht: Versucht |? 3 | | | \ BuE Zur | Kosa -Blliten | 56 38 | 1a | 31 | 1a | 91 125 | 54108 188 | 118 Blaue „| 33 23 12 45153 74 131 106 65 100 119) 86 Tritt hier eine Bevorzugung einer Farbe hervor ? Aus den einzelnen Versuchsteihen könnte man auf eine Bevorzugung bald der einen bald der anderen Farbe schließen. Auch die Zusammenstellung mehrerer Versuchsreihen ergiebt kein anderes Resultat. Die Kombination von 1 bis 4 und ebenso wieder von 1 bis 10, 1 bis 11 und 1 bis 12 würden eine Bevorzugung von Rosa ergeben, dagegen die Zusammenfassung von 1 bis 5, 1 bis 8 oder 1 bis 9 eine Bevorzugung von Blau. Addiert man die Zahlen der Versuche 1—6 oder 1—7, so ergiebt sich eine vollständige Gleichgiltigkeit gegen die beiden Farben (244:240; 369:371). Es haben mithin die angestellten 1932 Beobachtungen keine Vor- liebe der Insekten für eine der beiden Farben ergeben. Nach dem Ausfall der durch Kombinationen erhaltenen Ergebnisse muss es als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass auch eine Vermehrung der Ver- suchsreihen hieran nichts ändert. Durch Hinzunahme neuer Zahlen würde voraussichtlich, wie oben im Wechsel, bald eine Bevorzugung von Rosa bald eine solche von Blau, bald eine völlige Indifferenz zum Vorschein kommen. Es ist auch besonders auffällig, dass in 64 Fällen Insekten von einer rosagefärbten Blume zu einer blauen und in 75 Fällen von Blau zu Rosa übergegangen sind. Im diesen Zahlen tritt zwar noch ein Unter- schied hervor; er ist aber nur geringfügig — zu geringfügig sicherlich, um allein darauf eine Bevorzugung von Rosa zu stützen — und wird in seiner etwaigen Bedeutung herabgedrückt durch die Thatsache, dass zahl- reiche Insektenindividuen abwechselnd von Rosa zu Blau und darnach von Blau wieder zu Rosa flogen. So besuchte ein Anthrdium 5 blaue, 2 rosa, 4 blaue, 4 rosa, 1 blaue und schließlich 4 rosa Blumen nach einander. Wer möchte hieraus auf eine Vorliebe für eine bestimmte Farbe schließen ? Bei einer größeren Anzahl weiterer Beobachtungen an verschieden- farbigen een jedesmal derselben Art hat Plateau die Zahlen der vorhandenen done Blumen und die der ihnen abgestatteten Be- suche nach Prozenten angegeben und damit einen schärferen Ausdruck für die obwaltenden Verhältnisse gewonnen. Wir geben folgende tabel- larische Uebersicht: 499 Plateau, 'Treffen die Insekten unter den Farben eine Auswahl? | Prozentsatz Pflanzen- | Varieti Insekten- Zahl | , art a art der Besuche | der ee | Varietäten Besuche — — a7 = == — —- SS == = == = ee m ir — Althea rosea | weiß, ' Bombus | 20 Individ. 61:39 60:40 | rosa terrestris 128 Besuche | | in? 127, Std. Delphinium blau, | dto. ok 55:45 49:51 Ajacis ToBa , 120 Blumen | in 20 Min. Scabiosa |purpur, rosa, dto. ' 4 Insekt 56:34:10 | 53:42:5 atropurpur. weiß | 38 Besuche | | in 45 Min. Zinnia || vosa, rot, | Bombus 412 Ins. 55:20:17: 856:14:28:7 elegans gelb, weiß muscorum \133 Besuche | in 2 St. Centaurea |\blau, violett, Apis 10 In 70139 ale rz: eyanus rosa, weiß jmellifica | 259 Besuche in 1!/, St. Scabiosa |purpur, rosa, | na ap. ER atropurpur. eh dto. 1 Ins. 45.:46:8 36 :56:8 88 Besuche | in 45 Min. 2 dio... | Eristalis | 10 ms. | 47:44:93 | 37:57:6 tena@ | 407 Besuche | an A22St. ON | gas ol 1 Ina. 4:49:40) 76. 2228 elegans weiß ‚32 Besuche (rote Blumen nicht besucht) | ' in 30 Min. dto. rot, rosa, Papilio 1 Ins. 28:54:18 | 25:43:32 gelb Machaon | 28 Besuche (weiße Blumen nicht bes.) in 15 Min. dio. | yosa, weiß, Vanessa Jo|l 1 Ins. 62:15:23 | 73:10:17 gelb | ı 88 Besuche (rote Blumen nicht besucht) | ı in 30 Min. | dto. rosa, weiß |@oniopteryz | 1olns. 20.0.7822 69:31 | rhamni |52 Besuche | im 1ISt. Wenn man diese Ergebnisse im ganzen überblickt, so kann man sich, wenn auch eine absolute Uebereinstimmung der Verhältniszahlen nicht vorliegt, doch der Einsicht nicht verschließen, dass bestimmte Varietäten von den Insekten bevorzugt werden aus dem ein- fachen Grunde, weil sie eben der Anzahl nach überwiegen. Eine Bevorzuguug einer Varietät der Farbe wegen kann man aus der Gesamtheit der vorliegenden Zahlen, die 1021 Beobach- tungen darstellen, nicht ableiten. Aus den Schlussbemerkungen Plateau’s heben wir folgendes hervor: „Ich habe in meinen vorangehenden Untersuchungen niemals behauptet und behaupte es auch nirgends in meiner jetzigen Arbeit, dass die In- sekten die Farben der Blumen nicht sähen. Das wäre eine absurde Be- Reh, Schildlausbuch. 495 hauptung“. „Die zu lösende Frage war die: Lassen sich die Insekten, welches auch immer die Natur ihrer Gesichtswahrnehmungen sei, bei ihren Blumenbesuchen in ihrer Wahl durch die Farben leiten, welche diese Blumen für das menschliche Auge darbieten? Die Antwort kann nicht anders als negativ ausfallen“. „Ich gebe vollständig zu, dass ein Insekt aus der Ferne das Vorhandensein von Blumen wahrnehmen könne, sei es, weil es deren Farben in derselben Art sieht wie wir, sei es, dass es irgend einen Kontrast zwischen diesen Blumen und ihrer Umgebung wahır- nimmt, — ich gebe zu, dass diese unbestimmte !) Gesichtswahrnehmung in Gemeinschaft mit dem Dufte, wenn auch zu einem geringeren Grade, ein Tier nach der gesamten Masse der Blüten leiten könne; das Insekt wird aber, wenn es hier angekommen ist und die Blumen sich durch nichts weiter als durch die Farbe unterscheiden, durch sein Verhalten beweisen, dass es ihm völlig gleichgiltig ist, ob die Blumen blau, rot, gelb, weiß oder grün zind“?). 164] Stettin, 10. Mai 1900. Tiebe. Einige Bemerkungen zu der Besprechung von Frank- K.rüger’s „Schildlausbuch“ durch Th. Kuhlgatz in Nr. 9 des Biol. Centralblattes 1900. Von Dr. L. Reh. Es ist eine vor den deutschen Phytopathologen bei jeder Gelegenheit aufgestellte Behauptung, dass man ihnen allein die Fortschritte in der Schildlaus-Kunde zu verdanken habe. So sagen Frank-Krüger in der Einleitung ihres Schildlausbuches, dass von den Schildläusen „ohngeachtet der verdienstvollen Forschungen des Landesökonomierates Göthe, der fast als einziger deutscher Forscher?) bislang auf diesem Gebiete gearbeitet hatte, noch manches unbekannt“ sei. Das Kuhlgatz sche Referat zeigt, wie unberechtigt diese Behauptung ist, ohne indess ganz die Bedeutung der diesbezüglichen Litteratur zu würdigen. Um das mehr zu thun, will ich nur folgende Stelle aus der Einleitung zu E. L. Mark’s wertvoller Arbeit über die „Anatomie und Histologie der Pflanzen- läiuse, insbesondere der Coceiden“ (Arch. mikr. Anat., Bd. 13, 1877, p.31) anführen: „und es ist nicht zu verwundern, wenn sich so.viele bedeutende Naturforscher, von Leeuwenhoek, Reaumur, Bonnet und De Geer an bis auf Dujardin, Ratzeburg, Huxley, Leydig, Signoret, Targioni-Tozzeti, Lubbock, Balbiani, Leuckart und viele andere mit der genauen Untersuchung dieser Tiere beschäftigt haben“. In gewisser Beziehung scheint Kuhlgatz aber jener Behauptung der Phytopathologen Recht zu geben, wenn er seine Besprechung mit den Worten beginnt: „Die systematische und biologische Forschung auf dem Gebiete der Cocciden oder Schildläuse hat bis vor wenigen Jahrzehnten fast gänzlich brach gelegen“. Ich brauche nur auf die ausführliche, wenn auch noch nicht vollständige Litteratur-Uehersicht in Signoret’s klassi- B 4) Plateau denkt hierbei an Exner’s Forschungen über die facetierten Augen von Krebsen und Insekten. 2) Plateau gebraucht hier zum Schluss die Worte von Bulman (Bees and the origin of flowers. Nat. Science, XIV, Febr. 1899): it matters no one iota to a Bee whether the flower is blue, red, pink, yellar, white or green: so long as there is honey that is suffieient“ (eit. n. Pl.). 3) Die Hervorhebung rührt vom Ref. her, 494 Reh, Schildlausbuch. schem „Essai sur les Cochenilles“ hinzuweisen, in der, abgesehen von den zahlreichen Arbeiten, die sich mit den Schildläusen befassten, ohne deren Natur genauer zu kennen, aus dem 18. Jahrhundert, außer Linne und Gmelin 25 Autoren angeführt sind, die z. T. in mehreren Arbeiten Schildläuse behandelt haben, und aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 44 Autoren. Ich giaube nicht, dass es viele Tiergruppen giebt, die sich so ständiger Beachtung, z. T. der besten Autoren zu erfreuen gehabt haben. T'hatsächlich ist denn auch die Schildlauskunde viel weiter, als uns die Phytopathologen glauben machen wollen, und man wusste vor 100 Jahren nieht nur sehr vieles von dem, was uns in dem „Schildlaus- buch“ als neu verkündet wird, sondern z. T. sogar noch mehr. Nament- lich im 19. Jahrhundert aber, schon in seiner ersten Hälfte, ist die 'Schildlauskunde ganz bedeutend gefördert worden. Dalman’s Arbeit: „Om nagra Svenska arter of Coceus etc.*, in den Svenska Vetensk. Akad. Handl. 1825, ist eine so vorzügliche Arbeit, dass man ihr kaum eine neuere an die Seite stellen kann, und ist für die darin behandelten Arten noch heute das Beste. In Deutschland und Oesterreich haben Schrank (1781), Sandberg (1784), Bouch& (1833—52), Burmeister (1839), Ratzeburg (1843), Bärensprung (1849), Förster (1851) u. s. w. die Kenntnis der Systematik und Biologie der Schildläuse mächtig ge- fördert und schon vieles veröffentlicht, was man im „Schildlausbuch“ ver- misst, z. B. wie die Begattung vor sich geht. Den einzigen, wesentlichen Fortschritt in der Schildlauskunde in der neueren Zeit verdanken wir auch nicht den Phytopathologen, sondern dem amerikanischen Entomologen J. H. Comstock, nämlich die Benützung der Bildung des Hinterrandes des 2 für die Systematik der Diaspinen. Gänzlich vermisse ich ferner in Kuhlgatz’s Litteratur - Aufzählung die ungemein wichtigen Arbeiten der Engländer: Curtis in Gardener's Chronicle, J. W. Douglas, A. C. F. Morgan, R. Newstead, die namentlich seit 1885 fortwährend in The Entomologist’s monthly Magazine über Schildläuse veröffentlicht haben, die u. a. bereits 1887 nicht nur die Verwechselung Signoret’s von Aspid. ostreaeformis Curt. mit Diaspis ostreaeformis Sign. völlig aufgeklärt, sondern den betreffenden Arten auch die richtigen Namen gegeben haben, eine Ehre, die die deutschen Phyto- pathologen jetzt für sich in Anspruch nehmen, trotzdem sie nicht nur 10 Jahre zu spät kommen, sondern auch noch dazu durch die Einführung des neuen Namens D. fallax Horv. (für D. ostreaeformis Sign.) weitere unnütze Verwirrung gestiftet haben. Neuere Untersuchungen des Ref. machen es ihm sogar wahrscheinlich, dass die von Frank-Krüger Aspid. ostreaeformis genannte Art auch nicht identisch ist mit der von Curtis und den übrigen englischen Autoren mit diesem Namen belegten. Auch die zahlreichen Autoren, die sich in Frankreich außer Signoret und Lichtenstein mit Schildläusen befasst haben, werden von Kuhlgatz und den Phytopathologen völlig vernachlässigt. Wenn Kuhlgatz ferner bemerkt, dass Frank-Krüger sich in ihrem Schildlausbuch „mit Recht“ auf die Diaspinen und Lecaninen beschränken, so kann ich dieses „Recht“ nicht einsehen. Warum sollen die zu den Coceinen gehörigen Dactylopius-Arten, von denen wir mehrere, allerdings noch sehr wenig bekannte Arten auf unseren Obst- bäumen und dem Weinstocke haben, nicht auch berücksichtigt werden? Reh, Schildlausbuch. 445 Ich glaube nicht, dass ihr Schaden hinter dem der anderen Gruppen zu- rücksteht!), nur dass sie sich in Folge ihrer versteckten Lebensweise mehr der direkten Beobachtung entziehen. Ob es sich empfiehlt, das auf die Larve folgende Stadium der Schild- läuse mit Berlese, dem sich Frank-Krüger anschließen, „Nymphe“ zu nennen, die also beim @ das vorletzte, bei 5 das viertletzte Stadium sein würde, wollen wir dahingestellt sein lassen. Merkwürdig berührt die Ausdrucksweise Kuhlgatz's, dass die Wahr- nehmung, dass bei, manchen Schildläusen die Mäunchen außerordentlich selten sind, Frank-Krüger „zu der interessanten Vermutung“ bringe, „dass hier wohl vielfach parthenogenetische Fortpflanzung vor- kommt“. Diese „interessante Vermutung“ ist doch mindestens so alt, wie die Kenntnis der Parthenogenese überhaupt; und gerade die neueren Schildlaus-Autoren kommen in dem Maße, als die früher fast gänzlich unbekannten Männchen der Schildläuse gefunden werden, immer mehr von dieser Annahme zurück, die eigentlich nur noch von L. Claus bis in die neueste Auflage seines Lehrbuches festgehalten wurde. That- sächlich ist diese Frage noch offen; der Umstand, dass man in Deutsch- land noch keine Männchen der Gattung Mytilaspis gefunden hat, scheint wenigstens für diese Gattung auf Parthenogenese hinzuweisen, womit aber nicht gesagt sein soll, dass dieser negative Befund alsein Beweis anzusehen sei. Bei der Gattung Lecanium scheint sie mir dagegen sicher vorzukommen. Wenigstens konnte ich bei Lecanium- Arten, die wir seit 1 Jahr etwa auf der Station züchten, noch nie Männchen auffinden, trotzdem fast ständig Junge geboren werden. Die Bemerkung, dass die Ansiedelung auf Blättern und Früchten „als Verirrung aufzufassen“ sei, ist wohl auf einen, noch allzuwenig gewürdigten Aufsatz von K. Kräpelin in den Hamburger Nachrichten vom 8. Februar 1898 zurückzuführen, der diese Behauptung aber nur für Früchte und einjährige fallende Blätter aufstellt, für die sie auch unzweifelhaft richtig ist. Dagegen giebt es eine ganze Masse Schildläuse, ich nenne nur Aspid. nerii Behe. und Lecanium hesperi- dum L., die vorwiegend auf Blättern vorkommen. Der Absatz unter ec, S. 318 und über den Einfluss der Schild- läuse auf Früchte ist von Kuhlgatz schärfer gefasst, als die Original- Stelle bei Frank-Krüger, die ihn auch schon zu stark hinstellt. Denn im Allgemeinen ister so ziemlich gleich Null. Bei den unzähligen Aepfeln, die ich untersucht habe, und die bis zu Hundert und mehr Schildläuse trugen, bei den Hunderten von besetzten Apfelsinen, Mandarinen und Zitronen, die ich in den Händen gehabt habe, und die manchmal geradezu gefleckt, stellenweise sogar inkrustiert von Schildläusen verschiedenster Arten waren, selbst bei besetzten 'T'rauben und Palmfrüchten konnte ich fast nie irgend einen ungünstigen Einfluss auf Ausbildung oder Geschmack der Früchte bemerken. Nur das Aussehen der Früchte wird, teils durch die Schildläuse selbst, teils durch die von ihnen erzeugten grünen oder roten Flecke, ungünstig beeinflusst. 1) Ich fand diese Schildläuse kürzlich an Apfelbäumen an der Göhrde zahlreich in Gruppen, die bis zu 100 Tiere enthielten; und Freih. v Schilling, der beste Kenner unserer schädlichen Insekten, schrieb mir vor einigen Wochen, dass sie in Süddeutschland auf Apfelbäumen der Blutlaus Konkurrenz machen, mit der sie übrigens aucb häufig verwechselt werden, 496 Reh, Schildlausbuch. Auch dem Satze, dass der spezielle Teil des Schildlausbuches „syste- matische und biologische Angaben über die für den deutschen Obstbau in Betracht kommenden einzelnen Ooceiden-Arten“ gebe, kann ich leider nicht zustimmen, kann es vor allem nicht ein- sehen, was die auf amerikanischem Obste, noch weniger, was die auf mittelmeerländischen Apfelsinen und Zitronen vorkommenden Schildläuse, die z. T. recht ausführlich im Schildlausbuche behandelt sind, mit dem deutschen Obstbau zu thun haben sollen. Gerade die einzige der ev. in Betracht kommenden fremden Schildläuse, Diaspis pedagona 'Tary-Togg. — amygdali Tryon) die in Japan, Australien, Nordamerika, den Azoren, Spanien und Portugal, Italien, Englaud auf Maulbeerbäumen und allen Steinfruchtarten so außerordentlich schädlich geworden ist, wird im Schildlausbuche nicht erwähnt. Ferner ist die Uebersicht der zu den Gattungen Lecanium und Pulvinaria gehörigen Arten wissenschaftlich durch- aus unbrauchbar und ungenügend; und kaum besser ist die über die so ausführlich behandelten Diaspinen. So werden bei Mytilaspis pomorum Behe. als Nährpflanzen angeführt: Apfel, Birne, Pflaume, Pfirsich, Weiß- dorn, Weide, Pappel, Johannisbeere. Es ist zweifellos, dass wir hier mehrere Arten, mindestens aber Varietäten, vor uns haben, ohne dass auch nur ein Versuch gemacht wird, diese systematisch oder biologisch zu trennen. Von der Gattung Aspidiotus wird nur die eine Art: ostreae- formis Curt. angeführt, und nur erwähnt, dass von ihr eine Varietät vorkomme. Goethe unterscheidet in seinem Jahresberichte der Geisen- heimer Anstalt für 1898/99 bereits 3 Arten oder Varietäten, die sich auch biologisch verschieden verhalten. Auch meine Untersuchungen haben wenigstens 2 verschiedene Arten ergeben. Trotzdem es nun gerade für die Praxis sehr wertvoll wäre, diese Unterschiede festzustellen, findet sich „Sehildlausbuch“ auch nicht der Anfang davon. Auch sonst sind der Fehler und Irrtümer noch genug im Schild- lausbuche. So heißt es gleich p. 1, dass die Schildläuse sich „vor allem“ darin von den Blattläusen unterscheiden, „dass das Weibchen von einem Schilde bedeckt ist“. Nach Cockerells „Check list of the Coceidae (1896) sind 235 Arten ohne jede Schildbildung, 305 Arten mit falschem Schilde, d.h. nur mit Verdickung der Haut beim erwachseneu Weibehen, und nur 233 Arten, bei denen jene Behauptung richtig ist. Es heißt dann weiter, dass das Weibchen „mit seinen Stechborsten an der Pflanze befestigt, dauernd und ohne seinen Ort zu verändern, festsitzt*. Auch das gilt nur für die kleinere Hälfte der Schildläuse, eigentlich sogar höchstens für t/,. Denn selbst die Lecaniinen, die nach dem Schildlausbuche „nieht mehr imstande sind, die noch vorhandenen Extremitäten zu benutzen“ können das ganz wohl, z. T. zeitlebens, z. T. bis zum Beginne der 'Trächtigkeit. Es soll nicht geleugnet werden, dass das Schildlausbuch auch manches Wertvolle enthält und die Kenntnis der einheimischen Obstschildläuse in mancher Beziehung gefördert hat. Aber es leidet nur allzusehr unter dem Fehler, der mehr oder weniger allen entomologischen Veröffentlichungen der Ver- fasser anhaftet: fast völlige Vernachlässigung der zoologisch-entomologischen bee die selbst da, wo sie ee ist, nicht immer angeführt wird. Verlag von nen a in ee 1 Druck ae k. en "Hof- na Dan Bun: druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 1. Aug. 1900. Nr. 15, these der Tierseele. — Stölzle, Nochmals Karl Ernst v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. — G. Sehlater, Monoblasta- Polyblasta-Polycellularia,. — H. Przibram, Experimentelle Studien über Re- generation, — Em. Jmhof, Multiocelläres geflügeltes Insekt. — Berthelot, cha- leur animale. Ueber die Stellung der vergleichenden Physiologie zur Hypothese der Tierseele. Von S. v. UVexküll. In Nr. 10 des XX. Bandes dieser Zeitschrift hat Wasmann!) die von Beer, Bethe und mir verfassten Vorschläge einer objektivieren- den Nomenklatur für die vergleichende Physiologie des Nervensystems einer Kritik unterzogen, die ich zum Anlass nehmen will, die Stellung der vergleichenden Physiologie zur Tierseelenfrage noch einmal kurz zu erörtern. Denn ich habe aus dem Artikel Wasmann’s ersehen, dass er gar nicht beachtet, um welch prinzipielle Dinge es sich bei unserer Darlegung gehandelt hat. Und so mag es auch vielen anderen ergangen sein. Ich beginne mit einem Citat aus Wasmann’s letzter Ameisen- arbeit (in der Bibliotheca zoologica, p. 79), das sich auf eine Polemik gegen Ziegler bezieht. Ich hoffe auf diese Weise am leichtesten Fühlung mit ihm zu bekommen. Wasmann schreibt: „Wenn er (Ziegler) sich ferner auf sämt- liche übrigen Naturforscher dafür beruft, dass man „nicht wissen könne“, ob die Tiere mit Selbstbewusstsein handeln oder nicht, so muss ich, ebenfalls im Namen derselben Naturforscher, dagegen Einspruch er- heben. Die Beobachtung der biologischen Thatsachen kann uns hier- über allerdings keinen direkten Aufschluss geben, da man das Selbst- 1) Wasmann, Einige Bemerkungen zur vergleichenden Psychologie und Sinnesphysiologie. xXX, 32 498 Uexküll, Stellung der vergl. Physiologie zur Hypothese der Tierseele. bewusstsein der Tiere nicht sehen, fühlen, hören oder riechen kann, wohl aber einen indirekten, indem wir unseren Verstand gebrauchen und aus den Erscheinungen auf ihre Ursachen schließen. Zeigen die Tiere keinerlei Thätigkeiten, welche bloß durch Annahme eines Selbst- bewusstseins erklärlich sind, so dürfen wir ihnen auch kein Selbst- bewusstsein zuschreiben, steht die Annahme eines Selbstbewusstseins der Tiere im Widerspruch mit vielen andern ihrer Thätigkeiten, so müssen wir als denkende Naturforscher überdies sagen: Die Tiere haben kein Selbstbewusstsein. Verzichtet man darauf, aus den sichtbaren Aeußerungen des tierischen Seelenlebens auf die psychischen Fähig- keiten der Tiere zu schließen; so leistet man eo ipso auf eine ver- gleichende Tierpsychologie Verzicht und macht dieselbe zu einer bloßen vergleichenden Nervenanatomie und Nervenphysiologie. Das Prinzip, ein Naturforscher könne nicht wissen, ob eine Ameise oder ein Pferd mit Selbstbewusstsein handle oder nicht, müsste folge- richtig auch auf sämtliche übrige psychische Qualitäten der Tiere aus- gedehnt werden, die wir ebensowenig direkt sehen können wie das Selbstbewusstsein. Hieraus würde folgen, dass der Naturforscher den Tieren auch keine sinnliche Wahrnehmung und sinnliche Empfindung zuschreiben dürfe. Daher ergiebt sich aus jenem Prinzip die unab- weisbare Schlussfolgerung, dass es für den Naturforscher gar keine Tierpsychologie geben könne“. Diese Schlussfolgerung haben wir denn auch gezogen und ver- langen, genau wie Wasmann das ausdrückt, dass man nicht mehr von Tierpsychologie, sondern bloß von Nervenphysiologie rede. Warum leisten wir aber Verzicht darauf, aus den sichtbaren Hand- lungen der Tiere auf die Vorgänge in ihrer Psyche zu schließen, da wir doch sonst von Wirkung auf Ursache zu folgern gewohnt sind? Darüber möchte ich Wasmann mit kurzen Worten aufklären dürfen. Wenn ein Tier eine Bewegung ausführt, so war sie hervorgerufen durch Muskelkontraktionen. Die Muskelkontraktionen waren veranlasst worden durch das Eintreffen der elektrischen Schwankungswelle in den Nervenendigungen. Die Schwankungswelle war nicht im motorischen Nerven spontan entstanden, sondern war in ihm erzeugt worden durch ähnliche physi- kalische Bewegungsphänomene in bestimmten Centren des Central- nervensystems. Diese hatten aber ihrerseits mehr oder weniger direkt Bewegungsimpulse erhalten, die aus gewissen centripetalen Nerven stammten. Die Schwankungswellen, die im centripetalen Nerven ab- liefen, stammten aus dem Sinnesorgan des Nerven, nachdem dieses durch einen Bewegungsvorgang in der Außenwelt gereizt worden war. Nun haben wir das gethan, was Wasmann wünscht. Wir haben immer weiter von der Wirkung auf die Ursache geschlossen und sind Uexküll, Stellung der vergl. Physiologie zur Hypothese der Tierseele. 499 auf diesem Wege wieder aus dem Tier herausgekommen, ohne irgendwo auf ein psychisches Element zu stoßen. Das ist auch vollkommen unmöglich, weil die Ursache einer Be- wegung immer nur eine Bewegung sein kann. Wodurch konnte aber Wasmann dazu verleitet werden zu glauben, dass er beim Zurückschließen auf die Ursachen der Bewegung eines Tieres auf eine Psyche stoßen würde? Zu dieser Täuschung konnte Wasmann nur kommen, weil er die innere Selbstbeobachtung und die Beobachtung der Außenwelt durch die Sinne nicht gehörig auseinanderhielt. Setzen wir den Fall, ein jeder von uns habe die Möglichkeit, die molekularen Vorgänge in seinem Nervensystem mit Hilfe von Galvano- meter etc. den eigenen Sinnen anschaulich vorzuführen. Dann würden wir sehen, dass genau wie beim Tier nach Reizung eines Sinnesorganes erst der centripetale Nerv eine Schwankungswelle zum Gehirn leitet. Diese Schwankungswelle ruft in verschiedenen Centren molekulare Bewegungserscheinungen hervor, und diese werden bestimmten centri- fugalen Nerven übertragen, worauf eine Muskelkontraktion erfolgt. Diese Beobachtung unseres eigenen Nervensystems durch unsere Sinne führt uns genau wie beim Tier nur eine Kette von Bewegungs- erscheinungen vor Augen. Dieser äußeren Selbstbeobachtung gegenüber giebt es noch eine innere Selbstbeobachtung, die sich mit unseren Empfindungen befasst. Die äußere Selbstbeobachtung gehört ganz ins Gebiet der Physiologie, die innere Selbstbeobachtung ganz in das Gebiet der Psychologie. Nun giebt es noch eine dritte höchst interessante Wissenschaft, die beide Gebiete verbindet; das ist die physiologische Psychologie oder menschliche Sinnesphysiologie. Die physiologische Psychologie bleibt, so lange sie den Verände- rungen in unseren Sinnesorganen und unseren Nerven nachspürt, d.h. so lange sie in äußerer Selbstbeobachtung besteht, ganz im Gebiet der Physiologie. Im Moment, wo die beobachteten Bewegungsphänomene des Nervensystems sich bis in die Rinde des Großhirnes fortgepflanzt haben (der Ort ist noch nicht genau ermittelt), verlässt die physio- logische Psychologie den Boden der äußeren Selbstbeobachtung und wird zur inneren Selbstbeobachtung, weil jetzt psychische Phänomene einsetzen, die bisher nicht da waren. Diese neueinsetzenden psychischen Phänomene sind nicht aus den bisher beobachteten physiologischen Bewegungserscheinungen entstanden; denn diese laufen, wie uns die äußere Selbstbeobachtung lehrte, un- verändert, streng gesetzmäßig weiter ab. Dies ist der Kardinalpunkt der ganzen Frage, über den man sich volle Klarheit verschaffen muss. Wenn, wie wir sahen, überall eine Bewegung immer nur eine 32 * 500 Uexküll, Stellung der vergl. Physiologie zur Hypothese der Tierseele. Bewegung erzeugt, und die Kette von Ursache und Wirkung vom Ein- tritt des Reizes im Sinnesorgan bis zum Ablauf der Bewegung voll- kommen geschlossen ist, so kann die Bewegung nicht nebenbei zur Ursache einer psychischen Qualität werden. Nehmen wir an, es bedürfe nur eines verschwindend kleinen Teiles der Bewegung, der sich der Beobachtung entzöge, um die psychischen Qualitäten zu erzeugen, so hieße das doch immer nur, dass eine Energieform in die andere überginge. Aber nur ein ganz oberfläch- liches Denken kann eine Empfindung für eine physikalische Energie- form halten. Ist aber eine Empfindung keine Energieform und wäre sie doch durch eine Bewegung entstanden, so ginge bei diesem Uebergang Energie verloren; was dem Gesetz von der Erhaltung der Energie widerspricht. Wohin wir uns auch wenden, es ist kein Ausweg vorhanden. Die Hauptsache bleibt, dass wir an dieser Kernfrage unseres ganzen Seins angelangt, uns nicht durch Abschwächen der Gegensätze eine lügenhafte Brücke konniventer Phrasen über einen Abgrund bauen, der ganz unüberbrückbar ist. So lange wir die Welt um uns als materiell existierend betrachten, werden wir immer von Neuem an diesen Abgrund gelangen, der das größte Welträtsel in sich schließt. Zwischen der Bewegung materieller Punkte im Raum und meiner Empfindung giebt es keinen kausalen Zusammenhang. Wer diesen Fundamentalsatz der physiologischen Psychologie anzweifelt, für den sind alle weiteren Worte verloren. Aber einen Zusammenhang zwischen psychischer Qualität und Bewegungsvorgängen in der Großhirnrinde giebt es dennoch, wenn auch keinen kausalen. Diesen ganz einzig dastehenden Zusammenhang zwischen der Be- wegung materieller Punkte im Raum und der Empfindung zu studieren, das ist die Hauptaufgabe der physiologischen Psychologie. Fürs Erste ist freilich an die Lösung dieser Aufgabe nicht zu denken; noch kennen wir nicht einmal die Lage, geschweige denn die Zusammensetzung der Centren in der Großhirnrinde, bei deren physio- logischen Erregung in uns psychische Afiekte eintreten. So viel lässt sich aber im voraus mit Sicherheit sagen, dass die physiologische Psychologie außer stande sein wird, Kausalsätze über die Beziehungen der Bauart der Centren zu den zugehörigen Empfin- dungen aufzustellen. Sie wird immer nur Regeln angeben können, die jedesmal neu aus der Erfahrung geschöpft sein müssen. Im Gegen- satz zu den quantitativen Reihen, in die alle Größen der Außenwelt gebracht werden können, bestehen unsere Empfindungen aus verschie- Uexküll, Stellung der vergl. Physiologie zur Hypothese der Tierseele. 501 denen Qualitäten, über deren Verwandtschaftsgrad sich keine mathe- matischen Formeln aufstellen lassen. Und wie niemals einem Blaublinden durch das genaueste Studium der Optik verbunden mit der intimsten Kenntnis des menschlichen Gehirnes die Empfindung „Blau“ beigebracht werden kann, so werden wir niemals aus der Kenntnis des Zusammenhanges unserer Centren mit unseren Empfindungen „Ameisenempfindungen“ kennen lernen, auch wenn wir ihr Centralnervensystem noch so genau durchforschen. Jetzt frage ich Wasmann: was gewinnen wir dadurch, dass wir den Ameisen Empfindung im allgemeinen zu schreiben, da wir nicht im stande sind bei ihnen eine einzige präcisierte Qualität nachzuweisen ? Wir werden nie erfahren, was eine Ameise fühlt in den Fällen, wo wir Blau, Rot, Gelb empfinden; wir werden nie erfahren, ob sie Salzig, Bitter, Süß zu schmecken im stande ist wie wir. Auch Wasmann, der doch ein gründlicher Ameisenkenner ist, operiert, so oft er auf die Psyche der Ameisen zu sprechen kommt, immer nur mit leeren Formeln: Gedächtnis, Wahrnehmung, Empfindung sind doch nur Einteilungen von psychischen Qualitäten. Einen positiven Inhalt diesen Formeln zu geben, ist weder Wasmann noch sonst jemand im stande. Wenn ein gewissenhafter Forscher die Erfahrungen seiner Experi- mente in der subjektiven Schreibweise niederlegt, so sagt er nicht um ein Haarbreit mehr aus, als was sich in objektiver Form ausdrücken ließe. Anstatt zu sagen: die Erinnerung an den Geruch des Nestes trat bei dieser Gelegenheit wieder ins Bewusstsein, kann man z. B. sagen: die im Centralorgan remanent gebliebene Reizung durch den Neststoff wurde bei dieser Gelegenheit wieder wirksam. Die subjektive Schreibweise täuscht dem Leser vor, der Forscher wisse wirklich etwas über die Erinnerungsbilder in der Ameisenseele, und außerdem verleitet sie den Forscher selbst zum Glauben, als dürften wir die Existenz einer Tierseele ohne Schwierigkeit annehmen. Das Auftreten von Empfindungen in uns bei Reizung bestimmter Großhirneentra und das Ausbleiben der Empfindungen bei Reizung anderer Centra ist doch etwas so Unerklärliches, dass ich nicht sehe, woher man den Mut nimmt, schlankweg zu behaupten, bei heizung dieser Centren im Gehirn der Ameisen trete in ihnen Empfindung auf. Ich für meinen Teil verzichte darauf, mieh über ein Problem bejahend oder verneinend auszusprechen, das ganz jenseits unseres geistigen Horizontes liegt. Irgend etwas Positives zu leisten vermag die Seelenhypothese in der vergleichenden Physiologie nicht. Eines aber vermag sie wohl; das ist heillose Verwirrung anstiften. Wenn man, anstatt konsequent den Ursachen für die Reaktionen der Tiere nachzugehen, seelische Qualitäten einschmuggelt, die außer jedem kausalen Zusammenhang 502 Uexküll, Stellung der vergl. Physiologie zur Hypothese der 'Tierseele. mit dem wirklichen Geschehen stehen — so kann alles mögliche aus einem solchen Studium werden, nur keine Wissenschaft. Der laienhafte Verstand, der ohne Nachdenken in seinen Empfin- dungen die Ursachen seines Handelns sieht, folgert auch ohne weiteres aus den Handlungen der Tiere auf eine Tierseele. Diese stellt er sich bei den höheren Tieren ähnlich der seinen vor. Nur macht er von der eigenen Seele, je nach seiner sonstigen Weltanschauung, größere oder geringere Abstriche. Den niederen Tieren gesteht er keine klaren Empfindungen zu, sondern vergleicht ihr Seelenleben unbewusst mit den Empfindungen, die ihm aus seinem Magen dumpf entgegentönen. Ich hoffe, Wasmann verargt es uns nicht, dass wir mit diesem alten Gerümpel kurzer Hand aufgeräumt haben. Wasmann beruft sich ja selbst auf die Philosophie. Nur weiß ich offen gestanden nicht, welche Philosophie er meint. Seitdem Kant uns gezeigt hat, dass unsere Psyche vor aller Rr- fahrung leer ist und nur Abteilungen (Kategorien) beherbergt, in die wir ohne weiteres die äußeren Eindrücke einordnen, seitdem ist es mit der Herrschaft des „reinen Denkens“ vorüber. Jetzt wissen wir, dass neue Erkenntnis nur durch Erfahrung gesammelt werden kann, und dass jede bloße Spekulation ein Spiel der Müssigen ist. In den anderen Wissenschaften hat man auch längst mit aller Spekulation reinen Tisch gemacht, Astrologie und Alchemie sind nur noch Kindermärchen. Die vergleichende Physiologie ist aber eine ganz junge Wissen- schaft, sie muss noch mit diesen Gespenstern der Vorzeit fechten. Es wird aber nur noch kurze Zeit währen, dann wird sie allgemein an- erkannt sein als eine reine experimentelle Wissenschaft, die sich nur um das zu kümmern braucht, was messbar und wägbar ist, und deren Aufgabe darin besteht, den kausalen Zusammenhang der Lebens- erscheinungen bei den Tieren zu erforschen. Beer, Bethe undiehhaben uns denn auch konsequent auf diesen Stand- punkt gestellt undin unserem Aufruf an die Fachgenossen aller Spekulation über Unerkennbares still aber energisch den Stuhl vor die Thür gesetzt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, dass Wasmann durch eigenes Nachdenken zu demselben Resultat gelangen wird wie wir, und gleich uns die Hypothese der Tierseele fallen lassen wird, die wissenschaft- lich wertlos ist. Er wird dann einsehen, dass die objektivierende Schreibart noch nichts über die Dignität des Ameisengehirnes aussagt, sondern das Maß unseres menschlichen Könnens festlegt und dadurch verhindert, dass ein Schwall unausgereifter Theorien unsere junge Wissenschaft erstickt. Ferner wird auch Wasmann es als Wohlthat empfinden, wenn er schon in der Fragestellung bloß das wirklich Er- reichbare aufnimmt und nicht mehr seine Schlussfolgerungen durch eine unbeweisbare Theorie immer wieder durchkreuzt sieht. [54] Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 503 Nochmals Karl Ernst v. Baer's Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. Von Dr. R. Stölzle, Professor der Philosophie in Würzburg. (Schluss ) 1. Baer spricht sich 1869 für die Lehre von der tierischen Abstammung des Menschen aus. Wie Bunge in diesen Blättern Bd. XX Nr. 7 S. 225 berichtet, er- klärte Baer in einer mündlichen Unterredung zunächst, er könne sich nicht denken, wie der Mensch aus einem Säugetier entstanden sein solle. Dem Einwand Bunge’s gegenüber, wenn der Mensch nicht von einem tertiären Säugetier abstamme, müsste man generatio aequivoca für den Menschen annehmen, hält es Baer für möglich, dass ein Ei durch generatio aequivoca entstanden sei, und dass aus diesem der Mensch sich entwickelt habe. Bunge’s Bedenken, dass ein ovulum humanum ein hilfloses Wesen sei und sich nicht frei entwickeln könne, glaubt Baer beseitigen zu können durch den Hinweis auf die damaligen veränderten klimatischen Verhältnisse. Nach weiteren Einwänden Bunge’s gegen diesen Hinweis Baer’s erklärt Baer entschieden, er müsse zugeben, es bleibe uns nichts anderes übrig als die Abstammung des Menschen von einem tertiären Säugetier anzunehmen, aber er könne sich nicht erklären, wie diese Umwandlung möglich wurde. Darin stimmt Bunge mit Baer überein, dass man über das Wie der Umwandlung nichts aussagen könne. Er zieht aus diesem Geständnis Baer’s den Schluss: Baer glaubte an die Abstammung des Menschen vom Säugetier. Es besteht kein Grund, den Bericht Bun ge’s irgendwie in Zweifel zu ziehen. Die von Baer geäußerten Gedanken stimmen vielfach mit dem überein, was wir sonst aus Baer’s Schriften wissen. Es ist ein stehen- der Gedanke beiBaer, dass wir über das „Wie“ der Umwandlung eines Affen in einen Menschen uns keine Vorstellung machen können). Auch die Ansicht, dass der Mensch durch generatio aequivoca entstanden sei, ist Baer nicht fremd. Er erklärt es schon 1834 nicht für schwerer, einen Menschen ohne die Form der Fortpflanzung neu erstehen zu lassen alsdurch Umwandlung). InderbekanntenAbhandlung über Papuas und Alfuren vom Jahre 1859 redet er ziemlich deutlich der Entstehung des Menschen durch Urzeugung das Wort?). 1865 bekennt er sich in einem Briefe an A. von Keyserling noch immer als heimlichen 1) siehe I, 1—3 dieser Abhandlung. AVSER I, 57. 3) 59 Mem. de l’Acad. Bd. X sec. partie p. 341 u. 345 u. 346. 504 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. Anhänger der generatio primitiva [vulgo aequivoca!]. Trotz Pasteur will er die Annahme der generatio aequivoca nicht aufgeben ?). Und zwar hält er die Urzeugung ausdrücklich fest, weil man sonst das Wunder der Schöpfung annehmen müsse?). Wunder aber will er aus seiner Weltansicht ausschließen, wie er wiederholt gesteht*). Wie in dieser Unterredung mit Bunge beruft er sich auch in seinen Schriften wiederholt darauf, dass früher eine gewaltigere Bildungskraft wohl infolge anderer klimatischer Verhältnisse geherrscht habe’). Aber wie steht es mit der Folgerung Baer’s, man müsse die Abstammung des Menschen von einem tertiären Säugetiere zugeben? In seinen ge- druckten Schriften finden wir diese Ansicht nirgends ausge- sprochen, vielmehr lehrt er das Gegenteil: Der Mensch stammt nicht vom Tiere ab. Auch seine Briefe und Zettel, soweit dieselben mir zugänglich geworden sind, enthalten keinerlei Andeu- tung, als ob Baer die tierische Abstammung des Menschen lehre. Und doch liegt auch diese Bunge gegenüber momentan vertretene Ansicht von der tierischen Abstammung des Menschen dem Gedanken- gang Baer’s nicht völlig ferne. Er hat nämlich trotz seiner Vorliebe für die generatio aequivoca auch in seinen Schriften später zugegeben, dass für die Ausbildung höherer Organismen aus ursprünglichen Kei- men sich allerdings Schwierigkeiten zeigen‘), er gesteht, dass die Hervorbringung der höchsten Tierklassen durch allgemeine Naturkräfte nicht wahrscheinlich zu machen sei”). „Wir müssen erklären, bekennt Baer in derselben Zeit und in derselben Schrift, dass ein allmäh- liches Auftreten der höheren Tierformen, da für den Anfang des Lebens der mütterliche Körper so notwendig ist, gar nicht anders ge- dacht werden kann als durch Transmutation, sei es unter der Form der heterogenen Zeugung oder einer andern, wenn man nicht die Allmacht unmittelbar formend sich denkt, was gar nicht naturwissenschaftlich ist“®). Baer lässt es unentschieden, in welcher Form die Transmutation vor sich gegangen sei. „Ich leugne also, schreibt er 1875an Keyserling, die Transmutation im allgemeinen nicht, opponiere aber gegen die Art, wie Darwin sich dieselbe denkt. Vielleicht ist Kölliker’s sprung- weise Transformation die passendste Vorstellung, doch habe ich mich für keine besondere Form entscheiden können, weil, wie es mir scheint, 1) vergl. mein Buch a. a. O. p. 659. 2) 74|75 R II, 278 u. mein Buch p. 166—177. 3) 74/75 R II, 465. 4) vergl. mein Buch a. a. O. p. 455 u. 671. — 74/75 R II, 462 und mein Buch p. 168 u. 672. 5) SA BR], 57 u 7479 R II, 430 u. 74/75 R 1,252: 6) 74/75 R II, 284. 7) 74/75 R UI, 385. 8) s. mein Buch p. 671. Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 505 unsere Kenntnis gar zu lückenhaft ist. Diese Lückenhaftigkeit tritt mir lebhaft da vor die Seele, wenn ich mich erinnere, dass man in meiner Jugendzeit der Primitivzeugung ohne Scheu sehr viel zumutete und im stillsten Herzenswinkel, ohne es öffentlich zu sagen, (wenn man nicht so ungeniert war wie Oken), sie bis an den Menschen reichen ließ, und dass man jetzt mit Ausnahme der allerniedersten Form überall nur Transformation annimmt“!). Wenn hier Baer sich im allgemeinen für Transmutation erklärt, nur nicht für die darwinistische Form, und höhere Tiere, weil nicht ohne mütterlichen Körper lebensfähig, nur durch Transmutation entstanden denken kann, dann liegt die Folgerung nahe, auch den Menchen durch Umwandlung aus einem Säugetier ab- zuleiten. So hat das von Baer gegenüber Bunge gemachte Zu- geständnis wirklich Anknüpfungspunkte in eigenen Aeußerungen Baer’s. Demnach liegen von Baer über die Frage der Abstammung des Menschen zwei einander ausschließende Aussagen vor: „Der Mensch stammt nicht vom Tiere ab (1834—75)“ und „Der Mensch stammt vom (Säuge)tiere ab (1869)“. Der Widerspruch ist offenbar. Wie ist er zu lösen? Ist er überhaupt zu lösen? II. Versuch einer Erklärung des Widerspruchs. Zu lösen ist das Problem: Woher kommt der Mensch? Drei Lösungen bieten sich dar: Die supranaturalistische erklärt: Der Mensch ist unmittelbar aus der Hand Gottes durch Schöpfung hervor- gegangen, also durch ein Wunder. In diesem Sinne will Baer von einer Schöpfung des Menschen nichts wissen. Er erklärt es für un- wissenschaftlich, die Allmacht sich unmittelbar formend zu denken. Eine zweite Lösung ist rein naturalistisch. Ihr zufolge ist der Mensch entstanden entweder durch Urzeugung oder durch Umwandlung d. h. durch Abstammung vom Tier. Baer nimmt bekanntlich eine die ganze Natur durchwaltende Zielstrebigkeit an, die von einem geistigen Welt- grund getragen ist. Er muss daher eine rein naturalistische, mecha- nische Naturauffassung verwerfen. An ihre Stelle setzt er eine dritte Lösung, welche die beiden ersten eklektisch verbindet. Er nimmt einen geistigen Weltgrund an, der der Materie die Fähigkeit mitgeteilt hat, aus sich Lebewesen einschließlich des Menschen zu entwickeln entweder auf dem Wege der Urzeugung oder der Umwandlung d.h. durch Abstammung vom Tiere. So streiten sich bei ihm zwei Auf- fassangen: „Der Mensch stammt nicht vom Tiere ab (er ist durch Ur- zeugung entstanden) und „Der Mensch stammt vom Tiere ab“. Aber wie kommt es, dass Baer den größten Teil seiner Forscherlaufbahn an der Ansicht festhielt: Der Mensch stammt nicht vom Tiere ab und 1) 74/75 R II, 465. 506 Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. hin und wieder die Ansicht andeutet und einmal Bunge gegenüber auch ausdrücklich ausspricht: Der Mensch stammt vom Tiere ab? Wir möchten diesen Widerspruch, der nun einmal wie so verschiedene andere bei Baer vorhanden ist, aus dem Zwiespalt erklären, der zwischen dem Naturforscher und dem Philosophen Baer besteht. Der Naturforscher hält sich lediglich an seine beiden treuen Führer, Beobachtung und Experiment. Das ist auch Grundsatz und Richtschnur für Baer. Er huldigt dem Prinzip „nur von dem wirk- lich Gesehenen zu sprechen und das Gedachte nur aus einem Be- obachteten abzuleiten, nicht aber nach dem anderweitig Gedachten das Beobachtete einzurichten“), er lässt nur den Beweis gelten, der auf der Grundlage von Beobachtung erbaut wird?), er ruft dem Leser zu: „Das Gedachte ist nicht eher ein Beobachtetes, als bis es in der Erfahrung hat nachgewiesen werden können“3). Er erklärt philo- sophische Ansichten, die nicht aus der unmittelbaren Beobachtung hervorgehen, als krankhaft, von denen man Heilung suchen müsse ®), er will Hypothesen solange als Hypothesen betrachtet wissen, bis die Wahrheit derselben durch Beobachtung erwiesen ist’), er erklärt es als „für die Wissenschaft schädlich und entehrend, eine Hypothese, die der Beweismittel entbehrt, als den Gipfel der Wissenschaft zu be- trachten“®), er fürchtet, dass „der Versuch, den langsamen Weg der Beobachtung zum Ziele durch einen Flug mit der Montgolfiere un- mittelbar nach dem Ziele zu ersetzen, der Phantasie mehr Stoff ge- währen wird, als der Erkenntnis“ ”). Er schärft uns ein: „Unser Wissen ist Stückwerk. Das Stückwerk durch Vermutung zu ergänzen, mag dem einzelnen Beruhigung gewähren, ist aber nicht Wissenschaft“ ®). Es scheint Baer richtiger und wissenschaftlicher, unsere Unkenntnis einzugestehen. Mehr Wahrheit sei auf jeden Fall in einem solchen Geständnis”), der Naturforscher thue besser, die gewaltigen Lücken seines Erkennens sich und andern einzugestehen, ja Baer hält es für ehrenvoll, Lücken einzugestehen, die man auszufüllen nicht im Stande sei!®). Diesen Grundsätzen gemäß muss Baer erklären: Der Mensch stammt nicht vom Tier ab. Denn durch Beobachtung erwiesen ist nur Umwandiung innerhalb enger, beschränkter Grenzen, aber keine all- 1) 64 Baer’s Selbstbiographie p. 611. 2) ibid. p. 612. 3) 73-76 RI, VII. 4) 64 Baer’s Selbstbiographie p. 612. 5) 774175, Ri 299. 6) ibid. 473. 7) ibid. 459. 8) 74/75 R II, p. 473. 9) ibid. 418. 10) ibid. 423 u. 32. Verh. der phys.-med. Ges. zu Königsberg über die Cholera Bd. I p. 403. Stölzle, v. Baer’s Stellung zur Frage nach der Abstammung des Menschen. 507 gemeine Umwandlung. Keine Beobachtung berechtigt zu der Behaup- tung, dass auch der Mensch durch Umwandlung d. h. aus einem Tier entstanden sei. Die heutige exakte Forschung lehrt in ihren vor- nehmsten Vertretern, wie Virchow, Ranke bekanntlich dasselbe, wenn sie die Thatsache betont, dass das fehlende Mittelglied zwischen Tier und Mensch nicht gefunden sei. Baer ist aber nicht bloß Naturforscher, der sich lediglich auf Erhebung des Thatbestandes beschränkt, er sucht die gewonnenen Resultate auch zu deuten. Baer ist auch Philosoph. Neben der Beobachtung verlangt bei ihm auch die Reflexion ihr Recht. Er ge- steht, es sei ihm unmöglich, über das Beobachtete bloß erzählend zu berichten, ohne Reflexion einzuflechten. Die Reflexion oder Spekulation aber ergänzt das Stückwerk der Beobachtung zum Ganzen im Interesse einer einheitlichen Naturanschauung. Durch ein Bedürfnis, nicht durch Thatsachen wird die Weltanschauung bestimmt. So postuliert die Reflexion, was nicht erwiesen ist und nicht erwiesen werden kann z. B. die Urzeugung, eine allgemeine Descendenz durch Umwandlung, lehrt also auch, dass der Mensch auf dem Wege der Transmutation vom Tier abstamme. Die Reflexion kann so verfahren, wenn sie sich dabei bewusst bleibt, dass sie nur Hypothesen giebt. Und mehr als eine Hypothese ist die Descendenzlehre auch heute noch nicht. Indem also Baer gegenüber Bunge die Abstammung des Menschen vom Tiere vertritt, folgt er nicht den obigen von ihm sonst immer betonten Regeln, die vorschreiben, sich nur an die Beobachtung zu halten, son- dern lässt sich von der Reflexion fortreißen. Der Naturforscher Baer macht dem Philosophen Baer eine Konzession. So erklärt sich unseres Erachtens der Widerspruch bei Baer. IV. Die Bedeutung des Widerspruches. Fragen wir zum Schlusse nach der Bedeutung der von Baer ge- machten Konzession, so erscheint sie uns aus zwei Gründen belanglos, Einmal wird jede gesunde Philosophie sich nach den Thatsachen richtend ihr Weltbild gestalten und nicht umgekehrt. Die Lehre von der allgemeinen Transmutation ist aber nicht durch Beobachtung erwiesen. Wir werden also in diesem Falle eher dem Naturforscher Baer als dem Philosophen Baer folgen und mit ihm als dem gegenwärtigen Stand der Thatsachen entsprechend sagen: Die Ab- stammung des Menschen vom Tiere ist nicht erwiesen. Zweitens ist die von Baer in der Unterredung mit Bunge gemachte Konzes- sion nur eine vorübergehende, momentane gewesen, die Baer später nicht berücksichtigt hat. Denn Baer hat nicht bloß vor jener Unter- redung die Lehre vom tierischen Ursprung des Menschen mit empiri- schen und spekulativen Gründen bekämpft, er hat auch nach jener 508 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. ‘ Anfrage Bunge’s ausdrücklich und mit Gründen die Ansicht verteidigt, dass der Mensch nicht vom Tiere abstamme!). Wir halten uns somit trotz des flüchtigen Zugeständnisses von Baer an Bunge für be- rechtigt zu sagen: Baer hat nicht an die Abstammung des Menschen vom Säugetiere geglaubt. (99) Monoblasta—Polyblasta—Polycellularia. Phylogenetische Studie. Von Dr. Gustav Schlater in Kronstadt (Russland). I. In einem vor mehr als zwei Jahren in dieser Zeitschrift veröffent- lichten kurzen Aufsatze versuchte ich es, einiges Licht auf die noch völlig dunklen phylogenetischen verwandschaftlichen Beziehungen zwischen den niedrigsten Lebewesen zu werfen, welche bis jetzt noch alle zusammen in eine willkürliche und völlig künstliche Gruppe der „Bakterien“ untergebracht sind. Von rein morphologischen Erwägungen ausgehend, suchte ich zu zeigen, dass die verschiedensten Vertreter der Bakterien so wichtige Charakterzüge der inneren Organisation auf- weisen, welche es durchaus nicht gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Bakterien als eine Gruppe den übrigen Gruppen der Protozoa gegenübergestellt werden. Diese, gewaltsam in eine einzige Gruppe vereinigten niedrigsten Lebewesen müssten unter drei vollkommen selbständige Typen niederer Organismen verteilt werden, welche den übrigen Typen des Tier- und Pflanzenreichs gleichwertig sind, und deren phylogenetische Verwandtschaftsbeziehung eine sehr weitläufige ist. Ich versprach damals, den betreffenden Aufsatz weiter auszu- arbeiten und, mit einer Reihe von Anmerkungen versehen, in Form eines Buches herauszugeben. Im Verlaufe der Zeit habe ich jedoch mein Vorhaben abgeändert, indem ich es jetzt für zweckmäßiger er- achte, vorläufig meine Anschauung weiter zu entwickeln und von diesem Standpunkte aus das ganze Reich der sogen. Protozoa einer kritischen Abschätzung zu unterwerfen. In vorliegender Studie will ich es versuchen, erstens ein neues Grundprinzip aufzustellen, welchem zufolge die Protozoa den „Metazoa“ gegenübergestellt werden können, und zweitens auf einen Grundzug der inneren Organisation hinzuweisen, welcher uns zwingt, die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit des ganzen Reiches der Protozoa, d. h. der Pseudoeinzelligen, zu stören, und dasselbe in mehrere selbständige Typen zu zerlegen. — Diesen Versuch halte ich für vollkommen zeitgemäß, sowohl im In- teresse eines tieferen Einblickes in die Anfangsstufen der phylo- genetischen Entwicklung des organisierten Lebens überhaupt, so auch 1) siehe I, 3 unserer Abhandlung. Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 509 einer tieferen Erkenntnis der biologischen Bedeutung intracellularer Differenzierungen. Es ist nämlich schwer, einige in der zeitgenössischen Litteratur zum Ausdruck kommende Ansichten über die phylogenetische Ungleichwertigkeit einzelner Protozoengruppen, mit der gegenwärtig noch herrschenden Lehre von der morphologischen Unteilbarkeit der Zelle in Einklang zu bringen. Durch diesen Umstand finden teils ihre Erklärung jene merkwürdigen Widersprüche und jener Mangel an Logik auf dem betreffenden Gebiete der Litteratur, welche einen bisweilen in Staunen setzen. Jedoch, eine vorurteilsfreie Würdigung der morpho- logischen Differenzierungen der inneren Organisation verschiedener Protozoen, oder sogen. einzelliger Formen, gewährt uns nicht nur die Möglichkeit, einigermaßen ihre phylogenetischen Verwandtschafts- beziehungen zu erkennen, was das Hauptziel meiner Studie ausmacht, sondern dient auch als überzeugende indirekte, vollkommen logische Beweisführung zu Gunsten des morphologischen Teilvermögens der Zelle, zu Gunsten ihrer zusammengesetzten Natur. Die heutige Wissenschaft teilt, wie allbekannt, die ganze orga- nische Lebewelt in zwei Reiche ein, in Protozoa, oder einzellige Organismen, und Metazoa, oder vielzellige Organismen; die zweiten sind aus den ersten entstanden. Das Hauptprinzip der Eintei- lung aller Organismen in Protozoa und Metazoa ist das, dassdasProtozoon eine einzige elementaremorphologische Einheit (Zelle) darstellt, während das Metazoon — eine Association solcher Einheiten ist. In Anbetracht dessen, dass diese Assoziation unter dem Einflusse der schöpferischen Kraft der Natur in einer unermesslichen Vielgestaltigkeit der Formen zum Aus- druck gekommen ist, werden alle vielzelligen Organismen naturgemäß in mehrere selbständige Typen gruppiert. Da jedoch das Protozoon als elementare unteilbare morphologische Einheit angesehen wurde, so bildeten alle hierher gehörigen Organismen, da eben betreffende analoge Prinzipien der phylogenetischen Einteilung fehlten, einen einzigen Typus (Protozoa), welcher den Typen der Metazoa gegen- übergestellt und direkt in Klassen eingeteilt wurde. Die innere Organisation der Metazoa bewegt sich in ungemein weiten Grenzen. Was hat z. B. die innere Organisation eines Schwammes oder einer Hydra gemein mit der Organisation, sagen wir, des Menschen ? Und doch ist die Hydra, ebenso wie der Mensch, ein Metazoon, denn sie werden durch ein gemeinsames Prinzip der morphologischen Gliederung verbunden. Wie schon gesagt, besteht dieses Prinzip darin, dass alle Metazoa zusammengesetzte biologische Einheiten höherer Ordnung darstellen, welche eine Association von Einheiten niederer Ordnung, d.h. von Zellen, sind. Un- mittelbar nach diesen, allen Metazoa eigenen Merkmalen können alle die Grundprinzipien gefolgert werden, welche der phylogenetischen 510 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. Einteilung der Metazoain Typen, und soweiter zu Grunde liegen. Näm- lich: DieStellungeines vielzelligenOrganismusimSystem wird ihm angewiesen durch den Charakter und den Grad der inneren Organisation. Seine innere Organisation aber, oder der Grad der inneren Differenzierung eines vielzelligen Organismus, befindet sich in einer innigsten Abhängig- keitvomDifferenzierungsgrad derihnzusammensetzenden Zellen. Diese allbekannte Thatsache können wir jedoch auch folgendermaßen formulieren: Die Differenzierungen der Zellen und deren einzelner Associationen, welche dank ihrer gegenseitigen innigsten Verbindungen eine selbständige biologische Einheit ausmachen, ist die Grundursache der ganzen großen Mannigfaltigkeit — der Metazoa-Formen, und deren phylogenetischer Verwandschaftsbeziehung. Oder noch anders ausgedrückt: Der Grad der morphologischen Organisation einer biologischen Einheit (im gegebenen Falle eines Metazoon) ist der Anzeiger des Differenzierungsgrades der biologischen Einheiten niederer Ordnung (im gegebenen Falle der Zellen), welche diese Einheiten höherer Ordnung ausmachen. Indem ich diese allbekannten Sätze anführe, hatte _ich im Auge, den logischen Entwickelungsgang meiner des weiteren zu entwickelnden Ansicht nicht zu stören. An dieser Stelle weise ich nur noch darauf hin, dass die Frage von der biologischen Bedeutung und von den Gesetzen des ganzen Differenzierungsprozesses des Organismus aus der Eizelle, im Buche von O. Hertwig eine vielseitige und in den Hauptzügen erschöpfende Bearbeitung erfahren. O. Hertwig, Die Zelle und die Gewebe etc... .. Zweites Buch, 1898. Wie schon gesagt, bilden sämtliche Protozoa in der gegenwärtigen Klassifikation einen einzigen Typus von Organismen. Unterdessen häuften sich unsere Kenntnisse über das Reich der niedrigsten Lebe- wesen ; wir lernten eine ganze Reihe solcher Wesen kennen, deren innere Organisation von einer Einfachheit ist, welche es uns in keinem Falle gestattet, dieselben als Zellen anzuerkennen, — und doch zwang uns der fatale Glaube der Biologie, die Zelle sei die einfachste und elementarste Einheit, diese Organismen mit Zellen zu identifizieren, zu verschiedenen Sophismen und vollkommen willkürlichen Annahmen unsere Zuflucht nehmend. Wenn wir jedoch auf dem Boden der exakten Forschung verharren, sind wir gezwungen uns vom Begriff der Unteilbarkeit und Elementareinheit der Zelle loszusagen. Gegen- wärtig, wo der Begriff der Zelle als einer elementaren Einheit, man kann sagen, mehr als erschüttert ist; wo wir in der Zelle einen gan- zen komplizierten Organismus erkannt haben, — kann die Frage von den phylogenetischen Verwandtschaftsbeziehungen und Gleichberechti- gung aller uns bis jetzt bekannten niedrigsten Lebewesen, einer mehr > Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 511 bewussten Bearbeitung unterworfen werden, und ist, meiner Meinung nach, eine brennende Zeitfrage. 1: Wie allbekannt, bewegt sich die innere morphologische Differen- zierung der Protozoa in ungemein weiten Grenzen. Die allereinfach- sten uns bekannten Organismen stellen sehr kleine Formen dar (von einem Mikron-Teil bis zu 2 «), welche keine Spur irgend einer mor- phologischen Organisation aufweisen. Die ganze Organisation solcher Formen, welche zu den sogen. Bakterien gehören, ist durch die Vor- stellung von einem homogenen, strukturlosen Körnchen erschöpft. Wenn wir nun eine höher stehende Bakterienform ins Auge fassen, so gewahren wir schon eine ziemlich komplizierte innere Struktur, welche sich dadurch zu erkennen giebt, dass sich im Organismus ein besonderer Abschnitt differenziert hat, welcher als eine der Anfangs- stadien der phylogenetischen Entwickelung des typischen Zellkernes aufzufassen ist. Diese Gebilde („sogen. Centralkörper“), sowie der übrige Leib betreffender Organismen sind differenziert in eine Grund- substanz, welche bisweilen Spuren einer alveolären Struktur aufweist, und in einPaar bestimmte Granulaarten. Die im „Centralkörper“ regel- los gelegenen Granula sind von anderer Natur, als die im übrigen Leibe eingestreuten, und sind als Prototypen der Kernchromatineyto- blasten anzusehen. Unter keiner Bedingung kann der „Centralkörper“ als echter Kern gedeutet werden, sondern als eine phylogenetische Vorstufe desselben. Wir sehen also, dass während die ganze Organi- sation der allereinfachsten Bakterienarten die Form eines einzigen Granulums hat, in den soeben angeführten Organismen die Granula schon als Strukturelemente enthalten sind, wobei dank der topo- graphischen Verteilung der Granula, dank derDifferenzierung derselben und der Grundsubstanz bestimmte Strukturen zustandekommen. Zwischen diesen beiden skizzierten Typen von Organismen giebt es aber eine ganze Reihe von Uebergangsformen, deren ganze Organisation auf eine Summe von Granula zurückzuführen ist, die durch eine homogene Grundsubstanz zu einem Ganzen vereinigt werden, und welche bis- weilen sehr gering an Zahl sein können; es ist in diesen Formen keine Spur eines „Öentralkörpers“ zu sehen, nur in einigen hierher gehörigen Organismen sind besondere, etwas grössere, intensiver sich tingierende und unregelmässig im Körper zerstreute Granula zu konstatieren, welche vielleicht als phylogenetische Vorstufen der sogen. Chromatin-Cyto- blasten (Basichromatin-Oytoblasten) des typischen Kernes aufzufassen sind. Alle derartigeOrganismen werden gegenwärtig zu den Bakterien gezählt. Als Organismen, welche sich ihrem inneren Baue nach schon der typischen Zelle nähern, müssten die Cyanophyceen angesehen wer- den, welche einer verhältnismässig eingehenden morphologischen Unter- suchung unterzogen wurden. Allein, auch diese Organismen können 512 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. nicht einzellige Organismen genannt werden, da sie zu einem phylo- genetisch älteren Typus gehören. Erst die weitere phylogenetische Entwickelung der Lebewesen führte zu einer vollständigen Differen- zierung des „Centralkörpers“ und zu dessen Umwandlung in einen typischen Kern; gleichzeitig entwickelte sich auch der übrige Körper in einen echten Zellkörper mit allen seinen Differenzierungen. Die Grundzüge der Organisation solcher Formen sind die einer typischen Zelle, deshalb können diese Organismen mit vollem Rechte als einzellige bezeichnet werden. Aus dem Gesagten ist ersichtlich, wie dringend notwendig eine genaue Formulierung der Grundzüge der Zellenorganisation ist. Es könnte überflüssig erscheinen, sogar davon zu sprechen, da ja Alle mit dem Wesen der Zelle vollkommen vertraut sein müssten; jedoch es ist allbekannt, was für eine Begriffsverwirrung darüber in der heutigen Litteratur herrscht. Es genügt nur darauf hinzuweisen, dass ja die allereinfachsten Bakterien zu Zellen erhoben und einzelne Chromatinkörner für echte Zellkerne angesehen werden. Was ist eine Zelle; welche sind jene Züge der Organisation und jene Differenzierungen, welche uns das Recht geben, dieses oder jenes Gebilde für eine Zelle anzu- sehen? Ich habe nicht die Absicht diese Frage hier zu beantworten. Indem ich auf meine unlängst in diesem Blatte erschienene Studie ver- weise: (G. Schlater. Der gegenwärtige Stand der Zellen- lehre. Biolog. Centralbl. Bd. XIX, 1899), will ich nur her- vorheben, dass, wenn wir mit dem Begriffe der Zelle die Vorstellung von einem Organismus, von einer biologischen Einheit mit ganz be- stimmten, ihm allein eigenen Strukturzügen und morphologischer Differenzierung verbinden, — es selbstverständlich ist, dass alle die- jenigen Lebewesen in deren Baue diese oder jene Züge der Organisation einer typischen Zelle fehlen, nicht als den Zellen gleichwertige Organismen betrachtet werden können. Das sind eben keine Zellen mehr, son- dern einfachere Gebilde, deren Organisation bis auf ein Minimum, bis auf die Organisation eines homogenen Körnehens herabgesetzt werden kann. Der Sinn dieses Standpunktes ist der, dass die sogen. Protozoa eine Phylogenie be- sitzen, und dass es eine ganze Reihe von Organismen giebt, welehe ihrer Entwickelung und ihrem Baue nach viel niedriger als die Zelle sind, wobei alle Organismen, abgesehen von den einfachsten Bakterien- formen, nach dem aufsteigenden Grade ihrer inneren Organisation in eine Reihe untergebracht werden können, und wenn wir dabei die un- gemein komplizierte Organisation einiger höherer Protozoenformen ins Auge fassen, kommen wir zur Ueberzeugung, dass die Phylogenie der Protozoa eine sehr weite gewesen sein muss, denn der Unterschied in der Organisation z. B. zwischen Nitrosococeus und Vorticella Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polyeellularia. 513 ist unendlich groß, ebenso groß, wie zwischen einer Dieyemide und dem Säuger. Jetzt taucht aber die wichtige Frage vor uns auf: Wie ist denn die ganze Mannigfaltigkeit dieser Organisation zu erklären; wie ging in der Natur diese allmähliche phylogenetische Complikation dieser Or- ganisationen unter den Protozoa vor sich? Es kann natürlich darüber kein Zweifel vorliegen, dass es dank derselben biologischen Momenten geschah, welche so klar im Buche O. Hertwig’s (l. ce.) präzisiert sind. Nun wissen wir aber, dass die Summe aller dieser biologischen Momente die ganze Mannigfaltigkeit der Metazoen-Formen dadurch zustande brachte, dass sie auf die Zelle und deren Aggregate ein- wirkte, d. h. auf biologische Einheiten niedrigerer Ordnung. Da- raus ist der vollkommen logische Schluss zu ziehen, dass auch die ganze Mannigfaltigkeit der inneren Oganisation der Protozoa nur da- durch entstanden sein konnte, dass diesselben biologischen Grund- momente auf irgend eine Einheit, oder deren Aggregate, einwirkten, welche von noch niedrigerer Ordnung war. Es ist ja der Gedanke, dass alle diese morphologischen Metamorphosen in einer morphologisch unteilbaren Einheit, in einer Molekel lebendiger Substanz sich ent- wickelt haben könnten, kaum zulässig; und wissenschaftlich vollkommen unberechtigt wäre die Anschauung, diese ganze komplizierte mor- phologische Differenzierung hätte sich in einer chemisch gebundenen und unteilbaren Molekel entfaltet, wie kompliziert diese chemische Einheit auch gewesen sein mag. Wir müssen gestehen, dass die Protozoa zusammengesetzte biologische Einheiten höherer Ordnung sind, welche Associationen von Ein- heiten niederer Ordnung darstellen. Indem wir diese Annahme aufstellen, wird uns die ganze komplizierte Organisation irgend einer Infusorie viel verständlicher. Wir sind also auf rein logischem Ge- dankenwege zu der Anschauung gelangt, welche sich in der heutigen Zellenlehre Bahn zu brechen beginnt und welche sich in immer deut- licheren Umrissen im Bewusstsein der Gelehrten wiederspiegelt. In- dem wir von der Lehre von den Bioblasten oder Biotomen ausgehen, d. h. wenn wir die in jeder Zelle sichtbar nachweisbaren Granula und Mikrosomen, oder wenigstens einen Teil derselben, als lebendige Form- bestandteile der Zelle und als wirkliche elementare morphologische und biologische Einheiten, d. h. als Einheiten niedriger Ordnung an- erkennen, — so sind wir imstande auch bei Beurteilung der inneren Dif- ferenzierungen der Protozoa ganz analoge Prinzipien anzuerkennen, wie bei den Metazoa: Der Differenzierungsgrad eines Pro- tozoon ist in einer innigsten Abhängigkeit von dem Differenzierungsgrad (im weiten Sinne des Wortes) der den- selben zusammensetzenden Bioblasten. Oder anders ausge- drückt: Die Differenzierung der Bioblasten und deren xX, 33 514 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. Associationen, welche durch ihre gegenseitige Verbindung selbständige biologische Einheit bilden, ist die Grund- ursache des ganzen Formenreichtums der Protozoen und deren phylogenetischen Beziehungen. Oder noch anders: Der Grad der morphologischen Organisation einer biolo- logischen Einheit (in diesem Falle des Protozoon), ist der An- zeiger des Differenzierungsgrades der biologischen Ein- heiten niederer Ordnung (in diesem Falle der Bioblasten), wel- che diese höhere Einheit bilden. Aus diesen Grundprinzipien resultiert die logisch notwendige Annahme, dass in der Natur auch freilebende Elementareinheiten niederer Ordnung, d.h. freilebende Bio- blasten, oder Autoblasten, existieren müssen. Wir finden sie auch wirklich vor in Gestalt jener einfachsten Lebewesen, welche zu den sogen Bakterien gerechnet werden, und welche einem einfachen struk- turlosen Körnchen gleichwertig sind (auf diese Organismen werde ich im Weiteren noch zurückkommen). Folglich sind wir gezwungen, zu allererst das ganze Reich der Protozoa in zwei vollkommen selbstän- dige Organismenreihen zu teilen, wobei dieser Einteilung ganz das- selbe Grundprinzip zu Grunde liegt, welches die sogen. Einzelligen von den Vielzelligen trennt. Erstens müssen wir alle die Organismen zu- sammenfassen, welche freilebende elementare biologische Einheiten darstellen, und zweitens — alle übrigen Protozoa (die Mehrzahl), welche eine biologische Einheit höherer Ordnung darstellen, d. h. aus einer Summe elementarer Einheiten aufgebaut sind. Abgesehen von der noch sehr mangelhaft erforschten ersten Organismenreihe, kann der ganze übrige Teil der zu den Protozoen gehörigen Organismen wirklich den Vielzelligen gegenübergestellt werden, allein, wie aus allem Gesagten ersichtlich, muss das der Gegenüberstellung derselben zu Grunde liegende Prinzip ein ganz anderes sein, als welches gegen- wärtig anerkannt wird. Der Schwerpunkt liegt durchaus nicht darin, dass das Protozoon als ein vermeintlich einzelliger Organismus, dem Metazoon, als einem vielzelligen Organismus, gegenübergestellt wird. Wir überzeugen uns ja gegenwärtig mit jedem Tage immer mehr da- von, dass durchaus nicht alle niedrigsten Wesen als einer Zelle gleich- wertig anerkannt werden können. Vom heutigen Stande der Wissen- schaft, kann das erste Einteilungsprinzip der Organismen nur darin bestehen, dass die Protozoa als solche Formen aufzufassen sind, welche auf dem Wege einer fortschreitenden Differenzierung und Symbiose der elementaren morphologischen Einheiten (Bioblasten) und deren Associationen, welche eine Einheit höherer Ordnung bilden, entstanden sind, — während die Metazoa auf ganz demselben Wege der Diffe- renzierung von Zellen, d. h. von Einheiten schon höherer Ordnung entstanden sind. In diesem Einteilungsprinzip ist gleichzeitig der beiden Organismenreihen eigene Zug zum Ausdruck gelangt: Die Pro- Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 515 tozoa (außer den freilebenden Bioblasten) sind zusammengesetzte Or- ganismen, welche aus einer Summe von Einheiten niederer Ordnung (von Bioblasten oder Biosomen) aufgebaut sind. Die Metazoa sind ja auch zusammengesetzte Organismen, welche aber aus einer Summe von Einheiten schon höherer Ordnung, aus den sogen. Zellen aufge- baut sind, wobei die Zelle als ein Glied der phylogenetischen Formen- reihe der Protozoa aufzufassen ist. In Rücksicht auf dieses Grund- prinzip, welches den überwiegend größten Teil der Protozoa in Eins in eine große Gruppe zusammenfasst und gleichzeitig den Metazoa gegenüberstellt, schlage ich vor die wenig bedeutende Benennung „Protozoa* durch eine andere zu ersetzen, welche dieses Grundprinzip zum Ausdruck bringen würde. Ich schlage die Benennung Polyblasta vor. Dementsprechend könnten die vielzelligen Organismen Polycel- lularia benannt werden. Diejenigen Organismen aber, welche frei- lebende Bioblasten vorstellen, und eine grosse Gruppe bilden, könnten Monoblasta') genannt werden. Folglich muss die ganze or- ganisierte Lebewelt eingeteilt werden in 1. Monoblasta freilebende morphologische Einheiten erster, oder nied- rigster Ordnung; 2. Polyblasta, oder freilebende morpho- logische Einheiten zweiter, höherer Ordnung, und 3. Poly- cellularia, oder Einheiten dritter, höchster Ordnung. Die Polyblasta haben sich phylogenetisch aus den Mono- blasta entwickelt, und aus den Polyblasta (aus der Zelle) sind im weiteren Verlaufe der Phylogenese die Polycellu- laria entstanden. II: Eine vorurteilsfreie Beleuchtung unserer jetzigen, noch lange nicht genügenden, Kenntnisse von der inneren Organisation der sogen. Bak- 1) Ich bin durchaus nicht für die Einführung neuer Benennungen; jedoch in diesem Falle, wo ein neues Prinzip eingeführt wird, wäre es sehr wünschens- wert, wenn auch die Benennungen dem Inhalte der durch sie zukennzeichnenden biologischen Züge der Organisation entsprächen. Es sind ja schon in der Litteratur statt der allgemein gebrauchten „Protozoa“ und „Metazoa“ ziemlich glücklich gewählte und richtige Benennungen aufgetaucht, welche beibehalten werden könnten als der Wirklichkeit gerade entsprechende, wenn nicht die Zelle uns ihre zusammengesetzte Natur offenbart hätte? Man könnte ja die Be- nennung „Monozoa“ für die Monoblasten beibehalten, die Benennung „Polyzoa“ auf alle übrigen Protozoa erstrecken, und den vielzelligen Organismen ihre Benenunnung Metazoa lassen. Jedoch ich denke, dass die von mir vorge- schlagenen Benennungen, welche uns von den alten voreingenommenen, und der neuen Strömung des wissenschaftlichen Gedankens weichenden Begriffen ent- fernen, am besten der wirklichen Sachlage entsprechen werden, da sie gerade auf das einzig richtige Grundprinzip hindeuten, welches der Einteilung der ganzen Organismenwelt in drei selbständige, eine aus der anderen phylogene- tisch enstandenen Gruppen zu Grunde liegt. 39* 516 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. terienformen, muss uns jegliche Möglichkeit nehmen, wenn auch im entferntesten die allereinfachsten dieser Formen mit der Zelle zu iden- tifizieren. Ein kleinster Kokkus oder ein Stäbchen, welche bei Anwendung der verschiedensten Behandlungsmethoden keine Spur einer inneren Organisation erkennen lassen, können ihrer biologischen Bedeutung nach kaum ernstlich neben einer typischen Zelle, als derselben gleich- wertige Gebilde, hingestellt werden. Ich glaube, dass heutzutage kaum jemand den Mut haben wird solche denkbar einfachste Lebewesen für Zellen anzusehen, wie das Bacterium prodigiosum, wie Sa- rcina aurantiaca, die kaum eine Grösse von 1 u—2u erreichen, oder wie z. B. der von Winogradsky beschriebene Nitrifikations- mikrob aus der Erde von der Insel Java, Nitrososoceus, dessen Körpergrösse zwischen 0,5-0,6 w schwankt. Wenn wir mit dem Be- sriffe der Zelle ganz bestimmte und genaue Vorstellungen, wie von ihren biologischen Eigenschaften, so auch von der morphologischen Differenzierung ihrer inneren Organisation verbinden, — so ist es ja selbstverständlich, dass wir einen Orgarismus, in welchem alle diese das Wesen einer Zelle ausmachenden Merkmale fehlen, nicht als Zelle anerkennen können. Im Gegenteil, ein vorurteilsfreier Vergleich und eine Gegenüberstellung der Organisation irgend eines einfachsten Kokken mit der Organisation einer Zelle zeigt uns, dass der Kokkus als ein Gebilde aufzufassen ist, welches jedem der vielzelligen Cyto- blasten (Biosomen, Granula und Mikrosomen) gleichwertig ist, welche als elementare Struktureinheiten die Struktur des Zellen-Organismus ausmachen, wobei bemerkt werden muss, dass diese einfachsten Bak- terienformen den einfachsten Kernkörperchenarten und den Basichromatin - eytoblasten verwandt sind. Folglich ist eine Identifizierung der aller- einfachsten Bakterienarten mit einer Zelle gleichbedeutend mit einer vollständigen Negierung der vergleichend morphologischen Unter- suchungsmethode. Denn, wie der Cytoblast keine Spur einer inneren Organisation aufweisst, so erscheint uns auch jeder einfachste Kokkus oder jedes Stäbchen immer homogen und als ein Organismus von morpho- logisch undifferenzierter innerer Organisation. Solche Bakterienformen beweisen erstens, mit voller Ueberzeugungskraft die zusammengesetzte Natur der Zelle, und zweitens die Existenz solcher freilebender Or- ganismen in der Natur, welche den elementaren morphologischen Ein- heiten (Cytoblasten) gleichwertig sind, aus welchen die Zelle aufge- baut ist. Was kann logischer und richtiger als diese Schlussfolgerung sein? Allein, fasst Alle behaupten gegenwärtig noch, freilebende Cytoblasten, oder richtiger gesagt, den Cytoblasten gleichwer- tige Organismen (Autoblasten im Sinne R. Altmann’s) gäbe es nicht in der Natur. Wodurch ist diese Thatsache zu erklären, sowie die augenscheinliche krampfhafte Bestrebung derartige Orga- nismen als einer Zelle gleichwertige Gebilde anzuerkennen? Indem Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia, 517 ich mich in vorliegender Skizze nach Möglichkeit nur auf eine objek- tive Beleuchtung vergleichend morphologischer Thatsachen beschränke, habe ich nicht die Möglichkeit nach den Ursachen dieser merk- würdigen Erscheinung der heutigen Wissenschaft zu forschen. Diese Ursachen können logisch aus meiner letzterschienenen Arbeit (Der gegenwärtige Stand der Zellenlehre. Biolog. Centralbl. Bd. XIX, Nr. 20—24, 1899) gefolgert werden. An dieser Stelle führe ich nur eine sehr charakteristische Aeusserung gegen die Anerkennung der Strukturlosigkeit in Frage stehender Organismen an. Diese Aeusserung habe ich mündlich gehört, sie kommt aber auch in der Litteratur zum Ausdruck. Ich hätte sogar diese Aeusserung keiner Beachtung für wert gehalten, wenn sie nicht bisweilen für eine gewichtige Beweis- führung gehalten würde. Es wird nämlich allen Ernstes behauptet, unsere Untersuchungsmethoden und unsere optischen Hilfsmittel seien noch zu unvollkommen, und dass wir, wenn die mikroskopische Technik in der Zukunft eine weitere wissenschaftliche Ausarbeitung erfahren wird, und wenn das Mikroskop weiter vervollkomnet wird, auch in diesen allereinfachsten Bakterienorganismen zusammengesetzte, denen der Zelle analoge Strukturen erkennen werden. Jedoch der aus dieser Voraussetzung gezogene Schluss birgt einen ungeheueren logischen Fehler des wissenschaftlichen Gedankens in sich. Stellen wir uns zwei mikroskopische Organismen vor, welche wir mit vollkommen gleichen Methoden der mikroskopischen Untersuchungstechnik behandeln, und so- dann auf ihre inneren morphologischen Organisationen mit einander vergleichen. Und wenn unter allen diesen Bedingungen einer von diesen Organismen unserem Auge immer als ein undifferenziertes, gleichmäßig gefärbtes kleines Granulum ohne Spuren einer inneren Organisation erscheinen wird, während der zweite eine ungemein zu- Sammengesetzte innere Organisation, die Organisation einer typischen Zelle, erkennen lässt, wobei als einzelne von einander differenzierte Elemente dieser Organisation eine Menge strukturloser gleichmäßig gefärbter Körnchen (Granula und Mikrosomen) von verschiedener Größe, wahrzunehmen sind, — so ist die einzig mögliche direkte Schlussfolgerung aus dem Vergleiche solcher zwei Organismen nur die, dass der ganze erste Organismus nur einem der vielen Struktur- elemente des zweiten gleichwertig ist. Da aber der zweite Organis- mus einer typischen Zelle entspricht, so folgt daraus, dass die Cyto- blasten wirkliche elementare morphologische Einheiten sind, denn solche freilebende Organismen, welche diesen elementaren Einheiten gleichwertig wären, sindin der Natur vorhanden in Gestalt der allereinfachsten Bak- terienformen, welch letztere natürlich unter keiner Bedingung Zellen genannt werden können. Es kann aber doch keineswegs ab- gestritten werden, dass die Handgriffe der mikroskopischen Technik 518 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. sowie das Mikroskop einer weiteren Vervollkommnung fähig wären, und dass wir in den Stand gesetzt werden, auch im einfachsten Kokkus eine mehr oder weniger komplizierte morphologische Struktur wahrzu- nehmen!). Wenn wir diese Möglichkeit zulassen, so werden ja, auf Grund ganz derselben Annahme auch die Cytoblasten aufhören struk- turlose, gleichmäßig gefärbte Elemente zu sein, sondern werden höchst wahrscheinlich ganz gleiche Strukturen aufweisen, wie der einfachste Kokkus. Jedoch in diesem Falle würde unser Standpunkt durchaus keinen Abbruch erleiden. Der einfachste Kokkus würde auch in diesem Falle eine Einheit niederer Ordnung bleiben, und der zweite von uns zum Vergleich herangezogene, einer Zelle, analoge Organismus — eine zusammengesetzte Einheit höherer Ordnung. Und welcher Art auch die in Zukunft zu erwartenden Strukturen derMonoblasten und der Cytoblasten sein mögen, eins steht nur fest, dass diese Strukturen unvergleichlich einfacher sein müssten, als die Zellstrukturen, und den- selben vollkommen ungleichwertig. Denn, gesetzt der Fall, dass irgend ein armseliger Kokkus, oder von unserem Stankpunkte aus, auch der 1) Ungemein interessant und von grosser Tragweite ist die Frage, ob wir überhaupt berechtigt sind in den Autoblasten und Cytoblasten irgend welche morphologische Strukturen zu vermuten? Auf diese Frage, welche zu der an dieser Stelle behandelten Frage keinen direkten Bezug hat, kann ich nicht näher eingehen. Ich bemerke nur folgendes: Im Einklang mit dem von mir vertretenen Standpunkte (Die neue Richtung der Morphologie der Zelle etc. 1895; russisch. und Biol. Centrlbl. Bd. XIX.) stehen auch die Bioblasten (Autoblasten und Cytoblasten) nicht an der Grenze des morpholo- gisch-biologischen Teilvermögens, sondern die wirklich elementarsten, schon weiter morphologisch unteilbaren Einheiten sind Strukturelemente in der Organisation der Bioblasten. Und wenn wir in der Zukunft dank weiterer Aus- bildung der mikroskopischen Technik und Vervollkommnung unserer optischen Hilfsmittel diese Strukturen zu Gesicht bekommen, so werden diese Strukturen jedenfalls sehr einfach sein, und natürlich nicht im entferntesten den Zell- strukturen ähnlich sein. Und wenn wir endlich, wie gesagt, im Gesichtsfelde des Mikroskops die allereinfachsten, elementarsten, weiter unteilbaren Ein- heiten lebendiger Substanz erblickt haben werden, so werden wir gleichzeitig an der Grenze jedes weiteren morphologischen Teilvermögens angelangt sein, da ja die wirklich elementaren, unteilbaren Einheiten nur ungemein komplizierte und zusammengesetzte Eiweismolekel, d. h. rein chemische Molekel darstellen. Wird die Einheitlichkeit dieser Molekel zerstört, so er- lischt sogleich der Strahl des organisierten Lebens, und hinterlässt nur eine Reihe einfacher, schon toter chemischer Moleküle. Die wirklich elementare morphologische Einheit lebendiger Substanz ist natürlich fähig, sich zu teilen, jedoch nur in zwei vollkommen gleichberechtigte und einander gleichwertige Einheiten. Ausführlicher werde ich auf diese höchst interessante Frage ein anderes Mal eingehen, denn ich gedenke in einer besonderen Skizze von den Kardinaleigenschaften des Lebens, vom Mechanismus des Lebens und von dessen Genesis auf Erden zu sprechen. Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Pocylellularia. 519 Cytoblast, eine wirkliche Zellstruktur aufweisen würde, so erhalten wir folgendes Kuriosum: Die Zelle ist eine Einheit, welche aus einer Summe von Zellen aufgebaut ist, oder: Der einzellige Organismus ist ein vielzelliger Organismus. Ein jeder begreift natürlich die ganze Absurdität dieser Sätze. Indem wir nun den Typus der Autoblasten (Monoblasten) aufgestellt haben, welcher die allereinfachsten uns be- kannten Elementarorganismen umfasst, können wir ihn folgendermaßen charakterisieren. Die Austoblasten sind mikroskopische Lebewe- sen,meistens vonsphärischer oderstäbchenartigerGestalt, deren mittlereGrößezwischen 0,5—2,0u schwankt. Die Auto- blasten besitzen keine Spur einersichtbaren inneren morpho- logischen Organisation, und haben bei Anwendung jeglicher Untersuchungsmethoden (Fixation und Färbung), das Aussehen gleichmäßig gefärbter homogener Körnchen!). Es ist daran nicht zu zweifeln, dass es verschiedene Arten von Autoblasten giebt, welche von einander sowohl nach ihren morphologischen, als auch physiologischen und biologischen Eigenschaften zu unterscheiden sind, — allein jene vergleichend morphologische Untersuchungsmethode, weiche jeder phylogenetischen Einteilung der Organismen zu Grunde liegt, und welche in genannten Organismen weiter nichts als homogene Körner (Bioblasten) anerkennen kann, zwingt uns alle die, möglicher- weise in der Natur sehr zahlreich vertretenen Arten der Monoblasta in einem Typus zu vereinigen, welcher als Typus der Autoblasta allen übrigen Typen der Organismen an die Seite gestellt werden muss. IV. Wie allbekannt, wird die Gesamtzahl der vielzelligen Organismen in mehrere selbständige Typen gegliedert, auf Grund dieser oder jener, jedem Typus eigenen Grundzüge der Organisation. Jetzt entsteht 1) Eine detailliertere Charakteristik des Typus der „Autoblasten“ liegt nicht in der Aufgabe dieser Skizze. Die Erforschung dieser allerein- fachsten Lebensarten, wie in morphologischer, so auch biologischer Hinsicht, gehört der nächsten Zukunft an. Vorläufig scheinen diese Organismen die Zoologen und teils auch die Botaniker noch verhältnismäßig wenig zu inter- essieren und ihr ganzes, sozusagen wissenschaftliches Schicksal befindet sich, kann man sagen, fast ausschließlich in den Händen der Bakteriologen-Mediziner, welche sie sehr einseitig, ausschließlich als Träger von Krankheitsformen unter- suchen und welche, da sie öfters, als Mediziner, zu ungenügend vertraut sind mit den Grundmethoden und Prinzipien der Naturforschung, kaum berufen sein könnten, einen bemerkenswerten Fortschritt in der Erforschung dieser Organis- men vom genannten Standpunkt aus anzubahnen. Andererseits, könnten aber auch viele Thatsachen, welche die sogen. medizinische Bakteriologie zu Tage gefördert hat, der weiteren Entwickelung der Biologie förderlich sein, wenn die Vertreter der normalen Biologie dieselben eingehender berücksichtigen würden, 520 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. aber die Frage, ob alle Polyblasta (Protozoa-Monoblasta) als ein einziger Typus allen übrigen Organismentypen gegenübergestellt wer- den können, wie es zur Zeit geschieht, oder ob in der inneren Organi- sation verschiedener Gruppen der „Polyblasta“ solche Züge in der Organisation zu vermerken seien, welche uns zwingen könnten die ganze Gruppe der Polyblasta in mehrere selbständige Typen zu zergliedern, welche den Typen der Vielzelligen an die Seite gestellt werden könnten. Die Prinzipien, welche die verwandtschaftlichen Be- ziehungen der Polyblasta bestimmen, müssen ja dieselben sein, wie bei Beurteilung der phylogenetischen Beziehungen der Polycellu- laria (Metazoa): Wir wissen aber, dass die Stellung eines vielzelligen Organismus im System bedingt wird durch den Charakter und den Grad der inneren Organisation, sowie durch seine ontogenetische Ent- wickelung. Ich beabsichtige nicht in dieser Skizze die Organisationen der verschiedensten Protozoen-Gruppen einer mehr oder weniger ein- gehenden, vergleichend anatomischen Würdigung zu unterziehen. Für unsere Zwecke genügt das von mir im Abschnitte II Gesagte. Aus diesem Abschnitte tritt deutlich und augenscheinlich genug ein Zug der Organisation hervor, welcher unbedingt an erster Stelle in Be- tracht gezogen werden muss, bei der phylogenetischen Würdigung der Polyblasta noch vor deren Einteilung in Klassen. Dieser charakte- ristische Zug der Organisation besteht im Fehlen, und sodann in der allmähligen phylogenetischen Entwickelung jenes morphologischen Ge- bildes, welches wir einen typischen Zellkern nennen. Der typische Zellkern, wie er in einer typischen Zelle er- scheint, ist das allerwichtigste Organ des Zellenorganis- mus. Es ist das Centralorgan, welches alle Lebensfunk- tionen der Zelle beherrscht, welches alle auf die Zelle ein- wirkenden und in der Zelle thätigen Impulse zentralisiert, und welches seinerseits eine Reihe von Impulsen entladet, und alle Hauptfunktionen der Zelle untereinander koordi- nierend, sozusagen das physiologische Gleichgewicht der Zelle unterhält. Der Tod des Kernes hat den Tod der gan- zen Zelle zur Folge. Gleichzeitig ist der Kern das Organ für noch eine wichtige spezielle Funktion, indem er dem In- teresse der Vermehrung der Zelle, d. h. der Erhaltung der Art dient. In Anbetracht dieser ungemein großen Bedeutung des Kernes im Leben des Zellen-Organismus, sind wir voll- kommen berechtigt in diesem Organ, in den verschiedenen phylogenetischen Entwickelungsstadien desselben, und endlich im vollkommenen Fehlen desselben, einen Organi- sationszug der Zelle von solcher Tragweite zu erblicken, vor welchem alle übrigen Organe und Differenzierungen der Zellorganisation eine untergeordnete, in phylogene- Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 521 tischer Beziehung viel weniger wichtige Bedeutung haben müssten!). Wenn nun alle uns bis jetzt bekannten Polyblasta (Protozoa) einen gleich entwickelten Kern, in den Hauptzügen von gleichem Baue und gleicher Differenzierung hätten, so wäre die Wissenschaft im Rechte, indem sie alle in einen einzigen Typus der „Protozoa“ zu- sammenfasst. Jedoch es giebt zweiffellos solche Organismen, welche keine Spur eines typischen Kernes besitzen. Eine andere Reihe von Organismen besitzt ein central gelegenes Organ, den sogen. „Central- körper“, welcher seinem Baue und seiner inneren Differenzierung nach einem typischen Kerne keineswegs entspricht, sondern nur eine Vor- stufe in der phylogenetischen Entwickelung eines typischen Kernes darstellt. Erst auf dem Wege einer weiteren Phylogenese hat sich dieses Gebilde in einen typischen Zellkern entwickelt, wobei die be- treffenden Organismen sich in typische Zellen herausgebildet haben. Folglich sind wir gezwungen, zuallererst alle die Organismen in eine selbständige Gruppe zu vereinigen, welche einen typischen Kern be- sitzen und welche sämtlich sich aus der Zelle als Urform, entwickelt haben, d. h. aus solch einer Urform, welche als letztes Glied der phylogenetischen Entwickelungsreihe der Polyblasta aufzufassen ist. Diese Gruppe schlage ich vor, auf Grund des Hauptzuges ihrer Or- ganisation (Das Vorhandensein eines typischen Kernes) „, Hunucleata“ zu nennen. Alle übrigen Polyblasta, welche aus solchen Urformen hervorgegangen sind, welche eine Reihe »hylogenetischer Zwischen- glieder darstellen zwischen dem Bioblast und der Zelle, müssen in zwei selbständige Gruppen geteilt werden, welche zwei selbständige Typen bilden. Der phylogenetisch ältere Typus von beiden umfasst alle diejenigen Organismen, welche überhaupt keinen Kern besitzen, und welche nicht einmal eine Spur eines „Centralkörpers“ erkennen lassen, sowie diejenigen Formen, in welchen besondere Chromatin- körner als Vorstufen der Kernehromatineytoblasten aufgefasst werden können. Alle diese, wie gesagt, einen Typus bildenden Organismen nenne ich „Anwueleata“. Alle diejenigen Organismen, welche einen sogen. „Centralkörper“ besitzen, d h. einen Prototypus des typischen Kernes, vereinige ich unter dem Namen ‚‚ Pseudonucleata‘‘. Was nun dieGruppe der Eunucleata betrifft, so hat in einer Reihe von Or- ganismen (den Infusorien), welche im übrigen vollkommen einer Zelle ent- sprechen, der Kern in morphologischer Hinsicht gewisse charakteristische Eigentümlichkeiten aufzuweisen: er hat sich in zwei Gebilde, in zwei Organe geteilt (Macronueleus und Micronucleus), welche einander com- 1) Die große Bedeutung des Kerns als eines Merkmals der phylogeneti- schen Entwickelung der Protozoa wird auch von solch einem eminenten For- scher, wieErnst Haeckel, anerkannt. Wie bekannt, vereinigte er alle kern- losen Organismen zusammen, welche, das Reich der „Protisten“ bildend, den übrigen Protozoa gegenüberstehen. 599 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. pensieren, und welche zusammen dem typischen Zellkern entsprechen. Gleichzeitig weisen einige Momente darauf hin, dass wir es in diesem Falle mit einem weiteren Schritte vorwärts in der phylogenetischen Entwickelung des Zellkernes zu thun haben. Dafür spricht auch die ganze Organisation der Infusorien, in denen die Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse ihre höchste Spannkraft erreicht haben, wodurch die ganze Organisation der Infusorien jenen eigenartigen charakteris- tischen Habitus bekommen haben, welcher sie scharf von allen übrigen einzelligen Organismen (Eunucleata) trennt. In Anbetracht dieser Umstände halte ich es für möglich, die Gruppe der Eunucleata (oder Monocellularia) in zwei vollkommen selbständige Typen zu trennen, in „Cellulopsida“, d. h. diejenigen Organismen, welche nach ihrer inneren Organisation der typischen Zelle am nächsten stehen, und in „Infusoria“. Das Gesagte kann in folgende Worte zusammengefasst werden: Auf Grund der Entwickelungsstufe des Kernes müssen alle Polyblasta in wer selbständige Typen geteilt wer- den: 1. Anuecleata, d. h. Organismen, welche keinen Kern besitzen; 2. Pseudonucleata, oder solche Organismen, welche einen sogen. „Centralkörper“ haben, d.h. ein Ge- bilde (Organ), aus welchem sich phylogenetisch der Kern entwickelt hat; 3. Cellulopsida, Organismen mit echtem, typischen Kern, und 4. Infusoria, in welchen der typi- sche Kern eine weitere phylogenetische Differenzierung erfahren hat, indem er sich in zwei selbständige Organe (Macronueleus und Mieronucleus) geteilt hat. Cellulopsida und Infusoria bilden zusammen eine Gruppe Eunueleata!), welche eine Zelle zu ihrer Stammform hat. Da wir mit dem Begriffe der Zelle die Vorstellung von einer morphologischen Einheit verbinden, welche eine Summe bestimmter und konstanter Züge der Organisation aufweist (siehe meine Skizze im Biolog. Centrlbl. Bd. XIX, 1899), so ist es klar, dass nur die Eunucleata (d.h 1) In meiner Skizze über die Bakterien (Was sind die Bakterien. Biolog. Centralbl. Bd. XVII, 1897) hatte ich mich der Benennungen Monera und Metamonera bedient, als schon in der Litteratur vorhandener. Aus einem Vergleiche mit dem dort angeführten Schema ist zu ersehen, dass der Typus der Autoblasten den Moneren entspricht, und der der Pseu- donucleata den Metamoneren. Indem ich nun in vorliegender Skizze andere Benennungen vorschlage, wurde ich durch die Ansicht geleitet, dieselben müssten den Hauptzug der Organisation jener Gruppe von Organismen deutlich zum Ausdruck bringen, welche durch die betreffende Benennung zu einer selbständigen Abteilung im System vereinigt werden. Dadurch wird die Existenzberechtigung der von mir vorgeschlagenen Benennungen zur Genüge gerechtfertigt. Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 525 Cellulopsida und Infusoria) sich phylogenetisch aus der Zelle herausgebildet haben, während diePseudonucleata, sowie Anucleata solche Organismen zuUrformen hatten, welche ältere phylogenetische Entwicklungsstufen der Zelle selbst darstellten. Deshalb haben auch nur die Eunucleata das Recht, im wahren Sinne des Wortes einzellige Organismen genannt zu werden. Alle übrigen Organismen, welche, wie wir ge- Monoblasta Polyblasta Polycellularia Ik II. Ur o ——— un 0 En — N j S i IS s SER Z . OS ® SO m. So» S 883 Sesasads S DEESUSSSREERS SI SO LSIIN Ss 8 & gS—IN SEEISESIESTSUSESESESESESES e SESES SEESISESISITESESESHSERBES SS ENSUSES SED TESEIRSEDESESISESESUD S SSS S SEIIIDSESESESESESESESEN S SEO SEELE IESUSEESESHIESADTSETESNS S S_9,© S STSTRIFTS DEDEONDTST,D SS SAD SS WO SASSONYJEOB 1 2 13 1% e 6 s fo Fo fun 6) © 6 Cellula © © d BioblastorL sagt haben, drei selbständige Typen bilden, müssen aus ihrer gegen- seitig untergeordneten Stellung genommen werden und müssen als aus besonderen Urformen entstanden gedacht werden, da sie ja nach ihrer Organisation durchaus nicht der Vorstellung von wirklich einzelligen Organismen entsprechen, und vollkommen willkürlich, ohne jegliche, wie es sich erweist, kritische Beweisführung in eine einzige Gruppe 5924 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. der Protozoa eingezwengt wurden, welche alle aus einer Urform entstanden sein sollten. Die von mir vorgeschlagene Klassifikation der sogen. Protozoa stört im Wesentlichen die Einheitlichkeit jener Gruppen oder Klassen, in welche gegenwärtig diese große Abteilung der Organismenwelt ein- geteilt wird. Verschiedene Formen, welche gegenwärtig zu dieser oder jener Klasse gerechnet werden, müssen teils in besondere Grup- pen ausgeschieden, oder in andere Klassen eingereiht werden. So z. B. eine Reihe von zur Klasse der Rhizopoda gehöriger Formen teils in den Typus der Pseudonucleata, teils der Anucleata. Gleichzeitig muss die Einteilung der Rhizopoda in Klassen und Unter- klassen eine nicht unwesentliche Veränderung erfahren, denn es scheint im Grunde kaum gerechtfertigt zu sein, sozusagen die gleich- berechtigte Nebeneinanderstellung solcher Gruppen, wieProteomyxiae, Mycetozoariae oder Amoebia einerseits, und Radiolaria oder gar Heliozoariae andererseits. Es wird wahrscheinlich auch eine Reihe von Formen aus der Klasse der Sporozoa ausgeschieden wer- den müssen, um sie sogar in einen anderen niedrigen Typus einzu- reihen. Jedoch alle diese Umstände dürfen uns keineswegs willkür- lich erscheinen lassen, da ja die Mehrzahl derartiger Organismen ihrer Organisationnach noch-wenig erforschte Formen darstellen, welche eigent- lich nur auf Grund untergeordneter Merkmale zu dieser oder jener Klasse gerechnet werden, oder gar nur ihrer äusseren Form nach: denn sie müssen ja doch irgendwo untergebracht werden? Der größte Teil der Protozoa geht seiner gegenseitigen phylogenetischen Ver- wandtschaftsbeziehungen und ihrer Angehörigkeit zu einer gemeinsamen Abteilung der Organismen nicht verlustig. Der größte Teil der Rhi- zopo.da, der überwiegend größte TeilderSporozoa, der Flaglellata, und die ganze Klasse der Infusoria, bilden alle zusammen eine Gruppe der Eunucleata, oder Monocellularia d. h. im wahren Sinne des Wortes einzellige Organismen, wobei diese Gruppe, wie schon gesagt, in zwei selbständige Typen zerfällt, 1. in „Cellulopsida“ und 2. „Infusoria“!). Ich glaube, dass in Anbetracht der unge- mein großen biologischen Bedeutung des von mir hervorgehobenen 1) Was die Klassifikation der zum Pflanzenreiche zählenden Organismen anbelangt, so muss natürlich dasselbe gesagt werden. Schon aus meiner oben angeführten Skizze über die Bakterien (l. ce.) ist ersichtlich, wie willkürlich und künstlich die ganze Gruppe der Bakterien aufgestellt ist. Alle hierher gerechneten Organismen müssen unter drei, oben charakterisierte Typen (Monoblasta, Anucleata und Pseudonucleata) verteilt werden. Weiter- hin weisen die bis jetzt bekannten Litteraturangaben über den Bau der nie- drigsten Algen, der sogen. Cyonophyceae, darauf hin, dass diese Organis- men dem Typus Pseudonucleata angehören, wobei sie die am höchsten entwickelte Klasse desselben bilden. Przibram, Experimentelle Studien über Regeneration. 595 Organisationszuges der sogen. Protozoa, mein Versuch, einen tieferen Ein- blick in die phylogenetischen Beziehungen dieser Organismen zu einander zu gewinnen, vollkommen gerechtfertigt ist. Dass die durch verschiedene Stufen der Komplikation seiner morphologischen Struktur zum Aus- druck gelangende phylogenetische Entwickelung des Kernes, als wichtigster Grundzug der Organisation dienen muss, welcher uns dazu zwingt, die anscheinend untrennbare große Abteilung der Protozoa, in mehrere selbständige, phylogenetisch ungleichwertige Gruppen oder Typen aufzulösen, — folgt nieht nur aus einer vergleichend morpho- logischen Würdigung der sogen. einzelligen Organismen, sondern auch aus einer Reihe von Thatsachen aus dem Gebiete der Physiologie und Pathologie der Zelle, aus einer Reihe Nebenbeweise, und rein theoreti- scher Kalkulationen. Es muss natürlich zugegeben werden, dass unsere gegenwärtigen Kenntnisse von der feineren morphologischen Organi- sation aller jener Gebilde, welche alle noch ohne jegliche Kritik für echte Kerne gehalten werden, noch lange nicht genügend sind. Dieser Umstand darf uns jedoch nicht merkwürdig erscheinen, da ja der feinere Bau sogar echter typischer Kerne erst vor kurzem mehr oder weniger deutlich erkannt wurde; außerdem hindert noch der Begriff von der morphologischen Unteilbarkeit der Zelle, welcher noch bis jetzt die Gelehrten im Banne hält, erheblich eine richtige Würdigung der vergleichend morphologischen Thatsachen. Ich habe nicht die Möglichkeit in dieser Skizze einen tieferen Einblick in die intimeren phylogenetischen Verwandtschaftsbeziehungen der sogen. Protozoa zu thun. Meine Absicht war nur auf den, meiner Ansicht nach allerwichtigsten, Grundsatz der Organisation der Protozoa hinzuweisen, dessen volle Tragweite und ganze Bedeutung bis jetzt nicht genügend anerkannt wurde!). (Schluss folgt.) Experimentelle Studien über Regeneration. (Vorläufige Mitteilung.) Von Hans Przibram (Wien). Dank der Verleihung eines Arbeitsplatzes durch das k. k. öster- reichische Ministerium für Kultus und Unterricht gelang es mir an der 1) Auf der Tafel (S. 523) habe ich den phylogenetischen Urspruug jener fünf Typen abgebildet, in welche ich die bis jetzt für einheitlich und un- teilbar gehaltene große Gruppe der Protozoa zergliedere. Der Uebersicht- lichkeit wegen habe ich diese Typen den Typen der Viellzelligen (M etazoa) gegenübergestellt, wobei ich dabei eine der neueren Klassifikationen verwendete, die Klassifikationen von Prof. W. Schimkjewitsch und N. Poleschajeff. (W.Schimkjewitsch, Versuch einer Klassifikation desTierreichs. Biol. Centrlbl. Bd. XI, Nr. 9—10, 1891. — W. Schinkjewitsch und N. Poleschajeff, Grundriss der Zoologie der Wirbeltiere, Heft], 1594 H2 172 ur IE], 1892, Russisch). 526 Przibram, Experimentelle Studien über Regeneration. Neapler Zoologischen Station während der Monate Jänner bis Juni 1900 ein beträchtliches Material zum Studium der Regeneration zusammen- zubringen. Die ausführlichen Arbeiten möchte ich im Archiv für Ent- wicklungsmechanik veröffentlichen, und hier, da die Verarbeitung längere Zeit erfordern wird, nur die interessantesten Thatsachen zu- sammenstellen. I. Crustaceen. 1. Total exstirpierte Gliedmaßen (d. h. inklusive IT. Coxalglied) regenerieren bei Palaemon ebenso, wie solche, die an der präformierten Bruchstelle oder distal derselben (vergl. meine früheren Angaben, Arb. d. Zool. Inst. Wien, XI, Fig. 37) abgeschnitten werden. 2. Die Maxillipede (des dritten Paares) der Brachyuren und ähnlicher Dekapoden (Portunus, Careinus, Pilumnus, Dro- mia, Porcellana, Gallathea) werden zunächst in einer schreit- beinähnlichen Form (Richard’s Monstruosites, Ann. d. sc. nat. 7 ser. zool. 15. 1893. p. 99) regeneriert, welche nach weiterer Häutung in die normale Form wieder übergeht. 3. Die Scheren von Al/pheus (dentipes, platyrrhynchus ruber) können durch Amputation der größeren „Schnaltz- schere“ vertauscht werden, da in diesem Falle die kleinere „Zwickschere“ nach Häutungen die Form und Größe der amputierten annimmt, während die ehemals größere Schnaltz- schere nunmehr in der Form (und Größe) einer Zwickschere nachwächst. (Coutiere „quelques cas de r&generation hypo- typique chez Alpheus“, Bull. Soc. Ent. France 1898 p. 248, sprach offenbar in Umwandlung zur Schnaltzschere begriffene Zwickscheren als regenerierte Schnaltzscheren an.) Crinoiden (Anteden). 1. Armpaare sind im stande, neue Scheibenteile und Armpaare zu regenerieren, so lange sie nicht bei der Operation in die einzelnen Arme auseinanderfallen. Trotzdem scheint das Tier stets zu Grunde zu gehen, wenn mit der Kelchbasis das Zentralnervensystem entfernt, die übrigen Teile (Scheibe, Armpaare) im Zusammenhang belassen werden. 2. Die Scheibe kann, obzwar es nicht gelungen ist, sie ohne Kelch längere Zeit am Leben zu erhalten, die abge- schnittene Afterpapille regenerieren, sowie ganz abgelöst wieder auf dem Kelche festwachsen. Letzteres ergiebt eine bequeme Methode zur Transplantation, indem Scheiben von anders färbigen Individuen eingesetzt werden können ; die Tiere halten die fremde Scheibe ebenso wie die eigene früher mit den Basaltentakelehen der Armpaare fest. Ein Einfluß der Farbe der implantierten Scheibe auf nachträglich abgeschnittene und in Regeneration befindliche Arme konnte nicht bemerkt werden. Imhof, Multiocelläres geflügeltes Insekt. 527 Multiocelläres geflügeltes Insekt. Von Dr. phil. Othm. Em. Imhof. Die Mehrzahl der Insekten haben 2 zusammengezetzte und da- zwischen meist am oberen Stirnrand 3 einfache Augen. Vor einiger Zeit fand ich ein kleines 2flügeliges Insekt, beide Ge- schlechter geflügelt, das mehr als 5 Sehwerkzeuge besitzt. d 2 Paare große Ocellen, 1 Paar kleine Ocellen, also 6 Augen. P 1 Paar kleine Augen mit anscheinend wenighügeliger Oberfläche, 2 Paare große Ocellen, 3 Paare kleine Ocellen, Total 12 Augen. Besonders interessant ist die Lage des einen Ocellenpaares beim Männchen und Weibchen, nämlich auf der Unterseite des Kopfes, beim Männchen nahe hinter dem Vorderrand, beim Weibchen nahe dem Hinterrand. Beim Weibehen liegen außer diesen 2 großen Ocellen jederseits derselben noch 2 kleine Ocellen. Die dritte kleine Ocelle ist am Rande des Kopfes. Es bilden diese 3 Ocellen einen Kranz von Sehorganen auf der Unterseite des Kopfes. Die Antennen sind 10 gliedrig, die distalen 8 Glieder eylindrisch, dünn, am Endglied 3 am Ende erweiterte Sipnesborsten tragend. Beine schlank, Tibien mit 1 Enddorn. Nur 1 Tarsenglied, am Ende mit 4 gleichen Sinnesborsten, 2 obere und 2 untere, wie an den Antennen, ist vorhanden und eine einfache kräftige Klaue. Das dreiaderige Flügelpaar hat an der Basalecke eine grubige Bildung. An Stelle der Hinterflügel ist ein kolbiges Gebilde, am Ende mit 2 biegsamen Fadenanhängen, die in das Grübchen eingelegt wer- den, es scheint demnach als wirkliches Halteorgan zu funktionieren. Eine ähnliche Organisation haben die Aphidenflügel. Das Weibchen hat eine lange Legeröhre mit innerem vorstülpbaren Schlauch. Mundwerkzeuge konnte ich nicht entdecken; es scheint ein ein- facher Saugmund zu sein. Die systematische Zugehörigkeit verlangt wohl eine besondere Familie, ich stelle vorläufig das Genus Pollyocellaria auf. Genauere Beschreibung und Abbildungen werden bald folgen. Vielleicht hat dieses Insekt mit Ortheria cataphracta Shw. (Fig. 16 auf Tafel XV der Transactions of the entomological Society, London), von Douglas, entdeckt von Norman, zu thun. Windisch, Aargau, 4. Juli 1900. 598 M. Berthelot. M. Berthelot. Chaleur animale. Principes chimiques de la production de la chaleur chez les &tres vivants. I. Notions gen&rales. XVI und 169 Seiten in 16. — II. Donnöes numeriques. 143 Seiten. Paris. Masson et Cie., &diteurs; Gauthier-Villars, imprimeur-€editeur. Ohne Jahreszahl. Unter dem Gesamttitel „Eneyclop& die scientifique des aide-m&emoire, publice sous la direction de M. L&aute, Membre de l’Institut“, sind eine Anzahl hand- licher Bändchen über die verschiedensten Gebiete des Wissens erschienen. Das Verzeichnis weist in zwei Abteilungen, Section de l’ingenieur und Section du biologiste, mehr oder weniger bekannte Verfassernamen auf. Das Werkchen, auf welches wir hiermit aufmerksam machen wollen, stammt aus der Feder des berühmten Chemikers Berthelot. Es behandelt einen Gegenstand, welcher für den Physiologen wie für den Ohemiker und Physiker von hohem Interesse ist, und zu dessen Aufklärung der Verfasser so manchen wertvollen Beitrag ge- liefert hat. Seitdem Lavoisier durch seine Arbeiten (1775—1783) den Nachweis er- bracht hat, dass die tierische Wärme durch Oxydation mittels des eingeatmeten Sauerstoffs ensteht, haben sich viele Forscher mit dem Problem beschäftigt. Wir wissen jetzt, dass es sich nicht bloß um eine Vereinigung von Kohlenstoff und Sauerstoff handelt, sondern dass komplexe Molekeln von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten der Oxydation unterliegen, Wir wissen ferner, dass die Oxydation nicht, wie Lavoisier zuerst annahm, in den Lungen stattfindet, son- dern in allen Geweben und an verschiedenen Stellen des Tierkörpers mit ver- schiedenen und häufig wechselnden Intensitäten. Die kalorimetrischen Mes sungen von Dulong, Despretz u. a. suchten unter der Annahme, dass neben dem Kohlenstoff auch der in den Gewebsbestandteilen enthaltene Wasserstoff durch seine Oxydation zur Wärmeproduktion beitrage, größere Uebereinstimmung zwischen den durch das Kalorimeter gefundenen und den aus den Respirations- produkten berechneten Wärmewerten zu erzielen. Da sie aber die volle Ver- brennungswärme des freien Wasserstoffs ihren Rechnungen zu Grunde legten, ohne auf den Umstand Rücksicht zu nehmen, dass dieser Wasserstoff an andere Elemente der organischen Stoffe gebunden ist, mussten ihre berechneten Werte zu groß ausfallen. Erst die Fortschritte der Thermochemie, zu deren Anbah- nung der Verfasser des vorliegenden kleinen Buches nicht zum wenigsten bei- getragen hat, ermöglichten eine genauere Verfolgung des Prozesses der Wärme- produktion in den Organismen. Das erste Bändchen des neuen Werkes Berthelot’s zerfällt in vier Kapitel. Im ersten werden die Grundlehren der Thermochemie dargelegt; es bespricht die Wrämeproduktion der Lebewesen im Zustand des Stoffwechselgleichgewichts, bei Arbeitsleistung, bei Ueber- und Unterernährung u.s. w. Das zweite Kapitel behan- delt die Messung der durch Aufnahme des Sauerstoffs ins Blut produzierten Wärme (Bildungswärme des Oxyhämoglobins). Im dritten werden die Untersuch- ungen des Verfassers über die Bildungswärme und über die Verbrennungswärme des Harnstoffs mitgeteilt; im vierten an dem Beispiel der Zuckerbildung die Grundprinzipien thermochemischer Berechnungen der im tierischen Organismus sich abspielenden Prozesse erörtert. Ueberall beschränkt sich der Verfasser auf die chemischen und thermochemischen Probleme, ohne auf die eigentliche physiologische Seite derselben im weiteren Sinne eiuzugehen. Das zweite Bändchen enthält die numerischen Daten der Messungen?nebst kurzen Andeutungen der zu ihrer Feststellung benutzten Methoden. Im ersten Kapitel wird die Verbrennungswärme des Kohlenstoffs abgehandelt, im zweiten die Bildungswärme des Wassers und einfacher Mineralstoffe, die Verbrennungs- wärme der Kohlenhydrate und Fette, im "dritten die Verbrennungswärme der Amide, Amine, Nitril ete., im vierten die der Proteinstoffe, alles auf Grund eigener oder unter Leitung des Verfassers ausgeführter Untersuchungen. So wird das kleine Buch den Physiologen ein gutes Hilfsmittel bieten, um auf sicherer Grundlage weitere Forschungen anstellen zu können. Bu Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. r. 16. Inhalt: Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. — G. Sehlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia, — von Linden, Die Färbung und Zeich- nung der Landplanarien. 15. Aug. 1900. Ueber einige wichtige Fragen der pathologischen Pflanzen- anatomie. Von Ernst Küster. Die nachfolgenden Zeilen sollen sich zwar vorwiegend mit der Anatomie der Gallen und den Aufgaben, die uns diese stellt, befassen; gleichwohl glaubte ich im Titel ganz allgemein von pathologischer Pflanzenanatomie sprechen zu dürfen, da die Gallenanatomie nicht nur einen der wichtigsten Abschnitte aus der pathologischen Pflanzenana- tomie darstellt, sondern auch die Probleme, die uns bei Untersuchung der Gallen begegnen, auch anderen Gebieten der pathologischen Pflan. zenanatomie nicht fremd sind und nur bei gleichzeitiger Berücksichti- gung dieser behandelt werden sollten. Einige dieser Fragen möchte ich in den vorliegenden Blättern be- sprechen und mit diesen gleichzeitig einen Auszug aus einer anatomi- schen Arbeit geben, die ich kürzlich an anderer Stelle veröffentlicht habe!). Einige der daselbst besprochenen Fragen sollen hier wiederum gestreift werden, andere in etwas ausführlicherer Form als dort zur Sprache kommen. : Die brauchbarste Definition des Begriffs der Galle hat uns Thomas?) gegeben, der für ein Cecidium „jede durch einen Parasiten veranlasste 4) Küster, „Beiträge zur Anatomie der Gallen,“ Flora, 1900. Bd. 78. PART. 2) Thomas: „Zur Kenntnis der Milbengallen und Gallmilben: Die Stellung der Blattgallen an den Holzgewächsen und die Lebensweise von Phytoptus“. Giebels Zeitschr. f. ges. Naturwiss. 1873. Bd. XXXXII, p. 513. xXX, 54 530 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. Bildungsabweichung der Pflanzen“ erklärt. „Das Wort Bildung“, fährt Thomas fort, „ist in dieser Erklärung zugleich im Sinne des Prozesses (also aktiv), nicht nur seines Resultates zu nehmen. Eine abweichende Form zeigt jedes von einer Raupe angefressene oder minierte Blatt. Solehe Veränderungen wird niemand den Cecidien beigesellen. Zur Natur der letzteren gehört die aktive Teilnahme der Pflanze, die Re- aktion derselben gegen den erfahrenen Reiz.“ Folgen wir der von Thomas gegebenen Definition, so werden wir gewiss eher zu viel als zu wenig unter dem Sammelbegriff der „Galle im weitesten Sinne des Wortes“ vereinigt finden. Wenn wir beispiels- weise die von Minierraupen oder Minierkäfern bloßgelegten Teile des Blattgewebes, die von Käfern, Schnecken u. dergl. geschaffenen Wund- ränder irgend welcher Pflanzenteile auf den erfahrenen Reiz mit irgend einer abnormen Gewebebildung antworten sähen, so würden wir nicht von „Gallen“ sprechen dürfen, wenn auch dazu die eben erwähnte De- finition zu nöthigen scheinen könnte. Wir würden bei Bildungen der besagten Art von Vernarbungsgeweben, von Callus u. dergl. reden, nicht von Gallen. Eine neue Anregung, die Gallen mit „Morphosen“ anderer Art zu vergleichen, bringt die kürzlich erschienene Arbeit von Appel „über Phyto- und Zoomorphosen“!). „Für die Bedürfnisse der Physiologen“, sagt Appel, „wäre es zweckmäßig, das Wort Morphose auch auf die durch Tiere und Pflanzen hervorgerufenen Reizerscheinungen anzuwen- den und den Sachs’schen Photo-, Bary-, ete. Morphosen die Zoo- und Phytomorphosen beizufügen. Man hat damit noch den Vorteil, schon aus dem Wort zu erkennen, um was es sich eigentlich handelt“ ?). Es ließe sich hiergegen gewiss mit Recht einwenden, dass die „Zoo- und Phytomorphosen“ doch nicht ganz in die Gesellschaft der Photo-, Bary-, Chemo- und anderer Morphosen als diesen koordinierte neue Serie passen. Bei letzteren sind es irgend welche physikalische oder cehe- mische Reize, welche die Bildung der Morphose veranlassen, bei den Z00- und Phytomorphosen sind es Tiere oder Pflanzen, die zu bestimmten Bildungen anregen, ähnlich wie im Laboratorium der Experimentator durch bestimmte Reize Mechano-?), Chemo- und andere Morphosen an seinen Versuchspflanzen hervorruft. Eben darum scheint mir, dass eine Parallelstellung der Zoo- und Phyto- mit den genannten anderen Mor- 1) Inaugural-Dissertation 1899, Königsberg. 2) 3.2.0. p. 8. 3) Ich nehme den Ausdruck „Mechanomorphose“ hier und im folgen- den in einem engeren Sinne als Sachs („Physiologische Notizen VII: Mechano- morphosen und Phylogenie“, Flora Bd. 78, 1894, p. 215), und fasse der Kürze wegen als Mechanomorphosen die nach Einwirkung mechanischen Druckes oder Zuges entstandenen Bildungen (s. Herbst, „Ueber die Bedeutung der Reiz- physiologie, II.“ Biol. Centralbl. Bd. XV. S.-A. p. 739), sowie die auf Be- rührungsreize und Verwundungen hin entstandenen zusammen, Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 931 phosen einer konsequenten Terminologie widerspricht und der Kompli- kation von Reizwirkungen, wie sie der Gallenbildung vorausgehen» nicht genügend Rechnung trägt. Wohl aber sehe ich einen Vorzug der Appel’schen Bemerkungen darin, dass sie zu einem Vergleich der Gal- len mit anderen normalen oder anormalen Bildungen am Pflanzenkörper, über deren veranlassende Reize wir durch experimentelle Untersuch- ungen mehr oder weniger gut unterrichtet sind, auffordern. — Unsere Kenntnis von der Entstehung der Gallen, bezw. den für ihre Entstehung verantwortlichen Reizen sind zwar immer noch ungemein lückenreich, immerhin scheint so viel sicher, daß chemische Reize bei ihrer Bildung die Hauptrolle spielen: ich erinnere an die interessanten Versuche von Beyerinck!). Andererseits liegt kein zwingender Grund vor, physikalischen (mechanischen) Reizen jede Bedeutung für die Gallenbildung abzusprechen. Wenn auch für zahlreiche Gallen nach- gewiesen ist, dass bei der Infektion das betreffende Organ der Mutter- pflanze von dem Insekte nicht verletzt wird), so ist das Gegenteil für viele andere Gallen ebenso sicher bekannt. Abgesehen von dem bei der Verwundung unvermeidlichen Reiz wird für die jugendliche Galle vielleicht auch der Berührungsreiz, der von der umherkriechenden Gallen- lemosonen ausgeht, der Reiz, der beim Benagen der inneren Gallenteile ausgeübt wird u. a. m. hierbei in Rücksicht zu ziehen sein. Wenn bei der Gallenbildung mechanische und chemische Reize thätig sind, so wird die Galle selbst in ätiologischer Hinsicht als eine Verquiekung von Mechano- und Chemomorphose?) zu deuten sein. Wären wir über die Art der Reize, die vom Insekt ausgehen, und über die Reaktionsfähigkeit der betreffenden gallenerzeugenden Pflanzenteile aufs genaueste unterrichtet, so könnten wir jede „Zoo-“ oder „Phyto- morphose“ in ihre mechano- und chemomorphotischen Komponenten zer- gliedern. Kurzum, die Zoo- und Phytomorphosen sind unter den großen Rubriken der Mechano- und Chemomorphosen bereits inbegriffen und haben keinen Anspruch darauf, coordinirt mit diesen als eine oder zwei neue Klassen von Morphosen den vorhandenen angereiht zu werden. Die Frage, die sich hiernach ganz von selbst stellt, ist die, ob die von Pflanzen oder Tieren erzeugten Gallen nicht wenigstens für eine bestimmte, scharf abgegrenzte Art von Mechano- bezw. Chemomorpho. sen werden gelten dürfen, und wie wir sie event. als solche am besten definieren. 1) Beyerinck, „Ueber das Cecidium von Nematus Capreae an Salix amygdalina“. Bot. Ztg. 1888, p. 1. 2) Vergl. Beyerinck, „Beobachtungen über die ersten Entwicklungspha- sen einiger Cynipidengallen“. Amsterdam 1882, p. 70 Anm. 3) Wer die noch problematischen physikalischen Reize vernachlässigen will, wird die Gallen zu den Chemomorphosen schlechthin zu stellen haben, (Vergl. Herbst, a. a. O. p. 742, d. S.-A.). 532 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. Die ätiologische Fassung des Gallenbegriffs, der sich Thomas an- schließt, halte ich, wie bereits angedeutet, für unzulänglich. Aehnlich scheint Appel hierüber zu denken. Im Kapitel über „gallenerzeugende Pflan- zen“ lesen wir: „Die von phanerogamen Pflanzen . . . hervorgerufenen Morphosen haben keine besondere Bedeutung, da sie eine Differenzie- rung ihrer äußeren Gestalt nicht aufweisen. Auch ist ihre Gestalt nicht von dem Erzeuger abhängig, sondern charakterisiert sich einfach als Wucherung der betroffenen Gewebe, wodurch sie eine nahe Verwandt- schaft mit den Mechanomorphosen, wie diese sich besonders in der Wundholzbildung ausdrücken, erhalten“). Gleichwohl sind nach dem- selben Autor die Mistel und die meisten anderen phanerogamen Pa- rasiten zu den Gallbildnern zu stellen ?). Die Frage bleibt unbeantwortet, warum Gallen dieser Art den Me- chanomorphosen sich nähern, war um sie aber nicht mit ihnen identisch sind. Ist der Unterschied zwischen „Mechanomorphosen“ und „echten“ Gallen »ur ätiologischer Natur? Ich glaube, dass man bei der Definition des Gallenbegriffs nicht allein ätiologische Gesichtspunkte berücksichtigen darf, sondern auch dem teleologischen sein Recht werden lassen muss. — Gallen sind nach meiner Auffassung diejenigen von fremden Organismen angeregten(Mechano undChemo-)Morphosen, welche als zweckmäßig fürden fremden Organismus, aber gleichgültig oder unzweckmäßig für den gallentragen- den Organismus sich erkennen lassen. Bei Bildungen, die auch für den die Morphose produzierenden Organismus zweckmäßig funk- tionieren, sprechen wir von mutualistischer Symbiose?) ; Bildungen, die dem infizierenden Organismus gleichgültig sind, rechnen wir zu den Mechanomorphosen oder Chemomorphosen schlechthin. Aus Gründen, von welchen bereits oben die Rede war, scheint mir die soeben behandelte Definition des Gallenbegriffes vorteilhafter als die von Thomas gegebene. Die Vorteile der ersteren -werden den Theoretiker vielleicht mehr interessieren als den Praktiker. Mit Recht könnte man gegen die auf teleologische Gesichtspunkte sich begründende Definition einwenden, dass sie eine völlig scharfe Schei- .dung der Gallen von andern Bildungen nicht gestattet. Ich möchte diesen naheliegenden Vorwurf schon selbst vorweg nehmen. In der That finden 1) a. a.0.p. 35. 2)72. 8.00 0D. X: 3) Niemand wird es wohl für angängig halten, Cora u. s. w. für Gallen des von Möllers Untersuchungen her bekannten Pilzes zu halten. („Ueber die eine Thelephoree, welche die Hymenolichenen Cora, Dictyonema und Lau, datea bildet“. Flora Bd. 77, 1893, p. 254). Ebenso wenig scheint mir ein Grund vorzuliegen, die „Cephalodien“ der Flechten zu den Gallen zu schlagen. Vergl. hierüber Maslongo: „Sopra un probabile nuovo tipo di galle*, Bull. Soc. Bot. Ital. 1899. Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 535 wir Uebergänge zwischen Galle und „Nichtgalle“, ein Umstand, der dem Praktiker lästig sein, den Theoretiker aber nicht überraschen kann. Wir werden sogleich auf diese „Uebergangsformen* zurück kommen, — zunächst möchte ich aber noch ein paar Bemerkungen allgemeiner Natur vorausschicken. II. Wir sprachen oben davon, dass die Anatomie der Gallen zur patho- logischen Pflanzenanatomie zu schlagen sei und nannten jene einen ihrer wichtigsten Abschnitte. Nachträglich werden noch einige Worte über Begriff und Auffassung des Pathologischen am Platze sein. Jede Form, die nicht zur Norm gehört, jede Bildung, die bei un- gestörter Entwieklung eines Organismus nicht anzutreffen ist, wird im allgemeinen als pathologisch bezeichnet. Pathologisch und abnorm sind vielfach als gleichwertige Begriffe im Kurs. In den Lehr- und Hand- büchern der Pathologie werden die abnormen Vorgänge, die sich bei der Wundheilung ete. abspielen — Vorgänge, deren „Zweckmäßigkeit“ nicht in Frage kommen kann, — neben typischen „Krankheitserschei- nungen“ besprochen, neben Vorgängen, deren Charakteristikum wir in ihrer „Unzweckmäßigkeit“ suchen, die den „Zwecken“ des Organismus zu- wider laufen. Die Betonung des teleologischen Standpunktes könnte uns somit zu einer Unterscheidung zwischen anormalen und pathologischen Vor- gängen führen: der Begriff des Anormalen müsste alsdann der weitere sein und den des Pathologischen mit umschließen. Vernarbungsvorgänge z. B. würden wir zu den anormalen, nicht zu den pathologischen stellen, die Bildung der Nodositäten an den von Phyloxera heimgesuchten Wurzeln des Rebstockes würden wir als eine pathologische ansprechen. Ich glaube, dass eine solche Scheidung sehr wohl ihre Berech- tigung hat, wenn auch für den praktischen Bedarf des Lehrbuches sie kaum verwendbar ist. Wie immer beim Definieren und Klassifizieren stören uns auch hier die ungezählten „Uebergangsformen‘“ in unseren Bemühungen um reinliche Scheidung. Eine auf teleologischen Anschauungen basierende Deutung von Krankheitsvorgängen ist in den letzten Dezennien wiederholt von ver- schiedenen Pathologen gegeben worden: die von ihnen vertretene neue Auffassung, die aus „pathologischen“ Vorgängen die zweckmäßige Re- aktion des affizierten Organismus herauslas, ist besonders energisch und, wie mir scheint, glücklich von Leber verfochten worden; ferner verweise ich auf die Arbeiten von Ackermann, Metschnikoff, Neumann!) u. a. Sehr gemäßigt uud besonnen spricht sich Ziegler 4) Neumann: „Ueber den Entzündungsbegriff*. Zieglers Beitr. z. path. Anat. ete. Bd. V, 1889 p. 347. Daselbst auch Hinweise auf die ältere (L. W. Sachs) und neue Litteratur (Metschnikoff, Marchand, Grawitz u. a... — 534 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. über die in Rede stehende Auffassungsweise aus. In seinem bekannten Vortrag „Ueber die Zweckmäßigkeit der pathologischen Lebensvorgänge“ lesen wir!): „Es ist in keiner Weise in Abrede zu stellen, dass von den im Gefolge schädlicher Einwirkungen eintretenden Lebenserschei- nungen ein Teil nützlich ist und zur Heilung der entstandenen Schä- digung führt, allein es ist daraus noch nicht zu entnehmen, dass be- stimmte Lebensvorgänge unter allen Umständen zweckmäßige sind oder dass die zur Heilung führenden Prozesse durchgehends in der zweckmäßigsten Weise sich vollziehen und nicht von unzweckmäßigen begleitet sind.“ ... „Die Lebensvorgänge bei den verschiedenen In- fektionskrankheiten werden gewöhnlich lediglich vom Standpunkt des menschlichen Interesses beurteilt, indem man nur das für zweckmäßig und nützlich hält, was den Interessen des Menschen dient. Eine natur- wissenschaftliche Betrachtung derselben erfordert indessen eine objek- tivere Beurteilung, und man wird sich auch die Frage vorlegen müssen, ob nicht die pathologischen Lebensvorgänge zum Teil den Interessen der im Körper sich vermehrenden Parasiten dienen.“ — Hier verweist Ziegler auf das Beispiel der Gallen. — „Es ist wahrscheinlich, dass auch manche Erscheinungen des kranken Lebens beim Menschen nicht dem Menschen, sondern dem Parasiten, welcher die Krankheit verur- sacht, förderlich sind, und,es muss diese Möglichkeit selbst bei Vor- gängen, die wir im allgemeinen als für uns nützlich ansehen, ins Auge gefasst werden?).“ Kehren wir nunmehr zu den Gallen zurück. Wir sagten bereits im ersten Abschnitt, dass wir nur diejenigen Bildungen als Gallen ansprechen wollten, die für den Parasiten zweck- mäßig, und unzweckmäßig für den infizierten Organismus sind, und wir nannten soeben die Gallen als Beispiel für unzweifelhaft patho- logische Bildungen. Die „Uebergangsformen“, von welchen bereits die Rede war, werden diejenigen sein, bei welchen wir im Zweifel sind ob sie vielleicht zweckmäßige Reaktionen der Wirtspflanze darstellen, ähnlich wie manche der entzündlichen Gewebsproliferationen, von welchen eben zitatweise die Rede war. Marchand sieht in der entzündlichen Proliferation der Gewebszellen „den Aus- druck einer in der Natur der Organismen begründeten Eigenschaft, dass alle Ursachen, welche in irgend welcher Weise die normale Gleichgewichtslage stö- ren, gleichzeitig auch Veränderungen hervorrufen, welche geeignet sind, die Störungen auszugleichen“ (Zieglers Beitr. Bd. IV). — Ganz allgemein erklärt Ackermann („Mechanismus und Darwinismus in der Pathologie“, 1884) jede Krankheit für eine Funktion des Körpers „mit der Tendenz, seine Integrität zu erhalten“. — Die Deutung des Fiebers als eines zweckmäßigen Zustandes ging meines Wissens von Cohnheim aus; ich will auf die Details dieser Streit- fragen hier nicht näher eingehen. 4) Münchn. Mediz. Wochenschr. 1896 Nr. 43 p. 1037. 2) a. a. O. p. 1040, Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 535 Man hat ja versucht, die Gallen in Bausch und Bogen für Bil- dungen zu erklären, die für die Wirtspflanze zweckmäßig wären: die infizierten Gewebe kapseln den Schädling ein und sollten ihn zum Nutzen der Wirtspflanze in einer Gewebeprotuberanz, einem Gallapfel isolieren. Der Wunsch, in allen Erscheinungen am Pflanzenkörper nur zweckmäßige Reaktionen des Organismus zu finden, ist hier vielleicht der Vater des Gedankens gewesen. Die Betrachtung vornehmlich der hoch organisierten Gallen lehrt aber, wie mir scheint, zur Evidenz, dass die Gallen auf jeden Fall und in jedem Sinne pathologische Bil- dungen darstellen. Gleichwohl giebt es Formen, bei welchen die Verhältnisse nicht so durchsichtig und klar sind: ich denke an manche der einfach organi- sierten Gallen, wie sie z. B. durch Pilze häufig erzeugt werden. Ihre Merkmale sind vielfach nur negativer Art: Ausbleiben der Skleren- ehymbildung u. s. w. Daneben fällt der Stärkereichtum der infizierten Gewebe auf. Anhäufung von Nährstoffen findet sich in allen Gallen und kann für den Parasiten nur von Vorteil sein. Gerade bei den einfachsten Gallenformen aber wird sich schwer entscheiden lassen, ob von den angehäuften Kohlehydraten der Parasit den größeren Nutzen zieht oder die Wirtspflanze, die eine für sich zweckmäßige Reaktion darin zu erkennen giebt, wenn sie den infizierten, geschädigten Gewebe- teilen eine erhöhte Nährstoffzufuhr angedeihen lässt. — Vielleicht ge- lingt es, durch das Experiment und auf dem Wege der vergleichenden pathologischen Anatomie Fragen dieser Art zu lösen. II. In den letzten Jahrzehnten ist zwar oft und viel über Gallen ge- schrieben worden, aber die weitaus größte Mehrzahl der Arbeiten be- zweekt mehr ein Katalogisieren von Gallenformen und ihrer Fundorte, als dass in ihnen Fragen von allgemeinerem Interesse behandelt würden. So erstrebenswert die Ziele dieser Gallenfloristik, die besonders im Land des großen Ceciologen Malpighi viele Vertreter zählt, auch sein mögen, werden wir ihre Leistungen nur als Vorarbeiten zur Lö- sung allgemeiner Fragen schätzen können. Im übrigen scheinen diese Vorarbeiten genügend gefördert, um ein näheres Eingehen auf besagte allgemeine Fragen nicht mehr als verfrüht erscheinen zu lassen. — Die Angaben über die Anatomie der Gallen, die in zahlreiche Mit- teilungen sich zerstreut finden, haben zum Teil rein deskriptiven Cha- 'akter, und im übrigen berücksichtigen sie Zweckmäßigkeitsprinzipien, die Fragen nach der Funktion, meist nur so weit sie bereits von La- caze-Duthiers in seinen vortrefflichen Studien über Gallenanatomie behandelt wurden !). 4) Lacaze-Duthiers, „Recherches pour servir & l’histoire des galles“. Ann. Se. Nat. Botanique. III. serie, T. XIX, 1853 p. 273. 53 Küster, Wichtige Fragen der patholigischen Pflanzenanatomie. Dem genannten Forscher verdanken wir die Grundlagen zu einer physiologischen Anatomie der Gallen. Besonders sinnfällig verrät sich, wie bekannt, die Funktion der Gallengewebe an der „couche protectrice“, der Hart- oder Schutz- schicht, welche eine feste, widerstandsfähige Hülle un den larven- bewohnten Hohlraum des Galleninnern darstellt, und an der „partie alimentaire“, dem eiweiß- und stärkereichen Nährgewebe der Gallen. Das wichtigste, was sich über das „mechanische“ und das „Speicher- system“ der Gallen sagen lässt, ist in der zitierten Abhandlung La- caze-Duthiers zu finden. Den Entwurf zu einer konsequenteren Darstellung des Aufbaus der Gallen im Sinne der physiologischen Anatomie habe ich a. a. O. zu geben versucht. Um nicht allzu weitschweifig mich selbst zu wiederholen, gebe ich hier nur das Wichtigste aus meinen Mitteilungen wieder. Ein wohl charakterisiertes Hautgewebe stellt häufig die Epi- dermis der Gallen vor, die entweder entwicklungsgeschichtlich von der Epidermis des gallentragenden Organs der Wirtspflanze sich ableitet, oder von dem durch den Gallenreiz entstandenen „Gallplastem“. Be- sonders auffällige Wandverdickungen und starke Kutikularisierung sind an denjenigen Gallen zu finden, die sich zur Zeit ihrer Reife vom Mutterorgan ablösen und die letzte Phase ihrer Entwick- lung isoliert von diesem durchmachen. In der Ausbildung des Haut- systems bei ihnen sehe ich einen besonderen Schutz gegen allzu starke Transpiration, der für die isolierten Gallen besonders nötig sein dürfte. Unterstützt in ihren Wirkungen wird die als Hautgewebe ausge- bildete Epidermis durch verschiedenartige Trichome. Das Durchlüftungsgewebe ist bei einer Reihe von Gallen auffallend mächtig entwickelt. Es bildet bei manchen Cynipiden-Gallen eine mächtige Schicht sternparenchymatischer Zellen, deren Intercellu- larräume ein weitmaschiges, lufterfülltes Netz darstellen. Bei andern Gallen ist das luftführende Gewebe sparsamer ausgebildet und in Form schmaler Streifen im peripherischen Teil der Galle anzutreffen. — Die Spaltöffnungen sind vielfach nicht mehr funktionsfähig. Lenticellen treten an verschiedenen blattbürtigen Nematus-Gallen auf. Das Assimilationsgewebe zeigt im allgemeinen bei Gallen jeglicher Art eine starke Reduktion: die Gallen leben gleichsam para- sitisch auf dem Mutterorgan. Ausnahmen sind die Gallen von Nematus Vallisnerii, manche Pilzgallen u. a. Nicht selten ergrünt unter dem Einfluss des Gallenreizes die Epidermis, die unter normalen Verhält- nissen chlorophylifrei bleibt. Das mechanische Gewebe ist weit verbreitet: bei den durch Dickenwachstum entstandenen Gallen fehlt es nur selten gänzlich. — Die mechanischen Zellen zeigen insofern durchweg denselben Charakter, Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 537 als in den Gallen stets nur Sklereiden anzutreffen sind. Stereiden fehlen. In ihrer Form, der Art der Wandverdickung zeigen die Skle- reiden der Gallen die größte Mannigfaltigkeit. Besonders auffällig sind die weit verbreiteten halbseitig verdicekten Steinzellen, die derbwan- digen, verholzten, zu kurzen Trichomen ausgewachsenen Epidermis- zellen, die sich bei verschiedenen Gallen wiederfinden u. a. m. Die mechanischen Zellen vereinigen sich zu einer oder mehreren mechani- schen Hüllen, die sich konzentrisch um die Larvenkammer lagern. Die Form der mechanischen Hüllen wiederholt zumeist im kleinen die der Gallen; Ausnahmen, in welchen die mechanischen Hüllen selb- ständige Form annehmen, sind selten. In Kammergallen, welche mehrere mechanische Hüllen enthalten, ist die innere meist völlig geschlossen, die äußere ist oft nur als Halbhohlkugel entwickelt. Bei den Beutel- gallen, deren Larvenkammer dureh einen Porus oder Spalt mit der Außenwelt kommuniziert, sind verschiedenartige Einrichtungen getroffen, um einen festen Verschluss der Galle zu erreichen. Die Speichergewebe, welche Wasser in sich bergen, sind bei den Gallen — wenigstens bei den europäischen — selten. Um so wich- tiger sind die mit Nährmaterial ausgestatteten Speichergewebe. Nähr- epidermis und Nährhaare, die bei Filz- und Beutelgallen ihre Rolle spielen, sind ihre einfachsten Formen. Nährgewebe, die nicht ober- flächlich, sondern im Innern der Gewebe liegen, nennen wir Nähr- parenchym und unterscheiden je nach dem Charakter der gespeicherten Stoffe verschiedene Schichten in ihm: die Eiweißschicht liegt stets in unmittelbarer Nachbarschaft der Larvenkammer. Ihre einzelnen Zellen zeigen hinsichtlich ihrer Form wenig Abwechslung, besonderes Inter- esse verdient nur das „Riesenzellenparenchym“, der sogen. Fenster- galle u. s. w. Bei dieser und vielen andeın Gallen ist die Ei- weißschicht die einzige des Nährparenchyns, bei den hoch organisierten Lympidengallen folgt auf sie nach außen die Stärkeschicht, die inner- halb oder zum Teil auch außerhalb des mechanischen Mantels liegt. Drittens ist die sog. Ligninkörperschicht zu nennen). Das Leitungsgewebe ist gleich dem Assimilationsgewebe bei Gallen meist schwach entwickelt. Die Gefäße sind wenig zahlreich und englumig. Bei einigen wenigen Gallen fällt an den Gefäßbündeln die eigenartige Verteilung der einzelnen Gewebearten auf. Betreffend die Sekrete und Sekretionsorgane lässt sich wenig für die Gallen allgemein Gültiges angeben. Weit oder gar fast all- gemein verbreitet scheint der Mangel an Caleiumoxalat zu sein, der zwar selten ganz fehlt, ebenso selten aber reichlich wird. Die Bildung von Sekretbehältern u. dergl. wird bei der Gallenbildung meist gefördert, 1) Hartwich, „Ueber Gerbstoffkugeln und Ligninkörper in der Nahrungs- schicht der Infektoriagalle“. Ber. d. Bot. Ges. Bd. IH, p. 146. -— Küster 2.74 0. P. 167. 538 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. seltener unterdrückt. Besonders auffällig sind die stark secernierenden Außenflächen verschiedener Cynipidengallen. IV. Die Lehre von der Entwicklung der Gallen wird mit verschiedenen Fragen sich abzufinden haben. Erstens wird ihr die Aufgabe zufallen, die einzelnen Phasen der Gallen zu verfolgen bis zurück auf die Zelle oder die Zellen, welche durch die Infektion zu abnormer Entwicklung angeregt wurden. Bekanntlich hat Beyerinck mit seinen bereits zitierten und andern Studien für diesen Zweig der Gallenforschung Hervorragendes geleistet. Eine andere Aufgabe wäre es, die Leistungsfähigkeit der einzelnen bei der Gallenbildung beteiligten Gewebe zu ermitteln. Offenbar sind die verschiedenen Organe und Gewebe bestimmten cecidiogenen Reizen gegenüber in ihrer Empfindlichkeit und Reaktionsfähigkeit nicht gleich- wertig. Bestimmte Gallentiere infizieren nur Stengelteile, andere nur Blätter, noch andere nur Blätternerven u. s. w. Zu beantworten bleibt die Frage, ob sich nichts für alle Gallenreize Gültiges über die gallen- bildende Kraft der einzelnen Gewebe ermitteln lässt. Wir werden hier zunächst an Sachs erinnern müssen, der das allgemein Gültige im Alter der infizierten Gewebe suchte. „Diejenigen Reize,“ sagt Sachs'), „welche von den Gallentieren direkt auf den Vegetationspunkt und die jüngsten embryonalen Gewebe ausgeübt werden, erzeugen Gallenformen, welche wie eigenartige Organismen gestaltet und innerlich differenziert, oft eine sehr hoch entwickelte, morphologische Eigenart besitzen, als ob es selbständige und hoch organisierte Pflanzenspecies wären; die an älteren Gewebekörpern veran- lassten Reize dagegen bringen nur Gewebewucherungen ohne bestimmte morphologische Charaktere hervor; endlich Einwirkungen gewisser Tiere auf beinahe oder ganz fertige Pflanzenorgane sind einfach mor- phologisch gleichgültig oder schädlich, ohne morphologische Effekte zu erzielen.“ Die fortschreitende Entwicklung unserer cecidiologischen Kenntnisse haben der Sachs’schen Auffassung nicht recht gegeben: die Ver- hältnisse liegen offenbar viel verwickelter. Auch an ältern Organen mit bereits differenziertem Gewebe können noch sehr komplizierte Gallen entstehen und umgekehrt auch an jugendlichen Teilen sehr einfache. Sachs selbst hielt in Anbetracht dieser Thatsachen eine „nähere Erläuterung“ zu seinem Satz für notwendig, die Appel?) gegeben hat: in dem einen Fall wird nach Sachs und Appel die 1) Physiologische Notizen VII: „Ueber Wachstumsperioden und Bildungs- reize*, Flora, Bd. 77, 1893, p. 240. — Sachs folgert seinen Satz aus den Mit- teilungen, die Eckstein in seinem bekannten Vortrag über „Pflanzengallen und Gallentiere“ giebt. 2). 9.9, p: 5. Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 539 Thätigkeit des embryonalen Gewebes, hoch organisierte Morphosen zu bilden, von den Gallentieren nicht ausgenützt, in dem andern wird das bereits differenzierte Gewebe von den Gallentieren erst wieder in embryonales zurückverwandelt. Ich habe in meinen „Beiträgen“!) aus- einander gesetzt, weshalb mir diese Erläuterung ihren Zweck, dem früher von Sachs gegebenen Satz zu Recht zu verhelfen, nicht zu erreichen scheint. Wir werden uns vorläufig mit der Erkenntnis des Thatsächlichen, dass junge Gewebe einfache Morphosen und differen- zierte Gewebe komplizierte Gallen liefern können, begnügen müssen, ohne begründete Aussicht darauf, dassdie Theorie der organbildenden Stoffe die besagten Vorgänge uns wirderklären oder veranschaulichen können. Beyerinck verdanken wir, wie gesagt, die nähere Kenntnis von dem Entwicklungsgang zahlreicher hoch organisierter Gallen, die aus einem meristematischen Zellkomplex, einem „Gallplastem“ hervorgehen und oft sehr erheblich über das Niveau des gallentragenden Pflanzen- organs heraustreten, so dass ihre einzelnen Teile auch topographisch nicht mehr ihre Abkunft von einem bestimmten Gewebe des Mutter- organs erkennen lassen. Ueberhaupt erfolgt bei den „galles externes“?) eine Umwertung aller histologischen Werte. Anders liegen die Ver- hältnisse bei den einfacheren „galles internes“. Eine Betrachtung zahlreicher spross- wie blattbürtiger Gallen dieser Art zeigt, dass die Fähigkeit zu weitgehender Umwandlung den Zellen des Mesophylis und des Markes zukommt, während die Epidermis in ihrer Leistungs- fähigkeit hinter diesen zurückbleibt. Hierin liegt, wie ich glaube, ein für die galles internes allgemein gültiger Unterschied zwischen den verschiedenen Gewebearten, weitere Untersuchungen werden vermut- lich noch mit neuen Gesetzmäßigkeiten ähnlicher Art bekannt machen. Vielleicht lassen sich Beziehungen aufdecken zwischen der Gallen- bildungs- und der Regenerationsfähigkeit der einzelnen Gewebe, viel- leicht wird sich auch der verschiedene Gerbstoffgehalt als maßgebend für manchen Unterschied bei der Gallenbildung erkennen lassen. V. Das Studium der Gallen im Sinne der physiologischen Anatomie scheint mir nur den ersten Schritt zur wissenschaftlichen Erkenntnis der Gallenanatomie zu bedeuten. Um den zweiten zu thun, werden wir die anormalen anatomischen Verhältnisse, die uns bei den Gallen begegnen, vergleichen müssen und zwar zunächst mit dem nor- malen Gewebeaufbau der Mutterorgane und Stammpflanzen. Wichtige Beiträge für diesen Zweig der Gallenanatomie sind schon verschiedent- lich gegeben worden, z.B. in den sorgfältigen Arbeiten Molliard’s®) und mancher anderen. 1) a. 2. O. p. 136 ft. 2) Lacaze-Duthiers a. a. O. p. 287. 3) „Hypertrophie pathologique des cellules v@getales*, Rev. gen. de Bot. 540 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. Ich habe mit meiner angeführten Arbeit einen weiteren Beitrag zu liefern mich bemüht. Ein Vergleich der Gallengewebe mit den Geweben des normalen, gallenliefernden Pflanzenteiles führt uns dazu, verschiedene Grade der histologischen Umwandlung, welche die Gallenbildung darstellt, zu unterscheiden. Die einfachsten Gallen sind diejenigen, welche aus den näm- lichen Zellelementen bestehen, wie das Mutterorgan, die sich von diesem nur durch die Zahl und event. auch durch die Größe ihrer Zellen unterscheiden. Einen höheren Grad der Entwicklung bekunden diejenigen Gallen, die auch andere Zellelemente enthalten als die des betreffenden Mutter- organs, z. B. blattbürtige Gallen, die Zellelemente des Sprosses, spross- bürtige Gallen, die Zellelemente der Wurzel enthalten u. s. w. Wir treffen in ihnen zwar noch die gleichen Bausteine an, aus welchen sich die normalen Pflanzenteile zusammensetzen, aber in anderer Anordnung als unter normalen Verhältnissen; die Zellelemente sind dieselben ge- blieben, nur die Art ihrer Kombination ist unter der Einwirkung des Gallenreizes abnorın geworden. In dieser Art der Heteromorphose sieht de Vries!) das Wesen der Gallenbildung vom histologischen Standpunkt aus erschöpft, und auch Göbel?), der sich über diesen Gegenstand nur mit Vorbehalt ausspricht, hat wiederholt auf ihre Wichtigkeit hin- gewiesen. Andere Forscher, wie Beyerincku.a.), haben die Frage, ob in den Gallen auch Zellelemente auftreten, die dem gallentragenden Organismus unter normalen Verhältnissen fremd sind, bejahend be- antwortet. In der That finden sich wenigstens bei den hoch organi- sierten Gallenformen Zellelemente und Gewebeformen, die eine Neu- schöpfung seitens des infizierten Organismus bedeuten, teils aber auch eine Wiederholung von Formen darstellen, die sich bei den nächsten Ver- wandten der gallentragenden Pflanze wiederfinden lassen. Ich habe a. a. O. eine Reihe von Beispielen namhaft gemacht, auf die ich hier nur verweisen, nicht ausführlich zurückkommen möchte. Nicht nur für die Cecidiologie, sondern vor allem für allgemeine morphologische Fragen wird die für die Gallen nachgewiesene Art der Heteromorphose von größtem Interesse sein müssen: das bei Laboratoriumsversuchen verschiedentlich erfolglos*) angestrebte Ziel, den pflanzlichen Organis- 1897. Bd. IX, p. 33. — „Sur les caracteres anatomi quesde quelques H&miptero- c&cidies foliaires“, Miscell. biolog. dediees au prof. Giard, Paris 1899 p. 489. 4) „Intracelluläre Pangenesis“, 1889, p. 117. 2) „Organographie“, Bd. I, 1898, p. 169, 170. — Ferner in Flora 1899, Bd. 86, p. 234. 3) „Beobachtungen . . .“ p. 39. — Siehe ferner Berthold, „Untersuch- ungen zur Physiologie der pflanzlichen Organisation“, 1898, Bd. I, p. 9. 4) Ueber die Versuche Heglers (siehe Pfeffer, „R. Heglers Unter- Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflianzenanatomie. 541 mus durch irgend welche Reize zur Bildung eines ihm normalerweise Fremden zu veranlassen, wird in der Natur durch die gallenerzeugen- den Reize erreicht. VI. Der andere Vergleich, der uns in der wissenschaftlichen Erkennt- nis der Gallen unterstützen soll, ist zwischen den Gallen und patho- logischen Gebilden anderer Art zu ziehen. Die Haare der bekannten Filzgallen bestehen zumeist aus ein- zelligen, eylindrischen Schläuchen; nicht selten sind aber auch Triehome mit keulenförmig angeschwollenem, trichter- oder napfförmigem Kopf- ende. Ihr Bild erinnert an Wurzelhaare, die durch Einwirkung be- stimmter Medien, schädlicher Lösungen u. s. w. in ihrer normalen Entwicklung „gehemmt“ worden sind!). Die von Blutläusen hervorgerufenen Gewebewucherungen bestehen aus einem eigenartig modifizierten, aus Parenchymzellen zusammen- gesetzten Holz; demselben Gewebe begegnen wir beim Wundholz, bei dem unter abnormen Druck entstandenen Xylem u. s. w. Die normale Ausbildung der Libriformfasern und Gefäße wird durch Reize ver- schiedener Art gleichermaßen gehemmt und unterdrückt. Merkwürdig genug ist, dass in allen bisher untersuchten Gallen Libriformfasern fehlen. Abnorm große Zellen, welche die Bezeichnung „Riesenzellen“ herausfordern, sind bei Gallen der verschiedensten Art anzutreffen. Die Zellteilung, die unter normalen Verhältnissen dem Wachstum der Zellen folgen würde, bleibt aus; wohl aber erfolgt in manchen Fällen noch Teilung des Kernes. Aechnliche Hemmungen bringen auch Reize anderer Art zu stande: ungeeignete Nährlösungen, allzu hohe Tem- peraturen u. a. Anormale Zell- und Kernteilungen erzielte Gerasimoff an Spiro- gyren durch Abkühlung der in Teilung begriffenen Zellen, sowie durch Behandlung mit anästhetischen Mitteln?). Anormale Kernteilungsvor- gänge lassen sich durch Behandlung mit Aether an Tieren wie Pflanzen hervorrufen 3), amitotische Kernteilungen sind in den Callus- und den suchungen über den Einfluss von Zugkräften auf die Festigkeit und die Aus- bildung mechanischer Gewebe in Pflanzen“, Sitzungsber. Sächs. Ges. Wiss. 1391, p. 639) und Haberlandts „experimentelle Hervorrufung eines neuen Organs an Conocephalus ovatus Trec.“ (Festschr. f.Schwendener, 1899, p. 104) bitte ich meine Bemerkungen (a. a. O. p. 172 ff.) vergleichen zu wollen. 1) Vergl. Küster a. a. O. 180. — Daselbst und auf den folgenden Seiten sind auch die Litteraturangaben für die hier wiederholten Beispiele zu finden. 2) Gerasimoff, J., „Ueber die kernlosen Zellen bei einigen Konjugaten“ Bull. Soc. Imp. Natur. Moscou. 1892. — „Ueber ein Verfahren, kernlose Zellen zu erhalten (Zur Physiologie der Zelle).“ Ibid. 1896. 3) Vergl. auch Häckel, „Mitosen im Gefolge amitosenähnlicher Vor- gänge“. Anat. Anz. Bd. XVII, 1899. p. 9. 549 Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. Gallenbildungen häufig, deren Kerne!) häufig Reduktion ihres Chro- matingehaltes erkennen lassen. Bei den Protozo@n lässt sich der Chromatingehalt der Kerne durch störende Einflüsse verschiedenster Art in gleichem Sinne beeinflussen ?). Durch mechanische Misshandlung der Blütenknospen von Geranium dissectum schließlich erhielt Molliard ähnliche Blütendeformationen, wie sie Ceeidophyes Schlechtendalii als Gallenerzeuger hervorruft. Die angeführten Beispiele werden genügen und bereits zeigen können, worüber uns der Vergleich der Gallen mit anderen abnormen Bildungen belehren soll. Die mit Chlorcaleiumlösung behandelten oder durch andere Ein- sriffe gestörten, deformierten Wurzelhaare zeigen in ihrer abnormen Gestalt nicht die spezifische Wirkung des Chlorcaleiums oder des be- treffenden angewandten Mediums, sondern nur die Wirkungeines störenden Faktors schlechthin, der in die zur normalen Weiterentwicklung des Wurzelhaares erforderliche Bedingungssumme nicht passt. Anderer Natur ist dagegen beispielsweise der Reiz, den bei Herbst’s bekannten Versuchen an Echiniden das im Meerwasser gelöste Lithium auf die Eier oder die jugendlichen Furchungsstadien der Versuchs- tiere ausübte. Der vom Lithium ausgehende Reiz ist ein spezifischer Reiz des Lithiums, durch den das Zellenplasma zu Bildungen befähigt wurde, die ihm vorher fremd waren. Der von den Gallenmüttern dem betreffenden Pflanzenorgan injizierte Stoff, der das letztere neben etwaigen physikalischen Reizen unbekannter Art zur Gallenbildung anregt, kann Reize verschiedener Art auf die seiner Wirkung zugänglichen Zellen ausüben. Zunächst scheint außer Zweifel, dass seine Gegenwart und seine Wirkungen im Widerspruch mit den normalen Lebensbedingungen der Pflanzenzellen stehen, und dass die normale Fortentwicklung der betroffenen Zellen mehr oder minder energisch gestört werden wird. Wenn sich nun nachweisen lässt, dass Störungen der verschiedensten Art gleiche morphologische Wirkungen zur Folge haben, so stellt sich uns die Frage, ob nicht auch ein Teil der beim Entstehen der Gallen sich abspielenden Bildungsvorgänge sich mit pathologischen Vorgängen anderer Art gleichstellen lässt. Wir werden bei den einzelnen Gallenbildungen zu eruieren haben, welche Teil- vorgänge nur den Störungen schlechthin zuzusprechen sind, welche die Verletzung und Vergiftung durch das Insekt für das betroffene Pflanzen- organ bedeutet, und welche Vorgänge etwa nach Eliminierung der ersteren als spezifische Wirkungen des eigenartigen Gallenvirus sich ansehen lassen. Um wenigstens ein paar vorläufige Bezeichnungen für die ver- 1) Vergl. Molliardaa. a. 0. 2) Hertwig, R., „Was veranlasst die Befruchtung der Protozo&en?“ Sitz- ungsber. d. Münchn. Ges. Morph. u. Phys. 1899, Bd. XV, p. 62. Küster, Wichtige Fragen der pathologischen Pflanzenanatomie. 543 schiedenen Arten von Reizen geben zu können, habe ich die der erst- genannten Art als destruktive, die andern als heteromorphogene Reize bezeichnet. Hinsichtlich der sie erzeugenden Reizarten lässt sich jede Gallenbildung als Legierung von Chemo- und Mechanomorphosen auffassen, hinsichtlich der Wirkungsart der Reize lässt sie sich auf destruktive und heteromorphogene Reize zurückführen. Die bei der Gallenbildung sich abspielenden formbildenden Prozesse stellen sich als eine Gleichung mit mehreren Unbekannten dar, die sich bei rich- tiger und umfassender Berücksichtigung anderer Gleichungen wird lösen lassen '). Unsere Kenntnis von den verschiedenen Wirkungsresultaten de- struktiver Reize ist zur Zeit nicht groß: so viel lässt sich aber schon jetzt mit Bestimmtheit sagen, dass jede Gallenbildung die Summe der Wir- kungsresultate destruktiver und heteromorphogener Reize darstellt. Eine „Galle“, die lediglich destruktiven Reizen ihre Entstehung ver- dankt, würde der von uns gegebenen Definition des Gallenbegriffs sich nicht einordnen: denn von der Galle fordern wir Zweckmäßigkeit für den sie erzeugenden fremden Organismus und durch Störungen, de- struktive Reize allein könnte höchstens „zufällig“ ein Bildungsresultat erzielt werden, das sich der Eigenart des betreffenden Parasiten als entsprechend und als zweckmäßig für diesen erwiese. Zur An- nahme von „Zufälligkeiten“ dieser Art können wir uns aber nicht ent- schließen. Soll der Organismus befähigt werden, fremden „Zwecken“ dienst- bare Bildungen zu schaffen, die zum Teil auch noch morphologische Neuschöpfungen für ihn bedeuten, so müssen wir die Wirkung ganz spezifischer, heteromorphogener Reize voraussetzen. Andrerseits scheint es mir unwahrscheinlich, dass die Wirkungen destruktiver Reize fehlen könnten. Für alle Fälle wird die Infektion die Bedeutung einer Stö- rung haben müssen, gleichviel ob deren Folgen recht sinnfälliger Art sind oder nur in bescheidenem Maße und nur vorübergehend sich be- merkbar machen. 1) Destruktive Reize werden häufig „Hemmungsbildungen“ veranlassen. Die von ihnen hervorgerufenen Bildungen werden aber nicht immer ein Minus, sondern unter Umständen ein Plus an organbildenden Leistungen bedeuten. Als eine durch destruktive Reize verursachte Bildung sind meines Erachtens auch die von Haberlandt (s. 0.) erzeugten „Ersatzhydathoden“ aufzufassen. — Bildungen, die nach Entfernung von Weachstumswiderständen zu stande kommen — ich erinnere an die von Weigert u. a. vertretene Auffassung der Gesehwulstbildung (Verhandl. d. Naturf. u. Aerzte 1896) —, werden sich eben- falls als Resultate destruktiver Reize deuten lassen. (Für die Gallen wird übri- gens eine analoge Erklärung ihrer Genese zunächst nicht angängig sein. Vergl. Lubarsch, „Zur Lehre von den Geschwülsten“, 1899.) 544 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polyeellularia. Monoblasta—Polyblasta—Polycellularia. Phylogenetische Studie. Von Dr. Gustav Schlater in Kronstadt (Russland). W. Die vielzelligen Organismen (Polycellularia) haben sich phy- logenetisch aus Zellen entwickelt. Welchen Weg diese Entwickelung gegangen, ist schwer zu entscheiden. Höchst wahrscheinlich, dass diese Entwickelung gleichzeitig auf mehreren selbständigen Wegen ging. Ein Teil der Metazoa hat sich wahrscheinlich aus Kolonial- formen herausgebildet (wie die Mehrzahl der Biologen annimmt); ein anderer Teil, auf dem Wege einer erst sekundären Einteilung in Zellen solcher Gebilde, welche einer einzigen Zelle analog waren, aber im Vergleich mit derselben schon weit differenziert waren (A.Sedgwick, Ives Delage), ein dritter endlich konnte aus Syneytienformen ent- standen sein. Wie dem aber auch sei, die Zelle (Cellula) ist als Urform der vielzelligen Organismen aufzufassen, und deswegen ist es durchaus unmöglich an eine Lösung der uns beschäftigenden phylo- genetischen Fragen heranzutreten ohne eine vollkommen bestimmte und exakte Vorstellung vom morphologischen Wesen der Zelle zu haben. Allein, wie verwirrt, wie unklar und ungenügend diese Vor- stellung noch heutzutage ist, erhellt zur genüge aus meiner letzten kritischen Skizze (Biol. Centralbl. Bd. XIX, 1899). Indem ich den Leser auf diese Skizze verweise, in welcher ich in den Haupt- zügen das Wesen der Zelle aufzuklären bestrebt war, hebe ich an dieser Stelle nur ein Merkmal des Zellorganismus hervor. Der Grund- zug der Organisation einer typischen Zelle ist der, dass sie differen- ziert ist in den Zellleib, den Kern, einen oder mehrere Kernkörperchen und Centrosomen. Alle diese Hauptgebilde oder Organe der Zelle stehen unter einander in einer bestimmten morphologischen Verbindung und physiologischer Koordination. Jedes von ihnen hat seine bestimmte Struktur, welche jedoch einen mehr oder weniger einförmigen und gleichmäßigen Charakter hat. So ist z. B. der Bau des Zellleibes in allen seinen Teilen derselbe. Die kardinalen Hauptfunktionen des Lebens, welche in einer typischen Zelle gleichmäßig entwickelt sind, haben infolgedessen auch mehr oder weniger gleiche Strukturen als morphologisches Substrat. Mit anderen Worten, die einzelnen Hauptfunktionen des Lebens einer typischen Zelle, mit teilweiser Ausnahme vielleicht der Funktion der Ver- mehrung, sind in den meisten Fällen noch nicht an eigene, bestimmte, spezielle, morphologisch differenzierte Teile, oder Organe der Zelle gebunden, sondern sind mehr oder weniger gleichmäßig entwickelt und über den ganzen Zellkörper diffus verbreitet, indem sie sozusagen unter- Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 545 einander das physiologische Gleichgewicht unterhalten, wobei bemerkt werden muss, dass diese diffuse Vertei- lung derZellfunktionen meistenteils auch in einer gleich- mäßigen, diffusen Verteilung der morphologischen Differenzierungen in der Zelle ihren Ausdruck findet. Durch diese kurze Formulierung hatte ich die Absicht eine all- gemeine Charakteristik des physiologischen und morphologischen Dif- ferenzierungsgrades der typischen Zelle als einer selbständigen biolo- gischen Einheit zu geben!). Als bestes Beispiel dienen jene Zellen 1) Allerdings nimmt am Aufbaue der Gewebe und Organe des vielzelligen Organismus eine Reihe von Zelltypen teil, (wie z. B. die Muskel- oder Nerven- zelle) in welchem gleichzeitig mit einer weit vorgeschrittenen Entwickelung dieser oder jener Hauptfunktionen eine Differenzierung besonderer morpholo- gischer Gebilde zu bemerken ist, welche als Substrat dieser Funktion dienen. Jedoch muss bemerkt werden, dass diese, im Verhältnis zu den übrigen Haupt- funktionen, vorgeschrittene Entwickelung einer derselben, welche, wie gesagt, mit der Ausarbeitung spezieller morphologischer Gebilde (Organe) genetisch eng verknüpft ist, das allgemeine Gleichgewicht unter allen Funktionen der Zelle, als biologische Einheit stört, wodurch dieselbe, d. h. die Zelle vollkommen ihre selbständige Existenzfähigkeit verliert und nur zu einem untergeordneten Leben fähig bleibt, im Interesse der aus ihresgleichen zusammengesetzten Ein- heit höherer Ordnung. Ausdiesem Grunde ist es auch erklärlich, warum solch eine extreme Differenzierung nur einer der Funktionen verhältnismässig mit den übrigen als nur in den somatischen Zelltypen mögliche, in freilebenden ein- zelligen Organismen (Cellulopsida) nicht anzutreffen ist. In diesen letz- teren, ganz wie in den vielzelligen Organismen, müssen, alle Funktionen mehr oder weniger gleichmäßig entwickelt sein, um ein bestimmtes physiologisches Gleichgewicht unterhalten zu können, welches sich nur in sehr engen Grenzen bewegen kann, ohne verhängnisvoll für den Gesamtorganismus zu werden. Gleichzeitig muss bemerkt werden, dass auch diese morphologische Differen- zierung öfters einen diffusen Charakter in der Zelle trägt, ohne sich, so zu sagen, in bestimmt lokalisierte und strukturell absolute Organe zu kondensieren, Es besteht also sowohl vom morphologischen, wie auch vom biologischen Standpunkte aus eine grosse Differenz zwischen den zellähnlichen freilebenden Organismen (Cellulopsida) und der Mehrzahl der somatischen Zellen, welche Strukturelemente des vielzelligen Organismus sind. Jedoch soll nicht außer Acht gelassen werden, dass die morphologischen und biologischen Differenzen nicht immer Hand in Hand gehen. Dem biologischen Grundgesetze, dass der Grad der Entwickelung und der Spannkraft dieser oder jener Funktion parallel und in genetischem Zusammenhange steht mit derEntwickelung und derSpann- kraft einer entsprechenden morphologischen Differenzierung sind sowohl die ersten (d. h. die Monocellularia), wie auch die zweiten (d. h. die somatischen Zellen) gleich unterworfen. Der biologische Unterschied jedoch ist der, dass in den zellenähnlichen Organismen (Cellulopsida) sich alle Hauptfunktionen des Lebens mehr oder weniger gleichmäßig entwickelt haben, was auch eine gleichmäßige morphologische Differenzierung von diffusem Charakter nach sich gezogen hat, während in den somatischen Zellen diese Gleich- mäßigkeit, dieses Gleichgewicht der Funktionen gestört ist, zuweilen sogar in xXX, 39 546 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. (Eizellen), von welchen ein jeder vielzellige Organismus seine Entwicke- lung beginnt. Hierher gehört auch die Mehrzahl der somatischen Zellen. Die Eizelle stellt folglich eine typische Zelle dar, was uns das Recht giebt zu vermuten, dass die Polycellularia (Metazoa) direkt von typischen Zellen abstammen, d. h. dass ihre Urformen typische Zellen gewesen sind. Unmittelbar aus dieser Urform sind auch die Cellulopsida entstanden, d. h. jene einzelligen Organismen, welche die Grunddifferenzierungszüge einer typischen Zelle beibehalten haben. Es muss jedoch auffallen, dass die von mir gegebene Formulierung der biologischen Grundlage der morphologischen Differenzierung einer typischen Zelle auf einen ganzen Organismentypus, den der Infuso- rien, durchaus nicht anwendbar ist. Obschon die Infusorien, dank ihrer Differenzierung in einen Leib, einen Kern, Kernkörperchen und zuweilen, wie es scheint, auch Centrosomeu, einerseits die Grundzüge der Organisation einer typischen Zelle aufweisen, wodurch sie als den Zellen gleichwertige Organismen angesehen werden müssen, so trennt die ganze innere morphologische Differenzierung dieser Organismen, deren Charakterzug in einer Differenzierung für jede der Hauptfunk- tionen besonderer Organe, oder sogar Gewebe besteht, dieselben von den typischen einzelligen Organismen (Cellulopsida) und nähert sie den vielzelligen Organismen. Diese Aehnlichkeit der Infusorien mit den Polycellularia, welche sich in einer inneren Spezialisation der Funktionen und einer damit verbundenen Differenzierung der Prototypen von Organen und Geweben von Vielzelligen ausspricht, tritt zuweilen mit besonderer Schärfe hervor, wenn wir z. B. solche Formen wie Vorticella ins Auge fassen. Die äußere, periphere Schicht des Körpers hat sich morphologisch so weit differenziert, dass sie in vielen Fällen als ein Prototypus einer echten Hautschicht aufgefasst werden kann. Den Funktionen der Nahrungsaufnahme und Assimilation dienen morphologisch selbständige Gebilde, oder Organe, zuweilen von sehr kompliziertem Baue. Ein Peristom, welches durch mehrere komplizierte plättchen- und geisseltragende Apparate geschützt ist (wie z. B. bei den Hymenostomata und Peritricha), führt durch Vermittelung einer Röhre sehr erheblicher Weise in Folge einer ausschließlichen Entwickelung einer von ihnen. Dieses zieht jedoch erstens eine morphologische Differenzierung in einer bestimmten Richtnng nach sich, andererseits — einen völligen Verlust der biologischen Selbständigkeit, d. h. der selbständigen Existenzfähigkeit. — Die Differenzierung im Zellorganismus eines Kernes mit Kernkörperchen und Centrosoma scheint der von mir oben gegebenen Formulierung zuwidersprechen. Jedoch dazu muss bemerkt werden, dass dieser Widerspruch ein scheinbarer ist, da die Funktion der Zellvermehrung, der Erhaltung der Art, infolge ihrer sehr frühen phylogenetischen Ausbildung und Spezialisation und der damit or- ganisch verknüpften morphologischen Differenzierungsprozesse naturgemäss zur Ausbildung solcher spezieller Organe in der Zelle führte‘, welche eben die Charakteristik der Zelle als biologische Einheit ausmachen, Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 547 (Pharynx), welehe ihrem Baue nach als Prototypus eines wirklichen Pharynx nebst Speiseröhre zu deuten ist, in die sogen. Speisevakuole. Diese Vakuole steht zuweilen mit mehreren ebensolchen Vakuolen in Verbindung und bildet die phylogenetische Vorstufe der Verdauungs- organe. Die Funktion der Ausscheidung von Zerfall- und Exkretions- produkten aus dem Organismus hat auch ihr besonderes Organ, das sogen. kontraktile Bläschen, oder ein kompliziertes System solcher Vakuolen, in welches Exeretionskanälchen münden; diese Kanälchen erreichen in einigen Formen solch eine große Entwickelung, dass sie samt den kontraktilen Vakuolen ein vom übrigen Körper vollkommen differenziertes System von Excretionsorganen darstellen. Was die Funktion der Bewegung und Kontraktion anbelangt, so ist sie an ein ganzes System kontraktiler Fibrillen gebunden. Diese Fibrillen scheinen einen komplizierten Bau zu besitzen indem sie an ächte Muskelfibrillen erinnern, und sind unter der äußeren Deckschicht des Körpers in mehreren selbständigen Schichten gelagert, jede mit einer bestimmten Kontraktionsrichtung. Bisweilen (z. B. bei Vorticella) bildet das ganze System von kontraktilen Elementen ein vom übrigen Körper der In- fusorie derart differenziertes Gewebe, dass es dreist als phylogenetische Urform des Muskelgewebes aufgefasst werden kann. Weiterhin stellen die sogen. Trychocysten und Nematocysten morphologisch derart ab- sorbierte und selbständige Gebilde dar, dass einige Infusorien, was diese Gebilde anbelangt, ungemein an gewisse Coelenterata erinnern. Was endlich die Funktion der Vermehrung oder der Erhaltung der Art anbelangt, so sind die Infusorien auch in dieser Hinsicht phylo- genetisch weiter vorwärts gegangen, als die Cellulopsida, d.h. als die übrigen Monocellularia. DieseFunktion hat sich morphologisch aus dem Kerne herausdifferenziert in ein selbständiges eigenes Organ, den sogen. Mieronucleus. Der typische Zellkern hat sich hier phy- logenetisch in zwei morphologisch getrennte und selbständige Organe entwickelt: den Macronucleus und den Micronucleus. Der letztere hat sich zum Fortpflanzungsorgane herausgebildet, während der erstere die übrigen Funktionen des Zellkernes beibehalten hat, von welchen eine der wichtigsten die eines Oentralapparates ist, wel- cher alle Lebensfunktionen der Zelle regiert, koordiniert und das physiologische Gleichgewicht aufrecht erhält. Es zeigt also der Infusorien-Organismus die ersten Versuche einer morphologischen Herausdifferenzierung und bestimmten Lokalisation einzelner Organe, von welchen ein jedes einer bestimmten Lebens- funktion dient. Deshalb müssen wir, im Gegensatze zu den Cellulop- sida, für die Infusorien folgende Formulierung geben: Die kardi- nalen Lebensfunktionen der Infusorie, welche in ihrem ganzen Wesen einer Zelle gleichwertig ist, sind an ein- zelne bestimmte, spezielle, morphologisch vollkommen 382 548 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. gesonderte und bestimmt lokalisierte Organe gebunden. Es liegt mir natürlich fern und es ist ja unmöglich, eine vollkommene Analogie durchzuführen zwischen genannten morphologischen Differen- zierungen (Organen) der Infusorien und den Organen viellzelliger Or- ganismen, in dem Sinne, wie es seiner Zeit Ehrenberg aussprach. Allein zweifellos ist meines Erachtens die Thatsache, dass viele mor- phologische Differenzierungen des Infusorienkörpers, welche diesen Or- ganismen einen vollkommen eigenartigen Habitus verleihen, als Proto- typen, als phylogenetische Urformen wirklicher Organe der Polycel- lularia aufzufassen sind. Die Aehnlichkeit im Charakter der inneren Organisation und Differenzierung zwischen einer Infusorie und einem vielzelligen Organismus ist bisweilen eine überraschende, wobei als demonstrative Beispiele einige Infusorien aus derGruppe „Peritricha“ dienen können. So zeigen z. B. Vorticella, Componella, Opereularia, Ophrydium u. a., was ihre äußere Form wie auch ihre innere Differen- zierung anbelangt, eine große Aehnlichkeit mit einigen Formen der Bryozoa, oder mit der Larvenform „Trochophora“. Zuweilen je- doch beschränkt sich diese Aehnlichkeit nur auf die äußere Form, so z. B. simuliert Dendrosoma aus der Unterklasse der Tentaeulifera, vollkommen eine Hydroidenkolonie. Der oben angeführte Charakterzug der Infusorienorganisation, welcher diese Organismen von den übrigen Einzelligen trennt, deutet darauf hin, dass sie ihre phylogenetische Entwickelung höchst wahr- scheinlich direkt aus der Zelle als ein besonderer selbständiger Zweig begonnen, wobei ihre ganze innere Differenzierung, im Gegensatze zu den übrigen Einzelligen und im Einklange mit den Vielzelligen auf eine Ausarbeitung spezieller, morphologisch selbständiger Gebilde oder Organe für jede der Hauptfunktionen des Lebens gerichtet war. Aus all dem von mir schon früher gesagten ist ersichtlich, dass solch ein komplizierter Differenzierungsprozess natürlich nicht in einer morpho- logisch unteilbaren Einheit, oder gar chemisch einheitlichem Systeme lebendiger Substanz, wie kompliziert sie auch gewesen sein mag, (wie es noch sehr Viele naiv glauben), sich abgespielt haben konnte, son- dern abhängig gewesen sein musste von einer qualitativen Differen- zierung gewisser elementarer morphologischer Einheiten und dessen Associationen, aus denen die Zelle aufgebaut sein musste. Wenn wir uns nun auf den Standpunkt der Bioblasten stellen, so wird jener kom- plizierte phylogenetische Prozess der morphologischen Differenzierung, welcher im Organismus der Infusorien vor sich gegangen, unserem Ver- ständnisse viel näher gebracht. Die Organe der Infusorien, welche denselben bisweilen eine erstaunliche Aehnlichkeit mit vielzelligen Organismen verleihen und die zeitgenössischen Gelehrten in Verlegen- heit setzen, sind durchaus keine Gebilde sui generis, welche mit den Organen der Viellzelligen nicht zu vergleichen wären, wie man Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 549 es sich noch heut zu Tage denkt. Im Gegenteil, sie können ver- glichen werden, und zwar nicht nur in physiologischer Beziehung, son- dern auch in morphologischer, da sie ganz ebenso zusammengesetzte Gebilde darstellen, welche sich aus einer Summe von Cytoblasten auf dem Wege einer komplizierten und vielseitigen Differenzierung der- selben, herausgebildet haben. Die Organe des vielzelligen Or- ganismus, welche nur Teile des ganzen Organismus, als einer Einheit höherer Ordnung darstellen, sind aus einer Summe von Zellen, d.h. von Einheiten niederer Ordnung aufgebaut. Die Organe der Infusorie, welche ebenfalls nur Teile des ganzen Organismus, als eine Einheit höherer Ordnung, darstellen, sind aus einer Summe von Cytoblasten, d.h. vonEinheiten niedererOrdnung (elemen- tarer) aufgebaut. Diese Sätze zeigen, dass die Analogie eine voll- kommene ist, natürlich müssen wir nur beim Vergleich der Infusorien- organe mit denen eines vielzelligen Organismus, das Verhältnis sowohl der ersteren, als auch der zweiten, nur zu dem Organismus, dessen Teile sie darstellen, da ja der ganze Organismus einer Infusorie im Verhältnisse zum vielzelligen Organismus eine Einheit niederer, unter- „eordneter Ordnung ist. Nachdem wir nun diese Frage mehr oder weniger erledigt haben, stehen wir vor einer anderen dunklen und ungelösten Frage. Warum, fragt es sich, ist im Organismus einer Infusorie, welche die Grundzüge der Organisation einer Zelle beibehalten hat, der Charakter der inneren morphologischen Differenzierungsprozesse ein vollkommen anderer, als in den übrigen einzelligen Organismen, und ganz derselbe wie in den Vielzelligen? Vorläufig sind wir nur imstande die Annahme zu machen, dass die phylogenetische Entwickelung der Infusorien aus einer typischen Zelle sich in einer besonders starken Energie und Spannkraft der Differenzierungsprozesse, äußerte Ohne aus den Grenzen einer Zelle herauszu- kommen, führte das Maximum der Energie der morpholo- gischen Differenzierung zur Ausbildung einer Reihe von Organen, welche im Verhältnis zum ganzen Organis- mus der Infusorie den Organen einesvielzelligen Organis- mus vollkommen analoge Gebilde sind. Alle die oben angeführten Reflexionen über die Organisation der Infusorien rechtfertigen, denke ich, zur Genüge meinen Versuch, die- selben in einen vollkommen selbständigen Typus einzelliger Organismen auszuscheiden. Gleichzeitig überzeugen wir uns davon, dass dieser Typus sozusagen die Fortsetzung der phylogenetischen Entwickelung der Polyblasta darstellt, so dass die typische Zelle oder die einer Zelle gleichwertigen Organismen (Cellulopsida), was ihre phylo- genetische Entwickelung anbelangt, niedriger als die Infusorien stehen, 550 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. und höher, als alle anderen drei Typen der niedrigsten Lebe- wesen!). NL Indem ich alle Protozoa mit Ausnahme der Autoblasta (Mono- blasta) in eine große Gruppe der Polyblasta vereinigte, welche ich in vier selbständige Typen zergliederte, wurde ich fast ausschließ- lich von einer vergleichenden Analyse ihrer morphologischen Organi- sation geleitet, welche in betreffenden Fragen zweifellos die größte und ausschlaggebende Bedeutung hat. Diese Analyse hatte jedoch selbstverständlich nur ausgewachsene sogen. reife Formen im Auge, welche an der Grenze ihrer ontogenetischen Entwickelung stehen. In- folgedessen entsteht nun eine andere, höchst wichtige Frage, welche ich in meiner letzten kritischen Skizze (l.e.) nur ganz flüchtig berührte. Diese Frage betrifft die ontogenetische Entwickelung der komplizierte- sten Formen der Polyblasta. Dass die verschiedenen Vertreter der Protozoa bisweilen einen sehr komplizierten Oyclus von Metamor- phosen durchmachen, aus einem besonderen, einfachsten embryonalen Stadium sich in die reife Form entwickelnd, ist allbekannt. Die ontogene- tische Entwickelung einer Gregarine oder einer Radiolarie ist eine Reihe aufeinanderfolgender morphologischer Umgestaltungen. Diese Umgestaltungen erscheinen aber in den Augen der Biologen nur als verschiedenartige Umgestaltungen und Umgruppierungen der Bestand- teile einer Zelle. Die Zelle, für welche irgend ein kleinster „Sporo- zoid“ gehalten wird, bleibt dieselbe Zelle, auch nachdem jener sich in eine reife Gregarine umgewandelt hat. Und niemand hat es bis jetzt für nötig befunden die Frage einer ernsten Kritik zu unterwerfen, ob der „Sporozoid“ in Wirklichkeit eine Zelle ist, oder eine viel niedrigere Form, und ob nicht die ontogenetische Entwickelung, sagen wir einer 1) Indem ich die Cellulopsida und Infusoria unter dem Namen Eunucleata oderMonocellularia vereinigte, will ich durchaus nicht behaupten, dass die Infusorien von einer Urform abstammen, welche als ein Glied in der phylogenetischen Entwickelungsreihe derEunucleata aufzufassen sei. Im Gegen- teil, in Anbetracht der charakteristischen Besonderheit in der Differenzierung des Kernes, sowie des Charakters der ganzen inneren Differenzierung, welcher auf eine höhere phylogenetische Entwickelungsstufe dieser Organismen hin- weist, wird es richtiger sein die Infusorien aus der Urform (einer typischen Zelle-Cellula) herzuleiten, von welcher die Cellulopsida, Infusoria und Polycellularia sich direkt als drei selbständige, von einander unabhängige Zweige entwickelt haben. Leider habe ich nicht die Möglichkeit, in vorliegen- der Skizze viele hierher gehörige Fragen sogar nur zu berühren, da ich beab- siehtige — nur im Allgemeinen auf die Hauptzüge der Organisation hinzu- weisen, welchen die Hauptrolle beigemessen werden muss bei der Aufklärung der phylogenetischen Beziehungen der sogen. Protozoa. Ausserdem sind wir gezwungen, vorerst detailliertere und gründlichere Forschungen über die feinsten strukturellen Beziehungen des Organismus der Polyblasta abzuwarten. So- gar der Bau des Kernes in den verschiedensten Protozoengruppen ist noch lange nicht zur Genüge klargelegt, und diese Frage muss einer eingehenden und vorurteilsfreien Bearbeitung unterworfen werden. Und erst dann, erst in der Zukunft, werden wir im Stande sein, positivere und beweiskräftigere An- schauungen über die näheren phylogenetischen Verwandtschaftsbeziehungen der verschiedenen Gruppen der sogen. niedrigsten Lebewesen zu äußern. Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 551 Gregarine, — eine wahre Entwickelung, d. h. ein aufeinanderfolgen- der Wechsel, ihrer Organisation nach immer komplizierter werdender Formen, darstelle. Wie mir bekannt, hat keiner ernstlich nachgedacht über solch ein in biologischer Hinsicht merkwürdiges Faktum, dass die elementare morphologische und biologische Einheit, ungeachtet eines zuweilen höchst komplizierten ontogenetischen Entwickelungs- zyklus, welcher sich unter anderen in einer Reihe einander abwechseln- der morphologischer Bilder äußert, — ebenfalls eine elementare Einheit bleibt. Das wäre eine völlig unverständliche Erscheinung. Die elementare morphologische Einheit kann eine strukturell nachweisbare ontogenetische Entwickelung haben. Wenn wir uns jedoch davon überzeugen könnten, dass diejenigen Formen der Polyblasta, welche ihren bestimmten Entwickelungszyklus be- sitzen, denselben in Form von Keimen, und Embryonen durchlaufen, welche, was ihre innere morphologische Organisation betrifft, unver- gleichlich niedriger stehen, als die erwachsenen, d. h. reifen Formen, und wenn man genau bestimmen könnte, dass diese Keime und Em- bryonen nur Teilen, nur bestimmten Elementen der erwachsenen Form entsprechen, wobei diese Teilchen und die einzelnen Entwickelungs- stadien gewissen, niedriger stehenden, freilebenden Organismen ent- sprächen, — so würde das ebenfalls ein unbestreitbarer Beweis sein zu Gunsten der von mir entwickelten Ansicht von der Phylogenese aller jener Formen, welche bis jetzt noch, was vollkommen ungerecht- fertigt ist, künstlich als einzellige Organismen zusammengehalten werden. Allein ungeachtet dessen, dass die Entwiekelungsgeschichte vieler Repräsentanten der Protozoen-Klassen anscheinend in den Haupt- zügen gut studiert ist, und uns bekannt ist, so beschränken wir uns in unseren Kenntnissen nur auf rein äußere morphologische Merkmale einzelner Entwickelungsstadien und deren Aufeinanderfolge, während die intime innere morphologische Organisation der einzelnen ontogene- tischen Entwieklungsstadien fast vollständig unerforscht ist. Diese Frage wurde fast garnicht berührt, während gerade eine detaillierte Erforschung der feinen histologischen Strukturen einzelner Stadien der ontogenetischen Entwickelung der „Einfachsten Lebewesen“ einen erheblichen Dienst erweisen könnte im Interesse einer Klärung phylo- genetischer Verwandtschaftsbeziehungen der sogen. Protozoa. Der Grund dieser traurigen Sachlage ist augenscheinlich. Der blinde Glaube daran, dass auch der allereinfachste Keim irgend eines niedrigsten Lebewesens zweifellos eine Zelle sein müsse, weshalb auch, wenn die Rede (in den meisten Fällen sehr oberflächlich) von ihrer inneren Organi- sation ist, von Protoplasma und vom Kerne im hergebrachten Sinne des Wortes gesprochen wird, und öfters sogar einzelne Chromatinkörner (Cytoblasten) für wahre Kerne angesehen werden, ohne dass man sich auf eine Analyse ihres wirklichen Wesens einlässt. Wir haben z. B. 552 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. fast gar keine Hinweise auf die thatsächliche innere morphologische Differenzierung solcher Stadien, wie die „Sporozoiden“ verschiedener Sporozoa. In Wirklichkeit aber zwingen uns, sowohl die Beschrei- bungen der Autoren, als auch die Abbildungen und die Größenverhält- nisse in Frage stehender Formen, zu bekennen, dass sie nicht im ent- ferntesten den sozusagen, geschlechtreifen Formen entsprechen, was ihre innere Differenzierung anbelangt. Die „Sporozoiden“ einer Gre- garine (z. B. Porospora), oder die „Zoosporen“ vieler Rhyzopoda, oder endlich die „Sporoblasten“ der Myxosporidien stehen, was ihre innere Differenzierung anbelangt, zweifellos unvergleichlich niedriger, als die aus ihnen sich entwickelnden reifen Individuen. Während die ausge- bildeten Sporozoa zu dem Typus der Cellulopsida zu zählen sind, müssen ihre Keime, d. h. jene Elemente, aus denen sie sich onto- genetisch entwickeln, denjenigen Organismen gleichgestellt werden, welche ich in dem Typus Anucleata vereinigte. Desgleichen scheint es meiner Ansicht nach zweifellos zu sein, dass viele von den sogen. Bakterienformen, welcher meiner Anschauungsweise zu Folge zu den Anucleata und Pseudonucleata zu zählen sind, ihre ontogene- tische Entwicklung in Form eines einfachen Bioblasten, d. h. eines den Autoblasta analogen Gebildes beginnen. Zum Unglück liegen uns ausführliche Untersuchungen in dieser Richtung, wie schon gesagt, noch nicht vor; und aus begreiflichen Gründen können wir hoffen, erst in der Zukunft uns mit denselben zu bereichern. Dessen unge- achtet lenken uns den oben angeführten ähnliche Ausführungen auf den Gedanken, auch in der Frage von der ontogenetischen Entwick- lung der Organismen eine Analogie durchzuführen zwischen den viel- zelligen Organismen, d. h. den Metazoa (Polycellutaria) und den sogen. Protozoa (Polyblasta). Gleich wie sich die Poly- cellularia ontogenetisch aus einer Zelle entwickeln, d.h. aus einer biologischen Einheit niederer Ordnung, aus deren Summe sie aufgebaut sind, — so entwickeln sich auch viele Polyblasta ontogenetisch aus Bioblasten, d.h. aus biologischen Einheiten niederer Ordnung, aus einer Summe welcher sie ihrerseits aufgebaut sind. Oder, gleiehwie die Ontogenese der Metazoa (Polycellularia) eine Wiederholung ihrer Phylogenese in den Hauptzügen ist, so zeigt uns auch die ÖntogenesevielerProtozoa (Polyblasta) den Weg ihrer phylogenetischen Entwicklung!). Außer einem 1) Ich weiß ganz gut, dass die Meisten sagen werden, wir hätten heutzu- tage keine genügend ernsten und überzeugenden Beweise, um diese Behaup- tung aufstellen zu können. Ich glaube jedoch, dass daran nicht zu zweifeln sei, dass die Keime der ÖOntogenese vieler Polyblasta in struktureller Be- ziehung den ausgewachsenen Individuen keineswegs entsprechen, sondern nur Teilchen derselben darstellen. Es finden sich weiterhin schon einige Hinweise in der Litteratur vor, dass die Ontogenese von einem einfachen Chromatinkörnchen, d. h. von einem Cytoblast ausgeht (z. B. die interessanten Angaben von Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 553 sehr fühlbaren Mangel an faktischen Angaben in betreffendem Ge- biete, wird die Ausarbeitung dieser Frage noch erheblich erschwert durch den großen Reichtum an Formen oder Arten der Vermehrung und ontogenetischer Entwicklung, die wir unter den Protozoa antreffen, als wenn unter den Repräsentanten dieser großen Reihe einfachster Organismen die Natur den Versuch gemacht hätte, den allervorteil- haftesten Vermehrungsmodus für die Organismen höherer Ordnung d. h. die Vielzelligen, herauszubilden. Wenn die weiteren, genauen histologischen Untersuchungen der Vermehrungsprozesse der Zellen; wenn weitere spezielle Forschungen die ganze komplizierte Reihe morphologischer Differenzierungen unserer Erkenntnis näher rücken werden, welche z. B. eine hoch entwickelte Radiolarie während ihrer Ontogenese durchlebt, angefangen von der „Zoospore“, deren ganzer Körper aus einem den Zellkern simulierenden Chromatineytoblasten und wenigen kleinsten, den übrigen Körper aus- machenden Cytoblasten besteht, -— so werden wir mit der Zeit die volle Möglichkeit haben, den genealogischen Baum der einzelnen Marschall-Stanley, Beiträge zur Kenntnis der Gregarinen. Archiv für Naturgeschichte, vol. I, p.25—40, pl. 2, 1899). Die Sporen einiger Anucleata oder Pseudonucleata stellen zweifellos den Bioblasten analoge Gebilde dar. Ferner haben wir eine Reihe von Hinweisen viele somatische Zellen betreffend, dass sie eine besondere Art ihrer Vermehrung, d. h. einer ontogenetischen Entwicklung neuer Zellen aus Cytoblasten, haben. Eine ausführliche Unter- suchung der ontogenetischen Entwicklung von Gewebszellen, sowie verschie- dener Vertreter der Polyblasta ist selbstverständlich mit großen Schwierig- keiten verknüpft. Während nämlich das Ausgangselement der Entwicklung eines vlelzelligen Organismus, die Eizelle, unseren bewaffneten Auge voll- kommen zugänglich, und histologisch als Struktureinheit niederer Ordnung leicht zu unterscheiden ist, ganz gleich, ob die ganze Ontogenese sich außer- halb des mütterlichen Organismus abspielt, oder in demselben eingeschlossen ist, — ist das Ausgangselement der ontogenetischen Entwicklung der meisten Protozoa (Polyblasta) dem Forscher der Gegenwart sehr schwer zugänglich, umsomehr, wenn wir in Betracht ziehen, dass die ontogenetische Entwicklung der Polyblasta in den meisten Fällen im mütterlichen Organismus vor sich geht und dass, sozusagen, schon reife Zellen entstehen. Wenn wir nun berücksich- tigen, was für erhebliche technische Schwierigkeiten und Hindernisse schon bei Ergründung der inneren morphologischen Struktur und Differenzierung der Zelle überhaupt zu verzeichnen sind, ist es leicht begreiflich, dass der Prozess der ontogenetischen Entwicklung, wie der Gewebszellen so auch der Poly- blasta, welcher, wie schon gesagt, in den meisten Fällen innerhalb der mütterlichen Zelle selbst verläuft, noch eine Terra incognita darstellt. Es ist infolge dessen nicht zu verwundern, dass wir bis jetzt noch so oberflächlich bekannt sind mit den morphologischen Bildern dieses Prozesses, welcher unter komplizierten, noch so subjektiv beurteilten und verschiedenartig ausgelegten Zellstrukturen verläuft. — Allein, wenn wir uns nur in die schon jetzt be- kannten morphologischen Thatsachen der Zellvermehrungsprozesse hineindenken, so überzeugen wir uns, dass im Inneren der Zelle ein nach der Zeit sowie nach einer Reihe regelrecht aufeinanderfolgender morphologischer Metamor- phosen, messbarer physiologischer Prozess vor sich geht, welcher immer nur von bestimmten Kerneytoblasten, d. h. elementaren biologischen Einheiten seinen Anfang nimmt, und welcher ja gerade der ontogenetische Entwicklungs- prozess der Zelle ist. Detailiierte, histologische Forschungen in dieser Rich- tung bilden meines Erachtens ein zeitgemäßes Bedürfnis im Interesse der Lösung wichtigster biologischer Fragen. — 554 Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. Gruppen der Polyblasten auf Grund vollkommen derselben Prin- zipien der inneren Organisation und der ontogenetischen Entwicklung aufzuzeichnen, welche unserem Verständnisse heutzutage die phylo- genetischen Verwandtschaftsbeziehungen der einzelnen Gruppen der Metazoa (Polycellularia) verhältnismäßig so nahe gebracht haben. ValB Alle von mir im Vorhergehenden ausgesprochenen Anschauungen vom phylogenetischen Ursprung und den phylogenetischen Verwandt- schaftsbeziehungen gegenwärtig lebender sogen. niederer Organismen sind, wie schon mehrmals gesagt, das Resultat einer vergleichend morphologischen Analyse derselben. Die Berechtigung und das Logische dieser Ausführungen werden wohl wenige, denke ich, in Abrede stellen, obgleich die Mehrzahl sie für verfrüht und ungenügend be- wiesen erachten wird. Ich persönlich kann jedoch unmöglich dieser Ansicht der Mehrzahl beistimmen. Ich halte sogar die wenigen morpho- logischen Angaben über die innere Organisation der sogen. Protozoa, die uns gegenwärtig zu Gebote stehen, für vollkommen genügend, um das von mir hervorgehobene Prinzip der Einteilung der Protozoa und Metazoa (Polyblasta und Polycellularia) anzuerkennen. Die vergleichendmorphologische Methode ist ja die ausschlaggebende bei Lösung derartiger Fragen. Der Begriff der Zelle selbst ist ja im Grunde ein rein morphologischer Begriff, welcher eine Summe be- stimmter Strukturmerkmale in sich birgt. Allein, wie dem auch sei, die Grunddogmen der heutigen Biologie sind vorläufig noch andere. Ich führe nur zwei Beispiele an. In dem bemerkenswerten Werke: Traite de Zoologie .eonerete, Tome]; La cellule et les Protozoaires, Paris 1896, sagt einer der bekanntesten Zeit- genössischen Zoologen, Yves Delage, an einleitender Stelle: „Tout ce qui vit n’est que cellule. Il n’est guere douteux qu’il y a eu autre- fois, et il est possible qu’il existe encore aujourd’hui des masses proto- plasmiques vivantes, sans formes ni dimensions, non encore differen- ci6ces en cellules. Mais, cela mis a part, on peut dire que la cellule est ’unit& organique universelle. Nous proposons de la definir de la maniere suivante qui nous parait bien rendre, ce qu’il y a d’essentiel dans sa conception. La cellule est l’organe protoplasmique le plus simple qui, ayant une forme propre et une taille determinee, soit capable de vivre seul, ou n’ait besoin de s’associer qu’a ses semblables pour former des &tres capables de vie independante. ..“ Diese Formulierung bietet nur in der Hinsicht einen gewissen Fortschritt, als sie die logische Möglichkeit einer Existenz von niedriger als die Zelle stehenden Organismen zugiebt. Weiterhin weise ich noch auf Oscar Hertwig hin, welcher in seinem neuesten Buche, auf Seite 8-9 die Zellen als organische Individuen erster Ordnung be- trachtet. (Die Zelle und die Gewebe etc. Zweites Buch. Schlater, Monoblasta-Polyblasta-Polycellularia. 555 Jena 1898.) Folgendermaßen formuliert Hertwig jene Grund- prinzipien, welche die gegenwärtige Biologie vollkommen charakteri- sieren. „Die Zellen sind die elementaren Einheiten des ganzen Orga- nismenreichs. Die unzähligen Arten von Pflanzen und Tieren, die uns bekannt sind, verharren entweder dauerd auf der Stufe einzelner Zellen, oder sie treten uns wenigstens stets am Anfange ihrer Ent- wicklung in der Form einer Zelle entgegen. So viele Species die Systematik in der Organismenwelt unterscheiden mag, so viele spezifisch unterschiedene Zellen oder so viele Species von Zellen, so viele Art- zellen muss es geben, verschieden von einander in ihrem stofflichen Aufbau, in ihrer micellaren Struktur...“ „In der Form des Elementar- organismus oder der „Artzelle“ sehen wir daher die spezifischen Eigen- schaften der organischen Species in ihre einfachste Formel gebracht, freilich in eine Formel, welche für den Forscher zur Zeit noch nicht zu entziffern ist...“ „Indem im Organismenreich alles Leben von der „Artzelle“ ausgeht, ein jeder Entwicklungsprozess mit ihr beginnt und wieder zu ihr zurückführt, bildet sie die allgemeinste und wichtigste Form, in der sich das organische Leben äußert, das organische Indi- viduum einfachster Art“. Oscar Hertwig ist jedoch ein Forscher von viel zu hoher Beobachtungsgabe und logischer Denkweise, als dass er jene neuen Anschauungen nicht erfassen und nicht würdigen würde, welche unsere Erkenntnis der organisierten Lebewelt zu er- weitern und zu vertiefen versprechen. Nicht umsonst folgen dieser dogmatischen Anschauung nachstehende Zeilen: „Durch den Zusatz einfachster Art soll natürlich nicht ausgeschlossen sein, dass nicht die Zelle selbst noch in einfachere Lebenseinheiten zerlegbar sei; haben wir doch selbst schon im ersten Buch (S. 272, 236) die Perspektive angedeutet, dass solches in Zukunft wahrscheinlich noch gelingen wird, und dass jetzt schon im Zelleninhalt sich kleinere, durch Teilung sich vermehrende Stoffeinheiten nachweisen lassen. Doch können wir solche so lange nicht als selbständige Elementarorganismen bezeichnen, als nicht der Nachweis geführt ist, dass sie auch außerhalb der Zelle lebensfähig sind, oder wenigstens sich selbständig lebenden Organismen vergleichen lassen, die einfacher als Zellen sind und im organischen Entwicklungsprozesse als die Vorstufen von ihnen betrachtet werden müssten. Da es aber auf diesem Gebiet zur Zeit an jedem auf Er- fahrung beruhendem Anhalt fehlt, so muss die empirische Forschung die Zelle als die einfachste elementare Form des Lebens hinnehmen“. Wie wir aus diesen Worten ersehen, hält nur ein Umstand Hertwig davon ab, im Inneren der Zelle „selbständige Elementarorganismen“ anzuerkennen, dass es nämlich in der Natur keine freilebenden, den- selben gleichwertigen und analogen Organismen gäbe. Ich hege aber die Hoffnung, dass jene morphologischen Gegenüberstellungen, welche ich in dieser Skizze versucht habe, sowie eine vollkommen vorurteils- 556 von Linden, Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. freie Würdignng der vergleichendmorphologischen Thatsachen diesen ansehnlichsten Repräsentanten der heutigen Biologie davon zu über- zeugen im Stande sein werden, dass es solche Organismen in der Natur thatsächlich giebt, und dass es auch eine ganze Reihe von Uebergangsformen giebt von ihnen bis zur typischen Zelle hinauf. Und wenn nun dieses letzte Hindernis beseitigt wird, welches bis jetzt die besten Vertreter der Biologie davon abhält, sich zu Gunsten der hier vertretenen Anschauungsweise auszusprechen, so können wir mit vollster Ueberzeugung der Biologie ein rasches und vielverheißendes Vorwärtsschreiten voraussagen. [46] Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. In seiner Monographie der 'Turbellarien (II. Trieladida terricola Landplanarien Leipzig Engelmann 1899) giebt uns v. Graff eine ein- gehende Beschreibung der Färbung und Zeichnung dieser Tiergruppe. Fast alle Landplanarien zeichnen sich durch lebhafte Färbung ihres Kleides aus, das neben reinem Schwarz alle monochromatischen Farbtöne aufweist. Nur wenige Arten sind farblos. Am häufigsten ist gelb in allen Schattierungen, dann folgt orange, rot, grün, selten sind dagegen reine blaue und violette Töne. Das Pigment, welches diese Färbungen hervorruft, scheint stets dem Parenchym anzugehören und ist entweder diffus in dessen Balkenwerk verteilt, oder in besonderen Pigmentzellen enthalten. Im Epithel konnte merkwürdigerweise nie echtes Pigment nach- gewiesen werden. Wir begegnen bei den Planarien indessen auch me- tallischen und irisierenden Farben, deren Zustandekommen noch nicht er- klärt werden kann. Was nun bei den gezeichneten Planarien die Verteilung der Farben betrifft, so ist zu sagen, dass in der Mehrzahl der Fälle eine helle Grund- farbe zu beobachten ist, von der sich die dunklere Zeichnung mehr oder weniger deutlich abhebt. Grundfarbe und Zeichnung sind im Allge- meinen auf der Bauchseite weniger ausgebildet als am Rücken und pflegen auch dorsal jede für sich nur in einem Farbenton aufzutreten. Dieser ist mehr oder weniger rein, je nachdem diffus verteiltes dunkles Parenchym- pigment vollständig fehlt oder in größerer Menge vorhanden ist. Der- artige Differenzen in der Schattierung der Grundfarbe steigern sich in ein- zelnen Fällen derart, dass sie zur Mehrfärbigkeit führen, eine Erscheinung, die bei der Zeichnung seltener zu beobachten ist. Die vom Licht abgekehrte Bauchseite ist weniger intensiv gefärbt als die Rückenseite und zwar in demselben Verhältnis, als sie sich der Belichtung entzieht. Es ist deshalb hauptsächlich die Kriechfläche, welche im Gegensatz zur Zeichnung des Rückens zu stehen pflegt. Von Zeichnungstypen finden wir bei den Planarien neben Ein- färbigkeit, Marmorierung, Fleckung, Längsstreifung und Querstreifung, und diese Haupttypen sind untereinander wieder durch zahlreiche Ueber- gänge verbunden. Bei den einfärbigen Formen unterscheidet v. Graff zwischen heller und dunkler Einfärbigkeit. Die erstere wird durch Pigmentarmut oder helle Pigmentierung, die letztere durch Ueberfluss an dunkelm Farbstoff von Linden, Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. 557 hervorgerufen. Dunkel-einfärbige, marmorierte und gefleckte Formen scheinen sich sehr nahe zu stehen, denn bei anscheinend einfärbigen Planarien konnte der Verfasser mit der Lupe feststellen, dass dieser Zeichnungsform eine feine Netzzeichnung zu Grunde liegt, die bei deutlicherer Ausbildung zur Marmorierung führen muss, die ihrerseits wieder von der Fleckung nur bei extremer Ausbildung beider Zeichnungstypen auseinander zu halten ist. Die Größe und Gestalt der Flecken ist sehr variabel, und es tragen überhaupt auch die Marmorierung und Fleckung an verschiedenen Körper- stellen erst recht verschiedenen Charakter. Am meisten variiert die Ver- teilung der Flecken am Vorderende, aufder Medianlinie des Rückens und an den Seitenrändern, und die Anhäufung dieser Zeichnungsmerk- male kann dabei so dicht werden, dass sie zur Streifung überführt. Mar- morierung und Fleckung erstrecken sich bald auf den ganzen Rücken, bald nur über gewisse Längszonen, bald nur auf das Vorder- oder Hinter- ende des Tieres. Unter den längsgestreiften Formen tragen die meisten dunkle Längsstreifen auf hellem Grund, seltener sind Tiere mit heller Streifung auf dunklem Grund. Die Zeichnungselemente dieser Gruppe bestehen aus Linien, Strichen, Streifen oder Bändern, die mehr oder weniger scharf be- grenzt erscheinen und bisweilen eine Zusammensetzung aus Flecken er- kennen lassen. Die Streifen sind wie die Zeichnungselemente überhaupt bilateral symmetrisch angeordnet und kommen in der Zahl 1—16 vor. Sie sind über den Planarienkörper so verteilt, dass man eine Rücken-, eine Marginal- und eine Ventralzeichnung unterscheiden muss. Die Rückenzeichnung zerfällt in fünf Regionen. Zu äußerst die marginale Region, auf diese folgt die laterale und zunächst der Mitte des Rückens verläuft die mediale Region. Während in diesen fünf Regionen die Streifen alle paarweis vorkommen, findet sich in der RRückenmitte nur ein Medianstreifen. Im einfachsten Fall der Längsstreifung besteht Einstreifigkeit, indem die Lateralzonen in die Ventralzonen übergehen. Mehrstreifigkeit beginnt häufig damit, dass am Seitenrand (Marginales) oder auf dem Rücken, eingefasst von den Marginalzonen der Grundfarbe zwei neue Streifen auf- treten. Bei fünfstreifigen Formen kann der Rücken entweder vier oder sechs Zonen haben, je nach der rand- oder rückenständigen Stellung der Marginales, bei Siebenstreifigkeit zählt man 4 oder 3, bei Neunstreifigkeit 4 oder 5 Zonenpaare auf dem Rücken. Bei paarig gestreiften Formen mit zwei Streifen ist das Streifenpaar je nach seiner Lage medial, lateral oder marginal immer als Medialstreifenpaar zu bezeichnen. Viel seltener als längsgestreifte finden wir bei Landplanarien q uer- gestreifte Formen. Die Querstreifung pflegt in perlateralen Flecken, Streifen oder Rändern aufzutreten. Auszuschließen von der eigentlichen Querstreifung sind nach v. Graff die Querbänder, welche als Ver- schmelzung von Längsstreifen in der Region des Mundes und der Ge- schlechtsöffnung vorkommen. Als bleibende Querzeichnung erhalten sich bei vielen Planarien die das vordere Körperende schmückenden Hals- bänder. Dieselben sind von heller Farbe und entstehen dadurch, dass die dunkle Parenchymzeichnung dem Vorderende mangelt, während gleich- zeitig die äußerste Spitze ein anderes Epithelpigment trägt als der Rest des Körpers, Manchmal ist ihre Zusammensetzung aus einem hellen 558 von Linden, Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. Fleckenpaar noch deutlich zu erkennen. (Plat. bivittatus). Minder scharf ausgesprochene Querzeichnungen kommen in den weiter nach hinten ge- legenen Körperregionen bei @. sagittata und retieulata ebenfalls infolge lokalen Schwundes des Körperpigmentes vor. Während von den längs- gestreiften Formen die meisten dunkle Streifen auf heller Grundfarbe tragen, treffen wir bei den quergestreiften Planarien immer helle Flecke auf dunkler Grundfarbe an. In die erste Gruppe der quergestreiften Bipalien gehören diejenigen Formen mit dunklem Medianstreif, deren Querbinden durch den Medianstreif unterbrochen werden z. B. B. yestroi. Bei B. ellioti sind von 6 Binden nur noch drei unterbrochen und an diese schließt sich B. quadricinetum, die nur eine fortlaufende Querbinde be- sitzt und durch die Andeutung einer hellen Medianlinie zur zweiten Gruppe überführt, bei der ein heller Medianstreif charakteristisch ist. Noch mehr schwindet die dunkle Pigmentierung zu Gunsten der hellen Farbe in der dritten Gruppe, wo die helle Querzeichnung so überhand genommen hat, dass durch sie die ursprüngliche dunkle Grundfarbe bis auf den Rest ver- drängt wird. Färbung und Zeichnung des Planarienkörpers ist, wie wir schon bei Erwähnung der Halsbänder sahen, in allen seinen Abschnitten durchaus nicht immer gleichartig ausgebildet. Das Vorderende ist häufig vom übrigen Körper recht verschieden gefärbt und gezeichnet. So ist es bei Geoplanaarten gelb oder rosenrot, während die Rückenfarbe hellere oder dunklere Töne aufweist. Noch öfter finden sich hier Einlagerungen von braunem und schwarzem Pigment, und sehr verbreitet ist auch Pigmentmangel in der Grundfarbe, was ein schärferes Hervortreten der Zeichnung an dieser Stelle zur Folge hat. Unter den dunkellängsstreifigen Formen stellen jene den ersten Schritt zu besonderer Kopfzeichnung dar, bei welchem die dem Kopf angehörenden verbreiterten Streifenenden durch eine Unterbrechung am Hals von den Körperstreifen getrennt sind. Die quergezeichneten Bipalien sind an Kopf und Körper meist übereinstimmend gezeichnet. Charakteristisch für die Zeichnung des Bipalienkopfes sind Stirnbinden, Brillenflecke, Keilflecke und Kommaflecke. Die Stirnbinden stellen gewöhnlich Fortsetzungen dunkler Marginal- und Lateralstreifen dar und erscheinen als scharf be- grenzte zu den Seiten des Kopfes parallel laufende Bänder. Die Brillen- flecke liegen dagegen auf der Dorsalseite des Kopfes; sie bestehen aus rundlichen Flecken, den abgegliederten Vorderenden heller Marginalstreifen, oder aber sie bilden sich aus anderen Streifen des Körpers, aus Quer- streifen, oder durch Verschmelzung heller Flecke. (B. ocellatum und B. robiginosum), Keilflecke werden vom Stirnrand gegen die Kopf- basis verlaufende, an Breite abnehmende Flecken genannt, die stets dunkel gefärbt zu sein pflegen und auch bei quergestreiften Arten vorkommen (B. ridleyi, ranchi und simrothi) und wohl Reste früherer Querstreifen darstellen. In der Kopfmitte, im Verbreitungsbezirk dunkler Längsstreifen oder der dunklen Grundfarbe, finden sich als helle längliche Flecke die Kommaflecke. Liegen diese Zeichnungsmerkmale im Verbreitungsgebiet dunkler Längsstreifen, so sind sie als abgegliederte Vorderenden einer hellen Medianzone anzusehen; treten sie im Bereich der Grundfarbe auf, so müssen sie, wie sehr häufig die Stirnbinde und der Halsstreifen des- selben Tieres, als selbständige Bildungen gedeutet werden. von Linden, Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. 559 Was nun die Variabilität der einzelnen Zeichnungsformen betrifft, so fand v. Graff, dass Marmorierung und Fleckung sehr ver- änderlich sind, größere Stellen des Körpers können z. B. frei von Zeich- nungsmerkmalen sein, sodass sich lokal Längs- oder Querstreifung aus- bildet. Aehnliche Verhältnisse finden sich sowohl bei dunkler als auch bei heller Grundfarbe. Die Streifung variirt um so mehr, je weniger compact die einzelnen Streifen sind und je mehr deren Zusammensetzung aus einzelnen Punkten und Flecken ihnen einen „diffusen“ Charakter verleiht. Dies gilt namentlich bei Arten mit marmoriertem Grund, aber auch bei solchen mit heller Grundfarbe, also bei reiner Streifung. Es variiert nicht nur Deut- lichkeit und Lage, sondern auch relative Breite und Zahl der Streifen, dadurch dass benachbarte Streifen verschmelzen, oder dass ein Streifen durch Verdichtung der Flecken an den Rändern in zwei Streifen zerfällt. Die Bipaliiden variieren besonders in Bezug auf die Zahl der hellen Flecke und die Gestalt der Kopfzeichnung. Dazu kommen noch große Schwank- ungen in der Ausbildung des Medianstreifens, sowie in der Art wie die Kopfflecken unter einander und mit den drei Längsstreifen des Körpers verbunden oder nicht verbunden sind. Groß ist ferner die Variabilität bei einigen quergestreiften Bipaliiden in Bezug auf die Breite und Länge der Streifensegmente. Die Variabilität der Zeichnung betrifft indessen nicht nur die Rückenzone, sondern sie macht sich auch an der Ventral- seite geltend, indem eine Bauchzeichnung bald vorhanden ist, bald mangelt. Ueber die Jugendzeichnung der Landplanarien ist wenig bekannt. Nach Kennel sind die jungen Individuen von M. terrestris sehr hell gefärbt und erscheinen fast weiß. Andere Forscher berichten, dass bei Jungen, dem Cocon entschlüpften Tieren der vordere Teil des Körpers intensiver gefärbt sei als der hintere. Bei Art. adelaidensis nimmt die Zeichnung der Jungen eine Mittelstellung ein zwischen den Extremen pigmentreicher und pigmentarmer erwachsener Individuen. Die Längs- streifung ist dabei mehr oder weniger angedeutet. Die jungen Tiere von DB. diana und ceres sind viel deutlicher gezeichnet als die Erwachsenen, während für D. proserpina die Zeichnung bei jungen und erwachsenen Individuen dieselbe ist. Bei Plat. grandis sind die kleinsten Individuen bedeutend weniger marmoriert und ausgesprochen deutlicher gestreift als die großen. Bei @. warregulenstis sind die Jungen von hellerer Grund- farbe, haben aber die typische Zeichnung nur am Vorderende angedeutet und bei @. polyophthalma verteilen sich die völlig pigmentlosen wie die marmorierten Individuen gleich auf kleine und große Exemplare. In allen übrigen Fällen ist an kleinen Exemplaren bei marmorierten Formen die Grundfarbe dunkler und die Fleckung und Marmorierung diffuser, bei rein- gestreiften Arten sind die hellen Streifen der Zonen dunkel bewölkt oder gebrochen, die dunkeln Streifen breiter, verschwommener und die Zeichnung ist hier oft blos auf das Vorderende beschränkt, kurz die Zeichnung ist weniger scharf und der Pigmentreichtum ist größer als am ausgewachsenen Tier. Aus diesen Beobachtungen folgert v. Graff, dass es anzunehmen sei, dass bei Landplanarien die Pigmentierung das Ursprüngliche ist und dassfarblose Arten secundär entstehen. Als Ausgangspunkt der Zeichnung nimmt er eine gleichmäßige Verteilung des Pigmentes über den Rücken des Tieres, eine diffuse graue oder graubraune Färbung an, 560 von Linden, Die Färbung und Zeichnung der Landplanarien. Dieser liegt eine Durchsetzung des dem Integument anliegenden Binde- gewebes mit Farbstoffkörnchen zu Grunde. Mit der Lokalisation des Pig- mentes auf Pigmentzellen entsteht aus der diffusen Pigmentierung mehr Fleckung, Marmorierung oder Punktierung. Alle übrigen Zeichnungen gehen nach Graff aus der Marmorierung hervor. Eine Concentration des Pigmentes an bestimmten Stellen, während andere entblößt werden, führt zu helleren Medianzonen, zur Längsstreifung. Daraus erklärt sich, dass nirgends die Ausbildung der Streifen in der Längserstreckung, in ihrer Breite und Zahl so variabel ist, als da wo sie auf marmorierter Unterlage ruht. Erst allmählich entsteht durch Schwinden des Pigmentes in den Zwischenzonen reine Streifung, die dann auch constant ist. Aller Wahr- scheinlichkeit nach ist aber die Längsstreifung als die ursprüngliche Streifungsart anzusehen, da schon im Bau der Landplanarien die Bahnen für die Konzentration des Pigmentes in longitudinalen Streifen vor- gezeichnet sind. Es sind nämlich zwischen den Längsbündeln des Haut- muskelschlauches größere, von pigmentiertem Bindegewebe erfüllte Zwischen- räume zu beobachten. So erscheinen unter der Lupe sehr oft scheinbar kompakte und scharf begrenzte Längsstreifen aus einzelnen parallelen dichter pigmentierten Linien zusammengesetzt. Die reine Querstreifung kann aus der Längsstreifung ent- stehen, dadurch dass die Längsstreifen lokale Unterbrechungen erfahren und die Streifensegmente in querer Richtung verschmelzen; sie kann sich aber auch aus der Marmorierung direkt herausbilden. Bei der Einfärbigkeit muss man zwischen dunkler und heller Einfärbigkeit unterscheiden. Die erstere kann aus der Fleckung oder Marmorierung durch starke Pig- mentvermehrung hervorgehen, die zweite Form durch Verlust ehemals reichlicher vorhanden gewesenen Pigmentes. Die helle Einfärbigkeit bildet dann das Ende einer von der Marmorierung, Fleckung und Längsstreifung oder von der Querzeichnung ausgehenden Entwicklungsreihe und kann durch besondere Anpassungen z. B. an ein Leben im Dunkeln hervor- gerufen werden. Bei der niedrigsten Gruppe der Geoplanidae sind die ursprüng- licheren Zeichnungstypen am relativ häufigsten vertreten, und zwar über- wiegen hier die reingestreiften Formen. Die Bipaliiden erscheinen in der Zeichnung am weitesten fortgeschritten und hier kommen auch re- lativ am meisten quergestreifte Formen vor. Ueber die biologische Bedeutung der Planarien-Zeichnung haben sich die verschiedensten Auffassungen geltend gemacht. v. Ghering betrachtet z. B. die grüne Farbe der @. ladislavii als Schutzfärbung. Derselben Ansicht huldigt Dendy in Bezug auf die Farbe mehrerer Formen. Für die meisten Arten hält indessen v. Graff diese Annahme für nicht zulässig, ebensowenig wie die einer geschlechtlichen Zuchtwahl bei hermaphroditischen Arten. Diese wichtige Frage kann auch innerhalb dieser Tiergruppe nicht eher entschieden werden, als bis wir näheres darüber wissen, inwieweit Farben und Zeichnung auf innere im Bau und Stoffwechsel gelegene Ursachen zurückzuführen sind. [48] Bonn, März 1900. y.D. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenkaä Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 1. September 1900. Nr. 17. Inhalt:’ Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. — Goebel, Bemerkung zu der vorstehenden Mitteilung von Möbius. — Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. — Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. Von M. Möbius. Vor Kurzem ist für eine blühende Schmarotzerpflanze gezeigt worden, dass sie sich nicht nur vollständig apogam entwickelt, sondern dass auch die männlichen Exemplare dieser diöeischen Art ganz aus- gestorben zu sein scheinen. Andererseits ist es durch neuere Unter- suchungen an Flechten wieder sehr wahrscheinlich geworden, dass bei manchen ihrer Arten eine sexuelle Fortpflanzung existiert. Bei der Betrachtung dieser und anderer Verhältnisse hat sich mir der Gedanke aufgedrängt, dass die sexuelle Reproduktion in einem gewissen Ab- hängigkeitsverhältnis vom Parasitismus steht. Ich hatte diesen Ge- danken schon früher einmal in meinem Aufsatze „über Entstehung und Bedeutung der geschlechtlichen Fortpflanzung im Pflanzenreiche“ (diese Zeitschrift, Bd. 16, p. 131) ausgesprochen, die betreffende Stelle aber wieder gestrichen, als ich diesen Aufsatz zu dem Kapitel V meiner „Beiträge zur Lehre von der Fortpflanzung der Gewächse“ (Jena 1397) umarbeitete. Auch. jetzt möchte ich die zuerst ausgesprochene Ver- mutung als unhaltbar bezeichnen, — nämlich es werde durch die Ver- bindung, welche die Parasiten mit anderen lebenden Organismen, ihren Wirten, eingehen, in irgend einer Weise Ersatz für die Verbindung ge- schaffen, die, bei der Zeugung, mit ihresgleichen eintreten würde, sodass sie die letztere Verbindung ohne Nachteil für ihre Entwicklung entbehren könnten, — dahingegen möchte ich eine andere Hypothese aufstellen, für deren Wahrscheinlichkeit mehrere Umstände sprechen. Wenn wir nämlich finden, dass bei. denjenigen Pflanzen, welche sich xXX, 36 5629 Möbins, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. saprophytisch oder parasitisch ernähren, die Organe der sexuellen Re- produktion abnorm werden, diese selbst beeinträchtigt oder gar aufgehoben, dafür aber unter Umständen durch eine asexuelle Keim- bildung ersetzt wird, so sehe ich den Grund dafür darin, dass die eben genannte Ernährungsweise dem eigentlichen Wesen der Pflanzen derartig widerspricht, dass dadurch die Entwicklung der wichtigsten Organe alteriert wird. Am wichtigsten aber sind die Organe, welche zur Er- haltung der Art dienen, also die Reproduktionsorgane, und in der Re- produktion ist die sexuelle als die höhere Stufe, die asexuelle Keim- bildung als eine niedere Stufe oder, in andern Fällen, als ein Rück- schritt zu betrachten. Diesen Rückschritt finden wir nun vor allen Dingen bei den Pilzen und einzelnen schmarotzenden Phanero- gamen, während sonst bei den letzteren nur die Reproduktionsorgane leicht zu abnormer Ausbildung gelangen. Ein großer Gegensatz existiert bekanntlich zwischen der Ernäh- rung der Pflanzen und der der Tiere: die Pflanzen ernähren sich von anorganischen Stoffen, Wasser, Kohlensäure und Mineralsalzen, und bilden aus diesen die verschiedenartigsten organischen Substanzen, die Tiere aber besitzen diese Fähigkeit nieht und sind deshalb auf die Aufnahme organischer Verbindungen, also auf die von den Pilanzen gebildeten Stoffe direkt oder indirekt angewiesen. Das Tier ernährt sich also gewissermaßen immer saprophytisch oder parasitisch, ob es sich die zu seiner Ernährung nötigen Stoffe erst an verschiedenen Orten zusammensuchen muss, wie der Schmetterling, wenn er von Blume zu Blume fliegt, oder der Löwe, wenn er sich ein Beutetier nach dem andern erjagt, — oder ob das Tier inmitten der organischen Sub- stanz lebt und sich von ihr ernährt, wie die Larve des Bockkäfers im Holz oder der Bandwurm im Darm des Menschen: das sind nur sekundäre Unterschiede, die zwar die Organisation des Tieres, be- sonders hinsichtlich seiner Mundwerkzeuge und Lokomotionsorgane und somit seines ganzen Körperbaues wesentlich beeinflussen, auf die wichtigsten Organe aber, die der Reproduktion, wenig Einfluss haben. Demgemäß finden wir bei den tierischen Schmarotzern die Repro- duktionsorgane nicht wesentlich anders als bei denen ihrer nächsten nicht parasitischen Verwandten, und gewöhnlich zeichnen sieh die Para- siten hier durch eine sehr reichliche Produktion von Eiern aus. Für die Pflanzen dagegen bedeutet die Aufnahme organischer Stoffe als wesentliche Quelle der Ernährung eine völlige Umkehrung ihres pflanzlichen Prinzips, obwohl dies äußerlich weniger hervortritt, da ja alle höheren Pflanzen festgewachsen sind. So unterscheidet denn auch der Laie nicht zwischen den rein epiphytischen Orchideen und Bromeliaceen, die einfach auf dem Baume sitzen, aber mit ihren Wur- zeln nichts von dem Baume aufnehmen, und der Mistel und ihren Ver- wandten, deren Wurzeln sich in den Baum senken und ihre Nahrung Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. 563 von ihm geliefert erhalten: er nennt sie beide Schmarotzerpflanzen. Erst dann wird ihm der Unterschied auffallend, wenn die Pflanze in- folge der Aufnahme organischer Substanzen die Assimilation als über- flüssig unterlässt und die Assimilationsorgane, die grünen Blätter, unterdrückt, und in der Form eines bleichen blattlosen Fichtenspargels oder einer höchst wundersam gestalteten, lebhaft rot und gelb ge- färbten Balanophora oder eines Hut- oder Schimmelpilzes auftritt. Bekanntlich unterscheiden wir bei den Pflanzen, die sich von organischen Stoffen ernähren, Saprophyten, nämlich die von abgestor- benen Organismen lebenden, und Parasiten, die auf lebenden Pflanzen oder Tieren schmarotzen; natürlich haben wir auch Uebergänge, be- sonders bei den Pilzen, die ihren Lebenslauf als Parasiten beginnen und als Saprophyten fortsetzen können. Um nun zu schen, wie es sich mit der Reproduktion bei den saprophytischen und parasitischen Pflanzen verhält, wollen wir die wichtigsten Vertreter dieser biologi- schen Gruppe kurz durchgehen, mit den Phanerogamen beginnend. Dabei ist noch besonders zu betonen, dass derartige Abweichungen im Bau der Samenknospen und in der Keimbildung, wie sie im Folgenden erwähnt werden, bei ganzen Familien sich selbständig ernährender Phanerogamen, soviel mir bekannt ist, nicht vorkommen. Für die chloropbylifreien Saprophyten giebt Johow an, dass sie sämtlich sehr kleine mit rudimentärem, ungegliedertem Embryo versehene Samen besitzen, eine Eigenschaft, die die hier in Betracht kommenden Orchideen freilich auch mit den grünen Formen der Familie teilen; doch müssen wir uns erinnern, dass sowohl die Erd- orchideen großenteils Humusbewohner sind als auch die epiphytischen Formen meistens pflanzliche und tierische Zersetzungsprodukte auf- nehmen. Bei der mit dem Enzian verwandten Voyria, die chlorophyli- frei und also ganz auf Saprophytismus angewiesen ist, sind auch be- reits die Samenknospen rudimentär und abnorım ausgebildet. Die grünen Halbschmarotzer aus der Familie der Rhinanthaceen zeigen keine bemerkenswerten Abnormitäten in den keproduktions- organen, wohl aber die aus der Familie der Santalaceen und zwar in sehr hohem Grade, wie schon länger bekannt ist. Von den chlorophylifreien Parasiten bilden zunächst Lathraea, die Orobanchen und die Lennoaceen eine Gruppe als Wurzelschmarotzer, sie ähneln hinsichtlich der Fortpflanzung den chlorophyllifreien Sapio- phyten, indem sie einen wenigzelligen, ungegliederten Embryo in ihrem Samen zeigen; sie ernähren sich dabei aber nicht nur parasitisch, sondern senden zum Teil auch Wurzeln in die Erde. Die nächste Gruppe, die Verwandten der Mistel oder Loranthaceen, haben zwar grüne Blätter, aber in ihrer Nahrungsaufnahme von unten her sind sie ganz auf den Wirt angewiesen: bei ihnen finden wir sehr bedeutende Anomalien in den Reproduktionsorganen, indem die Samen- 25.e 36” 564 Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. knospen gar nicht mehr als gesonderte Teile angelegt werden. Auch bei dem sich systematisch hier anschließenden Myzodendron sind die Samenknospen rudimentär. Für die Kleeseide, Cuscuta, die eine eigene Gruppe unter den Parasiten bildet, können wir freilich keine Abnormitäten in der Bildung der Samenknospen angeben. Umsomehr aber für die Familien der Balanophoraceen, Hydnora- ceen und Rafflesiaceen, die Johow in die Gruppe der Fungoiden zu- sammenfaßt, weil einerseits ihr Vegetationskörper bis auf eine Art von Pilzmycelium reduziert sein kann, andererseits ihre Blütenstände oft den Fruchtkörpern von Pilzen ähnlicher sehen als blühenden Phanero- gamen. Bei allen ist der Embryo im:Samen sehr klein, rudimentär, wenigzellig. Bei den Hydnoraceen, speziell Hydnora, sind auch die Samenknospen nicht differenziert. Bei den Raflesiaceen haben wir zwar deutliche Samenknospen, aber „merkwürdig ist die Thatsache, dass manche Formen äußerst selten zur Ausbildung ihrer Früchte zu ge- langen scheinen. Trotz aller Bemühungen hat z.B. von der am Salak bei Buitenzorg auf Java in Menge sich findenden Brugmansia Zippellii noch nicht eine einzige Frucht erlangt werden können“. (Solms in der Bearbeitung der Familie für Engler-Prant!’s natürl. Pflanzenfam. Bd. II. 1. p. 277.) Unter den Balanophoraceen finden sich nur bei Cynomorium!) Samenknospen, die ein Integument besitzen, sonst ent- behren sie desselben, sind bisweilen auf den Embryosack reduziert, nicht selten mit der Wandung des Fruchtknotens vereinigt. Bei Balano- phora elongata und globosa ist jede Befruchtung vollständig ausge- schlossen, denn es bildet sich gar keine weibliche Blüte, sondern nur eine wenig zellige Protuberanz, deren subepidermale Zelle zum Embryo- sack wird, während die bedeckende Epidermis zu einem langen, griffel- ähnlichen Organe auswächst. Der Embryosack zeigt nach den üblichen Teilungen zuerst die Bildung des Eiapparates, dann werden alle Kerne resorbiert bis auf einen, aus dem zwei Endospermzellen hervorgehen; die untere wird allmählich verdrängt, die obere aber bildet das ganze Endosperm. Aus einer plasmareichen Zelle dieses Endosperms wird der wirkliche, wenigzellige Embryo, aus den übrigen wird die Nähr- schieht und die Samenschale. (Fig. I.) Von DB. elongata sind noch männliche Pflanzen gefunden worden, die auch Pollenstaub produzieren, bei D. globosa aber scheinen die männlichen Pflanzen überhaupt zu fehlen. Die Pflanze kommt in einem gewissen Gebiete Javas außer- ordentlieh häufig vor, sodass der Beobachter dieser Verhältnisse, P. Lotsy (Annales du Jardin de Buitenzorg, vol. XVI) viele Hun- derte von Exemplaren gesehen hat; unter diesen fand er aber nie- 1) Nach den neuen Untersuchungen vonBaccariniundCannarella scheint aber bei diesen Pflanzen die Vermehrung durch Samen kaum in Betracht zu kommen. Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. 565 ’ {B) mals ein männliches Exemplar, so dass es als sicher anzusehen ist, dass es, wenigstens in dem Gebiete, keine männlichen Pflanzenmehr giebt. Hier haben wir also eine rein ungeschlechtliche Keimbildung, wie sie sich auch bei den Pilzen entwickelt, die ja sämtlich saprophytisch oder parasitisch leben. Selbst bei den Pilzen, die den Algen, von denen ja die ganze Ordnung abzuleiten ist, noch am nächsten stehen, können wir Uebergänge von der Bildung befruch- teter Sporen zu der un- geschlechtlich erzeugter Sporen sehen, wie es für die Saprolegniaceen und Peronosporaceen genü- gend bekannt sein dürfte, so dass ich es hier nicht wieder holen will. (Vergl. auch meine oben zitierten „Beiträge“ p. 165 — 164.) Bekannt sind auch die Zygomyceten, bei denen, wie bei den Conjugaten unter den Algen, zwei gleichwertige Zellen sich zur Bildung einer Spore vereinigen. Bilden sich durch eine solche Kopu- lation in dem Sporangium statt einer Spore, mehrere Sporen, wie bei Dipoda- scus, so sehen wir darin einen Vorläufer des Ascus des Schlauches, der für JR die große Reihe der Asco- myceten das charakteri- Fig. 1. Balanophora globosa: I Weibliche Blüthe, Eschö Dlement der E Embryosack. II Embryosack, bei O0 der Eier- £ . ‚ apparat, bei A die Antipoden, X der Kern, aus Fruchtbildung ist mit dem das Endosperm mit dem Keimling (III) her- seinen meistens zu 8 im vorgeht. Innern entstehenden Sporen. Bei einigen niederen Formen der Reihe hat neuerdings auch noch eine sexuelle Reproduktion nachgewiesen werden können, die sich mehr an die der Peronosporeen anschließt: ein Antheridium, das seinen Kern an das Oogonium abgibt, hat Harper für Sphaerotheca Castagnei und Erysiphe communis nach- gewiesen; bei beiden wird das Oogonium nach der Befruchtung mehr- zellig, bei ersterer wird die vorletzte Zelle desselben direkt zum Ascus, Fig: 1. 566 Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. bei letzterer sprossen aus dieser Zelle die Schläuche nachträglich aus. Mehrfach finden wir dann noch ein Aussprossen der Schläuche oder ascogener Hyphen aus einem mehrzelligen „Oogonium“ (wie bei Asco- bolus) oder einem Ascogon genannten Organ, ob aber hier eine Be- fruchtung vorangeht oder ob, wenn überhaupt eine andere Hyphe mit ihm kopuliert, dies nur eine bedeutungslose Anastomose ist, wie sie auch sonst bei den vegetativen Pilzhyphen vorkommt, was Brefeld’s Ansicht ist, muss noch dahingestellt bleiben. Da bei den allermeisten Ascomyceten nicht einmal ein Ascogon als Ausgangspunkt der Schläuche nachgewiesen ist, so dürfen wir ihre Fortpflanzung im allgemeinen mit Brefeld als eine ungeschlechtliche bezeichnen. Die Sporenbildung der Ascomyceten ist aber eine echte Keim- bildung, d.h. die Keime entstehen im Innern von Zellen, welch letztere dadurch selbst zu Grunde gehen, sodass dieser Prozess eine Reduktion der Mutterpflanze bedingt. Bei der andern großen Gruppe von Pilzen, den BDasidiomyceten, werden die Sporen äußerlich auf Stielen ab- seschnürt und es findet keine Reduktion der Mutterpflanze statt: hier ist es bisher auch noch nicht gelungen, irgend eine Spur von einem wirklichen Sexualakte nachzuweisen. Den Unterschied zwischen Asco- und Basidiomyceten in der Art nnd Weise der Keimbildung sehen wir schon daran, dass bei ersteren der Fruchtkörper zu Grunde geht, wenn alle in demselben zur Entwicklung kommenden Aseci entleert sind, dass bei letzteren aber der Fruchtkörper auf der früheren Hyme- nialschicht eine neue, sogar auf dieser wieder eine neue u. 8. w. erzeugen und so z.B. bei holzigen Baumschwämmen jahrelang fortwachsen kann. Nach dieser gelegentlich hier eingeschalteten Bemerkung wenden wir uns wieder den Ascomyceten zu, deren Reproduktionsverhältnisse, soweit dabei eine Befruchtung vorkommt oder vorkommen soll, noch einer Besprechung bedarf wegen der auffallenden Aehnlichkeit mit der Fruchtbildung der Florideen. Wie bei diesen, abgesehen von den Bangiaceen, wird hier niemals die befruchtete Zelle zur Spore selbst, sondern es sprossen aus ihr die sporenerzeugenden Elemente aus. Auf diese Aehnlichkeit ist schon lange hingewiesen worden, besonders von Sachs, der noch in seiner letzten Publikation (Flora 1896, Bd. 82, p. 205) den Satz aufstellt, dass die Ascomyceten von den Ahodophyceen (Flori- deen) abzuleiten sind. Der Florideenforscher Sehmitz spricht sich dahin aus (in seiner Bearbeitung der Familie für Engler-Prantl’s natürl. Pflanzenfamilien, I, 2, p. 304), dass mit größerer Sicherheit (als die Beziehungen zu anderen Algen zu erkennen sind) sich auf die Analogien bei den Rhodophyceen und Ascomyceten hinweisen lässt. Und auf diese weist auch Harper hin. Leider gibt aber niemand eine Andeutung, wie man sich einen genetischen Zusammenhang zwischen diesen sonst so grundverschiedenen Gruppen zu denken hat, indem die betreffenden Pilze doch meistens Landbewohner resp. Para- Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. 567 siten sind, während die Florideen sich zu einer rein marinen Formen- reihe entwickelt haben mit wenigen Formen, die im Süßwasser vor- kommen und vermutlich erst nachträglich in dasselbe übergegangen sind. Wollen wir aber die Florideen von einer so einfachen Form wie Chantransia ableiten, die noch große Aehnlichkeit mit den faden- förmigen, verzweigten Grünalgen zeigt, so findet sich hier der eigen- tümliche Umstand, dass die Chantransien des Süßwassers einfache un- geschlechtliche Sporen bilden und die charakteristische Carpogon- bildung der Florideen nur bei der marinen Chantransia corymbifera bekannt ist. Bei dieser wird also, wie bei den typischen Florideen überhaupt das weibliche Empfängnisorgan, die Trichogyne, durch eine männliche Zelle, Spermatium, befruchtet und aus der unter der Tricho- gyne liegenden Procarpzelle sprossen die sporenbildenden Zellen aus. Ganz dasselbe finden wir nun bei einer kleinen höchst merkwürdigen Gruppe der Ascomyceten, den Labonlbeniaceen, die winzige Parasiten auf Insekten, meistens Käfern darstellen). In ihrer Entwiekelung aber weichen sie auch sonst so sehr von den anderen Ascomyceten ab, dass sie eine ganz abgeschlossene Familie bilden. Bei den übrigen Ascomyceten kennen wir keine Trichogyne und keine Spermatien und das Antheridium oder „Pollinodium“, das mit dem „Ascogon“ kopuliert, wäre zu vergleichen mit den Ooblastemfäden, die bei vielen Florideen aus der befruchteten Procarpzelle aussprossen und mit sogenannten Auxiliarzellen fusionieren, worauf erst aus diesen die sporenbildenden Elemente auswachsen. Nachdem Oltmanns gezeigt hat, dass bei dieser Fusion der Ooblastemfäden mit den Auxiliarzellen keine Kern- verschmelzung, also keine wirkliche Befruchtung stattfindet, können wir in diesem Prozess umsomehr eine Analogie mit der Fusion eines „Pollinodiums“ mit dem „Ascogon“ von Ascobolus und ähnlichen Formen erblicken. Nun aber findet sich bei Flechten, deren mycelialer und sporen- bildender Teil ja den Ascomyceten entspricht, eine der der Florideen ganz analoge Befruchtungsweise mit Trichogyne und Spermatien. Stahl hat zuerst (1877) gezeigt, dass bei der bekannten Gallertflechte Collema ein Procarp mit einer Trichogyne gebildet wird, dass sich an die aus dem Thallus hervorragende Spitze der letzteren Spermatien ansetzen und dass sich dann aus dem Procarp der Fruchtkörper, das Apotheeium entwickelt. Eine Bestätigung dieser Angaben ist neulich durch die Untersuchungen von Baur (Berichte d. deutsch. botan. Ge- sellschaft 1898) erfolgt: er hat gezeigt, dass bei jedem sich weiter- 1) Da die Laboulbeniaceen den meisten Botanikern nicht aus eigener Anschauung bekannt und in Deutschland noch nicht viel gesammelt sein dürften, so möchte ich hier erwähnen, dass ich aus der Frankfurter Gegend durch die Güte des Herrn Lehrer Gulde Käfer aus den Gattungen Chlaenius- Anchomenes und Bembidium erhalten habe, an denen sich ziemlich reichlich Laboulbenia elongata (?) und fasciculata (?) fand. 5658 Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. entwickelnden Procarp konstant ein Spermatium an der Trichogyne anhaftet, welches seinen Inhalt verloren, vermutlich also an die Tri- chogyne abgegeben hat, während bei den zu Grunde gehenden Carpo- gonien ebenso konstant die Spermatien an der Trichogyne fehlen. Ferner hat er gezeigt, dass in der mehrzelligen Trichogyne nach der „bestäubung“ die Querwände durchbrochen werden, so dass der ver- mutete Spermakern durch sie hinunter wandern kann, um unten die oberste Carpogonzelle zu befruchten. Triehogynen wurden schon bei zahl- reichen Flechten beobachtet, die Bedeutung aber, die ihnen als Bohr- organen zugeschrieben wurde, scheint mir in keiner Weise zu recht- fertigen zu sein. Dagegen hat vor kurzem Darbishire (Pringsheim’s Jahrbücher, Bd. 31) an Physcia pulverulenta das bestätigt gefunden, was für Collema bekannt geworden war, und mit der höchsten Wahrscheinlichkeit der Trieho- gyne die Funktion eines weiblichen Empfängnis- organs zugesprochen. Vergleicht man ein Procarp der genannten 2 Flechte mit dem -einer Floridee, so ist die Ueber- einstimmung ganz auf- fallend. (Fig. 2.) Auch bei Physcia lässt sich- regelmäßig beobachten, dass die Trichogyne der sich weiterentwickelnden Carpogone mit einem fest- sitzenden Spermatium- rest behaftet ist, dass aber die Trichogyne, deren untere Windungen sich nicht weiter ent- wickelt haben, kein Sper- aan ueı: nass Fig. 2. I. Befruchtetes Karpogon von Physcia pul- hire “stellt weitere Mit- yerulenta ‚nach Darbishire). ZI. Prokarp von Rho- teilungen über diesen domela subfusca (nach Falkenberg). Gegenstand in Aussicht. Ich glaube, wir müssen die sexuelle Fortpflanzung bei diesen Flechten annehmen und uns dies damit zu erklären suchen, dass ja die Fleehten keine Schmarotzer oder Saprophyten wie die Pilze sind: sie haben ja grüne, assimilierende Zellen in den eingeschlossenen Algen, sie ernähren sich ebenso selbständig wie die erdbewohnenden oder epiphytischen höheren Pflanzen. Aber nicht sind sie es dadurch ge- worden, dass die Flechtenpilze zu den chlorophyllführenden Formen zurückgekehrt sind, von denen sie ursprünglich ohne Zweifel ab- Fig, 2. Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. 569 stammen, sondern auf eine ganz neue Art und Weise haben sich hier assimilatorische Organe eingefunden, eben durch die Algen, mit denen die Fleehtenpilze in Symbiose getreten sind. Sollte es da nicht denkbar sein, dass auch die sexuelle Reproduktion auf eine Art und Weise wieder hergestellt wird, die nicht auf einem Zurückgehen auf die Be- fruchtung bei den Peronosporeen und Zygomyceten beruht, sondern einen für die echten Ascomyceten neuen, aber ihnen nahe liegenden Weg einschlägt, indem, sozusagen, die Analogie mit den Florideen benutzt und auch deren Befruchtungsweise angenommen wird, also das weib- liche Organ eine Trichogyne bekommt und das männliche Organ Sper- matien erzeugt. Man könnte vielleicht auch eine andere Erklärungs- weise versuchen und annehmen, dass die Stammform der Ascomyceten denselben Befruchtungsmodus wie die Florideen gehabt hätte, der sich nur noch bei den Laboulbeniaceen erhalten hat, bei den andern As- comyceten aber derartig reduziert worden ist, dass mit dem Fehlen der männlichen Befruchtungszellen, der Spermatien, auch die Trichogyne wegfällt, und nur noch die Fusion der „Ooblastemfäden“ mit dem As- cogon übrig bleibt. Bei den Flechtenaber, als assimilierenden Pflanzen, hätte keine Reduktion stattzufinden gebraucht, sodass sich hier die Sper- matien und die Trichogyne erhalten haben. Schwierigkeiten würde Sphaerotheca Castagnei und Erysiphe communis machen, weil hier eine wirkliche Kopulation mit Kernverschmelzung stattfindet und diese Formen viel natürlicher von den Peronosporeen abzuleiten sind. Eine wirkliche phylogenetische Ableitung der Ascomyceten von den Florideen lässt sich überhaupt aus den schon angegebenen Gründen schwer vor- stellen, und wir müssen uns hier, wie auch sonst in der Systematik, auf vergleichende Morphologie beschränken, da mit den phylogeneti- schen Spekulationen nichts gewonnen wird. Hier werden mir nun sogleich zwei Einwände vorgehalten werden, deren erster betont, dass doch die Flechtenpilze richtige Schmarotzer sind, die auf Algen leben. Diese Auffassung teile ich nun keineswegs, sondern habe bereits früher (in meinen „Beiträgen“ p. 7) gesagt, dass eher das Entgegengesetzte der Fall ist, dass nämlich die Alge in dem Pilze parasitisch lebt, von ihm so viel Material zugeführt bekommt, dass sie von der durch ihre Assimilationsthätigkeit gebildeten Sub- stanz dem Pilze wieder abgeben kann, und dass sie sich in diesem Zustande wohl genug befindet, um nicht an Fortpflanzung denken zu müssen. Am besten scheint es mir, mit Reinke die Flechte als ein Konsortium aufzufassen und jede Flechtenart als eine morphologische Einheit ebenso wie jede andere Pflanzenart zu betrachten. Der andere Einwand wird geltend machen, dass die „Spermatien“ der Flechten durch Alfred Möller als echte Sporen, als „Conidien* erkannt worden sind. Allein aus den vortrefflichen und interessanten Beobachtungen von Möller diesen Schluss zu ziehen, ist meiner An- Möbius, Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche, ; l sicht nach ebenso unzulässig und übereilt, als der andere, dass alle diese „Spermatien* männliche Befruchtungskörper seien. Möller hat bei neun Krustenflechten die Keimung der sog. Spermatien beobachtet und sagt: „Wir finden aber schon unter den neun Formen alle möglichen Abstufungen von einer energischen Keim- und Entwicklungsfähigkeit, wie wir sie bei Calieium parietinum fanden, bis zu jener geschwächten Keimkraft, welche bei Opegrapha subsiderella erst nach sechs bis sieben Tagen eine anfangs kaum merkliche Keimung hervorbringt“. Diesen Versuchen bei künstlicher Kultur in einer Nährlösung steht nur eine von Hedlund gemachte Beobachtung zur Seite, indem dieser Autor bei Catillaria denigrata und C©. prasina Keimung der Conidien (Sper- matien), welche sogar bis zur Thallusbildung führte, unter natürlichen Verhältnissen beobachten konnte. Gegen die Möglichkeit, dass die „Spermatien* als männliche Befruchtungskörper wirken, wird ferner angeführt, dass man noch nicht eine wirkliche Plasmaverschmelzung resp. Kernkopulation zwischen dem Spermatium und der Trichogyne unzweifelhaft beobachtet hat, während doch Stahl, Baur und Darbi- shire versichern, dass eine solehe Beobachtung an der Kleinheit der betreffenden Organe scheitert, und dass unsere optischen Hilfsmittel zu derselben kaum ausreichen dürften. Jedenfalls müssen wir die Beobachtungen der letzgenannten Autoren gerade so gut als richtig annehmen wie die von Möller, und sie sind, wie mir scheint, gar nicht so unvereinbar, als man im allgemeinen glaubt, denn es können sehr wohl echte Spermatien bei den Flechten gebildet werden, die äußerlich kaum oder gar nicht von Conidien zu unterscheiden sind, oder es können diese kleinen Körperehen bei der einen Flechte männliche Be- fruchtungsorgane, bei der andern neutrale, geschlechtslose Sporen sein, oder es können die ursprünglich neutralen Sporen bei gewissen Flechten in echte Spermatien umgewandelt worden sein. Zur Bekräftigung dieser Anschauung verweise ich auf die Verhältnisse, die durch Sau- gaveau u.a. für die Eetocarpaceen, kleine braune Meeresalgen dar gelegt worden sind. So bildet Ketocarpus siliculosus in seinen ein- fächerigen Sporangien ungeschlechtliche Schwärmsporen, in den mehr- fächerigen Sporangien Schwärmer, die in früher Morgenstunde kopu- lieren, später am Tage ohne Kopulation keimen. Nach Berthold gibt es bei der genannten Art unter den Exemplaren mit pluriloculären Sporangien solche, die ausgeprägt männliche, solche, die ausgeprägt weibliche Gameten erzeugen, und solche mit neutralen Schwärmsporen. Bei Ketocarpus secundus entsprechen die einfächerigen Sporangien den Antheridien, die mehrfächerigen den Oogonien; die Schwärmer aus den letzteren können aber auch ohne Kopulation keimen, was besonders gegen Ende der „Saison“ geschieht. Zetocarpus Padinae besitzt drei Arten von pluriloculären Sporangien, von denen die einen Antheridien sind, da ihre Schwärmer nach dem Festsitzen rasch zu Grunde gehen- Goebel, Bemerkung zu der vorstehenden Mitteilung. ayai Eetocarpus Hinksiae besitzt außer pluriloeulären und eigentümlich angeordneten uniloculären Sporangien noch uniloeuläre Antheridien. Wenn man nun bedenkt, dass bei Zeiocarpus sich die männlichen Schwärmer auch daran erkennen lassen, dass sie keine Chromatophoren besitzen, dass aber bei den Flechtenspermatien ein solches Kennzeichen nicht in Betracht kommt, so wird man wohl zugeben können, dass hier Unterschiede in der Funktion vorhanden sein können, die sich äußer- lich nicht so leicht zu erkennen geben. Doch muss noch daran er- innert werden, dass auch bei verschiedenen Fleehten zweierlei Formen vonSpermogonienoder Pykniden bekannt sind, von denen die eine Form größere, die andere kleinere Fortpflanzungszellen produziert. So müssen wir denn auf weitere Beobachtungen in diesem Gebiete warten und die Thatsachen, die festgestellt werden, zu er- klären suchen; wir können sie nicht ableugnen, wenn sie auch mit gewissen vorgefassten Meinungen nicht übereinstimmen. Ich habe geglaubt, dass die Bedeutung der saprophytischen und parasitischen Ernährung für die Reproduktionsverhältnisse bisher noch zu wenig gewürdigt worden ist und hoffe, dass von dem hier ver- tretenen Gesichtspunkte aus manches verständlicher werden wird, als es bisher gewesen ist. i Bemerkung zu der vorstehenden Mitteilung von K. Goebel. Zu der Mitteilung von Möbius möchte ich mir einige Bemerkungen erlauben. Die auffallende Thatsache, dass bei phanerogamen Parasiten und Saprophyten die Reproduktionsorgane, und zwar speziell was die Samenbildung anbelangt, eine Vereinfachung erfahren, ist schon öfter hervorgehoben worden.!) Es ist hier verschiedenes zu unterscheiden: 1. Verlust der geschlechtlichen Fortpflanzung. Diese ist bis jetzt nur bei Balanophora nachgewiesen, sämtliche andere daraufhin unter- suchte Parasiten und Saprophyten zeigen normale geschlechtliche Fortpflanzung. Apogame Embryobildung findet sich aber bei einer ganzen Anzahl von Pflanzen, die weder Parasiten noch Saprophyten sind, zu den durch Strasburger bekannt gewordenen Beispielen (Funkia coerulea, Allium fragrans, Mangifera indica,Coelebogyneilicifolia) möchte ich nach eigenen Untersuchungen Clusia alba hinzufügen 2. Rudimentäre Ausbildung des Embryo.?) Diese findet sich bei vielen, aber durchaus nicht allen Parasiten und Saprophyten. Lathraeca und Viscum haben einen normalen Embryo. Andererseits giebt es viele andere Pflanzen, bei denen zur Zeit, wo der Samen sich ablöst, der Embryo 4) So z. B. in meiner „Vergl. Entwicklungsgeschichte“ (1833), wo auch darauf hingewiesen ist, dass Kleinheit der Samen die Heranbringung einer großen Anzahl von Samen gestattet, und dass diese für Pflanzen die beson- dere, nicht überall vorhandene Lebensbedingungen erfordern, vorteilhaft ist. 2) Nichteinen wenigzelligen, ungegliederten (wie Möbius für Lathrae angiebt). 572 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. noch ein ungegliederter Zellkörper ist (Hepatica nobilis, Eranthis, Stylidiaceen u. a.). Auch hierin liegt also kein für die Parasiten und Saprophyten charakteristisches Merkmal. Allerdings reift bei den letzt- genannten Pflanzen der Embryo noch im Samen heran, aber bei Juncus glaueus z.B.isternoch zur Zeit der Keimung ein so gut wie ungegliederter Zellkörper. 3. Vereinfachung im Bau der Samehanlagen. Diese findet sich zwar bei Parasiten nnd Saprophyten nicht allgemein, aber doch sehr verbreitet; von selbständig lebenden Pflanzen besitzt Orinum inte- gumentlose Samenanlagen wie manche Parasiten resp. Saprophyten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Lebensweise und Bau der Sexualorgane lässt sich demnach zwar vermuten, aber er ist bis jetzt ganz dunkel, denn dass die saprophytische resp. parasitische Lebensweise, wie Möbius annimmt, dem „eigentlichen Wesen“ der Pflanze widerspreche, kann ich um so weniger als zutreffend betrachten, als ja jede Keim- lingspflanze, ehe sie selbst assimiliert, genau dieselbe Ernährung wie nei Parasit (auf Kosten der im Samen vorhandenen Reservestoffe) aufweist. Aehnliche Erwägungen gelten für die Pilze. Dass bei manchen ein Zeugungsverlust stattgefunden hat, ist wohl unbestritten, aber der Zusammenhang dieser Erscheinung mit der Ernährungsweise durchaus unklar, so unklar, wie die phylogenetische Ableitung der Pilze. |67] Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Von Prof. Dr. Alexander Brandt in Charkow. Der Eifer, mit welchem gerade in der neuesten Zeit dasim Titel ge- nannte Thema diskutiert wird, veranlasst mich im Nachstehenden zu einer kurzen zusammenfassenden Darstellung der verschiedenen einschlägigen Theorien und Hypothesen. Als weiteres Motiv zum gegenwärtigen Aufsatze verweise ich auf den Wunsch, nicht unwesentliche Berichtigungen und Ergänzungen zu vorhergegangenen eigenen Publikationen zu geben. Die bisher aufgestellten Theorien und Hypothesen über die Phylo- genie, bezw. Homologie, der Haare wären etwa folgende: 1. Die Haare sind von den Hornschuppen der Reptilien abzuleiten. Sie stellen eylindrisch abgerundete, in die Tiefe ver- sunkene und von dort lang herauswachsende Schuppen dar. Es ist dies die älteste, bis vor kurzem herrschende Theorie, welche durch ihre Einfachheit bestach und durch das Vorkommen — wenigstens scheinbarer — Uebergangsformen zwischen Schuppen und Haaren ge- stützt wurde. Auch einzelne neuere Autoren blieben dieser Theorie treu, so z. B. Reh, welcher die phylogenetische Aufeinanderfolge der fraglichen Epidermoidalgebilde durch die Formel ausdrückt: „Schuppe — Stachel — Borste — Haar“. Die Ableitung auch der Federn von Hornschuppen, und mithin eine nahe Verwandtschaft der ersteren mit den Haaren, ist fast selbstverständlich mit der Schuppentheorie verknüpft. 2. Die Haare sind Bildungen, welche mit gewissen, Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 573 nur ausnahmsweise oder an beschränkten Stellen bei Kaltblütern vorkommenden Gebilden in verwandtschaft- licher Beziehung stehen. Nach Leydig gehörten hierher der Perlausschlag gewisser Fische, namentlich der Cyprinoiden, und ferner die Schenkelporen der Eidechsen, resp. die aus ihnen hervorsprossenden . Hornzapfen, als vermutliche Uebergangsformen zwischen Epidermis- wucherungen gewöhnlicher Art und den Haaren. 3. Die Haare sind modifizierte Hautsinnesknospen der Amphibien. Dieser von Maurer vorgebrachten und mit so großem Erfolg verfochtenen Auffassung gemäß herrschte eine große bauliche und genetische Uebereinstimmung zwischen Hautsinnesknospe und Haar. Die Umwandlung der ersteren in das letztere bestände in einer De- generation der Sinneszellen zu Markzellen, in einem Versinken der Knospe in die Tiefe und schließlich in einem Auswachsen ihrer cen- tralen Partie zum Haarschaft. 4. DieHaare sind baulich und genetisch mit denZähnen verwandt und von den Placoidstacheln der Selachier ab- zuleiten. Diese Theorie oder Hypothese ist es, für welche ich hier von neuem in die Schranken treten möchte. Eine gewisse Uebereinstimmung der Haare und Zähne konnte schon lange nicht unbemerkt bleiben. Man vergleiche z.B. die Aeuße- rungen von Gurlt (p. 413), Kölliker (p. 784) und O. Hertwig (1888, p. 391 u. 392). Interessant ist folgende Andeutung von Beard: „Haare und Federn sind schließlich den Hornschuppen verwandt, und die Bildung eines Haarsackes hat mindestens Analogien zur Bildung eines Hornzahns bei Petromyzon. Man darf daher die Hypothese wagen, dass Haare und Federn Ersatzgebilde für die Fisch- schuppen seien. Keine direkten Ersatzgebilde, wie es die Zähne von Petromyzon sind, sondern indirekt, aus Zwischenstufen entsprungene, von denen einige bis jetzt als Hornschuppen der Reptilien existieren, während andere vielleicht unbekannt sind“. Im Anschluss an diese Stelle spricht sich Emery (p. 732) mit voller Bestimmtheit für eine Homologie der Haare und Hautzähne aus. Im Gegensatz zu Beard betrachtet er die Haare nicht als homolog mit Federn und Schuppen, erblickt jedoch in diesen verschiedenen Horngebilden Substitutionsderivate der verschiedenen Elemente des Hautskeletts der Fische. „Ist diese Anschauung richtig, so sind die Haare sehr alte Bildungen, welche schon bei den Uramnioten, ja sogar bei den ersten Landwirbeltieren, ihre Homologa gehabt haben müssen. Und nehmen wir an, dass die Haare den Hautzähnchen der Fische entsprechen, so dürfen die Hornschilder der Haut, sie mögen einen Knochenkern enthalten oder nicht, aus Knochen- schuppen, richtiger aus der die Cementsockelder Hautzähne be- deekenden Epidermisentstanden sein; ihre fibröse oder knöcherne * 574 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Unterlage aus dem Cementsockel selbst. Für die Haare wie für dieSchuppen würden wir, gerade wie für die Hornzähne der Cyklostomen, eine Sub- stitution von Knochengebilden durch. Horngebilde anzunehmen. haben. Der Ideengang, welcher mich auf die wahrscheinliche oder we- nigstens denkbare Homologie der Haare und Zähne brachte, gehört einem für biologische Zwecke verhältnismäßig noch selten herange- zogenen Gebiete, dem der Teratologie, an. Die abnorme Behaarung der sogen. Hundemenschen als Foetal-, resp. Promammalhaar deutend, welches, infolge einer pathologischen Abschwächung der formativen Hautthätigkeit stehen bleibt, statt durch Maturitätshaar ersetzt zu werden, — versuchte ich es die den Hundemenschen stets zukommenden Zahndefekte dadurch zu erklären, dass die Zähne demselben Mutter- boden wie die Haare entsprießen!). Die Auskleidung der Mundbucht mit einer Einstülpung des Integuments, ein im Wesentlichen ähnlicher Bau, eine analoge Entwicklungsweise, brachten mich (p. 172) bei dieser Veranlassung, unabhängig von Vorgängern, auf die Vorstellung von einer Homologie der Haare und Zähne. Diesem Thema widmete ich darauf (1598) einen besonderen Artikel, zu welchem hauptsächlich der gegenwärtige Berichtigungen und Ergänzungen liefern soll. I. Bauliche Aehnlichkeit der Haare und Zähne. Eine solche lässt sich allerdings nicht aus einem direkten, unmittel- baren Vergleich beiderlei Gebilde allein, sondern erst unter gleich- zeitiger Berücksichtigung der Entwicklungsweise, erschließen. Ein notorisch einfacher (einwurzeliger), typischer Säugetierzahn mit sogen. unbegrenztem Wachstum mag uns beim Vergleich mit einem Haar zu- nächst vorschweben, da er sich schon in seinen Proportionen und seiner Wachstumsweise gewissermaßen einem Haare nähert. Haar wie Zahn kommt ein epithelialer, dem Ektoderm entspringender und ein binde- gewebiger, dem Mesoderm entspringender Anteil zu. Letzterer wird seit altersher hier als Papilla oder Pulpa, dort gleichfalls als Papilla be- zeichnet und stellt den gefäßhaltigen, ernährenden Anteil des Ganzen dar. Gehen, wie angenommen wird, der Haarpapille sensitive Nerven- fasern ab, so möchte ich darin kein störendes Moment für unseren Vergleich erblicken. -— Dem Augenschein nach macht das Zahnbein, diese kolossale Ansammlung von Hartsubstanz, jeglichen Vergleich zwischen Zahn und Haar illusorisch. Trotzdem beruht gerade die An- wesenheit des Zahnbeins lediglich auf einer nicht zu überschätzenden Modifikation im Bauder Pulpa, welche sich lediglich übermäßig vergrößert und an ihrer Peripherie in eine der Formen des Knochengewebes übergeht. 1) Als weiterer Beleg für eine Verwandtschaft beiderlei Gebilde lassen sich die Fälle anführen, in denen bei hochbejahrten Personen eine dritte Den- tition von einem Ersatz des ergrauten Haares durch solches von jugendlicher Farbe begleitet wurde. Aehnliche Fälle stellte bereits Haller zusammen (Burdach, Bd. IV, p. 431 u. 432). Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Ay) Was den andern knöchernen Bestandteil des Zahnes, das Cement anbetrifft, so geht etwas ihm Entsprechendes dem Haare allerdings ab. Doch bildet ja das Cement, genau genommen, einen heterogenen Bestandteil des Zahns, indem es ein besonderes Hautknöchelchen dar- stellt, welches dem benachbarten Bindegewebe angehört und erst sekundär mit dem Zahne verwächst, ja ihn bisweilen sogar, wie bei manchen Huftieren, vollständig überzieht. Bei Selachiern und gewissen andern Fischen tritt es ja als selbständige Basalplatte oder Sockel, als eigentliche Schuppe auf, mit welcher erst sekundär ein Haut- zähnchen zur sogen. Placoidschuppe verwächst. Die Selbständigkeit des Knochenplättehens wird bekanntlich noch dadurch bekräftigt, dass in verschiedenen Fischgruppen die Zähnchen verloren gehen können, während die Plättchen, durch Auswachsen und Verschmelzung unter einander, große Cyeloid- und Ctenoidschuppen,sowie ausgedehnte Haut- knochen erzeugen können. Nun folgt der epitheliale Anteil von Haar und Zahn. Hier entspricht die Schicht von Epithelzellen, welche die Haarpapille un- mittelbar überzieht, dem Schmelz mit seinen zu langen, versteinerten Prismen ausgezogenen Zellen. Schwieriger, weniger augenscheinlich, ja nur mit Zuhilfenahme von Entwicklungsschemata demonstrierbar, ist der Nachweis, welchem Anteil des Zahnes der Haarschaft ent- sprechen möchte. Einen dem Schmelzoberhäutchen korrespondierenden Anteil werden wir nicht am Haarschaft, sondern an der Haar- scheide zu suchen haben. (Ich verweise hier auf meine früher (1898) gegebenen Schemata.) Der wesentlichste Unterschied in der Entwick- lungsweise von Zahn und Haar besteht ja darin, dass die epitheliale Anlage des ersteren sich von einer Einstülpung als Säckchen (Schmelz- keim, Schmelzorgan) abschnürt, während bei letzterem die entsprechende Einstülpung sich zu einer offenen, röhrenförmigen Scheide gestaltet. Diese Verhältnisse berücksichtigend, werden wir in der Schmelzpulpa, welche sich zunächst in eine Art von Bindegewebe umwandelt und darauf schwindet, ein Homologon jenes Zellenmaterials erblicken, welches am Grunde der Haaranlage liegt, den Haarknopf bildet und unter steter Vermehrung, sowie nachträglicher Verhornung seiner Ele- mente, den Haarschaft erzeugt. Für die so viel besprochene innere Wurzelscheide des Haares werden wir, dem soeben Erörterten gemäß, am Zahn kein Homologon zu suchen brauchen. Diesem Gebilde, als einem Abschuppungs- oder Häutungsprodukt der äußern Haarscheide, bezw. auch des Haarknopfs, ist so wie so kaum eine wesentliche morphologische Bedeutung beizumessen. Die Hautzähnehen der Haie als gemeinsamen Ausgangspunkt für Kieferzähne und Haare der Säugetiere betrachtend, liegt es uns ob auch sie hier nochmals vergleichsweise zu berücksichtigen. Je größer die baulichen Verschiedenheiten zwischen zwei notorisch homologen 576 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Bildungen wie es der Hautzahn eines Haies und der Kieferzahn eines Säugetieres sind, um so geringer können uns die Verschiedenheiten zwischen Säugetierzahn und Haar erscheinen. Das Cement, welches als integrierender Teil des Säugetierzahns beschrieben wird, bildet, wie bereits oben gedacht, am Haizahn eine unterhalb gelegene, deutlich umschriebene, selbständige Basalplatte. Diese unterscheidet sich vom Cement auch in histologischer Beziehung, und zwar durch die Abwesenheit von Zellen; indem die den letzteren entsprechenden sternförmigen Elemente unterhalb der Platte, im Binde- sewebe liegen und von hieraus ihre Ausläufer in die Platte selbst senden (Hertwig, 1874, p. 375). Auch die Pulpa der Hautzähnchen pflegt anders als die der Säuge- tierzähne geformt zu sein. Sie erscheint meist in die Länge gezogen und mehr oder weniger verästelt. In histologischer Beziehung lassen sich gleichfalls mannigfache Unterschiede namhaft machen. Dasselbe gilt in noch höherem Grade für das Dentin. Wohl der wesentlichste bauliche Unterschied zwischen Hai- und Säugetierzahn liegt in ihrer äußeren Hartsubstanz. Owen, Milne Edwards, Leydig u. a. betrachteten letztere nicht als wahren Schmelz, sondern als schmelzartig modifiziertes Zahnbein, als Vitro- dentin. Erst Hertwig, welchem es gelang, diese Substanz künst- lich in radiäre Fasern zu spalten, deutet dieselbe als richtigen Schmelz, welcher von den Cylinderzellen der Epidermis centralwärts, durch die Basalmembran hindurch abgeschieden würde. Neuere Forscher, so namentlich Röse, kehren zu der früheren Auffassung zurück und zwar, meinen Erfahrungen an den Hautzähnchen von Selache maxima gemäß, mit vollem Recht. Ein Netzwerk feiner, gegen die Peripherie ausstrahlender Röhrchen (Dentinröhrehen) durchzieht kontinuierlich das Zahnbein und den vermeintlichen Schmelz. Letzterer unterscheidet sich vom Zahnbein durch seine hellere Beschaffenheit, was zum Teil damit zusammenhängt, dass ihm die sternförmigen Pigmentzellen fehlen, welche in der benachbarten Schicht des Zahnbeins vorhanden sind. Gleich den Edentaten besitzen die Haie schmelzlose Zähne, wobei, wie Röse (p. 62) gewiss richtig bemerkt, der Schmelz bei letzteren noch nicht, bei ersteren nicht mehr vorhanden ist. Derselbe Verfasser vindiziert übrigens den Haizähnen ein Schmelzoberhäutchen, eine Angabe, welcher ich nicht beizustimmen vermag. Die den Hautzahn eines Haies über- ziehende Cutieula ist nämlich keine zellige, sondern eine strukturlose Membran, und zwar eine Fortsetzung der Grenzmembran zwischen Epidermis und Corium. Als solche Fortsetzung käme sie, falls wirk- licher Schmelz vorhanden wäre, nicht oberhalb, wie es sich für ein Schmelzoberhäutehen gebührt, sondern unterhalb desselben zu liegen'). 4) Auch die von Jentsch (p. 29) dargestellte dünne, homogene Schicht kann ich nicht als Schmelz gelten lassen. Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare, 57 Dem soeben Erörterten gemäß bestehen zwischen den Hautzähnen der Haie und den ihnen als homolog anerkannten Kieferzähnen der Säugetiere kaum minderwertige bauliche Unterschiede als zwischen Säugetierzahn und Säugetierhaar. Da dem Haizahn ein epithelialer Anteil noch abgeht, so nimmt er eine andere Entwicklungsstufe ein und entfernt sich etwa in gleichem Maße vom Säugetierzahn und vom Haar. II. Genetische Uebereinstimmung der Haare und Zähne, Beiderlei Gebilde entstehen aus einer lokalen Wucherung der Epidermis und der Cutis, beziehungsweise ihrer Fortsetzungen in die Mundhöhle. Ueber die Aufeinanderfolge beiderlei Wucherungen bei der Bildung der Haare sind die Forscher geteilter Ansicht, indem die Einen die Wucherung der Cutis, die Andern die der Epidermis zeitlich vorangehen lassen, noch Andere eine vermittelnde Stellung einnehmen, und entweder beiderlei Wucherungen gleichzeitig, resp. fast gleich- zeitig, auftreten lassen, oder nur an den im Gesicht stehenden embryo- nalen Erstlingshaaren die Bildung einer Cntisverdicekung vorangehen lassen. Diese soll, die Epidermis vor sich hertreibend, ein die Haut- obertläche etwas überragendes Höckerchen bilden. Erst auf einem nunmehr folgenden Stadium träte nach den betreffenden Forschern (Stieda-Feiertag) eine Verdickung der Epidermis auf und wachse zapfenartig in die Tiefe. Die später, an anderen Stellen der Haut auftretenden Haare hingegen sollen, den genannten Forschern nach, in ihren ersten Anlagen aus einer Verdiekung der Epidermis bestehen. Die letztgenannte Entwicklungsweise ist es, welche meist von neueren Forschern, wie Maurer, Römer vertreten wird. Eine hübsche, kritische Beleuchtung der Kontroversen giebt Keibel. Derselbe hat gewiss Recht, wenn er hierbei vor einer Ueberschätzung der zeitlichen Aufeinanderfolge von Entwicklungserscheinungen als phylogenetisches Kriterium warnt. Die Entstehung des Haarschaftes, bezw. der Haarwurzel, dachte man sich bekanntlich ehemals als eine Art von Zerspaltung inmitten der epithelialen zapfenförmigen Haaranlage. Heutzutage bezweifelt wohl niemand mehr, dass von Anfang an die Bildung des Haarschaftes vom flaschenförmig eingedrückten Boden der epithelialen zapfenförmigen Anlage ausgeht. Die die Haarpapille kappenförmig überziehenden, von ihr genährten Epithelzellen vermehren sich energisch, schieben die früher gebildeten empor und bedingen, etwa durch Druck und eigentümliche Ernährungsverhältnisse, die Verhornung derselben. Alle Einzelheiten bei Seite lassend, bleibt die Grundauffassung bestehen, das Haar selbst stelle eine Rückstülpung dar innerhalb der zwar als massiver Zapfen auftretenden, doch als werdender Schlauch aufzu- fassenden ersten Haaranlage. Während der eingedrückte Boden des xXX, 37 578 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Schlauches zunächst den Haarknopf liefert, liefern seine Wandungen die äußere, und, wohl gleichsam als Abschuppungsprodukt der letz- teren, die innere Wurzelscheide. Im Gegensatz zu den Haaren entstehen die Säugetierzähne nicht direkt von der Mundschleimhaut, dieser topographischen und genetischen Fortsetzung des Integumentes, aus, sondern als Knospen einer beson- deren, die Kieferbögen umrahmenden Leiste, der Plica dentalis primi- tiva. Obgleich ein massives Gebilde, ist diese Leiste als Einstülpung der Schleimhaut zu betrachten, berechnet auf Entwicklung einer größeren Oberfläche längs der schmalen Kieferbögen. Wir dürfen uns demnach die Zähne gleichsam unmittelbar von der glatt ausgebreiteten Mund- schleimhaut aus entstehend denken, wie es ja bei Säugetieren in ab- normen Fällen, bei Kaltblütern normal an verschiedenen Stellen der Mund- und Rachenhöhle geschieht. Die erste, der Bildung kalkiger Hartsubstanzen vorangehende Ent- wicklungsperiode stimmt mit der des Haares vor Bildung der hornigen Hartsubstanzen im Wesentlichen überein. Nun erst tritt die wohl am meisten auffallende Abweichung auf. Dieselbe besteht darin, dass der Epithelzapfen, statt zu einem Hohlschlauch zu werden, sich an seinem unteren, kolbenförmigen Ende als geschlossenes Säckchen abschnürt. Letzteres, genannt Schmelzorgan, liefert keine Hornzellen, sondern wird zunächst gallertig, indem sich zwischen seinen Innenzellen eine wenig konsistente Zwischensubstanz ansammelt, in welche die Zellen Aus- läufer senden. Diese Schmelzpulpa ist bekanntlich dem Untergange geweiht und wird von den in die Länge wachsenden, zu Schmelz- prismen versteinernden, am flaschenförmig eingedrückten Boden des Schmelzorgans gelegenen Epithelzellen verdrängt. Eine Verhornung im Bereich des Schmelzorgans ist übrigens insofern nicht absolut ausge- schlossen, als die äußere Schicht derselben bei ihrer Umbildung zum Schmelzoberhäutehen nicht bloß versteinert, sondern zugleich auch verhornt. Haare sowohl wie Zähne, unterliegen dem Durchbruch, welcher auf einem basalen Nachwuchs von Substanz beruht. Den baulichen Modifikationen gemäß ist das neu Anwachsende beim Haar Horn- gewebe, beim Zahn Zahnbein und zum Teil — bei den Zähnen mit sogen. unbegrenztem Wachstum — auch Schmelz. Nun zum Vergleich die Entwicklung der Placoidzähnchen, welche ich mir als phylogenetische Vorläufer für Haar und Säugetierzahn vorstelle. Die Entwicklung derselben beginnt mit der Bildung einer hügelartigen Hervorragung, die einer Verdickung beider Hautschichten ihren Ursprung verdankt. Wir wollen hier nicht näher erörtern, ob — wie es Heincke (p.515, Taf. XXIX, Fig. 27—29) angiebt — eine Cutispapille die Epidermis höckerförmig hervortreibt oder ob — wie es Klaatsch findet — die ursprüngliche hügelartige Hervorragung Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 579 in erster Linie einer Verdiekung der Epidermis ihren Ursprung ver- dankt und erst in zweiter Linie, wenn auch fast gleichzeitig „eine lokale Verdieckung der Cutis entsteht“ und uns damit begnügen, auf analoge Kontroversen für die Haare (s. 0.) hinzuweisen. Was uns momentan besonders interessiert, ist ein weiteres Stadium. Auf einem solchen fand Heincke (p. 585) beim Embryo von Mustelus vulgaris, dass sich der untere Teil des „Schmelzorgans* etwas unter die Grenze des Epithels in das Bindegewebe hineinsenkt. Ferner schreibt Hertwig (p. 353): „Während bei Heptanchus die Papille ganz frei auf der Oberfläche des Coriums aufsitzt, ist sie bei einigen Haien, z. B. bei Acanthias americanus, mit der sie bekleidenden Epithellage zur Hälfte in das unterliegende Bindegewebe eingesenkt.“ Und schließ- lich Klaatsch (p. 110): „die Schuppenpapille wächst mit ihrem Spitzen- teil in die Länge und senkt sich hierbei bei manchen Formen (Seymnus, Seyllium) in die Haut, während bei andern, wie Heptanchus, die Einsenkung gänzlich fehlt. Hier bleibt die innere Fläche der Epidermis außerhalb des Bereiches der Papille; eben darin liegt ein einfacherer Zustand vor im Vergleich mit Scymnus, wo die basale Epithelschicht umbiegt in eine dünne Zellenlage, welche in der Nähe der Spitze die Verbindung mit der übrigen Epidermis vermitteln hilft...“ Besonders stark senkt sich später bei Scyllium canicula die ganze Anlage in die Tiefe (p. 112). — Eine sich in die Tiefe senkende An- lage nähert den Hautzahn eines Haies dem Säugetierzahn und gleich- zeitig auch dem Haar, möchte ich meinen. Am Aufbau des Hautzähnchens beteiligt sich, als Pulpa und Hart- substanz, nur das Corium, ein Satz, welcher auch dadurch nicht ein- geschränkt wird, wenn wir die Grundsubstanz des Vitrodentins als Ausscheidung von Epithelzellen betrachten. Am Säugetierzahn kommt noch ein epithelialer, verkalkter, in seiner äußersten Schicht gleich- zeitig verhornter Bestandteil hinzu. Der Säugetierzahn nimmt daher, wie es die Theorie verlangt, gewissermaßen eine Uebergangsstellung zum Haare ein, bei welchem die kalkigen Hartsubstanzen hornigen, rein epithelialen gewichen sind. IH. Denkbare Uebergangsformen zwischen Zähnen und Haaren und ihnen ähnelnde Gebilde. Die Richtigkeit der hier verfochtenen Hypothese zugegeben, wird man wahre Uebergangsformen bei jenen längsverschollenen Pro- mammalien oder Protamnioten vermuten müssen, welche sich zuerst dem Landleben anpassten und hierbei ihr sprödes Stachelkleid dureh ein elastisches, auch Wärmeschutz bietendes vertauschten. Sind, meines Wissens, selbst in den feinkörnigsten Sedimentärgesteinen bisher noch keine Spuren eines zarten Stachelkleides fossiler Haie nachgewiesen, so ist ein solcher Nachweis immerhin denkbar. Für die vermuteten 37° 580 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. noch zarteren Uebergangsformen zu kurzen Hornfäden lässt sich in dieser Richtung auch in Zukunft kaum Aufschluss erhoffen. Wir werden daher unser ganzes Augenmerk auf recente Bildungen zu richten haben, welche als solche Uebergangsformen oder etwas mit ihnen mehr oder weniger Verwandtes gedeutet werden könnten. 1. Die von mir (1898) als borstenartig bezeichneten, bisher nach äußerst mangelhaften Präparaten untersuchten Gebilde am Rostrum eines Haies (vermutlich Selache maxima) konnten neuerdings, dank weiteren Pröbehen, welche durch einen glücklichen Zufall dem Mikro- tom entgangen waren, an wohlgelungenen Präparaten nachuntersucht werden. Das am angeführten Orte über ihren Bau allerdings — in Anbetracht der Beschaffenheit der Präparate — mit größter Reserve Ausgesprochene bin ich im stande nunmehr wesentlich zu berichtigen. Die fraglichen Gebilde erwiesen sich nämlich als wahre Placoidzähn- chen, an welchen sich übrigens stellenweise ein Epithelüberzug erhalten hatte. Derselbe besteht aus einer tiefen Schicht kurzeylindrischer und einer oberflächlichen, doppelten bis vierfachen Lage abgeplatteter, polygonaler, im Durchschnitt breitspindelförmiger Zellen von etwa 0,016 Längs- und 0,0048 mm Dickendurchmesser. Sie enthalten einen rundlichen Kern und kleine dunkle Pigmentkörnchen, besonders im Umkreis des Kernes. Ob dieser Epithelüberzug des Vitrodentins etwa verkalkt war und sich deshalb an einer ausgestopften Haut erhalten hat, bleibt unentschieden. Residuen von Epithelzellen an Hautzähnchen sind auch sonst be- obachtet. So fand Klaatsch (p. 115) bei Seyllium canicula neben der hervorbrechenden Spitze Haufen losgelöster, abgeplatteter Epithel- zellen, welche er naturgemäß für Reste der, durch von innen wirkenden Druck zerstörten, Oberhaut ansieht. Sollten nun die Hautzähnchen von Selache maxima samt und sonders oder nur einzelne derselben an der Schnauze ihren Epithelüberzug auch nach dem Durchbruch bewahren, so hätten wir an ihnen immerhin eine gewisse bauliche Annäherung an die Haare. Ich sehe den Epithelüberzug nicht bloß an der Spitze, sondern auch an andern Partien des Zahns, und zwar zum Teil dem Vitrodentin dicht anliegend. Im Sommer 1898, während des Fischereikongresses in Bergen, hatte ich Gelegenheit das im dortigen Museum aufgestellte Exemplar von Selache maxima in Augenschein zu nehmen. Es ist ein statiöses Weibehen von 8,37 m Länge. In den anliegenden Gewässern erbeutet, gelangte es frisch im den Besitz des Museums und lässt an Konser- vierung und naturgetreuer Aufstellung nichts zu wünschen übrig. Auch der Anstrich des Balges mit grauer Oelfarbe dürfte mit Vorsicht be- werkstelligt sein, da sich am ganzen Körper feine, spitze Zahnstacheln von etwa 2—3 mm Länge erhalten haben. Sie bilden gleichsam einen dichten Pelz. Wenn sie nicht regelmäßig rückwärts, sondern struppig Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 91 nach allen Seiten gerichtet sind, so möchte dies durch ein ungleich- mäßiges, runzeliges Eintrocknen der Haut beim Ausstopfen bedingt sein. Am Rostrum und Unterkieferbogen fanden sich die von mir vor fast 30 Jahren an einem in Leipzig öffentlich zur Schau gestellten Exem- plar gesehenen „borstenartigen Gebilde“ vor. Sie mögen etwa 2 mm und darüber hoch und etwa 6 mm dick sein, falls der Oelfarbenüber- zug ihre Dimensionen nicht gar zu sehr entstellt. Am freien, oberen Ende anscheinend abgerundet, stehen sie streng perpendikulär zur Hautoberfläche. Ihre Gesamtzahl dürfte nach Tausenden zu rechnen sein. Am Rostrum finden sie sich vorn, unten und seitlich bis gegen die Augengegend; jedoch nicht an der dorsalen Fläche. Ihre Anord- nung ist eine durchaus unregelmäßige. Hier zu Gruppen von etwa hundert und mehr zusammengedrängt, sehen wir sie dort zu kleineren Anhäufungen vereint, ja auch mehr oder weniger vereinzelt. Stellen- weise lässt sich auch von einer netzförmigen Anordnung reden. Im Bereich der fraglichen Gebilde sind auf dem Rostrum auch Oeffnungen von Schleimkanälen in geringerer Anzahl vorhanden, welche jedoch in keinerlei Beziehung zu ersteren stehen. In einer brieflichen Mitteilung bestätigt Dr. A. Appellöf, Direktor von Bergen’s Museum, welcher — gemeinschaftlich mit Dr. J. A. Grieg — eine Monographie der Selache maxima in Arbeit hat, das Vor- kommen der uns interessierenden Gebilde. Er findet sie „von anderer Form als die Hautzähne auf dem Körper, was aber nicht allzu eigen- tümlieh ist, da sich auf dem Körper von Selache mehrere verschiedene Formen von Hautzähnen finden, unter diesen solche, die bedeutend größer und dicker als diejenigen der Schnauze sind“. Ich will gern zugeben, dass mir bei meinem bloß zweimaligen Besuch des Museums diese Uebergangsformen entgangen sind, obgleich ich mich nach solchen umgesehen habe. Auch eine mikroskopische Untersuchung der frag- lichen Gebilde wurde in Veranlassung unserer Korrespondenz von Dr. Appellöf unternommen, wobei — wesentlich in Uebereinstimmung mit meiner gleichzeitigen Nachuntersuchung — die Gebilde sich „in ihrer Struktur als typische, vollständig verkalkte Hautzähne“ erwiesen. Aus dieser freundlichen Mitteilung des geschätzten Kollegen lässt sich immerhin folgern, dass auch er eine lokale Differenzierung und Gruppierung von Hautzähnen an der Schnauze der Selache zuzulassen nicht abgeneigt ist. Ich hoffe, dass derselbe uns in Kürze weitere Auskunft über die „borstenartigen® Gebilde bringen wird. Zunächst erwarte ich Bestätigung des Vorkommens eines Epidermisüberzugs, und zwar ob an den differenzierten Schnauzenzähnchen allein oder auch an den Zähnchen des übrigen Körpers. Ferner verdient der Oelfarben- anstrich des Balges genauere Berücksichtigung. Durch denselben können Form und Größe der Hautzähnchen nieht unerheblich entstellt sein. Namentlich könnte ein energischeres Betupfen der Schnauze 582 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. mit dem Pinsel gerade deren Hautzähnchen mehr oder weniger be- troffen haben. Ein diekerer Anstrich hätte möglichenfalls dazu bei- tragen können, dass sich an dem weiland in Leipzig zur Schau aus- gestellten, seines Stachelkleides sonst durchaus beraubten Exemplar der Selache einzelne borstenartige Zähnchen merkwürdigerweise gerade an der äußeren Insulten am meisten exponierten Körpergegend, der Schnauze, erhalten hatten. (An dem Riesenexemplar der Selache mazima, welches ich — im Anschluss an das Bergener — im Museum zu Kopen- hagen besichtigen konnte, ist die Haut allerwärts, auch am Rostrum, abgescheuert.) Das bisher über die „borstenartigen* Gebilde von Selache maxima Vorgebrachte lässt folgende provisorische, einer eingehen- den Kontrolle bedürftige Thesen zu. Am Rostrum, namentlich auch im Umkreis der Mundspalte, differenzieren sich nach Form und Grösse Hautzähnchen, welche als Vorläufer der Spürhaare bei Säuge- tieren betrachtet werden können. Es wäre dies kein vereinzelt da- stehendes Beispiel einer numerischen Einschränkung und bestimmten "Umanordnung vonGebilden. Es sei hier erinnert an die Tracheen der Önychophoren, im Vergleich zu denen der wahren Tracheaten, an die Differenzierung von Talgdrüsen zu Milchdrüsen, an die Differenzierung der Hautzähne anderer Wirbeltiere zu Kieferzähnen der Säugetiere. 2. Vom Gesichtspunkte einer möglichen Uebergangsform von den Zähnen zu Haaren aus könnten ferner die den Reusenapparat der Selache bildenden Borsten betrachtet werden. Sollte sich ihr Bau auch in nichts Wesentlichem von dem der Zähne unterscheiden, so ist an ihnen schon das Auswachsen zu langen, fadenförmigen Gebilden bemerkenswert. Die grosse Biegsamkeit und Elastieität, in Verbin- dung mit einer gewissen Transparenz, lässt mindestens einen geringe- ren Grad der Verkalkung vermuten. 3. Abgesehen von den Zahnstäben des Reusenapparates der Selache beobachtet man bekanntlich auch sonst auf der Schleimhaut der Mund- und Rachenhöhle von Haien und Rochen Zähnchen: „Nach Leydig sollen sie bei Scyllium und Seymnus durch warzen- oder auch faden- föürmige unverkalkte Papillen ersetzt sein, welehe dieselbe drei- spitzige Gestalt wie die Zähne dieser Tiere besitzen!) und überhaupt vollkommene Zähne darstellen würden, wenn sie wie diese mit einer Kappe von Kalksalzen überzogen wären.“ (Citiert nach Hertwig, p. 364). 4. Wagen wir noch einen Schritt weiter, so können wir die Frage aufstellen, ob nicht etwa eine entferntere Homologie der fadenförmigen 1) Die dreispitzige Gestalt erinnert unwillkürlich an die neuerdings so viel- fach besprochenen Drei-Haar-Gruppen. Sollten wir es hier mit einer bloß zu- fälligen äusserlichen, einer tieferen Bedeutung entbehrenden Aehnlichkeit zu thun haben? Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 555 Zungenpapillen mit Zähnen und Haaren bestehe? Gleich den typischen Hautzähnchen der Selachier sind es recht primitive, als direkte Aus- wüchse einer Haut ohne vorangehende Einstülpung entstehende Ge- bilde. Ihre beträchtliche Verhornung bei Raubtieren möchte an die Haare anklingen. 5. Auf der unteren, schuppenfreien Fläche des Kopfes, zwischen den Unterkieferhälften von Lepidosteus fand Hertwig (p. 3) Haut- zähnehen; während am Rande des Unterkieferknochens sich das sonst glatte Corium in zahlreiche kleine Papillen erhebt, in denen man nach ihm vielleicht rückgebildete Hautzähnchen erblieken könne, d. h. Pa- pillen, bei denen es zu keiner Verknöcherung gekommen. — Auch hier interessiert uns die — allerdings nur vermutliche — Entkalkung von Zahnanlagen. 6. Die Hornzähne der Petromyzonten könnten als Substitutions- gebilde für Kalkzähne hier gleichfalls, sei es im positiven, sei es im negativen Sinne, in den Kreis der Betrachtungen gezogen werden. 7. Seit die embryonalen, bezw. auch postembryonalen, wahren Zähne bei echten Walen und neuerdings auch bei Monotremen bekannt geworden, hält man eine Homologisierung sowohl der Barten, als auch der bleibenden Hornzähne mit den wahren Kalkzähnen für endgültig beseitigt. Nichtsdestoweniger scheint mir vorderhand noch die Hypo- these offen, dass Hornzähne und Barten (genauer die dieselben zu- sammensetzenden Organindividuen) als neue, schwache, vereinfachte Generation von Zähnen aufzufassen sei. Uns an die erste Anlage der Barten, wie sie Tullberg vorführt, haltend, sehen wir uns durch die betreffenden, in Längs- und Querreihen angeordneten Schleimhautpapillen verleitet, in ihnen eine modifizierte Wiederholung von Kieferzähnen, ins- besondere der der Selachier, zu erblicken. (S. o., Punkt 3). Die Abweichungen der Barten von Kieferzähnen beständen zunächst in dem Mangel einer Plica dentalis primitiva, also in der Bildungsweise nach einem ursprünglichen, den Hautzähnen eigentümlichen Typus. Ferner hätten wir es, als coenogenetische weitere Abweichung, mit einer die Verknöcherung ersetzenden Ablagerung von Horngewebe zu thun. Als weitere, gleichfalls eoenogenetische Eigentümlichkeit wäre zu nennen eine Verschmelzung der Papillen verschiedenen Datums zu quergestellten Platten. Letzteren Prozess könnte man sich durch die Vorstellung von Kieferzähnen eines Haies veranschaulichen, bei denen keine reihenweise Ausstoßung der Zähne erfolgt, sondern sämtliche Ersatzreihen mit ihren Vorgängern zu einem Ganzen von „unbegrenztem“ Wachstum verschmelzen. Zusammengesetzte, durch Verschmelzung von Einzelindividuen entstandene Zähne sind ja zur Genüge bekannt. 8. Als modifizierte Haare gedeutet, können noch anderweitige Ge- bilde, wenn auch mehr indirekt, bei der Klarlegung der Haarphylogenie in Betracht kommen. So die Taststäbe oder Tastkegel am Flötzmaul 584 „ Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. des Rindes und am Schnabel von Ornithorhynchus und die von einem Drüsengang (ob ähnlich dem Giftzahn der Schlangen, nur scheinbar?) durchbohrten haarförmigen Organe, gleichfalls am Schnabel des letzt- genannten Tieres. (Man vergleiche die Arbeiten von Leydig [1898] und Paulton.) Ferner sei hier gedacht der von Kükenthal 1890) auf der Haut des Zahnwals Neomeris phocaenoides nachgewiesenen kurzen, stabförmigen Körper, sowie der von mehreren Autoren für ver- schiedene Oetaceen beschriebenen Grübehen am Mundwinkel, in welchen Hornzapfen (Haarnudimente?) stecken. (s. Kükenthal, 1889, p. 12—16.) Ich erwähne dieser Gebilde insbesondere in Rücksicht auf den Um- stand, dass sich bei Walen manche coenogenetische Züge finden, welche an längst verschollene anknüpfen, im gewissen Sinne als atavistische oder pseudoatavistische zu deuten sind. Lassen sich die in diesem Punkte namhaft gemachten Gebilde auch nicht zu Gunsten einer phylo- genetischen Abstammung der Haare von den Zähnen direkt verwerten, so widersprechen sie wenigstens derselben nicht. 9. Topographische Verhältnisse ins Bereich der Betrachtungen ziehend, scheint es angemessen auch der Behaarung auf der Innen- fläche der Wangen bei manchen Säugetieren!) zu gedenken, weist sie doch darauf hin, dass gleich den Zähnen auch die Haare zu einer Immigration in die Mundhöhle befähigt. Obgleich — wenigstens beim Hasen — durch einen scharfen, wulstigen Rand von der unbehaarten übrigen Schleimhaut der Mundhöhle abgegrenzt, erscheint die behaarte Insel immerhin als Uebergangsgebilde von der äusseren Haut zur Schleimhaut der Mundhöhle. Auch der Vergesellschaftung von Haaren und Zähnen in Dermoideysten mag hier Erwähnung geschehen. IV. Kritische Bemerkungen und Zusammenfassung. Das oben Vergebrachte dürfte die Berechtigung einer Ableitung der Haare von den Zähnen als Hypothese beweisen und auch die ihr nicht beistimmenden Forscher zu einer eingehenden Kritik heraus- fordern. Im Nachstehenden sollen dieser Hypothese andere, neuerdings vornehmlich kultivierte und propagandierte gegenübergestellt werden. Die Hypothese von Maurer über den Ursprung der Haare aus Hautsinnesknospen der Amphibien hat vor der „Zahntheorie*“ unstreitig das eine voraus, dass sie an Gebilde anknüpft, welche noch bei den Amphibien, also Tieren, die den Promammalien jedenfalls näher als die Haie stehen, vorhanden sind. In ihrer Ausführung fußt sie zunächst 1) Die bekanntesten Beispiele wären Hase und Kaninchen. Zu ihnen ge- sellen sich noch manche andere Nager, — so nach der Erfahrung vonLeydig — Hypudaeus terrestris, ferner der Dugong. Der soeben genannte Forscher (1898) deutet als unentwickelte Haare auch die epidermoidalen Tastkegel, welche beim Ornithorhynchus von der Ober- und Unterlippe des Schnabels in die Mund- und Rachenhöhle hereingehen. Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 585 auf einem baulichen Vergleich des Haares mit einer Hautsinnesknospe, wie man sie namentlich bei aufs Land gegangenen Tritonen findet. An einem anderen Orte (1898, S. 265) erlaubte ich mir einen Einwand, welchen ich aufrecht erhalte, da er das Gekünstelte in der Maurer’schen Hypothese hervorhebt. Bei der Umwandelung der Hautsinnesknospen zu Haaren wären die Sinneszellen verkümmert, wobei ihre Reste zu Markzellen geworden. Hier besticht die übereinstimmende zentrale Lage beiderlei Elemente. Als unerlässlicher, essentieller, und mithin auch ältester, Anteil einer Sinnesknospe dürften aber die Sinneszellen der- selben auch im embryonalen Haar als Markzellen früh und unerlässlich auftreten müssen: ein zwingendes Postulat des biogenetischen Grund- gesetzes. Dem ist aber nicht so: das Embryonalhaar unterscheidet sich gerade durch seine Marklosigkeit von dem vorwiegend markhalti- gen postembryonalen. Maurer stützt sich ferner auf eine grosse Uebereinstimmung einer frühen Entwicklungsphase des Haares mit einer Sinnesknospe. Die Epithelwucherung, mit welcher die Bildung eines Haares beginnt, besitzt nach den Befunden des Verfassers eine Knospenform. In dieser Epithel- wucherung sind besonders die langgezogene Form und die meilerförmige Anordnung der Oylinderzellen bemerkenswert, da sie an die Elemente der Sinnesknospen erinnern. Zahlreiche Abbildungen illustrieren dies in vorzüglicher Weise. Nichtsdestoweniger können sie auch anders ge- deutet werden. Ein zapfenförmiges Tiefenwaechstum einer Zellengruppe setzt, so sollte ich meinen, eine zur Oberfläche senkrechte Verlängerung der Zellen, behufs ihrer Querteilung, voraus. Dass eine solche in der That stattfindet, dürften die Abbildungen von Maurer (so z. B. 1892, Fig. 5) lehren. Die meilerförmige Neigung der Zellen scheint mir aus veränderten Niveau- und Druckverhältnissen verständlich. Von Nerven- fasern werden die Zellen der knospenartigen Haaranlagen nicht erreicht, Letzterer Umstand ist insofern wiehtig, als uns hier eine direkte Stütze seitens des biogenetischen Grundgesetzes entzogen wird und wir zur Vor- aussetzung einer coenogenetischen Abkürzung unsere Zuflucht nehmen müssen, Die ursprünglichen Elemente der Hautsinnesknospen erblieken wir in den zerstreuten Neuroepithelzellen der einschiehtigen Epidermis von Amphioxus. Bei ihrer späteren Gruppierung zu Hautsinnesorganen behalten, wie in der Natur der Sache, diese Zellen ihre oberflächliche Lage und ursprüngliche Entstehung aus der obersten Epidermisschicht bei. Die ihnen ähnlich sehenden, nach Maurer homologen, Zellen der Haaranlagen hingegen entstehen wesentlich später, wenn dieselbe be- reits mehrschichtig, für künftige Markzellen nichtsdestoweniger viel zu früh. So offenbar und auf der Hand liegend, wie Maurer und seine Anhänger es wollen, scheint mir die Uebereinstimmung der Sinnes- knospen mit den Haaren immerhin nicht zu sein. Auf eine nähere Kritik der Maurer’schen Lehre wage ieh nicht hier einzugehen, 586 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare, um so mehr als eine solche bereits von verschiedenen Autoren geübt worden, und zwar besonders vielseitig von Keibel (p. 709). Das letzte Decennium brachte uns eine Reihe von Arbeiten, welche sich mit der Frage beschäftigen, ob die Ursäuger ein horniges Schuppen- kleid besaßen und in welchen topographischen, etwa auch genetischen Beziehungen dasselbe zur Behaarung steht. Es sind hier besonders die Arbeiten von M. Weber, Emery, Keibel, de Meijere, Maurer, Reh und Römer zu nennen. Letzterer (1898, p. 236-48) fasst die allgemeinsten Ergebnisse dieser Arbeiten etwa folgendermaßen zu- sammen. Aus dem ganzen großen Thatsachenmaterial, meint er, sei eine sichere gemeinsame Basis gewonnen: die jetzt schuppenlosen Säugetiere, resp. die schuppenlosen Teile ihrer Haut, haben früher Schuppen getragen. Die Anordnung der Haare weist auf ihr früheres Vorhandensein bei den Vorfahren der Säugetiere. Wenig Ueberein- stimmung herrscht in allen speziellen Fragen, so besonders darin, ob die Beziehungen zwischen Schuppen und Haaren nur topographischer Natur oder ob hier ein tieferer phylogenetischer Zusammenhang be- steht. Emery fand bei Embryonen und erwachsenen Tieren mehrerer Species die Haare stets auf den Schuppen (wenn auch gelegentlich be- denklich nahe von ihrem Rande) sitzen. An den hinteren Extremitäten eines Embryo von Dasypus kenstatierte er Gruppen von je drei Haaren mitten auf den Hautschildern. Weber und Reh sahen gar in den Schuppenpapillen wurzelnde Haare. Wir dürften es hier mit selteneren Fällen zu thun haben, da die Mehrzahl der Forscher die Haare am hinteren Rande der Schuppen sitzen und entstehen lässt. Am Schwanz der Ratten konnte sich Römer (1896) davon überzeugen, dass die Haare viel früher als die Schuppen auftreten, und zwar in ganz regelmäßiger Anordnung, die man unbedingt auf alte Zustände zurückführen muss. Aus diesen und anderen Thatsachen lässt sich folgern, dass die Haare oder ihre Vorläufer phylogenetisch früher als die Hornschuppen bei Pro- oder Propromammalien (Protamnioten?) aufgetreten; die Horn- schuppen lagerten sich erst später zwischen ihnen oder zum Teil wohl auch in ihrem Umkreis ab, wobei die Haaranlage auch ins Bereich der emporwachsenden Schuppenpapille gezogen werden konnte. (Letztere Möglichkeit spreche ich keineswegs als Einwand gegen Römer aus, welcher, wie ich glaube, mit Recht die von Emery bei Dasypus be- obachtete Stellung von Haaren mitten auf Schuppen durch die sekun- däre Natur des Panzers von Dasypus erklärt.) Aus dieser kurzen Zusammenfassung ergiebt sich, dass die Lehre von dem Bestehen eines hornigen Schuppenkleides bei den Vorfahren der Säugetiere sehr wohl vereinbar mit der Vorstellung, dass die Vor- läufer der Haare nicht aus Hornschuppen hervorgegangen, sondern Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 587 früher als letztere bestanden. Dieselben könnten unter anderem aus entkalkten, von verhornten Epidermiszellen überzogenen Placoidzähn- chen hervorgegangen sein. Eine solche Annahme löste ein naturge- mäßes Befremden über das anscheinend spurlose Verschwinden der Plaeoidzähnchen bei höheren Vertebraten, selbst in deren Ontogenese. Die Haut der Selachier bietet sowohl Zähnchen, als Hautsinnesknospen. Welche von beiden den Haaren baulieh näher stehen, darüber lässt sich kaum streiten. Damit ist, natürlich, die Möglichkeit immerhin noch nicht direkt widerlegt, dass gerade die den Haaren baulich näher stehenden Gebilde den Propromammalien abhanden gekommen und die Haare aus ursprünglich ihnen weiter stehenden Gebilden hervorgingen. Mitrophanow, welcher, wenn ich nicht irre, zuerst eingehender die Bildung der Hautsinnesknospen an Amphibienlarven studierte, lässt gie samt und sonders durch Teilung auseinander entstehen, und zwar jängs Nervenverzweigungen. Zugegeben, dass auch Haaranlagen sich vervielfältigen, so geschieht es mindestens auf eine andere Art und Weise und müsste, behufs Aufrechterhaltung der Maurer’schen Lehre, eine stark modifizierte und abgekürzte Ontogenese der Haare voraus- gesetzt werden. | Die Frage, ob überhaupt eine Vermehrung von Haaranlagen vor- kommt, scheint übrigens noch nicht einmal zum Austrag gebracht. Ich verweise hier namentlich auf die Kontroverse zwischen Römer und de Meijere (1899). Letzterer spricht sich gegen eine ursprünglich ge- meinsame Anlage der Haare eines Bündels aus, um so mehr, als er in mehreren Fällen den entgegengesetzten Prozess beobachtet habe, näm- lich das Zusammenkommen ursprünglich getrennter Haare zu Bündeln. Behält er hierin recht, so könnte die von Römer (1898, p. 214) ge- sebene hübsche „schematische Darstellung der Lösung der Nebenhaare vom Mittelhaar“ umgekehrt, von rechts nach links, gelesen gleichzeitig auch die Bildung von Zahnkomplexen, von sogen. mehrhöckerigen und mehrwurzeligen Zähnen, zu illustrieren. Der Maurer’schen Lehre, wenn auch keineswegs direkt zuwider, so doch immerhin auch nicht sonderlich günstig, ist ferner die Ver- breitung der Sinnesknospen bei den Amphibien, wo sie gruppenweise auf bestimmte Reihen beschränkt sind, und nur bei einzelnen Formen (z. B. Oryptobranchus) reichlicher entwickelt erscheinen. Ihre Verteilung über den ganzen Körper gerade bei den entschieden abseits stehenden Knochenfischen lässt sich phylogenetisch kaum verwenden. Als charakteristisch eitiere ich hier noch die Aeusserung Römer’s, eines eifrigen Verteidigers der Maurer’schen Lehre. Derselbe (1898, p. 239) betont den hypothetischen Charakter dieser Lehre und meint sogar, dass ein auf Thatsachen gestützter Beweis, welcher zeigt, wie eine Sinnesknospe eines Amphibiums zu einem Haar auswächst, niemals dafür zu erbringen ist.“ N 588 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. Zum Schluss eine kurze Zusammenfassung der von mir vertretenen Hypothese über die Phylogenese der Behaarung. Die längst verschollenen Vorfahren der Promammalien, eines der Endzweige der Protamnioten, besaßen als Wassertiere ein aus Placoidzähnchen bestehendes Stachelkleid, wie es die heutigen Haie aufweisen. Mit der späteren sonstigen Anpassung derselben als Pro- mammalien zum Landleben Hand in Hand ging eine Abänderung des Stachelkleides: die spröden und schwachen Wärmeschutz bietenden ver- knöcherten Stacheln mussten durch elastische, die Wärme schlecht lei- tende ersetzt werden. In der That finden sich spröde, faden- und stachel- förmige Körperbesätze, wie die Stacheln der Seeigel, die vorstehenden Nadeln mancher Schwämme, die Stacheln mancher Dekapoden nur bei Tieren, welche sich im Wasser aufhalten, wo das Gesetz des Archi- medes herrscht und daher jeder Stoß abgeschwächt wird. Ein Land- tier mit ähnlichem spröden und dabei schwerem Pelz wäre ein Unding. Während die Temperatur des Wassers sich stets über dem Nullpunkt hält und ihre Schwankungen nur unbedeutend sind, sehen wir das Gegenteil in der Luft. Schon deshalb bedürfen die dem Landleben an- gepassten Säugetiere eines aus lockeren schlechten Wärmeleitern be- stehenden Pelzes. Derselbe soll auch zur leichteren Erhaltung einer hohen Eigenwärme das Seinige beitragen. Die Entstehung der Haare aus Placoidzähnchen können wir uns in ihren Hauptzügen lebhaft vorstellen, und zwar als Teil- erscheinung eines im Großen und Ganzen genügend phylogenisch be- gründeten Prozesses, nämlich einer allmählichen Entkalkung, bezw. Ent- knöcherung, und gleichzeitigen Verhornung des Integuments (s. die Schemata). Bei diesem Prozess wird die Sklerosierung vom binde- gewebigen auf den epithelialen Anteil des Integuments verlegt. Die Placoidzähnchen setzen weniger Vitrodentin und Zahnbein als ursprüng- lich ab; beiderlei ein Ganzes bildende Substanzen nehmen weniger Kalksalze in sich auf. Die Ernährung des Epithelüberzuges, welche früher dureh die ursprünglich langen Saftröhrehen von Dentin und Vitrodentin nur dürftig vor sich gehen konnte, wird eine ergiebigere. Infolgedessen geht beim Emporwachsen des Zähnchens über die Haut- oberfläche, dem sogen. Durchbruch, sein in der Anlage vorhandener Epithelüberzug nicht mehr zu Grunde. Der Erhaltung des Epithels günstig ist auch eine sich bereits bei manchen Haien bemerkbar machende Versenkung der Zähnchenanlagen in die Tiefe (III). Diese Versenkung progressierte phylogenetisch von Stufe zu Stufe; galt es doch ein solider befestigtes, langauswachsendes Organ von dauernder Existenz zu schaffen. Die peripherische Sklerosierung der Zahnpapille blieb später gänzlich aus (IV) unter gleichzeitiger Reduktion derselben. Infolgedessen gelangten die zugehörigen Epidermiszellen in nähere Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare, 589 Berührung mit den Gefäßen der Papille und wurde somit ihre Er- nährung und Vermehrung begünstigt. Zu ihrer Massenanhäufung ge- sellte sich Verhornung in den oberflächlichen Schichten. Von dieser Stufe der Umbildung an ist der bisherige Zahn in „Haare“ umzunennen. PhylogenetischesSchema für dieHaareundZähnederSäugetiere. I. Unbekanntes Organ der Uramnioten. Il. Knöcherner Hautzahn der Selachier. III. Knöchern-horniger Hautzahn der Uramnioten. IV. Haare und Schuppen der Ursauger. V. Schuppen der Reptilien. VI. Säugetierzahn. VII. Säugetierhaar. Die weitere phylogenetische Umbildung des Haares macht, in allgemeinsten Zügen betrachtet, keine Schwierigkeiten, namentlich, wenn man wie es oben geschah der inneren Wurzelscheide und den später inkonstant hnzukommenden Markzellen keine wesentliche morpho- 590 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. logische Bedeutung zuerkennt. Die Bildung der gegenwärtigen Säuge- tierhaare innerhalb langer, zapfenförmiger, in die Cutis versenkter Epidermisauswüchse bereitet unserer Deutung nicht die mindesten Schwierigkeiten; entstehen doch die Mundzähne der Vertebraten auf ähnliche Weise. Hier wie dort haben wir es mit Einstülpungen der Oberhaut, bezw. „Oberschleimhaut“ zu thun, welche prinzipiell als Hohleylinder aufgefaßt werden müssen!). Hier wie dort wird durch die Tiefenlagerung eine solidere Befestigung erzielt. Ueber das phylo- genetische Schicksal des den Placoidzähnchen als Sockel dienenden Knochenplättchens, der Basalplatte, glauben wir zuversichtlich zu wissen, dass dasselbe bei höher differenzierten Zähnen als Cement be- schrieben wird. Ferner dürfte gleichfalls zur Genüge festgestellt sein, dass aus einer Verschmelzung solcher Platten größere Hautknochen, das knöcherne Exoskelet, hervorgegangen, welches seinerseits — mit lokalen Ausnahmen — bei höheren Vertebraten zu Grunde gegangen. An den Säugetierhaaren würde man daher Basalplatten vergeblich suchen?). Von dem Gesichtspunkte aus, dass zwischen Haaren und Horn- schuppen gar keine, oder im besten Falle eine nur entfernte Homologie bestehe, machen wir uns folgende Vorstellung über die Phylogenie der Hornschuppen und Hornschilder. Da wir dieselben bei den recenten Amphibien noch vermissen, so ist ihr erstes Auftreten bei den Protamnioten vorauszusetzen. Es ist, wie unsere Reptilien vermuten lassen, das Re- sultat einer Anpassung an das Landleben von wechselwarmen Tieren, nicht sowohl für den Wärmeschutz, als für eine möglichste Beschrän- kung der Verdunstung der wässerigen Körperbestandteile in trockenen Lokalitäten. Die hypothetische Rekonstruktion des Beschuppungsvor- ganges gestaltet sich so oder anders, je nachdem man eine Homologie der Hornschuppen und Haare zulässt oder nicht. Schließen wir uns der letzteren, der negativen Auffassung an, so kommen wir zu folgen- der Vorstellung. Die Hornplatten oder Schuppen entstanden als Neu- bildungen im Bereiche der Haut, und zwar bei den zu den Reptilien neigenden Formen als Substitutionen für die zu Grunde gehenden Haut- zähnchen, bei den zu den Säugetieren, zunächst zu den Promammalien, neigenden Formen hingegen zwischen, oder wohl auch im Umkreis, der zu Haaren verhornenden Hautzähnchen. (IV). LetztereAnsicht sucht der neue- sten Lehre gerecht zu werden, nach welcher den Promammalien neben der Behaarung ein Schuppenkleid zukam, welches durch den an Dichtig- keit zunehmenden Pelz noch jetzt nicht durchweg verdrängt ist. 4) Die in meinem vorhergehenden Aufsatz (1898, p. 266) eitierte Behaup- tung von Poulton, das Haar von Ornithorhynchus entstehe in einer offenen Röhre, beruhte auf einer Vermutung und hat sich nicht bestätigt (Römer, Spencer und Sweet). 2) Als solche könnten übrigens die Kalkablagerungen in den Tuberkeln der Haut gewisser erwachsener Delphine gedeutet werden. (8. o.und Küken- thal 1889, p. 251—258). 1 [80] 0 6 I Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare. 591 Litteraturverzeichnis. Beard, J. Morphological studies. Nr. 3. The nature of the teeth of the Marsipobranch fishes. Zool. Jahrb. Abth. f. Anat. Bd. III. 1889, p. 727—7532. Brandt, A. Ueber die sogen. Hundemenschen, bezw. über Hypertri- chosis universalis. Biol. Centralbl. Bd. XVII. 1897, p. 161—179. Derselbe. Ueber borstenartige Gebilde bei einem Hai und eine mut- maßliche Homologie der Haare und Zähne. Biol. Centralbl Bd. XVII. 1898, p. 257 — 272. Burdach, K. F. Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. Leip- zig 1835 — 1840. Emery, C. Ueber die Verhältnisse der Säugetierhaare zu schuppen- artigen Hautgebilden. Anat. Anz. Bd. VIII. 1893, p. 731—738. Derselbe. Ueber regelmäßig auftretende Hautfalten bei Embryonen und Jungen der Ratte (Mus decumanus). Verh. d. Schweiz. naturf. Ges. 1896, p. 174. Gurlt, E. F. Vergleichende Untersuchungen über die Haut des Men- schen und der Säugetiere etc. Arch. f. Anat. u. Phys. 1835, p. 399 bis 417. Heincke, Fr. Untersuchungen über die Zähne niederer Wirbeltiere. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIII. 1873, p. 495—591, Taf. XXVII bis XXIX Hertwig, O0. Ueber Bau und Entwicklung der Placoidschuppen und der Zähne der Selachier. Jenaische Zeitschr. Bd. VIII. (N. F. Bd. D 1874, p. 331—402 Taf, XII und XI. Derselbe. Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere. Jena 1888. Jentsch, B. Beitrag zur Entwicklung und Struktur der Selachier- zähne. Dissert. Leipzig 1897. 8. 38 S. 2 Taf. Keibel, Fr. Ontogenie und Phylogenie von Haar und Feder. Ergebn. d. Anat. v. Entwg. Bd. V. 1895. 1896. p. 619—719. 73 Fig. Klaatsch, H. Zur Morphologie der Fischschuppen und zur Geschichte der Hartsubstanzgewebe. Morphol. Jahrb. Bd. XVI. 1890, p. 97— 202; 209—258. Taf. VI—-VII. Kölliker, A. Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. II. Aufl. Leipzig 1879. Kükenthal, W. Ueber die Reste eines Hautpanzers bei Zahnwalen. Anat. Anz. Bd. V. 1890, p. 237— 240. Derselbe. Vergl.-anat. und entwicklungsgesch. Untersuchungen an Waltieren. Jena 1889. Leydig, Fr. Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Entwick- lungsgeschichte der Rochen und Haie. Leipzig 1852. Derselbe. Die in Deutschland lebenden Arten der Saurier. Tü- bingen 1372. Derselbe. Die Deutung der epidermoidalen Organe im Integument von Säugetieren. Archiv für mikr. Anat. Bd. 52. 1898, p. 156—166. 992 25 26 27 23 239 39 Brandt, Zur Phylogenie der Säugetierhaare, Maurer, F. Hautsinnesorgane, Feder- und Haaranlagen und deren gegenseitige Beziehungen, ein Beitrag zur Phylogenie der Säugetier- haare. Morphol. Jahrb. Bd. XVII. 1892, p. 717-804, Taf. XXIV bis XXVL Derselbe. Die Epidermis und ihre Abkömnmlinge Leipzig 189. 9 Taf. Derselbe. Zur Kritik meiner Lehre von der Phylogenese der Säuge- tierhaare. Morphol. Jahrb. Bd. XXVI. 1898, p. 61—73. Meijere, J. ©. H. de. Ueber die Haare der Säugetiere, besonders über ihre Anordnung. Morphol. Jahrb. Bd. XXI. 1894, p. 312—424. Derselbe. Ist die Gruppenstellung der Säugetierhaare eine Stütze für die Maurer’sche Hypothese von der Ableitung des Haares von Hautsinnesorganen niederer Vertebraten? Anat. Anz. Bd. XVI. 1899. p. 249—256. 2 Fig. Mitrophanow, P. Ueber die Organe des sechsten Sinnes bei Amphi- bien. Warschau 1888 (russisch; Vorl. Mitt. hierzu im Biol. Central- bl. Bd. VII. 1887, p. 174—178). Poulton, E. B. The Structure of the Bill and Hairs of Ornitho- rhynchus paradoxus; with a Discussion of the Homologies and Origin of Mammalian Hair. Quart. Journal of Mier. Se., Vol. 36, N. S., 1894, p. 143—199, Pl. 14—15A.). Reh, L. Die Schuppen der Säugetiere. Jen. Zeitschr. Bd. XXIX, (N. F. Bd. XXII) 1895, p. 157—220. Römer, F. Studien über das Integument der Säugetiere: I. Die Entwicklung der Schuppen und Haare am Schwänze und an den Füßen von Mus decumanus ete. Jen. Zeitschr. Bd. XXX (N. F. Bd. XXIII) 1896, p. 604—622. Taf. XXVI u. XXVII. II. Das Integument der Monotremen. Denkschr. Med.-Nat. Gesch, Jena, Bd. VI, 1898, p. 189—241. 3 Fig. III. Die Anordnung der Haare bei Thryonomys (Aulacodus) swin- derianus Tem. Jen. Zeitschr. Bd. XXXI, 1898, p. 606—622, Fig. T. 27. Röse, ©. Das Zahnsystem der Wirbeltiere. Anatom. Hefte. II. Abth. Bd. IV, 1896, p. 542—591. Derselbe. Ueber die verschiedenen Abänderungen der Hartgewebe bei niederen Wirbeltieren. Anat. Anz., Bd. XIV, 1898, p. 21—31; 33—69. 28 Fig. Spencer, B. and G. Sweet. The Structure and Development of the Hairs of Monotremes and Marsupials. P.I. Monotremes. Quart. Journ. Mier. Sc. Vol. 41 (N. S.) 1899, T. 4, p. 549—588. Tullberg, T. Bau und Entwicklung der Barten bei Balaenoptera Sibbaldii. Nova Acta Reg. Soc. Upsal. Ser. III. 1883. 36 S. 7 Taf. Weber, M. Bemerkungen über den Ursprung der Haare und über Schuppen bei Säugetieren. Anat. Anz., Bd. VIII, 1893, p. 413—423. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Ebysiologie in rs Vierundzwanzig Nummern bilden. einen Band. Preis des Bandes Er Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. &R. Band. 15. September 1900. Nr. 18. Tabalı, Tschermak, Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum. — Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schnecken- schalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse. — Wesenberg-Lund, Von dem Abhängigkeitsverhältnis zwischeu den Bau der Planktonorganismen und dem spezifischen Gewicht des Süßwassers. — Cholod- kowsky, Ucber den männlichen Apparat von Ühermes. — Herlitzka, Einiges über Ovarientransplantation. Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum }). Von Dr. Erich Tschermak in Wien. Meine Versuche über künstliche Kreuzung bei Pisum sativum be- treffen unter anderen auch einzelne Fragen, welche momentan in der botanischen Litteratur lebhaft besprochen werden. Hier gebe ich nur kurz zusammenfassend die Resultate meiner Versuche. I. Innerhalb der Species Pisum sativum, welche sich bei uns zu Lande wohl ganz überwiegend durch Selbstbefruchtung erhält, ergab sich in Bezug auf Zahl und Gewicht der erzeugten Samen kein Unter- schied zwischen Selbstbefruchtung, Kreuzung zwischen verschiedenen Blüten derselben Pflanze (Geitonogamie), Kreuzung zwischen verschie- denen Individuen gleicher Varietät (isomorphe Xenogamie) oder ver- schiedener Varietät (Mischlingserzeugung, heteromorphe Xenogamie). II. Nur bei gewissen Mischlingsformen scheint die Kreuzung an sich regelmäßig, aber vielleicht nicht ausnahmslos einen Höhen- überschuss zu bedingen gegenüber der Höhe, welche die Abkömmlinge aus Selbstbefruchtung der reinen Mutter- oder Vatersorte erreichen. Bei anderen Kombinationen fehlt jedoch ein solcher Vorteil der Kreu- zung gegenüber der Selbstbefruchtung und ist nur ein Einfluss auch der Vatersorte auf die Höhe des Mischlings zu konstatieren. Bezüg- lich der letzteren hat der höhere Typus den größeren Einfluss, gleich- giltig ob er der Mutter- oder Vatersorte zukommt. 1) Die ausführliche Abhandlung ist in der „Zeitschrift für das landwirt- schaftliche Versuchswesen in Oesterreich“, 5. Heft, 1900 enthalten. xXX, 38 04 Tschermak, Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum. + ’ 5 III. Die charakteristischen Merkmale der einzelnen Varietäten bezüglich desselben Gebildes (Gestalt und Farbe des Speichergewebes der Samen) erweisen sich in Bezug auf die Vererbung als nicht gleichwertig. Bei der Mischlingserzeugung verhalten sich die Merk- male „glatt-rund“ und „gelb“ so gut wie allgemein „dominierend“, die Merkmale „kubisch-runzelig“ und „grün“, „recessiv“ [Mendel?)]. Der von Mendel begründete Satz von der gesetzmäßigen Ungleich- wertigkeit der Merkmale für die Vererbung erfährt durch meine Ver- suche an Pisum sativum sowie durch die Beobachtungen von Kör- nicke?), Correns°) und de Vries*) an Zea Mays, ferner von Correns°) gleichfalls an Pisum sativum und von de Vries®) an mehreren Artkreuzungen volle Bestätigung und erweist sich als höchst bedeutsam für die Vererbungslehre überhaupt. — Während die Ab- änderungen der Farbe und Form des Speichergewebes direkte Effekte der Mischung der Sexualzellen, die des eigentlichen Endosperms bei Angiospermen Effekte der Vereinigung des zweiten Pollenkernes mit dem Doppelkern des Embryosackes (nach Nawaschin und Guignard) darstellen, wären etwaige Einwirkungen auf die Samenschale bei Bestäubung mit Pollen einer anderen Varietät als Rückwirkung der heteromorph befruchteten Eizelle (bezw. des Embryosackes) auf den Mutterorganismus, als Fälle von Xeniodochie aufzufassen. IV. In gewissen Fällen von Form- (und zum Teile Farben-) Ver- schiedenheit der Elternsorten und andeutungsweiser Merkmalmischung an den Produkten zeigte jede der Elternsorten relativ mehr Einfluss auf die Beschaffenheit (speziell Form) des Kreuzungsproduktes, wenn sie die Samenknospe, als wenn sie den Pollen lieferte, V. Die erste Generation der Mischlinge verschiedener Varietäten ist durch Mischsamigkeit ausgezeichnet (im Gegensatze zu den bei heteromorpher Xenogamie direkt erzeugten Samen). An der Mehrzahl ihrer Samen kommt das dominierende oder besser prävalente, an der Minderzahl das recessive Merkmal zur Ausbildung, und zwar im Durch- schnittsverhältnisse von 2,8:1 für gelb:grün, von 3,1:1 für glatt:runzelig. Dabei scheint die Eizelle (bezw. der Embryosack) eine wirksamere Ueberträgerin des prävalenten Farbenmerkmales zu sein als die Pollenzelle (vergl. Satz IV). Die Kombination zweier dominierender oder recessiver Merkmale in der einen Elternform bringt 1) G. Mendel, Versuche über Pflanzenhybriden. Verhandl. des naturf. Vereines in Brünn, IV. Bd., S.1, 1865. 2) Handbuch des Getreidebaues, 1885, S. 345 ff. 3) Berichte der deutsch. bot. Ges., Bd. XVII, Heft 10, 1899. 4) Biolog. Centralblatt, XX, S. 129, 1900. 5) Ber. d. deutsch. bot. Ges., Bd. XVIII, Heft 4, 1900. 6) Ber. d. deutsch. bot. Ges., Bd. XVIII, Heft 3, 1900. — Compt. rend. 26. mars 1900. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 595 dasselbe Verhalten in der Samenproduktion der Mischlinge mit sich wie es die bezüglichen Merkmale isoliert thun. VI. Die Bestäubung eines Mischlings (a) durch eine Elternsorte mit dominierendem Merkmale ergiebt, gleichgiltig, ob dies die Vater- sorte oder die Muttersorte ist, ausschließlich Samen mit dominierendem Merkmale; (b) für die Elternsorte mit recessivem Merkmal ergiebt sich Steigerung der Zahl der Träger des recessiven Merkmales gegen- über der bei Selbstbestäubung des Mischlings resultierenden Anzahl. Der Einfluss des Merkmales „gelb“ in den Samen des Mischlings wurde dabei um 57°/,, jener des Merkmales „glatt“ um 43,5°, herabgedrückt. VII. Bestäubung reiner recessiv merkmaliger Sorten mit Mischlings- pollen brachte stets Mischsamigkeit hervor unter Minderung der Wertig- keit des Merkmales „gelb“ im Vergleiche zu seiner Prävalenz, wie sie am Mischling bei Selbstbestäubung zu Tage tritt (reciprok zu VI. b). Die Gleichsamigkeit dominant-merkmaliger Sorten wurde durch Misch- lingspollen nicht alteriert. VIII. Bei Doppelbestäubung einer reinen Varietät mit eigenem oder gleichgeartetem Pollen und mit Pollen einer anderen Varietät oder mit Pollen von zweierlei anderen Sorten können beide zur Wirkung kommen, keinesfalls schließt die eine Pollenart die andere von der Befruchtung aus, oder prävaliert ihr gegenüber in gesetzmäßiger Weise. IX. Bei Doppelbestäubung an Mischlingen mit eigenem oder gleich- gearteten Pollen und mit Pollen einer Elternsorte können beide zur Wirkung kommen; keinesfalls schließt die eine Pollenart die andere von der Befruchtung aus oder prävaliert ihr gegenüber in gesetz- mäßiger Weise. Durchaus Gleiches gilt für Doppelbestäubung einer Elternsorte mit eigenem und Mischlingspollen. X. Der Sitz des schwersten Kernes in der Erbsenhülse ist nicht wesentlich abhängig von der Zahl und Anordnung der ausgebildeten oder abortierten Fruchtansätze, er scheint vielmehr in erster Linie bereits vor der weiteren Ausbildung der Samenknospen, und zwar im allgemeinen etwas oberhalb der Mitte in deren Reihe bestimmt zu sein. Wien, 31. Mai 1900. [68] Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse ?). Von Dr. Walter Stempell, Privatdozent in Greifswald. Die Untersuchungen, welche die Bildungsweise und das Wachstum der Molluskenschale zum Gegenstand haben, sind zum allergrößten Teil an Gastropoden und Lamellibranchiern vorgenommen worden. Der Grund hierfür liegt nicht allein in der leichten Zugänglichkeit gerade 4) Das nach Jahreszahlen geordnete Litteraturverzeichnis befindet sich am Schluss dieser Abhandlung. 38* 596 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. der Schneekengehäuse und Muschelschalen, sondern auch darin, dass eine Lösung des genannten, rein physiologischen Problems vor allem von einer Untersuchung dieser beiden Gruppen zu erwarten ist, bei denen die Beziehungen zwischen Tier und Schale im Großen und Gan- zen viel einfacher sind, als bei Amphineuren und Cephalopoden, wo mannigfache Rückbildungs- und Anpassungserscheinungen jene Be- ziehungen und den ganzen ontogenetischen Bildungsprozess der Schale in vielfältiger Weise kompliziert haben. Unter diesen: Umständen bedarf es wohl keiner weiteren Recht- fertigung, wenn sich auch die nachfolgende kritische Studie auf die Untersuehungen über Muschel- und Schneckenschalen — einschließlich der wenig untersuchten Scaphopodengehäuse — beschränkt und die wenigen Arbeiten über Genese von Cephalopoden- und Amphineuren- schalen, deren Besprechung zudem die Einheitlichkeit der Darstellung erschweren würde, überhaupt nicht in den Kreis der Betrachtung zieht. Die Geschichte der zahlreichen, einschlägigen Theorieen ist inso- fern von besonderem Interesse, als sie uns zeigt, wie der einfache und klare Gedanke eines genialen Mannes sich in den Köpfen seiner Nach- folger immer mehr verwirrte, bis schließlich die besseren Methoden und die größer gewordene Einsicht in naturwissenschaftliche Probleme die Mehrzahl der modernen Forscher im Prinzip wieder zu jener ersten, unverfälschten Meinung zurückkehren ließ. — Der Mann, welcher diesen Grundstein unserer heutigen Erkenntnis von der Bildung und dem Wachstum der Molluskenschale gelegt hat, ist Reaumur (1709 p. 364u.ff.). Wenigstenshater zuerst die sich schon bei älteren Autoren (Steno 1679 p. 81, Lister 1696 p. 121, 122) findende Angabe, dass die Molluskenschalen erhärtete Ausscheidungsprodukte des Tierkörpers seien, auf experimentellem Wege wissenschaftlich zu be- sründen versucht. Er hatte nämlich unter anderem die Beobachtung gemacht, dass eine Schnecke, deren Schale durch Herausbrechen kleiner Stücke beschädigt war, und deren Körperoberfläche dann an diesen Stellen durch ein zwischen Schale und Tier geschobenes, dünnes Leder- stückehen nach außen bedeckt war, die fehlenden Schalenstücke durch Neubildungen ersetzte, welche unterhalb jenes Lederstückchens ent- standen und im wesentlichen den unverletzten Schalenteilen glichen. Daraus zog er den Schluss, den wohl jeder Unbefangene aus diesem Experiment ziehen wird, dass die Molluskenschale ein Absonderungs- produkt des lebenden Tierkörpers sei und als solches nicht aus sich selbst heraus, sondern nur durch Anlagerung neuer Schichten, durch Apposition, zu wachsen vermöge. Aber schon ein Jahr später stellte teaumur's Zeitgenosse Mery(1710 p.410) dieser Appositionstheorie die Lehre gegenüber, dass die Schale nur durch Einlagerung neuer Teile, „per intussusceptionem alimenti, non vero per juxtappositionem materiae“, wie er sich ausdrückte, wachsen könne. Er war nämlich der Ansicht, Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 597 dass die beim Schalenwachstum notwendige Ortsveränderung der Muskel- ansätze mit der Annahme eines appositionellen Wachstums nicht in Einklang zu bringen sei, da solches Weiterrücken doch nur durch eine periodisch wiederkehrende vollkommene Loslösung der Muskelenden bewerkstelligt werden könne, und er eine derartige Loslösung niemals beobachtet hatte. Wenn auch R&aumur (1716 p. 305) diesen Haupteinwand Mery’s leicht durch den Hinweis entkräften konnte, dass eine vollkommene Los- lösung des ganzen Muskelendes auf einmal keineswegs stattzufinden brauche, sondern dass vielmehr die einzelnen Teile desselbennacheinander ihre Stelle wechseln können, so gewann doch die Intussusceptionslehre im Laufe des 18. Jahrhunderts viele Freunde!). Und wenn die Verfechter dieser Theorie auch schon damals weniger zahlreich waren, als die gleichzeitigen, mehr oder minder überzeugten Anhänger der Appositions- lehre?), so gelang es ihnen doch, neben vielen leicht widerlegbaren Scheingründen eine ganze Reihe von Beweismomenten für die Intus- susceptionstheorie ins Feld zu führen, welche wenigstens in damaliger Zeit schwer oder gar nicht zurückgewiesen werden konnten. Zu den schon damals widerlegbaren Scheingründen der Nachfolger Mery’s ge- hörte unter anderem die Behauptung, dass die Zahl der Schalenwin- dungen bei alten Schnecken nicht größer sei als bei jungen (Klein 1753, Walch 1778 p.23), sowie der Hinweis, dass eine Schnecke bei appositio- nellem Wachstum ihrer Schale schließlich keinen Platz mehr in derselben fände (Lesser 1744 p. 489, Klein 1753 p.51,53). Andere wollten direkt beobachtet haben, dass die Schalenin allen Dimensionen wüchsen (Denso 1754 p.510,W alch 1778 p.23). Derartigen Behauptungen gegenüber stellte bereits Brisson (1759 p. 112) fest, dass es Schnecken giebt, welche die ersten Spiralen ihrer Schale abwerfen und vollkommen neue Umgänge bil- den. Außerdem hatte auch Chemnitz (1791 p. 134) beobachtet, dass die jungen aus dem Ei kommenden Schnecken noch nicht alle Schalenwin- dungen besitzen: Größeres Kopfzerbrechen bereiteten den älteren Anhän- gern Reaumur’s schon einige andere Thatsachen, welche für ein Wachs- tum der Schale nach allen Proportionen zu sprechen schienen: der Um- stand, dass die ersten Umgänge gewisser Schalen (z. B. Conus, Cypraea) im Alter ein weiteres Lumen und verhältnismäßig dünnere Wandungen aufweisen als in der Jugend, sowie die Beobachtung, dass bei gewissen Formen (Cypraea) die Zahl der Windungen in der That mit dem Alter nicht zuzunehmen scheint (Bruguiere 1792). Demgegenüber half sich 4) Bradlay 1721, Lesser 1744, Klein 1753, Deuso 1754, Adanson 4757, Herissant 1766, Walch 1775 u. 1778, Poli 1791. 2) Swammerdamm 1737—1738, P.L. Statius-Müller 1754—1766, ein Ungenannter 1756, Conte Ginanni 1757, Baster 1759, Martini 1766 und 1776, Schröter 1771, v. Argenville 1772, Pluche 1772, Chemnitz 179, Bruguiere 1792, Hatschett 179. 598 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Bruguiere (1792 p.321) mit der schon von A. Murray (ef. Martini 1773 p. 345) ausgesprochenen, äußerst willkürlichen Annahme, dass die Cypraeen im stande seien, die Schale mehrere Male während ihres Lebens abzuwerfen und eine neue zu bilden; M’artini(1776 p.366), dagegen will er die „fast unbegreifliche* Ausdehnung und Erweiterung mancher Schalen dadurch erklären, dass neben dem gewöhnlichen, appositionellen Wachs- tum auch noch ein intussusceptionelles Wachstum besteht. Es ist das Verdienst Gray’s (1833 p. 796, 1838 p. 830), jene Vorkommnisse zuerst im Sinne der Appositionstheorie richtig gedeutet zu haben, indem er nachwies, dass viele Mollusken die Fähigkeit besitzen, Teile der Schale, die bei weiterem Wachstum hinderlich sind, wieder aufzulösen. Viel schwerer zu widerlegen als die bisher angeführten Einwände waren einige andere von den älteren Anhängern Mery’s vorgebrachte Be- hauptungen, welche hauptsächlich in der Mangelhaftigkeit der damali- gen Untersuchungsmethoden begründet waren. Hierhin gehört die oft vor- getragene Ansicht, dass die Schale schon im Ei präformiert sei (Klein 1753 p.25, Herissant 1766 p.522, Walch 1775 p.252, Poli1791 p. 3) und folglich nicht aus dem Tierkörper hervorgehen könne. Wirdürfen uns nicht wundern, wenn uns diese mit der ganzen evolutionistischen Entwicklungs- lehre jener Zeit zusammenhängende Auffassung zuweilen sogar bei über- zeugten Anhängern der Appositionstheorie (Schröter1771p.83, Pluche 1772p.278) entgegentritt. Aehnlich verhält es sich mit der bei den Anhän- gern der Intussusceptionslehre weit verbreiteten Meinung, dass die Schalen der Mollusken ebenso wie die Knochen der Wirbeltiere wüchsen (Lesser 1744 p. 459, Klein 1753 p. 23,25, Denso 1754 p.510, Adanson 1757 p. 45, 46, Herissant 1766 p. 515, Poli 1791 p. 9) und wie diese von Gefäßen durchzogen seien (Leeuwenhoeck 1682 p.28, Bradley 1721 p. 51, Lesser 1744 p. 489, Walch 1778 p. 24, 25, Poli 1791 p. 10). Auch diese Auffassung finden wir gelegentlich bei AnhängernR&aumur’s: soerklären sich J.L.Statius-Müller (1754—1766p.35,36)undMartini (1776 p.365) entschieden für das Vorhandensein von Schalen-Gefäßen, und Swammerdamm (1737—1735 p. 64), der zugiebt, solche Gefäße nicht gesehen zu haben, möchte wenigstens die Analogie mit dem Wachstum der Knochen aufrecht erhalten. Derselbe auf mangelhafter Kenntnis des Knochenwachstums beruhende Irrtum findet sich noch bei späteren, sonst konsequenten Anhängern Reaumur’s, wie z. B. bei Gray (1838 p- 831), der das Periostracum der Schalen mit dem Periost der Knochen vergleicht; und erst J. Müller, welcher mit Recht den fundamentalen Unterschied zwischen Knochen und Schale hervorhob (1836 p. 351, 352), hat ihn — wenigstens bei den Anhängern der Appositionslehre — endgültig beseitigt. Besonders große methodologische Schwierigkeiten standen der Widerlegung der Ansicht entgegen, dass die Schale von Gefäßen durchzogen sei. Denn wenn es auch niemals gelungen ist, die von Poli (1791 p.11) an den Muskelansätzen gesuchte Verbindung der Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 599 Schalenkanäle mit den Blutgefäßen des Tieres wirklich einwandsfrei nachzuweisen, so konnte doch andererseits das Vorhandensein von Ka- nälen in vielen Molluskenschalen nicht in Abrede gestellt werden, und die richtige Deutung dieser Kanäle, auf die es doch vor allem ankam, war bei den damaligen Hülfsmitteln vollkommen ausgeschlossen. Wir werden noch sehen, wie erst die vervollkommneten Methoden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine solche richtige Deutung mög- lich machten. Endlich haben wir noch eines letzten Haupteinwurfes zu gedenken, den die älteren Anhänger der Intussusceptionstheorie gegen die Lehre Reaumur’s machten, und welcher ebenfalls in jenen Zeiten eine gewisse Beweiskraft beanspruchen konnte. Man wies nämlich auf die Thatsache hin, dass in den Molluskenschalen neben unorganischem Caleiumkarbonat auch noch eine beträchtliche Menge „organischer“ Substanz vorhanden sei, welche bei Behandlung der Schalen mit Säu- ren zurückbleibt und beim Verbrennen verkohlt (H&rissant 1766 p. 515, Poli 1791 p.7, später auch Baldassini 1843 p.280,281). Wo aber orga- nische Substanz ist, so schlossen jene Anhänger der Intussusceptionslehre weiter, muss auch ein eigentliches Leben und folglich ein selbständiges, d. h. intussusceptionelles Wachstum bestehen. Dieser Einwand ließ sich damals um so schwerer zurückweisen, als es noch keine Zellenlehre gab, und man daher auch noch nicht scharf zwischen eigentlich belebter und selbständig wachsender, zelliger, organischer Substanz und den un- belebten, nicht zelligen Produkten derselben unterscheiden konnte, welche zwar ihrer chemischen Zusammensetzung nach in das Gebiet der so- genannten organischen Chemie gehören, die aber doch nur durch die Thätigkeit jener Zellengewebealleinentstehen und weiterwachsen können. Unter diesen Umständen kann es nicht Wunder nehmen, dass von den Anhängern der Appositionstheorie im ersten Drittel des 19. Jahr- hunderts!) gerade die konsequentesten, vor allem Graf Bournon, hin- sichtlich des letzteren Punktes in den umgekehrten Fehler verfielen. Indem sie nämlich jene organische Grundsubstanz, deren Vorhanden- sein sie nicht leugnen konnten, als etwas Nebensächliches erklärten, glaubten sie, den unorganischen Schalenbestandteilen, besonders dem Caleiumkarbonat, eine desto größere Wichtigkeit beimessen zu sollen. Dieser Kalk, so führten sie aus, werde zwar vom Tier secerniert, ver- halte sich aber von dem Augenblicke an, wo er den Tierkörper ver- lassen habe, ganz wie ein unorganischer Körper, dessen weitere Ge- staltung lediglich durch die Gesetze der Krystallisation bestimmt sei. Diese Anschauung hatte nun eine ganze Reihe von vorwiegend minera- logischen und physikalischen Untersuchungen der Molluskenschale zur Folge (Brewster 1814, v. Buch 1831, de la Beche 1834, Necker 1839, Leydolt 1856, Rose 1858 und Sorby 1579), die aber im wesent- 4) Graf Bournon 1808, v. Buch 1831, Gray 1833 u. 1838, Deshayes 1836, J. Müller 1836. 600 Stempell, Bildungsweise u, Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. lichen nur feststellten, dass der kohlensaure Kalk der Schale im einen Falle als Arragonit, im anderen als Kalkspat, im dritten endlich als ein Gemisch beider auftrete, — Beobachtungen, die ja an sich gewiss von Interesse waren, die aber für die eigentliche Lösung unseres Problems nur wenig beitragen konnten. Durch die 1833 und 1839 erfolgte Aufstellung der Zellenlehre von Schleiden und Schwann war die ganze Frage inzwischen in ein vollkommen neues Stadium getreten. Zunächst lag es sehr nahe, nun einmal zu untersuchen, ob nicht auch die Molluskenschale ebenso wie andere Bestandteile des Tierkörpers aus Zellen aufgebaut sei. Wäh- rend die meisten Untersucher solches verneinten, glaubten vor allem zwei englische Forscher, Bowerbank (1844) und Carpenter (1843, 1843b, 1844, 1847) in der That eine derartige zellige Struktur der Molluskenschale gefunden zu haben. Bowerbank vergleicht die von ihm in den Schalen gesehenen Zellen mit Knochenzellen und er glaubt, dass aus ihnen durch oberflächliche Kalkabscheidung und nachträgliche Verschmelzung die gesamte Schale hervorgehe. Die Ernährung der Schale soll, wie dies schon die älteren Forscher angenommen hatten, durch Kanäle erfolgen, welche nach Bowerbank ebenfalls durch Ver- wachsung reihenförmig angeordneter Zellen entstanden sind. Sehr ähnliche Ergebnisse erzielte Carpenter, welcher ein äußerst reich- haltiges Material, nach seiner eigenen Angabe ungefähr 1000 Dünn- schliffe zahlreicher Species, untersucht hatte. Er ist der Ansicht, dass es die Zellen von der Oberhaut des Mantels sind, durch deren Um- wandlung die Schale ähnlich wie die hornige Epidermis der Wirbel- tiere entsteht. Nach seiner Darstellung umgeben sich diese Zellen zu- nächst wie Knorpelzellen mit reichlicher Intercellularsubstanz, wachsen dann aber bald durch Ablagerung von Kalk in ihrem Innern zu so ansehnlicher Größe heran, dass die Intercellularsubstanz an Volumen gegen sie immer mehr zurücktritt und schließlich nur noch die schma- len Zwischenräume erfüllt, welche die sich gegenseitig durch Druck polygonal abplattenden Zellen zwischen sich lassen. Durch Verwach- sung mehrerer solcher übereinander gelegenen Epithelzellen denkt sich Carpenter die Prismen der Schale entstanden, während er das Zu- standekommen der lamellösen Schalenteile durch die gewagte Hypo- these erklären will, dass die mit Kalk vollgepfropften Zellen unter ge- wissen Umständen platzen und ihren Inhalt auf die Oberfläche dar- unterliegender Membranen (?) ergießen. In Betreff der Kanäle decken sich Carpenter’s Ansichten vollkommen mit den schon mitgeteilten Bowerbank’s. Die Resultate Bowerbank’s und Carpenter’s wur- den im wesentlichen bestätigt durch Johnston (1855), Quekett (1854) und Woodward (1867)'). Die beiden letztgenannten Autoren wollen 27) Auch Sorby (1879) scheint anzunehmen, dass wenigstens in einigen Fällen Zellen an der Schalenbildung beteiligt sind. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 601 in der Flüssigkeit zwischen Mantel und Schale die schalenbildenden Zellen aufgefunden haben und ergänzen die Angaben ihrer Vorgänger noch weiterhin dadurch, dass sie auch in dem die Kalkschale über- ziehenden Periostracum ein deutliches Pflasterepithel beschreiben. Spe- ziell die letztere Angabe findet sich noch bei mehreren anderen, teil- weise entschieden auf dem Boden der Appositionstheorie stehenden Forschern (C.Schmidt 1845p.53, Kost 1853 p. 10, 11, Claparede 1857 p. 116). Nach Forel (1866 p.23, 29) soll sogar die ganze Schale der Najadenembryonen auseiner einfachen Lage verkalter Plattenepithelzellen bestehen. Alle diese Untersuchungsergebnisse sind indessen durch eine bessere Methodik bald als irrig erwiesen worden!). Denn jenen Zellen, welche Bowerbank, Carpenter und die übrigen Forscher in verschiedenen Schalenteilen zu sehen vermeinten, fehlen die beiden Hauptmerkmale einer Zelle: die Kerne und das lebende Protoplasma, und jene von Quekett und Woodward zwischen Mantel und Schale gefundenen Zellen dürften bestenfalls als anormalerweise dahin gelangte Leucocyten anzusprechen sein. Was endlich die Kanäle anbelangt, welche die Schale durchziehen, so haben die Nachuntersuchungen eben- falls zum größten Teil die Unhaltbarkeit der Bowerbank-Carpen- ter’schen Deutung ergeben. Am meisten nähern sich dieser Deutung noch einige meist ältere Forscher, welche ebenso wie Bowerbank jene Kanäle mit den Dentin- und Konochenkanälchen vergleichen (v. Siebold 1848 p. 243, Quekett 1854 p. 277, Leydig 1855 p. 50, Huxley 1859 p. 491), oder wenigstens annehmen, dass sich in die Kanäle Fortsätze des Mantels hinein erstrecken (speziell bei Cycelas: Leydig 1855 p. 50, F. Müller 1885a p. 74 u. b p. 213), während die Mehrzahl der übrigen Forscher die von ihnen gesehenen Röhren- bildungen entweder ausschließlich (Claparede 1857 p. 120, Wedl 1859 p. 467, Kölliker 1860 p. 2242), Gibson 1837 p. 626) oder doch teilweise (Quekett 1854 p. 278, Stirrup 1872 p. 777 resp. 138, Fischer 1837 p.19, Tullberg 1881 p. 16, 17) für Bohrgänge mikro- skopischer Parasiten) erklärt. In einigen anderen Spezialfällen end- lich wurde die Kanalnatur überhaupt bezweifelt, indem die als Kanäle beschriebenen Bildungen zum Teil als solide Conchiolinmembranen, zum Teil auch als krystallinische Spalträume erkannt wurden (Ehren- baum 1855 p. 13 u. 14). Wir können daher wohl heutzutage mit einiger Sicherheit behaupten, dass Kanäle als integrierende Bestand- 1) In der 7. Auflage des Carpenter’schen „Mieroscop“ von Dallinger (1891 p. 846) ist übrigens die ältere Carpenter’sche Auffassung ebenfalls auf- gegeben worden. 2) In Berichtigung einer früher (1858 p. 62) geäußerten Ansicht,‘ wonach Kölliker wenigstens einen Teil der Röhren als integrierenden Bestandteil der Schalen auffasste (ebenso Stirrup 1872 p. 777 resp. 138). 3) Vom botanischen Standpunkt aus sind diese Parasiten besonders durch Bornet und Flahault (1839—90) näher studiert worden. 602 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d, Muschel- u. Schneckenschalen. teile im allgemeinen der Molluskenschale fehlen, und dass die wenigen Fälle, wo sie normalerweise vorkommen, auf außergewöhnliche Lebens- bedingungen zurückzuführen sind. So dürften z. B. die Porenkanäle in den Larvenschalen der Unioniden (cf. darüber Forel 1866 p. 23, 29, v. Ihering 1875 p. 3), in welche sich nach v. Ihering (1875 p. 4) Fortsätze der darunter liegenden Epithelzellen hinein erstrecken, mit dem parasitären Leben dieser Larven in Verbindung stehen. Wenn die älteren Ansichten von einer cellulären Natur der Mol- luskenschale leicht durch die Mangelhaftigkeit der damaligen Unter- suchungsmethoden erklärbar sind, so kann einem neueren Autor, wel- cher über bessere Methoden verfügte und dennoch zu prinzipiell ähn- lichen Resultaten gelangte, der Vorwurf kritikloser Beobachtung nicht erspart bleiben: es ist dies Tenison-Woods (1889), der die gerade- zu ungeheuerliche Behauptung aufgestellt hat, dass die Molluskenschale von einem dichten Nervengeflecht erfüllt sei und eigentlich als Gehirn- kaspel zu gelten habe! Wenn eine Lehre in so schroffem Gegensatz zu den Beobachtungen sämtlicher übrigen Forscher steht, wie diese, so ver- sagt wahrlich jede objektive Kritik! (ef. auch Thiele 1893 p. 248— 250). In der That konnte bereits im mittleren Drittel des 19. Jahrhun- derts die nicht celluläre Natur der Molluskenschale als ausgemacht gelten. So neigte denn auch die große Mehrzahl der Forscher, welche sie damals unter dem Einfluß der Zellenlehre untersuchten oder Be- trachtungen über ihre Genese anstellten, im Prinzip einstimmig der An- sicht zu, dass dieselbe als ein Sekretionsprodukt des Tierkörpers zu betrachten sei und daher nur durch Apposition wachsen könne). Spe- ziell seit Leydig’s (1850 u. 1857) und Kölliker’s (1858) Untersuch- ungen ist man gewöhnt, die Molluskenschale in die große Klasse der Cutieulargebilde zu rechnen, deren Wesen und allgemeine Bedeutung zuerst von Leydig (1849 p. 104) näher erkannt worden war. Ehe wir indessen die Weiterentwickelung und den besonderen Aus- bau dieser Lehre verfolgen, müssen wir zunächst noch einiger Einwürfe gedenken, welche gegen die Richtigkeit der Appositionstheorie über- haupt von seiten einiger modernen Forscher erhoben worden sind. Diese beiden neueren Vertreter der alten und eigentlich längst ver- gessenen Intussusceptionstheorie, v. Nathusius-Königsborn (1877 u. 1890) und Felix Müller (1885a u. 1885b), sind zwar sehr wohl von der nicht eellulären Natur der Schale, und damit von dem wesent- lichen Unterschied zwischen Tierkörper und Schale überzeugt, und es weichen daher ihre Ansichten sehr erheblich von der früheren Auf- 1) Picard 1840, C. Schmidt 1845, Meckel 1846 u. 1856, v. Siebold 1848, Leydig 1850 u. 1857, Gegenbaur 1852, Philippi 1853, Schloss- berger 1856, Claparede 1857, Moebius 1857, Semper 1857, v. Hessling 1858 u. 1859, Kölliker 1858, Huxley 1859, Rainey 1859 u. 1861, Voit 1860, Jones 1861, Stewart 1861 (cf. Rainey 1861), Bronn 1862, Kefer- stein 1862—1866. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 603 fassung der Intussusceptionslehre ab, aber die Konsequenzen, welche sie ziehen, gipfeln doch schließlich ebenfalls in der Annahme eines inneren Wachstums der organischen Schalenbestandteile. Sehr originell, aber leider nicht überzeugend, sind die Ausführungen v. Nathusius-Königsborn’s. In der richtigen Annahme, dass die Zellenlehre die wichtigsten Beweismomente gegen die Intussusceptions- lehre enthalte, unternimmt er in seinem umfangreichen Werk, betitelt: „Untersuchungen über nicht celluläre Organismen“ (1877), nichts ge- ringeres, als diese ganze Zellenlehre über den Haufen zu werfen. Ihm ist die Zelle keineswegs der eigentliche Elementarorganismus, sondern er glaubt, ein selbständiges, von der Zelle gänzlich unabhängiges Leben und inneres Wachstum auch noch in anderen Körperbestandteilen, wie Eihäuten, Bindegewebsfibrillen und Schalen, zu finden — eine Behaup- tung, welcher eigentlich schon die einfache entwicklungsgeschichtliche Thatsache widerspricht, dass der ganze Tierkörper mit allen seinen zelligen und nichtzelligen Elementen doch ursprünglich aus einer Zelle, der befruchteten Eizelle, hervorgeht. Indem nun v. Nathusius- Königsborn jenen Satz auf die Molluskenschale anwendet, betrachtet er dieselbe als einen vollkommen selbständig lebenden Organismus, der sich ohne direkte Einwirkung von Zellen entwickelt und vergrößert. In Betreff der ersteren Behauptung, dass die Schale in jeder Beziehung unabhängig von den Zellen des Weichkörpers sei, ist er uns eigentlich den Beweis vollkommen schuldig geblieben. Und zwar hat er sich überhaupt der Möglichkeit eines solchen Beweises begeben, indem er ausschließlich die Schale untersucht hat, dagegen den Weichkörper und dessen Beziehungen zur Schale, welche doch wohl allein über eine derartige Frage hätten Aufschluss geben können, von vornherein kei- ner Beachtung für würdig hielt. Um ferner seine Lehre von dem inne- ren Wachstum der Schale zu begründen, suchte er durch vergleichende Messungen an verschieden großen Exemplaren nachzuweisen, dass bei den betreffenden Schalen ein Wachstum nach allen Dimensionen statt- gefunden habe. Wie schon Ehrenbaum (1885 p. 5) ganz richtig be- merkt hat, würden aber die Resultate solcher Messungen offenbar nur dann eine wirkliche Beweiskraft beanspruchen können, wenn alle dabei in Frage kommenden Individuen sich unter vollkommen gleichen Er- nährungs- und Wachstumsbedingungen befunden hätten, und wenn ferner keine individuelle Variabilität vorhanden wäre — Voraussetzungen, deren Richtigkeit man unbedingt verneinen muss. — Auf einem wesentlich anderen Standpunkt steht der zweite moderne Verfechter der Intussusceptionslehre, Felix Müller. Weit entfernt davon, den innigen Zusammenhang zwischen Tier und Schale und da- mit die Herkunft der organischen Schalensubstanz aus der Zelle leug- nen zu wollen, legt er dieser organischen Substanz nur in ähnlicher Weise wie die früheren Anhänger seiner Lehre die Fähigkeit eines 604 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. selbständigen Weiterwachsens bei. Zu dieser Anschauung wurde er hauptsächlich durch die Beobachtung geführt, dass an gewissen Orten der Manteloberfläche, nämlich überall da, wo Schale und Mantel sehr innig zusammenhängen, wie an der ersten Bildungsstätte des Periostra- cums und an allen Muskelanheftungsstellen, bei den Unioniden ein eigent- liches Epithel zu fehlen scheint. Hinsichtlich des Periostracums nimmt nun F. Müller an, dass es durch direkte Umwandlung von Muskel- fasern entsteht, während an den Muskelanheftungsstellen seiner Dar- stellung nach eine jedenfalls nicht celluläre, sogenannte „Stäbchen- schicht“ vorhanden sein soll, deren senkrecht zur Schalenoberfläche gerichtete Fibrillen. durch vollkommen selbständiges Wachstum der Schale zugefügt werden. Aehnliche Verhältnisse findet F. Müller an der knorpeligen Ligamentschicht: auch hier sollen sich Muskelfasern direkt an der Schale anheften, wobei das ganze innere Band die Stelle der Stäbchenschicht vertritt. Schwerwiegender als diese Einwände, deren Berichtigung und Klarstellung, wie wir noch sehen werden, an günstigem und gut konserviertem Material keine großen Schwierig- keiten bereitet, sind zwei andere Thatsachen, auf welche sich Felix Müller außerdem stützt, und welche auch schon v. Nathusius- Königsborn gelegentlich betont hatte: dass nämlich innerhalb der anorganischen Schalensubstanz auch dann noch Veränderungen statt- finden, wenn die betreffenden Schalenteile der direkten Berührung mit dem Mantelepithel bereits entzogen sind, und ferner, dass die verschie- denen Schalenschichten in ihrer feineren Struktur teilweise viel zu komplizierte Bauverhältnisse aufweisen, um als einfache Sekretions- produkte des Mantelepithels gelten zu können. Die Berichtigung und Widerlegung dieser Einwürfe führt uns zur Betrachtung der übrigen, sämtlich auf dem Standpunkt der Apposi- tionstheorie stehenden Arbeiten, auf welche — besonders in neuerer Zeit — die durch v. Nathusius-Königsborn und F. Müller erhobenen Einwände unleugbar einen stark befruchtenden Einfluss ausgeübt haben. Neben den schon eitierten älteren Abhandlungen und einer ganzen Anzahl kleinerer Aufsätze und Bemerkungen !) kommen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hauptsächlich die Arbeiten von Tullberg (1881), Ehrenbaum (1855), Moynier de Villepoix (1890, 1891, 1892a, b, ce, 1895), Thiele (1893), sowie meine eigenen darauf bezüglichen Untersuchungen (1897a u. b, 1899) in Betracht. Die durch die Zellenlehre möglich gewordene Auffassung der Mol- luskenschale als Cutikularprodukt empfing bald eine mächtige Stütze 4) Clessin (1873), v. Ihering (1875), Leydig (1876), Longe undMer (1880), Zittel (1881—1885), Osborn (1882, 1883), v. Martens (1883 u. 1892)» Apathy (1855), Krukenberg (1886), Dall (1889), Steinmann (1889 und 1899), Quilter (1891), Rawitz (1892), Simroth (1892, 1892—1894, 1894, 1899a), Ryder (1893), Winter (1896), Boutan (1898), Willecox (189). Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 605 durch die Ergebnisse zahlreicher Schalenregenerationsversuche!) und entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen?). Aus den Regenerations- versuchen ergab sich im allgemeinen eine Bestätigung der schon von Reaumur gewonnenen Resultate: in den meisten Fällen wurden die abgebrochenen Schalenteile vom Tier ersetzt, und zwar bildete sich ge- wöhnlich an der verletzten Stelle zuerst ein dünnes Häutchen organi- scher Conchiolinsubstanz, unter welchem dann später meistens kalkige Schalensubstanz abgelagert wurde. Noch bessere Einsicht in den ersten Bildungsprozess gewährte die Embryologie. Als erste Anlage der Schale bemerkt man danach am Rücken des Embryos eine von hohen Cylinder- zellen ausgekleidete Einstülpung des Ektoderms, welche alsbald an ihrem Rande eine chitinähnliche Lamelle abzuscheiden beginnt. Spä- ter flacht sich diese Einstülpung, die sogenannte Schalendrüse, allmäh- lich ab, und es breiten sich ihre Zellen über die ganze Oberfläche des gleichzeitig als Hautduplikatur entstehenden Mantels aus, indem sie dieselbe mit einem dünnen, chitinähnlichen, aus sog. Conchiolin bestehen- den Häutehen, dem späteren Periostracum der Schale, überziehen. Aber diese Sekretion des Periostracums findet immer nur in einer gleichmäßig nach allen Seiten vorrückenden Linie statt, während das von dieser Linie secernierender Epithelzellen gewissermaßen zurückgelassene, inner- halb jener Randzone gelegene Epithel bald einen flachzelligen Charakter annimmt und nun seinerseits unter dem schon gebildeten Periostracum die kalkige Schale abzuscheiden beginnt. Wenn sich die Schale so in ihrer ersten Anlage unzweifelhaft als ein echtes Sekretionspro- dukt darstellt, so wird man nicht daran zweifeln können, dass auch ihr weiteres Wachstum lediglich durch Apposition erfolgt. In der That sieht man auch häufig die jugendliche Schale, die sogenannte Prodisso- concha, dem Wirbel der ausgewachsenen Schale aufsitzen, und zuweilen gelingt es sogar, kleine Stücke an der Wirbelgegend abzusprengen, welche noch alle Einzelheiten einer Schale, wie Muskeleindrücke und Schloßzähne, erkennen lassen (v. Martens 1892 p. 169) — gewiss ein Beweis dafür, dass sich die Schale des jungen Tieres beim Wachstum selbst gar nicht verändert hat, sondern dass ihr dabei lediglich neue Schichten angelagert wurden. Dazu kommt noch, dass auch die ge- samten gröberen Strukturverhältnisse der fertigen Schalen, wie der Verlauf der Anwachslinien?) an ihrer Oberfläche und die Dickenver- 1) Solche Schalenregenerationsversuche stellten an: bei Helix: Stewart (1861 ef. Rainey), Longe und Mer (1880), M. de Villepoix (1891, 1892 a u. e), Gräfin Linden (1896); bei Haliotis: Boutan (1898); bei diversen La- mellibranchiern: Osborn (1882 u. 1883), M. de Villepoix (1890, 1892 e), Ryder (1893), Faussek (1899), List (1899). 2) Ueber die rein entwickelungsgeschichtliche Litteratur ef. Korschelt und Heider (1893 p. 975, 986 u. 1089). 3) Die Bezeichnung „Jahresringe“, welche sich hier und da in der Litte- ratur findet (ef. Winter 1896 p.17) ist wohl besser zu vermeiden, da wir über 606 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez.. Gewicht d. Süßwassers. hältnisse und Lagerung der Schichten in ihrem Innern, ungezwungen nur durch die Annahme eines appositionellen Wachstums genügend er- klärt werden können. So müssen natürlich diejenigen Schalenteile, an denen das Dickenwachstum der Schale vor sich geht, und welche an- dauernd von der ganzen Manteloberfläche secerniert werden, wie die Perlmutterschicht, an denjenigen Stellen, wo ihre Bildung am längsten stattgefunden hat, nämlich am Wirbel, die allergrößte Dicke besitzen. Umgekehrt werden solche Schalenteile, an die zunächst das Längen- und Breitenwachstum geknüpft ist, und welche nur von einer schmalen Zone des Mantelrandes gebildet werden, wie z. B. das Periostracum und die Prismenschicht, sehr häufig eine Diekenzunahme nach dem Schalenrand zu erkennen lassen, weil die Zone ihrer Matrixzellen in dem gleichen Verhältnis breiter werden muss, als der gesamte Tier- körper wächst (cf. u. a. M. de Villepoix 1892e p. 481, 621, Stem- pell 1899 p. 108, 124). Uebrigens sei nicht unerwähnt gelassen, dass in einigen Spezialfällen außer dem Mantel auch noch andere Körper- teile, wie z. B. der Fuß, an der Schalenbildung beteiligt sind (Gray 1833 p. 805, Philippi 1853 p. 5, Tullberg 1881 p. 33). (Zweites Stück folgt.) Von dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Bau der Planktonorganismen und dem spezifischen Gewicht des Süßwassers. Von Dr. Wesenberg-Lund, Kopenhagen. Es ist eine bekannte Thatsache, dass, nachdem man darüber klar geworden, dass auch im Süßwasser sich eine pelagische Fauna befinde, und namentlich nachdem die Plantonuntersuchungenrücksichtlich der Tier- und Pflanzenfauna, welche das Plankton bilden, einen stärkeren Aufschwung genommen haben, eine sehr grosse Anzahl neuer Arten aufgestellt worden ist. Die Reaktion gegen diese recht unwissenschaftliche Artmacherei hat sich in den letzten Jahren eingefunden, und man hat begonnen, innerhalb verschiedener Gruppen eine sehr umfassende Reduktion vor- zunehmen. SohabenStingelin[13],Stenroos|12],Richard [9], Burek- hardt|2]u. a. die den Familien Daphnide und Bosminide angehörigen zahlreichen Arten zu einer weit geringeren Anzahl zusammenzuziehen gesucht und die ganze Hauptmenge als Varietäten oder Formen um einzelne, augenscheinlich höchst variable Arten zu gruppieren. Eine ähnliche Reduktion ist auch von Rousselet [10], Weber |15] u. a. rück- sichtlich der Rotiferen angefangen; auch ich selbst habe in Unter- suchungen, die jedoch nur zum geringen Teil publiziert sind, an diesem Stoffe gearbeitet und bin, die Anueräen anlangend, wesentlich zu demselben Resultat gekommen wie frühere Untersucher. Es scheint, als ob die Arten einer Tiergruppe, die als Plankton- die Schnelligkeit des Wachstums im einzelnen Fall keine genauen Kenntnisse besitzen (cf. auch Hessling 1859 p. 261, 262). Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 607 organismen auftreten, einer weit größeren sowohl Lokal- als Temporal- variation unterworfen sind als die der gleichen Tiergruppe angehörigen Arten, die entweder Bodenformen sind oder der litoralen Region ange- hören. Es muss für den Augenblick dahingestellt bleiben, ob dieses Re- sultat als ein wirklich korrektes anzusehen ist oder nur als ein vor- läufiges, dadurch bewirkt, dass unsere Kenntnis von dem Variierungs- vermögen der Planktonorganismen im Augenblicke größer scheint als von dem Variierungsvermögen der verwandten Bewohner der kleineren Wassermassen oder der litoralen Region. Ich werde hier nur einige Phänomene zusammenstellen, die inner- halb weit verschiedener Tier- und Pflanzengruppen durch die Arbeiten vieler verschiedener Forscher gewonnen sind, und diese durch einige neue vermehren, die meine eigne Planktonuntersuchungen an den Tag gebracht haben. Ich glaube, dass dadurch ein besseres Verständnis dieser Phänomene erreicht werden kann, dass man tiefer in die Kennt- nis der äusseren Faktoren dringe, welche die starke Variierung unter den Planktonorganismen hervorrufen. Es war erst G. O. Sars (1891), dann Zacharias, der 1893 [17] und später 1894 [18] auf die Veränderungen aufmerksam machte, welche die Kontur des Kopfes bei den zu dem, übrigens ganz unhalt- baren Genus Hyalodaphnia gehörenden Arten im Laufe des Jahres er leiden, und nachwies, dass der sogenannte Helm oder Crista beinahe gar nicht bei den Winterindividuen gefunden wird, sich in der Frühlings- zeit in geringem Grade entwickelt, im Augnst und September ein Maxi- mum erreicht und im Herbst wieder verschwindet. Zu ähnlichen Resultaten kamen auch Lundberg [8] (1894), Ap- stein [1] (1896), Stenroos (1898) und Burekhardt (1900). Wofern die zwei Arten H. eristata G. OÖ. Sars und cucullata G. O. Sars. (Jardinii Richard) als besondere Arten auseinander gehalten werden sollen, scheint es, dass man für beide eine gleichartig verlaufende Temporalvariation annehmen muss. Innerhalb des Geschlechtes Daphnia hat namentlich Burckhardt, was D. hyalina Leydig betrifft, durch seine regelmäßigen Untersuchungen des Vierwaldstättersees konstatieren können, wie auch diese Form im Winter mit einem niedrigen, flachen Kopfe auftrat, welcher später im Jahre eine schwach entwickelte Crista erhielt, die zuletzt so stark hervortretend wurde, dass man im Juli-September die typische D. ga- leata G. O. Sars vor sich hatte. Im Herbst verschwanden dann all- mälig die großbehelmten D. galeata-Formen, um den flachstirnigen D. hyalina var. brachycephala Platz zu geben. Mit der stärkeren Ent- wicklung des Helms folgt gewöhnlich auch eine Verlängerung des Dornes, dergestalt, dass dieser meistens am längsten bei den helm- tragenden Individuen ist und also stärker entwickelt bei den Sommer- als bei den Winterindividuen. 608 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. Bei meinen regelmäßig jeden vierzehnten Tag vorgenommenen Untersuchungen des Fursees und Frederiksborg-Schlosssees habe ich in den ersterwähnten Variationen der Helm- und Dornbildung bei D. hyalina gefunden, in dem letzteren bei D. culcullata, ganz den- jenigen entsprechend, die andere Verfasser vor mir nachgewiesen haben. Es ist kaum möglich, durch die Litteratur eine klare Vorstellung von der temporalen Variation bei den Bosminen zu bekommen. Hoffent- lich werden Burckhardt’s hierüber angekündete Untersuchungen etwas Licht in die Sache bringen. — Soweit meine eigenen Beobachtungen vorläufig gehen, bieten die Bosminen temporale Variationen wesentlich in drei Richtungen dar: in der Länge der Antennen, der Muerones und in dem Kontur des Dorsalrandes des Körpers. Während in den dänischen Seen im Winter B. longirostris OÖ. F. M. var. cornuta Yurine in ihrer typi- schen Form mit kurzen, in der Spitze stark gebogenen Antennen, kurzen Muerones und schwach gewölbter Rückseite als gemeiner Plankton- organismus haust, wimmeln die Gewässer in der Frühlingszeit zu- gleich von Individuen mit langen Antennen und Mucrones und einem, namentlich vorne stark gewölbten Dorsalrand (D. longirostris O.F. M.) In vielen Gewässern ist in der wärmsten Sommerszeit die B. longi- rostris die allgemeine Form, in anderen var. cornuta, und in einzelnen treten sie durchgehend gleichzeitig mit einander auf; in allen aber wird gegen den Winter var. cornuta die am häufigsten auftretende. Jeden Sommer werden jedenfalls eine große Anzahl unserer Seen von Bosminen bevölkert, die durch einen mehr oder weniger stark auswärts gebogene Dorsalkontur charakterisiert sind; dieses Verhältnis kann sich dermaßen entwickeln, dass das Tier in hohem Grade buckelig wird, und der Rücken sich demnach als eine sehr hervortretende, zapfenförmige Partie ausgedehnt hat. Je weiter man gegen den Sommer kommt, desto stärker entwickeln sich die Buckel und desto mehr buckelige Individuen trifft man. Gegen den Herbst ver- schwinden diese Formen und fehlen ganz in den Planktoneinsamm- lungen des Winters. Durch genaue, alle 14 Tage vorgenommene Unter- suchungen des Fursees habe ich, was diesen See betrifft, konstatieren können, dass die schwach gebuckelten Formen B. coregoni Baird sich im April zeigen, im Juni wird die Buckelbildung stärker, und im Au- gust und Anfang September erscheinen die höchst barokken Formen, welche die Namen gibbera Schödler und ikersites Poppe bekommen haben. Gleichzeitigmit der Vergrößerung des Buckels verlängern sich auch die Antennen, so dass diese im Herbst viel länger sind als im Früh- ling. Dass alle diese Formen zu derselben Art B. coregoni gehören, ist außer allen Zweifel; diese Reduktion ist schon von Stingelin angeregt worden; dass man es hier mit einer Temporalvariation zu thun hat, scheint dagegen nicht früher klar dargelegt worden zu sein. Wie diese Formreihe sich im Winter verhält, ist mir unbekannt. Nie habe Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d, Süßwassers. 609 ich hier Dauereier gesehen, wiewohl diese mir von Untersuchungen über die Fauna Grönlands wohlbekannt sind. Ich bezweifle, dass irgendwelche Bosminenart des Fursees im Ruhestadium überwintert; in 6 Vertikalfängen von den Monaten November bis Februar fehlt die B. coregonigruppe vollständig, wogegen D. longirostris namentlich in var. cornuta sehr zahlreich vorhanden ist; ich sehe es daher nicht als ganz ausgeschlossen an, dass die B. coregonigruppe eine Sommerform der B. longirostrisgruppe sei. Bei den übrigen Planktoncladoceren hat man bis jetzt noch keine Temporalvariation nachgewiesen. Recht charakteristisch verschwinden zufolge den Untersuchungen sämtlicher Beobachter eben alle diese Formen, nämlich die Planktonsidien, Holopedium, Bythotrephes und Leptodora im Winter vollständig von der pelagischen Region; Daphnella brachyura ist diejenige von diesen Formen, die sich am längsten hält, doch habe ich sie nie in den Monaten Januar-März gefunden; es scheint, als ob die starke, leicht nachzuweisende temporale Variation innerhalb der Daphnien nur bei den Formen auftritt, welche sowohl im Sommer als im Winter Planktonorganismen sind. Bei Ccopepoden ist Temporalvariation nicht nachgewiesen. Gehen wir nun von den Crustaceen zu den KRotiferen über, so finden wir bei diesen ganz ähnliche Verhältnisse. Polyarthra platyptera findet sich das ganze Jahr hindurch als typischer Planktonorganismus in sozusagen allen größeren sowohl als kleineren Seen und Teichen. Die typische Form, die zu jeder Zeit gefunden wird, hat die Form eines länglichen Prismas und trägt 12 schmale, längs des einen Randes sägeförmig ausgeschnittene Dornen; die Jungen sind zugespitzt kegelförmig, und die Hauptmasse der Winter-Polyarthra besteht aus diesen jüngeren Individuen. Im Mai zeigt sich die wohlbekannte Sommervarietät euryptera Wierzejski durch bedeutende Größe, eine mehr quadratische Form und breite, längs den beiden Seiten sägeförmig ausgeschnittene Blätterformen charakterisiert. Im Anfang ist sie nur selten in dem Plankton, in der Sommerzeit aber nimmt sie zu und verschwindet wieder im November. In gewissen Seen ist sie im August-September alleinherrschend, in anderen zugleich mit der typischen, und kann in einigen auch ganz fehlen. Die Varietät wird von Lauterborn |6] als Sommerform angegeben; Burekhardt, der sich mit dieser Art beschäftigt hat, hat sich nur wenig mit der Temporalvariation abgeben können, teilt aber andere sehr interessante Wahrnehmungen mit. Was die Synchaeten anlangt, so treten hier Verhältnisse auf, auf welche die Aufmerksamkeit bis jetzt noch nicht gelenkt worden ist, und die mir nicht ganz klar sind. Ich anerkenne, was auch ander- wärts näher begründet werden soll, nur zwei im Süßwasser auftretende Synchaetaarten‘, nämlich: S, pectinata Ehr. und 5. tremula Gosse; xXX, B2) 610 Wesenberg-Lund, Planktonorganismer und spez. Gewicht d. Süßwassers. nur die erste scheint einer Temporalvariation unterworfen zu sein. Man trifft den ganzen Winter hindurch in zahlreichen Seen und Teichen eine kleine Form von $. pectinata, durch die gewöhnlichen Haupt- kennzeichen: die gewölbte Radscheibe, die beilförmigen Antennen und kurze Exkretionskanäle charakterisiert, aber abweichend darin, dass sie nur 0,18 bis 0,2 Millimeter lang, gelblich und wenig hyalin ist, und ihre Eier trägt; außerdem endet der Körper hinten in einem kleinen, mehr oder weniger deutlich in der Spitze gespaltenen Zapfen. Diese Form wird in dem Folgenden als minor bezeichnet. Gleichzeitig trifftman, aber in weit geringerer Anzahl, die typische 0,4 Millimeter große, stark gewölbte Hauptform, deren Hinterteil den oben erwähnten Zapfen nicht aufweist. Diese Form nimmt im April-Mai stark zu, gleichzeitig wimmelt das Wasser von jungen, langgestreckten 0,2 bis 0,3 Millim. langen, äußerst hyalinen Tieren, die Jungen der Hauptform, von Gosse als S. Zongipes beschrieben. Den ganzen Sommer hindurch war dann an den meisten Lokalitäten S. pectinata Hauptform, nahm aber gegen den Herbst an Anzahl ab. In den pelagischen Partien der grossen Seen trat im Juli-August die von Zacharias als S. grandis (For- schungsber. T. 1. 1893) beschriebene sehr langgestreckte Form auf, welche im September wieder vollständig verschwindet. Die Verhält- nisse komplizieren sich indessen noch dadurch, dass die Winterform minor keineswegs immer mit dem Sommer verschwindet, sondern sich an einigen Orten, besonders in grösseren Seen, das ganze Jahr hin- durch hält. Diese Sommerindividuen von der Form minor zeichnen sich dadurch aus, dass der Zapfen des Hinterteils sich hier in eine längere oder kürzere stabförmige Partie ausdehnt (S. stylata Wier- zejski?), die mitunter die halbe Länge des Körpers erreichen kann. In den von mir untersuchten Seen habe ich nie ein Sommerindividuum die Eier tragen sehen. In dem Fursee und 11 kleineren Seen und Teichen, wo ich alle 14 Tage die Verhältnisse untersucht habe, ist minor immer die Hauptform des Winters und S. pectinata Ehr. im Früh- ling im Zunehmen gewesen. Diese haben sich in den kleineren Seen den ganzen Sommer unverändert gehalten. In dem Fursee war in der wärmsten Sommerzeit auch var. grandis vorhanden; in demselben See, aber auch in einzelnen kleineren, fand sich in der Sommerzeit minor, aber mit stabförmigen Hinterteilsanhang; gegen Winter verschwanden diese Formen, minor ausgenommen. Meine Auffassung ist also folgende: Von S. pectinata form. minor entwickeln sich im Frühling und im Laufe des Sommers teils Indi- Aividuen, welche den Winterformen gleichen, aber einen stabförmigen Anhang tragen (S. stylata Wierz), teils die große, hyaline beinahe fuß- lose typische S. pectinata, welche unter besonderen Verhältnissen als S. grandis (Zacharias) endet. Die Untersuchungen über die Biologie und Morphologie der As- Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 611 planchnen haben mich dahingeleitet, nur vier Arten anzuerkennen: A. priodonta (Gosse), Brightwelli (Gosse), Herrichi (de Guerne) und Sieboldii (Leydig). Temporalvariation ist bis jetzt nur bei A. priodonta nachgewiesen. Die Art wird den ganzen Winter hindurch regelmäßig in Seen und Teichen gefunden, aber zu dieser Jahreszeit nur in ge- ringer Anzahl, und die parthenogenetische Fortpflanzung ist sehr stark herabgesetzt oder fällt beinahe ganz weg. Einige Zeit nach dem Auf- treten der ersten Sexualperiode (Mai) kann man konstatieren, dass die Individuen nun bedeutend länger sind als im Winter; unter dieser Form ist die Art, besonders in den großen Seen, als A. heivetica (Imhof) bezeichnet worden. Die Individuen vergrößern sich beständig, je weiter man in den Sommer hineinkommt. Die Maximallänge wird im August-September erreicht; nach der zweiten Sexualperiode (Sept.- Oktober) finden sich wieder nur die kurzen, plumpen Formen. Während das Verhältnis zwischen Länge und Breite bei den Winterformen wie 1:1'/, war, war dasselbe Verhältnis bei den Sommerformen gewöhn- lich wie 1:2 bis 2!/,. Ausnahmsweise habe ich in den größeren dänischen Seen das Verhältnis 1:5 gefunden und in diesen Fällen sehr langgestreckte, wurstförmige Asplanchnen vor mir gehabt, vielleicht die grössten aller Rotiferen, 3'/, mm. Ganz wie bei Polyarthra und Syn- chaeta findet man auch im Sommer die kürzere und plumpere Winter- form wieder, in einigen Seen in großer Anzahl, in anderen beinahe von der Form helvetica verdrängt. Auch bei Triarthra longiseta Ehr. tritt eine obwohl geringe Temporalvariation auf; die Art ist allgemein den ganzen Winter; aber während die Dornen der Winterformen selten mehr als 0,2 bis 0,3 sind, sind sie bei den Sommerformen, namentlich in den großen Seen 0,6 bis 0,8 mm. Es ist zum Teil dieses Verhältnis, was Zacharias veranlasst hat, var. limnetica (Forschungsber. Thl. 1893) aufzustellen. Was die Anuraeen betrifft, so kann ich mich in allem Wesentlichen der von Weber gegebenen Begrenzung der Arten anschließen; von den von Weber angenommenen 4 Typen sind die zwei Arten A. cochlearis (Gosse) und A. aculeata (Eihr.) einer bedeutenden Variation unter- worfen. Bei regelmäßig alle 14 Tage betriebenen Untersuchungen des Planktons in 12 Seen und Teichen habe ich das ganze Jahr hindurch konstatieren können, dass diese zwei Arten einer weit stärkeren Lokal- als Temporalvariation unterworfen sind, und dass die Individuen der pelagischen Region der großen Seen mit einem eigenartigen, beinahe überall gleichen unterscheidenden Charakter den äußerst verschiedenen, zahlreichen, besonders in der Sommerzeit auftretenden Varietäten der niedrigeren Teiche gegenüberstehen. Doch haben die Untersuchungen des Planktons des Fursees gezeigt, dass man auch bei den Anuraeen- arten in den größeren Seen eine, was die Länge der Dornen betrifft, allerdings nur geringe Temporalvariation nachweisen kann. > )* Du 512 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. Imhof’s A. longispina = A. cochlearis mit ungemein langem Hinterdorn und A. aueleata var. regalis desselben Verfassers mit zwei überaus langen Hinterdornen sind Sommerformen, die im Juli-August regelmäßig in dem Fursee auftreten und wieder verschwinden. Genaue, regelmäßige Beobachtungen der Anuraen in diesem See haben er- wiesen, dass die Dornen unbedingt länger sind bei den Sommer- als bei den Winterindividuen. Die in dem Plankton der großen Seen von.allen in niedrigeren Teichen auftretenden Anuraea-Varietäten gewöhn- lichste ist meinen Beobachtungen zufolge A. cochlearis var. tecta (Gosse), charakterisiert durch das Fehlen des Hinterdornes. Diese Form wird von Apstein und Lauterborn (6 u. 7) als Sommervarietät ange- geben; in zwei der von mir untersuchten kleineren Seen ist A. tecta zwei Jahre nach der Reihe die Hauptform des Winters gewesen, wie ich sie auch in den Planktoneinsammlungen des Winters von vielen anderen Seen gefunden habe. Sie findet sich das ganze Jahr hindurch, ist aber in den beiden erwähnten Seen im Winterhalbjahr durchaus am zahlreichsten gewesen ; sie kann mehrere Monate des Sommerhalbjahres vollständig fehlen. Nähere wahrscheinlich sehr eingehende Unter- suchungen über die Variation der Anuraen sind übrigens von Lauter- born angekündigt. Bei den übrigen Planktonrotiferen hat man bisher keine Tempo- ralvariation nachweisen können. Alle diese, namentlich Hudsonella, Gastroschza, Mastigocerca, Pompholyx, Chromogaster, Pedalion, Schizo- cerca und Notholca longispina (Kellicott) sind ohne Ausnahme Sommer- formen. Auch innerhalb der Rotiferen trifft man das Phänomen, dass die temporale Variation nur bei den Formen, die sich das ganze Jahr finden, stark hervortretend ist, aber bei den Formen, die nur im Sommerhalbjahre vorhanden, bisher nicht erweislich ist. Bei den Planktonrhizopoden, die alle in kurzen scharf be- grenzten Perioden in dem Plankton erscheinen, hat man noch keine Temporalvariation nachgewiesen. Dasselbe gilt auch von den Planktoninfusorien. Indem wir hier von einigen seltenen Formen, wie Staurophrya elegans Zacharias u. a. absehen, treten hier im Lande Codonella lacustris Entz, Tintinidium Sluviatile Stein und Dileptus trachelioides Zacharias als allgemeine Planktoninfusorien auf. Bei den zwei ersteren habe ich auch keine Temporalvariation nachweisen können. Codonella lacustris findet sich zwar das ganze Jahr hindurch, ist aber in der Sommerzeit sehr selten, häufiger im Herbst und im Winter und hat in verschiedenen von unseren Seen 1897 im April ein enormes Maximum gehabt, worauf sie von Mai selten wurde. Tintinidium fluviatile habe ich im Dezember erst einzeln nachweisen können; die Anzahl stieg im April-Mai, worauf die Art vollständig verschwand; ganz derselbe Entwicklungsgang ist von Apstein und Zacharias angegeben worden. Einen Unterschied Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 613 zwischen den Sommer- und Winterindividuen habe ich nicht nach- weisen können; die nicht geringe Anzahl von gewiss recht zweifel- haften Arten, die innerhalb der Tintinidien von v. Daday [3] aufgestellt sind, lassen eine ziemlich starke Lokalvariation vermuten. Ganz andere und weit eigentümlichere Verhältnisse habe ich bei Dileptus trachelioides gefunden. In mehreren dänischen Seen habe ich des Winters ein beinahe kugelrundes !/, Millimeter langes Infusorium gefunden, dass ich ohne Bedenken zu Trachelius ovum Ehr. stellte; es war mit einem ziemlich kurzen, aber äußerst formwechselnden Rüssel versehen, an dessen Grund der Mund sich fand. Im April-Mai fand ich in denselben Gewässern ein viel größeres, beinahe 1 Millim. langes Infusorium, länglich wurstförmig, bald mit einem sehr langen, bald mit einem sehr kurzen Rüssel ausgestattet. Der ganze Körper des Tieres, aber ganz besonders die hintere Hälfte enthielt zahlreiche einzellige Algen, die das Tier grün färbten. Dass ich in diesem Falle Dileptus trachelioides vor mir hatte, war sicher genug. Im Juni be- merkte ich, dass in den erwähnten Seen das Vorderende aller Exem- plare in 2—3 lange, dünne Zipfel ausgezogen worden waren, deren Länge der des Körpers entsprach, und in ganz niedrigen warmen Seen (die Dünenseen bei Raabjerg (Skagen) war zu Ende Mai das Vorderende des Tieres in 4—5 äußerst dünne Zipfel ausgezogen, deren Länge selbst die des Körpers übertraf. Ich bin geneigt, in Amphi- leptus flagellatus Rousselet, Trachelius ovum Ehr, Dileptus trachelioides. Zacharias eine und dieselbe Art zu sehen, die einer großen Temporal- und wahrscheinlich auch Lokalvariation unterworfen ist. Hier soll das Gewicht auf die Thatsache gelegt werden, dass die Form im Winter eine kurze, beinahe kugelrunde ist, dass sie in denselben Ge- wässern gegen Frühling länglich wird und dass zuletzt in den Monaten Mai-Juni das Vorderende zahlreiche Zipfelbildungen aussendet. Ich muss noch hinzufügen, dass Trachelius ovum sich im Sommer in den kleinen Seen hält und in den großen verschwindet. Es soll be- bemerkt werden, dass die Tiere in der Konservierungsflüssigkeit die Zipfel einzogen und sich kugelförmig abrundeten. Ich vermute, dass es diese Zipfelbildungen sind, die Zacharias erwähnt, wenn er (Forschungsber. T. II, pag. 81) die zahlreichen monströsen Individuen hervorhebt. Innerhalb der Peridineen ist Temporalvariation bis jetzt nur bei Ceratium hirundinella ©. F. M. nachgewiesen, und auch ich habe sie nur bei dieser einen Art konstatieren können. Lauterborn, Apstein und Zacharias haben alle die Temporalvariation nachgewiesen, aber während Lauterborn beobachtet haben will, dass die Art im Frühling in ihrer breiten Form mit 4 Hörnern auftritt nnd im Herbst schlank und zuletzt schmal mit nur drei Hörnern endet, behaupten Apstein und Zacharias im Gegenteil, dass man im Frühling die schlanke, dreihörnige 614 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. Form trifft und im Herbste die breite vierhörnige. Später (For- schungsber. T. 6, pag. 106) macht Zacharias auf die Lokalvariation aufmerksam. Wie frühere Untersucher, habe ich im März-April ein- zelne Exemplare gefunden, im Juli- August ein Maximum beobachtet — in einigen kleineren Seen und Teichen erst im September —, habe die Art im November verschwinden sehen und einzelne Exemplare im Dezember nachweisen können. Das wesentlichste Resultat der Untersuchungen ist dieses gewesen, dass Ceratium hirundinella einer außerordentlich starken Lokal- und Temporalvariation unterworfen ist. Die Ceratien der pelagischen Re- gion der großen Seen stehen mit einem eigenartigen schlanken Ge- präge denen gegenüber, die den niedrigeren Teichen gehören. Im Fursee ist die Entwicklung in der von Apstein und Zacharias ange- gebenen Richtung gegangen: von schlanken dreihörnigen Formen zu breiten vierhörnigen. Eine Massenuntersuchung der Ceratien von größeren Seen im Mai gab überwiegend dreihörnige Formen, eine ähnliche in August von denselben Seen überwiegend vierhörnige. Alle 14 Tage vorgenommene Untersuchungen der kleineren Seen und Teiche kon- statierten gleichzeitig, dass die Ceratien entweder keiner Temporal- variation unterworfen waren, indem sie das ganze Jahr hindurch vier- hörnig waren, oder sich verhielten, wie Lauterborn es angibt (vier- hörnig im Frühling und dreihörnig später im Jahre). Innerhalb der Chrysomonadinen hat man bisher keine Tem- poralvariation nachgewiesen. Wie bekannt, variieren die Dinobryonen außerordentlich stark, was Veranlassung dazu gegeben hat, dass eine große Anzahl (ca. 15) durchgehends wenig haltbarer Arten beschrieben worden ist. Alle in Kolonien lebenden Arten lassen sich, wie auch Zacharias (Forschungsber. T. I. 1893) früher gethan, auf zwei Haupttypen zurückführen: D. sertularia Ehr. und D. stipitatum Stein. Wie Zacharias sehe ich D. elongatum Imh. und davarium Imh. als Planktonformen von stipitatum an, und D. divergens Jmh. als Plankton- form von D. sertularia; die übrigen Imhof’schen Arten werden wohl nur eine Lokalform der D. sertularia sein. Uebrigens finden sich alle möglichen Uebergänge zwischen D. sertularia und stipitatum. Ganz wie Apstein und Zacharias habe auch ich, was die großen Seen anbetrifft, im März und April D. stipitatum und sertularia var. divergens ganz gleichzeitig angetroffen, sie beide den ganzen Sommer beobachtet und sie im November verschwinden sehen; doch habe ich in zwei nach einander folgenden Jahren bemerkt, dass D. stipitatum var. divergens im Frühling und Herbst häufig waren und dass die wenigen Winterexemplare, die ich in dem Plankton der größeren Seen nachweisen konnte, immer zu dieser Form gehörten, während D. stipitatum immer häufiger im Sommer uud Spätsommer war; ganz dasselbe geht auch, was die Ploenerseen betrifft, aus Za- Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 615 charias Planktontabellen hervor. Gleichzeitige vierzehntägige Unter- suchungen der kleinen Seen bewiesen auch, was schon Zacharias er- erwähnt hat, dass D. sertularia weit häufiger in den kleinen Seen und Teichen ist als D. stipitatum, und dass D. sertularia den ganzen Winter hindurch in nicht geringer Anzahl in kleinen Gewässern ge- funden werden kann. Da nun alle mögliche Uebergänge zwischen D. sertularia und D. stipitatum sich finden, meine ich, dass D. stipitatum in den großen Seen wesentlich als Sommerform für D. sertularia betrachtet werden kann. Am richtigsten sagt man wohl: dass die Dinobriumkolonien der großen Seen in der Sommerzeit eine Tendenz zur Verlängerung des Stiels der Gehäuse und zu spitzeren Winkeln zwischen den ein- zelnen Zweigen der Gehäuse zeigen; gegen Herbst werden die Stiele wieder kürzer, die Winkel breiter; wir haben wieder D. sertularia vor uns. Bei den Mallomonaden habe ich keine Temporalvariation nach- weisen können. Dieses ist auch mit den Chlorophyceen der Fall. Verschiedene Beobachtungen über die zu der pelagischen Region der großen Seen gehörigen Pediastrum-Arten haben mich vermuten lassen, dass man hier nicht vergebens eine Temporalvariation suchen würde. Da ich hier indessen mit meinen wenigen Beobachtungen ganz allein stehe, will ich nur als eine Vermutung andeuten, dass genauere Untersuchungen vielleicht nachweisen werden, das P. pertusum Ktzg, hauptsächlich eine Sommerform des das ganze Jahr gegenwärtigen P. boryanım Menegh sei; ich werde jedoch in dem folgenden diese Formen nicbt berück- sichtigen. Temporalvariation ist auch nicht beiCyanophyceen nachgewiesen, und als ausgeprägte Sommerformen, die sich erst im April zeigen und gewöhnlich im Oktober-November verschwunden sind, muss man im Voraus vermuten, dass eine solche kaum stark hervortretend sein würde. Anders verhält es sich wahrscheinlich mit den Diatomeen. Es ist mir bei diesen Formen, namentlich bei den vierzehntägigen Unter- suchungen in dem Plankton des Fursees auffallend gewesen, wie ver- schiedenartig die Anzahl der Einzelindividuen in den Kolonien zu den verschiedenen Jahreszeiten ist. Während die Asterionellen gewöhnlich einen Stern aus 12—14 Individuen gebildet haben, fand ich im Winter oft über 20; im Mai war die Hauptmasse der Sterne aus 7—8 Indi- viduen zusammengesetzt. Gleichzeitig fanden sich die Asterionellen der kleineren Seen nur als vierstrahlige Kolonien. Aehnliche Be- obachtungen können bei den Fragilarien angestellt werden; aber genauere Untersuchungen müssen die Ursachen und die Bedeutung dieser noch wenig aufgeklärten Verhältnisse entscheiden. 616 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. Stellen wir nun in Kürze die hier erwähnten Beobachtungen zu- sammen. Wir fanden, dass bei den Hyalodaphnien und Daphnien die Länge der Helme und der Hinterdorne zunahm, je weiter man in den Sommer hineinkam, dass diese gegen den Herbst kürzer wurden und dass die Individuen im Winter keine oder sehr kurze Helme und kürzere Hinterdornen hatten. Bei den Bosminen verlängern sich im Frühling die Antennen und Mucrones, oder der Dorsalrand des Schildes zieht sich buckelförmig aus, wobei eine Art Helmbildung auf dem Rücken des Tieres entsteht, während auch bei diesen Formen die Antennen sich verlängern. Im Winter sieht man nie Individuen mit Buckelbildung, die Hauptmasse der Winterbosminen hat kurze Antennen und kurze Mucrones. Innerhalb der Rotiferen wird die Temporalvariation bei Polyarthra im Sommer durch eine starke Entwicklung der Dornen — von dünnen Nadeln zu breiten, flachen Rudern — charakterisiert. Synchata pecti- nata tritt im Winter hauptsächlich als die oben erwähnte forma minor auf, in der Frühlings- und Sommerzeit entwickeln sich teils Formen, die den Winterindividuen gleichen, teils vermehrt sich die typische große S. pectinata stark in Anzahl, und in der pelagischen Region der großen Seen zeigen sich im Juli-August die großen langgestrekten In- dividuen, die als S. grandis bezeichnet worden sind. Bei Asplanchna priodonta kann man, wenn man die Sommer- und Winterexemplare vergleicht, einen bedeutenden Unterschied zwischen der Breite und Länge der Tiere konstatieren, indem die Sommerindividuen durchgehends länger sind, als die des Winters. Endlich sind bei Triarthra und Anuraea die Dornen länger im Sommer als im Winter. Den Daphnien und Rotiferen betreffend bemerken wir ferner, dass die temporale Variation immer bei den Formen am stärksten scheint, die das ganze Jahr hindurch als freibewegliche Planktonorganismen leben, wogegen sie, wenigstens bis jetzt nicht bei den Formen nach- weislich gewesen ist, die ausschließlich Sommerformen sind und in Ruhe- stadien überwintern. Innerhalb der Infusorien kann man Dileptus trachelioides be- treffend nachweisen, dass in denselben Gewässern der typische Tra- chelius ovum im Winter allgemein ist, im Frühling mehr langgestreckte Formen auftreten und dass diese Formen, die wahrscheinlich der typische D. trachelioides ist, Mai-Juni das Vorderende in drei bis fünf dünne Zipfel ausgezogen bekommen, wonach das Tier aus dem Plankton ver- schwindet. Eigene Untersuchungen über Ceratium hirundinella geben für die srößern Seen dasselbe Resultat als Apstein’s und Zacharias Unter- suchungen, nämlich, dass im Herbst eine größere Dornbildung statt- findet. Bei den Dinobryenkolonien besteht eine Neigung zur Verlängerung der Stiele der Gehäuse, während gleichzeitig die Winkel zwischen den Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez, Gewicht d. Süßwassers. 617 Zweigen spitzer werden; die Winterexemplare zeichnen sich durch breitere Winkel und stiellose Gehäuse aus. Indem wir nun dazu übergehen die Lehren zu ziehen, die diese Thatsachen enthalten, würde es vielleicht natürlich sein hervorzuheben, dass sie keineswegs von dem einzelnen Untersucher herrühren, sondern dass die, welche die Hyalodaphnien, D. galeata, Polyarthra und Cera- zum hirundinella betreffen, zu verschiedenen Zeiten, von mehreren Forschern, an ganz verschiedenen Orten bestätigt worden sind- und dass andere (Dileptus, Dinobryum) teilweis gesehen worden (Zacharias) wenn auch gewiss nicht als Temporalvariationen verstanden und auf- gefasst. Man operiert also nicht mit zweifelhaften, ungenügend be- gründeten Resultaten, sondern zum Teil mit gut geprüften wissen- schaftlichen Thatsachen. Es geht, wie es mir scheint, ganz deutlich aus den angeführten Mitteilungen hervor, dass die Umbildungen, welche alle die oben er- wähnten Planktonorganismen, welcher systematischen Gruppe sie auch angehören, im Laufe des Jahres erleiden, bei allen gleichzeitig in derselben Richtung gehen, immer dasselbe große, gemeinschaftliche Ziel anstreben. Denn die Verlängerung des Helms und der Hinter- dornen bei den Daphnien und Hyalodaphnien, die Ausbildung des Buckels bei den Bosminen, das Verflachen der Dornen bei Polyarthra die Verlängerung des Hinterteilspitzes der Synchaeten, der Dornen der Triarthra und Anuraea, das Ausschießen der Zipfel bei Dileptus, die vermehrte Dornbildung bei Ceratium und die Verlängerung des Kelchstieles bei Dinodryum — Umbildungen die alle von April bis August an Stärke zunehmen und wieder von September-Januar abnehmen — was sind sie anders als eine unverkennbare Tendenz zu einer be- stimmten Zeit des Jahres den Umfang der Organe zu ver- größern, die aller Wahrscheinlichkeit nach doch auf ir- sendwelche Weise auf die Schwebefähigkeit des Tieres Einfluss üben, und den Umfang dieser Organe zu einer anderen Zeit wieder zu verringern? Es liegt also nahe anzunehmen, dass sich ein gemeinschaftlicher, äußerer Faktor findet, der jedenfalls alle die Planktonorganismen, die das ganze Jahr auftreten, dazu zwingt, im Sommer ihre Schweb- organe zu vermehren und im Winter wieder zu verkleinern. Und dieser äußere Faktor ist, wie ich vermeine, die jährlichen und regelmäßigen Veränderungen in dem spezifischen Ge- wicht des Süßwassers, die zum wesentlichen Teil die stärkere Entwickelung der Schwebeapparate im Sommerhalbjahr verursachen. Indem übrigens sowohl die Temperatur wie die Menge der aufgelösten Stoffe auf das spezifische Gewicht Einfluss haben, üben selbstverständ- lich auch alle übrigen physikalischen Verhältnisse des Süßwassers ihren Einfluss auf die Entwicklung dieser Schwebapparate aus. 618 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers, Soweit mir bekannt, hat man merkwürdigerweise nie die Aufmerk- samkeit auf den Einfluss gerichtet, den die Erwärmung der Seen im Frühling und die gleichzeitige Veränderung in dem spezifischen Ge- wicht des Wassers notwendigerweise auf das Leben der Plankton- organismen üben müssen. Es scheint, als ob die Untersucher des Süß- wasserplanktons von der Voraussetzung ausgegangen sind, dass die Tragkraft des Wassers den Planktonorganismen gegenüber in einem gegebenen See das ganze Jahr hindurch vollständig dieselbe sein müsse. Nun verhält es sich aber so, dass das Wasser, wenn es im Frühling erwärmt wird, mit einer anderen und, wie wir aus dem Folgenden er- sehen werden, wahrscheinlich weit geringeren Tragkraft den Plankton- organismen gegenüber stehen wird als im Winter bei niedriger Tem- peratur. Die Frage ist also die, welche Mittel dem Individuum zur Ver- fügung stehen, wenn es sein spezifisches Gewicht den verschiedenen spezifischen Gewichten des Süßwassers accommodieren soll. Zuerst vermeine ich, haben die Planktonorganismen in ihrem Stoffwechsel, besonders durch Ausscheiden und Aufnahme des Wassers einen innerhalb sehr enger Grenzen fungierenden hydro- statischen Apparat. Da die Planktonorganismen von einem obwohl dünnen, so doch festen aus Kiesel oder Chitin gebildeten Hautskelet umgeben sind, und da Hohlräume mit variablen Luftmengen nur selten vorkommen, glaube ich, dass die Grenzen für die Akkom- modation, die einzig aus den Stoffwechselprozessen hervorgeht, sehr eng sind; bei dem Stoffwechsel können die Organismen sich mög- licherweise den täglichen Oscillationen in der Tragkraft des Wassers anbequemen, aber werden auf diesemWege schwerlich im stande sein, ihr spezifisches Gewicht in Uebereinstimmung mit den weit stärkeren und regelmäßig jährlich wiederkehrenden Aenderungen im spezi- fischen Gewicht des Süßwassers zu bringen, wenn dieses in der Zeit Februar-August von O0 bis zu 24° C. erwärmt wird. Ich vermute also, dass während der Erwärmung der Seen in der Frühlingszeit, und zwar bei einer verschiedenen Temperatur bei den verschiedenen Plankton- organismen, der Zeitpunkt eintreten wird, wo die Organismen nicht länger imstande sind, sich in Uebereinstimmung mit der steigenden Temperatur zu erweitern und wo sie sich wahrscheinlich durch Wasser- ausscheidung von der Grenze ihrer Ausdehnung wegregulieren müssen, um nicht gesprengt zu werden. Wenn dieser Zeitpunkt kommt, wo also die Organismen mittelst der Wegregulierung von den Elastizitäts- grenzen sich nicht nach der mit der Erwärmung der Seen folgenden veränderten Tragkraft akkommodieren können, dann greifen siezu andern Mitteln, dann fängt die Entwickelung aller der Schwebeorgane an. Ich erkläre diese also als einen Ausdruck für die Bestrebungen, die von Seiten der Organismen gemacht werden — wenn ihre Cholodkovsky, Ueber den männlichen Geschlechtsapparat von Ühermes. 619 Stoffwechselprozesse nicht länger hinreichend sind —, um ihr eigenes spezifisches Gewicht in Uebereinstimmung mit der ver- änderten Tragkraft des Wasser im Frühling zu bringen, Veränderungen, die als ein äußeres Irritament auf die Organismen wirken. (Schluss folgt.) Ueber den männlichen Geschlechtsapparat von Chermes. Von N. Cholodkovsky in St. Petersburg. In meiner Arbeit „Ueber den Lebenseyelus der Chermes-Arten (Biolog. Centralbl., Bd. XX, Nr. 8) habe ich unter anderem eine kurze Beschreibung des männlichen Geschlechtsapparates von Chermes strobi- lobius Kalt. gegeben. Diese Beschreibung ist nun, wie ich jetzt nach Untersuchung eines größeren Materials ersehe, etwas mangelhaft, und so versäume ich nicht, dieselbe zu berichtigen. Die Beschreibung muss nämlich lauten: „Der männliche Geschlechtsapparat von Chermes strobilobius Kalt. besteht aus zwei sehr kleinen Hoden, deren jeder aus zwei bläschenförmigen Follikeln besteht, die einem ziemlich langen We Samenleiter (Vas deferens) auf- sitzen, — aus zwei mächtigen Anhangs- drüsen, einem unpaaren Ductus ejacula- torius und Penis (vergl. die beistehende Abbildung: ? die Hoden, vd Vasa deferen- tia, ap die Anhangsdrüsen, de Ductus eja- culatorius, p Penis)“. 24. Juli 1900. 176] Einiges über Ovarientransplantation. Von Dr. Amedeo Herlitzka. (Aus dem physiologischen Institut in Turin. Direktor Prof. A. Mosso.) Eine kurze Mitteilung von W. Schultz!) über Ovarientrans- plantation veranlasst mich auf einen Aufsatz von mir?) über denselben Gegenstand zurückzukommen, teils um eine Prioritätsfrage zu erörtern, teils um zu untersuchen, ob die Experimente von Schultz die von mir auf Grund meiner Untersuchungen gezogenen Schlussfolgerungen beeinträchtigen können. Meine Versuche beziehen sich auf 40 erwachsene Meerschweinchen beider Geschlechter, auf diese habe ich die Eierstöcke anderer er- wachsenen Weibchen derselben Species verpflanzt. — Ich will hier nicht auf die mikroskopischen Befunde der transplantierten Ovarien eingehen; wer sich dafür interessiert, kann dieselben in meiner aus- 4) W. Sch ultz, "Transplantation der Ovarien auf männliche Tiere. Cen- tralblatt f. allg. Pathologie u. path. Anatomie, Bd. XI, Nr. 6, 7, April 1900, 2) A. Herlitzka, Ricerche sul trapiantamento. II Trapiant. di ovaie. Festschrift zum 25 jährigen Jubiläum von Prof. Luciani. Mailand 1900. 620 Herlitzka, Einiges über Ovarientransplantation. führlichen Arbeit lesen. Hier will ich nur hervorheben, dass ich in allen Fällen eine bedeutende Entartung der Ovarialgewebe beobachtete; diese Entartung war in den verschiedenen Eierstöcken verschieden aus- gesprochen, auch waren damit nicht alle Gewebe zugleich und im selben Maße behaftet, im Gegenteil kam hier eine gewisse Gesetz- mäßigkeit zum Ausdruck. Darauf komme ich noch später zurück. Das Ei entartet immer in allen Fällen schon wenige Tage nach der erfolgten Verpflanzung: in einem einzigen seit 42 Tagen transplan- tierten Eierstock habe ich ein scheinbar gut erhaltenes Ei beobachten können. Andere Gewebe erhalten sich eine Zeit lang unverändert, andere vermehren sich sogar bis zu einem gewissen Maße, so z. B. das Bindegewebe. Die in Männchen transplantierten Eierstöcke unterscheiden sich gar nicht von solchen, die in das Weibchen verpflanzt worden waren: in beiden erhalten sich im gleichen Maße dieselben Gewebe, in beiden gehen dieselben Gewebe zur selben Zeit zu Grunde. Meine erste Mit- teilung !) wurde vor der R. Accademia di Medicina in Turin am 2. März d. J. vorgetragen, und schon damals habe ich hervorgehoben, „dass der verpflanzte Eierstock, soweit es die Umstände erlauben, bis zur selben Stufe und in demselben Verhältnis seiner verschiedenen Teile sowohl im Männchen als im Weibchen gedeihen kann. Dieser Umstand beweist, dass auch in den Arten, wo die Geschlechter auf verschiedene Tiere verteilt sind, die Hoden keinen hemmenden Einfluss auf das Bestehen der Eierstöücke ausüben“. Diesen Gedankengang habe ich in der schon eitierten ausführlichen Arbeit, die ich zum Drucke in der ersten Hälfte März überlieferte, weiter verfolgt. Die Arbeit von Schultz, die am 7. April herausgegeben wurde, bestätigt meine diesbezüglichen Schlussfolgerungen, da er auf Männchen trans- plantierte Eierstöcke anheilen sah. Schultz konnte natürlich bei der Veröffentlichung seiner Mitteilung die meinige nicht kennen, so dass seine Arbeit von meinen Untersuchungen unabhängig ist: doch möchte ich daran erinnern, dass ich schon vor einem Jahr zum ersten Mal versucht habe?), die Geschlechtsdrüsen von einem auf das andere Geschlecht zu verpflanzen, obwohl mir mein Versuchsmaterial — die Hoden — keine Schlüsse zu ziehen erlaubte. Aber weit wichtiger als solche Prioritätsfragen erscheint mir der Zweifel, ob und inwiefern die von Schultz angestellten Versuche, meine auf die Knauer’schen und meine Experimente gestützten Folgerungen beeinträchtigen können. Knauer?°) hat 13 Kanincheneierstöcke von einem Tier auf das ER 1) A.He rlitzka, Ricerche sul trap. delle ovaie. Comunicaz.preventiva — Giornale della R. Accead. di Med. Torino, anno LXIII, Vol. VI, 2 Marzo 1900. 2) Derselbe, Sul trapiantamento dei testicoli. Arch. f. Entwicklungs- mech. der Org., Bd. IX, 1899. 3) E. Knauer, Ueber Ovarientransplantation. Wien. med. Woch., Dez. 1899. Herlitzka, Einiges über Ovarientransplantation. 621 andere verpflanzt, immer mit negativem Erfolge. Diese Versuche von Knauer werden in der Mitteilung von Schultz nicht erwähnt. Dazu kommen 5 Versuche von C. Foä!) ebenfalls auf Kanincheneierstöcke mit gleichem Erfolge. Zuletzt erwähne ich meine Experimente, die sich auf 40 erwachsene Meerschweinchen beziehen. Als mit günstigem Erfolge gekrönt, will ich den einzigen Fall, bei dem ich noch ein normales Ei gefunden habe, betrachten. Die anderen 39 Versuche haben gezeigt, dass der von einem auf das andere Individuum ver- pflanzte Eierstock zum Teil oder total zu Grunde geht, während einige unter den Ovarialgeweben ihre Proliferationsfähigkeit beibehalten. Die Gefäßneubildung und die benachbarten Gewebe haben einen bedeu- tenden Einfluss auf die Zeit, in der die Ovarialelemente degenerieren, diese aber nehmen bei der Degeneration selbst einen verschiedenen Anteil je nach der Stufe ihrer Specifieität und ihrer Differenzierung. Ich muss hier den Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen her- vorheben, da sie zu oft verwechselt werden: unter Specifieität, glaube ich, sei eine physiologische, unter Differenzierung eine morphologische Verschiedenheit der Gewebe zu verstehen; und obwohl in manchen Fällen beide Verschiedenheiten in demselben Gewebe zusammentreffen, so ist das doch nicht die Regel. So ist das Ei ein speeifisches, aber kein differenziertes Element, während dasBindegewebe hochdifferenziert, jedoch durchaus nicht speeifisch ist. Ich kann deshalb an der Hand der mikroskopischen Untersuchung den Schluss ziehen, dass die An- passungsfähigkeit der einzelnen Gewebe des transplantierten erwach- senen Eierstockes auf ein neues Individuum mit ihrer Differenzierung wächst und mit ihrer Speecifieität abnimmt. Auf Grund einiger Betrachtungen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, bin ich zu einigen Schlussfolgerungen gelangt, die ich im folgenden kurz zusammenfasse: 1. Die Ursachen der geringen Anpassung der Gewebe eines von einem auf das andere Tier verpflanzten Eierstockes beruhen weder auf der Gefäßversorgung noch auf der Innervation noch auf inneren Eigenschaften dieses Organes, sondern auf der Ver- änderung der Umgebung, der das Ovarium ausgesetzt worden ist, d. i. auf den Einflüssen, die der neue Organismus auf den Eierstock ausübt. Der Eierstock, wie jedes andere Organ, ist nämlich an gewisse Einflüsse gewöhnt und angepasst, und da seine Anpassungsfähigkeit begrenzt und mit dem Vorschreiten des Alters abgeschwächt oder nach einer Richtung beschränkt ist, so kann sich derselbe an neue Lebensbedingungen nicht mehr gewöhnen und muss zu Grunde gehen, wenn er solchen ausgesetzt wird. — Die specifischen Gewebe sind einer beson- 1) C. Foä, Sul trapiant. delle ovaie in rapporto ad aleune questioni di biologia generale. Riv. p. le sc, biologiche, Vol. II, 1900. 622 Herlitzka, Einiges über Övarientransplantation, deren oder specifischen Umgebung höher angepasst, sie können eine Veränderung dieser letzteren schwerer als andere Gewebe vertragen. Im Gegenteil haben sich die homolog differenzierten Gewebe zweier Tiere konvergent und einseitig entwickelt, so dass sie den Einflüssen, die aus dem gesamten Organismus aus- gehen, nur teilweise ausgesetzt sind. Diese Gewebe finden im neuen Organismus eine für sie minder verschiedene Umgebung als die anderen Gewebe und ihre Anpassung erfolgt daher viel leichter. 2. Die Einflüsse, die vom Gesamtorganismus auf die einzelnen Ge- webe ausgehen, sind nicht ausschließlich auf deren Ernährung beschränkt, sie sind vielmehr von verwickelter Natur und sind im stande, den Bau der lebenden Zellen — in dessen weiteren Sinne — zu verändern, und den Elementen einen besonderen Charakter aufzuprägen. — Diese Einflüsse sind idioplasmatischer Natur und gehen von allen Teilen auf alle Zellen des Orga- nismus, jedoch nicht im gleichen Maße, aus. Von der Ver- änderung der idioplasmatischen Umgebung hängt also die Ent- artung der verpflanzten Eierstöcke ab. 3. Die Eier, die Träger der erblichen Eigenschaften, stehen ebenso wie die anderen Elemente (oder noch stärker als diese) unter dem Einfluss der idioplasmatischen Umgebung, wie ihr rasches Absterben bei der Verpflanzung nachweist. Diese Thatsache beweist, dass ein Unterschied zwischen Keimplasma und Somato- plasma nicht zu behaupten ist. Vielmehr ist man gezwungen anzunehmen, dass alle Aenderungen des Idioplasmas von einem beliebigen Teile des Körpers auf alle andere Teile des Idio- plasmas selbst, also auch auf das der Keimzellen, ihren Einfluss gelten lassen. Auf die Begründung dieser Schlussfolgerungen kann ich hier nicht näher eingehen, denn das würde mich zu weit führen. Der Leser, derssich dafür interessiert, kann meine diesbezügliche Arbeit nachschlagen. Die Arbeit von Schultz, die vorigen Monat erschienen ist, be- richtet über 5 Fälle, in denen er Meerschweincheneierstöcke auf Männchen verpflanzte. Diese Eierstöcke sind unter denselben Um- ständen, die Ribbert bei den auf dasselbe Tier ausgeführten Trans- plantationen beschreibt, angewachsen. Wenn wir noch dazu die zwei von Gregorieff angegebenen aber nicht beschriebenen Fälle und den einzigen Fall, den ich erhalten habe, zählt, so können wir 8 Fälle mit positiven und 57 Fälle mit negativen Erfolg gegenüberstellen. Man pflegt allgemein zu sagen, dass ein einziger positiver Fall alle negativen Fälle, wären sie noch so viele, vernichtet. — Müssen wir die Richtigkeit dieses Satzes ohne weiteres anerkennen, und bin ich deshalb gezwungen meine Schlussfolgerungen zu verleugnen ? Herlitzka, Einiges über Ovarientransplantation. 623 7 Ich glaube, dass eine einfache Kritik der Sehultz’schen Arbeit genügen wird, um die Bedeutung, die seine Versuche für vorliegende Frage beanspruchen könnten, herabzusetzen. Wir können natürlich von einer vorläufigen Mitteilung keine ausführliche Beschreibung der Experimente verlangen, doch werden bei dem Lesen der Arbeit von Schultz viele Zweifel wach. Erstens wissen wir nicht, ob die Versuche von Schultz sich auf die angegebenen Fälle beschränken oder ob er noch andere aus- geführt hat, und in solchem Falle, mit welchem Erfolg. Es könnte sein, dass Schultz die mit keinem guten Erfolg gekrönten Versuche deshalb zu eitieren vernachlässigt, weil die beschriebenen fünf Fälle schon hinreichend die Möglichkeit der Transplantation der Eierstöcke auf das Männchen beweisen. Für die Frage, die ihn beschäftigte, würde es zwecklos gewesen sein auf den negativen Fällen zu verweilen; für uns kommt es im Gegenteil viel darauf an. Noch wichtiger ist es, eine andere Frage zu erörtern, auf die Verf. leider nicht eingeht, wie es wünschenswert gewesen wäre, ob nämlich die von ihm transplantierten Eierstöcke aus erwachsenen oder aus jungen Tieren entnommen waren. Ich erinnere hier an die Ver- suche von C. Foä, die ich schon eitiert habe und aus welchen zu ersehen ist, wie leicht die aus neugeborenen Tieren verpflanzten Eier- stöcke auf dem neuen Organismus anwachsen, sowohl wenn letzterer jung als wenn er erwachsen ist, und wie sich im letzten Falle der Entwicklungsgang des Ovariums bedeutend beschleunigt. Aus der Beschreibung, die uns Schultz von seinen verpflanzten Ovarien giebt, ist zu vermuten, dass es sich wenigstens im Falle 1 und im Falle 2 um Ovarien aus jugendlichen, wenn nicht aus neugeborenen Tieren, handelt; in der That schließt Verf. in angegebenen Fällen die Gegen- wart jedes reifen Follikels aus und spricht nur von Primärfollikeln; auch beschreibt er primäre Pflüger’sche Stränge: alle diese Eigen- schaften kommen den unreifen Eierstöcken zu. Wenn die betreffenden ÖOvarien reif gewesen wären, so hätte Schultz degenerierte reife Follikel gesehen, denn diese erhalten sich ja sichtbar bis ungefähr drei Wochen nach der Transplantation, wenn die Ovarien aussterben. Im Falle 4 enthalten nur wenige Follikel liguorem follieuli. Im Falle 3 sind diese schon zahlreicher und im Falle 5 (Verpflanzung im Weibchen) giebt es sogar corpora lutea. Nach den Untersuchungen von Foä ist es uns zu schließen erlaubt, dass wenigstens in 3 Fällen unreife Bierstöcke zu den Versuchen verwendet wurden. Der Unter- schied in der Entwicklung in den verschiedenen Fällen hängt von der ungleichen Dauer der Experimente (8, 21 und 107 Tage), von dem Alter des transplantierten Ovariums und von jenem der Versuchstiere ab. Man kann in derselben Weise auch die anderen zwei Fälle er- klären, wenn man annimmt, dass die Tiere, in denen die Eierstöcke 624 Herlitzka, Einiges über Ovarientransplantation, verpflanzt wurden, ganz erwachsen waren: die Versuchsdauer (45 und 55 Tage) rechtfertigt vollkommen nach den Angaben von Foä die Entwicklungsstufe dieser Eierstöcke. Wie auch immer, seien in allen 5 Fällen die Eierstöcke jugend- lich oder nicht, es leuchtet ein, dass die Experimente von Schultz meine Schlussfolgerungen nicht beeinträchtigen. Denn, wenn ich sage, dass der Eierstock, welcher schon an die Einflüsse einer Umgebung gewöhnt ist, sich einer anderen idioplasmatischen Umgebung nicht anpassen kann, so habe ich keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass die idioplasmatischen Beschaffenheiten zweier Individuen so viele Berührungspunkte besitzen, dass die Einflüsse, die von ihnen ausgehen, große Aehnlichkeit haben, und dass ein Gewebe, welches von einem beider Individuen abstammt, auch dem anderen angepasst sei. Dieses muss der Fall sein, wenn die beiden Versuchstiere unter einander verwandt sind, und desto mehr, je enger die Verwandtschaft ist, denn desto ähnlicher wird ihre idioplasmatische Beschaffenheit sein. Es wäre deshalb wünschenswert, zu wissen, ob unter den von Schultz verwendeten Tieren Verwandtschaftsbeziehungen bestanden. Meine Vorstellung über die bei der Transplantation waltenden Wirkungen führt deshalb gar nicht zur Verleugnung der Möglichkeit eines Gedeihens der von einem auf das andere Tier verpflanzten Eier- stöcke — ich selbst habe einen solchen Fall beschrieben — sondern zur Einsicht der großen Schwierigkeit dieser Fälle, welche uns um so größer erscheint, wenn wir an die Transplantation der Eierstöcke auf dasselbe Individuum denken, die fast ausnahmslos gelingen. Die positiven Erfolge von Schultz nehmen deshalb gar keine Kraft dem theoretischen Werte, den die zahlreichen Misserfolge anderer Autoren besitzen können: es ist nicht möglich, den Unterschied im Ausgang von so leichten Versuchen auf Reehnung der operativen Ein- griffe zu stellen. — Die Experimente von Schultz wiederstehen nur schwer einer Kritik, aber wenn auch die ausführliche Beschreibung, die Verf. von seinen Versuchen geben wird, meine Zweifel als unge- rechtfertigt nachweisen wird, so wird meine Vorstellung der Abhängig- keit des Idioplasmas der Eierzellen von dem übrigen Idioplasma keine Beeinträchtigung leiden: sie erscheint klar und notwendig aus meinen und aus den Versuchen anderer Autoren. Ich muss zum Schluss hervorheben, dass ich mit meinen Bemer- kungen den Wert der Untersuchungen von Schultz um nichts herab- setzen will: seine Versuche haben eine ganz andere Richtung, und dieser genügen vollkommen die von ihm beschriebenen Experimente. Turin. Mai 1900. [65] Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 1. Oktober 1900. Nr. 19. Inhalt: Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen, — Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse, (Zweites Stück.) — Wesenberg-Lund, Von dem Abhängigkeitsverhältnis zwischeu den Bau der Planktonorganismen und dem spezifischen Gewicht des Süßwassers. (Schluss.) Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen, (Bericht über die neuere Litteratur.) Von L. Jost. Unsere Kenntnisse über die Assimilation des Kohlenstoffs und des Stickstoffs in der grünen Pflanze haben sich auffallend ungleich ent- wickelt. Es ist bekannt, dass die wesentlichsten Momente der Kohlen- stoffassimilation schon am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahr- hunderts festgestellt worden sind: so die Herkunft des Kohlenstoffes aus der Kohlensäure der Luft; die Zerlegung der Kohlensäure und die damit verbundene Abgabe von Sauerstoff; die Bedeutung des Chloro- phylis und des Sonnenlichtes bei diesem Prozess. Ferner waren schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Kohlehydrate als die ersten Produkte der Synthese angesprochen worden und namentlich dureh Sachs wurde (1862) die Stärke als „erstes sichtbares Assimi- lationsprodukt“ bezeichnet. Wenn auch noch in den letzten 40 Jahren auf diesem Gebiete weitere Fortschritte gemacht worden sind — es sei an die Arbeiten von A. F.W.Schimper und A.Meyer hier in erster Linie erinnert — so treten sie doch quantitativ sehr zurück gegenüber der großen Litteratur, die sich in dieser Zeit über die Grundfragen der Stickstoffassimilation entwickelt hat. Diese Grund- fragen aber sind folgende: In welcher Form nehmen die Pflanzen den Stickstoff auf? An welchem Ort erfolgt die Stickstoffassimilation? Wie beteiligt sich dabei das Sonnenlicht? Welches sind die Produkte? Wie gesagt, die Untersuchungen über diese Fragen sind äußerst zahlreich, xXX, 40 626 Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. und wenn sie auch noch nicht zu einem einheitlichen Resultat geführt haben, so sind sie doch so sehr von allgemeinem Interesse, dass eine kurze, zusammenfassende Uebersicht auch in dieser Zeitschrift geboten sein dürfte. Wir müssen uns dabei von vornherein mehrere Beschrän- kungen auferlegen, wenn wir die Ausdehnung unseres Berichtes nicht übermäßig verlängern wollen. Wir betrachten nur die grünen Pflanzen (die Holophyten) und berücksichtigen nur die wichtigste neuereLitteratur, etwa vom Jahr 1896 an, also die Arbeiten, die in der 2. Auflage von Pfeffer’s Pflanzenphysiologie gar nicht mehr benutzt werden oder nur noch in den nachträglichen Anmerkungen erwähnt werden konnten. Auf irgend welche Vollständigkeit kann indess unser Bericht keinen Anspruch machen. Bei dieser Beschränkung fällt also wohl die wichtigste Entdeckung auf dem ganzen Gebiete nicht mehr in den Rahmen unseres Referates: die Feststellung der Thatsache, dass die ungeheure Masse von Stick- stoff, der in ungebundenem Zustand in der Atmosphäre vorhanden ist, für die Pflanzenwelt keineswegs völlig unverwendbar ist, wie man lange Zeit geglaubt hat. Die Konstatierung der Bindung des freien Stiekstoffes ist nicht nur für die Pflanzenphysiologie sondern für die gesamten Naturwissenschaften ein Resultat von weittragendster Be- deutung, das auch an Wichtigkeit dadurch nicht verliert, dass es nur für ganz wenige Pflanzen festgestellt ist, nämlich die knöllchentragen- den Leguminosen einerseits, das Clostridium Pasteurianum Wino- gradski’s andrerseits. Es ist nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens zwar sehr wahrscheinlich, dass noch manche andre farblose Organismen (besonders Pilze) in geringerem Grade den atmosphärischen Stickstoff auszunützen vermögen, sie sind aber zweifellos noch auf andre Quellen zur Deckung ihres Stickstoffbedarfes angewiesen. — Seit Boussingault gilt die Salpetersäure als beste Stickstoffquelle für das Gros der grünen Pflanzen; speziell ist festgestellt, dass sie im allgemeinen leichter assimilabel ist als Ammoniak. Es hat aber schon vor Jahren Beijerinck zunächst wohl die chlorophylifreien Pflanzen nach ihrem Stickstoffbedürfnis in 1. Salpetersäure bezw. Ammoniak- organismen, 2. Asparaginorganismen und 3. Peptonorganismen einge- teilt; er hat dann auch für gewisse grüne Algen (Chlorella, Scenedes- mus) nachgewiesen, dass sie zu den „Pepton“organismen gehören, da sie mit Pepton ungleich besser gedeihen, als mit jeder anderen Stick- stoffquelle.e Zu Beijerinck’s Angaben kamen bald solche von Krüger, und man erkannte, dass manche grüne Organismen sich an Chlorella anschließen, also in der Salpetersäure ganz und gar nicht die beste Stickstoffnahrung finden. Voraussichtlich werden genauere Untersuchungen noch manche „Pepton“organismen unter den grünen Pflanzen aufdecken (vor allem wird man an die Insektivoren denken); Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. 627 hier soll nur noch der Untersuchungen Artari’s gedacht werden, nach denen auch die als Gonidien in den Flechten Xanthoria parietina und Gasparrinia murorum lebenden Algen mit Pepton am besten gedeihen, und bei gleichzeitiger Zufuhr von löslichen Kohlehydraten sogar im Dunkeln zu dauerndem Wachstum (mit Chlorophylibildung!) befähigt sind. Dieses Ergebnis ist von entschiedenem Interesse, weil es geeignet erscheint, das symbiotische Zusammenleben von Alge und Pilz als Flechte verständlich zu machen. Waren auch die Vorteile des Pilzes in dieser Genossenschaft schon lange einleuchtend, so konnte man sich doch nicht so recht erklären, worin die Alge durch die Symbiose ge- fördert wird. Durch Artari’s Studien ist nun wahrscheinlich gemacht, dass der Pilz der Alge Pepton als Gegendienst für die empfangenen Kohlehydrate liefert. Sollte es sich bestätigen, dass Pilze im stande sind, leicht Pepton zu bilden, etwa aus den verwesenden Substanzen des Humus!) oder aus dem Stickstoff der Luft?), dann läge es nahe, auch für das weitverbreitete, symbiotische Verhältnis der „Mycorrhiza“ eine ähnliche Erklärung zu suchen; auch hier könnte der Pilz — wenigstens in vielen Fällen — von der höheren Pflanze Kohlehydrate erhalten und Pepton dafür liefern 3). Es wäre ja freilich erst noch zu erweisen, dass so viele höhere Pflanzen zu den Peptonorganismen gehören. Un- wahrscheinlich ist das aber nicht. Es ist eben immer nur eine ver- hältnismäßig kleine Anzahl von Pflanzen auf ihr Stickstoffbedürfnis hin geprüft worden und wenn es geschah, wurde zumeist die Wasser- kulturmethode verwendet, die bei aller Trefflichkeit, doch auch wieder die Schattenseite hat, den Pflanzen nicht die normalen Lebensbedin- gungen zu gewähren. In dieser Hinsicht braucht nur daran erinnert zu werden, dass man durch diese Methode auch nicht den leisesten Anhaltspunkt dafür erhält, dass die Leguminosen den atmosphärischen Stickstoff zu verwenden vermögen. Uebrigens liegen schon seit langer Zeit Versuche vor, die grünen Pflanzen mit organischen Stiekstoffverbindungen zu ernähren. Eine ganze Anzahl von Vegetationsversuchen haben gezeigt, dass Harnstoft, Glycocoll, Asparagin, Leucin, Tyrosin, Guanin, Kreatin, Hippursäure, Harnsäure, Acetamid, Propylamin vielen Phanerogamen als Stickstoft- 4) Nach Reinitzer sollen sogar die echten „Humin“substanzen den Pilzen als Stiekstoffquelle dienen können. 2) Nobbe und Hiltner haben gezeigt, dass Podocarpus durch seine Mycorrhiza-Pilze zur Assimilation des freien Stickstoffs befähigt wird und nach einer neueren Angabe von Hiltner bewirkt auch der in Lolium temulentum, in den oberirdischen Organen lebende Pilz ebenfalls die Verwertung des Luft- stickstoffes. 3) Während ich diese Zeilen schreibe, erhalte ich Stahl’s neueste Ab- handlung: „Der Sinn der Myceorrhizenbildungen (Jahrb. wiss. Bot., Bd. 34, 1900), Hier wird die Mycorrhiza ganz anders gedeutet und es liegt mir schr fern, dieser Deutung durch obige Bemerkungen etwa entgegentreten zu wollen. 40* 628 Jost, Die Stiekstoffassimilation der grünen Pflanzen. quelle dienen können (Litteratur bei Pfeffer 1897, S. 397). Es mögen bei diesen Versuchen wohl manche der verwendeten Stoffe schon außer- halb der Pflanze zersetzt worden sein, wenn es auch gewiss nicht bei allen der Fall war; jedenfalls wäre eine Nachuntersuchung unter Berücksichtigung der modernen Kautelen gegen Bakterienwachstum nur erwünscht. Eine solche liegt wenigstens z. T. in einer Arbeit von Lutz vor. Er zeigt, dass bei strengem Ausschluss von Mikroorganismen sowohl Phanerogamen, wie Algen und Pilze eine Reihe von Aminen unzersetzt aufnehmen und als einzige Stickstoffquelle verwenden können. So wurde eine Zunahme der Trockensubstanz und speziell des Stick- stoffgehaltes bei den Versuchspflanzen durch die Chloride von Methyl|-, Aethyl-, Propyl, Butyl- und Amylamin erzielt. Andrerseits erwiesen sich Tetramethylammonium, Tetraäthylammonium, ferner Allylamin, Benzylamin, Pyridin, schließlich Glycolamin, Betain, Leuein, Tyrosin als ungeeignet, und Naphthylamin, Diphenylamin und Anilin waren sogar direkt giftig. Auch sämtliche zur Untersuchung kommenden Alkaloide konnten nicht assimiliert werden. Speziell bezüglich des Tyrosins und Leucins widersprechen diese Angaben den älteren Be- fanden und man wird Schulze (Ber. d. bot. Ges., 1900) Recht geben, wenn er die Resultate Lutz’s schon aus dem Grunde für nicht ein- wandfrei hält, weil sie in viel zu kleinem Maßstab ausgeführt wor- den sind. Der in die Pflanze eingeführte Stickstoff wird früher oder später wohl seiner Hauptmasse nach zu Eiweiß. Die Frage, wo diese Eiweiß- synthese vor sich geht, hatte schon Sachs beschäftigt, und er wies z. B. in seinen „Vorlesungen“ (1882) auf die Siebröhren als Ent- stehungsort des Eiweißes hin, ohne indess seine Entstehung an anderen Stellen zu leugnen. Er stützte sich bei dieser Hypothese ganz be- sonders auf die Anhäufung von Kalkoxalat in der Nähe der Siebröhren. (Auf die hypothetische Beziehung zwischen Kalkoxalat und Eiweiß soll hier nicht eingegangen werden.) Auch A. F. W. Sehimper ver- wendete wenige Jahre später die Verteilung des (sog. „sekundären‘“) Kalkoxalates zu Schlüssen auf die Eiweißbildung. Er bemerkte an Laubblättern, die am Licht gehalten waren, ein Verschwinden des Salpeters gleichzeitig mit dem Auftreten des Oxalates; die gleichen Blätter aber häuften im Dunkeln den Salpeter an. So kam er zu der Vorstellung, dass nicht nur die Blattlamina im allgemeinen als Laboratorium der Eiweißsynthese zu betrachten sei, sondern dass auch speziell die Chlorophylikörner an der Reduktion der Nitrate beteiligt seien, indem sie hier die gleiche Rolle spielten wie bei der Kohlen- stoffassimilation; die Aehnlichkeit beider Prozesse sei noch dadurch vergrößert, dass m beiden Fällen das Sonnenlicht unentbehrlich sein Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. 629 soll!). So war eine scharf formulierte Theorie der Eiweißbildung in der Pflanze gewonnen, die zwar der exakten Begründung noch ent- behrte, die aber zum mindesten das eine große Verdienst hatte, dass sie den Weg zu experimenteller Behandlung der Frage eröffnete, der von da ab häufig beschritten worden ist. Eine volle Bestätigung von Schimper’s Ansicht brachten nun freilich die neueren Unter- suchungen nicht. Es kann zwar keinem Zweifel unterliegen, dass das nach Schimper in belichteten Blättern erfolgende Verschwinden der Nitrate mit der Eiweißbildung zusammenhängt, fraglich aber bleibt, ob dabei das Chlorophyll und das Licht direkt mitwirken, oder nur indirekt, insofern als die bei der Kohlenstoffassimilation entstehenden Kohlehydrate besonders geeignet sind mit der Salpetersäure zu Eiweiß zusammenzntreten. Ob aber die Eiweißbildung ausschließlich an Licht und Chlorophyll (sei es nun direkt oder indirekt) gebunden sei, oder ob dieser Prozess wenigstens unter gewissen Bedingungen auch im Dunkeln und dann wohl ohne Mitwirkung des Chlorophylis vor sich gchen kann, darüber geben Schimper’s Untersuchungen keinen Auf- schluss und sie konnten das auch nicht, da die ausschließlich ver- wendete mikrochemische Methode eben zur Entscheidung solcher Fragen durchaus nicht genügt. — Auf dem Wege der quantitativen chemischen Analyse traten zuerst, fast gleichzeitig, Laurent und Godlewski unserer Frage näher. Laurent, der mit Marchal und Carpiaux zusammen arbeitete, ließ die Versuchspflanzen in einer Nährlösung wachsen, die außer den üblichen Aschenbestandteilen entweder Salpeter- säure oder Ammoniak als Stickstoffquelle enthielt, und welcher, um einem Mangel an Kohlehydraten vorzubeugen, stets Saccharose bei- gegeben wurde. Die Analyse stellte dann fest, ob eine Zunahme des organisch gebundenen Stickstofis (Eiweiß, Amide, Asparagin) statt- gefunden hat oder nicht. Die Verf. kamen zu folgenden Resultaten: 1. Nur die grünen Blätter vermögen Salpetersäure zu assimilieren. Das Licht ist dabei unentbehrlich und zwar sind die stärker brech- baren Strahlen wirksamer als die anderen. Ammoniak wird durch grüne Blätter auffallend schlechter verarbeitet als Salpetersäure. 2. Dagegen assimilieren panachierte (chlorophyllfreie) Blätter das Ammoniak leicht, wiederum nur unter Beihilfe des Lichtes und zwar der stärker brechbaren Strahlen. Wenn wirklich blaues und violettes Licht von besonderer Wichtig- keit für die Stickstoffassimilation ist, so wäre manche vom biologischen Gesichtspunkt aus bisher unverständliche Thatsache aufgeklärt. Wir wissen, dass die stark brechbaren Strahlen sowohl für die Ausgestal- tung der Pflanze, wie auch für die Ausführung von Bewegungen viel maßgebender sind, als die roten und gelben. Es musste aber z. B. 1) Nach Laurent ist Pagnoul früher als Schimper zu dem gleichen Resultat gekommen, 630 Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. auffallen, dass die Pflanze durch Phototaxis oder Heliotropismus grade stärker brechbare Strahlen aufsucht, während doch für die schwächer brechbaren eine bessere Wirkung bei der Kohlensäurezerlegung nach- gewiesen war. Durch Laurent’s Angaben wäre also die Wirksam- keit der stärker brechbaren Strahlen bei den Bewegungserscheinungen biologisch einigermaßen aufgeklärt und auch für die Deutung der im Dunkeln oder im roten und gelben Licht zu beobachtenden Anomalien der Gestalt ergäben dieselben wertvolle Fingerzeige. — Allein andere Autoren sind zu anderen Resultaten gelangt, ohne dass man im ein- zelnen die Gründe dafür angeben könnte. Godlewski hat Weizen- pflänzchen im Licht und im Dunkeln mit Nitraten ernährt, doch ver- hinderte er durch Kohlensäureentziehung eine Kohlenstoffassimilation der Lichtpflanzen, um so vergleichbare Resultate zu bekommen. Im Gegensatz zu Laurent konnte er feststellen, dass Nitrate auch im Dunkeln in organische Verbindungen übergeführt werden, wahrschein- lich handelt es sich um Amide oder ähnliche Körper; eine Eiweiß- bildung findet aber unter diesen Umständen nicht statt, dazu bedarf die Pflanze des Lichtes. — Was die Differenzen gegenüber Laurent betrifft, so hält Godlewski es für wohl möglich, dass sie wenigstens zum Teil durch Unterschiede in den angewandten chemischen Methoden bedingt seien. Aber auch gegen Godlewski’s Schlüsse aus seinen eigenen Beobachtungen sind erhebliche Einwendungen gemacht worden. So hat Schulze auf die Möglichkeit hingewiesen, dass im Dunkeln zwar konform Godlewski’s Angaben der Eiweißgehalt abnehme, es könne aber trotzdem eine Eiweißbildung stattfinden. Was die Ana- Iyse ergiebt, ist ja nur die Differenz zwischen Bildung und Verbrauch des Eiweißes und wenn im Dunkeln der Verbrauch überwiegt, am Licht die Bildung, so würde das in vollem Einklang mit den Analysen stehen, man dürfte aber nicht auf mangelnde Eiweißbildung im Dunkeln schließen. Eine andersartige Ueberlegung führt Goldberg gegen Godlewski an. Er sagt, die keimenden Gerstenpflanzen be- stehen aus zwei Teilen, die sich außerordentlich verschieden verhalten: dem Endosperm, das seinem Ende entgegengeht, dem Keimling, der in Entwicklung begriffen ist. Diese beiden Teile müssen bei der Analyse getrennt werden. In der That ergiebt sich dann bei Dunkelkultur ein ganz anderes Resultat: im Endosperm nehmen die Proteine ab, im Keim nehmen sie zu. Da es aber unwahrscheinlich erscheint, dass die Proteine als solche vom Endosperm in den Keimling gelangen, so müssen sie in ihm aus „Nichtproteinen“ gebildet werden, womit eben eine Eiweißbildung unabhängig vom Licht wahrscheinlich ge- macht wäre. — Der exakte Beweis für im Dunkeln erfolgende Eiweiß- bildung ist aber erst durch Zaleski geführt worden. Er fand bei Helianthus-Blättern, die auf einer Knop’schen Nährlösung mit reich- lichem Saccharosezusatz mit Ausschluss des Lichtes kultiviert wurden, Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. 631 eine erhebliche Zunahme des Eiweißstickstoffes — man muss freilich diese Zunahme auf die Blattflächeneinheit berechnen und darf sie nicht auf die Trockensubstanz beziehen, denn die Blätter nehmen so viel Saccharose auf, dass durch Zunahme der Trocken- substanz ein scheinbarer Stickstoffverlust bedingt sein kann. In einer zweiten Versuchsreihe ließ er Zwiebeln in destilliertem Wasser keimen. Sie vermehrten im Dunkeln ihren Eiweilsgehalt recht erheb- lich auf Kosten von nicht näher bekannten, in ihnen enthaltenen Stick- stoffsubstanzen. Zweifellos wird hier die Eiweißbildung durch die große Menge von reduzierendem Zucker begünstigt. — Auch eine Arbeit Palladin’s muss an dieser Stelle erwähnt werden. Dieser Autor ließ etiolierte Blätter von Vicia faba auf reiner Saccharoselösung vegetieren und untersuchte, ob sie auf Kosten von in ihnen vorhandenen N-Sub- stanzen Eiweiß zu bilden vermögen. (Wir sehen an dieser Stelle davon ab, dass es Palladin nicht nur auf Eiweiß überhaupt, sondern speziell auf das im Magensaft unlösliche Eiweiß ankam.) Er konnte unter diesen Umständen sehr energische Eiweißbildung am Licht kon- statieren und fand auch (wie Laurent), dass die stärker brechbaren Strahlen besser wirken als die schwach brechbaren; aber auch im Dunkeln war eine deutliche Eiweißbildung zu erkennen. Da also die eben besprochenen Arbeiten, obwohl sie sich der exaktesten Methode, der mühevollen und zeitraubenden 'quantitativen Analyse bedienten, doch nicht zu übereinstimmenden Resultaten ge- kommen sind, so ist es begreiflich, dass man von neuem den Versuch gemacht hat mit der bequemeren, mikrochemischen, also qualitativen Methode zum Ziel zu kommen. Die hierher gehörigen Arbeiten ver- suchen dem Problem vielfach auf mehr indirektem Wege beizukommen, indem sie meist nicht ausschließlich von der Verarbeitung von Salpeter oder Ammoniaksalzen, sondern von komplizierteren organischen Stick- stoffverbindungen ausgehen. Dabei knüpfen sie an die Untersuchungen Pfeffer’s aus dem Jahre 1872 und 1873 an, in welchen gezeigt wor- den war, dass bei der Keimung der eiweißreichen Leguminosensamen Asparagin entsteht und bei Dunkelkultur sich in enormen Massen an- häuft; unter dem Einfluss des Lichtes verschwindet es dann wieder, jedoch nur, wenn die Bedingungen der Kohlenstoffassimilation gegeben sind. Es muss also offenbar das Asparagin unter Mitwirkung der Assimilationsprodukte zu Eiweiß regeneriert werden. Kurz darauf (1878) zeigte Borodin die allgemeine Verbreitung des Asparagins; überall entsteht es aus Eiweiß und kann besonders durch Dunkelkultur zur Anhäufung gebracht werden, andrerseits wird es auch wieder bei Gegenwart von geeigneten Kohlehydraten in Eiweiß rückverwandelt. Nieht alle Kohlehydrate sind dazu geeignet; Borodin bezeichnete die Glykose als günstigstes Material zur Eiweißbildung aus Asparagin. Und 632 Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. so lag es nahe, die Eiweißregeneration nicht nur durch im Licht von der Pflanze selbst erzeugte Kohlenhydrate realisiren zulassen, sondern sie auch im Dunkeln dadurch herbeizuführen, dass man in die Pflanzen Glykose oder andre geeignete und leicht eindringende organische Substanzen einführte. Je nach Umständen musste so eine schon vorhandene Asparaginanhäufung zum Schwinden gebracht oder gleich von vornherein die Anhäufung verhindert werden. Der Versuch scheint zuerst von Monteverde ausgeführt worden zu sein, dem es mit bestem Erfolg bei Syringa gelang durch Zufuhr von Glykose, Rohrzucker oder Mannit das Auf- treten von Asparagin zu verhindern. Später hat auf Veranlassung von Loew Kinoshita bei etiolierten Keimlingen von Soja hispida ein gleiches Resultat mit Glycerin und auch — freilich schlechter — mit Methylalkohol erzielt. — In methodischer und umfassender Weise hat aber dann erst Hansteen Versuche in dieser Richtung angestellt, die in ausführlicher Darstellung erst vor kurzem erschienen sind, nach- dem schon 1896 eine vorläufige Mitteilung erfolgt war. Er verfuhr insofern abweichend von Monteverde und Kinoshita, als er nicht nur Kohlehydrate (Glykose und Rohrzucker), sondern vor allen Dingen auch die stickstoffhaltige Substanz von außen zuführte nicht in der Pflanze selbst bilden ließ. Auch beschränkte er sich dabei keineswegs auf das Asparagin, sondern er verwendete außerdem noch: Ammonverbindungen, Salpetersäure, Glutamin, Glycocoll, Harnstoff, Leuein, Alanin und Kreatin. Von der Anwendung von Asparaginsäure, Hippursäure und Tyrosin musste er wegen der Giftigkeit dieser Körper absehen. Als Versuchspflanzen kamen einmal Vicia faba und Rieinus zur Verwendung, in welche die zu untersuchenden Substanzen in eigen- artiger Weise, die hier nicht im Detail besprochen werden kann, durch Wunden eingepresst wurde. Andrerseits verwendete er Lemna minor, die direkt durch ihr Wurzelsystem oder durch die Oberfläche der Sprosse die organischen Körper aufzunehmen vermochte. In beiden Fällen wurde auf sorgfältigste Ausschließung von Bakterien geachtet, die auf- fallender Weise in den meisten Fällen gelungen zu sein scheint; trat aber trotz aller Sorgfalt in einer Kultur dennoch Wachstum von Mikroben ein, so wurde diese nicht für die Resultate verwendet. Jeder Versuch dauerte nur ganz wenige Tage, man kann also keine Schlüsse ziehen, wie die Pflanzen auf die Dauer mit diesen Nährstoffen auskommen würden. Das Eindringen der Kohlehydrate und der Stickstoffverbin- dungen in die Pflanze konnte meistens auf mikrochemischem Weg, manchmal auch nur mit Hilfe der Plasmolyse festgestellt werden. Das aus Verbindung beider entstehende Eiweiß wurde mit Jod und Millon’s heagens nachgewiesen. In der kurzen Versuchsdauer einerseits, in der ausschließlichen Verwendung der Mikrochemie andrerseits liegen offenbar die schwächsten Punkte der Hansteen’schen Arbeit und in Anbetracht der interessanten Resultate zu denen sie geführt hat, wäre Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. 633 eine Nachuntersuchung mit quantitativen Methoden und mit längerer Versuchsdauer dringend zu wünschen. Es gelang Hansteen zu zeigen, dass Eiweißbildung im Dunkeln unter folgenden Bedingungen eintritt: 1. bei Zuführung von Asparagin, Glutamin und Ammonverbindungen nur bei Gegenwart von reduzierendem Zucker (Glykose); 2. bei Zuführung von Glykokoll nur mit Rohrzucker; 3. bei Zuführung von Harnstoff ebenso gut mit Rohrzucker wie mit Glykose. Andrerseits fand er Nitrate, Leuein, Alanin, Kreatin sowohl in Ver- bindung mit Rohrzucker wie mit Glykose durchaus ungeeignet zur Eiweißbildung. Als Hauptresultat wird man jedenfalls den Nachweis betrachten müssen, dass die Natur derKohlehydrate und der N-Substanz für den Erfolg von größter Bedeutung ist, eine Thatsache, die früher häufig ganz außer Acht gelassen worden war. In manchen Einzelheiten aber bestehen Widersprüche zwischen Hansteen’s Resul- taten und denen anderer Forscher, die wohl zum Teil durch die soeben besprochenen Mängel in seiner Untersuchungsmethode bedingt sind. So darf man, wie Hansteen selbst hervorhebt, nicht schließen, dass Kreatin und Leuein, die nach Wagner und Wolf für am Licht be- findliche Pflanzen den Gesamtstickstoffbedarf decken können, im Dunkeln ganz unbrauchbar zur Eiweißsynthese seien; es folgt aus Hs Ver- suchen nur, dass sie geringeren Nährwert haben als die anderen Sub- stanzen, aber möglicherweise findet man auch noch einmal ein Kohle- hydrat, das auch sie im Dunkeln rasch zu Eiweiß zu verwandeln ver- mag. Und das Gleiche wäre für die Nitrate zu bemerken. Thatsäch- lich sind denn auch für die Nitrate mehrere Autoren, die quantitativ gearbeitet haben, zu anderem Resultat gelangt, als Hansteen. Außer den schon oben besprochenen Befunden Zaleski’s, wären noch An- gaben von Ishizuka und Suzuki zu erwähnen, wenn wir die von Kinoshita, da sie von Laurent nicht bestätigt werden konnten, ganz bei Seite lassen. Ischizuka fand in Knollen im Dunkeln eine Zunahme von Asparagin auf Kosten von Nitraten (ähnliches hatte ja auch Godlewski nachgewiesen); wenn aber erst Asparagin ent- standen ist, dann muss dessen weitere Verarbeitung nach Hansteen’s Angaben keinen Schwierigkeiten begegnen. Auch Suzuki findet bei der Gerste ein Verschwinden des Nitrates, aber nur bei Gegenwart großer Mengen von Rohrzucker. — Es eröffnet sich also auch auf diesem Gebiete noch ein weites Feld der Forschung. Eine ganz besondere Stellung in der uns beschäftigenden Litteratur nehmen die Arbeiten von E. Schulze über die Zer- setzung und die Bildung von Eiweiß ein. Denn er hat sich nicht nur gelegentlich einmal mit dem Eiweißumsatz in der Pflanze beschäf- 634 Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. tigt, sondern er hat seit mehr als 20 Jahren unter Mithilfe zahlreicher Schüler in unermüdlicher und konsequenter Arbeit seine Forschungen vor allem auf die krystallisierbaren, organischen Stickstoffverbindungen, die in Keimpflanzen auftreten, gerichtet. Einige dieser Körper hat Schulze selbst entdeckt, von anderen hat er zuerst das Vorkommen in der Pflanze nachgewiesen. Vor kurzem hat er einen summarischen Ueberblick über seine diesbezüglichen Untersuchungen gegeben, der in durchaus allgemein verständlicher Form alle wichtigeren Fragen er- örtert und ein Faeit zieht. Wenngleich wir den Leser dieser Zeilen vor allem auf diese Abhandlung selbst aufmerksam machen möchten, so wollen wir doch nicht unterlassen, auf die wichtigsten Puukte hier einzugehen, zumal da auch schon wieder seit dem Erscheinen dieser Zusammenfassung mehrere neue Originaluntersuchungen Schulze’s erschienen sind. Die Körper, die bei der Keimung aufzutreten pflegen, sind, soweit sie eine Beziehung zur Eiweißzerspaltung haben, folgende: 1. Amide: Asparagin, Glutamin. 2. Amidosäuren: a) der Fettreihe: Leucin, Amidovaleriansäure, b) der aromatischen Reihe: Tyrosin, Phenylalanin. 3. Hexonbasen: Arginin, Histidin, Lysin. Es ist nun im höchsten Grad auffallend, dass im wesentlichen die gleichen Substanzen erhalten werden, wenn Eiweiß außerhalb der Pflanze durch Kochen mit Säuren zerlegt wird. Ein Unterschied zwischen der künstlichen und der in der Pflanze vor sich gehenden Eiweiß- zerspaltung liegt darin, dass bei ersterer kein Asparagin und Glutamin sondern die aus diesen bei Säurebehandlung auftretenden Stoffe: Am- moniak, Asparaginsäure, Glutaminsäure auftreten. Dieser Unterschied ist also ohne weiteres verständlich und man könnte, wenn man nur die Qualität der auftretenden Substanzen berücksichtigt leicht zu der Vorstellung gelangen, dass alle in der Keimpflanze auftretenden N-hal- tigen organischen Substanzen direkt aus der Eiweißzerspaltung her- rühren. Gegen diese Auffassung spricht aber die Verschiedenheit in der Quantität der einzelnen Stoffe bei der Pflanze bezw. bei der Säure- behandlung. Bekaunt ist, dass bei den Leguminosen und Gramineen das Asparagin, bei den Cruciferen und anderen das Glutamin, bei den Coniferen das Arginin in dominierender Menge auftritt. Aber das Ver- hältnis, in dem die einzelnen Substanzen bei einer bestimmten Pflanzen- art auftreten, ist keineswegs ein konstantes; es kann sogar vorkommen, dass die Substanz, die für gewöhnlich die Hauptmasse ausmacht, ge- legentlich einmal fast ganz fehlt. Pfeffer sucht (Pflanzenphysiologie, II. Aufl., I, 5.464) wahrscheinlich zu machen, dass in der Keimpflanze die Eiweißzerspaltung anders ausgeführt werde als durch Säuren ete. und dass sich dadurch manche Differenzen erklären. Schulze er- kennt diese Möglichkeit an, glaubt aber doch nicht, in ihr den wesent- Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. 635 lichsten Grund der Differenzen erblicken zu dürfen. Ihm scheint wahr- scheinlicher, dass in der Pflanze und außerhalb der Abbau des Eiweiß- moleküls sich in wesentlich gleicher Weise vollzieht. Die überall auftretenden Hexonbasen stammen von einem distinkten Molekülkomplex im Eiweiß her, vermutlich vom Protamin, die aromatischen Amido- säuren weisen auf einen aromatischen Kern im Eiweiß, aus welchem jedenfalls die Amidosäuren der Fettreihe nicht abstammen. Da aber ferner die Annahme unwahrscheinlich wäre, dass die Eiweißstoffe pri- märe Differenzen aufweisen — so bleibt nichts anderes übrig als zu vermuten, dass ursprünglich aus dem Eiweiß in der Pflanze die gleichen oder sehr ähnliche Verbindungen und in demselben Mengenverhältnis hervorgehen wie bei der hydrolytischen Zerspaltung, dass aber in der Pflanze weitgehende sekundäre Veränderungen auftreten. Beweise für eine solche nachträgliche Veränderung in der Zusammensetzung des Gemisches von organischen stickstoffhaltigen Körpern sind nun aber nicht schwer zu erbringen; folgende seien hier angeführt. 1. Zunächst können Veränderungen in der Zusammensetzung im Laufe der Keimung direkt durch die Analyse nachgewiesen werden. So! fand Schulze in 1wöchentlichen Keimlingen von Pisum: Leuein in Masse; Tyrosin spärlich; außerdem Hexonbasen. 2Wochen später war das Leuein an Masse bedeutend zurückgegangen, das Tyrosin verschwunden und auch Arginin nur noch in geringer Menge, dagegen fand sich sehr reichlich Asparagin. 2. Die Cotyledonen von Lupinus luteus, in welchen die Eiweißzersetzung doch erfolgt, enthalten Arginin und Amidosäuren, aber kein Asparagin; letzteres häuft sich aber im Keimstengel an, es muss also aus den anderen Stoffen entstanden sein. Entsprechendes gilt für Cueurbita, wo sich im Stengel Glutamin ansammelt, von dem in den Cotyledonen nichts zu finden ist. 3. Von besonderer Wichtig- keit sind natürlich quantitative Analysen. Diese zeigen, dass das Eiweiß anfangs rasch, später langsam zerfällt und dass die Asparagin- zunahme nicht Hand in Hand mit dem Verschwinden von Eiweiß sondern von Hexonbasen und Amidosäuren geht. — Auch für das Glutamin kann ähnliches nachgewiesen werden. In Summa kommt also Schulze zu folgender Ansicht: Das Eiweiß im Samen wird hydrolytisch zerlegt; es entstehen zuerst Albumosen und Peptone, die aber nicht angehäuft werden, sondern weiter in Amidosäuren und Hexonbasen zerfallen — daneben kann vielleicht auch Asparagin und Glutamin entstehen. Die so gebildeten Körper zerfallen dann noch weiter bis zu Ammoniak und aus diesem findet bei Gegenwart von Glykose die Bildung von Asparagin und Glutamin statt. Diese Amide sind also, jedenfalls der Hauptmasse nach, nicht Produkte der Zersetzung, sie stellen vielmehr schon die Anfänge der Synthese vor und ihre Bildung ist vom Zweckmäßigkeitsstandpunkt aus nicht unbegreiflich. Nach Hansteen’s Versuchen erscheinen ja 636 Jost, Die Stickstoffassimilation der grünen Pflanzen. die Amidosäuren, soweit sie untersucht sind, weniger geeignet zur Eiweißbildung als Ammoniak oder die beiden Amide. Eine Anhäufung von Ammoniak aber wäre unvorteilhaft, weil dieser Körper, dessen Vorhandensein übrigens mehrfach nachgewiesen wurde, in größerer Menge giftig wirkt. — Man nahm früher, als man glaubte, das Asparagin sei Hauptprodukt der Eiweißzersetzung, an, dass neben ihm noch Kohle- hydrate auftreten müssten; jetzt, wo man Grund zur Annahme hat, dass zunächst viel stickstoffärmere Körper gebildet werden, hat man keine Veranlassung mehr, dies zu glauben; Kohlehydrate sind also nur bei der Bildung von Eiweiß aus Asparagin und Glutamin nötig, ent- stehen aber nicht beim Eiweißzerfall. Das wäre der wesentlichste Inhalt von Schulze’s Arbeiten. Zu einer weiteren Diskussion seiner Ergebnisse ist hier nicht der Ort. Es ist schließlich noch auf die Fortschritte unserer Kenntnisse in der Chemie der Eiweißkörper selbst aufmerksam zu machen, wie sie durch zahlreiche Arbeiten der physiologischen Chemiker angebahnt worden sind, doch muss Referent einen eingehenderen Bericht über dieselben einer berufeneren Feder überlassen. — Ueberblicken wir die besprochene Litteratur zum Schluss noch einmal, so bestätigt sich, was eingangs gesagt wurde. Trotz zahlreicher Forschungen sind wir auf dem Gebiete der Assimilation des Stickstoffs noch lange nicht über die grundlegenden Thatsachen im klaren, aber das, was geleistet ist, macht es wahrscheinlich, dass wir in absehbarer Zeit zu diesem ersten Ziel gelangen werden. Dazu wird sich freilich dem Chemiker der Botaniker beigesellen müssen, quantitative und mikrochemische Analyse werden sich ergänzen und kontrolieren müssen, wenn nicht unter Auf- wand von viel Zeit und Arbeit doch schließlich nur einseitige und deshalb nicht befriedigende Resultate erhalten werden sollen. Litteratur. Artari (1899), Ueber die Entwicklung der grünen Algen unter Ausschluss der Bedingungen der Kohlensäureassimilation. (Bullet. d. natur. de Moscou, Nr. 1.) Beijerinck (1890), Botan. Zeitg. Derselbe (1893), Centralbl. f. Bakteriologie. Borodin (1878), Botan. Zeitg. Godlewski (1897), Zur Kenntnis der Eiweißbildung aus Nitraten in der Pflanze. (Anzeig. d. Akad. d. Wiss. in Krakau.) Goldberg (1899), Sur la formation des matieres proteiques pendant la germination du bl& a Vobseurite. (Revue de botanique, Bd. XI.) Hansteen (1899), Ueber Eiweißsynthese in grünen Pflanzen. (Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. 33.) (Vorl. Mitt.: Ber. bot. Ges., 1896.) Hiltner (1899), Centralbl. f. Bakteriol., II. Abt. Ishizuka (1897), Imp. Univers. Tokio. Coll. of Agrie. Bullet. 2. Kinoshita (1896), Referat in bot. Centralbl., Beihefte. Krüger (1894), Zopf£’s Beitr. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 637 Laurent, Marchal, Carpiaux (1896), Recherches experimentelles sur l’assimilation de lazote ammoniacal et de l’azote nitrique par les plantes superieures. (Bullet. Acad. Bruxelles, IV. Ser., T. 32.) Loew (1896), Chemikerzeitung. Ref.: Bot. Centralbl., 65, 302. Lutz (1899), Rech. sur la nutrition des vegetaux ä l’aide de substances azotces de nature organique. (Ann. sc. nat., ser. VIII, Bd. 7.) Monteverde (1890), Referat in bot. Centralbl., Bd. 45. Nobbe und Hiltner (1898), Landw. Versuchsstationen, 51. Palladin (1899), Revue de Botanique, Bd. 11. Pfeffer (1872), Jahrb. f. wiss. Botanik, Bd. 8. Derselbe (1873), Sitzungsber. d. Berliner Akademie, Derselbe (1897), Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., 1. Band. Reinitzer (1909), Botan. Zeitung. Sachs (1862), Botan. Zeitg. (Ges. Abhandl., I, S. 332.) Derselbe (1882), Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. Schimper (1888), Botan. Zeitung. Derselbe (1890), Flora. Schulze (1898), Ueber den Umsatz der Eiweißstoffe in der lebenden Pflanze. Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 24, 18 (kürzer auch in landw. Jahrb., Bd. 27). Derselbe, Zeitschr. f. phys. Chemie, 24, 276; 26, 1; 26, 411; 28, 465; 29, 4. Derselbe (1900), Berichte der deutsch. bot. Gesellsch., 18, 36. Suzuki (1898), Botan. Centralbl., 75. Zaleski (1897), Zur Kenntnis der Eiweißbildung. (Ber. d. deutsch. bot. Ges., Bd. 15. Den een Keimung der Zwiebeln von Allium Cepa und Eiweiß- bildung. (Ber. d. deutsch. bot. Ges., Bd. 16.) Nach Abschluss des Manuskripts wurden mir noch folgende Arbeiten bekannt: Rongger (1899), Landw. Versuchsstationen, Bd. 51, 89. Prianischnikow (1889), ebenda Bd. 51, 137. Derselbe (1899), ebenda Bd. 51, 347. Emmerling (1900), ebenda Bd. 54. [70] Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse. Von Dr. Walter Stempell, Privatdozent in Greifswald. (Zweites Stück.) Die Frage nach den feineren Vorgängen bei der Schalengenese durch Sekretion ist besonders in der neueren Litteratur eingehend dis- kutiert worden. In nachfolgendem will ich versuchen, die allgemeinen Ergebnisse dieser Forschungen im Zusammenhang darzulegen, und zwar werde ich zunächst die allgemeinen morphologischen und physiologi- schen Beziehungen zwischen Schale und Weichkörper, dann die mecha- nischen und chemischen Vorgänge bei der Sekretbildung und schließlich die Verwandlung dieses Sekretes in die fertige Schale besprechen. Durch genaue histologische Untersuchungen der gesamten Mantel- oberfläche und Schale wiesen vor allem Tullberg (1881), Moynier de Villepoix (1892e) und ich (1897 a,b u. 1899) nach, dass überall ein Epithel vorhanden sei, welches — von einigen noch zu erwähnenden Ausnahmen abgesehen — durch einen einfachen Sekretionsvorgang die 638 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Schale entstehen lässt. Wie schon früher von einigen Autoren (Gray 1835 p. 775, v. Heßling 1859 p. 244, Bronn 1862 p. 349, Winter 1896 p. 4) gelegentlich erwähnt wurde, sind auch zwischen den Zäh- nen des Schlosses Fortsätze des Mantels vorhanden, welche, wie ich 1897a p. 18, 19, 1897b p. 18—21) speziell an taxodonten Muscheln gezeigt habe, von Epithel bedeckt sind und hier die Absonderung der Schlosszähne besorgen — ein Befund, der die ganze Schale mit ihrer gesamten inneren Skulptur als einen genauen Abguß der Weichteile erscheinen lässt. Der epitheliale Charakter der schalen- bildenden Zellen ist nur in einem Falle von Thiele (1893 p. 226, 240) in Abrede gestellt worden. Thiele fand nämlich, dass sieh bei Arca das Epithel des Mantelrandes nicht direkt in das übrige Mantelepithel fortsetzte, sondern dass beide Arten von Epithel durch eine kleine Lücke getrennt waren. Er glaubt daher das Mantelflächenepithel nicht als eigentliches Epithel ansprechen zu dürfen, und spricht die Vermutung aus, dass es durch Umwandlung bindegewebiger Elemente entstanden sei. Dagegen ist aber, wie ich schon an anderer Stelle (1897b p. 28 Fußnote) ausgeführt habe, zu bemerken, dass bei anderen Formen von einer derartigen Diskontinuität der Mantelepithelien keine Spur zu sehen ist, vielmehr geht bei den zahlreichen, von mir untersuchten Muscheln das Mantelrandepithel ganz allmählich in das Epithel der Mantelfläche über. Da uns nichts zu der Annahme berechtigt, dass in dieser Be- ziehung tiefgreifende Unterschiede zwischen den einzelnen Formen be- stehen, so dürfte der Thiele’sche Befund wohl lediglich als Artefact zu deuten sein und könnte daher keine theoretische Wichtigkeit bean- spruchen. Außerdem wird die Thiele’sche Hypothese aber auch direkt durch die entwicklungsgeschichtliche Thatsache widerlegt, dass die ge- samten Mantelepithelien aus der am Mantelrand vorrückenden Epithel- zone hervorgehen. Nicht nur die Innenfläche der Schale steht in einer innigen morpho- logischen Beziehung zum Weichkörper des Tieres, sondern auch für die äußere Schalenskulptur lassen sich derartige Beziehungen nachweisen. Die hier häufig vorkommenden Haare, Stacheln, Höcker, Leisten und Furchen können auf verschiedene Weise gebildet werden. Im einfachsten Falle sind sie in dem die äußeren Schalenteile erzeugenden Mantel- rand morphologisch vorgebildet, d. h. es entsprechen den Skulpturen der Schale ähnliche Erhöhungen desMantelrandes (Leydig 1850 p. 135, Johnston 1853 p. 279, Bronn 1862 p. 421, Zittel 1881—1885 p. 8, v. Martens 1883 p. 15, Gräfin Linden 1896 p. 299, 305). Bei wei- terem Schalenwachstum bleiben dann nur die äußeren Schalenerhebungen bestehen, während die gewissermaßen „negativen“ Unebenheiten an der inneren Schalenfläche mit Schalensubstanz ausgefüllt werden. Wenn auf diese Weise Längsreihen von Knötchen oder Warzen entstehen, so wird man annehmen müssen, dass das Vorrücken des Mantelrandes nicht Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schnecekenschalen. 639 gleichmäßig, sondern sprungweise in regelmäßigem Rhythmus erfolgt ist, da anderenfalls doch aus jeder Warze des Mantelrandes eine un- unterbrochene Längsrippe hervorgehen müsste (Gräfin Linden 1896 p. 298, 299). Wenigstens scheint mir diese Erklärung plausibler als die andere, dass die Mantelrandwärzchen in regelmäßigem Rhythmus immer wieder neu gebildet würden. Außerdem können die Skulp- turen der Schale auch rein physiologisch im Mantelrand präfor- miert sem (v. Martens 1853 p. 71, Simroth 1895 p. 145, 1896 p. 27, 1899a p. 246, Gräfin Linden 1896 p. 305); so können Längsrippen bei Gastropodenschalen dadurch zu stande kommen, dass an bestimmten Stellen des Mantelrandes kontinuierlich eine stärkere Kalkabscheidung stattfindet (v. Martens 1883 p. 71), und bei rhythmischem Schalenwachstum können auch hier aus den Längs- rippen Reihen von Knötchen werden (Simroth 1896 p. 27). Quer- rippen endlich können durch periodisch verstärkte Kalkabsonderung am ganzen Mantelrand entstehen (v. Martens 1883 p. 71). Gewisse Schalen- skulpturen scheinen in der Weise erzeugt zu werden, dass die Skulptur- elemente von einem der Außenfläche des Schalenrandes gegenüberlie- genden Epithel secerniert und dann gewissermaßen auf die Schale,auf- geklebt werden; in dieser Weise sollen z.B. die Stacheln der Modiola modiolus-Schale nach Tullberg (1881 p. 32, 33) vom Fuß, und die Haare von Helix hispida nach M. de Villepoix (1892e p. 609) von einem der Bildungsstätte des Periostracums gegenüberliegenden Epithel gebildet werden. Mit dem allgemeinen Nachweis, dass die Beziehungen zwischen Weichkörper und Schale überall durch ein Epithel vermittelt werden, war erst die sichere anatomische Basis geschaffen, auf welcher weitere Untersuchungen über die intimeren Vorgänge bei der Sekretbildung weiterbauen konnten. Einmal lag die Frage nahe: wie ist es zu er- klären, dass aus diesem Epithel an vielen Stellen so verschiedenartige Stoffe, wie Conchiolin und Caleiumkarbonat hervorgehen können, die bekanntlich, von geringfügigen Beimischungen anderer Substanzen ab- gesehen, die beiden Hauptbestandteile der Kalkschale ausmachen?!) Hier ist nun erst die Vorfrage zu beantworten, ob die genannten Be- standteile in der fertigen Schale nur mechanisch gemischt oder aber, wie öfter behauptet wurde (v. Hessling 1859 p. 251, Keferstein 1862—1866 p. 913), chemisch verbunden sind. Nach Keferstein soll wenigstens ein Teil des Kalkes mit dem Conchiolin chemisch verbun- den sein, und diese Verbindung soll seiner Meinung nach hauptsächlich die Schwerlöslichkeit der Molluskenschalen in kohlensäurehaltigem 4) Ob das Conchiolin in manchen Schalen ganz fehlt — wie z. B. Sim- roth (1892-—1894 p. 396) von der Dentaliumschale angiebt —, scheint mir vor der Hand noch recht zweifelhaft. Wahrscheinlich ist es auch in diesen Fällen wenigstens in geringer Menge vertreten. 640 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Wasser bedingen. Indessen, wie schon Bischof (1855 p. 1137—1139, 1863 p. 587—589)!) bemerkt und auch Krukenberg (1836 p. 245) betont, ist diese Eigenschaft der Molluskenschale wohl einfacher auf den rein mechanischen Schutz zurückzuführen, den die zahlreichen Conchiolinlamellen den zwischen sie eingelagerten Kalkplatten gegen chemische Einflüsse gewähren, und es liegt daher kein zwingender Grund vor, eine chemische Verbindung beider anzunehmen. Zur Lö- sung der oben aufgeworfenen Frage nach der Herkunft von Conchiolin und Kalk bieten sich nun unter dieser Voraussetzung zwei Möglich- keiten. Entweder werden beide Stoffe zusammen in chemischer Ver- bindung abgeschieden, und es findet durch extracelluläre, chemische Prozesse ein nachträglicher Zerfall dieser Verbindung statt, oder aber sie werden bereits chemisch gesondert vom Tierkörper geliefert. Die Mehrzahl der Forscher versuchte es zunächst mit jener Theorie extracellulärer chemischer Prozesse, welche bereits von C. Schmidt (1845 p. 56) weiter ausgebildet worden war. Schmidt ging davon aus, dass sich im Muschelblut neben wenig Gips, Chlornatrium und vielem Caleiumphosphat eine „eigentümliche“ sehr labile Verbindung von Albumin und Kalk, sogenanntes „neutrales Kalkalbuminat“, befin- den sollte. Da er nun ferner in dem zwischen Mantel und Schale be- findlichen Schleim bei Säurebehandlung nur eine unbedeutende Gas- entwickelung wahrnehmen konnte, während Oxalsäure darin einen starken — aber von Schmidt nicht quantitativ bestimmten — Nieder- schlag von oxalsaurem Kalk und Albumin hervorbrachte, so glaubte er annehmen zu dürfen, dass der Kalk keineswegs schon als Caleium- karbonat abgesondert würde, sondern dass aus jenem im Muschelblut gefundenen neutralen Kalkalbuminat durch Abspaltung von freiem Albu- min zunächst ein ebenso mystisches basisches Kalkalbuminat entstehe, welches dann von den Epithelzellen abgesondert würde und extracellulär durch die Kohlensäure der Luft oder des Wassers in Caleiumkarbonat und Albumin, d. h. kalkige Schalensubstanz und Conchiolin zerlegt werden sollte (ef. auch Meckel 1856 p. 24, v. Hessling 1859 p. 260, Voit 1860 p. 487, Keferstein 1862—1866 p. 913, 916, Hazay 1881 p. 63, Ehrenbaum 1885 p. 35, Simroth 1899a p. 236, 254). Man sieht, dass hier der Hypothesenbildung und dem Operieren mit mehr oder minder unklaren chemischen Begriffen ein überaus weiter Spiel- 4) Wenn Keferstein (1862- -1866 p. 913) und Krukenberg (1886 p. 244) angeben, dass Bischofin seinem „Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie“ eine chemische Verbindung zwischen Conchiolin und Kalk angenom- men hätte, so beruht dies auf einem Irrtum; denn sowohl in der ersten (1855) wie in der veränderten zweiten (1863) Auflage dieses Werkes vertritt Bischof gerade den entgegengesetzten Standpunkt, indem er die Schwerlöslichkeit der Schalen allein auf die mechanisch schützende Wirkung des Conchiolins zu- rückführt, Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 641 raum bleibt (ef. Stempell 1897b p. 10). Dieser Mangel an fester Basis und die Unsicherheit des ganzen Verfahrens legten es von vornherein nahe, sich nach einer anderen Erklärung umzusehen. Da- zu kommen noch einige weitere Gründe, welche die Theorie extracel- lulärer chemischer Prozesse äußerst gewagt erscheinen lassen. Denn wenn Kalk und Conchiolin in chemischer Verbindung, d. h. in einem konstanten Mengenverhältnis, vom Tierkörper abgesondert würden, so wäre nicht zu verstehen, wie das gegenseitige Mengenverhältnis von Conchiolin und Kalk nicht nur in verschiedenen Schalenteilen, sondern auch sogar innerhalb einzelner Schalenelemente variieren kann. Der- artige Verschiedenheiten kommen nun aber gar nicht allzu selten vor; man denke nur an die verschieden dieken Querlamellen, welche häufig die Prismenschicht der Unionen durchsetzen (cf. M. de Villepoix 1892c p. 623), oder an die unregelmäßigen, von örtlich verstärkter Conchiolinabscheidung herrührenden Flecken, welche an der Perlmutter- schicht vieler Unionen bemerkbar sind (ef. darüber Winter 1896). Können wir das Zustandekommen aller dieser Bildungen anders er- klären, als durch die Annahme, dass die spezifische Kalksekretion selbst an denjenigen Stellen, wo sie normalerweise stattfindet, unter gewissen Umständen zeitweise unterbrochen wird (ef. Shuttleworth 1843 p. 53), während die Conchiolin-Abscheidung nach wie vor stattfindet? Wie ver- trägt sich das aber mit der Hypothese, dass beide Stoffe in konstanter chemischer Verbindung abgesondert werden? Aus allen diesen Gründen wird man also gut thun, das chemische Laboratorium, welches die Sonderung resp. Bildung von Conchiolin und Kalk besorgt, im Tierkörper selbst zu suchen. Wir fragen zunächst: Wie haben wir uns den chemischen Bildungsprozeß vorzustellen, welcher Conchiolin und kohlensauren Kalk im Tierkörper entstehen läßt? Am wenigsten Sicheres lässt sich in dieser Beziehung über die Her- kunft und Bildungsweise des Conchiolins sagen. Wir wissen nur, dass dieser zuerst von Fr&my (1855 p. 96, 97) chemisch bestimmte und benannte Stoff durch Umwandlung von Eiweißkörpern und amyloiden Substanzen entsteht, ohne aber über die genaueren chemischen Prozesse, welehe die Umwandlung bewirken, irgend etwas Sicheres aussagen zu können. Es scheint, als ob die Gegenwart von nascierendem Caleium- karbonat dabei eine wichtige Rolle spielt. Wenigstens zeigen Versuche, die besonders Harting (1872) und Steinmann (1889, 1599) mit flüssigem Eiweiß und nascierendem Caleiumkarbonat angestellt haben, dass die Albumine sich bei Gegenwart dieses Körpers auch künstlich in eine Modifikation überführen lassen, die sich scheinbar nur durch den Mangel an amyloiden Substanzen von natürlichem Conchiolin unter- scheidet (ef. Harting 1872 p. 58). Da der naseierende, kohlensaure Kalk nicht direkt an der Umwandlung beteiligt ist, sondern nur durch seine Gegenwart wirkt, so wird man annehmen dürfen, dass der Kalk XX, 41 642 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. auch im lebenden Tierkörper bei der Bildung des Conchiolins besten- falls eine indirekte Rolle spielt. Ferner könnte man aus jenen Ver- suchen mit einiger Wahrscheinlichkeit schließen, dass der kohlensaure Kalk der Schale im lebenden Tierkörper nicht aus albuminoiden Cal- ciumverbindungen, sondern aus anderen hier vorhandenen Kalksalzen hervorgeht. Ueber die speziellere Frage, ob diese Kalksalze schon Karbonate sind, oder andere Kalksalze, gehen die Meinungen zur Zeit noch auseinander. Als ursprüngliche Bezugsquelle dürften wohl die verschiedensten Kalksalze dienen, wie sie sich unter den jeweiligen Verhältnissen, im umgebenden Medium und in der Nahrung der Tiere vorfinden!). Nur in wenigen Fällen wird hier, wie z. B. Voit (1860 p-. 496) und Quilter (1891 p. 7) annehmen, der Kalk schon in hin- reichender Menge als Karbonat vorhanden sein, und außerdem ist es auch fraglich, ob die Tiere dieses Karbonat direkt zur Schalenbildung verwenden könnten (ef. Steinmann 1899 p. 45 Fußnote); vielmehr werden wohl häufig andere Kalksalze in Frage kommen, so speziell bei den Seewasserformen das Calciumsulfat (Bischof 1863 p. 585 Fußnote, Forchhammer cf. Bischof 1863 p. 585 Fußnote, Bucha- nan 1882 p. 584, Murray und Irvine 1890 p. 91). Dieses Caleium- sulfat soll nun nach der Meinung mancher Autoren (Bischof l. e., Buchanan |. ce.) zunächst in Calciumsulfid (Schwefelcaleium) über- geführt werden, und erst aus diesem soll dann durch Kohlensäure das Caleiumcarbonat ausgefüllt werden. Die Bildung der Kohlensäure setzen mehrere Forscher (Forchhammer cf. Bischof 1863 p. 585 Fußnote, Steinmann 1889 p. 292, 1899 p. 40, Murray und Irvine 1590 p. 91) auf Rechnung des durch formentative Prozesse entstan- denen Ammoniumkarbonats, und speziell Steinmann hat einige interessante Versuche mit einem Gemisch von faulendem Eiweiß und Caleiumchlorid- resp. Calciumsulfat-Lösung angestellt, welche in der That diese Annahme ganz plausibel machen. Außerdem findet man aber auch ganz andere Ansichten vertreten. So nehmen z.B. Irvine und Woodhead (1839, 1890 p. 351) an, dass der Kalk im Gewebe zunächst als phosphorsaurer Kalk vorhanden sei (cf. auch Bar- furth 1881, 1883a, 1883b), und dass die Bildung des Karbonats erst im Augenblick der Sekretion durch Kohlensäure-Absonderung seitens der Epithelzellen erfolge. Moynier de Villepoix (1892e p. 663) endlich ist der Meinung, dass der Kalk als doppelkohlensaures Salz im Körper gelöst sei und im Augenblicke der Sekretion unter Abgabe von Kohlensäure als einfaches Karbonat ausfalle. Welche von diesen Hypothesen der Wahrheit am nächsten kommt, lässt sich zur Zeit noch 1) Nach Fischer (1852) sollen manche Mollusken bei Kalkmangel der Nahrung auch den Schalenkalk ihrer Genossen nicht verschmähen. Fischer glaubt, dass dieses gegenseitige Anfressen der Schalen wenigstens einer der Gründe für die Erosion der Schalenwirbel sei. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen, 645 nicht mit Sicherheit entscheiden; wahrscheinlich werden sich die in Frage stehenden Prozesse auch nicht überall in vollkommen gleicher Weise abspielen, sondern es werden wohl mehrere Modifikationen mög- lich sein, deren Besonderheiten durch die verschiedene chemische Zu- sammensetzung der natürlichen Rohmaterialien bedingt sein mögen. Im Anschluss an die eben erörterten rein chemischen Fragen wollen wir nunmehr einen Blick auf die speziellen morphologischen Elemente des Tierkörpers werfen, welche die Bildung und Abscheidung von Con- chiolin und kohlensaurem Kalk besorgen. Hinsichtlich des Conchiolins haben wir wegen der Unlöslichkeit dieses Stoffes ja allen Grund, an- zunehmen, dass die Absonderungsstätte auch gleichzeitig die erste Bildungsstätte ist. Anders beim Caleiumkarbonat. Denn wenn es nach dem Gesagten auch sehr wahrscheinlich ist, dass der kohlensaure Kalk als solcher erst im Augenblicke der Sekretion aus anderen Kalksalzen gebildet wird, und dass sonach auch bei ihm Abscheidungsstätte und erste Bildungsstätte zusammenfallen, so herrscht doch in dieser Be- ziehung noch große Unsicherheit, und wir werden daher diejenigen Stellen, wo irgend welche direkt zur Schalenbildung bestimmten Kalk- salze zur Abscheidung gelangen, nur mit großem Vorbehalt zugleich auch als erste Bildungsstätten des Caleiumkarbonats betrachten dürfen. Die Abscheidung resp. Bildung von Conchiolin und Kalk könnte nun entweder allein im Mantelepithel oder allein in nicht epithelialen Geweben oder endlich in der Weise erfolgen, dass die Mantelepithel- zellen nur einen der beiden Stoffe produzieren, während der andere von nicht epithelialen Geweben geliefert wird und nur durch Vermitte- lung des Epithels an seinen Bestimmungsort gelangt. Wir wenden uns zunächt zur Prüfung der Ansicht, welche die ge- nannten Prozesse nicht allein im Epithel oder in epithelialen Drüsen stattfinden lässt, sondern auch noch andere Gewebe dafür in Anspruch nimmt. Eineältere, hierher gehörige Theorie, welche ursprünglich von Semper (1857 p. 347—349) in Bezug auf die Gastropoden aufgestellt wurde, und der sich in der Hauptsache auch Leydig (1376 p. 263, 264), Nalepa (1883 p. 239, 1884 p. 1188) und Thiele (1893 p. 246) anschließen, stützt sich im wesentlichen darauf, dass die absondernde Stelle des Mantels, bei Gastropoden also der verdickte Mantelrand, viel zu wenig Oberfläche biete, als dass man den hier befindlichen Epithel- zellen die alleinige Absonderung der Schale zuschreiben dürfe. So gelangt Semper zu der Anschauung, dass diese Epithelzellen sich mit den „Schleimdrüsen“ in die Bildung der organischen Schalensubstanz teilen, während die Abscheidung des Kalkes mittels Ausschwitzung einer kalkhaltigen Flüssigkeit durch das Epithel hindurch erfolge, und Nalepa (1884 p. 1188) vervollständigt diese Angabe dadurch, dass er intereellulare Kanäle beschreibt, durch welche die schalenbilden- den Substanzen teilweise direkt aus dem Blute abgeführt würden (ef. 41” 644 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. dagegen M. de Villepoix 1892e p. 600, 601, 657). Wie Semper schon selbst bemerkt, können diese Ansichten indessen auf die Lamelli- branchiaten schwerlich Anwendung finden, da man bei diesen letzteren doch außer dem Mantelrand auch noch das gesamte Mantelflächenepithel an der Schalenbildung beteiligt sieht. Uebrigens dürfte der Unterschied zwischen dieser und der anderen Auffassung, welche die Kalkzellen ins Epithel selbst verlegt, leicht zu überbrücken sein, zumal gerade bei den Mollusken eine scharfe Trennung epithelialer und subepithe- lialer Drüsen häufig nicht möglich ist. Ebensowenig Allgemeingültig- keit wie die Semper’sche Hypothese kann die von Apäthy (1885) geäußerte Ansicht beanspruchen, dass alle schalenabsondernden Becherzellen des Mantelepithels ursprünglich bindegewebige, nicht epi- theliale Schleimdrüsen seien. Denn abgesehen davon, dass die Schalen- bildung nicht ausschließlich an Becherzellen geknüpft ist, sondern dass sehr häufig gewöhnliche Cylinderepithelzellen daran beteiligt sind, giebt es, wie wir noch sehen werden, auch schalenbildende Becherzellen, welche sicher aus Epithelzellen hervorgehen. Außer dem subepithelialen Bindegewebe sind auch die Nieren- und Leberzellen in einigen Fällen mit der Schalenbildung in Verbindung gebracht worden. Die von Keber (1851 p. 27, 74 u. a.) herrührende Auffassung des Bojanus’ schen Organs als Schalendrüse soll nur der Vollständigkeit halber hier erwähnt werden; sie wird wohl heute, wo die wirkliche Funktion jenes Organs längst bekannt ist, von niemandem mehr geteilt. Neueren Datums ist die gelegentlich von Barfurth (1881 p. 4, 1833a p. 514, 1883b p. 435 u. ff.) vertretene Ansicht, dass bei Pulmonaten der Schalenkalk im Falle dringenden Bedarfs, z.B. bei Schalenverletzungen, von den sog. „Kalkzellen“ der Leber geliefert werden könne, in denen Barfurth phosphorsauren Kalk!) nachwies. Wie weit diese Annahme Barfurths, der eine Verringerung des Leberkalkes nach Schalenverletzungen be- obachtet hat, dessen Angaben aber von Frenzel (1883 p. 323 u. ff.) entschieden bestritten werden, das Richtige treffen, werden erst weitere Untersuchungen lehren müssen. Vor der Hand ist eine derartige Auf- speicherung von Schalen-Reservekalk in der Leber bei anderen Mollusken meines Wissens noch nicht beobachtet worden, doch ist es ja keineswegs ausgeschlossen, dass die Leber mancher Mollusken unter anormalen Bedingungen eine derartige Rolle spielen kann. (Drittes Stück folgt.) Von dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Bau der Planktonorganismen und dem spezifischen Gewicht des Süßwassers. (Schluss.) Von Dr. Wesenberg-Lund, Kopenhagen. Das Plankton ist indessen aus sehr verschiedenartigen Organismen 4) Ursprünglich (1880 p. 501) hatte Barfurth diesen Leberkalk übrigens als kohlensauren Kalk bezeichnet. Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 645 zusammengesetzt und die Wege, die sie einschlagen, um sich den neuen Verhältnissen anzupassen, sind auch sehr verschieden. Wir werden nun diese verschiedenen Wege kürzlich untersuchen und daraus er- kennen, dass die obenerwähnten Temporalvariationen der äußeren Form nicht ein für die betreffenden Planktonorganismen alleinstehendes Phä- nomen ist, sondern das ganz entsprechende, demselben Zwecke die- nende — die Schwebfähigkeit zu vergrößern — sich im Sommer wahr- scheinlich bei allen Planktonorganismen finden werden. Erstens können die Planktonorganismen ohne ihren Rauminhalt zu verändern ihr spezifisches Gewicht durch eine reichlichere Ent- wieklung von Stoffen (Fett, Oeltropfen), deren spezifisches Gewicht geringer ist als das des Wassers, vermindern und gleichzeitig Stolfe von höherem spezifischem Gewicht abgeben. Da der Oelreichtum, der zahlreichen Planktonorganismen eigen ist, z. B. Diatomeen, Cope- poden, Daphnien zweifellos in Folge der Assimilation und Er- nährung hervorgegangen ist, muss man vermuten, dass der Vorrat dieser Stoffe sich im Frühling wegen der höheren Temperatur, der stärkeren Lichtverhältnisse und des Bedürfnisses reichlicherer Nahrung bei den Organismen vermehren wird; hieraus folgt denn, daß die Or- ganismen, sowie die Temperatur steigt, auf diesem Wege imstande sind, ihr spezifisches Gewicht zu vermindern. Da wir innerhalb des Plank- tons einige größere Gruppen antreffen, besonders die Copepoden, bei welchen wahrscheinlich keine Temporalvariation stattfindet, ist die Mög- lichkeit nicht ausgeschlossen, dass das wichtigste Accomodationsmittel dieser Tiere eben in der mit der Temperatur und Ernährung steigen- den Oelproduktion zu suchen ist. Wie bekannt giebt es einen großen Teil von Planktonorganismen, deren Schwebfähigkeit von der Ausbildung großer, in ihrem Inneren gelegenen luftgefüllter Hohlräume abhängig ist. Von dem Süß- wasser kennen wir z. B. einzelne Infusorien (Arcella) zahlreiche Cyanophyceen, auch einzelne Oscillarien. Von diesen muss es be- zweifelt werden, ob die Arcellen wirklich zu den Planktonorganismen ge- rechnet werden können; die Cyanophyceen sind hauptsächlich ausgeprägte Sommerformen, die im Winter beinahe vollständig aus dem Wasser ver- schwinden, und nur die Oseillarien scheinen das ganze Jahr hindurch vorhanden zu sein. Wir wissen vorläufig sehr wenig von dem Auf- treten der letztgenannten Formen als Planktonorganismen; hierzulande fehlen sie kaum in irgend welchem unserer größeren Seen; haupt- sächlich erscheinen sie als Frühlingsformen. In Analogie mit der Schwimmblase der Fische und von den vorzüglichen Untersuchungen Klebahns?) und Strodtmanns!*) ausgehend, ist es im höchsten Grade wahrscheinlich, dass alle die obenerwähnten Organismen in diesen Luftvacuolen einen sehr empfindlichen Apparat besitzen, welcher an und für sich hinreichend ist, das spezifische Gewicht der Algen, 646 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. sowohl was die täglichen als auch die jährlichen Variationen in dem spez. Gewicht des Süßwassers betrifft, zu regulieren. Ferner können die Organismen das spezifische Gewicht durch Formveränderungen accomodieren. Zwei Körper, deren Gewicht und spezifisches Gewicht dasselbe, deren Form aber verschieden ist, sinken nicht gleich schnell; unter übrigens ganz gleichen Verhältnissen wird der Körper um so langsamer sinken, je länger im Verhältnis zu der Breitenachse die Längenachse ist, natürlicherweise vorausgesetzt, dass dieLängenachse horizontal liegt; von allen Körperformen wird die Kugel am schnellsten sinken. Denkt man sich nun zwei gleichgewichtige Planktonorganismen, die eine kugelrund, die andere torpedoförmig, in einer Flüssigkeit, deren spezifisches Gewicht um ein Minimum geringer ist als das der Organismen, so kann die Muskelenergie, die erforderlich ist, um die beiden Organismen in derselben Höhe zu halten, nicht bei beiden die- selbe, sondern muss bei der kugelrunden am größten sein. Betrachten wir nun, mit diesem Verhältnis vor Augen, die Temporalvariationen bei Hyalodaphnien, Bosminen, Synchäten, Asplanchnen und Dinobryen, so werden wir gleich sehen, dass die Frühlingsver- änderungen bei allen diesen Formen in der Richtung gehen, die Längen- achsen (Horizontalachse der allgemeinen Stellung des Tieres) zu vergrößern, wogegen sie im Herbste in der entgegenge- setztenRichtung gehen; am besten lässt dieses sich bei den As- planehnen nachweisen, wo das Verhältnis zwischen Längen- und Querachse im Winter wie 3/,:1, im August wie 1:5 ist. Betrachtet man eine Bosmina in der Stellung, in welcher sie gewöhnlich abge bildet wird, so scheint es freilich, als ob diese durch die Buckel- bildung nach der Querachse gestreckt ist. Die Stellung, in welcher die Bosminen gewöhnlich abgebildet werden, ist indessen nicht die- jenige, die sie im Wasser einnehmen; hier sieht man sie am häufigsten in einer schrägen Stellung mit der Rückseite abwärts schweben. Es ist daher ganz in Uebereinstimmung mit der Theorie, dass bei den Bosminen die Querachse (unter die gewöhnliche Stellung der Tiere im Wasser die Horizontalachse) jene Achse wird, nach welcher die Ver- längerung stattfindet. Das Ziel, das bei dieser auf den ersten Blick so äußerst frappierenden, gleichmäßig verlaufenden Temporalvariation bei so vielen verschiedenartigen Planktonorganismen erstrebt wird, ist also dieses, den Organismen, je nachdem die Tragkraft des Wassers sich in der Frühlingszeit verändert, eine Form zu geben, die bei der- selben Muskelenergie schwebend gehalten werden kann als die Muskel- energie, die im Winter hinreichend war; in diesem Verhältnis also muss die Erklärung der im Sommerhalbjahre stattfindenden Verände- rungen bei Daphnien, Synchäten, Asplanchnen u. a. gesucht werden. Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 647 Endlich können die Organismen vielleicht ihre Schwebfähigkeit steigern indem sie ihre immer als Balanceapparate aufgefassten Dornen- bildungen verlängern; diese Form der Temporalvariation findet manbei vielen Rädertieren, deren Dornen, wie schon erwähnt, im Sommer länger sind als im Winter (Anuraea, Brachionen, Trierthra, Ceratium u. a.) Der Vollständigkeit willen muss hienzugefügt werden, dass derselbe Organismus oft gleichzeitig mehrere dieser Wege einschlägt; so treffen wir bei den Daphnien Formveränderungen, Oelproduktion und Ver- längerung der Hinterdornen. Dass mit der Erwärmung der Seen in der Frühlingszeit eine Ver- änderung mit der Tragkraft der Wassermassen stattfindet und dass die Tragkraft in der warmen Sommerzeit eine andere sein muss als im Winter, ist einleuchtend. Bei derjenigen Kenntnis, die wir augen- blieklich über die regelmäßigen, jährlichen Veränderungen in dem spe- zifischen Gewicht der Seen und über die Weise, worauf sich die Or- ganismen nach diesen Veränderungen accomodieren, ist man indessen nicht imstande, sich eine völlig wissenschaftlich begründete Auffassung über die Richtung zu bilden, in welcher die Modifikationen in der Trag- kraft des Wassers vor sich gehen. Wenn man sich indessen aus den vorhergehenden Mitteilungen er- innert, teils, dass die Oelproduktion aller Wahrscheinlichkeit nach in der Sommerzeit am größten ist, dass die Luftvacuolen nur eine Rolle bei den Planktonorganismen des Sommers spielen, dass die Formver- änderungen im Frühling in der angegebenen Richtung gehen, dass die Balanceapparate länger werden, wird man leicht sehen, dass alle diese Modifikationen denselben Zweck erstreben: die Schwebfähigkeit der Organismen im Sommer zu vermehren, sie dem Leben im Wasser mit geringerem spezifischem Gewicht als im Winter anzupassen. Ich meine daher, dass man allein aus den Planktonuntersuchungen mit großer Wahrscheinlichkeit schließen kann, dass die Tragkraft des Wassers mit der Wärme abnimmt, ihr Minimum mit der höchsten Tem- peratur erreicht, im Herbst sieb wieder steigert und dass im Januar, Februar ein Maximum eintritt.!) 1) Ich vermute, dass die Eigenbewegung der Planktonorganismen rück- sichtlich der Richtung, in welcher sowohl die horizontale als auch die vertikale Bewegung vorgeht, gewöhnlich eine ganz untergeordnete Rolle spielt und im Vergleich mit der passiven Bewegung, die daraus hervorgeht, dass die Orga- nismen von den Strömungen des Wassers fortgeführt werden, für nichts zu rechnen ist; bei dem Phytoplankton existiert überhaupt keine Eigenbewegung. Verschiedene Beobachtungen und Betrachtungen über Phyto- und Zoo- plankton sowohl in der Natur als in Aquarien könnten darauf deuten, dass zwischen den zwei Arten Plankton der Fundamentalunterschied existiere, dass das Phytoplankton eher ein wenig leichter ist als das Wasser, wogegen das Zooplankton schwerer ist und daher geneigt zu Boden zu sinken, Dieses stimmt mit den von vielen gemachten Beobachtungen, dass die Hauptmasse des Phytoplankton 648 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. Es muss vorläufig unentschieden bleiben, ob nicht eine Temporal- variation hinsichtlich der Form innerhalb gewisser großer Abteilungen des Planktons, besonders Copepoden und Cyanophyceen, statt- findet. Zeigt es sich, dass solches nicht der Fall ist, so wird es seine natürliche Erklärung darin finden, dass diese Gruppen in ihrer Oel- und Luftproduktion ein Mittel haben, ihre Organisation der Tragkraft anzupassen; dieses Mittel beruht indessen nicht auf einer Modifikation der äußeren Form und lässt sich folglich nicht durch eine mikros- kopische Untersuchung, möglicherweise dagegen durch eine chemische bestimmen. Ganz natürlich entsteht also die Frage, welches Verlaufes und welcher Natur die physiologischen Prozesse sind, durch die die oben erwähnten Planktonorganismen im Laufe des Jahres ihre Form um- bilden. Man wird zu dem Resultate kommen, dass man es mit lokali- sierten Wachstumsphänomenenzuthunhat; es ist nur das nähere Studium dieser Phänomene, dass so bedeutende Schwierigkeiten darbietet. Wäre es möglich, die Versuchstiere wie die Schollen zu kennzeichnen, so würde man schnell über diese Schwierigkeiten hinwegkommen; da dieses Verfahren sich hier leider nicht durchführen lässt und die Aquarienstudien bei diesen Untersuchungen durchaus verwerflich sind, entstehen Schwierigkeiten, sobald man es versucht diese Verhältnisse ins Klare zu bringen. Am besten fängt man es gewiss mit den Daph- nien an; ich selbst habe meine Aufmerksamkeit wesentlich auf die Hylodaphnien gerichtet. Die Fragen, die sich hier zur Lösung auf- drängen, sind in erster Reihe folgende: Geht die Helmbildung im Frühling auf die Weise vor sich, dass die Tiere nach der Häutung mit einem längeren Helm und im Herbste nach jeder Häutung mit einem kürzeren versehen werden, oder erleiden die Individuen selbst keine solche Veränderung, wogegen es nur die Jungen sind, die mit längeren Helmen als die Eltern geboren werden und zwar länger, je später im Jahre die Geburt stattfindet. Nur teilweise bin ich imstande diese Fragen zu beantworten. Dass es das Individuum selbst ist, dessen Helm im Herbste nach jeder Häutung verkürzt wird, ist gewiss, da man häufig Individuen in der Häutung antrifft innerhalb deren alter Schale man die neue angelegt findet; der Helm der neuen Schale ist in den allerobersten Wasserschichten und der Oberfläche des Wassers zu finden ist, das Zooplankton dagegen erst1 bis 2 Meter weiter unten. AllesPhytoplankton wird demgemäß infolge seiner eigenen Struktur, und ohne von äußeren Faktoren influiert zu werden, von selbst aufwärts zu den am stärksten beleuchteten Wasser- schichten steigen, wo die Assimilationsbedingungen am besten sind; während das Zooplankton sich weiter unten halten wird. Es scheint, als ob die Eigen- bewegung bei diesen ihre wesentliche Bedeutung darin habe, dass sie das ganz allmähliche, äußerst langsame Hinabsinken, dass z.B. zwischen jeder Bewegung der Antennen bei Copepoden und Daphnien bemerkt werden kann, verhindere. Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 649 immer ein bedeutendes Stück kürzer, als der des alten, indem die vorderste Konturlinie ein beträchtliches Stück hinter der vordersten Konturlinie der alten Schale liegt. Schon 1895 hat Lundberg dieses nachgewiesen und ein Individuum abgezeichnet, dessen neues Haupt- schild innerhalb des alten liegt. Inwiefern es dagegen in der Frühlingszeit das Individuum selbst ist, dessen Helm nach jeder Häutung länger wird, dafür habe ich keinen Beweis liefern können, obwohl ich es als sehr wahrscheinlich ansehe. “ Bei der Untersuchung des Materials, das im Sommer 1898 alle 14 Tage im Frederiksborg Schlossee eingesammelt war, konnte ich die folgenden Verhältnisse konstatieren: 1. Die Jungen, welche die Hyalodaphnien in ihrem Brutraum batten, waren mit bedeutend größeren Helmen versehen als die Muttertiere; dieselbe Wahrnehmung hat Burckhardt mitgeteilt. 2. Die Helme der Muttertiere im Juni-Juli waren bedeutend kürzer als die Helme der Muttertiere im September. Diese Beobachtung stimmt mit den von Zacharias und anderen gemachten überein. 3. Die Helme der Jungen, welche die Muttertiere des Frühlings in ihren Bruträumen hatten, waren viel länger als die, mit welchen die später Herbstbrut ausgesteuert war, und es schien, als ob der Unterschied zwischen der Länge der Helme bei dem Jungen und dem Muttertiere größer werde, je später im Jahre die Tiere eingesammelt waren. Die Helmbildung bei den Hylodaphnien scheint also teils dadurch hervorzukommen, dass die Helme nach jeder Häutung länger werden, teils dadurch, dass die Jungen mit längeren Helmen geboren werden, als die Muttertiere. Falls es gelingen wird, einen streng wissenschaftlichen Beweis dafür zu führen, dass die kurzhelmigen Muttertiere im Juni dieselben Individuen sind, die im September langhelmig auftreten, würde man sehen, dass dasselbe Muttertier im Juni kurzbelmige, im September langhelmige Junge gebäre. Man würde dann einen hübschen Beweis dafür haben, dass äussere Faktoren — in diesem Fall die ab- nehmende Tragkraft des Wassers — auf die äußere Form des Embryos influiren können. Es ist einleuchtend, dass diese Art Untersuchungen über die Temporalvariation bei älteren und jüngeren Tieren wohl die Reaktion der Organismen gegen die wechselnde Tragkraft des Wassers zeigen, uns aber nicht zu dem Verständnis der tiefer liegenden Motive dieser Formveränderungen leiten können. Indem also die regelmäßig jährlich sinkende und steigende Tragkraft des Süßwassers in der Limnologie als ein für den Plankton- organismen sehr wichtiger ökologischer Faktor eingeführt wird, wäre wohl Ursache zu untersuchen, ob dieser Faktor nicht auch auf andere Weise dem Bau und dem Leben der Planktonorganismen seine Kennzeichen aufsetzt. Hauptsächlich möchte ich die Aufmerk- 650 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. samkeit auf den Einfluss hinleiten, den dieser Faktor auf die Grenzen der Lebzeit dieser Planktonarten, auf den Zeitpunkt ihres Verschwindens und den großen Unterschied in dem Bau der ausgeprägten Sommer- und Winterformen übt. Regelmäßige Untersuchungen haben wie bekannt das Resultat er- geben, dass verschiedene Organismen zu ganz bestimmter Zeit aus dem Plankton verschwinden. Der Zeitpunkt, wo der große Umschlag in dem Plankton, jedenfalls für unseren Breitengrad stattfindet, ist in der Frühlingszeit, wenn das Wasser eine Temperatur von 10°C. erreicht. Die Diatomeen, die bis zu diesem Zeitpunkt die dominierenden gewesen, verschwinden von der Oberfläche, während gleichzeitig die Cyanophyceen langsam in Art- und Individuenzahl zunehmen. Später- hin verschwinden die Diatomeen fast gänzlich, während die stärkere oder geringere Entwickelung des Cyanophyceeplanktons von anderen verschiedenen Faktoren abhängig ist, die indessen mit diesem Zu- sammenhang nichts zu thun haben. Auf einer Reise im Mai 1897, wo eine große Anzahl von größeren Seen besucht wurden, konnte ich nachweisen, dass das Diatomeen- plankton sich immer am längsten in den tieferen, kalten Seen hielt, in den niedrigeren und wärmeren schnell den Cyanophyceen Platz machte. Als ich dasselbe Jahr, im September, dieselben Seen besuchte, konnte ich auf der anderen Seite konstatieren, dass die Diatomeen immer zuerst in den kalten Seen dominierten, während die Cyano- phyceen noch in den niedrigen, wärmeren zahlreich waren. Ich vermutete damals, dass diese Veränderungen in dem Charakter des Planktons und die bestimmten Zeitpunkte, da diese Veränderungen stattfänden, hauptsächlich von der Temperatur abhängig seien. Nähere Untersuchungen des Planktons des Fursees im Mai des folgenden Jahres änderten jedoch meine Auffassung. Durch Vertikalfänge, aber noch mehr durch Horizontalfänge auf 5, 10, 15, 20, 30, 35 Meter Wasser, konnte ich konstatieren, wie die Diatomeen mit der steigenden Temperatur in den folgenden 4 Wochen immer tiefer und tiefer hin- unter sanken; noch 3 Wochen, nachdem die Diatomeen beinahe ganz von der Oberfläche verschwunden waren, stand ein reiches Dia- tomeenplankton teilweise aus toten Pflanzen bestehend auf 20 Meter Wasser. Ganz ebenso fand ich Mitte Juli vollständig totes mit Cysten reich besetztes Dinobriumplankton auf 30 Meter Wasser schwebend stehen; 3 Wochen früher bildeten die Dinobryen die Hauptmasse des Planktons in der Oberfläche der Seen. Es scheint mir aus diesen Be- obachtungen hervorzugehen, dass die sinkende Tragkraft des Ober- flächewassers in erster Reihe Schuld daran ist, dass das Diatomeen- plankton verschwindet, dazu ‘ gezwungen wird, die Wasserschicht, welcher es nicht länger sein spezifisches Gewicht accomodieren kann, zu verlassen, indem die immer tieferen Wasserschichten mit der stei- Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 651 genden Temperatur immer weniger Tragkraft erhalten, werden die Diatomeen immer tiefer hinunter gezwungen. Hierdurch wird in- dessen die sinkende Tragkraft des Wassers ganz natür- lich eine der Todesursachen für das Diatomeenplankton des Frühlings, indem dieses von dem Öberflächewasser und dem Lichte fortgedrängt wird; in den tieferen Wasserschichten, bei weniger Licht, wird die Assimilation vermindert werden, die Vermehrung auf- hören und das Resultat ein totes Plankton sein, das nur sehr langsam den Boden erreichen wird, oder möglicherweise, namentlich in tiefen Seen, sich auflösen wird, noch ehe dieses stattfindet. Freilich habe ich, wie auch andere Untersucher, in einzelnen Seen im August Diatomeenmaxima gefunden, aber diese Maxima sind kleiner als die des April—Mai und müssen in unbekannten Lokalverhältnissen ihre Erklärung finden; ihr Erscheinen kann die hier über das überall und gesetzmäßig vorkommende Niedersinken der Diatomeen in der Frühlingszeit geltend gemachten Betrachtungen nicht umstoßen. In der verschiedenen Tragkraft des Wassers zu den verschiedenen Jahreszeiten müssen wir also eine der Ursachen zu den Variationen in der Zusammensetzung des Planktons sehen. Vergleicht man die Diatomeen mit der Pflanzengruppe, die sie in der Zeit Mai— Oktober vorzugsweise ablösen, so wird der große Unterschied zwischen den zweifellos weit schwereren Kieselschalen der Diatomeen und den leichteren Cellulosenwänden der blaugrünen Algen ins Auge fallend sein. Außer- dem sind die blaugrünen Algen mit Luftvacuolen ausgestattet, wobei selbstverständlich ihre Schwebfähigkeit im höchsten Grade vermehrt wird, während solche Vacuolen bei den Diatomeen ganz unbekannt sind. Stellt man auf der einen Seite die vorzugsweise typischen Plankton- organismen des Sommerhalbjahres, auf der anderen die des Winter- halbjahres und heftet seine Aufmerksamkeit auf diejenigen von diesen Organismen, die sich nicht das ganze Jahr finden, sondern nur ent- weder des Sommers oder des Winters, so wird es klar sein, dass alle die sogenannten Planktoncharaktere, alle die Bauverhältnisse, worauf die Schwebfähigkeit beruht, bei den typischen Sommerorganismen weit mehr hervortretend sind als bei den Winterorganismen. Als Beispiele der ersteren brauchen wir nur folgende hervorzuheben: Bythotrephes, Leptodora, Holopedium, Notholca longispina, Schizocerca, Gastroschiza veciculosa, Synedra acus, Atheya, khizosolenia und alle die Croococcaseen mit ihren Luftvacuolen; als Beispiele der letzteren Notholca scapha und acuminata, Tintinidium, Codonella, die Melosiren und Fragilarien, COymatopleua elliptica, die jährlich regelmäßige Planktonorganisme in den kältesten Monaten (Februar— März) des Fursees sind, u. a. Das Verhältnis wird dann gleich deutlich hervortreten. Es scheint daher einleuchtend zu sein, dass die für das Sommer- halbjahr typischen Planktonorganismen durch stärkere Balance- 652 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. apparate, Luftvacuolenete. dazuangepasst sind in Wasser mit geringerer Tragkraft als das des Winterhalbjahreszu schweben und also in Uebereinstimmung mit den Modifikationen, welche die Arten, die das ganze Jahr hindurch leben, in der Sommer- zeit erleiden, modifiziert worden sind. Es wird aus dem vorhergehenden hoffentlich hervorgehen, dass die regelmäßig fallende und steigende Tragkraft des Wassers eine der Hauptursachen des starken Variierens ist, die alle den Planktonorga- nismen eigen ist, die ihr spezifisches Gewicht durch Formveränderungen aocemodieren. Wie bekannt sind eben dieselben Planktonorganismen, Planktondaphnien, Bosminen, Anuräen u. a. zugleich einer bedeu- tenden Lokalvariation unterworfen. Die ganze Hauptmasse der Planktonorganismen, die für die pelagische Region der großen Seen eigentümlich sind, finden sich, wie Zacharias u. A. auch bemerkt haben, auch in den kleineren pflanzenbewachsenen Teichen und das Aussehen der Art kann an den verschiedenen Orten sehr verschieden sein. Unter- sucht man, welche Bauverhältnisse der stärksten Lokalvariation unter- worfen sind, so wird man finden, dass es beinahe immer die so- genannten Planktoncharaktere sind, die, worauf die Schweb- fähigkeit der Organismen beruht. Die verschiedenen Lokalrassen pflegen besonders in der Länge der Antennen (Bosminen), in dem Verlaufe der Konturen des Körpers (Hyalodaphnia, Bosminen), in der Länge der Dornen (zahlreiche Rädertiere) u. s. w. von einander abzuweichen. Hierdurch wird man unwillkürlich auf die Vermutung geleitet, dass eine der Ursachen der starken Lokalvariation der Planktonorga- nismen in dem verschiedenen spezifischen Gewicht des Süß- wassers an den verschiedenen Lokalitäten zu suchen ist. Diese ist bekanntlich von der Bodenbeschaffenheit, der Lokaltemperatur des Ortes, die Menge der aufgelösten Stoffe in dem Wasser und der Natur dieser Stoffe abhängig. Die Ansprüche, die an die Schwebfähig- keit einer Art gemacht werden, sind daher keineswegs überall gleich und es ist daher ganz natürlich, dass die Ausbildung der Schwebeapparate sich nach der Größe der Ansprüche richtet und an den verschiedenen Lokalitäten verschieden wird. Nach dem Bau des Planktons zu ur- teilen, scheinen die großen, tiefen Seen die größten Ansprüche zu machen; die Schwebeapparate sind nämlich immer stärker ent- wickelt bei den Individuen von ‘der pelagischen Region der großen Seen, als bei denjenigen, die den kleineren Seen und Teichen ange- hören. Die Dornen sind zum Beispiel immer länger bei den Anuraeen und Triarthren der großen Seen und alle die eigentümlichen End- stadien, wozu die Entwicklung bei den Daphnien, Hyalodaphnien und Bosminen (D. galeata, H. Kahlbergensis, DB. gibbera, thersites) führt, finden sich gewöhnlich nicht in den kleinen Seen und sind jeden- falls viel häufiger in den großen tiefen Seen. Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. 655 Wahrscheinlicher Weise wird man indessen mit der Zeit noch weiter gehen können und in den Variationen des spezifischen Gewichts des Wassers sowohl zu verschiedenen Zeiten des Jahres an derselben Lokalität, als gleichzeitig an ganz verschiedenen Lokalitäten nicht nur eine Ursache der Variationen sehen, die alle die Organismen, die ihr spezifisches Gewicht durch Formveränderungen accomodieren, sondern auch einen artbildenden Faktor von großer Bedeutung. Um näher hierauf eingehen zu können, bedürfen wir jedoch einer näheren Kenntnis der Variationen des spezifischen Gewichts des Süßwassers, als wir augenblicklich besitzen. Die hier gegebenen Mitteilungen über die Ursachen der temporalen und lokalen Variation der Planktonorganismen müssen notwendiger- weise auf unsere Auffassung des Artsbegriffes innerhalb vieler der hier besprochenen Tiergruppen influieren, indem es einleuchtend sein wird, dass weite Grenzen für die Variation conditio sine qua non für die Planktonorganismen werden muss, die darauf angewiesen sind, ihr spezifisches Gewicht durch Verän- derungenderäußerenForm nach der Tragkraft des Wassers zu accomodieren. Wenn man sich in die Artbeschreibungen über die zahlreichen Planktondaphnien und Planktonrotiferen hineinarbeitet, wird man schnell darüber klar werden, dass die große Menge der Arten gerade auf die Planktoncharaktere, die äußere Form des Körpers, die Länge der Dornen und Antennen, die Hyalinität u. s. w. beschrieben sind. Eine sehr umfassende und durchgreifende Reduktion ist unab- weisbar notwendig; wie in der Einleitung hervorgehoben worden, ist die Reduktion auf mehreren Gebieten schon angefangen; so hat Weber ca. 30 Anuräaarten auf 4 zusammengezogen, Burckhardtca. 40 Bos- minenarten auf 2 u. s. w. Ganz ähnliche Reduktionen müssen inner- halb der Gattungen Synchaeta, Dinobryum, Dileptus und wahrscheinlich auch innerhalb gewisser Pflanzen-Gattungen (Pediastrum, Staurastrum) vorgenommen werden. So weit mir bekannt, hat man die Reduktion angefangen, ohne dass man über die Ursachen der starken Varriierung dieser Plankton- organismen klar gewesen. Sieht man auf die Periode zurück, wo die Planktonuntersucher sich veranlasst fühlten, eine ungeheure Anzahi Arten aufzustellen, so fragt man sich unwillkürlich, ob diese Periode wirklich ein notwendiges Durchgangsglied gewesen, ohne welches wir nicht zu der richtigeren Auffassung des Artsbegriffes gelangt wären, deren wir uns jetzt, dank den Untersuchungen Burekhardt’s, Weber's, Richard’s u. a. rühmen können. Die Forschungen jener Periode liefern jedenfalls einen sprechenden Beweis für den geringen wissenschaftlichen Wert, den derartige Studien haben, die nur die Verwandtschaftsbeziehungen der Tiere umfassen 654 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. und ihre Lebensart und die großen gemeinschaftlichen äußeren Faktoren ganz außer Acht lassen. Nichts kann der exakten Naturwissenschaft ferner liegen als solche systematische Studien, die ausschließlich auf der Beschreibung gewisser mehr oder weniger in die Augen springenden Bauverhältnissen ange- legt sind, ohne dass gleichzeitig Studien über deren Gebrauch und die Faktoren, die sie hervorgerufen, angelegt werden; die Systeme, die aus solchen Studien hervorgehen, sind nur leere Phantasien und schwer- lich hat etwas mehr hemmend auf die exakte Naturwissenschaft ge- wirkt als diese systematischen Zwangsjacken, in welche man die Natur hineinzupressen versucht hat. Wenn man, wie ich es oben versucht habe, eine physische Be- gründung des großen Variierungsvermögens der Planktonorganismen gegeben hat und diese verschiedenen Variierungsarten in direkter Ver- bindung mit den physischen Verhältnissen des Süßwassers, mit seiner Temperatur, seinem spezifischen Gewicht und seiner chemischen Zu- sammensetzung bringt, ist es unmöglich auf dem jetzigen Standpunkte der Limnologie einen ganz exakten, wissenschaftlichen Beweis für seine Anschauung zu liefern. Die schwebende Mikrofauna und Flora des Süßwassers ist ein Verein von Organismen, deren Lebensart von gewissen bestimmten ökologischen Faktoren abhängig ist, deren Stärkegrad und Wirkungs- art wieder auf die verschiedenen Lokalitäten von Breitengrad, Höhe des Terrains über dem Meere, Bodenverhältnissen u. s. w. abhängig sind. Kenntnis dieser Faktoren ist für das Verständnis des Baues und der Lebensart der Organismen durchaus notwendig, indem die ersteren sich in zahlreichen Fällen zu den letzteren wie Ursache und Wirkung ver- halten. Da ein solcher Verein auf der anderen Seite aus zahlreichen verschiedenartigen Organismen besteht, die jedes nach seiner Natur das Eingreifen der ökologischen Faktoren auf seine Weise beantworten, sowie auch die einzelnen Organismen, unter übrigens verschiedenartigen Verhältnissen, den Einfluss des einzelnen Faktors auf verschiedene Weise beantworten, ist eine genaue Kenntnis der Organismen an und für sich, der fundamentalen, durch zahllose Generationen ererbten Bau- verhältnissen, der Elastizitätsgrenze u. s. w. ebenso unabweisbar not- wendig. Die Wechselwirkung zwischen dem Einfluss der äußeren Faktoren und die verschiedene Weise auf welche jede einzelne Art des Vereins, ja, jedes einzelne Individuum, diese Einwirkung beant- wortet, ist das wichtigste Moment in aller ökologischen Forschung. Wenn die Planktonuntersuchungen des Süßwassers bis jetzt so wenige positive Resultate gegeben und die Anzahl der Theorien für die nüchterne Betrachtung größer scheint als die der Thatsachen, dann muss die Ursache hauptsächlich darin gesucht werden, dass man sich der ökologischen Natur der Aufgabe nicht hinlänglich bewusst ge- Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers, 655 wesen, dass man die Organismen als Ding an sich studiert und nicht gesucht hat, über die Bauverhältnisse, welche die Resultate anderer Faktoren beeinflussen, klar zu werden. Man hat bei den Plankton- untersuchungen die ökologischen Faktoren zu wenig berücksichtigt, ja, eigentlich nur die Temperatur untersucht und die meisten der anderen Faktoren liegen lassen. Ich glaube das, was wir im Augenblicke nötig haben, sind regel- mäßige 14tägige Untersuchungen, die denselben Tag in einem großen, tiefen See, in einem kleineren, in einem Moor und in einem ganz kleinen Teiche vorgenommen wurden; die Untersuchungen sollten das Plankton, das bestimmt und zum Teil abgezeichnet werden sollte, die Temperatur, die chemischen Verhältnisse, das spezifische Gewicht und den Luftinhalt des Wassers umfassen. Wenn dann die Resultate der physico-chemischen Untersuchungen mit den Zeichnungen und Präpa- raten des Planktons zusammengehalten würden, würde man vielleicht zu einem Verständnis gelangen können, sowohl was die Variationen und ihre Ursachen, die vielen biologischen Verhältnisse, rücksichtlich sowohl des ganzen Planktons als der Lebensart der einzelnen Com- ponenten, betrifft. Es war meine Absicht, nachdem ein kleineres süßwasserbiologisches Staatslaboratorium an dem Fursee, etwa 2 Meilen von Kopenhagen, er- richtet worden, dahin zu streben, dass solche Untersuchungen vorgenommen wurden. Schon in 1!/, Jahren sind 1l4tägige Untersuchungen in 12 verschiedenen Süßwassergewässern im Gang gewesen; aber wie meine Vorgänger habe auch ich nur das Plankton und die Temperatur des Wassers berücksichtigt. Unter der Bearbeitung des Materials habe ich eingesehen, dass vieles in der Vorstellung, das nur rein theoretischer Natur war, wissenschaftlich bewiesen werden könnte, wenn gleichzeitig das spezifische Gewicht und andere Verhältnisse berücksichtigt würden, und ich habe deshalb die Publikation der schon recht umfassenden Untersuchungen vorläufig etwas aufgeschoben. Eine Untersuchung, die gleichmäßige Rücksicht auf das Plankton und die physikalisch-chemischen Verhältnisse des Wassers nimmt, ist, wenn sie gleichzeitig in 4 Gewässern vorgenommen werden soll, mit großen Schwierigkeiten verbunden, und ob es mir gelingen wird, sie ohne Lücken durchzuführen, kann von Verhältnissen abhängen, über welehe man unmöglich Herr sein kann; die Untersuchung würde sich wahrscheinlich auch besser in einem Lande mit größeren und tieferen Seen als die unsrigen ausführen lassen. Meiner Meinung nach sind die Planktonuntersuchungenim Augenblicke an einen Punkt gekommen, über welchen hinaus sie nicht können, ohne dass eine solche Unter- suchung aufgenommen wird; diese müsste denn Aufklärung aller der Verhältnisse geben, über welche wir uns nun streiten: die Wan- 656 Wesenberg-Lund, Planktonorganismen und spez. Gewicht d. Süßwassers. derungen des Planktons in den 24 Stunden, die Ursachen seines regel- mäßigen Verschwindens und Erstehens zu den verschiedenen Zeiten des Jahres, die vielen eigentümlichen Verhältnisse in dem Bau und Leben der einzelnen Planktonorganismen, die Variation und ihre Ursachen u. s. w. Falls diese Auffassung Sympathie gewinnen möchte, könnten ähn- liche Untersuchungen vielleicht von anderen biologischen Stationen vorgenommen werden, die über größere Wasserareale gebieten, als die, welche ich anwenden kann. Mit dieser Möglichkeit vor Augen ist diese kleine Untersuchung publiziert worden. — Es ist mir eine willkommene Pflicht, dem Hydrographen der däni- schen Ingolfexpedition cand. mag. Martin Kundsen, mit dem ich über viele, diese Untersuchungen betreffende physische Verhältnisse habe konferieren können, meinen besten Dank zu sagen. Süfswasserbiologisches Laboratorium am Fursee. Frederiksdal pr. Lyngby. Dänemark, 28. März 1900. Litteraturverzeichnis. [1] Apstein, Das Süßwasserplankton 1896. [2] Burekhardt, Faunistische und systematische Studien über das Zooplankton. Revue suisse de Zoologie, T. 7. 1900. [3] v. Daday, Die mikroskopische Tierwelt der Mezößger Teiche: Termös- zetrajzi Füzetek. T. 15. 1892. [4] Hartwig, Zur Verbreitung der niederen Crustaceen in der Provinz Brandenburg. Forschungsber. a. d. biol. St. Plöen. Teil 5. 1897. [5] Klebahn, Bericht über einige Versuche, betreffend die Gasvacuolen von Gloiotrichia echinulata. Forschungsber. a.d. biol. St. Plöen. Teil 5. 1897. [6] Lauterborn, Ueber die zyklische Fortpflanzung limnetischer Rotatorien. Biologisches Zentralblatt Bd. 18. 1898. [7] — Vorläufige Mitteilung über den Variationskreis von Anuraea cochleares Gosse. Zoologischer Anzeiger Bd. 21. 1898. [8] Lundberg, The postembryonal Development of the Daphnids. Bihang till K. Svenska, Vet.-Akad. Handlingar Bd. 20. 1894. [9] Richard, Revision des Cladoceres. Annales des sciences nat. Zool. Ser. 7. S. 18. 1895, et Ser. 8. T. 2. 1896. [10] Rousselet, Brachionus Bakeri and its varieties. Journal Quekett Micros- copial Club. Ser. 2. Vol. 6. 1897. [11] Sars, Oversigt af Norges COrustaceen med forelöbige Bemarkninger over de nye eller mindre bekjendte Arter. II. Forhandlinger: Vidensk. Sels- kabet i Christiania 1890. [12] Stenroos, Das Tierleben im Nurmijärvi-See. Acta societas pro Fauna et Flora Fennica T. 17. 1898. [13] Stingelin, Ueber jahreszeitliche, individuelle und lokale Variation bei Crustaceen. Forschungsber. a. d. biol, Station, Plöen T. 5. 1897. [14] Strodtmann, Bemerkungen über die Lebensverhältnisse des Süßwasser- plankton. Forschungsber. a. d. biol. Station. I—II Plöen, T. 3. 1895. [15] Weber, Faune rotatorienne du bassin du L&man. Revue suisse de Zoo- logie. Tom. 5. 1898. [16] Wesenberg-Lund, Ueber dänische Rotiferen und über die Fortpflanzungs- verhältnisse der Rotiferen. Zool. Anz. T. 21. 1898. [17] Zacharias, Biologische Mitteilungen. Forschnngsber. a. d. biol. Station zu Plöen T. 1. 1893. [18] — Beobachtungen am Plankton des Gr. Ploenersees. Forschungsber. a. d. biol. Station zu Plöen T. 2. 1894. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Gocbel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 15. Oktober 1900. Nr. 20. Inhalt: Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- verteilung. — Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse, (Drittes Stück.) — Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. — Hertwig, Lehrbueh der Zoologie. — Anzeige, Versuche mit diöeischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Von Eduard Strasburger. Seit etwa einem Decennium sind im Caryophyllaceen-Beet des Bonner botanischen Gartens die beiden Vertreter der alten Lin n&’schen Art Lyehnis dioica, die Arten Melandrium album Gareke und Melan- drium rubrum Garcke, von Ustilago violacea befallen. Wie bekannt kommen die Chlamydosporen dieses Brandpilzes, die sogenannten Brand- sporen, nur in den Staubbeuteln der angesteckten Pflanzen zur Aus- bildung. Um diesen Wohnsitz zu erlangen, löst der betreffende Brand- pilz in den weiblichen Stöcken der Melandrien die Bildung von Staub- blättern aus. Diese Thatsache an sich ist nieht neu!) und neuerdings wieder eingehend von A. Giard?) und Ant. Magnin?) behandelt worden. Auch in histologischer Beziehung hat sich Paul Vuillemin‘®) 1) Die Litteratur wolle man bei Magnin, Recherches sur la polymor- phisme florale, la sexualit& et l’hermaphroditisme parasitaire du Lichnis ves- pertina. Annales de la soc. bot. de Lyon, 1889, vergleichen. 2) Sur P’hermaphrodisme du Lichnis dioica, atteint d’Ustilago. Comptes rendus de l’Acad, Paris 1888, Bd. 107, p. 663. 3) In der schon eitierten Abhandlung und in: Sur la castratiou parasi- taire du Lichnis dioica L. par V’Ustilago antherarum Fr. Comptes rendus de l’Acad., Paris, Bd. 107, 1888, p. 757 und Nouvelles observations sur la sexualit& et la castration parasitaire. Comptes rendus, Bd. 115, 1892, p. 675. 4) Sur les effets du parasitisme de P’Ustilago antherarum. Comptes rendus, 1891, Bd. 113, p. 662. XX. 4» 658 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). mit ihr befasst. Doch genügten die von ihm gemachten Angaben nicht für die Beantwortung der Fragen, die ich mir stellte, und entsprach auch die Auffassung, die er sich von der Wirkungsweise des Parasiten gebildet hatte, an meinen Anschauungen. Daher ich, in Zusammen- hang mit weiter reichenden Aufgaben, die Untersuchung der infizierten harte wieder aufnahm. Es galt mir vor allem festzustellen, wie es der Pilz anfängt, um die Bildung der Staubblätter in den Blüten weiblicher Stöcke zu veranlassen, wo doch letztere in Kulturen allen Versuchen, Staubblätter aus ihnen hervorzulocken, widerstehen. Fig. 1. Fig..?2. Betont sei hier nochmals, dass es sich bei den von Ustilago be- fallenen Stöcken von Melandrium, deren Blüten Staubblätter und Fruchtknoten vereinigen, nicht, wie auch schon behauptet wurde, um männliche Pflanzen handelt mit unvollkommenen Fruchtknoten. Man hat es vielmehr stets mit weiblichen Pflanzen zu thun, die Staubblätter erzeugten, deren Achse sich zwischen Kelch und Krone mehr oder weniger streckte und deren Fruchtknoten in der Entwicklung zurück- blieb (Fig.3 u. 4). Diese Thatsache wurde durch Giard und Magnin bereits richtig gestellt. Männliche, durch Ustilago infizierte Blüten von Melandrium, erleiden, bis auf die Füllung ihrer Staubbeutel mit Chlamydosporen, keine merkliche Veränderung. Zur richtigen Würdigung der in der infizierten weiblichen Blüte sich einstellenden Veränderungen, sei hier die Entwicklungsgeschichte Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 659 einer normalen weiblichen Blüte von Melandrium album (Fig. 2) vorausgeschickt. Sie knüpft sehr nahe an die Schilderung an, welche Payer!) von der Blütenentwicklung bei Cerastium bibersteinianum und Malachium aquaticum entwarf, nur gilt es, die Ausbildung der Staub- blätter sich auf den allerersten Stadien unterbrochen zu denken. Um den entsprechend erweiterten Vegetationskegel entspringen in quineun- cialer Reihenfolge die fünf Sepalen, dann folgen, mit den Sepalen alternierend, die fünf Petalen. Hierauf erheben sich die fünf den Sepalen, dann die fünf den Petalen superponierten Staubblattanlagen. Letztere, wenn auch jünger, sind etwas tiefer am Vegetationskegel inseriert als die ersteren. Um den noch immer kegelförmigen Spross- scheitel erheben sich nunmehr die fünf taschenförmigen Karpellblätter. In den inneren Winkeln der noch offenen Taschen beginnen alsbald die Samenanlagen hervorzutreten. Zuletzt schließen die fünf Karpell- blätter am Scheitel zusammen und wachsen dort zu den fünf Griffeln aus. Die zehn Staubgefäßanlagen hören alsbald zu wachsen auf und bilden Höcker in denen eine weitere Gewebedifferenzierung unterbleibt. Ihre Insertionsstellen werden mit jenen der fünf Petalen auf einem gemeinsamen Discus emporgehoben. Auf diesem Ringe stellen in der fertigen Blüte die Staubblattanlagen fast stets nur kleine, verschrumpfte, erst mit der Lupe gut unterscheidbare Höcker dar. Längsschnitte lehren, dass sie aus gleichmäßigem, von der Epidermis umhüllten Gewebe bestehen. Abwechselnd mit ihnen schließt das Gewebe des Discus zehn honigaussondernde Drüsen ein. Diese bestehen aus einem chloro- phylifreien, daher heller erscheinenden Gewebe, das von spaltenförmigen Intercellularen gleichmäßig durchsetzt ist. Das übrige Gewebe des Diseus führt Chlorophyll und in einzelnen Zellen Krystalldrusen. Je ein schwaches Gefäßbündel ist in dem Gewebe des Discus bis in die Insertionsstelle der reduzierten Staubblätter zu verfolgen. Auf Quer- schnitten zeigt der Blütenstiel im allgemeinen zehn im Kreise angeord- nete Gefäßbündel. Diese geben zehn Aeste an den verwachsenblättrigen Kelch ab, welche dort die fünf den Medianen der Sepalen und fünf den Kommissuren entsprechenden Nerven bilden. Die Kommissural- nerven spalten sich in je drei Zweige, was zusammen zwanzig Nerven für diesen Kelch liefert. Fünf Bündel gehen dann aus der Achse zu den Petalen ab; dann werden, wie seinerzeit schon Van Tieghem?) richtig abgebildet hat, die reduzierten Staubblätter mit je einem schwachen Bündelast versorgt; fünf weitere Bündeläste treten, sich weiter verzweigend, und in bestimmter Weise orientierend, in die 4) Trait& d’organogenie comparce de la fleure, 1857, p.336, Taf. 72 u. 75. 2) Vergl. Recherches sur la structure du pistil, M&moires presentes par divers savants A l’Academie des sciences de V’Institut de France, Bd. XXI, 1875, Taf. XI, Erklärung p. 244. 42% 660 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). Karpelle ein, während die übrigen innerhalb des in den Fruchtknoten hineinwachsenden Achsenendes sich erschöpfen !). Jenen geringen Grad der Entwicklung, wie ich ihn eben geschildert habe, zeigten die Staubblattanlagen einer ganz überwältigenden Mehr- zahl aller Exemplare von Melandrium album, die ich prüfte. An Stöcken, die ich in unserm Garten anpflanzen ließ und die später der Infektion unterlagen, war dieses Verhalten ausnahmslos. Doch gelang es mir in der Umgebung von Bonn wiederholt auch Blüten aufzufinden, bei welchen die Staubblattanlagen etwas weiter fortgeschritten waren. In den extremen Fällen bildeten sie behaarte Fädchen, die 1 mm Länge erreichten. Entweder zeigten sie auch dann nur einen Bau, der im wesentlichen an den eines Filaments erinnerte, oder von der Spitze war ein Gebilde abgegliedert, das den Anfang einer Anthere darstellte. In diese reichte das Gefäßbündel und die Intercellularen des stiel- förmigen Teiles nicht hinein; sie führten Krystalldrusen in vielen Zellen und hatten auch wohl Zellgruppen aufzuweisen, welche auf eine beginnende Differenzierung der Staubfächer hinwiesen. So weit reichende Stadien wurden aber nur ganz ausnahmsweise zu finden, und in keinem Falle sah ich, bei nicht infizierten weiblichen Blüten, die Entwick- lung über sie hinausgehen. In den weiblichen Blüten von Melandrium rubrum Gareke waren in ähnlicher Weise ausgebildete Anlagen von Staubblättern häufiger als bei Melandrium album, doch niemals schritten sie auch da bis zur Pollenbildung fort. Im wesentlichen so wie es hier geschehen ist, gab auch Vuille- min?) an, dass in den weiblichen Blüten von „Lychnis dioica“ die reduzierten Staubblätter zur Zeit der Anthese kaum sichtbare Punkte oder auch behaarte Fäden darstellen, die 1 mm Höhe erreichen und eine deutliche Anthere tragen können. In sehr jungen Blüten stehe eine Anlage der letzteren Art derjenigen von Staubblätiern in männ- lichen Blüten durchaus nicht nach. Doch würden Staubbeutel nicht erzeugt. Man sehe vielmehr an deren Stelle manchmal große Zellen, die komplizierte Drüsen von Calciumoxalat enthalten. Vuillemin verwertet diese Befunde, um zu entwickeln, dass „unter dem Einfluss des parasitären Reizes, die vorgebildeten Anlagen nur hypertrophieren; das Mycelium bildet Windungen an den Stellen, welche den Staubfächern entsprechen; die Zellkerne, die eine Zeit lang in der Masse sichtbar seien, verschwinden, und so wären dann in Antheren etwa 4 mm hoher Blüten vier sporogene Knäuel vorhanden. Die erste Thätigkeit des Parasiten, weit davon entfernt, männliche Elemente zu schaffen, bestehe darin, die Zellen zu zerstören, die be- stimmt sind, Pollen auszubilden“. 4) Vergl. auch Van Tieghem |. c. p. 57. 2); 1..C."p: 663. ‚Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 661 Vuillemin’s Aufsatz veranlasste Magnin seine Beobachtungen an Melandrien wieder aufzunehmen!). Er fand, wie zuvor, dass bei Lychnis vespertina, also bei unserm Melandrium album, die Anlagen der Staubblätter meist kaum unterscheidbar sind. Nicht anders traten sie ihm in den Blütenknospen entgegen, doch beobachtete er hin und wieder auch Fälle, die den fortgeschrittenen, von Vuillemin be- schriebenen Zuständen entsprachen. Noch weiter ausgebildete Anlagen waren Magnin früher bei Zyehnis diurna, also unserm Melandrium rubrum, entgegengetreten. Diesmal fand er sie nicht wieder, und da er die Pflanze an einem anderen Standort untersuchte, so meinte er, hieraus auf „örtliche Variationen regionaler Rassen“ schließen zu müssen. Mir gilt es vor allem hier nochmals zu betonen, dass ich in den weiblichen Blüten jener Pflanzen, die in unseren Garten versetzt wur- den und dort weiterhin der Ansteckung unterlagen, das Vorhanden- sein von nur ganz kleinen Höckern mit undifferenziertem Gewebe an Stelle der Staubblätter konstatiert hatte. Das verhinderte aber diese Pflanzen nicht, nach der Ansteckung jene ansehnlichen Staubblätter zu erzeugen, wie sie die infizierten weiblichen Blüten auszeichnen. Der Bau dieser infizierten Staubblätter war ein solcher, dass man ihn unmöglich aus einer einfachen Hypertrophie der in den gesunden Pflanzen vorhandenen Staubblatthöcker ableiten konnte. Es lag viel- mehr klar zu Tage, dass der vom Parasiten ausgeübte Reiz in den weiblichen Melandrium-Höckern die Vorgänge auslöst, welche zur vollen Ausbildung der Staubblätter führen. Diese Staubblätter würden ohne Zweifel, unter dem Einfluss dieses Reizes, ihre volle, normale Ausbildung erreichen, wenn sie nicht zuvor, in einem Teile ihres Ge- webes, dem Pilz zum Opfer fielen. Die Entwicklung der normalen männlichen Blüten (Fig. 1), die ich kurz anfügen will, läuft zunächst in derselben Weise, wie die der weib- lichen ab, doch die zehn Staubblattanlagen wachsen weiter, während die Anlage der Karpelle unterbleibt. Die Insertionsstellen der beiden Staubblattkreise werden gemeinsam aus dem Blütenboden emporgehoben und in dem so entstandenen Discus zehn Nektarien, mit den Staub- blättern abwechselnd, ausgebildet. Durch die enge Oefinung, welche der Diseus übrig lässt, wächst die Blütenachse zu einem fadenförmigen Gebilde noch aus. Das Unterbleiben der Fruchtknotenbildung wird von einer schwächeren Entwicklung des Blütenstiels begleitet, der auch nur fünf Gefäßbündel ausbildet. Von diesen gehen zehn Seitenäste nach dem verwachsenblättrigen Kelch ab, in welchem sie sich nicht weiter verzweigen. Im Gegensatz zu der weiblichen Blüte führt der Kelch der männlichen nur zehn Nerven, fünf in den Medianen und 1) Comptes rendus, 1892, Bd. 115, p. 675. 662 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). fünf in den Kommissuren. Mit der Versorgung der Staubblätter er- schöpft sich das Gefäßbündelsystem der Blütenachse. Andererseits streckt sich diese Achse zwischen der Insertion der Sepalen und Petalen, zu jenem Zwischengliede, dessen Bildung in den weiblichen Blüten unterbleibt. Das Mycel von Ustilago violacea wächst in der Nährpflanze zwischen den Zellen weiter, ohne in diese selbst einzudringen. Es folgt nicht etwa vorgebildeten Intercellularen, bewegt sich vielmehr innerhalb der primären Wände, die es löst. Die Orte seiner Hauptentwieklung liegen in den Vegetationspunkten, wo Intercellularen noch nicht ausgebildet sind. Diese Einschränkung der Fortentwicklung des Mycels auf die Vegetationspunkte, gilt, nach Brefeld, auch für die Ustilago- Arten, welche den Getreidebrand veranlassen!). Nur in den Vegetations- punkten finden die Hyphen Zeit sich auszubreiten, während sie weiter- hin durch das rasche Wachstum der Gewebe gedehnt werden und gleichsam zwischen den älteren Gewebsteilen erstarren. Dort ist auch ihr Nachweis bei Melandrium mit Schwierigkeiten verbunden, während er in den Vegetationspunkten dieser Pflanze, bei Anwendung ent- sprechender Untersuchungsmethoden, leicht gelingt. Hier, innerhalb der meristematischen Gewebe, sind dieHyphen auch inhaltsreicher und dieker, während sie in den gestreckten Gewebsteilen sehr inhaltsarm und dünn werden. Dort werden sie auch zerrissen, so dass man sie nur stückweise verfolgen kann. — Im Gegensatz zu den Ustilago-Arten des Getreides?), dringt Ustilago violacea der Melandrium-Arten nicht in die Zellen ein; sie bildet auch nicht, wie verschiedene andere Ustilagineen?), Haustorieen, lässt sich vielmehr ganz glatt zwischen den Zellen der Nährpflanze, selbst zwischen jenen, die sie weiterhin zerstören wird, verfolgen. Die verschiedenen Ustilagineen weichen somit in diesem Verhalten von einander ab *). — Nach L. Mangin?) sollen die Hyphen- wände der Uredineen und Ustilagineen Cellulosereaktion geben und nur in der Fruktifikation Pektinverbindungen aufweisen. Das bestimmte mich, einen Teil meiner Präparate mit Methylenblau, einen andern mit Safranin, einen noch andern mit Congorot zu färben. Ausserdem kam das Dreifarbengemisch zur Anwendung. Fixiert waren die Objekte entweder mit Alkohol oder mit Chrom-Osmium-Essigsäure. Die Unter- 1) Untersuchungen aus dem Gesamtgebiete der Mykologie, Heft XI, 1895, p. 39. 2) Vergl. Brefeld 1. e.;p.37. 3) M. Woronin, Beitrag zur Kenntniss der Ustilagineen, 1882, p. 7. Sonderabdruck a. d. Abhandl. d. Senckenb. naturf. Ges., Bd. XII, S. 559—591. 4) Vergl. auch P. Dietel, Hemibasidii, in: Engler u. Prantl, Natür- liche Pflanzenfamilien, 1897, Heft 160, I, 1** p. 3. 5) Observations sur la constitution de la membrane chez les Champignons. Comptes rendus de l’Acad., Paris 4. Dec. 1893. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 663 suchung erfolgte an Mikrotomschnitten. Die besten Hyphenfärbungen erhielt ich mit Methylenblau, was sich im Sinne der Mangin’schen Auffassung verwerten ließe '), doch sehe ich hier davon ab, weitere Schlüsse über die Natur der Membranstoffe hieraus ziehen zu wollen. In den vegetativen Vegetationspunkten der infizierten Melandrien ist die Zahl der Ustilago-Hyphen nur gering, ihre Tinktionsfähigkeit mit Methylenblau und Safranin nicht stark. Nur ausnahmsweise ge- lingt es, einzelne Hyphenenden bis zum Dermatogen zu verfolgen. — Mit beginnender Blütenbildung wird das Wachstum des Vegetations- kegels gehemmt und damit gewinnen die Ustlago-Hyphen Zeit, sich auszubreiten. Man kann jetzt ihre Zweige meist ohne Mühe bis zum Dermatogen verfolgen. Zwischen die Zellen des letzteren sah ich sie nicht eindringen. Zu einer kräftigen Entwicklung gelangen diese Hyphen aber thatsächlich erst in den Höckern, die als Staubblattanlagen aus dem Vegetationskegel sich vorwölben. Sie folgen dort zunächst in grader Richtung den Zellen, welche den Pro- cambiumstrang umgeben, um in den Anlagen der Antheren auch seitliche Zweige zu bilden. Wie sich das dar- stellt, nachdem die Urmutterzellen, be- ziehungsweise die Mutterzellen des Pollens angelegt sind, zeigt unsere Figur 5?). Sie führt den oberen Teil einer median getroffenen Anthere im Längsschnitt vor. Da folgen von außen nach innen zunächst die Epidermis (e), dann jene aus der Teilung einer hypo- dermalen Zellschicht hervorgegangenen Zelllagen, welche die Wandschichten und die Urmutterzellen des Pollens bilden. Es sind das, wie auch sonst, die später mit Verdickungsleisten zu versehende Faserschicht (/), eine zu verdrängende Zellschicht (»), dann jene, welche unter normalen Verhältnissen die Tapete (?) liefert, endlich die Urmutterzellen des Pollens (m). Die Hyphen des Pilzes folgen in longitudinalem Verlauf den Urmutterzellen an der Konnektivseite (c) und treiben, von da aus, ihre Seitenzweige zwischen diese Zellen hinein, man kann sie bis zur Epidermis der Antherenfächer verfolgen. — Bei einer genauen Durch- musterung der Längsschnitte durch die Fruchtknotenanlage, findet man Hyphen auch zwischen deren Zellen und zwar bis zu den Narben Fig. 5. 1) Bull. de la soc. d’hist. nat. d’Autun, Bd. VIII, 1895. 2) Vergrößerung 350. 664 >Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). hinauf; ebenfalls sind solche Hyphen zwischen den inhaltsreichen Zellen der Samenanlagen nachzuweisen. Sie fehlen auch nicht ganz in den anderen Teilen der Blüte, doch sind sie dort überall weit schwächer entwickelt und inhaltsärmer als in den Staubblattanlagen. Augeuscheinlich liegen innerhalb der letzteren besonders günstige Er- nährungsverhältnisse für den Pilz vor. Ungeachtet dessen sind auch in den Staubblattanlagen zunächst noch alle Zellen intakt. Das Vordringen der Pilzhyphen zwischen ihnen stört also ihren Inhalt nicht. Die Zellkerne der mit den Hyphen in Kontakt stehenden Zellen sind in keiner Weise verändert, teilen sich weiter in durchaus normaler Weise und auch das Cytoplasma zeigt sich nicht beeinflusst, weist dieselbe Dichte und denselben Bau auf, wie in entsprechenden Zellen einer nicht infizierten Pflanze. Der Einfluss des Pilzes auf die Protoplasten macht sich somit in den infizierten Pflanzen von Melandrium zunächst in einer histologisch nicht nachweisbaren Weise geltend. Dass eine keizwirkung ganz be- stimmter Art aber bereits vorliegen muss, das geht in den weiblichen Pflanzen aus dem Umstande klar hervor, dass die Anlagen der Staub- blätter, die sonst auf dem Stadium undifferenzierter Höcker zu ver- harren pflegen, zur weiteren Ausbildung angeregt werden. Dabei macht sich jene eigene Erscheinung wieder geltend, wie sie oft auch bei Gallenbildungen uns entgegentritt, dass der Parasit den Nährwirt gleichsam zwingt, in seinen Dienst zu treten. Auch in diesem Falle baut der Nährwirt dem Parasiten ein passendes Haus, wenn auch diesmal nicht nach einem neuen Plane, vielmehr nur durch Ausbildung von Organen, die im Artcharakter vorgesehen sind, aber unter normalem Verhältnis nicht zur Ausbildung gelangen. In der That stimmen die so auftretenden, den weiblichen Blüten der betreffenden Melandrium- Arten einen pseudohermaphroditen Cha- rakter verleihenden Gebilde, in ihrem Bau durchaus mit den Staub- blättern der männlichen Blüten überein. Das zeigt sich nicht nur bis zu jenen Stadien hinauf, die schon geschildert wurden, sondern auch weiterhin, bis zum Reifezustand der Antherenwandung. Sobald die Urmutterzellen, unter Umständen schon die Mutterzellen, des Pollens angelegt sind, beginnt ihre Zerstörung. In keinem Falle habe ich die Pollenmutterzellen es vorher zu einer Sonderung und einer Verdiekung ihrer Wände bringen sehen. Die Pilzhyphen schwellen alsdann bedeutend an, füllen sich mit dichtem Inhalt und nehmen ge- schlängelten Verlauf an. Ihre Tinktionsfähigkeit wächst gleichzeitig bedeutend. Die angeschwollenen Hyphen zeigen hierauf Einschnürungen und teilen sich in entsprechend viele zu Knäueln vereinigte Chlamydo- sporen. Somit erst auf jenen Entwicklungszuständen, welche dem Reifen der Pollenmutterzellen kurz vorausgehen, macht sich eine giftige Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 665 Wirkung des Pilzes auf den Inhalt der Staubfächer geltend. Die Proto- plasten der Pollenmutterzellen verquellen, ihre Zellkerne werden stark liehtbrechend, ihr Cytoplasma schrumpft zusammen und verschmilzt schließlich mit dem Kernklumpen. In Gestalt stark lichtbreehender, ganz unregelmäßiger Gebilde liegen nur solche Zellen zwischen den jungen Chlamydosporen; sie nehmen an Größe ab und schwinden schließlich vollständig. Augenscheimlich sind sie von dem Pilze auf- gelöst und resorbiert worden. So auch verzehrt der Pilz den Inhalt der das Staubfach umgebenden Zellen, die sich zu Tapetenzellen ent- wickelt hätten, er verdrängt auch an der Antherenwandung die nächst äußere Zelllage, während ihm dort die an die Epidermis grenzende Zellschicht, so wie die Epidermis selbst, widerstehen. Ja, in der sub- epidermalen Zellschieht, welche in gesunden Antkeren die Verdiekungs- leisten liefert, bilden sich diese durchaus normal aus, so wie auch die Epidermis den für eine normale Anthere typischen Bau erlangt. Das Gewebe somit, das der Pilz in den Staubfächern außerhalb der Pollen- mutterzellen verdrängt und resorbiert, ist dasselbe, welches sonst während der Reifungsvorgänge des Pollens schwindet. Die Filamente strecken sich bis zu ihrer erblielı bestimmten Länge und zeigen den ihnen zu- kommenden Bau. Die Antherenfächer springen dann auch in gewohnter Weise auf und entleeren die Chlamydosporen, ganz wie sonst den Pollen. Es übt somit der Pilz in den weiblichen Blüten von Melandrium eine doppelte Thätigkeit aus. Zunächst löst er, ohne die Protoplasten zu schädigen, formative Vorgänge in ihnen aus, welche die Ausbildung der Staubblattanlagen zu Staubblättern veranlassen; dann erst, auf einem bestimmten Entwicklungszustande, vielleicht infolge kräftiger Ernährung, wird er virulent, tötet und verzehrt den Staubbeutelinhalt. Dass er auf die Pollenmutterzellen und bestimmte angrenzende Gewebe seinen Appetit einschränkt, lässt sich wohl begreifen. Denn die Pollen- mutterzellen führen einen besonderen Inhalt, ihre Wände sind sehr pektin- reich und leicht löslich; die angrenzenden Gewebe, die dem Pilz nicht widerstehen, entsprechen aber jenen, die auch sonst dem reifenden Pollen zum Opfer fallen. (Zweites Stück folgt.) Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse. Von Dr. Walter Stempell, Privatdozent in Greifswald. (Drittes Stück.) Ich wende mich nun zur Erörterung der Frage, ob wir nicht in vielen Fällen berechtigt sind, den Prozess der Bildung und Abscheidung 666 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen, von Conchiolin und Kalk ausschließlich ins Mantelepithel zu verlegen. Entweder könnten einzelne, resp. alle Epithelzellen die Fähigkeit be- sitzen, beide Stoffe zugleich abzuscheiden, oder es könnten spezifische Kalkzellen und spezifische Conchiolinzellen im Epithel vorhanden sein. Viele Autoren (Tullberg 1881 p. 25, Krukenberg 1886 p. 244, M. de Villepoix 1891 p. 317, 653, Thiele 1893 p. 242) neigen der ersteren Annahme zu, und zwar hanptsächlich deswegen, weil nach ihrer Ansicht keine Differenzen im Epithel aufzufinden sind, welche auf eine sekretorische Arbeitsteilung schließen lassen. So sind sie geneigt, auch allen epithelialen Drüsenbildungen'), wie sie besonders bei Gastro- poden häufig im schalenabsondernden Mantelrand vorkommen, eine gemischte Rolle zuzuschreiben (Moquin-Tandon 1555 p. 28, M. de Villepoix 1892c p. 596, 1895 p. 512, 513, Thiele 1893 p. 238, Willeox 1897 p. 416). Dieser Auffassung steht eine andere gegen- über, welche mit größerer oder geringerer Bestimmtheit für das Vor- kommen spezifischer Kalkdrüsen eintritt. Allerdings waren die that- sächlichen Befunde bis vor kurzer Zeit in letzterer Hinsicht wenig er- mutigend. Außer einer älteren, darauf bezüglichen Bemerkung v. Sie- bold’s (1848 p. 305) und einer später bestrittenen (ef. Semper 1857 p. 343, 344, 347, 348, Leydig 1876 p. 264, M. de Villepoix 1891 p. 317, 1892 p. 600) Angabe Meckel’s (1846 p. 17) über das Vorkommen von schalenbildenden Kalkdrüsen bei Gastropoden existierten in der Litteratur nur wenige gelegentliche Hinweise auf besondere kalkab- scheidende Elemente im Mantelepithel verschiedener Mollusken (Gar- nault bei Öyelostoma 1887 p. 17, Rawitz bei Area 1890 p. 562, Bela Haller bei Lottia 1894 p. 30), und alle diese Angaben sind obendrein meistens so unbestimmt gehalten, dass man nicht weiß, ob die betreffenden Autoren wirklich nur spezifische Kalkdrüsen dabei im Auge gchabt haben. In der That lässt die Mehrzahl dieser Befunde auch keine genauere Bestimmung zu. So werden z. B. die Elemente der von Rawitz (1890 p. 562) im äußeren Mantelepithel von Arca be- schriebenen „kalkbereitenden“ Drüsenmasse nicht ohne weiteres als spezifische Kalkzellen betrachtet werden können, da solche Drüsen nach der Angabe Thiele’s (1893 p. 225, 227) nur unter der innersten Schicht der Kalkschale von Arca vorhanden sind, dagegen an demjenigen Teil des Mantelrandes, welcher die äußere Schicht der Kalkschale abson- dert, vollkommen fehlen und hier durch einige wenige, ganz anders gestaltete, subepitheliale Drüsen ersetzt werden. Man kann daher Thiele nur Recht geben, wenn er (1893 p. 242) die funktionelle Be- deutung dieser und ähnlicher Drüsengebilde unter der Kalkschale hin- 1) Angesichts der feststehenden Thatsache, dass epitheliale Drüsen an der Schalenbildung beteiligt sind, kann natürlich der von Leydig (1883 p. 276) ausgesprochene Satz, dass Cutieulargebilde niemals Drüsenprodukte seien, nicht aufrecht erhalten werden. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 667 sichtlich des Sekretes nicht genauer bestimmt und nur im allgemeinen sagt, dass sie wohl neben den gewöhnlichen Epithelien zum Aufbau aller Schalenteile dienen. Sieherere Resultate brachten in dieser Beziehung meine eigenen Nachforschungen an mehreren, noch nicht untersuchten, primitiven und meist dünnschaligen Formen (1897b p. 9, 10 u. 1899 p. 103 u. 104). Es gelang hier in der That, ganz charakteristische Epitheldrüsen auf- zufinden, welehe ihrer Lage und Verteilung nach nur als Kalkdrüsen anzusprechen waren. Ich fandnämlich beiMalletia chilensis Desmoul. und Solemya togata Poli im äußeren Mantelepithel hier und da eiförmige Becherzellen, welche in ihrem Innern von zahlreichen, un- färbbaren und stark liehtbreebenden Körnchen”erfüllt waren. Da mir lediglich konserviertes Material zur Verfügung stand, so konnte hinsichtlich der chemischen Natur dieser Körnehen mit Sicherheit nur so viel fest- gestellt werden, dass sie nach Behandlung mit starker Salzsäure ohne bemerkbare Kohlensäure-Entwickelung verschwanden. Indessen lässt wohl die Thatsache, dass derartige Drüsen immer nur unter den kal- kigen Schalenteilen, niemals aber unter dem Ligament und der über- stehenden Randzone des Periostracums zu finden sind, doch mit Sicher- heit darauf schließen, dass wir es hier mit spezifisch Kalk absondern- den Gebilden zu thun haben. Ob das von diesen Zellen ausgeschiedene Caleiumsalz das Karbonat ist oder, wie ich früher angenommen habe (1897b p. 10), das Caleiumsalz einer organischen Säure, läßt sich na- türlich zur Zeit nicht entscheiden; immerhin darf auch die erstere Mög- liehkeit durch das Fehlen der Kohlensäure-Entwickelung nicht als aus- geschlossen gelten, da derartig geringe Spuren von Kohlensäure, wie sie hier in Betracht kämen, schon während des Freiwerdens von der umgebenden Flüssigkeit gelöst und so dem Auge des Beobachters ent- zogen werden könnten. Schließlich sei noch bemerkt, dass die von mir beobachteten Kalkzellen wohl sicher nicht bindegewebigen Ursprungs sind (ef. dagegen Apäthy 1885), sondern durch Differenzierung ge- wöhnlicher Epithelzellen entstehen; wenigstens findet man häufig solche Epithelzellen, welehe im allgemeinen den übrigen gleichen, aber in ihrem Protoplasma bereits Einlagerungen stark liehtbreehender Körner zeigen und nur als entstehende Kalkzellen aufzufassen sind (ef. Stem- pell 1897b p. 10). Derartige Kalkzellen scheinen nun bei den La- mellibranchiaten gar nicht so selten zu sein, wie man bisher geglaubt hatte. So haben bereits mehrere Forscher (Leydig bei Anodonta 1857 p. 109 Fig. 55, Tullberg bei Mytilus, Ostrea und Modiola 1881 p. 29, 32, 38, M. de Villepoix bei Anodonta 1892c p. 499) im äußeren Mantelepithel verschiedener Muscheln kleine, eiförmige Drüsen beschrieben und abgebildet, die wohl unbedenklich als solche Kalkzellen gelten können. Wenn Tullberg diese Drüsenzellen allein deswegen nicht als Kalkzellen ansprechen will, weil sie bei Modiola 668 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. weit zahlreicher sind als beiMytilus, und man nicht einsehen könne, warum Modiola mehr Kalk brauchen sollte, als Mytilus, so scheint mir dieser Grund doch keineswegs zwingender Natur zu sein. Aber selbst wenn spezifische Kalkdrüsen sich wirklich nur bei einer kleinen An- zahl von Mollusken nachweisen ließen, so würden doch diese Befunde vollkommen genügen, um ein für allemal wenigstens die Grundthatsache festzustellen, dass Conchiolin und Kalk nicht erst durch extracelluläre chemische Prozesse differenziert werden, sondern dass sie bereits che- misch geschieden aus dem Tierkörper hervorgehen. Ob allerdings bei sämtlichen Mollusken spezifische Conchiolin- und spezifische Kalkzellen vorhanden sind, und ob diese histologischen Elemente überall gleich sestaltet sind, muss angesichts der bisherigen Erfahrungen mit Recht bezweifelt werden. Man wird sich hier vor jeder Verallgemeinerung hüten müssen. Vielleicht wird man noch so weit gehen können, dass man die absondernde Funktion im allgemeinen dem eigentlichen Mantel- epithel zuschreibt (cf.M. de Villepoix 1892e p. 515)'); alle speziel- leren Aussagen aber werden immer nur für bestimmte, kleine Gruppen Geltung haben. So wird auch der von mir (1897b p. 10, 1899 p. 104, 163) allein für die Lamellibranchiaten aufgestellte Satz, dass bei diesen die Kalkabscheidung immer an spezifische Kalkzellen geknüpft sei, während die organischen Schalenbestandteile als eutieulare Ab- scheidungsprodukte des übrigen, indifferenten Epithels entstehen, noch durch zahlreiche, weitere Beispiele zu erhärten sein. In gewisser Be- ziehung erleidet dieser Satz schon dadurch eine Ausnahme, dass bei einigen Muscheln an der Ligamentbildung (Stempell bei Leda sul- culata 1897a p. 19, 1897b p. 22), bei anderen an der Erzeugung des Periostracums (Thiele beiArca 1803 p. 224) entschieden drüsige Elemente beteiligt sind. Noch größere morphologische Verschieden- heiten scheinen in dieser Beziehung bei den Gastropoden vorzukommen; hier werden augenscheinlich nicht nur Kalksalze, sondern häufig auch rein chonchiolinhaltige Schalenteile, wie das Periostracum ganz oder teilweise von Drüsen erzeugt (cf. Longe u. Mer bei Helix 1880 p. 883, Tullberg bei Buecinum 1881 p. 44, Nalepa bei Zonites 1883 p. 239, M. de Villepoix bei Helix 1891 p. 317, 1892e p. 666). Speziell bei den Selenoconchen sollen nach Fol (1885 p. 1353) subepi- theliale Drüsen bei der Sekretion der Schale die Hauptrolle spielen. Wir müssen nun noch einer über die Kalkbildung geäußerten An- sicht gedenken, welche insofern eine ganz isolierte Stellung einnimmt, als sie gar nicht die bisher immer gemachte Voraussetzung zugiebt, dass der gesamte Schalenkalk vor seiner Ablagerung den Tierkörper passiert. Wenn wir von der gelegentlichen Bemerkur g Bischofs (1855 1) Unter anoımalen Bedingungen scheint allerdings eine gesonderte Ab- scheidung von Conchiolin und Kalk auch in nicht epithelialen Geweben statt- zufinden, wie z. B. die Bildung von freien Perlen beweist. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 669 p. 1138, 1139, 1863 p. 289) absehen, dass der Kalk des Meerwassers durch Kontaktwirkung an die Schale abgesetzt werden könne, so finden wir derartige Anschauungen nur durch Steinmann (1889 p. 288 u. ff., 1899 p. 44) vertreten. Derselbe stellte auf Grund der schon angeführten Versuche mit faulendem Eiweiß und Caleiumchloridlösung die Hypo- these auf, dass nur ein Teil des Schalenkalkes vom Tierkörper selbst geliefert werde, während ein anderer Teil extracellulär durch das vom Tierkörper erzeugte Ammoniumkarbonat direkt aus dem umgebenden Meerwasser ausgefällt werde. Man wird dieser Annahme Steinmann’s schon deswegen nicht zustimmen können, als nicht gut einzusehen ist, wie ein derartiger chemischer Prozess durch das die ganze Kalkschale von vornherein überziehende Periostracum möglich sein soll. Gerade dieses chemisch so restitente Periostracum hat doch offenbar den Zweck, alle chemischen Einflüsse des umgebenden Mediums von der Kalkschale fern zu halten. Müsste man nicht auch, wenn die Steinmann’sche Ansicht richtig wäre, geradezu erwarten, dass ein Teil des Schalen- kalkes normalerweise an der Außenseite des Periostracums abgelagert würde? — Im Anschluss an die Bildungsweise von Conchiolin und Kalk soll hier noch kurz die Abscheidungsweise und Bildung der spezifischen Pigmentstoffe besprochen werden, die sich in vielen Schalen finden und welche neben der diffusen Grundfarbe der einzelnen Schalenteile die oft so auffallende und regelmäßige Färbung der Schale verursachen. Solches Pigment findet sich in allen Schalenschichten, am häufigsten aber in den äußersten Lagen, und es wird in vielen Fällen wohl sicher durch besondere Farbdrüsen!) in anderen Fällen durch eine allgemeine oder .lokalisierte Pigmentabscheidung der gewöhnlichen Epithelzellen?) erzeugt. Eine scharfe Grenze zwischen Farbdrüsen und gewöhnlichen, pigmentführenden Zellen ist natürlich nicht zu ziehen. Dass außer einer solchen Pigmentabscheidung durch den Tierkörper auch noch durch extracelluläre chemische Prozesse Pigment entstehen kann, ist zur Zeit noch nicht mit Sicherheit erwiesen. Jedenfalls muss es aber als irr- tümlich bezeichnet werden, wenn Steinmann (189% p. 40 u. ff.) einen derartigen Modus der Pigmentbildung als den allein in der Natur vor- kommenden hält. Steinmann wurde zu dieser Annahme durch die Beobachtung geführt, dass Eiweiß, welches bei Gegenwart von nascieren- dem Caleiumkarbonat in eine eonchiolinähnliche Modifikation übergegan- gen war, nach längerem Auswaschen mit frischem, sauerstoffreichen 1) ef. Gray 1833 p. 787, 1838 p. 830, Philippi 1853 p. 5, Semper. 1857 p. 349, Jones 1861 p. 500, 520, Stewart cf. Rainey 1861 p. 32, Bronn 1862 p. 422, Krukenberg 1836 p. 244, M. de Villepoix 1892c p. 507, Simroth 1892 p- 143, 1895 p. 154, Jacobi 1895 p. 305. 2) cf. Leydig 1876 p. 264, Tullberg 1881 p. 44, M. de Villepoix 1892e p. 602, 603. 670 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Wasser eine zunehmende Bräunung erkennen ließ, und er glaubt, dass diese Bräunung auf Rechnung emer Oxydation zu setzen sei. Wenn man mit diesem Vorgang irgend einen Prozess bei der Schalenbildung vergleichen wollte, so könnte es meiner Ansicht nach nur das allge- meine Dunklerwerden mancher, dem Einfluss des Sauerstoffes ausge- setzten Schalenteile, z. B. des Periostracums, sein; als eigentliche „Pig- mentbildung“ kann dieser Prozess aber schon deswegen nicht bezeichnet werden, weil es sich dabei nicht um Einlagerung eines an bestimmte Pigmentkörnchen gebundenen Farbstoffes handelt, sondern lediglich um ein Dunklerwerden der diffusen Grundfärbung. Außerdem kommen wir auch mit der Annahme solcher extracellulären Pigmentbildung nicht aus, wenn wir das Zustandekommen der oft so regelmäßigen und komplizierten Schalenzeichnung erklären wollen. Gerade in dieser Beziehung sind wir meistens gezwungen, bestimmte, pigmentabschei- dende Regionen innerhalb der schalenbildenden Epithels anzunehmen (ef. M. de Villepoix 1892 p. 602, 603, Gräfin Linden 1896 p. 306). Da die Art, Menge und Anordnung des Pigments selbst bei ver- schiedenen Individuen innerhalb gewisser Grenzen variiert, so hat man häufig nach den allgemeinen Ursachen gesucht, welche die Pigment- bildung im günstigen oder ungünstigen Sinne beeinflussen. Unter diesen Ursachen spielt sicher das Licht qualitativund quantitativ eine große Rolle (ef. Gray 1833 p. 787, Clessin 1873 p. 42, 46, Fischer 1887 p. 26, M. de Villepoix 1892e p. 604, Ryder 1893 p. 262, Gräfin Linden 1896 p. 311, List 1899 p. 631, 632); doch schließt das nicht aus, dass auch noch andere Faktoren, wie Klima, Nahrungsverhältnisse, Schalenver- letzungen ete., eine gewisse Wirkung ausüben (ef. v. Martens 1870 p. 125, 126, Clessin 1873 p.40 u. ff. M. de Villepoix 1892e p. 604, Simroth 1892 p.143, Gräfin Linden 1896 p.313). Neben diesen äußeren Ursachen, und wohl häufig in Verbindung mit ihnen, scheinen ferner auch innere Ursachen bei der Pigmentbildung und Verteilung ‚mitzu- wirken: so haben sich in einigen Fällen Beziehungen zwischen Pig- mentanhäufungen und Blutbahnen ergeben (Simroth 1892 p. 143, Gräfin Linden 1896 p. 313, Faussek 1899 p. 140), und es ist demnach nieht ausgeschlossen, dass die Pigmentbildung mit der Atmung uud dem Stoffwechsel in Connex steht (Simroth 1892 p. 143, Faussek 1899 p. 140). Natürlich ist eine solche, im Lebensprozess des Tieres be- ruhende Oxydation etwas ganz anderes, als eine extracelluläre, ge- wissermaßen postmortale. Oxydation toter Sekretmassen, wie sie Stein- mann (l. e) annimmt, der seine Ansicht irrtümlicherweise mit der von Faussek ausgesprochenen identifiziert. Inwieweit die eine oder die andere der angeführten Ursachen im einzelnen Falle bei der Pig- ment-Bildung und Verteilung wirksam ist, werden wir natürlich erst dann sagen können, wenn wir über die chemische Zusammensetzung der als Pigmente bezeichneten Stoffe etwas Sicheres wissen werden. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 671 Nachdem wir in Vorstehendem hauptsächlich die chemische Seite des Sekretionsvorganges und die sich daran knüpfenden Fragen er- örtert haben, wenden wir uns nun den mehr physikalischen Problemen zu, welche bei diesem Prozess in Betracht kommen. Wir besprechen zunächst die Frage, ob man sich den Sekretionsvorgang an allen denjenigen Stellen, wo Mantel und Schale nicht innig zusammenhängen, als eine Loslösung euticulaähnlicher Häute oder vielmehr als Ab- scheidung einer Flüssigkeit vorzustellen hat. Die erstere Ansicht, wo- nach also fertig gebildete Häute der Schale zugefügt würden, ist be- sonders von Huxley (1859 p. 490, 491) und Apäthy (1885) vertreten worden, während die weitverbreitete Annahme flüssiger Sekretprodukte unter den neueren Forschern vor allem in Tullberg (1881 p. 23) und Ehrenbaum (1885 p.36) Anhänger gefunden hat. In der That ist ja auf den ersten Blick nicht recht zu verstehen, wie eine an der Ober- fläche der Zellen vollkommen fertig gebildete Schicht nachträglich an der Schale befestigt werden sollte, und außerdem weist auch die That- sache, dass zuweilen Drüsen an der Schalenbildung beteiligt sind, ent- schieden darauf hin, dass flüssige Sekrete sehr wohl in Verwendung kommen. Andrerseits sprechen viele Thatsachen, besonders der noch zu erörternde Zusammenhang zwischen Schalenstruktur und Mantel- epithel, dafür, dass die abgeschiedene Conchiolinmasse doch schon bei ihrer Trennung vom Epithel bestimmte Formeigentümlichkeiten besitzt. Wir werden uns also den ganzen Bildungsprozess an den- jenigen Stellen, wo Mantel und Schale nicht innig zusammen hängen, am richtigsten so vorzustellen haben, dass mehr oder minder bestimmt geformte, aber noch weiche Membranen, wie man sie oft an der Innen- seite frischer Schalen vorfindet (ef. Huxley 1859 p. 491, v. Nathusius- Königsborn 1877 p.95.) vom Epithel abgestoßen werden, dass aber außerdem auch noch flüssige Sekretprodukte entstehen, welche in den Zwischenräumen jener Membranen erstarren und zusammen mit ihnen die einheitliche Schale aufbauen (ef. auchM. de Villepoix 1892e p. 654, 655). Eine wesentliche Modifikation scheint nun der ganze Vorgang der Schalensekretion an denjenigen Stellen der Manteloberfläche zu er- fahren, wo Tier und Schale sehr fest und innig zusammenhängen. Von den neueren Untersuchern hat sich zuerst Tullberg (1881 p. 31) näher über dieses Problem geäußert. Er ist der Meinung, dass an den letztgenannten Stellen — also vornehmlich an sämtlichen Muskel- ansätzen und der ersten Bildungsstätte des Periostracums vieler Muscheln !) 1) Unter der ersten Bildungsstätte des Periostracums der Muscheln verstehe ich hier diejenige Bildungszone, in der das junge Periostracum noch sehr fest mit der Oberfläche des Epithels verwachsen ist, zum Unterschied von derjenigen Bildungszone, in welcher nur eine sekundäre Verstärkung des Periostracums stattfindet, und wo von einem innigen Zusammenhang zwischen Periostracum und Matrix nichts zu bemerken ist (cf. auch Ehrenbaum 1885 p. 40, 41, Carriere 1889 p. 400, Stempell 1899 p. 103). 672 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. — keine Sekretion im landläufigen Sinne, sondern vielmehr eine all- mähliche Umwandlung der distalen Zellenabschnitte in Schalensubstanz stattfindet — eine Annahme, welcher sich später auch Rawitz (1892 p. 211) hinsichtlich des Periostracums und M. de Villepoix (1892e p. 493, 504) hinsichtlich der Schalenbildung an den sogenannten Schloss- bandwällen von Mytilus und an der inneren Ligamentschicht von An o- donta angeschlossen haben. Alle diese Forscher wollen einen der- artigen Uebergang der Zellenleiber in Schalensubstanz an mehreren Stellen direkt beobachtet haben; so soll sich z. B. an der ersten Bil- dungsstelle des Periostracums das distale Protoplasma der periostracum- bildenden Zellen in zahlreiche feine Fibrillen auflösen, die sich dann zum Periostracum aneinander legen (cf. auch Thiele 1893 p. 224). Dieser Ansicht steht diejenige Ehrenbaums (1885 p. 38, 43, 44) gegenüber, welcher das Vorhandensein jener Primitivfibillen bei Mytilus entschieden bestreitet (cf auch M. de Villepoix 1892 e p. 509) und so zu dem Schlusse gelangt, dass die gesamte Schale allein durch Aus- schwitzung ursprünglich flüssiger Massen entstanden sei. Da er an den Muskelansätzen kein Epithel gefunden hat, so schreibt er den Sekretionsvorgang an diesen Stellen den Enden der Muskelfasern selbst zu (cf. auch Winter 1896 p.7), und um bei dieser Annahme den festen Zusammenhang zwischen Muskel und Schale erklären zu können, greift er zu der Annahme, dass die Muskelfaserenden sich in kleine Höh- lungen der Schalensubstanz hinein erstrecken, aus denen sie sich erst bei weiterem Wachstum wieder zurückziehen. Einen ähnlichen Standpunkt nimmt hinsichtlich des Sekretions- vorganges an den Muskelenden auch Thiele (1893 p. 125, 238) ein; aber mit dem Unterschiede, dass er diese Sekretion nicht den Muskel- faserenden, sondern einem eigentümlich streifig differenzierten Epithel, dem sogenannten „Haftepithel“ zuschreibt, welches er an allen diesen Stellen gefunden hat. Wie sich Thiele den von ihm besonders hervor- gehobenen festen Zusammenhang dieses Epithels mit der Schale vor- stellt, geht aus seinen Ausführungen nicht mit genügender Deutlichkeit hervor. Er nimmt nämlich an, dass eine, nur an den Muskelfaserenden vorkommende, von jenem Haftepithel „selbst“ secernierte, besondere Schalenschicht, das sogenannte „Hypostracum“ diesen Zusammenhang vermittelt, ohne indessen anzugeben, welche besonderen Eigenschaften denn das Hypostracum zu einer solehen Leistung befähigen. Meine eigenen Untersuchungen an Nuculiden und Solemyiden (1897b p. 11, 35, 36, 41, 189% p. 128) führten mich zu Anschauungen, welche zwischen der Tullberg’schen und Ehrenbaum’schen Theorie unge- fähr die Mitte halten. In Uebereinstimmung mit Tullberg und Thiele musste ich zunächst der Ehrenbaum’schen Hypothese gegenüber be- tonen, dass ich an sämtlichen in Frage kommenden Stellen jedenfalls ein Epithel nachweisen konnte. Man findet nämlich bei den genannten Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 673 Gruppen zwischen Muskelfaserenden und Schale entweder ein deut- liches Epithel oder an seiner Stelle eine beiderseits von deutlichen Membranen begrenzte Schicht, welche in der Längsrichtung der Muskel- fasern fein gestreift erscheint; die auch von Felix Müller (1885b p.219, 220) bei Anodonta gesehene und für eine nicht celluläre Bildung ge- haltene (s. 0.) „Stäbchenschicht“, welche dem „Haftepithel“ Thiele’s entsprechen dürfte. Da nun in dieser Schicht einzelne Zellen und Kerne deutlich erkennbar sind und sie an den Grenzen der Muskel- ansätze auch continuierlich und oft durch ganz allmähliche Umwand- lung in das gewöhnliche Epithel der übrigen Körperoberfläche über- geht, so kann man wohl nicht im Zweifel darüber sein, dass sie nichts anderes als ein fibrillär in der Richtung des Muskelzuges differen- ziertes Epithel ist. Etwas weniger modifiziert wie dieses Epithel der Muskelansatzflächen fand ich das Epithel an der ersten Bildungsstätte des Periostracums; an seinen Elementen trat hauptsächlich die Tendenz hervor, sich in die Richtung der auf die Zellen wirkenden Kräfte, nämlich in die Richtung des Zuges einzustellen, den das junge Perio- stracum auf die Zellen ausübt. Kann es so auch als ausgemacht gelten, dass an allen in Frage kommenden Stellen wirkliche Epithelien vorhanden sind, so wäre es meiner Ansicht doch verfehlt, aus dieser Thatsache nun mit Thiele den Schluss zu ziehen, dass auch hier die Bildung der Schale genau in derselben Weise von statten geht, wie an den anderen, nicht fest mit der Schale verbundenen Partieen der Manteloberfläche. Denn auf welche Weise sollte wohl der äußerst feste Zusammenhang zwischen Schale und Mantel an jenen Stellen zustande kommen, wenn auch hier nur ein flüssiges, erst nach der Abscheidung erstarrendes Sekret von den Zellen geliefert würde? (ef. auch Tullberg 1881 p. 26). Müssen wir nicht vielmehr schon aus rein mechanischen Gründen die Annahme machen, dass dieses einzige Bindemittel zwischen Mantel und Schale an den betreffenden Stellen eine Konsistenz besitzt, welche zwischen derjenigen des Mantels und derjenigen der Schale ungefähr die Mitte hält? Nach dem Gesagten würde es allerdings am einfachsten scheinen, sich den Vorgang der Schalenbildung an diesen Orten mit Tullberg so vorzustellen, daß die vom Mantelepithel hervorgebrachte schalenbildende Substanz in physikalischer und chemischer Hinsicht zwischen Mantel und Schale gewissermaßen eine Brücke bildet, mit anderen Worten, dass die Schale hier allein durch direkte Umwandlung der distalen Zellenabschnitte in Schalensubstanz entsteht. Indessen dürfte diese Ansicht, so plausibel sie an sich auch klingt, doch wieder nicht voll- kommen den thatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Einmal deuten ja gerade die Befunde von Tullberg und Rawitz am Periostracum darauf hin, dass hier nicht eine einfache Umwandlung der distalen Zellen- abschnitte in Schalensubstanz, sondern vielmehr zunächst eine Auf- xXX, 43 674 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. lösung der Zellenenden in Fibrillen stattfindet, welche sich erst nach- träglich zum Periostracum zusammenschließen. Wenn wir uns vorstellen wollen, wie durch den Zusammenschluss solcher einzelnen Fibrillen ein einheitlicher Körper wie das Periostracum entsteht, so sind wir meiner Ansicht nach zu der Annahme gezwungen, dass die Zellen der Matrix außer jenen Primitivfibrillen auch noch eine geringe Menge flüssigen Sekretes absondern, welches die Primitivfibrillen mit einander verkittet!). Aehnliche Verhältnisse wie am Periostracum scheinen auch an den Muskelansatzstellen zu bestehen. Denn wenn auch zur Zeit noch keine direkten Beobachtungen darüber vorliegen, dass die Schalensubstanz hier ebenfalls teilweise durch Umwandlung distaler Zellportionen ent- steht, so deutet doch das häufige Vorkommen distinkter Schalenschichten gerade an den Muskelansätzen (cf. das „Hypostracum“ Thiele’s?) ent- schieden darauf hin, dass hier gewisse Modifikationen in der Sekret- bildung stattfinden. Ja, in einzelnen Fällen (Mytilus, Anodonta) lässt eine ausgesprochen fibrilläre Struktur der betreffenden Schich- ten im Zusammmenhang mit der fibrillären Struktur des darunter liegenden Epithels sogar direkt die Annahme zu, dass hier in ähnlicher Weise wie am Periostracum von Arca und Mytilus ursprünglich ein Zerfall der distalen Zellenregionen in Primitivfibrillen stattfindet. Besonders klar scheinen die Verhältnisse in den von M. de Villepoix (1892e p. 493, 504) beschriebenen Fällen (am inneren Ligament von Anodonta und am Schlossbandwall von Mytilus) zu liegen, denn nach den Beschreibungen und Abbildungen dieses Autors gehen dort die Fibrillen des Epithels direkt in die Fibrillen der betreffenden Schalen- teile über. Speziell am inneren Ligament von Anodonta entsprechen diese sehr langgestreckten Epithelzellen — von M. de Villepoix als „eellules myo-£pitheliales“ bezeichnet — den Gebilden, welche F.Müller irrtümlicherweise für Muskelzellen gehalten hatte (s. 0.) und von denen er schon ganz richtig angab, dass sich von ihnen Fibrillen direkt in die Masse des inneren Ligaments hinein erstreckten. 4) Eine derartige Kittsubstanz lässt Tullberg (1881 p. 12) übrigens bei der Bildung des Hummerpanzers ausdrücklich beteiligt sein, indem er sagt „der größte Teil der Hummerpanzers wird durch succesive Umwandlung der äußeren Teile des Matrixzellen in der "Weise gebildet, dass sich die Zellen in Fasern spalten und gleichzeitig zwischen diese eine geschichtete Zwischensubstanz absetzen“. 2) Dass diesem „Hypostracum“ der Wert einer selbständigen, für alle Molluskenschalen charakteristischen Schalenschicht zukommt, wie Thiele (1895) annimmt, muss schon deswegen bezweifelt werden, weil in vielen Mollusken- schalen auch an den Muskelansätzen keine Spur einer solchen distinkten Schicht nachzuweisen ist (ef u. a. Stempell 1897b u. 1899). Wir werden also unter „Hypostracum“ bestenfalls eine gelegentlich auftretende, lokale Differenzierung der inneren Schalenschicht zu verstehen haben, und es fragt sich, ob es über- haupt zweckmäßig ist, für derartige Vorkommnisse einen besonderen Namen einzuführen, Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u, Schneckenschalen. 675 Wir hätten uns also, um das Gesagte noch einmal kurz zusammen- zufassen, die Modifikation der Sekretbildung an denjenigen Stellen, wo Mantel und Schale innig zusammenhängen, im allgemeinen so vorzu- stellen, dass hier neben gewöhnlicher Sekretion einer flüssigen Masse auch noch eine direkte Umwandlung der distalen Protoplasmaabsehnitte in feste Schalensubstanz erfolgt (Stempell 1897b p. 35, 36). Wenn einige Autoren (Ehrenbaum 1885 p. 37, Rawitz 1892 p. 211) sich dagegen sträuben, die letztere Art der Schalenbildung als eigentliche Sekretion aufzufassen, so kommt dies eigentlich nur auf einen Streit um Worte hinaus. Denn wenn auch keineswegs geleugnet werden soll, dass eine solche Umwandlung distaler Zellenabschnitte erheblich von der herkömmlichen Vorstellung des Sekretionsvorganges als einer Ausschwitzung ursprünglich flüssiger Massen abweicht, so liegt doch der einzige, bis jetzt bekannte Unterschied beider Vorgänge in der verschiedenen Dichtigkeit der ursprünglichen Produkte, und es hindert uns demnach nichts, den Begriff der Sekretion auch auf diejenigen Fälle auszudehnen, wo diese Produkte schon im Augenblick ihres Ent- stehens eine größere Dichtigkeit als das Protoplasma der Zelle be- sitzen. Man wird sonach auch den erörterten, kombinierten Bildungs- prozess als einen Sekretionsvorgang auffassen dürfen, welcher nur zwei verschiedene dichte Produkte liefert '). Ich wende mich nun zur Besprechung der Frage, wie aus dem Sekret der Mantelepithelien die verschiedenen Schalenteile mit ihrer defini- tiven Struktur entstehen. Ist die Beantwortung dieser Frage schon an sich für die Beurteilung des ganzen Werde- und Wachstumsprozesses der Schale von einschneidender Wichtigkeit, so gewinnt sie noch oben- drein dadurch an Bedeutung, dass die Anhänger der Intussusceptions- lehre seit jeher in der komplizierten Struktur der Schale eine Haupt- stütze ihrer Ansicht gesehen haben, indem sie behaupteten, die Appo- sitionstheorie vermöge das Zustandekommen derartiger Komplikationen nicht zu erklären. In der That bildete die Widerlegung dieses Einwurfes auch lange Zeit einen wunden Punkt in der Sekretions- und Appositionstheorie. Während sich nämlich die meisten Anhänger derselben in Bezug auf den Sekretionsvorgang selbst sehr wohl, wie wir gesehen haben, die Errungenschaften der Zellenlehre zu Nutze machten, glaubten sie, das Zustandekommen der komplizierten Schalenstrukturen allein auf extra- celluläre chemische und physikalische Vorgänge zurückführen zu müssen). 1) Es sei hier bemerkt, dass auch der Begründer der Lehre von den Cu- ticulargebilden, Leydig, diese nicht nur durch abscheidende, sondern auch durch „umbildende“ Thätigkeit der Matrixzellen entstehen lässt (1888 p. 276.). 2) Am deutlichsten tritt dieses Bestreben hervor bei Huxley (1859 p. 491), Rainey (1859, 1861), Stewart (cf Rainay 1861), Harting (1872), Ehrenbaum (1885 P- 36, 37), Steinmann (1889, 1899) und M. de Villepoix (1892c p. 627 u. a.) 43* 676 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Man stellte sich meistens vor, dass die einmal abgeschiedenen Sekret- produkte eine formlose Masse bildeten (Ehrenbaum 1885 p. 36, Stein- mann 1889 p. 289), für deren chemische Zusammensetzung der schon erwähnte mysteriöse Begriff des basischen Kalkalbuminates herhalten musste (Ehrenbaum |. e.), und deren weitere Gestaltung man lediglich den Gesetzen der Krystallisation zuschreiben zu müssen glaubte — ein Standpunkt, welcher im Grunde genommen nichts anderes als eine Rückkehr zu der einseitigen Auffassung der Schale bedeutete, wie sie bereits im Anfang des 19. Jahrhunderts GrafBournon vertreten hatte (8. 0.). Am leichtesten widerlegbar ist eine ältere, hierher gehörige Theorie, welche von Meckel (1856 p. 27 u. ff.) herrührt. Derselbe ging von der Voraussetzung aus, dass die Schale ursprünglich überall Perlmutter- struktur besäße, deren Zustandekommen durch Apposition ja ohne weiteres verständlich ist. Später soll dann in den älteren Schalenteilen, also in den nach außen gelegenen, eine Scheidung von Conchiolin und Kalk erfolgen, indem der Kalk sekundär krystallisiert und den betreffenden Schichten eine prismatische Struktur verleiht: in dieser Weise soll also die Prismenschicht durch sekundäre Krystallisation direkt aus der Perlmutterschicht hervorgehen. Mit Recht ist diese Auffassung schon von älteren Autoren (v. Hessling 1859 p. 261, Moebius 1857 p. 72) bekämpft worden, denn abgesehen davon, dass die Prismen und Nadeln der äußeren Schalenschichten nicht ohne weiteres als Krystalle aufgefasst werden dürfen, ist auch die Voraus- setzung falsch, dass die prismatische Struktur nur in den ältesten Schalenteilen vorkomme, vielmehr finden wir diese Struktur ja auch am Schalenrand gerade in den allerjüngsten Schalenteilen (ef. auch Quilter 1891 p. 6). Wenn somit die Meckel’sche Theorie als all- gemeine Erklärung für die Entstehung der Prismenschichten nicht aus- reicht, so liegt ihr doch insofern ein richtiger Gedanke zu Grunde, als sekundäre Krystallisationsprozesse sehr wohl in den Schalen vorkommen und die ursprüngliche Struktur der Schale nachträglich modifizieren können. So wird z. B. von einem neueren Forscher, Ehrenbaum, (1885 p. 27) vielleicht mit Recht angenommen, dass speziell bei Car- dium die Struktur der äußeren Schalenlage durch sekundäre Krystalli- sation aus derjenigen der inneren hervorgehe. Wir werden weiterhin noch festzustellen haben, wie weit solche Krystallisationsprozesse bei der Ausbildung der Schalenstruktur überhaupt in Frage kommen. Größere Bedeutung als die Meckel’sche Theorie besitzt unleug- bar ein anderer physikalisch-chemischer Erklärungsversuch der Schalen- strukturen, der besonders unter den neueren Forschern mehrere An- hänger gefunden hat (Ehrenbaum 1885 p. 34, 36, M. de Villepoix 1892e p. 627, 640 u. a.). Derselbe stützt sich im wesentlichen auf synthetische Versuche, welche ursprünglich Rainey (1859 u. 1861) Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 677 mit nascierenden Calciumkarbonat und einer Lösung von Gummi arabicum angestellt hatte, und welche von Harting (1872) in der Weise wiederholt wurden, dass er das nascierende Caleiumearbonat (aus Caleiumchlorid und Natrium- resp. Kaliumkarbonat) mit flüssigem Hühner-Eiweiß oder anderen tierischen Flüssigkeiten, wie Gelatine- lösung, Schleim von Arion u. a. zusammenbrachte. In allen Fällen lagerte sich der Kalk in kugeligen Körpern ab („globules“ Rainey, „ealcospherites“ Harting), welche eine konzentrisch lamellöse und radiär faserige Struktur erkennen ließen und welche besonders dann, wenn sie in Massen bei einander lagen, nach der Ansicht beider Forscher entschieden an gewisse Schalenstrukturen erinnerten. Am auffallendsten schienen die Analogieen zwischen den von Harting gewonnenen Kunst- produkten und den natürlichen Schalenstrukturen: einmal war bei jenen Versuchen das Eiweiß in eine conchiolinähnliche Modifikation, von Harting Calcoglobin genannt, übergegangen, und ferner kamen dadurch, dass sich die in einer Fläche liegenden Calcosphaeriten bei weiterem Wachstum häufig durch gegenseitigen Druck abplatteten, polygonale Platten zustande, welche nach Harting (1872 p. 71) und M. de Villepoix (1892e p. 627) entschieden an die Prismen mancher äußeren Schalenschichten, nach Ehrenbaum (1885 p. 36) dagegen mehr an die polygonalen Felder der Perlmutterschichten erinnern sollen. Wenn dieser letztere Forscher auch zugiebt, dass die Beziehungen zwischen den Elementen der Molluskenschale und jenen künstlichen Calcos- phaeriten nicht so klar sind, wie Harting selbst angenommen hatte, so meint er doch, eine nahe Verwandtschaft beider nicht leugnen zu können, und giebt sich — wenn auch zögernd — der Hoffnung hin, dass mannigfache Modifikationen des Versuches bei möglichster An- lehnung an die natürlichen Verhältnisse uns dermaleinst noch nähere Aufschlüsse in dieser Beziehung bringen werden. Ich vermag diesen Optimismus nicht zu teilen. Allerdings kann ja nicht geleugnet werden, dass die Harting’schen Versuche viele interessante Einzelheiten, wie z. B. die erwähnte chemische Modifikation des Eiweißes durch nascierendes Caleiumkarbonat (s. 0.) aufgedeckt haben, wenn aber Ehrenbaum meint, dass durch dieselben ein bestimmter, ganz eigen- artiger Einfluss festgestellt sei, den das Eiweiß auf die Gestaltung des nascierenden Caleiumcarbonats ausübe, so vermag ich dieser Schlussfolgerung nicht beizustimmen (ef. auch Steinmann 189 p. 43). Eine derartige Annahme ist schon deswegen unmöglich, weil ja gerade nach den Harting’schen Versuchen auch ganz andere Körper, wie Gelatine, fast genau dieselben Calcosphaeritenformen entstehen lassen. Ja, die radial-strahlige Struktur kann nicht einmal als eine besondere Eigentümlichkeit des kohlensauren Kalkes in Anspruch ge- nommen werden, da sich, wie Steinmann (1899 p.44) mit Recht her- vorhebt, ganz analoge sphaerische Gebilde auch bei anderen Körpern 678 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schne ckenschalen. finden, z. B. bei Silikaten, die aus zähflüssigem Schmelzfluss auskrys- tallisiert sind („Sphaerolithbildungen“), bei phosphorsaurem Natron, Cellulose, Inulin u. a. m. (cf. darüber Bütschli 1894). Eine der Ur- sachen für das Zustandekommen von typischen Sphaerokrystallen scheint in der Viskosität der umgebenden Flüssigkeit zu liegen. (Steinmann 1899 p.44). Ferner unterscheiden sich die von Harting in tierischen Flüssigkeiten erzeugten Calcosphaerite nur in einigen unwesentlichen Punkten von den rundlichen Krystalloid-Formen, die nascierendes Caleiumcarbonat auch sogar ohne Zusatz viscöser Flüssig- keiten häufig annimmt'). Bestehen doch diese von Harting als wesent- lich aufgefassten Unterschiede lediglich darin, dass die Calcosphaerite größer sind als jene Krystalloide, und dass ihnen zahlreiche konzent- rische Calcoglobinlamellen eingelagert sind, welche auch nach der Auflösung des Kalkes ihre ursprüngliche Form beibehalten. Werden wir unter diesen Umständen nicht gut thun, die genannten besonderen Eigentümlichkeiten der in viscösen Flüssigkeiten entstandenen Caleos- phaerite auf Rechnung der rein physikalischen Eigenschaften der sie umgebenden Flüssigkeit zu setzen, mit anderen Worten, ist es nicht angezeigt, ihre Bildung ebensogut auf rein physikalische Ursachen, wie etwa Oberflächenspannung und Krystallisation zurückzuführen, wie man dies für jene aus reinem Caleiumkarbonat bestehenden Krystalloide und für viele andere in der Natur vorkommende Sphaerokrystalle ver- sucht hat? Brauchen wir da überhaupt einen etwas unklaren Ein- fluss tierischer Flüssigkeiten anzunehmen, von dem man nicht weiß, ob er mehr physikalischer oder chemischer Natur ist? — Nach diesem Exkurs über die Natur der Calcophaerite fragen wir weiter, ob man auf Grund der thatsächlichen Verhältnisse berechtigt ist, der Calcosphaeritenbildung und der einfachen Krystallisation einen aus- schließlich bestimmenden Einfluss auf die Entstehung der Schalen- strukturen zuzuschreiben. Was zunächst das Vorkommen von Calcosphaeriten in der Mol- luskenschale anbelangt, so giebt es nur wenige Fälle, wo Struktur- elemente der natürlichen Schale unzweifelhaft als Calcosphaerite erkannt werden können. Hierhin gehören unter anderem die kugeligen Massen, die in den rudimentären Schalen mancher Limax- und Arion-Arten vor- kommen, (ef. darüber z. B. Gegenbaur 1852 p. 29, Quekett 1854 p. 282, Leydig 1857 p. 108, 1876 p. 249, 250), ferner vielleicht die rundlichen Kalkstückehen, welche M. de Villepoix (1892e p. 589) beiPholas erispata unter dem jungen Periostracum gesehen hat, so- dann die deutlichen Sphaerokrystalle, die häufig nach Schalenver- 4) Mit Recht wendet daher Bütschli (1894 p.250) die Bezeichnung Cal- cosphaerite auch auf die ohne Zusatz viscöser Flüssigkeiten entstehenden Sphaerokıystalle des kohlensauren Kalkes an. Weitere Litteratur über solche Sphaerokrystalle findet man bei Famintzin (1869 p. 18) angegeben. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 679 letzungen auftreten (ef.M.de Villepoix 1892e p. 491, 625, 640, 648), und endlich mögen gewisse Perlbildungen als Calcosphaerite gelten (ef Harting 1872 p. 62, 63). Mit diesen und ähnlichen Vorkomm- nissen dürften die sicheren Fälle aber auch im wesentlichen er- schöpft sein. Alle anderen Strukturelemente der Schalen, welche man als umgewandelte Calcosphaerite aufgefasst hat, wie z. B. die Prismen der äußeren Schalenschichten (Harting 1872, p. 71, M.deVillepoix 1892e p. 627), oder die polygonalen Felder der Perlmutterschichten, (Ehrenbaum 1835 p. 36) können ebensogut eine andere Entstehung haben, zumal ihre Aehnlichkeit mit wirklichen Calcosphaeriten meist eine sehr entfernte ist. Mit der von M. de Villepoix (1892e p- 626). gemachten Annahme, dass die Vielgestaltigkeit der natür- lichen Strukturelemente auf den verschiedenen chemischen und physi- kalischen Verhältnissen der Sekretprodukte beruhe, ist hier nicht ge- holfen, denn diese Annahme ist nichts als eine Umschreibung und be- zeugt gerade die Unmöglichkeit, ohne weitere Hülfsannahmen die mannigfaltigen Strukturelemente auf Calcosphaeritenbildung zurück zu- führen. Nur wenig bessere Resultate erzielt man, wenn man unter den natürlichen Strukturelementen der Schalen nach gewöhnlichen Krystall- bildungen sucht. Man wird hier zweierlei auseinander halten müssen. Entweder können Krystallbildungen primär bei der Schalenbildung selbst, d. h. beim Erhärten des flüssigen Baustoffes, entstehen, oder aber die Krystallisation findet erst sekundär in der schon fertig ge- bildeten und vollkommen erhärteten Schale statt. Die Fälle, wo sicherlich primäre Krystallisationsprozesse bei der Schalenbildung auftreten, scheinen nun ebenfalls nicht allzu häufig zu sein. So haben Rose (1855 p. 8SI—83) und Ehrenbaum (1885 p. 33, 34) an der Innenseite der Perlmutterschicht mehrerer Pinna-Arten deutliche, oft isolierte, tafelförmige Krystalle nachgewiesen, Quekett (1854 p. 782) hat einmal in einem Ausnahmefall Krystalle an der Innenseite der Austernschale gesehen, ferner beschreibt Simroth, (1895 p. 146) Larvenschalen von Gastropoden, bei denen in einer Reihe angeordnete Arragonit-Krystallblättehen vorkommen, und endlich scheinen bei Schalenverletzungen neben Calcosphaeriten auch häufig echte Krystalle gebildet zu werden (Rose 1858 p. 85, Stewart ef. Rainey 1861 p. 31, M. de Villepoix 1890 p. 203 u. ff., 1891 p. 317, 1892e p. 625, 648)!). Wenn man diese Fälle von primärer Krystallbildung mit den- jenigen vergleicht, wo sicher Calcosphaerite auftreten, so springt die große Aehnlichkeit beider in die Augen. Das Gemeinsame aller dieser 4) Auch die Bemerkung Steinmann’s (1899 p. 41), dass an dem „braunen Pigmentüberzug“* mancher Siphonen kleine „Fibrokrystalle* vorkommen, ließe sich hier nebenbei anführen. 680 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Vorkommnisse liegt augenscheinlich darin, dass bei ihnen der Kalk meistens nicht als Bestandteil einer kompakten Schale, sondern in ein- zelnen kleinen Stückchen auftritt. Man kann daher diese Fälle auch sämtlich als anormale Schalenbildungsprozesse bezeichnen und zwar wird man wohl nicht fehlgehen, wenn man den Grund dieser Anor- malität in einer Armut der betreffenden Sekrete an schalenbildenden Stoffen sucht (ef. auch Rose 1858 p. 82). In der That ist ja auch leicht einzusehen, dass der in der Sekretmasse vorhandene Kalk nur dann deutliche Krystallformen annehmen kann, wenn seine eigene Menge sowohl, als auch die Menge der nicht krystallisierbaren Stoffe im Verhältnis zu der rein wässerigen Flüssigkeitsmasse eine geringe ist. Ob in manchen anderen Fällen eine Armut des Sekretes an nicht krystallisierbaren, organischen Substanzen schon allein genügt, den Kalk zur primaeren Krystallisation zu veranlassen, wie Krukenberg (1886 p. 247) annimmt, ist schwer oder gar nicht zu entscheiden. Die thatsächlichen Befunde an vielen, sehr conchiolinarmen Gastropoden- schalen, welche keine Spur von Krystallisation erkennen lassen, (z.B. Strombus nach Rose 1858 p. 93) sprechen eigentlich gegen eine derartige Annahme, andererseits ist es ja aber auch nicht ausgeschlossen, dass in diesen Fällen kompakter Schalenbildung dennoch primäre Krystallisationsprozesse stattfinden, und wir in der fertigen Schale nur deswegen nichts von ihrer Wirkung erkennen können, weil die Krystalle zu dicht nebeneinander entstanden sind und sich gegenseitig an der vollen Ausbildung gehindert haben. Für die uns hier interessierende Frage nach deın Einfluss primärer Krystallisation auf die Schalen- struktur kommen diese Fälle natürlich nicht in Betracht. Dasselbe gilt in vieler Beziehung auch von denjenigen Vorkommnissen, bei denen der Kalk im Innern anderer, gröberer und jedenfalls nicht krystal- linischer Strukturelemente ein deutlich krystallinisches Gefüge zeigt, (z. B. in den Prismen vieler Pinna-Arten, cf. Rose 1853 p. 79). Wenn diese Bildungen wirklich auf primärer Krystallisation beruhen — was ja noch sehr zweifelhaft ist (cf auch Simroth 1892 p. 123) — so üben sie doch wenigstens auf die allgemeine Struktur der Schale keinen bestimmenden Einfluss aus. Von diesen zweifelhaften Fällen abgesehen, scheinen alle im festen Schalengefüge auftretenden Krystallbildungen allein auf sekundärer Krystallisation zu beruhen (ef auch v. Hessling 1859 p. 261). Wenn es auch schwer ist, eine allgemein zutreffende Charakteristik für die ja ziemlich mannigfaltigen, hierher gehörigen Dinge zu geben, so dürfte sich doch im einzelnen Fall aus der Stelle, welche Krystallbildungen in der Schale einnehmen, sowie aus dem gegenseitigen Verhältnis von krystallinischen und nicht krystallinischen Schalenelementen meist eine sichere Entscheidung treffen lassen. (Viertes Stück folgt.) Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. 681 Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. Von Rudolf Höber. (Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich). Das Problem des dynamischen Gleichgewichts im lebenden Pro- toplasma steht allemAnschein nach in engem Zusammenhange mit dem Problem der Wirkungsweise der organischen Katalysatoren, das infolge der zahlreichen schönen Untersuchungen der letzten Zeit, die sich mit katalytischen Prozessen befassen, mit Recht wieder mehr und mehr die Biologen fesselt. Gelingt es doch, vor Allem durch quantitative Messungen des Ablaufs der Fermentreaktionen, diese Vorgänge von dem mystischen Nebel zu befreien, der sie in Gestalt mancher phan- tastischer Spekulationen über ihre Wirkung, wie z. B. Liebig’s Kontakt- hypothese und Naegeli’s Erklärung durch Atomschwingungen, ein- hüllte und für Viele als ein einstweilen unlösbares Rätsel erscheinen ließ. Und dazu kommt noch, daß fast jeder Monat die Zahl der uns bekannten ungeformten Fermente, der Enzyme, um einige vergrößert, deren Bethätigungsart immer mehr der Vorstellung Bahn bricht, dass nicht nur jede typische Stoffwechselreaktion ihren eigenen Katalysator bat, sondern dass auch das ganze Hin und Her chemischer Vorgänge im Protoplasma, Zerfall und Aufbau, derart durch die verschiedenen Katalysatoren geregelt und abgestuft wird, dass daraus gerade das resultiert, was man das dynamische Gleichgewicht in protoplasmatischen Systemen nennen kann, nämlich die relative Konstanz der Zusammen- setzung trotz allen Wechsels an reagierenden Stoffen. Denn es ist ein Irrtum, dessen fünfzig Jahre alte, festgewachsene Wurzeln bisher nur schwer auszurotten sind, dass durch die Fermente „der Atomverband in den Molekülen“ immer nur gelockert wird; es giebt ebensogut Fermente, die synthetische Prozesse begünstigen, ja sogar Fermente — und im Prinzip wirken sogar, wie wir später sehen werden, alle Fermente in der Art — die Beides, Destruktion und Restitution bewirken. Es kann darum für das Verständnis der Lebensvorgänge im Protoplasma nicht förderlich sein, wenn man diese beiden Seiten des Stoffwechsels scharf von einander scheidet und die Fermentprozesse einheitlich aufzufassen meint, wenn mansie, wieesneulichOppenheimer!) gethan hat, den synthetischen gegenüberstellt, die durch ihr unlösbares Verbundensein mit dem lebenden Protoplasma selbst charakterisiert sein sollen. Einstweilen von sekundärer Bedeutung ist es, wenn man sich heute meist die Fermentreaktion durch die willkürliche Annahme anschau- lich zu machen sucht, dass die Fermente „die Lockerung des Atomver- bandes“ durch direkte Beteiligung an der Reaktion, also durch Ver- 4) „Versuche einer einheitl. Betrachtungsweise der Fermentprozesse“. Biol. Centralbl, 20, 195. 1900. 682 Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. bindung mit dem spaltbaren Körper, durch Vermittlung schnell ver- laufender Zwischenreaktionen herbeiführen. Indessen vergessen viele, dass es sich dabei bloß um eine bildliche Umschreibung der Vorgänge handelt; denn es ist noch in keinem einzigen Fall der einwandsfreie Nachweis geführt worden, dass das Ferment an der Reaktion teilnimmt Eines dagegen steht fest und darin liegt die Bedeutung und das Eigen- tümliche der Fermentwirkung: die chemischen Reaktionen verlaufen in Gegenwart der zugehörigen Katalysatoren rascher als ohne sie. Das setzt voraus und lässt sich fast stets experimentell leicht nachweisen, dass die . Reaktionen schon an und für sich, ohne Beihilfe des Katalysators, vor sich gehen, nur viel langsamer. Ein Beispiel wird ohne Weiteres das Ver- halten verständlich machen: in Wasser gelöster Rohrzucker wird so- wohl durch Diastase wie durch Säure in gleicher Weise leicht „ge- spalten“ in Dextrose und Lävulose; die H-Jonen der Säure vertreten vollkommen die Diastase. Die Katalyse durch Säure, wie überhaupt jeder chemische Prozess geht noch rascher vor sich beim Erwärmen. Aber die „Spaltung“ erfolgt bekanntlich auch allein durch längeres Erhitzen der rein wässerigen, unangesäuerten Lösung, nur viel lang- samer, und enorm langsam schließlich auch in Wasser von gewöhn- licher Temperatur. Der Katalysator beschleunigt!) also nur eine Re- aktion, die an und für sich schon allein vor sich geht, und führt sie auch nicht weiter, als sie ohne ihn verlaufen würde, d. h. in unserem Fall bis zum praktisch vollständigen Verschwinden des Rohrzuckers. Nun giebt es aber eine große Zahl von chemischen Reaktionen, die zum Stillstand gelangen, bevor die reagierenden Stoffe verbraucht sind; mischt man z. B. 1 Mol Alkohol mit 1 Mol Essigsäure, so ent- stehen nur ?/, Mole Aethylacetat und ?/, Mole Wasser, die Restdrittel der Mole von Alkohol und Essigsäure bleiben ungespalten, und genau dasselbe Gleichgewicht stellt sich ein, wenn man von 1 Mol Aethyl- aectat und 1 Mol Wasser ausgeht. Offenbar verläuft also die Reaktion C,H,.OH-+CH,COOH — C,H,C00.CH,+H,0 in dem einen Sinn der Reaktionsgleichung ebenso gut wie im anderen, und sie kommt all- gemein bei beliebigen Mengenverhältnissen immer zum Stillstand dann, wenn das Verhältnis der Konzentrationen der reagierenden Be- standteile zu denen der entstehenden Bestandteile ein bestimmteskonstantes geworden ist. Die entstehenden Bestandteile wirken in dem Vorgang der Reaktion fortwährend entgegen, und umsomehr, je mehr von ihnen sich schon gebildet hat; das geht/daraus hervor, dass die Reaktion mit der Annäherung an den Gleichgewichtszustand immer mehr sich ver- langsamt. Es ist also, als ob die Reaktion zu gleicher Zeit in doppeltem Sinne abliefe; nur dass im Anfang der Vorgang im einen Sinne bei 4) Es sind auch einige Fälle von Verlangsamung, also negativer Be- schleunigung bekannt. Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. 683 Weitem überwiegt, dann immer weniger und weniger, bis schließlich, wenn das Gleichgewicht erreicht ist, jeder Verlauf dem anderen an Stärke gleichkommt. Im Prinzip stellt sich aber auch bei den scheinbar vollständig und einseitig verlaufenden Reaktionen ebensolch ein Gleichgewicht her, nur dass der Rest der ursprünglichen, reagierenden Bestandteile in diesen Fällen ein minimaler ist, der sich der direkten Analyse entzieht, wie z. B. der Rohrzucker nach Beendigung der Inversion durch Säure. Das konstante Verhältnis der Konzentrationen, die sogenannte Gleich- gewichtskonstante hat im Allgemeinen einen verschiedenen Wert für verschiedene Temperaturen; mit anderen Worten: das Gleichgewicht kann durch Temperaturerhöhung oder -erniedrigung im einen oder anderen Sinne der Reaktionsgleichung verschoben werden, und es ist ein allgemeines Gesetz, dass, wenn die Umsetzung unter Wärmetönung abläuft, eine Temperaturerhöhung die endotherme Reaktion begünstigt, eine Temperaturerniedrigung die exotherme. Ein besonders augen- fälliges Verhalten in dieser Hinsicht zeigt die Reaktion: TICI-KCNS 2 KCI-F-TICNS. Je nach Konzentration der Lösung und Temperatur verläuft sie praktisch vollständig, d. h. bis zum Verbrauch der Reaktionsstoffe entweder in dem durch den oberen oder in dem durch den unteren Pfeil angedeuteten Sinn der Gleichung. Früher bevor die Bedeutung der Berthollet’schen Entdeckung, dass für den chemischen Vorgang nicht blos die Art der reagierenden Bestandteile, sondern auch ihre Konzentration in Betracht kommt, er- kannt war, war man der Meinung, dass von selbst verlaufende Reaktionen, d. h. Reaktionen, zu deren Zustandekommen es keiner Energiezufuhr bedarf, immer unter Wärmeentwicklung, also exotherm verlaufen. Die Ansicht ist aber als irrig erkannt; es giebt eine ganze Menge Reaktionen, die sich von selbst und endotherm abspielen, wie z. B. die Bildung von Cyan aus Kohlenstoff und Stickstoff, von Acetylen aus Kohlenstoff und Wasserstoff, die Spaltung von Salmiak in Salzsäuregas und Ammoniak, und wenn auch aus mehreren Gründen die größere Zahl der Reaktionen unter Wärmeentwicklung verläuft, so ist doch der Versuch, die Regel zu einem allgemeinen Gesetz (Berthelot’s prineipe du travail maximum) zu erheben, heute als gescheitert anzusehen. Jede deutlich umkehr- bare Reaktion, wie die eben genannte zwischen Thalliumehlorür und Kaliumrhodanid widerspricht ja dem Gesetz; denn geht sie in einem Sinne exotherm vor sich, so muss sie im anderen endotherm verlaufen. Es ist also auch unberechtigt, einen Vorgang deshalb für einen exo- thermen Prozess zu erklären, weil dabei „ein labiles Gleichgewicht der Atome eines Moleküles zusammenstürzt unter Bildung eines neuen stabilen Gleichgewichtes“; und „alle exothermen Reaktionen im Or- ganismus, nämlich die einfache hydrolytische Spaltung und die oxy- 684 Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. dativen Vorgänge als Fermentprozesse streng von den Reaktionen und Synthesen, als endothermen Vorgängen zu trennen.“!) Denn Spaltungen und Synthesen können exotherm und endotherm stattfinden, und Spaltungen und Synthesen können den Uebergang ins stabile Gleich- gewicht darstellen. Das endotherm gebildete Cyan z. B. stellt gegen- über dem Gemisch von Kohlenstoff und Stickstoff den stabilen Zustand dar. Die einzige Bedingung für die Möglichkeit eines freiwilligen Ab- laufs einer Reaktion ist vielmehr die, dass in dem System freie, arbeits- fähige, umwandelbare Energie vorhanden ist, die bei dem Uebergang ins stabile Gleiehgewieht wohl in thermische, aber auch in elektrische, in Oberflächen-, in mechanische oder sonst eine Energie umgewandelt werden kann. Jedenfalls ist der thermische Effekt einer Reaktion gar kein Maaß für die Entfernung des Systems vom Gleichgewicht und für seinen Energieinhalt.?) Soviel von der Reaktionskinetik und dem chemischen Gleichge- wicht. Aus den Betrachtungen geht hervor, dass im Prinzip jede Re- aktion umkehrbar ist, dass die Umkehrbarkeit vielfach nachweisbar ist und dass vielfache Uebergänge zwischen den umkehrbaren und den nicht umkehrbaren Reaktionen denkbar und auch nachweisbar?) sind, endlich, dass durch Aenderungen am System, z. B. Temperaturänderung, sowohl der exotherme wie der endotherme Prozess begünstigt werden kann. Kehren wir nun zu der Frage zurück, wie die Katalysatoren in einem chemischen System wirken. Da sie, wie gesagt, immer nur Vorgänge (positiv oder negativ) beschleunigen, nicht sie modifizieren können, so ist es selbstverständlich, dass sie dasGleichgewicht zwischen reagierenden und entstehenden Mengen nicht verschieben. Man mag, um bei dem einen Beispiel zu bleiben, von Alkohol und Essigsäure, oder von Aethyl- acetat und Wasser ausgehen und dem Körperpaar als Katalysator H-Jonen zufügen; das ?/;-Gleichgewicht wird nur rascher erreicht als ohne die Säure. Einzelne Erfahrungen, die man mit organischen Ka- talysatoren gemacht hat, mögen dem widersprechen, aber nur schein- bar. Die Spaltung von Traubenzucker in Alkohol und Kohlensäure durch Hefe oder Zymase verläuft oft nicht, wie gewöhnlich, bis zum vollständigen Verbrauch des Traubenzuckers; aber das scheinbare 1) Oppenheimer.a.a. O. S. 202. 2) Am anschaulichsten ist diese Unabhängigkeit der freien Energie von der den chemischen Vorgang begleitenden Wärmetönung wohl iu den Fällen, in denen, wie in den Volta-Ketten, die freie Energie in Form von elektrischer Energie auftritt, deren Betrag sowohl größer als auch kleiner als die der ver- schwindenden chemischen Energie äquivalente Menge thermischer Energie sein kann, in denen also eventuell nicht nur keine Wärmeenergie nach außen abge- geben, sondern sogar noch von außen aufgenommen werden muss, wenn das Element sich nicht bei der Arbeit abkühlen soll. 3) Ich erinnere an die Löslichkeit von Ag Cl, die Dissoziation des Wassers. Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. 685 Gleichgewicht zwischen verschwindenden und auftretenden Stoffen stellt sich nur deshalb ein, weil der Katalysator durch die Reaktionsprodukte geschädigt und unwirksam gemacht wird. Es genügt, den Alkohol zu entfernen oder durch Wasserzusatz zu verdünnen, um die Reaktion ein Stück weiter zu fördern. Und ähnlich in vielen anderen Prozessen, die durch organische Katalysatoren geleitet werden; ja sogar an an- organischen, wenn sie labiler Natur sind, wie z. B. das noch zu er- wähnende colloidale Platin, hat man ähnliche Erfahrungen sammeln können. Was die biologische Bedeutung dieser verschiedenen Thatsachen anlangt, so werfen sie ungeahntes Licht gerade auch auf die synthetischen Vorgänge in den Organismen. Es muss bei allen unvollständig ver- laufenden Reaktionen — und das sind theoretisch ja alle Reaktionen — durch ein und dasselbe Ferment Destruktion wie Restitution beschleu- nigt werden, und je nach der Modifikation der Nebenumstände ent- weder der eine oder der andere Vorgang begünstigt werden können. Van’t Hoff hat in seiner Düsseldorfer Rede!) die höchst interessante Bemerkung gemacht, dass im Prinzip das Trypsin ebensogut das Eiweil aus seinen Spaltungsprodukten regenerieren kann, wie es für gewöhn- lich diese aus jenen entstehen lässt. Und ist auch einstweilen diese Forderung der Theorie der Katalyse durch geschickte Wahl der Be- dingungen experimentell noch nicht verifiziert, so existieren doch schon andere sehr bemerkenswerte Ansätze zur Ausnützung der Katalysatoren für synthetische Prozesse. Die wichtigste Beobachtung in dieser Hin- sicht ist wohl die von Hill?), der Maltose mit Hülfe von Maltase nicht nur spaltete, sondern ebenso auch aus den Spaltungsprodukten rege- nerieren konnte. Auch E. Fischer ist es früher einmal geglückt, einen Zucker, — leider entsinne ich micht nicht, welehen — aus seinen Komponenten mit Hülfe von H-Jonen wieder aufzubauen. Und die neulich von Cremer?) beobachtete Bildung von Glykogen aus gährungs- fähigen Zuckern im Hefepresssaft spricht ebenfalls für die mögliche Leitung des an und für sich reversiblen Prozesses auch einmal in der anderen Richtung als der gewöhnlichen. Wie soll man sich nun die Wirkungsweise der Katalysatoren vor- stellen? Solange unsere Kenntnisse über sie selbst und ihre Aeußer- ungen noch so lückenhaft sind, solange die von verschiedenen Autoren aufgestellten Hypothesen quantitative Berechnungen ihrer Wirkungen noch nicht gestatten, solange die Wahl zwischen den einzelnen Vor- stellungen noch Geschmacksache ist, so lange sollte eine neue An- schauung von einem Autor nur nach möglichst kritischer Abwertung gegen die schon ausgesprochenen und nach gründlicher Würdigung 4) Zeitschrift f. anorg. Chemie, 1898. 2) Journ. of the Chem. Soc., London 73, 634. 1898. 3) Berichte der deutschen chem. Ges. 32, 2062. 686 Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. des vorhandenen experimentellen Materials proklamiert werden. Gerade die Geschichte der Katalyse lehrt, wie eine mit Bestimmtheit gegebene „Erklärung“, wie die der intramolekularen Schwingungen in den Fer- mentmolekülen, als ausreichend gelten und eine weitere oder die richtige Fragestellung nur verzögern kann. Nach Allem, was man von der Natur der Fermente weiß, sind wenigstens die organischen äußerst kompliziert zusammengesetzte Stoffe; darum ist es nicht verwunderlich, daß einigermaßen diskutirbare Hy- pothesen über die Bethätigungsart gerade an die Beobachtungen an anorganischen Fermenten anknüpfen.!) Deren Eigenschaften sind in jüngster Zeit wieder in einer Reihe überaus interessanter Experimente an einem einfachen Beispiel, dem des kolloidealen Platins, von Bredig und Müller von Berneck?) studiert worden. Man gewinnt das „Ferment“ durch Zerstäubung von Platindraht im elektrischen Lichtbogen unter destilliertem Wasser; es resultiert eine Flüssigkeit, die dunkelbraun gefärbt ist durch das suspendierte Platin, dessen Verteilung so überaus fein ist, dass die Teilchen vom Filter nicht zurückgehalten werden und von nachweislich kleinerer Größenordnung als Lichtwellen sind. Das Platin in dieser Form teilt nun die allen Fermenten gemeinsame Eigenschaft, die nach Jakobson?) von ihrer „spezifischen“, z.B. invertierenden oder eiweißspaltenden un- abhängig ist, Wasserstoffsuperoxyd in Wasser und Sauerstoff zu zer- legen, und es entfaltet ebenso wie alle Fermente seine Wirkung schon in Spuren; eg genügen 0,3.10* mgr Platin in 1 em?, um Zersetzung herbeizuführen. Ebenso wie sehr viele Enzyme wirkt es besser in al- kalischer als in neutraler Lösung, und zwar existiert ein Optimum der Alkaleszenz, wieder wie bei den organischen Katalysatoren, das bei etwa !/,, Mol NaOH in 1 1 gelegt ist. Das Erstaunlichste ist aber, dass das Platin genau ebenso wie die Fermente vergiftet werden kann und genau durch die gleichen Gifte wie jene, nämlich durch Schwefel- wasserstoff, Sublimat und vorzugsweise durch Blausäure, und dass es sich ebenso wie die organischen Enzyme allmählich von der Blausäure- vergiftung, die mit der minimalen Menge von 0,003 mgr in 1 | hervor- gerufen werden kann, wieder erholt.*) 1) Vgl. darüber Bodländer, über langsame Verbrennung. Wagner, Zeitschr. f. phzsik. Chemie 28, 65. Gernez, Annales scientifiques de l’Ecole norm. sep. 4, 336. Euler, Oefversigt af Kongl. Vetenskap-Akademiens För- handlingar, Stockholm 1899, 3. 309. 2) Zeitschrift f. physik. Chemie 31, 258. 3) Zeitschrift f. physiolog. Chemie 16, 350. 4) Die Fermentwirkung des kolloidalen Platins lässt sich sehr schön neben der irgend eines organischen Fermentes demonstrieren. Die Platin- flüssigkeit stellt man sich her, indem man zwischen zwei etwa 1 mm starken Platindrähten bei einer Spannung von 30—40 Volt und einer Stromstärke von Höber, Ueber die Wirkungen der Katalysatoren. 687 Auch für dieses denkbar einfachst konstituirte Ferment lässt sich nichts Definitives von der Art und Weise der Bethätigung aussagen. Nur soviel ist wohl sicher, dass die Größe der Platinoberfläche eine wiehtige Rolle spielt, dass also die katalytischen Vorgänge zum Teil, aber sicher nur zum Teil Oberflächenerscheinungen darstellen. Denn jede Verkleinerung der Oberfläche durch Ausfällen der Suspensionen, jede Vergrößerung durch Zusatz von OH-Jonen verändert in ent- sprechendem Sinne die fermentative Thätigkeit. Andere fein verteilte Metalle und Metalloxyde, wie Gold, Silber, Mangandioxyd, Kobaltioxyd u. A. wirken ganz ähnlich wie Platin; es liegt also der Gedanke nahe, auch den Metallgehalt der organischen Katalysatoren in einer Be- ziehung zu denken zu deren katalytischen Eigenschaften. Ist doch in neuerer Zeit von Spitzer!) auf den Eisengehalt des Oxydationsfer- mentes und seine Bedeutung für die oxydativen Leistungen des Enzyms aufmerksam gemacht worden; enthält doch Bertrand’s Laccase?) Mangan, und das Chlorophyll und nach den Angaben von Friedenthal?) eine ganze Anzahl anderer Enzyme, wie Diastase, Trypsin, Pepsin u. A. Eisen. Zum Sehlusse dieser Ausführungen über Katalysatoren ist es wohl geeignet, noch die Frage aufzuwerfen, warum gerade bei den che- mischen Umsetzungen in den Organismen, und besonders in den höheren Organismensovielfach die Katalysatoren eine Rolle spielen, zumalda essich ja, wie wir gesehen haben, um Umsetzungen handelt, die auch ohnedies zu- standekommen. Die Antwort liegt fast schon in diesem Nachsatz. Es ist eine bekannte Thatsache, dass die meisten organischen Reaktionen ebenso wie die Gasreaktionen bei gewöhnlicher Temperatur außerordent- lich langsam verlaufen im Gegensatz zu den anorganischen Reaktionen, die im Wesentlichen Jonenreaktionen sind. Es gelingt freilich, durch entsprechende Temperaturerhöhung die Reaktionsgeschwindigkeit so zu steigern, dass die Umsetzungen merklicher Mengen rasch zustande kommen, z. B. die Bildung von Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff oder die Hydrolyse der Stärke; aber diese Art der Beschleunigung verbietet sich bei den Organismen von selbst. An die Stelle der Tem- 8—12 Ampere für Momente einen Lichtbogen unter destilliertem Wasser bildet, in dem dann die Kathode mehr und mehr zerstäubt. Das käufliche Hydro- genium peroxydat. medieinale ist trotz seiner stark sauren Reaktion direkt zum Gebrauch geeignet; man verdünnt es zur Hälfte mit der Platinlösung und füllt die Mischung in ein enges, einerseits zugeschmolzenes Rohr, das man in einen Trog mit Wasser stellt. Die Wirkung von NaOH und HCN lässt sich ebenfalls leicht zeigen und daneben die Zersetzung von H,O, durch Emulsin, das man durch Zerreiben von süßen Mandeln mit Wasser gewinnt. 1) Pflügers Archiv, Bd. 67, 615. 2) Compt. rend. 122 u. 124. 3) Archiv f. Physiologie 1900, 181. 688 Hertwig, Lehrbuch der Zoologie. peratursteigerung treten dann die Katalysatoren, und umso reichlicher und mannigfaltiger, je mehr sich die Bedürfnisse nach schnellen und mannigfachen und lokalen Stoffumsetzungen im Organismus herausbilden. Es wäre sicherlich eine dankbare Aufgabe, Zahl und Art der Fermente in den verschiedenen Gruppen der niederen und höheren tierischen und pflanzlichen Organismen nach ihrer Bedeutung für den Stoffwechsel vergleichend zu untersuchen. [57] R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie. 5. Aufl. Gr. & XII u. 622 S. 570 Abbildungen. Jena, Gustav Fischer, 1900. Im Jahrgang 1897 hatten wir Gelegenheit, die vierte Auflage von Hert- wig’s Lehrbuch anzuzeigen. Jetzt liegt uns die fünfte vor. Die Vorzüge des Buches sind bekannt und anerkannt genug. Es wird daher genügen, darauf hinzuweisen, dass der Verf. wiederum bemüht war, den Fortschritten der Wissen- schaft Rechnung zu tragen, ohne den Umfang des Buches allzusehr zu ver- größern. Deshalb wurde in der neuen Auflage mehr als in früheren von klei- nerem Druck Gebrauch gemacht und dadurch Platz für neue Zusätze geschaffen. Ganz neu hinzugekommen ist ein kurzer Abriss des geologischen Baus der Erde und der paläontologischen Verbreitung der wichtigsten Tierstämme. Durch klaren, scharfen Druck und vortreffliches Papier ist doch überall die Lesbar- keit so gut, dass den Augen keine größere Anstrengung zugemutet wird. Einige Figuren wurden durch neue, bessere ersetzt. pP. [77 Verlag von @ustav Fischer in Jena. Soeben erschien: Die Entwicklung der Biologie im 19, Jahrhundert. Vortrag auf der Versammlung deutscher Naturforscher zu Aachen am 17. September 1900 gehalten von Oscar Hertwig, Direktor des anatomisch-biologischen Instituts der Berliner Universität. Preis: 1 Mark. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ, -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Üentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 1. November 1900. Nr. 21. Inhalt: Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- verteilung. (Zweites Stück.) — Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. (Viertes Stück.) — Bretscher, Ueber die Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. — Imhof, Nachträglicher Zusatz zur Notiz über ein multiocelläres geflügeltes Insekt. — Erwiderung auf den Artikel von L. Reh in Nr. 14, Bd. XX, 1900 des Biol. Centralbl. „Einige Bemerkungen zu der Besprechung von Frank-Krüger’s „Schildlausbuch* durch Th. Kuhlgatz“. — Berichtigung. Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Von Eduard Strasburger. (Zweites Stück.) Dass durch Parasiten formative Vorgänge ausgelöst werden, ist eine so bekannte Erscheinung, dass der hier geschilderte Fall nur durch seine Eigenart auffällt. Er ist in der That dadurch interessant, dass er die Auslösung des zweiten, sonst unterdrückten Geschlechtes in der getrenntgeschlechtlichen Nährpflanze durch einen Parasiten uns vorführt. Es macht dabei den Eindruck, als wenn der Parasit mit größter Leichtigkeit diese Auslösung bewirke, während die nämlichen Pflanzen allen experimentellen Versuchen ihre Geschlechtsverhältnisse zu beeinflussen, standhaft widerstehen. Der Pilz hingegen braucht, um diese Wirkung zu erreichen, nicht einmal in die Zellkörper einzudringen. Zur Zeit, da sein formativer Einfluss sich bereits geltend machen muss, sind die in Betracht kommenden Zellen nicht nachweisbar verändert. Ihr Kern behält auch die gewohnte Lage, ohne irgend welche An- näherung an die von einer Hyphe gestreifte Wand zu zeigen. Die Menge des Chromatins hat in ihm weder zu- noch abgenommen. Das Cytoplasma färbt sich nicht anders als sonst. Der auslösende Reiz kann wohl nur von einem Stoff bewirkt werden, den der Pilz aus- scheidet und der in den Protoplasten der Nährpflanze dringt. Es läge demgemäß eine chemotaktische Reizung vor, die den Protoplasten nicht schädigt, vielmehr zu einer bestimmten formativen Thätigkeit XX. 4 090 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). zwingt. Meist sind es nicht vorgesehene, formative Vorgänge, die pflanzliche Parasiten in ihrer Nährpflanze veranlassen. Sie lösen da, in einer bestimmten Aufeinanderfolge, Fähigkeiten aus, welche im Proto- plasten schlummern und veranlassen dann Neubildungen, welche nicht in den normalen Entwicklungsgang der befallenen Pflanze gehören. Hier hingegen wird die Bildung eines zwar nicht in dem Entwicklungs- gang des weiblichen Individuums vorgesehenen, wohl aber der Species als solcher zukommenden Organs ausgelöst. Das mahnt an die Vor- stellung, die Sachs sich von den Ursachen ontogenetischer Entwick- lung gebildet hat. Im besondern nahm er an, „dass äußerst geringe Quantitäten einer oder verschiedener Substanzen (chemischer Verbin- dungen) in den Blättern entstehen, die es bewirken, dass die den Vegetationspunkten ohnehin zuströmenden, allbekannten Baustoffe, die Form von Blüten annehmen. Diese blütenbildenden Stoffe können, ähnlich wie Fermente, auf größere Massen plastischer Substanzen einwirken, während ihre eigne Quantität verschwindend klein ist“. Dieser in dem Aufsatz über die Wirkung der ultravioletten Strahlen auf die Blüten- bildung niedergeschriebene Gedanke!) knüpfte an die zuvor schon von Sachs in „Stoff und Form der Pflanzenorgane* ausgesprochenen Ideen?) an, die er dann weiter in seinen physiologischen Notizen „über Wachstumsperioden und Bildungsreize“ entwickelte?). Diese Sachs’sche Auffassung der Ontogenese hat manchen Widerspruch *) und auch manche Zustimmung erfahren, so von Curt Herbst in dessen Be- trachtungen „über die Bedeutung der Reizphysiologie für die kausale Auffassung von Vorgängen in der tierischen Ontogenese“°). Der Fall von Melandrium beweist unter allen Umständen, dass durch einen sich einstellenden, hier wohl sicher stofflichen Reiz, auch die Bildung eines in den normalen Entwicklungsgang der Species gehörenden Organs veranlasst werden kann. Ich schließe mich daher in einem gewissen Sinne Sachs an, wenn er schreibt: „Ueberhaupt kann man es als ein Axiom aller Entwicklung betrachten, dass jedes am Vegetationspunkt neu entstehende und dann weiter wachsende Organ seine Baustoffe und spezifischen Anregungen den älteren, vorausgehenden Organen verdankt: jedes neue Organ ist das Produkt der voraus- gehenden“). Ich möchte den gesperrt gedruckten Satz, so wie es auch Sachs gethan hat, besonders hervorheben, und allgemeiner noch dabei formulieren, dass jeder Entwicklungszustand in der Ontogenese 1) Arbeiten des bot. Inst. in Würzburg, Bd. Ill, 1888, p. 385, 386. 2) Daselbst Bd. II, 1882, p. 689. 3) Flora, Bd. 77, 1893, p. 217. 4) Die Assimilationsorgane der Asparageen. Jahrb, f. wiss. Bot., Bd. XXXI, 1898, p. 262 ff.; Vöchting, Zur Physiologie der Knollengewächse. Daselbst, Bd. XXXIV, 1900, p. 81. 5) Biol. Centralbl., Bd. XV, 1895, p. 830. 6) Flora 1. c. p. 221. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 691 die Bedingungen für den nächstfolgenden schafft. Dass aber im be- sondern die blütenbildenden Stoffe in den Blättern erzeugt und auf Entfernung herbeigeschafft werden sollten, erscheint wenig wahrschein- lich. Schon ihr Transport nach den Vegetationspunkten würde Schwierig- keiten bereiten. Sachs selbst stieß als Einwand gegen seine Vor- stellung bereits auf, dass ja auch blattlose phanerogame Parasiten und Humusbewohner Blüten bilden. Er meinte aber, bei ihnen könne sich das mit den blütenbildenden Stoffen eben anders verhalten, so wie auch Chlorophylibildung, die im allgemeinen vom Lichte vermittelt wird, in Coniferenkeimlingen und Farnblättern im Dunkeln erfolgt. Doch hier- gegen ist zu bemerken, dass die Blütenbildung durch blütenbildende Stoffe in den Sachs’schen Versuchen lange nicht so sicher erwiesen war, wie die Abhängigkeit der Chlorophylibildung vom Lichte bei der großen Pflanzenzahl, und dass daher der von den Parasiten und Humus- bewohnern ausgehende Einwand weit schwerer wog. Der Fall von Melandrium zeigt andrerseits zum mindesten, dass es sehr verschiedene Stoffe sein können, welche morphogene Vorgänge in der Ontogenese auszulösen vermögen. Er stützt somit nicht die Annahme spezifischer Bildungsstoffe, wohl aber die Vorstellung, dass auch in der Ontogenese die aufeinander folgenden Entwicklungszustände durch Auslösungen bedingt werden. Ob es nun aber in dem natürlichen Gang der Onto- genese bestimmte Stoffe sind, die diese Aufgabe vollziehen, geht aus dem Umstand, dass Stoffe solche Auslösungen überhaupt zu bewirken vermögen, noch nicht hervor!). Andre Beispiele ontogenetischer Aus- lösungen durch stoffliche Reize haben in letzter Zeit für Eifurechung bei Tieren sich gemehrt?). Dass solche Auslösungen aber auch durch höhere Temperaturen bewirkt werden können, zeigen Versuche mit Pflanzen, besonders mit Marsilia. Nicht minder sind auch nutritive Reize befähigt, organbildend zu wirken, wie Vöchting in seinen Studien über vicariende Organe am Pflanzenkörper zeigte). Ebenso war ich auch schon vor Jahren bemüht, nachzuweisen, dass Zahl und Bau der Markstrahlen, so wie Anlage und Ausbildung tangentialer Hoftüpfel im Coniferenholze, durch die Bedürfnisse der Wasserleitung, also durch einen von dieser auf das Cambium ausgeübten Reiz, be- stimmt wird. Zahlreiche Angaben andrer Forscher auf anatomischem Gebiete würden sich diesem Beispiele hinzufügen lassen, doch genügen die bereits angeführten Thatsachen für den Nachweis der Mannig- faltigkeit der Reize durch welche morphogene Thätigkeiten ausgelöst 1) Vergl. auch Herbst l. e. p. 830. 2) Auf die Litteratar hierzu komme ich später zurück. 3) Zur Physiologie der Knollengewächse. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXIV, 1900, p. 1. 4) Ueber den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbahnen in den Pflanzen, 1891, p. 12, 13. 44” 599 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). werden können. Damit seien auch die Vorgänge in den infizierten Melandrium-Blüten in ihren richtigen Raum gewiesen. Die Ausbildung der Staubblätter in den infizierten weiblichen Blüten von Melandrium hat zur korrelativen Folge, dass sich auch, entsprechend wie in männlichen Blüten, das Achsenglied zwischen Kelch und Krone streckt. Andrerseits wird auch der Fruchtknoten in seiner Ausbildung beeinträchtigt. Je mehr der Fruchtknoten zurück- bleibt, um so länger wird das zwischen Kelch und Krone eingeschaltete Achsenglied. Blütenknospen mit stark reduziertem Fruchtknoten fallen schon äußerlich durch ihr schlankeres Aussehen auf; sie machen fast den Eindruck männlicher Blüten. Sie erwecken dann auch wohl die Vorstellung, dass sie infizierte männliche Blüten seien, und dass man es mit einer männlichen Pflanze zu thun habe, die infolge der Infek- tion reduzierte Fruchtknoten in ihren Blüten bilde. Ich darf auf Grund überaus zahlreicher Beobachtungen behaupten, dass es sich in Wirklichkeit, in allen solchen Fällen, nur um infizierte weibliche Pflanzen handelt. Das wird auch durch die Tracht der ganzen Pflanze ange- zeigt, so wie durch den leicht zu ‚führenden Nachweis, dass in allen Blüten solcher Pflanzen die Gefäßbündel im Kelch doppelt so zahlreich als in männlichen Blüten sind. Ich nehme daher auch an, dass die von Ustilago befallenen Exemplare von „Lychnis dioica* die Heyer') in der Umgegend von Halle fand, nicht, wie er es meinte, männlich, nit unvollkommenen Fruchtknoten, vielmehr weiblich waren, wie denn auch ihre Beschreibung im wesentlichen auf weibliche Pflanzen passt. Heyer’s?) Angabe über zwei Pflanzen, die zur einen Hälfte männlich, zur andern weiblich und nur in dem männlichen Teile vom Pilz befallen waren, ist auch dahin zu erklären, dass an den infizierten Teilen die betreffenden Pflanzen in ihren weiblichen Blüten Staubblätter und reduzierte Fruchtknoten, in den nicht infizierten normale Fruchtknoten und keine Staubblätter aufwiesen. So giebt denn auch Vuillemin?) an, dass ihm nicht selten Stöcke von Melandrium begegnet seien, die nur zum Teil infiziert waren. In Brefeld’s*) Versuchen lieferten nur etwa zwanzig Prozent der mit Brandsporen infizierten Keimlinge von Hafer und Gerste, trotz der thatsächlich gelungenen Ansteckung, brandige Pflanzen. Die Mehrzahl vermochte somit auf späteren Ent- 4) Untersuchungen über das Verhältnis des Geschlechts bei einhäusigen und zweihäusigen Pflanzen. Berichte aus dem physiol. Laborat. der Versuchs- anstalt des landw. Inst. der Univ. Halle. Herausgegeben von Julius Kühn. Bd. T, Heft'V, 1884, 9.79. 2) 1 ec. p.80. 3) Sur les effets du parasitisme de !’Ustilago antherarum. Comptes rendus de l’Acad. Paris, Bd. 113, 1891, p. 633. 4) Untersuchungen aus dem Gesamtgebiete der Mykologie, Heft XI, 1895, p- 38. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 695 wieklungsstadien die Infektionskeime in ihrem Innern zu unterdrücken. So darf es denn nicht auffällig erscheinen, dass auch aus einem infi- zierten Stock von Melandrium gelegentlich Sprosse hervorgehen, in welche der Pilz nicht eindringt, oder in denen er unterdrückt wird. Thatsächlich habe ich selbst auch, freilich nur ausnahmsweise, eine solehe Erscheinung beobachten können. Sie stellte sich gleichzeitig an zwei Stöcken ein, was, bei ihrer sonstigen Seltenheit, vermuten ließ, dass äußere Umstände ihr Zustandekommen begünstigt hätten. Bald folgte ein dritter Stock mit derselben Erscheinung nach, und nun durfte ich auch annehmen, dass dem Pilz das inzwischen eingetretene sehr trockene und sehr heiße Wetter nachteilig war. Verminderte Wasser- zufuhr zu dem Vegetationspunkte mag die Entwicklung des Pilzes hemmen und sich hieraus erklären, warum unter ähnlichen Verhält- nissen auch sonstige, durch parasitische Pilze verursachte Epidemien, wie die Kartoffelkrankheit, abnehmen. Von hohem Interesse war es mir, festzustellen, dass an solchen nicht infizierten Sprossen, ungeachtet sie aus völlig infizierten Stöcken entsprangen, die weiblichen Blüten ganz normal waren. Die Staubblattanlagen zeigten sich auch nicht um eine Spur weiter entwickelt. Um so klarer lag hiermit die aus- lösende Thätigkeit des Pilzes in den infizierten Blüten desselben Stockes zu Tage. Zugleich zeigten solche Stöcke klar an, dass die Infektion des einen Teiles ohne Einfluss auf die Vorgänge in den nicht infizierten Teilen bleibt. Trotzdem somit die nicht infizierten Sprosse die plastischen Stoffe für ihre Entwicklung zunächst aus infizierten Aesten geschöpft hatten, und von diesen dauernd das Nährwasser, das ja auch etwas Assimilate zu führen pflegt, erhielten, blieben sie von der aus- lösenden Wirkung des Pilzes in ihren Blüten unbeeinflusst. An dem Gipfel eines Zweiges, der einem durch und durch infizierten Stocke entsprang, fand ich am 20. Juli dieses Jahres, zur Zeit der größten Dürre und Hitze, zwei im Aufblühen begriffene Blüten, deren Insertions- stellen nur um einen halben Centimeter auseinanderlagen. Die eine dieser Blüten streekte ihre Narben vor und gab sich daher ohne weiteres als normal weiblich zu erkennen. Die andere zeigte, als ich sie weiter öffnete, Staubblätter, und demgemäß auch nur einen redu- zierten Fruchtknoten, mit unentwickelten Narben. Da die Antheren in dieser Blüte gelblich gefärbt erschienen, meinte ich im ersten Augen- blick, es läge doch endlich ein Fall der Auslösung dieser Staubblätter auf Entfernung durch den Pilzstoff vor und sie würden möglicherweise Pollen enthalten. Thatsächlieh führten sie aber nur zur Reife nicht gelangte und daher hell gebliebene Teleutosporen. Auch in dieser Blüte lag somit eine direkte Pilzwirkung in der Ausbildung der Staub- blätter vor und hatte Trockenheit und Hitze nur die Reifungsvorgänge der Sporen aufgehalten. Andrerseits konnte die auslösende Wirkung des Pilzes auch nicht auf eine Entfernung von einem halben Centimeter 694 Strasburger, Versuche mit dioeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). fortgepflanzt werden, da diese nur etwas höher entspringende Blüte völlig normal weiblich war. Die der Untersuchung nicht geopferten normalen weiblichen Blüten solcher infizierter Stöcke bestäubte ich mit dem Pollen gesunder männ- licher Stöcke und erntete an ihnen reife Früchte mit reichlichem Samen. Die Samen waren wohlgeformt und kräftig und zeigten keinerlei Zeichen irgend welcher Erschöpfung des zeugenden Stockes. An den Fruchtknoten der infizierten weiblichen Melandrien werden. nur reduzierte Griffel erzeugt, die einen Bruchteil der Länge normaler Griffel erreiehen. In keinem Fall sah ich sie aus den Blüten hervor- ragen, daher mir auch die wenigen normalen weiblichen Blüten der nicht infizierten Sprosse gleich auffallen mussten. In den infizierten weiblichen Blüten drängen sich hingegen die mit Chlamydosporen er- füllten Antheren bis zur Kronenmündung als dunkelbraune Massen vor. Die Samenanlagen der infizierten weiblichen Blüten sehen für äußere Betrachtung normal aus, und als solche schildert sie auch Magnin!), doch lehrt eingehende Untersuchung, dass ihre Entwick- lung bei Anlage des Embryosackes stockt, dieser nicht mehr zur vollen Ausbildung gelangt. Auf Mikrotomschnitten stellt man fest, dass die ersten Hemmungen sich thatsächlich erst nach dem Erscheinen des Embryosackes einstellen. Die weitere Ernährung der Anlage hört auf und ihre Zellen nehmen nur noch an Größe, nicht aber an Inhalt zu. Daher sie weiterhin sehr plasmaarm erscheinen. Die Embryosack- anlage schrumpft gleichzeitig zusammen. Augenscheinlich trägt nur die Unterbrechung der Nahrungszufuhr schuld an diesem Stillstand. Bestäubungsversuche, die ich an den infizierten weiblichen Blüten vor- nahm, selbst denjenigen, welche die am weitesten fortgeschrittenen Fruchtknoten aufwiesen, blieben resultatlos. Das Ergebnis änderte sich auch nicht bei möglich frühzeitiger Bestäubung künstlich geöffneter Blütenknospen, in welchen ich eine durch die Reizwirkung des Pollens anzuregende Weiterentwicklung der Fruchtknoten, als Möglichkeit ins Auge fassen konnte. Wenn somit Magnin?) angiebt, Früchte mit reifen Samen an infizierten Pflanzen beobachtet zu haben, so konnte es sich, wie Vuillemin?) schon hervorhob, dabei nur um partiell infizierte Stöcke handeln, die auch eine Anzahl nicht infizierter, nor- maler weiblicher Blüten trugen. Dass ich von solchen auch Samen ernten konnte, habe ich zuvor schon angegeben. Der Umstand, dass die infizierten weiblichen Blüten von Melandrium in ihren Fruchtknoten steril werden, zugleich Staubblätter ausbilden, hat Giard*) veranlasst, sie seinen an Tieren gesammelten Beispielen 1) Comptes rendus, Bd. 107, 1888, p. 665. 2). 1. c2 P.,665. 3).l..6..p.603. 4) Comptes [rendus de l’Acad. Paris, 1888 sur la castration parasitaire, Bull. seientifigue de la France et de la Belgique, 1888, p. 12. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 695 parasitärer Kastration anzuschließen. Giard definiert diese Erschei- nung als die Summe der Veränderungen, welche ein tierischer oder pflanzlicher Schmarotzer auf den generativen Apparat oder die zu diesem Apparat in mittelbarer Beziehung stehende Teile des Organismus ausübt. Dieser Einfluss kann sich physiologisch in einer nur geringen Störung der generativen Funktionen äußern, und die Fruchtbarkeit kaum vermindern, oder auch durch alle Mittelstufen bis zur vollen Unfruchtbarkeit sich steigern. Zu gleicher Zeit stelle sich alsdann häufig bei Tieren eine Umkehrung der Geschlechtsinstinkte ein. In morphologischer Beziehung wirke die parasitäre Kastration mehr oder weniger energisch auf die primären und selbst auch auf die sekun- dären Geschlechtscharaktere der befallenen Individuen ein und ver- anlasse bei ihnen oft das Auftreten von Merkmalen des entgegen- gesetzten Geschlechts. Giard bezeichnet die parasitäre Kastration als androgyn, wenn sie bei dem weiblichen Geschlecht gewisse Cha- raktere des männlichen zar Ausbildung bringt. Er rechnet dem zu Folge die Vorgänge, wie sie in den infizierten weiblichen Blüten von Melandrium (Lyehnis dioica) sich einstellen in diese Kategorie. — Die Unfruchtbarkeit der infizierten weiblichen Melandrium-Blüten ist aber sicher nicht dem direkten Angriff der Hyphen auf die Samen- anlagen zuzuschreiben. Denn die Hyphen entwickeln sich in diesen nur spärlich und eine Zerstörung und Auflösung von Zellen unter ihrem Einfluss findet nicht statt. Ebenso wenig dürfte es auch eine direkte Wirkung des Pilzes sein, wenn die Griffel der befallenen Pflanze un- entwickelt bleiben, dies vielmehr auf den starken Substanzverbrauch durch den Pilz, und die dadurch bewirkte Ableitung der Nahrungs- stoffe nach den Antheren, sich zurückführen lassen. Das löst aber zugleich andre korrelative Bildungsvorgänge aus, so die schon erwähnte Streckung der Blütenachse zwischen Keleh und Blumenkrone, die um so bedeutender ausfällt, je früher der Fruchtknoten in seiner Entwick- lung gehemmt wurde. Wie aus den vorausgehenden schon folgt, nehme ich eine Aus- lösung der normalen Bildungsvorgänge, die zur Anlage von Staub- blättern führen, in den infizierten weiblichen Blüten von Melandrium durch den Pilz an und nicht, wie Vuillemin'), nur eine Hypertrophie vorexistierender Anlagen, der „rudiments preexistants“. Ich stütze mich dabei auf den bis jetzt in seinen Einzelheiten unbekannt ge- bliebenen Verlauf, den die Entwicklung der Staubblätter, nach er- folgter Auslösung ihrer Bildung durch den Pilz, in den weiblichen Blüten nimmt. Es unterliegt für mich keinen Zweifel, dass sich die Pollenmutterzellen in den Antheren dieser Staubblätter auch isolieren, ihre Wände entsprechend verdicken, und sich auch teilen würden, wenn nicht zuvor der Pilz sie zerstörte. Doch der Fortgang der nor- SA ep. 664. 696 Strasburger, Versuche mit diöceischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). malen Entwicklung dokumentiert sich ja noch weiter in der Ausbildung der mit typischen Verdiekungsleisten versehenen Faserschicht, über- haupt der ganzen Staubfachwandungen und der Filamente, also in Vorgängen, die durchaus die für diese Speeies charakteristischen Merk- male aufweisen. Dass Vuillemin in der Ausbildung der Antheren- wände eine Art Symbiose zwischen Nährpflanze und Parasit erblicken möchte, ändert nichts an der Tragweite der hervorgehobenen That- sachen, trifft auch nicht zu, da die Nährpflanze von dem Pilz hier nur Schaden nimmt. „Der Parasit“, meint Vuillemin, „macht die Rudimente der Staubblätter sichtbarer, indem er sie hypertrophiert. Der von ihm ausgeübte Reiz wirkt in gleicher Richtung wie jener, der von den wesentlichen Teilen fertiler Staubblätter ausgeht. Er weckt in der weiblichen Blüte latente Eigenschaften, die sich in der Differen- zierung accessorischer Charaktere des Androeceums äußern. Der kom- pensatorische Stillstand, der die Entwicklung des Fruchtknotens trifft, gestattet es den plastischen Stoffen, dem vom Parasiten ausgewählten Orte zuzuströmen. In Wirklichkeit steht diese scheinbar männliche Organisation nur im Dienste der Parasiten; das fehlende Geschlecht ist in jenen infizierten Blüten nicht besser vertreten, wie in den nor- malen. Weit davon entfernt, hermaphrodit zu werden, ist die von Ustilago befallene Blüte in Wirklichkeit nur sterilisiert“. Für mich liegt der Schwerpunkt hingegen in dem durch die Ent- wicklungsgeschichte mir gebotenen Nachweis, dass die ganze Summe der männlichen Charaktere, die sonst in der weiblichen Blüte von Melandrium latent bleiben, durch den Pilz zur Auslösung gelangt. Damit werden diese Blüten thatsächlich hermaphrodit. Dass der Pilz die Staubblätter auf einem gewissen Entwicklungszustand kastriert, in- dem er ihre Pollenmutterzellen zerstört, ändert nichts an dem Wesen des ausgelösten Entwicklungsvorgangs. Der Pilz verhält sich in diesen ihm ihre Ausbildung verdankenden Staubblättern dann eben nicht anders, als in den Staubblättern der männlichen Blüte, deren Bildung er nicht erst zu veranlassen braucht. Auch letztere werden kastriert, ohne dass ein Zweifel an ihrer Fähigkeit, sich sonst vollzählig auszu- bilden, dadurch erweckt werden könnte. Wie ich entwicklungsgeschicht- lich feststellte, spielen sich in den männlichen Blüten alle Vorgänge genau wie in den weiblichen ab. Der Pilz braucht in den männlichen Blüten die Staubblattbildung nicht auszulösen, in seinem Verhalten zu den sich bildenden Anlagen und deren Gewebe ist ein Unterschied gegen die weibliche Blüte aber nicht wahrzunehmen. Von einer durch ihn veranlassten Hypertrophie kann somit in der weiblichen Blüte ebenso wenig wie in jenen männlichen die Rede sein. Zum Vergleich zog ich auch noch die Entwicklungsgeschichte der hermaphroditen Blüte von Saponaria offieinalis heran. Da war, bei einer auch sonst großen Uebereinstimmung aller Entwicklungsvorgänge, festzustellen, dass der Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 697 Fruchtknoten auf dem Stadium, wo bei Melandrium die Chlamydo- sporen des Pilzes in den Antherenfächern ausgebildet werden, nicht weiter als in den infizierten weiblichen Melandrium-Blüten fortgeschritten ist. Somit liegt auch bei Melandrium keinesfalls eine durch Hemmung der Fruchtknotenentwicklung veranlasste Staubblattbildung vor. Die in den infizierten weiblichen Blüten von Melandrium sich ein- stellenden Erscheinungen sind, wie schon erwähnt wurde, von Giard den Beispielen androgyner Kastration bei Tieren zugezählt worden. Sie stimmen ja auch mit jenen darin überein, dass eine Kastration des weiblichen Apparats und das Auftreten der männlichen Geschlechts merkmale vorliegen. Andererseits ist aber doch bei Melandrium ein besonderer von jenen tierischen Beispielen verschiedener Fall gegeben; denn die Ausbildung der Staubblätter ist hier eben nicht die Folge der Kastration der Fruchtknoten, sondern eine unmittelbare Wirkung des Pilzes. Das Auftreten und die Ausbildung der Staubblätter erfolgt schon zu einer Zeit, wo die Entwicklung des Fruchtknotens noch un- gehemmt fortschreitet. Ja, es lässt sich annehmen, dass der Substanz- verbrauch in den Staubblättern die Entwicklung des Fruchtknotens sistiert, keinesfalls ist es aber jene Sistierung, welche die Ausbildung der Staub- blätter veranlasst. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet und mit Rücksicht darauf, dass die Antheren als Wohnstätte des Parasiten Verwendung finden, steht der Fall von Melandrium den Gallenbildungen weit näher, als dem Gebiete jener korrelativen Förderungen, die das entgegengesetzte Geschlecht nach Kastrationen erfährt. An die in den infizierten weiblichen Blüten von Melandrium be- obachteten Erscheinungen möchte Magnin!) die Wirkungen anschließen, die Ustilago Vaillantii in den Blütenständen von Muscari comosum ausübt. In gewissen Blüten dieser Inflorescenzen, die im normalen Zustande mit reduzierten Staubblättern (rudiments staminaux) versehen sind, ruft der Pilz die Ausbildung von Antheren hervor, die er mit seinen Sporen anfüllt. In die nämliche Kategorie von Erscheinungen gehört auch das Auftreten durch Ustilago Caricis infizierter Utrieuli in einer männlichen Aehre von Carex praecox, die Roze?) beobachtete. Ein ziemlich schmächtiges Exemplar der genannten Pflanze hatte außer dieser männ- lichen eine einzige weibliche und zwar nicht infizierte Aehre aufzu- weisen. In der männlichen Aehre waren sämtliche Utrieuli, sechs an der Zahl, infiziert. Es liegt also die Annahme nahe, dass hier auch der Pilz die Bildung der weiblichen Blüten in der männlichen Aehre auslöste. Hinzugefügt muss freilich werden, dass androgyne Achren, auch in der Reihe der Heterostachyae bei den Carex- Arten nicht eben selten sind. 1) Comptes rendus de l’Acad. Paris, 1892, bd. 115, p. 677. 2) L’Ustilago Carieis Fuckel, aux moirous de Paris. Bull. de la soc. bot. de France, 1888, T. 35, p. 277. 698 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Zahlreiche Fälle sind bekannt, wo in Blüten entwickelte Parasiten erstere unfruchtbar machen!); doch fand ich keine weiteren Angaben in der Litteratur vor, wo der Parasit in getrennt geschlechtlichen Blüten oder Blütenständen, das entgegengesetzte Geschlecht ausgelöst hätte. ee Stück folgt.) Ueber die Bildungsweise nd. das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse. Von Dr. Walter Stempell, Privatdozent in Greifswald. (Viertes Stück.) Um die Häufigkeit solcher sekundären Molekularumlagerungen in der Schale genügend verstehen zu können, wird man bedenken müssen, dass die Schale, wenn sie auch von einem lebenden Tierkörper auf- gebaut wird, doch einmal erstarrt, dem Einfluss desselben entzogen ist (ef. Winter 1896 p. 7, 8). Wir werden also wenigstens in Bezug auf die vollkommen erstarrten Schalenteile sehr wohl die Bournon’sche Ansicht von der toten, gewissermaßen anorganischen Beschaffenheit der Schale aeceptieren können, (ef. auch M. de Villepoix 1892e p. 620). Es muss dies um so schärfer betont werden, als nicht nur manche ältere, sondern auch neuere Autoren (Martini 1776 p. 368, Kefer- stein 1862—1866 p. 909, v. Mertens 1853 p. 11, Simroth 1899a p. 235) daraus, dass die Schalen sich nach Entfernung vom lebenden Tierkörper verhältnismäßig schnell verändern, auf eine gewisse Be- lebtheit der mit dem Tier verbundenen Schale schließen wollen. Sie stellen sich meistens vor, dass die Schale in allen ihren Teilen vom lebenden Tierkörper aus mit einer Ernährungsflüssigkeit durchtränkt werde und so in den Stoffwechsel eingeschaltet während der Lebens- dauer ihres Bewohners eine erhöhte Resistenz gegen äußere chemische Einflüsse bewahre. Indessen sind wir meiner Ansicht nach durch die thatsächlichen Verhältnisse keineswegs zu einer derartig gewagten Annahme gezwungen. Denn wenn man selbst die an sich recht frag- liche Voraussetzung zugiebt, dass sich isolierte Schalen wirklich schneller verändern, als am lebenden Tierkörper befindliche, so lässt sich dieser Umstand doch mit Clessin (1873 p. 24) einfach daraus erklären, dass die Tiere durch Wahl günstiger Aufenthaltsorte auch ihre Schalen vor schädlichen Einflüssen Bor nen während die isolierten Schalen allen möglichen Zufälligkeiten ausgesetzt sind. Außerdem sind die am le- benden Tierkörper sitzenden Schalen gegen rein chemische Einflüsse auch deswegen besser geschützt als A isolierten Schalen, weil ihre, den chemischen Einflüssen gerade besonders zugängliche Innenseite (ef. Winter 1896 p. 13) vom "Tierkörper bedeckt wird. ) Vergl. im besonderen die Aufsätze von Magnin in den Comptes rendus de rn Paris, 1890, Bd. 110, 1890, p. 913 u. 1149, Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen 699 Wenn wir die fertig gebildete, erstarrte Schale demnach unter allen Umständen als tot bezeiehnen dürfen, so ist es sehr wohl denk- bar, dass. in der kalkigen Substanz besonders älterer Schalenteile nach- träglich sekundäre Molekularumlagerungen, vor allem Krystallisations- prozesse, auftreten, die besonders dann, wenn mit ihnen ein Schwinden des Conchiolins Hand in Hand geht, die feinere Struktur in erheblicher Weise verändern können. Alle diese Veränderungen, deren Vorkommen an fossilen und recenten Schalen ja durch zahlreiche Untersuchungen vollkommen sicher gestellt ist!), können natürlich keinen Anspruch darauf machen, als vitale, organische Wachstumsprozesse zu gelten (ef. M. de Villepoix 1892e p. 620), und es muss daher als verfehlt bezeichnet werden, wenn die neueren Vertreter der Intussusceptionslehre aus derartigen Vorkommnissen irgend welche Beweise für ein inneres, organisches Wachstum der Schale herleiten wollen (s. o.). Streng ge- nommen können wir die sekundären Krystallisationsvorgänge auch gar nicht mehr zum Schalenbildungsprozess rechnen, da sie ja erst nach Vollendung des letzteren eintreten, und mit ihm selbst gar nichts zu thun haben. Zwar mag die sekundäre Kırystallisation zuweilen durch die beim eigentlichen Schalenbildungsprozess entstandenen Schalen- strukturen in gewisser Beziehung beeinflusst werden, aber die Haupt- rolle spielen bei allen diesen sekundären Veränderungen wohl rein äußere Verhältnisse, und es ist daher sehr wohl denkbar, dass die se- kundäre Krystallisation bei derselben Schalenspezies unter verschiedenen äußeren Umständen sehr verschieden verläuft. — Wenn wir das über die Mitwirkung von Krystallisationsprozessen bei der Sehalenbildung und bei der Erzeugung von Schalenstrukturen gesagte noch einmal kurz zusammenfassen, so können wir sagen, dass nur wenige Beispiele vorliegen, wo Krystallisationsprozesse sicher bei der eigentlichen Schalenbildung, d. h. in der erstarrenden Sekretmasse selbst, auftreten und gleichzeitig die ganze Struktur der erstarrenden Sekretmasse bestimmen. Diese vereinzelten sicheren Vorkommnisse sind aber insofern als Ausnahmen zu betrachten, als sie sämtlich auf anormaler Kalk- und Conchiolinarmut der betreffenden Sekrete beruhen, Bei den meisten übrigen Schalenbildungsprozessen ist das Vorhanden- sein einer primären Krystallisation entweder nicht sicher nachzuweisen, oder dieselbe übt wenigstens keinen allgemein bestimmenden Einfluss auf die Schalenstruktur aus. 1) Besonders durch die physikalisch-mineralogischen Untersuchungen Bour- nons und seiner Nachfolger (s. o.). Uebrigens sei hier bemerkt, dass man bei dem Nachweis irgend welche Krystallisationsvorgänge in der Schale nicht vorsichtig genug verfahren kann. So sind wir z. B. nicht ohne weiteres be- rechtigt, überall da von Krystallen oder kıystallinischer Struktur zu sprechen, wo Polarisation des Lichtes stattfindet, da diese optische Eigenschaft bekannt- lich auch vielen anderen, sicher nicht krystallinischen Elementen des Tierkörpers zukommt. 00 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Den wenigen Fällen, wo die Strukturelemente der Molluskenschale ganz oder teilweise auf primärer Krystallisation beruhen, steht nun eine wohl weit überwiegende Menge solcher Vorkommnisse gegenüber, wo es vollkommen unmöglich ist, die Struktur der Schalen auf irgend- welche Kırystallisationsprozesse zurückzuführen, wo vielmehr gerade die Anordnung der nicht krystallisirbaren, organischen Schalensubstanz, des Conebiolins, die ganze Schalenstruktur bestimmt (ef. auch Rose 1858 p. 73, Sorby 1879 p. 62, Krukenberg 1886 p. 247)!). Um dieses wichtige Faktum an einem günstigen Spezialfall recht deutlich zu veranschaulichen, verweise ich nur auf die in beistehender Abbildung wiedergegebene Prismenschicht der Solemya togata-Schale. mi vl SZ es Solemya togata Poli. Rechte Schale von außen, bei durchfallendem Licht betrachtet. Schematisches Bild: Die Schale ist so dargestellt, als ob sie nicht gewölbt, sondern in einer Ebene ausgebreitet wäre. Aus Raumrücksichten wurde eine ca. 1 mm lange Schale als Grundlage der Zeichnung angenommen» in welche die — an größeren Schalen erkannte — Struktur der primären Pıismenschicht unter entsprechender Verkleinerung ihrer Prismenzahl bei ca. hundertfacher Vergrößerung schematisch eingezeichnet wurde. Die sekundären Verdiekungsleisten der Prismenschicht, sowie die hintere Verbreiterung der hinteren Ligamentschicht sind fortgelassen, und von den 15 Radiärstreifen des Periostraecums wurden der Deutlichkeit halber nur 8 angegeben. po: Periostraeum, pr: primäre Prismenschicht, vl, ml und Al: vordere, mittlere und hintere Ligamentschicht (nach Stempell 1899, Tafel 8, Fig. 10). Wenn wir angesichts dieser Thatsachen daran verzweifeln müssen, die Entstehung der meisten komplizierten Schalen-Strukturen auf ein einfaches, mechanisch-krystallographisches Problem zurückzuführen, so bleibt uns, wenn wir überhaupt weiter kommen wollen, eigentlich nur 1) Es ist dies auch der richtige Gedanke, welcher der sonst irrtümlichen Auffassung von Bowerbank, Carpenter, F. Müller u.a. zu Grunde liegt, . Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 701 ein einziger Ausweg offen: wir müssen annehmen, dass der von den Epithelzellen des Tieres gelieferte Baustoff der Schale keineswegs eine so formlose Masse ist, wie man bisher geglaubt hatte, sondern dass er noch unter dem morphologischen Einfluss der secernierenden Zellen steht und gewissermaßen bereits die wesentlichen Struktureigentümlichkeiten der Schale aufweist. Mit anderen Worten: wir müssen die Voraus- setzung machen, dass die ursprüngliche Architektonik der Schale durch eine Architektonik der schalenbildenden Zellen prädestiniert ist. Die Frage nach der Entstehung der meisten Schalenstrukturen wäre so- nach wie so manche andere biologische Frage ein wesentlich eellulares Problem! Für die gröberen Strukturverhältnisse der Schalen ist die Richtig- keit dieses Satzes schon seit lange stillschweigend anerkannt. Meines Wissens hat allein Boutan 1898 p. 829) neuerdings einmal den Ver- such gemacht, den Unterschied von Periostracum und Kalkschale auf etwas anderes als die Verschiedenheit der zugehörigen Epithelien zu- rückzuführen. Er hatte nämlich beobachtet, dass bei Haliotis nach Schalenverletzungen an jeder Stelle des Mantels dünne Schalenhäutchen regeneriert werden, und glaubte daraus den Schluss ziehen zu dürfen, dass das Periostracum nicht allein vom eigentlichen Mantelrand, sondern auch von der ganzen übrigen Manteloberfläche erzeugt werden könne. Auf diese Weise gelangt er dann weiterhin zu der These: das Perio- stracum ist das Produkt der Drüsen (?) im Kontakt mit dem äußeren Medium und die Perlmuttersubstanz dasselbe Produkt unter dem Schutze der Schale. Wie bereits Simroth (1899a p. 240, 1899b p. 307) ganz richtig bemerkt hat, beruht diese Schlussfolgerung offenbar auf der irrtümlichen Identifizierung der regenerierten organischen Schalenhäute mit dem Periostraeum; jene Schalenhäute entsprechen aber augen- scheinlich nur den häutigen Lamellen organischer Schalensubstanz, welche normalerweise dem Perlmutter eingelagert sind, und es be- rechtigt uns nichts, dieselben als „Periostracum“ zu bezeichnen. So sind denn auch alle anderen Anhänger der Appositionslehre seit jeher darin einig gewesen, dass der Mantelrand ganz andere Sekret- formen erzeugt als das übrige Mantelepithel (ef. Ehrenbaum 1885 p- 35), mit anderen Worten, dass die Unterschiede zwischen Periostra- cum und Kalkschale nur durch Verschiedenheiten der secernierenden Epithelien zu erklären sind. Warum soll nun das, was für die ganzen Schiehten gilt, nicht auch in gleicher Weise für feinere Strukturver- hältnisse innerhalb der einzelnen Schichten Geltung haben? Es ist auf- fallend, dass dieser doch so einfache Gedanke bisher von keinem der zahlreichen mit Schalengenese beschäftigten Forscher in allgemeinerer Form acceptiert worden ist. Zwar haben mehrere Autoren sehr wohl an eine derartige Erklärungsweise der Schalenstrukturen gedacht, aber sie sprechen sich dann meistens entschieden dagegen aus (z. B.M. de 702 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. Villepoix 1892e p. 627), und nur gelegentlich findet man in der Litteratur hier und da Bemerkungen, durch welche die eine oder die andere spezielle Schalenstruktur mit dem Mantelepithel in Verbindung gebracht wird!). Wir treten nun der Kardinalfrage selbst näher und fragen, wie man sich denn den Einfluss des lebenden Tierkörpers, speziell des Mantel- epithels auf die Entstehung der primären, nieht krystallinischen Scha- lenstrukturen zu denken hat. Ich habe in meiner Arbeit über Solemya (1899 p. 119—121) versucht, einige allgemeine Anhaltspunkte für die Methodik einer derartigen Untersuchung ausfindig zu machen ?). Wenn wir zunächst die ganze Frage präciser formulieren, so würde sie folgendermaßen zu stellen sein: welcher Art sind die im Tierkörper liegenden Ursachen, welche das Zustandekommen der unbedingten Gleichförmigkeit eines erstarrenden Epithelsekretes verhindern? Im Wesentlichen lassen sich zwei Kategorien solcher Ursachen scharf unter- scheiden : erstens nämlich solche, die in allgemeinen, zeitlich aufeinander- folgenden Veränderungen des ganzen Tierkörpers zu suchen sind, und zweitens solche, welehe in einer unmittelbaren, rein räumlichen Diffe- renzierung des secernierenden Epithels bestehen. « 1) Ich eitiere hier sämtliche, mir aus der Litteratur bekannt gewordenen Deutungen dieser Art: Schon v. Buch (1831 p. 49) sagt, dass der Umfang der Krystallindividuen in der Austernschale vielleicht dem Wirkungskreise eines „Sekretionsorgans“ im Mantel entspreche; v.Heßling (1859 p. 260, 261) macht die Bemerkung, dass in der Perlmutterschicht Partikelchen erkennbar seien, welche von einzelnen Epithelzellen oder Gruppen solcher ausgeschieden würden, und auch die organische Substanz der Prismenschicht denkt er sich aus ein- zelnen, mit einander verschmelzenden Kügelchen entstanden, deren jedes wahr- scheinlich einer Epithelzelle entspricht; Bronn (1862 p. 421) glaubt, dass die Häutchen der Perlmutterschicht durch Zusammenfließen der verschiedenen, von den einzelnen Zellen abgesonderten Tröpfchen entstehen, und dass sich daraus die netzartige Zeichnung dieser Häute erklären lasse; nach v. Ihering (1875 p. 3, 4) entsprechen die polygonalen Felder der Najadenembryonen-Schalen in ihrer Form genau derjenigen der darunter liegenden Epithelzellen; M. de Ville- poix (1892e p. 483) hält die „rötieulations“ der organischen Lamellen in der Schale für „empreintes des cellules de l’&pithelium sous-jacent“; Simroth (1894 p. 241) glaubt, dass die Prismen der mittleren Schalenschicht von Dentalium von je einer Zelle aus wachsen ; mehrere Autoren (F. Müller 1885b p. 217, M. de Ville- poix 1892e p. 493, 504) machen die — ja schon an anderer Stelle erörterte — Angabe, dass fibrilläre Elemente des Epithels direkt in Strukturelemente der Schale übergehen. Streng genommen gehören auch alle Bemerkungen über zeit- liche Schiehtenbildung innerhalb einzelner Schalenteile hierher, 2) Irrtümlicher Weise sind in der dort befindlichen Allgemeinbesprechung der Strukturgenese die wenigen Fälle nicht in Betracht gezogen worden, wo rein krystallographische Prozesse auch schon in dem eben erstarrenden Sekret- produkte auftreten können. Auf die zahlreichen Fälle sekundärer Krystallisa- tion bin ich deswegen nicht eingegangen, weil ich diese aus den oben ange- führten Gründen überhaupt nieht zur eigentlichen Schalenbildung rechne. Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbriciden in der Schweiz. 703 Jene zeitlich auf einander folgenden Veränderungen des ganzen Tierkörpers, welche teilweise in seiner Natur als belebtes Wesen be- gründet sind, teilweise auch auf dem Wechsel äußerer Einflüsse, wie z. B. Unterschieden in Temperatur und Beleuchtung, beruhen, werden auch die Sekretionsfähigkeit des Mantelepithels in günstigem oder un- günstigem Sinne beeinflassen, und es wird daher als ihr Ausdruck in der Sekretmasse eine Schichtung entstehen, welche im allgemeinen der Oberfläche des secernierenden Epithels parallel gerichtet ist. Ich habe diese — an sich ja längst bekannte — Art der Differenzierung als chronogene bezeichnet. (Schluss folgt.) Ueber die Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. Von Dr. K. Bretscher in Zürich. Wenn auch die Lumbrieiden- Fauna der Schweiz noch wenig über die ersten Anfänge hinaus durchgearbeitel ist, so mag doch ein sum- marischer Überblick über die bis jetzt gewonnenen Resultate nicht ohne allgemeines Interesse sein. Die Borstenwürmer sind bei den faunistischen Arbeiten der letzten Jahrzehnte durchweg etwas zu kurz gekommen; es sei z. B. daran erinnert, dass trotz der vielen eingehenden Arbeiten über die Bewohner unserer Binnengewässer die Oligochäten nur ausnahmsweise eine mehr als oberflächliche Berücksichtigung erfahren haben. Geradezu rück- ständig aber blieb die Bearbeitung der Bodenfauna, die doch zum großen Teil aus Vertretern dieser artenreichen Familie sich zusammen- setzt. Speziell mit den Lumbrieiden der Schweiz befasst sich eine 1896 erschienene Arbeit von De Ribaucourt, der die Süd- und Westschweiz in dieser Richtung durchforschte. Der Verfasser dieses Aufsatzes hat dagegen in der Ost- und Nordschweiz gesammelt, einige Thatsachen, die später zu publizieren sein werden, in der Südsehweiz, nämlich bei Locarno, konstatiert und wird so weit möglich die faunistischen Ver- hältnisse des Schweizerlandes in gleicher Richtung weiter verfolgen. Alle bezüglichen Arbeiten sind in der „Revue Suisse de Zoologie“ er- schienen. Einige mehr vereinzelte Angaben machen ferner Rosa und Michaelsen. Angesichts des großen Artenreichtums, den die Lumbrieiden überall da aufweisen, wo sie einlässlicher verfolgt wurden, lässt sich auch für die Schweiz eine stattliche Zahl von Arten erwarten. Die Vielgestal- tigkeit der natürlichen Existenzbedingungen, die ihnen hier vermöge der topographischen Verhältnisse geboten ist, wird, so kann von vorn- herein erwartet werden, auch ihren Ausdruck in der Formenmannig- 704 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. faltigkeit dieser Fauna ausgeprägt finden. In welchem Maße dies der Fall sein wird, ist gewiss ein ganz interessantes Studium und vermag einen wertvollen Beitrag zu liefern zur Lösung der Frage über den Einfluss der Lokalisierung auf die Artbildung. Gerade hierfür sind die Regenwürmer sehr geeignete Objekte, da bei ihnen größere aktive Wanderungen wohl ausgeschlossen sind. Die nächtliche Lebensweise, das Bedürfnis nach genügender Feuchtigkeit, nach bestimmten, innerhalb relativ geringer Grenzen schwankenden Temperaturbedingungen, ihre Organisation und speziell ihre wenig leistungsfähigen Bewegungsorgane sind alles ebensoviele Faktoren, welche solchen Wanderungen verhältnismäßig enge Schranken setzen. Anderseits sind die Alpenthäler zum Teil wenigstens gut isoliert, so dass wirklich die systematisch-faunistische Durchforschung der Schweiz in der erwähnten Frage höchst wertvolles Material beibringen kann. Nur beiläufig sei berührt, dass die passiven Ortsveränderungen für die Vertreter dieser Familie im großen Ganzen vielleicht nicht erheblich geringer anzuschlagen sind als die aktiven. Namentlich kommen sie für weitere Distanzen in Betracht. Der Möglichkeiten hiefür sind im genügendem Maße geboten in Erd- und Pflanzentransporten, durch die vielen Tiere, denen der Regenwurm als Nahrung dient, bei Ueber- schwemmungen, durch fließende Gewässer, bei Erdrutschen, Lawinen und ähnlichen Ereignissen. Für diese Art der Verbreitung liegen die Bedingungen offenbar wieder günstiger für die Cocons als für die frei lebenden Regenwürmer selber. Jedenfalls sind die Alpenthäler nur sehr allmälich, durch langsames Vordringen, durch „Infiltration“ nach und nach mit dieser Fauna be- völkert worden. Die ausgesprochene Sesshaftigkeit ermöglicht gegebe- nen Falls die Anpassung an die lokalen Verhältnisse und verhindert zugleich, dass die so neu entstandene Form zu große Verbreitung an- nimmt. Es fehlt nun gewiss an Beobachtungsthatsachen, die so gedeutet werden können, durchaus nicht. Um jedoch solche Ableitungen auf ein wirklich brauchbares und ausreichendes Material basieren zu Können, bedarf es noch jahrelangen, mit Geduld und Eifer fortgesetzten Sam- melns und Beobachtens, einer genauen Feststellung der jeweiligen Be- funde um so sehr, als die verborgene Lebensweise dieser Tiere einem raschen Fortschritt in der Erkenntnis ungemein hindernd im Wege steht. Wir kennen bis jetzt aus der Schweiz 42 Spezies von Lumbrieiden, eine Zahl, die, wenn nicht alle bisherigen Beobachtungen trügen, wohl nieht viel mehr als die Hälfte des gesamten Bestandes ausmachen dürfte. Die Betrachtung ihrer Vorkommensverhältnisse im allgemeinen macht es wünschenswert, einige ihrer Anforderungen an die Existenz- bedingungen kurz zu berühren. Da verdient in erster Linie ihre be- Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. 705 deutende Lebenszähigkeit der Erwähnung. In reinem Wasser halten sie Wochen, ja Monate lang aus. Viel empfindlicher sind sie gegen Trockenheit; doch wissen sie den Sommer ganz wohl zu überdauern, indem sie sich in der Erde im einen engen Knäuel aufrollen und nach den Beobachtungen von Vejdovsky sogar förmlich eneystieren. Aus diesem durch Trockenheit verursachten lethargischen Zustand werden sie bei Zutritt von Wasser leicht wieder aufgeweckt und lebenskräftig. Wieviel sie in dieser Beziehung auszuhalten vermögen, beweist eine Beobachtung von Wollny. Um den Einfluss der Regenwürmer auf die Durchlässigkeit des Bodens für Wasser zu ermitteln, hielt er solche in Versuchsröhren, in denen die Erde vom Mai bis Oktober nicht begossen und daher fast vollständig lufttrocken geworden war, ohne dass sie deswegen abgestorben wären. Wenn die Würmer in der warmen Jahreszeit ihre Thätigkeit einstellen, so ist die Ursache hiefür wohl ausschließlich in ihrer Empfindlichkeit gegen Trockenheit, viel eher als in den Temperaturverhältnissen zu suchen. Gegen Kälte scheinen sie nicht sehr empfindlich zu sein; werden doch mehrere Fälle namhaft gemacht, denen zufolge steif gefrorene Regenwürmer wieder ihre volle Lebhaftigkeit erlangten. Wichtig ist dabei, dass sie nur langsam auftauen und die Kältegrade einen ge- wissen Punkt nicht überschreiten. Wenn im Herbste die Temperatur gegen 0° sinkt, so ziehen sie sich in den Boden zurück bis zum Ein- tritt günstigerer Bedingungen. Wie schon Hensen betonte, unterliegen sie nicht einem eigentlichen Winterschlaf; denn bei jeder anhaltenderen Wärmeperiode werden die Spuren ihrer Thätigkeit an der Oberfläche des Bodens wieder sichtbar. Bekannt und durch die vielen Regenerationsversuche der letzten Jahre neuerdings erhärtet ist die Thatsache, dass sie Verletzungen ihrer postklitellaren Region mit Leichtigkeit ertragen und die Defekte wie- der regenerieren. Erst in den letzen Jahren hat Hescheler ihr hoch- gradig entwickeltes Vermögen der Selbstamputation konstatiert und die Bedingungen, unter denen es eintritt, genauer erforscht. Aus diesen Verhältnissen ist abzuleiten, dass die Regenwürmer eigentlich überall in der Schweiz noch vorkommen können, wo nicht Schnee und Eis das organische Leben in Fesseln legen und wo sie genügende Nahrung finden, welche durchaus aus organischem Material, sei es nun pflanzlichen oder tierischen Ursprungs, besteht. Wenn Darwin in seinem berühmten Werke über die Thätigkeit der Regen- würmer und die Bildung der Ackerkrume sich äußert, dass die Regen- würmer Erde verschlingen, um sich davon zu ernähren, gegen welchen Satz Hensen polemisiert, so ist er gewiss so zu verstehen, dass sie die in der Erde enthaltenen organischen Substanzen ausbeuten und nicht von unorganischem Material ihren Unterhalt bestreiten. Auf das Vorhandensein der Regenwürmer an einem bestimmten XX, 45 706 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. Orte hat nach dem Angeführten die Bodenfeuchtigkeit den größten Einfluss. Wo sie abgeht, bleiben sie fern; wo sie in hinreichendem Maße auftritt, erscheinen sie auch regelmäßig in größerer oder ge- ringerer Zahl. Am auffälligsten ist mir diese, allerdings längst be- kannte Thatsache vor die Augen gekommen am Langensee (bei Locarno). Die trockenen Berghänge jener Gegend entbehren dieser Fauna voll- ständig; in feuchten Gründen, an Tümpeln und Bachufern dagegen stellen sie sich zahlreich ein. Aechnlich im Maggia-Delta, dessen sandige und unfruchtbare oder auch kultivierte Partien, sofern sie etwas höher und darum trocken liegen, weder durch Exkremente die Anwesenheit von Lumbrieiden verraten, noch solche durch Nachgraben auffinden lassen. Wo aber von einem nahen Bächlein oder Bewässerungsgraben der Boden einigermaßen durchfeuchtet ist, sind sie zum Teil in Menge zu treffen. Ihre Verbreitungsgebiete sind demnach immerhin etwas be- schränkter als diejenigen der Pflanzendecke. Kulturen und sogar Wald sind noch möglich, wo die Regenwürmer nicht mehr zusagende Existenz- bedingungen finden. Doch ist festzuhalten, dass in der Schweiz nur beschränkte Ge- biete für sie nicht mehr passende Standorte abgeben. Der guten Durch- feuchtung des Bodens durch die Niederschläge, dem reichlichen Tau und dem durchsickernden Schneewasser ist es ohne Zweifel zuzuschrei- ben, dass sie bis in bedeutende Höhen ansteigen und den wenigen neben dem ewigen Schnee und Eis noch vorkommenden Pflanzen auch in diese unwirtlichen Höhen hinauf folgen. Sind sie doch im Bündner- lande in 2600, im Wallis gar in 3200m Höhe noch beobachtet worden. Jener vorgeschobene Posten fand sich am Averser Weißhorn, und die Tiere besiedelten das dichte, von Humus reich durchsetzte Polster einer Silene. Von letzterem Fundort hat der Beobachter, Dr. de Ribaucourt, leider nur die Höhe und nicht auch die nähern Umstände angegeben. Haben wir in wenigstens einzelnen bewaldeten Berghängen der Südschweiz (um Locarno), in vereinzelten Wein- und Roggenfeldern derselben Gegend gut mit Pflanzen bestandene Gebiete vor uns, in denen die Würmer fehlen, so giebt es andererseits wieder solche mit sehr spärlichem oder sogar ohne Pflanzenwuchs, in denen sie häufig auftreten. Dies sind die Flussufer der ebenen Schweiz. In Bergbächen habe ich niemals welche gefunden, wo das Gefälle zu groß ist; da- gegen scheinen ihnen jene unter gewissen Bedingungen sehr zuzusagen, wie ich an der Limmat, Reuß, Aare und dem Rhein zu konstatieren Gelegenheit hatte. Diese Bedingungen sind erfüllt mit dem Vorhanden- sein etwa handgroßer, aber nicht zu großer, namentlich flacher Steine. An bloß kiesigen und schlammigen Stellen fehlen sie wieder fast ganz; reiner Schlamm ist ihnen offenbar zu undurchlässig und ferner wie der Kies zu beweglich. Steine von gewisser Größe dagegen, die im Schlamme liegen, sichern sie gegen die Stoßkraft des Wassers; und sie wohnen Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. 707 da, je nach dem Wasserstand, bald submers, bald an dem vom Wellen- schlag bespülten Ufersaum. Beim Rückgange des Wassers folgen sie diesem wenigstens bis an den Rand. So hatte ich an der Reuß bei niedrigem Wasserstand an Stellen eine ausgezeichnete Ausbeute, die später mehr als Im hoch unter Wasser standen; bei beiden Besuchen suchte ich an hochgelegenen Uferstellen vergeblich nach Regenwürmern. Die berührten Verhältnisse bedingen, dass solche Stellen mit reicher Lumbrieiden-Fauna meist von kleinem Umfange und selten sind, um so mehr, als der Großteil unserer Flussufer künstlich korrigiert oder von der Industrie mit Beschlag belegt ist. Am Maggia-Delta hatte ich Gelegenheit zu beobachten, dass die Anwesenheit von Schlamm für die Regenwürmer erforderlich ist. Er fehlt an dessen Rand auf größere Ausdehnung zwischen dem Stein- geröll und mit ihm diese Bewohner. Moorböden und saure Rieder enthalten nur ausnahmsweise Lumbri- eiden; sie sind zu empfindlich gegen die ihren Boden durchsetzenden Humussäuren. Sonst gräbt man nur selten ohne Erfolg nach ihnen in Feld, Wald, Wiese, Weinberg und Garten. Im Frühjahr und Herbst verraten sie ihre Anwesenheit regelmäßig durch die oft in Menge an der Oberfläche des Bodens abgesetzten Exkremente. Wie im Wasser, so bevorzugen sie auch auf dem Lande mittel- große flache Steine als Aufenthaltsort. Der Grund hiefür liegt wohl darin, dass diese ihrer Unterlage einmal Wärme zuführen, dann aber auch deren Feuchtigkeit zurückhalten. Von ihnen aus gehen die Wurm- röhren senkrecht in die Tiefe oder seitlich in den Wurzelfilz der um- gebenden Pflanzen hinein. Während in der Ebene die tiefe Humusschicht und der Untergrund jahraus jahrein den Regenwürmern als Wohnung dienen und sie auch auf beschränktem Raume Nahrung zur Genüge finden, liegen die Ver- hältnisse in den Alpenweiden vielfach anders. Da ist die Erdschicht, welche das anstehende Gestein deckt, häufig recht dünn und dicht durchsetzt von dem Wurzelwerk der Pflanzendecke. Nahrung ist aller- dings im dem pflanzlichen Detritus zur Genüge vorhanden, aber der Unterstand scheint ihnen doch nicht so recht zuzusagen, sei es dass diese dünne Erddecke die Feuchtigkeit zu wenig festhält oder was noch wahrscheinlicher ist, die täglichen Temperaturschwankungen zu fühlbar mitmacht. Es sind nämlich in der freien Weide sehr wenig Regenwürmer zu finden; um so regelmäßiger stellen sie sich ein unter geeigneten Steinen und namentlich unter Kuhplättern (Exkrementhaufen). Diese letztern beherbergen oft ganze Gesellschaften von 10 bis 20 Exemplaren und das Vorhandensein von zahlreichen Cocons bekundet, dass sie hier längeren Aufenthalt nehmen. Doch können sie ihnen nur verhältnismäßig kurze Zeit, wohl wenige Wochen, zu solchem dienen, 45 % 708 ‚Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. da sie bald austrocknen. Daraus folgt, dass die Regenwürmer in die- sen höhern Lagen vielmehr auf ein Wanderleben angewiesen sind als im Thal, wo sie eher sesshaft bleiben können und nur Regennächte be- nützen, um neue Standorte aufzusuchen. Die Notwendigkeit, nach neuen Futterplätzen auszuwandern, macht sich gewiss mit zunehmender Höhe immer bemerkbarer, wenn die Würmer nicht gerade den dichten, an Humus und organischem, in Zersetzung be- griffenem Material reichen Wurzelfilz der für diese Gegenden so charakte- ristischen Polsterpflanzen (Silenen, Gentianen, Saxifragen u.a.) bewohnen. An flachen Stellen, Terassen und Hochflächen ist nicht selten in den Alpen eine wenigstens an Individuen sehr reichhaltige Lumbrieiden- Fauna zu Hause, welche diejenige der günstigsten Lagen in der Ebene übertreffen kann. Wenn auch dort die Humusschicht (mit 1—2 dm Dicke) nicht die Mächtigkeit aufweist wie im Thale, so sind sie gegen den Winterfrost doch gut geschützt durch die dichte Schneedecke. Deswegen haben sie nicht nötig, vor ihm in größere Tiefe hinabzu- dringen. Damit hängt wohl zusammen, dass einige Arten in der Höhe nicht gefunden werden, welche in der Ebene einen regelmäßigen und Hauptbestandteil der Bodenfauna ausmachen. Es sind dies gerade die größten Formen, Lumbricus herculeus, Allolobophora terrestris, welche ihre Gänge oft metertief in den Untergrund hinabbohren und da den Winter wie die Zeit der größten Sommerhitze verbringen. So kann als wahrscheinlich hingestellt werden, dass diese Arten einen tiefen Untergrund zu ihrer Existenz verlangen und deswegen in der Höhe fehlen. Dieses Verhalten ist übrigens schon Hensen bei seinen Boden- untersuchungen in Norddeutschland aufgefallen. Eine größere Zahl von Arten, die später namhaft zu machen sein werden, kommen fast in allen Höhenlagen vor und sind überall gemein. Bei diesen spricht sich im allgemeinen mit großer Deutlichkeit eine beträchtliche Reduktion der Körpergröße und Segmentzahl mit zunehmen- der Höhe aus. Als Beispiele seien bloß die nachfolgenden aufgeführt: Lumbricus rubellus Hoffm. Fundort Länge Durechm. Segm. Längen-, Volumverh. Zürich (420m) 95—130mm 6 10-112 7:11 en Frutt (2100m) 65— 74mm 4 91—104 j } Allolobophora cyanea Sav. profuga Rosa Fundort Länge Durchm. Segm. Längen-, Volumverh. Hasenberg ( 500m) 120—130mm 5 135—153 1:2 1:5 Elm (1000m) 60mm 3 96 j - A. caliginosa Sav. var. turgida Eis Fundort Länge Durchm. Segm. Längen-, Volumverh. Wädensweil (450m)80— 136mm 4 135154 „.71 enee Melchthal 56— 60mm 2,5 103—108 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbriciden in der Schweiz. 709 Dagegen verdient Erwähnung, dass Lumbricus meliboeus von der Frutt aus 2200m Höhe völlig so groß ist wie die Exemplare aus der Umgebung von Zürich. Bezüglich der Färbung gibt De Ribaucourt an, dass die Regen- würmer mit der größeren Höhe ihres Vorkommens ein dunkleres Ko- lorit aufweisen, eine Erscheinung, die für die alpinen Insekten ja längst bekannt ist. Es sind unter diesen außer vielen Schmetterlingen na- mentlich die Käfer, die durch ausgesprochene Verdunkelung sich aus- zeichnen. Immerhin darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch in Höhen von über 2000 m noch Lumbrieiden auftreten, denen Pig- mentierung so gut abgeht, wie im Flachland; es sei z. B. nur er- innert an Allolobophora cyanea und rosea, während anderseits auch in tiefen Lagen Regenwürmer mit sehr dunkler Färbung wohnen. Es kann somit jener Satz nicht durchgängige und allgemeine Geltung be- anspruchen. Ueber die Häufigkeit oder Dichtigkeit, in welcher die Regenwürmer den Boden bevölkern, liegen aus der Schweiz erst wenige Beobachtungen vor. Diesbezügliche Zählungen ergaben für 1m?: in einer Wiese bei Zürich 70—230 Stück, „ einem Acker „ > 140—260 „ ” ” Wald ) ” 30 2) „ einer Landparzelle bei Zürich, deren Erde vor ca. 10 Jahren aufgeführt worden war, 40 Stück; » » Wiese bei Cresta, 1950m, 1660—2000 Stück. Es geht daraus hervor, dass die Dichtigkeit des Bestandes in hohem Grade wechselnd ist, dass der Wald ihrer so viele beherberget etwa kann als das freie Feld, und dass sie endlich mit größerer Höhe nicht durchweg spärlicher oder zerstreuter auftreten müssen als in der Ebene; ist doch der Individuenreichtum aus dem bündnerischen Avers ein geradezu überraschender, besonders wenn dabei noch berücksichtigt wird, dass in der betreffenden Wiese, die sich durch ungemein üppigen Graswuchs auszeichnet, der Humus in einer Schicht von höchstens 2dm Mächtigkeit den anstehenden Felsen deckt. Bei diesem letzteren Orte handelt es sich allerdings nur um kleine Arten, die bei weitem nicht das Ausmaß der gewöhnlichen im Thale heimischen Borstenwürmer er- reichen. Diese Zahlen beweisen denn doch schlagend, dass die Regen- würmer bei uns einen recht wesentlichen, sogar den hauptsächlichsten Bestandteil der Bodenfauna ausmachen. — Wir gehen nunmehr über zur eigentlichen Faunistik, zur Bespre- chung der Art, wie die Vertreter dieser Familie sich auf die verschiedenen Gebiete und die verschiedenen Regionen der Schweiz verteilen. Auch hier ist wieder zu betonen, dass das zu entwerfende Bild nur ein sehr lückenhaftes sein kann, weil viel zu wenige Daten der 710 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. Beobachtung vorliegen. So kann jetzt von einem großen Teil der vor- kommenden Arten noch nicht angegeben werden, welche horizontale oder vertikale Verbreitung sie besitzen, da sie von einer geringen Zahl von Fundstellen oder sogar nur von einer einzigen bekannt geworden sind. Aus dem gleichen Grunde lässt sich zur Zeit nicht angeben, ob einzelne der konstatierten Arten als Lokalformen anzusprechen sind oder nicht. Der mangelhafte Stand der Bearbeitung der Lumbrieiden- Faunen!) der umgebenden Länder gestattet auch nicht, Vergleichungen dieser mit derjenigen der Schweiz anzustellen. Die Sammelergebnisse aus ganz benachbarten Gebieten legen beständig aufs eindringlichste nahe, dass sogar Vergleichungen zwischen diesen so lange noch nicht zu gut fundierten Schlüssen berechtigen, bis jene einmal eine gewisse Beständigkeit zeigen. Dass die weitern Untersuchungen noch eine stattliche Zahl neuer Arten zu Tage fördern werden, ist bereits hervor- sehoben worden und es ist gut, diese Unvollständigkeit bei den fol- genden Zusammenstellungen nicht aus dem Auge zu verlieren. Gewisser- maßen als Abrechnung und als eine Zusammenfassung des dermaligen Standes unserer Kenntnisse haben sie aber trotzdem einigen Wert. Bis jetzt sind in der Schweiz die nachstehenden Spezies zur Be- obachtung gelangt, die in alphabetischer Reihenfolge aufgezählt sein mögen. Lumbricus castaneus Sav., herculeus Sav., meliboeus Rosa, rubellus Hoffm., Studeri Ribet. Allolobophora alpina Rosa, argoviense Br., asconensis Br., Benhami Br., drunescens Br., caliginosa Sav., chlorotica Sav., Claparedi Ribet., constrieta Rosa, ceyanea Sav., Darwini Ribet., foetida Sav., herculeana Br., Hermanni Mich., icterica Sav., limicola Mich., lissaensis Mich., Zumbricoides Br., nivalis Br., norvegica Eis., Nus- baumi Ribet., octoödra Sav., parva Eis., profuga Rosa, putris var. subrubicunda Eis. und var. arborea Eis., rhenani Br., Ribaucourti Br., Rosai Ribet., rosea Sav., rubra Br., sulfurica Ribet., terre- stris Sav., transpadana Rosa, veneta Rosa, Vejdovskyi Br. Allurus neapolitanus Oerl., tetraödrus Sav. Das Genus Lumbricus ist somit mit 5, Allolobophora mit 35 und Allurus mit 2 Arten vertreten. Die Gesamtzahl beträgt 42 Spezies. Zu dieser Liste sind noch einige Bemerkungen zu machen. Lumbricus Michaelseni nämlich, eine von De Ribaucourt aufgestellte Art, wird von Michaelsen mit der nahestehenden L. meliboeus vereinigt; ebenso würde er nach brieflicher Mitteilung meine A. argoviense mit lissaensis identifizieren. Wegen des später zu berührenden charakteristischen Vorkommens von A. argoviense möchte ich sie hier doch noch als eigene Spezies aufführen, ohne jedoch der Diskussion über ihre Zugehörigkeit vor- 1) Michaelsen, Die Lumbrieiden Norddeutschlands (Jahrb. d. Hamb. Wiss. Anst. VII. 1890) ist die einzige vorliegende Faunistik. Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. {11 greifen zu wollen. A. caliginosa begreift hier die beiden Varietäten turgida und Zrapezoides in sich, weil sie immer je neben einander auftreten. Die Arten A. asconensis, Benhami, lumbricoides, Ribaucourti, rubra sind von mir neu aufgestellte Spezies, über welche an anderer Stelle die nötigen Angaben zu veröffentlichen sein werden. Faunistische Beobachtungen, welche die Lumbriciden betreffen, liegen nun vor a) aus der Westschweiz: von Bern und dessen Umgebung, einzelnen Gebieten der Berner- und Walliseralpen, des Jura, des Kan- tons Waadt. b) aus der Ost- und Nordschweiz: von Zürich und dessen Um- gebung, dem Gebiet des Bachtel und Allmann, ferner aus den Kantonen Aargau, Glarus, Unterwalden und Graubünden. e) aus der Südschweiz von Locarno (resp. Ascona am Langensee). Fassen wir nun zunächst die horizontale Verbreitung der einzelnen Arten ins Auge, so finden wir aus allen drei Fundgebieten verzeichnet L. herculeus, rubellus; Allolob. caliginosa, chlorotica, putris var. arborea; A. tetraödrus — sechs Arten. Legen wir der Berechnung die runde Ge- samtzahl von 40 Arten zu Grunde, so haben also 15°/, aller bis jetzt konstatierten Spezies eine gleichmäßige horizontale Verbreitung durch die ganze Schweiz. Der Westschweiz allein kommen die sämtlichen fünf namhaft ge- machten Lumbriei zu, ferner Allolob. caliginosa, chlorotica, Clapared), constricta, cyanea, Darwini, foetida, hermanni, icterica, Nusbaumi, octoödra, parva, profuga, putris subrubicunda und arborea, Rosai, rosea, sulfurica, terrestris, tyrtaca,; All. tetraödrus = 25 Arten oder 62°/, der Gesamtzahl. Die Ostschweiz beherbergt: L. castaneus, herculeus, melibveus, ru- bellus; Allolob. alpina, argoviense, brunescens, caliginosa, chlorotica, constrieta, cyanea, foetida, herculeana, hermanni, vcterica, limicola, lissaensis, lumbricoides, nivalis, norvegica, octoödra, profuga, putris subrubicunda und arborea, rhenani, Ribaucourti, rosea, terrestris, ve- neta, Vejdovskyi; All. neapolitanus und tetraödrus = 31 Spezies oder 77°!, der Gesamtzahl. Aus der Südsehweiz wurden bekannt L. herceuleus, rubellus ; Allolob. asconensis, Benhami, caliginosa, chlorotica, profuga, putris arborea, rubra, transpadana; All. neapolitanus, tetraödrus — 12 Arten oder 30°/, der Gesamtzahl. Diese drei so gewonnenen Verhältniszahlen illustrieren aufs deut- lichste nicht etwa den größeren oder geringeren Artenreichtum der einzelnen Gebiete, sondern vielmehr die Intensität der Durchforschung derselben. Für den Tessin ist die Zahl am geringsten, weil aus ihm erst das Ergebnis eines einzigen kurzen Aufenthaltes zu Sammelzwecken vorliegt. Ohne Zweifel werden auch bei besserer Durchforschung die 712 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. Zahlen für die einzelnen Gebiete nicht genau gleich ausfallen, jedoch eine größere Uebereinstimmung zeigen, als es jetzt der Fall ist. Die Vergleichung der angegebenen Verzeichnisse für die drei Gebiete ergiebt ferner, dass die Süd- mit der Nordschweiz sieben Arten gemeinsam hat, mit dem Westen dagegen eine weniger; ein Verhältnis, das sich gewiss auch noch ändern wird. Dem nordalpinen Gebiet in seiner ganzen Ausdehnung kommen 13 Arten zu, von denen Allolob. icterica von De Ribaucourt als in der Westschweiz recht gemein angegeben wird, während ich diese Art bis jetzt nur ein einziges Mal in einem Garten bei Zürich getroffen habe. Vergleichen wir endlich die drei Gebiete nach den nur jedem einzelnen angehörenden Arten, so fmden wir für die Westschweiz deren 8—=20°),, für die Ostschweiz 14=35°],, für den Süden 4— 10°], der Gesamtzahl. Es liegt wiederum in den ungenügenden Beobachtungsdaten begründet, dass man diese Zahlen nicht den wirklichen Verhältnissen entsprechend nehmen darf; denn es wird mit Sicherheit der Westen sich mit der Zeit so reich an Arten herausstellen wie der Osten und es lässt sich von vornherein nicht einsehen, warum die südlichen nicht wenigstens annähernd in die gleiche Linie rücken sollten. Während also diese Resultate unter sich verglichen durchaus nicht irgend welchen Schluss zulassen, gestaltet sich die Sache anders, wenn wir den gesamten Artenbestand demjenigen gegenüberstellen, den Michaelsen in „die Lumbrieiden Norddeutschlands aufzählt“. Das hier verarbeitete „Material ist die Ausbeute vieler Ausflüge in die nähere und fernere Umgegend Hamburgs sowie einer 14tägigen Wanderung durch den Harz“. ‚Im ganzen werden hier 17 Arten namhaft gemacht, eine Zahl, die meines Wissens seither keine Vermehrung erfahren hat. Sie darf eigentlich auf 15 reduziert werden, da Allurus dubius vom genannten Autor als zweifelhaft angegeben und All. hereynius mit All. tetraödrus vereinigt worden ist; All. hercynius gelangte übrigens auch in der Schweiz zur Beobachtung und müsste, wenn sie als gute Art gelten soll, hier ebenfalls mitgezählt werden. So ergiebt sich, dass in der Schweiz jetzt schon nahezu die dreifache Artenzahl von derjenigen Norddeutschlands konstatiert ist. Wenn wir nun auch für dieses Gebiet immer noch etwelche Vermehrung derselben erwarten dürfen, wie sie für die Schweiz ganz sicher ist, so können doch wohl diese Ergebnisse mit Recht im allgemeinen dahin ausgelegt werden, dass in der größeren Artenzahl der Schweiz eine Anpassung an die vielgestaltigen orographischen und gewiss auch der hydrographischen Verhältnisse dieses Landes zum sprechenden Ausdruck gelangt. Wie im einzelnen die Verhältnisse liegen, darüber geht uns allerdings zur Zeit noch jeder nähere Einblick ab. Erwähnenswert ist, dass mit Ausnahme von Allol. Eiseni Lev. und Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. 713 All. dubius Mich. sämtliche Arten Norddeutschlands auch in der Schweiz vorkommen. Die hydrographischen Verhältnisse mussten vorhin berührt werden, weil der Lumbrieiden-Fauna einige ausgesprochene Wasser- respektive Schlammbewohner angehören. Es sind dies außer den Allurus-Arten Allol. Hermanni, limicola, rhenani und argoviense, welche sämtlich nur an gut bewässerten Stellen angetroffen werden. Allol. rhenani fand ich am Rhein unter den vom Wellenschlag überspülten Steinen am Ufer unter genau den gleichen Bedingungen wie A. argoviense an der Limmat und Reuß. Es ist noch nicht ausgeschlossen, dass wir hier zwei lokale und vikarisierende Arten vor uns haben. An den gleichen Orten sind auch eine Reihe‘ der andern Arten gar nicht selten, aber diese halten sich ebenso gut auch in Garten, Feld und Wald auf, während die genannten als ausgesprochen „limikole*“ Formen sich kenn- zeichnen. A. Hermanni habe ich nie an Flussufern gefunden, sondern gerade so wie Michaelsen und De Ribaucourt im Moraste und Schlamm von Bächen. Sie scheint damit ebenfalls ganz bestimmte Existenz- bedingungen zu fordern. Von A. limicola notiert Michaelsen als Fundort einen Bach; ich traf sie an der Limmat an einer Stelle, die seither in die Korrektur des Flusses miteinbezogen wurde; sie wird daher so bald nicht wieder zu finden sein. Diese Daten genügen wohl, um die Wünschbarkeit der genauern Beschreibung der Fundorte zu belegen; leider sind in dieser Hinsicht in der Fachlitteratur große Lücken zu verzeichnen. Es ist deswegen sehr oft unmöglich, über die Ansprüche der einzelnen Arten an die äußern Bedingungen und ferner über allfällige Anpassungserscheinungen klar zu werden. Die Versuchung liegt nahe, in gleicher Weise auch die faunistischen Daten aus den umgebenden Ländern zu vergleichen mit der Fauna der Schweiz, wie dies mit derjenigen Norddeutschlands geschehen ist. Es wäre ja in hohem Grade interessant zu ermitteln, in welchem Grade jene von außen her Zuzug empfangen oder eventuell als Bildungsherd neuer Arten solche nach außen abgegeben hat; jedoch ist für solche Betrachtungen das vorliegende Material noch durchaus ungenügend. Nach dem Vorangegangenen leuchtet ein, dass auch die Betrach- tung der schweizerischen Lumbrieiden-Fauna hinsichtlieh ihrer regionalen Verbreitung so unvollständig ausfallen muss, wie diejenige über die horizontale Verbreitung. Wir legen für diese die bei den Schweizer Geographen übliche Einteilung zu Grunde, die eine Hügelregion von 200 bis TOO m, eine Bergregion von 700 bis 1200m, eine Alpen- von 1200 bis 2600m, und endlich eine Schneeregion annimmt, welche alle über 2600 m Höhe liegenden Bergspitzen in sich ‚begreift. Die erstere, welche das schweizerische Mittelland mit seinen Hügelketten und die Sohlen 714 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. der großen Alpenthäler wenigstens in ihren untern Partien umfasst, be- herbergt folgende Arten: L. castaneus, herculeus, meliboeus, rubellus; Allolob. argoviense, qasco- nensis, Denhami, caliginosa, chlorotica, Claparedi, constricta, cyanea, foetida, Hermanni, icterica, limicola, profuga, putris subrubicunda und arborea, rhenani, rosea, rubra, terrestris, transpadana, veneta; AU. tetraödrus, neapolitanus. Es sind dies 26 Arten —= ca. 65°,; etwas mehr als die Hälfte der Gesamtzahl sind hier zu Hause. Dass alle wasserbewohnenden Formen hier vertreten sind, liegt in der großen Entwicklung der Gewässer in dieser Region und in den Gefällsverhältnissen begründet. Der Bergregion gehören an: L. castaneus, herculeus, rubellus, Studeri(?); Allolob. caliginosa, chlorotica, constricta, cyanea, herculeana, lissaönsis, lumbricoides, parva, profuga, putris subrubicunda und arborea, Ribaucourti, Rosai, rosea, sulfurica, terrestris(2), veneta; All. tetraödrus = 21 oder ca. 50°), der Ge- samtzahl. Bemerkenswert ist das Fehlen von Allolob. foetida und viel- leicht auch von Allolob. terrestris, ferner der Wasserformen mit Aus- nahme von All. tetraödrus. Von L. Studeri und Allolob. terrestris fehlen leider die Höhenangaben, in denen jene Art überhaupt, diese am Ab- hange der Chasseral im Jura gefunden wurde, welche Fundstelle allein hier in Betracht kommen könnte; alle andern gehören der Hügel- region an. Aus der alpinen Region sind zu verzeichnen: L. castaneus, meliboeus, rubellus; Allolob. alpina, caliginosa, chlorotica, cyanea, Darwini, icterica, nivalis, norvegica, octoödra, profuga, putris subrubicunda und arborea, rosea, Vejdovskyi, veneta,; All. tetraedrus — 18 oder 47°], der Gesamtzahl. Drei Arten, L. meliboeus, Allol. icterica und profuga, die für die Berg- region noch nicht konstatiert sind, treten hier wieder auf; sie sind offenbar in jener ebenfalls vorhanden und die Zahl beläuft sich also für die Bergregion auf 23 oder 58%,. Allol. constrieta strahlt in dieser letztern aus, dürfte jedoch noch höher oben zu finden sein, da sie nach Rosa in den piemontesischen Alpen bis 2900 m ansteigt. Neu erscheinen in der alpinen Höhenstufe A. alpina und octoedra. Jene Art ist im Piemont von 1600—2300m, in Oberösterreich und Armenien in 1925m beobachtet worden, in dieser haben wir eine Art mit nördlichem Verbreitungsgebiet vor uns; im Piemont beobachtete sie Rosa nicht unter 900m. Auf die andern, speziell die neuen Arten der Alpenregion näher einzutreten, wäre nicht am Platze, da sie nur von einer einzigen Fundstelle bekannt sind; deswegen ist es nicht möglich, sich ein Bild über ihr Verbreitungsgebiet zu machen. Aus der nivalen Region werden angegeben: Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. 715 L. castaneus, rubellus; Allol. Nusbaumi, octoödra, putris arborea sub- rubicunda und, rosea,' tyrtaca — sieben Arten = ca. 18°), des ge- samten Bestandes. Es sind somit nur vier Spezies — 10°/,, die allen Höhenlagen zu- kommen; nämlich L. castaneus, rubellus, Allol. putris subrubieunda und arborea rosea. Sie haben alle ein ausgesprochen nördliches Verbrei- tungsgebiet; subrubicunda ist circumpolar. In der Nordschweiz scheint L. castaneus nicht so hoch zu gehen wie im Wallis; ich habe diese Art nie über der Bergregion gefunden, wie Rosa nicht über 1600m in den Südalpen. Die regionalen Bestandzahlen von 26, 23, 18 und 7 Spezies in den aufeinanderfolgenden Höhenstufen — 65, 58, 45 und 18°], — bestätigen somit wenigstens anscheinend auch für unsere Fauna das bekannte Gesetz der Abnahme der Intensität tierischen Lebens mit zunehmender Höhe. Doch ist diese Reduktion erst mit der höchsten Region eine beträchtliche und auffallende; bis an sie hinan finden die Regenwürmer immer noch wohl zusagende Existenzbedingungen, was sich aus der noch verhältnismäßig großen Arten- und Individuenzahl ergiebt. Dass die Artenzahl für die Schneeregion so gering ist, kann nicht befremden angesichts der unwirtlichen klimatischen Verhältnisse, der sehr beschränkten Verbreitungsgebiete und endlich des Umstandes, dass diese Höhen noch am wenigsten untersucht sind. Ich möchte die angegebene Zahlenreihe so auslegen, dass bis zur Höhe des ewigen Schnees die Lumbrieidenfauna sich in nur mäßig ver- minderter Artenzahl zu behaupten vermag und erst mit dieser eine ausgesprochene Reduktion in Erscheinung tritt. Als von verschiedenen Fundstellen bekannte Arten, die in der Alpenregion ihre obere Verbreitungsgrenze zeigen, sind zu nennen: L. meliboeus; Allol. caliginosa, chlorotica, cyanea, profuga, rosea, veneta (var. hortensis), All. tetraödrus. Es ist auch hier die Bitte an alle Lumbrieologen und Sammler einzuflechten, die für die tiergeographischen Fragen so wichtigen Höhen- angaben stets sorgfältig zu berücksichtigen. Von den 26 Arten, welche der Hügelregion angehören, kommen nach den vorliegenden Beobachtungen 10 (vielleicht 12) nur ihr allein zu; von den 21 der Bergregion scheinen 13 (vielleicht nur 11) ledig- lich dieser eigen zu sein; den 19 Spezies der Alpen- und den 7 Arten der Nivalregion sind 5 resp.2 nur in ihnen vorkommende Arten gegen- überzustellen. Es sind dies Verhältnisse, die auch an diesem Orte den früher schon gezogenen Schluss aufdrängen, dass die Schweiz vermöge ihrer topographischen und orographischen Vielgestaltigkeit in der Lumbricidenfauna eine Reihe von Lokalformen zur Ausbildung gebracht habe. Immer ist es wieder der mangelhafte Stand unserer Kennt- nisse in der Faunistik, der nicht gestattet, einzelne Formen als Beleg 716 Bretscher, Verbreitungsverhältnisse der Lumbrieiden in der Schweiz. für diesen Satz herauszugreifen und denselben an ihnen zu demon- strieren. Von den 42 (resp. 40) Arten der Schweiz sind L. Studeri, Allol. argoviense, brumescens, Olaparedi, Darwini, herculeana, nivalis, Nus- baumi, rhenani, Rosai, sulfurica, Vejdovskyi = 12 oder 30%, nur in ihr gefunden worden. Auch diese große Zahl endemischer Formen ist wohl nicht allein auf Rechnung der bessern faunistischen Durcharbeitung zu setzen, sondern kann als Bestätigung unseres Satzes mit in Betracht fallen. Die Richtigkeit der berührten Folgerung lässt sich noch durch ein drittes Argument erhärten. Es ist nämlich z. B. de Ribaucourt in sorgfältiger Durcharbeitung seines gesammelten Lumbrieiden-Materials mehrfach dazu geführt worden, die bisher im ganzen einheitlich cha- rakterisierten Arten in Unterarten oder Varietäten zu zerlegen, welche besonderen Standorten entspringen und daher zum Teil vielleicht richtiger vorerst als Lokalformen behandelt worden wären. Eine größere Anzahl von mir gesammelter Allol. rosea zeigte ferner nach den drei Fundorten Zürich, Frutt (ca. 2000m) im Melchthal und Cresta (1950m) im Avers konstante Differenzen. Aehnliche Beobachtungen über Verschiedenheiten innerhalb guter Arten nach der Herkunft der Objekte führen übrigens auch Michaelsen u. a. an; die Aufzählung der hierher gehörenden Fälle würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit weit überschreiten. Es ist wohl am Platze zu bemerken, dass indes nicht alle Formen diese Variabilität zeigen; während die einen sich in dieser Hinsicht auszeichnen, bleiben die andern in den verschiedenen geographischen Breiten und Regionen konstant, ein Verhalten, das völlig mit einzelnen Vertretern anderer Familien und Klassen des Tier- reiches, z. B. der Insekten, der Schnecken ete. übereinstimmt. Diese Ausführungen sind somit in ihren Ergebnissen sehr geeignet, einen Ausspruch von Michaelsen in „die Lumbrieidenfauna Nord- amerikas“ (Abhandl. aus d. Gebiete d. Naturw. 1899, Naturw. Ver. Hamburg) zu belegen. Er sagt dort nämlich in p. 20: „Eine reiche Kette endemischer Formen zieht sich von Süd-Russland über Rumänien, Ungarn, Kroatien, Istrien, Oesterreich und die Alpenländer mit Nord- Italien nach Frankreich, der Pyrenäen-Halbinsel und Irland hin. Die nördlichen Gebiete von Europa dagegen scheinen keine eigenen Formen hervorgebracht zu haben“. Es könnte das vorliegende Material an Daten über die Lumbrieiden- Fauna der Schweiz auch noch weiter nach der systematischen Seite hin verarbeitet werden, indem speziell die zahlreichen Allolobophora- Arten noch weiter nach ihrer Zugehörigkeit zu den Subgenera Dendro- baena, Eophila, Notogama, Allolobophora, Octolasion geordnet würden. Doch ist dies eine Betrachtung, die vorzunehmen bessere Berechtigung hat, wenn die Faunistik gründlicher durchmustert sein wird. Imhof, Multiocelläres geflügeltes Insekt (Nachtrag). zalr Als Beweis dafür, dass die fortgesetzten Beobachtungen noch reich- liche Ergebnisse zeitigen können, sei nur ein Beispiel angeführt. Der Hasenberg ist ein flacher, gut bewaldeter Höhenzug von nahezu 800m Erhebung zwischen der Limmat und der Reuß. Noch jede der mehr- fachen Exkursionen, die ich dorthin unternahm, brachte als Ausbeute eine oder mehrere Arten, die vorher nicht zu finden gewesen waren. Als Arten, die bis jetzt nur hier zur Beobachtung gelangten, nenne ich Allolob. herculeana, lumbricoides, Ribaucourti; brumescens fand sich am genannten Hügel, dann aber auch unter ähnlichen Verhältnissen an der Allmannkette. Die beiden ersten Spezies zeigten darin auffallende Uebereinstimmung, dass sie nach ihrer äußern Erscheinung, nach der Beborstung und der Bildung des Kopflappens unbedenklich als Lum- brieci angesprochen werden müssen; die Beschaffenheit der Generations- organe aber weist sie zum Genus Allolobophora. Das könnte zur Ver- mutung führen, dass es sich in beiden Fällen um die Kreuzung einer Lumbricus- mit einer Allolobophora-Spezies handle, wenngleich eine solche Annahme ja von vornherein als gewagt zu bezeichnen ist. In Uebereinstimmung damit stünde allerdings die Thatsache, dass die Ver- treter beider neuer Arten je nur in einem Exemplar gefunden wurden- Immerhin weisen beide Objekte darauf hin, dass die Lumbrieiden auch nach Bastardbildungen ins Auge zu fassen sind. Nachträglicher Zusatz zur Notiz über ein multiocelläres ge- flügeltes Insekt. (Nr. 15 dieses Jahrgangs.) Mit einer speziellen Studie über die einfachen Augen der Insekten- klasse beschäftigt, entdecke ich in Westwood: Introduction of Modern Classification of Inseets, 1839, Bd.I, 3 Fälle polyocellärer Bildungen, die ich ungesäumt meiner Notiz anreihe. Ordo Coleoptera. 1. Familie Cicindelidae, Cicindela campestris. Außer den 2 Facettenaugen 6 Ocelli in 2 Gruppen zu 3. 2. Familie Carabidae, Harpalides, Steropus madidus oder Oma- seus melanarius. 2 Facettenaugen und hinter den Antennen je elliptisch angeordnet 6 kleine Ocellen. Zusammen 14 Augen. 3. Familie Dermestidae, Dermestes lardarius. Jederseits eine Gruppe von 6 Ocellen, also auch 14 Augen. Bei Insektenlarven finde ich nach Westwood bei den Chrysome- liden jederseits am Kopfe eine Gruppe von 3 Ocellen. Wir kennen also z. Z. Insekten ohne Ocellen, mit nur 1 Ocelle, mit 2 Ocellen, mit 3 Ocellen und bis 12 Ocellen. Die weitaus zahlreichsten haben keine und 3 Ocellen. 5. September 1900. [75] 18 Kuhlgatz, Schildlausbuch. Erwiderung auf den Artikel von L. Reh in Nr. 14, Bd. XX, 1900 des Biol. Centralbl. „Einige Bemerkungen zu der Be- sprechung von Frank-Krüger’s „Schildlausbuch“ durch Rh RKuhlgatz L. Reh unterzieht in Nr. 14, Bd. XX des biol. Centralblattes mein in Nr. 9 Bd. XX desselben Blattes erschienenes Referat über das Schild- lausbuch von Frank und Krüger einer Besprechung, die mich nötigt, diesen Gegenstand noch einmal aufzunehmen; ich kann dabei nicht ver- meiden, bezüglich einiger Punkte auf das Schildlausbuch zurückzukommen. Ich will aber gleich im voraus, bevor ich auf den Hauptpunkt der Reh’schen Kritik eingehe, bemerken, dass es nicht meine Absicht ist, über Streitfragen zu diskutieren, wie die, ob Frank und Krüger sich mit Recht auf die Diaspinen und Lecaninen beschränkt haben; ob sich der Gebrauch des Ausdruckes „Nymphe“* bei den Coceiden em- pfiehlt; ob die Thatsache, dass ich die Vermutung einer parthenogenetischen Fortpflanzung bei den Coceiden „interessant“ finde, mit Recht „merk- würdig berührt“; ob die Ansiedelung von Schildläusen auf Blättern und Früchten als Verirrung aufzufassen ist; ob thatsächlich der spezielle Teil des Schildlausbuches „systematische und biologische Angaben über die „für den deutschen Obstbau in Betracht kommenden einzelnen Coceiden- „Arten“ enthält. Diese Streitfragen sind teils zu irrelevant, um sie des weiteren zu diskutieren, teils würden die Gründe, die man pro und contra geltend machen könnte, bei dem jetzigen Stande der Coceidenforschung nicht in dem Maße zwingend sein können, dass eine Einigung zu erwarten wäre. Reh’s Behauptung, ich hätte in meinem Referat die Darstellung über den Einfluss der Schildläuse auf die Früchte schärfer gefasst, als Frank und Krüger, kann ich nicht als richtig anerkennen. Ich habe das, was im Schildlausbuch etwas ausführlicher behandelt ist, auf einem engeren Raume, in einem deutlich gegliederten Absatz rekapituliert. Wie ein Ver- gleich meines Referates mit dem Schildlausbuch ergiebt, ist dabei der Ge- danke derselbe geblieben; er ist nur kürzer ausgedrückt. Im übrigen ersehe ich aus der Reh’schen Besprechung, dass Reh die Aufgabe, die ich in meinem Referat zu erfüllen hatte, sowie die Aufgabe, die sich das Schildlausbuch gestellt hat, wesentlich anders auffasst als ich, Aus dieser — meiner Ansicht nach unrichtigen — Auffassung hat sich die ebenso unrichtige Beurteilung meines Referates ergeben. Frank und Krüger geben ihrem Buche auf dem Titelblatt das Attribut „Bearbeitet für die Praxis“ und sagen in dem Vorwort, p. IV, ausdrücklich folgendes: „Wenn unser Buch auch manches wissenschaftlich „Neue bringt, so haben wir dasselbe doch in erster Linie für die Prak- „tiker bestimmt, weshalb wir auch solche Dinge, welche mehr von rein „wissenschaftlichem Interesse sind, nur insofern berücksichtigten, als sie „zugleich für die Praxis von Bedeutung sind. Dies gilt u. a. in Bezug „auf die Auswahl der behandelten Schildlausarten, auf die Synonymik „u. dergl.“. Nach dieser Erklärung, die deutlich genug ist, waren die Verf. berechtigt, ihren Gegenstand mit einer gewissen Auswahl zu behandeln, sowie auf eine ausführliche Berücksichtigung der Synonymik und Litteratur zu verzichten. Ein Abweichen von diesem Wege hätte das Buch speziell für „Praktiker“, also Gärtner und Landwirte, ungenießbar gemacht; es wäre von nur wenigen gelesen worden und hätte seinen Zweck verfehlt, Kuhlgatz, Schildlausbuch. 719 L. Reh geht nun offenbar von der Voraussetzung aus, als hätten die Verfasser sich die Aufgabe gestellt, die deutschen Schildläuse nach Art einer wissenschaftlichen Monographie zu bearbeiten. Eine Monographie aber hat andere Obliegenheiten als ein Buch für Praktiker. Von einer Monographie kann man vollständige Berücksichtigung der Litteratur und Synonymik sowie vollständige Behandlung des vorliegenden Formenkom- plexes verlangen. In einem Buche für Praktiker muss vielfach die Voll- ständigkeit der Uebersichtlichkeit weichen. Hieraus ergiebt sich, dass Reh zu einem anderen Urteil über das Schildlausbuch kommen muss, als ich. Ich kann die Thatsache, dass die zoologisch-entomologische Litteratur fast völlig bei Seite gelassen ist, nicht wie Reh als einen Fehler oder als eine Vernachlässigung ansehen, son- dern halte sie für etwas, das sich aus der Aufgabe mit Notwendigkeit ergab. Der von den Verfassern im Vorwort hingestellte Satz, dass der Landesökonomierat Göthe „fast als einziger deutscher Forscher bislang „auf diesem Gebiete“ (der einheimischen Schildläuse) gearbeitet hat, ist freilich in dieser allgemeinen Fassung nicht richtig. Wenn sich nun der kurze und selbstverständlich durch Auswahl beschränkte Ueberblick über die neuere Geschichte der Coceidenforschung, den ich meinem Referat vorausschickte, implieite auch gegen diesen — übrigens doch wohl neben- sächlichen — Punkt wandte, so sollte er in erster Linie denen, welche dem Gegenstande ferner stehen, als Einführung dienen. Dass ich in der Einleitung zu einem 31/, Seiten umfassenden Referat kein vollständiges Litteraturverzeichnis, noch dazu über ein so großes Gebiet, geben kann, ist ohne weiteres ersichtlich. Ich würde auch die Aufgabe eines Referenten unrichtig aufgefasst haben, hätte ich den Versuch dazu machen wollen. Meine Aufgabe war vielmehr die, eine Auswahl für meine Uebersicht zu treffen. Ich that dies mit dem Bewusstsein, eine gegen die Gesamtlitteratur nur verschwindende Anzahl von Litteraturhinweisen geben zu dürfen. Reh bemängelt aber an meiner Uebersicht, dass dies und jenes fehle, und führt eine Reihe von Autoren an, die mir wohl bekannt sind, die ich jedoch in einer Auswahl fortlassen konnte. Es liegt freilich in der Natur der Sache begründet, dass bei einer Auswahl von Litteratureitaten Meinungsverschiedenheiten über die Wichtigkeit dieses oder jenes Autors entstehen. Uebrigens konnte ich eine ganze Anzahl von Autoren schon deswegen bei Seite lassen, weil sie teils in den von mir eitierten Schriften leicht gefunden werden können, teils weil ihre Bedeutung, wie z. B. die der außerordentlich zahlreichen amerikanischen Coceiden-Forscher durch einen allgemeinen Hinweis deutlich genug gewürdigt schien. Reh übt nun, indem er sich gleichzeitig auch gegen das Schildlausbuch wendet, an meiner Litteraturübersicht Kritik mit Wendungen wie „Gänzlich ver- misse ich“ oder „Auch die zahlreichen Autoren, die ...... werden von Kuhlgatz und den Phytopathologen völlig vernachlässigt“. Die Ueber- gehung einer Sache, deren Berücksichtigung in der Aufgabe nicht be- gründet liegt, kann man aber doch nicht als „Vernachlässigung“ be- zeichnen. Der Satz zu Beginn meines Referates „Die systematische und bio- „logische Forschung auf dem Gebiete der Coceiden oder Schildläuse hat „bis vor wenigen Jahrzehnten fast gänzlich brach gelegen“ sollte dem Sinne nach besagen, dass das, was bis vor wenigen Jahrzehnten auf diesem 720 Kuhlgatz, Schildlausbuch. Gebiete gearbeitet wurde, verschwindend wenig ist gegen das, was neuer- dings geleistet wird, wie sich das auch aus der Einleitung zu meinem Referat deutlich ergiebt. Hiergegen wendet sich Reh zunächst unter Hin- weis auf die Litteratureitate, die Mark und Signoret geben; die beiden Autoren habe ich aber selbst in meinem Referat hinlänglich gewürdigt. Arbeiten, wie die von Schrank, Sandberg, Bouch&, Burmeister, Ratzeburg, Bärensprung, Förster sind verdienstvolle Arbeiten; dass sie aber die Kenntnis der Systematik und Biologie der Schildläuse „mächtig“ gefördert hätten, ist doch wohl etwas zu viel gesagt; ebenso, dass man Dalman’s Arbeit (1825) „kaum eine neuere an die Seite stellen kann“. Erst neuerdings vielmehr ist die Erforschung der Cocciden in rationelle Bahnen geleitet, und ich kann Reh nicht beipflichten, wenn er folgendermaßen sagt: „Ich glaube nicht, dass es viele Tiergruppen „giebt, die sich so ständiger Beachtung, z. T. der besten Autoren „zu erfreuen gehabt haben'!). Thatsächlich ist denn auch die Schild- „lauskunde viel weiter, als uns die Phytopathologen glauben machen „wollen, und man wusste vor 100 Jahren nicht nur sehr vieles von dem, „was uns in dem „Schildlausbuch“ als neu verkündet wird, sondern z. T. „sogar noch mehr. Namentlich im 19. Jahrhundert aber, schon in „seiner ersten Hälfte, ist die Schildlauskunde ganz bedeutend „gefördert worden !)“. Richtig dagegen — wenngleich in deutlichem Widerspruch hierzu — schildert Reh die Entwicklung der Cocciden- Forschung in der Einleitung zu seiner in der „Naturwissenschaft- lichen Wochenschrift“, Bd. XIV, Nr. 33, 13. August 1899 abgedruck- ten Arbeit „Neues über amerikanische Schildläuse“, wo Reh sich folgendermaßen äußert: „Unter den vielen Schädigern unserer „Kulturgewächse werden in neuester Zeit, in Folge der ungeheueren Ver- „luste, die der amerikanische Obstbau durch die San Jos&-Schildlaus er- „litten hat, die Schildläuse überhaupt ganz besonders berücksichtigt. Und „das wohl mit Recht. So viel auch bereits ‚von Zoologen über ihre „Anatomie, Histologie und Ontogenie gearbeitet ist, sO wenig hat man „früher ihre Systematik beachtet. Noch schlimmer steht es um „die Kenntnis ihrer Biologie'), trotzdem dass gerade diese kaum „weniger Interessantes darbietet, als die vieler anderer Insekten-Gruppen per... 0. Weiterhin sagt Reh: „Dass die Schildläuse vorwiegend „wärmeren Zonen angehören, erklärt wohl, dass man ihnen in Deutsch- „land verhältnismässig wenig Beachtung schenkt!) # Berlin, Anfang August 1900. Th. Kuhlgatz. [78] 4) Die Hervorhebung durch den Druck stammt von mir. Berichtigung. In dem Aufsatz von Herrn J. v. Uexküll (Bd. XX Nr. 15) sind folgende Fehler stehen geblieben. Man bittet solche verbessern zu wollen. S. 497 Zeile 2 v. o. lies: Hypothese „von“ der Tierseele statt: Hypothese der Tierseele. „ 497. „.3 v 0. les: „Je waUexküll statt: ;S“ u Yexküll. „ 500 „43 u. 14 soll das Wörtchen „der“ wegfallen. 502 „22 v. u. lies: Einzig die vergleichende Physiologie eine ganz junge Wissenschaft, muss etc. statt: Die vergleichende Physiologie ist aber eine ganz junge Wissenschaft, sie muss etc. Verlag von Arthur Georgi in Leipzig. — Druck der k. bayer, Hof- und Univ. - Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. . Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. XX. Band. 15. November 1900. Nr. 22. Inhalt: Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- verteilung. (Drittes Stück.) — Stempell, Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. (Schiuss.) — Reh, Versuche über die Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse, — Kathariner, Ergänzung und Erwiderung. Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Von Eduard Strasburger. (Drittes Stück.) Die Auslösung des männlichen Geschlechts, welche Ustilago violacea in den weiblichen Blüten der Melandrien bewirkt, ist um so auffälliger, als es nicht gelingen will, diese Erscheinung auf exprimentellem Wege zu veranlassen. Aus einer Angabe in O. Penzig’s Pflanzen - Terato- logie!) könnte man freilich schließen, dass hermaphrodite Blüten bei Melandrien nicht selten sind, doch das waren eben nur infizierte weib- liche Blüten, die man für hermaphrodite hielt. So fasst die Sache auch Magnin?) auf, der bei mehr als tausend untersuchten Stöcken Staub- blätter in weiblichen Blüten auch dann nur fand, wenn sie infiziert waren. Vor allem lag es zunächst nahe zu versuchen, ob man nicht mit Inhaltsstoffen des Pilzes selbst die weiblichen Melandrium-Stöcke zur Bildung von Staubblättern in ihren Blüten veranlassen könne. Ich schicke voran, dass ich diese Versuche ausgeführt, bevor ich an in- fizierten weiblichen Pflanzen die nicht infizierten weiblichen Blüten, über die ich schon berichtet habe, fand. Der Umstand, dass in diesen Blüten die Staubblattanlagen auch nicht um eine Spur vergrößert waren, hätte meine Hoffnung auf einen Erfolg der entsprechenden Versuche von vornherein sehr herabgestimmt. So aber ging ich nicht 1) Bd. I, 1890, p. 300. 2) Comptes rendus, Bd. 107, p. 664, Anm. 1. xXX. 46 722 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). ganz hoffnungslos zu Werke. Es schwebten mir dabei auch die Wir- kungen vor, die ein chlorotisches Edelreis auf seine Unterlage ausübt, und die Erfolge die Beijerink!) mit seinem „contagium vivum fluidum“ bei der Fleckenkrankheit der Tabaksblätter erzielte. Es handelte sich in den angeführten Fällen freilich nicht um eine Aus- lösung morphogener Vorgänge, sondern um die Ansteckung mit einer Krankheit und um deren Folgen, doch die Versuche hatten, was für mich sehr wichtig war, die Möglichkeit einer Fortleitung der anstecken- den Stoffe bis zu den in Entwicklung begriffenen Pflanzenteilen er- wiesen. Der in gesunde Tabakspflanzen eingespritzte Presssaft kranker Tabaksblätter konnte durch Vermittlung der Gefäßbündel bis an die Orte gelangen, wo er die Infektion vollzog. Um meine Versuche anzustellen, ließ ich zu wiederholten Malen große Mengen infizierter Antheren, die ganz unreife, halbreife und reife Chlamydosporen enthielten, mit Leitungswasser oder auch destilliertem Wasser zerreiben, und die Flüssigkeit abfiltrieren. Das Filtrat hatte eine bräunliche Färbung und opalisierte ein wenig. Da von einem Begießen des Erdbodens der Blumentöpfe, in welchem die Versuchs- pflanzen standen, wenig zu erwarten war, verfuhr ich so, dass ich einzelne Aeste der weiblichen Pflanzen unter Wasser bog, dort quer durchschnitt und dann den am Stock verbliebenen Teil mit der Schnitt- fläche abwärts in die Pilzflüssigkeit tauchte und in dieser Lage be- festigte. Die Gefäße mit dieser Flüssigkeit ersetzte ich alle Paar Tage durch andere, die frisch zubereitete Flüssigkeit enthielten, die alte Flüssigkeit wurde gleichzeitig auf die Erde des Blumentopfs gegossen. Im übrigen erhielten die Pflanzen kein anderes Wasser, es sei denn, und auch dann nur in sehr geringer Menge, dass sich Gefahr des Welkens einstellte.e Die durchschnittenen Aeste nahmen merkliche Flüssigkeitsmengen mit ihrem Querschnitt auf. Der Versuch wurde einen vollen Monat unter diesen Bedingungen fortgesetzt. Während dieser Zeit hatten aus den oberen Biegungsstellen der in die Pilz- flüssigkeit tauchenden Aeste die Achselknospen ausgetrieben und zum Teil aueh schon mit der Anlage von Blüten begonnen; diese wurden alsdann während mehrerer Wochen untersucht, immer mit dem näm- lichen Ergebnis, dass die Anlagen der Staubblätter auch nicht um eine Spur weiter, wie sonst, sich entwickelt hatten. Ebenso blieb auch das Einführen der Pilzflüssigkeit in die Pflanzen mit einer Pravaz’schen Spritze wirkungslos. Ich stach vorsichtig zwischen die jüngsten Blütenanlagen ein, um nach Möglichkeit den Vegetationspunkten nahe zu kommen. Ich variierte dabei die Konzen- tration der Flüssigkeit in den einzelnen Versuchen. Vielfach starben die 1) Verhandelingen der konigl. Akad. van Wetenschappen te Amster- dam (Tweede Sectie), Deel VI, Nr. 5, 1898, und Archives Neerlandaises des sciences exactes et naturelles, Ser. II, Tome III, 2e Livr. 1899, p. 164. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 7253 betroffenen Knospenkomplexe nach der Operation ab; sie entwickelten sich teilweise auch weiter; zeigten sich auch wohl verkrüppelt, hin- gegen nicht beeinflusst in der beabsichtigten Richtung. Dann versuchte ich einen bestimmten Einfluss dadurch zu erzielen, dass ich dicht unter dem Scheitel in Entwicklung begriffener Sprosse weiblicher Pflanzen dünne Baumwollfäden zog und sie wochenlang Pilzflüssigkeit aufsaugen ließ. Endlich tauchte ich die Enden solcher Sprosse, nachdem ich sie abwärts gebogen hatte, in die Pilzflüssigkeit und hielt sie dort tagelang fest. Meist litten die Sprossenden unter solcher Behandlung und entwickelten sich nicht weiter; oder es bräunten sich nur die vorhandenen Blütenanlagen, während neue auftraten. In keinem Falle hatte das aber eine Ausbildung von Staubblättern in den Blüten dieser Sprosse zur Folge. Vor kurzem hat andererseits Marin Molliard!) an Exemplaren des Hanfes (Cannabis sativa), die er in einem Gewächshaus erzog, die Verwandlung männlicher Blüten in weibliche beobachtet. Normale männliche Stöcke waren in seiner Kultur eine Ausnahme; fast alle boten sie vielmehr in ihren Blüten Staubblätter dar, die mehr oder weniger vollständig in Karpellblätter verwandelt waren. Bei der einen Aussaat von 160 Samen erhielt Molliard 147 Pflanzen, von denen 119 Weibchen und 28 Männchen waren. Unter letzteren hatten nicht weniger als 21 in zahlreichen Blüten Uebergänge zum weiblichen Ge- schlecht aufzuweisen. Eine andere Aussaat von 200 Samen, von denen 172 keimten, ergab 148 Weibehen und 24 Männchen, sämtlich mit Uebergängen zum weiblichen Geschlecht. Molliard glaubt durch vergleichende Versuche festgestellt zu haben, dass weder die chemische Natur des Bodens, noch der Feuchtigkeitsgrad dieses Bodens und der Atmosphäre, noch die Temperatur das Geschlecht seiner Pflanzen be- stimmt hätten. Ihre Umwandlung sei vielmehr durch die geringe Lichtintensität, welche im Gewächshaus herrschte, veranlasst worden. — Eine ähnliche Angabe hatte seiner Zeit schon F. Mauz?) für den Hanf gethan. Er fasste seine Ansicht aber weiter und meinte, dass „bei diöeischen und monöeischen Pflanzen Trockenheit, Licht und Luft das männliche, Feuchtigkeit, Dünger und Mangel an Licht das weibliche Geschlecht begünstige. Dem trat Heyer?) entschieden entgegen. Doch 4) De l’hermaphroditisme chez la Mereuriale et le Chanvre. Revue gene- rale de Botanique, Tome X, 1898, p. 324. 2) Korrespondenzblatt des Württemberg. landw. Ver., Bd. I, 1822, p. 244, Versuche und Vorschläge über die Verbesserung des Hanfbaues von F. Mauz, Kand. d. Med., 1822; vergl. Flora 1822, Bd.II, vierte Beilage, p. 49. 3) Untersuchungen über das Verhältnis des Geschlechtes bei einhäusigen und zweihäusigen Pflanzen, unter Berücksichtigung des Geschlechtsverhältnisses bei Tieren und dem Menschen. Berichte aus dem physiol. Labor. und der Versuchsanstalt des landw. Inst. der Univ. Halle, herausgegeben von Julius Kühn, Bqd.I, 1884, Heft V, p. 43. 46® 724 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). Molliard stützt seine Behauptung auch durch die Angabe, dass er im Freien durch Beschattung der Pflanzen ähnliche Ergebnisse wie im Gewächshause erzielt habe!). Ueber diese Kontrolversuche fehlt freilich jede nähere Mitteilung und sie widersprechen direkt den von Heyer?) und Anderen erlangten Resultaten. Heyer kam zu dem Ergebnis, dass beim Hanf das Zahlenverhältnis der Geschlechter eine konstante Größe sei, die durch äußere Einwirkungen nicht beeinflusst werden könne. Seine bei Halle vorgenommenen Zählungen erstreckten sich auf 40000 Pflanzen und ergaben im Durchschnitt 100 Männchen auf 114,93 Weibchen. So hatte seiner Zeit auch Haberlandt?) in Oesterreich für den Hanf ein dem Heyer’schen nahe stehendes Ver- hältnis von 100 Männchen auf 117,53, beziehungsweise auf 120,40 Weib- chen gefunden, vor nicht langer Zeit zählten Briosi und Tognini*) in Italien auf 100 Männchen 112 Weibchen, fast gleichzeitig mit Heyer, C. Fisch’) in Erlangen, das von dem Heyer’schen Ergebnis stärker abweichende, aber unter allen Verhältnissen sich ebenfalls konstant zeigende, Verhältnis von 154,23 Weibchen auf 100 Männchen. Für die diöcische Mercurialis annua, die monöcischen Kürbis und Gurke hatte Heyer unter anderem auch direkt festgestellt, dass Beschattung das Zahlenverhältnis der beiden Geschlechter nicht beeinflusse. Diese Feststellung fehlte für Cannabis. Es konnte sich also der Hanf immer- hin, so unwahrscheinlich diese Annahme a priori auch erscheinen möchte, anders als Mercurialis, Kürbis und Gurke verhalten. Daher ich es auch für angebracht hielt, mit meinen eigentlichen Versuchs- pflanzen, dem Melandrium album und rubrum, wie dann auch mit Cannabis sativa einige Lichtversuche anzustellen. Der erste Versuch mit Melandrium album ergab im vorigen Jahr bei einer Aussaat von 500 Körnern 331 Pflanzen. Die Keimung und Weiterentwicklung er- folgte an der Südostseite einer Mauer unter einem etwas schräg ge- spannten, von 1 m auf 80 cm sich senkenden Dach von ziemlich lockerer Jute. Von den erzogenen Pflanzen waren 144 männlich und 187 weiblich. Unter denselben Bedingungen erhielt ich aus 500 Samen- _ körnern von Melandrium rubrum 315 Pflanzen, davon 142 männlich, 173 weiblich. Die Durchmusterung zahlreicher Blüten lehrte, dass weder bei Melandrinm album noch rubrum die starke Beschattung eine Förderung der Staubblatthöcker in den weiblichen Blüten verursacht 1) dc. 9. 334: 2) 1. c..p..141, 3) Wiener landwirt. Zeitung, 1869, Nr. 3, und Fühling’s landw. Zeitg., 1877, p. 881. 4) Intorno alla Anatomia della Canape, Pars I, Organi sessuali, Milano, 1894, p. 105. 5) Ueber die Zahlenverhältnisse der Geschlechter beim Hanf. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1887, p. 136. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 725 hatte. Die 315 Exemplare von Melandrium rubrum wurden mit Auf- schriften versehen, die ihr Geschlecht angaben, und so für den Winter an ihrem Standort belassen. Die Schattendecke ersetzte ich durch eine dichtere und ließ einen gleichen Verschluss von vorn und von den Seiten herstellen. Schon nach kurzer Zeit hörten die Pflanzen zu blühen auf und im Winter ging eine nicht geringe Zahl, besonders männ- licher Exemplare, zu Grunde. Die anderen verharrten im nächsten Frühjahr im Zustande grundständiger Rosetten, so dass ich Mitte Mai mich entschloss, die seitlichen Vorhänge zu entfernen und das obere Schattendach durch ein weniger dichtes zu ersetzen. Darauf begann eine Minderzahl der vorhandenen Pflanzen aufsteigende Triebe zu bilden und Blütenknospen zu erzeugen. Doch nur vereinzelte dieser Knospen öffneten sich. Sie gehörten fast ausschließlich den weiblichen Stöcken an. Die Blüten waren etwas klein, hatten in den Verhält- nissen ihres Geschlechts aber keinerlei Veränderung aufzuweisen. Also auch ein so extremer Eingriff war in dieser Beziehung wirkungslos geblieben. Mitte Juni entschloss ich mich, die Schattendecke ganz zu entfernen und einige Wochen später waren fast alle Pflanzen, die Blüten- stände ausgebildethatten, übersäet mit Blüten. Eine solche Menge gleich- zeitig geöfineter Blüten hatte ich zuvor kaum an den Stöcken von Melan- drium rubrum beisammen gesehen. Soviel Blüten dieser Kultur ich nun auch untersuchte, irgend ein Uebergang von einem Geschlecht zum anderen trat mir nicht entgegen. Die Entwicklung der Staubblatt- anlagen in den weiblichen Blüten war gegen sonst nicht gefördert. Die Molliard’schen Angaben ließen das letztere ja auch nicht er- warten, da Beschattung das weibliche Geschlecht fördern sollte; doch eben so wenig als diese Aussaat im Schatten unverhältnismäßig viel Weibchen mir geliefert hatte, so vergeblich war auch mein Bemühen in den Blüten der so lang und tief beschatteten männlichen Pflanzen irgend welchen Anlauf in der Richtung zum weiblichen Geschlecht nachzuweisen. An der nämlichen Mauer, vor der die Melandrien standen, ließ ich am 15. März dieses Jahres unter einem Schattendach von ziemlich lockerer Jute 600 Samenkörner von Cannabis in regelmäßigen Ab- ständen von 10 cm aussäen. Der Schatten und die ungünstigen Wit- terungsverhältnisse bewirkten es, dass ich im ganzen nur 112 schwach entwickelte Pflanzen erhielt. Von diesen waren aber 54 männlich und 63 weiblich und nicht eine einzige, welche wie bei Molliard Ueber- gänge vom männlichen zum weiblichen Geschlecht aufgewiesen hätte. Eine unbeschattete Kultur in der Fortsetzung dieser ersten, die zum Vergleich angelegt worden war, ergab aus 600 Samenkörnern 199 männ- liche und 235 weibliche Pflanzen. Es fehlten hier nur 166 Pflanzen, so dass die sehr starke Beschattung vor allem die Schuld an dem mangelhaften Aufgehen der benachbarten Aussaat trug. In der be- 726 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). schatteten und unbeschatteten Kultur war im übrigen das Verhältnis von Männchen zu Weibchen nicht wesentlich verschieden, so dass der Schluss gerechtfertigt erscheint, dass in den Molliard’schen Versuchen es nicht Lichtmangel war, der das weibliche Geschlecht gefördert hatte. Man frägt sich vielmehr unwillkürlich, ob Molliard nicht zufällig Samen erhalten hatte von zur Monöcie beziehungsweise zum Herma- phroditismus neigenden Pflanzen. Eine solche Rasse konnte sehr wohl in irgend einer Kultur sich ausgebildet haben. Monöecische Hanfpflanzen sind ja wiederholt schon beobachtet worden, Braun!), Holuby?), Bernhardi?) haben sie geschildert. Doch ich wollte mich mit diesen ersten beiden Versuchen nicht zufrieden geben, und ließ daher noch eine Kultur im Gewächshaus anlegen, unter Bedingungen, von denen sich annehmen ließ, dass sie den der Molliard’schen Versuche entsprechen. Die Fenster des Ge- wächshauses wurden, zum Zweck einer weiteren Abschwächung der Beleuchtung, mit gelöschtem Kalk bestrichen, außerdem an den Enden des Beetes Jutevorhänge angebracht, um das seitlich einfallende Licht abzuhalten. Die Aussaat selbst erfolgte in guter Gartenerde, in einem gestreckten Beet, das aus sechs Abteilungen bestand. Jede Abteilung erhielt 100 Samenkörner, in gleichen Abständen von je 10 cm. Der Versuch begann am 1. Juli dieses Jahres und während seiner ganzen Dauer herrschte gleichmäßig helles und heißes Wetter. Die Temperatur im Gewächshause pflegte dabei am Tage bis auf 30° C zu steigen, um des Nachts nur wenig unter 20° C zu fallen. Die Beete wurden täglich am Morgen und Abend begossen. Der ganze Verlauf dieses Versuchs kann als mustergiltig gelten. Fast sämtliche Samenkörner gingen auf und entwickelten sich annähernd gleichmäßig. Durch verschiedene Zufälligkeiten gingen weiterhin 95 Exem- plare, d. h. 15°/,, zu Grunde, so dass die Ernte aus 507 Individuen bestand. Zehn Tage nach der Aussaat machte sich der Einfluss der Beschattung auf die Keimlinge in deren Ueberverlängerung kenntlich. Sie begannen sich zu lagern, so dass sie sämtlich mit Holzstäbchen versehen und an diesen festgebunden wurden. Allmählich machte sich dann der Unterschied zwischen den schlankeren männlichen und den etwas dickeren und niedrigeren weiblichen Stöcken geltend. Am 2. August hatten die schlankeren männlichen Individuen durchschnitt- lich eine Höhe von 55cm, die gedrungeneren weiblichen eine solche von 50cm erreicht. Die Blütenbildung hatte bereits begonnen, die männlichen Individuen waren den weiblichen in ihr voraus. Hoch- interessant verhielt sich das letzte, am westlichen Ende der Kultur 1) Bot. Zeitg., 1873, p. 268. 2) Oest. bot. Zeitschr., 1878, p. 367. 3) Gärtner, Versuche und Beobachtungen über die Befruchtungsorgane der vollkommenen Gewächse, 1844, p. 483. Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 727 befindliche Beet. Dort war der Einfluss der Beschattung besonders groß und die am 2. August gemessene durchschnittliche Höhe der Pflanzen sank dort von Osten nach Westen rasch bis auf 30 em. Die Blütenbildung war aber ebenso weit wie in der übrigen Kultur fort- geschritten; es blühte in der westlichen, an den Schattenvorhang aus Jute grenzenden Reihe sogar eine schwache männliche Pflanze von nur 25 cm Höhe. Am 9. August konnte das Geschlecht sämtlicher Pflanzen bestimmt werden und erfolgte daher die Emte. Sie ergab 239 männliche und 268 weibliche Exemplare. Das Verhältnis betrug somit auf 100 Männchen 112,13 Weibchen, also fast genau so, wie in den Heyer’schen Versuchen. Der Bestand der letzten, westlichsten Abteilung des Beetes wurde besonders aufgenommen. Er betrug von Osten nach Westen, in Richtung der abnehmenden Größe der Exem- plare, innerhalb der einzelnen nordsüdlich gerichteten Reihen 4M 6W, 4M2W4M6W2M4AW2M6WAMAW 7 M2W,6M 2W,6M5W,2M5W. Es enthielt somit diese letzte, am stärksten beschattete Abteilung 41 männliche und 40 weibliche Pflanzen, also im Verhältnis ganz besonders viel Männchen. Eine Abnahme der Männ- chen in Richtung der Beschattung lag außerdem nicht vor. Von Hermaphroditismus ließ sich an den Pflanzen, die sämtlich durchmustert wurden, nichts bemerken. Da in diesem Versuche das Licht bedeutend abgeschwächt war, auch die sonstigen Bedingungen wohl den in Molliard’s Gewächs- hauskultur entsprechen, so dürfen wir mit Zuversicht schließen, dass dessen Schlussfolgerung ungerechtfertigt war. Ihr Ausfall konnte nur durch einen der zuvor schon erörterten Gründe veranlasst sein. Her- vorgehoben sei, dass bei diesem meinen Versuch auch besonders hohe Temperatur herrschte; das muss hier gleich betont werden, weil auch dieser Faktor als das weibliche Geschlecht begünstigend in späteren Molliard’schen Versuchen auftritt. Die von Georg Klebs!) neuerdings festgestellte Thatsache, dass bei Saprolegnia mixta Phosphate die Bildung der Oogonien und an ihnen im besondern die von Antheridien fördern, veranlasste weitere Versuche. Es wurden eine größere Zahl Topfexemplare von Melandrium album ausgewählt, die bei Anlage der allerersten Blütenknospen sich bereits als weiblich erwiesen hatten, und nun täglich mit 0,1—0,3 pro- zentigen Lösungen, von Mono-, Di- und Trikaliumphosphat begossen, häufig auch besprengt. Einige Mal durchstachen wir auch die Wurzeln dieser Pflanzen im Boden, um ihnen die direkte Aufnahme einer größeren Menge des Phosphats zu erleichtern. Die Pflanzen entwickelten sich kräftig und bildeten zahlreiche Triebe und Blüten. In keiner dieser Blüten kam es aber zu einer weiteren Ausbildung der Staubblatt- 1) Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXIII, 1899, p. 562, 567, 582, 588. 728 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). anlagen. Diese blieben vielmehr auf dem Stadium unscheinbarer Höcker stehen. Ebenso fielen die Versuche mit Lithium aus. Dass letzteres unter Umständen morphogene Reize auszuüben vermag, zeigten die Versuche von Herbst!). Durch Zusatz geringer Mengen von Lithiumsalz zum Meerwasser vermochte er befruchtete Eier eines Seeigels in besondere Entwicklungsbahnen zu zwingen. Nun ist es seit Sachs?) bekannt, dass die Pflanzen salpetersaures Lithium mit ihren Wurzeln aufzu- nehmen vermögen und selbst in beträchtlicher Menge vertragen. Dem- gemäß wurden männliche und weibliche Topfexemplare von Melandrium album zunächst stark zurückgeschnitten und dann sechs Wochen lang mit Wasser begossen, das 0,01 Prozent Lithiumnitrat enthielt. Die so verdünnte Lösung kam zur Anwendung, nachdem es sich gezeigt hatte, dass die Pflanzen von O,lprozentiger Lösung nach einiger Zeit leiden. Das Geschlecht der- Blüten blieb auch in diesen Versuchen völlig unbeeinflusst, die Staubblattanlagen in den weiblichen Blüten unentwickelt wie sonst. Ebenso wenig wie die Hervorbringung von Staubblättern in weib- lichen Blüten von Melandrien, gelang es mir auf experimentellem Wege das Zahlenverhältnis der Geschlechter bei diesen Pflanzen zu beein- flussen. Sie widerstanden einer solchen Beeinflussung auf das hart- näckigste. Da dem Pilz die Auslösung des männlichen Geschlechts in den weiblichen Pflanzen gelingt, so beweist er damit zugleich, dass diese Auslösung möglich sei. Ich will daher auch nicht behaupten, dass sich nicht einmal noch Mittel und Wege werden finden lassen, die dem Experimentator diesen Eingriff in die Natur der Pflanze er- möglichen. Leicht wird ihm dies jedenfalls nicht gelingen, wie man aus der nachfolgenden Schilderung meiner Versuche entnehmen mag. Vorausgeschickt sei, dass Zählungen, die ich im Laufe von zwölf Jahren an wildwachsenden Exemplaren von Melandrium album in der Umgegend von Bonn vornahm, auf 10662 Individuen 4673 Männchen und 5989 Weibchen ergaben. Das entspricht einem Verhältnis von 100 Männchen auf 128,16 Weibchen. Diese Durchschnittszahl begann sich bei allen Zählungen erst zu markieren, wenn diese über das erste Tausend hinausgingen, während für kleinere Posten der Zufall den Ausfall beeinflusste. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung kann das ja auch nicht anders sein?). So hebt denn auch Heyer?) für 1) Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XV; Mitt. aus der zool. Station zu Neapel, Bd. XI; Biol. Centralbl., Bd. XV, 1895, p. 755, 796. 2) Ein Beitrag zur Kenntnis des aufsteigenden Saftstroms in transpirieren- den Pflanzen. Arb. d. bot. Inst. in Würzburg, II. Bd., 1882, p. 155. 3) Vergl. hierzu auch Lexis, Geschlechtsverhältnis der Geborenen und der Gestorbenen. Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Zweite Aufl., Bd.IV, p. AT. A) 1. .e.sp. 19. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 729 Mercurialis annua hervor, dass erst bei der Zählung von 14000 Pflanzen das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Individuen in den Zehnern anfing konstant zu werden und auch konstant blieb bis zur Zählung von 21000. Dass nach alledem Schlussfolgerungen, die auf kleine Zählungen sich stützen, wertlos sind und nur durch Zufall ver- anlasst sein können, liegt auf der Hand. Andererseits greifen unter Umständen auch Rassenbildungen mit veränderter Verhältniszahl der Geschlechter in das Resultat ein und können Ursache starker Abweichungen werden. Das ist für den Hanf bereits sicher festgestellt. Heyer!) zählte bei Halle auf 100 Männchen 114,93 Weibchen, Fisch?) in Erlangen auf 100 Männchen 154,24 Weib- chen. Da nun Heyer’s Zählungen sich auf mehr als 40000, Fisch’s Zählungen auf 66327 Exemplare belaufen, und in beiden Fällen die gezählten Pflanzen unter den verschiedensten Bedingungen aufgewachsen waren, so kann diese Abweichung im Ergebnis nur durch Verschieden- heit des Materials veranlasst worden sein. Wie leicht hätte sie aber, bei vergleichenden, im kleineren Maßstab ausgeführten Versuchen über Beeinflussung des Geschlechts durch äußere Umstände, zu Trugschlüssen führen können. Dass es sich bei dem von Fisch kultivierten Hanf um eine besondere Rasse habe handeln müssen, hebt dieser auch selbst hervor. Seine sämtlichen Versuche wurden mit nur einer, von der Firma Haage und Schmidt in Erfurt bezogenen, Thüringer Sorte aus- geführt?), die sich auch in den verschiedensten Bedingungen sehr kon- stant zeigte. Denn die Abweichungen von den Mittelzahlen stiegen in den Einzelfällen nicht über 5,5 Prozent. Heyer hingegen benutzte Hanfsamen verschiedenen Ursprungs, und damit hing wohl auch zu- sammen, dass die Abweichungen von den Mittelzahlen in den einzelnen Versuchen bei ihm viel größer ausfielen. Mit den hier berührten Rassenbildungen im Verhältnis der Geschlechter verhält es sich aber nicht anders als mit jenen, die sich auch erst durch Massenzählungen der Randstrahlen an den Köpfchen für bestimmte Kompositen ergaben. Die in Thüringen verbreitete Form des Ohrysanthemum segetum gehört nach den Untersuchungen von F. Ludwig) ausschließlich der 13er Rasse an, deren Variationen sich um die Mittelzahl 13 bewegen, während de Vries?) aus der gemischten Aussaat von Samen, die er aus zwanzig verschiedenen Gärten erhielt, zwei Rassen, eine 13er und eine 21er, erhielt. 4) 1. e. p.141. 2) Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1837, p. 145. 3) Heyer hat hingegen mit Hanfsamen verschiedenen Ursprungs operiert; l. c. p. 138. n Ueber Variationskurven und Variationsflächen der Pflanzen. Bot. Centralbl., Bd. LXIV, 1895, p.5, 71. 5) Eine zweigipfelige Variationskurve. Archiv für Entwicklungsmechanik der Organismen, Bd. II, 1895, p. 52. 730 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). Für Mercurialis annua gewann Heyer auf 106 Männchen 100 Weibchen, für „Lychnis dioica“ das eine Mal 304 Männchen und 326 Weibchen, somit auf 100 Männchen 107,2 Weibchen, das andere Mal 757 Männchen und 1020 Weibehen, somit auf 100 Männchen 134,7 Weibchen. Bei der ersten Aussaat war eine Anzahl Pflanzen zu Grunde gegangen und das mag den Ausfall beeinflusst haben. Das Ergebnis der zweiten Aussaat nähert sich der von mir gewonnenen Verhältniszahl, es würde mit ihr bei einer weiteren Ausdehnung der Zählungen vielleicht noch mehr übereingestimmt haben, falls nicht etwa für die hallenser Pflanzen auch ein Rassenunterschied in Be- tracht kam. Kulturen mit Melandrium album in sehr verschiedenen Bodenarten, die ich im Laufe des Jahres 1389 bis 1896 im hiesigen botanischen Garten und einem Grundstück der Universitäts-Baumschule durchführte, ergaben im einzelnen schwankende Resultate, die sich aber immer deutlicher kompensierten, je größer die Zählungen wurden. So kam ich zu dem Ergebnis, dass die Qualität des Bodens ohne Einfluss auf das Zahlenverhältnis der Geschlechter bei Melandrium sei. Die Pflanzen, die ich im Jahre 1889 erzog, waren in gleichem Verhältnis auf gedüngter und ungedüngter Gartenerde, gedüngtem und ungedüngtem Ackerboden und auf Sand gewachsen. Ich erzog so im ganzen 3645 Stück. Von diesen waren 1604 männlich, 2041 weiblich, also auf 100 Männchen 127,2 Weibchen. Im einzelnen stellte sich das Ergebnis wie folgt: Auf 100 Männchen N N waren Weibchen Gedüngte Gartenerde . . .. 410 562 137,0 Ungedüngte Gartenerde . . 235 282 120,0 Gedüngter Ackerboden . . . 384 479 124,4 Ungedüngter Ackerboden . . 254 307 120,8 Sandnoden; ., euer wa 411 128,0 1604 2041 127,2 Uebereinstimmend ergaben alle diese Kulturen trotz so verschie- dener Bodenverhältnisse mehr Weibchen als Männchen. Aus der Be- trachtung des auf gedüngter Gartenerde gewonnenen Ergebnisses könnte man schließen, dass günstige Bodenverhältnisse die Zahl der Weibchen bei Melandrium fördern, wüsste man nicht, dass innerhalb der ge- gebenen Zahl eine solche Schwankung durchaus innerhalb der Grenzen der Wahrscheinlichkeit liegt. Da müsste das Verhältnis ganz extrem ausfallen, um den Schluss auf eine Beeinflussung durch den Boden zu rechtfertigen. Auch liegt mir ein durch diesen Ausfall veranlasster Kontrolversuch aus den Jahren 1890 vor, wo ich auf gedüngter Garten- erde 276 Männchen auf 336 Weibchen, also ein Verhältnis von 100 zu 121,7 und auf Sandboden 240 Männchen auf 337 Weibchen, also Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen, 731 ein Verhältnis von 100 zu 140,4 erntete, wo sich somit das Verhältnis umkehrte. Aussaat und Ernte waren in beiden Jahren um die näm- liche Zeit erfolgt, die Aussaat im September, die Ernte im Laufe des Juni des nächstfolgenden Jahres. (Viertes Stück folgt.) Ueber die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneckenschalen. Eine kritische Erörterung der bisherigen Forschungsergebnisse. Von Dr. Walter Stempell, Privatdozent in Greifswald. (Schluss. Von ihr wohl zu unterscheiden ist jene andere Art der Differen- zierung, welche ihre direkte Ursache in einer Differenzierung des secer- nierenden Epithels hat und von mir als cytogene Differenzierung be- zeichnet wurde. Im allgemeinen werden wir uns die Differenzierung des Mantelepithels so vorstellen müssen, dass dieses in eine große An- zahl von Sekretionskomplexen zerfällt, welche zwar alle im wesent- lichen das gleiche Produkt liefern, die aber doch hinlängliche Selbstän- digkeit besitzen, um eine absolute Gleichmäßigkeit der gemeinsam er- zeugten Sekretmasse auszuschließen. Wenn diese im Epithel präfor- mierten Sekretionskomplexe weder ihre Gestalt noch Stelle ändern, so wird unter ihrem Einfluss in dem erstarrenden Sekretprodukt eine pris- matische Struktur zu stande kommen, deren Elemente auf der Ober- fläche des Epithels senkrecht stehen. Meistens werden die einzelnen Prismen in Gestalt und Größe ihrer Querschnitte wohl genau der Form der erzeugenden Sekretionskomplexe entsprechen, doch scheinen auch solche Fälle vorzukommen, wo die Sekretionskomplexe nicht ganz scharf gegeneinander abgegrenzt sind, und wo dann die Prismenform erst durch gegenseitige Abplattung der ursprünglich tropfenförmigen Strukturelemente entsteht (cf. z. B. die Bildung der Prismenschicht bei den Unioniden)!). Allerdings könnte in derartigen Fällen auch allein eine verhältnismäßig langsame Kalkabscheidung die Ursache dafür sein, dass die Sekretionskomplexe nicht sofort die fertigen Struktur- elemente zu bilden vermögen. Immerhin wird man sich stets vor Augen halten müssen, dass wir es bei den Sekretionskomplexen im wesent- lichen mit funktionellen Einheiten zu thun haben, welche nicht not- wendigerweise auch morphologisch ganz scharf von einander ge- 4) Vielleicht ist auch die eigentünliche, von Simroth (1895 p. 146) be- schriebene Struktur einer Gastropodenlarvenschale, welche eine Reihe hinter- einander gelegener Arragonitkrystalle zeigt, auf das Vorhandensein solcher un= deutlich gegeneinander abgegrenzten Sekretionskomplexe bei gleichzeitigem Kalkmangel des Sekretes zurückzuführen. Wir hätten, wenn diese Erklärung richtig ist, dann hier eine sehr interessante Kombination von primärer Krystalli- sation und cytogener Differenzierung. 739 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. schieden sein brauchen. Man darf sich aus diesem Grunde auch nicht darüber wundern, dass es bisher noch nicht gelungen ist, diese Ein- heiten wirklich zu sehen; es muss uns in dieser Beziehung die That- sache genügen, dass die Annahme solcher Sekretionskomplexe für die Erklärung vieler Schalenstrukturen geradezu eine zwingende, logische Notwendigkeit ist. Ein Blick auf die oben wieder gegebene Prismen- struktur der Solemya-Schale dürfte wohl jeden Zweifel an dieser Not- wendigkeit beseitigen. Die Größe der Sekretionskomplexe wird bei ihrer eigenen Unsichtbarkeit natürlich allein nach der Größe der von ihnen erzeugten Produkte zu beurteilen sein. Wenn man auch in vielen Fällen annehmen darf, dass diese funktionellen Einheiten den morpho- logischen Einheiten des Mantelepithels, nämlich dessen einzelnen Zellen, entsprechen, so ist dies doch keineswegs die Regel. Einmal können die Sekretionskomplexe kleiner sein als die Zellen, wenn sich nämlich schon innerhalb der einzelnen Zelle funktionelle Differenzierungen vor- finden, welche dem von jeder Zelle ausgeschiedenen Sekret gewisse Struktureigentümlichkeiten erteilen, oder aber die Sekretionskomplexe sind größer als die Zellen des Epithels, indem sich besonders da, wo dasselbe Mantelepithel zwei verschiedenartige Produkte liefert, wie z.B. unter der Kalkschale, immer mehrere Zellen zu einer funktionellen Einheit zusammenschließen. Setzen wir nun den — ja gerade bei der Schalenbildung nicht allzu seltenen — Fall, dass die secernierenden Epithelien, und also auch die Sekretionskomplexe, ihre Stelle nicht unverrückt beibehalten, sondern sich dem Schalenwachstum entsprechend verschieben, so werden wir gewisse Modifikationen der eytogenen Sekretdifferenzierung erhalten. Wenn sich nämlich die Sekretionskomplexe in ihrer Gesamtheit während des Sekretionsprozesses langsam und allmählich nach einer bestimmten Richtung hin fortbewegen, so werden die von ihnen gebildeten Sekret- prismen nicht mehr senkrecht zur Oberfläche des secernierenden Epi- thels stehen, sondern in einem Winkel gegen dieselbe geneigt sein, dessen Größe umgekehrt proportional der Geschwindigkeit ist, mit welcher das secernierende Epithel fortschreitet. Besteht endlich die sich verschiebende Matrix nur aus einer einzigen Reihe von Sekretions- komplexen, welche auf ihrer ganzeu Länge mit gleichmäßiger Schnellig- keit vorrückt, so werden die Prismen zu langen Bändern werden, die senkrecht auf der Oberfläche des Epithels stehen und durch ihre Längs- richtung den Weg bezeichnen, den die zugehörigen Sekretionskomplexe genommen haben. Man sieht, dass auf diese Weise eine große Mannigfaltigkeit von Sekretstrukturen entstehen kann, eine Mannigfaltigkeit, welche in ein- zelnen Fällen noch durch Ungleichmäßigkeiten in Richtung und Schnellig- keit des Wachstums, ferner durch Kombinationen von chronogener mit cytogener Differenzierung oder dadurch vermehrt werden kann, dass Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneekenschalen. 733 verschiedene Kategorien von Sekretkomplexen —- intracelluläre, cellu- läre und aus mehreren Zellen bestehende — gleichzeitig in demselben Epithel vorhanden sind. Schließlich sei auch nicht unerwähnt gelassen, dass allerlei Druck- und Zugkräfte die Gestalt und Lage der einzelnen, so entstehenden Strukturelemente unabhängig vom Epithel modifizieren können, wie dies in ähnlicher Weise erst neuerdings Simroth (1392— 1894 p. 392, 393, 1894 p. 241, 1895 p. 154, 1899a p. 247) ausge- sprochen hat). Dass es an der Hand dieser allgemeinen Begriffe in der That möglich ist, sich eine Vorstellung von dem Zustandekommen selbst komplieierter Schalenstrukturen zu bilden, habe ich kürzlich (1899 p. 121—125) an dem Beispiel der Solemya togata-Schale zu zeigen versucht. Immerhin aber ist zu bedenken, dass die ganze Auffassung noch viel zu neu ist, um nicht im Einzelnen noch mancher Ergänzungen zu bedürfen — Ergänzungen, welche sich indessen bei gründlicher Durch- arbeitung des gesamten, ungeheuren Materials und bei gewissenhafter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Momente wohl von selbst ergeben dürften. Natürlich kann und soll nicht verhehlt werden, dass die mitgeteilte Forschungsmethode den allerletzten Erklärungsgrund für die Entstehung der Schalenstrukturen auch nicht zu liefern vermag, da die Frage nach dem Zustandekommen, der Bildung und der Fortbewegungsart der Sekretionskomplexe immer noch eine offene bleibt. Hier sind wir vor der Hand vollkommen auf das Gebiet der Hypothese verwiesen. Wir können nur annehmen, dass sich die jeder Species eigentümlichen Sekretionskomplexe und damit die primären Schalenstrukturen ebenso 4) Dass indessen dieses Prinzip allein nicht ausreicht, um das Zustande- kommen von Schalenstrukturen zu erklären, zeigt am besten ein Spezialfall, auf welchen Simroth (1892—1894 p. 392, 393, 1894 p. 241) das oben genannte Gesetz anwendet. Um nämlich die gekreuzte Schrägstellung der Prismen in der Mittelschicht der Dentaliumschale zu erklären, nimmt er an, dass diese Prismen durch einen vom Tierkörper ausgehenden Druck aus ihrer ursprünglich beinahe senkrecht zur Manteloberfläche gerichteten Lage in eine tangentiale Stellung übergeführt worden seien. So einleuchtend diese Erklärung auch an und für sich ist, so darf doch nicht vergessen werden, dass dadurch noch nicht die ganzen Strukturverhältnisse der betreffenden Schicht „mechanisch“ erklärt sind. Einmal bleibt nämlich die Entstehung der prismatischen Elemente selbst vom rein mechanischen Standpunkte aus völlig unklar — Simroth begnügt sich damit, sie als „vielleicht von je einer Zelle aus wachsend“ zu bezeichnen — und zweitens setzt die ganze durch Druckwirkung hervorgebrachte Verschie- bung doch voraus, dass die Prismen von vorn herein nicht ganz’ senkrecht auf der Manteloberfläche gestanden haben (ef. auch Simroth 1. e.). Man sieht aber nicht ein, wie durch rein mechanische Prinzipien diese ursprüngliche Schräg- stellung erklärt werden soll, 734 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. wie andere Eigenschaften allmählich im Laufe der Phylogenese heraus- gebildet haben, und zwar wird bei dieser Entwickelung neben vielen anderen Momenten wohl das Prinzip der mechanischen Schalenfestig- keit eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben!). Wenn sonach mit der Theorie der Sekretionskomplexe auch schließ- lich nichts anderes gethan ist, als dass die ganze Frage der primären Schalenstrukturen — und der primären Sekretstrukturen überhaupt — vom chemisch-physikalischen Gebiet zunächst auf das rein biologische verwiesen ist, so werden wir uns doch mit dieser riehtigeren Frage- stellung vor der Hand hier ebenso gut begnügen müssen, wie auf dem gesamten übrigen Forschungsgebiet der Biologie, solange das innerste Wesen des Zellenlebens ein vollkommen ungelöstes Rätsel bleibt. — Eingegangen im April 1900. Chronologisches Verzeichnis der eitierten Litteratur. N.B. Die innerhalb eines Jahres erschienenen Abhandlungen sind alpha- betisch nach den Namen der Verfasser geordnet. Wo in einem Jahre mehrere von demselben Autor herrührende Arbeiten vorhanden sind, habe ich sie — wie auch im Text — durch Buchstaben (a, b u. s. w.) von einander unter- schieden. Die mit } bezeichneten Abhandlungen haben mir nicht im Original vorgelegen. 1679 Steno, De solido intra solidum naturaliter contento. Lugd. Batav. 7 1682 Leeuwenhoek, Epistola ad Robertum Hooke. P. 1. 1696 Lister, Conchyliorum bivalvium utriusque aquae exereitatio anatomica tertia. Londini. 1709 Reaumur, De la formation et de l’aceroissement des coquilles des animaux. in: Hist. de l’Acad. Roy. des Se. Paris 1711. Mem. annee 1709. 1710 Mery, Remarques faites sur la moule des estangs. ibid. 1712. Mem. annee 1710. 1716 R&aumur, Eelaireissement de quelques diffieult&s sur la formation et l’aceroissement des coquilles. ibid. 1718. Mem. annee 1716. 1721 Bradley, A philosophical account of the works of nature. London. 1737—1738 Swammerdamm, Biblia naturae. Lugd. Deutsche Uebersetzung: Leipzig 1752. 1744 Lesser, Testaceotheologia. 2. Aufl. Leipzig. 1753 Klein, Lucubratiuncula de formatione, eremento et coloribus testarum, quae sunt cochlidum et concharum. Lugd. Bat. 1753. v. Verf. über- setzt in: Vers. n. Abh. d. naturf. Gesellsch. in Danzig. 2. Teil 1854. Referat in: Hamburg. Magaz. V. 16. 1756. 1754 Denso, Physikalische Bibliothek. V. 1. XXI: Vom Wachstume der Muscheln. Rostock und Wismar. 1754—1766 Statius-Müller, P. L., Text zu Knort, Delieiae naturae selectae. V..1. 4) Ueber diese ja nicht mehr in den Rahmen einer rein physiologisch-onto- genetischen Betrachtungsweise gehörigen Verhältnisse cf. u. a. Simroth 189, 1895, 1899, Thiele 189, Stempell 1897b u. 1899. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 375 1756 Ein Ungenannter, Von der Art, wie die Schalen und Farben der Schnecken entstehen. in: jUnivers. Magaz. 1756, Bremisch. Magaz. 1758 V. 2 und Berl. Samml. 1768. V. 1. 1757 Adanson, Histoire naturelle du Senegal. Coquillages. Paris. 1757 Ginanni, Conte, Opere postume, V, 2. Venezia. 1759 Baster, Opuscula subseeiva, lib. 1. Harlem. 1759 Brisson, Observations sur une espece de Limagon teırestre, dont le sommet de la coquille se trouve casse, sans que l’animal en souffre. in: Hist. de l’Acad. Roy. des Se. Paris. M&m. annde 1759. 1766 H&rissant, Eelaireissement sur l’organisation jusqu’iei inconnue d’une quantite considerable de productions animales. ibid. 1769. Me&m. annde 1766. 1766 Martini, Abhandlung von den Erd- oder Grundschnecken. 2. Abt. in: Berlin. Magaz. V. 2. 1771 Schröter, Versuch einer systematischen Abhandlung über die Erd- konchylien. Berlin. 1772 v. Argenville, Conchyliologie. Deutsche Ausgabe. Wien. 1772 Pluche, Schau-Platz der Natur, V. 1. Deutsche Ausgabe. Frankfurt und Leipzig. 1773 Martini, Anmerkungen zu des Herrn Adolph Murray übersetzter Ein- leitung zur Kenntniss der Konchylien. in: Mannigfaltigk. 4. Jahrg. Berlin. 1775 Walch, Abhandlung vom Wachstum und den Farben der Konchylien- Schalen. in: Beschäft. d. Berl. Ges. naturf. Fr. V. 1. 1776 Martini Konchyliologische Rhapsodien. ibid. V. 2. 1778 Walch, Beitrag zur Zeugungsgeschichte der Conchylien. in: d. Natur- forscher, Stück 12. 1791 Chemnitz, Vom Wachstum der steinschaligen Thiere oder Conchylien. ibid. Stück 25. 1791 Poli, Testacea utriusque Sieiliae eorumque historia et anatome V. 1. Parmae. 1792 Bruguiere, Sur la formation de la coquille des Porcellaines. in: Journ. d’bist. nat. V. 1. 1799 Hatschett, Experiments and observations on shell and bone. in: Philos. Transaect. of the. R. Soc. of London. 4808 Bournon, Trait& complet de la chaux carbonat‘ce et de l’arragonite, V.1. Londres. Auszug von Nöggerath, in: Arch. f. Naturg. Jahrg. 15. v1. 1849: 4814 Brewster, On new properties of light exhibited in the optical phe- nomena of mother of pearl. in: Philos. Transact. of the R. Soe. of London Part. 2. 1831 v. Buch, Ueber die Silieifieation organischer Körper nebst einigen anderen Bemerkungen über wenig bekannte Versteinerungen, in: Abh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. Berlin a. d. Jahr 1828. 1833 Gray, J. E., Some observations on the economy of Molluscous animals and on the structure of their shells. in: Philos. Transact. of the R. Soe. of London Part 1. Deutsche Uebersetzung in: Johnston, Einleitung in die Konchyliologie 1853. 1834 de la Beche, Researches in theoretical geology. London. 736 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 1836 Deshayes, Artikel Conchifera. in: Todd, Cycelopaedia of anatomy and physiology V. 1. London. 1836 Müller, J., Ueber die Struktur und die chemischen Eigenschaften der thierischen Bestandteile der Knorpel und Knochen. in: Annal. d. Phys. u. Chemie V. 38. 1838 Gray, J. E., On the formation of shells. in: Lond. Medie. Gaz. for the session 1837—1838 new series V. 1. 1839 Necker, Note sur la nature mineralogique des coquilles terrestres, fluviatiles et marines. in: Annal. d. sc. nat. Zool. V. 11. 1840 Pieard, Histoire des Mollusques terrestres et fluviatiles, qui vivent dans le d&epartement de la Somme. in: Bull. de la Soc. Linn. du Nord de la France V. 1. 1843 Baldassini, Sulla emissione di un liquido colorante per parte dei Molluschi. in: Memor. della reale accad. delle Scienz. di Torino. Ber. 2. V4:D: 1843a Carpenter, General results of mieroscopie inquiries into the minute structure of the skeletons of Mollusca, Crustacea and Echinoderma. in: Ann. and. Magaz. of Nat Hist. ser. 1. V. 12. 1843b Carpenter, On the microscopie structure of shells. in: Rep. of the 13. Meet. of the Brit. Assoc. 1843 Shuttleworth, Ueber den Bau der Schalen der zweischaligen Mol- lusken. in: Mitt. d. naturf. Ges. Bern. 1844 Bowerbank, On the structure of the shells of Molluscous and Conchi- ferous animals. in: Transaet. of the Microsc. Soc. London V. 1. 1844 Carpenter, On the microscopie strueture of shells. in: Rep. of the 14. Meet. of the Brit. Assoec. 1845 Schmidt, C., Zur vergleichenden Physiologie der wirbellosen Tiere, Braunschweig. 1846 Meckel, Mikrographie einiger Drüsenapparate der niederen Tiere. in: Arch. f. Anat., Physiol. u. wiss. Med. Jahrg. 1846. 1847 Carpenter, On the mieroscopie structure of shells, Part. II. in: Rep. of the 17. Meet. of the Brit. Assoc. 1848 v. Siebold, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Thiere. V. 1. Berlin. 1849 Leydig, Zur Anatomie von Piscicola geometriea. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 1. 1850 Leydig, Ueber Paludina vivipara, ibid. V. 2. 1851 Keber, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Weichtiere. Königs- berg. 4852 Fischer, P., Note sur l’erosion du tet des coquilles fluviatiles univalves. in: Act. de la Soc. Linn. de Bordeaux, V. 18. 1852 Gegenbaur, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Landpulmonaten. Inaug.-Diss., Würzburg. 1853 Johnston, Einleitung in die Konchyliologie, herausg. v. Bronn. Stutt- gart. 1853 Kost, Ueber die Struktur und chemische Zusammensetzung einiger Muschelschalen. Inaug.-Diss., Hildburghausen. 1853 Philippi, Handbuch der Conchyliologie und Malacozoologie. Halle. 1854 Quekett, Lectures on histology, V. 2, London. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 737 1855 Bischof, Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie, 1. Aufl, V. 2 Abt. 2, Bonn. 1855 Fr&my, Recherches chimiques sur les os. in: Annal, de Chim. et Phys. ser. 3, V. 43. 1855 Leydig, Ueber Cyclas cornea. in: Arch. f. Anat. Physiol. u. wiss. Med. 1855 Moquin-Tandon, Histoire naturelle des Mollusques. V. 1, Paris. 1856 Leydolt, Ueber die Struktur und Zusammensetzung der Krystalle des prismatischen Kalkhaloides nebst einem Anhang über die Struktur der kalkigen Teile einiger wirbellosen Thiere. in: Sitz.-Ber. d. Math. Naturw. Kl. d. K. Akad. d. Wiss., Wien, V. 19. 1856 Meckel, Microgeologie, Berlin. 1856 Schlossberger, Chemie der Gewebe. Leipzig und Heidelberg. 1857 Claparede, Anatomie und Entwicklungsgeschichte der Neritina fluvia- tilis. in: Arch. f. Anat. Physiol. u. wiss. Med. 1857 Leydig, Lehrbuch der Histologie, Frankfurt a. M. 1857 Moebius, Die echten Perlen. Hamburg. 1857 Semper, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 8. 4858 v. Hessling, Ueber die Ursachen der Perlbildung bei Unio margaritifer. ibid. V. 9. 4858 v. Kölliker, Untersuchungen zur vergleichenden Gewebelehre. in: Verh. d. Phys. Med. Ges. in Würzburg, V. 8. 4858 Rose, Ueber die heteromorphen Zustände der kohlensauren Kalkerde. 2te Abhdlg. in Abh. d. K. Akad. d. Wiss., Berlin. 1859 v. Hessling, Die Perlmuscheln und ihre Perlen. Leipzig. 1859 Huxley, Artikel: Tegumentary organs. in: Todd, Cyclopaedia of ana- tomy and physiology, V. 5 (Suppl. Vol.). +1859 Rainey, On the mode of formation of shells of animals, of bone and several other structures. Referat in Quart. Journ. of Mier. Se. V.7. 1859 Wedl, Ueber die Bedeutung der in den Schalen von manchen Acephalen und Gasteropoden vorkommenden Kanäle. in: Sitz.-Ber. d. Math. Naturw. Kl. d. k. Akad. d. Wiss., Wien V. 23, Jahrg. 1858. 1860 v. Kölliker, Ueber das ausgebreitete Vorkommen von pflanzlichen Parasiten in den Hartgebilden niederer Tiere. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 10. 41860 Voit, Anhaltspunkte für die Physiologie der Perlmuscheln, ibid. 1861 Jones, General outline of the organization of the animal kingdom, London. 1861 Rainey, Some further experiments and observations on the mode of formation and coalescence of carbonate - of -lime-globules and the development of shellstissues. in: Quart. Journ. of Mier. Se. Mit anhangweiser Wiedergabe eines Briefes von Stewart. 4862 Bronn, Kopflose Weichtiere. in: Bronn, Klass. n. Ordn.d. Tierr., V. 3, 1. 1862—1866 Keferstein, Kopftragende Weichtiere. ibid. V. 3, 2. 1863 Bischof, Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie. 2. Aufl. V. 1, Bonn. 1866 Forel, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Najaden. Inaug.-Diss. Würzburg. . 1867 Woodward, S.P., Onthe form, growth and construction of shells. in: The Intelleetual Observer, V. 10 u. 11 und: +Recreative Science, V.2. xXX, 47 738 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 1869 Famintzin, Ueber amylumartige Gebilde des kohlensauren Kalkes. in: Verh. d. naturh. med. Ver. z. Heidelberg, V. 5. 1870 v. Martens, Farben-Abnormität durch Verletzung. in: Nachrichtsbl. d. deutsch. malakozool. Ges., Jahrg. 2 No. 8. 1872 Harting, Recherches de morphologie synthötique sur la production artificielle de quelques formations caleaires organiques. in: Verhandel. d. Koninkl. Akad. v. Weteusch. Derte Deel., Amsterdam. 1872 Stirrup, M., Fungous growth in shells in: Americ. Naturalist, V. 6 und: Proc. of the Liter. and Philos. Soc. of Manchester, V. 11 (1871 —1872). 1373 Clessin, Ueber Missbildungen der Mollusken und ihrer Gehäuse. in: 22. Ber. d. naturhist. Ver. in Augsburg. 1875 v. Ihering, Ueber die Entwicklungsgeschichte der Najaden. in: Sitz.- Ber. d. naturf. Ges. Leipzig, Jahrg. 1874. 13576 Leydig: Die Hautdecke und Schale der Gastropoden. in: Arch. f. Na- turgesch., Jahrg. 42, V. 1. 1877 v. Nathusius-Königsborn, Untersuchungen über nicht celluläre Organismen, namentlich Crustaceenpanzer, Molluskenschalen und Ei- hüllen. Berlin. 1879 Sorby, On the structure and origin of limestones. in: Quart. Journ. of the Geol. Soc. of London, V. 35. 1880 Barfurth, Die „Leber“ der Gastropoden, ein Hepatopancreas. in: Zool. Anz. No. 66. 1830 Longe et Mer, De la formation de la coquille dans les Helix. in: Compt- rend. d. s&anc. de l’Acad. d. Se., V. 90. 1881 Barfurth, Der Kalk in der Leber der Helicinen und seine biologische Bedeutung. in: Zool. Anz. No. 73. 1881 Hazay, Die Molluskenfauna von Budapest, III. Biologischer Teil. in: Malescozool. Bl., N. F., V. 4. 1881 Tullberg, Studien über den Bau und das Wachstum des Hummer- panzers und der Molluskenschalen. in: Kongl. Svensk. Vetensk. Akad. Handl,, N. F., V. 19, 4, 1882, 1881—1885 Zittel, Handbuch der Palaeontologie, Abt. 4, Palaeozoologie, V. 2, München und Leipzig. 1852 Buchanan, On manganese nodules and their oceurrence on the Sea- bottom. in: Rep. of the Brit. Assoc. 1852 Osborn, On the growth of the molluscan shell. in: Johns Hopk. Univ. Cire. Nov. 1882 und: Ann. and. Mag. of Nat. Hist. ser. 5, V.41 und: Americ. Natural., V. 17. 1883a Barfurth, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Gastropodenleber. in: Arch. f. mikr. Anat., V. 22. 1883b Barfurth, Der phosphorsaure Kalk der Gastropodenleber. in: Biol. Centr.-Bl., V. 3. 1883 Frenzel, Ueber die sogenannten Kalkzellen der Gastropodenleber. ibid. 1883 v. Martens, Die Weich- und Schaltiere. Leipzig. 1883 Nalepa, Beiträge zur Anatomie der Stylommatophoren. in: Sitz.-Ber. d. Math. Naturw. Kl. d. K. Akad. d. Wiss., Wien, V. 87, Abt. i. 11883 Osborn, The structure and growth of the shell of the oyster. in: Stud. from the Biol. Labor. Johns Hopk. Univ., V. 2. Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 739 1884 Nalepa, Die Intercellularräume des Epithels und ihre physiologische Bedeutung bei den Pulmonaten. in: Sitz.-Ber. d. Math. Naturw. Kl. d. K. Akad. d. Wiss., Wien, V. 88. 18355 Apäthy, Studien zur Histologie der Najaden. in: Nat. Abh. d. Ungar. Akad., Auszug d. Verf. in: Biol. Centr.-Bl. 1886, Referat nach einem mündlichen Auszug d. Verf. in: Zool. Jahr.-Ber. v. 1886. 4885 Ehrenbaum, Untersuchungen über die Struktur und Bildung der Schale der in der Kieler Bucht häufig vorkommenden Muscheln. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 41. 1885 Fol, Sur l’anatomie mieroscopique du Dentale. in: Compt. rend. d. scanc. de l’Acad. d. Sc., Paris, V. 100. 1855a Müller, F., Untersuchungen über die Bildung und Struktur d. Schalen bei den Lamellibranchiaten. in: Zool. Anz. 1885b Müller, F., Ueber die Schalenbildung bei Lamellibranchiaten. in: Zool. Beitr. v. A. Schneider, V. 1. 1886 Krukenberg, Grundzüge einer vergleichenden Physiologie d. tierischen Gerüstsubstanzen. in: Krukenberg, Vergleichend physiologische Vor- träge, Heidelberg. 1887 Fischer, P., Manuel de Conchyliologie. Paris. 1887 Garnault, Recherches anatomiques et histologiques sur le Cyclostoma elegans. These de la fac. de Paris in: Act. de la Soc. Linn. de Bordeaux, 5 ser., V. 1. 1887 Gibson, Anatomy and physiology of Patella vulgata, Part. 1: Anatomy. in: Transact. of the R. Soc. of Edinburgh, V. 32. 1888 Leydig, Altes und Neues über Zellen und Gewebe. in: Zool. Anz. +1889—1890 Bornet et Flahault, Sur quelques plantes vivant dans le test calcaire des Mollusques. in: Act. du Congres de Botanique de Paris 4889—1890 und: Bull. de la Soc. Bot. de France, V. 36. 1890. Re- ferat in: Nature, V. 43 1891. 4889 Carri&re, Ueber Molluskenaugen. in: Arch. f. mikr. Anat., V. 33. 1889 Dall, On the hinge of Pelecypods. in: Amer. Journ. of Se., 3. ser., V. 38. 1889 Irvine and Woodhead, On the secretion of lime by animals. in: Proc. of the R. Soc. of Edinburgh, V. 15 und: Rep. Labor. R. Coll. Physie. Edinburgh. V. 1. 1889 Steinmann, Ueber Schalen- und Kalksteinbildung. in: Ber. d. naturf. Ges. Freiburg, V. 4. +1889 Tenison-Woods, On the anatomy and life history of Mollusca pecu- liar to Australia. in: Proc. of the R. Soc. of N.-S.-Wales, V. 22. 1890 Irvine and Woodhead, Secretion of carbonate of lime by animals. in: Proc. of the R. Soc. of Edinburgh, V. 16 und: }Rep. Labor. R. Coll. Physie. Edinburgh, V. 2. 1890 Moynier de Villepoix, Sur la refection du test chez l’Anodonte. in: Compt. rend. d. s&anc. de l’Acad. d. Se., Paris, V. 111. 1890 Murray, J., Lesreeifs de corails et les autres formations calcaires des mers modernes. in: Rev. scientif., V. 46, 27e anne. 2e semestre unter dem Titel: Murray and Irvine, Coral reefs and other carbonate of lime formations in modern seas. in: Proc, of the R. Soc. of Edin- burgh, V. 17 1891 (Seitenzahlen hiernach eitiert) und: Nature, V. 42 1890, i 47* 740 Stempell, Bildungsweise u. Wachstum d. Muschel- u. Schneckenschalen. 11890 v. Nathusius-Königsborn, Ueber Struktur und Wachstum der Muschelschalen. in: Corresp. Bl. d. Nat.-Ver. Sachsen u. Thür., Halle. 1890 Rawitz, Der Mantelrand der Acephalen, II. in: Jena. Zeitschr. f£. Naturw., V. 24. 1891 Carpenter, The microscope and its revelations, 7. Ed. by Dallinger. London. 1891 Moynier de Villepoix, Note sur l’accroissement de la coquille chez Helix aspersa. in: Compt. rend. des s&anc. de l’Acad. d.Sc. Paris, V. 418: 1891 Quilter, On the molluscan shell and periostracum. in: Conchologist, V. 1, No. 1, London. 1892 v. Martens, Unio, an welcher ein Stück in der Wirbelgegend abge- sprengt war. in: Sitz.-Ber. d. Ges. naturf. Fr., Berlin, Jahrg. 1893. 71892a Moynier de Villepoix, Sur la r¶tion de la coquille chez l’Helix aspersa. in: Bull. de la Soc. Zool. de France. 11892b Moynier de Villepoix, Sur la mode de production des formations calcaires des Mollusques. in: M&m. de la Soc. de Biol. 1892e Moynier de Villepoix, Recherches sur la formation et l’aceroisse- ment de la coquille des Mollusques. in: Journ de l’Anat. et de la Physiol., 28 annee. 1892 Rawitz, Der Mantelrand der Acephalen, III. in: Jena. Zeitschr. f. Naturw., .V. 27. 1892 Simroth, Einige Punkte aus der Oekonomie des Weichtierkörpers, ein Kapitel über Constitution. in: Leopoldina, Heft 28. 1892—1894 Simroth, Mollusca. in: Bronn, Klass. u. Ordn. d. Tierr. Neue Bearbtg., V. 3, 1. Amphineura und Scaphopoda, Leipzig. 1893 Korschelt und Heider, Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungs- geschichte der wirbellosen Tiere. Spezieller Teil, Heft 3, Jena. 1893 Ryder, Diffuse pigmentation of the epidermis of the Oyster due to prolonged exposure to the light: regeneration of shell and loss of adductor muscle. in: Ann. and Mag. of Nat. Hist. ser. 6, V.11 und: rProe. of the Acad. of N. Se., Philadelphia 1892. 1893 Thiele, Beiträge zur Kenntniss der Mollusken. II. Ueber die Mollusken- schale. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 55. 1894 Bütschli, Vorläufiger Bericht über fortgesetzte Untersuchungen an Gerinnungsschäumen, Sphaerokrystallen und die Struktur von Cellu- lose- und Chitinmembranen. in: Verh. d. Naturhist. medic. Ver. zu Heidelberg, N. F., V.5 H. 3. 1894 Haller, Bela, Studien über docoglosse u. rhipidoglosse Prosobranchier. Leipzig. 1894 Simroth, Bemerkungen über die Morphologie der Scaphopoden. in: Zeitschr. f. Naturwiss., Leipzig, V. 67. 1895 Jacobi, Anatomische Untersuchungen an malayischen Landschnecken. in: Arch. f. Naturgesch., Jahrg. 61. 1895 Moynier de Villepoix, De la formation de la coquille dans les Mollusques. in: Compt. rend. des s&anc. de l’Acad. d. Se. Paris, V. 120. 1895 Simroth, Die Gastropoden der Plankton-Expedition. in: Ergebn. der Plankt.-Exp., V. 2. F. d. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 741 1896 v. Linden, Gräfin, Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung bei den Gehäuseschnecken des Meeres. in: Zeitschr. f. wiss. Zool. V.161., 1896 Simroth, Die Acephalen der Plankton-Expedition. in: Ergebn. der Plankt.-Exp., V. 2, F. e. 14896 Winter, Ueber Chitin-Einlagerungen in Muschelschalen. in: Ber. der naturwiss. Ver. Regensburg, V. 5 (1894—1895). 1897a Stempell, Vorläufige Mitteilung über die Anatomie von Leda suleu- lata Gould. in: Sitz.-Ber. d. Ges. naturf. Fr., Berlin, No. 2. 1897b Stempell, Beiträge zur Kenntnis der Nuculiden,. I, Haut- u. Muskel- system. Inaug.-Diss., Berlin. Abdruck der ganzen Arbeit mit Tafeln in: Zool. Jahrb. Suppl. IV, H. 2 1898. 1898 Bontan, Production artificielle des perles chez les Haliotis. in: Compt. rend. des seanc. de l’Acad. d. Se. Paris, V. 127. 1898 Willecox, Zur Anatomie von Acmaea fragilis Chemnitz. in: Jena. Zeitschr. f. Naturw., V. 32. + 1898 Paravicini, G., Note sulla rigenerazione della conchiglia di alcuni Gasteropodi. in: Atti d. Soe. ital. d. Sc. nat., V.38 und: + 1899 v. Vest, W., Ueber die Bildung und Entwicklung des Bivalven-Schlosses. in: Verh. u. Mitt. d. Siebenbürg. Ver. f. Naturw. Hermannstadt V. 48. 1899 Faussek, Ueber die Ablagerung des Pigments bei Mytilus. in: Zeitschr. f. wiss. Zool., V. 65. 1899 List, Ueber den Einfluss des Lichtes auf die Ablagerung von Pigment. in: Arch. f. Entw. Mech. d. Organism., V. 8 H. 4. 1899a Simroth, Mollusea. in: Bronn, Klass. n. Ordn. d. Tierr. Neue Be- arbeitung, V. 3, Liefrg. 35—38, Leipzig. 1899b Simroth, Referat über „Boutan, Production artificielle des perles chez les Haliotis“. in: Zool. Centralbl., Jahrg. 6. 1899 Steinmann, Ueber die Bildungsweise des dunklen Pigments bei den Mollusken nebst Bemerkungen über die Entstehung von Kalk- karbonat. in: Ber. d. naturf. Ges. Freiburg, V. 11 H. 1. 1899 Stempell, Zur Anatomie von Solemya togata Poli. in: Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ont. d Tn, V.13M 1 Versuche über die Widerstandsfähigheit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Von Dr. L. Reh in Hamburg. In den letzten Jahren ist viel über die Gefährlichkeit der Schild- läuse für den Obstbau geschrieben und geredet worden, ohne dass jedoch die Ergebnisse genauer Untersuchungen zur Begründung der sich oft gerade entgegen stehenden Ansichten herangezogen worden wären. Es geschah dies, meines Wissens wenigstens, aus dem einfachen Grunde nicht, weil derartige Untersuchungen nicht vorliegen. Diejenigen, die die große Gefährlichkeit der Schildläuse behaupteten, stützten sich na- mentlich auf die Erfahrungen, die man in Nordamerika mit der San Jos&-Schildlaus gemacht hat, die bekannter Maßen dem dortigen Obst- 742 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. bau sehr verderblich geworden war, jetzt aber ihren Schrecken so weit verloren hat, dass man sich ihrer beinahe freut. Hat sie doch die amerikanischen Obstzüchter zu mancherlei Behandlungs-Maßregeln ihrer Bäume gezwungen, die sich nachher als im höchsten Grade nutz- bringend für diese erwiesen haben). Hieraus ergiebt es sich schon, was übrigens ja auch sonst immer mehr eingesehen wird, dass es um die Schädlichkeit oder Nützlichkeit eines Thieres ein eigen Ding ist. Ohne mich auf dieses Thema, das an sich ganz gut einmal eine eigene Behandlung vertragen könnte, weiter einzulassen, will ich nur darauf hinweisen, dass jeder dieser beiden Begriffe recht verwickelter Natur ist und sich wohl nicht mit wenigen Worten klar abgrenzen lässt, sondern in jedem einzelnen Falle beson- derer Untersuchung benötigt. So ist z. B. der Tiger durch seine Größe gefährlich, die Schildlaus, die Trichine u. s. w. sind es durch ihre Kleinheit, die sie der Entdeckung so leicht entziehen. So schien mir die verderbliche Thätigkeit der San Jos6-Schildlaus in Nordamerika an sich kein Beweis für ihre Gefährlichkeit überhaupt, und insbesondere auch nicht für eine solche für Europa, speziell für Deutschland. Hierbei würden noch mancherlei andere Punkte zu be- rücksichtigen sein, z. B. ihr Verhalten gegen klimatische und Boden- Einflüsse, gegen die Anbauart des Obstes u. s. w. So außerordentlich schwer diese Seiten der Fragen klar zu stellen sein dürften, so leicht erschien mir dies verhältnissmäßg mit einer anderen. Es ist leicht ersichtlich, dass ein Tier in dem Maße, in dem es gegen äußere Einflüsse empfindlich ist oder physikalischen oder che- mischen Bekämpfungsmitteln erliegt, an Gefährlichkeit verliert, und es lag nahe, namentlich mit letzteren Versuche anzustellen. Die Erfah- rungen, die man mit solchen in Nordamerika gemacht hat, die Er- gebnisse meiner Vorversuche, namentlich aber auch der allgemeinere Wert, den ich meinen Versuchen damit zu geben hoffte, ließen sie mich weiter ausdehnen und Wirkungsweisen anwenden, die für die Praxis wertlos sind, deren Ergebnisse mir aber biologisch von Interesse zu sein schienen. Ich musste mich mit meinen Versuchen auf das Material beschrän- ken, das mir gerade zu Gebote stand, im Winter auf die auf amerika- nischem Obste befindlichen Schildlaus-Arten, im Sommer auf die Arten, die ich der Liebenswürdigkeit der Herren Landes-Oekonomierat Dr. Goethe und Dr. Lüstner in Geisenheim a. Rh. in reichlichstem Maße verdankte, wofür ich ihnen ausserordentlich verbunden bin. Andere konnte ich nur gelegentlich benutzen. Hierdurch war es mir auch nicht möglich, meine Versuche so anzuordnen, dass ich das verschiedene Ver- halten der verschiedenen Arten gegen gleiche Einflüsse hätte unter- 1) v. C. L. Marlatt, U.$S. Dept. Agrie., Div. Ent., Bull. Nr. 29 NS. p.15 u. F.M. Webster, 30th ann. Rep. ent. Soc. Ontario, p. 6. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 743 suchen können. Was sich von solchem ergeben hat, werde ich am Schlusse besprechen. Meine Versuche umfassten folgende Arten: Aspidiotus ancylus Putn. auf amerikanischen Aepfeln u camelliae Sign. auf amerikanischen Aepfeln, n forbesi Johns. r 5 = e perniciosus Curt. „ n ostreaeformis Curt. auf Anfelzweigen aus "Geisenheim a. Rh. pyri Licht. Pisa ostreaeformis Sign. " s Aspidiotus nerii Behe. auf Blättern von Oleunder und Magnolien Lecanium hesperidum L. Parlatoria proteus Curtis auf Apfelsinen von den Mittelmeerländern „ ziyzphi Lucas , » ” ” 3) Mytilaspis fulva Targ.-Tozz. , a Diaspis rosae Sand. auf Rosenzweigen. Alle diese Arten gehören mit Ausnahme des Lecanium zu der Unter- familie der Diaspinen, bei der die Tiere von einem ihnen mehr oder minder fest aufsitzenden Schilde bedeckt sind. Aber zu dieser gehören außer der San Jos&-Schildlaus auch die meisten Schildlaus-Arten, die für besonders gefährlich gelten, die also das größte Interesse bean- spruchen. Ihre Gefährlichkeit wird eben durch die Bedeckung mit einem Schilde erhöht, das namentlich chemischen Mitteln mehr oder minder großen Widerstand entgegen setzt. Leider fehlen meines Wissens noch vollständig Untersuchungen über die chemische Zusammensetzung dieses Schildes. Die Aus- scheidungen der anderen Pflanzenläuse (Wolle der Blutlaus, der Psyl- liden, der Coceinen, Dactylopien u. s. w., Hautpanzer von Orthezia, Ceroplastes u.s. w.) bestehen ja alle aus ziemlich reinem Wachse, das z. B. bei Ceroplastes 54°/, Cereolin (gegen nur 5°, bei dem Bienen- wachs) enthält!). Die Erhärtung der Dorsalhaut bei den Lecanium-Arten soll nach Signoret (Essai p. 30) vorwiegend durch Kalk-Einlagerung stattfinden; doch glaube ich, dass sie mehr Folge reichlicher Chitin- Abscheidung ist. Vom Schilde der Aspidiotus-Arten sagt Marlatt (Seience N. S. Vol. 9 p. 836), dass es aus reinem Wachs bestehe, das durch verschiedenartige Fremdkörper (Staub- und Kohlenteilchen, Baumrinde, Rindenalgen und -Flechten u. s. w. verunreinigt werde. Doch glaube ich, dass auch bei diesem eine Einlagerung von Chitin stattfindet, namentlich bei den festen, zähen und elastischen Schilden der Mytilaspis-Arten. Versuche, die ich mit Schilden verschiedener Arten machte, er- gaben, dass sie über der Flamme nicht schmolzen und sich in Alkohol, Toluol, Chloroform, Terpentin weder in der Kälte noch in der Wärme 4) R.Blanchard, 1883, Les Coceides utiles,. Paris, Baillöre et fils 8° p. 24. ” n ” ” ” ” ” ” ” 744 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. auflösten. Doch werden sie in den drei letzten Stoffen so sehr aufge- hellt, dass ich der Ueberzeugung bin, dass ein Teil von ihnen gelöst wird, wie sie ja auch unzweifelhaft Wachs enthalten. Meine Versuche wurden so angestellt, dass ganze, besetzte Aepfel, oder besetzte Apfelstücke oder endlich Zweig- oder Aststücke den betr. Behandlungsweisen ausgesetzt wurden. Die Aepfel wurden dann frei liegend aufbewahrt, die Apfelstücke in bedeckten Schalen zur Verhinderung der Verdunstung; die Ast- und Zweigstücke wurden nach Erkalten, bezw. Verdunstung der betr. Flüssigkeit mit einem Ende in Wasser gestellt. Die mikroskopische Untersuchung, ob die Läuse tot oder abgestorben sind, nahm ich immer erst nach einigen Tagen vor, aus weiter unten erörterten Gründen. Die Entscheidung, ob Tiere lebend oder tot sind, dürfte wohl selten auf solche Schwierigkeiten stossen, wie bei den Diaspinen. Diese Tiere sind fast unbeweglich. Am Körper selbst sind nur die Hinterleibs-Ringe beweglich; aber die Tiere thun einem selten den Gefallen, sie zu bewegen; selbst auf starke mechanische Reize, Drücken oder Stechen mit der Nadel, Schieben, Stoßen, Umdrehen u. s. w. rea- gieren sie in den seltensten Fällen durch Einziehen oder Ausdehnen des Hinterleibes; chemische Reize, Aetzen mit Säuren, Alkalien, Ein- legen in Alkohol, Glyzerin u. s. w. hatten noch weniger Erfolg. In den vereinzelten Fällen, wo ich den Hinterleib Bewegungen aus- führen sah, konnte ich ja mit Sicherheit darauf schließen, dass die betr. Tiere lebten; falsch aber wäre es gewesen, aus dem Ausbleiben der Bewegungen auf Tod zu schließen. Das einzige bewegungsfähige äußere Organ sind dieSaugborsten. Aber auch diese halten die Tiere fast immer, selbst bei den hef- tigsien Reizen, still. Und wenn sie sie bewegen, weiß man in den meisten Fällen nicht, ob man hygroskopische oder vitale Bewegungen vor sich hat?). Ich glaubte nun Anfangs, den Nachweis, ob die Tiere lebend oder 4) Hier muss ich einer merkwürdigen Beobachtung gedenken. Ich sah einmal einen lebenden Asp. ancylus seine Saugborsten so bewegen, dass die proximale Hälfte völlig ruhig blieb, die distale in einem Knie-förmigen, abge- rundeten Winkel für sich allein Schwingungen ausführte. Meines Wissens sind in den Saugborsten noch keine Weichteile, Muskeln, Sehnen u. s. w. nach- gewiesen; sie sollen nur Chitinstäbe oder -Röhren darstellen. Nach meiner Beobachtung müssten jedoch Muskeln oder Sehnen in ihnen wirken. Diese Ansicht wird auch bestärkt, wenn wir überlegen, wie die Läuse ihre Saug- borsten gebrauchen. In der Ruhe tragen sie sie in einer Schlinge in einem Hautsacke im Körper; aus diesem können sie sie willkürlich herausziehen und in die Gewebe der Pflanzen einbohren; hier tasten sie mit dem Ende der vereinigten Borsten, das sie übrigens auch auseinanderklaffen können, hin nnd her und saugen Zelle nach Zelle aus. Das alles scheint mir doch einen recht komplizierten Muskel- Apparat vorauszusetzen. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 745 tot seien, auf mikrochemischem Wege führen zu können. Ich zer- quetschte die Tiere in 12°/,iger, mit Methylenblau oder neutralem Karmin gefärbter Salpeterlösung!), und untersuchte die Zellen, in der An- nahme, dass sie beim lebenden Tiere ungefärbt bleiben, bezw. sich nur schwach diffus färben würden, beim toten Tiere dagegen Plasma und namentlich Kern deutlich gefärbt würden. Diese Hoffnung wurde nur zum geringste Theile erfüllt. Wohl gelang es mir so, z. Th. auch einfach nach dem Erhaltungszustande der Zellen, bezw. des Protoplas- mas, in einzelnen Fällen die gewünschte Entscheidung zu treffen. In der weitaus größten Mehrzahl der Fälle war dies nicht möglich. Nicht nur, dass sich bei einem und demselben Tiere meistens ein Teil der Zellen färbte, ein anderer nicht; ich musste sogar beobachten, wie bei sicher leberden Tieren die Zellen und Kerne sich stark färbten und bei sicher toten Tieren farblos blieben. Auch die Rhumbler’sche Methode (Zool. Anz. Bd. 16 p. 57), deren Umständlichkeit sie schon für meine Zwecke nicht empfehlens- wert erscheinen ließ, zeigte sich bei der Anwendung nicht zuverlässig. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben und wollte meine Versuche beenden, als, etwa um die Mitte des Novembers 1899, ich durch Zufall zwei Methoden fand, die mich, wenn auch nur in der Mehrzahl der Fälle, zum gewünschten Ziele führten. Die eine der Methoden ist die Beobachtung der Muskeln des Schlundgerüstes, die beim lebenden Tiere nicht selten Zuckungen zeigen. Merkwürdig ist, dass ich diese Zuckungen nur äußerst selten an Läusen, die von einem frischen Pflanzenteil abgenommen waren, beobachtet habe; ließ ich dagegen die abgenommenen Pflanzenteile erst einige Tage alt werden, so traten die Zuckungen leichter auf. Die zweite Methode ist umständlicher, führt aber eher zum Ziele; sie besteht darin, dass man die Läuse so lange vorsichtig presst, bis an irgend einer Stelle die Haut platzt, und der Körperinhalt heraus- tritt. Ist das Tier tot, so bleibt die Wunde als klaffender Spalt offen und, je nach den Umständen, quillt der Körperinhalt gleichmäßig her- vor oder bleibt ruhig stehen. Lebt dagegen die Laus noch, so sucht sie sofort nach dem Nachlassen des Druckes die Wundstelle zu schließen, indem sie die Muskeln an dieser Stelle zusammenzieht. Von Zeit zu Zeit lässt die Kontraktion nach; neuer Körperinhalt quillt hervor, bis eine neue Kontraktion die Wunde wieder schließt. Diese Metode führt öfters zum Ziele, erfordert aber sehr große Uebung zur richtigen Be- urteilung der Verhältnisse; ihre Ergebnisse sind also nicht so sicher als die der ersteren. Der damit verbundenen Grausamkeit halber empflehlt es sich ferner, sie nicht unnötig anzuwenden. 4) Den Hinweis auf diese Methode verdanke ich den Herrn Dr. Z. Kamer- ling, bezw. Prof. Verworn. 746 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. I. Temperaturversuche, Das tierische Protoplasma gerinnt im Allgemeinen bei 445° C. Doch giebt es eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Tieren, die höhere Temperaturen ertragen können, bezw. in solchen leben. Nach unten ist die Widerstandsfähigkeit der Tiere fast unbeschränkt. An Schild- läusen hat man, meines Wissens, noch keine Laboratoriumsversuche angestellt!); die Beobachtung der bei uns einheimischen Arten zeigt, dass sie jede bei uns vorkommende Temperatur ertragen können. In Nordamerika, dem Paradies der eingeschleppten Arten, verhalten sie sich allerdings anders; und gerade an Schildläusen wurden dort in den letzten Jahren eine große Anzahl hübscher Beobachtungen angestellt?). Gegen Kälte verhalten sich danach nicht nur die verschiedenen Arten verschieden, sondern auch dieselbe Art in verschiedenen Gegenden, je nach deren Klima; je wärmer dies im allgemeinen ist, um so eher werden selbst niedrige Kältegrade verderblich; je kälter es ist, um so höhere Kältegrade werden auch ertragen. So ertrug Aspidiotus perni- ciosus Comst. im Winter 1897/98 bei Lebanon Springs im Staate New- York, in 900 Fuß Höhe, eine Temperatur von —34° C. ohne irgend welche Beeinträchtigung. In Albany, Georgia, genügte dagegen schon eine Kälte von —20° C., um alle Läuse dieser Art zu töten. Diaspis pentagona Targ.-Tozz. widerstand in Ohio einer Temperatur von —25° C. und wurde erst bei —29,5° C. getötet; in Georgia erlag sie ebenfalls einer Temperatur von —20° C. Es ist selbstverständlich, dass gerade rasche Temperaturwechsel verhängnisvoll werden. So fand Cooley in Massachusetts am 14. Juni 1898 alle an den Sonnenseiten der Baumstämme sitzende Läuse der letztgenannten Art tot, die an der Schattenseite lebend. Er erklärt diesen Befund aus dem dortigen Klima, in dem die Sonne Tags über sehr heiß brennt, während die Nächte sich beträchtlich abkühlen. a) Kälteversuche. Ich konnte diese nur in sehr geringer Zahl vornehmen. 1. Vom 12. Dez. 1899 4!/, Uhr nachmittags bis 13., 10 Uhr vor- mittags legte ich zwei mit Asp. perniciosus besetzte Aepfel auf das Dach des Stations-Gebäudes in den Schnee. Die Temperatur sank in der Nacht auf —14,5° C. Die Aepfel wurden dann bis zum nächsten Tage in meinem Arbeitszimmer aufgehoben; sie waren braun, weich, wie faul geworden. Alle untersuchten Läuse lebten noch: mehrere zeigten schwache Körperbewegungen, ein Weibchen deutliche Zuckungen der Schlundgerüst-Muskeln. 2. Vom 13. Jan. 1900 4 Uhr nachmittags bis 16. Jan. 10 Uhr 4) Eine Ausnahme bilden die recht interessanten Versuche, die J. Voyle über die Einwirkung hoher Kältegrade auf die Zier von Apfelsinen-Schildläusen anstellte (U. S. Dept. Agrie., Div. Ent., Bull.4, 1884, p. 70—73). 2) v. Bull. U. $. Dept., Div. of Eut., Nr. 17, 20, N. 8. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 747 vormittags wurden je 1 Apfel mit Asp. ancylus und Asp. forbesi auf das Dach gelegt. Das Thermometer sank in einer Nacht auf —14° C., in einer andern auf —12°. Die Aepfel wurden ebenfalls braun und weich, wie faul, und rochen stark nach Ester. Bei der Untersuchung am 17. Jan. lebten die Läuse noch (Muskelzuckungen). 3. Die mit Asp. ancylus besetzte Blüthengrube eines Apfels steckte ich am 3. Febr. 1900 11 Uhr vormittags in einer Glasröhre in eine Kältemischung, in der die Temperatur zuerst —10° C. betrug und bis 230 auf 0° C. gestiegen war; ich ließ das Ganze unberührt in einem ungeheizten Zimmer bis zum 5. Febr. 12!/, Uhr stehen, wobei die Tem- peratur des in der Sonne stehenden Glases auf +4!],° C. gestiegen war. Bei der Untersuchung am 6. Febr. zeigten die Läuse deutliche Zuckungen der Rüsselmuskeln. 4. Einen Apfel mit Asp. perniciosus und eine Apfelsinenschale mit Parlat. proteus legte ich am 6. Febr. 1900 nachmittags auf das Dach und ließ sie liegen bis zum 10. Febr. nachmittags. Am 7. Febr. vor- mittags zeigte das Minimum-Thermometer —9,2° C., am 8. Febr. das Maximum-Minimum-Thermometer —7 +6; am 9. Febr. —7 +3; am 10. Febr. —8 +!/,, am 10. Febr. nachmittags —6 +5. Bei jungen Tieren der ersteren Art und bei einigen der letzteren trat der Körper- inhalt nach Quetschung stoßweise heraus. Die Tiere dürften also noch gelebt haben. Ergebniss. Alle Läuse, auch die wärmeren Klimaten angehöri- gen, wie Asp. perniciosus, forbesi, Parlat. proteus ertrugen die ange- wandte Kälte, selbst wenn ihr Substrat dadurch zu Grunde ging. Sie ertrugen nicht nur die immerhin doch ziemlich tiefe Temperatur von — 14°; sie ertrugen auch die andauernde Abkühlung im 3. Versuche nnd die bis zu 13° betragenden täglichen Temperaturschwankungen im 4. Versuche. b) Versuche mit warmem Wasser. Die Absicht, die mich bei diesen Versuchen leitete, war, nachzuweisen, dass Schildläuse die Be- handlungsmethode, der ein großer Teil des amerikanischen getrockneten Obstes ausgesetzt wird, nämlich Eintauchen in kochendes Wasser oder Ueberstreichenlassen von Dämpfen siedenden Wassers, nicht überstehen können. Dem Biologen ist das ja eigentlich selbstverständlich, dennoch hielt ich diese Versuche aus anderen Gründen für angebracht. Ich hing zuerst Aepfel mit Asp. perniciosus und Apfelsinenschalen mit Parlat. zizyphi 20, bezw. 10 Minuten über siedendes Wasser. Andere Apfelsinenschalen setzte ich nur 3 Minuten den Dämpfen aus und tauchte sie dann noch auf einen Augenblick in das kochende Wasser. Wie nicht anders zu erwarten, waren bei der Untersuchung alle Läuse tot. Die Zellen waren zerstört, das in den Schildläusen reichlich vorhan- dene Fett hatte sich in zahlreichen größeren oder kleineren gelben, klaren Tröpfehen ausgeschieden. 748 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Zwei mit Asp. perniciosus besetzte Aepfel wurden am 17. Febr. 1899 auf 20 Minuten in Wasser von 50°C. gelegt. Am 18. Febr. konnte ich mittelst der Methylenblaumethode noch lebende Läuse nachweisen. Am 24. März 1899 legte ich eine Apfelsinenschale mit Mytilaspis /ulva auf 10 Minuten in Wasser von 59—60° C. Am nächsten Tage erwiesen sich alle Läuse, und, soweit festzustellen, auch ihre Eier als tot. VonErgebnissen kann bei so wenigen Versuchen kaum die Rede sein. Wir können höchstens sagen, dass festgestellt wurde, dass eine Temperatur von 50° C., die also schon höher liegt als die Gerinnungs- Temperatur des Protoplasmas, bei kürzerer Einwirkung die Schildläuse noch nicht tötete, während dies bei 60° geschah. c) Versuche mit trockener Wärme. Hierbei legte ich Aepfel oder Apfelstücke in einen Thermostaten. Da ich diesen nur mit Oel- lämpchen heizen und die Versuche nur neben den laufenden Stations- arbeiten anstellen konnte, war es mir natürlich nicht möglich, die Tem- peratur genau zu regulieren; die Folgen waren kleinere und größere Schwankungen in derselben. Der größte Uebelstand war aber die Klein- heit des Apparates, die zur Folge hatte, dass durch das Oeffnen der Thüre und das Einlegen namentlich größerer Stücke die Temperatur meist zu Anfang des Versuches um ein Beträchtliches sank, worauf also allerlei Rücksichten genommen werden mussten. Im Ganzen habe ich 81 solcher Versuche mit z. Th. mehreren Stücken, mit verschiedenen Temperaturen, von verschiedener Zeitdauer und mit verschiedenen Schildlausarten angestellt. Ich kann natürlich nicht alle Versuche wiederholen oder gar einzeln besprechen, sondern muss gleichartige zusammenfassen. Die niedrigste Temperatur, bei der ich Schildläuse zum Ab- sterben gebracht habe, ist 44—46!/,° C., in einstündiger Einwirkung auf Asp. nerii, die auf Magnolienblättern saßen. Da jedoch dies Er- gebnis, das mit der physiologischen Methode gewonnen ist, den späte- ren widerspricht, möchte ich es mindestens als zweifelhaft hinstellen!). Bei den untersuchten Tieren waren alle Zellen deutlich granuliert, die Kerne mehr oder weniger, meist auch das Plasma gefärbt; die Tiere enthielten viele gelbe Fetttropfen. Bei einem späteren Versuche, bei dem ich die Tiere der oben genannten Temperatur sogar nur !/, Stunde ausgesetzt hatte, erhielt ich die gleichen mikroskopischen Befunde. Ich entnahm daher zur Gegenprüfung der Pflanze frische Tiere und unter- 4) Die Blätter, auf denen die Läuse saßen, waren bei den Versuchen mit dieser niedrigen Temperatur schon seit etwa 14 Tagen von der Pflanze ab- genommen, standen aber im Wasser. Dennoch waren die Läuse, wie wir später bei den Versuchen mit Austrocknen sehen werden, schon z. T. tot; die andern werden so geschwächt gewesen sein, dass ihnen auch diese niedrigen Wärmegrade verhängnisvoll wurden. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 749 suchte sie. Sie verhielten sich ebenso; ihre Kerne färbten sich lebhaft blau. Diese Versuche bedürfen also dringend der Nachprüfung. Bei allen anderen Versuchen, deren Temperatur unter 52° C. blieb, gelang es mir nicht, mit Sicherheit den Tod der Versuchstiere nachzuweisen, meist aber mit Sicherheit, dass wenigstens einige von ihnen lebten. Ich habe 38 solcher Versuche angestellt, je 19 mit der physiologischen und mit der biologischen Methode entschieden. Bei den Versuchen handelte es sich um Asp. ancylus, forbesi und perniciosus, um Asp. nerii und Lecanium hesperidum, um Asp. pyri und Diasp. rosae. Wie gesagt wurden die angewandten Wärmegrade alle über- standen, selbst wenn ich sie verhältnismäßig lange wirken ließ. So hatte ich Apfelstücke mit Asp. ancylus 5/, Stunden der Temperatur von 34—40° (davon 3 Stunden bei 33—40°) ausgesetzt, ein Zweigstück mit Asp. pyri 2 Stunden der Temperatur von 48—50,2°; nach beiden Ver- suchen konnte ich bei den Versuchstieren noch Zuckungen der Rüssel- muskeln, beim ersten auch Bewegungen der Hinterleibs-Segmente be- obachten. Wie ebenfalls schon bemerkt, fanden die Untersuchungen meist erst einige Tage nach dem Versuche statt. Dadurch wurde der Beweis geliefert, dass die Läuse die Einwirkung der Wärme nicht nur augenblicklich, sondern überhaupt ertrugen. Es können die Schildläuse also sicher Temperaturen ertragen, die über dem normalen Gerinnungs- punkte des Eiweißes liegen. Mit Temperaturen bis 52° stellte ich 4 Versuche mit 7 Objek- ten an. Die Ergebnisse waren sich so widersprechend, dass ich sie alle wiederholen will. Je ein Apfelstück mit Asp. ancylus und perniciosus setzte ich am 30. Nov. 1899 45 Minuten lang einer Temperatur von 52—52!/, aus. Am 2. und 5. Dez. untersuchte ich die Läuse. Die ersteren und die meisten der letzteren waren braun, trocken, mit intensiv gelben Fett- tropfen, einige der letzteren waren allerdings selbst am 5. Dez. noch gelb und weich, alle aber durchaus unbeweglich, ihre Zellen zer- fallen. Sie waren also wohl sicher tot. Amd. Dez. 1899 setzte ich je ein Apfelstück mit Asp. forbesi und perni- ciosus der Temperatur von 51,2—52,2 ebenfalls 45 Minuten aus. Einige der ersteren bewegten ihre Hinterleibssegmente noch ganz von selbst, die letzteren blieben aber auch auf Reiz durchaus unbeweglich; alleihre Zel- len waren stark granuliert. Während also jene sicher noch lebten, waren letztere höchst wahrscheinlich tot, wie beim vorhergehenden Versuche. Am 3. Mai 1900 setzte ich Zweigstücke mit Asp. pyri, die aller- dings schon ziemlich trocken waren, 2 Stunden der Temperatur von 50,1—52° aus. Bei den Untersuchungen am 5. und 7. Mai waren die Läuse mehr oder weniger vertrocknet; einige sahen jedoch noch ziem- lich frisch aus. Bewegungen waren aber keine zu beobachten. Sie dürften also tot gewesen sein. 750 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Am 8. Mai 1900 setzte ich Zweigstücke mit Asp. pyri und Diasp. ostreaeformis 2 Stunden lang der Temperatur von 50—52° aus. Die letzteren waren sicher tot und ganz braun, während sie im Leben fleischrot sind. Von den ersteren sahen einige wie lebend aus, und in einem Individuum bewegten sich in einer Cyste eine Anzahl Nematoden lebhhaft in schlängelnder Weise. Es haben also eine Temperatur von ungefähr 52° C. Asp. Jorbesi sicher °/, Stunde lang ertragen, ein Teil von Asp. pyri wahrscheinlich, sicher aber die in einem parasitierenden Nematoden sogar 2 Stunden lang. Asp. ancylus und perniciosus konnten die ?/,stündige Temperatur von dieser Höhe nicht ertragen. Ob Diasp. ostraeformis auch schon bei kürzerer Frist, als 2 Stunden, absterben würde, muss noch unter- sucht werden. Mit Temperaturen bis 53° habe ich 7 Versuche mit 8 Objekten angestellt. Beim ersten Versuche setzte ich Asp. perniciosus 2 Stunden lang 47—53° aus, wonach Erwachsene wie Larven abgestorben waren; dasselbe Ergebnis hatte ich bei 1’/,stündiger Einwirkung von 47—53°, während ich nach 1stündiger Wirkung derselben Wärmegrade nach der physiologischen Methode die Läuse noch für lebend hielt. Die Asp. ‚Forbesi starben dagegen nach I1stündiger Einwirkung von 51,6—53,5°, während sie nach halbstündiger von 51—53,2°, bezw. 52,6—53.2° durch pulsierende Bewegungen der Eingeweide, bezw. Zusammenziehungen der Hinterleibssegmente bewiesen, dass sie noch lebten. Von Asp. pyri und Diasp. ostreaeformis, die 2 Stunden in 50-55° gehalten wurden, waren bei den, allerdings erst 9 bezw. 12 Tage später vorgenommenen Untersuchungen, die meisten Läuse sicher tot; bei einigen konnte ich keine Entscheidung treffen. Mit Temperaturen bis 54° machte ich 6 Versuche mit 7 Objekten. Asp. ancylus hielt 53,6—54,2° 30 Minuten, 53,5—54° 40 Minuten lang aus; die Bewegungen der Rüsselmuskeln, bezw. der Borsten waren 3, bezw. 2 Tage nach dem Versuche sogar noch recht lebhaft. Auch Asp. forbesi und Asp. pernieiosus überstanden die 25 Minuten dauernde Einwirkung von 53,8— 54,1°, wenn auch ihre Bewegungen nachher kaum noch sichtbar waren. Letztere Art war aber abgestorben, als ich sie 43—54° 3 Stunden lang ausgesetzt hatte. Asp. pyri starb ebenfalls nach 2stündiger Einwirkung von 51,2—54°. Parlat. proteus auf Apfel- sinenschale wurde 53,4—54,1° !/, Stunde lang ausgesetzt; undeutliche Rüsselmuskelzuckungen bei einem Weibchen und krampfhafte Körperzu- sammenziehungen bei einem Männchen zeigten, dass die Tiere noch lebten. Es wurde also die Temperatur von 54° bis zu 40 Minuten lang er- tragen; bei zwei- und mehrstündiger Einwirkung derselben starben die Tiere ab. Versuche mit Temperaturen bis 55° habe ich 7 angestellt mit 9 Objekten aus den Arten: Asp. ancylus, forbesi, perniciosus, Diasp. Kathariner, Ergänzung und Erwiderung. 751 ostreaeformis; die Versuche dauerten 70—20 Minuten. Bei allen, die mehr als 20 Minuten währten, 2 davon 22 Minuten, waren die Läuse sicher getötet; bei dem Versuch von 20 Minuten (54—55°), mit Asp. ancylus, fand sich bei der Untersuchung nach 2 Tagen noch ein Weib- chen, das zwar durchaus unbeweglich blieb und viele gelbe Fetttropfen enthielt, sonst aber noch sehr frisch aussah. Die übrigen Läuse die- ser Versuchsreihe waren meist braun geworden und mehr oder weni- ger vertrocknet; die Zellen erwiesen sich entweder als zerfallen oder als stark granuliert und nahmen das Methylenblau begierig auf. Nach den Versuchen über 55°, die ich bis 64° ausdehnte, und 5 Minuten bis 2!/, Stunden anderen ließ, erwiesen sich alle Läuse bei der Untersuchung als tot. Die Befunde waren ähnlich wie eben be- schrieben; nur hatten das Vertrocknen und der Zerfall der Zellen einen je nach Temperatur oder Dauer des Versuchs höheren Grad erreicht; die Tiere waren oft so hart geworden, dass man sie nicht mehr zer- quetschen konnte; ihr Inhalt war mehr oder weniger formlos; dagegen traten die intensiv gelben, oft zu großen Tropfen zusammengeflossenen Fetttröpfehen um so stärker hervor. Zusammenfassung. Schon bei 52° C. sind einige Läuse nach 3/,stündiger Wirkung abgestorben, die höhere Temperaturen z. T. von noch längerer Dauer ertrugen. Hier müssen entschieden individuelle Umstände mitwirken. Im Allgemeinen wird man sagen dürfen, dass 54—55° das Maximum darstellt, das die Schildläuse ertragen können. Während sie bei 54° nach 40 Minuten abstarben, gingen sie bei 55° schon nach 22 Minuten zu Grunde. Ob sie erstere Temperatur noch längere Zeit, letztere vielleicht für kürzere Zeit ertragen können, bleibt noch zu untersuchen. Eine verschiedene Empfindlichkeit der verschiedenen Arten ist aus den an Zahl immerhin geringen Versuchen nicht ersichtlich. (Zweites Stück folgt.) Ergänzung und Erwiderung. Von Dr. L. Kathariner in Freiburg (Schweiz). Gelegentlich der Besprechung der Kräfte, durch welche das Gift aus der Giftdrüse der Schlangen ausgepresst wird!), hatte ich bezüglich der seitherigen Darstellungen geäußert, dass man aus ihnen keinen richtigen Einblick in die thatsächlichen Verhältnisse erlange. Dem muss ich nun berichtigend hinzufügen, dass Leydig?) ausdrücklich bemerkte, dass die Giftdrüse keine eigene Muskulatur besitze, sondern in einer taschenartigen Verbreiterung des Lig. zygomaticum liege. Weiter seien einige Worte der Erwiderung den „Ergänzungen“ des Herrn Thilo?) gewidmet. Gegenüber dessen erster Darstellung *) hatte 1) Biol. Centralbl., Bd. XX, S. 52. 2) Ueber die Kopfdrüsen einheimischer Ophidier. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 9, 1873. 3) Biol. Centralbl., Bd. XX, Nr. 13. 4) Biol. Centralbl., Bd. XIX, S. 509. 7529 Kathariner, Ergänzung und Erwiderung. ich festgestellt, dass ihr 1. eine falsche Vorstellung vom Beissakte der Giftschlangen, 2. eine unrichtige Wiedergabe der anatomischen Verhält- nisse zu Grunde liege. Bezüglich des ersten Punktes hat sich Herr Thilo stillschweigend meiner Meinung angeschlossen. Während in der ersten Abhandlung nur von einem „Druck gegen den Zahn“ die Rede war und vom Quadratum gesagt wurde, dass es „nur beim Aufrichten und Niederlegen des Zahnes zur Verwendung gelange“ geht Herr Thilo jetzt auch von der Vor- stellung aus, dass der Giftzahn auf Zug beansprucht werde und nimmt daher jetzt das Quadratum als wichtigsten Teil des Gesperres gegen Zug- kraft in Anspruch. Letztere Auffassung steht zur meinigen in keinerlei Widerspruch, sondern bildet dazu eine Ergänzung. Ob gelegentlich auch einmal der Giftzahn einem Druck in der beim Beissakt anderer Tiere üb- lichen Weise zu widerstehen hat, will ich dahin gestellt sein lassen. Dass die Kreuzotter, wenn sie in sinnloser Wut gegen eine Glasscheibe stößt, sich eine blutige Schnauze holt, beweist natürlich nicht im Mindesten, dass beim Beißen auf den Zahn sehr häufig ein Druck ausgeübt wird, wie dies Herr Thilo glaubt. Meiner zweiten Ausstellung, dass die anatomischen Verhältnisse un- richtig wiedergegeben seien, hält T'h. entgegen, dass in einer mechanische Verhältnisse betreffenden Abhandlung „entwicklungsgeschichtliche Einzel- heiten gar nicht am Platze seien“. Auf solche bin auch ich nicht im Mindesten eingegangen, sondern habe nur die morphologisch und m.E. auch mechanisch selbständigen Teile als solche behandelt. Wenn Herr Th. die Verbindung zwischen Quadratum und Oberkiefer in mechanischer Hinsicht als aus einem Stücke bestehend ohne weiteren Beweis auffassen zu dürfen glaubte, so war es gerade deswegen „durchaus unrichtig“, dafür den Namen eines Knochens — Gaumenbein — zu wählen, der gar nicht in dieser durch Transversum und Pterygoid gebildeten Reihe liegt. Nachträglich scheint Herr Th. das selbst entdeckt zu haben, da in den „Ergänzungen* nur mehr von einem „Knochen c“ gesprochen wird. Um Herrn Thilo zu zeigen, zu welchen Begriffsverwirrungen seine erste Abhandlung bei „Nichtanatomen“ geführt hat, verweise ich ihn auf ein Referat über dieselbe in den „Stimmen aus Maria Laach“, V. Heft, 1900, 8. 587: „Auch die langen, hohlen Giftzähne der Schlangen werden beim Beißen durch eine eigene Vorrich- tung festgestellt. Dieselbe bildet eine aus fünf Knochen bestehende Kette, von Hann jedoch nur drei zur eigentlichen Sperrvorrichtung gehören in daher ein dreiteiliges Gesperr darstellen. Der Zweck desselben ist, die Muskelarbeit des Tieres beim Eindrücken des Zahnes in die Wunde zu unterstützen!), während die zwei übrigen Knochen der Kette das Gaumenbein in seiner Lage halten!) und das Abbrechen des Zahnes verhindern“. Auf Einzelheiten einzugehen, halte ich für überflüssig, Wer die beiden Arbeiten Thilo’s und die meinige liest, wird finden, dass T'h.’s zweite Arbeit eine Berichtigung seiner ersten und teilweise eine Ergänzung der meinigen darstellt. [86] 4) Von mir gesperrt. ans von Arne Georgi in Leipzig. - = Der A k. bayer. Hof- und Univ. -Buch- druckerei von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Oentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. E. Selenka Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der lee in na Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. xx. Band. 15, Desomner 1900: Nr. 2 u. 24. Inhalt: Strasburger, Versuche mit diöeischen Eilansen’ in Rücksicht auf Geschleenler verteilung. (Schluss.) — Möbius, Nachträgliche Bemerkungen über Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche, — Minchin, The Porifera, Eine neue zusammenfassende Darstellung der Schwämme, — Korotnefl, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. — Reh, Versuche über die Widerstands- fähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse, (Schluss) — Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae). Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Von Eduard Strasburger. (Schluss.) So stimmen denn diese Versuche mit den Ergebnissen der von Heyer!) und von Fisch?) angestellten Kulturen, die sich besonders auf Mercurialis und Cannabis bezogen und ebenfalls an den extremsten Standorten durchgeführt wurden, überein. Bei hinreichend hohen Zahlen glichen sich die Abweichungen stets aus. Bei Fisch, der, wie schon erwähnt wurde, mit einer einzigen Hanfrasse operierte, und sehr viel Exemplare stets gleichzeitig abzählen konnte, waren die Abweichungen nicht einmal bedeutend. Selbst die Hanfkümmerlinge auf Sand ergaben auf 465 Männchen 699 Weibchen, was einem Verhältnis von 100 Männ- chen zu 150,3 Weibehen entsprach und von der Gesamtdurchsechnitts- zahl aller Versuche, die 100 zu 154,23 betrug, nur wenig abwich. Hingegen ist von H. Hoffmann ein Einfluss der Ernährung auf das Geschlecht der Keimpflanzen in bestimmten Fällen direkt be- hauptet worden). Bei Mercurialis und bei Lychnis erhielt Hoff- mann in Dichtsaat, somit, wie er hinzufügt, bei schlechter Ernährung, Melzc.p. 158. 2). 12 6,9.141, 3) Ueber Sexualität. Bot. Zeitg., 1885, Sp. 145 ff., 161 ff. xXX, 48 754 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). etwas mehr Männchen als Weibehen. Noch mehr soll unter solchen Verhältnissen die Zahl der Männchen bei Rumex Acetosella und bei Spinacia oleracea!) dominiert haben. Doch gegen die Hoffmann’schen Schlussfolgerungen ist erstens zu bemerken, dass sie sich innerhalb mehr als bescheidener Zahlenverhältnisse bewegten, zweitens, dass Diehtsaaten einen Fehler in sich schließen, der eine ganz besondere Ueberwachung verlangt. Bei Dichtsaaten geht im allgemeinen eine größere Anzahl von Individuen zu Grunde und zwar kann das eine Geschlecht dann besonders betroffen werden. Aus den Angaben von Fr. Haberlandt?) folgt unmittelbar, dass beim Hanf unter ungünstigen Entwicklungsbedingungen das männliche Geschlecht vornehmlich leidet. Fr. Haberlandt ließ Hanfsamen zwischen Flanell ankeimen und pflanzte die Keimlinge in vier aufeinander folgen- den Tagen aus, im ganzen 1000 Stück. Aus den am ersten Tage aus- gepflanzten Individuen entwickelten sich mehr Männchen, aus den an den letzten drei Tagen ausgepflanzten, mehr Weibchen. Die Sterblich- keit der ausgepflanzten Keimlinge stieg vom ersten bis zum vierten Tage von ca.13 bis auf ea. 70°/,. Die Zahl der sterbenden Männchen nahm somit, allem Anschein nach, von Tag zu Tag zu. Entgegen der Hoff- mann’schen Behauptung war denn schon Fr. Haberlandt?°) zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Hanf weder Düngung noch Anbau- zucht das Geschlecht der Pflanzen zu beeinflussen vermöge. Es schien ihm daher die Behauptung nicht zu gewagt, dass das Geschlecht der werdenden Pflanze bereits im Keime des Samenkorns vorgebildet sei. In den Versuchen von Fisch?) blieben Dichtsaaten des Hanfes, soweit als sie noch die Entwicklung aller Individuen zuließen, ohne allen Einfluss auf das Zahlenverhältnis der Geschlechter. Leydhecker’) konnte den Haberlandt’schen Ergebnissen auch schon die weitere Angabe hinzufügen, dass die Zeit des Anbaues, ob frühe oder späte Aussaat, auf die Geschlechtsbildung keinen Einfluss übe. Andererseits meinte Leydhecker freilich, dass der Kraftzustand des Bodens das weibliche Geschlecht fördere. Dem musste Fr. Haberlandt°) wiederum entgegentreten, als er vergleichende Versuche auf sehr stark gedüngtem Boden anstellte. Von den 6282 erzielten Pflanzen waren 54,46°|, Weibchen und 45,54%], Männchen. Die älteren Versuche hatten ihm 54,03%, Weibehen und 45,97%, Männchen ergeben. Fr. Haberlandt stellte bereits fest, dass die Sortierung des Hanfsamens nach der Größe und dem spezifischen Gewicht, ohne Ein- 1). 02 Sp..165. 2) Fühling’s landw. Zeitung, 1877, p. 881. 3) Wiener landw. Zeitg., 1869, Nr. 3. 2) 17 629.139: 5) Landw. Wochenbl. d. k. k. Ackerbauministeriums, Wien, 1870, p. 209. 6) Fühling’s landw. Zeitg., 1877, p. 831. Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 755 fluss auf das Zahlenverhältnis der Geschlechter bei der Ernte sei !). Diese Versuche schienen geboten, da von Autenrieth und Mauz das Gegenteil behauptet worden war)? und diese Meinung sich unter den Gärtnern und Samenzüchtern verbreitet hatte. So auch konnte Fisch erweisen, dass das Alter des Samens auf das Geschlecht der Hanfpflanzen keinen Einfluss übe?). Ich selbst entnahm die Samen zu bestimmten Aussaaten, die dann im nächstfolgenden Frühjahr aus- geführt wurden, am 25. September und 25. Oktober 1891, einerseits einzelnen sehr kräftigen, andererseits einzelnen besonders schwachen Hanfpflanzen. Die Samen jeder einzelnen Pflanze wurden besonders ausgesäet. Das Ergebnis war: M W Aus Samen, die einer kräftigen Pflanze am 25. en entnommen waren . . 99 119 Aus Samen, die einer kräftigen Pflanze am 25. Oktober entnommen waren“... tete) 98 Aus Samen, die einer schwachen Pflanze am 25. Sep- tember entnommen waren . 64 12 Aus Samen, die einer sehr schwachen Pflanze“ am 1 25. Ok- tober entnommen waren . . . 29 235 Das gegenseitige Verhältnis der Männchen zu an Weibchen schwankte somit nur wenig und entfernte sich nicht auffällig von der Heyer’schen Durchschnittszahl von 100 Männchen auf 116 Weibchen für die näm- liche Art. Zum mindesten waren die Schwankungen nicht größer als sie für Zählungen, die an einer so geringen Zahl von Individuen vorgenommen wurden, zulässig sind. Meine frühere Erfahrung *), dass es möglich sei einem Pflanzen- teil Klemmen anzulegen, die ihn bis auf die Wasserbahnen zusammen- drücken, ohne dass er welke, bestimmte mich zu einem weiteren Versuch. Sollte mangelhafte Ernährung von Einfluss auf das Geschlecht sein, so könnten eventuell solche Klemmen an blütenbildenden Sprossen weiblicher diöcischer Pflanzen die Bildung männlicher Blüten veran- lassen. Ich brachte daher an kräftige Sprosse weiblicher Dryonia dioica- Stöcke, in etwa 10 em Entfernung von der fortwachsenden Spitze, Klemmen an, durch welche der Spross bandartig abgeflacht wurde. Das verlangsamte zwar, verhinderte aber nicht das Wachstum dieser Sprosse. Ich entfernte dann auch die an diesen Sprossen sich ent- faltenden Blätter und erreichte damit schließlich, dass ihre Blüten nicht mehr fertig gestellt, ihr Wachstum schließlich ganz sistiert wurde. Doch eine Bildung männlicher Blüten an Stelle der weiblichen erreichte ich auf diesem Wege nicht. Dabei verlängerten sich manche der so geklemmten Sprosse bis auf 50 cm Länge über der geklemmten Stelle. 1) Wiener landw. Zeitg., 1869, Nr. 3. 2) Vergl. Flora, 1822, Bd. II, vierte Beilage, p. 50. 3) Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1887, p. 13 4) Ueber den Bau und die Verrichtung der Leitungsbahnen in den Pflanzen, 1891, p. 604, 4 g B% 756 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). Vor kurzem will nun Marin Molliard!) auch gefunden haben, dass bei Mercurialis annua die Temperatur der Umgebung von Ein- fluss auf die Geschlechtsverteilung sei. Er benutzte Samen von Stöcken, die, wie er angiebt, unter ungleichen Bedingungen gewachsen waren, und säete sie in sieben getrennten Quadraten, am 18. April und am 25. Juni 1898, aus. Die Entwicklung vollzog sich in dem nämlichen Boden, doch bei sehr verschiedener Luftwärme. Für die erste Kultur entsprach ihr Mittel einer Temperatur von 12° C, für die zweite einer solchen von 18,5° C. In der ersten Kultur erhielt Molliard auf 100 Männchen 86 Weibchen, in der zweiten auf 100 Männchen 99 Weibchen. Zwar schwankten auch andere Bedingungen von einer Kultur zur anderen, doch glaubt Molliard nicht, dass sie den- selben Einfluss wie die Temperatur ausgeübt hätten und er schließt, dass die Wärme bei Mercurialis die Bildung der Weibchen fördere. Für Cannabis meinteMolliard?) „durch vergleichende Versuche“ kurz zuvor gezeigt zu haben, dass die Temperatur ohne Einfluss auf das Geschlecht sei. Also würde sich Mercurialis annua anders verhalten. Nun aber heißt es bei Heyer?) ausdrücklich, dass höhere Temperatur keine Wirkung auf das Zahlenverhältnis der Geschlechter bei Mer- curialis ausübe. Das 21. Tausend Pflanzen, das Heyer am 6. Ok- tober geerntet hatte, zeigte „dieselbe Verteilung der Geschlechter, wie die übrigen im Anfang des Sommers ausgerauften 20 Tausend. Das 21. Tausend gehörte aber der 2. Generation desselben Sommers an, deren Entstehung jedenfalls auf die während des Juni stattgefundene Befruchtung zurückzuführen ist und die somit aus Samen entstanden war, die während der heißen Tage des Sommers zur Reife gelangten. — Das gesetzliche Verhältnis der Geschlechter bleibt demnach in den verschiedenen Jahreszeiten dasselbe“. Auch die im Warmhaus kulti- vierten Mercurialis ergaben Heyer *) negative Resultate. „Weder die verschiedenen Bodenarten noch die hohe Temperatur waren im stande gewesen, die Entstehung eines der beiden Geschlechter zu begünstigen“. Wie kommt also Molliard zu dem anders lautenden Ergebnis? Da lässt sich zunächst bemerken, dass die Aussaat vom 18. April, 1894 Männchen und 1637 Weibchen, die am 25. Juni, 2019 Männchen und 1999 Weibchen lieferte. Da Molliard nicht angiebt, für die zweite Aussaat mehr Samen als für die erste verwandt zu haben, ja aus seiner Schilderung vielmehr sich schließen lässt, dass beide Aus- saaten einander glichen, so ist das Fehlen von 487, also etwa eines 4) De V’influence de la temperature sur la determination du sexe. Comptes rendus de l’Acad. Paris, 1898, T. 127, p. 669. 2) De l’hermaphroditisme chez la Mercuriale et le Chauvre. Revue gen6- rale de Botanique, T. X, 1898, p. 333. 3) 1.02 P.28. AN)... c: 9.89. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 757 Siebentels der Pflanzen in der ersten Ernte, doch wohl nur dem Um- stand zuzuschreiben, dass mehr Individuen bei derselben zu Grunde gingen. Dass die beiden Geschlechter einer diöeischen Pflanze von der Ungunst der Verhältnisse verschieden betroffen werden können, haben wir aber zuvor schon erfahren. Die Zahl der von Molliard geernteten Individuen ist auch nicht hoch genug, um die durch bloßen Zufall veranlassten Ergebnisse auszuschließen. Hat doch Heyer aus- drücklich für Mercurialis hervorgehoben, dass erst bei der Zählung von 14000 Pflanzen das Verhältnis zwischen weiblichen und männ- lichen Individuen anfing konstant zu werden !), So bedeutend ist außerdem der: von Molliard in seinen beiden Aussaaten erhaltene Unterschied im Zahlenverhältnis der Geschlechter nicht, als dass er zu einer endgiltigen Schlussfolgerung berechtigt hätte, er konnte höchstens nur zur Wiederholung der Versuche anregen. So wie die Verhältnisse zunächst liegen, hätten diese sehr wohl mit entgegen- gesetzten Ergebnissen abschließen können. Wie stark im einzelnen die Schwankungen sein können, haben ja auch die verschiedenen Mol- liard’schen Quadrate ergeben, und bei dem ersten Versuch liegt sogar ein Quadrat (3) vor, das 207 Weibchen auf 192 Männchen, also 108 Weibchen auf 100 Männchen aufweist, während in der zweiten Aussaat in einem Quadrat (1) 325 Männchen nur 283 Weibchen gegen- überstehen, wo somit nur 87 Weibehen auf 100 Männchen entfallen. Ein schlagender Beweis für den Einfluss der Temperatur auf das Ge- schlecht würde sich erst aus wiederholten Versuchen, bei Ausschluss aller anderen Möglichkeiten, ergeben, und müsste weit stärkere Dif- ferenzen aufweisen, oder in weit höheren Zahlen sich bewegen, um überzeugend zu wirken. Inzwischen liegt die Sache aber so, dass wenn man einerseits die Männchen, andererseits die Weibchen der beiden Molliard’schen Versuche addiert, man ein Verhältnis der beiden Geschlechter von 107,6 männlichen auf 100 weibliche Pflanzen erhält, während bei Heyer auf 40000 Exemplare sich erstreckende Zählungen 100 weibliche Pflanzen zu 105,86 männliche ergaben. Greife ich aus der Tabelle der Heyer’schen Abhandlung ?), welche das Geschlechts- verhältnis der Mercurialis annua in den aufeinander folgenden Zäh- lungen uns vorführt, einerseits das 12., 13. und 14. Tausend, anderer- seits das 15., 16. und 17. Tausend heraus und addiere die Männchen und Weibchen, so erhalte ich 1495 Männchen zu 1505 Weibchen und 1528 Männchen zu 1472 Weibchen. Das ergiebt für das erste Drei- tausend auf 100 Männchen 100,06 Weibchen, für das zweite auf 100 Männchen 96,33 Weibehen. Und doch handelte es sich um Pflanzen die zu gleicher Zeit geerntet wurden und von denen es heißt, dass sie übereinstimmend auf sehr sonnigem, gut gedüngtem Boden gewachsen Del ep. 19. 2) 1... p. 17. 758 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). seien. Zusammenaddiert ergeben diese sechs Tausend Pflanzen ein ‘Verhältnis von nur 101,5 Männchen auf 100 Weibchen, ein Verhältnis, welches somit noch immer um 4,3 Männchen unter der Mittelzahl bleibt. Diese wurde, wie ich schon hervorhob, erst konstant, also der Mittelzahl entsprechend, als Heyer’s Zählungen das vierzehnte Tausend überschritten hatten. Ich griff soeben sechs aufeinander folgende Tausende aus der Heyer’schen Tabelle heraus; bei einer willkürlicher getroffenen Wahl der Tausende hätte ich leicht auch ganz ähnliche Kombinationen erlangen können, wie sie Molliard aus seinen Kulturen gewann. Um das zu illustrieren, möchte ich beispielsweise noch hin- zufügen, dass die Summierung des 3., 4., 7. und 19. Tausend der in der Heyer’schen Tabelle angeführten, unter gleichen Bedingungen aufgewachsenen Pflanzen 2164 Männchen zu 1836 Weibchen ergiebt, also nur 84,3 Weibehen auf 100 Männchen, ein Ergebnis, das über das der Molliard’schen Frühjahrskultur noch hinausgeht. Im Jahre 1893 versuchte ich auch die Beantwortung der Frage, ob nicht die Nachkommen der unter extremen Bedingungen erzogenen Pflanzen eine Verschiebung des gewohnten Zahlenverhältnisses der Geschlechter aufweisen würden. Zu diesem Zwecke säete ich im Sommer Melandrium album einerseits auf sehr guter Gartenerde, andererseits in reinem Sande aus. Die Aussaat erfolgte im Freien und in beschränkterem Maße auch in Blumentöpfen. Im Frühjahre 1894 zeigten sich die im Gartenboden erwachsenen Stöcke sehr üppig entwickelt und standen dicht gedrängt an einander. Nur wenig zahl- reich und schwach waren die Exemplare auf Sand. Da in beiden Fällen die gleiche Zahl Samen ausgesäet worden war, musste die Mehrzahl der Samen im Sande nicht gekeimt haben; auch ging weiter- hin eine größere Anzahl von Keimlingen noch zu Grunde. Nunmehr wurden Bestäubungen ausgeführt einerseits zwischen den kräftigsten Pflanzen und denschwächsten Pflanzen der beiden Kulturen unter einander, andererseits der kräftigsten Pflanzen der einen Kultur durch die schwächsten der anderen und umgekehrt. Ueber dem 4m langen und 2,6 m breiten Raume, auf dem die Pflanzen wuchsen, hatte ich zur Zeit der Versuche Gaze spannen lassen. Eine Mauer und Bretterwände bildeten den seitlichen Abschluss. Die Wirksamkeit dieses Abschlusses stand unter dauernder Kontrole. Die ersten Bestäubungen wurden am 3. Juni vorgenommen, die weiteren folgten von Tag zu Tag. Die Aus- saat erfolgte im September in gewöhnlicher Gartenerde. Die im Jahre 1895 erfolgte Feststellung der Zahlenverhältnisse der Geschlechter er- gab für die Nachkommen kräftiger Weibchen, die mit kräftigen Männ- chen bestäubt worden waren, auf 100 Männchen 133,3 Weibchen. für die Nachkommen schwacher Weibchen, die Pollen von schwachen Männchen erhalten hatten, auf 100 Männchen 137,8 Weibehen; für die Nachkommen kräftiger Weibchen mit schwachen Männchen auf Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 759 100 Männchen 128 Weibchen, für die Nachkommen schwacher Weib- chen mit kräftigen Männchen auf 100 Männchen 132 Weibchen. Ge- erntet wurden im ersten Falle 66 Männchen und 88 Weibchen, im zweiten 105 Männchen und 142 Weibchen, im dritten 57 Männchen und 73 Weibchen, im vierten 50 Männchen und 66 Weibchen. Das Ergebnis dieses Versuches lässt sich wohl dahin zusammen- fassen, dass ein Einfluss extremer Ausbildung der Eltern auf das Zahlenverhältnis der Geschlechter der Nachkommen nicht besteht. Dass die Weibchen etwas zu stark in diesen Versuchen hervortraten, erklärt sich einfach aus dem Umstande, dass die männlichen Stöcke von Melandrium im Winter nachweislich stärker leiden. Würde etwa die kümmerliche Entwickelung im Sande die Fähigkeit der Individuen, ihr eigenes Geschlecht zu reproduzieren, herabsetzen, so hätte die Bestäubung der schwachen Weibchen durch kräftige Männchen be- sonders viel Männchen, die umgekehrte Bestäubungsart, besonders viel Weibchen ergeben müssen, was durchaus nicht der Fall war. Von einem auflallend kräftigen Weibchen, das durch ein über die Maßen schwaches Männchen bestäubt worden war, säete ich den Inhalt der Kapsel besonders aus und erntete 7 Männchen und 8 Weibehen. Ebenso erzog ich besonders die Nachkommen einer weiblichen Pflanze, die aus dem Boden gehoben, samt ihrer einzigen aus einer einzigen Blüte, die durch ein sehr kräftiges Männchen bestäubt worden war, hervor- gegangenen Frucht nur zwei Gramm wog. Das Ergebnis waren 7 Männchen und 7 Weibchen. Eine zweite der vorhergehenden fast völlig gleichende Pflanze ergab mir aus ihrer einen Frucht 9 Männ- chen und 14 Weibchen. Im Jahre 1896 wurde dieser Versuch noch einmal wiederholt. Wiederum erzog ich einerseits sehr kräftige Exemplare auf fruchtbarer Gartenerde und andererseits sehr schwache auf Sand und bestäubte die kräftigsten Stöcke durch die schwächsten und umgekehrt. Die Aussaat erfolgte im September, während des Winters wurden die Pflanzen vor stärkerem Frost geschützt. Die Ernte im Jahre 1897 ergab: aus kräftigen Weibchen und schwachen Männchen 364 männ- liche und 472 weibliche Pflanzen, somit 100 auf 129,6; aus schwachen Weibchen und kräftigen Männchen 286 männliche und 358 weibliche Pflanzen, somit 100 auf 125,1. Ein von Fisch!) angestellter, hier anzuschließender Versuch, hatte das nämliche Ergebnis. Fisch säete den Samen seiner auf sterilem Sandboden erzogenen Hanfpflanzen aus und erzielte auf 80 Männchen 125 Weibchen, also entsprechend der für seine Hanf- rasse gültigen Durchschnittszahl von 100 Männchen auf 156 Weibchen. Als Fisch ?) zwei besonders kräftigen Stöcken emer Hanfkultur 1) Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1837, p. 145. 2), .2C.. 9.2143: 60 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). zu verschiedenen Zeiten Samen entnahm und getrennt aussäete, erhielt er zunächst besonders viel Weibehen und gelangte zu der Vorstellung, dass in dem von einer Hanfpflanze erzeugten Samen zuerst das weib- liche Geschlecht wesentlich vorherrsche, dann erst die Zahl der männlichen Samen zunehme, und so die gewohnte Durchschnittszahl herstelle. Doch da Fisch von nur zwei Pflanzen in diesem Ver- suche ausging, so konnte der Zufall das Ergebnis bestimmt haben. War doch bereits der Ausfall für die Nachkommen der einen Pflanze weniger ausgeprägt, als für die der anderen. Die Zahl der ausge- säeten Samen betrug 3058, war also ziemlich hoch, doch hier wäre es vor Allem auf die Zahl der samenliefernden Pflanzen angekommen. Diese Zahl müsste aber bedeutend gesteigert werden, um ein ent- scheidendes Resultat zu ermöglichen. Auch ist hinzuzufügen, dass bereits vorhandene Versuche von: Heyer!) nicht eben für die von Fisch gemachte Annahme sprechen. Heyer erntete von zwei Beeten des gewöhnlichen Hanfes die an denselben Pflanzen zuerst und die zu- letzt reif gewordenen Samen und erhielt von dem einen Beete genau das entgegengesetzte Resultat wie vom anderen. Doch operierte Heyer in diesem Fall mit einer nur geringen Samenzahl. Im Besonderen er- reichte die Zahl der aus den zuerst gereiften Samen erzogenen Pflanzen in beiden Fällen nicht einmal das Hundert, so dass rein zufällige Ein- flüsse ebenfalls das Ergebnis getrübt haben könnten. Da auch behauptet worden ist, dass die Jahreszeit, in der die Samen erzeugt werden und der Reifezustand auf das Geschlecht der aus ihnen hervorgehenden Pflanzen von Einfluss sei, habe ich am 17., 19. und 20. Oktober 1891 im freien Felde Früchte von Melandrium album gesammelt und den Samen aussäen lassen. Diese Samen stammten zum Teil aus reifen Spätfrüchten, zum Teil aus eben solchen noch un- reifen Früchten. Die Ernte fand am 11. und 25. Juli 1892 statt. 7 Samenreıt ie ne vom 19. Oktober: 293 M., 360 W., somit auf 100 M. 2. Früchte vom 20. Oktober: 182M., 261 W. Auf 100M. 143,4 W. II. Unreifer Samen. 3. Samen noch weiss, als sie aus der Frucht befreit wurden; vom 17. Oktober: 44M., 64 W. Auf 100 M. 145,4 W. 4. Samen ebenso, noch weiß; vom 20. Oktober: 90 M., 123W. Auf 100 M. 136,6 W. 5. Samen hellbraun, als sie aus der Frucht befreit wurden; vom 20. Oktober: 251 M., 532 W. Auf 100 M. 132 W. Im Ganzen wurden aus diesen Samen 860 Männchen und 1140 Weib- chen erzogen, was auf 100 Männchen 132,5 Weibchen giebt. Es ist das annähernd die nämliche Zahl, die ich bei der Zählung spontaner Pflanzen und die auch Heyer fand, eine Beeinflussung des Geschlechts 1) 1. e. Nachtrag p. 138. ° Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 761 durch die Zeit des Einsammelns oder durch den Reifezustand der Sa- men ergab sich somit in diesen Versuchen nicht. Die Behauptungen von Thury!), dass der Reifezustand des Eis von Einfluss auf das zukünftige Geschlecht der Tiere sei, und dass aus früh befruchteten Eiern Weibchen, aus spät befruchteten Eiern Männchen hervorgehen, veranlasste bereits H. Hoffmann zu ent- sprechenden Versuchen mit diöcischen Pflanzen?). Bei Spinacia erhielt Hoffmann bei früher und später Bestäubung zunächst dieselbe An- zahl von Männchen und Weibchen. Bei Mercurialis glaubte er zu fin- den, dass frühe Befruchtung relativ mehr Männchen liefert, nur relativ, denn in allen seinen Aussaaten betrug die Zahl der Weibchen das Viel- fache der Männchen. Während in seinen Versuchen von 1864 und 1865 Hoffmann nur das Alter der weiblichen Blüten berücksichtigte, wandte er in den Jahren 1866 und 1867 auch verschieden alten Pollen an. Es war das einerseits frischer, andererseits vorjähriger Pollen. Er glaubte mehr weibliche Pflanzen mit altem Pollen erlangt zu haben. Dann setzte er seine Versuche 1867 und 1868 fort und erhielt dabei bei Früh- und Spätbestäubung den vorausgegangenen entgegengesetzte Re- sultate. Also kann denH.Ho ffmann’schen Versuchen mit Mercurialis nur ein negativer Erfolg zuerkannt werden. Hierauf stellte Hoffmann von 1868 Versuche mit „Lychnis dioica“ an. Die Bestäubung der weib- lichen Blüten durfte, wie es sich zeigte, nicht über den vierten Tag hinausgeschoben werden, da sonst eine spontane Abgliederung der Blüten erfolgte. Frühe und späte Bestäubung ergaben in einer ersten Versuchsreihe fast die gleiche Anzahl von Männchen und Weibchen; in einer späteren Versuchsreihe ging, im Gegensatz zur Thury’schen Hypothese, eine größere Zahl Weibchen aus der späten Bestäubung hervor. Aus spontan erzeugtem Samen wurden übrigens zu gleicher Zeit noch mehr Weibchen als aus jenen spät bestäubten Blüten erlangt, was am besten wohl zeigte, dass alle diese Versuche zu der Annahme einer Beeinflussung des Geschlechts durch frühe oder späte Be- stäubung nicht ermächtigen. Ich selber nahm diese Frage wieder auf, nicht eben in der Vor- aussetzung, dass sich ein bestimmender Einfluss des Reifezustandes der Geschlechtsprodukte auf das Geschlecht der Nachkommen aus den Versuchen ergeben würde, wohl aber um dem Einwurf zu entgehen, dass ich diese Möglichkeit vernachlässigt hätte. Auch sollten mir diese Versuche zugleich Gelegenheit zu der Feststellung bieten, von welchem Augenblicke an ein aus den Antheren künstlich befreiter Pollen zur Weiterentwicklung aut der Narbe befähigt ist. Bei Versuchen, welche darauf ausgehen, Geschlechtsprodukte ver- schiedenen Reifezustandes bei Angiospermen zusammenzuführen, darf 1) Arch. Biol. Geneve 20 Sept. 1863 und 1864 Nr. 75 p. 223. 2) Zur Geschlechtsbestimmung. Bot. Ztg., 1871, Sp. 81. 762 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Verzögerung der Bestäubung bei der weiblichen Blüte einen ganz anderen Ausgangspunkt für den Versuch schafft, als das Aelterwerden der Pollenkörner. Denn in den meisten angiospermen Pflanzen, so den Pflanzen, mit welchen bis jetzt experimentirt wurde, ist das Ei im Embryosack fertig gestellt, wenn die Narben empfängnisfähig werden. Schiebt man somit die Be- stäubung hinaus, so wird in der Zeit das Ei, somit das Geschlechts- produkt, älter, oder, wenn man will, auch reifer. Anders bei dem Pollen. Der reife Pollen, den man altern lässt, enthält zwar schon die generative Zelle, doch noch nicht jene Spermakerne, welche die Befruch- tung vollziehen. Diese gehen ja erst kurz vor der Befruchtung aus der Teilung des generativen Kerns im Pollen hervor. Im Hinblick auf diesen letzten Teilungschritt ist somit der in Aktion tretende Sperma- kern von annähernd demselbem Alter, ob er altem oder jungem Pollen entstammt. Es müsste dann nicht das Alter des Spermakerns, son- dern des generativen Kerns maßgebend sein. Doch wenn das Alter des letzteren bestimmend für das Geschlecht wäre, wie sollte da das not- wendige Verhältnis von Männchen und Weibchen bei diöcischen Gymno- spermen eingehalten werden, da bei ihnen doch der generative Kern auf dem Nucellus der Samenanlage meist eine monatelange Ruhepause durchmacht. Wenn der „Reifegrad“ der Geschlechtsprodukte für das Geschlecht der Produkte in Betracht käme, so würde andererseits bei Angiospermen für die Zusammenführung gleichalteriger Geschlechts- produkte wohl allgemeiner gesorgt sein. Dagegen liegen bei Juglandeen, Cupuliferen, Betulaceen, ja auch Orchideen, Bestäubung und Be- fruchtung oft ziemlich weit auseinander. In meinen Versuchen mit jungem Pollen von Melandrium album und rubrum griff ich auf immer jüngere Antheren zurück, solange als sich der Pollen noch wirksam zeigte. Der Pollen wurde künst- lich mit einem schmalen Elfenbeinmesserchen aus den Antheren befreit, sein Zustand an einer kleinen Probe meist auch unter dem Mikro- skop geprüft. Mit Pollen, der sich mit Protoplasma noch nicht ange- füllt zeigte und eben erst die Teilung in die generative und vegetative Zelle vollzogen hatte, war eine Befruchtung nicht möglich, wohl aber mit solehem, der den vollen Inhalt bereits führte. Dieser Pollen wurde einerseits den Narben eben erst entfalteter, andererseits drei bis vier Tage alter Blüten aufgetragen. Das Resultat fiel im Einzelnen sehr schwankend aus, im ganzen aber so, dass 221 männliche und 289 weib- liche Pflanzen erzielt wurden. Zufälliger Weise ergaben die Pflanzen aus der ersten Kapsel bei der Ernte 1 Männchen und 22 Weibchen. Diese Kapsel entstammte der Bestäubung einer älteren Blüte mit sehr Jungem Pollen. Das komnie die Vorstellung einer erfolgten Beeinflussung erwecken, die freilich im entgegengesetzten Sinne, als es die Thury’sche Hypothese verlangt, ausgefallen wäre. Bald folgten aber bei der Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 763 gleichen Bestäubungsart Fälle mit der gleichen Zahl von Männchen und von Weibchen, vereinzelt auch mit dominirenden Männchen, so dass ein Schluss nur gegen Thury aus dem Ergebnis gezogen werden konnte. Die beobachtete Mannigfaltigkeit war zum Mindesten keine andere, als die eines Kontrollversuches mit Samen aus spontan erzeugten Früchten, die einzeln ausgesät ebenfalls schwankende Werte, zusammen- genommen aber 198 Männchen und 262 Weibchen ergaben. — Nicht anders war es mit denjenigen Fällen, in welchen alter Pollen auf junge, im Oeffnen begriffene, ja zum Teil künstlich geöffnete weibliche Blüten gebracht wurde. Aus Blüten, die ich am 2. August 1892 mit Pollen bestäubte, der am 26. Juli aus reifen Blüten geerntet worden war, erhielt ich 48 Männchen und 68 Weibchen, und aus Blüten, die am 9. August mit Pollen vom 27. Juli bestäubt wurden, 50 Männchen und 57 Weibchen. Bestimmte im hiesigen Institut vor Jahren gesammelte Erfahrungen veranlassten mich, Bestäubungsversuche mit Pollen anzustellen, welcher entweder hohe Temperaturen zuvor auszuhalten hatte, oder bestimmten chemischen Einflüssen ausgesetzt worden war. Nach den Vorstellungen, die ich mir über die geschlechtlichen Anlagen in den Geschleehtsprodukten gebildet hatte, konnte ich zwar nicht erwarten, dass eine etwaige „Sehwächung“ des Pollens von Einfluss auf das Geschlecht der Nach- kommen sein würde, immerhin galt es diese Möglichkeit experimentell zu prüfen. Dass trockener Pollen in den meisten Fällen Temperaturen bis 90° eine Zeitlang ertragen kann, ohne seine Keimfähigkeit einzubüßen, hatte P. Rittinghaus im hiesigen Institut schon nachgewiesen!). Er stellte fest, dass man den trockenen Pollen mancher Pflanzen sogar bis auf 104,5° C. während 10 Minuten erhitzen kann, ohne ihn zu töten. Andererseits fand er, dass Chloroformdämpfe rasch die Keimfähigkeit des lufttrocknen Pollens vernichten. In Nährlösung befindliche Pollen- körner vermochten hingegen bis 40 Minuten lang, ohne Schädigung Chloroformdämpfe zu ertragen. Ich selbst konstatirte nun vor Allem, dass auch der trockene Pollen von Melandrium album eine Temperatur von 90° ©. 10 Minuten lang erträgt, ohne seine Keimfähigkeit einzubüssen. Um sicherzustellen, dass der Pollen selbst diese Temperatur erreicht habe, stellte ich entsprechende Kontrollversuche an. Diese lehrten, dass 15 Minuten nötig waren, um die in unseren auf 90° erhitzten Wärmeschrank eingeführten Uhrschalen auf die gleiche Temperatur zu bringen. Bei der Einführung der Schale pflegte die Temperatur des Wärmeschranks um 5° zu sinken, erreichte aber bald wieder die vorhergehende Höhe. Die Schalen wurden 25 Minuten im Wärmeschrank gelassen. Somit musste der Pollen, den 1) Ueber die Widerstandsfähigkeit des Pollens gegen äussere Einflüsse, Inaug.-Diss. Bonn 1887. 764 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). sie führten, sicher mindestens 10 Minuten lang 90° selbst erreicht haben. Von den mit diesem Pollen bestäubten Melandrium-Blüten setzten, mit Ausnahme von zweien, alle an. Mit Pollen, der in gleicher Weise bis auf 100° C. erhitzt worden war, erhielt ich auch nicht eine Frucht. Die Aussaat der Samen ergab in dem einen Beet 54 Männchen und 70 Weibchen, in dem anderen 39 Männchen und 56 Weibchen. Die Männchen standen somit in beiden Fällen an Zahl den Weibchen nach, doch nicht in irgend wie ungewohntem Verhältnis. Dann wurde Pollen von Melandrium album trocken, 30 Minuten lang, im Uhrglas, unter einer Glasglocke, bei Zimmertemperatur, der Einwirkung von Alkoholdämpfen ausgesetzt. Diese stiegen aus dem 97°) Alkohol auf, der sich in dem Untersatze befand, in den die Glocke tauchte. Aus den erhaltenen Samen wurden in einem Beete 18 männ- liche und 28 weibliche, in einem anderen 24 männliche und 32 weib- liche Pflanzen erzielt. Trockner Pollen derselben Art, der 60 Minuten lang den Alkoholdämpfen ausgesetzt war, blieb unwirksam, ebenso trockener Pollen, auf den 15, beziehungsweise 30 Minuten lang Chloro- formdämpfe, oder 25 Minuten lang Schwefelkohlenstoffdämpfe einge- wirkt hatten. In der weiteren Absicht zu ermitteln, ob bei einer Bastardirung von Melandrium album und rubrum, das Geschlecht der Nachkommen in irgend welcher Beziehung zu ihrer Farbe stehen würde, kreuzte ich diese beiden Arten mit einander. Ich wollte festststellen, ob, wenn der Pollen von der roten Art stamme, die männlichen Nachkommen etwa vornehmlich rot, und wenn er der weißen Art entnommen sei, etwa vornehmlich weiß sein würden. Diesen Versuch nahm ich im Jahre 1898 vor, und führte die Bestäubungen der Pflanzen im Juli unter Gaze aus. Ich erntete im nächsten Jahre 62 männliche und 79 weib- lichePflanzen. Auffallender Weise blühten diesePflanzen durchgehendsrot. Ich wusste diese Erscheinung mir nicht zu deuten, und verschob, da sie nicht in den Rahmen meiner Aufgabe fiel, auf später ihre even- tuelle Aufklärung. Zunächst begnügte ich mich mit dem Ergebnis, dass Blütenfarbe und Geschlecht auf die Bastarde von Melandrium album und rubrum unabhängig von einander vererbt werden. Eine willkom- mene Erklärung der roten Blütenfärbung dieser Bastarde brachte mir dann die Arbeit von de Vries!). Er weist nach, dass die rote Blü- tenfarbe von Melandrium rubrum, bei der Vereinigung mit Melandrium album, die Rolle einer dominierenden Eigenschaft spielt und das Weiss des Melandrium album an seiner Acusserung verhindert. Eine Anzahl Fruchtkapseln von Melandrium album wurde des Wei- teren von mir zum Zweck der Feststellung erzogen, ob Bestäubung mit dem Pollen sämtlicher Antheren einer Blüte oder mit den Pollen nur 1) Das Spaltungsgesetz der Bastarde. Ber. d. deutsch. Bot. Gesell. 1900. D. 86, 87. Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 765 eines einzigen Staubfaches auf die Verteilung des Geschlechts bei den Nachkommen von merklichem Einfluss sei. Auch dieses war nicht der Fall. Ich erhielt aus der ersten Art der Bestäubung 120 Männ- chen und 152 Weibchen, aus der zweiten 114 Männchen und 146 Weibchen. Ein Jahr später wurde dieser Versuch in der Weise noch erwei- tert, dass der nur einem einzigen Staubfache entstammende Pollen, zum Teil reif, zum Teil unreif zur Verwendung kam. Ich brachte den Inhalt von sechs Fruchtkapseln, die in der tiefer folgenden Zusam- menstellung mit 1 bis 6 bezeichnet sind, dann einzeln zur Aussaat. Von diesen Kapseln wurden 1 bis 3 aus reifen Pollen gewonnen, die Kapseln 4 bis 6 aus unreifen. Den unreifen Pollen hatte ich außerdem auf nur je eine Narbe der weiblichen Blüten gestrichen. Die Pflan- zen, an denen die Bestäubung vorgenommen wurde, standen in Töpfen innerhalb eines abgeschlossenen Raumes; andere Blüten als die be- stäubten setzten nicht an. Die Ernte ergab: M+7W: Aus Kapsel 1 23 31 u r 2 27 20 R " 3.32 21 x > 4 40 41 5 n 5 19 23 n 6 25 27 ” Diese Zahlen sprechen von selbst, so dass sie einer weiteren Er- läuterung nicht bedürfen. Sie liefern das nämliche Bild, das uns schon so oft entgegentrat, und dieselben Schwankungen, die sich auch sonst bei dem Vergleichen kleiner Zahlen ergeben. Hinzugefügt sei, dass Heyer!) sich auch die Frage stellte, ob jede einzelne weibliche Pflanze das Bestreben habe, die beiden Ge- schlechter dem gesetzlichen Verhältnis nach zu erzeugen. Er operierte zu diesem Zwecke mit Mercurialis annua und säete die sämtlichen von jeder einzelnen Pflanze erzeugten Samen für sich aus. Es ergaben sich im Einzelnen wiederum nicht unbedeutende Schwankungen, die sich dann weiterhin gegenseitig ausglichen. Im Extrem kam es vor, dass die Nachkommen einer Pflanze auf 254 Männchen nur 169 Weib- chen aufzuweisen hatten, also auf 150,29 Männchen 100 Weibehen, und auch dass eine Pflanze auf 222 Männchen 243 Weibchen produzierte, also nur 91,56 Männchen auf 100 Weibchen. Das Gesamtergebnis der Ernte waren aber 1296 männliche zu 1155 weiblichen Pflanzen, also ein Verhältnis von 112,20 zu 100. Die Zahl der Männchen war etwas zu hoch, doch nicht auffällig bei der immerhin noch begrenzten Zahl von Individuen. Aus diesen jahrelang fortgesetzten und nach allen Richtungen hin variierten Versuchen geht wohl genugsam hervor, dass das Geschlecht 1) 1. e. Nachtrag p. 1355. 766 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). diöeischer Angiospermen durch die Einflüsse, welcher sich während der Entststehung und Entwickelung auf sie geltend machen, nicht be- einflusst wird. Es handelt sich also in der Verhältniszahl der Ge- schlechter bei diesen Pflanzen um eine erblich fixierte Größe. Dass diese schon im Keime bestimmt sein muss, folgt aus der Konstanz der Zahl bei hinreichend hohen Zählungen für eine gegebene Art oder Rasse und ihrer Verschiedenheit je nach Art beziehungsweise auch Rasse. Zu demselben Schlusse, wie ich ihn hier vertrete, war seiner Zeit auf Grund seiner Versuche bei den Fröschen, Eduard Pflüger!) gelangt. Er äußerte sich dahin, „dass die nach Rasse verschiedene Natur der Eltern, die Ei und Samen in sich entwickeln, maßgebend ist für den Charakter der Entwickelung der Geschlechtsorgane in den jungen Ge- schöpfen nach der Befruchtung und dass eine Reihe der abnormsten Einflüsse, welche das Ei nach der Befruchtung treffen, niehts vermögen zur Aenderung dieser Geschlechtsverhältnisse.*“ FürEduard Pflüger „ıst deshalb die Hoffnung durch irgend welche Einwirkungen das Ge- schlecht eines befruchteten Eies bestimmen zu können, minimal, ja es erscheint kaum glaublich, dass irgend welche Einwirkung, die vor der Befruchtung das reife Ei und den reifen Samen treffen, einen Einfluss auf das Geschlecht auszuüben vermögen.“ Es handelt sich bei der Trennung der Geschlechter allem An- schein nach um solche Anlagen, deren Sonderung Naudin?) schon 1861 in den Pollen und in die Samenanlagen, Georg Mendel?) für die Rassenbastarde der Erbse 1866 in die Geschlechtsprodukte verlegt hatte. Die grundlegende Mendel’sche Arbeit war seiner Zeit unbekannt und unbeachtet geblieben, vor Allem weil ihre Veröffentlichung in einer Zeitschrift erfolgte, die den wenigsten Gelehrten in die Hände fällt. Jetzt haben gleichzeitigHugo de Vries®), C. Correns?) und Erich Tschermak®) deren Ergebnisse bestätigt. Es geht aus diesen An- gaben, und zwar zunächst für Rassenbastarde hervor, dassbestimmte Eigen- 1) Pflüger’s Archiv f. d. ges. Physiologie, Bd. XXIX, 1882, p. 25. 2) Sur l’Hybridite dans les vegetaux, Nouv. Archives du Museum. T. I, 1865, p.150. Der Pariser Akademie eingereicht im Dezember 1861. 3) Versuche über Pflanzen-Hybriden, Verhandl. d. Naturf. Vereins in Brünn, Bd! IV; n. 1. 4) Sur la loi de disjonetion des hybrides. Comptes rendus de l’Acad. d. Sc. Paris 1900, 26 Mars. Das Spaltungsgesetz der Bastarde. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. 1900 p. 83; sur les Unites des caracteres specifiques et leur application ä l’&tude des hybrides, Revue generale de Bot. T. XII. 1900 p. 257. 5) Mendel’s Regel über das Verhalten der Nachkommenschaft der Rassen- bastarde, Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. 1900 p. 158 und Bericht in der Bot. Ztg. 1900 p. 229. 6) Ueber künstliche Kreuzung bei Pisum sativum, Zeitschr. f. landw. Ver- suchswesen in Oesterreich 1900, Heft 5; Ueber künstliche.Kreuzung von Pisum sativum, Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch. 1900 p. 232. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 767 schaften der Erzeuger sich ausschließen und als „dominierende“ nnd „re- cessive“ Merkmale inden Nachkommen geltend machen. Das dominierende Merkmal tritt in der erstenGeneration allein in Erscheinung, das reces- sive bleibt latent. Werden dann aber derartige Bastarde mit ihrem eigenen Pollen bestäubt, so erfolgt in den Nachkommen eine Spaltung der Eigenschaften, so zwar dass drei Viertel das dominierende, ein Viertel das recessive Merkmal zeigen. Das erklärt sich daraus, dass, wie Mendel schon annahm, der Bastard zweierlei männliche und weibliche „Befruchtungszellen“ bildet. Die dominierenden sind in glei- cher Zahl wie die recessiven vorhanden. Der Zufall muss nun, der Wahrscheinlichkeit nach, bei hinreichend gehäufter Beobachtung, in 50°), der Fälle Gleiches, in 50°/, Ungleiches bei der Befruchtung zusammen- bringen. In den 50°, der Fälle, wo Ungleiches sich begegnet, wird 25 Mal das dominierende Merkmal auf dominierendes, 25 Mal das re- cessive auf recessives treffen. Wo Gleiches zusammentrifft,! wird das dominierende Merkmal wieder zur Herrschaft gelangen; daher die eine Hälfte der Nachkommen von vorn herein nur das dominierende Merkmal aufweisen kann; wo bei gleicher Vereinigung die dominieren- den Merkmale einander begegnen, werden naturgemäß die Nachkommen auch mit diesem Merkmal ausgestattet sein. Daher 75°, der Nach- kommen zweiter Generation mit dominierendem Merkmal ausgestattet sind. Diesen stehen aber nur die 25°/, Pflanzen gegenüber, bei welchen der Zufall die recessiven Geschlechtsprodukte zusammenführte. Dass die Trennung der Merkmale aber in den Geschlechtsprodukten sich vollziehen muss, dafür bieten die Rassenbastarde der Erbsen überzeugende Be- weise. Bei der Kreuzung von Erbsen mit gelbem und grünem Keim verhält sich das Gelb als dominierend, das Grün als recessiv. Da findet man denn in den Schoten der mit eigenem Pollen bestäubten Bastarde auf je drei Keime von gelber Farbe durchschnittlich einen solchen von grüner Farbe. Damit ist in der That der Nachweis erbracht, dass die Trennung dieser Merkmale schon vor Anlage des Keimes, also jeden- falls in den Geschlechtszellen, vor sich ging. In diesem Nachweis erblicken wir eine schwer wiegende Thatsache, in der wir auch einen Anknüpfungspunkt für die Vorstellung finden, die wir uns von dem Zeitpunkt der Verteilung der Geschlechtsanlagen bei diöcischen Pflanzen gebildet haben. Führten unsere Versuche uns doch auch dahin, dasGeschlecht als ein schon vorbestimmtes anzunehmen. Es liegt uns dabei fern, hier Stellung zu der Frage zu nehmen, ob die Mendel’sche Regel über Rassenbastarde hinaus gilt. Wir verweisen vielmehr auf die Erörterungen, welchen Correns!) neuerdings in der botanischen Zeitung diese Frage unterwirft.. Für uns kommt es vor Allem nur darauf an, hervorzuheben, dass auch die Trennung 4) 1. e. 1900 p. 233 ff. 768 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). . der sexuellen Merkmale getrenntgeschlechtlicher Organismen sich allem Anschein nach in den Geschlechtsprodukten vollzieht. In Uebereinstimmung mit jenen Merkmalpaaren von Rassen, bei welchen das eine Merkmal das andere an der Aeusserung hindert, sehen wir auch in dem Paar der Geschlechtsmerkmale der getrenntgeschlecht- lichen Organismen die Merkmale des einen Geschlechts nur zur Aeußerung gelangen. Im Gegensatze hingegen zu jenen Merkmal- paaren der Rassen, bei denen das dominierende allein in sämtlichen Nachkommen sich äußert, halten sich die geschlechtlichen Merkmale der getrenntgeschlechtlichen Organismen ein mehr oder weniger. voll- ständiges Gleichgewicht. Es lässt sich nicht anders denken, als dass bei dem Zusammentreffen der mit bestimmten Geschlechtstendenzen ausgestatteten Geschlechtsprodukte, die Vereinigung darüber entscheidet, welches Geschlecht dominieren, welches latent bleiben soll. Wie oft der Ausschlag nach der einen, wie oft er nach der anderen Seite erfolgt, darüber bestimmen ererbte Eigenschaften, die in dem numerischen Ver- hältnis der Geschlechter bei den Nachkommen zur Anschauung ge- langen. Bei der Trennung der Anlagen für die Keime mit gelben und grünen Cotyledonen, in den aus einer gelb- und grünkeimigen Rasse gezogenen Erbsenbastarden, findet eine genaue Halbierung dieser Eigenschaften statt. Das erweckt in Correns die Vorstellung, diese Halbierung müsse sich bei einer Kernteilung vollzogen habent). Er erblickt darin eine Stütze für die Weismann’sche, das heißt qualitative Reduktions- teilung. Ich kann diese Ansicht nicht teilen und zwar zunächst aus dem Grunde nicht, weil mich meine Untersuchungen gelehrt haben, dass qualitative Reduktionsteilungen nicht existieren?). Dem lässt sich entgegenhalten, dass meine Untersuchungen nicht beweisend seien und andere ganz verschieden lauten. Daher ich hier noch zeigen möchte, dass auch mit Hilfe der qualitativen Reduktionsteilung die Halbierung der Eigenschaften bei den als Beispiel herangezogenen Erbsen- bastarden sich nicht erklärt. Denn um auf diesem Wege den ge- gebenen Erfolg zu haben, müssten nicht nur die bei der Entwicklung der männlichen Geschlechtsprodukte entstandenen Produkte der Hal- bierung zur Wirksamkeit gelangen, sondern es würde das auch bei den weiblichen Geschlechtsprodukten notwendig sein. Nun ist aber doch bekannt, dass die der Pollenmutterzelle entsprechende Embryo- sackmutterzelle nur ein Ei erzeugt. Dieses würde durch die quali- tative Reduktionsteilung das eine Merkmal erhalten, das nicht zur Eibildung verwendete andere hingegen verloren gehen. Nach der Wahr- 1) Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1900, p. 164 und Bot. Ztg., 1900, p. 232. 2) Vergl. hierzu auch die ganz neuerdings erfolgte Veröffentlichung von J. A. Janssens, Rapprochements entre les cineses polliniques et les eineses sexuelles dans le testieule des Tritons. Anat. Anzeiger, Bd. XVII, 1900, p. 520. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 769 scheinlichkeitsrechnung könnten auf solche Weise erst sehr hohe Zahlen jene Beziehungen verraten, wie sie schon bei kleinen Zählungen von Nachkommen der Rassenbastarde sich ergeben. — Ziehen wir die Trennung der Geschlechtsmerkmale in diese Kategorie von Erschei- nungen noch hinein, so ergiebt sich weiter, dass die Ergebnisse hier durchaus nicht zu glatten Halbierungen führen und die von Fisch untersuchte Hanfrasse, ganz konstant, 3 Weibchen auf 2 Männchen zeitigte. Für solche Fälle kommen wir ohne die Annahme anderweitig sich geltend machender innerer Einflüsse nicht aus. Man könnte sie vielleicht als ererbte korrelative Wirkungen auffassen. Dass überhaupt erst das Zusammenwirken verschiedener zum Teil weit ausgreifender Einrichtungen zu den Ergebnissen führt, die als kon- stante Verteilung der Merkmale im Resultat uns entgegentreten, lehrt ja auch noch die weitere Erwägung, dass von den erzeugten Pollen- körnern oder Spermatozoen die bei weitem größte Menge zu Grunde geht. Also auch bei einer bestimmten Verteilung der Merkmale auf die Pollenkörner oder Spermatozoiden kann sich, nach der Wahrschein- lichkeitsrechnung, die Gesetzmäßigkeit dieser Verteilung erst aus der Häufung der Beobachtungen ergeben. Mir liegt es auf Grund meiner histologischen Erfahrungen auf dem Gebiete der Entwicklung am nächsten, die Bestimmung über die Natur der Anlagen in die Zeit der tiefgreifenden Umgestaltungen zu verlegen, welche die Kerne bei der Reduktion der Chromosomenzahl erfahren. Korrelative Einflüsse mögen dann aber dahin wirken, dass für Merk- male, die sich gegenseitig ausschließen, eine entsprechende Verteilung, unter Umständen, wie bei jenen Rassenbastarden, in gleicher Zahl sich vollziehe. Von diesem Gesichtspunkt aus würde sich weiter ergeben, dass die vier aus derselben Mutterzelle hervorgegangenen Pollenkörner Träger der nämlichen erblichen Tendenzen wären, ebenso die sämt- lichen Kerne eines Embryosackes. Dass dem im Embryosack so ist, muss auch Correns') aus dem Verhalten bestimmter Rassenbastarde von Zea Mays folgern, welche an den Merkmalen des sich bildenden Endosperms zeigen, dass auch dem sekundären Embryosackkern dieselben Rassenmerkmale wie dem Eikern zukommen. Daher Correns die Trennung der Merkmale in den Samenanlagen an die Anlage des Embryosacks knüpft. Für die männlichen Kerne ist ihm dieser Zeit- punkt unsicher, und er neigt dazu ihn in die erste Kernteilung im Pollenkorn zu verlegen. Er wird dazu bestimmt durch eine Wahr- nehmung, die er an Bastarden des rotblühenden Epilobium angusti- folium mit einer weißblühenden Rasse machte?). Die Pollenkörner dieses Bastards waren alle gleichmäßig graugrün, während bei voll- zogener Trennung der Merkmale in den Pollenmütterzellen 50%, der 1) Bot. Zeitg., 1900, Sp. 232. 2) l. c. p. 232, Anmerkung. XX, 49 770 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Gesehlechtsverteilung). Pollenkörner, seiner Ansicht nach, graugrün und 50°, weiß hätten sein müssen. Hierzu ist zu bemerken, dass die Teilung in den genera- tiven und den vegetativen Kern in der Pollenzelle durchaus typisch, wie in Gewebezellen verläuft, und keine Anknüpfungspunkte für die Annahme einer qualitativen Reduktionsteilung bietet; dass weiter diese Teilung nur einen aktiven Kern liefert, wodurch die Schwierigkeiten für die Erklärung der gleichzahligen Produkte, in der Art wie sie Correns anstrebt, erhöht wird, dass endlich das Verhalten von Epi- lobium durchaus nicht gegen meine Auffassung von der sich bei der numerischen Reduktion in den Zellkernen der Pollenmutterzellen voll- ziehenden Merkmalbestimmung spricht. Denn die Merkmale der neuen Kerne sollen sich erst in der nächsten Generation äußern, somit auch nicht in dem Aussehen und der Farbe der Pollenhäute der Mutter- pflanze, die zudem noch bei ihrer Entstehung unter dem Einfluss des die Kerne der Tapetenzellen enthaltenden umgebenden Cytoplasma stehen. In den Samenanlagen bei den Erbsenhybriden äußert sich doch auch der Einfluss der getrennten Merkmale erst an dem Keim, der der neuen Generation angehört. Wenn ich die Trennung der Merkmale innerhalb der Pollen- und Embryosack-Mutterzellen in den Zeitpunkt der numerischen Reduktion der Chromosomen verlege, ist mir dabei klar, dass dieser Schluss für jedes getrenntgeschlechtliche Prothallium von Pteridophyten so viel bedeutet, wie die Erzeugung von Geschlechtsprodukten mit derselben geschlechtlichen Tendenz. Vor dieser Konsequenz brauche ich aber zunächst nicht zurückzuschrecken, füge andererseits hinzu, dass ent- sprechende Versuche in Zukunft werden zu entscheiden haben, ob sie zutreffend ist. Aus dem Umstande, dass die Geschlechtsprodukte mit einer be- stimmten geschlechtlichen Tendenz schon ausgestattet sind, erklärt sich jetzt des weiteren, dass auch parthenogenetisch erzeugten Nachkommen ein bestimmtes Geschlecht zukommt. Als eine besondere, in der Ein- richtung der einzelnen, sich so vermehrenden Arten gegebene Einrich- tung ist aber zu betrachten, dass das Geschlecht der parthenogenetisch erzeugten Nachkommen entweder dauernd nur eines ist, oder zwischen nur weiblich einerseits, weiblich und männlich andererseits, abwechselt. Bei Chara crinita einer der wenigen parthenogenetischen Pflanzen !) von verhältnismäßig höherer Organisation, sind alle Nachkommen weib- lich. Die unbefruchteten Eier besitzen somit in diesem Falle die Be- stimmung zum weiblichen Geschlecht. Eine solche Rasse hat sich in Mitteleuropa ausgebildet. Es ist ja auch klar, dass sich der Augen- blick, wo die parthenogenetische Entwicklung der Eier zur Herrschaft gelangte, und als solche sich bewährte, die Bildung männlicher, nun- 1) A. de Bary, Zur Keimungsgeschichte der Charen. Bot. Zeitg., 1875, Sp. 379. Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 771 mehr überflüssiger Individuen, ein Luxus wurde, der allmählich be- seitigt werden musste. Das vollzog sich wohl auf dem Wege der natürlichen Zuchtwahl. Dass es sich bei der parthenogenetischen Form von Chara crinita wirklich um Rassenbildung handelt, geht wohl aus dem Umstand hervor, dass männliche Exemplare dieser Pflanze noch von Hermannstadt in Siebenbürgen, Gurjew am kaspischen Meere, Courthezon bei Orange in Frankreich und dem Piraeus in Griechen- land bekannt sind‘). — Ebenso wie für Chara crinita lässt sich auch für Antennaria alpina, bei der Juel?) vor kurzem Parthenogenesis nachwies, wohl begreifen, warum sie in der Regel nur in weiblichen Individuen auftritt. Da die Eier dieser Pflanze die Fähigkeit erlangt haben, ohne Befruchtung Nachkommen zu erzeugen, so sind die männ- lichen Individuen, als überflüssig, im Schwinden begriffen. Ob freilich auf die Dauer eine solche Entwicklungsart vorteilhaft ist, kann auf Grund sonstiger Erfahrungen bezweifelt werden. — Dass aber auf parthenogenetischem Wege nicht allein, wie bei den eben angeführten Pflanzen, weibliche Individuen erzeugt werden können, beweisen die Bienen, bei welchen aus unbefruchteten Eiern Drohnen, das heißt männliche Tiere hervorgehen. Das ist durch Untersuchungen von Wilhelm Pauleke erst neuerdings wieder sicher gestellt worden?®). Aus den befruchteten Eiern der Königin entwickeln sich, wie bekannt, bei spärlicher Kost Arbeiterinnen, bei reichlichem und besserem Futter Königmnen. Die Königinnen und Arbeiterinnen sind weiblich, die ersteren nur mit vollkommenerem weiblichen Apparat versehen, während die letzteren allenfalls nur parthenogenetisch sich entwickelnde Eier legen können, aus welchen Drohnen entstehen. Es lässt sich vorstellen, dass bei den Bienen das Sperma der Drohnen mit sehr verstärkten Tendenzen weiblichen Geschlechts ausgestattet sei, da es ihm gelingt, die an sich männlichen Tendenzen der unbefruchteten Eier zu über- winden. Dass es sich dabei um ganz besondere Einrichtungen handelt, die sich bei diesen Organismen ausgebildet haben, liegt auf der Hand. — Auf die Angaben, die über das Geschlecht parthenogenetisch erzeugter Nachkommen von Hymenopteren und Lepidopteren gemacht worden sind, willich hier nicht eingehen, da sie nach M.Nussbaum’s®) Unter- suchungen „zur Parthenogenese bei Schmetterlingen“, fraglich er- 1) W.Migula, Die Characeen Deutschlands, Oesterreichs und der Schweiz in Rabenhorst’s Kryptogamen-Flora, Bd. V, 1897, p. 357; A. Braun, Ueber Parthenogenesis bei Pflanzen, Abh. d. Akad. d. Wiss. zu Berlin, 1857, phys. Klasse, p. 349. — Bemerkt sei, dass ich hier den Namen des Standortes Cour- thezon, der seither immer wieder falsch nach Braun wiedergegeben wird, in die richtige Schreibart gebracht habe. 2) Bot. Centralblatt, Bd. 74, 1898, p. 369. 3) Zur Frage der parthenogenetischen Entwicklung der Drohnen. Anat. Anz., Bd. XVI, 1899, p. 474. 4) Archiv f. mikrosk. Anat. und Entwicklungsgesch., Bd. 53, 1898, p. 444, 49 * 772 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). scheinen können. — Hingegen liegen die Verhältnisse bei den Blatt- läusen klar vor. Die aus befruchteten Eiern im Frühjahr ausschlüpfen- den Weibchen gebären auf parthenogenetischem Wege nur Weibchen, die in derselben Weise das Zeugungsgeschäft fortsetzen. Alle diese Weibchen sind ohne Samentaschen, ihre Befruchtung ist somit nicht möglich; erst im Herbst werden auf dem nämlichen parthenogenetischem Wege sowohl vollkommene Weibchen als auch Männchen erzeugt. Es findet dann die Begattung statt, und liefert die befruchteten Eier für das nächste Frühjahr. Da liegt also wiederum eine besondere den Lebensverhältnissen dieser Organismen angepasste Einrichtung vor, dass die geschlechtliche Tendenz der Eier sich je nach Umständen ändert. — Bei dem Rädertiere Hydatina senta gehen nach Maupas') und nach M. Nussbaum?) aus parthenogenetischen Eiern ebenfalls, je nach Umständen, Männchen oder Weibchen hervor. Hat ein die parthenogenetischen Eier produzierendes Weibchen aber einmal be- gonnen, Eier zu legen, so sind alle folgenden von demselben Geschlecht wie das erste, also ihr Geschlecht dauernd bestimmt. Dass in den Individuen diöeischer Pflanzenarten die Fähigkeiten zu der Ausbildung des entgegengesetzten Geschlechts nicht fehlen, sondern nur latent sind, das zeigt sich durch das Auftreten dieses ent- gegengesetzten Geschlechts gelegentlich an. Bei Versuchen mit Mer- curialis, Cannabis, welche die Ausschließung des einen Geschlechtes verlangen, hat man stets darauf zu achten, ob nicht einzelne Individuen monöcisch wurden, oder hermaphrodite Blüten erzeugten. Noch be- lehrender wird das Auftreten des entgegengesetzten Geschlechts, wenn es an diöcischen Holzgewächsen erfolgt, die an unzähligen Sprossen zuvor nur das eine Geschlecht erzeugten). Das ist bei Taxus baccata, Cephalotaxus Fortunei, Chamaerops humilis, Aucuba japonica, Wei- den und einer ganzen Anzahl anderer Holzgewächse, auch bei Ruscus aculeatust), ja sogar bei Viscum album beobachtet worden. Da blieb während Millionen von Kerngenerationen das eine Geschlecht latent, bis plötzlich seine Auslösung erfolgte und die schlummernde Fähigkeit der Pflanze zu seiner Erzeugung verriet?). Bei Tieren lässt sich be- kanntlich vielfach durch Kastrationen das Vortreten von Merkmalen 4) Sur le determinisme de la sexualit& chez ?’Hydatina senta. Comptes rendus de l’Acad. Paris, 14. Sept. 1891. 2) Die Entstehung des Geschlechts bei Hydatina senta. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 49, 1897, p. 227. 3) Litt. in Penzig, Pflanzen-Teratologie, Bd.I, p. 528. 4) Hildebrand, Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1896, p. 330. 5) Ueber das eigenartige Verhalten von Rhus Cotinus und einiger anderer Gewächse, vergl. A. Schulz, Beitr. zur Morph. u. Biol. d. Blüten, Ber. d. deutsch. bot. Ges, 1892, p. 395 und Fr. Hildebrand, Ueber einige Fälle von Abweich. der Ausbild. d. Geschlechter bei Pflanzen, Bot. Zeitg., Orig. Abh., 185I3,,072 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 773 des entgegengesetzten Geschlechtes veranlassen Bei Pflanzen ist ähn- liches nicht zu erreichen. Das hängt mit den Bedingungen zusammen, die bei den Pflanzen gegeben sind, und die anders als bei den Tieren liegen. Die Kastration innerhalb einer Blütenanlage müsste, um über- haupt wirksame Entwicklungsvorgänge in Richtung des entgegen- gesetzten Geschlechts auslösen zu können, äußerst früh erfolgen. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass die Anlagen einen solchen Eingriff als- dann noch nicht vertragen. Spätere Kastration muss aber unter allen Umständen für eine gegebene Blüte erfolglos bleiben, weil letztere im Gegensatz zu den in Betracht kommenden Tieren, nur einmal Ge- schlechtsprodukte erzeugt und damit ihre Fähigkeit in dieser Richtung erschöpft hat. Die Vorstellung, dass man durch Entfernen ganzer Blütenanlagen bei diöeischen Pflanzen die Bildung von Blüten entgegen- gesetzten Geschlechts hervorrufen würde, ist aber von vornherein un- zutreffend. Diese Operation könnte allenfalls nur zur Anlage immer neuer Blüten desselben Geschlechts anregen. Doch existieren entgegen- gesetzte Angaben von Autenrieth!) und von Mauz?). Beide wollen durch Zurückschneiden der Zweige, beziehungsweise durch Entfernen der Blüten männlicher Hanfpflanzen, die Bildung mehr oder weniger vollkommener hermaphroditer Blüten erzielt haben. Diese bereits alten Angaben sind oft mit der Autenrieth-Mauz’schen Deutung wieder- holt worden; die Erscheinung an sich mag aber darin ihren Grund gehabt haben, dass Autenrieth wie Mauz Exemplare vorlagen, die an sich schon zur Monöecie neigten, und vielleicht auch ohne Be- schneidung andersgeschleehtliche Blüten erzeugt hätten. Ich selbst habe zahlreiche Exemplare des Hanfes, männliche und weibliche, zum Teil dauernd ihrer Blüten beraubt, zum Teil zurückgeschnitten, indem ich ihre Gipfeltriebe, oder auch die Gipfel aller Seitentriebe, oder end- lich auch ihren ganzen oberen Teil entfernte, stetsaber mit negativem Resultat. Weder hermaphrodite Blüten, noch solche des rein entgegen- gesetzten Geschlechts gelang es mir so zu bekommen. Für Mercurialis giebt auch Autenrieth an, einen Erfolg nicht erzielt zu haben. Ebenso hat Heyer?) zahlreiche Exemplare dieser Pflanze wiederholt zurückgeschnitten, ohne Blüten des andern Geschlechts hervorzulocken. Noch eindringlichere Versuche stellte ich mit Melandrium album an. Ich entfernte, so weit als sich dies ohne Beschädigung der jüngsten Anlagen bewerkstelligen ließ, einzeln alle Blütenknospen. Diese Ope- ration setzte ich an drei kräftigen Weibchen und einer Anzahl Männchen von Mitte Jnni bis Mitte Juli 1895 fort. Als ich hierauf die Weiter- entwicklung der zurückgebliebenen Anlagen zuließ, erhielt ich aus 1) De diserimine sexuali jam in seminibus plantarum dioicarum apparente. Diss. inaug., Tubingae 1821. 2) Vergl. Flora, 1822, Bd. II, vierte Beilage, p. 51. 3) 4 Cop: 42. 774 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). ‘ ihnen durchaus unveränderte männliche oder weibliche Blüten. Eben- sowenig gelang es mir, die Bildung der nicht vorhandenen Frucht- knoten in männlichen Blüten und der Staubblattanlagen in weiblichen Blüten zu veranlassen, als ich sie kastrierte. Von relativ fortgeschrit- tenen Blütenknospen an, ging ich bis zu den jüngsten hinab, an denen die Operation sich noch ausführen ließ. Es wurden einerseits die Staub- blattanlagen, andererseits der in Entwicklung begriffene Fruchtknoten entfernt. Da sehr junge Blütenknospen solchen Eingriff nicht ver- trugen, versuchte ich an weiblichen Pflanzen es auch, die Fruchtknoten- anlagen durch einen Nadelstich zu beschädigen. Alle diese Kastra- tionen blieben ohne Einfluss auf das entgegengesetzte Geschlecht. Den nur angestochenen Fruchtknotenanlagen gelang es vielfach ihre Wunde auszuheilen. Die frühzeitige Entfernung der Staubblätter verhinderte nicht die Streekung der Blütenachse zwischen Keleh und Blumenkrone. Andererseits veranlasste die Entfernung oder Beschädigung der Frucht- knoten nicht eine solche Streckung in der weiblichen Blüte. Also auch die sekundären geschlechtlichen Merkmale dieser Blüten bleiben unbeeinflusst. Die bei der Befruchtung schon bestimmte Herrschaft des einen Geschlechts macht sich bei den diöcischen Pflanzen dementsprechend frühzeitig geltend, lange bevor es zur Blütenbildung kommt. Denn rasch stellen sich an der jungen Pflanze jene korrelativen Er- scheinungen ein, die als sekundäre Merkmale das gegebene Geschlecht begleiten. Man kann es einem Bingelkraut (Mercurialis), einer Hanf- pflanze, selbst auch einem Melandrium sehr bald ansehen, ob sie zu männlichen, oder zu weiblichen Pflanzen sich entwickeln werden. Beim Hanf ist das weibliche Exemplar kräftiger, sein Stengel wird merklich dicker; bei den Melandrien, die ich in so großer Zahl zu sehen bekam, sind die Männchen kleiner, stärker verzweigt und späterhin auch blütenreicher als die Weibchen. Auch der Umstand, dass diöcische Pflanzen aus der embryonalen Substanz ihrer Vegetationspunkte ganz allgemein nur das eine Ge- schlecht reproduzieren, ist entscheidend dafür, dass schon in der embryonalen Substanz über das Geschlecht entschieden ist. Doch es ließe sich vielieicht der Gedanke fassen, dass der ältere Teil an einer diöeischen Pflanze durch das in ihm herrschende Geschlecht auch das Geschlecht der sich neu entwickelnden Teile dauernd bestimme. Man könnte ja annehmen, dass gewisse formative Stoffe aus den älteren Teilen den Vegetationspunkten zuströmen und die morphogenen Vor- gänge im Sinne des Geschlechtes in ihnen auslösen. Dass dem nicht so sein kann, lehrt der Umstand, dass es möglich ist, Reiser des einen Geschlechts auf der Unterlage des entgegengesetzten zu veredeln, ohne dass irgend welche geschlechtlichen Beeinflussungen sich einstellen. So kräftig sich auch die weiblichen Reiser von Ginkgo biloba in vielen nn Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 775 unserer Gärten auf den männlichen Stämmen entwickelt haben, sie bleiben, was sie waren. So viel Samenanlagen solcher veredelter weib- licher Aeste ich auch untersucht habe, nie fand ich eine Veränderung an ihnen in Richtung der männlichen Blüten, nie auch eine männliche Blüte. Auch die männlichen Stämme selbst, an welchen die veredelten weiblichen Reiser schließlich mächtige Entwicklung nahmen, haben niemals Anlagen weiblicher Blüten aufgewiesen. Und doch fließen die in den weiblichen Aesten erzeugten Assimilate notgedrungen auch dem männlichen Stamme zu und werden von dort aus, im Frühjahr, in den Wasserbahnen, nicht nur den sich entwickelnden weiblichen, sondern auch den männlichen Sprossen zugeführt. Selbst der etwas abweichende Habitus der weiblichen Aeste von Ginkgo, die sich durch gedrungeneren Wuchs und etwas geneigtere Zweige auszeichnen, auch später ihr Laub werfen, bleibt auf dem männlichen Stamm erhalten. Ich habe andererseits auch mit krautartigen diöeischen Pflanzen Versuche angestellt und Zweige des entgegengesetzten Geschlechts auf ihnen veredelt. Diese Veredlung wurde zuerst bei Bryonia dioica aus- geführt, hatte dort aber keinen Erfolg. Sie gelang hingegen in einer Anzahl von Fällen bei Mercurialis annua und fast stets bei Cannabis sativa. Die Veredelung wurde in allen diesen Fällen durch Pfropfung junger Zweige vollzogen. Ich führte sie aus, sobald das Geschlecht des Individuums am Habitus oder an den ersten Blütenanlagen sich zeigte. Den an der Basis einseitig zugeschärften Zweig setzte ich in den Gefäßbündelkreis der Unterlage ein, entweder von oben, nach vorangehendem Köpfen der Unterlage, oder von der Seite, ober- halb der Achselknospen. Die Gipfeltriebe der Unterlage wurden auch im letzten Falle nach einiger Zeit entfernt. Die gepfropften Zweige entwickelten sich meist recht kräftig, so unter andern ein 25 cm langer männlicher Hanfzweig auf einer kräftigen weiblichen Pflanze, bis auf 1,350 m Länge, ein anderer ähnlicher auf 1m; in keinem Falle aber, weder beim Hanf noch bei Mercurialis, ließ sich eine Aenderung des Geschlechtes nachweisen. Selbst nach hermaphroditen Blüten, die unter- Umständen spontan bei diesen Pflanzen auftreten, suchte ich bei meinen Objekten vergeblich. Also auch die spezifische Ernährung durch die Unterlage entgegengesetzten Geschlechts konnte die gegebene ge- schlechtliche Tendenz der Vegetationspunkte nicht beeinflussen. Allen diesen Ergebnissen lassen sich nun aber die Versuche von Maupas!) und M. Nussbaum?) entgegenstellen, denen Beein- flussung des Geschlechtes der Eier bei dem Rädertierchen Hydatina senta gelang. Wie M. Nussbaum diese Beeinflussung nunmehr dar- stellt, sollen Weibchen, die nach dem Auskriechen aus dem Ei reich- lich Nahrung fanden, weibliche Brut erzeugen, männliche Brut hin- 1) 1. ec. Comptes rendus de l’Acad,. Paris, 14. Sept. 1891. 2) Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgesch., Bd. 49, 1897, p. 228.; 76 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). ‚gegen liefern, wenn sie um die gleiche Zeit hungern mussten. Dass eine solche Einwirkung auf Melandrium nicht möglich ist, haben wir gesehen. Ob Pollen und Ei den schwächsten oder stärksten, den am schlechtesten oder den am besten ernährten Individuen entstammten, blieb auf das Geschlechtsverhältnis der Nachkommen ohne Einfluss. Eine Verallgemeinerung lassen die Befunde bei Hydatina ‘somit nicht zu. Es lässt sich vielmehr auch hier nur an die Ausbildung eines Specialfalles denken, eine besondere Einrichtung, aus der diese Species Vorteil zieht. Dasselbe gilt für den ganz ähnlichen Fall der Blatt- läuse. Bei diesen werden auf parthenogenetischem Wege nur Weibehen erzeugt, so lange als die Entwicklungsbedingungen sehr günstig liegen, das heißt die Tiere über eine reiche Nahrung verfügen. Im Herbst, wenn Mangel sich einstellt, werden die Weibehen durch ihn so beein- flusst, dass sie nicht nur weibliche, sondern auch männliche Eier legen und so für die Befruchtung jener Eier vorgesorgt ist, welche den Winter überdauern sollen. Durch Zufuhr von reichem Futter kann das Er- scheinen männlicher Blattläuse jahrelang verhindert werden. Eine nachträgliche Beeinflussung des Geschlechts der aus den Samen sich entwickelnden diöcischen Phanerogamen ist weder Heyer noch mir gelungen und entgegengesetzt lautende Angaben, im beson- deren die von Molliard für Hanf, ergaben sich als nicht stichhaltig. Ebenso wenig vermochten die seiner Zeit von Landois!) aufgestellten Behauptungen einer nachträglichen Aenderung des Geschlechts bei Bienen und Schmetterlingen sich zu halten. Landois versetzte Bienen- eier, welche die Königin in Arbeiterinnenzellen gelegt hatte, in Drohnen- zellen und meinte, dass sie dort, in Folge besonderer Nahrung sich zu männlichen Drohnen, statt zu weiblichen Arbeiterinnen entwickelt hätten. Dagegen machten v. Siebold?) und G. Kleine?) alsbald geltend, dass von Menschenhand berührte Eier alsbald beseitigt und durch andere ersetzt werden. So auch beobachtete vom Rath), dass in einem Bienenstock ohne Königin eine Anzahl von Drohnen, die ab- normer Weise von den Arbeiterinnen nach Art der Königinnen ge- füttert wurden, trotzdem ihr Geschlecht nieht veränderte. Sie erreichten eine ansehnliche Größe und die mikroskopische Untersuchung der Ge- schlechtsorgane ergab deren auffallende Hemmung. Doch es blieb bei dieser Veränderung. Oft eitiert wird auch die Angabe von Landois?) 1) Ueber das Gesetz der Entwicklung der Geschlechter bei den Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XVII, 1867, p. 375 und ebenda p. 378. 2) Zusatz zu Landois’ vorläufiger Mitteilung. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd, XVII, 1867, p. 525. 3) Ueber das Gesetz der Entwicklung der Geschlechter bei den Insekten, ebenda p. 553. 4) Festschrift für August Weismann. Ber. d. naturf. Gesellsch. in Freiburg i. Br., Bd. VIII, 1894; vergl. auch Biol. Centralbl., Bd. XVI, 1894, p. 319. 5) 1. €.’B..318. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 777 über Vanessa urticae. Er will aus Tausenden von ganz jungen Räup- chen willkürlich Männchen oder Weibchen gezogen haben, je nach dem er sie schlecht oder gut nährte. Ein Ueberfluss von Nahrung sollte die Ausbildung des weiblichen Geschlechts veranlassen. Gegen diese Angabe von Landois hat sich v. Siebold ebenfalls gewandt, und sie erscheint daher nicht unanfechtbar. Doch selbst wenn sie zutreffend wäre und auch einige andere ähnliche Angaben, so die von Reichenau!) für Hirschkäfer, gelten sollten, könnte man auf Grund anderweitiger Erfahrungen deren Verallgemeinerung nicht zulassen, und sie müssten in das Gebiet der Speeialanpassungen verwiesen werden. Zunächst sind aber diese Angaben überhaupt noch fraglich, sicher hingegen ein von M. Nussbaum festgestellter Fall, der die nachträg- liche Geschlechtsänderung bei dem grauen Polypen vorführt. „Bei dem grauen Polypen des süßen Wassers“, so schreibt Nussbaum, „kann das Geschlecht .... am fertigen Tier durch Variation der äußeren Bedingungen abgeändert werden. Je nach dem Grade der Ernährung erzeugt derselbe Polyp Eier oder Hoden“. Dieses Experiment, so fügt Nussbaum hinzu, „stellt also einen Fall dar, wo man auch nach der Befruchtung das Geschlecht noch verändern kann“ ....2). — Die Richtigkeit der M. Nussbaum’schen Angaben ist über allen Zweifel erhaben, nur darf nicht unbeachtet bleiben, dass es sich bei dem grauen Süßwasserpolypen um einen Zwitter handelt ?). Bei diesen treten aber die Tendenzen der beiden Geschlechter aktiv in die Erscheinung. Dass unter diesen Umständen bestimmte Bedingungen es gestatten, die Aeußerung des einen Geschlechts zu unterdrücken, beziehungsweise des andern zu stärken, ist nicht auffällig. Augenscheinlich lag beim grauen Polypen das Bedürfnis nicht vor, die geschlechtlichen Tendenzen so festzulegen, wie es bei den getrenntgeschlechtlichen Organismen geschah. Ja es mochte unter Umständen hier Vorteil bringen, ein schwaches Individuum auf die Bildung der männlichen Geschlechts- produkte einzuschränken und die Bildung des weiblichen bei einem stärkeren Individuum zu fördern, das damit seine Progenitur besser ausstatten kann. Das lässt sich nicht selten auch an monöeischen Pflanzen beobachten. Die Wassermelonen erzeugen vielfach*) zunächst nur männliche Blüten, weibliche erst an der Spitze älterer Zweige. Pflanzen, deren Entwicklung durch ungünstige Einflüsse frühzeitig sistiert wird, bleiben demgemäß männlich. Dass keine Umwandlung 4) Ueber den Ursprung des sekundären männlichen Geschlechtscharakters, insbesondere bei den Blatthornkäfern. Kosmos, 5. Jahrg., 1881—82, Bd.X, p.172. 2) Archiv f. mikr. Anat., Bd. 49, 1897, p. 306. 3) M. Nussbaum, Geschlechtsentwicklung bei Polypen. Sitzungsber. der niederrh. Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde zu Bonn. Sitzungen der med. Sekt., 1892, p. 13 u. 40. 4) Heyer l. c. p. 64. 178 Strasburger, Versuche mit diöeischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). .der Geschlechter dabei vorliegt, ist ohne weiters klar. Einen 40 Fuß hohen Baum der monöcischen Castanea americana, der bis dahin reich- lich Früchte trug, dann aber zu kränkeln anfıng, sah Meehan!') von jenem Augenblicke an, noch tausende männlicher Blüten, aber keine einzige weibliche mehr entwickeln. Cugini?) fand bei hungernden Pflanzen des monöcischen Mais solche, die ausschließlich männliche Aehren trugen. Eine ähnliche Beobachtung an derselben Pflanze machte auch K. Müller). Nicht anders verhielt es sich mit den Prothallien von Osmunda regalis und von Ceratopteris thalictroides, die Prantl®) kultivierte. Bei mangelhafter Ernährung blieb die Bildung des „Meri- stems“ aus und damit auch die Bildung von Archegonien. Solche Prothallien trugen nur Antheridien, konnten aber durch nachträgliche Besserung der Ernährung zur Bildung eines „Meristems“ und somit auch von Archegonien veranlasst werden. Mangelhafte Ernährung wirkt also auf solche Prothallien nicht anders als auf die Wassermelone ein, sie lässt die Ausbildung des weiblichen Geschlechts nicht zu. Aus ähnlichem Grunde werden bei zu schwacher Beleuchtung, so wie das Borodin?°) feststellte, an Farnprothallien nur Antheridien erzeugt. Für die Prothallien von Equisetum Telmateja gab Schacht‘) schon an, dass sie steril blieben, falls man sie auf Wasser schwimmend sich entwickeln lässt. Ist Erde am Boden des Gefäßes vorhanden, so bilden sich bei solehen schwimmenden Prothallien Antheridien, vereinzelt auch Archegonien aus. Auf humusreichem Boden erzogen, haben solche Prothallien nach Milde?) stets reichliche Archegonien aufzuweisen. Die Tendenz zur Diöcie macht sich bei andern Arten aber bereits stark geltend. Im besondern geht aus den Angaben von Duval Jouve?) hervor, dass bei Egwisetum maximum, sylvaticum, arvense, limosum, palustre, ramosissimum und variegatum Prothallien, die reich an Arche- gonien sind, im allgemeinen keine Antheridien ausbilden, so dass auf Hunderte weiblicher Prothallien nur ein oder zwei Antheridien tragende zu finden sind. Eine solche Tendenz zur geschlechtlichen Trennung 1) On two classes of male flowers in Castanea and the influence of nutrition on sex, Proceedings of the American association for the advancement of science 19. Meeting held at Troy, New-York, Aug. 1872, Cambridge, 1871. p. 282, Bot. Zeitg., 1874, p. 334. 2) Intorno ad un anomalia della Zea Mays. Nuovo giorn. bot. ital., Bd. XI, 1880, p. 247 und Bot. Centralbl., 1880, S. 1130. 3) Natur, 1864, p. 107. 4) Bot. Zeitg., 1831, Sp. 772. 5) Regel’s Gartenflora. 1868 p.95 und Bull. de l’Acad. de St. P£tersb., Bd. XII, 1867, Nov., p. 446. 6) Die Spermatozoiden im Pflanzenreich, 1864, p. 2. 7) Das Auftreten von Archegonien an Vorkeimen von Equisetum Telma- teja. Flora 1852, p. 497. 8) Histoire naturelle des Equisetum de France, 1864, p. 107. ee ee en A a ne nn Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 779 sei aber an den männlichen Prothallien derselben Pflanzen nicht vor- handen, so dass man an der Basis: ihrer Zweige häufig Archegonien fände. Wo bei Farnen eine Neigung zur Diöcie der Prothallien ge- geben ist, erscheint sie nicht fixiert und von den vorhandenen Be- dingungen beeinflussbar. So in etwas begrenzterem Maße auch bei Equisetum. Es bringt auch hier Vorteil, nur den kräftigeren Prothallien die Ausbildung der neuen Generation anzuvertrauen. Daraus erklärt sich auch, dass bei so vielen Equiseten die Archegonien tragenden Prothallien keine Antheridien bilden. Die hatten eben von Anfang an sich kräftig entwickelt und wurden daher frühzeitig weiblich be- stimmt. In den schwächeren Prothallien erfolgte zunächst die Aus- lösung des männlichen Geschlechts, dann auch die des weiblichen, als sie durch die Gunst der Umstände erstarkten. Das alles schließt, wie nochmals betont werde, an die nämlichen Erscheinungen an, wie sie die Wassermelone uns bot. Eine ganz andere Sache wäre es, wenn es bei den Gefäßkryptogamen gelänge, nach vollzogener Trennung der Sporen in Mikro- und Makrosporen, erstere zur Bildung von Arche- gonien und letztere zu einer solchen von Antheridien willkürlich zu veranlassen. Angaben, dass dies gelang, liegen in der Litteratur nicht vor und sind nicht eben zu erwarten. Eine bestimmte Geschlechtsverteilung beim monöcischen Perlmais hatte W. Knop') in Nährstofflösungen erreicht, die ein unterschwefel- saures Salz (unterschwefelsaure Magnesia) an Stelle eines schwefel- sauren enthielten. An allen neun Exemplaren seiner Kultur „wurde die männliche Rispe in eine einfache Aehre sitzender Blüten, denen, am unteren Ende, einige kurz gestielte männliche und vier bis fünf weibliche eingestreut waren, zusammengezogen“. Diese Erscheinung wiederholte sich an späteren, entsprechenden Kulturen. Da könnte es scheinen, als wenn eine geschlechtliche Auslösung durch das unter- schwefelsaure Salz vollzogen worden wäre. In Wirklichkeit liegt aber die Sache doch anders. Bei der Kultur in Nährstofflösung mit unter- schwefelsaurem Salz wird die Bildung seitlicher Ausgliederungen an der primären Aehre der Pflanzen unterdrückt. Das führt zur Bildung derjenigen weiblichen Blüten, die dort erzeugt worden wären, an der terminalen männlichen Aehre. So wurde durch das unterschwefelsaure Salz die Einschränkung der seitlichen Ausgliederung bei Kürbis, Me- lone und Gurke auch erreicht. Bei diesen erwähnt Knop nichts von einer gleichzeitigen Beeinflussung des Geschlechts der Blüten. Zahl- reiche Blüten traten auf, doch die Fruchtanlagen wurden alsbald ab- gestoßen ?). 4) Erster Bericht vom Neuen landwirtsch. Inst. der Univ. Leipzig, herausg. von Blomeyer, 1831, p.27, 38. Ze tesp. 50, 91. 780 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). An solche Verschiebungen (der getrenntgeschlechtlichen Blüten am monöeischen Individuum knüpfen jene Fälle an, wo Verschie- bungen der Geschlechtsorgane in der hermaphroditen Blüte sich voll- ziehen. Verwandlung von Staubblättern in Carpelle, und umgekehrt, sind da eine so bekannte Erscheinung, dass ich auf sie einfach hin- weisen kann. Der Umstand, dass beide geschleehtliche Tendenzen in demselben Individuum, beziehungsweise in jeder Blüte desselben, zur Auslösung kommen, erleichtert diese Umwandlung. Es braucht ja nur der gewohnte Rhythmus in der geschlechtlichen Auslösung gestört zu werden, damit derartige Erscheinungen sich äußern. Im besonderen hat Hugo de Vries!) ganz vor kurzem gezeigt, dass die Umwand- lung der inneren Staubgefäße beim Mohn in Nebencarpelle durch ge- steigerte Ernährung leicht erreicht werden kann. Wichtig war zugleich das Ergebnis, dass in diesem Fall der durch jene gesteigerte Ernährung erzielte Effekt bis zu einem gewissen Maße erblich ist, und dass man daher, durch Selektion der besternährten Individuen, die Zahl der Nebencarpelle in aufeinander folgenden Generationen steigern kann. Das was sich aus meinen Versuchen für diöcische Pflanzen, aus jenen Eduard Pflüger’s für Frösche ergab, das gilt auch, wie sich wohl behaupten lässt, für die Säugetiere, mit Einschluss des Menschen. So ist jedem Züchter bekannt, dass er allen Versuchen das Geschlecht seiner Haustiere nach Willkür zu bestimmen, ohnmächtig gegenüber- steht. Für die Geschlechtsbestimmung beim Menschen lässt sich dasselbe behaupten, und der gemachte Ausspruch wird sich auch kaum ändern, selbst wenn das sogenannte Hofacker-Sadler’sche Gesetz Geltung haben sollte. Dieses „Gesetz“ sagt aus, dass beim Menschen die männ- lichen Nachkommen überwiegen, wenn der Vater älter ist, die weib- lichen, wenn das für dieMutter zutrifft, dass beide Zahlen annähernd ein- ander gleichen, oder nur wenig günstiger für dieKnaben sind, wenn Vater und Mutter dasselbe Alter haben. Heyer?) wandte sich gegen dieses Gesetz, das aus zu wenigen und zu kleinen Zählungen abstrahiert worden wäre, und dem auch zahlreiche Angaben widersprächen. Er fügte hiuzu, dass bei Mercurialis die einander befruchtenden Pflanzen sleiches Alter besitzen und doch das Verhältnis der männlichen zu den weiblichen Nachkommen das nämliche sei, wie beim Menschen, bei welchem dasAlter des Vaters gewöhnlich überwiege. Das Hofacker-Sadler’sche Gesetz kann im allgemeinen heute als aufgegeben .gelten?); es würde übrigens, auch wenn es gälte, das Verhältnis-zu Gunsten der Knaben 4) Ernährung und Zuchtwahl. Biol. Centralbl., 1900, Bd. XX, p. 19. 2) 1. €. p. 104. 3) Lexis, Geschlechtsverhältnis der Geborenen und der Gestorbenen, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. III, 1892, p. 816. Ebenso in der neuen Auflage, Bd. IV, 1900, p. 177. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 781 nur wenig verschieben. Man könnte ja immerhin denken, dass es sich als Art- oder Rassen -Eigentümlichkeit ausgebildet habe; irgend eine Vorausbestimmung des Geschlechts auf Grund des Altersverhältnisses der Eltern würde es aber nicht zulassen. Etwas besser begründet scheint die von Düsing') vertretene Ansicht, dass, im besondern bei Pferden, um so mehr männliche Nachkommen gezeugt werden, je mehr der Hengst geschlechtlich in Anspruch genommen wird. Düsing stützt sich in seiner letzten Zusammenstellung?) auf fast 1190500 Be- obachtungen in Gestüten, die nach der Zahl der von jedem Hengst jährlich gedeckten Stuten auf sieben Klassen verteilt werden. Hatte der Hengst 60 und mehr Stuten gedeckt, so stellte sich das Geschlechts- verhältnis der männlichen zu den weiblichen Nachkommen auf 101,2 zu 100, mit abnehmender Zahl der Deeckungen ging es mehr und mehr zurück. Bei 20 bis 34 Deckungen betrug es nur noch 95,6 zu 100. Auch die Düsing’schen Anschauungen, im besonderen in ihrer Ueber- tragung auf den Menschen, haben sich bisher einer allgemeinen An- nahme nicht zu erfreuen gehabt?); sie würden übrigens im Extrem ebenfalls nur eine Verschiebung der Verhältniszahl der beiden Ge- schlechter in den Grenzen von 95,6 zu 101,2 bedeuten und somit die Vorausbestimmung des Geschlechts nicht nennenswert günstiger gestalten. Alle Versuche bei Metaphyten und Metazoen auf experimentellem Wege in die unter erblichem Einfluss stehenden Geschlechtsverhältnisse einzugreifen, sind, so oft das Gegenteil auch behauptet wurde, bisher erfolglos geblieben. Wie bei Metaphyten, so bei Metazoen, ist der getrenntgeschlechtliche Organismus gegen jede äußere Beeinflussung ‚ seines Geschlechtes gesichert. Eine solche Beeinflussung würde in der ‚ That das erblich fixierte Verhältnis je nach Umständen verschieben und eine gedeihliche Fortentwicklung der Species gefährden. Doch damit ist nicht gesagt, dass es nicht doch einmal bei Meta- phyten oder Metazoen gelingen sollte, diesen Widerstand zu brechen. Es könnte das nur, so meine ich, durch Einflüsse geschehen, auf welche der Organismus nicht vorbereitet ist. Man müsste gewissermaßen durch Ueberraschung auf ihn einwirken. Gegen alle Einflüsse die ihn im Laufe seiner Entwicklung treffen können, ist der Organismus geschützt. Es gelte daher mit solchen Mitteln ihm zu begegnen, denen er nicht erblich fixierte Fähigkeiten entgegenstellen kann, oder mit Mitteln die stark genug sind, diese seine Fähigkeiten zu überwinden, ohne ihn anderweitig zu schädigen. Dabei käme es darauf an, die Embryonalzellen zu erreichen, die gewünschte Auslösung direkt oder indirekt in ihnen zu erwirken. Es ist klar, dass diese 1) Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei Pferden, Landw. Jahrb., herausg. von Thiel, Bd.XVI, 1887, p. 699 und 1888, Bd. XVII, p. 373. 2) 1. ce. 1888, p. 382. 3) Verel., Lexis,]..c. 782 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). unter allen Umständen notwendige Beeinflussung der Embryonalzellen mehr Aussicht auf Erfolg bei jenen Pflanzen und Tieren bieten muss, die ihre Geschlechtsprodukte ins Wasser entleeren, oder deren Ge- schlechtsprodukte nur wenig verhüllt sind, als bei jenen, deren Eier an schwer zugänglichen Stellen desKörpers befruchtet werden. Auch wird mit wenigzelligen Organismen als solchen, leichter als mit vielzelligen zu experimentieren sein. Denn eine gleichzeitige Beeinflussung aller Elemente, somit auch embryonalen Zellen, ist bei wenigzelligen Orga- nismen leichter vorstellbar als bei jenen, bei welchen der Weg zu den embryonalen Zellen durch zahlreiche andere Gewebe führt. Bei einer An- zahl verhältnismäßig einfach gebauter Algen und Pilze hat neuerdings Georg Klebs') nicht geringe morphogene Erfolge durch direkte chemische und physikalische Beeinflussungen erzielt. Er bekam auf diese Weise die verschiedenen Arten der Fortpflanzung in seine Gewalt und konnte die Organismen nach Belieben zwingen in diese oder jene Fortpflanzungsart einzutreten. Auch Parthenogenesis vermochte er auf diese Weise anzuregen, und das gelang seitdem Alexander Nathansohn?) auch bei einer relativ hoch organisierten Pflanze, dem Wasserfarne Marsilia. — Willkürliche Geschlechtsbestimmungen, oder gar Umwandlungen der Geschlechter, weisen aber die Ver- suche von Klebs bisher nicht auf. Doch das könnte ja damit zusammenhängen, dass Klebs bisher nur sehr wenige getrennt- geschlechtliche Objekte in den Kreis seiner Untersuchungen zog. Für Spirogyra verzeichnet, trotz aller seiner sonstigen Erfolge, Klebs selbst: „Welche Umstände bei der Bestimmung des männlichen und weiblichen Geschlechts entscheiden, ist bisher rätselhaft“®). Bei Vaucheria repens gelang es Klebs*) durch äußere Einflüsse, so durch höhere Temperatur und durch niederen Luftdruck, eine Ueberproduktion der Antheridien zu veranlassen. Andererseits war es ihm nicht mög- lich, die Antheridien zu unterdrücken und allein nur Oogonien zu er- halten. Doch wenn die Kulturen bei Vaucheria repens rein weibliche und rein männliche Pflanzen, ganz nach Willkür, auch ergeben hätten, so würde eine andere Erscheinung nicht vorgelegen haben, als in jenen Fällen bei monöcischen Phanerogamen oder monöeischen Pro- thallien, wo bestimmte Kulturbedingungen nur die Bildung der einen, etwa der männlichen Geschlechtsorgane, zulassen. — Ein Zusatz von 0,1°, Kaliphosphaten oder Natronphosphaten beförderte bei der eben- 1) Die Bedingungen der Fortpflanzung bei einigen Algen und Pilzen, 1896 ; Zur Physiologie der Fortpflanzung einiger Pilze, I, II und III. Jahrb. f. wiss. Bot,, Bd. XXXII p.1; Bd. XXXII p. 513; Bd. XXXV p.80, 1898, 1899, 1900. 2) Ueber Parthenogenesis bei Marsilia und ihre Abhängigkeit von der Temperatur. Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1900, p. 99. 3) Die Bedingungen der Fortpflanzung ete., p. 253, 4) Ebenda p. 130 ff. ee Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 783 falls monöcischen Saprolegnia mixta!) auf den Oogonien die Bildung der bei dieser Species an sich nie sehr zahlreichen Antheridien. Mit 0,05°%, Hämoglobinlösungen konnten andererseits Pflanzen erzielt wer- den mit einer Unmenge von Oogonien, die auffallend große Eier führten, während die Antheridien ganz fehlten, oder höchstens unter vielen hunderten an ganz vereinzelten Oogonien sich fanden. Auf Grund seiner bisherigen Erfahrungen konnte Klebs auch bereits die Ansicht aussprechen, dass „so lange die für das Wachstum der niederen Organismen charakteristischen äußeren Bedingungen vor- handen sind, Fortpflanzung nicht eintritt. Die für diesen Prozess günstigen Bedingungen sind stets für das Wachstum mehr oder weniger ungünstig“ ?). Dieser Gegensatz zwischen dem Wachstum der vegeta- tiven Teile und der Fortpflanzung herrscht auch bei den Blütenpflanzen, und dürfte innerhalb gewisser Grenzen auch im Tierreich gelten. Auch an tierischen Eiern soll durch chemische und andere Reize parthenogenetische Furchung ausgelöst worden sein. An den Eiern von Bombyxz wollen Tiehomiroff’) mit Schwefelsäure und durch andauerndes Bürsten, bei den Froscheiern Dewitz*) mit Sublimat- lösung, an Eiern von Fischen und Amphibien, Koulagine?°) mit Anti- diphtherieserum eine parthenogenetische Entwicklung eingeleitet haben. Loeb®) gelang es mit Manganchlorür bestimmter Konzentration von Eiern des Seeigels Ardacia sogar normale Plutei zu erlangen. Ganz neuerdings geben Pieri’) und Hans Winkler®) an, mit Extraktiv- stoffen des Sperma Echinodermeneier bis zum Morulastadium gebracht, beziehungsweise ihre ersten Teilungen veranlasst zu haben. In allen diesen Fällen wären somit auch morphogene Auslösungen gelungen, die zwar nicht in die Geschlechtssphäre gehören, wohl aber doch zu Versuchen, diese zu beeinflussen, anregen. Goebel?°) spricht die Vermutung aus, es könnte sich vielleicht auch bei manchen „Bastardierungen“, bei denen die Eizelle es nur bis zu einem unvollständigen Embryo bringt, dann abstirbt, nicht um Be- fruchtung, sondern um den Uebertritt löslicher Stoffe aus dem Pollen- schlauch in die Eizelle handeln. Durch „Wuchsenzyme“ könnte es unter Umständen noch gelingen „auch kernlose Zellen“ zur Weiter- 4) Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXIII, p. 562 ff. 2) Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XXXV, p. 151. 3) Archiv f. Anat. u. Phys., 1886, Phys. Abt., Suplementband. 4) Biol. Centralbl., Bd. VII, 1888, p. 93. 5) Zool. Anz., Bd. XXI, 1898, p. 653. 6) Amerie. Journ. of Physiol., Bd. III, 1899, p. 135. 7) Archives de zool. exp. et gen., 3. ser., T. VII, 1899, p. XXIX. 8) Nachrichten der Gesellsch. d. Wiss. zu Göttingen, Math.-Phys. Klasse, 1900, Heft 2. 9) Bei Besprechung der Mitteilung von Hans Winkler, Flora, Bd. 87, 1900, p. 308. 784 Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). entwicklung zu bringen. Ich hätte meinerseits gegen „Wuchsenzyme“ nichts einzuwenden, so weit darunter wirkliche Enzyme, die morpho- gene Auslösungen zu vollziehen im stande sind, zusammengefasst würden. Dass solche morphogene Auslösungen aber auch durch solche Körper wie Manganchlorür vollzogen werden können, haben wir ge- sehen, und nicht minder vermögen es physikalische Einwirkungen, wie Wärme. In allen diesen Fällen wird es sich aber nicht um direkte Wirkungen des Stoffes selbst, beziehungsweise des physikalischen Agens handeln, sondern um Reize, welche von ihnen auf die lebendigen Be- standteile der Protoplasten ausgeübt werden. Sie können durch diesen Reiz die Thätigkeit eines lebendigen Bestandteils der Protoplasten ent- weder unmittelbar anregen, oder, wie es bei reichlicher Nahrungszufuhr oder dem Einfluss der Wärme anzunehmen ist, deren Vermehrung ver- anlassen und so bedingen, dass er in Wirksamkeit trete. Was im besonderen die Wirkung höherer Temperaturen anbetrifft, so haben die im hiesigen Institut durch Hottes ausgeführten Versuche ergeben, dass sie unter Umständen eine wesentliche Zunahme des Kinoplasma im Zellkörper zur Folge hat. Dass es auf die Zunahme dieses aktiven Bestandteiles des Cytoplasma bei der durch höhere Temperatur ver- anlassten parthenogenetischen Furchung der Eier von Marsilia an- kommen könnte, hat auch schon Alexander Nathansohn!) em- pfunden. Doch weist er diese Annahme zunächst noch ab, weil ihm die Existenz des Kinoplasma noch nicht hinlänglich begründet erscheint. Man wird es mir wohl nicht verargen, wenn ich in diesem Punkte anderer Ansicht bin. Dass thatsächlich in Furchungszellen von Echino- dermeneiern, Teilungsvorgänge, wenn auch unvollständige, selbst in kernlosen Protoplasten sich abspielen können, wenn ein Centrosom und die spindelbildende Substanz zugegen sind, hat Boveri?) bereits ge- zeigt. Dem Centrosom mit anschließender Strahlung entspricht aber eben das, was ich als Kinoplasma in Protoplasten der höher organi- sierten Pflanzen bezeichne. Die durch auslösende Agentien erzielten Anläufe zu partheno- genetischer Entwicklung bei Metazoen und Metaphyten haben bisher noch nicht bis zur Ausgestaltung geschlechtsreifer Individuen geführt. Ob das bei weiterer Ausdehnung der Versuche und Schaffung ent- sprechender Bedingungen möglich sein wird, muss erst die Zukunft lehren. Zunächst ist die Annahme wohl zulässig, dass eine künstlich ausgelöste parthenogenetische Entwicklung nicht bis zum normalen Abschluss geführt werden könne. Kehren wir zu unserer Aufgabe nunmehr zurück, so fasst sich 1) Ber. d. deutsch. bot. Gesellsch., 1900, p. 108. 2) Zur Physiologie der Kerm- und Zellteilung. Sitzungsber. d. physikal.- mediz. Gesellsch. zu Würzburg, 31. Okt. 1896. Strasburger, Versuche mit diöcischen Pflanzen (Geschlechtsverteilung). 785 diese in dem Ergebnisse zusammen, dass eine willkürliche Bestimmung des Geschlechts bei diöcischen Phanerogamen bis jetzt nicht gelang. Dieses Ergebnis lässt sich zunächst auch noch auf das gesamte Pflanzen- reich ausdehnen und gilt zum mindesten auch für Metazoen. Soweit als unsere Mittel bis jetzt reichen, wäre der einzige Weg, auf dem wir eine Verschiebung des Zahlenverhältnisses der Geschlechter bei getrenntgeschlechtlichen Organismen erreichen könnten, der der künstlichen Zuchtwahl. Also nur durch Benutzung der individuellen Variationen und durch Verbindungen unter gleichmäßig abweichenden Individuen ließen sich solche Erfolge erzielen. Es müssten Rassen mit einer andern Verhältniszahl der Geschlechter erzogen werden, so wie solche Rassen auch von selbst entstanden sind. Wir lernten solche beim Hanf kennen, Eduard Pflüger!) hat sie für die Frösche nach- gewiesen. Es wird auch angegeben, dass beim Menschen die Ge- schlechtsverteilung von Land zu Land etwas verschieden ist. In Mittel- europa stellt sie sich ganz allgemein auf 106 Knaben zu 100 Mädchen. In London scheint sich das Verhältnis im Laufe der Zeit etwas ge- ändert zu haben. Für die Jahre 1628 bis 1662 wird es auf 106,8 zu 100, gegenwärtig auf 104 zu 100 angegeben?). Wie es sich mit den anderen Menschenrassen verhält, lässt sich bis jetzt nicht sicher beurteilen. Für die Juden soll sich in Mitteleuropa das Verhältnis der Knaben zu den Mädchen etwas höher als für die Arier stellen. Eine Verschiebung der Zahlenverhältnisse der Geschlechter beim Menschen ließe’sich, soweit unser Einblick jetzt reicht, nur durch Züchtung gewinnen. Eine solche durchzuführen ist aber ebenso unmöglich, wie etwa der Versuch auf gleichem Wege, durch Ehen unter Mitgliedern langlebiger Familien die Lebensdauer des Menschen zu erhöhen. Auch würden derartige Züchtungsversuche längere Zeiträume beanspruchen und keinesfalls den Wünschen derjenigen entsprechen, die im Einzel- fall ein ganz bestimmtes Ergebnis verlangen. Diese mögen sich aber an der Erwägung beruhigen, dass das Zahlenverhältnis der Geschlechter, ebenso wie die Lebensdauer, bei den lebenden Wesen eine Anpassungserscheinung ist und den Bedürf- nissen der Species unter gegebenen Bedingungen am besten entspricht. Jeder willkürliche Eingriff in dieses Verhältnis würde es nur zu Un- gunst der Art verschieben, und daher für ihr Fortbestehen verhängnis- volle Folgen haben. 4) Ueber die das Geschlecht bestimmenden Ursachen und die Geschlechts- verhältnisse der Frösche. Pflüger’s Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. XXIX, 18832, p. 2A ME. 2) Lexis |. c. p. 816. xXX, f 50 786 Möbius, Ueber Parasitismus ü. sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. Nachträgliche Bemerkungen über Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. Von M. Möbius. Auf meinen im 17. Heft dieses Jahrgangs publizierten Aufsatz über Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche hat Herr Goebel eine „Bemerkung“ folgen lassen. Ich würde auf diese Bemerkung nicht antworten, wenn mir nicht mündlich von anderer Seite ähnliche Einwände, wie sie G. in Hinsicht auf die Phanerogamen erhebt, ausgesprochen worden wären. Um diese Einwände zn entkräften, möge es mir gestattet sein, noch einmal auf den Gegenstand zurückzukommen, indem ich versuchen will, meine Meinung noch deutlicher auszudrücken. Wenn man die saprophytischen und parasitischen Pflanzen betrachtet, so fällt es auf, dass sie in ihren Reproduktionsverhältnissen im Allge- meinen von den normal sich ernährenden Pflanzen abweichen, indem die Keime auf asexuellem Wege gebildet werden oder der Bau der Fortpflanzungsorgane ein abnormer ist oder beides zusammen auftritt. Bei den Pilzen finden wir, mit Ausnahme derjenigen Formen, die sich am nächsten an die Algen anschließen, eine ungeschlechtliche Sporenbildung. Man hat dieselbe mit dem Uebergang aus dem Leben im Wasser zu dem auf dem Lande oder in der Luft, wie er sich bei der mutmaßlichen Entstehung der Pilze aus den Algen vollzieht, in Zusammenhang gebracht. Wenn dies richtig wäre, so müsste man auch bei den Moosen und Farnen den Verlust der Sexualität mit dem Uebergange zum Landleben erwarten, da ja auch diese aus wasser- bewohnenden Algen abgeleitet werden. Richtiger schien es mir des- halb, die asexuelle Sporenbildung der Pilze mit ihrer saprophytischen und parasitischen Lebensweise in Verbindung zu bringen und dadurch zu erklären, dass ihre der normalen pflanzlichen Lebensweise entgegen- gesetzte Ernährung ihre übrige Organisation und vor allem den wich- tigsten Teil derselben, die Reproduktion, alteriere. Was sagt nun Herr Goebel hierzu? „Dass bei manchen Pilzen ein Zeugungsverlust stattgefunden hat, ist wohl unbestritten, aber der Zu- sammenhang dieser Erscheinung mit der Ernährungsweise durchaus unklar, so unklar wie die phylogenetische Ableitung der Pilze“. Ich denke, wenn wir überhaupt ein Recht haben, uns eine Vorstellung von der Phylogenese zu machen, so können wir dies nirgends so gut thun, wie bei den Pilzen: wir sehen in den Phycomyceten die deutlichen Uebergänge von den Algen zu den Pilzen, wir sehen, wie die Ba- sidiomyceten und Ascomyceten aus den conidientragenden und sporangienbildenden niederen Formen hervorgehen, und diese Ableitung in ihren großen Zügen scheint mir so klar zu sein, dass ich mich wohl damit zufrieden geben kann, wenn der Zusammenhang zwischen der Möbius, Ueber Parasitismus u. sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. 787 ungeschlechtlichen Fortpflanzung und der Ernährungsweise der Pilze nicht unklarer ist. Außerdem ist es unrichtig zu sagen, dass bei „manchen“ Pilzen ein Zeugungsverlust stattgefunden hat, da die gan- zen Basidiomyceten und fast ebenso die Ascomyceten, von denen nur die Laboulbeniaceen und einzelne am Anfange der Reihe stehende Formen auszunehmen sind, ihre Sporen auf asexuellem Wege produzieren. So wenigstens fassen wohl mit Brefeld die meisten Bo- taniker die Sache auf; es kann aber sein, dass Herr Goebel es mit der etwas eigentümlichen Ansicht von Paul Dangeard hält, der schon in der Kernfusion überhaupt einen Sexualakt erblickt. Nieht so einfach liegen die Verhältnisse bei den Phanerogamen. Unter diesen sind die Saprophyten und Parasiten nur selten einzelne Arten zwischen normalen in derselben Familie, wie Cuseuta unter den Convolvulaceen und Cassytha unter den Lauraceen; meistens sind es ganze Familien, die zum Parasitismus oder Saprophytismus übergehen, und dann finden sich in der ganzen Familie Abnormitäten in den Reproduktionsverhältnissen. Diese zeigen sich nun in unvoll- kommener Ausbildung der Samenknospen und des weiblichen Sexual- apparates überhaupt oder in rudimentärer Form des Embryos im Samen oder gar in vollständiger Apogamie, nämlich der Bildung eines rudi- mentären Embryos aus einer unbefruchteten Zelle. Es können diese 3 Formen der Abweichung zusammen vorkommen, es braucht dies aber nicht der Fall zu sein, und ich habe nirgends behauptet, dass alle Pa- rasiten in der Bildung des Samens gänzlich abnorm seien; bei Viseum z.B. ist zwar die Ausbildung des Embryos eine normale, der weibliche Sexualapparat ist aber wie bei den anderen Loranthaceen ganz abnorm, und die Samenknospen sind gar nicht differenziert. Wie eben gesagt, treten die Abweichungen natürlich mit gewissen Schwankungen in der ganzen Familie auf, deren Vertreter saprophy- tisch oder parasitisch leben, während keine Familie von normal leben- den Pflanzen angeführt werden kann, deren Vertreter durch besondere Abweichungen in den Reproduktionsorganen ausgezeichnet wären. Es gibt nur ganz vereinzelte Pflanzenarten, die sich durch Apogamie oder rudimentäre Ausbildung der Samenknospen oder des Embryos aus- zeichnen: die „ganze Anzahl“ von Pflanzen mit apogamer Embryo- bildung, die weder Parasiten noch Saprophyten sind und von denen Herr Goebel spricht, sind nach ihm nur fünf Arten, und von den selbständig sich ernährenden Pflanzen mit rudimentärer Samenknospe weiss er nur Crinum anzuführen. Worauf bei diesen einzelnen Pflan- zen die Abnormität beruht, wissen wir nicht und haben wir hier auch nicht zu erklären. Wer aber die Thatsache unbefangen betrachtet, dass bei ganzen Familien die Abweichung von der holophytischen Lebensweise und von der gewöhnlichen Ausbildung der Reproduktions- organe oder der Bildung des Embryos gleichzeitig auftritt, der wird 50* 788 Möbius, Ueber Parasitismus u. sexuelle Reproduktion im Pflanzenreiche. wohl, wie ich, zu der Ueberzeugung kommen, dass zwischen der Re- produktion und der Ernährungsweise ein Zusammenhang bestehen muss, und dass die letztere einen Einfluss auf die erstere ausübt. Dieser Einfluss scheint sich nicht sofort geltend zu machen, son- dern erst allmählich, wenn man so sagen darf, in phylogenetischer Ent- wicklung. Es ist deshalb nicht zu erwarten, wenn eine Gattung aus einer normal sich ernährenden Familie zur parasitischen Lebensweise übergeht, dass bei dieser schon sich die Abweichungen in den Repro- duktionsverhältnissen einstellen, und so kann gegen meine Annahme nicht der Umstand sprechen, dass Cuscuta normale Samenknospen bildet wie die andern Convolvulaceen und einen ziemlich großen Embryo im Samen entwickelt, an dem allerdings die Cotyledonen fehlen. Dagegen betrachte man eine Familie von ausgeprägt parasiti- scher Natur wie die Balanophoreen und sehe, wie hier die Verein- fachung in den Reproduktionsorganen immer weiter geht, bis schließ- lich bei den Balanophora-Arten vollständige Apogamie eintritt. Eine kurze Schilderung der betreffenden Verhältnisse bei den ein- zelnen Gruppen ist von mir in meinem ersten Aufsatz gegeben worden. Bei Lathraea ist mir ein Irrtum untergelaufen, indem ich mich auf die Angabe Beck’s in den „natürlichen Pflanzenfamilien“ (IV, II. b. p. 123) verlassen habe, wonach die Orobanchaceae (alsoLathraea einbegriffen) einen „wenigzelligen, kugeligen, undifferenzierten Embryo“ besitzen. Nach der genauen Angabe Heinricher’s (Berichte der deutsch. botan. Gesellsch. Bd. 12. 1894. p. 123 und Taf. XVII, Fig. 12, 13, 15) ist der Embryo im reifen Samen zwar winzig klein im Verhältnis zum großen Endosperm, zeigt aber doch die Anlage von Würzelehen, Coty- ledonen und Stammknospe. Es handelt sich nun darum, wie der Zusammenhang zwischen den keproduktionsverhältnissen und der Ernährungsweise zu erklären sei, denn dass ein solcher ursächlicher Zusammenhang zu vermuten sei, giebt selbst Herr Goebel zu. Ich habe nun die Erklärung darin zu finden geglaubt, dass die parasitische Lebensweise dem ganzen Wesen der Pflanze eigentlich widerspricht und dass eine so wesentliche Aen- derung ihren Einfiuss auf die wesentlichsten Organe ausübt. Dass die Reproduktionsorgane die wesentlichsten Organe bei jeder Pflanze so- wohl wie bei jedem Tiere seien, ist ein Satz, der wohl nicht bestritten werden kann, denn in der Natur ist die Erhaltung der Art immer wich- tiger als das Wohl des Individuums, und wie letzteres zu Gunsten der erste- ren zurücktreten muss, können wir bei den Pflanzen in verschiedenster Weise beobachten: in meinen Beiträgen zur Fortpflanzung der Gewächse (Jena 1897) habe ich dies näher ausgeführt. Dass ferner die Ernäh- rung der Pflanze mit organischen Stoffen gegen die Natur ist, scheint mir auch keiner großen Beweisführung zu bedürfen, wenn man bedenkt, dass doch gerade dem Pflanzenreiche die Aufgabe zufällt, aus anorga- The Porifera, Neue zusammenfassende Darstellung der Schwämme, 789 nischen Stoffen organische Substanz zu bereiten; ich will nicht wieder- holen, was ich, wie mir scheint, schon hinlänglich über diese allbe- kannten Verhältnisse in meinem früheren Aufsatze gesagt habe. Herr Goebel führt dagegen die Ernährung des Keimlings an, die zuerst auf Kosten der im Samen vorhandenen Reservestoffe geschieht. Ich gebe zu, dass man in gewissen Fällen, z. B. bei der Keimung der Cocospalme den heranwachsenden Keimling mit einem Parasiten und das Endosperm mit dem ihn ernährenden Organismus vergleichen kann. Diese Vergleichung bezieht sich aber nur auf das Morphologische, bio- logisch und physiologisch hat dieser Prozess eine ganz andere Be- deutung, weil es sich nicht um zwei verschiedenartige Organismen handelt, sondern um Mutter- und Tochterpflanze. Die erstere deponirt die Vorräte im Samen für den Embryo und zwar nur bei einem Teile der Pflanzen im Endosperm, bei dem anderen Teile der Pflanzen, wel- cher der größere sein dürfte, im Embryo selbst, indem vorzüglich dessen Keimblätter als Reservestoffbehälter dienen. Bei den sogen. eiweil- losen Samen also ernährt sich der Keimling anfangs von der ihm von der Mutterpflanze mitgegebenen Substanz in seinem eigenen Körper, sodass es völlig unzutreffend ist, wenn Herr Goebel sagt, „dass ja jede Keimpflanze, ehe sie assimiliert, genau dieselbe Ernährung wie ein Parasit aufweist.“ Er könnte ja dann noch eher die austreibenden Winterknospen oder die sich bildenden Seitenwurzeln als Parasiten auf dem sie tragenden Zweige, beziehungsweise auf der Hauptwurzel, an- sehen, denn auch die Knospen ernähren sich, bevor die sich entfalten- den Blätter selbständig assimilieren, auf Kosten der vorhandenen Re> servestoffe. Ich bezweifele, dass ihm ein anderer Botaniker in dieser Auffassung folgen wird, denn in den einzelnen Teilen einer höher orga- ‚nisierten Pflanze gibt es überhaupt keine scharfe Grenze zwischen selb- ständiger und durch Zuleitung organischer Stoffe vermittelter Ernäh- rung; nur wenn man die Pflanze als Ganzes betrachtet, kann man sagen, ob sie sich selbständig oder saprophytisch oder parasitisch oder, wie die Mistel, teils selbständig, teils parasitisch ernährt, und nur die ausgebildete Pflanze kann man dem einzelnen Tier gegenüberstellen. So vermag ich denn in den Bemerkungen des Herrn Goebel nichts zu finden, was mich irgendwie veranlassen könnte, meine früher ausgesprochenen Ansichten zu ändern. Eine neue zusammenfassende Darstellung der Schwämme. The Porifera by E. A. Minchin. In Lankester, Treatise on Zoology London. W. A. u. C. Black. Ray Lankester’s breit angelegtes Lehrbuch der Zoologie, ursprüng- lich aus Artikeln für die Eneyelopaedia Britannica entstanden, verfolgt in der vorliegenden Ausgabe die Absicht, die einzelnen Gruppen des 790 The Porifera, Neue zusammenfassende Darstellung der Schwämme. Tierreichs möglichst von kompetenten Spezialisten, spez. der Oxforder Schule, darstellen zu lassen. Als erste Bände sind jetzt Poriferen, Coelenteraten und Echinodermen erschienen. Minchin’s Arbeit über die Schwämme bringt, wie gleich zu An- fang gesagt werden mag, nicht eine einfache Nebeneinanderstellung des bisherbekannten, sondern eine kritische und selbständige Durch- arbeitung aller thatsächlichen Befunde in dieser Tiergruppe, wobei der Verfasser zu allen Fragen selbst Stellung nimmt und teilweise auf Grund eigener Untersuchungen zu neuen Ansichten gekommen ist. Die umfangreiche Bearbeitung (178 S. mit 96 Fig.) teilt sich in fünf Abschnitte. Nach einer kurzen Einleitung folgt der zweite und Hauptabsehnitt: Morphology and Life-history, der sich wieder in „äußere Merkmale, Anatomie und Histologie, sowie Entwicklungsgeschichte“ gliedert. Der dritte Abschnitt: Physiology and Biology ist etwas kurz weggekommen; doch sind ja auch hier die thatsächlichen Befunde noch am weitesten zurück. Der vierte Abschnitt: Systematic Review of the Classes and Orders enthält eine kurze Uebersicht des Systems bis zu den Familien und Genera nebst Begründung. Es ist dabei sehr glück- lich vermieden, alle die anatomischen Einzelheiten des allgemeinen Teils zu wiederholen. Es sind nur die für die einzelnen Abteilungen wichtigen Züge hervorgehoben, und es wird immer vom einfachsten bis zum complieirten gehend (gerade die Spongien mit ihren unmerklichen Uebergängen zwischen den großen Untergruppen sind hierfür lehrreich) sowohl das didaktische wie das wissenschaftliche Prinzip gewahrt. Der fünfte Abschnitt enthält kurz die Angaben über Verteilung der Schwämme in Zeit und Raum; der sechste und Schlussabschnitt behandelt, ohne sich in weit ausgreifende Spekulationen zu verlieren, die Verwandtschaft der Spongien zu anderen Tiergruppen und die Phylogenie innerhalb der Gruppe selbst. Das angefügte Litteraturverzeichnis ist mit Absicht nicht ein voll- ständiges, sondern bringt außer den Monographien, die ja selbst ein- gehende Litteraturangaben enthalten, nur die neueren und neuesten Arbeiten, die die Anschauungen über Histologie und Entwicklung nach- haltig beeinflusst haben. Ein sehr sorgfältiger Index, in dem alle systematischen Namen sich durch Kursivdruck von den übrigen Angaben abheben, erleichtert die Benutzung. Eine besondere Betrachtung verdient der zweite Abschnitt, der ja auch an Umfang fast die Hälfte einnimmt, und in dem die eigenen An- schauungen des Verfassers vorzugsweise zur Geltung kommen. Mit absichtlicher Ausführlichkeit ist die äußere Form behandelt, die bei den Spongien ja gewöhnlich als sehr wenig charakteristisch gilt. Soll doch ein berühmter Zoologe als Sammlungsdirektor bei der Aufstellung von Schwämmen eingewandt haben, dass sie alle in Spi- The Porifera, Neue zusammenfassende Darstellung der Schwämme. 791 ritus gleichmäßig wie „gekochte Gemüse“ aussehen. Um so überraschen- der wirken die teils zierlichen, teils abenteuerlichen Formen, die hier auf 41 Habitusbildern erscheinen. Auch über Färbung, Anheftungs- weise, Konsistenz und Geruch finden sich eingehende Angaben. Die Darstellung der Anatomie und Histologie geht wie gewöhnlich vom einfachen Olynthussack aus; doch kommt dem Verfasser hier zu gute, dass er sich durch eigene Untersuchungen mit der Organisation der primitiven Kalkschwämme, der Asconen, die ja zeitlebens auf dem Ölynthusstadium verharren, beschäftigt hat und deswegen nicht sche- matische, sondern wirkliche Verhältnisse beschreibt. — Die Körper- wand des Olynthus baut sich aus zwei verschiedenen Lagern auf und enthält im ganzen fünf verschiedene Sorten von Zellen sowie deren Produkte: 1. das dermale Lager, das sich teilt in ein mehr äußeres kontraktiles Lager (1a), die Porenzellen (1b), und in ein inneres, paren- chymatöses oder skeletbildendes Lager, die Spieula und deren Zellen (le), in eine Grundsubstanz eingebettet. 2. das gastrale Epithel aus den charakteristischen Kragengeißelzellen bestehend; und endlich finden sich noch Wanderzellen, die zu gewissen Zeiten zu Genitalprodukten werden. Sie gehören zu keinem Lager, sondern stammen („Archäo- cyten“) von den Blastomeren direkt ab, wie vom Referenten zuerst nachgewiesen wurde. Bei der Darstellung der fortschreitenden Kompliziertheit des Ka- nalsystems werden nur 5Haupttypen unterschieden, aber beim zwei- ten Typus 2, beim dritten noch 4 Unterabteilungen gemacht, so dass im Ganzen eine sehr instruktive Reihe von 7 Abstufungen entsteht. In der Schilderung der Histologie sind bereits die neuesten Ent- decekungen von Eilh. Schulze (Kragenzellen der Hexactinelliden), von Loisel (eigenartiges intra zelluläres Spongin), und vonMinchin selbst (Spieulaentstehung) verwertet und diskutiert. Eigenartig ist die Darstellung der Entwickelungsgeschichte. Die- selbe giebt nicht (wie es Referent s. Zt. gethan hat) die verschiedenen, vorkommenden Entwickelungsweisen vergleichend nebeneinander, sondern behandelt einen Fall, den der Verfasser aus eigener Anschauung ge- nau kennt, und den er, weil es sich um Asconen handelt, für den pri- mitivsten hält, in besonders ausführlicher Weise). Die übrigen Typen der Schwammlarven werden dann anhangsweise angeschlossen. Es werden im Verlauf der Ontogenie sechs Prozesse unterschieden: 1. Zellvermehrung (Segmentation des Eis). 2. Primäre Zelldifferenzierung in Gewebs- (Soma)-Zellen und Archäocyten (Generationszellen). . Sekundäre Zelldifferenzierung oder Scheidung der Gewebs- zellen in zwei Keimlager (Blastogenesis). os 4) Die Darstellung dieser Entwickelung (Clathrina [Ascetta] blanca) ist sonst nirgends veröffentlicht und als eigene embryologische Arbeit anzusehen. 792 The Porifera, Neue zusammenfasseude Darstellung der Schwämme. 4. Umlagerung der Keimlager entsprechend ihrer Bestimmung im Erwachsenen (Metamorphose). 5. Tertiäre Zelldifferenzierung oder Gewebsbildung (Histogenesis). 6. Wachstum und Bildung der Körperform (Morphogenesis). Bei Clathrina blanca folgen diese Vorgänge zeitlich so auf- einander, wie (oben) logisch. 1 und 2 gehen im Körper der Mutter, 3 in der Larve, 4 beim Festsetzen und 5 und 6 im pupalen (nicht funktionierenden Schwämmcehen) Stadium vor sich. Die Unterschiede bei der Entwiekelung anderer Schwämme sind dadurch bedingt, dass zeitliche Verschiebungen in den einzelnen Prozessen eintreten, insbe- sondere 5, die Zelldifferenzierung als Gewebsbildung schon im mütter- lichen Körper vor 4, der Metamorphose stattfinden kann. Eine sehr instruktive Genealogie der Zellsorten vom Ei ab erläutert diese Auf- fassung, ebenso wie Schemata der übrigen Larventypen, von denen noch Sycon nach F. E. Schulze, Die Monaxonier nach Maas, und Spongilla nach Evans etwas ausführlicher behandelt werden. Da- durch wird schließlich doch ein Gesamtbild der Entwicklung erreicht. Verfasser erklärt sich ausdrücklich gegen die Mesodermtheorie bei Spongien, oder mit anderen Worten gegen die Annahme eines eigenen, vom unterliegenden Gewebe prinzipiell verschiedenen Plattenepithels. Das sog. Mesoderm ist nur ein, sich immer weiter spezialisierender, in sich sehr heterogener Teil einer Schicht, der sich beständig durch Einwanderung von dermalem Epithel weiter neu rekrutiert. Die Schwämme sind nicht drei-, sondern zwei-lagerige, resp. blättrige Tiere. Bei der Vergleichung dieser Blätter mit den Keimblättern sonst im Tierreich weist Verfasser jede Homologisierung der Schichten des erwachsenen Zustands mit dem erwachsenen Coelenteraten zurück. Wenn man vergleicht, kann man nur das Gastrallager der Spongien mit dem Eetoderm der Coelenteraten, das Dermallager der Spongien mit dem Entoderm der Coelenteraten - Planula homologisieren. Doch neigt jetzt Minchin mehr zur Ansicht, dass überhaupt gar kein Ver- gleich möglich ist, sondern dass die Spongien direkte Abkömmlinge der Choanoflagellaten sind; dass wir bei ihnen keine Differenzierung im Sinne der Blätter der übrigen Metazoen zu sehen hätten, sondern eine zellweise Differenzierung zu jeweils gebotenen Leistungen. Immer- hin will der Verfasser keine ganz bestimmte Stellung einnehmen, da bei dieser letzteren Auffassung besonders die Vorgänge der Metamor- phose im Dunkel bleiben. Die Phylogenie innerhalb der Spongiengruppe wird auf Grund der bekannten Anschauungen in übersichtlicher Weise vorgeführt, wie es aus folgender Einteilung hervorgeht: Phylum. Porifera. Klasse I. Calcarea. Klasse II. Hexactinellida. Klasse III. Demospongiae. Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. 195 Bei letzteren werden keine Ordnungen, sondern Abstufungen (Grade) unterschieden (1. Tetraxonida, 2. Monaxonida, 3. Keratosa, 4. Myxo- spongida), die von einander nicht scharf abgrenzbar sind. Den Fachgenossen, nicht nur Spongiologen, sondern auch solchen, die die Schwämme weniger aus eigener Anschauung kennen, aber für Vorlesungen oder andere Zwecke einer verlässlichen und klaren Dar- stellung bedürfen, dürfte die Arbeit Minchin’s äußerst erwünscht kommen. 0. Maas (München). Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. Von Prof. Korotneff in Kieff, Direktor der Zool. Station in Villafranea. Obschon dieser Gegenstand einen trefflichen Beschreiber in der Per- sönlichkeit des bekannten Embryologen Professor Salensky!) gefun- den hat, ist vieles noch zu vervollständigen und mehreres anders zu erklären: erstens weil die Methoden der Untersuchung dieses erfahrenen Forschers ungenügend waren, und zweitens weil er sich die Sache aprioristisch ansah und eine Bestätigung seiner früheren Ansichten darin zu finden glaubte, dass das Ei, nämlich bei den Tunicaten, nicht das einzige Bildungsmaterial darstellt, und dass die Pyrosoma eine Ueber- gangsform von den Salpen, bei denen nach Salensky die so gemeinte follieulare Knospung vorkommt, zu den übrigen Tierformen ist. Es handelt sich hier vorerst um die Bildung der Testazellen, denen Salensky einen follieulären, also extraovulären Ursprung zuschreibt und für sie einen allgemeinen Namen „Kalymmocyten“ vorschlägt. Die Kalymmoeyten bilden sich, wie bekannt, auch bei den Aseidien, aber bei den Pyrosomen geschieht dieser Prozess in einer viel intensiveren Weise. Es ist vielleicht hier zu erwähnen, dass Kowalevsky?) nicht nur die Entwickelung dieser Elemente, sondern auch ihr weiteres Schicksal beobachtet hat; er sah nämlich, dass die Kalymmoeyten nicht nur gruppenweise sich um die Keimscheibe lagern, sondern samt dem Dotter die Keimscheibe durchwachsen und als Nahrungsmaterial oder als Blutkörperchen verbraucht werden. Was Salensky anbe- trifft, so sucht er, wie wir weiter sehen werden, den Kalymmocyten eine viel wichtigere Rolle zuzuschreiben und sieht sie embryologisch als wahre plastische Elemente an. Ich muss vorausschicken, dass überhaupt die Konservierung der Bier in den Stadien der Furchung die peinlichste Aufgabe ist und es kommt immer vor, dass die Dottermasse des Eies nach den belie- 1) Salensky, Beiträge zur Embryonalentwickelung der Pyrosomen. Zoo- logische Jahrbücher. IV. Band. 2) Kowalevsky, Ueber die Entwickelungsgeschichte der Pyrosomen. Arch. f. mikroskop. Anat. Bd. 11. 194 Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. bigen Bearbeitungen sich in eine trübe Flüssigkeit verwandelt, und wenn es sich um Furchungsstadien, die gewöhnlich aus lockeren Blastomeren zusammengesetzt sind, handelt, so geht ihre Integrität verloren, und die Rolle der Kalymmocyten ist dann nicht mehr zu verfolgen. Diese üblen Verhältnisse waren schon von vielen Forschern bemerkt worden und bildeten die eigentliche Ursache, weswegen erstens Salensky zu falschen Deutungen gekommen ist, und zweitens, dass so interessante Objekte nach ihm noch keine weiteren Forschungen hervorgerufen haben. DievonSalensky gebrauchte Pikrinsäure (oderKleinenberg’scheFlüssig- keit) hat mir nur üble Resultate gegeben und nach einer halbjährigen Qual mit diesem Gegenstande fand ich, dass ein besseres Mittel (nicht ausgezeichnetes, aber nur besseres) war, die ganze, oder in Scheiben zerlegte Pyrosomen-Kolonie mit einer halbkonzentrierten Lösung; von Sublimat in Meerwasser mit'Zusatz von Essigsäure (eine halbe Stunde) zu bearbeiten und in die Pereny’sche Flüssigkeit zu übertragen (eine Stunde) und in Alkohol von verschiedener Stärke (50, 70 und 90°/,) zu härten; oder anders: nach dem Sublimat und nach einem sorgfältigen Auswaschen in 5°/, Formol bringen und später nach Belieben in dieser oder jener Weise behandeln. Die Follikelhülle eines unbefruchteten Bies trägt an ihrer Ober- fläche zwei Bildungen — von denen eine die Anlage des Hodens, die andere die des Oviduktes darstellt; die erstere ist eine traubenför- mige Bildung, die sich in einen Kanal verlängert, welcher sich unter der Follikelhülle öffnet. Der Ovidukt tritt in Form eines Hügels auf, dessen Höhle jenem Orte anliegt, wo oberflächlich das Keimbläschen sich befindet. K = Keim. ad — Dotter. d.sch = Deckschicht (nach Salensky). Salensky beschreibt am Ei noch eine besondere Bildung, die er als ein Derivat des Follikels ansieht; diese ist eine besondere Zellen- schicht, die in Form einer Kappe den Keim bedeckt: es ist die soge- nannte Deckschicht, die wegen ihrer Lage über dem Keim direkt unter dem aufgetriebenen Ovidukt vorkommt. Dieser Deckschicht schreibt Salensky einen follikulären Ursprung zu. Die Art der Entstehung und besonders der beschränkte Raum und die Kleinheit dieser Bildung erscheint schon apriori kaum wahrscheinlich. Aufmerksam diesen Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. 795 Gegenstand untersuchend, überzeugte ich mich, dass die erwähnte Deckschieht eine vollständige und zellige Hülle darstellt, die das ganze Ei umgiebt und der Follikelhülle sich so eng überall anschmiegt, den Raum abschließend wo sich die Anlage des Embryos befindet, dass sie als solehe nicht zu unterscheiden ist. Wegen der zähflüssigen Substanz des Dotters scheint es oft, dass er sich zwischen beiden Zellhüllen hineindrängt, und dann wird die Selbständigkeit der inneren Hülle sowohl als ihr zelliger Charakter gut erkenntlich. Die ersten embryologischen Erscheinungen: die Bildung der Polzellen und Befruchtung habe ich bei Seite gelassen und begann vom Anfange an mit der Furchung des Eies. Dieser Prozess ist, ungeachtet der aus- _ führlichen Untersuchungen von Kowalevsky und Salensky kaum bekannt, was von verschiedenen Ursachen abhängt: erstens sind diese Stadien von sehr kurzer Dauer, zweitens sehr schwer in toto zu be- obachten, endlich drittens waren die Methoden der Bearbeitung des Objektes bisher, wie gesagt, ungenügend und gaben falsche und patho- logische Bilder, wie es aus den Abbildungen 10, 11 und 12 von Sa- lensky leicht zu ersehen ist. Der Bildungsdotter, oder anders gesagt — die eigentliche Eizelle, bildet eine Plasmascheibe, die oberflächlieh dem Dotter aufliegt. Zuerst geht eine Zweiteilung vor sich, bei der anfangs der Zellkörper sich einschnürt, erst dann teilt sich der Kern mitotischh dann geschieht die Vierteilung. Die vier Derivate treiben sich kuppelförmig gegen das Zentrum der Bildung auf; so entsteht eine vierteilige Kappe, in welcher sogleich zwei Blastomeren zwei weitere abschnüren; also der Keim besteht einige Zeit aus sechs Elementen, von welchen die zwei neugebildeten in die Tiefe des Dotters sinken. Bald nachdem schnüren die beiden anderen, primären Blastomeren auch zwei Fur- chungszellen ab, die denselben Charakter bekommen, wie die früheren und in dieser Weise besteht schließlich der Keim aus acht Blastomeren, von welchen vier die eigentliche Kappe bilden und an der Oberfläche freiliegen und die übrigen vier sich teilweise im Dotter befinden und als Unterlage der Kappedienen; die letzteren sind bedeutend größer und treiben eine Anzahl Pseudopodien, welche in den Dotter ziehen. Die weiteren Schicksale der erwähnten Blastomeren sind verschieden: die oberfläch- lichen sind Holoeyten und ihnen kommt die plastische Rolle in der Entwickelung des Keimes zu; die basalen sind Merocyten, deren Be- deutung die gleiche ist wie bei den Fischen. Die vier Holoeyten ent- halten noch ruhende Kerne, die Merocyten aber besitzen alle zu gleicher Zeit spindelförmig ausgezogene, in Karyokinese begriffene Kerne. Die Produkte der Teilung der letzteren Elemente breiten sich aus unter den Keim und sinken mehr oder weniger tief in den Dotter hinein; ihre physiologische Bedeutung besteht in der Ernährung des Keims. Die weitere Teilung der Holocyten geschieht viel rascher, als bei den 796 Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. Meroeyten. Anfänglich liegen die Merocyten peripherisch und ge- wissermaßen oberflächlich, eine Aureole um die Keimkappe bildend; da sie aber mit der Zeit, und wegen der Teilung, sich sehr bedeutend verkleinern, sinken sie gänzlich in den Dotter hinein, bekommen ein sternförmiges Aussehen und besitzen ein grobkörniges Protoplasma. Von Anfang an bleiben die Grenzen der den Keim bildenden Blastomeren wegen der Kalymmocyten, die in den entstandenen Furchen anwesend sind, stark markiert. Die Kalymmocyten sind gewöhnlich mit Dotter oder Fettkörnchen, die ihnen eine intensive Färbung ver- leihen, gefüllt. Die Lage der Kalymmocyten bleibt nicht nur ober- flächlich, sondern sie dringen ins Innere des Keimes hinein und um- “ geben einzelne, sehr locker unter sich verbundene Blastomeren. Die Zahl der Kalymmoeyten ist nicht so bedeutend wie bei den Salpen, wo sie zu gewissen Stadien die Hauptmasse des Keimes bilden, in dem die Blastomeren hier und da zerstreut liegen. Demungeachtet be- hauptet Salensky unter dem Einflusse von aprioristischen Ansichten ganz bestimmt folgendes!): „die Haupteigentümlichkeit der Furchung der Pyrosomeneier besteht in der Beteiligung der Kalymmoeyten am Auf- bau des Embryos; diese Erscheinung müssen wir immer in den Vorder- srund stellen und deshalb den Veränderungen der Kalymmocyten unsere größte Aufmerksamkeit schenken“. Die weitere Darlegung meiner Beobachtungen wird keine Unter- stützung dieser Ansicht bringen. Anfangs ist der Keim aus einer einzigen Schicht von Zellen ge- bildet und die Merocyten kommen, wie gesagt, nur peripherisch vor. Zu gleicher Zeit mit dem Eindringen der Merocyten unter den Keim wird dieser mehrschichtig, die Derivate der Blastomeren bekommen eine polygonale Form, haben verschiedene Größe und besitzen Kerne, die sich auch nach der Größe bedeutend unterscheiden; allmählich ver- ändert der Keim seine Form, anstatt plattausgezogen zu sein, wächst er in die Dicke und bildet in dieser Weise einen zelligen Klumpen, welcher dem Dotter aufsitzt. Die Merocyten haben sich zu dieser Zeit von dem Keime losgetrennt und befinden sich in einer nicht so geringen Anzahl im Dotter zerstreut. Bis jetzt ging die Vermehrung der Zellen in einer mitotischen Weise vor sich, indem diese Erschei- nung für eine Anzahl von Zellen zu gleicher Zeit geschah. Mit einer bedeutenden Verkleinerung der Zellen tritt die karyokinetische Ver- mehrung in den Hintergrund und wird durch eine direkte Kernteilung ersetzt, nur hier und da kommen vereinzelte Spindeln vor. Die direkte Teilung ist sehr aktiv, indem man alle möglichen Stufen der Entstehung von neuen Zellen trifft. Es kommen in der Dicke des Keimes Zellen vor, in welchen ein einzelner Kern mit zwei Kernkörperchen versehen 1) 1. e. p. 443. Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma. 7197 ist; es kommen auch solche vor, bei welchen zwei, drei oder vier in einem Haufen zusammengepackte Kerne zu finden sind. Wenn die Elemente des Keimes noch als Blastomeren zu bezeichnen warenund ziemlich locker angehäuft erschienen, waren die Kalymmoeyten als freibewegliche Zellen, die nicht nur im Inneren des Keimes vorkamen, sondern auch eine Unterlage für den ganzen Keim bildeten. Jetzt, wenn der Keim klumpenartig aussieht, bekommen die Kalymmocyten einen ganz anderen Habitus: sie werden sehr grobkörnig (aber nicht so dotterreich, wie früher) und der Kern wird amorph; zugleich färben sich die Kalymmoeyten sehr stark und fallen bei der Untersuchung sehr ins Auge. Am Kern ist kein Kernkörperchen mehr zu sehen und seine Form wird ausgezogen; die Lage wird wandständig. Salensky hat vollständig Recht, indem er sagt: „von den jungen Stadien ange- fangen nimmt die Menge derselben immer mehr und mehr ab. Am einfachsten könnte man diese Abnahme mit dem Absterben und der Zersetzung dieser Zellen erklären; dann müssen wir eine Reihe von Zersetzungsstadien der Kalymmocyten antreffen,* und er fügt hinzu: „dem ist aber nicht so“. Ich behaupte aber, dass es wirklich so ist und dass die Zersetzung nicht nur geschieht, sondern Schritt für Schritt verfolgt werden kann. Zuerst sehen wir, wie gesagt, die Veränderung der Form, dann des Zellinhaltes, weiter des Kernes. Endlich finden wir, dass der scharfe Kontur, welcher die Zelle umgab, verloren geht, als ob eine Hülle, die die Zelle umgiebt, platzte, und zu gleicher Zeit fliesst der Kern mit den Resten der Zellhülle zusammen, um einen engen, sich stark färbenden und lichtbrechenden Körper zu bilden; hiermit ist die Zelle abgestorben; sie wird ersetzt von einem Haufen grobkör- niger Substanz, die bald vollständig verschwindet. Bei Pyrosoma ist es also gerade dasselbe, wie bei den Salpen: Kalymmocyten dienen zur Ernährung des Keimes und möglicherweise zu etwas mehr: näm- lich zur Importation von Dotterpartikelchen in das Innere des Keimes. Nach Salensky sind die Kalymmoeyten zweier Art: gewöhnliche, schon besprochene Keimkalymmocyten und Dotterkalymmocyten, die nach meiner Meinung und Beschreibung ganz unbestreitbar veränderte Blastomeren sind, was auch theoretisch, wenn man den Parallelismus zwischen Pyrosomen und Fischen nicht leugnen will, mindestens als sehr plausibel anzusehen ist. Salensky steht gewiss auf einem falschen Standpunkte, indem er behauptet, dass „diese Zellen erst gegen Ende des Furchungsprozesses zum Vorschein treten“, da wir sahen, dass von den ersten acht Blastomeren sich schon vier in Meroeyten verwandelt haben. Die weitere Rolle der sogenannten Dotterkalymmoeyten ist von Salensky unrichtig interpretiert: er glaubte, dass schließlich diesen Elementen eine plastische Rolle zukommt, indem sie die untere Wand der Darmhöhle bilden: das ist jedenfalls nicht richtig: nachdem sie die Dottermasse einer mechanischen, oder auch vielleicht chemi- 7198 Korotneff, Zur Kenntnis der Embryologie der Pyrosoma, schen Veränderung unterworfen haben, gehen sie vollständig zu Grunde, wieder wie hei den Knochenfischen. Als Resultat der Furchung entsteht eine Keimscheibe, die aus po- lygonalen Zellen gebildet ist. Die buckelförmige Gestalt der Keim- scheibe wird bald verändert, indem ihre Ränder sich ausbreiten und die ganze Bildung eine länglich-ovale Gestalt bekommt; zu gleicher Zeit wird die Scheibe im Zentrum flacher, dehnt sich gleichmäßig aus. In der Richtung des Längsdurchmessers der Scheibe von unten, also unmittelbar auf der Dottermasse, entsteht eine flache Rinne, deren Wandzellen sich palissadenartig anreihen — es ist die künftige Darm- höhle. Zu gleicher Zeit trennt sich eine obere Schicht der Keimscheibe ab und bildet das Ektoderm; in diesem Stadium also erscheint die Keim- scheibe zweischichtig. Im Keimhügel beschreibt Salensky eine An- zahl von zerstreuten Höhlen (Lückenreihen), die nach meiner Meinung größtenteils und ganz entschieden Kunstprodukte sind; von allen diesen ist in der Keimscheibe, nämlich am unteren Ende, wo sich die Knospen denZooiden bilden, eine begrenzte Höhle zu sehen, die eine Fortsetzung der Darmrinne ist, und an ihrer Seite 'eine unbedeutende Lücke, die niehts mit einer Coelomhöhle, wie Salensky meint, zu thun hat, sondern eine provisorische Bildung darstellt. Die Entstehung der Chorda ge- schieht auch viel später und ist von Salensky irrthümlich diesem Stadium zugeschrieben worden; es kann hier auch keine Rede von der Entstehung des Mesoderms sein: dasselbe erscheint auch bedeutend später. Die Ränder der Darmrinne prägen sich mehr und mehr aus und auf ihrer linken Seite trennt sich vom Entoderm ein Zellstrang ab, der am Querschnitte als Zellhaufen erscheint — das ist eine einseitige Anlage des Coeloms; die rechte Hälfte wird gar nicht angelegt und, entgegen der von Salensky ausgesprochenen Meinung, fand ich davon keine Spur. In der einzigen und einseitigen Coelomanlage entsteht bald eine Höhle, die sich nach unten verlängert und der Bildung die Bedeu- tung einer typisehen Coelomausstülpung des Entoderms verleiht. Die Ansicht von Salensky, dass ein axiales Mesoderm in der Art einer soliden Platte existiert, welches die beiden Mesodermschläuche mit ein- ander verbindet und als Chordarohr anzusehen ist, betrachte ich als unrichtig, abgesehen davon, dass es wirklich sonderbar wäre, die Chorda vom Mesoderm abzuleiten. In dem jetzt beschriebenen Stadium finden wir nur Ektoderm und Entoderm und die Anlage des Pericardiums (Coelom), welche als De- rivat des Entoderms erscheint; von freien Zellen, die zwischen den zwei primären Blättern nach Salensky vorkommen sollen und als Zerfall- produkte des rechten Mesodermschlauches anzusehen sind, ist aber keine Spur vorhanden, was die Existenz des rechten Sehlauches auch gewiss in Abrede stellt. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 799 Außer den freien Mesodermzellen glaubt Salensky den Zell- elementen, die in der Art einer besonderen Zone die Keimscheibe um- geben, ein Entstehen aus den freigewordenen Zellen des linken Schlau- ches zuschreiben zu müssen. Dieses Postulat steht mit keiner direkten Beobachtung in Zusammenhang: die erwähnte Zone besteht aus lauter Kalymmocyten und hat nichts mit dem Mesoderm zu thun. Wenn nicht die Mesodermschläuche den Mesodermelementen den Ursprung geben, so frägt es sich, woher sie kommen? Die Antwort auf diese Frage treffen wir in der Arbeit von Salensky. Nämlich nach der Schließung der Darmhöhle (ohne jeden Anteil der Meroeyten) differenziert sich bald eine Hervorragung ihrer oberen, nach dem Ekto- derm gerichteten Wand — es ist die Anlage des Endostyls. Von die- ser Anlage trennt sich bald ein Zellstrang ab, der sich von hinten nach vorn, in der Richtung des dort schon angelegten Nervensystems, zieht. Eine Höhle ist in diesem Strange nicht vorhanden, und wenn man über- haupt von einer Chorda der Pyrosomen reden kann, so ist es nur der Axialstrang, der als solche zu deuten ist. Jedenfalls haben wir hier mit einer sehr provisorischen Bildung zu thun, die kurz nach ihrem Entstehen in einzelne Zellen zerfällt, die das eigentliche Mesoderm der Pyrosomen darstellen. Dem Auseinandergesetzten zufolge müssen wir jede Ascidie als ein acoeles Wesen im Sinne eines definitiven Coeloms bezeichnen, in dem die Leibeshöhle eine begrenzte und ganz lokale Bedeutung (als Peri- cardium) besitzt, und zu gleicher Zeit wird uns die scheinbare Anomalie des Entstehens des Herzens aus Entoderm bei den Tunikaten verständ- lich: nämlich anstatt einer indirekten Entstehung des Herzens aus einer Abschnürung des Coeloms verwandelt sich das letztere direkt und gänzlich in die Herzhöhle. Mit so einer Verkürzung der Herzent- stehung, welche in der Regel später vorkommt, kann die Entstehung des provisorischen Coeloms (Perikardiums) auch auf eine spätere Ent- wicklungsstufe verschoben werden, erscheint als eine Abschnürung der Pharynxhöhle und vollzieht sich einige Male (bei den Salpen) dann, wenn schon alle Organe angelegt sind. Was die Entwickelung des Nervensystems und der Peribranchial- röhren betrifft, so habe ich nur Weniges den trefflichen Beobachtungen von Salensky hinzuzufügen und gedenke dies in meiner ausführ- lichen Arbeit mitzuteilen. [89] Versuche über die Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Von Dr. L. Reh in Hamburg. (Sehluss.) Il. Versuche mit Flüssigkeiten. 1. Formol. Da ich bei den ersten Versuchen mit der Entschei- dung auf die physiologische Methode angewiesen war, legte ich als 800 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Vorversuch einige losgelöste Tiere von Asp. nerit in 10°,,iges For- mol. Nach Auswaschen in Wasser wurden die Tiere mittelst der betr. Methode untersucht. Die Zellen erwiesen sich als stark granuliert und färbten sich diffus; im übrigen waren sie vorzüglich erhalten, wie ich überhaupt mit Formol als Konservierungsmittel für Schildläuse die besten Erfahrungen gemacht habe, viel bessere, als mit Alkohol. Bei den Versuchen mit Obstschildläusen waren die Ergebnisse durchaus verschieden, je nachdem ich ganze Aepfel oder Apfelstücke genommen hatte. Ich hatte angefangen, indem ich die auf Aepfeln sitzenden Läuse mit 10°/,igem, bezw. reinem Formol überpinselte, bezw. mit einem Tropfen davon überdeckte; die Aepfel blieben offen liegen, damit das Formol verdunsten könne. Beide Methoden vermochten nicht die Läuse abzutöten. Ich machte dann 8 weitere Versuche, indem ich ganze, mit Asp. ancylus, forbesi oder permiciosus besetzte Aepfel auf 15 Minuten bis 5 Stunden in 10°,iges Formol untertauchte. Bei den z. T. einige Tage später vorgenommenen Untersuchungen fand ich immer noch lebende Läuse. Ganz anders waren die Ergebnisse, wenn ich Apfelstücke in Formol legte. Ich machte 4 derartige Versuche mit 10°,,igem Formol von 25 bis 6 Minuten Dauer. In allen Fällen wurden die Läuse ge- tötet; sie waren bei der Untersuchung mehr oder minder braun, die Zellen zerfallen, die Kerne färbten sich intensiv blau. Aus diesen Verschiedenheiten ergiebt sich, dass das äußerlich angewandte Formol den von ihren Schilden bedeckten Läusen nicht gefährlich ist. Seine Wirkung an den Apfelstücken ist darauf zu- rückzuführen, dass es die Apfelsubstanz in einer für die Läuse giftigen Weise zersetzte. Dafür spricht auch, dass die ganz in Formol gelegten Aepfel davon keineswegs angegriffen wurden, auch nicht im Geschmacke. Die Apfelstücke, selbst das, das nur 6 Minuten lang in Formol gelegen hatte, wurden dagegen rasch braun und weich, wie faul. Mit Zweigstücken machte ich 3 Vorversuche. Zuerst bestrich ich ein besetztes mit Diasp. ostreaeformis mit 10°,igem, dann mit 20°/,.igem Formol: ein anderes stellte ich mit dem einen Ende in 10°iges Formol; die Läuse blieben leben. Ich machte noch weitere 12 Versuche, indem ich Zweigstücke mit Asp. ostreaeformis, Asp. pyri oder Diasp. ostreaeformis in Formol untertauchte. Ich fing an mit 1 Stunde in 10°,igem Formol und stieg bis zu 2 Stunden in 50°) ,igem Formol;; die Läuse blieben immer leben?). 1) Wie unempfindlich die beschildeten Läuse gegen das äußerlich ange- wandte Formol sind, ergiebt sich aus folgender Versuchsreihe: Ein Zweigstück bei Diasp. ostreaeformis wurde in 48 Tagen nach einander untergetaucht in 10prozentiges Formol (einmal 4 und einmal 2 Stunden), in 20 prozentiges auf 1!/), bezw. 2 St., in 30 prozentiges auf 2 Stunden. Erst bei der Untersuchung, 3 Tage nach dem letzten Versuche, konnte ich keine lebenden Läuse mehr finden. Was vorhanden war, war vertrocknet. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 801 Die Versuche bestätigen das oben erhaltene Ergebnis, dass Formol an sich, äußerlich angewandt, den Läusen nichts schadet. Die Schild- substanz ist offenbar durchaus undurchlässig für dasselbe. Als Be- kämpfungsmittel wäre es also nicht zu verwerten. 2. Alkohol. Mit Apfelschildläusen habe ich hier nur zwei Versuche angestellt. Zuerst überpinselte ich Asp. pernic/osus mit abso- lutem Alkohol, wodurch die Läuse, soweit es mit der physiologischen Methode zu entscheiden war, nicht getötet wurden. Ein anderes Mal füllte ich eine mit derselben Art besetzte Blütengrube mit 50°),igem Alkohol, der nur sehr langsam verdunstete. Am nächsten Tage waren die Läuse zwar noch gelb, schienen mir aber tot zu sein. Am fünften Tage waren sie braun und mehr oder weniger vertrocknet, also sicher tot. Bestimmter, aber überraschender waren die Ergebnisse mit Zweig- stücken, die ich in Alkohol stellte. Der erste Versuch war ein etwas komplizierter. Ein Zweigstück mit Diasp. ostreaeformis, das vorher schon mit 10- und 20°,igem Formol überpinselt worden war, wurde am 10. März 1900 mit 50°,igem Alkohol überpinselt. Als sich die Läuse am 16. März noch lebend zeigten, stellte ich das ganze Aststück auf 1!/, Stunde in 50°,igen Alkohol. Bei der am 21. März vorgenom- menen Untersuchung sahen die Läuse makroskopisch noch frisch aus; mikroskopisch bemerkte man schon an den unverletzten Veränderungen ; die Zellen ergaben sich nach dem Zerquetschen als hochgradig ver- ändert. Da auch keinerlei Bewegung zu beobachten war, können die Läuse als sicher tot angesehen werden. — Später stellte ich noch 13 Versuche an, bei denen ich mit Asp. pyri oder Diasp. ostreaeformis besetzte Zweigstücke in Alkohol stellte. Die Tiere blieben am Leben selbst nach zweistündigem Aufenthalte in 90°), Alkohol, trotzdem die Luft aus dem Holzstücke beim Eintauchen in die stärker °),igen Alkohol- lösungen unter Aufbrausen verdrängt worden war. — Auch wieder- holtes Untertauchen in Alkohol hatte kaum andere Wirkung. So hatte ich ein und dasselbe Aststück mit Diasp. ostreaeformis am 22. März 1900 auf 2 Stunden in 50°/,igen Alkohol gestellt, am 26. März auf 1'/, Stunde und am 29. März auf 2 Stunden in 60°/,igen, am 3. April auf 1 Stunde und am 9. April auf 2 Stunden in 70°/,igen Alkohol. Bei der Unter- suchung am 11. April fand ich einige tief unter Krusten abgestorbener verborgen sitzende Läuse noch lebend. — Nur bei den stärkeren Alkohol- lösungen zeigten sich Nachwirkungen. So lebten Diasp. ostreaeformis, die am 8. Mai 1900 2 Stunden in 90°),igem Alkohol zugebracht hatten, noch am 10. Mai; am 15. Mai dagegen waren die meisten Läuse tot, braun, aber noch weich; indess lebten auch jetzt noch einige tief sitzende Tiere (Rüsselmuskelzuckungen). — 4sp. pyri, die der gleichen Be- handlung unterworfen worden waren, waren dagegen am 15. Mai noch prall und gelb, sahen durchaus frisch aus und reagierten mit Zuckungen der Risswunden. RR 51 S02 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 3. Petroleum. Asp. perniciosus auf einem Apfel überstrich ich am 21. Febr. 1899 mit Petroleum; am nächsten Tage lebten die Läuse noch. — Am 16. März 1899 tauchte ich einen Rosenzweig mit Diasp. rosae in Petroleum unter; am 21. März waren die oberflächlich sitzen- den Läuse tot; die tief unter Schichten alter Schilde sitzenden schienen mir noch am Leben zu sein. — Am 26. März 1900 übergoß ich ein Zweigstück mit Diasp. ostreaeformis mit Petroleum; am 29. März be- obachtete ich an den Läusen Zuckungen der Rüsselmuskeln; ihre Zellen waren tadellos erhalten. — Versuche mit Eintauchen von Aststücken mit Asp. pyri oder Diasp. ostreaeformis stellte ich 5 an, 3 von je 50 2 von je 45 Minuten. Bei letzteren wurden die Läuse (beide Arten) sicher getötet, ebenso bei einem der ersteren; bei einem anderen da- gegen fand ich eine ganz tief unter alten Schilden sitzende Diasp. ostreaef., die zwar keinerlei Bewegung mehr zeigte, aber noch ganz frisch aussah und völlig normale Zellen hatte. Bei dem dritten endlich konnte ich noch 5 Tage danach bei einigen Asp. pyri sehr träge Be- wegungen der Rüsselmuskeln beobachten, 23 Tage danach waren aber alle Läuse tot, allerdings war auch inzwischen das Holz vertrocknet und etwas geschimmelt. Die durch das Petroleum getöteten Diasp. ostreaeformis zeigten eine diffuse hell karminrote Färbung. Es scheint also der fleischrote, geformte Farbstoff dieser Art durch .das Petroleum gelöst und etwas verändert zu werden. Für die Praxis dürfte sich also ergeben, dass Petroleum, in genügender Menge angewandt, die meisten Läuse tötet, namentlich aber nicht bis zu solchen, die tief unter alten Schildkrusten versteckt sitzen, vordringt. 4. Halali. Mit diesem Insektizid, einer Lösung von Petroleum in phenolhaltiger Seifenlösung, das von Freih. von Schilling zu- sammengestellt und von Fr. Sauer in Frankfurt a. O. hergestellt wird, habe ich 9 Versuche angestellt. Asp. ancylus, die mit 10°,iger Lösung benetzt wurden, waren bei der Untersuchung tot, Asp. forbesi, ebenso behandelt, schienen nach 3 Tagen noch zu leben. Diasp. ostreae- formis, die mit der gleichen Lösung überpinselt wurden, lebten noch; nach Ueberpinselung mit 20°%,iger Lösung erwiesen sie sich als tot. Die gleiche Art vertrug dagegen ein 1stündiges Eintauchen in 10°ige Lösung, Asp. pyri sogar 1',stündiges. Als das zu jenem Versuche verwandte Aststück aber nochmals auf 1 Stunde, das zu diesem ver- wandte auf 2 Stunden eingetaucht worden war, konnte ich keine leben- den Tiere mehr an ihnen auffinden. 5. Schwefelsäure. Aspid. perniciosus, die ich mit roher, kon- zentrierter Schwefelsäure überstrichen hatte, waren dadurch getötet worden. Acht Zweige mit Asp. pyri und Diasp. ostreaef. stellte ich in 10°, ige Schwefelsäure, zwei davon 2 Stunden, vier 1 Stunde und zwei Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 805 3/, Stunde. Mit Ausnahme von 2 Fällen waren alle Läuse getötet. Bei dem einen fand sich eine lebende Laus am unteren Ende des Aststückes, mit dem dieses etwa 2 Stunden nach dem Versuche in Wasser gestellt worden war, das offenbar hier die Schwefelsäure abgewaschen hatte. Bei dem anderen war eine tief sitzende Diasp. ostreaef,. an einem Ast- stücke, das 1 Stunde in 10°/,iger Schwefelsäure gestanden hatte, noch lebend, trotzdem ihr Schild weich war und leicht zerfiel. Die Wirkung der Schwefelsäure war eine ganz energische. Die mit konzentrierter Säure überstrichene Apfelstelle wurde natürlich gänzlich zerstört; die Rinde der gebrauchten Holzstücke zerfiel, das Holz hatte noch längere Zeit nach den Versuchen einen eigentümlichen starken Geruch; die Schilde der Läuse wurden ganz weich; an den Läusen selbst wurden Zellen und Plasma zerstört; die gelben Aspidiotus- Arten wurden entfärbt, enthielten aber viele gelbe Fetitropfen, die bei der Anwendung der konzentrierten Schwefelsäure klein, aber ungemein zahlreich und bei der Anwendung der 10°/,igen Lösung sehr groß, aber spärlicher waren. Die roten Diaspis-Läuse waren nach dem Versuche entweder ebenfalls entfärbt oder diffus rot-violett, noch stärker wie beim Petroleum, geworden. 6. Salpetersäure. Hiermit stellte ich nur 3 Versuche an Diasp. ostreaeformis an, bei denen ich die besetzten Zweigstücke in 10°, ige Lösung eintauchte. Nach einstündigem Eintauchen fand ich noch lebende, tief sitzende Läuse, deren Zellen auch noch tadellos erhalten waren. Nach zweistündigem Eintauchen wurden die Läuse jedoch alle getötet, mit Ausnahme solcher, die ähnlich wie oben bei Schwefelsäure, am unteren Teile des Aststückes saßen, nur wenig über dem Wasser, das sich an ihm in die Höhe gesaugt hatte. Diese lebten sogar noch 10 Tage nach dem Versuche. Allerdings war auch das Holzstück so- fort nach demselben in das Wasser gestellt worden. Es ergiebt sich daraus, dass bei Schwefel- und Salpetersäure erst die Nachwirkung (vielleicht der Luftzutritt oder die Wasserentziehung?) das Entschei- dende ist. Das Holz und die Schilde wurden durch Salpetersäure nicht an- gegriffen; nur schimmelte ersteres sehr leicht und stark. Die meisten der toten Läuse waren entfärbt, bräunlich oder gelbbräunlich, einige auch diffus rötlich-violett; ihr Inhalt war strukturlos. 7. Kali- bezw. Natronlauge. Asp. perniciosus, die mit kon- zentrierter Lauge überstrichen waren, waren getötet worden, ebenso Asp. forbesi, auf die ich einen Tropfen derselben geträufelt hatte. Diasp. ostreaeformis dagegen, die 2 Stunden in 10°/,iger Lauge gestanden hatten, waren nicht alle tot; namentlich tief und versteckt sitzende Läuse zeigten noch am dritten Tage nach dem Versuche Zuckungen der Risswunden, und normale, helle, nieht granulierte Zellen. Die Wirkung der Lauge auf den Apfel war, dass die benetzte Diez 804 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Stelle tief dunkelbraun und stark zerfressen wurde. Die gelben Läuse waren nach dem Versuche braun geworden, mit kaum mehr erkennbaren Zellen. Bei Asp. perniciosus fielen mir blasse Fetttröpf- chen auf, bei Asp. forbesi die Grünfärbung ihrer Plasmarückstände in Methylenblau. Die roten Läuse wurden schwarz, wie verbrannt. 8. Eau de Javelle. Ein mit Asp. perniciosus besetzter Apfel wurde hiermit überpinselt. Am nächsten Tage lebten die Läuse noch. 9. Chloroform. 3 Aepfel, die mit Asp. perniciosus besetzt waren, überstrich ich am 21. Febr. 1899 mit Chloroform. Nach 3 Stunden konnte ich weder an den Aepfeln noch an den Läusen irgend eine Ver- änderung wahrnehmen. Am nächsten Tage waren die bestrichenen Apfelstellen etwas braun und weich, wie faul; die Läuse schienen mir aber, mittelst der physiologischen Methode untersucht, noch zu leben. 10. Toluol. 3 desgleichen wurden am 21. Febr. 1899 mit Toluol überstrichen; die Einwirkung auf den Apfel war wie beim Chloroform, nur wurden die bestrichenen Stellen dunkler braun und weicher; die Läuse waren aber tot. 11. Glyzerin. Ein Aststück mit Diasp. ostreaeformis überstrich ich am 10. März 1900 mit reinem, konzentriertem Glyzerin. Am 16. März waren von 5 untersuchten Tieren 3 tot, 2 lebend, am 17. März von 11 untersuchten 9 tot, 2 lebend. Die lebenden Tiere waren lauter solche, die unter Krusten alter Schilde saßen; alle oberflächlich sitzen- den waren dagegen tot. III. Versuche mit gasförmigen Stoffen. Als das wirksamste Bekämpfungsmittel der San Jose-Schildlaus erachtet man in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Blau- säure. Es lag nahe, die Wirkung dieses Giftes auch im Laboratorium nachzuprüfen. Gewisse Erscheinungen bei meinen Versuchen über die Durchdringbarkeit des Schildes der Läuse für Flüssigkeiten ließen mich vermuten, dass sie für Gase größer wäre, wie man esübrigens bei den Konservationsobjekten zoologischer Art schon längst erprobt hat. Ich dehnte daher diese Versuche auch auf andere gasförmige Stoffe aus. 1. Blausäure. Die meisten (22) Versuche mit diesem Stoffe stellte ich derart an, dass ich die Pflanzenteile mit den Läusen in Gift- gläser, wie man sie zum Abtöten der Insekten benutzt, steckte oder unter einer Glasglocke mit Cyankalistückchen, die ich bei einem Ver- suche auf feuchtes Fließpapier legte, zusammenbrachte. Es versteht sich von selbst, dass ich die Wirksamkeit der Giftgläser öfters mit anderen Insekten, Stubenfliegen u. s. w. erprobte. Verwendet wurden hierbei Asp. aneylus, forbesi, perniciosus, nerii und pyri, Diasp. ostreae- Jormis und Parlat. proteus (auf Apfelsinenschale). Bei den drei ersten Versuchen legte ich Aepfel mit Asp. perniciosus unter eme Glasglocke mit Cyankalistückchen (s. ob.) 4,19, Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 805 bezw. 24 Stunden lang. Bei den an den nächsten Tagen vorgenom- menen Untersuchungen hielt ich die mittelst der physiologischen Me- thode untersuchten Läuse noch für lebend. Bei dem letzten Versuche war sogar auf deın Apfel eine Laus ohne Schild gewesen, die ich für lebend halten musste. Bei den übrigen Versuchen mit Apfel-Schildläusen steekte ich be- setzte Apfelstücke in ein Giftglas. Ich begann mit 53 Stunden und ging herunter bis auf 1').. Bis zu 6stündigem Aufenthalte abwärts waren die Läuse getötet worden. Mit 5'/, Stunden machte ich 2 Ver- suche, bei deren einem die Läuse sicher abstarben, bei deren anderem ich bei einem Weibchen noch schwache Zuekungen der Rüsselmuskeln zu sehen glaubte, und auch die anderen Weibchen, obwohl unbeweg- lich, auf mich den Eindruck machten, als ob sie noch lebten; ihre Zellen verhielten sich ebenfalls normal. Auch nach einem 5 Stunden dauernden Versuche konnte ich michi nicht von dem Tode der Läuse überzeugen. Nach je einem 4'),- und 4stündigen, und nach zwei 1'/,stündigen Versuchen, welch’ letztere‘ die Aststücke mit Läusen (8. ob.) betrafen, lebten dagegen die Läuse sicher noch. Eine Wirkung der Blausäure auf die ganzen Aepfel (beiden drei ersten Versuchen) konnte ich nicht feststellen; die Apfelstücke wurden aber nach dem Versuche bald braun und weich, wie faul. Ich glaube hierin den auffallenden Unterschied zwischen diesen beiden Versuchsreihen erblicken zu dürfen. Die ganzen Aepfel schieden nichts aus, was die Entstehung von Blausäure begünstigt hätte, und die ge- ringen Mengen der von selbst entstehenden genügten weder, um den Wachsüberzug der Aepfel zu durchdringen, noch die Läuse zu töten. Bei den Apfelstücken verdunstete dagegen an ihrer Schnittfläche eine für die geringe Grösse des Giftglases recht beträchtliche Menge Apfel- säure, die genügte, um aus dem Cyankali eine wiederum nicht unbe- deutende Menge von Blausäure frei zu machen. Ob diese Blausäure die Läuse nun direkt, oder erst indirekt, indem sie die Apfelsubstanz zersetzte, bezw. vergiftete, tötete, ist aus den Versuchen nicht zu ersehen. Die Wirkung der Blausäure auf die Läuse zeigte sich darin, dass sie braun wurden, ihre Zellen zuerst sehr stark granuliert waren und dann bald zerfielen, und die Kerne sich intensiv blau färbten. Bei einigen Asp. ancylus war mir aufgefallen, dass sie völlig erfüllt waren von kleinen glänzenden runden Bläschen oder Körnchen, die sich im Methylenblau rasch und lebhaft färbten; ob dies Zerfallsprodukte des Plasmas, Fetttröpfehen (?) oder Sporen waren, vermochte ich nicht zu entscheiden. Asp. nerü auf einem Oleanderblatt, das 24 Stunden im Giftglase gelegen hatte, waren durch keinerlei Reizungen zu Bewegungen zu veranlassen. Ihre Zellen waren noch gut erhalten; die Kerne färbten sich mit Methylenblau nicht. Acht Tage nach dem Versuche war das 806 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. Blatt schon ziemlich vertrocknet, die Läuse erwiesen sich als tot, wenn auch die Zellen bei einigen noch leidlich erhalten aussahen. Parlat. proteus auf einem Stück Apfelsinenschale, das 4°), Stunden im Giftglase gelegen hatte, lebten am nächsten Tage noch. Nur 5 Versuche stellte ich auf die Weise an, dass ich Cyankali- Stückehen in verdünnte Schwefelsäure warf und das lebhaft entwei- chende Gas unter eine Glasglocke oder in einen bedeckten Glascylinder, n der, bezw. dem sich das betr. Objekt befand, leitete. Da ich die Ver- suche in einem leer stehenden Zimmer ohne Abzugsvorrichtungen vor- nehmen musste, wird man mir verzeihen, dass ich mit den wenigen dieser sonst so interessanten Versuche mich begnügte. Zwei derselben betrafen die oben schon erwähnten Aststücke, die ich, nachdem sie 1'/, Stunden im Giftglase gesteckt hatten, noch einmal 1'/; Stunden lang auf die zweite Weise behandelte. Bei beiden fand ich 8 Tage nach dem letzteren Versuche noch lebende Tiere. Von Asp. pyri lebten die meisten noch, von den dünnschildigen Diasp. ostreaeformis nur einige besonders tief sitzende. Die drei anderen Versuche betrafen Asp. nerü. Bei dem einen lag das Blatt 1 Stunde unter der Glasglocke. Bei der direkt danach vorgenommenen Untersuchung sah ich, wie sich die Spermatozoen von Männchen noch bewegten. Ob die Tiere selbst noch lebten, vermochte ich nicht zu entscheiden. Bei dem zweiten Versuche ließ ich das Blatt 1'/, Stunden unter der Glasglocke. Bei der sofort danach vorgenommenen Untersuchung schienen mir die Läuse noch zu leben; an einigen kleineren Zellen färbten sich die Kerne lebhaft, an anderen kleineren und an den größeren aber gar nicht. Von einigen der übrig bleibenden Läuse löste ich nun vorsichtig den Schild ab und stellte das Blatt ins Wasser. Schon nach 2 Tagen konnte ich an diesen Läusen Ausscheidung von Wachsfäden am Hinterrande beobachten, und nach 4 Wochen wimmelte das Blatt von z. T. schon mit Larvenschild versehenen, z.T. auch noch umher- laufenden Larven. Da mir aus diesem Versuche hervorzugehen schien, dass der Schild dieser Art für Blausäure nicht durchlässig wäre, löste ich bei dem dritten Versuche schon vorher etwa bei 20 Weibchen den Schild ab; die Dauer des Versuches währte 1 Stunde. Bei der nach 2 Stunden vorgenommenen Untersuchung einiger dieser Weibchen färbten sich viele Zellen ganz schwach; die Kerne traten z. T. sehr deutlich her- vor, färbten sich aber nieht. Da die Läuse sonst aber einen durchaus lebendigen Eindruck machten, stellte ich auch dieses Blatt ins Wasser. Nach 3 Wochen wimmelte es ebenfalls von z.T. noch frei beweglichen, z. T. schon beschildeten Larven. In zwei Fällen beobachtete ich in mit Blausäure behandelten Schild- läusen Parasiten (wahrscheinlich Schlupfwespenlarven). Das eine Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 807 Mal in einer Chionasp. furfura Fitch in der Blütengrube eines ameri- kanischen Apfels, der 24 Stunden im Giftglas gelegen hatte; der Pa- rasit war tot; das andere Mal in einem Asp. pyri, der je 1'/, Stunden auf beide Methoden mit Blausäure behandelt war; hier schien der Parasit noch zu leben. Das Ergebnis aller meiner Versuche mit Blausäure ist also, dass sie erst nach ungefähr 5stündiger Einwirkung die beschildeten Läuse zu töten vermag, und dass selbst unbeschildete Tiere, wenigstens von dem ja überhaupt sehr giftfesten Asp. nerii, ungefähr 1 Stunde lang diesem Gifte widerstehen können. Das Ergebnis scheint mir selbst fast unglaublich und widerspricht auch den Erfahrungen der Amerikaner, die 1 bis 1'/,stündige Einwirkung für genügend halten. Ein Irrtum scheint mir aber bei meinen Versuchen völlig ausgeschlossen, und auch die Annahme, dass etwa das Cyankali nicht mehr wirkungsvoll ge- wesen wäre, hinfällig, da ich doch bei dem Giftglase wenigstens seine Wirkung auf andere Insekten erprobte, die ihm nach "),—1 Minute erlagen. 2. Alkohol. Beim ersten Versuche hiermit setzte ich 2 mit Asp. perniciosus besetzte Aepfel unter einer Glasglocke 20 Minuten lang den auf einem Wasserbade erzeugten warmen Dämpfen von Alkohol aus und ließ nachher noch die Aepfel unter der ungelüfteten Glasglocke bis zum anderen Tage stehen. Die Läuse waren alle tot und enthielten große, zusammengeflossene Fetttropfen. Beim zweiten Versuche setzte ich einen mit Asp. perniciosus be- setzten Apfel im Thermostaten, in den ich zugleich ein Uhrschälehen mit Alkohol gestellt hatte, 2 Stunden lang einer Temperatur von 50—39° C. aus, wobei nicht aller Alkohol verdunstete. Alle Läuse waren tot. Bei 6 anderen Versuchen wandte ich nur Alkohol-Dünste an, in- dem ich Aepfel mit Asp. forbesi unter einer Glasglocke mit einem Uhr- schälchen absoluten Alkohols zusammenbrachte. Bei einer Versuchs- dauer bis zu 20 Stunden blieben die Läuse am Leben (Zuckungen der Rüsselmuskeln). Die Zellen waren normal, klar; die Kerne färbten sich aber dennoch meistens intensiv blau. Nach einem 41 Stunden dauern- den Versuche waren die beiden einzigen auf dem Apfel sitzenden Läuse unbeweglich; ich hielt sie für tot. Nach einem zweiten Versuche von ungefähr gleicher Dauer (43 St.) waren die meisten Läuse tot: aber selbst 4 Tage nach Beendigung desselben fand ich noch eine lebende Laus; sie ließ ihren Inhalt aus einer Wunde stossweise hervortreten; bei den meisten Körperzellen färbten sich Plasma und Kern gleicher- weise blau; die Eizellen und auch viele Körperzellen blieben indess ungefärbt. Bei den beiden letzten Versuchen schmeckten die Aepfel stark nach Spiritus. 3. Formol. Bei 3 Versuchen leitete ich auf dem Wasserbade er- S08 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. zeugte Formol-Dämpfe unter eine Glasglocke auf Asp. perniciosus (', und 1 Stunde lang), bezw. Asp. forbesi (1', St. lang). Die Aepfel blieben nach den Versuchen frei im Zimmer liegen. Erstere wurden bei 1stündigem Versuche alle getötet, beim '/.stündigem nicht; von letzteren fand ich eine männliche Larve, die mit lebhaften Zusammen- ziehungen des Körpers auf mechanische Reize antwortete. Bei 3 anderen Versuchen wurden die Formoldämpfe kalt ange- wandt, in der Weise wie oben beim Alkohol, besehrieben. Nach 1—3 stünd. Behandlung lebten noch Läuse, namentlich wieder männliche Larven; nach 48stündiger Einwirkung waren sie alle tot, wenigstens zeigten sie keinerlei Bewegungen; ihre Zellen waren sehr fein granuliert, blieben aber ungefärbt. Die mit warmen Formoldämpfen behandelten Aepfel zeigten sehr bald nach den Versuchen braune Flecken, die rasch größer wurden, bis nach wenigen Tagen der ganze Apfel nur faul war. Bei der kalten Behandlung zeigten die nur 1—2 Stunden dem Formol ausgesetzten Aepfel keinerlei Einwirkung desselben; der 2 Tage unter der Glas- glocke liegende Apfel war dagegen in dieser Zeit schon ganz dunkel- braun geworden, aber hart geblieben). 4. Chloroform. Zwei Aepfel mit Asp. perniciosus wurden unter einer Glasglocke mit einem Uhrschälchen mit Chloroform 24 Stunden stehen gelassen. Das Chloroform war völlig verdunstet; die Aepfel waren braun und weich, die Läuse tot und ganz geschrumpft. 5. Schwefelige Säure. Herr Dr.Herm. Bolau, damals Hilfs- arbeiter an der Station, schwefelte am 8. Febr. 1899 einen mit Asp. ancylus besetzten Apfel, der aber erst am 21. Febr. von mir untersucht wurde. Aeußerlich sahen die Läuse noch wie lebendig aus: gelb, prall, hell. Ihre Zellen erwiesen sich jedoch als völlig zerstört, und ihr ganzer Inhalt färbte sich blau. Am 21. Febr. 1899 schwefelte ich selbst einen mit Asp. pernicio- sus besetzten Apfel, aber nur wenig; am nächsten Tage fand ich noch eine Laus, die ich nach der physiologischen Methode für lebend halten musste; ihre Zellen waren allerdings z. T. granuliert, färbten sich aber nicht. IV. Versuche mit Luftabschluss. Bei vielen der Versuche über die Einwirkung von Flüssigkeiten war es mir aufgefallen, dass die Läuse mehrere Stunden in solche untergetaucht werden konnten, ohne zu ersticken. Um den chemischen 1) Da Formol so häufig als Konservierungsmittel für Früchte empfohlen wird, möchte ich hier bemerken, dass ich bei Aepfel nur die schlech- testen Erfahrungen mit ihm, in allen seinen Konzentrationsgraden, gemacht habe. Die Aepfel wurden sehr rasch einfarbig braun und schrumpften später völlig znsammen. Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 809 Einfluss auszuschließen, wiederholte ich diese Versuche mit gewöhn- lichem Leitungswasser. Da diese aber für die Praxis keinen beson- deren Wert haben, suchte ich den Luftabschluss auch dadurch zu erreichen, dass ich die Läuse, bezw. ihre Schilde mit einem indifferenten Oele oder Fette überzog. Dies zur Begründung dafür, dass ich diese Versuche nicht bei denen mit Flüssigkeiten anführte. 1. In Wasser untergetaucht. Acht derartige Versuche von °/, Stunde bis zu 74 Stunden wurden angestellt mit Asp. ancylus, nerii, perniciosus und Diasp. ostreaeformis. Nach 2 Versuchen von 48-, bezw. 49 stündiger Dauer lebten die betr. Läuse noch, nach 2 von 71-, bezw. 74stündiger Dauer waren sie tot. Das einzige bei letzteren Versuchen verwendete Apfelstück war braun und weich, wie faul geworden; die Läuse hatten sich verfärbt, ihr Inhalt war zerfallen. 2. Ueberziehen mit Oel. Asp. perniciosus, die am 21. Febr. 1599 mit Rüböl überstrichen wurden, lebten nach 3 Stunden noch, er- schienen mir aber am nächsten Tage nach der physiologischen Methode tot. — Diasp. ostreaeformis, die am 3. März 1900 ebenso behandelt waren, sahen am 7. März noch frisch aus, wenn ich auch keine Be- wegung bemerken konnte; am 10. März waren sie sicher tot, jede Laus war mit einer dünnen Oelschichte umzogen. 3. Ueberziehen mit Vaseline. Am 10. März 1900 überstrich ich ein Aststück mit Diasp. ostreaeformis mit Vaseline. Am 16. März untersuchte ich ein Dutzend Läuse, die alle tot waren; die meisten waren schon sehr stark verändert: hell geworden oder in ihren Weich- teilen zerfallen. Die Widerstandsfähigkeit der !Diaspinen gegen Luftab- schluss scheint also eine ziemlich große zu sein; 2—3 Tage, vielleicht unter günstigen Umständen noch länger, können sie es wohl ohne frische Zufuhr solcher aushalten. Ihre Lebensthätigkeit ist wohl keine sehr lebhafte, und unter ihrem Schild haben sie eine, für ihre Verhältnisse nicht geringe Luftmenge eingeschlossen. Ihr hoher Fettgehalt dürfte wohl überhaupt ihr Sauerstoffbedürfnis etwas herabdrücken. Für die Praxis ergiebt sich aus den Versuchen, dass das Ueber- ziehen mit Fetten oder Oelen ein, wenn auch langsam, so doch sicher wirkendes Bekämpfungsmittel ist, dessen Anwendung namentlich am älteren Holze wohl zu empfehlen sein dürfte. V. Versuche mit Austrocknen (Wasserentziehung). Ich begann auch diese Versuche mit Rücksicht auf eine praktische Frage. Es handelte sich darum, nachzuweisen, ob Schildläuse auf den amerikanischen, nur flüchtig an der Sonne getrockneten Apfelschalen und Kerngehäusen, wie sie bei uns zur Herstellung des Apfelkrautes eingeführt werden, noch lebend sein könnten!). Ich erweiterte sie dann 1) Bei der Untersuchung solcher Abfälle wurden nur tote Läuse gefunden, 810 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. noch durch einige andere, mir biologisch interessant scheinende Versuche. 1. Abschälen. Zwei mit Asp. perniciosus besetzte Apfelstellen wurden dünn abgeschält, und die Schalen unbedeckt im Zimmer lie- gen gelassen. Nach 6—7 Tagen lebten die Läuse noch, nach 9—-10 Tagen waren sie tot. Auf einer etwas dicker abgelösten Schale waren die Läuse ebenfalls nach 10 Tagen abgestorben. Auf einer ganz dick, mit viel Fruchtfleisch abgeschnittenen Schale lebten sie da- gegen nach 12 Tagen noch, nach 21 Tagen waren sie aber schon ganz zerfallen. Bei einem ausgeschnittenen Kerngehäuse, das oben die ganze Blüthen-, unten die ganze Stielgrube mit umfasste, schienen mir die Läuse nach 12 Tagen noch zu leben, nach 15 Tagen waren sie aber völlig vertrocknet und zerfallen und enthielten nur noch vereinzelte gelbe Fetttröpfchen. Das Kerngehäuse war am 15. Tage schon ziemlich trocken, hart und brüchig; die Apfelschalen waren aber immer an den Tagen, an denen der Tod der Läuse festgestellt wurde, noch verhältnismäßig weich und biegsam, hell- bis grüngelb. 2. Ablösung von Schilden. Um die Rolle des Schildes als Schutzorgan gegen Austrocknen festzustellen, löste ich zweimal von einigen Asp. ancylus, einmal von Asp. perniciosus vorsichtig die Schilde ab und ließ sie unbedeckt im Zimmer stehen. Bereits nach 2 Tagen wurden die Läuse bräunlich, nach 5—10 Tagen waren sie schon völlig vertrocknet, strukturlos und enthielten nur gelbe Fetttröpfchen. Ganz anders war das Ergebnis, als ich am 28. Nov. 1898 von einigen Asp. ancylus auf einem Apfel die Schilde entfernte, den Apfel aber mit einer Glasglocke bedeckte. Nach 1'/, Monaten (13. Jan. 1899) hatten die Läuse dicke Wachsfloecken am Hinterende ausgeschieden. Der Apfel fing dann an zu faulen, bis nach 3'/, Monaten (8. März 1899) die Fäulnis die noeh lebenden Läuse erreicht hatte, die nun nach weiteren 6 Tagen (14. März 1899) abgestorben nnd schon vertrocknet waren. Es scheint aus diesen Versuchen hervorzugehen, dass die Läuse durch ihre Chitinhaut allein sehr wenig vor dem Austrocknen geschützt werden, dass hierfür vielmehr der Schild eine außerordentliche Be- deutung hat. Indeß sah ich an Aststücken mit einheimischen Läusen, die ich zu Zuchtversuchen mit einem Ende in Wasser gestellt hatte, und die nicht bedeckt wurden, unbeschildete Läuse 3—4 Wochen leben. 3. Ablösen von Läusen. Um festzustellen, ob vielleicht eine Verschleppung erwachsener Läuse dadurch stattfinden könne, dass sie z. B. von Vögeln mit den Füßen oder dem Schnabel losgelöst und wo anders abgestreift, sich da wieder ansaugen könnten, stellte ich 6 Ver- suche mit Asp. ancylus und perniciosus an, indem ich jedesmal eine Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. $11 Anzahl Läuse vorsichtig vom Apfel abhob und an eine andere Stelle desselben setzte. Bei 5 Versuchen setzte ich nur die Läuse um, ohne ihren Schild; nach 6—8 Tagen waren sie alle tot. Bei dem 6. Versuche deckte ich die umgesetzte Laus wieder vorsichtig mit ihrem Schilde zu; nach 7 Tagen lebte sie sicher noch, und erst nach 24 Tagen konnte ich mich von ihrem Tode überzeugen. Ich führe diese Versuche hier an, weil ich der Ansicht bin, dass das Absterben dieser Läuse weniger in der Entziehung der Nahrung als in der der Flüssigkeit seine Ursache hatte. 4. Vertrocknen von Blättern und Zweigen. Ein Blatt mit Asp. nerü schnitt ich frisch vom Baume ab und legte es unbedeckt auf meinen Arbeitstisch. Nach 4 Tagen untersuchte ich eine Laus, die noch lebte. Nach weiteren 3 Tagen war das Blatt dürr, und die Läuse vertrocknet; ihre Zellen waren stark granuliert und färbten sich in Methylenblau deutlich. Anfangs Mai erhielt die Station eine größere Anzahl stark mit Asp. nerii besetzter Magnolienblätter vom hiesigen botanischen Garten, die größtenteils noch an den verholzten Trieben saßen. Ich stellte sie in Wasser, um sie zu den oben beschriebenen Versuchen zu benutzen. Am 26. Mai sahen die Blätter schon etwas vertrocknet aus, sie waren zwar noch grün, aber dunkel geworden, und ihre Ränder hatten sich z. T. umgebogen. Die meisten Läuse waren tot und schon ganz hart getrocknet; nur an den frischeren Blättern fand ich noch lebende Tiere. Am 29. Mai war nur noch ein leidlich frisches Blatt übrig; die an seiner Oberseite sitzenden Läuse waren zwar stark granuliert, färbten sich aber nicht, die an der Unterseite sitzenden waren nur wenig gra- nuliert. Am 8. Juni waren alle Läuse völlig hart getrocknet und braun geworden; das Blatt war noch nicht völlig vertrocknet. Die Zweig- und Aststücke mit Asp. ostreaeformis und pyri, und Diasp. ostreaeformis, die ich von der Geisenheimer Anstalt erhielt, stellte ich ebenfalls in Wasser. Je dünner die Zweige waren, umso eher trockneten und schrumpften sie, je dieker, um so später. Zweige an Fingersdicke blieben etwa 3 Wochen frisch. Die Läuse waren immer schon abgestorben, ehe die Vertrocknung und Schrumpfung des Holzes auffallend geworden war. Ein Aststück von 2,5—83 em Dicke mit den beiden Aspidiotus-Arten, das ich am 9. März erhielt, ist jetzt (Mitte August) noch ganz frisch ; die Läuse haben sich weiter entwickelt und fortgepflanzt. Die Larven entwickeln sich bis jetzt ebenfalls gut. [Etwa Ende August starben sie alle ab. Keiner brachte es bis zur ersten Häutung.| Aehnliche Erfahrungen habe ich mit anderen Schildläusen, nament- lich Diasp. ostreaeformis und pentagona gemacht. Auch sie scheinen mir alle dafür zu sprechen, dass bei eintrocknenden Pflanzen weniger der Nahrungs- als der Wassermangel den Tod der Läuse herbeiführt. 812 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. VI. Versuche mit Fäulnis. Auch diese Versuche hatten ihre Ursache in praktischen Erwä- gungen. Gerade faule Aepfel werden am leichtesten fortgeworfen; und wenn auf ihnen die Läuse lebens- oder gar entwickelungsfähig blieben, wäre durch sie die Gefahr einer Infektion eine recht große. Bei den Untersuchungen amerikanischer Aepfel auf San-Jose-Schild- laus kam ich oft in die Lage, auf faul ankommenden Aepfeln Läuse zu untersuchen. Es fiel mir dabei auf, dass ein verhältnismäßig großer Teil von ihnen noch lebte. So fand ich auf 4 faul ankommen- den Aepfeln 15 lebende und 23 tote Läuse. Von letzteren waren 2 leer, 3 enthielten Reste von Schlupfwespen, 11 waren von Pilzen durchsetzt. Selbst wenn wir von letzteren annehmen, dass die Fäulnis der Aepfel ihre Todesursache gewesen, und der Befall durch die Pilze erst sekundär wäre, würden 19 toten Läusen 15 lebende gegenüberstehen. Ich stellte nun noch 3 Versuche an, indem ich besetzte Aepfel, die schon zu faulen begonnen hatten, weiter beobachtete, oder wenn sie noch gesund waren, sie erst mit faulen Apfelstückchen infizierte. Bei einem Versuche waren die Läuse (Asp. perniciosus) 10 Tage, nachdem die Fäulnis sie erreicht hatte, tot; bei dem zweiten lebten sie (Asp. camelliae) nach 10 Tagen noch, beim dritten (Asp. perniciosus) noch nach 17 Tagen, waren aber nach 26 Tagen tot. Ihre Widerstands- fähigkeit gegen die Fäulnis ist also eine ziemlich große, mindestens 10 Tage dauernde. Die durch die Fäulnis getöteten Läuse waren braun, weich; ihre Zellen waren stark granuliert oder schon in Zerfall übergegangen, färbten sich aber schlecht mit Methylenblau. Pilze konnte ich in keiner dieser Versuchsläuse entdecken, dagegen wimmelten die Asp. camelliae, als sie nach längerer Zeit abgestorben waren, von Bakterien. Zusammenfassung und Ergebnisse. Bevor ich näher auf diese eingehe, will ich die Hauptergebnisse meiner Versuche in einer Tabelle übersichtlich zusammenstellen (s.S. 813). Wir ersehen aus dieser Uebersicht, dass die von ihrem Schilde bedeckten Diaspineneineungemein großeWiderstandsfähig- keit gegen äußere Einflüsse haben. Kälte und Wärme, flüssige und gasförmige chemische Mittel, auch Fäulnis, können ihnen wenig anthun, solange nicht ihr Substrat in einer für sie schädlichen Art zerstört wird. Ist letzteres aber ge- schehen, wie bei Einfluss von konzentrierten Säuren oder Basen auf Aepfel, deren Substanz rasch durch sie zerstört wird, so ist es auch um die Läuse geschehen. Vermag der betr. einwirkende Stoff ihren Schild nicht zu durchdringen, der durch seine Zusammensetzung, namentlich, wie ich annehme, durch seinen Chitingehalt, den meisten Reh, Widerstandstähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. 813 Stoffen genügenden Widerstand entgegensetzt, ‚so vermag er auch der Laus selbst natürlich nichts anzuhaben. Aus diesem Widerstande des Schildes dürften sich auch einzelne der scheinbaren Widersprüche bei meinen Ergebnissen erklären lassen, namentlich aber die große Em- Einfluss Art der Dauer der Einwirkung Kälte von — 14°C Temperaturschwan- kungen von 13° C Wärme v. + 50° C ar m 2522309286 en Formol 10°/, " 50%, Alkohol konz. ” 50%, „» 90° Petroleum Halali 10%, „20%, Schwefelsäure 10°], Salpetersäure 10°], Kalilauge konz. ” 10 lo Eau de Javelle Chloroform Toluol Glyzerin konz. Blausäure ” n Alkoholdämpfe Formoldämpfe Chloroformgas Schwefelige Säure Luftabschluss Vertrocknen Fäulnis Eintauchen von ganzen Aepfeln Eintauchen von Apfelstücken Eintauchen von 4 Tage 2 Stunden 40 Minuten 20 22 ” N 5 Stunden '6 Minuten Aststücken 2 Stunden Ueberstreichen Füllen einer besetz- ten Blütengrube Eintauchen von Zweigstücken ;2 Stunden n 45 Minuten n 30 » n 90 n R 12072, Ueberstreichen Eintauchen der Aststücke 45 n Eintauchen der Zweigstücke 1 Stunde » 2 2 Ueberstreichen Eintauchen der Zweigstücke 2 Stunden Ueberstreichen n ” auf Apfelstücke auf ganze Aepfel oder Blätter auf nackte Läuse warm 20 Minuten kalt 40 Minuten warm 11!/, Stunden kalt 13 Stunden „ 24 Stunden 2—3 Tage darüber mitSchild auf Apfel- schale oder Blatt ohne Schild auf Apfel 5—6 Stunden 4/,—5t/, Stunden 24 Stunden 14 Stunde nach etwa 8 Tagen lebend Ergebnis 3333 tot lebend \tot lebend n tot ‚lebend tot z. T. noch lebend? lebend tot ” n lebend tot en: z. T. lebend lebend tot z. T. lebend ‚tot lebend n tot lebend Iz. T. tot lebend ‚tot 'z. T. lebend ? ‚lebend [00% |» inach etwa 2 Tagen „ bis etwa 10—17 „ lebend 814 Reh, Widerstandsfähigkeit von Diaspinen gegen äußere Einflüsse. pfindlichkeit der Apfelschildläuse im Vergleiche mit der der Holz- schildläuse, die eben vielmehr eine Empfindlichkeit des Substrats ist. Ferner fällt es auf, dass Läuse, die mit absolutem Alkohol über- strichen wurden, am Leben blieben, die in einer mit 50°/,igem Alkohol gefüllten Blütengrube sitzenden aber abstarben. Es kann das vielleicht so erklärt werden, dass der absolute Alkohol eher verdunstet war, als er durch den Schild hätte dringen können, dass dagegen der 50°%,ige, stundenlang stehen bleibende Alkohol Zeit dazu hatte. Auch der Unterschied zwischen Toluol und Chloroform dürfte durch die ungleich leichtere Verdunstbarkeit des letzteren zu erklären sein. Wie es aber möglich ist, dass Schildläuse auf Aststücken ein zwei- stündiges Eintauchen in 90°,igen Alkohol ertragen können, ist mir nicht verständlich. Doch ist an der Thatsache nicht zu zweifeln. Eher vielleicht dürfte das merkwürdige Verhalten der Asp. nerii, die beschildet 24 Stunden und nackt noch 1 Stunde lang der Blau- säure widerstand, daraus zu erklären sein, dass diese Art überhaupt ungemein giftfest ist. Sucht sie sich doch gerade recht giftige Pflan- zen, wie Oleander, Aucuba, Jasmin, Akazien u. a. als Nahrung aus. Allerdings widerstanden ja auch Läuse auf ganzen Aepfeln 24 Stunden lang der Einwirkung von Blausäure. Eine Erklärung hierfür habe ich oben schon zu geben versucht. Auch auf den merkwürdigen Unterschied in der Widerstandsfäbigkeit von Läusen gegen das Austrocknen, je nachdem sie beschildet oder unbeschildet sind, habe ich oben schon hingewiesen. Wie anfangs bemerkt, ergab sich aus meinen Versuchen wenig über Unterschiede verschiedener Arten gegen gleiche Einflüsse. So ziemlich das Einzige, das ich feststellen konnte, war, dass Arten mit dieken Schilden, wie z. B. Asp. ostreaeformis und pyri, beson- ders gegen Flüssigkeiten widerstandsfähiger waren als solche mit dünnen Schilden (Diasp. ostreaeformis). Dem entspricht ja auch, dass ich häufig (z. B. bei Schwefelsäure, Kalilauge, Petroleum u. s. w.) unter Krusten alter Schilde noch lebende Tiere fand, während alle oberflächlich sitzenden Läuse abgestorben waren. — Von jenen beiden Arten war die erstgenannte wieder unempfindlicher als die zweite. Sie kamen gewöhnlich gemeinsam an den Aststücken vor ; Tiere der ersteren Art fand ich öfters noch lebend oder selbst lebhaft, wenn die der letzteren schon tot oder im Absterben begriffen waren!). Auffällig war ferner, dass öfters männliche Larven oder Puppen noch leben, wenn alle weiblichen Tiere schon abgestorben waren (s. z. B. Formolgas!). Es dürfte das z. T. vielleicht aus dem geringeren Nahrungsbedürfnisse der ersteren, die schon gegen Ende der Larvenzeit aufhören zu saugen, zu erklären sein. 1) Ich habe in meinen Berichten diese beiden Arten nie getrennt erwähnt, sondern sie immer nur unter dem Namen Asp. pyri zusammengefasst. Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae). 815 Wenn wir nun noch die Bedeutung meiner Versuche für die Praxis kurz erörtern wollen, so ergiebt sich aus der bewiesenen großen Widerstandsfähigkeit der Diaspinen auch ihre große Gefährlichkeit wenigstens in dieser Beziehung. Selbst verhältnismäßig stark wirkenden Mitteln setzten die Versuchsläuse großen Widerstand entgegen. Und dabei waren es im Allgemeinen nur dünnschildige Läuse, und ferner waren sie alle im Tierstadium! Solch’ dickschildige Läuse, wie die Kommaschildlaus, Mytilasp. pomorum Bche., oder unter den Schilden verborgene Eier würden den betr. Mitteln natürlich noch größeren Widerstand entgegen setzen. Zur Bekämpfung dürften Gase oder Dämpfe, da sie nicht im wirkungsvollsten, d.h. warmem Zustande angewandt werden können, sich nur dann eignen, wenn sie lange genug einwirken können. So ist Blausäure am Baume angewandt, natürlich viel wirkungsvoller als bei meinen Versuchen im Zimmer; denn das Ast- und Zweigwerk der Bäume, besonders aber auch die Blätterdecke, werden das Gas noch lange an dem Baume festhalten, wenn der Apparat schon längst weg ist. Dasselbe gilt für das Stäuben mit Petroleum, dessen Haupt- wirkung vielleicht erst nach seinem Verdunsten durch seine Wirkung als Gas eintreten dürfte, wenn es nicht etwa durch Luftabschluss wirkt. Von den übrigen Flüssigkeiten scheint mir nur das Halali in Betracht zu kommen, vorausgesetzt, dass die betr. Pflanzenteile es vertragen können. Als wirksamstesMittel, außer den mechanischen, die ich per- sönlich allen anderen vorziehe, ergiebt sich aus meinen Versuchen der Luftabschluss, der am einfachsten durch Ueberziehen mit Oel oder Fett zu erreichen ist und alle Läuse sicher tötet. E. Selenka, Menschenaffen (Arthropomorphae). Studien über Entwicklung und Schädelbau. 11 Tafeln u. 250 Textabbildungen. Wiesbaden, Kreidels Verlag. Der Inhalt der ersten drei Kapitel, welche ich unter obengenanntem Titel veröffentlicht habe, sei an dieser Stelle in kurzen Zügen skizziert. Das erste Kapitel behandelt die Rassen, den Schädel und die Bezahnung des borneanischen Orangutan. — In Westborneo ließen sich sieben Lokalvarietäten des Orangutan feststellen; sie sind räum- lich von einander geschieden, weniger durch Gebirgszüge, als durch Ströme und breite Flüsse, die ihrer Wanderlust eine Grenze stecken. Die Unter- schiede der einzelnen Lokalvarietäten betreffen 1. die absolute Körper- größe; mit geringer Rumpfgröße geht Hand in Hand die Verkleinerung der Hirnkapsel wie der Zähne und damit des ganzen Schädels. 2. Die Hirngröße. Geringe Kapazität findet sich nicht nur bei den Örangutans mit kleinem Körper, sondern auch bei einigen großen Varietäten. 3. Fär- bung der Haut und des Haarkleides. 4. Fehlen oder Vorhandensein von 816 Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae). Wangenfalten im männlichen Geschlechte. — Allen Rassen gemeinsam ist eine auffallende individuelle Verschiedenheit des Gesichts- schädels, sowie dessen Stellung zur Hirnkapsel. Diese Unterschiede treten zumal im männlichen Geschlechte hervor, und zwar aus folgen- dem Grunde. Während die Eckzähne der Weibchen keine bedeutende Größe erreichen und relativ schnell ihre definitive Form gewinnen, erstreckt sich die Ausbildung der starken männlichen Eckzähne auf viele Jahre und findet erst gegen das Greisenalter seinen Abschluss, indem die stetig nachwachsende, kelchartig offene Wurzel erst allmählich sich zuspitzt und bis auf das enge Wurzelloch verschließt. Die Eekzähne des männlichen ÖOrangutan sind also fast schon wurzellose, d. h. stetig nachwachsende Zähne geworden. Das langsame Wachstum dieser Eckzähne hat nun eine andauernde Vergrößerung ihrer Alveolen zur Folge und damit zugleich der ganzen vorderen Kieferpartie, und diese Umformungen ziehen notwendig wieder andere Neuerungen nach sich: stetiges Wachstum der Kaumuskeln und dementsprechende Vergrößerung der Muskelansätze (Crista sagittalis, Verbreiterung der Proc. pterygoidei und der Proc. coronoidei, Verstärkung der Jochfortsätze ete.), Umformung der Gaumenplatte, asymmetrische Ver- lagerung des Gesichtsschädels und so fort. Alle diese Varianten fehlen nahezu ganz beim weiblichen Schädel, dessen Canini frühzeitig ihr Wachs- tum einstellen und klein bleiben. Genaue Beobachtungen wurden angestellt über die Beschaffenheit der Mileh- und Dauerzähne, sowie über deren Durchbruch. In zwanzig Pro- zent aller Fälle wurden überzählige (vierte) Molaren angetroffen. Durch 108 autotypierte Abbildungen sind die hier nur angedeuteten Befunde belegt und ergänzt. Das zweite Kapitel handelt von dem Schädel und dem Gebiss des Schimpanse und Gorilla. — Konstante Rassenunterschiede ließen sich an den Schädeln dieser beiden Anthropomorphen nicht feststellen. Große Aehnlichkeit zeigen männliche und weibliche Schädel des Schim- panse, indem ihre Hirnkapazität wenig differiert und die Eckzähne in beiden Geschlechtern meistens nahezu die gleiche Größe und Wachstums- geschwindigkeit aufweisen; die Form des Schädels ist daher auch allge- mein ziemlich konstant. Da auch die Backzähne durchschnittlich klein bleiben, springt der Kieferteil nicht so stark hervor wie bei Orangutan und Gorilla; die Kaumuskeln bleiben schwächer, eine Sagittalerista kommt niemals zur Ausbildung. — An Größe der Hirnkapsel nnd der Eckzähne übertrifft der Gorilla die beiden anderen großen Menschenaffen. Die Eckzähne des Männchens sind sehr stark und zeigen ein verlangsamtes Wachstum, bewirken daher ähnliche individuelle, bis ins späte Alter fort- schreitende Umformungen des gesamten Gesichtsschädels, wie dies beim Orangutan zu beobachten ist. Besondere Sorgfalt wurde auf die bildliche Darstellung des Milch- und Dauergebisses aller vier Formen der Menschenaffen (Gibbon, Schimpanse, Orangutan und Gorilla) und des Menschen gelegt. Sämtliche Zahnkronen der besterhaltenen und typischen Gebisse wurden von mir in der Aufsicht und Seitenansicht in vergrößertem Maßstabe photographiert, unter Herrn Dr. Röse’s Leitung für die Autotypie übergezeichnet und im Druck übersichtlich neben einandergestellt. In einigen Tabellen finden sich die wichtigsten Unterschiede der Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae). 817 Schädel der drei großen Menschenaffen und des Menschen zusammen- gestellt, sowohl der kindlichen wie der erwachsenen Schädel. Diese Ver- gleichung ergiebt,‘ dass der Schädel des Orangutan die weitgehendste Spezialisierung aufweist. Dieser Anthropomorphe variiert gegenwärtig nach mehreren Richtungen uud einige Rassen befinden sich noch im vollen Flusse der Umbildung. Als relativ junger Erwerb muss angesehen werden: große Verschiedenheit der Geschlechter wesentlich in Folge mächtiger Aus- bildung des Eckzahns beim Männchen; bedeutende Größe der Zähne und der Kiefer, Länge der Nasalia, Anwesenheit eines queren Occipitalkammes in beiden Geschlechtern; Verflachung der Haupthöcker der Backzähne und Ausbildung neuer Nebenhöcker unter gleichzeitiger Vermehrung von Schmelz- runzeln auf sämtlichen Zahnkronen, häufiges Wiederauftauchen vierter Molaren, Neigung zur Sonderbildung von Schaltknochen. Als altvererbte Eigentümlichkeit ist das Fehlen der Stirnhöhlen zu deuten, die Schmalheit des Interorbitalseptums und der Nasenbeine u. s. w. Mit dem Schimpanse gemein hat der Orangutan die Größe der Hirnkapsel im weiblichen Ge- schlechte, die Schmelzrunzelung auf den Backzähnen. Dem Gorilla steht der Orangutan ferner, als dem Schimpanse. Während Orangutan und Gorilla durch Neuerwerbungen dem Menschen immer unähnlicher werden, zeigt sich der Schimpanse konservativer und daher dem Menschen ähnlicher. Als Neuerwerb sind anzusprechen: Die stark vorspringenden Augenbrauenwülste, Schmelzrunzelung der Backzähne und leise Neigung zur Bildung von Nebenhöckern auf den Molaren, Ten- denz zur Reduktion der dritten Molaren, die konstänte Verbindung des Stirnbeins mit der Schläfenschuppe etc. In bestimmter Richtung differenziert ist der Schädel des @orilla; dessen Neubildungen bestehen in den bedeutenden Geschlechtunterschieden, im größeren Schädelinhalt, in den starken Augenbrauenwülsten, großen Zähnen, langen und breiten Nasenbeinen, der hohen Kegelform der 'Tuberkel auf den Backzähnen, Neigung zur Ausbildung vierter Molaren, langdauerdes Öffenbleiben einiger Schädelnäthe u. s. w. Große Aehnlichkeit zeigen die Kinderschädel der Anthropomorphen sowohl unter einander wie auch mit dem Menschen. Auf 10 Lichtdrucktafeln und in 96 Textabbildungen, die sämtlich nach eigenen photographischen Aufnahmen hergestellt sind, findet der Text seine Ergänzung. Das dritte Kapitel (54 Abbildungen) beschäftigt sich mit einigen jungen Entwicklungsstadien des Gibbon (Hylobates). — Wie das mensch- liche Ei, so wird auch das Ei des Gibbon von einer Decidua capsularis uteri umbettet und vollständig umschlossen. Während die Fruchtblasen der Schwanzaffen — mit seltenen individuellen Ausnahmen — zwei einander gegenüberliegende, dauernde Zottenfelder (und Plazenten) heraus- bilden, welche ein von Uterinschleim umspültes ringförmiges Chorion laeve zwischen sich fassen, bleibt beim Gibbon nur das primär entstandene Zottenfeld (Scheibenplazenta) erhalten, indess das gegenüberliegende bald dem Schwund anheimfällt. — Aus den näher beschriebenen und durch Abbildungen erläuterten Befunden hebe ich nur einige Thatsachen heraus. Am Aufbau der mütterlichen Placenta beteiligt sich das einwandernde Uterusepithel. Der die Zotten umspülende intervillöse Blutraum ent- steht dadurch, dass das Uteringewebe unter und neben der verwachsenen XX, 52 818 Selenka, Menschenaffen (Anthropomorphae). Fruchtblase ödematös durchsaftet und gelockert wird; in diese mit Serum gefüllten Räume wachsen mütterliche Venen und Kapillaren hinein und ergießen in dieselben, nachdem ihre Wandung durch das Plasma der Syneytialsehicht (Plasmodialschicht) zerstört worden ist, ihr Blut: der intervillöse Raum ist daher ursprünglich ein Interzellularraum des Uteringewebes, mit welchem sekundär mütterliche Bluträume in Kom- munikation treten. Zur Begründung dieser Deutung wurden einige jüngere Fruchtblasen und Plazenten der Schwanzaffen in den Kreis der Betrach- tung gezogen. — Die Syneytialschicht scheint ein umgeformtes Uterus- epithel zu sein. Der junge Keim des Gibbon ist kaum von den gleichaltrigen Keimen der Schwanzaffen und des Menschen zu unterscheiden, denn allen ist gemeinsam: Die sonderbare Beschleunigung der Amnionbildung, der Mesenchymanlage, der Ausbildung des Dottersackkreislaufs, ferner die Reduktion der Allantoishöhle, die Anlage eines Haftstiels und dessen all- mähliche Umformung zum Bauchstiel u. s. w. Alle diese caenogenetischen Sonderbildungen lassen sich ungezwungen durch die frühzeitige, offen- bar schon während der Gastrulation beginnende Verwachsung des Eies mit dem Uterusepithel hervorgerufen denken — ein Prozess, der ähnlich wie bei manchen Nagern und Insektenfressern eine sogenannte Blätterumkehr oder, wie ich es lieber bezeichnen möchte, eine Verlagerung oder „Entypie des Keimfeldes“ ins Eiinnere zur Folge hat. Diese Kom- plikation der Keimanlage, die eine anfängliche Verzögerung der Keim- differenzierung mit sich bringt, kommt aber alsbald wieder dem Keime zu gute, denn sie garantiert ihm weit günstigere Ernährungsbedingungen, als sie bei allen übrigen Säugetierembryonen anzutreffen sind. In dem Kampf um die Existenz, welchen soz. der Embryo der Säugetiere mit dem nährenden Muttergewebe auszufechten hat und in welchem der Embryo die Oberhand gewinnen muss, erleiden beide Teile die verschiedenartigsten Anpassungen: bei den Anthropomorphen und dem Menschen sind diese Anpassungen am vielseitigsten und ausgiebigsten, entsprechend der hohen Differenzierung der Reifetiere. Diese Thatsachen fallen bei der Beurteilung der verwandtschaftlichen Beziehungen der Menschenaffen zum Menschen um so schwerer ins Ge- wicht, als die vergleichende Anatomie längst die außerordentliche Aehn- lichkeit beider Gruppen nachgewiesen hat. Es möge hier noch erwähnt sein, dass nach meinen Untersuchungen auch der Orangutan die gleiche Plazentation aufweist, wie der Gibbon und der Mensch. Diese Befunde, sowie die Beschreibung älterer Gibbon- Embryonen und deren Plazenta wird im Laufe des kommenden Jahres zur Publikation gelangen. Selenka. [93] —_.ı Sa — Alphabetisches Namen -Register. Adanson 597 fg. Bavay 327. Bojanus 644 fg. Adler 274. Beard 573. Bokorny 53 fg. Agassiz 305 fg., 338. Beche, de la 599 fg. Bonnet 380, 493. Aivolo 350. Becher 364. Borissow 383. Albert 453. Bechhold 98. Bornet 601 fg. Altmann 73, 516. Beck 788. Borodin 631 fg., 778 fg. Amberg 283 fg. Bedel 367. Böttger 331. Apäthy 9fg., 370, 604 fg., Beer 1 fg., 497 fg. Bouch& 494, 720. 644 fg. Beijerinck 626 fg. Bouin 371. Appel 530. Bela Haller 666 fg. Boulenger 306 fg., 337. Appellöf 581. Benario 376. Bournon 599, 698. Artari 627 fg. Benda 79. Boussaingault 626 fg. Apstein 25, 85 fg., 121fg.. Bergh 120. Boutan 604 fg., 700. 6i2 fg. Bernard 364, 418. Boveri 17. 784 fg. Argenville. v. 597 fg. Bernhardi 724 fg. Bowerbank 600 fg., 700. Aristoteles 34 fg. Berthelot 528, 683. Bradley 597 fg. Arrhenius 419. Berthold 540: 570. Brandt 572. Atiken 333. Berthollet 683. Brauer 306. Auerbach 374. Berlese 317, 495. Braun 724 fg., 771 fg. Authenrieth 755 fg. Bertrand 419, 687 fg. Bredig 686. Berlepsch-Lehzen, v. 180, Brefeld566, 662, 692, 78718. 2l2rfe, Brehm 47. Baccarini 564, Berzelius 199. Bretscher 703 fg. Bachmann 386 fg. Bethe 1fg., 97fg., 134fg., Breuer 132. Baer 34fg., 224fg.,A6bfg., 177 fg., 215 fg., 346 fg. Brewster 254, 599 fg. 503 fg. Bettmann 378, Briosi 724 fg. Balbiani 276, 493. Beyerinck 531, 538, 722fg. Brisson 597 fg. Baldassini 598. Binaghi 350. Broca 65. Baldwin 168 fg. Bindscheider 378. Bronn 52, 602 fg. Barbieri 58. Bischof 640 fg. Brongniart 305. Barfurth 642 fg. Blanchard 743 fg. Brugniere 597. Bartlett 314. Blochmann 265. Brunnthaler 25 fg. Bärensprung 494 fg., 720. Blum 458. Buch, v. 599 fg. Baıry, de 770. Bodländer 686 fg. 3uchanan 642. Baur 567. Bois-Reymond, R. du 462. Buchholt 328. 52* 820 3uchner 56, 62, 201, 419. Budgett 329. Bullard 254. Bumpus 254. Zunge 224 fg., 415, 466 fg., 503 fg. Burckhardt 31, 96, 426 fg., 607 fg., 649 fg. Burdach 574. Bürger 294. Burmeister 494, 720. Buscalione 350. Busse 350. Bütschli 80, 355 fg., 678fg. ;uttel-Reepen, v. 97 fg.. 130 fg., 177 fg., 209 fg., 289 fg. Cannarella 564. Carpenter 600 fg. Carpiaux 629 fg. Carriere 294. Casagrandi 350 fg. Castracane degli Antel- minelli, Fr. 401 fg., 433 fg., 439 fg. Cattani 206. Chemnitz 597 fg. Chigin 365. Chittenden 54 fg. Chodat 89. Cholodkovsky 619 fg. Claparede 601 fg. Claus 49, 99, 316, 495. Clausen 772. Olessin 176, 604 fg., 670 fg., 698 fg. Cockerell 496. Cohnheim 534. Comstock 494. Cooley 746 fg. Cope 144 fg. Correns 129, 594, 766 fg. Cowan 214. Cremer 685 fg. Crotsh 367. Cugini 778 fg. Curtis 494. 265. 18%, Curtius 56. Cyclas 601 fg. Czapek 3, 373. Czernay 253. Daday, v. 613 fg. Dallinger 601 fg. Dall 604 fg. Dalla Torre, v. 128. Dalman 494, 720. Dangeard 787 fg. Darbishire 568. Darwin 323, 466, 705 fg. Dathe 101 fg., 134. Davenport 83 fg., 246. Dayssiere 119. De Geer 493. Delage, Yves 208, 424 fg.., 432, 544, 554. De !’Isle 306. De Meijere 586. Demoor 13. Dendy 560. Denso 597 fg. Deshayes 599 fg. Dewitz 783 fg. Dietel 662 fg. Döhnhoff 133. Dohrn 98. Douglas 494. Dreyfus 265 fg. Driesch 16 fg., 35. Duclaux 59 fg. Dujardin 493. Duncker 85, 243 fg. Dürigen 52. Düsing 781 fg. Duval 13. Duval Jouve 778 fg. Dzierzon 178, 217 fg. Ebner, von 459. Eckhard 364. Eckstein 538. Edinger 8 fg. Effront 60. Eggeling 83. Ehrenbaum 601 fg. Alphabetisches Namenregister. Ehrenberg 548. Ehrlich 206. 378. Ehrmann 144 fg., 226 fg. Eimer 144 fg., 175 fg., 226. Emery 98, 573, 586. Emmerling 637 fg. Engler 128. Eriksson 231 fg. Escherich 145 fg., 350 fg. Espada 323 fg. Euler 686 fg. Evans 792. Everts 367. Exner 11. Fabre 189. Fahrion 57. Faussek 605 fg. Fehling 383. Feiertag 577. Feinberg 374. Fibonacei 254. Field 254. Fisch 724 fg., 753 fg. Fischer, A. 71 fg. Fischer, E. 63, 201 fg., 685 fg. Fischer, H, 110, 601 fg. Flahault 601 fg. Flemming 9, 73. Foä 621 fg. Forchhammer 642 fg. Forel 5 fg., 98, 189, 601 fg. Forster 413. Förster 477, 494, 720. Fraas 479. Frank 317. Fremy 641 fg. Friedländer 64, 241. Froriep 278. Fuhrmann 85 fg., 120 fg., 386 fg., 425. Galton 84, 251. Ganglbauer 367 fg. Garnier 371. Gärtner 724 fg. Gasco 145 fg., 239. Alphabetisches Namenregister. Gaupp 288. Gavarret 65. Gay 325. Gegenbaur 602 fg-, 678 fg. Geoffroy 367. Gerasimoff 541. Gernez 686 fg. Ghering, v. 560. Giard 253, 424, 657 fg., 694 fg. Gibson 601 fg. Gilchrist 112. Girard 253. Gmelin 494. Göbel 540, 571, 783 fg. Godlewski 629 fg. Goethe, R. 316, 496. Göldi 328. Goldscheider 11, 191. Goltz 21. Gorup-Besanez 58. Gosse 610 fg. Göthe (Geisenheim) 742fg. Gräbe 378. Graber 461, 490. Graf 226. Graft, v. 556 fg. Graham 420. Gram 79, 377. Grassi 119. Grawitz 533. Gray 508 fg. Gregorieff 622 fg. Green 203, 317. Grieg 581. Groos 6, 298. Grützner 418. Guiart 118. Guignard 129, 594. Gulde 567. Günther 306 fg, Gurlt 573. Haberlandt 541, 724 fg., 753 fg. Häckel143, 341, 468, 521, 54l. Hay 311. Haller 574. Halliburton 414, Hankock 115 fg. Hansen 201. Hansteen 632 fg. Harper 565. Hartig 282. Harting 641 fg. Hartmann, v. 35 fg. Hartwich 537. Hatschett 597 fg. Hazay 640 fg. Hedlund 570. Hegler 540. Heidenhain 79, 364. Heincke 253, 578. Heinricher 788. Henri 167 fg. Hensel 326. Hensen 326. Henning 231. Herbst 530, 542, 689 fg,, 728 fg. Hering 364. Herissant 597 fg. Herlitzka 619 fg., 723. Herth 59. Hertmann 73, 378. Hertwig, O0. u. R. 4, 35, 92, 98, 378, 510 fg., 554, 573 fg., 688. Hescheler 705 fg. Hesse 4. Hessling, v. 602 fg. Heyer 692 fg., 723, 753 fg. Hill 685 fg. Hildebrand 772. Hiltner 627 fg. Höber 416 fg., 681 fg. Hoche 10. Hoffmann 52, 456, 753 fg. Holuby 724 fg. Holland 330. Hoppe-Seyler 64, 200. Hottes 784 fg. Huber 44, 99. Howes 323. Huxley 468 fg., 493, 601 fg. 119, Ihering, v. 328.18. Ikeda 329, 821 Imhof 432, 527. Irvine 642 fg. Ishizuka 633 fg. Jablonski 367. Jacobson 686 fg. Jäger 100. 108. Janet 98. Janssens 768. Jaquet 419. Jentsch 576. Jikeli 4. Johow 564 fg. Joachimsthal 461. Johnston 600 fg. Jones 602 fg. Jost 625 fg. Judeich 317. Juel 771 fg. Kamerling 745 fg. Kant 25, 502. Kappler 309. Karawaiew 352 fg. Karsten 257 fg. Keber 644 fg. Keferstein 602 fg., Keibel 577, 586. Kellicott 359. Kellner 58. Kennel 52, 559. Keyserling, v. 49. Kinoshita 632 fg. Kiseritzky 420. 698 fg. Klaatsch 578. Klebahn 258 fg., 280, 645 fg. Klebs 727 fg., 782 fg. Klein 597 fg. Kleine 99, 776 fg. Klemensiwiez 365. Klinkowström, v. 314. Klunzinger 309. Knaner 145 fg., 620 fg. Knierim 415. Knop 630, 779 fg. Kofoid 87, 387 fg. Kogevnikow 300. Kohlrausch 421. Kölliker, v. 12 fg., 35 fg., 573, 601 fg. 822 Köppe 418. Körnicke 594. Korotneff 793 fg. Kost 601 fg. Kossel 58. Koulagine 783 fg. Kowalevsky 793 fg. Krämer 241. Kräpelin 495. Krauch 58. Krüger, Frank u.Friedrich 316 fg., 493 fg. Krüger, Leop. 317, 626 fg. Krukenberg 604 fg., 700 fg. Kuhlgatz 319, 493fg.,718fg. Kühne 54 fg., 73. Kükenthal 584. Küster 529, 537 fg. Lacaze-Duthiers 535 fg. Laloy 65 fg. Landois 415, 776 fg. Laurent 629 fg. Lauterborn 94, 262, 609 fg. Le Dautec 424. Leber 533. Leche 424. Leeuwenhoek 65, 493. Lenhossek 10. Leonardi 317. Lepine 13. Lesser 597 fg. Leuckart 99, 277, 493. Leunis 458. Lexis 728 fg. Leydhecker 754 fg. Leydig 145 fg., 239, 493, 573 Tg. 60AfE., 71 fe. Leydolt 599. Lichtenstein 494. Liebig 199, 413, 681 fg. Linn& 367, 494. Linden, v. 145 fg., 226 fg., 605 fg. Lingen, v. 43. List 605 fg. Lister 596 fg. Loeb 31, 342 fg., 783 fg. Löffler 377. Loisel 791 fg. Longe 604 fg. Lotsy 564. Löw 56 fg., 316, 418. Lubarsch 543. Lubbock 98, 301, 493. Lüders 258 fg. Ludwig 254, 364, 729 fg. Lundberg 607 fg., 649 fg. Lüstner 742 fg. Lutz 628 fg. 140, 217, Maas 792 fg. Mach 24. Magerstedt 303, Magnin 657 fg., 694 fg. Malpighi 535. Mangin 662. Manoue&lian 13. Marchal 274, 282, 629 fg. Manz 755 fg. Marchand 533. Marion 443. Mark 316, 493, 720. Marlatt 742 fg. Marschall 357. Marschall-Stanley 553. Martens, v. 604 fg. Martin 380. Martini 597 fg., 698 fg. Maskell 317. Maslongo 532. Masters 772 fg. Maupas 772 fg. Maurer 577, 586. Maurizio 64. Mauz 723 fg., 773 fg. May 317. Mayer 460. Mazzarelli 110 fg. Meckel 602 fg. Meehan 778 fg. Meissner 54. Mendel 594, 766 fg. Mengarini- Traube, M. 401 fg., 433. Meıry 596 fg. Meriam, Sibylle v. 313. Alphabetisches Namenregister: Mett 382 fg. Metschnikoff 351 fg., 533. Meyer 327, 625. Mez 604 fg. Michaelsen 703 fg. Migula 771 fg. Milde 778 fg. Milne Edwards 576. Minchin 790 fg. Miquel 446. Mitrophanow 587. Mitscherlich 199. Möbius 336, 561, 786 fg. Moore 337. Molisch 418. Möller 532, 569. Molliard 542, 723fg., 756 fg. Mönkhaus 145 fg. Monteverde 632 fg. Moquin-Tandon 112, 666fg. Morgan 17, 494. Morgenroth 208. Moynier deVillepoix 604fg. Müller 73, 140. 181, 258 fg., 490, 778 fg. Müller von Berneck 686 fg. Müllenhoff 296 fg. Murray 598 fg., 642 fg. Nagel 342, 346 fg. Nägeli35, 200, 279. 419 fg.., 681 fg. Nakinishi 374. Nalepa 643 fg. Nasse 418. Nathauson 782 fg. Naudin 766 fg. Nawaschin 129, 594. Necker 599. Nemec 369 fg. Nencki 55. Nathusius -Königsborn, v. 602 fg. Neumann, S. 376, 533. Neumayer 350. Neumeister 56 fg. Newstead 494. Nietzki 378. Nikiforoff 376. Alphabetisches Namenregister. 525 Nissl 9. Nitsche 317. Nobbe 282, 627 fg. Nocht 374. Nölting 379. Nussbaum 771 fg. Nüsslin 274, 351, 479 fg. 0’Meara 444. Oltmanns 567. Oppenheimer 198fg., 681fg. Osborn 604 fg. Owen 576. Paal 58 fg. Pagnoul 629. Palladin 631 fg. Pander 36. Pappenheim 373 fg. Pasteur 199, 419. Pauleke 771 fg. Paulton 584. Pawlow 364 fg., 382 fg. Payen 199. Payer 659 fg. Pearson 84, 249. Pelseneer 110 fg. Penk 86. Penzig 721 fg., 772. Perrier Remy 110. Persoz 199. Petersen 256. Pfeffer 540, 634 fg. Pflüger 766. Philippi 602 fg. Picard 602 fg. Pierie 783 fg. Planta, von 106, 297. Plate 328, 358. Plateau 210, 490 fg. Pluche 597 fg. Poleschajeff 525. Poli 597 fg. Poulton 414, 590. Prantl 778 fg. Prianischnikoff 637 fg. Pızibram 525 fg. QAuekett 600 fg. Quilter 604 fg., 641 tg. Rabenhorst 444. Rabinowitsch - Kempner 374. Rabl-Rückhard 13. Rahn 364. Rainey 602 fg., 676. Ranke 507. Raoult 59. Rath, vom 106, 776 fg. Ratzeburg 493, 720. Raum 350. Rawitz 604 fg. Reaumur 493, 596 fg. Reformatsky 420. Regel 772. Reh 317, 452, 493 fg., 572, 586,718 Tg, 741 Tg, 799 fg. Reichenau 777 fg. Reinitzer 627 fg. Reitter 367. Renaut 380. Reuleaux 452. Rhumbler 745 fg. Ribaucourt 703 fg. Ribbert 622 fg. Ribot 8 fg. Richard 607 fg., 653 fg. Rittinghaus 763 fg. Rizema-Bos 282. Röhrmann 419. Robiquet 199. Romanes 181. Romanowsky 374. Römer 577, 586 fg. Roncali 350. Rongger 637. Rosa, Daniele 703 fg. Rose 599 fg., 679 fg. Röse 576. Rosen 372. Roth 178, 216. Rousselet 606 fg. Roux 22. Roze 697 fg. Rusconi 145 fg. Ryder 604 fg., 670 fg. Rywosch 415 fg. 486 fg., Sachs 530, 538 fg., 566, 625, 689 fg. Salensky 461, 793 fg. Salkowsky 415. Sandberg 494, 720. Sanio 772, Sanfelice 350, 445. Saporta 443. Sarasin, P. u. F. 174 fg., 311. Sars 607 fg. Saugaveau 570. Schacht 778 fg. Schiller 298, Schilling, v. 495. Schimkjewitsch 525. Schimper 625 fg. Schlater 508 fg., 544 fg. Schlossberger 602 fg. Schmidt, Al. 418. Schmidt, ©. 601 fg. Schmidt, 0. 317. Schmiedeberg 419. Schmitz 258, 566. Schönfeld 297. Schrank 494, 720. Schröter 283 fg., Schubert 468. Schultz, W. 619 fg. Schultze, M. 9. Schulze, E. 58, 791 fg. Schumow - Simanowsky 366. Schwann 199. Schütt 258. Schütz 383. Schütze 378. Schützenberger 54. Sclater 313 fg. Sedgwick-Rafter 283 fg., 544. Selenka 815 fg. Seligo 463. Semon 337, Semper 602 fg. Setschenow 414 fg. Shuttleworth 641 fg. Siebold, v. 99, 212, 601 fg., 776 fg. Signoret 316, 493, 720. 597 Tg. 524 Simroth 145 fg., 604 fg., 698, 731 fg. Smith 309. Solms 564. Sorby 599 fg., 700 fg. Spencer, H. 298, 590. Spengel 323. Spitzer 419. Stahl 199, 566, 627. Statius-Müller 597 _fg. Stefanowska 13. Stein 358. Steinmann 604fg., 641 fg., 669 fg. Stempell 595 fg., 637 fg., 665 fg., 698 fg., 731 fg. Steno 596 fg. Stenroos 607 fg. Steuer 25 fg. Stewart 602 fg. Stieda 577. Stingelin 606 fg. Stirrup 601 fg. Stock 379. Stölzle 34 fg., 465 fg., 503 fg. Strasburger 347, 574, 657 fg., 689 fg., 721 fg., 753 fg. Strawinsky 460. Strodtmann 645 fg. Suzuki 633 fg. Swammerdamm 597 fg. Sweet 590. Tamman 204. Tanzi 13. Targioni-Tozzetti 316, 493. Tenison-Wood 602 fg. Thiele 602 fg. Thilenius 241 fg. Thilo 45fg., 452 fg., 751g. Thiry 365. 'Thomas 529 fg. Thompson 253. Thury 761 fg. Tichomiroff 783 fg. Tiebe 493. Tieghem, van 659 fg. Tigerstedt 417, 421. Tizzoni 206. Tognini 724 fg. Toni, de 443. Tornier 145 fg., 226. Traube 200. Tschermak 593, 766 fg. Tschudi 306. Tullberg 422, 583, 601 fg. Uexküll, von 1 fg., 497 fg. Ule 127. Unna 374, 380. Van’t Hoff 685 fg. Vayssiere 117. Verschaeffelt 254. Verworn 3 fg., 745 fg. Veydovsky 705 fg. Villepoix, de 698 fg. Virchow 507. Vöchting 254, 690 fg. Vogt 468. Voigtländer 420. Voit 56, 602 fg. Voyle 746 fg. Vries, de 129, 193 fg., 254, 540, 594, 729 fg., 764g. Vuillemin 657 fg., 69 fg. Wagner 633 fg. Walch 597 fg. Wallengren 358 fg. Walter 27 fg., 415. Warren 252. Ward 121. Wasmann 97 fg., 342 fg., 368, 497 fg. Wassiljew 367. Weber, E. 90, 606. Alphabetisches Namenregister. Weber, M. 336, 586. Webster 742 fg. Wedl 601 fg. Weigert 543. Weinland 321 fg. Weismann 35 fg., 189, 275, 768. Weld 301. Weldon 253. Werner 145 fg., 226, 323. Wernicke 8. Wesenberg-Lund 606 fg., 644 fg. Wettstein 464. Wiedersheimd52fg., 304 fg., 321 fg. Wilder 309. Willcox 604 fg. Winkler 783 fg. Winogradsky 516, 626. Winter 604 fg, 698 fg. Witlaezil 317. Woodhead 642 fg. Woodward 600 fg. Woodworth 243. Wolf 633 fg. Wollny 705 fg. Woronin 662 fg. 177, Yung 85, 121. Zacharias 32, 87, 121 fg., 463, 607 fg. Zaleski 630 fg. Zennek 145 fg., 226. Zettnow 374. Ziegler 1 fg., 17, 100 fg., 182 fg., 347 fg., 497 fg., 533. Ziehl 377. Ziemann 374. Zimmer 32. Zittel 604 fg. Zopf 351. Zschokke 380. Alphabetisches Sachregister. Abänderungsfähigkeit, zunehmende Verminderung der 487 fg. Abstammnng des Menschen, Karl Ernst v. Baer’s Stellung zur Frage nach der 224 fg., 465 fg., 503 fg. Acanthias americanus 579. Acanthocystis spec. 90. Actinurus neptunius 463 fg. Albumose, Gewinnung von 53 fg. Alterspräponderanz 147 fg. Althea rosea 492. Alytes obstetricans 305 fg. Allgemeingiltigkeit wissenschaftlicher Aussagen 16 fg. Allium fragrans 571. Allolobophora cyanea Sav, caliginosa Sav. var. turgida Eis, profuga Rosa 708 fg., A. alpina, argoviense, asco- nensis, Benhami, brunescens, chloro- tica, Claparedi, constricta, Darwini, foetida, Hermanni, icterica, limicola, lissaensis, nivalis, norvegica, Nus- baumi, octoedra, parva, profuga, putris, subrubicunda, rhenani, Ribau- courti, Rosai, rosea, rubra, sul- furica, terrestris, transpadana, ve- neta, Veydovskyi 710 fg., A. Eiseni NA2STE, Allurus neapolitanus 710. Amphileptus flagellatus 613 fg. Amphiuma 311. Anabaena flos aquae 89, 387. Anapus ovalis, A. testudo 90. Anastatica hierochontica 67. Anobium paniceum, Hefeninfektion bei 352 fg. Anpassung, funktionelle 22, Gesetz der unbegrenzten A. 488. Antennaria alpina 771. Anthidium manicatum 491. Anthropomorphae 815 fg. Antikinese 4 fg. Antiklise 5. Antipepton, Nährwert des 56. Antitypie 4. Antwortreaktion, ein Kunstbegriff 21. Anucleata 521. Anurea cochlearıs 90. Aphilotrie seminationis, marginalis, quadrilineatus, albopunctata 274 fg. Apis mellifica 492. Arca 638. Arcella 615. Arius australis 336. Arten, Entstehung der Arten durch organisches Wachsen 174 fg., Kri- terium des Artbegriffs 274 fg., direk- ter Einfluss äußerer Faktoren auf Artbildung 281 fg., Erlöschen der A. 486 fg., Ursprung 489. Arthroleptis Seychellensis 307 fg. Ascobolus 567. Ascomyceten 565. Asellus aquaticus 359. Aspidiotus ancylus, camelliae, forbest, perniciosus, ostreaeformis, pyri, neri 743 fg. Aspidium falcatum 275 fg. Asplanchna priodonta 90, Brightwelli 611. Aspredo laevis 333. Assoziation 5. Asterionella gracillima 89, 393 fg. Aucuba japonica 712. Autoblasten als freilebende Elementar- einheiten niederer Ordnung 514, Definition der A. 519. synthetischer 826 Bachionus Backeri 9%. Bakterien, phylogenet. Beziehungen 508 fg., Bacterium prodigiosum 516. Balanophoraceen 564. Bangiaceen 566. Basidiamyceten 566. Befruchtung 424 fg. Begriffsbildung, biologische 22 fg. Bestimmungstabellen, botanische für Mitteleuropa 128. Bienen, Sind die B. Reflexmaschinen ? Experimentelle Beiträge zur Biologie der Honigbiene 97 fg., 130 fg., 177 1g., 209 fg., Gerüche beim Bienenvolk 101 fg., Gehörsvermögen 143 fg., Ortsgedächtnis 177 fg., Mitteilungs- vermögen, Assoziationen von Ein- drücken 302. Bioblasten, Differenzierung der; frei- lebende B. 514. Biogenetisches Gesetz, seine Giltigkeit für die Entwicklung der Tierzeich- nung 146 fg. Biologie, des Neuenburger Sees 85 fg., 120 fg., Grunddogma der heutigen B. 554 fg. Biophytum sensitivum 369 fg. Biostatistik 83 fg. Bombus terrestris, B. muscorum 492. Bosmina longirostris- cornuta 26 fg., 90, 120, 608, Schreckbewegungen bei B. 30, B. coregoni 90, 120 fg., 608, B. gibbera, thersites 608. Botryococcus Brauni 387. Bromeliaceen 562 fg. Brosimum macrocarpum 373. Brutpflege, bei niederen Wirbeltieren 304 fg., 320 fg. Bryonia dioica 755 fg. Bythotrephes longimanus 90, 609 Caecilia compressicauda 312 fg. Calicium parietinum 570. Cannabis sativa, Verwandlung männ- licher Blüten in weibliche bei 723. Carex praecox, Infektionserscheinungen bei 697. Castanea americana 778. Sachregister. Castracane, Francesco C. degli Antel- minelli 401 fg., 433 fg., Wissen- schaftliche Arbeiten 438 fg. Castrada radiata 128. Cathypna luna 90. Catillaria denigrata, Ü. prasina 70. Cecidomyia destructor, O.avenae 282T8. Cecidophyes Schlechtendalii 542. Gelebes, Landmollusken von 174 fg. Cellulopsiden, Art der Eunucleaten, welche nach ihrer inneren Organi- sation der typischen Zelle am näch- sten stehen 522. Centaurea cyanus 492. Centralkörper, alsphylogenetische Vor- stufe des Kerns 511 fg. Centrostephanus longispinus, Stachel- reflex bei Beschattung von 7. Centralkörper, als phylogenetische Vorstufe des Kerns 511 fg. Cephalotaxus Fortunei 772. Cerastes cornutus 46 fg. Ceratium hirundinella 90, 389, 613. Ceratopteris thaliethroides 718. Ceriodaphnia pulchella 90. Chamaerops humilis 772. Chantransia 597. Chara crinata 275, 770 fg. Chemotropismus 346 fg. Chermes-Arten, über den Lebenszyklus der Ch. und die damit verbundenen allgemeinen Fragen 265 fg. Chermes strobilobius, über den männ- lichen Geschlechtsapparat bei 619. Chydorus sphaericus 26. 128. Chiromantis rufescens 328. Chironectes pietus 336. Chlorella 626. Chromatineytoblasten, phylogenetische Vorstufen 511 fg. Chromogaster 612. Chroococcus minutus var. carneus 89. Chrysanthemum segetum 729. Clathrina, Entwicklung von 791. Olathrocystis aeruginosa 387. Olepsine phalera 226 fg. Closterium Nordstedtü 89. Olostridium Pasteurianum, Bindung des freien Stickstoffs durch 626 fg. Olusia alba 571. Sachregister. Coceoneis Placentula 260 fg. Cocconema Oistula 258. Codonella lacustris 612. Coelebogyne tilicifolia 571. Conchiolin, Herkunft und Bildungs- weise 641 fg. Conochilus unicornis 89, volvox 128. Copepoden 609. Crematogaster lineolata 301. Cryptobranchus 587. Cucurbita 655. Cuscuta 564. Cyanophyceen, Beziehungen zur typi- schen Zelle 511 fg. Cyelops Leuckartü, O.oithonoides 26 1g., 90, strenuus 90, 121 fg. Cyelopsine staphylinus 359 fg. Oyclotella Bodanica 89, ©. comta, ra- diosa 393. Oymatopleura elliptica 89. Uyphoderia ampulla 90. Cypris reptans 275. Uystignathus mystaceus 326, U. ocel- latus 333. Cytoblasten, als elementarste Zell- bestandteile 516, freilebende C. 517 fg. Cytotropismus 22. Daphnella brachyura 609. Daphnia hyalina 90, 607, Hefekrank- heit der Daphnien 351 fg., D. galeata 607, brachycephala 607, culculata 608, 652. Darmepithel, über das regelmäßige Vorkommen von Sprosspilzen in dem D. eines Käfers 350 fg. Darwinismus 39 fg. Dasyphus 586 fg. Delphinium Ajacis 492. Dendrobates trivittatus, 309 fg. Desmognathus fusca 309. Diaphanosoma 26, brachyurum 90. Diaspinen, Versuche über die Wider- standsfähigkeit von D. gegen äußere Einflüsse 741 fg., 799 fg. Diaspis ostreaeformis 743. Diaptomus gracilis 26 fg., 90, laciniatus 30 EZ ER: D. braccatus 827 Diastasen, Erklärung der Wirkungs- weise der 63 fg. Diatomeen, die Auxosporenbildung der D. 257 fg., D.-Plankton, sinkende Tragkraft des Wassers als Todes- ursache für das D. des Frühlings 651. Differenzierung, abhängige 22, intra- cellulare D. und ihre biologische Bedeutung 509 fg. Dileptus trachelioides 613. Dinobryon 28, cylindricum, divergens, sertularia, stipitatum, thyrsoideum 89, 393 fg., D. bavarium, elongatum 614 fg. Dipodasius 565. Dreyssena polymorpha 26 fg. Ectocarpus Hinksiae, Padinae, secun- dus, selieulosus 570 fg. Ei, Einfluss der idioplasmatischen Um- gebung auf das 622 fg. Eiweißbildung, Theorie der E. in der Pflanze 629 fg. Eiweißzerfallsprodukte, bei pankrea- tischer Verdauung 5). Elementarprozess, morphogener 22. Embiotoca Agass. 337 fg., E. Jack- soni 338. Endosperm, Entstehung des 129 tg. Entomostrakenfauna, Ausgangspunkt der 31. Entwicklungsphysiologie 17 fg. Enzyme, praktische Unterscheidung zwischen E. und geformten Fermen- ten 201 fg. Epilobium angustifolium 769 fg. Epistylis spec. W. Equisetum arvense, limosum, maximum, palustre, ramosissimum, sylvaticum, Telmateja, variegatum 778 fg. Eranthis 572. Ergastoplasma 371 fg. Eristalis tenax 492. Ernährung, Bedeutung der E. für sta- bile Umgestaltungen 283. Erysiphe communis 562. Eunucleata 521, nur die E. sind ein- zellige Organismen 523. Experiment, Wesen und Bedeutung 17. 825 Fermentprozesse, Einheitliche Betrach- tungsweise bei F. 198 fg., energe- tische Erklärung 200. Fibonacei-Gesetz, das 254 fg. Florideen 566. Floscularia pelagica W. Formenketten, Erklärung der Ent- stehung derselben durch die ver- schied. Descendenztheorien 175 fg. Formica nitidiventris 301. Fortpflanzuug, über die Möglichkeit einer unbegrenzten parthenogene- tischen Fortpflanzung 274 fg. Fragilaria erotonensis 89, 393 fg. Frosch, Anatomie des F. 288. Funkia coerulea 571. Gallen, Anatomie der 529 fg., Haut- Durchlüftungs - Assimilations - Spei, cher - Leitungsgewebe 536 fg. Gasparrinia murorum 627. Gasterosteus aculeatus 335 fg. Gastropus stylifer 90. Gastroichra 612. Gedächtnis, associatives als Kriterium des psychischen Lebeus 346 fg. Geist, Entwicklung des G. beim Kinde und bei der Rasse 168 fg. Geitonogamie 593 fg. Genepistase 174 fg. Geschlechtsbestimmung 780 fg. Geschlechtsverteilung, Versuche mit diöcischen Pflanzen in Rücksicht auf 657 fg., 689 fg., 723 fg., 753 fg. Gewicht, Akkomodation des spezi- fischen Gewichts durch Formver- änderungen und Ausbildung luft- gefüllter Hohlräume 645 fg. Giftschlangen, Mechanik des der solenoglyphen 45 fg. Ginkyo biloba 774 fg. Gomphosphaeria lacustris 89. Goniopterya rhamni 49. Bisses Haare, Entstehung der H. aus Placoid- zähnchen 588 fg. Hämamöba Malariae 374. Harnstoff, als Stickstoffquelle 627 fg. Hefe, im tierischen Organismus 350 fg. Sachregister. Heliotropismus, positiver bei Tieren 343 fg. Helix hispida 639. Hemialbuminosen, Charakteristik d. 55. Hepatica nobilis 572. Heptanchus 579. Heterostachyae 697. Holopedium 609. Hudsonella 612. Hyaecinthus orientalis, plasmatisches Fibrillensystem bei 372 fg. Hyalodaphnia cristata, ceucullata 607. Hydatina senta 172. Hydnoraceen 564 fg. Hyla faber 332, H. Göldii 307, H. viridis 306. Hylodaphnien, Formumbildungen bei 648 fg. Hiylodes lineatus 309, H. martinicensis 315 fg. Ichtyophis glutinosus 311 fg. Idioplasma, die erbliche Grundsubstanz der Körper 285 fg., 622 fg. Ilyla nebulosa 328 fg. Infusoria, als selbständiger Typus der Eunucleaten 522, zeigen zuerst Ver- suche einer morpholog. Heraus- differenzierung und einer Organ- lokalisation 547. Insekten, psychische Fähigkeiten der staatenbildenden 97 fg., Farbenaus- wahl der Insekten 490 fg., multio- celläres geflügeltes I. 527, 717. Instinkt, Unterschied des vom Reflex 5, Aa IE: Instinktbegriff, Geschichte des 6. Instinkttheorie, mechanische 343 fg. Käfer, die von Mitteleuropa 367 fg. Kalymmoeyten 793 fg. Kastration, parasitäre und ihre Folgen 695 fg., 772 fg. Katalysatoren, über der 681 fg. Keimplasma 622. Kernchromatineytoblasten, Prototypen der 511. Kleronomie als Summe der ererbten (kleronomen) Eigenschaften 6 fg. die Wirkungen Sachregister. Kokkus, Definition des 516. Koordination, nervöse im Unterschied von Assoziation 5. Laboulbeniaceen 567. Lacerta muralis 146 fg., striata cam- pestris 229 fg., L. m. albiventris, L. m. campestris, L. m. punctato-striata, L. m. p.-faseiata, L. m. punctulato- faseiata, L.m.maculata, L.m.striato- maculata, L. m. maculata s. str. 230, L. m. reticulata, L. m. tigris, L. muralis concolor, L. m. modesta s. olivacea, L. m. elegans 231 fg. Lagenophrys, Uebersicht der Gattung L. 358 fg., L. ampulla, aperta, asells, eupagurus, hassa, singularis, vageni- cola 358 fg., labiata, Platei 359 fg. Landplanarien, die Färbung und Zeich- nung der 556 fg. Lasius americanus 301. Lathraea 563. Lecanium hesperidum 743. Lemna minor 632 fg. Lennoaceen 563. Lepidosteus 583. Leptodora hyalina 26, 609. Lolium temulentum 627. Loranthaceen 563 fg. Lumbriceiden, Verbreitungsverhältnisse der L. in der Schweiz 703 fg., Selbst- amputation bei L. 705. Lumbricus herculeus, rubellus 708 fg., meliboeus 709, castaneus, rubeltus, Studeri 710. Lupinus luteus 637 fg. Lychnis dioica 692. Macronucleus, als Centralapparat der Zelle 547. Mallomonas Hoeslüi 89 fg. Mangifera indica 571. Marsilia, künstliche Parthenogenesis bei 782. Mastigocerca capucina 90, 612. Megachile ericetorum 491 fg. Melandrium 690 fg., 724 fg. Melanismus 149 fg. Melosira orichalcea 89. 829 Menschenaffen, Entwicklung u. Schädel- bau 815 fg. „ Menobranchus lateralis 166 fg. Mercurialis annua 724 fg., 756 fg. Merismopedium elegans 89. Merogonie 424 fg. Metazoen, ein nenes Grundprinzip für die Gegenüberstellung von M. und Protozoen 508 fg. Microbiologie 59 fg. Micronueleus als Fortpflanzungsorgan 547. Mindarus Koch, zur Biologie der Schizoneuriden - Gattung 479 fg., M. obliquus 480. Mischsamigkeit 594. Modiola modiolus 639. Molche, die ontogenetische Entwick- lung der Zeichnung unserer einhei- mischen 144 fg., Zeichnungsgesetze 165 fg., 226 fg. Molge alpestris, taeniata 146 fg., M. cristata, palmata 150 fg. Monilia candida 201. Monoblasta 508 fg., 544 fg. Monospora bicuspidata 352. Morphose 530 fg. Mougeotia gracillima 89. Muscari comosum 697. Muschelschalen, über die Bildungsweise und das Wachstum der Muschel- und Schneekenschalen 593 fg., 637 fg. 605 fg.. 698 fg., 731 fg. Mustelus vulgaris 579. Myelophilus minor, piniperda 282 fg. Mycorrhiza 627. Mytilaspis fulwa 743 fg. Nagetiere, über das System der 422 fg. Nanina cincta 174 fg. Naturgesetz, Wesen des 19. Naturzüchtung 340 fg. Nephroeytium Aghardianum 89. Nervenbahnen, enbiontische 8, Ent- stehung der Bahnen 11 fg., Funk- tion 14 fg. Nervenphysiologie, Segmentaltheorie, Gentrentheorie 342 fg. Nestgeruch, der Bienen 100 fg. Neurokinese 5. 830 Neurophysiologie, vergleichende 1 fg. Nitrococceus, Unterschied in der Organi- sation von N. und Vorticella und dessen Bedeutung für die Phylogenie der Protozoen 512 fg. Notholca foliacea, longispina, striata 90, 612. ‚Notodelphys ovifera 321 fg. Nototrema oviferum 321 fg., N. marsu- piatum, N. plumbeum, N. pygmaeum 322. Ontogenese, Ursachen der 690 fg. Oocystis lacustris, O. Nägeki 89. Opegrapha subsiderella 570. Orchideen 562. Organisation, Abhängigkeit d. inneren OÖ. vom Differenzierungsgrad der ihn zusammensetzenden Zellen 510. Oscillatoria rubescens 89, 395 fg. Osmunda regalis 778. ÖOvarientransplantation 619 fg. Palolo, Bemerkungen zu den Aufsätzen der Herren Krämer und Fried- länder über den sogen. P. 241 fg. Papaver somniferum polycephalum s. monstruosum 193 fg. Papilio Machaon 492. Parasitismus 593 fg, 786 fg. Parlatoria proteus, P. ziyrphi 743. Pedalion 612. Pediastrum boryanum, pertusum 615 fg. Peptonbildung aus Eiweiß 53 fg. Peptone in Pflanzen 58. Peptonorganismen unter den Pflanzen 626 fg. Peridinium cinetum 393 fg. Poronosporaceen 565. Pflanzen, die reizleitenden Strukturen bei den 369 fg., patholog. Pflanzen- anatomie 529 fg., Parasitismus und sexuelle Reproduktion im Pfl.reiche 561 fg., 571 fg., Stickstoffassimilation der grünen Pfl. 625 fg., Geschlechts- verteilung 657 fg., 689 fg., 721 fg., 193 de. Phanerogamen, Reproduktion bei den 563. Sachregister. Phyllobates trinitatis 308 fg. Phyllomedusa Iheringii 328 fg., P. hypo- chondrialis 329. Philodina spec. 90. Physcia pulverulenta 568. Pigment, Entstehung des 149 fg. Pilze, parasitäres und saprophyt. Sta- dium bei 563, phylogenetische Ab- "leitung 572. Pipa dorsigera 313 fg., P. americana 314 fg. Pisum sativum, über künstliche Kreu- zung bei 593 fg. Planispira zodiacus 174 fg. Plankton, als Fischnahrung 32, Bedeu- tung des Phytoplankton für tierische Organismen 126 fg., P. der Binnen- seen 463. Planktonforschung, Methoden der 26 fg., die von Schröter-Amberg modi- fiziertte Sedgwick - Rafter’sche Methode der Planktonzählung 283 fg., Planktonfänge mittelst der Pumpe 386 fg., Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Bau der P.organismen und dem spezif. Gewicht des Süß- wassers 606 fg., 644 fg., Plankton- sidien 609. Plasmolyse 632. Plazentation, Uebereinstimmung derP. bei den Menschenaffen und homo sapiens 818. Pleuroxus nanus 26. Ploesoma Hudsoni, truncatum, lenti- culare 90. Plutei, von Arbacia-Eiern Manganchlorür 783. Polyarthra platyptera 609. Polyblasta 508 fg., 545 fg., ontogene- tische Entwicklung 552 fg. Polycellularia 545 fg. Polygonum amphibium 69. Polypedates reticulatus 306 fg., 334. Pompholyx sulcata 90, 612. Porthesia chrysorrhoea 344 fg. Potenz, prospektive 22. Protisten 521. Protoplasma, Fixierung, Färbung und Bau des 71 fg. Protozoen 508 fg., selbständige Typen durch Sachregister. innerhalb der Gruppe der P. 509 fg., Phylogenie der P. 512, P. sind zu- sammengesetzte biol. Einheiten 513. Pseudonucleata 321. Pteris ceretica 275. Puccinia graminis 282. Pykniden, verschiedene Formen 571. Pyrosoma, Embryologie der 793 fg. Rafflesiaceen 564. Rana esculenta, R. mystacea 326, R. opisthodon 327 fg. Raphidium Braun 89. Reduktionsteilung, qualitative (Weis- mann) 768 fg. Reflex 5, Bedeutung für die Vererbung 6 fg. Regeneration, Experimentelle Studien über 525 fg. Reize, destruktive und heteromorpho- gene 543. Reproduktion, sexuelle im Pflanzen- reiche 786 fg. Reptilienzeichnung, Beziehungen der R. und der Amphibienzeichnung 229 fg. Retourselektion 197 fg. Rhabdonema ascuatum Schlegeli 329. Rhacophorus reticulatus 306 fg. Rinanthaceen, Reproduktionsorgane der 563. Rhinoderma Darwini 323 fg. Rhizolenia longiseta 89. Rhodophyceen 566. Bhopalodia gibba 259 fg. Rotifer spec. 90. Rumex acetosella 754 fg., R. aculeatus IR. 23908, AR. Saccharomyces guttalatus 351 fg. Saisondimorphismus, im Pflanzenreiche im Gegensatz zum Saisongenerations- dimorphismus 464. Salamandra maculosa atra 147 fg. Salvia horminum 491 fg. Salze, über die Bedeutung der S. für das Leben der Organismen 413 fg. Santalaceen, Abnormitäten der Repro- duktions organe 563 fg. 831 Saponaria officinalls 696 fg. Saprolegniaceen 565, 727, 783. Saprophyten 563. Sarcina aurantiaca 516. Sarkokinese 5. Säugetierhaare, zur Phylogenie der 572 fg., bauliche Aehnlichkeit der Haare und Zähne 574 fg., Ueber- gangsformen 579 fg. Scabiosa atropurpurea 492. Scenedesmus 626 fg. Seyllium canicula 579 fg. Scymnus 579 fg. Scheintod und Wiederbelebung als An- passung an Kälte oder Trockenheit 65 fg. Sehildlausbuch, Beschreibung und Be- kämpfung der für den deutschen Obst- und Weinbau wichtigsten Schildläuse 316 fg., 493 fg. Schizozerca 612. Schneckenschalen 593 fg., 665 fg., 698 fg., 731 fg. Schwämme 789 fg. Sekretionskomplexe, Theorie der 733 fg. Selache maxima 580 fg. Selbstdifferenzierung 22. Sida limnetica 90. Sinnesphysiologie, einige Bemerkungen zur vergleichenden Psychologie und Sinnesphysiologie 342 fg. Sinneswahrnehmung 348 fg. Soja hispida 632. Solemya togata 700. Solenopsis fugax 214 fg. Somatoplasma 622 fg. Sonnenlicht, Bedeutung des S. für die vertikale Verteilung des Zooplank- tons 126 fg. Species, Wesen u. Begriff derSp. 244 fg. Spelerpes ruber 147 fg. Spermatosomata hominis, Färbetech- uisches zur Kenntnis der 373 fg. Sperrvorrichtungen, im Tierreiche 452 fg. Siphaerocystis Schröteri 89, 393 fg. Sphaerotheca Castagnei 565. Spinachia vulgaris 336. S'pinacia oleracea 754. Spirogyra 182. 637 fg., Sachre 832 Sporoblasten 592. Sporozoid, Ist er eine Zelle oder eine niedrigere Form? 550 fg. Staurophrya elegans 612. Stephanodiscus Astraea 89. Stichogloeoa olivacea var. sphaerica 89, Stylidiaceen 572. Symbiose, zwischen Hefe und Pilz 357 fg., zwischen Alge u. Pilz 627 fg. Synchaeta pectinata, stylata, tremula 90, 609, S. grandis, minor, stylata 610. Synedra ulWwa var. longissima 89, 8. delicatissima 395 fg. Syringa, Verhinderung des Auftretens von Asparagin bei S$. durch Gly- cose 632 fg. System, harmonisch - äquipotentielles, determiniert - äquip. 22. Stickstoffquellen, der Phanerogamen 627 fg. Tabellaria flosculosa 89. Tastsinn, Raumwahrnehmungen des 167 fg. Tectibranchi, zur Morphologie d. 110 fg. Tierpsychologie 1 fg. Tierseele, Stellung der vergleichenden Physiologie zur Hypothese der 497 fg. Tilapia nilotica, T. Simonis 337. Tintinidiuw fluviatile 612. Toxine, Zusammenhang zwischen T. und Fermenten 206 fg. IZrachelius ovum 613. Tıemella Nostoc 66. Triarthra longiseta var. limnetica %, 614, T. cochlearis, T. limnetica 611. Trichodina pediculus 463 fg. Tricladida terricola 556. Tropheus Morü 337. Tylenchus devastatrixz 282. Ustilago Caricis 697, U. Vaillantii, Wirkung von U. in den Blüten- ständen von Muscari comosum 697, violacea 721 fg. Vagus, Einfluss des N.v. auf das Pan- creas 384. Vanessa Jo 492, urticae 777. gister, Variabilität, Arten und Ursachen der 194 fg. Variationen, der 486 fg. Variationsstatistik. die Methode der V.243 fg., Bedeutung für die Lösung biologischer Probleme 244. Vaucheria repens 782 fg. ß Verbildungen, die der oberen Extremi- täten 461 fg. Verdauung, Schnelligkeit der 53 fg. Verdauungsdrüsen, die Arbeit der 364 fg., 382 fg., Innervation 384 fg. Vererbung, die gesetzmäßige Ungleich- wertigkeit der Merkmale für die 594. Vicia faba 631 fg. Vipera aspis, V- berus 46 fg. Viscum album 772. Vorticella spec. 90. Voyria, Samenknospen bei 563. allmählicher Rückgang Wuchsenzyme 784. Xanthoria parietina 627. Xenodochie 594. Xenogamie, isomorphe morphe 593 fg. und hetero- Zea Mays 594. Zelle, Bedeutung der Diastasen für die 62 fg., Apicalaxe der Z. 263, morphologisch. Teilvermögen 509 fg., Organismen, die ihrer Entwicklung und ihrem Bau nach niedriger sind als die Z. 512 fg., Zellkern: seine centrale phylogenetische Bedeutung 521, diffuse Verteilung der Zell- funktionen 545, Begriff der Z. rein morphologisch 554. Zeus faher, Zahngesperre bei 454 fg. Zinnia elegans 492. Zoarces viviparus 338. Zoo-Plankton, der alten Donau bei Wien 25 fg., der Schweizer Seen 426 fg. Zoosporen 552. Zuchtwahl. Ernährung und Z. 193 fg. Zweckmäßigkeit, Problem der Z. in der Biologie 34 fg. Zygomyceten 565. MBL/ WHO! LIB | I LO8X D