rag Ep ee wz n VEN N EIN Res N EN, ir N Ni ‘ RG { NT RL he en EL PEN ! N Wi U u Rule HN, ZUNLELNIR Y Juri A } N Ha) FuN? a BIN h f I N > AL { N ae AR, IBIRLRND Re j RE x Mi Biologisches Centralblatt. 1913. iologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Dresunddreissigster Band. 1913. Mit ı2ı Abbildungen und 5 Tafeln. Leipzig 1913. Verlag von Georg Thieme. TEN DR I.) Mal DIE yo fi aa Ye » ii L A PL, 2% a } Hr, E My ’ vr i Ih R Er i . u % A i j | | 1 Me ü } r MR KH INK } acc SAhl? = IRR> x Joe 2 FE TR 9 06 « c\ I Be <ıG 3 , } r EA); y A, RN 3 ‚N k FR NR ea Bear. A. Ta 3 f Nur R | BR # N I 5 Sa er) vi, BEN ‚AR RENT Pers: aaast EReRr S ar Aare RN a Bahr 7 BI 3 ’ S i ı u iR ze sine enlarge. | 1 . y & 4 wi’ N ie D.N ib | a. nn ws a. Inhaltsübersicht des dreiunddreissigsten Bandes. Or, Or mal: Rn =uReferat. Abderhalden, Emil. Schutzfermente des tierischen Organismus. AR. — Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. AR Abel, O. Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere.. A Balss, Heinrich. Über die Chemorezeption bei Garneelen. O0 a: Ballowitz, E. Das Verhalten der Zellkerne -bei der ran in den Melanophoren der Knochenfische. Or ! — Das Verhalten der Kerne bei Ner' en etrönung in den Eind phoren von Knochenfischen. 0 j BR Baunacke, W. Studien zur Frage nach den Sl 0 j Beard, John, D. Sc. On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in ÖOrganie Nature. O0 Berichtigung . Bernstein, ling, RE ne te m 3 en Birckner, Victor. Beiträge zur Kenntnis der ee 1) Brandt, Alexander. Arbeitshypothese über Rechts- und Tinkehändipkeit 0 Brehm’s Tierleben. Lurche und Kriechtiere 1. R — Tierleben. Die Vögel. R En Brun, Edgar. Beobachtungen im Keripiihalen Aneitensehieis! 0 B). Buchner, Paul. Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies und die Chromidienlehre. © E ER Buttel-Reepen, H. v. 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Biologische Parallelen zwischen den Korallen und Dane poden in bezug auf ihre Veränderlichkeit. © ne Zacharias, Otto. Zu dem Umfärbungsphänomen der Stabhensee Die ppus morosus. O0 . Mr. = Zander, Enoch. Das Gomuchsseinseen der Be 0 104 Zah: Biolosisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. 20. Januar 1913. Mi Bd. XXXIIL. Inhalt: East and Hayes, Heterozygosis in Evolution and in Plant Breeding. — Saint-Hilaire, Das Biologische Museum des Zootomischen Instituts der Universität Dorpat. — Dewitz, Uber N die experimentelle Abänderung von Organismen durch die chemische Beeinflussung ihrer Fortpflanzungskörper. — Krüger, Weitere Mitteilungen zur Kenntnis der Scehlafstellungen bei Süß wasserfischen. — Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete — Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning the Normal Rate of Growth of an Individual and its Biochemical Significanee. — Woodruff, Dreitausend und dreihundert Generationen von Paramaecium ohne Konjugation oder künstliche Reizung. — Leontowitsch, Das „Syneellium‘ als dominierende zelluläre Struktur des tierischen Organismus. — De Vries, Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. — Fischer, Die Nephritis. . East, E.M. and Hayes, H.K. Heterozygosis in Evolution and in Plant Breeding. U. S. Dept. Agr., Bur. Plant Industry Bull. 243: 1—58. 1912. Plates 8. This paper is a resume of experiments on the effects of erossbreeding and inbreeding begun in 1906 by the senior author at the Connecticut Agricultural Experiment Station and since prosecuted both there with the aid of the junior author and at Harvard University. The material used was maize, representing a typical cross-fertilized plant, and various species of Nicotiana, representing self-fertilized plants. The thesis defended is that 1. the effect of inbreeding is merely an isolation of homozygous types when from natural or artificial cross breeding there has arisen a physiological mixed race, and that 2. the effect of erossbreeding is to bring about greater vigor through a stimulus to development which is the direct effect of characters being present in the heterozygous condition. This stimulus to development is found to be “cumulative up to a limiting point and varies directly with the number of heterozygous factors in the organısm, although it is recognized that some of the factors may XXXII. I 2 East and Hayes, Heterozygosis in Evolution and in Plant Breeding have a more powerful action than others”. Granting the truth of this conclusion, every phenomenon observed in inbreeding and crossbreeding is that which is to be expected from the action of Mendel’s law of heredity. The extraordinary frequency of observations of hybrid vigor by early authors, including as they do the pteridophytes, the gymnosperms and 59 out of 85 families of the angiosperms in which artificial hybrids have been made, is fully discussed in the historical abstract. Darwın's work is shown to agree with the authors’ hypothesis, by a fairly detailed analysis of the results published in “Cross and Self Fertilisation in the Animal Kingdom”. The experiments on the effects of inbreeding included the seltf- ing of over 30 varieties of maize for from 1 to 7 generations, and the crossing of selfed strains with each other. Selfing was always followed by a loss of vigor, using that term to mean a somewhat less rapid cell division or slower growth and a smaller total amount of cell division resulting in smaller plants and plant organs, but not to mean a pathological degeneration. This should be the result if vigor is an accompanıment of heterozygosis through the ten- dency of inbreeding to produce homozygosis, the probable number of homozygotes and any particular class of heterozygotes in any generation r being found by expanding the binomial [1 + (2"— 1)" where » represents the number of character pairs involved. It was concluded that inbreeding a naturally crossbred plant, has these results: “1. There is a partial loss of power of development, causing a reduction in the rapidity and amount of cell division. This phenomenon is universal and therefore cannot be related to inher- itance. Further, it continues only to a certain point and is in no sense an actual degeneration. 2. There is an isolation of subvarieties differing in morphological characters accompanying the loss of vigor. 3. There is often regression away from instead of toward the mean of the general population. 4. As these subvarieties become more constant in their char- acters the loss of vigor ceases to be noticeable. 5. Normal strains with such hereditary characters that they may be called degenerate strains are sometimes, though rarely, isolated. 6. It is possible that pure strains may be isolated that are so lackıng in vigor that the mechaniısm of cell division does not properly perform its funetion, and abnormalities are thereby produced.” East and Hayes, Heterozygosis in Evolution and in Plant Breeding. 3 Crossing these inbred types invariably produced a great increase in vigor ın the first hybrid generation, vigor that again decreased with self fertilization. Experiments on plants naturally self fertilized showed that there existed: a) plants so different that they will not cross; b) cerosses that produce seed that contain no proper embryo; c) crosses that produce seed with embryo, but which go no further than the rest- ing stage of the seed; d) crosses less vigorous than either parent; e) crosses more vigorous than the average of the parents; and f) crosses more vigorous than either parent. Fertile crosses are nearly always more vigorous than the average of the parents, sterile crosses are often more vigorous than the average of the parents, but as the differences between the parent types becomes greater a critical point is reached beyond which the cross is less vigorous than either parent. The phenomenon of vigorous hybrids, exhibited by erosses between plants usually self-fertilized naturally is therefore the same phenomenon as the decline in vigor of plants naturally cross-fertilized when they are inbred. The characters affected by hyterozygosis are only those which are an expression of rapıdıty and amount of cell division. Even some of these, such as size of flower, which might be expected to respond to the action of heterozygosis, are not affected. After an analysis of the results in terms of modern genetics is given, the same theories are shown to hold for the anımal kingdom. The value of the vigor due to heterozygosis during the process of evolution is thought to be as follows: “It can hardly be doubted that heterozygosis did aid in the development of the mechanisms whereby flowers are cross-fertilized.. Variations must have ap- peared that favored cross-fertilization. These plants producing a cross-fertilized progeny would have had more vigor than the self- fertilized relatives. The crossing mechanism could then have become homozygous and fixed, while the advantage due to cross-fertilization continued. But was this new mechanism an advantage? It must have been often an advantage to the species as a whole. In competition with other species, the general vigor of those which were cross-fertilized would aid in their survival. But the mechanism may not have been useful in evolving real vigor in the species, because of the survival of weak strains in combination. In self- fertilized species, new characters that weakened the individual would have been immediately eliminated. Only strains that stood by themselves, that survived on their own merits, would have been retained. On the other hand, weak genotypes in cross fertilized species were retained through the vigor that they exhibited when erossed with other genotypes. The result is, therefore, that selt- 1* 4 Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. fertilized strains that have survived competition are inherently stronger than ceross-fertilized strains. On this account weak geno- types may often be isolated from a cross-fertilized species that as a whole is strong and hardy.” The paper closes with an account of the praetical utilization of the vigor of heterozygosis in practical plant breeding. The experiments and conclusions reported in this paper are paralleled by the excellent work of Dr. G@. H. Shull. Shull’s work and that of the writers, started at about the same time and kept up until the present date, have been corroborative in every detail. The authors’ wish to express their regret that they were ignorant of the paper by Burck!). Our attention was called to the oversight by the kindness of Prof. Dr. Goebel. Das Biologische Museum des Zootomischen Instituts der Universität Dorpat. Von Prof. K. Saint-Hilaire. Wenn ein naturhistorisches Museum wirklich ein Bildungs- institut sein soll, so muss man sich bei seiner Einrichtung von vornherein von irgendeiner grundlegenden Idee leiten lassen. Die Zeiten der Raritätenkammern, die vornehmlich die Phantasie der Besucher zu beflügeln geeignet waren, die Kenntnisse des Publı- kums aber auf keinem Gebiete der Naturwissenschaften erweiterten, sind ja längst vorbei. Solche grundlegende Ideen sind denn auch tatsächlich in jüngster Zeit bei der Einrichtung von Museen aus- schlaggebend gewesen. Ich nenne nur das Museum für Meeres- forschung in Berlin und das Ozeanographische Museum- in Monaco, in denen alles zusammengetragen ist, was auf die Erforschung des Meeres Bezug hat, und das Phylogenetische Museum in Jena, das der Abstammungslehre dient. Auch bei der Rinriehtung meiner Sammlung, die namentlich für die Demonstration in den Vorlesungen über „Allgemeine Zoologie“ in Betracht kommt, habe ich mich an den obigen Grund- satz gehalten. Ich habe mir zunächst den ganzen Plan der Samm- lung ausgearbeitet, von dem ich mich leiten lassen wollte. Im Sinne dieses grundlegenden Planes arbeitete ich mir einen Katalog aus, dem ich nun bei der Anfertigung der Präparate und bei dem An- kauf neuer Museumsgegenstände stets folge. Der Einrichtung meiner Sammlung liegt das „biologische“ Prinzip zugrunde. Die Objekte 1) Burck, W. Darwin’s Kreuzungsgesetz und die Grundlagen der Blüten- biologie. Biol, Centralbl. XXVIII: 177-—195, 1908. Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. 5 sind nicht nach dem System gruppiert, sondern nach den einzelnen Abschnitten der Biologie, in dem Sinne, dass der Beschauer eine möglichst lückenlose Vorstellung von den in Betracht kommenden biologischen Erscheinungen bekommen soll. „Biologische“ Abteilungen gibt es auch in den verschiedenen Museen, die ich in Europa besucht habe: in Berlin, London, Paris, Prag, Hamburg u. s. w. Sie haben mir als Muster für meine Sammlung gedient. Soweit ich die Sache überblicke, ist aber nirgends das von mir betonte Prinzip ın der Einrichtung natur- historischer Museen mit aller Konsequenz durchgeführt. Darum glaube ich, dass ich doch Anlass habe, an dieser Stelle eine Be- schreibung meiner Sammlung zu geben!). Ich will dabei nicht die einzelnen Objekte sämtlicher Abteilungen aufzählen, sondern zunächst nur die großen Abteilungen: 1. Gewebe. Stoffe, aus denen der Tierkörper besteht. 2. Äußere Hüllen und Anhänge dieser: Hautskelette, Muscheln, Schuppen (bei Fischen), Haut, Hautschilder, Hautanhänge, wie Federn, Haare, Hörner, Krallen, Hufe, Schnabel. 3. Färbung der Tiere: Farbe und Musterung, Variationen in der Färbung der Tiere. Abhängigkeit der Farbe von der Zeit: von den Jahreszeiten und vom Alter der Tiere. Albinismus und Mela- nısmus. Farbwechsel. Schutzfärbung: Meerestiere, Tiere, die die 1) Ein mehr zufälliges Moment bekräftigt mich darin: im XX. Bd. der „Er- gebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte“ von F. v. Merkel und R. Bonnet (1911) kommt Prof. Stieda in seinem „VIII. Bericht über die anato- mische, histologische und embryologische Literatur Russlands“ auch auf meinen Katalog des Museums des zootomischen Instituts zu sprechen. Leider hat der Ver- fasser die Stellung des zootomischen Instituts im Unterrichtsbetrieb ganz unzu- treffend dargestellt, so dass sich der Leser auch keine Vorstellung von der Rolle machen kann, die ich meiner Sammlung für den Unterricht beimessen wollte. Aus diesem Grunde will ich auch einige Bemerkungen zu der Besprechung von Prof. Stieda machen. Prof. Stieda schreibt: „In Dorpat bestand von früher her und besteht auch jetzt noch neben dem anatomischen Institut ein Institut für ver- gleichende Anatomie und Embryologie. Ein Teil der Sammlungen dieses vergleichend- anatomischen Instituts ist nun abgetrennt worden und hat den Grundstock eines (neuen) zootomischen Instituts gegeben, das an einem anderen Ort seinen Platz erhalten hat.“ Das trifft aber nicht zu: das zootomische Institut war eine selbständige Neugründung, die zum vergleichend-anatomischen Institut in gar keiner Beziehung stand. Das vergleichend-anatomische Institut ist der medizinischen Fakultät ange- gliedert, das zootomische der „physiko-mathematischen“. Es würde uns zu weit führen, wenn ich auf die Frage eingehen wollte, die Prof. Stieda aufwirft: „Wozu ein besonderes zootomisches Institut?“ Nur so viel will ich sagen, dass ich dem Rate von Prof. Stieda, ‚die vergleichend-anatomische Sammlung zu benutzen“, nicht folgen kann, erstens, weil ich zu ihr keinen Zutritt habe, zweitens, weil sie in einem anderen Gebäude untergebracht ist, und drittens, weil ich nicht nur ver- gleichende Anatomie der Wirbeltiere, sondern auch Zoologie der Wirbellosen und Allgemeine Zoologie lese. Namentlich das letztere ist es gewesen, was mich zur Einrichtung einer neuen Sammlung für Demonstrationszwecke veranlasst hat. 6 Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. ia Farbe von Laub haben, Nachttiere, die die Farbe von Sand oder Boden haben, und andere Beispiele für Schutzfärbung. DBlatt- schmetterlinge, Stabheuschrecken und ähnliche. Mimätismus. 4. Nervensystem: Zentrales und peripheres Nervensystem, Sinnesorgane. 5. Stützorgane: das Skelett der Schwämme; Knorpel- und Knochenskelett der Wirbeltiere, Entwickelung des Skeletts, Gelenke und andere Knochenverbindungen. 6. Bewegungsorgane: Organe, die der Bewegung auf festem Boden dienen, Muskeln, Extremitäten, andere Hilfsorgane der Be- wegung; springende Tiere, grabende Tiere; Organe, die der Bewegung ım Wasser dienen; Organe, die der Bewegung in der Luft dienen; wandernde Tiere. 7. Festsitzende Tiere, Haftmittel. 8. Organe, die dem Festhalten der Nahrung dienen. 9. Organe, die der mechanischen Bearbeitung der Nahrung dienen. 10. Verdauungsorgane. 11. Kreislaufsorgane. 12. Atmungsorgane: Wassertiere, Landtiere, Dipneuster. 13. Exkretionsorgane. 14. Leuchtorganismen; Organismen, die Elektrizität produzieren. 15. Ungeschlechtliche Fortpflanzung: Knospung, Teilung, Stock- bildung, Autotomie, Regeneration. 16. Geschlechtliche Fortpflanzung: Geschlechtsorgane und Ge- schlechtsprodukte. 17. Sekundäre Geschlechtsmerkmale. 18. Komplizierte Fortpflanzungsarten: Metagenesis, Hetero- genesis, Pädogenesis. 19. Brutpflege: Brutkammern, Nestbildungen und ähnliches. 20. Ontogenese: die verschiedenen Arten der Öntogenese — direkte Entwickelung und Metamorphose; Embryonalhüllen; vivipare Tiere; Embryonalorgane. 21. Beziehungen zwischen den Organen: Beziehungen der Lage — Radialsymmetrie, Metamerie, bilaterale Symmetrie, Asymmetrie; Homologie, Analogie; korrelative Beziehungen der Organe. 22. Organe, die in Rückbildung begriffen sind; rudimentäre Organe. 23. Beziehungen der Tiere zu den äußeren Lebensbedingungen: Einfluss der Nahrung, der Bodenbeschaffenheit, der Temperatur, der Größe des Wasserbeckens, des Lichtes; Anpassung der Tiere an die äußeren Lebensbedingungen: an das Leben im Wasser, auf Bäumen, in der Luft u. s. w. Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. 7 24. Bautätigkeit der Tiere: Mittel zum Schutz von den Ein- wirkungen der Außenwelt, Nestbau und andere Bauten; bohrende Tiere; Organe, die der Bautätigkeit dienen; Veränderung der Erd- oberfläche durch Tiere. 25. Aktive Verteidigungsmittel: Scheren, Hörner, Stinkstoffe, Dornen etc. 26. Giftige Tiere und giftbereitende Organe. 27. Koloniebildung bei Tieren und Symbiose. 28. Parasiten. 29. Beziehungen zwischen Tieren und Pflanzen: auf Pflanzen parasitierende Tiere, Beziehungen zwischen Blüte und Insekten; Gallen. 30. Größe der Tiere. 31. Stammesgeschichtliche Beziehungen bei Tieren: das Variieren der Tiere, Polymorphismus, Kreuzung, Haustiere, phylogenetische Entwickelung der einzelnen Organe, Übergangsformen, geographische Verteilung u. s. w. 32. Dem Menschen nützliche Tiere. 33. Schädliche Tiere. 34. Heilige Tiere. Damit der Leser sich auch ein Bild von den Objekten machen kann, aus denen die einzelnen Abteilungen, wie sie oben aufgezählt sind, bestehen, sei im folgenden das Verzeichnis der Objekte zweier Abteilungen wiedergegeben. Abteilung 6: Bewegungsorgane. Organe, die der Bewegung auf festem Boden dienen: Fuß- scheibe der Actinie, die Turbellarie Yungia aurantiaca, die gleitende Bewegungen ausführen; Fuß von Haliotis, Fuß von Buceinum, freipräparierte Muskeln des Kaninchens, freipräparierte Antagonisten, Befestigung der Sehne am Knochen, die Muskulatur des Frosches, Sehnen der Zehen der Katzenpfote, Befestigung der Muskeln am Hautskelett beim Krebs; Arme von Amphiura squamata, Ambulakral- füßchen von Cucumaria, Ambulakralfüßchen des Seeigels, Ambula- kralfüßchen des Seesterns, freipräpariertes Ambulakralsystem des Seesterns, Echinus melo — Fortbewegung mit Hilfe von Stacheln, Saugnäpfe von Ichthyobdella, Parapodien von Aphrodite, Be- wegungen des Regenwurmes, Extremitäten der Languster, Extremi- täten des Tausendfüßlers, Extremitäten von Nymphon, Extremitäten von Tarantula, — der Grille, Raupe von Amphydasys, Fuß von Unio, — Cardium, Saugnäpfe an den Fangarmen des Tintenfisches, der kletternde Fisch Periophthalmus, der Schwanz als Bewegungsorgan beim Seepferdchen, fingerähnliche Extremitäten des Fisches Trigla, Extremitäten der Eidechse, -— des Chamäleons, der Schwanz als Be- wegungsorgan beim Chamäleon, Extremitäten von Gecko; austra- S Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. lische Wassereidechse, auf den Hinterfüßen gehend; Extremitäten der Schildkröte; Bewegung der Schlange; die Füße des Vogels Porphyrio hyacinthius, der über Sümpfe wandert; Füße des Vogels Numenius arcuatus, Füße des Rebhuhnes, Füße des Spechtes, Schnabel des Papageis als Kletterorgan, Extremitäten des Zehen- und Sohlengängers — Dachs und Schwein, Katzenpfote, Fuß der Kuh, — des Pferdes und des Schweines, Extremitäten des Affen, Skelett eines aufrecht stehenden Tieres — des Menschen, Skelett eines kletternden Tieres — des Affen, Skelett eines Vierfüßers — des Schafes, Skelett eines hängenden Tieres — des Faultieres; der Schwanz als Bewegungsorgan beim Affen; springende Tiere: Ela- teriden, Grillen, Strombus, Frosch, Känguruh,Skelett eines Känguruh, Dipus, springender Affe Callithrix; grabende Tiere: Maulwurf, Dasypus (Edentata), Gryllotalpa (Maulwurfsgrille), grabende Käfer — Scarites, Rhizotrogus, Euryctus u. a., Käfer, die den Sand weg- wischen — Sympiezocnemis, Argyrophana. Bewegung im Wasser: Bewegung mit Hilfe von Ruderplättchen bei Ctenophoren, Schirm der Medusen; Ringelwurm Heteronereis, der an der Oberfläche des Meeres schwimmt; Flossen von Sagitta; Extremitäten von Gommarus, — Squilla mantis, — Mysis, — Palae- mon, — Cycelops, — Hydrophilus, — Notonecta, Schwimmorgane der Larven der Ephemeridae; Hydrometra — Insekt, das auf der Oberfläche des Wassers lebt; ebenso der Käfer Gyrinus; die Spinne Dolomedes fimbriata, die auf dem Wasser gehen kann; Mantel von Octopus; die schwimmende Muschel Pecten; die Pteropode Qlio borealis; Loligo mit großen Schwimmflossen, Pterotrachea, Gastrop- teron mit Flügelanhängen; der schwimmende Mollusk Thetys lepo- rina; eine durch Kontraktionen ihres Körpers sich fortbewegende Salpe; die Tunicate Appendicularia, die mit einem Scehwanze ver- sehen ist; Flossen des Fisches, Schwimmblase des Fisches, Skelett des Fisches. Krokodil, Seeschildkröte, Pinguin, Alca, Beine des Schwanes, — von Fulca atra, Seehund, Skelett eines Seehundes, Delphin, vordere Extremitäten des Delphins, Skelett des Delphins; Tiere, die passiv im Wasser fortbewegt werden — Velella, Porpita, Physalia; die Schnecke Janthina, die einen eigenen Apparat für das Schwimmen auf der Wasseroberfläche besitzt; der kugelförmige Fisch Tetrodon fahaka. Fortbewegung in der Luft: Dytiscus mit ausgebreiteten Flügeln, Zweiflügler — Bremse, Geradflügler — Heuschrecke, Schuppen- flügler — Schmetterling, Spinnen auf dem Spinngewebe fliegend, fliegende Fische, fliegender Frosch — Racophorus reinwardti; fliegende Eidechse — Draco volans; Flügel eines Vogels, Luftsäcke eines Vogels, Skelett des Flügels mit Schwungfedern, Muskulatur des Flügels, Brustkorb des Vogels, schlecht fliegender Vogel — Rebhuhn, gut fliegende Vögel — Falke, Schwalbe; das fliegende Saint-Hilaire, Das Biolog. Mus. des Zootom. Instituts der Universität Dorpat. ( Eichhorn Pteromys volans, Galeopithecus volans mit Flughaut, Skelett der Fledermaus, Fledermaus. Wandertiere: Wanderheuschrecken, der Häring Alosa pontica, Aal, Heerwurm Sciara miliarıs, Wanderameisen Anomma und Eeiton, Wandertaube, Lemming. Abteilung 21: Beziehungen zwischen den einzelnen Organen. Die Anordnung der Organe: die radiale Anordnung der Organe bei der Meduse, die radıale Anordnung der Organe en Seestern, Übergang von der radialen Symmetrie zur lien beim Polypen, — bei der Ötenophore, — bei der Holothurie, Seeigel, — regulär und irregulär; metamere Anordnung der Organe bei den Anneliden, die Segmentierung des Körpers bei Idotea, metamere Anordnung der Organe beim Tausendfüßer, — bei den Insekten, unvollständige Metamerie bei der sitzenden Annelide, Verschmelzung metamer an- geordneter Organe — der nervösen Ganglien bei den Krabben, Ver- schmelzung der Körpersegmente bei den Insekten, — Urustaceen, — Arachnoiden, metamere Anordnung der Organe bei den Wirbeltieren, Metamerie beim Huhnembryo, bilaterale Symmetrie des Fisches, Asymmetrie bei der Scholle, Entwickelung der asymmetrischen An- ordnung der Organe bei der Scholle aus der symmetrischen Anord- nung beı jungen Schollen, Asymmetrie des Schädels bei der Eule, ungleichmäßige Entwickelung der Scheren bei der Krabbe Gelasimus, Asymmetrie beim Einsiedlerkrebs, Asymmetrie des Körpers und des Gehäuses bei den Gastropoden. Homologie und Analogie: Homologie der vorderen Extremi- täten der Säugetiere, Vögel und Fische; Analogie des Flügels der Fledermaus, des Flügels des Vogels, der Flossen des fliegenden Fisches, der Insektenflügel; Homologie der Schuppen und Zähne, Homologie der Lungen der Säugetiere und der Schwimmblase der Fische; Analogie der Kiemen der Fische, Kaulquappen, Mollusken, Ascidien u. s. w.; Homodynamie der Extremitäten beim Krebs. Korrelative Beziehungen der Organe: Beziehungen in der Fär- bung -— die gelben Flecken bei schwarzen Hunden; die Schnauze von Rhinolophus, die Ohrmuschel von Plecotus auritus, korrelative Beziehungen zwischen der Länge der Beine und des Halses, Kapaun, Kastraten, das Geweih eines kastrierten Hirsches. Auf Grund dieser beiden Beispiele kann sich der Leser eine Vorstellung machen von der Art und Weise, wie wir unsere Samm- lung eingerichtet haben. Es sei bemerkt, dass ich bei der Aus- arbeitung des Katalogs für das biologische Museum des zootomischen Instituts mich notwendigerweise auf diejenigen Objekte beschränken musste, die ich wirklich anschaffen konnte. In dieser Beziehung musste ich mir große Beschränkung auferlegen, da der Etat 10 Dewitz, Über die experimentelle Abänderung von Organismen etc. des Instituts sehr gering ist. Auch sind die mir zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten sehr klein. Von größerem Werte wäre es wohl, einen mehr ausführlichen Katalog eines biologischen Mu- seums auszuarbeiten, ohne sich mit Bezug auf die ın Betracht kommenden Objekte Beschränkung auferlegen zu müssen. Zu diesem Zwecke arbeite ich den Katalog meiner Sammlung weiter aus, in- dem; ıch ıhn durch das ın den Lehrbüchern, Monographien und Originalarbeiten niedergelegte biologische Tatsachenmaterial zu er- gänzen suche. Ich hoffe, dass ein solcher Katalog einer biologischen Sammlung von einigem Werte für alle diejenigen sein wird, die im Unterrichtsbetriebe der Biologie tätig sind. Was ich bisher von den ın Betracht kommenden Objekten gesammelt habe, ist allerdings verhältnismäßig wenig. Jedoch hoffe ich, dass ıch in der Zukunft die Sammlung unseres Instituts noch werde vervollständigen können. Das wird um so eher möglich sein, als zurzeit ein neues Institut gebaut wird, das auch schöne Museums- räume enthalten wird. Große Neuanschaffungen an Museumsobjekten wird mir allerdings der Etat des Instituts nicht erlauben. Ich hoffe aber, dass verschiedene wissenschaftliche Institute und einzelne Kollegen mich in der Vervollständigung unserer biologischen Samnı lung unterstützen-werden. Diese Hoffnung ist vielleicht nicht ganz grundlos, einmal, weil, wie ich glaube, eine Sammlung, wie ich sie im Auge habe, von allgemeiner Bedeutung wäre, und dann, weil die Kollegen, an die ich mich bisher in dieser Sache gewandt, mich stets ın größter Bereitwilligkeit mit geeigneten Objekten unterstützt haben. Über die experimentelle Abänderung von Organismen durch die chemische Beeinflussung ihrer Fortpflanzungskörper. Von J. Dewitz. Vor etwa 11 Jahren begann ich!) Versuche, die den Zweck hatten, durch chemische oder physikalische Beeinflussung der Fort- pflanzungskörper eine Veränderung der aus ihnen hervorgehenden Organismen zu erzielen. Ich wandte mich damals zunächst an die Pflanzensamen als ein Objekt, mit dem am leichtesten zu operieren war. Die Samen wurden in Lösungen von Chemikalien gelegt, ver- blieben hier eine gewisse Anzahl von Tagen, wurden dann in Wasser abgespült und in Erde gelegt. In den verschiedenen Versuchen, ın denen sowohl verschiedene Chemikalien als auch verschiedene Samen zur Anwendung kamen, 1) J. Dewitz. Sur un cas de modification morphologique experimentale. Compt. rend. Soc. Biol. 7 mars 1903, T. 55 (1903), p. 302—304. Dewitz, Uber die experimentelle Abänderung von Organismen etc. 1 erhielt ich ein positives Resultat nur mit Kernen von Gurken und mit Borsäure. Etwa 12 Gurkenkerne (Petits cornichons de Paris) wurden in !/,l einer 0,5°/,igen Borsäure gelegt und blieben hier 9 Tage. Darauf wurden sie in Wasser abgespült und in einen großen Blumentopf Fig. 1. gesät. Nur zwei Kerne gingen auf; eine dritte Pflanze erschien nach 3 Wochen, blieb aber vollkommen zwerghaft (Fig. 1). Die beiden Pflanzen wichen in ihrem Habitus stark von den normalen Pflanzen (Fig. 2) ab. Die Blätter waren sehr groß, zu- gespitzt und häufig, besonders die ersten Blätter, unsymmetrisch, schief, wie man es oft an Liudenblättern wahrnimmt. Der Habıtus 1? Dewitz, Über die experimentelle Abänderung von Organismen ete. der Borsäurepflanze war gedrungen, stämmig. Die Pflanze kroch nicht wie die Kontrollpflanze, sondern war aufrecht. Ihr Wachs- tum war sehr verlangsamt. Die Borsäurepflanzen waren am 18. August gesät und am 14. Oktober photographiert. Die Kontrollpflanzen waren am 13. August bezw. am 15. Oktober gesät und photographiert. u Fig. 2. In diesem Sommer (1912) habe ich den obigen Versuch kon- trollieren können, indem ich Gurkenkerne einer anderen Sorte in gleicher Weise behandelte. Behandelte sowie nicht behandelte Kerne wurden im Kasten aus- gesät. Unter den jungen Pflanzen der behandelten Samen bemerkte man sehr bald viele Exemplare, welche den charakteristischen Wuchs der Borsäurepflanzen besaßen, während andere mehr wie normale Dewitz, Über die experimentelle Abänderung von Organismen ete, 13 Pflanzen aussahen. Von den ersteren wurden zwei recht typische Exemplare ausgehoben und in je einen großen Topf gesetzt. Das- selbe geschah mit einigen Kontroll- pflanzen. Als an den Borsäure- pflanzen und an den normalen Pflan- zen ausgewachsene Gurken vorhan- den waren, wurde je ein Exemplar photographiert. In Fig. 3 befindet sich die normale Pflanze rechts, die Borsäurepflanze links. Diese letztere ist auch in Fig. 4 darge- stellt. Beide Pflanzen tragen je eine bereits gelbe Gurke. Die Borsäurepflanzen hatten wieder den niedrigen Wuchs und zeigten keine Neigung zum Kriechen. Man konnte sie mit solchen Ge- müsearten (Erbsen, Bohnen) ver- gleichen, welche man mit dem Ausdruck „Krup“ (z. B. Krupbohne; franz. nain, engl. dwarf) bezeichnet. Neigung unsymmetrische Blätter zu bilden, war gleichfalls vorhanden. Leider hat mich meine Beschäf- tigung gehindert, von den Borsäure- pflanzen reife Samen zu ziehen und zu beobachten, ob sich die Abände- rungen auf die Nachkommen über- tragen. In einem solchen Falle hätte man einen Weg für die praktische Er- zeugung von Varie- täten. Man kann glauben, dass Bor- säure eine Affinität für das Plasma der Gurke besitzt und sich mit diesem ver- bindet, so dass der ganze Organısmus Abänderungen er- leidet. Dass es nicht Fig. 4. Rs na | j 14 Krüger, Weitere Mitteil. zur Kenntnis d. Schlafstellungen b. Süßwasserfischen. die „Giftigkeit“ der Borsäure ist, welche den Habitus der Pflanze verändert, geht daraus hervor, dass durch die Einwirkung anderer giftigen Verbindungen (Salıcylsäure, Essigsäure, Cyankali, Formalin) solche Abänderungen nicht hervorgerufen wurden. Andererseits übte aber auch die Borsäure auf andere Pflanzenarten, deren Samen mit ihr behandelt wurden, einen solchen Einfluss nicht aus. Bei Lein z. B. wuchsen die behandelten Pflanzen höher und gleich- mäßiger als die nicht behandelten Pflanzen. Weitere Mitteilungen zur Kenntnis der Schlafstellungen bei Sülswasserfischen. Von Berthold Krüger, Leipzig. Im Anschluss an die Arbeiten von F. Werner (1) und B. Ro- meis (2) ım Biolog. Uentralblatt 1911, in denen über Schlaferschei- nungen bei Süßwasserfischen der Gattungen Syndontis, Ameiurus, Misgurnus, Cobitis und Paratilapia!) berichtet wurde, möchte ich nicht versäumen, einige andere, in der freien Natur und im Aqua- rıum gemachte, diesbezügliche Beobachtungen zu veröffentlichen. — Meine ersten Wahrnehmungen machte ich an Fitzroya lineata Jenyns, einem kleinen viviparen Cyprinodonten, im ostargen- tinischen Territorium Neuquen. Dort fand ich oft an ganz flachen Ufern einiger Altwässer des Rio Limay diesen kleinen Zahnkarpfen in großen Mengen den heißen Strahlen der Mittagssonne ausgesetzt in völliger Ruhestellung vor. Von den Tieren, die halb auf der Seite lagen, waren besonders die die Männchen nicht nur an Größe, sondern auch an Individuenzahl weit überragenden, fast immer trächtigen Weibchen an ihren dicken, hellfarbigen Bäuchen schon einige Meter vom Ufer aus zu erkennen. Weder ein starkes Auf- treten mit dem Fuße noch das Einwerfen eines ziemlich großen Steines ins Wasser konnte die wie tot daliegenden Fischchen be- wegen das rettende tiefere Wasser aufzusuchen. Nur beim Berühren oder beim kräftigen Wellenschlagen flüchteten die Tiere eiligst, indem sie dem tieferen Wasser zuschwammen oder — sich in kühnen etwa 30 cm langen Sprüngen aufs freie Ufer retteten. Diese zweite Art die Flucht zu ergreifen ist auch schon früher von einem englischen Forscher bei oviparen Cyprinodonten in West- Afrika beobachtet worden. Die eben beschriebene Art Schlafstellung wurde von mir nur in den Mittagsstunden in den Monaten Oktober und November, also im dortigen Frühjahr beobachtet. Noch be- merken möchte ich außerdem, dass diese Zahnkarpfen in unseren gewöhnlichen Glasaquarien im Gegensatz zum Freileben den warmen 1) Der von Romeis beobachtete Fisch wurde damals fälschlich Paratelapia multicolor Hilgend. genannt; richtig ist Paplochromis strigigena Pfeffer, Krüger, Weitere Mitteil. zur Kenntnis d. Schlafstellungen b. Süßwasserfischen. 15 Strahlen des Sonnenlichts fliehen. Im nur einseitig beleuchteten Zementbecken dagegen setzen sie sich auch gern den Sonnenstrahlen aus. In Gefangenschaft habe ich nie eine Schlafstellung bei Fitx- roya beobachten können. — Die zweite Schlaferscheinung konnte ich bei einem Siluriden der Gattung Rhinodoras ın Paraquay feststellen. Hier bemerkte ich oft diese Welse am hellen Tage auf dem Rücken scheinbar leblos den Rio Negro, einen Fluss, der aus dem Gran Ohaco kommend, etwas nördlich vom südlichen Wendekreis in den Rio Paraquay fließt, hinabtreibend. Diese Beobachtung ist denen Boulenger’s (3) und Werner’s (1) bei verschiedenen Syndontis-Arten im Nil ähn- lich. Die Flossen waren gespreizt und die langen Barteln ohne jede selbständige Bewegung. Nur war es bedeutend leichter, die Tiere zur Flucht zu bewegen. Nie kamen die Welse näher als etwa 10 m an das geruderte Boot. Wenn wir das Boot treiben ließen, trieben die Fische jedoch vorbei olıne uns zu bemerken. Ein Schuss vom Ufer aus ın die Luft abgegeben wirkte ebenso wenig. Dagegen verscheuchte ein ins Wasser geworfener Stein die Welse. Gleichfalls erwachten sie, wenn sie an der Mündung in das reine, klare Wasser des Rio Paraquay gelangten. Im letzten Falle sammelte ich wieder einen schönen Beitrag zu der zuerst von R. Woltereck gemachten Beobachtung in bezug auf die „Flucht der Organismen vor dem Ausgange eines Gewässers.“ Dass diese Welse durch künstliche Bewegung des Wassers leichter aus der Schlafstellung zu bringen sind als die im Nil beobachteten Siluriden, versuche ich unter Hinweis auf die im Rio Negro del Paraquay massenhaft vorkommenden Yagares (Caiman latirostris Daud.) und Fischottern (Lutra paranensis Azarra), die auf die Fische Jagd machen, zu deuten. Die feinen Tastorgane, die nicht nur ım Seiten- linienorgan sondern auch in den sehr langen Barteln zu suchen sind, sind bei diesen Welsen eben besonders scharf auf derartige Geräusche abgestimmt. Alle Vorgänge, die sich jedoch außerhalb des Wassers abspielen, haben wenig Einfluss auf diese schlafenden Tiere. Kein Raubvogel wagt sich an einen derartigen Wels, und auch der Mensch greift nur einmal nach diesen kleinen Fischen, denn bei der geringsten Berührung lernt man die furchtbare Waffe, die diese Fischehen in den mit Widerhaken und Sperrvorrichtungen versehenen Flossen besitzen, kennen. — Bei in Aquarien gehaltenen Welsen habe ich nur beim Ameiurus nebulosus Schlaferscheinungen beobachten können, die sich mit denen von Werner (1) beobach- teten vollkommen decken. Ich schreibe dies zum großen Teil der Unbrauchbarkeit unserer Glasaquarien bei derartigen biologischen 2) Auf Grund einer Revision dieser Fischgattung durch Boulenger muss dieser Fisch Rivulus urophthalmus G. Günther heißen. 16 Krüger, Weitere Mitteil. zur Kenntnis d. Schlafstellungen b. Süßwasserfischen. Versuchen zu. In nur mit Oberlicht versehenen Becken, die der Natur in bezug auf Lichtverhältnisse am ähnlichsten sind, zeigen sich viele Fische ganz anders als in einer Lichtfülle, wie sie ein vier- eckiges oder rundes Glasaquarium bietet. Manche an Fischen in der Freiheit beobachteten Erscheinungen degenerieren direkt ın einem auf diese Weise veränderten Milieu. — Die dritte Schlaferscheinung machte ich an verschiedenen ovi- paren Cyprinodonten der wiederum in Amerika beheimateten Gat- tung Rivulıs. Dank der deutschen Aquarienliebhaberei werden jetzt von dieser Fischgattung R. elegans Steind., R. elegans var. santensis Steind., R. Poeyi?), R. ocellatus Hensel, R. tenius Meek und R. Harti Blgr. bei uns gehalten und gezüchtet. Alle diese Rivuli hängen oft stundenlang mit ganz gekrümmtem Rücken und fast unbeweglich an der Oberfläche des Wassers. Einen derartigen Fisch beobachtete ich einmal 4 Stunden in dieser Ruhelage .am Tage. In der Nacht sah ıch einen nur 2 Stunden ruhend beim Mondenschein. In den langsam fließenden Gewässern des Gran Chaco sind derartig schlafende Rivuli oft zu beobachten und zwar immer nur an den seichten Ufern, wo ihnen die gefräßigen größeren Fische, vor allem aber die immer hungrigen Pirayas (Serrasalmo), nicht folgen können. Da ich sehr oft in den Magen der Nachtreiher (Nyeticorax nyeticorax) solche Rıvulı fand, nehme ich an, dass diese Fische, die sonst nur ım tiefen Wasser leben, zu verschiedenen Tageszeiten ruhen. — Zuletzt beobachtete ich bei einem kleinen Characiniden des Ama- zonenstromes Leporinus melanopleura, Schlaferscheinungen im Aqua- rıum, die um so interessanter sind, als sie nicht wie bei allen anderen bis jetzt von mir daraufhin beobachteten Fischen an der Wasser- oberfläche, sondern am Aquariumboden stattfinden. Um zu ruhen, vergraben sich diese Fische halb in den Bodenmulm des Aquariums. Sıe liegen dann auf der Seite, legen alle Flossen an den Körper an und nur die ganz ruhigen Kiemendeckelbewegungen deuten an, dass noch Leben in den Fischehen ist. Diese Schlaferscheinung tritt in ganz unbestimmten Zeiträumen auf, so dass gewöhnlich immer nur 50°/, schliefen, während die anderen umherschwammen. Dies war auch in der Nacht der Fall. Niemals fand ich alle Tiere zu gleicher Zeit schlafend. In der Nacht reagierten die schlafenden Fische auf keinerlei plötzliche Liehteinwirkungen. Nur ein leises Klopfen an die Aquariumscheibe ließ die Tiere sofort erwachen und im Pflanzengewirr verschwinden. — Zum Schluss möchte ich noch bemerken, dass es wohl ganz gleich ist, ob man mit Werner(1) von Schlaferscheinungen oder von Ruhestellungen mit Romeis (2) bei diesen Fischen spricht, denn Aufspeicherung neuer Energie ist ja der Zweck jeder Ruhe- lage bei allen Organismen. Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. 17 Literatur. 1. Werner, Dr. F.: Über die Schlafstellung der Fische. Biol. Centralbl., 1911. 2. Romeis, B.: Zur Frage der Schlafstellung bei Fischen. Biol. Centralbl., 1911. 3. Boulenger, G. A.: The fishes of the Nile. (Zoology of Egypt, 1907.) Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete, Von Edgar Brun (z. Zt. in St. Petersburg). Zusammengestellt und mit kritischen Bemerkungen veröffentlicht von Dr. med. R. Brun (Zürich). Während eines vierjährigen Aufenthaltes inKemptthal (Kanton Zürich) hatte mein Bruder Edgar beste Gelegenheit, die auf den waldigen Höhen zwischen der Kempt und der Töss sehr reich ver- tretene Ameisenfauna in ihren natürlichen Lebensbedingungen zu beobachten und dabei auch ın großem Maßstabe in freier Natur zu experimentieren. Durch die bedeutende praktische Erfahrung, die er dabei gewann, hat mir mein Bruder auch bei manchen von uns gemeinsam oder von mir allein unternommenen Versuchen wertvolle Dienste geleistet, ganz besonders durch prompte Be- schaffung des dazu notwendigen, oft schwer erhältlichen lebenden Materiales. Manche seiner zum Teil neuen und wichtigen Beobach- tungen habe ich schon in früheren Arbeiten!) in entsprechendem Zusammenhange verwertet, — zahlreiche andere Notizen dagegen, welche eines solchen Zusammenhanges entbehrten, vorläufig ungenützt beiseite gelegt. Heute aber, wo die Zahl der Forscher, die ıhr Interesse der biologischen Ameisenkunde zuwenden, stetig wächst und wo beinahe jeder Tag neue wichtige Aufschlüsse bringt, halte ich es für meine Pflicht, auch dieses Material, — soweit es Neues zu bieten oder zur Klärung und Befestigung neuer Anschauungen beizutragen vermag, der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich werde mich bei der Redaktion dieser Notizen, wo immer möglich, wört- lich an den Text der Aufzeichnungen halten; — dabei wird aller- dings manches Merkwürdige, worüber mein Bruder (der sich meist mit der getreuen Beobachtung der Tatsachen begnügte) sich theo- retisch nicht näher äußern mochte, noch der Erklärung und nament- lich des Hinweises auf bereits bekannte Zusammenhänge bedürfen. Diese kritischen Ergänzungen zu geben habe ich mich im folgenden bemüht. Deo R. Brun. I. Allgemeine Bemerkungen (Forschungsmethoden). Man kann leicht beobachten, wie sehr die Ameisen in ihrem Verhalten von teilweise ganz unberechenbaren 1) Biolog. Centralbl. 1910, S. 524ff. Ibid. 1912, S. 154 ff. XXXIl, DD 18 Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. äußeren Faktoren abhängig sind. Eine große Rolle spielt namentlich die Witterung: Verschiedene Feuchtigkeit der Luft, Sonnenlicht, Bewölkung, Windstärke — all das dürfte hier in Betracht kommen. Es hält aber meist schwer, den wirklichen physischen (oder psychischen?) Einfluss, den diese Faktoren aus- üben, im Einzelfalle jeweilen richtig abzuwägen; so kann man oft ungemein irren, indem man viele Experimente unter anscheinend gleichen äußeren Bedingungen vorzunehmen glaubte, während in Wirklichkeit bei jedem Versuche ganz verschiedene Umstände walteten. Ich selbst habe da oft merkwürdige Erfahrungen machen müssen: Versuche, unter scheinbar ganz ähnlichen äußeren Be- dingungen gemacht, schlugen bei Wiederholung fehl oder ergaben ganz andere Resultate. Von großem Einfluss ist natürlich auch die Größe und das Gedeihen der Staaten, mit denen man experimentiert und man wird im allgemeinen kaum fehlgehen, wenn man hier als bestimmte Regel ausspricht: Je mehr Einwohner ein Staat hat und je älter eingesessen er ist, um so mutiger, unternehmender, unversöhnlicher sind seine Einzehnde dee Ganz besonders bei F. rufa hatte ich unzählige Male Gelegenheit, das zu beobachten, und ich bin dabei zur Überzeugung gekommen, dass man bei dieser Art (sofern man ihr normales Verhalten kennen lernen will) überhaupt nur mit Massenexperimenten in freier Natur zum Ziele kommt. (Die meisten Experimente wurden mit Mehlsäcken von 5—25 kg Inhalt ausgeführt!) Weniger trifft die Regel für f. sanguinea zu und bei den Myrmicinen kommt sie am wenigsten in Betracht, — schon wegen ihrer ganz anderen Lebensweise. — Es sei mir gestattet, an diese allgemeinen Bemerkungen einen prinzipiellen Exkurs zu knüpfen. Dieselben möchten viel- leicht manchem beinahe selbstverständlich und daher überflüssig scheinen; — an sich betrachtet sind sie es auch. Dennoch konnte ich mirs nicht versagen diese Bemerkungen hier anzuführen angesichts der heute überall eingetretenen Verschiebung in der Wahl der biologischen Forschungsmethoden, auch auf diesem Spezial- gebiete. Wer hat heute noch den Mut oder die Geduld, wie jene Forscher vom Schlage Forel’s stundenlang in Sonnenbrand oder Regen vor einem Ameisenhaufen auszuharren, um das Treiben der merkwürdigen Tiere in freier Natur zu belauschen? Diese „direkte“ Methode der Beobachtung und des Experimentes in freier Natur gilt heute beinahe als veraltet und hat einer mehr indirekten fast vollständig weichen müssen: Der experimentellen Beob- achtung im künstlichen Neste. So fern es mir liegt, die ge- waltigen Erfolge dieser modernen Methode schmälern zu wollen — verdanken wir doch erst ihr die tiefsten und entscheidendsten Einblicke in das feinere Geschehen im Ameisenstaate —, so muss Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. 19 doch meines Erachtens heute, wo sie fast allein noch geübt wird, immer aufs neue auch auf ihre Fehlerquellen hingewiesen und vor kritiklos schematischer Anwendung und einseitiger Überschätzung derselben gewarnt werden. Was Escherich?) in seinem vortrefl- lichen Leitfaden über dieses Kapitel sagt, kann Wort für Wort unterschrieben werden. Und wenn neuerdings sogar ein Experi- mentator vom Range Viehmeyer’s, der sich der künstlichen Methoden mit größtem Erfolge bedient hat, anlässlich seiner Ver- suche über die Koloniegründung von F. sangwinea?) zu der pessi- mistischen Überzeugung gekommen ist, dass hier nur noch die freie Naturbeobachtung entscheiden kann, so muss ein solches Votum um so ernstlicher berücksichtigt werden. Welches sind nun diese Fehlerquellen? Ich glaube, es mir ersparen zu dürfen, sie hier im einzelnen aufzuzählen: Wer das von meinem Bruder Gesagte nur einen Augenblick überlegt, oder wer jemals die sozialen Instinkte einer kleinen, seit längerer Zeit aus ihrem gewaltigen Staatsverbande herausgerissenen Aufa-Kolonie im künstlichen Neste allmählich vollständig degenerieren sah, — der weiß, was man damit sagen wıll. Dass aus dem Verhalten derartig degenerierter „Kolonien“ auch nicht der geringste Schluss mehr auf die normale Biologie der betreffenden Spezies gezogen werden darf, ist wohl einleuchtend. Wer sagt uns aber, wo die künstliche Degeneration anfängt? Wer garantiert uns denn, dass bei diesen äußerst „nervösen* Tierchen nicht schon der bloße Entzug ihrer normalen Bewegungsfreiheit, von Sonne und all den anderen ge- wohnten Witterungseinflüssen genügt, um tiefgreifende Verände- rungen in ihrem gesamten Psychismus zu erzeugen? Ganz etwas anderes ist es natürlich um das künstliche Experi- ment, wenn es sich um gewisse allgemeine Fragestellungen handelt, — um die Erforschung bestimmter physiologischer, allge- mein-biologischer und namentlich psychischer Reaktionen oder Fähigkeiten. Hier kann oft genug allein das künstliche Experi- ment genügenden Aufschluss geben, und zwar auch dann noch, wenn die betreffende Kolonie einer Degeneration im oben ange- deuteten Sinne sollte anheimgefallen sein. Drei Beispiele mögen das zeigen: Wenn beispielsweise die Wirkung des Röntgenlichtes auf die Ameisen studiert werden soll, so kann dies natürlich an jeder beliebigen Art in jeder beliebigen psychischen Disposition ge- schehen; ganz dasselbe ist der Fall, wenn man ergründen yıll, ob aus parthenogenetischen Eiern nur Männchen oder auch weibliche 2) Escherich, Die Ameise, Braunschweig 1006. — 4. Kap. „Untersuchungs- methoden“, S. 10. 3) Viehmeyer, Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiologie 1909, S. 353 u. 390ff, DE 0 Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. Tiere hervorgehen können. Und wenn es sich darum handelt, den Grad der plastischen Fähigkeiten eines Ameisengehirnes festzu- stellen, so sind wir schon durch die Fragestellung gezwungen, die Versuchstiere gerade unter möglichst abnorme psychische Be- dingungen zu setzen: Ziehen sie sich dann aus der Affäre, indem sie ihre automatischen Instinktreaktionen ändern, so beweisen sie uns gerade durch diese Abnormität, was wir sehen wollten — ihre Plastizität; bei geringer oder fehlender plastischer Anpassungs- fähigkeit werden sie ganz einfach zugrunde gehen. Überall da aber, wo es sich darum handelt, die nor- male Biologie einer bestimmten Spezies festzustellen, ist m. E. die direkte Beobachtung in freier Natur, — be- ziehungsweise —, wo diese nicht voll ausreicht — das Experiment in freier Natur die wichtigste, weil exakteste und sicherste Forschungsmethode, der gegenüber die experi- mentelle Beobachtung im künstlichen Neste stets nur als ergän- zendes und in jedem Einzelfalle mit Vorsicht zu verwertendes Hilfsmittel in Betracht kommen kann. Die Gründe sind nach dem Gesagten klar: Sie liegen einmal darin, dass (wie oben ge- zeigt wurde) normalerweise stets zahlreiche in ihren Wir- kungen nur schwer oder nicht übersehbare äußere Ein- flüsse das spezielle Verhalten der Ameisen mitbestimmen, -— zum zweiten aber auch umgekehrt darin, dass im künstlichen Neste an die Plastizität der Ameisenpsyche ganz andere und meist viel höhere Anforderungen gestellt werden, als ın freier Natur. Oder kurz ausgedrückt: In der durch die künstliche Ge- fangenschaft in unübersehbarer Weise veränderten äuße- ren und inneren energetischen Situation. Die Ameisen sind eben keine Bakterien oder Infusorien, mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, sondern sie besitzen eine ganz komplizierte Psychologie, die man stets mit in Berechnung zu ziehen hat. | Nun sind aber solche Beobachtungen in freier Natur — be- sonders, wo es sich um Feststellung feinerer Details handelt — nicht allein sehr mühsam, sondern meist auch ungemein zeit- raubend; selten hat man die gewünschten Arten in der Nähe, sondern muss oft stundenweit gehen, bis man geeignete Kolonien findet. Diesem Nachteile haben wir früher mit Erfolg dadurch abgeholfen, dass wir wie weiland Nebukadnezar ganze Riesenstaaten von F. rufa, sanguinea, ©. ligniperdus, L. fuliginosus u. a. zur be- quemen Beobachtung in unsern Garten verpflanzten; die Schwierig- keit dieser besonders Anfängern warm zu empfehlenden Methode bestand jeweilen nur darin, dass es nicht immer gelang, eine Königin mit zu erwischen, was dann natürlich eine längere Fort- dauer der betreffenden Kolonie in Frage stellte (um so mehr Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. 22 | als die Fremdlinge meist durch die überall wimmelnden Zasius niger noch erheblich dezimiert wurden). Auch waren die neuen Kolonien natürlich ganz auf die oft kaum genügenden Einkünfte eines Ziergartens angewiesen, was dann schließlich doch manchmal eine rasche Degeneration infolge chronischer Unterernährung be- wirkt haben mochte, — falls die Tiere es nicht vorzogen, vorher auszuwandern und so eines Tages spurlos verschwanden! Ein Ideal, das allen Ansprüchen gerecht zu werden vermöchte, das aber m. W. bisher noch nirgends verwirklicht ist, wäre die Er- richtung eigentlicher biologischer Versuchsstationen für Ameisen, wo auf genügend großen und je nach Bedürfnis durch Wassergräben voneinander abgetrennten Landparzellen mit natür- lichem Pflanzenbestande die verschiedensten Arten gehegt werden könnten. Solche „Ameisengärten“ könnten beispielsweise mit ge- ringen Kosten forstwissenschaftlichen Versuchsstationen angegliedert werden. Aber freilich, da sie ausschließlich wissen- schaftlichen Zwecken, ohne jede praktische Nutzanwendung für menschliche Ausbeutung dienen würden, so wird es damit wohl seine Schwierigkeiten haben. II. Camponodus ligniperdus. 1. Auffallend ist, dass von dieser Art bei Tage fast immer nur wenige FEinzelindividuen ausschwärmen, während das Gros ım Neste zu bleiben scheint (außer bei besonderen Anlässen und bei sehr großen Kolonien). Dabei entzieht es sich aber allerdings der Schätzung, wieviele Individuen das Nest in Wirklichkeit verlassen haben; — vielleicht doch mehr als man glaubt. Diese einzelnen Tiere gehen dabei oft sehr weit, bis 100 und mehr Meter vom Neste weg. Sowie die Nacht hereinbricht, ist das Benehmen ein völlig anderes: Nun kommen sie in relativ bedeutenden Scharen hervor, halten sich zahlreich auf der Oberfläche ihres Nestes und in dessen Umgebung und steigen auf die Bäume, — aber auch jetzt immer nur als Einzelreisende, nie in Kolonnen. ©. ligniperdus führt also ein eigentliches Nachtleben. Da merkwürdigerweise alle Ameisen gegen plötzlich aufflammendes Licht gänzlich unempfindlich zu sein scheinen, kann man dieses nächtliche Treiben mit elektrischen Taschenlampen sehr gut beobachten. 2. Beraubung eines Beutezuges von F. sanguinea durch C. ligniperdus. Anfang August 1907. Ich kam gerade dazu, wie ein Fusca- Nest (F. fusca i. sp.) von sangwinea geplündert wurde. Dicht an das ziemlich volkreiche Sanguinea-Nest stößt, auf derselben Böschung gelegen, eine riesige liyniperdus-Kolonie, — an Individuenzahl wohl die mächtigste, die ich je sah. Sowie nun die ersten mit Beute be- >» Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. ladenen sanywinea unten an diesem Neste vorbeikamen, stürzten sich die ligniperdus (die sich schon vorher in auffallender Zahl am Abhange herumgetrieben hatten) sehr geschickt auf die bepackten sanguinea, bissen sie buchstäblich entzwei und raubten die Fusca- Puppen! Infolgedessen stockte die Plünderung bald fast gänzlich, indem sich die sangwinea nun in Mengen gegen die Wegelagerer wandten und deren Nest zu stürmen suchten. Nachdem nun etwa 50 sangwinea zerstückelt worden waren, ohne dass ein einziger ligni- perdus hätte ins Gras beißen müssen, hielten es die letzteren aber doch für angezeigt, sich zurückzuziehen und es begann eine gänz- lich resultatlose Belagerung des lgniperdus-Nestes durch die san- guinea, welche erst spät am Abend wieder aufgehoben wurde. — Diese Episode ist nicht so sehr wegen ihres Ausganges*) als wegen der Begleitumstände interessant. Auffallend ist namentlich, dass die kgniperdus erst die mit Beute zurückkehrenden sangzinea angriffen; — sie schienen es somit in der Tat auf die Fusca-Puppen abgesehen zu haben! Aber wohl kaum zu anderen als zu Fraß- zwecken. Was das Nachtleben von (. ligniperdus betrifft, so konnte ich die Angaben meines Bruders an einer vor 3 Jahren von uns in den Garten verpflanzten Kolonie vollauf bestätigt finden: Auch bei dieser Kolonie, die 2 Königinnen besitzt (eine vor 2 Jahren nachträglich adoptiert) und diesen Sommer (1912) zahlreiche Puppen und sicher mehrere hundert Arbeiter zählte, habe ich selbst an den wärmsten Tagen kaum je einen einzelnen Arbeiter außerhalb des Nestes entdecken können, wogegen in warmen Nächten ganz ge- wöhnlich zwischen 30 und 50 Individuen sich in der Umgegend herumtrieben. Auch die geringe Empfindlichkeit dieser Ameisen gegen künstliches Licht konnte ich dabei feststellen. III. Arten der Gattung Formica. (F. fusca, sanguinea, rufa, pratensis, exsecta.) 1. Mischungsexperiment zwischen F. sangwinea und pratensıs. Ende Juni 1907, bei schönem Wetter. Ich warf einige hundert pratensis mit ungefähr ebenso vielen (etwas weniger) sanguwinea in einen Sack. Nach knapp 20 Minuten wurde der Inhalt auf einem ameisenfreien Platze ausgeleertte Resultat: Vollkommener Friede! Pratensis sowohl wie sangıinea begannen gemeinsam ein provisorisches Nest einzurichten und sammelten auch ihre Puppen gemeinsam auf einen Haufen. Nur die Sklaven der sangwinea (fusca 1.sp.) wurden sonderbarerweise von den pratensis von 4) Forel (Fourmis de la Suisse, p. 355) erwähnt allerdings einen Kampf zwischen C. herculeanus und F. sanguinea, in welchem die letzteren Sieger blieben. Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. 93 ? Anbeginn nicht geduldet, sondern überall heftig ver- folgt, ohne dass ihnen die „Herren“ halfen! — Ich nahm ein Buch und las. Da —- ungefähr nach Ablauf einer Stunde — begann plötzlich und ohne sichtbare Veranlassung ein erbitterter Kampf auch zwischen den sangwinea und den pratensis, der mit der Vernichtung und Flucht der sangwinea endete. Angefangen zu kämpfen hatten die pratensis, indem sie sich plötzlich, wie auf Kommando, auf die friedlich unter ihnen weilenden sangwinea stürzten. — Dieses interessante Experiment bestätigt vollkommen meine Anschauungen über Wesen und Zustandekommen jener künstlichen Mischkolonien (sogen. „Schüttelnester“, der Ausdruck ist übrigens schlecht gewählt!). In einer vor kurzem erschienenen Arbeit?) habe ich auf Grund eingehender Analyse zahlreicher eigener Beobach- tungen und Versuche nachgewiesen, dass diese durch Mischung der Parteien erzielbaren Allianzen nicht auf der Entstehung eines „Misch- geruches“ beruhen, der die Gegner gleichsam dauernd voreinander maskiert, sondern vielmehr das Resultat komplizierter psycho- plastischer Anpassungen sind, bedingt durch die in der engen Gefangenschaft (zumal im Sacke, aber auch nachher im künstlichen Nest) gegebene Zwangslage. Wenn nun dem so ist, so müsste man, würde man diese Zwangslage jeweilen bald nach Entstehung der Allianz (nämlich bevor dieselbe zum sekundären Automatismus geworden ist) wieder aufheben und die Tiere annähernd in ıhre natürlichen Lebensbedingungen zurückbringen, auch alsbald eine nachträgliche Wiederaufhebung der guten Beziehungen zwischen den verschiedenen Parteien beobachten. Diese Versuchsanordnung war nun im obigen Experimente verwirklicht und sie hatte auch genau das erwartete Resultat. Gerade das eigentümlich unduldsame Verhalten, das die pratensis den fusca gegenüber von Anfang an zeigten, spricht mehr als alles andere gegen die eben angedeutete Mischgeruchtheorie, indem nicht einzusehen ist, weshalb denn allein den fasca dieser supponierte Mischgeruch nicht sollte zugute gekommen sein. Allerdings könnten sich die fusca den pratensis auch rein visuell, gegenüber den viel ähnlicheren sanguinea, noch als Freunde verraten haben, — diese Annahme steht aber mit dem Verhalten der gleichen Arten in zahl- reichen anderen Fällen im Widerspruch. Wir werden also besser den Fall so erklären, dass die fusca, obschon sie ja ım sanguwinea- Neste aus der Puppe schlüpften, eben nur eine, nämlich die „Lokalkomponente“ dieses fremden „Koloniegeruches“ über- kommen haben, während sie andererseits die ihnen erblich (von 5) Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. — Biol. Centralbl. 1912, S. 308 ff. 94 Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. De 5 der Stammkönigin ihres Heimatnestes) übertragene Komponente, welche ich als die „spezifische“ bezeichnet habe, unverändert beibehielten °). Auffallen könnte noch, dass die nachträgliche Entfremdung auch zwischen den sanguinea und den pratensis hier erst so spät, nach etwa einer Stunde, eingetreten war. Wahrscheinlich beruht das auf dem nahezu gleichen Zahlenverhältnis zwischen den beiden Parteien. (Eben deshalb wurden ja auch die fusca von den pra- tensis schon gleich von Anfang an verfolgt, da sie sich ın starker Minderzahl befanden!) Keinesfalls aber darf in dieser Verspätung ein Beweis für das anfängliche Vorhandensein eines Mischgeruches (der sich dann allmählich verflüchtigt hätte) erblickt werden, denn nach meinen Versuchen (a. a. ©.) entsteht ein solcher selbst im engen Verbande des künstlichen Apparates erst nach mehreren Tagen und ist auch dann noch so flüchtig, dass im vorliegenden Falle (wo kaum 20 Minuten seit der Mischung verstrichen waren) diese Maske schon nach wenigen Minuten hätte fallen müssen. 2. Kampf zwischen F! rufa und sanguinea. Anfang Juni 1908. Ich füllte einen 5 kg-Mehlsack ausschließ- lich mit Arbeitern aus einem großen rufa-Neste A. Ein zweiter ebensolcher Sack wurde mit Arbeitern und massenhaft Brut (Puppen) aus einem zweiten, unabhängigen Rufa-Neste B gefüllt; drei in diesem letzteren gefundene Königinnen kamen vorläufig in ein separates Glas. Um 1 Uhr nachmittags wurde der erste Sack (nur Arbeiter) 10 m von einer mächtigen sanguinea-Kolonie an einem Abhange aus- geleert, — mitten auf die lebhaft begangene Verkehrsstraße, welche diese sanguinea mit einem kleineren, etwa 30 m vom Hauptnest entfernten Zweigneste unterhielten. (Dieses Nebennest blieb merk- würdigerweise während der ganzen Episode völlig passiv, — nur die Heerstraße wurde eingestellt.) Resultat: Die sanguinea des Hauptnestes rücken massenhaft aus und bedecken bald das Terrain zwischen ihrem Nest und den rufa; diese werden zurückgedrängt und haben sehr viele Tote. Die rufa werden nun allmählich halbkreisförmig umzingelt; sie benehmen sich ängstlich, ja feige. Nun leerte ich den zweiten Sack rufa mit den Puppen an gleicher Stelle aus, obenauf zuletzt die drei Weib- chen. Völlig verändertes Benehmen der rufa, unter denen, ob- wohl sie zwei verschiedenen Staaten angehören, von An- fang an nicht die geringste Zwietracht zu bemerken ist. Sie rücken jetzt in konzentrierten Massen gemeinsam vor und 6) Vgl. mein Referat: „Über die Ursachen der künstlichen Allianzen bei den Ameisen“, am III. internat. Kongress für medizin. Psychologie ete.... in Zürich, September 1912. Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. 35 < drängen die sanguinea nun ihrerseits unaufhaltsam zurück. Um ihre Brut kümmern sie sich nicht. Desto mehr tun dies die san- guinea, von denen manche trotz ihrer misslichen Lage zahlreiche rıfa-Puppen tollkühn mitten aus dem dichten Haufen der Feinde herausholen und auf Umwegen ın das andere, unbeteiligte Nest bringen! — Nach langem Kampfe Ankunft des rufa-Heeres beim sanguinea-Nest. Um 5 Uhr ist der obere Teil des Nestes erobert; — aus einem unteren Ausgang desselben werden nun massenhaft Eierpakete, Larven und vier sanguinea-Königinnen, vorwiegend durch fusca, geflüchtet. Um 6 Uhr haben die rufa das ganze Nest im Besitze; die sanguinea kampieren in ziemlicher Entfernung im Freien. — Das Experiment zeigt: 1. Die unmittelbare und fast mit Selbstverständlich- keit erfolgende Allianz zwischen gewaltigen, aber aus ihrem Zusammenhange gerissenen Abteilungen zweier fremder rufa-Staaten angesichts einer gemeinsamen Gefahr. 2. Den großen Einfluss, den die Gegenwart von Brut und von Königinnen, sowie das Bewusstsein numerischer Übermacht auf den Kampfesmut der rufa hat. 3. Die Kühnheit im Angriff, aber auch den völligen Mangel an Zusammenhang bei den sanguinea. 4. Die unwiderstehliche Macht des Puppenraubinstinktes bei dieser Art, endlich 5. ihre Pleometrose (4 Königinnen in einem Neste!). 3. Eine natürliche Mischkolonie F. sanguwinea mit Ruf, 1. Sp. | Sommer 1908. Auf einer sonnigen Waldlichtung in sehr sanguinea-reicher Gegend entdeckte ich ein mittelgroßes, längs der Wurzel einer alten Tanne etabliertes sanguwinea-Nest, „welches Tausende von rufa(i. sp.)-Arbeitern, mit den sanguinea un- gefährzu gleichen Teilen gemischt, enthielt. Keine fusca- Sklaven! massenhaft Eier und Puppen (welcher Art?), keine Larven, dagegen zahlreiche geflügelte sangwnea-Männchen. Eine Königin zu finden gelang mir nicht. Die r«fa machten einen ziemlich degenerierten Eindruck, hielten sich ausschließlich in oder auf dem Neste; bei Störung verteidigten die sanguinea dasselbe weit mutiger als die r«fa. Doch schien die ganze Kolonie sehr zurückgezogen zu leben; sıe unterhielt keine Ameisenstraße, ver- hielt sich gegen die benachbarten sangwinea-Nester feindlich. Das nächstgelegene rufa-Nest — eine sehr starke Kolonie — befindet sich etwa 70 m entfernt, von der Mischkolonie durch Schlagwald getrennt, ihr aber am nächsten unter allen benachbarten sangwnea- 26 Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. Nestern gelegen. 1907 bestand an jener Tannenwurzel sicher noch keine Kolonie. — Die Erklärung dieses Falles macht einige Schwierigkeiten. An eine sozialparasıtische Entstehung der Mischkolonie — etwa so, dass eine junge sanguinea-Königin in einem weisellosen rufa-Neste adoptiert worden wäre — ist kaum zu denken; dagegen spricht vor allem das Zahlenverhältnis zwischen den beiden Arten: Eine so alte sangwinea-Kolonie, welche schon zahlreiche geflügelte Männ- chen erzeugt, könnte unmöglich noch so viele Individuen der ehe- maligen Wirtsameise beherbergen! Aber anderseits ist es doch auch kaum denkbar, dass jene 70 m entfernte Riesenkolonie von F. rufa von den sanguwinea geplündert worden wäre’). Am wahr- scheinlichsten ıst mir, dass es sich ursprünglich um eine noch schwache, erst 1908 gegründete Zweigkolonie jenes großen rufa- Nestes gehandelt hat, dıe dann kurz nach ıhrer Etablierung von einem benachbarten sanguinea-Stamm überfallen und erobert wurde, wobei den sanguinea ein großer Teil der rufa-Puppen als Beute zufiel. — 4. Von F. exsecta, die ım Kanton Zürich überhaupt selten zu sein scheint, beobachtete mein Bruder im Kemptthaler Revier nur wenige kleinere Nester, darunter mehrere mit fasca. IV. Polyergus rufescens. Im August 1907 fand mein Bruder an sehr sonniger Halde ein einziges Exemplar der Amazonenameise. Dieser Fund ist um so beachtenswerter, als diese südliche Art ın den Kantonen der Nord- und Ostschweiz, wenn sie dort überhaupt vorkommt, doch extrem selten zu sein scheint. Forel‘®) erwähnt im Kapitel über die Verbreitung der Arten in der Schweiz überhaupt nur zwei Fälle: Einmal habe Heer das Tier auf der Wollishofer Allmend (bei Zürich) entdeckt; ein anderes Mal sei sie bei Basel gefunden worden, wie ein Exemplar in der M. G. Haller’schen Sammlung beweise (nach Imhoff), V. Zum Nestbau von Lasius fuliginosus. Zahlreiche fuliginosus-Nester in den Kemptthaler Wäldern sind nicht in morsche Bäume eingebaut, sondern finden sich rein unter- irdisch, in einiger Entfernung von den Bäumen an deren letzten Wurzelausläufern, und zwar, wie es scheint, in großen natür- lichen Höhlungen. Diese Höhlungen dürften (laut Angaben von Herrn stud. forest. Haemmerli) ursprünglich von kleinem Raub- 7) Dass der Fall an sich vorkommt, habe ich a. a. O., Biolog. Centralbl. 1910, zuerst gezeigt. 8) Forel, Fourmis de la Suisse 1874. Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. an wilde (Wiesel, Iltis, Marder?) herrühren. Die Stelle, wo das Nest zu suchen ist, verrät sich oft nur durch eine eigentümliche elastische Nachgiebigkeit des Bodens beim Darüberhingehen. Der meist sehr unauffällige und enge Nesteingang liegt nämlich gewöhnlich am Fuße des Baumes; gräbt man hier nach, so kommt man auf einen breiten Schacht, dem Tausende von Ameisen in schwarzem Ge- wimmel entquellen und welcher schräg abwärts vom Baume weg verlaufend unter trichterförmiger Verbreiterung in die Höhle ein- mündet. In dieser befindet sich das eigentliche Nest aus brüchigem, schwarzbraunem Karton, der an verschiedenen Stellen rings an der Höhlenwand angeklebt ist; — das Ganze bildet eine in der Höhle ziemlich frei suspendierte kompakte Masse, die man, wäre sie nicht so brüchig, leicht in toto aus der Höhle herausheben könnte. — Die Tatsache, dass L. fuliginosus auch gelegentlich rein unter- irdisch nistet, ist nicht neu; sie wurde schon von Forel?) erwähnt. So beschrieb dieser Forscher u. a. ein von Dr. Marcel in Lausanne entdecktes Nest, das an einer Mauer zwischen dem Wurzelwerke eines Weißdornstrauches rein unterirdisch gelegen war; Forel wundert sich mit Recht, dass diese Ameisen somit, bevor sie ıhr eigentliches Kartonnest zu konstruieren beginnen können, erst eine geräumige Höhle ausminieren müssen. Vielleicht wirft die Erklärung, die mein Bruder über seine unterirdischen Nester gibt, dass die- selben nämlich in präformierten Höhlungen angelegt seien, auch auf diesen alten Forel’schen Fall ein neues Licht; — jeden- falls fällt damit die obige Schwierigkeit — die Annahme einer vor- gängigen umfangreichen Minierarbeit der Ameisen — ohne weiteres dahin. -— Auffallend ist ja auch, dass man in der Umgebung solcher Nester niemals aufgehäufte Erdwälle sieht! Eine ganz ähnliche Nestanlage, wie sie mein Bruder von ful- ginosus beschreibt, nur mit dem Unterschiede, dass das Innere der Höhle nicht aus echtem Karton, sondern aus lockeren, wie fein gekitteten Erdlabyrinthen bestand, fand ich kürzlich in unserm Garten, am Fuße einer mächtigen älteren Föhre, bei einer riesigen Kolonie von L. mixto-umbratus Forel. Dabei fiel mir auch zum erstenmal die frappante Ähnlichkeit des Geruches dieser Ameisen mit dem spezifischen fuliginosus-Geruche auf, — eine Tatsache, die m. W. bisher noch nirgends hervorgehoben worden ist. Ich konnte mich auch leicht durch Experiment davon überzeugen, dass der Geruchstoff — wie bei fuliginosus — seinen Sitz im Kopfe der Tiere hat. Vielleicht handelt es sich da um eine Vorstufe zum Kartonbau der fuliginosus'?). Ama: O5,:p:u185£ 10) Kürzlich teilte mir F. H. Donisthorpe (London) mündlich mit, dass er in der Tat auch echten Karton bei Z. umbratus gefunden und beschrieben habe! 25 Brun, Beobachtungen im Kemptthaler Ameisengebiete. VI. Tapinoma erraticum. 1907. Von dieser Art existieren in der Umgebung von Kempt- thal einige Haufen von gewaltiger Ausdehnung und Einwohnerzahl. 1908. Es ıst auffallend, wie leicht die Tapinoma ıhr Nest wechseln; bei der geringsten Störung ziehen sie aus, oft aber erst nach einem Tage. Auf die Lokalität der Nester scheinen sie nur geringen Wert zu legen, auch machen die kleineren Ansiedlungen durchweg den Eindruck ganz oberflächlicher, gleichsam nur provi- sorischer Anlagen. (Mein Bruder beschreibt nun die charakte- ristische Kampfesweise dieser Tiere und kommt dann auf einen von ihm künstlich herbeigeführten Auszug, im Anschluss an einen Kampf mit ZL. niger, zu sprechen.) „Dabei beteiligen sich auch die Männchen vielfach aktiv durch Tragen von Brut und scheinen sich überhaupt ganz selbständig zu orientieren. Das gleiche gilt von den ge- flügelten Weibchen und den stets zahlreich in einem Neste vor- handenen Königinnen. Getragen wird überhaupt meist nur die Brut. Die Tiere folgen einander in eng aufgeschlossenen Einerkolonnen, mehrere parallel zueinander. Während des Marsches beob- achtete ich mehrmals Befruchtung der marschierenden geflügelten Weibchen: Sie standen einen Moment still, wurden von einem Männchen bestiegen und gingen dann mit dem Männchen auf dem Rücken weiter. — Die Orientierung während des Marsches ist eine ungemein rasche.“ — Was den Tapinoma diese Art zu marschieren erlaubt, ist offen- bar ıhr ungemein starker Eigengeruch, der, da er von dem Gift- sekrete stammt, wohl der Abdomenspitze jedes Arbeiters in Spuren anhaftet und dort selbst von den blödsinnigen Männchen mit Leichtigkeit wahrgenommen und als Wegweiser benutzt werden kann. VI. Myrmica rubida. 1. Diese Art plündert nicht selten die Nester der viel kleineren rubra (laevinodis?), deren Eier und Larven sie holt, dagegen keine Puppen (?). Solche Raubzüge erfolgen aber nicht aus eigener Initia- tive, sondern nur im Anschluss an Kämpfe mit den rubra. 2. Im Herbste 1908 gab ich einer rubida-Kolonie eine große Menge Larven von M. rubra. Im Sommer 1909 enthielt das be- treffende Nest eine ganze Anzahl rubra. Bemerkenswert ist dabei, dass diese „Sklaven“ nach menschlichem Geruchsempfinden ihren charakteristischen Eigengeruch beibehalten haben. — Ich gestehe, dass ich zunächst diesen Angaben meines Bruders starke Zweifel entgegenbrachte, bis ich selbst Gelegenheit hatte, dasselbe an einer in unseren Garten verpflanzten rubida-Kolonie zu beobachten. Diese Kolonie, die sich 2 Jahre lang auf einer Wiese hielt, hatte im selben Jahre ihrer Etablierung verschiedent- Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning ete. 99 lich heftige Kämpfe mit den zahlreichen laevenodis-Kolonien unseres Gartens zu bestehen; sie trugen dabei wiederholt Brut der letzteren (auch Puppen) in ıhr Nest. Im nächsten Jahre sah ich unter den rubida auch einige Exemplare der viel kleineren laewinodis aus den Eingangslöchern des Nestes kommen. — Es wäre wünschbar, die Sache experimentell nachzuprüfen. Further Explanatory Remarks Concerning the Normal Rate of Growth of an Individual and its Biochemical Significanee. By T. Brailsford Robertson. (From the Rudolph Spreckels Physiological Laboratory of the University of California.) In a recent article!) Moeser has called in question the cor- rectness of my representation?) of the autocatalytic character of the growth-process. The chief objections which he raises are the following: A. According to my formula the maximum velocity of growth (= yearly, daily or hourly inerement) occurs in the middle of the growth-eycle. Moeser points out that this is, in actual experience, frequently not the case. B. My formula, according to Moeser, represents growth purely as a function of time. He points out that it is also a function of temperature, light, moisture ete. Since these factors are not without effect upon growth, therefore, Moeser argues, it is not correct to speak of growth as a simple autocatalytie process. I will deal with these objections separately: A. As examples of the fact that the maximum rate of growth frequently does not oceur in the middle of a cycle, Moeser cites measurements made by Sachs of the daily increment in the length of a root of Vicia faba, of the elongation of three internodes of Dahlia variabilis and of the elongation of four internodes of Fri- tillaria imperialıs. In this connection it appears necessary to point out: a) that increments of length are very unsafe measures of increment in mass, since the diameter of the body measured may alter as well as the length, and, moreover, even if the diameter remains constant, the specific gravity of the substance composing the body measured may also alter from time to time. Now chemical reaction-formulae deal solely with the relation of mass to time or 1) W. Moeser. Biolog. Centralbl., Bd. XXXII (1912), p. 365. 2) T. Brailsford Robertson. Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. XX V (1908), p- 581, Bd. XXVI (1908), p. 108. Biolog. Centralbl., Bd. XXX (1910), p. 316. mi) Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning ete. temperature or mass, and consequently the autocatalytic formula of growth can only legitimately be applied to the growth of mass. b) Since, as Moeser very justly points out, temperature, moisture, and a number of other factors have an influence upon growth, and we usually possess little certainty all that of these factors are maintained constant during the growth of a single individual, it ıs safer, in order to eliminate fluctuating varıations due to these uncontrolled varıables, to measure and average the growth of a very large number of individuals, rather than to depend as Moeser does, upon measurements made upon a single individual. c) In order to avoid assuming that the maximum inerement in growth oceurs at the middle of a growth-cyele (i. e. when the total growth due to the cycle ıs half completed) Moeser suggests the following modification of my formula. The differential equation which expresses the progress of an autocatalytie (monomolecular) reaction ıs the following: —eKz Ace) er Dez in which x is the mass which has undergone transformation (= growth) at time tand A ıs the final mass which has undergone transformation at the end of the reaction (1. e. the total growth at the end of the growth-cycle). Integrating, we obtain: X In- na where © is the constant of integration. In my derivation of the growth formula I proceeded as follows: Since the value of © must be the same for all values of x let us make x —=!/, A and let t, be the corresponding value of t, then from equation (2) we have: = KALI OS aa KAt, .- BE ee re (3) hence: C=ereRAE RAT era) and equation (2) becomes: e In Er ec aa ae) Moeser, however, proceeds from equation (2) as follows: When t=o let x=v, then when t=o we have: el hence (2) becomes?): (A — V)x In ey RA A,)e 2 Be 3) For the constant A, Moeser employs the symbol V. Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning etc. 2 Moeser thinks that this equation is superior to my equation (5) ; dt because, he believes, it avoids the assumption that 1 (daily dt inerement) is a maximum when growth is half completed (x=!/, A). In this belief he is mistaken, however, as the following considera- tions show: Differentiating equation (7) we obtain: dx a B&aA-% Re ge (8) which is identical with equation (1). Differentiating again we obtain: d’x 3 dx ’ hence ir is zero when x = !/,A, and for that and all values d’x. - Re E i I of X og 38 negative, hence p 5 a maxımum when? x 2, A): Consequently Moeser’s equation involves, just as much as mine does, the assumption that the rate of growth is a maxımum when the growth-ceycle is half completed. Now it is to be recol- lected that, especially when we rely upon observations upon the growth of a single individual, any single measurement may chance to be erroneous, and if we incorporate into our equation such a measurement our equation will also be erroneous. In employing my equation it is possible to eliminate this source of error to the greatest possible extent, for K and t, are determined, not from any single observation but from all of the observations by the method of least squares. By employing this method the + errors attaching to certain observations are cancelled by the — errors attaching to others and the constants thus computed, as all physicists know, are much more nearly ideally correct that constants computed from single observations. In employing Moeser’s equation, how- ever, we are forced to rely absolutely upon the accuraey of a sıngle observation, namely, the measurement of the length, volume or weight when t=o, and then, if this observation should chance to be erroneous (owing to the intrusion of adventitious variables such as fluctuations of temperature etc.) the whole equation will share in the error and the experimental results may not fit the equation at all owing to a single experimental error. Moeser states that „Die Robertson’sche Interpretation der autokatalytischen Formel ist direkt falsch. Daher ist es nicht wunderbar, dass seine Zuwachswerte manchmal um die Hälfte von 4) ©. J. Todhunter „Differential Culeulus“ 7th Edn. London 1875, Chapter 13, 32 Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning etc. den wirklichen abweichen.“ This statement contains two inaceuracies. In the first place my interpretation of the autocatalytie formula is, as we have seen, correct and identical with Moeser’s while my employment of it ıs accurate in principle and Moeser’s is not. In the second place in all cases in which I have stated that the autocatalytic formula certainly applies the deviations between theory and experiment never exceed 20°/, and are in almost every instance much less than this. This is especially true when the data are derived from the average of a large number of individual measur- ements. The large deviations to which Moeser refers occeur in cases to which, as l have expressly pointed out in each of the articles to which I have referred, the autocatalytic formula does not apply. In fact I refer to these deviations as direct proof that the formula does not apply. It appears necessary once more to reiterate my statement that the autocatalytie growth-formula does not apply in the following instances: 1. To the decrease of weight which occurs in senile decay, from which Loeb‘*) and I have argued that the processes underlying senile decay are essentially different from those which underlie growth. 2. To the growth of the Mineral Content of plants. This has recently been confirmed by Chodat and Monnier?) who have shown that it is due to the fact that at certain periods in the growth of plants there is a „negative Migration“ of mineral constit- uents from the plant into the soil. In passing I wish to correct yet a third mis-statement made by Moeser. He asserts (p. 370), without citing any article, that I have employed two autocatalytic curves to represent the complete curve of muscular contraction, the one representing tbe ascending portion of the curve, the other the descending portion of the curve. I have never done so and in no publication have I attempted to apply the autocatalytie formula to the curve of muscular contraction. I have, it is true, ventured to assert that autocatalytie processes underlie muscular contraction”), but I cited, in support of this view, not the form of the curve of muscular contraction, but the fact that muscular contraction is rendered more energetic by perfusing the muscle with a weak solution of the products of muscular activity, and less energetic by perfusing it with a stronger 5) J. Loeb. „Die chemische Entwicklungserregung des tierischen Eies“. Berlin 1909, p. 246. 6) R. Chodat and A. Monnier. Arch. d. Sciences physiques et naturelles. Soc. de physique et d’histoire naturelle de Gentve. 4we Ser. tome 33, p. 101 (1912). 7) T. Brailsford Robertson. “On the Biochemical Relationship between the ‘Staircase phenomenon and Fatigue”. Festband der Biochem, Zeitschr. f. H. T. Hamburger, 1908, p. 287. Robertson, Further Explanatory Remarks Concerning etc. 33 solution of the same products. I have expressly refrained from attempting to apply the autocatalytic formula to the curve of muscular contraction because I am of the opinion that the time- relations in muscular contraction are determined by changes of capillarity and by the elastieity of the muscle-elements rather than by the chemical reactions which underlie and cause these changes®). It must be recollected, yet again, that the autocatalytic formula expresses a relationship between mass and time and that before attempting to apply it to a relationship between length and time we must first ascertain that the observed changes in length are directly proportional to changes in the mass of some chemical product. Now we have no proof whatever that during the course of a single muscular contraction the shortening of the muscle is directly proportional to the mass of carbohydrate which is trans- formed into CO, and H,O or other products. Until we possess such proofs, any attempt to apply the autocatalytic formula to curves of museular contraction is of very doubtful utility. In ap- plyıng the formula to growth, on the contrary, we have in the weight of the animal or plant a direct measure of the mass of the products of the chemical reactions underlying the process. The application of the formula to growth in weight is therefore rational. B. Moeser, as I have stated, raises the further objection that the autocatalytie reaction-formula expresses only a relation between mass and time and fails to incorporate the influence of tempera- ture, moisture, etc. It ıs for this reason, he asserts, that the deviations between the autorcatalytic curve and the empirical eurve oceur. I do not question that this is the case, but it may be pointed out that it is also the case in all chemical reactions. In ascertaining the relationship between mass and time in a chemical transformation we endeavor to keep such factors as temperature, pressure, etc. constant. If the temperature varies, the velocity of the reaction varies, and, in fact Karl Peter and I°) have utilised the fact that growth is accelerated by a rise of temperature in support of the view that the velocity of growth is determined by the velocity of a chemical reaction !%). But because an autocatalytie chemical reaction is accelerated by a rise of temperature, it does not cease to be an autocatalysed chemical reaction and to display the characteristic time-relations of an autocatalysed reaction at a 8) T. Brailsford Robertson: “Remarks on the Theory of Protoplasmie Movement and Excitation”. Quarterly Jour. of Exper. Physiol. 2 (1909), p. 303. Cf. also T. Bernstein. Arch. f. d. ges. Physiol. 122 (1908), p. 129. 9) K. Peter. Arch. f. Entwicklungsmech., Bd. 20 (1906), p. 130. 10) T. Brailsford Robertson. Arch. f. Entwicklungsmech.. Bd.25 (1908), p- >81. XXXII. | 3 34 Woodruff, Dreitausend und dreihundert Generationen von Paramaecium ete. given constant temperature. In order to obtain a reliable comp- arıson between the empirical growth curve and the autocatalytie curve, we must so far as possible exclude such adventitions var- iables either by taking the average of a very large nwmber of observations, or by keeping the conditions of temperature, moisture, supply of nutrition, etc. under which the organism is growing as strictly constant as possible. Dreitausend und dreihundert Generationen von Paramaecium ohne Konjugation oder künstliche Reizung. Von Prof. Lorande Loss Woodruff, Ph. D. (Aus dem Sheffield Biologischen Laboratorium der Yale Universität, New Haven, Conn., U. S. A.) Die einzelligen Organısmen bieten eine natürliche Methode dar, dem Problem der Befruchtung näher zu kommen; die Durchmuste- rung der in einer Reihe sorgfältig ausgeführter experimenteller Studien von verschiedenen Forschern an diesen Formen gewonnenen Tatsachen zeigt, dass die wichtigste Aufgabe der Konjugation bei den Protozoen die Erfüllung eines unausbleiblichen periodischen physiologischen Bedürfnisses der lebendigen Substanz ist, die eine Erneuerung der Lebenskraft der Zelle zur Folge hat. Diese „dyna- mische“ Ansicht der Befruchtung hat sich allmählich eine herrschende Stelle erobert, obwohl sie der Ansicht, dass die Befruchtang, die mit einer Amphimixis endet, in irgendeiner Weise mit dem Phä- nomen der Variation verbunden oder ein Prozess ist, wodurch einige Formen veränderten äußeren Umständen widerstehen können, weder widerspricht, noch mit ihr übereinstimmt. Die vorliegende Abhandlung zeigt kurz die Resultate eines intensiven Studiums einer von einem bekannten Stamm herge- kommenen Rasse von Paramaecium aurelia ın bezug auf das Pro- blem des protoplasmatischen Alterns und die Funktion der Kon- jugation. Ich habe die bis zum September 1910 gewonnenen Resultate schon publiziert!) und mit Rücksicht auf die genauen Einzelheiten der Kultur und die allgemeine Diskussion der ver- schiedenen Phasen der Arbeit verweise ich auf meine frühere Abhandlungen. Diese Kultur wurde am 1. Mai 1907 mit einem „wilden“ aus einem im Laboratorium stehenden Aquarium isolierten Paramaeceium aurelia angefangen. Dieses Individuum wurde ın etwa fünf Tropfen Kulturmedium auf einem vertieften Objektträger aufgestellt und als das Tier sich in vier Individuen geteilt hatte, wurden diese vier je eines auf einem Objektträger isoliert, um die vier Linien 1) Arch. f. Protistenkunde, Bd. 21. Woodruff, Dreitausend und dreihundert Generationen von Paramaeeium ete. 35 Ia, Ib, Ic und Id dieser Kultur zu geben. Diese Kultur ıst bis heute durch die Isolierung eines Tieres ungefähr jeden Tag aus jeder von diesen Linien erhalten. Diese Methode macht es auf ders einen Seite unmöglich, dass Konjugation vorkommen kann und macht es auf der anderen, leicht ein genaues Protokoll der Zahl der Generationen zu führen. Eın Kulturmedium von Heu und grünem Gras wurde während der ersten 9 Monate gebraucht, nachher Extrakte von allerlei Stoffen, die man in Teichen, Sümpfen, u. s. w. findet. Das Medium wird gekocht um die Einführung wilder Individuen in die Kultur absolut unmöglich zu machen. Diese Rasse von Paramaecium hat bis jetzt (den 1. Nov. 1912) während der 5!/, Jahre, die sie unter täglicher Beobachtung ge- wesen ist, 3340 Generationen erzeugt. Die Zahlen der in jedem der ersten 5 Jahre ihrer Existenz erreichten Generationen sind folgende: erstes Jahr 452, zweites Jahr 690, drittes Jahr 613, 590 1000 1500 2000 2500 ae T an Jan Jan an 1907 1908 1909 1910 1911 12 Fig. 1. Paramaecium aurelia (Rasse I) vom Anfang der Kultur am 1. Mai 1907 bis zur am 1. November 1912 erreichten 3340. Generation. Die Ordinaten zeigen die durchschnittliche tägliche Teilungsschnelliskeit der vier Linien der Kultur, für jeden Monat durchschnittlich ausgearbeitet, während der Lebensdauer der Kultur bis zur Gegenwart. Die Zahlen 500, 1000, 1500, u. s. w. stellen die Nummer der Generationen vor und stehen über den Monaten in denen sie erreicht worden waren. viertes Jahr 612 und fünftes Jahr 662. Die Durchschnittsgeschwindig- keit der Teilung der ganzen Periode ist mehr als drei Teilungen pro 48 Stunden. Perioden von auffallender physiologischer Schwäche sind nicht vorhanden gewesen, alle Variationen der Teilungsschnellig- keit, die vorhanden gewesen sind, waren entweder normale Rhythmen oder rührten von äußeren Veränderungen der Temperatur oder des Kulturmediums her (Fig. 1). Die Organismen der jetzigen Gene- rationen sind ebenso normal in ihren morphologischen und physio- logischen Verhältnissen wie das originale „wilde“ Individuum, das als Ausgangstier der Kultur isoliert wurde. Diese Untersuchung hat uns gezeigt, dass, unter gün- stigen äußeren Umständen, das Protoplasma der zuerst isolierten Zelle mindestens die Potenz hatte, ähnliche Zellen bis zu einer Zahl von 2°%° und eine Masse Proto- plasma von mehr als 10'!%0mal der Masse des Erdballes zu erzeugen. Dieses Resultat, glaube ich, bestätigt un- zweifelhaft die Annahme, dass das Protoplasma einer 36 Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete. einzigen Zelle unter günstigen äußeren Umständen ohne Hilfe von Konjugation oder einer künstlichen Reizung imstande ist, sich unbegrenzt fortzupflanzen und zeigt ferner ın klarer Weise, dass das Altern und das Befrwch- tungsbedürfnis nicht Grundeigenschaften der lebendigen Substanz sind. Das „Syncellium“ als dominierende zelluläre Struktur des tierischen Organismus. (Dem Andenken Theodor Schwan’s gewidmet.) Von A. Leontowitsch (Kiew). Inhaltsübersicht. [een . Einleitung. 2. Grundideen und Definitionen zur Syncellientheorie. 3. Wie weit sind die Tatsachen, die als Grundlagen der Syncellientheorie dienen, zuverlässig? 4. Wo ist ein Syncellium zu suchen, das als Typus dienen kann? 5. Einzelne auf Grund der obigen Darstellungen unterscheidbare Syncellienarten. 6. Das Leben des Syncelliums. . Andere Fälle, in denen die Syncelliennatur der Strukturen weniger augen- scheinlich ist. 8. Die Syncellientheorie in ihrem Verhältnisse zur Lehre von der Zelle als von einem elementaren Organismus. 9. Das Verhältnis der Syncellientheorie zur Theorie der Gewebe. 10. Das Verhältnis der Syncellientheorie zur Symplasttheorie. 11. Das Verhältnis zu den Sachs’schen Energiden. 12. Schlussfolgerungen. 13. Die Lehre von den Geschwülsten im Lichte der Syncellientheorie. 14. Nachwort. 1. Einleitung. Es ist noch gar nicht so lange her, dass in der Biologie die Theorie herrschte, dass der tierische Organismus aus einzelnen ab- gesonderten Zellen besteht; wir sagen nicht zu viel, wenn wir be- haupten, dass im Vordergrunde des wissenschaftlichen Denkens des Histologen die Tendenz obwaltete, in jedem einzelnen Falle die Grenzen dieser Zellen mittels der Methode der Silberimprägnation unstrittig festzustellen. Gegenwärtig befinden wir uns wohl in einer entgegengesetzten Richtung wissenschaftlicher Entwickelung: allgemein merkt man, dass sich ein größeres Interesse dem Studium solcher Strukturen zuwendet, mit Hilfe derer einzelne Zellen einer oder sogar ver- schiedener Gewebearten miteinander verbunden sind, wobei als Auf- gabe der Forschung das Bestreben gilt, den Beweis zu erbringen, dass die Zellreihen untrennbar miteinander verbunden sind!). Die 1) So spricht schon Oscar Schultze auf der XXV. Versammlung der deutschen anatomischen Gesellschaft (16. April 1911) unter allgemeiner Zustimmung Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. 37 vorliegende Arbeit soll sich mit einigen allgemeinen Fragen und Ideen befassen, die im Zusammenhang mit dieser neuen Richtung auftauchen. Es scheint uns aber durch die Besonderheiten dieser Fragen geboten, unserer eigentlichen Arbeit einige allgemeine Be- trachtungen vorauszuschicken. Unseren Gedankengang erlauben wir uns in einer Weise dar- zustellen, die von der in der Biologie üblichen abweicht. In der Biologie wird bekanntlich nur mit der Methode der unmittelbaren Induktion gearbeitet, der Methode der Verallgemeine- rung der Tatsachen nach einem Verfahren, wie es etwa ın der Mathematik angewandt wird, wenn man den gemeinschaftlichen Faktor der einzelnen Glieder eines Polynoms aus der Klammer bringt. Im Grunde bedeutet das, dass man mit großer Vorsicht an die merkwürdige Fähigkeit des menschlichen Verstandes heran- zugehen pflegt, die Intuition heisst, und die oft in wunderbarer Weise solche Tatsachenreihen vereinigt und verallgemeinert (.„er- 'klärt“), die ohne sie gesondert und voneinander unabhängig er- schienen. Jedes vollständige Wissen besteht jedoch aus Produkten einer „weifachen Tätigkeit des menschlichen Verstandes. Die erste Art (1) besteht ım der Sammlung und Anhäufurg immer neuer Tatsachen „ohne jede voreingenommene Idee*, die zweite Art (2) zerfällt natürlicherweise in zwei Unterarten: A. Intuitive Feststellung von „Gesetzen“, d. h. Methoden der Verbindung („Erklärung“) dessen, was unter 1 bezeichnet ist; B. Durchsicht, Prüfung, Verbesserung und Erweiterung des- selben Materials unter dem wohltätigen leitenden Einflusse vorein- genommener Ideen der Unterart A. Für die Zwecke der wissenschaftlichen und sonstigen Tätigkeit ist es jedoch nicht immer notwendig, beide Tätigkeitsarten funk- tionieren zu lassen: sehr häufig genügt auch in der Biologie die unter 1 bezeichnete. In der Tat bietet ein einzelnes Resultat wissenschaftlicher For- schung, das gar keine allgemeine Idee repräsentiert, zuweilen großes, ja packendes Interesse; so ist z. B. ein solches im Grunde verein- zeltes Forschungsresultat, wie das Ehr lic h’sche 606, für die Mensch- heit nicht minder wertvoll als die Lösungsgesetze von Arrhenius und Vant’hoff. Gewöhnlich liegen die Ziele der wissenschaftlichen Forschung in der Art 1 und der Unterart B. So gehört zu den bevorzugten von der „Kontinuität der Muskelfibrillen und der Sehnenfibrillen.““ Siehe Ergänzungs- heft zum XXXVIII. Bd. des anatomischen Anzeigers, S. 65. Arch. f. mikr. Anat. Bd732.7 282 70! Dasselbe behauptet über denselben Gegenstand Kolossow auf der Versamm- lung russischer Naturforscher und Ärzte in Moskau (Januar 1911). 38 Leontowitsch, Das ‚„Syncellium“ als dominierende Struktur etc. Aufgaben des Zoologen das „unvoreingenommene“ Studium der ver- schiedenen Organe des Organismus in ihrer embryonalen Entwicke- lung (Art 1) oder das „voreingenommene“ Studium verschiedener Seiten (der Strukturen oder der Tätigkeiten) des Organismus, die vom Standpunkte der Darwın’schen Theorie besonderes Interesse erregen (B der Art 2)?). Am seltensten und ungewöhnlichsten ist ein wissenschaftliches Studium ın der Naturwissenschaft nach Unterart A. Man darf sogar behaupten, dass sich die moderne Biologie gegen diese Art mit etwas übertriebener Vorsicht verhält. Nichtsdestoweniger scheint uns jetzt der Moment gekommen, wo das Bedürfnis nach der For- mulierung einiger allgemeiner neuer Ideen der Zellehre reif ge- worden ist. Nicht neu ist es eigentlich, dass die Vorstellung von dem oder jenem Gewebe zu der üblichen Vorstellung von der Zelle als von einem abgesonderten, innerhalb des Organismus existierenden, einem „elementaren lebenden Organısmus“, gar nicht passt. Sowohl in bezug auf embryonale Gewebe wie auch in bezug auf Gewebe des ausgewachsenen Organısmus sind Fälle angeführt worden, in denen nicht einzelne Zellen, sondern unzertrennbare Zellkonglomerate, Syneytien vorlagen, wobei jedoch die Forscher, die das konstatierten, es ın jedem einzelnen Falle als vereinzelte Tatsache betrachteten. Soweit ich übersehen kann, stammt die erste derartige Be- hauptung von Lawdowski°), und zwar bezieht sie sich auf quer- gestreiftes Muskelgewebe. Im Jahre 1884 behauptet er mit voller Bestimmtheit, dass jede Muskelfaser ein Synceytium darstelle, und versucht auch den Bau der Nervenfaser vom selben Standpunkt aus zu erklären. In ihrer allgemeinsten Form ıst die Frage der Unzulänglichkeit der herrschenden zellulären Theorie des Baus der Organismen von Rauber gestellt worden, diesem unentwegten Hüter der heiligen Flamme der allgemeinen Ideen in der Wissenschaft, der in unserer Zeit, in der auch erstklassige Gelehrte ihr Interesse hauptsächlich dem Studium verschiedener Details der Naturforschung zuwenden, eine seltene Erscheinung bildet. Rauber und Heitzmann be- trachten den Organismus als etwas Unzertrennbares, als „Symplast*. Das Wertvolle einer solchen Anschauung liegt jedoch mehr in der Anerkennung der Unhaltbarkeit der gangbaren zellulären Theorie, und nicht so sehr ın der Feststellung einer neuen ldee, deren 2) Hier soll nicht der Begriff einer „voreingenommenen Idee“ im oben geschil- derten Sinne mit einer gewöhnlich verstandenen voreingenommenen, d. h. einer individuell beliebten, häufig ohne Grund oder aus Gründen, die mit der Wissen- schaft nichts gemein haben, bevorzugten, verwechselt werden. 3) Militärmed. Journal 1884, Dezember (russisch). Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 30 Einzelheiten an und für sich einige dunkle Punkte der Biologie erhellen könnten. Gleich nach diesen Autoren muss A. Sedgwick*) genannt werden, der die Unzulänglichkeit der zellulären Theorie des Baus des Nervengewebes im embryonalen Leben in bestimmter Weise hervorhebt: Dieser Forscher fand, dass bei den Embryonen der Elasmobranchien „the separate cells have no existence at all“ und dass sich viele Nerven aus Syneytien entwickeln. Um das Jahr 1900 herum findet man schon Ansichten über die syneytiale Natur ver- schiedener Gewebe, die — wie das aus den hier später anzuführen- den Literaturangaben zu ersehen ist — mit viel größerer Bestimmt- heit ausgesprochen werden. Gelegentlich des Studiums der Innervation der menschlichen Haut nach dem Verfahren der vitalen Methylenblaufärbung ihrer Nerven mittels einer besonderen Modifikation sowohl der Färbungs- wie der Fixationsmethode hatten wir uns etwa um dieselbe Zeit auch persönlich mit dieser Frage zu beschäftigen. Ich schrieb darüber damals folgendes’): „Da das Nervensystem einen Teil des- jenigen Körpersystems bildet, das hauptsächlich zur funktionellen Verbindung vieler Elemente dient, so zeigt es im noch größerem Maße als andere Gewebe eine Neigung zur Bildung von Syneytien, die etwa mit einzelnen Muskelfasern zu vergleichen sind.“ Im Jahre 1905 wurde die Idee der Syncytien des Nerven- systems (und zwar in den Nervennetzen der Froschschwimmhaut) von neuem von Oscar Schultze in vollständigerer Weise hervor- gehoben‘). Das geschah — ebenso wie bei mir — unter dem Druck der Notwendigkeit, Tatsachen zu erklären, die in den ge- 4) On the Inadequaey of the Cellular Theory of Development, and on the Early Development of Nerves, particularly of the Third Nerve and of the Sym- pathetic in Elasmobranchii. Quarterly Journ. of wier. science, vol. 37, 1895, p. 87. 5) Internationale Monatsschrift f. Anatomie und Physiol. Bd. XVIII, S. 136. Meine Methoden wurden einige Male von dem bekannten Methylenblaukenner Dogiel sehr ungünstig beurteilt. Er hebt alle Mängel der Methode — auch die bei richtiger Handhabung nicht vorhandenen — sehr scharf hervor und sieht keinen einzigen Vorzug. Auch ich leugne gar nicht die Mängel, deren es vielleicht nicht viel weniger als bei der gewöhnlichen Ammoniummolybdatbehandlung gibt. Ich behaupte jedoch, dass nur durch die Vorzüge der Methode die auf den ersten Blick sonderbaren Ergebnisse meiner Arbeit erklärt werden. Dogiel hat sehr viele Ar- beiten veröffentlicht, und doch ist in keiner von ihnen eine Zeichnung zu finden, die durch Nachfärbung erträglich gefärbt wäre, während sich das durch meine Modi- fikation mühelos erreichen lässt. Die Färbung der Nervenvarikositäten vollzieht sich mit solcher Gleichmäßigkeit und Feinheit, wie das bei keiner anderen Methode gelingt. In jener Arbeit hatten sich höchst unangenehme Fehler beim Nummern- hinweis in bezug auf die Figuren eingeschlichen. Diese Druckfehler sind in der Internat. Monatsschr. Bd. XXIII, S. 8, Fußnote, aufgezählt. 6) Schultze. Beitrag zur Histogenese des Nervensystems etc. Arch. f. mikr. Anat. u. Entwickel. Bd. LXVI, S. 106. 1905. Ramon j Cajal. Die histogenetischen Beweise der Neuronentheorie von His und Forel. Anat. Anz., Bd. XXX, S. 143. 1907. 40 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. wöhnlichen Rahmen nicht hineinpassen wollen. Er schreibt: „Meine Mitteilungen beweisen unwiderleglich, dass die embryonale, mark- lose sensible Faser nichts anderes ist als ein Vielheit von Zellen oder ein aus typischen Neuroblasten hervorgehendes Syneytium, das nicht etwa durch sekundäre Verschmelzung von Zellen, sondern durch kontinuierliche Erhaltung interzellulärer Verbindungen nach vorausgegangener mitotischer Kernteilung entsteht: die morpho- logische Kontinuität der Bausteine ist dem peripheren Nerven- system angeboren. Diese Bausteine werden peripher — ebenso wie zentral — als Neuroblasten zu bezeichnen sein. Sie sind die mark- bildenden Elemente. Besondere markbildende Zellen, welche sich frei ausgewachsenen Fasern sekundär auflagern und diese umscheiden, sogen. Schwann’sche Zellen, gibt es nicht. Soweit die peripheren Neuroblasten zu Teilen der Nervenfasern werden, tritt ihr Kern bei der Markbildung an die Peripherie — an die Innenfläche der Zellmembran oder des Neurilemmas.“ In den Ausführungen A. Schultze’s entbehrte ein wichtiger Punkt, nämlich die Frage über die den Bestandteil des Syncytiums bildenden „Zellen“ der völligen Klarheit: Schultze spricht von ihnen als von Neuroblasten. Diese Unklarheit veranlasste ihn ım XXVI. Bande des Anatomischen Anzeigers (Nr. 22, 23), in seinem Artikel „ein die sogen. Schwann’schen Zellen betreffender Vor- schlag“ auszuführen, dass „die Neurilemkerne histogenetisch Faser- bildungszellen oder Nervenfaserzellen darstellen und den sogen. Sarkolemmkernen analog sind.“ In meiner Erwiderung darauf führte ich 1906”) aus, dass weder das Wort „Neuroblast“, noch der Ausdruck „Nervenfaserzelle* oder „Faserbildungszelle“ den betreffenden Begriff richtig wiedergeben. „Es ist passender, das ‚Kind‘ nicht Neuroblast, sondern allgemeiner ‚Syneytozelle‘ zu taufen, zum Zeichen dafür, dass eine überzeugende Grenze zwischen derartigen Zellen sich nicht feststellen lässt... Die Benennungen ‚Ganglienzelle‘, Nerven,zelle u. a. m. können daher im wesentlichen nur bedingt gebraucht werden, denn alle diese Zellen sind ja Syneytozellen. Die auf Feststellung einer Grenze zwischen diesen Zellen gerichteten Versuche werden stets wenig überzeugend bleiben, und darin haben unsere Gegner voll- kommen recht. Die Ranvier’schen Einschnürungen bilden keine Grenze zwischen den einzelnen ‚Nervenzellen‘; diese Gebilde sind, ebenso wie die Lantermann’schen Inzisuren und vieles andere im Bilde dessen, was Anlass zur Unterscheidung des ‚Neurons‘ gegeben hat, Tatsachen derselben Ordnung, wie die äußere Körperform des Tieres.“ An derselben Stelle sage ich weiter oben: „Hier stoßen wir auf eine Erscheinung, die sowohl in der Biologie überhaupt, 7) „Etwas über Neurilemkerne.“ Anat. Anz, Bd. XXVIII, S. 442. Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete. A + als auch speziell ın der Histologie der höheren Tiere noch unge- nügend aufgeklärt ist — die syncytialen Zellenkonglomerate — eine Erscheinung, die im wesentlichen nahezu allen Körpergeweben gemeinsam zukommt.“ Im Jahre 1905 versuchte ich auf dem zweiten Kongress russischer Psychiater®) die Ansichten über das „Neuron“ und die Prinzipien des Baus des Nervensystems zusammenzufassen, die mir damals — ebenso wie jetzt — unanfechtbar schienen. Von anderen Ver- suchen einer Formulierung der Antineuronideen unterschied sich meine Darstellung dadurch, dass darin die Ansichten über die Syn- cytien resp. Syncellien, von denen hier die Rede sein soll, in ganz bestimmter Weise ausgeprägt waren. Nach diesen Ansichten sind das „Neuron“ so wie die Strukturen, die ich als Remak’sche Netze bezeichne, als verschiedene Formen der Syncellien zu betrachten. Weiter unten werden wir darüber eingehender zu sprechen haben. Schon damals stellte ich in noch bestimmterer Weise den Satz auf, dass alle Gewebe aus Syncytien bestehen. „Von vielen Forschern sind im Epithelgewebe Fibrillen beschrieben, die viele einzelne Zellen durchdringen und miteinander verbinden ( Unna u. a.). Im Bindegewebe finden wir Zellennetze, wie das adenoide Gewebe, und mehr oder minder zahlreiche durch Reagenzien leicht entfern- bare Zellen, die „auf mit Scheiden umgebenen Bündeln kollagener Fibrillen sitzen“, wie das gewöhnliche, lockere und feste, geformte Bindegewebe. Im Muskelgewebe haben wir die quergestreifte Faser, die aus Fibrillen einer Membran und Kernen mit Protoplasma be- steht. Die Bildung von Syneytien ist demnach im Organismus allen Geweben eigen. Den Fibrillen, die nach ihrer chemischen Zusammensetzung und ihren morphologischen Eigenschaften, je nach dem Charakter der Gewebe, verschieden sind, fällt in hervorragender Weise die Rolle zu, die Zellen miteinander zu verbinden. Gegen- wärtig wird nur in dem Nervengewebe, einem koordinierenden Ge- webe par excellence, von den Anhängern der Neuronentheorie die Syneytienbildung geleugnet.“ Beschäftigen wir uns aber zunächst mit anderen Gewebearten. Was das Bindegewebe betrifft, so hat die Frage der Syncytien- bildung in demselben bereits ihre Geschichte. Soweit mir bekannt ist, war Moll?) der erste, der die Frage der syneytialen Natur des adenoiden Gewebes der Lymphdrüsen anregte. Besonderes Inter- S) Arbeiten des II. Kongresses vaterländ. Psychiater (Kiew, 4. Sept. 1905), S. 270 (russisch). In extenso ist die Arbeit im Korsakow’schen Journal (Jahrg. 1907; russisch) unter dem Titel „In welcher Richtung soll die Lehre vom Nervensystem reformiert werden ?“ abgedruckt worden. 9) Das retikuläre Gewebe. Abhandl. d. Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 29, Math. Phys. Kl. 17. 42 Leontowitsch, Das ‚‚Syncellium‘ als dominierende Struktur ete. esse beanspruchen folgende von Spalteholtz!?) bei der Untersuchung verschiedener Bindegewebsformen gewonnenen Tatsachen (die bei Rhode noch nicht zitiert werden). Doch lassen wir Spalteholtz selbst sprechen: „Die Fasern (von Lig. nuchae, nach Spalteholtz gefärbte Querschnitte) stecken also ın einem vollständigen oder jedenfalls fast vollständigen Schlauch von Protoplasma, dem zahl- reiche Kerne eingelagert sind; und dieses Zellsyneytium ist identisch mit demjenigen, in welchem die elastischen Fasern gebildet worden sind. Meiner Ansicht nach geben also die elastischen Fasern des Lig. nuchae bis zu ihrer vollen Entwickelung die ursprünglichen Beziehungen zu ihren Bildungszellen nicht auf; sie entstehen intra- zellulär und bleiben auch später vollständig oder wenigstens in der Hauptsache intrazellulär.“ „An Querschnitten von der Aorta ascendens des Kalbes sieht man jede elastische Platte ıhrer ganzen Länge nach an beiden Seiten von einer verschieden dicken Protoplasmaschicht überzogen, welchen von Strecke zu Strecke Kerne eingelagert sind, und man erkennt, dass dieser dünne Protoplasmamantel da, wo sich zwei Fasern teilen, bis in den Grund des Teilungswinkels hineinreicht.“ In betreff der kollagenen Fasern heisst es: „An feinen Querschnitten der Sehnen des Schwanzes der erwachsenen Maus sieht man nicht nur die bekannten Sehnenzellen mit ihren Ausläufern, sondern er- kennt auch, dass diese Ausläufer zahlreicher sind, als man bisher angenommen, und dass sie nicht nur miteinander anastomosieren, sondern auch mit einer feinen Protoplasmaschicht zusammenhängen, welche das sogen. sekundäre Bündel ununterbrochen überzieht und welcher Kerne eingelagert sind.“ Dieselben Verhältnisse hat er am Bindegewebe in verschiedenen Körperteilen verfolgen können. Eine gute Illustration zu der Arbeit von Moll und zum Teil auch zu der von Spalteh.oltz liefert die kleine ArbeitMorjachin’s!!). Nach seinen Untersuchungen (Methoden von Bielschowski und Timofejew) besteht das retikuläre Gewebe der Lymphdrüsen aus Zellen, in deren Protoplasma Fibrillen liegen, die den kollagenen ähneln, sich von diesen aber doch durch das Verhalten gegen Färbe- reagenzien unterscheiden. Morjachin schreibt ihnen daher eine Zwischenstellung zwischen kollagenen und elastischen Fasern zu. „Die Fasern liegen intrazellulär, gehen von einer Zelle in andere über und befinden sich innerhalb ıhrer anastomosierenden Ausläufer“ (siehe Fig. 1). Im Jahre 1908 veröffentlichte E. Rhode seine histogenetischen Untersuchungen (I, Syneytien, Plasmodien und histologische Diffe- 10) Anat. Anz. Bd. XXIX, Ergänzungsh. S 213, 214 u. 216. 11) Sitzungsprotokolle der Petersb. Kaiserl. Naturforschergesellschaft. Bd. 53, Lief. I, S. 203 (1910). Die Arbeit ist bei A. Dogiel ausgeführt. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 4: wu renzierung), in denen er die Frage nach der Zusammensetzung aller tierischen Gewebe aus Syncytien, als erster und ganz unabhängig von anderen Autoren, an verschiedenen Geweben eingehend studiert. Rhode unterscheidet überall in ganz bestimmter Weise zwei der- artige Gebilde: Plasmodien und Syneytien. Er muss daher viel Mühe aufwenden, um in jedem einzelnen Falle festzustellen, was dort vorliegt und mit welcher Embryogenese der betreffenden For- mation er es zu tun hat. Eine solche Fragestellung kann natürlich nur als richtig anerkannt werden, sie zwingt aber den Forscher, sich auf verschiedene Details der Frage zu konzentrieren, während es doch ım gegenwärtigen Moment am wichtigsten ist, die allgemeinen Ideen der Konstruk- tion der Gewebe festzustellen. In seiner Arbeit hat auch Rhode der dominieren- den Richtung der modernen Biologie, ın der man mehr mit Feststellung neuer einzelner Tatsachen (Art 1 und Unterart B der Art 2, s. S.37 u. 38), als mit der Auffindung neuer allgemeiner Ideen (A der Art 2) rechnet, seinen Tribut gezollt. Weiß doch jeder von uns, den das Schicksal vor die Notwendigkeit stellt, diese Art der Tätigkeit anzuwenden, wie schwer es ist, sich einigermaßen von der Tradition zu befreien und zwischen dem Forschen und Experimentieren Fig. 1. einerseits und dem Denken andererseits @ — Fibrillen des retikulären eine Grenze zu führen, um so mehr Be: ; i ’ b — Leukozyten (nach Mor- als das eine mit dem andern eng ver- jachin). flochten ist. Die vortreffliche Arbeit Rhodes gibt uns eigentlich den ersten Plan der Histogenese des Syncelliums in verschiedenförmigen Ge- weben, und ich weiß nicht, was die Gegner unserer Ideen gegen diese Argumentation erwidern können werden. Dafür beschäftigt sich aber Rhode nur wenig mit der Anatomie und der Klassı- fikation des Synecelliums. Und doch liegt die Sache so, dass die Entstehungsart des Syncelliums für die Feststellung einer richtigen zentralen Idee des Syncelliums!?) weniger wichtig ist als die Be- obachtung verschiedener Details der Struktur und der Varietäten des Syncelliums. Die Beleuchtung dieser von Rhode nicht ge- nügend berührten Verhältnisse soll den Inhalt unserer Arbeit bilden. Diese Aufgabe erschien uns um so gebotener, als die Struktur des 12) Siehe unten. 44 Leontowitsch, Das „Syncellium‘‘ als dominierende Struktur etc. Nervensystems die uns interessierende Frage am besten beleuchtet, während bei Rhode gerade das Nervensystem auf Grund solcher Forschungsmethoden behandelt und illustriert wird, die den Neuro- logen kaum imponieren können. Außerdem erforderten unseres Erachtens einige strittige Fragen (über die Gruppe der Bindegewebe, die Zuverlässigkeit der Syncellientheorie) mehr Beachtung und ein- gehendere Behandlung. Es ist noch hinzuzufügen, dass der Ausdruck Syncytium um die Zeit von 1905-1907 populär wird und in der Literatur ziem- lich häufig bei verschiedenen Gelegenheiten gebraucht wird, ohne dass auf seinen Begriff eingegangen wird. 2. @rundideen und Definitionen zur Syncellientheorie. 1. Zelle. 2. Plasmodium, Syncytium, Syncellium, Syncellozelle, Synecellit, Syncellon, Syncelloformit, Syncelloblast, Syn- cellodegenerid. Über Punkt 1 brauchen wir uns natürlich nicht auszulassen, dagegen erfordert Punkt 2 eine nähere Betrachtung. Unter Plasmodium versteht man gewöhnlich ein solches Ge- bilde, das aus der Nachkommenschaft einer Zelle besteht, bei deren Vermehrung keine vollständige Trennung vor sich gegangen ist: die Kerne sind getrennt worden, das Protoplasma ist jedoch ge- meinsam geblieben und weist — wie das häufig angenommen wird — keine weitgehende Differenzierung auf. Syneytium nennt man ein Gebilde, das seiner Morphologie nach mit dem Plasmodium völlig identisch ist und sich nur dadurch von ihm unterscheidet, dass es nicht als Produkt einer Zelle, sondern durch Verschmelzung mehrerer Zellen zustande gekommen ist, wobei diese letzteren sich ferner ebenso wie die Plasmodien verhalten. Häufig wurde dem Syneytium auch ein sehr differen- ziertes Protoplasma zugeschrieben. Man muss jedoch sagen, dass auch sehr angesehene Biologen zuweilen das Wort Syneytium ge- brauchen, um das zu bezeichnen, was aus einer Zelle hervor- gegangen ist (s. O. Hertwig, Allgem. Biol., Jena 1906, S. 404). Die Unterscheidung zwischen Plasmodium und Syncytium wurde auch schon früher mehrfach gebraucht, ist auch bei Rhode durch- geführt, und wir müssen mit ihr rechnen; sie ist auch zuweilen nützlich und notwendig. Für die Zwecke unserer Arbeit ist sie aber dadurch unbequem, dass sie stets nicht immer unstrittige histo- genetische Fragen plötzlich wachruft, die für uns keine besondere Bedeutung besitzen, während die Betrachtung der zentralen Idee unserer Arbeit unnötig kompliziert wird, wenn „syneytiale“* Eigen- schaften dem Plasmodium — oder umgekehrt — zugeschrieben werden. Aus diesem Grunde hätte ich zur Bezeichnung des allge- Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete. 45 meineren Begriffes, d. h. zur Bezeichnung dessen, was morpho- logisch sowohl dem Plasmodium als dem Syncytium entspricht, den neutralen Namen Syncellium vorgeschlagen. Hierbei lassen wir die Abstammung von einer oder mehreren Zellen unberück- sichtigt, wır erörtern nur das fernere Schicksal und verschiedene Eigenschaften und Eigentümlichkeiten einer solchen zellulären Kon- struktion und ignorieren eine Reihe von Fragen, die strittig sein könnten, wenn man mit Plasmodium ein Syneytium — oder um- gekehrt — bezeichnen würde. Das Wort soll natürlich vom griechi- schen ovv und dem lateinischen cellula — deutsch Zelle — her- geleitet werden (sit venia verbo!). Einen dem Syncellium korrelativen Begriff bildet die Syn- cellozelle oder einfach „Synzelle“, worunter der Teil des Syn- celliums verstanden wird, den man ungefähr als Zelle betrachten kann, ohne Rücksicht darauf, dass er nicht von andern ähnlichen „Zellen“ abgesondert werden kann. So stellen eigentlich die ein- zelnen „Zellen“ im Netze des adenoiden Gewebes ihrer Bedeutung nach keine eigentlichen Zellen, sondern Syncellozellen dar; dasselbe lässt sich von den Zellen sagen, aus denen das periphere Re- mak’sche Nervennetz besteht und von andern mehr. Wir haben es hier also nicht mit selbständigen Gebilden, sondern mit solchen zu tun, die mit andern ähnlichen Zellen so sehr verknüpft sind, dass sie nur dann Zellen genannt werden können, wenn man über- einkommt, von dem Fehlen ihrer strengen Isoliertheit abzusehen. Die hier soeben berührte Frage nach der Benennung der Be- standteile des Syneytiums, resp. des Syncelliums, trat eigentlich schon mehrfach bei verschiedenen Gelegenheiten — namentlich ın der Neurologie — an den Biologen heran. Soweit mir bekannt ist, tritt uns etwas Ähnliches zuerst bei Apäthy'*) im Jahre 1889 entgegen. Obgleich er sich zu den Anhängern der Zellentheorie zählt, gebraucht er doch mit Vorliebe zur Bezeichnung der Bestand- teile des Nervensystems statt des Wortes Zelle die Worte „Spindel“, „Nervenspindel“, was nach seiner Erklärung soviel wie „spindel- förmige Nervenzelle* bedeuten soll. Hier wird als Grundlage der Terminologie die zufällige morphologische Charakteristik des Ge- bildes, die Spindelform, gewählt. Das passte für die vom Autor ins Auge gefassten Ziele, beansprucht aber keine allgemeinere Be- deutung. Es will mir aber scheinen, dass darin schon eine viel- leicht nicht ganz bewusste Unzufriedenheit mit dem unzulänglichen üblichen Begriff der Zelle steckt. Im Jahre 1900 hatte ich einen ziemlich misslungenen Versuch gemacht, dem Mangel des Begriffes der Syncellozelle abzuhelfen. Für Teile der von mir in der mensch- lichen Haut beschriebenen Remak’schen Netze sowie für die kern- 13) Biol. Centralbl., Bd. IX, S. 604—605. „Nach welcher Richtung hin soll die Nervenlehre reformiert sein?“ 46 Leontowitsch, Das ‚Syncellium‘ als dominierende Struktur etc. haltıgen Telodendrien der markhaltigen Nerven und in vielen Fällen auch für die „Schwann’schen Zellen“ der Nerven schlug ich ın meiner russischen Arbeit!) den Namen „Neuroidzelle* vor. Der Name ist deshalb unpassend, weil das Suffixum „oid“, das auf einen Gegensatz zu dem, was früher darunter verstanden wurde, hinweist, fälschlich dem Begriff Nerv und nicht, wie es erforderlich war, dem Begriff Zelle angehängt wird. Das fiel mir bei der Übersetzung in die deutsche Sprache auf und ich ersetzte den Ausdruck „Neuroid- zelle* ebenfalls unpassend durch den ın der oben zitierten Arbeit von Apäthy eingeführten Terminus „Nervenzelle“, worunter ein Gegen- satz zur „Ganglienzelle* verstanden werden sollte. Unpassend ist der Ausdruck deshalb, weil ich mir den Nerv nicht als Kette solcher Zellen, als „Zellenkette“, sondern als sehr kompliziertes Syncellium vorstellte. Diese Terminologie war für mich also unbrauchbar und führte zu Missverständnissen, da ich einerseits das Syneytium mit voller Bestimmtheit im Nervensystem anerkenne und mich anderer- seits eines Ausdrucks bediente, der von einem das Syneytium — übrigens nur in gewissem Grade — ausschließenden Standpunkte aus geprägt worden war. Im Jahre 1905 beschrieb O. Schultze (l.c. S. 53) ın der Haut der Froschlarven Gebilde, die wir Re- mak’sche Netze nennen, und schlug zur Bezeichnung der Zelle den Namen „Neuroblast“, zur Bezeichnung der Netze selber den Aus- druck „Nervenfaserzellennetz“ vor. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass eine solche „Zelle“ sowohl permanent Neuroblast bleiben, als auch unmerklich in eine Nervenfaserzelle übergehen kann, während letztere natürlich zur „Zelle der Schwann’schen Scheide“ wird. Der Ausdruck Neuroblast, für den O. Schultze so nachdrücklich eintritt, kann demnach seiner Unbestimmtheit wegen nicht Anspruch darauf erheben, allgemeiner Terminus zu werden, und der Aus- druck „Nervenfaserzelle“ für die bei Schultze beschriebenen Zell- varietäten kann zu denselben Missverständnissen Anlass geben wie das von mir gebrauchte Wort „Nervenzelle“. Dieselben Einwände, die hier gegen den Ausdruck „Neuroblast“ angeführt sind, sind auch gegen den von Lenhossik, Ramon j Cajal u. a. gebrauchten Ausdruck „Lemmoblast“ (s. z. B. die unten zitierte Arbeit Cajal’s) zu erheben, wobei hinzuzufügen ist, dass die ganze Richtung, die für die syneytiale Natur des Orga- nismus eintritt, von den Anhängern der „Lemmoblasten“ prinzipiell verworfen wird. Ihre volle und natürliche Entwickelung erlangt die Idee von der Bedeutung dieser Zellen in dem von mir veröffentlichten und oben bereits zitierten Aufsatze „Etwas über die Neurilemmkerne“. Hier behandle ich in einem Spezialfalle hauptsächlich die Frage 14) Memoiren der Kais. Akad, der Wissensch. VIII. Serie, Bd. IX, Nr. 9, S. 45. De Vries, Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. en —! über die Bedeutung der Schwann’schen Kerne und stelle den Be- griff „Syneytozelle“ auf. Jetzt dehnen wir den Begriff Synceyto- zelle, Syncellozelle oder einfach Synzelle auf das ganze weite Ge- biet der Syncellien aus'°). Durch diesen Begriff und diesen Terminus sollen die Begriffe Neuroblast, Nervenzelle — im (etwas modifizierten) Apäthy’schen Sinne —, Ganglienzelle durchaus nicht beseitigt werden: alle diese letzteren Begriffe werden auf diese Weise nur zu Varietäten der Nervensynzelle, wir verändern nur etwas ihren Sinn, legen ihnen die Bedeutung von Synzellen bei und ordnen sie unter den allgemeinen Begriff der Synzelle. Etwas schwieriger ist die Frage, ob es nicht besser wäre, für die reifen „Schwann'- schen Zellen“ die Namen Nervenfaserzelle im Gegensatz zu Ganglien- zelle zu behalten. Doch hat der Terminus Nervenzelle (Apäthy) nicht die unangenehme Nuance, die dem Worte „Faser“ innewohnt, das die Bedeutung dieser Zellen für die Bildung der eigentlichen Faser, d. h. des Achsenzylinders, im Gegensatz zur Bildung der Scheiden durch diese Zellen, zu sehr betont, während doch die Nervensyncellozellen innerhalb ihres Syncelliums sowohl das eine wie das andere differenzieren. Man kann daher diesen Ausdruck kaum empfehlen, und der ältere Apäthy’sche Ausdruck „Nerven- zelle* ıst jedenfalls vorzuziehen. (Schluss folgt.) Hugo de Vries, Die Mutationen in der Erblichkeitslehre. Berlin 1912, 42 Seiten. Das Heftchen enthält einen von de Vries bei der Eröffnung der Rice-Universität in Texas gehaltenen Vortrag, in dem der Verf. einiges über die Entstehung seiner Mutationstheorie und deren Schicksale in den 10 Jahren seit Erscheinen des großen Werkes mitteilt. Er präzisiert dabei seine Stellung in der Erblichkeitslchre und wendet sich gegen verschiedene Missverständnisse und Ein- wände. Er betont, "dass die Mutationstheorie weder aus der Bastard- lehre noch aus seinen Beobachtungen an Oenothera Lamarekiana hervorgegangen sei. Sie sei ein Kind der Pangenesis-Hypothese. Ein weiterer Irrtum sei es, anzunehmen, dass dıe Mutations- lehre der Selektionslehre feindlich gegenüberstehe. Sie gebe viel- mehr erst die erblichen Veränderungen an, durch die die Auslese wirksam werde. An der scharfen Unterscheidung zwischen den quantitativen Fluktuationen und den qualitativen “Mutationen hält de Vries fest. Die Unklarheiten der Orthogenesislehre und des Neo-Lamarckiısmus werden hervorgehoben. Beide sind mehr Be- zeichnungen für ein bestimmtes Geschehen als dessen Erklärung. Schließlich werden einige Bemerkungen zu dem „Kampfe um die Oenotheren* gemacht. Es sei wichtig, dass Oenothera biennis und ©. grandiflora ähnliche erbliche Formen abspalteten wie O0. La- marckiana. Man kann daraus schließen, dass das Vermögen zu mutieren schon den gemeinsamen Vorfahren eigen gewesen sei. 15) Anatom. Anzeig., Bd. XXVIII, S. 443. 48 Fischer, Die Nephritis. Die eigenartigen Eigenschaften der 0. Lamarckiana auf deren an- genommene Bastardnatur zu schieben, gehe nicht an. Dagegen spreche schon das gleiche Verhalten der verwandten Arten. Bou- lenger z. B., der diesen Einwand erhebt, habe allerdings Bastarde in Händen gehabt, aber die Nachkommen seiner Pflanzen hätten auch mit des Verf. Mutationen nichts zu tun. Unter diesen komme freilich nur eine einzige progressive Art, OÖ. gigas, auf viele retro- gressive und degressive, aber in den polymorphen Typen anderer Gattungen sei das auch so. Dass, wie behauptet werde, alle Bastarde und alle Merkmale mendelten, sei entschieden falsch. Die Oenothera-Mutanten verhielten sich jedenfalls zum Teil anders. Es werden statistische und Erblich- keitsgründe dafür angeführt, dass O. gögas wirklich eine gute pro- gressiv entstandene Art sei, wenn sie auch nur in einer Merkmals- einheit von der Stammart verschieden sei. Wenn die O. nanella- Zwerge nach der Entdeckung von Zeylstra auch dauernd Bakterien in ihren Zellen beherbergen, so sei ihre abweichende Form doch nicht allein durch diese Krankheit hervorgerufen. Letztere lasse sich heilen, ohne dass dadurch wieder 0. Lamarckiana entstünde. Gegen die Bastardnatur der 0. Lamarckiana spreche auch der Um- stand, dass die dazu erforderlichen Arten, nach denen die Nach- kommen zurückschlügen, tatsächlich gar nicht existieren. Da stich- haltigere Einwände nicht erhoben worden seien, bleibt der Verf. bei seiner Auffassung. E. G. Pringsheim, Halle. Martin H. Fischer. Die Nephritis, eine experimentelle und kritische Studie ihrer Natur und Ursachen u. s. w. Über- setzt von H. Handovsky und Wo. Ostwald. Th. Steinkopf, Dresden 1912, Das Fischer’sche Buch wird allen denen nicht uninteressant sein, welche die Bedeutung der Kolloidehemie für biologische Fragen erkannt haben; es enthält eine Fülle lesenswerter, wenn auch nicht immer neuer kolloidehemischer Beobachtungen und Tatsachen. Frei- lich ist es dem Buche nicht von Vorteil, dass der Untertitel „experi- mentelle Studie“ doch zu einem beträchtlichen Teil zu Unrecht besteht. Im Vordergrunde der Experimentalstudien steht der be-. günstigende Einfluss von Säuren auf die Löslichkeit in Gelform vor- handenen Eiweißes. Die Schlüsse, die der Verf. aus solchen Ver- suchen auf die Pathologie der Nephritis zieht, gehören nicht mehr in den Rahmen dieses Blattes; zu ihrer Charakteristik genügt es, anzuführen, dass die Hypothese des Verf. darin gipfelt, dass ein In-Lösung-Gehen der gelförmigen Zellmembran der Niere unter dem Einfluss von Säuren das Wesen jeder Albuminurie ausmache. Eine Aufstellung, die durch die gleiche lückenhafte Logik gestützt wird, die den Verf.z. B. auch dazu verführt, bei den chemotaktischen Vorgängen an Leukozyten Viskositätsänderungen in dem sie um- gebenden Medium eine wesentliche Rolle zuzuweisen! Loewe. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXXIIlI 20. Februar 1913. NR. — . — u - EEE en nn —— m ———n Inhalt: Leontowitsch, Das ‚„Syncellium‘ als dominierende zelluläre Struktur des tierischen Orga nismus. — Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. — Drucker und Sehreiner, Mikrokryoskopische Versuche. — Zacharias, Zu den Umfärbungsphänomen der Stabheuschreeke Diürippus morosus. — Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organis- mus. — Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. Das „Syncellium“ als dominierende zelluläre Struktur des tierischen Organismus. (Dem Andenken Theodor Schwan’s gewidmet.) Von A. Leontowitsch (Kiew). (Schluss. Die Bedeutung der übrigen Bezeichnungen lässt sich am besten — ebenso wie manche Eigentümlichkeiten der Syncellien — an der Hand der Betrachtung einiger Syncellien erläutern. Als unbestrittene Syncellien sind besonders hervorzuheben: 1. Die „Riesenzellen“ des Knochenmarks oder, noch besser, Riesenzellen unter pathologischen Bedingungen. 2. Die quergestreiften Muskelfasern eines Wirbeltiers. 3. Das „Neuron“, wie es in der ursprünglichen Theorie von der vollständig abgesonderten Existenz einzelner Neurone ohne jeden Zusammenhang mit andern ähnlichen „Einheiten“ aufgefasst wird (jedoch mit dem Unterschiede, dass wir zum Neuron auch alle Schwann’schen und andere Scheidenzellen zählen). Zu den Eigentümlichkeiten der ersten Gruppe (1) gehört: a) Gleich- mäßigkeit der Kerne (gewöhnlich), b) geringe (sichtbare) Difleren- zierung!) des körnigen Syneytoplasmas (des „Protoplasmas“ in der 16) Möglich ist es, dass diese geringe Differenzierung in diesem Falle nur eine scheinbare ist: als Organ der Phagocytose differenziert eine solche „Zelle“ das XXXII,. 4 50 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. üblichen Vorstellung), c) die (jedem Syncellium eigene) Zusammen- setzung aus gleichförmig differenzierter Syncellozelle (s. Fig. 2). Eigentümlichkeiten der zweiten Gruppe (2) sind: a) Gleichmäßig- keit der Kerne, b) das Durchdringen kontraktiler Fibrillen (Syn- cellie) durch das Syncelloplasma, c) das Vorhandensein einer die Fibrillen zusammenklebenden Interfibrillärsubstanz, d) die Exı- stenz eines körnigen Protoplasmas ın der Umgebung der Kerne, e) eine für das ganze Syncellium gemeinsame „strukturlose“ Sarko- lemmscheide. Man kann demnach sagen, dass die Gebilde der ersten und der zweiten Gruppe aus gleichförmig, aber in jedem Falle ver- schieden differenzierter Syneytozelle bestehen. Die Eigentümlichkeiten der dritten Gruppe (3) sind besonders zahlreich und mannigfaltig: a) Die Syncellozellen sind sehr verschieden diffe- renziert: stets ist eine „zen- trale“ „Ganglien“synzelle vorhanden, die durch ihre Größe alle andern übertrifft, ! I die dadurch als Schwann’- Fig. 2. Ein von Phagocyten der Bipinnaria sche Scheidenzellen oder (einer Larve des Seesterns Astropecten) gebl- auch als Lemmoblasten detes Plasmodium (nach der neueren Termino- (Cajal) angesehen wurden ie Syneytium). > 5 Nach ee ee über ver- (vgl. damit meine Auslas- gleichende Pathologie der Entzündung), Peters-- Sungen in der Internat. burg 1912. Monatsschr.f. Anat.u. Phys., Bd XVII 5. 13%): b) Dementsprechend sind auch die Kerne sehr verschieden differenziert: der Kern der „Ganglienzelle“ ist rund, groß, bläschen- förmig, besitzt ein scharfes Kernkörperchen u. s. w., was dadurch bedingt ist, dass solche „Zellen“ oft Derivate einer embryonalen Nervenfurche sind. Die Kerne der Scheiden dagegen sind länglich, mit einer größeren Zahl von Kernkörperchen versehen und sind von geringerer Größe, da sie oft Derivate des embryonalen Epithels sind. Größer als der Unterschied in der Differenzierung der Kerne der Synzellen ist der Unterschied in der Größe des Protoplasmas (im weiten Sinne dieses Wortes), das zu einem Kerne gehört. Dem widersprechen nicht die in der neuesten Monographie von H. Held (Ent- wickelung des Nervengewebes bei Wirbeltieren, Leipzig 1909) beschriebenen Befunde. Protoplasma in der Richtung des Organs, das die nötigen Enzyme produziert, d.h. in einer Richtung, die sich nur schwer feststellen lässt. Doch hindert das nicht, (lass diese Gruppe ein für unsere Zwecke gutes Beispiel liefert. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. Sl Held (S. 93) hat bewiesen, dass die Nerven in ihrer Entwickelung zunächst als kernlose Fäden wachsen, die erst später Kerne aus dem primären „Epithelbinde- gewebe‘“‘ (dem Szilly’schen Netze) erhalten, das ein nachher mit dem später ent- stehenden mesodermalen Bindegewebe in Verbindung tretendes Syneytium darstellt. In der Entwickelung der Nerven unterscheidet er folgende Stadien: 1. kernfreies Stadium, 2. primäres kernreiches Stadium, in dem die zahlreichen Kerne aus dem oben erwähnten „Epithelbindegewebe‘‘ stammen, 3. sekundäres Stadium, reich an Kernen „durch die peripher vorschreitende und umfangreiche Auswanderung von medullogenen Zellen längs einem bereits vor- handenen Neurofibrillenzug und in kontinuierlicher plasmatischer Verbindung mit ihm“ !”). Medullogene Zellen sind die Nachkommen desselben „Epithelbindegewebes‘. Die Nerven selbst, die „Achsenzylinder‘‘ wachsen nach Held so, wie sich das ungefähr His vorgestellt hat. Die Nervenfibrillen wachsen in die Netze des „Epithel- bindegewebes‘ hinein und zwar heisst es: „Ein wirkliches Freiwerden der neuro- fibrillären Nervenbahn aus dem verzweigten Plasma des zelligen oder auch dem des epithelialen Bindegewebes vor dem Vorrücken der Schwann’schen Zellen habe ich nirgends mit irgendwelcher Sicherheit beobachtet. Wenn also auch die Be- reicherung der peripheren Strecke mit ihren spezifischen Zellen ein sekundärer Pro- zess ist, so bedeutet er doch keineswegs die nachträgliche Umhüllung einer zuvor und an und für sich in ihrer ganzen Länge frei und unbekleidet gewesenen oder gewordenen Nervenbahn“ (S. 138). Über die Held’schen Ausführungen haben wir folgendes zu sagen: Es ist kaum ein zuverlässiges Argument denkbar, das die Richtigkeit gerade der Held’- schen Ansicht beweisen könnte. Ungezwungener scheint uns die Ansicht, nach der dieses sonderbare „Epithelbindegewebe‘“ nichts anderes ist als ein primäres Re- mak’sches Nervennetz, das dabei nicht aus der Nervenfurche, sondern aus dem Epithel anderer embryonaler Teile stammt, d. h. das ist, was sich aus unseren Be- merkungen zu Punkt b ergibt. Die ursprüngliche geringe Anzahl der Kerne (die „Kernlosigkeit‘) kann durch- aus nicht, wie Held das annimmt, als Argument gegen das Syncellium angeführt werden, denn größerer oder geringerer Kernreichtum hängt von den inneren physio- logischen Bedürfnissen und Möglichkeiten jedes gegebenen Syncelliums ab; bald besitzt ein kleines Syncellium viele Kerne, bald besitzt ein großes nur wenig Kerne, in beiden Fällen wird es sich aber doch um Syncellien handeln (vgl. noch unten, S.81, Fig. 18). Hier ist noch hinzuzufügen: 1. dass man den Zellen nervöser Natur die Fähigkeit im allgemeinen, Ketten, d. h Syncellien, zu bilden, nicht absprechen kann, was auch in einigen Fällen von Held selbst anerkannt und durch seine Figuren (z. B. Fig. 121, 122, 123, 173, 178, 204, 216, 241 und einige andere, die sich auf die verschiedensten Gebiete des Nervensystems beziehen) ausgezeichnet illu- striert wird; 2. dass die Fibrillarität durchaus nicht eine ausschließliche Eigenschaft des Nervengewebes, sondern fast allgemein allen Syncellienarten eigen ist. Die erwähnte Ungleichmäßigkeit der Syncellozelle in den ein- zelnen Arten der Nervensyncellien hat den Grund zu einem der wichtigsten Argumente der Neuronenanhänger gegen die Zellen- 17) In den Befunden Held’s ist eigentlich viel Gemeinsames mit dem, was uns als Postulat erschien, das sich aus dem Studium der Innervation der mensch- lichen Haut ergibt (vgl. Internat. Monatsschr., Bd. XVIII, S. 136ff.), obgleich sich meine Ausführungen mit denen von O. Schultze berühren Die Held’sche Fig. 131 der „kernlosen“ Nerven erinnert außerordentlich an einige Nerven der Cornea, nur sind hier Kerne vorhanden und weisen nur einen sehr großen Variationskoeffizienten auf, d. h. man muss annehmen, dass sie zum Teil degenerieren. 4* 52 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. kettentheorie des Baus des Nervensystems gegeben. Ich meine den Umstand, dass Nervenwurzeln vielfach als „kernlose Auswüchse“ zentraler Ganglienzellen entstehen. Diese Eigentümlichkeit des Baus ist nicht überall gleich ausgeprägt, wie das am besten aus den Aus- führungen Dohrn’s folgt, der sich so viel mit der Erforschung der embryologischen Entwickelung verschiedener Nerven beschäftigt hat. So schreibt er in der letzten seiner Studien!®) folgendes: 1908. „Von welcher Bedeutung dabei für den Verfasser dieser Studien die Untersuchung der Trochlearis-Entstehung (bei Squalliden) ge- worden ist, erhellt am klarsten aus dem Umstand, dass er durch diese Untersuchung von einem Anhänger der Zellkettentheorie zu einem Anhänger der Auswachstheorie im Sinne His geworden ist.“ und S. 412 " ... „dass der Trochlearis ın seiner ganzen Länge von Chiasma an bis zum Obliquus superior ohne einen einzigen Kern bestehen konnte, mit anderen Worten, dass er ein ausschließliches Aus- wachsungsprodukt seiner im Zentralnervensystem liegenden Ganglien- zelle sein musste.“ Doch zeigt auch hier die Syncellientheorie einen vollständig befriedigenden Ausweg: das Neuron besteht aus Syncellozellen, Derivaten des Hautepithels und aus zentralen Gliedern, Derivaten der Nervenfurche. Die Protoplasmamenge jener ist gering, dagegen ist bei diesen die Menge des „Protoplasmas“, wie überhaupt die „Energiefähigkeit“, im Vergleich dazu enorm. Nun ist es natürlich, dass bei der Kombination beider Formen. in einem Syncellium ver- schiedene Fälle möglich sınd: es sind Fälle mit solchem auffallenden Fehlen „Schwann’scher Kerne“, wie in dem Trochlearis der Squal- liden, denkbar. Es sind auch Fälle mit großer Menge von Kernen möglich, wie solche, die Dohrn früher sah und die durchaus nicht den Eindruck in ıhm hervorriefen, dass sie mit der Vorstellung vom Nervensystem als von einer Zellkette unverträglich sind. In diesen Fällen muss man an Syncellien denken, welche den Syncellien elektrischer Organe analog sind, die unten S. 81 (Fig. 18) abgebildet sind: dort sind einige Teile der Syncellien im Stadium b, ce und d deutlich „kernfrei“. Das Neurosyncellium bietet für solche Schwankungen der Kernzahl besonders günstige Verhältnisse, weil es, wie wir schon hervorgehoben haben, aus verschiedenen Teilen des embryonalen „Epithels“ stammt. Solche verschiedenartige Kerne besitzen auch verschiedene Energiefähigkeit, was wiederum an der Morphologie des Syncelliums zum Vorschein kommt. Das sympathische Nervensystem. entwickelt sich aus ursprünglich fast 18) Dohrn. Studien zur Urgeschichte des Wirbeltierkörpers. 25. Studie. Mitteil, a. d. zool. Stat. zu Neapel. S. 411, Bd. X VIII, 1906/1908. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 53 gleichartigen Zellen, andere Nerven entstehen aus Zellen verschie- dener Dignität, wobei diese Ungleichheit der Dignität in verschie- denen Nerven verschiedene Grade erreicht. Der Umstand, dass es an einer vollständigen Formulierung der Idee des Syncelliums in dem von uns dargelegten Sinne mangelte, stand auch der oben zitierten Arbeit Held’s im Wege und hin- derte diesen Forscher, das von ıhm gewonnene ausgezeichnete Versuchsmaterial richtig zu würdigen. c) Das Syncelloplasma erweist sich als sehr verschieden diffe- renziert: ein Teil verwandelt sich ın eine „Mark-“, ein andrer Teil in eine „Schwann’sche“ Scheide mit der Entfaltung aller Details ihrer Konstruktion. Ein dritter Teil wird zu dem, was unter d und e ausführlicher besprochen werden soll. d) Im Syncelloplasma entsteht ein sehr komplizierter fibrillärer Apparat, wobei die einzelnen Fibrillen durch die Apäthy’sche sogen. Zwischenfibrillensubstanz zusammengeklebt sind. Dieser Apparat weist in verschiedenen Teilen des Syncelliums eine sehr verschie- dene Konstruktion auf, die der Verschiedenheit der Syncellozellen, aus denen das Syncellium zusammengesetzt ist, entspricht. Im Syncelloplasma der zentralen Syncellozelle formt sich das mächtige zentrale Fibrillengitter der Ganglienzelle (auf die Einzelheiten gehe ich hier nicht ein). Ein zweites, weniger entwickeltes Gitter ent- steht in den „Telodendrien“ (hierselbst entstehen, wie es scheint, zuweilen körnige Gebilde, die den körnigen Gebilden des Proto- plasmas der Ganglienzelle ähnlich sind), Längs des Neurits ist dann meist der kabelartige fibrilläre Mechanismus entwickelt. Diesen ganzen fibrillären Apparat, sowohl im Gebiet der „Ganglien- zelle“ als auch ım „Neurit“, sowie in den Telodendrien nennen wir in seiner ganzen organoiden Kompliziertheit Syncellon. Durch diese Bezeichnung zollen wir der Neurontheorie, die die Organoidität der „Einheiten“ des Nervensystems zuerst formuliert hat, unsern schuldigen Tribut. Einzelne Abschnitte des fibrillären Apparats, d.h. des Syncellons, nennen wir Syncellit (analog dem Neurit!). Eine besondere Abart der Syncellone bilden die Membran- syncellone — die Lemmosyncellone. Letztere gelangen nicht im Nervengewebe, sondern in anderen Gewebearten, wie z. B. im Muskelgewebe, am besten zur Entwickelung. So ist das Sarkolemm des Muskels ein Lemmosyncellon. Zuweilen entwickelt sich das Lemmosyncellon nur an einer Seite des Syncelliums. So scheidet z. B. das längst anerkannte (vgl. ©. Schneider, vergl. Histol. der Tiere) Syncytium der Trachea der Wirbellosen nur an einer Seite des Syncelliums die Chitinmembran aus. Im Nervengewebe ist die Schwann’sche Scheide natürlich ebenfalls ein Lemmosyncellon. Die Lemmosyncellone entwickeln sich ebenfalls als eine dem ge- samten Syncellium eigene gleichartige Struktur. Das wird durch JA 54 Leontowitsch, Das ‚„Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete. die Beobachtungen von Gurwitsch'?) am Nervengewebe und von Rhode am Muskelgewebe vortrefflich illustriert. Auf Fig. 3—5 sind die Gurwitsch’schen Befunde abgebildet. Rhode. Syneytien, Plasmodien, Zellbildung und histologische Differenzierung. 1908. S 14. Nach Rhode entwickeln sich die späteren Sarkolemme als „direkte Differenzierung des Spongioplasmas (spongioplasmatischen Faserngewebes) der Ei- zelle‘“‘, d. h. unabhängig von den Muskelkernen. Dieser Befund gleicht dem, was von Gurwitsch in bezug auf die Entwicke- tung der Schwann’schen Scheiden beschrieben ist. Die linke Seite der Figur ent- spricht einem früheren Entwickelungsstadium (analog der Fig. 3 und a und b der Fig. 4 bei Gurwitsch), die rechte einem späteren Entwickelungsstadium (Fig. 2 und c der Fig. 4 von Gurwitsch). Im Jahre 1908 beschreibt Rhode dasselbe im Muskelgewebe (l. c.). Da Gurwitsch und Rhode, trotzdem sie verschiedene Stand- punkte einnehmen, darin einig sind, dass sich die Scheiden (die Schwann’sche und das Sarkolemm) vollständig unabhängig von den Zellen (den Schwann’schen und den Muskelzellen) entwickeln, so wirken ıhre Beobachtungen besonders überzeugend. Beides ergibt sich aber einfach und natürlich aus dem Um- stande, dass sich das Membranensyncellon nicht in Abhängigkeit von den Zellen, sondern als bestimmter funktioneller Teil des Syncelliums entwickelt. Ob man hierbei — wie das Rhode oflen- bar unbewusst tut — an die (zwar von ihm nicht direkt aufgestellte) Theorie denken soll, wonach nicht nur omnis cellule e cellula, sondern auch omnis membrana (Sarkolemma etc.) e membrana, kann erst nach vielen weiteren Beobachtungen entschieden werden. Vor- läufig halten wir die Gurwitsch’schen (seine Fig. 2) und Rhode'- schen Argumente für nicht so überzeugend, dass wir unsere plau- siblere Erklärung desavouieren sollten. Schwer ist es auch, sich auf den Standpunkt derer zu stellen, die (wohl auch wenig bewusst) geneigt sind, überall, wo es Hüllen gibt, darin ein Produkt des Bindegewebes zu sehen. (Diesem Standpunkt nähert sieh Gur- witsch.) Ist doch die Produzierung der Kutikula den verschie- densten Geweben eigentümlich. .. .e) Aus einem Neuronsyncellium entsteht demnach durch das Überhandnehmen einer zentralen Synzelle über die andern Teile des Syncelliums und durch den engen Zusammenhang zwischen allen seinen Teilen eine Einheit neuerer höherer Ordnung, die ihren Eigenschaften nach so sehr einer Zelle gleicht, dass es auch jetzt viele Biologen gibt, die überzeugt sind, dass das Neuron eine Zelle, und die Neuronentheorie keine Theorie, sondern eine der konkreten Beobachtung unmittelbar zugängliche Tatsache sei. Der Gedanke, dass viele Teile des Syncelliums (wie Fibrillen, Scheiden) so wachsen, 19) Gurwitsch. Die Histogenese der Schwann’schen Scheide. Arch. für Anat. (u. Physiol.), 1900, S. 85. Fig. 3. Schafembryo 10 cm Länge. Nachvergoldung nach Apäthy. Die Fibrillen gelblichbraun, die Kerne braunrot. Die Zwischenlamellen (Sch wann’sche Scheiden) tief violett tingiert. p — perineurale Zellen, am Rande ebenfalls violett gefärbt. Fig. 4. Längsschnitt aus demselben Objekte. (Kein Zusammenhang zwischen Scheiden und Kernen, nach Gurwitsch, S. 88: „Die Kerne, die innerhalb der Faserbündel zu beobachten sind, scheinen fast ausnahmslos mit den Lamellen in Zusammenhang zu stehen, ja man kann sogar behaupten, dass dieselben erst mit der Einsprossung des Lamellennetzes ins Innere des Faserbündels als Bestandteil des ersteren in die letzteren eindringen‘.) Fig. 5 Drei Faserbündel eines Ischiadicus eines älteren Embryos (18—20 cm). Apäthy’s Goldbehandlung. Eingezeichnet nur die (tiefvioletten!) Schwann’schen Scheiden und die Kerne; a, b und e — verschieden alte Stadien. ce — vollständig ausgebildete (röhrenförmige) Schwann’sche Scheiden, e — endoneurale Kerne zwischen den Nervenfasern liegend. Fig. 6. Tritonembryo von 2,5 mm Länge. Quer. Mittelstarke Vergr. Original. Ch — Chorda. K — Kerne der Muskulatur. 7 — Territorien der Muskulatur Sp — spongioplasmatische Fasern. R — Rückenmark. 6b Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. als ob sie Teile einer einzelnen lebenden Zelleinheit wären, wurde schon mehrfach, und zwar nicht nur in bezug auf das Nerven- gewebe, sondern auch in bezug auf die verschiedensten Gewebe- arten geäußert. Soweit ich übersehen kann, war wohl Hansen (Anatom. Anz., Bd. X VI, 1899) der erste, der die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hat. So beschreibt er im Knorpel, und zwar an zellfreien Stellen, besondere „‚Wachstumssterne‘“ der kollagenen und elastischen Fasern. S. Fig. 7. (Man muss jedoch sagen, dass die mächtigsten Sterne sich immerhin um eine „Zelle‘‘, als um eine mehr „energoide‘“ Einheit, bilden. Die Zelle kann untergehen und verschwinden, während der Stern sie überlebt und bleibt.) Was das eigentliche Nervengewebe an- betrifft, so taucht diese Idee der Syneytozelle zuerst in meiner Arbeit im Jahre 1900 auf. Hier habe ich mich veranlasst gesehen, einige Eigentümlichkeiten des Nervenbaus der menschlichen Haut durch gleichzeitige Differenzierung der „Neuroidzellen“ (s. oben S. 51) des Remak’schen Netzes zu er- klären: „Bei der angeführten Schwann’- schen Anschauung”) müssen alle beschrie- benen Nervenbildecr auf Evolution der Neuroidzellen zurückgeführt werden, wobei letztere so eng miteinander verknüpft sind, dass es ebenso schwer ist, die Evolution einer Zelle von der Evolution einer andern zu trennen, wie z. B. zu bestimmen, ob der betreffende Abschnitt der quergestreiften Muskelfaser vom Sarkoplasma der einen oder der andern Zelle gebildet worden eins ; ö ist“2'). Im Jahre 1901 wurde der Gedanke, Fig. 7. Cartilago arytaenoidea vom dass fibrilläre Differenzierungen nicht inner- Kalbe. 3,885 — Hansen’sche halb des Protoplasmas einzelner Zellen, son- fibrillogene Sterne neben einer Knor- dern innerhalb des Protoplasmas des „Syn- pelzelle. * — Anastomose der (fibrillär eytiums“ entstehen, in ganz bestimmter differenzierten) „Zellausläufer‘ mit Form von J. Scehaffer in seiner Arbeit diesen fibrillogenen Sternen. Alb. — ‚Über den feineren Bau und die Entwicke- Albumond, aus dem sich später Jung des Knorpelgewebes und über verwandte Fibrillen bilden. Nach Hansen. formen der Stützsubstanz‘ ?*) ausgesprochen. Anat. Anz., Bd. XVI, S. 432. Im Jahre 1902 kamen Godlewski und (später) Heidenhain zu dem Schluss, dass sich die Myofibrillen im Myoplasmodium des Herzens schon entwickeln, ehe noch einzelne Muskelzellen zum Vorschein kommen. Im Jahre 1905 stellte ©. Schultze??) noch bestimmter als ich das in bezug 20) Die Ansicht kann man eigentlich nicht Schwann’sche nennen, denn der radikale Unterschied zwischen den Schwann’schen und unsern Anschauungen liegt eben darin, dass das Nervensystem aus Syncellien und nicht aus Zellketten besteht. Doch war mir dieser Unterschied damals selbst noch nicht genügend klar. 21) Memoiren der Petersb. Kaiserl. Akad. d. Wissensch., VII. Serie, Bd. IX, Nr. 9, 8.45. Ebenso in der Intern. Monatsschr. f. Anat. u. Phys., Bd. VIII, 1901. 22) Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 70, 8. 109. Siehe namentlich S. 165. 23) l.c. 8. 93, 103—104ff. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 57 auf die Nerven getan hatte, den von mir verteidigten Gedanken auf und illustrierte ihn durch viele vortreffliche Zeichnungen. In meiner bereits 1907 abgedruckten Arbeit”*) wird schon ganz eindeutig er- klärt, dass alle Gewebearten analog dem Nervengewebe konstruiert sind. 1908 dehnt Rhode diese Ideen auf alle Gewebearten aus, denn „die histologische Diffe- renzierung (ebenso das Wachstum) ist nicht an Zellen gebunden, sondern erfolgt sehr häufig in den vielkernigen Syneytien.“ f) Nicht immer jedoch ist in dem „Neuron“ — wie das ım klassischen Neuron der Fall ıst — nur ein Zen- trum vorhanden. Apäthy”°) veröffentlichte schon vor langer Zeit die Tatsache des Vorhandenseins mit- einander verbundener Gang- lienzellen. A. Dogiel hat sogar die Neuronentheorie ın der Weise modifiziert, dass er das Neuron als eine Kolonie gleichbedeutender Ganglienzellen ansieht. Dem- nach erscheinen solche Neu- rone (mit ihren Schwann’- schen Kernen) nicht mono- zentral wie unter e), sondern multizentral. (Außer dem Gitter in der Ganglienzelle sınd von Bethe und an- Fig. 8. Zwei Ganglienzellen des Nervennetzes im Darm der Pontobdella (nach Apaäth y [repro- duziert nach Bethe], Mitt. d. zool. Station zu deren Autoren die Gang- lienzelle ersetzende extra- zelluläre Gitter, d. h. Zen- Neapel, Bd. XII, 1897, Taf. 28, Fig. 10). Die Figur illustriert unsere Vorstellung von multi- zentralen Syncellien und zeigt, dass die Do- giel’sche Anschauung von den Neuronen als tren, beschrieben worden, das sogen. „nervöse Grau“. Dieses Grau stellt auch Teile des Syncellons dar.) g) Auf diese Weise ist es möglich — und oft erforderlich — das Nervensyncellium von zweifachem Standpunkte aus zu be- trachten: entweder vom Standpunkte seiner Entstehung aus einer Reihe Syncellozellen oder vom Standpunkte der Syncellone, d.h. jener von Fibrillen gebildeten funktionellen Einheiten, die die Funktion des Nervensystems bestimmen. Zellkolonien begründet ist, spricht auch zu gleicher Zeit gegen die Anschauung von M. Heidenhain (Plasma und Zelle, S. 723). 24) In welcher Richtung muss die Lehre vom Nervensystem reformiert werden? S. 46. 25) Mitt. a. d. zool. Institut Neapel. Bd. XII, 1897. Bo) Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. Apäthy und namentlich Bethe beschäftigten sich vorzugsweise mit dem zweiten dieser beiden Probleme. Apäthy begann übrigens mit dem ersten, da aber die Idee des Syncelliums zu jener Zeit noch nicht reif war, und das Leben das zweite Problem in den Vordergrund rückte, so hat er auch bis jetzt seine Kräfte vorzugsweise dieser zweiten Aufgabe (der Untersuchung der Fibrillen und ihrer Ver- hältnisse in verschiedenen Teilen des Nervensystems) gewidmet. h) Um die Bedeutung einiger Teile des Syncelliums zu er- fassen, muss man sie vom Standpunkte derselben Tatsachenkategorie betrachten, zu der viele morphologische Strukturen gehören. Die Fragen, warum der Mensch eine bestimmte Kopf-, Zungen- oder Nasenform besitzt, warum verschiedene Körperorgane bei verschie- denen Tiergattungen verschieden sind u. s. w. sind natürlich in der Richtung zu lösen, dass alle solche Strukturen durch innere Gleich- gewichtsbedingungen und Korrelationen der Teile des Organismus bestimmt sind. Doch lassen sich diese Bedingungen und Korre- lationen bis jetzt in keine Gesetzes- und Erklärungsreihen einfügen. Derartige Besonderheiten des Syncelliums nenne ich „Syncello- formite“. Zu den Syncelloformiten des Nervengewebes zähle ich: Die Ranvier’schen Schnürungen, die dazwischen liegenden Faser- segmente, die auf jedes Segment entfallenden Kerne (in verschie- dener Zahl!). Ebenso sind in den Muskeln die „Septa“ zwischen den „Zellen“ des Herzmuskels (des Herzsyncelliums) Syncello- formite. ı) Eigentümlich ist die Regeneration des Syncelliums. Durch- aus nicht immer ist das ganze Syncellium regenerationsfähig; häufig regenerieren nur einige regenerationsfähigere Teile. Die Regene- rationsfähigkeit der Synzellen ist nämlich sehr verschieden: einige verlieren dee Fähigkeit recht früh, andere behalten sie das ganze Leben lang; dazwischen gibt es Seine alle möglichen Übergangs- stadien. Die am leichtesten regenerierenden nennen wir Syncello- blasten. Diese Regeneration läuft beständig parallel mit einer Degeneration des Syncelliums: immer finden wir während des ganzen Lebens sowohl regenerierende wie auch nebenbei degenerierende Teile. Regeneration und Degeneration sind eng miteinander ver- bunden, sie sind Korrelate, existieren während des ganzen Lebens und ihre Aufgabe ist die Restitution derjenigen Teile des Syn- celliums, die im Lebensprozesse verbraucht werden. Auf diese Weise stirbt nicht das ganze Syncellium ab und ersteht wieder, sondern es findet eine allmähliche Renovation seiner Teile statt. Eine derartige Regeneration wird am besten durch den bekannten Terminus „physiologische Regeneration‘ ausgedrückt. Die Teile des ‚Syncelliums, in denen eine Degeneratien vor sich geht, nennen wir Syncellodegenerite. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 5 3. Wie weit sind die Tatsachen. die als Grundlage der Syncellen- theorie dienen. zuverlässig. und wie weit lassen sich die hier dargelegten Gesichtspunkte verteidigen? Diese Frage wollen wir nun nach den obigen Rubriken erörtern. Die Vorstellung, dass eine Riesenzelle und eine quergestreifte Muskelfaser Syncellien sind, ist so sehr einleuchtend, dass man darüber kein Wort mehr zu verlieren braucht; dagegen erfordert der Begriff des Nervensyncelliums einige Erläuterungen. Das unter a und b Dargelegte wird auch durch die übliche Vorstellung vom „Neuron“ erhellt, wenn man nur auf dem Standpunkte des gemein- samen Ursprungs der „Ganglienzelle* und der „Schwann’schen Kerne“, resp. der Zellen aus dem Ektoderm verschiedener Körper- teile steht, einem Standpunkte, den schon seit langer Zeit Balfour und andere einnehmen. Eine wertvolle Ergänzung dazu und zu dem oben Angeführten bildet noch die Menge von Tatsachen, die in einer der interessantesten Arbeiten der modernen Naturforschung, in der fast nirgends zitierten Abhandlung von Apäthy°®) ange- führt sind. Apäthy’s Aufgabe war es, an vergleichend-anatomischem Ma- terıal nachzuweisen, dass die Schwann’schen Zellen keine Meso- dermzellen sind und sich von diesen hauptsächlich durch zwei Um- stände unterscheiden: 1. dadurch, dass die „Schwann’schen Kerne* bei einigen Tieren innerhalb des Achsenzylinders?”) liegen, d. h. von primären Nervenfibrillen umgeben sind und nicht seitwärts anliegen, wie das bei Wirbeltieren der Fall ıst. Ihre den Nervenfasersegmenten ent- sprechenden Abschnitte schwanken bei einem und demselben Tiere in der Größe, in Grenzen, die vom Standpunkte ıhres mesodermalen Ursprungs kaum verständlich wären. Besonders groß sind diese Abschnitte ın den Längskommissuren der abdominalen Nervenketten: allein ihre Breite erreicht zuweilen 60 «!! (die lateralen Nerven der Pontobdella), die Länge erreicht 300 « und mehr. Die kolossalen Apäthy’schen „Nerven-* und „Muskelspindeln*“ sind stets mit einer großen Anzahl von Kernen versehen, sie sind nach Apäthy „multizellulär“, d.h. ım Grunde offenbare Syncellien. 26) Biolog. Centralbl., Bd. IX, „Nach welcher Richtung hin soll die Nerven- lehre reformiert werden? S. 604, 627, 628. Die Arbeit hat einen großen Mangel: bei der Menge des darin enthaltenen wertvollen Materials fehlt es vollständig an Zeichnungen. 27) Analog liegen die „Ganglienzellen“ innerhalb eines Sackes aus der Mark- scheide im Ganglion des Nervus acusticus des Hechtes, wie das schon vor langer Zeit M. Schultze gezeigt und neuerdings Witmaak bestätigt hat. Auf etwas Ähnliches hat vor kurzem O. Schultze aufmerksam gemacht. 8. Sitzungsber. d. Königl. Preuß. Akad. d. Wissensch., Jahrg. 1908, S. 166. Leider fehlen auch in dieser Arbeit die gerade hier so notwendigen Zeichnungen. G0) Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. Beim Zustandebringen bestimmter morphologo-physiologischer Struk- turen konstruiert der Organismus, je nach den Möglichkeiten, die der betreffende Fall bietet, Syncellien aus einer größeren oder kleineren Zahl von Syncellozellen. Über die Punkte c—i ist folgendes zu sagen: das Syncellium, d.h. das ganze Zellkonglomerat hat ein ihm eigentümliches eigenes, Fig. 9. Zentrales Ende des Ischiadieus von der erwachsenen Katze, 2!/, Tage nach der Operation. A — feiner Axon. Bb — verzweigter Axon. © — noch nicht regenerierter Axon. E, F' — Axonen mit dem Perroncito’schen Phänomen. @,J, K — Endkeulen (Endkugeln) Ra - mon j Cajal, Anatom. Anz., Bd. 30, S. 117). gemeinsames Leben, wobei jeder der Bestandteile, sowohl der kernigen als der syncelloplasma- tischen, normale Funktion und Entwickelung aufweist, wenn das ganze Syncellium den ıhm ent- sprechenden Lebenszyklus durch- macht. Wird das Leben des Syncelliums jedoch gestört, wird letzteres z. B. in Teile geschnitten, so hält sich die Wachstums- energie der verschiedenen Teile des Syncelliums eine Zeitlang aufrecht, fällt dann aber, da die regenerierenden Teile einer regel- mäßigen Funktion entbehren, die allein ein regelmäßiges Wachs- tum und eine normale Lebens- dauer der neugebildeten Teile bedingt. Das wird am besten durch die Vorgänge illustriert, die bei der Regeneration von Nerven beobachtet wird: nach der Durch- schneidung eines Nervenstammes taucht bekanntlich an seinem zentralen Ende das sogen. Per- roncito’sche Phänomen — eigen- tümliche „Wachstumknöpfe“ der Neurite des Nervs — auf. Tritt längere Zeit nach der Durchschneidung kein Zusammenwachsen der Nerven ein, so bilden sich aus diesen „Wachstumknöpfen“ sogen. „helikoidale Apparate“ oder „nervöse Knäuel“ (vgl. Fig. 9). Im Jahre 1907?°) benutzte Ramon j Cajal dieses natürlich meisterhaft illustrierte Phänomen zu einem wichtigen Argument gegen die „Zellenkettentheorie“. 28) Anat. Anz., Bd. XXX, S. 129. „Sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich ist es, den Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. Gl Mechanismus der Bildung der Knäuel auf Grund der Kettenhypo- these zu verstehen. Sollen wir die primäre Anlage von spiraligen Zellenketten, d. h. eines schraubenförmigen „Rosenkranzes“ der Schwann’schen Körperchen voraussetzen? Man beobachtet von ihnen nicht die geringste Spur, welches auch immer die Entwicke- lungsphase sei, in welcher die betreffenden Knäuel untersucht werden. Andererseits legt die Lehre der kontinuierlichen Entwickelung eine sehr einfache mechanische Anwendung nahe, welche sich uns mit unwiderstehlicher Kraft aufdrängt.“ „Unserer Ansicht nach stellen die Spiralapparate einfach nur das Ergebnis des Wachstums und der Entwickelung der Perron- cito’schen Fasern dar. Die vom alten, mehr oder weniger zer- faserten Axon erzeugten neuen Zweige wachsen weiter, und da sie die Schwann’sche Scheide nicht durchdringen können, machen sie beständige Windungen unter derselben, wobei sie Knäuel und sehr komplizierte Spiralen um die Axonzweige, d.h. um die Bündel der zerfaserten Achsenzylinder erzeugen. Nur einigen der Keulen des spiraligen Apparates gelingt schließlich die Durchbohrung der Scheide, jedoch fast immer zu spät. Die äußere Scheide des Spiralapparates entsteht durch allmähliche Ausdehnung der Schwann’schen Scheide, unter Vermehrung ihrer Zellen.“ Es muss zweifellos anerkannt werden, dass die Zellenketten- theorie diese Phänomene nicht erklärt. Sie lassen sich jedoch ziem- lich mühelos vom Standpunkt der Syncellientheorie entwirren, ja an diesem Beispiele treten zwei Eigentümlichkeiten des Lebens des Syncelliums besonders markant hervor. Die erste Eigentümlichkeit ıst das bis zu gewissem Grade selb- ständige Wachstum der Fibrillen, durch das diese Knäuel — wie Cajal richtig schließt — bedingt sind. Die zweite Eigentümlichkeit besteht darin, dass sich hierbei die Schwann’schen Körperchen nicht so einfach verhalten, wie das vom Standpunkte der Zellenkettentheorie zu erwarten wäre: das Neuron verhält sich als etwas Einheitliches, Ganzes, wobei sich herausstellt, dass die Schwann’schen Kerne nicht die Fähigkeit besitzen, als Regenerationsorgan der ganzen organoiden Neurosyn- cellieneinheit zu fungieren. Von unserm Standpunkte lässt sich dieser Umstand völlig befriedigend dadurch erklären, dass die am meisten entwickelten ausgewachsenen Syncellien aus Syncytozellen bestehen, denen die für die jungen Zellen so charakteristische Wachs- tumsaktivität in bedeutendem Maße verloren gegangen ist. Es ist möglich, dass diese Fähigkeit an der Peripherie des Neurons fast vollständig erhalten geblieben ist”), in seinen mittleren Teilen ist diese Regenerationsfähigkeit in den Schwann’schen Syneytözellen 29) Vgl. meine Arbeit: Internat. Monatsschr., Bd. XVIII, S. 196— 220. 52 Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete. jedoch nur in einem Umfange geblieben, der für die Fortpflanzung genügt, die zur Bildung eines permanenten Stumpfes am Neuron erforderlich ist. Es ıst ferner möglich, ja sogar sehr wahrschein- lich, dass hierbei eine Konkurrenz ım Wachstum des fibrillären Mechanismus einer- und im Wachstum der Schwann’schen Syn- cytozellen mit der von ihnen gebildeten Scheide andererseits ent- steht. Diese Konkurrenz summiert sich gerade so, wie bei Ramon j Cajal ım angeführten Zitat angegeben ist, obgleich kaum ange- nommen werden kann, dass diese Konkurrenz nur zwischen den Teilen des Nervensyncelliums waltet; sie geht über seine Grenzen hinaus, da man doch auch mit der Bildung der zweifellos binde- gewebigen Narbe ım durch- schnittenen Nerv rechnen muss. Die verschiedene Regene- rationsfähigkeit der Zellen des Neurons wird wohl begrün- deter erscheinen, wenn wir daran denken, was wir ım Knochengewebe finden: nach der üblichen Anschauung ist, damit ein gewisser Knochen- abschnitt lebe, die Integrität der „Knochenkörperchen“ er- forderlich; und doch kann der Knochen nicht durch direkte Vermehrung der Knochenkör- perchen wachsen, er wächst Fig. 10. Sensible (Nerven) plexus in dem vielmehr durch viel kompl- Unterhautgewebe der Kaulquappe. zıertere Vorgänge, teils mittels A — Bindegewebszelle. B — Riesenlemmo- Osteoblasten, teils mit Hilfe blast, Bündel von Nervenfibrillen umgebend. der Osteoklasten und zum Teil a,b — Teilung von Fasern. d — freie Fribrille 5 5 E . ohne Kern. (Nach Ramon j Cajal, Anat. vielleicht auf einem noch viel Anz., Bd. XXX, 8. 149.) komplizierteren Wege, der beim Wachstum des jungen Knochengewebes am meisten zur Geltung kommt. Der Knochen besteht demnach aus „Zellen“ mit sehr verschiedener Regene- rationsfähigkeit — eine Analogie damit, was wir im Neuron finden. Man muss auch bei der physiologischen Regeneration manche andere Möglichkeiten als die von den Neuronisten anerkannten ins Auge fassen. Ich denke hierbei an das in verschiedenen Körper- teilen vorhandene „Remak’sche Nervensystem“, dieses im ge-_ samten Nervensystem embryonalste Gewebe, dessen Rolle man doch kaum für so erforscht halten kann, dass man vor den hier auftauchenden Fragen zugunsten der gangbaren, elementaren, ein- fachen Neuronentheorie leichten Herzens die Augen schließen dürfte. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 43 Wir gestatten uns demnach zu behaupten, dass das tatsäch- liche Material, aus dem wir unsere Schlüsse ziehen, hauptsächlich von solehen Forschern geliefert ist, von denen man am ehesten eine schroffe negative Stellung gegenüber unseren Vorstellungen er- warten sollte. Wir benutzten eben hauptsächlich dieses Material, weil wir bei den Anti-Neuronistennoch vieles finden könnten, was für uns von Wert wäre. Wir wollen diese Arbeit eben gar nicht als polemischen Artikel auf- gefasst wissen, sondern möchten nur, „nachdem das alte Gebäude niederge- rissen ist, ein neues auf- führen, in dem alle alten Bausteine an der hervor- ragendsten Stelle zu finden sind“ 3°). Da wir die Cajal’sche Arbeit erwähnen, müssen wir auch eigene Beobach- tungen heranziehen, die gegen eine weitere Behaup- tung Cajal’s und zugunsten unserer Anschauungen spre- chen. Cajal färbte nach seinem Verfahren die Ner- vennetze desselben Objekts, an dem Oscar Schultze seine Arbeiten ausführte, nämlich die subkutanen Ner- ven der Kaulquappe und fand, dass die „Netze“ aus „Lemmoblasten“-Netzen be- stehen, deren Protoplasma (Greflechte (nicht Netze!) von aus den Neuriten der Neu- ronen stammenden Fibrillen durchziehen (vgl. Fig. 10). Fig. 11. Sieben miteinander verbundene Gang- lienzellen im Remak’schen Netze der Mund- schleimhaut des Frosches. a,b, c,d, e, f, 9 — Ganglienzellen, * — Kerne des Remak’schen Netzes. Apochr. 16, Comp. Oc. 4 (vgl. bei H eld, Entwickelung des Nervengewebes, Fig 214). Färbung mit einer Kombination von Methylenblau und Thiopyronin, fixiert mit meinem (noch nicht publizierten) Vanadino- Wolframatverfahren. Cajal, der mit Recht auf die Resultate seines Färbeverfahrens stolz ist, das in vielen solchen Teilen des Nervensystems Fibrillen 50) Poinearr&, 64 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. zum Vorschein bringt, ın denen sie sonst nicht auffindbar sind, triumphiert auch in diesem Falle über Schultze, der nach seiner Meinung durch die Unvollkommenheit der Methodik irregeführt worden ist. Fig. 12A. m undn — 2 ähnliche Ganglienzellen im Remak’schen Netze der Mundschleimhaut des Frosches (Netz ist analog der hier auf Fig. 10 von Ramon j Cajal abgebildeten). Analoge Abbildungen nach Apäthy Fig. 8 bei der Pandobdella. Fig. 12B. p und g — ähnliche Zellen, ebenfalls aus der Mundschleimhaut des Frosches. Uns persönlich gelang es aber, in ebensolchen Nervennetzen der Mundschleimhaut des Frosches zahlreiche eigenartige Ganglien- zellen zu färben, wie sie auf Fig. 11 u. 12 abgebildet sind °?). Einige Eigentümlichkeiten dieser merkwürdigen Ganglienzellen sollen Gegenstand der Betrachtung in einer besonderen Arbeit werden. Hier sind sie nur erwähnt, um zu zeigen, dass auch 31) Man erhält sie nur bei ganz eigenartiger Anwendung des Methylenblau- verfahrens. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. 6.) Ramon und sein Verfahren nicht immer frei von Irrtum sind und dass in einigen Fällen sehr wesentliche Gebilde auch bei Anwen- dung dieses Verfahrens ungefärbt bleiben. Uns scheinen demnach die wichtigsten Punkte der Grundlage der Syncellientheorie ziemlich unanfechtbar, und die Frage, ob es statthaft ist, die hier erörterten Anschauungen zu verteidigen, muss bejaht werden. Tatsächlich wird auch die Anschauung, wonach die Gewebe des tierischen Organismus Syncellien darstellen, von vielen Forschern vertreten, und zwar von solchen, die mit ver- schiedenartigsten Geweben gearbeitet haben, so dass wir eine neue, allmählich entstandene Strömung in der Histologie vor uns haben, die aus unsicheren, nicht ganz bewussten Anfängen zu einer fast vollständigen Abgeschlossenheit gelangt. 4. Wo ist ein Syneellium zu suchen, das als Typus dienen kann? Wir sind also zu dem Schlusse gekommen, dass der Begriff des Syncelliums viele Tatsachen in den oben erwähnten Gewebe- arten beleuchtet. Der Begriff ist demnach nützlich und muss genau formuliert werden. Es drängt sich daher die Frage auf, was als Typus des Syncelliums anzusehen ist. Es sind hierbei zwei Arten von Verfahren möglich: A. Man kann einen „allgemeinen Typus“ suchen, wie das oft bei Erörterung zoologischer Probleme geschieht. So kann man z. B. einen mittleren Typus des Haifisches oder einer anderen Tier- gattung konstruieren. Hierbei können einzelne Haifischarten Ab- weichungen nach irgendeiner Richtung bieten, trotzdem wird aber das Schema die Haifische ganz gut charakterisieren. B. Oder man kann wie im der Mathematik verfahren: hat man es mit einem gleichartigen Material zu tun, so lässt es sich ge- wöhnlich durch eine Formel ausdrücken: so kann man die Ver- teilung der Variationen der Körpergröße Militärpflichtiger durch 72 die bekannte Formel der Gauss’schen Kurve?) y= 7e 5 wiedergeben (s. S. 66 Fig. 13). Die Gauss’sche Bezeichnung ist demnach eigentlich ein Spezial- fall der allgemeineren Pearson’schen Formel. Einer analogen Methode ist es zweckmäßig sich bei der Fest- stellung des Begriffs des Syncelliums zu bedienen; es gilt, mit andern Worten, zu entscheiden, welches Syncellium am besten als das charakteristische zu wählen ist. 32) S. Dunker. Die Methode der Variationsstatistik. Ebenfalls A. Leon- towitsch. Die Methoden von Gauss und Pearson in Anwendung auf Fehler- berechnungen in der Statistik und der Biologie. Kiew, 1909-1911 (russisch). XXX. 5 66 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. Als ein solches charakteristisches Syncellium betrachten wir von dem eben dargelegten Standpunkte das hier bereits erörterte Neurosyncellium. Auf der hier angegebenen Fig. 13 entspricht die sym- metrische Kurve MA,N dieser Formel. In der Praxis kommen aber auch asymmetrische Kurven wie MDB,” und MFCA6 vor, die sich durch diese Formel sehr schlecht ausdrücken lassen. Pearson zieht daher allge- meinere Formeln den hier angegebenen vor. Eine solche ist z. B. das Binom der Form (p+gq)°. In der Tat er- hält man dann die Kurve MA,N, wenn p=q; ist p nicht = q, so erhält man mehr oder minder asymmetrische Kurven, und zwar ist die Asymmetrie um so größer, je größer der Unterschied zwischen p und q ist. Man kann sich leicht davon überzeugen, wenn man z Bp=q=]1 für MNA, und c—6 setzt, ebenso für MDB, 7 p=:, «FH q=14t, und für MFCA6 p=7 und q=+ setzt. Buch- Ber: staben- staben- Dee Ihre Bedeutung bezeich- | Ihre Bedeutung nung nung a Grad des Unterschieds in f Azentrale, monozentrale ı der Entwickelung einzelner oder multizentrale Synzellen. schaften des Syncelliums auf Grundlage des Punktes e. b | Unterschied (und Grad | g Größere oder geringere dieses Unterschiedes) in der Notwendigkeit oder Möglich- ı Größe und den Eigenschaften keit, das Syncellium vor- der Kerne. | wiegend vom Standpunkte einer der obigen Rubriken a—f zu betrachten. © Unterschied (und Grad des- | h Grad der Ausgeprägtheit selben) in der Differenzierung | der Syncelloformite im Syn- einzelner Teile des Syncello- cellium. plasmas. | d Unterschied (und Grad des- i Regenerations- und Degene- ı selben) in der Differenzierung rationsfähigkeit des des fibrillären und des Schei- Syncelliums und einiger Syn- densyncellons. | | zellen. e Ausgeprägtheit (und Grad derselben) neuer Mechanis- men, die höher als Zellsyn- ‚ cellone sind, im Syncellium. | Leontowitsch, Das ‚„Syncellium“ als dominierende Struktur ete. 67 In der Tat bietet letzteres eine Summe von-Eigenschaften, die wir oben (S. 50-58) mit den Buchstaben a—ı bezeichnet haben. Streng genommen, sind einige von diesen Rubriken in den andern bereits enthalten: so entspricht a mehr oder minder der Summe b--c+d. Würde es sich hier um eine mathematische Berech- nung einer solchen Summe handeln, so müsste man dabei ein etwas ungewöhnliches Verfahren anwenden, dessen man sich in solchen Fällen auch bedient. Eine so genaue Berechnung bildet aber nicht unsere Aufgabe; wir haben nur ein klares und scharfes Bild des Syncelliums zu geben, und ich halte es daher für zweckmäßig, diese Rubriken beizubehalten. Vom Standpunkte der eben gestellten Aufgabe bedeuten diese — in kurzer Zusammenfassung — folgendes (s. nebenstehende Tabelle): In jeder dieser Rubriken finden wir eine Eigenschaft, die eine quantitative Qualifikation zulässt: sie kann größer oder geringer sein und dementsprechend erhält man — je nach dem Grade, resp. Fehlen irgendeiner dieser Eigenschaften — diese oder jene Syn- cellien. 5. Einzelne auf Grund der obigen Darlegzungen unterscheidbare Syncellienarten. Nach den obigen Ausführungen lassen sich folgende Syncellien- arten unterscheiden: Nach der Gleich- oder Verschiedenartigkeit der Syncellienarten: A. Homoiomere®?) — wenn alle Syncellienteile gleichmäßig differenziert sind. Hierher gehören z. B. die „Riesenzellen“ des Knochenmarks und die quergestreiften Muskelfasern. B. Poikilomere®*) Syncellien, in denen alle Teile verschieden differenziert sind. Beispiel — „Neuron“. Die poikilomeren Syncellien können wiederum eingeteilt werden in 1. monozentrale (das gewöhnliche klassische Neuron), 2. multizentrale (als Beispiel das Neuron aus der Dogiıel’schen Zellenkolonie), 3. azentrale (als Beispiel die elektrische Platte der Raja radiata). 6. Das Leben des Syncelliums. Aus der Existenz des Syncelliums ergibt sich als interessantes Postulat die Notwendigkeit, das Vorhandensein eines Lebens, d.h. einer Jugend, Reife und eines Alters der Einheiten höherer Zell- syncellien anzuerkennen. In seiner jüngsten Phase besitzt das Syn- cellium — wie das von Rhode fortgesetzt richtig betont wird — 33) Vom Worte öuoros — ähnlich und unoos — Teil. 34) Von zoixılos — bunt, verschiedenartig. 68 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. gleichviel, ob es sich um ein Plasmodium oder um ein Syneytium handelt, undifferenziertes, fibrillenloses Protoplasma. Je mehr das Syncellium altert, desto mehr nimmt die Anzahl der Fibrillen und aller die Funktion des betreffenden Syncelliums bestimmenden Mechanismen zu, während die Menge des undifferenzierten Proto- plasmas und der Kerne abnimmt. In Fig. 14 ist diese Eigentüm- lichkeit des Syncelliums schematisch dargestellt. Fig. 14 B. Fig. 14C. Schema des Lebens eines Syncelliums. ' Mit voller Regenerationskraft begabte Teil des Syncelliums. A. Syncellium ist jung. B. Syncellium mittleren Alters. C. Syncellium ist alt. Neben Regenerationsherden bestehen überall auch Herde physiologischer Degeneration. Es ist anzunehmen, dass der Syncellozellenreichtum des Syn- celliums, d. h. die Zahl der Syncellozellen, mit dem Alter ent- sprechend abnimmt, denn was sich den Eigenschaften nach einer selbständigen, voll funktionierenden, mit allen typischen Qualitäten ausgestatteten Zelle nähert, ıst auch hierdurch lebensfähiger und —- sozusagen — jung. Hierin ist die Erklärung des Umstandes zu suchen, dass man in den Ganglien alter Organismen weniger Gang- lienzellen als bei jungen Tieren findet??). Nicht alle Teile und Zellen des Syncelliums besitzen die gleiche Fähigkeit, als Regenerations- und Wachstumsorgane zu fungieren; häufig übernehmen nur be- stimmte Zellen diese Rolle, und je weniger solcher Zellen vor- handen sind, desto älter ist das Syncellium. So regeneriert im Neuron wohl der periphere Teil, der zentrale aber fast gar nicht; der am meisten periphere Teil des Neurons bleibt höchstwahrschein- lich während seines ganzen Lebens regenerationsfähig. 35) Vgl. Bethe. Allgem. Anat. u. Physiol. des Nervensystems, S. 104. Leontowitsch, Das ‚Syncellium‘‘ als dominierende Struktur ete. 69 , D% Hier ıst es am Platze, eines Problems zu erwähnen, das schon vor langer Zeit von Sigmund Meyer aufgestellt worden ist. Ich meine die Frage nach der physiologischen Degeneration und Regeneration. Meyer?’*) warf diese Frage nur in bezug auf das Nervensystem auf; die Syncellientheorie nimmt sie in Anwen- dung auf alle Syncellien in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit auf. Werden die Syncellien des Organismus während des embryo- nalen Lebens für die ganze Lebensdauer des Tieres gebildet oder geht während des Lebens eine fortwährende physiologische Degene- ration und Regeneration des Syncelliums vor sich? Ist letzteres der Fall, so fragt es sich, auf welche Weise sich diese Prozesse vollziehen. Werden alle Neurosyncellien ein für allemal gebildet oder geht auch in ihnen ein eigenartiger Prozess nicht nur der Degeneration, sondern auch der Regeneration vor sich, wie das im Myosyn- cellium u. a. der Fall ist? So entsteht eine Reihe von Fragen, und die Antworten, die darauf allgemein gegeben werden, dürfen kaum als richtig ange- sehen werden, da sie gewöhnlich von der gangbaren Zellentheorie ausgehen, während die Syncellientheorie eine Durchsicht des experi- ımentellen Materials von einem ganz andern Gesichtspunkt erheischt. In einer Arbeit wie der vorliegenden ist es aber am wichtigsten, mit nötigem Takte die Grenzen zu erraten, wo man zu denken und Hypothesen zu konstruieren und wo man zu experimentieren hat, wo zu suchen ist, was sich auf Punkt 2A und was sich auf Punkt 2B bezieht (S. 37). Mir scheint, dass wir diese Grenze überschritten bätten, wenn wir die Tatsachen aus der Literatur, die sich auf diesen höchst interessanten und wichtigen Punkt beziehen, eigens zusammen- gestellt hätten, statt diese Fragen zukünftigen Experimenten zu überlassen. 7. Andere Fälle, in denen die Syneelliennatur der Strukturen weniger augenscheinlich ist. Die Frage nach den Syneytien, resp. den Syncellien im Binde- gewebe ist, wie das auch aus der Literaturübersicht hervorgeht, schon mehrfach erörtert worden. Der Knorpel ist von diesem Standpunkte von Schaffer, Hansen und Rhode°’”) einer Betrachtung unterzogen worden. Jeder Knorpel besteht aus Syncellozellen und einem von Chon- dromokoid oder es produzierenden Substanzen inkrustierten Proto- 36) Über Degenerations- und Regenerationsvorgänge in normalen peripheren Nerven. Berlin 1876. 37) Schaffer. Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 70, S. 109. — Hansen, Anat. Anz., Bd. 16, S. 417. — Rhode. I. Syneytien ete. S. 53—56 u. 59. 0) Leontowitsch, Das „Syncellium‘ als dominierende Struktur etc. plasma. Fibröse und elastische Knorpel besitzen auch fibrilläre Syncellite. Allen Knorpeln ist das Perichondrium eigentümlich, mit dessen Fasern die Zellen eng verbunden sind. Diese Zellen bilden aus den Knorpeln ein poikilomeres Syncellium, denn es sind hier außer gleichartigen Zellen und deren Teilen auch Chondro- blasten (Syncelloblasten) des Perichondriums vorhanden, die sich von den Zellen anderer Knorpelteile unterscheiden. Das Vorhanden- sein dieser Zellen sowie andere Anzeichen lassen eine permanente physiologische Regeneration des Knorpels vermuten, einen Prozess, der auf experimentellem Wege richtig verfolgt und nur vom Stand- punkte der Syncellientheorie richtig gewürdigt werden kann. Der Knochen gleicht in vielem dem Knorpel. Die Unter- schiede sind, soweit die hier erörterten Fragen ın Betracht kommen, unwesentlich. Alle Teile der Syncellien im Knochen gleichen denen des Knorpels; sie sind nur komplizierter, da im Leben des Knochens ein Moment vorhanden ist, in dem er das Stadium eines osteoiden Gewebes (vom Knorpel nicht präformierte Knochen), sowie ein Sta- dium des Vorhandenseins der sogen. „Wachstumslinie“ des Knochens (vom Knorpel präformierte Knochen) durchmacht. Der Knochen ist demnach ein sehr kompliziertes poikilomeres Syneytium mit einem sehr komplizierten Entwickelungszyklus, das physiologische Syncelloblasten (Regenerationszellen) und sehr kom- plizierte Syncellone (Scharpey’sche u. a. Fasern der „runden stanz“ des Knochens) besitzt. Die Eigentümlichkeiten des Knorpels sind derartig, dass man hier so etwas wie ein Experimentum crucis für die ganze Syn- cellientheorie erblicken kann. In der Tat werden sich nicht wenige finden, die behaupten werden, es sei hier ohne weiteres klar, dass die Zellen als „elementare“ Einheiten ganz selbständig, gewöhnlich sogar in besonderen Kapseln, liegen, während die Grundsubstanz des Knorpels eine vollständig abgesonderte, ıhr eigenes Leben führende intermediäre Zwischenzellsubstanz sei. Eigentlich ist die jetzt herrschende gangbare Vorstellung von der Zelle und der Zwischenzellsubstanz nichts anderes, als eine erweiterte Anwendung dieser einfachen (quasi konkret) sichtbaren Eigentümlichkeit des Knorpels auf alle Gewebearten, auch auf die, in denen die Be- ziehungen der „Zellen* und der „Zwischenzellsubstanz“ weniger klar und — wir wagen es zu sagen — sogar ganz unklar sind, wenn man von diesem die Details ignorierenden herrschenden Ge- sichtspunkte ausgeht. Der Knorpel ist in diesem Sinne ein Prototyp dessen, was als wahr anerkannt wird. In der neueren Literatur wird jedoch die Frage über den Bau des Knorpels gewöhnlich in engem Zusammenhang mit der Frage der Struktur aller anderen Arten des „Grund“gewebes (vgl. viele Leontowitsch, Das ‚‚Syncellium‘“ als dominierende Struktur etc. 7 Arbeiten von J. Schaffer, Studnitka) erörtert, und wir halten es für erforderlich, auch hier diesem ganz berechtigten Vorgehen zu folgen. Die Grundfrage, die hier besprochen werden soll, be- steht in folgendem: Kann dem Umstande, dass die Zellen des ver- mutlichen Syncelliums zwar innerhalb der Grundsubstanz, aber doch offenbar davon abgesondert, sozusagen in Nischen derselben liegen, die Bedeutung eines entscheidenden Arguments gegen das Syn- cellium zuerkannt werden? Nach der Veröffentlichung der Arbeiten Hansen’s und Schaf- fer’s?®) herrschen jetzt fast keine Zweifel mehr darüber, dass der Knorpel in einem jungen Entwickelungsstadium ein Syncellium („Syneytium“, vgl. Merkel) darstellt. Fraglich bleibt es nur, ob auch der vollständig reife Knorpel als Syncellium anzusehen ist. Eine sehr wichtige Frage, deren Beantwortung eigentlich auch die obige Frage löst, ist die nach der Genese der Fibrillen des Bindegewebes und also auch des Knorpels und der Knochenfasern. Fr. Merkel?) hat eine Zusammenstellung der über die Genese der Bindegewebefibrillen vorhandenen Arbeiten gegeben. Er teilt die diesbezüglichen Ansichten in drei Gruppen: 1. die alte Ansicht M. Schultze’s und seiner Anhänger (Flemming, Mall, Zacha- riades Studnitka, Spalteholtz, Mazur, Meves) — die Fasern werden direkt aus dem Protoplasma der Bindegewebzellen gebildet (erste extreme Ansicht). 2. Die (bei Merkel) „dritte Meinung lässt, ganz revolutionär, die kollagenen Fasern in einer amorphen Grund- substanz entstehen, welche mit den Zellen ganz direkt nichts zu tun hat (v. Ebner, Merkel, Renaut, Laguesse)* (l. e., S. 347). „Die ursprüngliche Quelle für alles Bindegewebe ist das be- kannte Zellsyneytium des Mesenchyms. Dässelbe scheidet eine amorphe Gallertsubstanz aus, welche entweder nur spärlich (Sehnen, retikuläres Bindegewebe der Iymphoiden Organe), oder in größerer Menge selbst reichlich vorhanden ist (Amphibien, Nabelschnur). Sie füllt dann die Lücken des Zellnetzes, kann sich sogar relativ weit über dasselbe hinaus erstrecken, ohne dass Zellen ihr folgen (Muskeln). Überall da, wo die Gallerte mit anderen Geweben zu- sammenstößt (Epithelien und ihre Derivate, Muskeln, Nerven), ver- dichtet sie sich zu einer amorphen Grenzschichte (Membrana ter- 38) Hansen. Anat. Anz., Bd. 19. — Schaffer. Über den feineren Bau und die Entwickelung des Knorpelgewebes und über verwandte Formen der Stütz- substanz. Erster Teil, Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 70, S. 109. — Derselbe. Über dasselbe. Teil II, Ibid., Bd. 80, S. 155. — Derselbe. Anat.-histol. Unter- suchungen über den Bau der Zehen bei Fledermäusen u. s. w. Ibid., Bd. 85, S. 231. — Derselbe. Teil III der ersten Arbeit. Ibid, Bd. 97, 8. 1. 39) Betrachtungen über die Entwickelung des Bindegewebes. Anat. Hefte, Bd. 38, Heft II, S. 346. Mit der Merkel’schen Einteilung der Autoren sind wir nicht ganz einverstanden, was uns übrigens nicht hindert, seine Einteilung als eine typische anzuerkennen. 7,9) Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. minans, Umhüllung der Muskeln- und Nervenfasern). Diese Grenz- schichte ist an sich zellenlos, doch kommt es vor, dass später Zell- fortsätze in sie hinein vorgestreckt werden, welche jedoch mit ihrer (senese nichts zu tun haben.“ „Im Innern des Bindegewebes selbst nehmen die Zellen an der Bildung der Fasern ebenfalls keinen direkten Anteil, dieselben entstehen vielmehr ausschließlich in der Gallerte, die Zellen dienen nur zur Erzeugung dieser letzteren. Die Faserstruktur tritt ın der Gallerte meist als ein indifferentes, sehr zartes Netz in die Erscheinung, welches erst ın der Folge durch Zerreißen der weniger beanspruchten Fäden zu glatten und unver- zweigten Fasern umgewandelt wird.“ „An Stellen, an welchen gleich von Anfang an eine ausgesprochene Spannung vorhanden ist (Sehnen), wird das netzförmige Stadium nicht durchgemacht, sondern es kommt sogleich zur Bildung parallel verlaufender, un- verzweigter Fasern“ (l.c., S. 380). Poll*) resümiert die Merkel’schen Anschauungen so: „Mit dem Dogma, dass alles von den Zellen kommt, muss gebrochen werden.“ 3. Die zwischen den beiden vorhergehenden stehende Ansicht (bei Merkel die zweite) besteht ın folgendem: „die kollagenen Fasern entstehen aus einer Randschichte der Zellen (Mall, Stud- nı@ka, Hansen); auch Flemming und Golowinski gehören hierher. Die drei ersten der genannten Autoren belegen diese Außenschichte mit dem Namen Exoplasma und Ektoplasma, wobei die Exoplasmaschicht bald mehr die Zusammensetzung des eigent- lichen Zellprotoplasmas bewahren, bald eine größere oder geringere Umwandlung erfahren soll. Die Unstimmigkeit in dem, was die einzelnen Untersucher als Exoplasma bezeichnen, veranlasste v. Ebner zu der Bemerkung, dass die Einführung der Begriffe Exoplasma und Ektoplasma in die Frage der Bildung der Grundsubstanz des Bindegewebes keineswegs den Gegenstand klarer macht.“ Wenn wir demnach Studniöka und Spalteholtz, deren Ansichten von Merkel kaum richtig aufgefasst sind, aus der ersten Gruppe ausnehmen, so sind sich eigentlich alle neueren Forscher darüber einig, dass die „Zwischensubstanz“ eine für alle Zellen des gegebenen Knorpels gemeinsame Struktur darstellt: sie wird durch Ausscheidung prochondromukoidaler Substanzen durch die Zelle gebildet, wobei die Produkte verschiedener Zellen miteinander kon- fluieren und hierbei kollagene und elastische Bindegewebsfasern erfassen, respektive umhüllen können (J. Schaffer). In dieser Sub- stanz entstehen später zuweilen verschiedene fibrilläre Differen- zierungen (fibröser und elastischer Knorpel), die sich um die sogen. 40) Jahresber. über die Leistungen und Fortschritte in der Anat. u. Physiol. von Waldeyer und ©. Posner. Bericht für das Jahr 1909, S. 45. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 3 Hansen’schen Wachstumssterne entwickeln, wobei die eigentlichen Zellen untergehen und sich gänzlich in Knorpelgrundsubstanz ver- wandeln können. Diese Grundsubstanz führt dann weiter ihr eigen- artiges, von den Zellen ziemlich unabhängiges Leben, und dieser Umstand veranlasste manche, die Ursache der merkwürdigen Mannig- faltıgkeit der Strukturen der „Grundsubstanz“ in neuen, nicht zellu- lären Prinzipien ıhrer Klassifikation zu suchen. So sagt Stud- nicka®!): „Den Tierkörper, z. B. den Wirbeltierkörper, halte ich für ein Gebäude. Die sogen. ‚Stützgewebe‘ bilden seine Säulen, Wände und Traversen, also dasjenige, was das Gebäude stützt.“ „Alles dies sind die eigentlichen ‚Baugewebe‘, deren Aufgabe darin besteht, dass sie sich am Aufbau des Tierkörpers beteiligen, wenn man diesen vom Gesichtspunkte eines Baumeisters — nicht dem des Morphologen — aus betrachtet.“ Die Mannigfaltigkeit der Anschauungen über die Grundsubstanz unseres Körpers ist demnach sehr groß, sie gab sogar einem solchen Forscher wie Fr. Merkel Anlass, folgendes zu sagen: „Dabei sind neue Beobachtungen nur ın beschränktem Maße zu machen, da nicht allein in den genannten Arbeiten der neuesten Zeit, sondern auch in den älteren alle erdenklichen Möglichkeiten der Faser- bildung erschöpft sind; es handelt sich bei der Nachprüfung zum Teil nur darum, dasjenige herauszuschälen, was von bleibenden Werte ist“ (Anat. Hefte, Bd. 38, S. 348)*). Zu einer Zeit, in der alles zur Forschung neigt, während dem Denken ängstlich aus dem Wege gegangen wird, ist eine solche Äußerung eines modernen Biologen recht selten anzutreffen. Wir persönlich begrüßen natür- lich diese Merkel’schen Worte. Der Hauptpunkt, auf den es hier ankommt, gipfelt, wie bereits gesagt, in der Frage, ob man die Zellen als Bestandteil des Orga- nismus so absolut abtun könne, wie wir es bei Merkel sehen. Im vorliegenden experimentellen Material finden sich auch jetzt nicht wenige Tatsachen, die bei dem Bestreben, die Rolle der Zellen im Grundgewebe herabzusetzen, eine besondere Vorsicht erheischen. Zunächst sprechen auch dıe Forschungen und Ausführungen Han- sen’s und Merkel’s nur dafür, dass wir es hier mit einem Gewebe zu tun haben, ın dem sich der funktionelle Teil, die exoplasma- tische Grundsubstanz, der Konsistenz nach von dem charakteristisch halbflüssigen Zellprotoplasma scharf unterscheidet. Es ist daher 41) Anat. Anz., Bd. 31, S. 508 Über einige Grundsubstanzgewebe. 42) Es ist nicht uninteressant, hiermit folgende Äußerung über das Nerven- system zu vergleichen: „Fasse ich jetzt in aller Kürze die einzelnen Hauptresultate dieser neueren Untersuchungen über die Histogenese des Nervensystems zusammen, so zeigt sich, dass es keine Beobachtung gibt, die wicht von einer anderen direkt bestritten wird.“ Held. Entwickelung des Nervengewebes bei den Wirbel- tieren. 8. 8. 74 Leontowitsch, Das ‚„Syncellium“ als dominierende Struktur ete. natürlich, dass bei gewissen Bearbeitungsverfahren und in bestimmten Stadien der Struktur „Zellen“ (in der üblichen Auffassung) und „Grundsubstanz“ konstatiert werden. In dieser Beziehung ist es zweckmäßig, sich das Verhalten der Zellen in anderen Syncellien zu vergegenwärtigen. Im Myosyncellium und im Neurosyncelllum sind die Kerne von geringen „Resten“ körniger undifferenzierter Protoplasmasubstanz umgeben, während die Hauptmasse beider Syncellienarten aus fibril- lären oder membranösen Syncelliten besteht. Im Neurosyncellium kommt noch hinzu, dass die Schwann’sche Scheide zuweilen einen vollständigen Sack bildet, der das zwischen zwei Ranvier’schen Schnürungen vorhandene Mark ganz umfasst (Schifferdecker, beim Hecht). Auf diese Weise ıst der am Kern liegende, am meisten energietragende undifferenzierte Teil der Synzelle stets durch ver- schiedene Strukturen des Syncelliunis ziemlich scharf von ähnlichen Teilen anderer Synzellen getrennt; zuweilen ist auch jede Synzelle von der ihr benachbarten abgesondert. Im Myosyncellium ist diese Trennung nicht besonders schroff. Aber auch im Neurosyncellium liegen diese Verhältnisse nicht immer gleich: bald haben sie mit denen des Myosyncelliums Ähnlichkeit, bald ist die Trennung so schroff, dass man — wie das bereits mehrfach geschehen ist — bei einigem Wunsch fast ganz abgesonderte, einzeln liegende Zellen sehen kann. Es ıst daher unbegründet, der scheinbaren Abgesondertheit der „Zellen“ und der „Grundsubstanz“ entscheidende Bedeutung zuzuschreiben. Wir wollen das auch um so weniger tun, als es noch eine ganze Reihe anderer Umstände gibt, die auf den engen Zusammenhang zwischen den „Zellen“ und der „Grundsubstanz“ hinweisen. Da kommt zunächst die Hansen’sche Arbeit in Betracht. Dieser Autor machte darauf aufmerksam, dass die Knorpelfibrillen sich um besondere, sogen. Wachstumssterne entwickeln, die an solchen Stellen des Knorpels zu liegen kommen, in denen sich keine Zellen befinden. Aus der seiner Arbeit beigegebenen Figur (vgl. S. 432) folgt, dass fibrilläre Differenzierungen besonders leicht neben den Zellen entstehen. Stirbt eine „Zelle“ innerhalb solcher Differen- zierung ab oder verwandelt sie sich ganz in Grundsubstanz, so ent- steht ein besonders ausgesprochener Wachstumsstern. Dass vielen „Zellkernen“ des Nervensystems ähnliche Bedeutung zukommt, geht ın vielen Fällen daraus hervor, dass ein Teil des Remak’schen Netzes deutliche Spuren der Entartung trägt. Ist es richtig, dass gegen das Alter die intrazellulären Gitter immer mehr uud mehr den extrazellulären weichen (Bethe) und dass immer mächtigeres „Nervöses Grau“ entsteht, so kann diese Rolle der „Ganglienzellen* bei der Bildung der Nervennetze des „Graus“ kaum bestritten werden. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. 5 Steht man auf dem Standpunkte der Zellenlehre, so sind solche Tatsachen kaum verständlich. Vom Standpunkte des Syncelliums lassen sie sich dagegen erklären, denn die Differenzierung geht im Syncellium vor sich, die Abhängigkeit von der Zelle ist daher zwar vorhanden, ist aber nur eine relative, so dass die Sterne zuweilen auch nicht an den Zellen entstehen. Es scheint mir angebracht, hier daran zu erinnern, dass der Gedanke von dem intimen Zusammenhang zwischen der „Knorpel- zelle“ und dem anliegenden Teile der Zwischensubstanz durchaus nicht neu ist. Kein anderer als Flemming hetrachtete im Jahre 1897 den „Fribrillenmantel“ solcher Zellen als metamorphosierten Teil des „Zellenleibes, der als Territorium eigentlich zu diesem Leibe zu gehören fortfährt“ (Zeitschr. f. Biol., N. F., Bd. 16. Vgl. auch Meves, „Die Zellen des embryonalen Stützgewebes“. Arch. f. mike Anak, Bd.75, S. 201). Im Jahre 1905 schreibt ferner Hansen (Anat. Hefte, Bd. 27, S. 747): „Eine scharfe Sonderung in ‚Protoplasma‘, ‚Zellkörper‘ und Grundsubstanzen lässt sich ın vielen Fällen unmöglich aufrecht er- halten oder nachweisen. Ob man sagt, die ‚Zelle‘ ‚scheide‘ an ihrer Oberfläche Grundsubstanz ‚aus‘ oder ‚bilde‘ solche, oder ob man sagt, die peripheren Protoplasmaschichten ‚verwandelten sich in Grundsubstanz oder in ein Vorstadium desselben, so bleibt die Tatsache doch die, dass in einer großen Menge von Fällen irgendwo ein mehr oder weniger umfangreicher, oft direkt nachweisbarer Übergang aus ‚Protoplasma‘ in Grundsubstanz angetroffen wird.“ Auf den Zusammenhang zwischen den Zellen und der Zwischen- zellsubstanz wurde auch schon Schaffer*) aufmerksam, der durch verschiedenartige Behandlung der Knorpelgrundsubstanz darin eine Reihe von Kapseln herausdifferenziert hat, die mit den Membran- zellen konzentrisch sind. „Diese strukturlose Membran ist zweifellos eine von den Zellen selbst gelieferte Oberflächenbildung, welche nach Art einer Intercellularsubstanz ausgeschieden, respektive von den Zellenoberflächen differenziert wird.“ Diese Intercellularsubstanz des Knorpels wird nach Schaffer von den Zellen als eine Art von Sekret ausgeschieden, das nun in gewissen Knorpelarten unab- hängig von den Zellen unter dem Einfluss der Spannungen, die im Stützgewebe entstehen und die eine Entwickelung von Fibrillen da begünstigen, wo die Dehnung (oder Kompression) eine maximale ist, verschiedene weitere fibrilläre Differenzierungen durchmacht. Der Schaffer’schen Ansicht wird naturgemäß die schon längst in alle Lehrbücher eingedrungene Nägeli’sche Anschauung entgegen- gestellt, wonach auch das Wachstum solcher Gebilde, die die Cellulosemembranen der Pflanzenzellen durch Intussuszeption mög- 43) Zeitschr. f. wissensch. Zool., Bd. 80, S. 246. ib Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. lich ıst. Ich meine, dass sich eine solche Wachstumsfähigkeit dem Schaffer’schen Zell,sekret“ nur sehr schwer, dem Exoplasma, resp. dem Syncelloexoplasma leicht und ungezwungen zuschreiben lässt; ıst doch die Intussusception mehrfach in festen tierischen (seweben konstatiert worden, und ist man also kaum berechtigt, sie zu verneinen oder zu ignorieren. Auch Studnicka negiert oder verringert stark die Bedeutung der Zellen. So schreibt er über die subkutane Gallertschicht beim Amphioxus: „das Gallertgewebe ist auch hier als zellfrei zu be- zeichnen, es kommen in ıhm viel häufiger Zellen vor, als wir früher sahen, doch handelt es sich hier um nur ein akzidentelles V orkommen der Zellen Für die Ernährung des Gewebes haben solche Zellen natürlich keine Bedeutung.“ Das Hauptargument, mit dem hier dieser Gedanke bewiesen werden soll, kann eigentlich nur auf das Wort „natürlich“ reduziert werden, das an und für sich wohl keine große Beweiskraft bean- spruchen darf; demnach können diese Behauptungen die Bedeutung der Zellen auch nicht herabsetzen. Überhaupt scheint uns sein Hauptgesichtspunkt, den wir durch das oben angeführte Zitat vom „Gebäude des Tierkörpers“ ıillustrierten, zwar richtig, doch muss man hierbei der leider nur beiläufig hingeworfenen eigenen Bemer- kung Studnicka’s (l. ec.) gedenken, dass es sich hier eher um einen Standpunkt des Physiologen als um den eines Morphologen handelt. In dieser Beziehung nimmt er ebenso wie Hansen und bis zu ge- wissem Grade auch Schaffer und Merkel eine ähnliche Stellung ein wie dem Nervensystem gegenüber Apäthy. Dieser sieht (in der Frage des Neemerran) wie jene (in bezug auf das Binde- gewebe) das Prinzip des Baus und der ansehen der Gewebe in physiologisch wichtigen fibrillären Strukturen, d.h. nach unserem Gesichtspunkte, Syncellonen. Wir betrachten aber die hier dargestellte Syncellientheorie als richtigeres, ja einzig richtiges biologisches Klassifikationsprinzip. Wie es von einem richtigen Prinzip auch zu erwarten ist, gibt es die Möglichkeit, alle oben dargelegten Ansichten zu beleuchten, wobei jede derselben, von der Syncellientheorie erfasst wird und zu ihrem natürlichen Detail wird. Unsere Anschauung schließt sich demnach den Ansichten unserer dritten (der Merkel’schen zweiten) Gruppe an. Es handelt sich hierbei aber nicht um ein Kompromiss, „welches mit den An- schauungen M. Schultze’s und der Darstellung von Boll nicht ganz brechen will“ (Merkel, l. e.). Es ist vielmehr eine natür- liche Übereinstimmung der Meinungen, die durch den Einfluss einer neuen mittleren Idee herbeigeführt worden ist. Der Begriff des Ekto- und des Entoplasmas erhält hier wirklich seinen tiefen Sinn, und man kann nicht sagen, dass er „den Gegenstand keineswegs klarer macht“. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. re Unser Gesichtspunkt wird auch dem ‚selbständig wachsenden“ Exoplasma und dem trotz alledem unanfechtbaren Satze „omnis cellula e cellula, omnisque nucleus e nucleo* gerecht. Die gangbare Theorie, auf die wir bei der Beschreibung des Knorpels eingingen und die den Organismus -als aus Zellen und Intercellularsubstanz zusammengesetzt beschreibt, wäre viel klarer und berechtigter, wenn sie auf dem ganzen Gebiete der Gewebe- lehre einigermaßen konsequent durchgeführt werden konnte. Das ist aber durchaus nicht der Fall: das Muskel-, Nerven- und viel- leicht auch das Epithelgewebe passen in diese Theorie offenbar nicht hinein. Sieht man diese Lehre also von einem allgemeineren Gesichtspunkte an, so bietet sie vielleicht noch mehr Unebenheiten als dıe unsrige. Die Frage, ob der Knochen als Syncellium aufgefasst werden könne, wird fast in unserm Sinne von A. Hartmann (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 76, S. 254, namentlich S. 283) für Knochen, die vom Bindegewebe präformiert sind — vorläufig allerdings noch in der Rhode’schen Auffassung — beantwortet. Es bleibt also nur übrig, einen Schritt weiter zu gehen und die gesamte Struktur des ausgewachsenen Knochens als Syncellium anzuerkennen. Diesen Schritt halten wir auf Grund der großen prinzipiellen Ähnlichkeit zwischen dem Knochen und dem Knorpel für ganz berechtigt. Diese Anschauung schließt schon die alte Ansicht Waldeyer’s, Stieda’s*) und Disse’s ın sich, wonach der Prozess der Aus- scheidung der Knochengrundsubstanz nicht als Zellsekretion, sondern als Differenzierung des äußeren Teils des Osteoblastenprotoplasmas anzusehen ist. Das nähert sich schon dem für uns wichtigen Kern- punkte der Frage, denn daran, dass die Intercellularsubstanz der gesamten Struktur des betreffenden Knochens gemeinsam ist, ist wohl nicht zu zweifeln. Wir geben übrigens zu, dass die Anwend- barkeit der Syncellientheorie auf den Knorpel und den Knochen manchem nicht genügend bewiesen erscheinen könnte; solche Forscher könnten dann unter Ignorierung der Untersuchungen von Spalte- holtz u. a. über die syncytiale Natur vieler Bindegewebearten ım Knorpel und Knochen eine Ausnahme von dem ganz allgemeinen Gesetze der Konstruktion der histologischen Elemente des Körpers erblicken. Aus dem Gebiete des Muskelgewebes haben wir noch den Herz- muskel und die glatten Muskeln zu berühren. Der Herzmuskel hat eine glückliche Stellung eingenommen: nach den Untersuchungen von Heidenhain®’) stößt man oft auf die Behauptung, dass der 44) Entstehung des Knochengewebes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 73, >. 563. 45) Anat. Anz., Bd. 20 (1901). Eine interessante Kritik der syneytialen Natur des Herzmuskels finden wir bei Zimmermann (Bern) — Palezewska — PS Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. ‘ \ ganze Herzmuskel ein Syneytium bildet (d. h. eigentlich dasselbe, was wir vom Knorpel, Knochen u. s. w. behauptet haben). Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, dass nicht alle Teile des Herzsyncelliums einander gleichen: namentlich fallen hier die Pur- kinje’schen Zellen auf; die Zellen des His’schen Bündels unter- . NAAR \% INN Fig. 15. Fig. 15. Anlage der Muskelfibrillen in der Herzwand eines dreitägigen Enten- embryos, Man sieht feine und grobe Fibrillen, wodurch ihr Dickenwachstum an- schaulich gemacht wird; desgleichen gewahrt man die Sonderung dicker Fibrillen in mehrfache Spaltfibrillen (M. Heidenhain, Anat. Anz., Bd. 20). Fig. 16. Glatte Muskelzellen vom Uterus des Kaninchens. Sublimat, Eisenhäma- toxylin, Rubin. Die glatte Muskulatur zeigte in diesem Falle das Bild eines durch- aus fibrillären Gewebes in dem Maße, dass die Zellengrenzen kaum kenntlich waren. Nach Heidenhain, Plasma und Zelle, S. 601. scheiden sich auch nach den Feststellungen verschiedener Autoren von den gewöhnlichen Arbeitsmuskeln des Herzens. Das Herz- syncellium ist demnach ein poikilomeres. Hat die myogene Theorie der Herzkontraktionen ihre Berechtigung, so muss man annehmen, Werner, Arch. f. mikr. Anat., Bd. 75, S. 41. M. Werner, der die syncelläre Struktur des Herzmuskels leugnet, beschreibt und zeichnet viele Herzzellen bei Warmblütern mit 2, 3, 4 und mehr (bis 16) Kernen. Von unserm Standpunkte ist diese Tatsache mit dem Umstande zu vergleichen, dass die Nervenabschnitte zwischen den Ranvier’schen Schnürungen zuweilen auch mehrere Kerne besitzen. Beide Tatsachen lassen sich sehr plausibel dadurch erklären, dass in jenem Falle die „Grenzen zwischen den Zellen“, in diesem die Schnürungen keine wirklichen Grenzen zwischen den Zellen, sondern Syncelloformite sind, die atavistisch die Ge- trenntheit der durch Syncellite verbundenen Zellen andeuten. Leontowitsch, Das „Syncellium‘ als dominierende Struktur ete. (9 dass der Bau der Herzmuskelfibrillen viel komplizierter ıst als man bis jetzt davon weiß. Sind die Muskelfunktionen so sehr ver- schieden, dass — wie das jetzt wohl fast alle Anhänger der myo- genen Theorie annehmen — einige Teile des Herzmuskels die Rolle der Nervenganglien übernehmen, so müssen neben den physio- logischen Eigentümlichkeiten auch morphologische vorhanden sein, d.h. man muss in einigen Teilen des Herzens eine solche Ent- wickelung syncellonaler (fibrillärer) Strukturen erwarten, wie sie sich in anderen nicht finden wird (analog dem, was wır ım Neuro- syncellium sehen). Hier stellt die Syncellientheorie dem histologischen Experiment eine Reihe neuer Aufgaben, und die Zukunft wird lehren, ob und inwiefern der biologische Radikalısmus der Anhänger der myogenen Theorie berechtigt ist. Wie dem auch sei, es bleibt sehr wahrscheinlich, dass das Myosyncellium des Herzens ebenso kompliziert ist wie das Osteo- syncellium und ebenso wie letzteres seine Myoblasten (Purkinje’sche Zellen) besitzt, die den Osteoblasten des Osteosyncelliums analog sind. Bekanntlich lässt sich im Herzsyncellium durch eine Reihe von Verfahren auch das zum Vorschein bringen, was man früher als „Grenzen zwischen den Zellen“ bezeichnet hat. Sie dürfen natürlich bei unserer Betrachtung nicht ignoriert werden. Vom Standpunkte der Syncellientheorie sind jedoch diese Grenzen ihrer Bedeutung nach den Ranvier’schen Schnürungen analog zu setzen, d. h. sie stellen Syncelloformite, also morphologische Details des Syncelliumbaus dar: finden sich doch zuweilen auch hier solche Zellen, die zwei und mehr Kerne besitzen. Die glatten Muskelfasern wurden bis jetzt — wenn man nicht die unten angeführte Fig. 16 mitzählt — noch nicht zum Gegen- stand der Betrachtung vom Standpunkte der Syncellientheorie ge- macht. Ist es aber möglich, von einem Herzmyosyncellium zu sprechen, so hindert uns nichts, auch diese Fasern als homoiomere Syncellien anzusehen. Wir finden auch hier Zellen, die sich von den andern dadurch unterscheiden, dass sie bei der intravitalen Methylenblaufärbung ein eigenartiges körniges Aussehen annehmen. Das Syncellium erklärt die merkwürdige Resistenz, die das Muskelgewebe gegenüber den das Gewebe in einzelne „Zellen“ zer- setzenden Reagenzien zeigt. Diese Resistenz hängt offenbar damit zusammen, dass die Syncellite sie zu einem Syncellium verbinden. Das Epithelgewebe wurde schon von dem uns interessierenden Gesichtspunkte von Rhode‘°®) betrachtet. Man muss hinzufügen, dass, soweit hier die Ausgeprägtheit des Syncelliums in Betracht kommt, dieses Gewebe nicht minder als der Herzmuskel als Syn- 46) Syneytien etc., S. 57. ou) cellıum trennte nismus verbunden sind ®"). angesehen werden muss: Zellen, die durch Fibrillen zu einem gemeinsamen Mecha- Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. hier wie dort finden wir fast ge- Der syncelläre Oharakter der Struktur tritt besonders deutlich beim Embryo hervor. Rhode machte mit Recht darauf aufmerksam, Fig. 17. Aus dem Epithelwall vom Kiefer der neugebornen Katze. Sublimat, Eisen- hämatoxylin. Präparat von Th. Hoffa. Die Stelle ist aus der Mitte des Epithels genommen; unten fehlen 2 Zellenschich- ten, die oberste stößt an die Hornschicht an. Die Epithelfaserung zieht vertikal von der Basis des Epithels in der Rich- tung auf die freie Oberfläche. Nach M. Heidenhain. Plasma und Zelle. S. 960. (Hierauf bezügliche ausgezeich- nete Abbildungen finden sich bei Rosen- stadt, Arch, f. mikr. Anat., Bd: S. 659.) 75, schreibung die Frage nach den bestehen sollten, von jeher wıe von selbst ignoriert wurde. dass das Epithel bei den Em- bryonen vieler Tiergattungen ganz den Charakter einer ungeteilten plasmatischen Masse mit darin liegenden Kernen, d.h. den Cha- rakter eines Syncelliums trägt. Er berührt jedoch nicht die Syn- cellone des Epitheliums, die in vielen Fällen sehr ausgeprägt sind. Ich meine natürlich den fibrillären Mechanismus des Epıi- thels.. °S- Big. 16. Einige Epithel „zellen“ (z. B. die der Malpigiischen Schicht) spielen die Rolle von Syncello- blasten, denn die äußeren Teile des Epithels schälen sich fort- während ab, und die Schicht wird durch „physiologische Re- generation“ der inneren Teile des Epithelsyncelliums ersetzt. Inwieweit die Syncellien- theorie auf das Drüsengewebe anwendbar ıst, möchte ich vor- läufig dahingestellt sein lassen. Die elektrischen Organe sind bekanntlich sehr mannigfaltig ge- baut, doch sind sie sowohl ihrer Abstammung aus dem Muskel- syncellium wie ihrer ganzen Struk- tur nach so sehr ausgesprochene Syncellien, dass bei ihrer Be- einzelnen Zellen, aus denen sie Man sprach immer von elektrischen „Platten“, Säulen u. s. w. Einige dieser Organe sınd homoiomere, andere poikilomere Syncellien. Auf der beigegebenen Zeichnung sieht man Beispiele 47) Die betreffende Literatur ist bei Rosenstadt, Protoplasmafasern in den Epidermiszellen (Arch. f. mikr. Anat., Bd. 75, S. 659) zusammengestellt. Leontowitsch, Das „Syneellium“ als dominierende Struktur ete. S{ verschiedener Arten dieser Organe. Interessant ist es, dass die aktivsten Formen der elektrischen Platten (z. B. beim Torpedo) mehr homoiomer als die am wenigsten aktiven pseudoelektrischen Platten der Rajıdae sind. In den elektrischen Organen wird die Frage noch durch die Teilnahme der Derivate des Nervengewebes am Syncellium kompliziert. Fig. 18. Stufenweise Entwickelung (aufeinanderfolgende Stadien a, b, c, d, e) der elektrischen Platte (e) der Raja clavata (7!/,cm langes Embryo) aus der Muskel- faser (nach Engelmann); n — zentrale Nervenfasern. Man sieht, wie aus dem homoiomeren Muskelsyncellium ein poikilomeres, die elektrische Platte, entsteht. f — fast vollständig entwickelte elektrische Platte der Raja batis mit bereits scharf ausgesprochenem poikilomerem Charakter einzelner Teile (nach Ewart, Philosoph. Transaction, vol. 179B). Bei der Raja batis ist der poikilomere Charakter noch schärfer ausgeprägt als bei den anderen Rajidae und beim Torpedo. Diese Syncellien bieten noch insofern Interesse, als sie als gutes Beispiel der Mannigfaltigkeit der Syncellien dienen können, was zum Verständnis der Entwickelung des Nervensystems, in dem je nach den Besonderheiten des betreffenden Nervs sowohl kern- reiche als kernfreie Syncellienabschnitte vorkommen, besonders wichtig ist. Was das elastische adenoide und lockere Bindegewebe anbe- trifft, so haben wir es hier — wie das aus dem literarischen Teil der Arbeit ersichtlich ist — überall mit homoiomeren Syncellien zu tun. Überall finden sich darin elastische, kollagene u. a. Syneellone. XXXIIL 6 82 Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. 8. Die Syneellientheorie in ihrem Verhältnisse zur Lehre von der Zelle als von einem elementaren Organismus. Man hört und liest häufig, dass die Zellenlehre schon durch Heidenhain u.a. erschüttert worden und das Grundproblem der Biologie nicht in der Zelle, sondern in Einheiten, die kleiner als die Zelle sind, zu suchen sei. Wir haben ın der Tat gesehen, dass ein großer Teil der Zellen des Tierkörpers viele der Eigenschaften eines echten elementaren Organismus verloren hat und zu Syncello- zellen geworden ist. Recht häufig geht dieser Prozess so weit, dass die Zelle nur ım Zusammenhang mit ihrem Syncellium zu existieren vermag und außerhalb desselben rasch untergeht. In solchen Fällen tritt das Syncellon in den Vordergrund, durch das die Funktion des Syncelliums hauptsächlich bedingt wird; das Syn- cellıum selbst spielt die Rolle einer morphologischen Einheit, wie wir das beim „Neuron“ sehen. Man würde aber sicherlich viel zu weit gehen, wenn man ver- gessen sollte, dass jedes Syncellium, gleichviel ob es sich um ein Plasmodium oder um ein Syneytium handelt, dadurch gebildet wird, dass die Zellen, aus denen auf diese oder jene Weise das Syn- cellium entstanden ist, neben anderen Fähigkeiten eine syn- cellienbildende Eigenschaft besitzen. Unsere vorliegende Arbeit fassen wir eben nur als einen Versuch auf, die Zellen- lehre zu ergänzen, da einige Eigenschaften der Zelle, die zum Verständnis ihrer Rolle im Organismus von Wichtigkeit sind, bis jetzt nicht genügend klar sind. Es entsteht nun die Frage: was bedeutet das, was hundert Jahre lang im Organısmus als „Zelle“ bezeichnet wurde und bei uns „Syncytozelle“ heißt? Dieses Gebilde konnte deshalb Zelle heißen, weıl es tatsächlich oft einer Zelle ähnelt, so z. B. einzelne Zellen des Herzmuskels, die Abschnitte zwischen den Ranvier’schen Schnürungen u. s. w. Von unserm Standpunkte erscheint diese Benennung dadurch berechtigt, dass die Syncellozellen die oft vorkommende Neigung zum Atavismus, d. h. zur Bildung von Formen, die ihrem fernen Vorfahren, dem „elementaren Organısmus“, der selbständigen Zelle, ähnlich sind, stets bewahren. Durch diesen Atavismus reproduziert die Syncellozelle bei jeder Gelegenheit nach Möglichkeit einige Attribute der selbständigen Zelle. Eben dadurch entstehen oft die oben erwähnten Strukturen, die gewissen Seiten einer selbständigen Zelle gleichen, nämlich die Zwischenzellgrenzen. 9. Das Verhältnis der Syneellientheorie zur Theorie der „Gewebe“. In dieser Beziehung ist die Stellung unserer Theorie verschie- denen Gewebearten gegenüber verschieden. Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur etc. 53 So besteht der Muskel offenbar aus einer Menge einzelner Myosyncellien. Besteht die Neuronentheorie zu Recht, so muss das Gewebe des Nervensystems natürlich ganz aus Neurosyncellien zusammengesetzt sein. In diesen uns günstigen Zellen ıst das Syn- celllium im Vergleich zur Zelle eine histologische Einheit höherer Ordnung. In anderen Fällen liegen jedoch die Verhältnisse komplizierter: der ganze Herzmuskel stellt nach der bereits sehr verbreiteten An- schauung ein Syncellium („Syneytium“) dar. Jeder einzelne Knorpel, jeder einzelne Knochen ist wohl auch nur als ein Syncellium auf- zufassen. Aber auch in solchem extremen Falle ist man nicht be- rechtigt, in der Syncellientheorie etwas den Tatsachen Zuwider- laufendes zu erblicken: ın einem solchen Falle erscheint das Syn- cellum nur als eine andere Bezeichnung für das Gewebe, eine Bezeichnung, die aber dadurch wichtig ist, dass hier ein allgemeiner Begriff, entsprechend der Mannigfaltigkeit der Differenzierungen, die ein Studium des Tierkörpers bietet, reichen konkreten Inhalt erhält. Dieser Begriff ist mit dem der Zelle eng verbunden und trägt dabei nicht den Charakter jener wenig besagenden Allgemein- heit, die dem doch völlig richtigen Satze, dass unser Organismus ein „Symplast“ ist, innewohnt. Nun nahmen wir extreme Fälle; die mittleren Fälle können natürlich nichts bieten, was für unsere Theorie von vernichtender Bedeutung wäre. Also auch von diesem Gesichtspunkte spricht vieles für die Syncellientheorie, die eine nützliche, ja sogar notwendige Ergänzung zu der Theorie der „histologischen Gewebe“ darstellt. 10. Das Verhältnis der Synecellientheorie zur Symplasttheorie. Unsere Theorie muss aber mit der Möglichkeit rechnen, dass das Syncellium nicht nur von „Zellen“ ein und desselben „Gewebes“, sondern auch von „Zellen“ und Strukturen verschiedener, mit- einander funktionell verbundener „Gewebe“ gebildet werden kann. So ist die quergestreifte Muskelfaser mit ihrem Nerv und ihrer Sehne eng verbunden. Bei den Nematoden differenziert der Oeso- phagus aus einer eigenartigen plasmatischen Masse (siehe Rhode, l. c., S. 60) Muskelfibrillen, elastische Fasern, dicke kutikuläre Ge- bilde u. s. w., ohne „Gewebe“ auszuscheiden. Für solche Fälle eignet sich die Symplasttheorie sehr wohl. Aber sollte diese Theorie auch jemals eine detaillierte Formulierung erhalten, so müsste sie doch als integrierenden Teil etwas in sich aufnehmen, was zwischen der Zelle und dem Symplast stünde. Demnach füllt unsere Auffassung auch vom Standpunkte dieser Theorie eine natürliche Lücke in der Klassifikation der Tatsachen und muss daher als empirisch nützlich anerkannt werden. 6* S4 Leontowitsch, Das ‚„Syncellium“ als dominierende Struktur ete. 11. Das Verhältnis zu den Sachs’schen Energiden *). Bekanntlich hat Sachs darauf hingewiesen, dass die Bezeich- nung „Zelle“ für das Element des lebenden Organismus von Robert Hooke (1667) stammt, der die innere Konfiguration des Korks und der Holzkohle wegen der Ähnlichkeit mit Bienenwaben als eine zellige bezeichnete. Später wurde diese Benennung — ohne dass es dem Sinne der Sache entsprach — auf das übertragen, was wir jetzt als Zelle bezeichnen. In dem Bestreben, einen Namen zu finden, der dem Begriffe besser entspräche als der Ausdruck „Zelle“, schlägt v. Sachs das Wort „Energide“ vor. Über die Bedeutung dieses Wortes schreibt er folgendes: „Unter einer Ener- gide denke ich mir einen einzelnen Zellkern mit dem von ıhm be- herrschten Protoplasma, so zwar, dass ein Kern und das ihn um- gebende Protoplasma als ein Ganzes zu denken sind und dieses Ganze ist eine organische Einheit, sowohl im morphologischen wie im physiologischen Sinne.“ „Das Wort Energide soll nur den leben- digen, mit Energie, mit Tatkraft begabten Körper bezeichnen, der bei den Pflanzen gewöhnlich (nicht immer) in einem von ihm selbst erzeugten Gehäuse, d. h. in einer Zellstoffhaut, eingeschlossen ist. Diese entsteht auf der Außenseite der Energide; aber auch in dem von der Energide selbst umschlossenen Raume entstehen verschie- dene Gebilde, die an sich nur passive Produkte derselben sind und keine, oder höchstens potentielle Energie besitzen, wie die Stärke- körner, Aleuronkörner, Kristalle“... „dass ich (Sachs) die ge- nannten Zellenteile mit Einschluss der organischen ım Zellsaft gelösten Stoffe als die passiven Zellenprodukte (oder Energiden- produkte) der Energide gegenüberstelle.“ Seinerzeit wurde die Anwendbarkeit der Sachs’schen Theorie auf den tierischen Organısmus von Kölliker*’) erörtert, der sich dieser Theorie gegenüber ziemlich reserviert verhält. Namentlich weist er auf die Schwierigkeit der Einteilung des tierischen Ge- webes in „passives“ und „aktives“, d.h. die eigentliche Energide ım Sachs’schen Sinne, hin. So sind die kontraktile Substanz des Muskels und die Nervenfaser eigentlich die labilsten, energie- begabtesten Körperteile, während sie nach Sachs in die Kategorie der passiven Zellprodukte gehören. Mir als Physiologen würde der Sachs’sche Vorschlag, der ein eigentlich physiologisches Prinzip enthält, sehr sympathisch sein, wenn er nicht an einigen wesentlichen Mängeln litte. Uns scheint es zunächst, dass das Prinzip der Energide einer- seits unbestimmt ist, andererseits als mechanische Konzeption 48) Flora, Bd. 81, 1895, S. 405, 406, 407. 49) Die Energiden von v. Sachs im Lichte der Gewebelehre der Tiere. Ver- handl. d. phys.-med. Gescellsch. zu Würzburg. N.F., Bd. 31, 1897. Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur etc. SH nicht als Grundlage der Klassıfikation der Strukturen des Organıs- mus genommen werden kann, bei der es sich um eine morpho- logische Konzeption, d. h. um Vorstellungen ganz anderer Ord- nung handelt. Zweitens haben morphologisch gleichartige Gebilde, unsere Syncellone verschiedener Gewebe, ganz verschiedene physiologische Bedeutung: so ist eine Bindegewebsfibrille ein „passives Zellprodukt*“, ährend die Nervenfibrille zu der Behauptung Anlass gegeben hat, dass „alles Psychische nur ein Spiel der Reize der Außenwelt im Fibrillengitter des Gehirns ist“, so dass das Sachs’sche Prinzip hier wenig angebracht ist. Drittens löst dieses Prinzip gar nicht die akuteste Frage der modernen Cytologie, die Frage über die Beziehungen zwischen dem, was „Zelle“ und dem, was „Intercellularsubstanz“ heisst. Nament- lich umgeht Sachs die in der letzten Zeit überall in den Vorder- grund tretende Frage über die eigenartige Vitalität der Intercellular- substanz. Viertens ıst es zuweilen angebracht, im tierischen Organismus unter Energide nicht nur das, was Sachs als solche bezeichnet, sondern auch manches andere zu verstehen. So ıst z. B. die Exi- stenz von Syncellien wahrscheinlich, die nicht nur aus Zellen eines Gewebes, sondern auch aus Zellen verschiedener Gewebearten be- stehen. Das motorische Rückenmarksneuron bildet z. B. mit der von ihm innervierten Muskelfaser eine funktionelle (und vielleicht auch morphologische) Einheit. Es ist daher natürlich, im tierischen Organismus nicht nur das als Energide zu bezeichnen, was v. Sachs unter diesem Worte versteht, sondern auch vieles andere, was von dem ursprünglichen Sachs’schen Sinne weit abweicht. In Anbetracht dieser Umstände halten wir die Einführung des Begriffes „Energide“ für ein empirisches, nicht sehr genaues, aber zuweilen zum Eindringen in das Wesen der Sache sehr nützliches Hilfsmittel, das sich namentlich bei Erörterung einiger biologischer Fragen gut bewähren kann; durch diesen Begriff den Begriff der Zelle ersetzen zu können, halten wir für ausgeschlossen und ziehen die oben dargelegte Theorie vor. 12. Schlussfolgerungen. 1. Der Tierkörper besteht in seiner Hauptmasse nicht aus Zellen, „elementaren Organismen“, sondern aus Syncellien. Als „elementare Organismen“ sind vielleicht nur die Wanderzellen des Bindegewebes und des Bluts zu betrachten. 2. Die Syncellien bestehen aus Synzellen, Syncellonen, Syn- celliten, Syncelloformiten, Syncelloblasten, Syncellodegeneriten. Das Syncellium führt ein eigenes zyklisches Leben. Sb Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur etc. 3. Verschiedene Arten von Syncellien: A. Homoiomere Syncellien: 1. „Riesenzellen“ des Knochenmarks, Osteoblasten. 2. Quergestreifte Muskelfasern. 3. Syncellium des Gerüstes der Lymph- und einiger an- derer Drüsen (adenoides Gewebe). 4. Lockeres, geformtes, elastisches, embryonales Binde- gewebe. 5. Epitheliales „Gewebe“. 6. „Glattes Muskelgewebe.“ B. Poikilomere Syncellien: . Myosyncellium des Herzens. . Elektrische Platten des Torpedos. . Knorpel, Knochen. . Elektrische Platten der Rajıdae. 5. Nervengewebe (Neurone etc.). (Der poikilomere Charakter nimmt von 1—5 zu.) Einige Syn- cellien der Gruppe B müssen als azentrale, die anderen als mono- zentrale (das klassische Neuron Waldeyer’s) oder multizentrale (einige Neurone A. Dogiel’s) bezeichnet werden. 4. Es kommen auch Konglomerate syncellären Charakters vor, die nicht aus „Zellen“ ein und desselben Gewebes, sondern von verschiedenen Gewebearten (z. B. Muskel- und Nervengewebe, Nerven- und Epithelgewebe etc.) zusammengesetzt sind. 5. Nichtsdestoweniger bildet die Grundlage alles oben Geschil- derten die Zelle; es kommt hierbei namentlich ihre Eigenschaft ın Betracht, unter gewissen normalen Bedingungen ihres Lebens Syn- cellien mit allen dazu gehörenden Strukturen zustande zu bringen. Man ist daher nicht berechtigt zu verkünden, dass die „Zelle“ ab- getan ist: sie wird stets im Mittelpunkte des biologischen Denkens bleiben. Die Zellenlehre soll nur durch die Syncellientheorie und die Befunde, die die Zerlegung der Zelle in Einheiten niederer Ordnung (biologischer Atomismus) schon jetzt bietet und für die Zukunft verspricht, eine Ergänzung erfahren. P»=omX m 13. Die Lehre von den Geschwülsten im Liehte der Syncellientheorie. Vom Standpunkte des Syncelliums aus werden auch einige Seiten der Lehre von den Geschwülsten beleuchtet. Rohde hat das schon von seinem Standpunkte aus getan. Das Hauptsächlichste in seiner Auffassung besteht darin, dass in einem gewissen Entwickelungsstadium jede Geschwulst ein Plasmodium darstellt; so erwirbt das Gewebe bei der Bildung einer Geschwulst die Eigenschaften eines jungen Gewebes, wobei das Plasmodium Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur ete, 571 der Geschwulst, unabhängig von den „Zellen“ Fibrillen (wenn solche vorhanden sind) differenziert. Von unserem mehr detaillierten Standpunkte aus kann man noch etwas weiter gehen als Rohde: wir halten für die primäre Ursache oder besser gesagt, für die primäre Bedingung der Bildung und Entstehung einer Geschwulst das Auftreten solcher „Zellen“ (Produkte der Synzellen) im Organismus, in welchen die Fähigkeit zur Bildung eines Syncelliums mehr oder weniger stark gelitten hat; die Zellen verlieren solche Zell,organe“, welche für die Bildung eines Syncelliums wichtig sind und erwerben Organe, die zur Hebung der Vermehrungsfähigkeit der Zelle nötig sind. Diese beiden Zell- „organe“ sind deshalb so verbunden, weil die ihr Leben im Syn- cellıum zubringende „Zelle“ die Möglichkeit einer größeren Diffe- renzierung erhält; sie kann als Teil eines Syncelliums — der Einheit neuer höherer Eigenschaften — erscheinen, aber dabei gehen einige frühere Eigenschaften verloren, so wie z. B. das planmäßige Leben eines Menschen innerhalb irgendeiner Organisation, z. B. eines Staates, ihm gewisse spezielle Funktionen auferlegt und ihm die Möglichkeit nımmt, seine ganze Zeit einer Beschäftigung nach seinem eigenen Geschmacke zu widmen, aber dafür gibt ihm das alle Be- quemlichkeiten der Arbeit mit Arbeitsteilung. So binden auch die Zellen im Syncellium einander in allen ihren Eigenschaften und folglich auch in der Vermehrungsfähigkeit. Dank dieser Veränderung der Eigenschaften der Zelle ändert sich die Morphologie des Syncelliums und die Reife (sein Alter), welche es im Organismus erreichen kann, im Vergleich zur Norm: die Zahl der Syncelloblasten vergrößert sich, die der Fibrillen ver- ringert sich, die Entwickelung der Syncellonen ist in größerem oder geringerem Grade gehemmt und die Syncellien bleiben stets jünger als in der Norm (vgl. Fig. 14). Die Geschwülste stellen also Erkrankungen derjenigen Fähig- keit der Zelle dar, die sie nötigt, in Syncellien zu leben. Diese Fähigkeit kann jedoch in sehr verschiedenem Grade beeinträchtigt werden, das eine Mal mehr, das andere Mal weniger. Daher auch die Möglichkeit — was bei den Geschwülsten so krass ins Auge fällt — dass dieselben einen überaus verschie- denen Charakter aufweisen können. So z. B. können Geschwülste von bindegewebigem Charakter aus Bildungen zusammengesetzt sein, die nur aus „Zellen“ allein (z. B. das bösartige Rundzellen- sarkom) oder aus Zellen und „Bindegewebsfibrillen“ von überaus fester Konsistenz (gutartige Fibrome) bestehen. | Die Pathologie kennt, wie bekannt, allerlei Übergangsformen zwischen jenen und diesen, wobei die Geschwulst, wenn sie sich selbst überlassen bleibt, sehr hartnäckig ihren ursprünglichen Cha- vakter bewahrt und nur im Falle irgendwelcher anderweitiger Rei- os Leontowitsch, Das „Syncellium‘ als dominierende Struktur etc. zungen (Kauterisationen, operative Eingriffe) nicht selten bösartiger wird, als anfangs, womit auch die größere Armut eines solchen neugebildeten Gewebes an Fibrillen Schritt hält. Von unserem Standpunkte aus ist es begreiflich, weshalb die Geschwülste am häufigsten bei alten Menschen auftreten: bei diesen sind natürlich alle „Zellen“ mehr zu Erkrankungen geneigt als in der Jugend, und unter den sonstigen Defekten der „Zellen“ ist natürlicherweise auch ein solcher vorhanden, der in einem größeren oder geringeren Verlust der Fähigkeit zu normal-progressiven Pro- zessen — der Bildung eines Syncelliums — besteht. Die weniger (nicht zu Ende) differenzierten Zellen haben jedoch natürlicherweise eine stärkere Neigung sich zu vermehren. Wenn das Syncellium die Fähigkeit verloren hat, seine Entwickelung zu Ende zu führen, so wird hiermit erreicht, dass solche Syncellien die Fähigkeit er- halten, sich zu vermehren, und dazu um so stärker, je früher das Syncellium in seiner Entwickelung stillsteht, und das bedeutet ja doch mit anderen Worten, dass sich eine „bösartige Geschwulst“ entwickelt. | Wenn auf die Zellen eines solchen Syncelliums irgendein neues schädigendes Moment (Reizung) einwirkt, so ist eine weitere Schwä- chung der Fähigkeit zur Syncellienbildung, d. h. eine Verstärkung der Bösartigkeit der Geschwulst möglich. Von unserem Standpunkte aus stellen alle diese seltsamen Eigentümlichkeiten der Geschwülste eine solche Erkrankung der Zelle dar, bei welcher durch eine einmal erfolgte Einwirkung die Fähigkeit (oder das Bedürfnis, die Eigenschaft) der Zelle, nicht ın (Gestalt eines Elementarorganismus, sondern eines Syncelliums im Organismus zu leben, sich als in verschiedenem Grade geschädigt erweist. Somit scheint auch hier die Syncellientheorie, die einige dunkle und seltsame Eigentümlichkeiten der Geschwülste und zwar solche, die sowohl vom Standpunkte der Theorie der Embryonalreste als auch vom parasitären Standpunkte aus ganz unklar sind, beleuchtet, der Wahrheit nahe zu kommen. Ich bin weit davon entfernt, ın dem Dargelegten einen Ersatz für diese beiden Theorien sehen zu wollen, ungeachtet dessen, dass die Theorie der Embryonalreste ebenso wie die parasitäre, gleich wenig experimentell begründet ist, und doch liegt gerade hierin die Grundforderung jeder wissen- schaftlichen Theorie. Unsere Auffassung ist ja mit beiden Theorien vereinbar; beim Experimente auf der Suche nach dem „Parasiten“ ist es ja auch möglich, dass in reifen Geschwülsten kein Parasit vorhanden ist: möglicherweise waren nur in den jüngsten Stadien der Geschwulst Parasiten vorhanden, und zwar zu einer Zeit, wo man am allerwenigsten an eine Geschwulst denken konnte: nachdem sie nun die Rolle von Leontowitsch, Das „Syncellium“ als dominierende Struktur ete. so Faktoren in dem Sinne gespielt hatten, dass Zellen entstanden waren, die zur Bildung von Syncellien unfähig oder nur wenig fähig waren, gingen die Parasiten spurlos zugrunde, wobei sie nur seltsame Zellen hinterließen, die auf den ersten Blick den Zellen des Organismus sehr ähnlich sind, aber in Wirklichkeit für den Organismus einen schädlichen Parasiten darstellen. So haben die Parasiten die Zellen gleichsam befruchtet, sie verjüngt und sind dann verschwunden. Hiermit sind wir jedoch schon auf das Gebiet der experimen- tellen Forschung geraten, der das Weitere anheimzustellen ist. Von diesem unserem Standpunkte aus ist es ja natürlich, dass alle Gewebe des Organismus der Geschwulst einen ihnen ent- sprechenden Typus von größerer oder geringerer Bösartigkeit ver- leihen können. Die Frage von der Rolle der Syncellienfibrillen in den Ge- schwülsten hat bereits die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich gelenkt. Mir ist nur eine Untersuchung dieser Art bekannt. Sie gehört Omeltschenko°®) an. Er kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Die Verbindung der Zellelemente des vielschichtigen poly- morphen Epithels ist durch ein Fasergewebenetz bedingt. 2. In den Nestern dieses Netzes sind Fpithelzellenkerne ge- legen; die Membran dieser Zellen ist unabhängig vom Gewebenetz. Die intracellulären Fasernetze stellen einen Teil des allgemeinen Gewebenetzes des vielschichtigen Epithels dar, ebenso wie die Inter- cellularbrücken einen Teil und die unmittelbare Fortsetzung der einzelnen Fasern ebendesselben allgemeinen Gewebenetzes bilden. 4. Bei gutartigen Wucherungen des vielschichtigen Epithels erhalten sich die Fasern des Gewebenetzes bei ihrer Vermehrung, sowohl zwischen den Zellen, als auch innerhalb der Zellkörper. 5. Bei den atypischen Wucherungen desselben Epithels von bösartigem Charakter werden vor allem diejenigen Teile der Ge- webenetzfasern desorganisiert und verschwinden sodann, welche in den Intercellularräumen gelegen sind; später wiederholt sich das- selbe mit der intracellulären Gewebenetzfaser°!). Somit sind die Beziehung unseres „Syncellons“ und seine Be- einträchtigung bei bösartigen Neubildungen auch schon empirisch etwas berührt worden. Wenn unsere Auffassung ın Zukunft die Bedeutung erhielte, auf welche der Autor glaubt rechnen zu dürfen, so würden Unter- 50) Th. Z. Omeltschenko. Ein histopathologisches Frühsymptom des viel- schichtigen polymorphen Epithels in Zusammenhang mit der Morphologie des faserigen (sewebenetzes. „Russki Wratsch“, 1910, S. 1553 (russisch). 51) Weitere Arbeiten von Omeltschenko: „Russki Wratsch“, 1903, S. 1166: 1905, Nr. 45; 1898, Nr. 7. „Militärmedizinisches Journal‘ 1898, Juli (russisch). Y) Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur etc. , J suchungen, wie diejenigen von Omeltschenko, ein außerordent- liches Interesse gewinnen. 14. Nachwort. Sehr interessant für die Erforschung der Prozesse der Nerven- entwickelung ist die von Harrisson, und später von W.H. Lewis und M. R. Lewis und von Braus°) angewandte Methode der Erforschung der Nervenentwickelung ın Gestalt von Kulturen auf Deckgläsern einzelner lebender Schnitte von Embryonenteilen. Harrisson und nach ihm auch andere meinen sogar, dass auf diesem Wege neue Tatsachen gefunden sind, die entschieden für die klas- sische Theorie des Neurons — „der Nervenzelle* — und folglich auch gegen unsere Auffassung sprechen. Der bekannte Antineuronist und Experimentator Braus wurde durch solche von ıhm erhaltene Kulturen dazu geführt, die Berechtigung der Behauptung der Neuro- nisten anzuerkennen, dass aus der zentralen Ganglienzelle des Neuro- blasten der Neurit etwa so hervorwächst, wie His das annahm; der Neurit wächst doch aber in diesem Falle ziellos, ohne sich des natürlichen Weges für den gegebenen Nerven im Organismus bewusst zu sein; das hängt nach Braus davon ab, dass außer dem zentralen Neuriten für den regelrechten Wuchs diejenigen Plasmo- desmen desselben mit anderen Zellen nötig sind, die bei der „Kultur“ zerstört werden. Somit kann man nicht umhin, von der Verneinung der Neuronentheorie zu einer gewissen neuen in der Mitte zwischen beiden stehenden Anschauung überzugehen. Wenn wir nun den gegenwärtigen Stand der Neuronenfrage in Betracht ziehen, der von Braus treffend mit den Worten gekennzeichnet wird: „Man darf sich heutzutage nicht auf Nervenprobleme einlassen, ohne mit Faust der Frage gewärtig zu sein: Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? — Das Sanctissimum der meisten Neurologen ist das Neuron geworden“ (l. ec. S. 144), so weist uns unsere Auffassung auch hier einen sehr bequemen Weg, wie wir es vermeiden können, die nüchterne und trockene Wissenschaft durch eine vielleicht feuer- geistige und mitunter nützliche, jedoch auf die Dauer nicht zu dul- dende wissenschaftliche „Religion“ zu ersetzen. Die Beobachtungen von Braus ergeben im Grunde genommen die Tatsache, dass sich im Innern des durch Plasmodesmen mit den anderen Zellen des Embryo (Held hat mit Hilfe einer ent- sprechenden Färbung das Vorhandensein solcher Plasmodesmen auf His’schen Originalpräparaten festgestellt) in Verbindung stehenden Neuroblasten eine gewisse fibrilläre spezifische Nervenstruktur — der Neurit —- entwickelt. 52) Die Entstehung der Nervenbahnen. Verhandl. d. Gesellsch. deutscher Naturf. u. Arzte, 83. Versamml. .1911, I. Teil, S. 114. Leontowitsch, Das „Syncellium‘“ als dominierende Struktur etc. 4 Wenn Braus also sagt: der Neurit wächst nach His als Aus- wuchs aus einer zentralen Zelle, und wenn wir sagen, dass die Sache nicht so vor sich geht, wie das Braus behauptet, sondern dass eine eigenartige Differenzierung des Neurosyncellons innerhalb des Syncelliums aus dem zentralen „Neuroblasten“ und den mit ihm durch die Plasmodesmen verbundenen Zellen erfolgt, so stehen wir nur, was die Deutung des von ihm beobachteten Faktums, nicht aber das Faktum selbst anbelangt, auf verschiedenem Standpunkt; Braus und die Neuronisten halten sich nur an etwas dem Anthro- pomorphismus Ähnliches; wir beschreiben nur ganz objektiv das Resultat des Versuches, und auf experimentellem Wege wird die Behandlung dieses Gegenstandes vom „anthropomorphischen* Standpunkt ja auch niemals gerechtfertigt erscheinen. Gegen uns spricht auch keineswegs das dem für den erwachsenen Organismus längst bekannten Experiment analoge Braus’sche Experiment, welches zeigt, dass der periphere Teil des Neuriten des Embryo ın der Kultur nach der Durchschneidung abstirbt. Somit stellt sich auch diese interessante Strömung des experI- mentellen Gedankens uns nicht hindernd in den Weg. Zum Schlusse meiner eigenartigen Rehabilitierung der Lehre von der Zelle glaube ich betonen zu sollen, dass ich sehr wohl ein- sehe, dass sich viele Teile unserer Theorie fürs erste auf ein an Widersprüchen reiches und noch recht unzulängliches Material gründen; ich bin überzeugt davon, dass sich nicht wenige unter den Lesern dieser Mitteilung finden werden, die mehr als gern dem Autor derselben den Rat gäben, den einen oder anderen Bereich dieses oder jenes Gewebes oder seine embryonale Entwickelung zu erforschen u. s. w. — was ja aber nur mit Hilfe der Arbeitskraft von Generationen, nicht aber eines einzelnen Forschers ausführ- bar ist. Wir meinen jedoch, dass hier, wo das Bestreben hervortritt, eine der allgemeinsten Fragen der Biologie in die Betrachtung hineinzuziehen, der Forscher Kühnheit und Scharfsinn an den Tag legen soll, und dass er, wenn ihn seine Forschungen unwidersteh- lich zu gewissen Schlüssen hindrängen, sich kühn auch auf ein noch nicht ganz fest: gegründetes Fundament stützen darf. Die Geschichte der Neuronentheorie hat gezeigt, dass fast alle ihre Grundlagen nicht wissenschaftliche „Tatsachen“, sondern nur Hypothesen sind; sonst wären doch wohl die erbitterten Kontro- versen über dieses Thema, deren Zeugen unsere Zeitgenossen waren und noch sind, kaum möglich gewesen. Dessenungeachtet kann man nicht umhin, der Waldeyer’schen Theorie die Bedeutung einer der fruchtbarsten Ideen der neueren Naturwissenschaft zuzu- erkennen. Feci quod potui, facıant meliora potentes! 4) Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. By R. R. Gates. Imperial College of Science, London. The discussion which has been evoked in several recent papers, on the manner of origin of Oenothera gigas, calls for additional facts as well as certain comments and criticisms. Several years ago (Gates, 1909a) in a somewhat detailed study of the nuclear and cell size ın OÖ. gigas as compared with its parent, O. Lamarck- tana, 1 expressed the view that the doubling in the chromosome number had probably occurred as the result of a suspended mitosis in the fertilized egg or in an early division of the young embryo. This view was based upon several facts, one of which was the absence of triploid (3 X) mutants in Oenothera; and another, the absence of triploid species among all the plants whose chromosome numbers are known, combined with the occurrence of a considerable list of tetraploid species, ı. e., species having double the chromosome number of their nearest relatives. This view placed the essential mutational change m a dif- ferent part of the life cycle of ©. Lamarckiana from that which the mutation theory of de Vries would suggest, namely in the fertilized egg rather than during the reduction divisions in the spore mother cells. Accordingly, Stomps (1910) stated his belief that O. gigas originated from the union oftwo “unreduced” or diploid germ cells rather than from a transformation oceurring at or after the time of fertilization. He cited (p. 59) as evidence for this view an observation of de Vries’ pupil, Geerts (1909, p. 52), who found a megaspore mother cell of ©. Lamarckiana having twenty-eight instead of fourteen chromosomes. Stomps expressed the opinion that such a megaspore mother cell would undergo the usual chromo- some reduction and would then go through the embryo sac mor- phology, producing an egg with fourteen chromosomes. He further assumed that such an egg was fertilized by a male cell derived from a diploid pollen grain, to produce the gigas mutant with twenty-eight chromosomes. Instead of this rather roundabout method, involving the assumed occeurrence of diploid pollen grains, I sug- gested (Gates, 1911a, p. 934) that it was at least equally probable that the type of megaspore mother cell observed by Geerts developed an embryo immediately, thus omitting both reduction and fertilization. This was based upon the well-known fact that higher chromosome numbers are frequently associated with some form of apogamy, a list of such cases having been given in my earlier paper on the subject (1909a, p. 545). I also cited in that paper several instances in which the number of chromosomes had Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 95 been doubled experimentally by means of a suspended mitosis after the split in the chromosomes had taken place. Soon after the publication of my earlier paper, Strasburger (1910) stated his complete agreement with my point of view, and like me, believed that tetraploıd species in general originate from the failure of a mitosis to be completed in the fertilized egg or ın one of the early divisions of the young embryo. He said (p. 409), „Er (Gates) kommt zu dem Ergebnis, das ich auch für das Wahr- scheinlichste halte, dass die Doppelzahl der Chromosomen von O. gigas ihren Ursprung hatte in einer Teilung der Chromosomen, die nicht von Zellteilung begleitet war, bald nach der Befruchtung.“ And in conclusion (p. 445) he writes, „Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass der Ort eines solchen Vorgangs (the chromosome doubling) das befruchtete, noch ungeteilte Ei ist.“ In the paper above-mentioned, I cited the following as analogous cases of species having tetraploıd chromosome numbers which had probably originated in a manner sımilar to that of O. gigas, though insome cases complicated by the occurrence of more than 4 X Shan: somes: Several species belonging to the Eualchemillas, Antennarza, Drosera longifoha, Hreracium ezxcellens, H. flagellare, Nephrodium molle, several varieties of Athyrium filix-foemina, and certain varieties of Zastrea pseudo-mas. To this Ist Strasburger (1910) added a long series of cases in plants and animals. The following table includes this list together with a number of other cases which have been reported since. Table 1. | Chromosomes Ieprodnction | Reduced Unreduced uni: | j: ga ur T l l l Wikstroemia canescens| Sexual | 9 | 18 Strasburger, 1910 Werindcame a, | apogamous | = 26 -28 | | gemini!) Rosa Uvida?). .... .| sexual S | 16 5 R. einnamomea..... | r 6) | 16 | R. canina (many forms) | 5 fo) | 16 > R. eanina (one form) .| apogamous 16 or 12 |733701,34 Rosenberg, 1909 R. glauca (one form) . 5 lls.or. 1% 33 or 34 | 55 Taraxacum offieinale . u — over 26 | Juel, 1905 T. confertum ...... | — | 8 | about 16 | Rosenberg, 1909 Houttuynia cordata .., partheno- — | 32—56 Shibata & genetic | Miyaka, 1908 I 1) Gemini larger than in W. canescens, the cells, as well as the stigmas and ovules being also larger. 2) Strasburger (1910, p. 407) also refers to the fact {hat in the genus Rubus there are commonly six gemini in the germ cells, while in several Rosa g4 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Table I. contd. | | Chromosomes | Reproduction BAR; Unreduced | Author number number | Thalictrum purpuras- | | COS EE e | partheno- | | \ genetic 24 48 Overton, 1909 IR UNE SL EC A uhe | sexual 12 | 24 | r Rumex Acetosa..... | apogamous 5 | 16 ' Roth, 1906 Tea RISDANICUSIE | ” [6) 16 | n Mranfohus.. ın2.. | > 8 16 : BRenwalis „2.0.2: | > 8 | 16 „ R. Acetosella®) ..... | > — | 16 gemini e R. seutatus®) . ....: | Z— — | 12 gemini | ea R. cordifolius®) ....| — | _ | 40 gemini | a INerıspus 2 See ae. | > | — | = | 2» Raten | sh — | = | 2 Hunlianovatar ee | sexual | — | 48°) ' Sykes, 1908 F\. Sieboldiana ..... | as | — 48 | R Table I. contd. | | Chromosomes | \ Reproduction zanead ea Author | number number Ascaris megalocephala | | UNO olen Su sexual 1 | 2 Boveri, 1887 Arm. bwalens .n: > = 2 | 4 5 A. lumbrieoides univa- lense er Ber., Meee # 12 24 ” FAmIabrValensen # 24 48 y, Styelopsis’) ......- — — Sor4 Julin. Blonania Aa nee _ = 17. 6.0793 Stevens Helix pomatia ..... — - | 48 or 24 — Echinus mierotubereu- \ | re | = N) | 18 Boveri, 1888 species he found 8 gemini, and remarks that if {he Aphanes group of the genus Alchemilla have been derived from such ancestors, they should be regarded as tetraploid and the Eualchemillas as octoploid in character. He suggests that a similar explanation may apply to the Elatostemas and Urticas. 3) Strasburger points out (1910, p. 429) that in this case the chromosomes of the tetraploid species are half the size of those in the diploid species, while the nuclei are the same size in both, from which he concludes that in this case the tetraploid number originated through a transverse division of the chromosomes. 4) Nuclear size same as in previous species. 5) Nuclei larger than in the section Acetosa. Also the species with low chromosome numbers do not hybridize, while species with high numbers cross readily. 6) This number is tetraploid as compared with many other Liliaceae, and probably originated through a transverse division of the chromosomes. 7) See Strasburger (1910, p. 442). Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 05 Table I. contd. Chromosomes ML Bauduetion| Reduced Unreduced Auad: | ' number number E. mierotuberculatus . — 18 | 36 Boveri, 1902 & | | Stephens, 1902 BYCIOBERSRDN EA: | = — 6— 22°) H. Braun Mnium hornum ....| normal | 6 12 'M. Wilson, 1911 M. hornum bivalens . . | aposporous | 12 — E. & E. Marchal, | | 1911 Bryum capillare .... normal | 10 20 | r B. capillare bivalens . | aposporous | 20 _ a Amblystegium serpens. | normal 12 | 24 n A. serpens bivalens .. || aposporous | 24 | 48°) | n Musa sapientum var. Eee I Sterile | 5 | 16 Tischler, 1910 M. s. var. „Radjah | Sam re l > 16 32 % Mrs: var. „Kladi.-.. 5% | 24 48 ee Crepis tectorum ....| -- | 4 | 8 Juel, 1905 O=japonieca.: ..2.;.. — | 8 | 16 Tahara, 1910 Dahlia coronata .... _ | — 32 Ishikawa, 1911 Dahlia, nine varieties . _ | — 64 Ishikawa, 1911 Sazifraga sponhemica _ | 15 30 Pace, 1912(p.317) SroOzanulatae. en: — | 30 60 Juel, 1907 Artemia salina, from | Caghariıa 2... sexual | — 42 Artom, 1911 A. salina, from Üapo- | distlanan an . n partheno- genetic —_ S4 . Primula floribunda .. sexual 9 18 Digby, 1912 Poveraeillata. 1... > 9 18 P. verticillata X P. flo- | ribunda (= P., verti- eillata Pr). ....% | 55 | 9 18 % P. kewensis (type) . . - | — ) 18 & (= P. floribunda X P. | vertieillata) ....... . self-sterile(no | pin-flowers) 9 18 P. kewensis (seedling) | | (from a pin-flower) !°) | fertile 18 36 . 8) This range of chromosome numbers occurred in different species, with corresponding differences in nuclear size. 9) That is, twelve “bi-gemini” or partly fused groups of four chromosomes. In each case the nuclei and cells of the tetraploid forms are obviously larger, follow- ing the rule developed by me in the case of O. gigas, in 1909. 10) This single pin-flower appeared as a bud mutation on a plant which bore Sn Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Table I. contd. Chromosomes | Reproduction Rednet Denen Author number un P. kewensis farinosa | | | (by selection)... ... fertile 18 | 36 | Digby, 1912 P. kewensis farinosa (from P. vertieillata | X. P. floribunda isa- | | | bellina) ee % | 15 | 36 | P. floribunda isabellina | X FP. kewensis (type) | | (= P. floribunda vsa- | | bellina F7.).. nn | 9 | 18 P. ee (ee) % | | ’, floribunda isabel- | e RA 5:0 sterle — | — 5 P. floribunda isabellina | | X P. kewensis (seed- | ling) = P. floribunda | | isabellina Fr.) .... | fertile | 3) 18 fr Tritieum vulgare ...| self- | | pollinating | 8 16 Nakao, 1911 Seelen. cereale 2 20 3 | [6) | 16 | ” Hordeum distichum . . > | 7 | 14 ;s Triticum dicoccoides . n, 8 16 Bally, 1912 Aegilops ovata ..... h | 16 32 Er The Marchals in the year previous to Strasburger’s paper (1909) published a second paper on experimental apospory in the Mosses, in which among other things, it was shown that the tetra- ploid races possessed proportionally larger nuclei and cells, accompanied by larger dimensions of certain organs, particularly the sex organs. In a third important paper (1911) these authors reach further interesting conclusions, some of which may be refer- red to here. It was found that in the sporophyte of Amblystegium serpens bivalens, produced aposporously by wounding the capsule of the moss, the chromosomes were in groups of four (*bi-gemini“). As a result of extensive experiments with many mosses, it was found that in the dioceious species, regeneration of the gametophyte from the sporophyte gives rise to diploid gametophytes, which are physiologically bisexual, but sterile; while in monoecious species a diploid gametophyte is produced which has normal sexuality and only thrum flowers. Self-sterility obviously accounts for the failure of the original P. kewensis to set seed. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 07 is fertile, its (tetraploid) sporophyte produeing diploid spores which permanently fix the race. One of the most interesting facts discovered was a single case (Phascum cuspidatum) in which the doubling in the number of chromosomes, or rather the aposporous production of a diploid gametophyte directly from the sporophyte, was accompanied by mutational changes in the external characters. This mutant produced no sex organs and was consequently sterile, but reproduced by means of groups of cells resembling propagula, such as are found normally in certain other mosses. This result shows, as I have held, that mutational changes may occur at other points ın the life cycle than the reduction divisions. Another interesting paper dealing with polyploıd chromosome numbers, ıs that of Tıschler (1910), who found ın the banana (Musa sapientum) three races having reduced chromosome numbers as follows: “Dole” 8, “Radjah Siam” 16, and “Kladı” 24. He further found that the volumes of the nuclei were in the ratio 1:2:3, confirming the law I obtained with O. gigas and O. Lamarckiana. Since the bananas are sterile, ıt is not evident how the tetraploid and hexaploid conditions could have been arrıved at through the union of unreduced germ cells. Tahara (1910) has found 16 chromosomes as sporophyte number in Orepis japonica, which is the tetraploıd number as compared with 8 chromosomes reported by Juel (1905) in €. tectorum. Ishi- kawa (1911) has also shown recently that while nine varieties of Dahlia examined by him possessed 64 chromosomes, one species, D. coronata, had only 32. Judging from his figures, the cells of the tetraploid races are somewhat larger, though the individual chromosomes are distinetly smaller. This condition does not fit the anticipation either for a longitudinal or a transverse split of the chromosomes. Very recently, Miss Pace (1912) has added another to the list of tetraploid species by determining 15 as the X number of chro- mosomes for Saxifraga sponhemica, Juwel (1907) havıng already found 30 as the X number ın 8. granulata. And Bally (1912) has found the X number of chromosomes in Aegilops ovata to be 16, which is double the X number (5) ın Tritieum vulgare and T. dieoccoides. The determination of the number for wheat ıs a confirmatıon of Nakao (1911), who found the X numbers to be 8 for wheat and rye, and 7 for barley. Aegelops ovata ıs so closely related to Tretz- cum vulgare that the two cross freely and have been included by some writers in the same genus. Bally found the heterotypie chromosomes in T. dicoccoides to be short and plump, while ın Aegilops they were elongated and with a hook for attachment to the spindle fibres. He states that the latter were also about half XXXINM. 7 98 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. as large. It ıs not clear from his figures whether there is an accompanying difference in the size of cells and nuclei. Hybrids between these species should be very favourable for tracing the distribution of the chromosomes in meiosis. Another paper to which reference must be made, is that of Artom (1911), who found sımilar conditions in the Crustacean Artemia salina, the sexual form from Caglıarı having 42 chromo- somes, while the parthenogenetic form from Capodistria possessed 84. Of all the papers hitherto cited, in which the question is considered, Artom’s is the only one which refers the origin of the doubling to the union of two diploid germ cells rather than to the region of the fertilized egg''). Keeble (1912) has given an interesting account of the origin and structure of a giant Primula sinensis wich originated as a mutant in a culture of “White Queen Star“. The cells were found to be gigantic though the chromosome number (24) remained unchanged. Gregory (1909) found the same relation to exist in normal and giant Star Primulas. Keeble (l. c., p. 172) suggests that the cell giantism “may be due to a reduction in the normal rate of cell-division”. It seems to me more probable that the original change or mutation was in the size of the cell, and that the slower rate of growth was a secondary effect. This view is based on the fact that Oenothera gigas, in which the chromosome number is doubled, is also slower ın ıts rate of growth. Several most interesting parallels to the case of Oenothera gigas are furnished by the Primulas recently investigated by Miss Digby (1912). The two species, P. floribunda and P. vertieillata, each have 15 chromosomes as 2 X number. P. floribunda X P. ver- tieillata gave the hybrid P. kewensis which produced only thrum flowers and was therefore sterile, having also 18 chromosomes like the parents. It was multiplied by cuttings for about five years, when a single pin flower appeared on one individual. This was pollinated from a thrum flower and gave rise to the fertile race of P. kewensis, having 36 chromosomes, from which a variety, P. kewensis farinosa, having also the tetraploid number of chromosomes, was afterwards obtained by selection. Of equal interest is the further fact that the reciprocal cross, P. vertieillata X P. floribunda isabellina, also gave P. kewensis farinosa, having 36 chromosomes. Thus the doubling is not a 11) I must also refer here to a recent observation of Geoffrey Smith (1912) in which he found (in accordance with G uyer's results) that in hybrid pigeons normal synapsis failed to take place in spermatogenesis, the chromosomes failing to form bivalents and being irregularly distributed in the heterotypic mitosis. The homotypie mitosis was almost wholly suppressed, the secondary spermatocytes forming directly spermatids and spermatozoa, which are therefore of twice the normal size, Drucker und Schreiner, Mikrokryoskopische Versuche. 9 chance occeurrence, and obviously the most probable place to look for the origin of the tetraploid number is in the fertilised egg, for it is too great a strain on one’s credulity to assume that in both these independent cases the union happened to be between a diploid egg and a diploid male cell. It might be assumed that only tetraploid seedlings germinated, but this is certainly contrary to the probabilities when we consider that, ın other crosses, both P. floribunda X P. verticillata and the reciprocal cross gave hybrids agreeing with the female parent and having the regular diploid number of chromosomes. The further fact is of interest, that though P. floribunda X P. verticillata and its reciprocal have both given matroclinous hybrids, they have also, in other erosses, both given rise to races of P. kewensis. (Schluss folgt.) Mikrokryoskopische Versuche. Von Carl Drucker und Erling Schreiner. Die Veranlassung zur Ausarbeitung einer mikrokryoskopischen Methode gab der Umstand, dass oft, insbesondere bei biologischen Aufgaben, nur eine kleine Flüssigkeitsmenge zur Verfügung steht. Diejenigen Verfahren zur Bestimmung osmotischer Konzentrationen '), die bisher die geringsten Substanzmengen beanspruchten, sind erstens die vortreffliche Dampfdruckmethode von Barger?) und zweitens die spezielle Form der Beckmann’schen Gefrierpunktsmessung, die von Guye und Bogdan?) angegeben und von Burian und Drucker*) modifiziert worden ist. In dieser Gestalt verlangt der Apparat noch ca. 1 resp. 1.5 ccm Lösung, aber auch das ist in vielen Fällen noch erheblich mehr als vorhanden ist. Die Anwendung eines kleinen elektrischen Thermometers in der eben erwähnten Anordnung war das erste Mittel, durch das wir den Substanzbedarf zu vermindern versuchten. Nach einigen Versuchen haben wir aber darauf verzichtet und uns entschlossen, die Temperaturmessung außerhalb des Versuchsobjektes vorzu- nehmen. Dadurch bekommt die Arbeitsweise Ähnlichkeit mit der allgemein gebräuchlichen Schmelzpunktsbestimmung reiner Stoffe, wie sie der Chemiker täglich ausführt; sie unterscheidet sich von ihr durch größere Feinheit der Temperaturmessung, eine andere Indexerscheinung und andere Eigentümlichkeiten, die wesentlich 1) Dieser Ausdruck bedarf wohl keiner Erläuterung, da er nicht nur in der physikochemischen Literatur schon lange bekannt, sondern auch später von Ham- burger nochmals ausdrücklich definiert worden ist. 2) Journ. Chem. Soc. 85, 286 (1904). 5) Journ. chim. phys. 1, 385 (1903). 4) Centralbl. f. Physiol. 23, Nr. 22 (1910). 100 Drucker und Schreiner, Mikrokryoskopische Versuche. dadurch verursacht sind, dass eine Lösung und nicht ein reiner Stoff?) zu untersuchen ist. Anordnung). Die bisher von uns als zweckmäßigste benutzte, zweifellos noch verbesserungsfähige Anordnung ist relativ einfach. Ein Weinhold’sches Gefäß von etwa 10 cm lichter Weite und etwa 18 cm innerer Höhe wird mit einer wäßrigen Glyzerinlösung von ca. 20°/, Gehalt gefüllt. In ıhm steht frei ein Kühlrohr von der Form einer zu einem Zylinder gebogenen Maeanderschlange, durch welches man mittels einfacher Hilfsvorrichtungen eine Kühl- flüssigkeit”’) strömen lassen kann. In das Gefäß wird ferner ein Thermometer eingesenkt — wir haben vorläufig ein Beckmann- Thermometer mit !/,, Teilung benutzt — und zwar so, dass sich dessen Kugel immer zentral in der unteren Hälfte des Gefäßes be- findet; an diesem ist mit kleinen Kautschukringen das Versuchs- röhrchen befestigt. Endlich läuft noch im Gefäß ein ringförmiger kührer aus Glasrohr, der an sicherer Vertikalführung mit zwei ver- schiedenen Geschwindigkeiten mechanisch®) betrieben werden kann. Das Versuchsröhrechen — von der Form der gewöhnlichen Schmelzpunktskapillaren — soll möglichst dünnwandig sein, unten etwa 1 mm lichte Weite und passende Länge (7”—10 cm) haben. Verfahren. Unten in das Röhrchen bringt man, ohne die Wand oben zu benetzen, mittels einer Kapillarpipette einige Kubik- millimeter Wasser, befestigt es am Thermometer so, dass das untere Ende an der Thermometerkugel anlıegt, und taucht dann dieses ın eine starke Kältemischung (wenigstens — 10°). Ist das Wasser ım Röhrchen erstarrt, so beobachtet man mit einer kleinen Lupe, ob etwa kleine Eismengen an der Wand oberhalb des kleinen KEıs- zylinders sitzen, bringt solche durch Berühren mit dem Finger zum Schmelzen und Hinablaufen und lässt nochmals erstarren. Das Eis soll nıcht klar, sondern trüb sein. Nunmehr setzt man Thermometer und Röhrchen in die unter 0° vorgekühlte Badflüssıg- keit des Weinhold-Gefäßes ein -— natürlich ohne die obere Öf- 5) Gelegentlich eines Vortrages in der Deutschen Chemischen Gesellschaft wies Herr Beckmann darauf hin, dass schon Fabinyi (Z. phys. Chem. 5, 38, 1889) versucht habe, Kryoskopie in Kapillarröhrchen auszuführen. Fabinyi hat keine befriedigenden Ergebnisse erhalten und nur wenige Versuche gemacht. Er hat, wie es scheint, den Fehler begangen, den Schmelzungsbeginn zu beobachten, also den unteren Endpunkt des Schmelztrajektes, anstatt den oberen, den eigent- lichen Gefrierpunkt. 6) Die Apparate kann jeder Glasbläser liefern; wir haben die unseren von R. Götze in Leipzig herstellen lassen. 7) Am besten, um Zeit zu sparen, von nicht höherer Temperatur als — 10°. Das gewöhnliche rote Viehsalz ist wegen der Trübung der durch Mischen mit Eis entstehenden Lösung mit Vorteil verwendbar. S) Am besten benutzt man einen Elektromotor mit zwei Widerständen und Umschalter. Wir haben so eingestellt, dass entweder ca. 60 Hübe pro Minute er- folgten („schnell‘‘) oder 20 („langsam“). Drucker und Schreiner, Mikrokryoskopische Versuche. 101 nung des Röhrchens mit unterzutauchen — und lässt sodann den Rührer arbeiten, erst schnell, dann von —-0.2° ab langsam. Die Temperatur steigt langsam; diese Langsamkeit ist notwendig, weil anderenfalls die Temperaturidentität von Thermometer und Röhrchen nicht besteht, besonders dann, wenn das Schmelzen’) beginnt. Da- bei beobachtet man, eventuell mit Hilfe einer Lupe (von 5-10 cm Brennweite), das Röhrchen im -—- wenn nötig, etwas abgeblen- deten — Lichte einer hinter dem Gefäße passend aufgestellten kleinen Glühlampe. Den Beginn des Schmelzens erkennt man beı engen Röhrchen an einer plötzlichen Anderung der Eisoberfläche, indem sich der konkave Meniscus wieder herstellt, bei weiteren am Abschmelzen an der Wand, wobei in der Mitte ein kleiner Eisberg stehen bleibt !®). 9) Wir müssen hier einige Betrachtungen theoretischer Art einfügen. Um auf 0.01° genau zu arbeiten, muss man dafür sorgen, dass das Schmelzen einer gewissen kleinen Eismenge — bei einer Lösung das Verschwinden der letzten Kriställehen — so: schnell vor sich geht, dass währenddessen das Thermometer um höchstens 0.01° ansteigt. Für diesen Anstieg braucht ein Thermometer von 2 cem Volum des Quecksilbergefäßes rund 0.01 cal. Angenommen, die Wärmezufuhr erfolge bei Thermo- meter und Röhrchen gleich schnell, so darf die zu schmelzende Eismenge nur 0.01 cal. verbrauchen, also nur rund 0.1 cemm groß sein. (Tatsächlich ist aber das Röhrchen dem Thermometer gegenüber wegen dessen viel größerer Oberfläche im Nachteil.) Man muss also mit möglichst geringer Eismenge arbeiten. — Andererseits friert, wenn man die Lösung a° unterhalb ihres wahren Gefrierpunktes zum Erstarren bringt (s. u.), so viel Eis aus, dass dessen Menge sich zur Gesamtwassermenge der Lösung verhält wie a zu (a Gefrierdepression). Je höher die Lösung verdünnt ist, desto größer ist also die Konzentrationsänderung durch Ausfrieren bei einer a° unter dem Gefrierpunkte liegenden Temperatur. . Diese Konzentrationszunahme geht allerdings zurück, wenn die lösung sich dann bis auf ihren Gefrierpunkt erwärmt; damit das aber hinreichend rasch im Verhältnis zum Ansteigen des Thermometers geschieht, darf die für beide Teile nötige Wärme nur langsam zugeführt werden. — Ein Zahlenbeispiel erläutere diese Sache. Gegeben sei eine Lösung von der Getrier- depression 0.4°; diese werde 0.1° unter ihrem Gefrierpunkte eingefüllt, so dass 0.1: 0.5 — 20°/, ihres Wassers als Eis ausfrieren. Hat man 5 cmm genommen, so entsteht 1 cmm Eis. Beim folgenden langsamen Steigen der Temperatur schmilzt dieses wieder, im günstigsten Falle so schnell, dass immer der Thermometerstand den Gefrierpunkt der jeweils vorhandenen Konzentration anzeigt. 0.01° unter dem richtigen Gefrierpunkt sind noch 2°/, Eis vorhanden, eine Menge, wie sie beim Beckmann’schen Verfahren durch Gefrieren bei Aufhebung einer Unterkühlung von 1.6° entstehen würde. Diese 2°), machen bei 5 cemm Gesamtmenge 0.1 cmm aus; sie schmelzen weg, während das Thermometer gerade auf den richtigen Punkt steigt. Dies ist der ideale Fall für gerade diese Zahlenverhältnisse. — Es folgt aus dieser Betrachtung, dass man mit tunlichst wenig Flüssigkeit arbeiten soll, so wenig, als die Beobachtungsmöglichkeit erlaubt; weil dann diese relativen Mengen ausge- schiedenen Eises absolut nur geringfügig sind, und dadurch der oben besprochenen Notwendigkeit eines geringen Schmelzwärmeverbrauches entsprochen werden kann; und zwar soll dies besonders dann beachtet werden, wenn die Gefrierdepression selbst klein ist. 10) Der Unterschied beider Erscheinungen ist natürlich in der Verschiedenheit ihrer Wärmeleitung im Röhrchen begründet, je nach dem Verhältnis von Wand- stärke und Durchmesser. 102 Drucker und Schreiner, Mikrokryoskopische Versuche. Danach kühlt man unter Rühren auf ca. 0.4° unter den ge- fundenen Temperaturpunkt ab, lässt wie vorher die Temperatur unter Rühren steigen und stellt, wenn das Thermometer ca. !/,, unter dem gefundenen dem richtigen wahrscheinlich sehr nahe liegenden Punkte zeigt, den Rührer ganz ab!!). Das Thermometer steigt erst noch ein wenig, bleibt dann Minutenlang 0.01° bis 0.02° höher stehen und steigt dann wieder langsam an. War der Schmelz- punkt vorher nahezu richtig gefunden worden, so erhält man ihn jetzt innerhalb 0.01° genau, anderenfalls wiederholt man die Ope- ration, was ın wenigen Minuten geschehen ist. Ohne das Röhrchen herauszunehmen, bestimmt man nunmehr den Gefrierpunkt der Lösung. Es wird zunächst wieder um ungefähr 0.3° unter den erwarteten Punkt'?) abgekühlt; dann rührt man langsam, stellt den Rührer ab und bringt noch ca. 0.1° unter- halb des vermuteten Punktes mit Hilfe einer Kapillarpipette eine etwa 3 mm hohe Schicht Lösung direkt auf das Eıs, jedoch erst, nachdem man der Lösung ım Pipettenröhrchen etwa 10 Sekunden lang Zeit zum Abkühlen gelassen hat. Treten Kriställchen an der Wand!?) auf, so beobachtet man dann während des langsamen Steigens der Temperatur (ohne Rühren) das Wiederschmelzen. Hat man bei der vorläufigen Bestimmung (Anm. 12) den Punkt auf etwa 0.05° genau gefunden, so wird man jetzt keine größere Diffe- renz als 0.02°—0.03° zwischen Beginn und Ende des Schmelzens finden. Das Schmelzen des aus der Lösung abgeschiedenen Eises ist leichter zu beobachten als das Schmelzen des Eiszylinders. Man wird deswegen in der Praxis gut tun, anstatt des Eispunktes den Gefrierpunkt einer Lösung von bekannter Depression zu bestimmen und dann den Eispunkt des Thermometers durch Addieren dieser Depression zu berechnen). Z. B. kann man immer von einer 0.3 molaren Harnstofflösung ausgehen, deren Gefrierpunkt bei — 0,56 liegt, oder von einer entsprechend konzentrierten Chlor- kalıumlösung. 11) Er soll ganz oben stehen bleiben. Denn die langsame Temperatursteige - rung, die ja durch Leitung von oben her erfolgt, könnte sonst beschleunigt werden. Deshalb soll der Rührer auch nicht aus Metall bestehen. 12) Am bequemsten bestimmt man diesen annähernd in einem Vorversuche, indem man die Lösung genau so behandelt wie vorher das Wasser und das Ver- schwinden der letzten Eisspuren beobachtet. Wird nur eine Genauigkeit von etwa 0.05° verlangt, so genügt dieses Verfahren, und man braucht das oben beschriebene genauere gar nicht anzuwenden. 13) Auch auf der Fläche des bereits unten befindlichen Eises können Kristalle entstehen. Deren Verschwinden ist aber weniger leicht zu beobachten. 14) Das ist auch prinzipiell richtiger, wenn man kein hochreines Wasser ver- wendet. Denn wenn wir sehr viel von dem Wasser gefrieren lassen, so kenzen- trieren sich die verunreinigenden Stoffe, und der Schmelzungsbeginn entspricht dann dem Gefrierpunkte einer wenn auch verdünnten Lösung. Drucker und Schreiner, Mikrokryoskopische Versuche. 105 Wir geben nun einige Resultate wieder und verzeichnen: 1. Den gelösten Stoff (Stoff). 2. Die nach unserer Methode gefundenen Gefrierpunktsernie- drigungen (4). 3. Die stets nachträglich im Beekmann’schen Apparate ge- fundene Depression (A,), auf 0.01° abgerundet. Stoff A AB NaCl 0.44 0.45 OuSO, 0.32 0.30 K,C1,0. 0.34 0.34 BaCl, 0.14 0.14 KMnO, 0.12 0.11 NH,Br 0.38 0.39 NH,NO, 0.69 0.70 ZnSO, 0.20 0.20 C,H.0, 0.14 0.14 Zn(CH,COO), 0.62 0.63 AgNO, 0.32 0.32 CO(NH,), 0.19 0.19 Kaninchenblutserum ®?) 0.58 0.59 Pferdeblutserum 0.57 0.59 Die für einen Versuch nötige Zeit wird, wenn der Apparat gebrauchsfertig vorbereitet und der Beobachter eingeübt ist, nicht länger sein als etwa eine halbe Stunde. Die für ein Röhrchen nötige Flüssigkeitsmenge beträgt ca. 0.005 cem; begnügt man sich mit der Genauigkeit des vorläufigen Versuches (S. 102, Anm. 12), so kommt man mit ca. 0.002 ccm aus. Wir hoffen, dass die Methode sich für biologische Zwecke eignet, und werden uns freuen, wenn eine brauchbare Vereinfachung und eine erhöhte Genauigkeit von anderer Seite erreicht werden sollte. Unsere eigenen Verbesserungsbestrebungen werden sich zunächst auf Konstruktion eines anderen Thermometers von größerer Wärme- kapazität sowie auf noch größere Langsamkeit der Temperatur- änderung erstrecken. Leipzig und Trondhjem, November 1912. 15) Diese Körperflüssigkeiten haben uns die Herren Dr. Gros vom Pharmako- logischen und Prof. Schmidt vom Hygienischen Institut Leipzig freundlichst zur Verfügung gestellt. Unverändertes frisches Blut lässt sich gleichfalls ohne Schwierig- keit untersuchen. |0)4 Zacharias, Zu dem Umfärbungsphänomen der Stabheuschrecke Dixwippus mor. Zu dem Umfärbungsphänomen der Stabheuschrecke Dixippus morosus. Von Prof. Dr. Otto Zacharias (Plön). Ein Aufsatz des Herrn Stud. zool. Leo v. Dobkiewicz in Nr. 11 des „Biol. Centralblattes“ (von 1912) über den Einfluss der äußeren Umgebung auf die Färbung der indischen Stabheuschrecken veranlasst mich zu einigen Mitteilungen, welche ich an denselben Insekten ım Laufe der letztverflossenen Jahre gemacht habe. Es handelte sich bei den Studien des genannten Herrn zweifellos um Prisomera amaurops W estw., welche ım Geschäftsverkehr der Tier- händler noch immer als Dixippus (resp. Carausius) morosus be- zeichnet wird. Ich züchte diese anspruchslosen Wesen schon seit 1910 und konnte feststellen, dass sie sich im Winter (bei Stuben- wärme) genau so reichlich fortpflanzen, als in den heißen Sommer- monaten. Wie Herr v. Dobkiewicz so fütterte auch ich meine Prisomera-Exemplare während des Winters mit einer kleinblätterigen Efeuspezies, welche massenhaft hier im Plöner Schlossgarten wächst. Während des ganzen Sommers sah ich in einem (mit grünen (Gsazewänden ausgestatteten) Raupenkasten regelmäßig nur grüne Individuen aus den Eiern schlüpfen; nur selten war einmal ein halbbräunliches dazwischen. Wegen der starken Vermehrung der Tiere in dem 46 cm hohen und 32 cm breiten Kasten (von quadra- tischer Grundfläche) übertrug ich einen größeren Teil davon in ein leeres Aquarium von großen Dimensionen. Dieser Behälter besitzt an den Frontseiten zwei große Glasscheiben, wogegen die beiden Seitenwände desselben aus grauen Schieferplatten bestehen. In diesem geräumigen Kasten nahm nun die Zucht ihren völlig unge- störten Fortgang und es erschienen bis heute (16. Dez.) immerfort neue Junge. An den alten, vollkommen erwachsenen Müttern, von denen immer nur wenige matt wurden und wegstarben, trat im Laufe des Oktober-November allmählich eine Umfärbung ins Grau- braune ein, so dass gegenwärtig nur noch ganz wenige der aus- schließlich parthenogenetisch sich fortpflanzenden Tierchen ihre frühere hellgrüne Farbe zeigen. Die Fresslust blieb hierbei aber ganz dieselbe und ich konnte kaum genug Efeuzweige herbeischaffen. Alle 2—3 Tage musste der Tisch für die Heuschrecken neu gedeckt werden. Gelegentlich kam es nun aber vor, dass das Wetter zu stürmisch und regnerisch war, um jemand nach dem Schlossgarten schicken zu können, und dann blieben die hungerigen Tiere manch- mal mehrere Tage ohne jegliche Nahrung. Dann saßen sie auf den kahl gefressenen, verholzten Zweigteilen, die ein graubraunes Aus- sehen besitzen, und glichen diesen in der ganzen Körperfärbung so sehr, dass sie nur mit Mühe davon zu unterscheiden waren. Dagegen blieben die anderen, welche den mit 4 grünen Gazewänden Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus. 105 bezogenen Raupenkasten bewohnten, vollständig grün gefärbt — nur dass sie vielleicht nicht ganz so lebhaft hell erschienen, wie ım Sommer. Jedenfalls war bei letzteren die Veränderung im Kolorit bloß eine minimale. Da nun — wegen der beiden großen Glas- scheiben — auch an trüben Tagen die Beleuchtungsverhältnisse ın dem als Zuchtbehälter dienenden Aquarium viel günstiger waren als in dem mit Gaze bespannten Holzkasten, so gewinnt es den Anschein, dass die fahlen (dunkel-graublauen) Schieferwände, in deren Nähe auf beiden Seiten die ins Wasser gestellten Efeu- sträuße plaziert waren, von umfärbender Wirkung auf die gerade dort sich aufhaltenden Heuschrecken gewesen sind. Diese verhielten sich also etwa so, wie diejenigen Exemplare des Herrn v. Dob- kiewiez, welche derselbe in seinen mit violettem und rotem Papier austapezierten kleinen Kästen gehalten hatte. Ich gestatte mir, diese anspruchslosen Notizen im Anschluss an den Artikel des genannten Beobachters hier mitzuteilen, weil sie zum Teil doch eine genaue Bestätigung für die von jener Seite gemachten Wahrnehmungen enthalten. Emil Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus. (Berlin 1912. Springer.) Der Verfasser bringt uns in diesem’ Werke den weiteren Aus- bau der Idee, die seinem früher erschienenen Werke, Synthese der Zellbausteine in Pflanze und Tier, Berlin 1912, zugrunde liegt. Dieser Grundgedanke besteht darin, dass im Stoffwechsel der ge- samten organisierten Natur Aufbau und Abbau Hand ın Hand gehende Prozesse sind und dass die Fermente diejenigen Stoffe vorstellen, die diese Prozesse regulieren. Ebenso, wie die Zelle niemals komplizierte Stoffe, wie Proteine, Fette und Polysaccharide direkt verbrennt, sondern bloß die einfachsten Bausteine derselben, so kann sie auch diese kompliziert gebauten Nahrungsstoffe nicht direkt in die einzelnen spezifischen Zellbestandteile überführen, ohne dieselben zunächst in diese einfachsten Bausteine zerlegt zu haben. Man nehme als Beispiel bloß ein einfaches Tripeptid an, etwa Glycyl- alanyl-leuzin. Kein Chemiker vermag den Umbau desselben etwa zu Leucyl-alanyl-glycin zu bewirken, ohne vorher das Molekül in die drei Bausteine Glykokoll, Alanın und Leucin zertrümmert zu haben, um dann den Aufbau aus denselben neu zu beginnen. Eine ganz analoge, nur noch bedeutend verwickeltere Reaktion spielt sich bei der Verdauung und Resorption ab. Hier übernimmt der Magendarmkanal die Funktion der Zertrümmerung der Nahrungs- stoffmoleküle in einfache Bausteine und ist zu diesem Zwecke mit 106 Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus, eiweiß-, fett-, und kohlehydratspaltenden Fermenten ausgerüstet. Nach erfolgter Resorption werden nun die Bausteine von aufbauen- den Fermenten wiederum zu komplizierten Molekülen synthetisiert. So kreisen im Blute bloß solche Proteine, die aus den Amino- säuren, den Bausteinen des Eiweißmoleküls, zu spezifischen Plasma- eiweißarten aufgebaut worden sind. Es ist dies bluteigenes Eiweiß, das seine Entstehung vollständig blutfremdem Nahrungs- eiweiß (Kasein, Pflanzeneiweiß, Muskeleiweiß u. s. w.) durch solchen Ab- und Wiederaufbau zu verdanken hat. Auf dem gleichen Weg bauen nun die einzelnen Körperzellen ihre spezifischen Proteine auf, indem ihre spezifisch wirkenden, auf ein bestimmtes Substrat, z. B. Plasmaeiweiß, eingestellten Fermente den Abbau zu Aminosäuren bewirken und wiederum andere den Auf- bau zu zelleigenem Eiweißmaterial vollziehen. Wir können demnach von körperfremden und körpereigenen Stoffen sprechen. Die letzteren sind vollständig umgeprägt und in ihrer Struktur der betreffenden Art oder dem Individuum angepasst. Ebenso müssen wir, wie gehört, zwischen bluteigenem und blut- fremdem, organeigenem und organfremdem, und endlich zelleigenem und zellfremdem Material unterscheiden. Bluteigenes Eiweiß bei- spielsweise ist vollständig organ- beziehungsweise zellfremd und ein zelleigener Stoff der Nierenzellen ist für andere Organzellen ebenfalls gänzlich fremd. Die Ausübung von spezifischen Zell- und Organfunktionen ist nur unter der Annahme möglich, dass jedes Organ seine besonderen, physikalisch und chemisch spezifisch konstruierten, wenn auch aus gleichen Bausteinen aufgebauten, Stoffe besitzt. Um nunmehr auf den näheren Gegenstand des Buches einzu- gehen, nämlich auf die Schutzwirkung der Fermente im Orga- nismus, so können wir bereits in der oben geschilderten Umprägung der Nhrunesstofe wie sie bei der Yo sn, vollzogen wird, ein edlem Schutzmoment erblicken. Die an hat ja den Zweck, zu verhindern, dass Produkte in den Organismus übergehen, die weder dem Blute noch den Körperzellen angepasst sind. Des- gleichen sorgt wiederum jede einzelne Zelle auf die gleiche Art dafür, dass sie nur solche Produkte beherberge, die ihr dem Auf- bau nach vollständig vertraut sind. Sie wiederholt demnach sozu- sagen den ganzen Verdauungsakt. Auf diese Weise gelangt man zur Annahme, dass innerhalb des Organismus der große Zellstaat harmonisch zusammenarbeitet. Gesichert wird die Möglichkeit einer solchen Harmonie nur dadurch, dass einerseits die Darm- und Leber- zellen keine Stoffe an die Blutbahn abgeben, die ihrer Eigenart nicht total beraubt worden sind und dass andererseits alle Körper- zellen nur Produkte an die Blutbahn abgeben, die infolge Abbau ihren zelleigenen Typus eingebüßt haben. Wir gelangen zum Re- Abderhalden, Schutzfermente des tierischen Organismus. 107 sultat, dass das Blut seiner Zusammensetzung nach als konstant zu zu betrachten ist. Diese Abgeschlossenheit und Harmonie ım Organısmus wird gestört, sobald an irgendeiner Stelle fremdartige Stoffe auftreten. Dabei kann es sich um fremdartige Zellen mit völlig eigener Struktur und eigenartigem Stoffwechsel handeln oder es treten einfach irgendwo Stoffe, z. B. Eiweißkörper auf, die für das betreffende Organ oder für die Zelle organ- bezw. zellfremd sind. Dieser letztere Fall wurde dem Experiment unterworfen und hierfür speziell das Blut ausgewählt. Es wurden in die Blutbahn blutfremde Eiweißkörper, Fette und Kohlehydrate eingespritzt und der Nachweis geliefert, dass sich der Organismus der Tiere gegen diese blutfremden Körper zu wehren versteht, indem im Blute nach kurzer Frist Fermente auftreten, die diese blutfremden Substanzen in indifferente und dem Organısmus wohl vertraute Bausteine zer- legen. Das Blutplasma der normalen und jenes der so behandelten Tiere zeigt daher bedeutende Unterschiede. Wurde beispielsweise einem Hund parenteral Eiereiweiß eingespritzt, so zeigte das Serum dieses Tieres nach einiger Zeit ein intensives Spaltungsvermögen für dieses Protein, indes ein solches normalem Hundeserum nicht zukommt. Das Spaltungsvermögen wird am besten im optischen Polarisationsrohr verfolgt. Ist das erstere positiv, so wird die An- fangsdrehung der betreffenden Eiweißlösung — Serum verändert, ist kein Spaltungsvermögen da, so bleibt sie konstant. Eine praktische Verwertung fand dieser Befund durch den Ver- fasser in der Schwangerschaftsdiagnose. Nach früheren Unter- suchungen von Schmorl, Veit und von Weichardt kreist ın der Blutbahn während der Schwangerschaft körpereigenes, jedoch blut- fremdes Eiweißmaterial, von Zellen herrührend, die sich von den Chorionzotten loslösen. Der Organısmus reagiert nun in der oben geschilderten Weise und das Blutserum von Schwangeren besitzt demzufolge für Plazentaeiweiß ein erhebliches Spaltvermögen. Die gleiche Betrachtungsweise galt auch für Zuckerarten, Fette und Nukleinsubstanzen. Mit Ausnahme der Fettstoffe, bei deren Einspritzung sich technische Schwierigkeiten ergaben, lieferte das Experiment auch hier die gleichen Resultate. Mit der Zufuhr von blutfremden Substanzen gelangen ın das Blut Körper, die den Körperzellen vollständig fremdartig sind. Der Organismus reagiert in der Weise, dass er Fermente produziert, die diese Fremdsubstanzen abbauen. Da diese Abbaustufen keine normale sind, so können sie unter Umständen Störungen hervor- rufen. Es sprechen aber Beobachtungen auch dafür, dass die pa- renteral zugeführten Stoffe umgebaut und als Nahrungsstofle ver- wertet werden. I0S Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. Ein noch verwickelterer Fall, auf den schon zuvor hingewiesen wurde, liegt aber vor, sobald eine Invasion von fremdartigen Zellen in den Organismus stattfindet, die ihren eigenen, für die Zellen des Organismus gänzlich fremdartigen Stoffwechsel besitzen. Diese Zellen, es sei z. B. auf Sarkomen und Krebszellen oder auf Bak- terienzellen hingewiesen, sind mit ganz eigenen Fermenten ausge- rüstet, dıe für sie das Substrat, die Zellen des Wirtes, vorbereiten “und sie entsenden auch Stoffwechselprodukte, die für den Organismus des Wirtes gänzlich unbekannte Abbaustufen vorstellen. Hierdurch können bedeutende Schädigungen ım Leben des Wirtes auftreten, denn einmal werden die körpereigenen Zellen des Wirtes, die den Mikroorganismen als Nährboden dienen, atypisch abgebaut, und zweitens gelangen Abbaustufen in die Blutbahn des Wirtes, die für ihn blutfremde Substanzen sind und als solche schädlich wirken können. Endlich zerfallen auch die fremdartigen Zellen innerhalb des Körpers des Wirtes, wodurch wiederum körperfremde Stoffe in Frage kommen, mit deren schädigendem Einfluss wir rechnen müssen. Wir sehen also, dass wir die Bakterienwirkungen nicht unbe- dingt ın jedem Fall einem Giftstoff, dem sogen. Toxin zuzuschreiben haben, sondern dass hier noch manche andere Gesichtspunkte zur Erwägung kommen müssen. Wichtig sind diese Gesichtspunkte auch für die Immunitätsforschung. Der Kampf des Wirtes gegen die Mikroorganismen richtet sich nicht nur gegen die sogen. Toxine, sondern auch gegen Stoffwechselzwischenprodukte und Abbaustufen und gegen die Zerfallsstücke von toten Lebewesen. Sowie demnach der Organismus seinen normalen Stoffwechsel, den Abbau und Aufbau von Körpersubstanzen mittels der Fermente reguliert, so sind diese letzteren auch die Waffen des Organismus, die derselbe im Kampfe gegen Infektionen aller Art mobil macht. Das Auftreten dieser Schutzfermente im tierischen Organismus ist von großer Bedeutung für die meisten Probleme der Pathologie und, wie oben dargetan wurde, der Immunitätsforschung. A. Fodor. Abel, ©. Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung Nägele und Dr. Sproesser. Stuttgart 1912, 709 pp., 470 Textfig. Es ıst gewiss bemerkenswert, dass dieses Werk, das von seinem Verfasser bescheiden nur „Paläobiologie* genannt wird, obwohl eine Fülle wertvollen Materials über die Biologie auch der rezenten Wirbeltiere darin verarbeitet ıst, von einem Palä- ontologen geschrieben werden musste, der freilich nicht nur die in Betracht kommende, bereits sehr ansehnliche paläonto- Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. 109 logische Literatur mit großem Fleiß zusammengetragen, sondern auch den Lebenserscheinungen der lebenden Wirbeltiere ın weit- gehendem Ausmaße sein Augenmerk geschenkt hat, und so dem Beispiele seines Lehrers Dollo folgend, in scharfsinniger Weise die ethologische Analyse, die Erforschung von Bewegungsart, Nahrungsweise und Aufenthaltsort der fossilen Tiere durchführt. Das Werk ist in diesem Sinne auch die erste „vergleichende Bio- logie“ (Ethologie) der Wirbeltiere und daher auch ganz anders angepackt als das leider noch immer nicht abgeschlossene Werk von Hesse und Doflein. Der reiche Inhalt des Buches, dessen illustrativer Teil voll- kommen auf der Höhe des Textes steht und gleichfalls viel Neues bringt, kann aus den Kapitelüberschriften nur unvollkommen er- sehen werden; es möge dem Referenten daher in Anbetracht der Bedeutung des Werkes ein näheres Eingehen gestattet sein, trotz- dem sollen sie, um einen Begriff von dessen Anlage zu geben, hier im wesentlichen wiedergegeben werden: I. Geschichte und Entwickelung der Paläontologie (dıe phan- tastische, deskriptive, morphologisch-phylogenetische, ethologische Periode). II. Die Überreste der fossilen Wirbeltiere (vereinzeltes und gehäuftes Vorkommen von Wirbeltierleichen; die Ursachen des ge- häuften Vorkommens von Wirbeltierresten; die Zerstörung von Tierleichen; der Fossilisationsprozess; Lebensspuren fossiler Orga- nismen). Ill. Die Wirbeltiere im Kampfe mit der Außenwelt. 1. Die Anpassung an die Bewegungsart (Schwimmen; Kriechen und Schieben; Schreiten, Laufen und Springen; die Bipedie; Fliegen; (Graben; Haftklettern, Krallenklettern, Zangenklettern, Hängeklettern, Schwingklettern, Schlängeln und Wühlen). 2. Die Anpassungen an den Aufenthaltsort (nektonische, benthonische, planktonısche Wirbeltiere — dieses Kapitel bezieht sich größtenteils auf das Leben im Wasser). 3. Die Anpassungen an die Nahrungsweise. 4. Die Anpassungen an den Kampf mit Feinden, Artgenossen und Futter- tieren. 5. Die vergleichende ethologische Geschichte der Wirbel- tierfaunen. IV. Paläobiologie und Paläontologie. Es ıst überaus schwer, aus der großen Menge neuer Tat- sachen, Erklärungen, Kekonstruktionen, Abbildungen auch nur das Wichtigste hervorzuheben. Aus dem zweiten Abschnitte möge nur die ausgezeichnete Studie über die mannigfachen Ursachen gehäuften Fossilvorkommens genannt werden, darunter namentlich die neue Deutung der berühmten tertiären Knochenlagerstätte von Pikermi. Diese musste in einer Zeit heftiger Wolkenbrüche nach einer Zeit der Dürre entstanden sein, wobei Herden von Antilopen, Pferden, Nashörnern ete. auf der Suche nach Wasserlachen an Steilränder gelangten, hinabstürzten, sich die Gliedmaßen zerschmetterten (Er- 110 Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. klärung der häufigen Knochenfrakturen), ebenso mit den hochange- schwollenen Gebirgsbächen felsenbewohnende Affen, Klippschliefer und Schildkröten in die Tiefe gerissen worden, wo die angesammelten Wassermassen einen mächtigen, verschlammten See bildeten, auf dessen Oberfläche die von Verwesungsgasen aufgetriebenen Kadaver der verunglückten Tiere schwammen. Dabei lösten sich die Unter- kiefer von den Schädeln und sanken ın die Tiefe, während die übrigen Skeletteile ans Ufer geschwemmt wurden und Aasfressern zur Beute fielen. Auch die Massenvernichtung von Tieren durch vulkanische Ausbrüche, namentlich im nordamerikanischen Tertiär, sowie in der Santa-Uruz-Formation Patagoniens findet eine ein- gehende Darstellung, ebenso ım Kapitel „Zerstörung von Tier- leichen“ die Fraßspuren von Nagern, Krokodilen u. s. w. an Knochen und die Bohrlöcher von Bohrmuscheln und Bohrschnecken an Knochen und Molluskenschalen. Sehr bemerkenswert ıst auch die zusammenfassende Darstellung der Lebensspuren fossiler Organismen mit zahlreichen sehr instruk- tiven Abbildungen; hier wäre "namentlich die Analyse der Wirbeltier- fährten und besonders der Nachweis, dass die Chirotherium-Fährte wegen der fünffingerigen Hand keinem Stegocephalen, aber, nach einer ın letzterer Zeit entdeckten Fährte zu schließen, einem bipedal sich bewegenden Dinosaurier angehört haben dürfte, hervorzuheben; nicht minder möge auf dıe Analyse der Nahrungsreste in der Leibes- höhle fossiler Vertebraten hingewiesen werden. Die Darstellung der durch Kämpfe (namentlich Paarungskämpfe) entstandenen Knochenverletzungen fossiler Wirbeltiere, besonders bei Walen, ist gleichfalls von großem Interesse; ebenso die Über- sicht der auf Knochenerkrankungen (Pachyostosen u. s. w.) zurück- führbaren Deformationen fossiler Skelettreste, durch sehr schöne Abbildungen erläutert. Ein Kapitel von ganz besonderem Interesse ist dasjenige, welches die Anpassung der Gliedmaßen an eine bestimmte Lebensweise behandelt. Es soll hier ın erster Linie auf die übersichtliche Dar- stellung der Flossenfunktionen, Stellung und Morphologie der Schwanzflosse aufmerksam gemacht werden (wobei auch die ver- schiedenartige Ableitung und Zusammensetzung der Caudalıs durch eine besondere Formel klar zum Ausdrucke gebracht wird). Die auf die terrestrische Gangart der Vorfahren von Chelone zurück- zuführende Drehung des Unterarms gegen den Oberarm, die mannig- fachen Vorrichtungen (Verriegelungen), die dem Pinguinflügel eine sagıttale Bewegung in S Gelenken nach hinten unmöglich machen, die Übersicht über die verschiedenen Wege der Verbreiterung, Verlängerung und Versteifung der Flossen, die Ursache der Rück- bildung des hinteren Gliedmaßenpaares bei den Walen (im Ver- gleich zu Ichthyosauriern und Haien) und die Bedeutung der Kiele am Walkörper als richtunghaltende Apparate, der Nachweis der Drehung des Fußes bei den Stegocephalen, so dass die Plantar- fläche in der Ruhe nach aufwärts gerichtet war, die Hervorhebung Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. 111 der Tatsache, dass Stegocephalen, Urodelen und die meisten Anuren nur 4 Finger haben (ebenso die ältesten Reptilien, wie /sodectes) und der Daumen eine Neuerwerbung darstellt (was übrigens vom Referenten schon 1909!) hervorgehoben wurde), die Erklärung der sekundären Plantigradie bei verschiedenen Huftieren (Nesodon, Colpodon, Coryphodon) beim Menschen und bei Diprotodon durch Anpassung an das Leben auf Sumpfboden mögen nur kurz erwähnt werden. Weiterhin wird nachgewiesen, dass die Drucklinie bei den paraxonischen Huftieren nicht zwischen dem 3. und 4. Strahl, son- dern durch diese beiden Strahlen läuft; es werden die Anpassungs- stufen der Paraxonier zusammengestellt und ebenso eine Uebersicht abnormer Hand- und Fußstellungen gegeben (Xenarthra, Echidna, Fledermäuse, Schildkröten). Besonders beachtenswert ıst der Nach- weis der Bipedie der Gattung Mwylodon, die übersichtliche Dar- stellung der bipeden Bewegungsweise bei den Dinosauriern, die vermutlich Steppentiere gewesen sind, sowie die Übersicht der bipeden Wirbeltiere (unvollständig in bezug auf rezente Lacer- tılier) die Erörterung des Unterschiedes zwischen dem Flug von Pterodactylus (unsteter Flatterflug) und Rhamphorhynchus (ruhiger Drachenflug), sowie die schöne Darstellung der Grabanpassungen, besonders der Xenarthra, nebst einer Übersicht der Grabtiere und speziell der maulwurfsartigen Säugetiere. Auch verschiedene paläo- zoische Stegocephalen (Cucops, Eryops, Trematops, Kuchirosaurus) und Reptilien (Desmospondylus, Dicynodon, Oudenodon, Dimetro- don etc.) haben eine grabende Lebensweise geführt, wie aus dem Bau des Humerus unzweifelhaft hervorgeht. Aus dem Kapitel über Kletteranpassung wäre namentlich der Nachweis der arborikolen Lebensweise des orthopoden Dinosauriers Hypsilophodon, die ver- schiedene Stellung der Körperachse zur Zweigachse bei bipoden und tetrapoden Kletterern, die Darstellung des sekundären Ver- lustes des Klettervermögens namentlich bei Dinosauriern hervor- zuheben. Aus dem Abschnitt: Anpassung an das nektonische, bentho- nische und planktonische Leben sind dem Ref. namentlich die neuen Abbildungen von Ichthyosaurus mit Kehlsack, des robben- artig schwimmenden" Hesperornis, der vollständig berechtigte Ver- gleich der Cephalaspiden mit den Panzerwelsen. die schöne Zu- sammenstellung der macruriformen Fische, der Vergleich der Tief- seefische mit den „Hungerformen“ von Süßwasserfischen, die Deutung von Palaeospondylus als Fischlarve, die verminderte Eigenbew egung der zwischen treibenden Eisschollen lebenden Neobaluena des süd. lichen Eismeeres (Schwanzwirbel reduziert, Rippen breit, Schiffs- planken ähnlich) aufgefallen; im Abschnitt: Anpassung an die Nah- rungsweise, namentlich die Hervorhebung der großen Bedeutung von harter und weicher Nahrung auf die Ausbildung des Gebisses 1) In Naturwiss. Wegweiser (Amphibien und Reptilien I, p. 6). 112 Abel, Grundzüge der Paläobiologie der Wirbeltiere. (Durophagie und Malacophagie), die schöne Lepidotus-Abbildung, die Mitteilung Dollo’s, dass /ynanodon eine Greifzunge nach Art der Giraffe besessen haben muss, endlich die Feststellung, dass Thylacoleo zwar ein Raubtier war, trotzdem seine Eckzähne reduziert und durch die stark entwickelten äußeren Inzisoren vertreten waren, dass aber die karnıvore Lebensweise sekundär ist. Nesodon (Notungu- lata) hatte zwar ein nagerähnliches Gebiss, aber eine andere Kiefer- bewegung, bei Astrapotherium vertraten die Eckzähne die Stelle der Schneidezähne beim Nagen; unter den Reptilien dürfte Klginia harte Pflanzenteile benagt haben. Die Lage der Mundspalte auf der Unterseite des Schädels bei den meisten Elasmobranchiern wird mit Recht auf benthonische Lebensweise zurückgeführt; nektonische Haie mit unterständiger Mundspalte sind demnach von benthonischen abzuleiten. Weiters: Ursache der Gebissreduktion bei Walen, Ichthyosauriern, Schildkröten, Pterosauriern, Oudenodon, ethologische Bedeutung des eigentümlichen Gebisses bei gewissen fossilen Beutlern (Ptilodus ete.), Deutung der Polyphemsage (Zwergelefantenschädel in einer sizilianıschen Höhle, deren große mediane Nasenöffnung die Vorstellung von der Einäugigkeit des „Polyphem“ hervorrief), Erörterung der Ernährungsweise der Proboscidier, von denen eine suide und eine tapiroide Reihe getrennt nebeneinander existierte; dreimaliger Wechsel der Ernährungsweise infolge Wechsel des Ge- bisses (Grabfunktion der unteren, dann der oberen Inzisoren, dann des Rüssels). Die umfangreichen und sehr lesenswerten Ausführungen über die Waffen der Tiere sind zum Teil schon an anderer Stelle (in den Verh. d. zool. bot. Ges. Wien) publiziert worden; daher nur auf die Kampfverletzungen bei Walen, die eigentümlichen Fang- apparate der Asterolepiden hingewiesen werden möge. Auch aus den Schlusskapiteln wäre mancherlei herauszugreifen, was neu oder zum ersten Male genau präzisiert und zusammen- gefasst ist —- aber was der Ref. bisher in kurzen Schlagworten hervorheben konnte, zeigt wohl bereits zur Genüge, in welcher Weise der Autor die ihn interessierenden Probleme behandelt und übersichtlich zusammengestellt hat. Es muss wiederholt werden, dass wir kein ähnliches Buch über die rezente Tierwelt besitzen; wenn aber ein solches geschrieben wurde, müsste es aber im wesent- lichen den darin aufgestellten Richtungslinien folgen. Ist auch manches vielleicht darın noch unsicher, problematisch — wer immer Biologie (Ethologie) auch der rezenten Tierformen betreiben will, wird es nicht entbehren können und wollen. F. Werner (Wien). Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von BrsRK. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München. alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXXIIl. 20. März 1913. N 8. Inhalt: Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms (Schluss). — Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. — Schneider, Die rechnenden Pferde. — Brehm’s Tierleben. — Ferienkurse. — Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. By R. R. Gates. Imperial College of Science, London. (Schluss.) In two subsequent papers (1911b and 1912) Artom has con- tributed further studies on the sexual (2 X) and parthenogenetic (4 X) races of Artemia. He has obtained the parthenogenetic variety from several Italian localities and also from Odessa, while the sexual variety is known from Cagliarı and also from Salt Lake, Utah. In the last paper the size-relationships of the Caglıarı and Capodistria races are further investigated, and a few of the results may be mentioned. The method used was to measure the area of the drawings of nuclei, treating them as ellipses. In thıs way the “nuclear area” in the two races was found to be directly proportional to the quantity of chromatin — a confirmation of Boveri’s law. It ıs unfortunate that the volume of the nuclei was not determined, so that the results could be directly compared with the law obtained by Gates, Tischler, and others in plant- cells and nuclei. The “nuclear area” of the cells of the intestine in the median abdominal region of the metanauplius of the two races was found to be as 1:3.7. The cells from the thoracie part of the adult XXXIN. 8 114 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. intestine in the two races gave the result 1:2.7, while for the abdominal region of the intestine it was 1:3.5, and for the optic ganglıa 1: 2.2. The average length of the metanauplius of univalens was 0.53 mm, and of bivalens 0.70 mm. The relative length of the larvae of the two races in four different stages was also found to be as 1: 1.3, and these differences in size are said to be equivalent to the differences in the salinity of the water in which they live. Artom concludes that the quantity of chromatin in the cells of bivalens is more than double that in univalens, but the “area” of the nuclei and cells is directly proportional to the quantity of chromatin; the number of cells being approximately the same ın both. In an interesting paper which was overlooked, C. Müller (1909) has described the chromosomes of three species of Yucca; Y. gua- temalensis Back., Y. aloifolia L. and Y. Draconis Torr. In all three species there are five pairs of large chromosomes, varying in length, and 44—-46 small, globular ones, making a total of 54 or 56. In a later paper (1912) Müller has studied the chromosomes in a large number of genera of Liliaceae and Amaryllidaceae. The numbers run from 10—12 (2X) ın four genera, to 14 in Aloe Hanburyana, 16 ın Galtonia candicans and Hyaecinthus orientalis, 16—18 in Haemanthus, 18 in Chionodoxa, 20 in Amaryllıs, Bruns- wigia, Veltheimia and (?) Scilla, 22 in Nerine, 26 in Bulbine annua, 30—32 in Eucomis bicolor, 32—34 in Listera ovata (cf. 32, Rosen- berg, 1905), 36—38 in Muscari, 54 in Albuca fastigiata, 56 (?) in Yucca, and about 60 in Beschornia superba. Accurate measurements of many of these chromosomes are given. From these results it is evident that the chromosomes of the two families are, or have been, in a state of flux, and it ıs fairly obvious that the high chromosome-numbers came from the transverse segmentation of certain pairs. These formed a varying number of short chromo- somes, while the remaining pairs retained their original condition. Studies of this group have not yet been sufficiently extensive to determine whether possibly the number of these small chromosomes varies in different individuals, but it is possible that a condition might be disclosed resembling that of the supernumerary chromo- somes described by Wilson in Metapodius and other Hemipteran genera. This group of plants ought to be a very favourable one for studies of the chromosome behaviour in hybrids. Wilson (1909) has listed the chromosome numbers known in the inseets up to the date of his paper, with the following results: In the family Pentatomidae the somatie number in different species is known to range from 10 to 14, 16 and 26; the Pyrrochoridae the female somatie number ranges from 12 to 14 and 24; in the Coreidae Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 115 from 14 to 16, 22, 24, and 26; ın the Chrysomelidae from 22 to 28 and 30, while Wieman (1910) has found 36 in ZLeptinotarsa signati- collis; Tenebrionidae, female somatic number, 20; Elateridae,‘ 20; Jassidae, 24; Blattidae, 24; Fulgoridae, 28; Aeschinidae, 28; Gal- gulidae, 38; Diptera, 12. Many others have been added since. The researches of Wilson and others have made it highly probable that various types of phylogenetic change in the chromosome number occur in the insects, and it is not improbable that this includes tetraploidy in some cases. In the light of the facts, above cited, that Strasburger, as well as the Marchals and others, have given their adherence to my views, it is surprising to find de Vries stating in a recent paper (1912, p. 34), „Zwar hat Gates eine abweichende Ansicht auf- gestellt und behauptet, dass die Verdoppelung erst nach der Be- fruchtung geschehen sein sollte.“ De Vries apparently thinks it vital to his theory of mutation, that all the mutants should originate from changes occurring during sporogenesis, but it ıs by no means clear why this should be the case. It seems reasonable to suppose that changes in the germ plasm may also occur at other points in the life cycle. The moss mutation above-mentioned is a case in point. Also numerous cases of bud mutations are known, and I shall describe a new one in the present paper. I have already shown as clearly as ıt can be shown in breeding experiments, that the mutant O. rubricalyx orıginated as a hybrid between a mutated (rubriecalyz) germ cell, and a normal germ cell of the parent rubri- nervis. But it by no means follows that mutational changes in Oenothera are confined to this part of the life cycle'?). Stomps has recently observed triploid (3 X) mutants, a) in a single individual from O. Lamarckiana (1912 a, p. 413) having 21 chro- mosomes, and characters intermediate between the parent form and O. gigas. For such mutants he suggests the name semigigas. b) Eleven Hero or 3 X mutants were observed from cerosses between Lamarck- tana, rubrinervis or lata on the one side, and cruciata, muricata, biennis Chicago and Mellersi on the other side. These 3 X forms are easily distinguishable by being deep green and of larger size. They were found by de Vries to oceur in about three in a thousand. 12) In a former paper (Gates, 1910) I described what appeared to be a sectorial chimera of Oenothera, derived from seed, and during the past season I studied a still more striking case of a periclinal chimera oceurring in a race of O. Lamarckiana from seeds collected in 1911 at St. Anne’s, Lancashire. The latter individual had its leaves edged with white, owing to the absence of chloro- plasts from the hypodermal layer. The interest of these cases lies in the fact that they came from seeds, and the original change is certainly to be sought in the young embryo. There seems no reason why these should not be classed as vegetative mutants of a certain type. The cultivated varieties of holly, pelargonium and other plants with white leafmargins must have had a similar origin. 1416 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. In another paper (1912b, p. 533) Stomps describes (c) a single mutant from 0. biennis having 21 chromosomes, which he calls O. biennis semigigas'?). Miss Lutz (1912) has also found 5 trıploid mutants from Lamarckiana and 3 from lata X Lamarckiana, having 21 chromo- somes in their root tips. Both Stomps and Miss Lutz apparently assume that this proves tetraploid mutations to have originated through the union of two diploid (2 X) germ cells and by this method only. Their conclusion in no way follows, however, for ıf all the pollen grains are haploid (X) as in other plants, or if the diploid pollen grains faıl to function, the origin of both triploid and tetraploıd mutants can still be easily explained; namely, that the former originate from the fertilization of a diploid egg by a haploid male call, the latter from the apogamous development of a tetraploıd megaspore mother cell, such as was observed by Geerts. That a triploid mutant can also be produced by the union of a diploid male cell with a haploıd egg, wıll only be proven when it is shown that diploid pollen grains occur and are functional. At present there is no certain evidence for thıs, while there ıs direct evidence for the oceur- rence of tetraploıd megaspores in the above-cited observation of de Vries’ pupil, @eerts. This also, despite the fact that studies of pollen development in the Oenotheras have been much more numerous than studies of megaspore development, and notwithstand- ing the further fact that the number of microspore tetrads observed has been thousands of times greater than the number of megaspore tetrads. Races of O. gigas. In the paper already cited (Gates, 1909a, p. 536) I mentioned that the gigas of de Vries’ cultures is all descended from one individual, but that two other mutants more or less resembling gigas were observed. I suggested that the latter perhaps represented a different form, and ıt now appears that they may have been trıploid in character. Two independent cases of the appearance of gigas forms have since oceurred, and these I shall now describe. The first I received in 1909 from the Botanical Garden at Palermo, Italy, under the garden name O. cognata. My first culture from these seeds, grown at the Missouri Botanical Garden, is described in a paper now in press in the Transactions of the Linnean 13) During the past summer I also (Gates, 1912a) discovered mutants in a eultivated race of O. biennis, including O. biennis lata, O. biennis laevifolia and O. biennis rubrinervis. These corresponded to, though not agreeing with, the Lamarckiana forms, and were called parallel mutations. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 117 Society!*). This culture showed that the plants in their adult rosette stage were identical with the giyas of de Vries, though they passed through an earlier rosette stage which was quite unlike gigas or any other type. This year (1912) I grew at the John Innes Horti- cultural Institution twelve plants from the remaining original seeds '?). These were all, with certain exceptions to be mentioned later, identical with the gigas of de Vries in all stages of their development. The 1909 plants had all remained rosettes, so I obtained no seeds from them, and I attribute the peculiar early rosette development to the very hot, humid summer climate of St. Louis. Subsequent inquiry from the Director of the Palermo Garden elicited the information that the race had originated there several years previously (apparently from a single plant) but that they had subsequently lost the strain. The seeds from my culture of thıs year are therefore probably the only ones of this strain in existence. The accompanying photographs (figs. 1 and 2)'%) show the rosette and adult stages of typical individuals in my culture of 1912. The pedigree numbers of certain individuals will be given for the sake of convenience in future references. A preliminary examina- tion of the chromosomes in typical plants shows their number to be 28. I shall refer to this race as O. gigas Italy. Every individual came into bloom in the English elimate, the seeds having been sown in January and the young rosettes planted out in May. Nine of the adult plants were uniform and typical, though showing certain very slight differences among themselves in one or two points. Of the remainder, No. I, 9 corresponded probably, to gigas oblonga, having a less stout stem, smaller leaves which were nearly free from erinkling and possessed a nearly even margin and a shape similar to oblonga. No. I, 12, when fully developed, differed from the typical plants to a less degree, having somewhat smaller leaves which were more deeply crinkled, and more red on the buds (colour pattern 3—5, see Gates, 1911b, pl. 6). The rosette, however, was typical (fig. 1). The last aber- rant plant, No. I, 4, differed from the type only in being distinctly smaller in all its parts, though not small enough to be called a dwarf. Its tlowers were rather smaller than in 0. Lamarckiana. This was one of the most interesting plants in the culture and will be referred to again, later. Its leaves and flowers (see table II), 14) This paper, which also deals with the remarkable range of variability observed in O. gigas, has since appeared in Trans. Linn. Soc., Botany, 8: 1—67. pls. 1—6. 15) I am greatiy indebted to the Director, Wm. Bateson, F.R.S., for fur- nishing me with facilities for growing these and other plants. 16) I am indebted to Mr. E.J. Allard for his care in taking the photographs in this paper. 115 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. though smaller, were otherwise like the type. The following descrip- tion of the typical adult plants ıs taken from my notes. Description: Stem leaves very large, thick, broad, crinkled, prominently repand-dentieulate, midribs white. Stem very stout, not quite so tall as neighbouring Lamarckiana plants, but later in developing. ÜÖentral stem surrounded by a circle of basal suberect branches arising from the rosette!”). Later, short lateral branches Fig. 1. O0. gigas, Italy. Rosette July 8. Cult. 227/,, I. 12. begin to develop from the central stem. Buds very large, early ones quite green or yellowish, later ones yellowish with pale red colour pattern (1—5, see above). The petals, and to a less extent the sepals, are exceptionally long, so that the stigma is enclosed by both, and does not project beyond the petals in the bud as frequently happens in other forms. The following table (II), made from the measurements of four buds from typical plants and several from the smaller plant (Nr. I, 4), 17) This is erroneously stated by Miss Lutz (1912, p. 392) to be distinctive of gigas, but precisely the same condition oceurs not infrequently in Lamarckiana. 119 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. -pouogyejg ApPunsıp Appensn gung ‘sunoF 191J0 ur se ‘099104 Jou 91 ummmuvdiy puw Amwao oqL (KL "pogejs Apoyywads you st sıy4 yanoyy ‘(oseq IB 9U09 70 ssouyory4) X (sdıg jedes + 9u09 Fo ua) Apusredde or spnq 107 s9A1S 9y SJuEWeINSBOL Ay] ulm Us} UOSBOS oT) UT AOI]IEO IPs IM SJLOWEINSTOLU AOMOF SIy mg ‘pgL 'd ‘ZIGT) wossjeN Jo 9s0yJ weyg 1opews je Afıwou ou sYuoweanswou OsouT, (SI = 22 “ ae OT ea ee “6898 | 109M0JF [eo1dAy og DuDıy9mUunDT 'O Be | et “ Ge “ 7 | [X OL “ 63 he “ m “ FE DECO OFOMTCH 7) ‘7 a SE; UO. mousıg | PIIOAOJF-JJewug ee re ce, Se “og Fi: Se 81 “C oa) adAg ‘wopaag sohıh 0 “09 I “ gr jwuzAwn| “ cr zT RE et) RZ “ 7868| (aıews) 9 I "lıze wwF9g |, wwmog („WWUCKXCH(wWWgXg [mu FI—g'EgT| wwgF—gFr wm g—g'c | wwgg—gy’gT mwcH—gp |" " ° ° (sIomogf ynoqe mogß ınoJ) (zz) dA ‘Apeyy sphrb 'O yypeaıq] | Sue] | wnıgyguedAy | AuBao Jo AIBAO wnıyyuedÄy | sdıy jedos aseq IE 9U09 9u09 pnq spegod jo ssouyoıy]L | ssouypIyL | Jo Sue go Sue] | Jo Sue] Jo a09weIqg | JO »uo] Jo suoIsuawıd "DUDıyıDWuDT *0 WU puw sooBı sDhrd ‘0 UT SIOMOJ} Jo SYuowsınsgou SAreızduno,) “(srII 9I4®L 120 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. shows the comparative dimensions of the flowers. To this are added measurements of two typical flowers from O. gigas Sweden, be described shortly. One of the typical plants above described (No. I, 10) showed an interesting peculiarity in the absence of an absciss layer between Fig. 2. O. gigas Italy, eult. 2)... I. 5. the hypanthium and ovary, so that all the faded flowers remained permanently attached to the plant, even weeks after blooming. Plant No. 1,5, showed the same feature partly developed (cf. fig. 2) and it appeared slightly ın No. I, 11. It seems that ın all the giant races of Oenothera the llowers tend to remain attached longer than in other forms. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 121 The next race to be mentioned I shall refer to as O. gigas, Sweden. It originated from a single mutant which appeared in 1907 in a pedigree culture of about thırty ©. Lamarckiana plants which were grown by H. Heribert Nilsson (1909) at Lund. My seeds of this race were kindly sent to me by Nilsson, for com- Fig. 3. O. gigas Sweden. Rosette July 10. Cult. °®|,,. II. 3. parıson with the other races of O. gigas. They correspond to the “Komb. 7” of his paper. Though clearly a giant form, the follow- ing description will show that it ıs a characteristic race, differing constantly from the gigas from Amsterdam and the one from Palermo 2°). From Nilsson’s pedigree seeds I grew thirty-six plants as culture ?%?/,,. They were a uniform progeny except for certain 20) Since this was written, an important paper by Nilsson (1912) has appeared, with descriptions of this and other forms based upon extensive cultures. Such studies as these are particularly valuable in making possible a correlation of the ‘ results obtained by various investigators. The facts stated in my paper with regard to O. gigas Sweden are to be regarded as merely confirmatory of the previous studies of Nilsson with that interesting mutant. The value of Nilsson’s experi- ments in greatly enhanced by the fact that his cultures were derived from an independant, and slightly different, race of O, Lamarckiana from a garden in Southern Sweden. 122 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. De individuals to be mentioned later. Fig. 3?!) shows a typical mature rosette photographed July 10. Until the end of June the rosettes were indistinguishable from culture ??”/,,. Then the rosettes were found to be larger and with more jagged teeth at the base of the blade in the older leaves. Fig. 4. 0. gigas Sweden, cult. °°°],,. When fully developed, as in fig. 42°), they were found to differ constantly from eulture ?°”/,, in the following characters. 1) The stem leaves have conspicuous red midribs, and the midribs and petioles were also pink on their ventral surface. 2) The stem leaves are longer and 21) C£. Nilsson (1912, textfig. 30, p. 173). 22) Cf. Nilsson (1912, textfig. 27, right, p. 165). Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 123 less crinkled, being often nearly smooth (cf. fig. 4). 3) The margın of the stem leaves is much more conspicuously repand-dentate, often with jagged teeth near the base (see fig. 5). 4) In habıt (cf. figs. 2 and 4), having the basal branches more spreading, and more numerous and longer stem-branches, which developed secondary Fig. 5. Upper row, three stem leaves from O. gigas, Sweden. Lower row, three stem leaves from O. gigas, Italy. branches later in the season. The plants were thus distinetly larger and more bushy than O. gigas, Italy. 5) The flowers were decidedly larger, as shown in Table I. Leng hairs on the bud cone were also more numerous and from larger papillae, the hairs themselves being also longer. 6) An interesting constant difference was found in the capsules”), which in gigas Italy were contracted at the extreme base, as ın most of the related forms, while ın gigas Sweden, they were usually expanded vertically to give a broad base of attachment reaching as much as 14.5 mm in one dimension. The capsules are also longer°*) than in the former, which is doubt- 23) Nilsson (1912), in his recent paper gives (p. 133) a fuller account of the eontrasting characters between these two giant types, but apparently has not observed this difference in the fruits. 24) The fact that this race is decidedly larger in stature, including size of stems, leaves, flowers, ovaries and capsules, may not be without significance. I De 494 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. less associated with greater seed-production (see table III). 7) They were slightly slower in development, and five of them remained rosettes. 8) As shown later, the flowers produced considerably more pollen than giyas Italy, though not so much as Lamarckiana. Fig. 6. 0. gigas de Vries, Amsterdam. Narrow-leaved Rosette. July 10. Cult. 22°], There ıs thus decidedly less sterility, both in anthers and ovaries, than is the case wıth giögas Italy. The individuals of this culture showed a certain amount of varıation in cerinkling (though ın most the leaves were smooth or nearly so), but No. 1,5 had constantly narrow leaves though differ- ing from the type in no other respect. Another (II, 28) was very distinet. It was late in developing but had broad leaves very much crinkled with less toothed margins, rather closely resembling the typical gigas of de V ries®). understand that the chromosomes are being studied by Nilsson. By analogy I should anticipate that the race will have at least 25, and possibly 30 or more ehromosomes 25) Nilsson deseribes and figures this form (1912, p. 166, textfig. 27 left). He attributes the differences between this individual and the type to the absence of the factor for red leaf-midribs, which brings about correlatively all the other changes in leaf and habit. It would be interesting to know how the numbers of chromosomes in these two forms compare. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 125 A more interesting departure, which must, I think, be classed as a bud mutation, was observed in No. I, 4. This plant was typical of the eulture, but bore basal side branches having decidedly smaller flowers and leaves (cf. table ID), the former being about = “ | x Fig. 7. O. gigas de Vries, Amsterdam. Cult, '%],,. Same plant as fig. 6, Aug. 26. the size of those in Lamarckiana. It seems reasonable to consider this a mutative bud reversion, though I have not yet counted the chromosomes. A third eulture of gigas which I grew during the last season, was derived from pure seeds received from de Vries several years ago. Only one germinated this year, and it proved to be a very 136 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms, narrow-leaved form ?°). Fig. 6 shows the rosette photographed July 10, when the central shoot was beginning to develope, and fig. 7 shows the mature plant. This’ ıs the first time I have suc- ceeded in getting one of the very narrow-leaved variants to flower, but ıt showed a very high degree of sterility, producing no good pollen. Its chromosome number will be determined later. The buds were much smaller than in normal gögas, but were not measured. They were greenish in colour, and the earlier ones showed asym- metry ın shape similar to that of lata. The petals were also some- what crumpled, and the sepals rather short. The stamens were sinuous and contained but little pollen, one stamen being found attached throughout ıts length to a petal. Table III. Measurements of typical capsules. Width of capsule just above base Length of capsule Oygrgassltalyı a8, 27—28 mın 9.5—10.5 mm OÖ. gigas Sweden .... 36—39 „, 8—85 „ O. Lamarckiana .... 30—34 „, AN OÖ: aba We eos | 19—24 ,, 2.0, The above Table gives the measurements of several capsules from each of the races mentioned. The lata capsules are shortest, because they produce fewest seeds. In O. giyas Italy the capsules are strongly rhomboidal in cross-section, their greatest diameter being, as in most of the other forms, just above the base. Here again the short length of the mature capsules ıs undoubtedly to be attrıbuted to the small number of ovules which it matures. As shown in Table II, the ovary before fertilization is longer than in O. Lamarckiana, while ın O. gigas Sweden it ıs very much longer, as is also the ripe capsule. The fact that the capsule of the latter usually has a broad expanded base has already been referred to. The Pollen Grains. During the past season I devoted some time to the examina- tion of Oenothera pollen, the various types of grains being determined numerically, with interesting results. The pollen of gigas ıs charac- 26) I have repeatedly found that when old seeds are sown and only one or two germinate, the plants produced are almost invariably aberrant. This would seem to indicate that the seeds which produce aberrant individuals are more viable. I have had this experience too frequently to attribute it t0 mere chance. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 197 teristically 4-lobed, though grains with five and more lobes occur, while that of the other forms ıs usually 3-lobed’?”). The method used was to mount as much as possible of the pollen from one anther at a time in a drop of water, and then examine it and count the number of grains of the various types. Of course, only a fraction of the whole number of grains in an anther can be observed and recorded in this way, but by examining all the pollen grains sufficiently isolated in a given field of the micro- scope and then passing on to another field and examining all ın sight, one may be quite sure of obtaining the correct proportions of the various types. In determining “good” and “bad” grains, those were considered *bad” which showed any sıgns of shrivelling or distortion, but probably the real proportion of non-viable grains would be somewhat larger. When carried on ın this way, the examination of the pollen from a single flower requires a consider- able time. Nevertheless, it is much more expeditious than cyto- logical methods, and I believe ıt may prove a useful auxiliary method in determining the nature of the different types of pollen grains. It has apparently not occurred to Miss Lutz that the quadrangular and triangular types of pollen grain may contain respectively 2 X and X chromosomes, or thereabouts. If this were the case, a eritical statistical examination of the pollen ın the various mutants might greatly simplify the methods of determinig whether diploid pollen grains occur, and their relative frequency in various parts of the plant. This assumption is not at all an improbable one when we recall the elose association between the number of chromo- somes and the size of the nucleus and the cell. I worked out these relationships in some detail in the case of O. gigas (Gates, 1909a), and have since suggested (Gates, 1911la, p. 926) that the 4 lobes instead of 3 ın the gegas pollen grain may result directly from the changed space-relationships which follow the doubling in the chromo- some number. The 4-lobed grain undoubtedly contains more space, and therefore probably more eytoplasm, than 3-lobed grains, and it is reasonable to suppose that its nucleus is therefore larger, not only in gögas (as it undoubtedly ıs, though I have not made coımpara- tive measurements of the nuclei in mature pollen grains) but wher- ever 4-lobed grains occur. It is thus conceivable that the frequency of 4-lobed grains in such forms as O. Lamarckiana may be used as a measure of the frequency of diploid pollen grains. I should anticipate, however, that any diploid grains occurring in, e. g., 27) In a previous paper (Gates, 191la, p. 926) I gave Miss Lutz the credit for having first observed 4-lobed pollen grains, in O. gigas. But as a matter of fact I myself observed and figured such grains (1907) in my first paper on this subject, in a hybrid having twenty chromosomes. 128 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Lamarckiana would be regularly quadrangular with 4 lobes, while trıangular grains with an extra lobe would contain an intermediate number of chromosomes. In making calculations based upon the data given in my first paper on this phase of the subject (1909), I find this idea strongly borne out. The figures in the following Table are taken or deduced from the data given in that paper (pp- 531, 533), the nuclei being treated as spheres. Table IV. [1% N e Ratio of increase | Ratio of increase | ar ar ae of eytoplasm in | of nucleus in | | gigas gigas O. Lamarckiana . . | 26995.39 1098.07 pr || 3 Hl DR ll Oase | 39951.78 | 2373.52 1 zn From this table ıt can easily be calculated that, ıf the cyto- plasm ın gögas pollen mother cells increased in the same ratio as the nucleus, it should measure in volume 49244.67. The deficiency in cytoplasım therefore amounts to about -23, or nearly one-quarter of the amount of cytoplasm in the gögas pollen mother cell. While these figures are of course only approximately accurate, yet they make it at least reasonable to suppose that the fourth lobe in the gigas pollen grain serves to restore the normal ratio between nucleus and cytoplasm. Another simple caleulation from the data given in my previous paper (1909 a), shows that in ©. Lamarckiana pollen mother cells in synapsis the ratio of cytoplasm to nucleus ıs about 24.58: 1, while in O. gigas the same ratio is only 16.83 :1. With whatever degree of accuracy this relationship between extra lobes and increased chromosome number may be found to hold, it will be worth while keeping it in mind as a working hypo- thesis. Miss Lutz (1909, p. 266) makes the statement that in O. lata and O. Lamarckiana about one in a thousand grains have four or more lobes, “although as high as fiften per cent. has been observed ın normal, typical individuals”. The latter statement requires verification. From the data presented in this paper, it is evident that plants having different types of pollen grains differ also in external characters and in chromosome number. It is highly probable that the plants of Lamarckiana referred to by Miss Lutz as having such a high percentage of quadrangular grains were in reality triploıd mutants. She mentions the frequent occurrence of grains having 4 or more lobes in the triploıd mutants described in her recent paper (1911, p. 389), where she found the 3-lobed Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 129 grains “much in excess”, but has not determined the proportions of the various types. Stomps also mentions (1912b, p. 533) that, in the triploid mutant he obtained in the F, from O. biennis eru- ciata X. biennis, the pollen grains were frequently quadrangular. In the small-flowered plant of gigas Italy above, the pollen grains (see Table VI) were about 23 per cent. 3-lobed, 75 per cent. 4-lobed, and 2 per cent. with more than 4 lobes. As a matter of fact there are different types of 4-lobed grains. The typical gigas pollen grain is quadrangular with a lobe at each corner of the square, while the typical Lamarckiana grain is triangular with a lobe at each corner of the triangle. But triangular lobes also occur having an extra lobe on one side of the triangle. It ıs not impossible that such grains will be found to have a chromosome-number between seven and fourteen, for they will contain less cytoplasm than a corresponding quadrangular grain. Even ıf the above-suggested relation between the shape of the pollen grain and the contained number of chromosomes should prove not to be a constant one, ıt might still be frequent enough to serve as a valuable indication of probable chromosome number and distribution during meiosis, as a preliminary to making cerosses and a cytological study. That this is so will be evident from certain facts here presented, and in any case the association here suggested is at least true to the extent that 3-lobed grains seldom occeur in normal gigas and 4-lobed grains seldom ın normal ZLamarckiana. The data from my examination of pollen grains are presented in the following tables. They are incomplete, as I had only a limited time to devote to this work ?°), but a number of very interesting facts appear. In a more thorough study, the proportion of good to bad grains should be determined in all cases, and also the number of triangular and quadrangular among the bad grains, for it is not impossible that there may be selective elimination of one type as the pollen matures. It is to be hoped that other workers will include a statistical examination of the pollen grains in the deserip- tion of the plants they study. In the flowers of gigas Italy very little pollen was produced, and it was granular, rather than stringy as in other forms. The anthers also usually failed to dehisce properly, so that in making pollinations the pollen had usually to be dragged out with a pin. It should perhaps be added that these pollen examinations were all made within a few days of August 20%, in the midst of the flowering period. 28) My only reason for publishing these ineomplete data at this time is to enable other workers to combine this method of pollen study with the observation of other characters. XXXIH. ) 130 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Table V. Pollen grains of ©. gigas and other races. | 8 ES = ‚a ' „Good“ grains| „Bad“ grains 1338 4 = “5 NE = 2 ee le nn 9 |< se en 2a: |. |2|2 A283 2 |e2 ee (Sen emren ne errenle 5 © © oO SS) za zu. SS | N ST or jr 0 g an = Ih | ge) — iR O. gigas Italy (*"J,.). | | a) No. I. 6 (normal plant), | | grains from one flower .. || 1050 |27.62 |72.38 | 18 |251| 21 | total = 760 b) Another normal plant (pe- | | | digree number notrecorded) | 662 |42.60 157.40 | 6 |255 | 21 | 1 | 371,8 Totals || 1712 | 24 |506 | 42 572 1140 c) No. I. 4 (small flowers) l1st flower 591 | 39.76 | 60.24 | 61 |165 | 9 ,107 | 249| O Dnd =, 1210 | 25.62 |74.46 | 63 |239| 8 | total = 900 Znd % (Good grains only). Stamen (1) - 0185| 31 — | — | — 2) — — - 15 | 83] 0 | — | - | — „. 0) 24 \108| 4.) — | — ed a er oa ea Totals for 3nd flower 483 | — — [1112 |364| 7 |J— \— | — | rg Totals for No. I. 4 || 2284 | 32.69 | 67.35 1236 | 768 | 24 1256 O gigas Sweden (???],.). His normaler 948 | 36.81 |63.19 | 33 |306 | 10 | total = 599 OSTomarckianan: Senne 910 }57.6 |42.4 [910 01 01-1 — | — 0. semilata (|, 1.6)... . | 1198 |44.28 | 55.72 530 0: 72171667. 1, 20210 | From the accompanying tables (V. and VI.) it will be seen that in typical. gigas Italy a fluctuating amount of the pollen, probably in most cases much over fifty per cent. was non-functional. Of the grains having a normal appearance, from 2—6 per cent. were 3-lobed, 86 to 90 per cent. were 4-lobed, while about 7 per cent. had five or more lobes. In the individual (No. I. 4) having smaller flowers, leaves and stature, the amount of sterility is about the same, but the number of triangular grains was regularly about 25 per cent. in all the flowers examined (Table VI), grains having five or more lobes only numbering about 1.5—4 per cent. Thus in every case the ratio of 4-lobed to 3-lobed grains in this plant was found to be approximately 3:1. Whether this Mendelian ratio may have any significance as such is not at present clear. Its chief interest lies in the fact that the smaller size of the plant organs is accompanied by this peculiar behaviour of the pollen. A count of the chromo- Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. [31 somes in this plant ıs being made from preparations made by Miss Nesta Thomas. I have thus far been unable to find more than 25 or 26 chromosomes, but we are continuing the work on this and other forms, of which a full account will be published later. Tablemvss Percentages of pollen types among “good” and “bad” grains. | “Good” grains “Bad” grains Total 5 = STaıns 5- or 5- or exam- 3-]obed 4-lobed | more | 3-lobed | 4-lobed | more ined | lobed lobed OÖ. gigas, Italy | | a)ENo.1..6 2.210507 |7.6.2279/6 1.86.5396. 172225) ° °— I | — = b) Another plant | 662 | 2.13 „| 90.43 „ [7.45 „| 0.26°], | 97.6397, 2.11%, c) No. I. 4 | | | | | lat flower | — | 25.96 „| 7021, 1.8, — | — — nal 200322, 27209 as = er Ind as ei | AU 3 flowers . ... | 2284 | 22.96 „| 7arı ,„ 233, — a O. gigas, Sweden | NosH. | S1s. aaa. 82.08, BB O0. Lamarckiana . | 2100 FARB — | ar I I In addition to the types of pollen grain already mentioned, I not infrequently found in O. gigas’a more nearly globular type in which only two lobes were visible. No account was kept of these, as they varıed much and were probably non-functional. The actual percentage of sterility is very diffieult to determine, as shrivelled grains of all sizes occur, and I have long known from sections that many of the pollen mother cells also break down before or during the reduction divisions. Another peculiarity worthy of mention, is the way the various types of pollen grains appear to be grouped. Thus in the plant having about 25 per cent. of triangular grains, the latter were often found in groups on the slides, frequently several together, rather than equally distributed through the rest of the pollen. This would suggest that possibly. their production was due to irregularities in the reduction divisions of certain mother cells, by which only the haploid number of chro- mosomes reached the daughter nuclei of the homotypic division. The same phenomenon was observed in normal ©. gigas Italy (No. I. 6). In the examination of pollen from one anther S trıan- gular grains were found together, and in another anther three triangular grains were observed quite close together on the slide. 9* 1323 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. In O0. gigas Sweden the amount of pollen produced is certainly much in excess of that in the Palermo race, though there is no evidence of a smaller percentage of bad grains in the meagre data of Table V. It appears also, from Table VI, that there are more 3-lobed grains and fewer having 4 lobes than in gigas Italy. Turning now to the narrow-leaved gigas from the Amsterdam cultures (1°°/ ,), I found no good grains at all, though the anthers were fairly well filled with shrivelled grains, including several types I had not previously seen. The 4-lobed grains appeared most numerous, but their frequency, and that of the numerous 3-lobed grains, was not determined. In both these types the size of the lobes was large relative to that of the central part. In addition arounded, nearly spherical grain with very small lobes was observed, but it appeared non-functional like the rest. The number of chro- mosomes in this narrow-leaved individual has not yet been determined, but I feel justified in predicting that ıt will be less than 28. In fact, I believe the most probable hypothesis regarding the cause of the tremendous varıation in leaf-width and other characters exhibited by ©. gigas ıs to be found in variations in the chromo- some-number of different individuals. This will be brought about by irregularities in meiosis, and the different types of individuals in the oflspring of O. gigas will thus represent a partial return to the diploid number. It does not follow that all the size and shape relationships in these plants are to be explained in this manner. In the flower of O. Lamarckiana examined (Table V) the number of good grains was found to be over fifty per cent., and the grains were all, both good and bad, 3-lobed without exception. I after- ' wards examined the pollen of several other flowers from different individuals, but without counting the grains, but I found not a single 4- or 5-lobed grain. I observed, however, that occasionally two grains lie over each other in such a way as to appear like one 4-lobed grain until carefully examined. Evidently 4-lobed grains must be very rare if they ever occur in my strain of Lamarckiana. An individual of semilata, which is a well-defined mutant type, was examined. This plant (229. 1.6) occurred in a culture of lata- like plants from seeds kindly sent from Sweden by Nilsson (*Komb. 1”). One very large 5-lobed grain was revealed in the flower examined, but subsequent examination of another flower without counting failed to diselose another such grain, though a number of apparently 2-lobed grains were seen. A preliminary chromosome count of this individual, from preparations made by Miss N. Thomas, shows that the number is certainly as many as fiiteen, and possibly sixteen. This form will also be reported upon more fully later, in connection with a paper on. the various lata forms. I may say that another semzlata plant from de Vries’ seeds we Gates, Tetraploid Mutants and Ohromosome Mechanisms. 13: originally, self-pollinated yielded this year only three individuals, of which two were typical /ata and one Lamarckiana. It is hoped that this method of pollen examination will be used in future by students of Oenothera, for ıt will evidently add much to our knowledge of the constitution of the plant, Discussion. In this section it is first necessary to devote considerable space to comments and criticisms of various statements made and concep- tions held by other investigators. To begin the discussion, I must first complete the paragraph from de Vries (1912, p. 34) from which the above sentence was quoted, which ıs as follows: „Zwar hat Gates eine abweichende Ansicht aufgestellt und behauptet, dass die Verdoppelung erst nach der Befruchtung geschehen sein sollte, und nicht einer Mutation (sic), sondern einem Zufall (‘of the nature of an incident’) zugeschrieben werden müsste. Dieses würde den Vorgang in die Gruppe der er- worbenen Eigenschaften (sic) überführen. Und da man von diesen jetzt wohl allgemein annımmt, dass sie nicht erblich sind, genügt die Vorstellung von vornherein nicht, um die Entstehung meiner erblichen Rasse zu erklären. Ich erinnere hier an doppel- kernigen Zellen von Spirogyra in den Versuchen von Gerassimow, welche durch die vegetativen Teilungen hindurch ihre beiden Kerne beibehalten, diese bei der Beamer aber wieder verlieren. Übrigens wird die Ansicht von Gates nah die neueren Tatsachen völlig widerlegt.“ This passage requires several comments. I have already pointed out that, so far from my view having been anomalous, it has been supported by nearly all the eytologists who have had occasion to deal with the subject. The second statement involves a miscon- ception of my point of view. I have never suggested that the origin of O. gigas was not a mutation, but on the contrary, have held it to be such, since it results from an inherited germinal change. I have, however, held it to be phylogenetically “of the nature of an incident”, and in this it probably agrees with many other mutations, though it is, of course, almost impossible to measure the phylogenetic value of any germinal change when it is viewed in such short perspective. The numerous cases of tetraploid species among plants, and less frequently among animals, show, however, that this condition is, as I have pointed out (1909a), of great evolutionary interest. The next statement of de Vries, that the origin of gigas from a change occurring in the fertilized egg, or in the megaspore mother cell would place it in the category of “inheritance of acquired 134 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. characters”, is obviously not in harmony with the usual biological conceptions. For that term in biological usage, means the occur- rence of a somatie modification, and its subsequent reflexion back into the germ plasm. But a megaspore mother cell or a fertilized egg is germ plasm par excellence, and any chromosome-doubling oceurring here is obviously a germinal change, and as such likely to be inherited. We may contrast with such a condition the one obtained experimentally by N&mec (1910), in which, by treatment of root tips, a doubling in the number of chromosomes in various cells of the growing tip ıs obtained. There is obviously no pos- sibility of such a change being passed on to the next generation, and as a matter of fact the tetraploid condition of these cells gradually disappears, although opinions differ as to how the return to the diploid number takes place. De Vries cites in comparison with gögas the binucleate cells of Spirogyra obtained by Geras- simow, which afterwards returned to a uninucleate condition. But the recent important work of the Marchals, already cited, in obtain- ing diploid moss gametophytes by wounding the sporophyte, ıs a closer parallel, and those experiments frequently gave rise to con- stant tetraploid races. The statement of de Vries, that my point of view is „völlig widerlegt“ by the newer facts, is therefore scar- cely in accord with the evidence. De Vries(l.c., p. 35) calls the trıploid forms half-grgas mutants and states that they agree ın character with ©. gigas X Lamarck- iana, a result which would be expected. He finds that when Lamarekiana ıs crossed with pollen from cerucrata, muricata or Millersi (nov. sp.), most of the seedlings produced are yellowish, the occasional deep green ones (15 000 yellowish to 45 green), called Hero, having 21 chromosomes. This gives a mutation-coefficient of about 0.3 per cent., which is assumed with probability to represent the frequency of diploid eggs in 0. Lamarckiana. This of course furnishes no evidence of diploid pollen grains. If such really oceur in Lamarckiana and are functional, it would seem probable that their frequeney might be determined by making the reciprocal crosses, with Lamarckiana as the pollen parent, but this does not seem to have been done. We must conclude, then, that the inter- esting evidence offered by de Vries shows only the frequency of diploid egg cells, the oceurrence of which we already had some reason to believe in through the observation of Geerts, but offers no support whatever for the occurrence of functional diploid pollen grains. In discussing the status of O. gigas, de Vries (l. c., p. 36) regards it, and I believe rightly, as „eine gute progressiv entstandene Art“. He believes also that many of the differences from its parent, O. Lamarckiana, cannot be explained as a result of the original Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 135 chromosome-doubling and the various changes it entailed. This view may be correct but it has certainly not yet been proved, and I think it can he shown that most of the changes at least may have resulted from a single original change, namely the doubling in chromosome-number. De Vries cıted the following characters as unexplainable on the basis merely ofthe increased size of the nuclei and cells: 1) The strong biennial habit. But this means merely a slower rate of development under given conditions, and Keeble’s (1912) giant Primula also grew more slowly, a result which might be expected to follow directly from the larger size of the cells, and the slower rate of karyokinetie division. 2) The larger seeds. It is difficult to see why this was cited, for the ovule and hence the seed, is an organ which would obviously be larger ıf composed of larger cells, as the grgas ovule undoubtedly is. 3) The small (1. e., short) fruits. The explanation here is not so obvious, but the ovary at the time of fertilization is longer and stouter (see Table II, p. 119) than in Zamarckiana, again a direct result of the larger cells; and in gögas Sweden (see Table III, p. 126) the mature capsule is also longer than in Lamarckiana, while ıt ıs shorter ın gigas Italy and in /ata. After careful comparative study, the explana- tion of this is simple — the length depends upon the amount of sterility, or in other words upon the number of ovules which mature seeds. If anyone examines a nearly mature capsule of gigas or lata they will find a comparatively small number of seeds and a large number of undeveloped ovules. Part of these ovules doubt- less fail to develope for lack of fertilization, but many of them (as I have learned from eytological studies of oogenesis in lata) faıl to develope because the meiotie processes go awry. In lata the sterility from this cause appears to be even greater than in gigas. The short length of the mature capsule in both these forms depends upon the small number of seeds developed in them ?°), and ıs there- fore easily explained without recourse to another mutational change. The greater sterility of ovules, both in gigas and lata, might be expected to follow from the meiotic difficulties introduced by a) the tetraploid, and b) an odd number of chromosomes. However, ın 29) There is a further interesting point, namely, that the seeds produced, particularly in /Zata, are scattered through the length of the capsule, with many undeve- loped ovules between them. The latter do not produce seeds because they are incapable of being fertilized. On the other hand, when the fertilization of an ovary in O. rubrinervis and other forms is incomplete, through the failure of sufficient pollen to reach the stigma, one finds almost invariably that the lowermost ovules are the ones which are fertilized and develope seeds. Hence it appears that when all the ovules are capable of being fertilized, the first pollen tubes must grow to the bottom of the ovary, the next to the ovules next above, and so on to the top. This behaviour cannot be explained by a summation of chemotactic influences from all the ovules, for in that case the middle ovules would be the first to be fertilized. 136 (Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. gigas Sweden the mature capsules are very long and contain many more seeds than in gigas Italy. But in this case the ovaries ready for fertilization are extremely long and probably contain more ovules, so that the percentage of sterility may be no less than in gigas Italy. De Vries cites(4) the outgrowth of the axillary buds on the stem to form branches, as another difference. But this ıs an extremely variable character both in gigas, Lamarckiana and the other forms, depending no doubt upon local environmental condi- tions at the time when these various buds reach a certain stage of development. It can therefore scarcely be considered a constant differentiating mark from Lamarckiana. Another interesting physiological difference noted in the gigas races during the past season was their greater susceptibility to frost. On the morning (Oct. 5) after a rather heavy frost, the flowers and unopened buds of the yiyas races were bitten and drooped over, while all the diploid races in the garden escaped. The only exception was the small-flowered plant of gigas Italy (227. I. 4), which was unaffeeted. This difference agaın is no doubt a result of the larger size of the cells in gigas. Since it is possible to explain easily so many apparently diverse morphological and physiological characters in gigas as the result of a single initial change in nuclear structure and consequently in cell size, one must hesitate before affırmıng that any character of gigas 15 necessarily the result of another (additional) change. Our knowledge, or rather our ignorance, of morphogenesis ıs at least as profound as that of the physicist who cannot explain why a certain rate of ether vıbration gives the sensation of red and another the sensation of blue; or as that of the chemist, who cannot correlate the properties, such as color and crystalline shape, of his compounds, with their chemical composition except in a very limited way. It is evident that many secondary changes in O. gigas, such as the larger seeds and shorter capsules; and physiological changes such as the stronger biennial habit and greater susceptibility to frost, follow as a result of an mitial quantitative change in nuclear and cell structure. According to the logical “law of parsimony” one cannot introduce an additional cause to explain these changes unless they can not be explained without its help, but I have shown that the characters cited can be so explained. Regardıng the few characters of gigas, such as leaf-shape, which remain to be explained, one can only say that in our present ignorance of morphogenesis — of the relation between organic cell structure and external form — we cannot really distinguish between quantita- tive and qualitative characters, except that we do know that in many cases specific differences which appear to be qualitative are found when analyzed to rest upon ultimate quantitative differences. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 137 At any rate, the characters of gigas cited by de Vries as anta- gonistic to this view are seen to be readily explainable in harmony with it. Whether the leaf-shape requires the assumption of an additional correlated change, remains to be seen, but the case of Phascum cuspidatum shows that this ıs quite possible. In gögas Sweden many of the characters are obviously different from those of gigas de Vries, but the parental race of Lamarck- iana from which it arose was also different (see Nilsson, 1912), and until the chromosome numbers of both these races are known it is useless to discuss the exact status of this giant race, though many of ıts characters are obviously a result of the giantism of its cells. The Chromosomes of O. gigas hybrids. Without occupying too much space with unnecessary details, I may be permitted to refer to a few of the facts, ehiefly erto- logical. Miss Lutz (1912) has devoted much of her recent paper to a discussion of the probable status of the trıploid plants which formed the basis of my paper on chromosome reduction in O. lata X gigas (Gates, 1909 b). There must, unfortunately, remain some doubt as to the exact male parentage of these plants, but I think the facts on the whole certainly justify my treatment of them and I shall continue to refer to them as O. lata X gigas. By ingen- iously bringing together quotations from several of my early cyto- logical papers, regarding the foliage and bud characters of these plants, Miss Lutz has made statements appear contradietory which in reality are not so. In the early papers the descriptions were naturally less detailed than now when our knowledge concerning the various types is much more accurate. Furthermore, the papers were meant to be cytological rather than systematic. But anyone famıliar with the characters of Lamarckiana, lata and gigas knows that the leaves, for example, of all three resemble each other in varying degrees, and it was obviously my purpose in the cyto- logical papers mentioned, to refer merely to the general features of comparison. Since then, the necessity for very detailed studies of the external characters has become clear, and much of my time for several years has been devoted to the correlation of the cyto- logical features with the external characters, only fragments of the results of which have yet been published. I have also made the cross lata X gigas a number of times since 1907, but only once with success until this season. In 1909 I made the cross Lamarckiana X gigas, obtaining an F, of forty plants which were all identical with Lamarckiana. The pollen when examined contained only triangular grains. Two F, families were grown in 1911 and one F, in 1912, all giving typical Lamarck- tana.- This experiment is referred to in a paper now in press. 135 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. Certain plants ofthe F, were examined and found to have fourteen chromosomes. Of course there is the bare possibility that the wrong capsule was collected from the Lamarckiana plant in the original cross. But this seems improbable. Another explanation is that all the functional pollen grains of the gigas parent, owing to irregularities in meiosis, contained only seven chromosomes, or again as happens in certain Echinoderm hybrids, the extra chromo- somes may have been extruded and lost from the nuclei in the early mitoses of the fertilized egg. Geerts (1911) found that ın Lamarckiana X gigas in the F, the number of chromosomes returned to fourteen, but contends that the F, hybrids were still identical with those of the F,, an observation which is open to grave doubt. In my paper on meiosis in O. lata X gigas (Gates, 1909b), I demonstrated clearly that in my material the twenty-one chromo- somes on the heterotypie spindle regularly segregated into groups of ten and eleven chromosomes, with only occasional cases of a 9-12 distribution. Scores of nuclei were counted in interkinesis, and in every case the result was as above stated. No cases were observed of greater irregularity in the heterotypie distribution, and none were found in which chromosomes were left out in the eyto- plasm during interkinesis. These results were established beyond the slightest doubt in my paper above mentioned, yet Geerts (1911) attempted to tbrow doubt upon them because, as he thought, his own results were incompatible with them. Another point, which was referred to by Strasburger (1910) and subsequently by Geerts (1911) was with regard to the possible paired arrangement of the twenty- one heterotypie chromosomes. Strasburger reproduced my figures 9 and 10 (plate XII) and 11 (plate XIII) as giving some evidence of such a paired arrangement, which they probably do. But I never found the pairing in the hybrid evident enough to be quite con- vinced of its significance, although I studied this point before my paper was published. As I first showed several years ago, the chromosomes are very loosely arranged on the heterotypie spindle, so that even in pure races of Lamarckiana forms and of O. biennis, the evidence of pairing at this stage is often very doubtful. Davis has since confirmed these results for (1910) O. biennis and (1911) O0. Lamarckiana. Even assuming, as is not improbably the case (although I did not obtain thoroughly convineing evidence of it), that: in the twenty-one-chromosome hybrid seven ehromosome pairs are regularly formed, still the fact that the remaining seven chro- mosomes were almost invariably distributed in groups of 4 and 3, remains to be accounted for, as I pointed out (1909b, p. 194). The fact remains that in my material the heterotypic mitosis was passed through with great regularity and uniformity. The homotypie mitosis also was completed with very few irregularities, and the Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 139 figures published proved this to be the case. The only irregularities discovered were 1) the passage of one chromosome to the wrong pole of the heterotypie spindle with about the same frequency as I had previously found this to occur in O. rubrinerris and other forms; and 2) the occasıonal omission of a chromosome from one of the daughter nuclei of the second division. My fig. 16 (plate XIII), which shows this, also shows that two of the nuclei contained ten chromosomes, while a third nucleus was cut. It ıs thus perfectly evident that my material showed remarkably few irregularities during reduction. Another interesting pecularity, which Geerts (1911) first called attention to, but which is also evident from certain of my figures, ıs the failure of certain of the chromosomes to split during interkinesis. I had previously been inclined to interpret this as due to the wide varıation which I had shown to exist in the time when the split of the homotypie chromo- somes occurs. Geerts figures some of these unsplit chromosomes afterwards degenerating, but it is probable that some of them were in my material distributed to the homotypic daughter nuclei without dividing, for I rarely found chromosomes left in the ceytoplasm, and never found any fragmenting, such as Geerts figures. It ıs evident from such figures as Geerts (1911) publishes, that his results are in the main a confirmation of mine. The only differences are 1) perhaps a closer pairing of the homologous heterotypic chromosomes in the material studied by Geerts; 2) a tendency for the unpaired chromosomes to fragment or be left out of the daughter nuclei in the heterotypie telophase. Not a single case of this kind was to be found in my material. 3) Apparently greater ırregularıty, with fragmentation of chromosomes, in the homotypie mitosis. Thus it ıs obvious that the full number of funetional chromosomes was retained throughout the reduction divisions in my material much more frequently than in that of Geerts. Whether this difference was due to the time of flowering, the particular weather conditions under which the meiotie processes were going on, or to some unknown difference in the hybrids, is not certain. But it seems probable that the more numerous irregularities in Geerts’ material are to be attributed to the fact that his collections were made very late in the season, when the plants were nearly through blooming and the weather conditions must have been much less favourable. Miss Lutz (1912, footnote p. 405) states that his material was collected in September and October. My material was certainly collected much earlier in the summer, in the height of the flowering season. Miss Lutz (1912) brings forward an imposing array of hypo- theses to account for the various chromosome numbers now known in Oenothera, hypotheses based largely upon the observations of 140 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. myself, together with those of Geerts and Davis, on the pheno- mena of meiosis in these forms. These interesting suggestions need not concern us now, but they by no means exhaust the possibilities, and at least one other cause of chromosome diminution is as likely to occur as some that she mentions, namely, the loss of extra chro- mosomes from the nuclei during the early divisions of the embryo. I presented certain evidence for this earlier in the present paper. The nuclear divisions of the male gametophyte are also a likely place for loss of chromosomes to take place from an unbalanced chromosome group. It is also conceivable that the two male nuclei in a pollen tube might in this way come to have different chromo- some numbers. In conneetion with her discussion of the chromosome numbers in Oenothera, Miss Lutz (p. 432) makes the extraordinary statement, “So far as I have been able to discover, no mention has been made of differences of chromosome number in mutants of Oeno- thera previous to Gates’ first paper. In this contribution he men- tions no mutant with a chromosome number differing from that of O. Lamarckiana.” And in the following paragraph, “The first men- tion of a mutant with a chromosome number differing from that of O. Lamarckiana was published by the writer six months later”. From this the reader is left to infer that she (Miss Lutz) made the first discovery of different chromosome numbers in Oenothera. But it is probably well-known to every one, except perhaps Miss Lutz, that the whole subjeet of chromosome numbers in Oenothera was opened up by my paper (1907), in which it was clearly shown that one plant had about fourteen chromosomes and another about twenty. The first announcement of these results was made in my paper read at the New York meeting of the American Association for Advancement of Science, in December, 1906. And it is not devoid of significance that Miss Lutz began her work with Oeno- thera seedling root-tips in January, 1907 (as she herself admits, 1912, footnote, p. 389), i. e., within a few days of the original announcement of my discovery. Remarks on giantism in Oenothera. In the previous sections of this paper I have dealt with various gigas types now known in Oenothera, together with some of their derivatives and hybrids. The variability of certain of these gigas races has been described recently by Nilsson (1912), and by me in a paper now in press. It is becoming obvious from facts regard- ing the pollen grains, already mentioned in this paper, and also from the chromosome numbers in the various gigas forms so far as they have been determined, that the varying chromosome distribu- tions in the giant forms are the real cause of many at least of Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 14 the extraordinary types which appear ın their offspring. These chromosome numbers are being further investigated from material now in hand, and it seems evident that meiotic irregularities will supply the key to the cause of this extraordinary range of varıation. N. Heribert-Nilsson (1912), along with several Mendelıan writers, adopts the fallacy that because a new type (mutation) varies in the later generations after its first appearance, therefore the original character-change was not single but compound in nature, This fallacy is particularly obvious in the case of gigas, where diıs- regard of the established eytological facts leads Nilsson to a quite abortive attempt to explain te orıgin and later behaviour of the giant types. Thus he says (p. 178) „Einige soeben angeführte Tat- sachen scheinen mir dafür zu sprechen, dass die Rieseneigenschaften, durch eine Kumulation von quantitativen Faktoren für Größe und Form, auf verschiedenen Individuen der Stammart verteilt, aufge- baut worden sind.“ By an hypothesis akın to Darwın’s pangenesis he assumes that (p. 178) „innerhalb der verschiedenen Teile der Pflanzen Reihen von selbständig spaltenden quantitativen Einheiten vorliegen“, and that these numerous independent factors all happen to meet together ın a single pair of germ cells, to produce the giant type?®). On this hypothesis, all the intermediate and aber- rant types which appear ın the offspring of gigas should appear rather in the same family with gigas itself, which ıs not the case. He does mention certain forms which he considers intermediate between Lamarckiana and gigas, namely his Komb. 5 (p. 129) which, Judging from his description, is evidently a trıploıd mutant. The application of his theory leads Nilsson into still further difficulties. Thus he says (p. 180) „Diese Tatsachen lassen sich aber durch die Annahme erklären, dass der gigas- Typus durch eine Plus-Addition von quantitativen und kumulativen Einheiten entstanden ist, welche erst ın verschiedenen Organen gigas-Eigenschaften, aber nicht den gigas-Habitus aufbauen. Wenn dann diese Plus- Komplexe zufällig zusammentreffen, so entsteht die Habitusveränderung, die Mutante. Der gigas-Typus wäre also eine extreme und zusammengesetztePlus-Kombination von Faktoren für Größe und Form zu betrachten?!).“ This assumption, which closely resembles de Vries’ premutation hypothesis, therefore supposes that these numerous “factors” are at 30) This hypothesis is put forward notwithstanding his admission (p. 219 and elsewhere) that in other cases one character-change can influence many organs, e. g. (p. 219), „die Eigenschaft der Rotnervigkeit. Diese beeinflusst nicht nur die Farbe der Blattnerven, sondern auch die Farbe, die Buckligkeit und die Größe der Blätter und die Länge der Früchte.“ 31) Italies his. 142 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. first eryptomeric®?) but later, when they all meet together, suddenly make their presence felt. This hypothesis is too obviously contrary to fact to require comment. If we regard the giant mutants as individuals in which the chief if not the only original change has been the sudden doubling in the chromosome number, we shall then be justified in looking upon such forms as progressive mutations. We should therefore expect them (as they do) to yield giant types parallel to the Lamarckiana mutants, such as oblonga and scintillans. The long range of narrow-leaved and aberrant forms which frequently appear in the progeny of gigas are, as I have already suggested, doubtless due to chromosomal aberrations and probably represent a gradual diminution towards the diploıd number. The important point is that such forms oceur only ın the offspring of gigas, and not from other sources. Nilsson’s method of pure lines in his researches ıs greatly to be recommended and has led him to many valuable results. It is therefore all the more to be regretted that he has neglected the eytological facts in the interpretation of his results. What I wrote in 1907 (p. 108) is still true; “some process of differentiation (in O. Lamarckiana) the most probable seat of which is the germ plasm, has led to the production of distinet types of germ cells differing in chromosome morphology and in hereditary value.“ Nilsson, in discussing my view (p. 211) says, „Also ist Gates der Ansicht, dass Unregelmäßigkeiten ın der Verteilung der Chromosomen bei der Bildung der Keimzelle die Ursachen der Entstehung von Vari- anten mit einer geringeren Anzahl von Eigenschaften als die der Stammart sind. Seine Auffassung unterscheidet sich also prinzipiell von der meinigen, nach welcher keine Unregelmäßigkeiten in der Bildung der Keimzellen stattfinden°?), wenn die Ver- lustmutanten gebildet werden, sondern diese als Rezessivkombi- nationen durch eine Neukombination mendelnder Eigenschaften entstehen.“ Since it is now well known that such meiotic irregularities as I described do occur, and are necessary to explain the origin and hereditary behaviour of such mutants as /ata having 15 chro- mosomes (see Miss Lutz, 1912, and Gates, 1912) and any other mutants, such as certain gigas-forms, in which aberrant numbers of chromosomes occur, Nilsson’s assumption must necessarily be discarded as contrary to fact. His attempt to show that (p. 213) „das ganze Mutationsphänomen dürfte unter einem gemeinsamen Gesichtspunkte: der Mendel’schen Neukombination, eingeordnet 32) Nilsson himself uses this term (p. 160). 33) Italies mine, Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 143 werden können“ has ended in failure, because it necessitates assump- tions which the already known cytological facts disprove; though without a knowledge of these facts his hypothesis might have seemed plausible, at least ın part. N. Heribert-Nilsson (1912, p. 212) also attempts to explain the origin of rubricalyx from rubrinervis in my cultures through the accumulation ın one individual, of several independent quantıta- tive “factors” for pigmentation. He says, *O. rubricalye ging allerdings aus einem geselbsteten Individuum hervor, aber Gates erwähnt, dass er in seinen Kulturen mehrere rubrinervis-Linien gehabt hat, und Kreuzung zwischen ihnen kann ja ın den vorigen Generationen stattgefunden haben“. Unfortunately for his theory, I can state the facts more defin- itely than they were given in my publication on the inheritance of pigmentation (1911b). They are as follows: In 1906 I grew at Woods Hole, Mass., a culture of 45 plants from rubrinervis seeds of de Vries. These were all rubrinervis except two Lamarckiana and one oblonga. A number of the individuals were self-pollinated, and together with rubrinervis cultures from varıous other sources, making a total of over 1000 plants, were grown at the University of Chicago in 1907. The particular culture in which the rudricalyx individual appeared, contained 112 plants, all typical rubrinervis except the rubricalye individual and one or two other rosettes which were somewhat aberrant and doubtful. This culture, which alone is concerned in the pedigree of rubrinervis, contained the offspring of four plants (Nos. 96, 98, 119 and 121) which had been selfed in the previous generation. These four cultures should have been kept separate, but were thrown together because this made no difference in the experiments I then had in view. The rubricalye mutant with its new dominant character therefore appeared as one of the 112 offspring of four purely self-pollinated »ubrinerwzs individuals, which were sister plants from a culture of O. rubrinervis from seeds of de Vries. It there- fore belonged to the second self-pollinated generation from de Vries’ seeds, and any hypothetical crossing of pure lines must be relegated to de Vries’ cultures. The presence of two Lamarckianas in the original culture may be attributed to mutation or to the entrance of foreign pollen,‘: for I cannot be certain that the seeds is the original packet were guarded seeds. Nilsson’s hypothesis is impossible for several other reasons. 1) As Ishowed in the paper above-nentioned (Gates, 1911b) from these very cultures, the range of pigmentation in 0. rubrinerwis buds was absolutely continuous, but there was a wide gap bet- ween the extreme plus varıation in rubrinerwis and the individual rubricalyx mutant (see plate 6 of that paper). 2) The behaviour 144 (rates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. of the rubricalye mutant showed that it was heterozygous, resulting from union between a mutated and a normal rubrinerris germ cell, because ın later generations it has split into rubriealye and rubri- nervis m a 3:1 ratio. There were no intermediate types, and this fact together with the ratio are clear proofs of its origin as a monohybrid °*). Conclusions. The purpose of the present paper is to consider giantism and tetraploidy in Oenothera from a comparative standpoint, ın order to reach a better understanding of its nature and meaning in rela- tion to evolution. Incidentally it has been necessary to refer to a number of other phenomena of mutation, and the main conclusions arrıved at may be set forth as follows: 1. A survey of the species or races having tetraploid (4 X) or higher chromosome numbers, shows that stet. 30 such cases are now known in plants and 7 ın anımals, the about having been greatly increased in the last three years. On the other hand, not a single tıiploid wild species ıs known, although in some cases (e. g., Drosera rotundifolia X D.longifolia diploıd and tetraploid species intercross, producing triploid hybrids. Triploid species can not be expected to occur in nature, since their chromosomes are not all paired and therefore (especially when the X number of chromosomes is odd) the meiotic processes will result in varying numbers of chromo- somes in successive generations, leading to the sterility of many individuals, and finally to the gradual diminution of the chromo- somes of surviving individuals to the diploid number. 2. The oceurrence of triploid mutants in Oenothera, as shown by Stomps and Miss Lutz, is obviously due to the union of a diploid with a haploid germ cell. But this does not prove that the tetraploid mutant, ©. gigas, originates from the union of two diploid germ cells of O. Lamarckiana. It is at least equally probable that gigas originates, at least in some cases, as I have suggested, from the apogamous development without fertilization, of an un- reduced megaspore mother cell having (4 X) 28 chromosomes. This conclusion is based on a) the actual observation of such a megaspore mother cell in O. Lamarckiana by Geerts and the failure to observe the omission of reduction in the pollen mother cells, though thou- sands of times more of the latter than of the former have been studied. On the other hand, the occasional oceurrence of 4-lobed vollen grains in Lamarckiana, points to the probability that diploid 34) It is interesting to observe that Nilsson uses the occurrence of many types in the offspring of gigas, as an argument for its origin by the bringing together of many independent units, and yet applies the same reasoning to rubri- calyx: in whose offspring only two types appear in a simple monohybrid ratio. Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanismitis 145 pollen grains exist, though it does not prove that they are func- tional. b) An analysis of the facts in the bananas investigated by Tischler, which are sterile, seems to require that a single tetra- ploid cell developed a new individual and race by a mutation. And the Primulas, studied by Miss Digby, in which a single “pin” flower on one individual of the F, sterile hybrid between P. flori- bunda and P. vertieillata gave rise in each of two independent crosses to a tetraploid race, makes it seem probable that the bud mutation which produced the “pin” flower was followed by normal fertilization and doubling of the chromosome number in the young embryo. In the case of the Mosses studied by the Marchals, it is obvious that tetraploidy arose through the aposporous develop- ment of a diploid gametophyte which afterwards produced diploid gametes which by fertilization gave rise to a tetraploid sporophyte; so that the essential change here was the production of a diploid gametophyte. This is emphasized by the fact that in one moss (Phascum euspidatum) the apospory was accompanied by mutational changes in the new gametophyte. 3. The view which was held by myself, Strasburger, and others, that 0. giyas and many other tetraploid species originated through a suspended mitosis just before or just after the formation of the egg, therefore remains to be disproved, and the facts seem to require this explanation at least in some cases. In any case, the evidence now at hand shows that in some plants the mutational changes are not confined to the meiotie divisions but occeur also, 1) in the aposporous development of a gametophyte (the moss above-mentioned); 2) in bud mutations, such as the small-flowered and small-leaved branch of an individual of ©. gigas Sweden des- cribed in this paper; 3) probably in an early division of the egg, in the cases of a periclinal and a sectorial chimera of Oenothera referred to in this paper. 4. In addition to the gigas of de Vries I have studied a race which originated independently several years ago at the Botanical Garden of Palermo, Italy, and whose characters are identical with those of the Amsterdam giant. A third giant race originated in the cultures of Nilsson at Lund, Sweden, from an independent Swedish race of 0. Lamarckiana differing slightly from de Vries’ type. This giant is, as Nilsson has shown, very distinet from the gigas of de Vries. A narrow-leaved descendant of the gigas of de Vries is also described in this paper. 5. A preliminary statistical study of the pollen grains in these giant races and in other Oenothera forms was made, and it was found that offspring of gigas which differed somewhat in their external characters differed still more strikingly in their pollen grains. Thus in normal O. gigas Italy there were about 28-43 per cent. XXXIN. 10 146 Gates, Tetraploıd Mutants and Chromosome Mechanisms. of “good” grains, and of these 6—2 per cent. were 3-lobed, 87—-90 per cent. 4-lobed, while about 7 per cent. had 5 or more lobes. But one individual of this race was distinetly smaller in flowers, leaves, etc. possessed about 33 per cent. “good” grains, and of these 23 per cent. were 3-lobed, 75 per cent. 4-lobed, and about 2 per cent. 5- or more lobed. This individual probably contains less than 28 chromosomes. In the narrow-leaved gigas above men- tioned, the pollen was all sterile, but 3-lobed and 4-lobed grains were both numerous. In an individual of göigas Sweden examined, the amount of “good” pollen was found to be about 37 per cent., of which 9 per cent. were 3-lobed, about 88 per cent. 4-lobed, and about 3 per cent. with more than four lobes. Since the triploid mutants also possess a certain (unknown) percentage of 4-lobed grains, it is obvious that there is a general parallel between the number of chromosomes and the percentage of quadrangular grains. The percentage of quadrangular and trıangular pollen grains is thus a very useful preliminary criterion to the approximate number of chromosomes possessed by a plant. It seems safe to conclude that all quadrangular grains contain more than 7 chromo- somes, though it remains to be proven that they all possess the full 14. Probably triangular grains with an extra lobe possess an intermediate chromosome number. It ıs shown by calculation from previous measurements, that in the pollen mother cells the ratio of increase of the cytoplasm in gigas as compared with Lamarckiana is only 1.5:1 while in the nuclei the ratio is 2.16:1. The deficiency of cytoplasm in the gigas pollen mother cells therefore amounts to about one-quarter and it is sug- gested that the extra lobe of the gögas pollen grain serves to restore the normal karyoplasmie ratio. 6. Several characters of O. gigas which were cited by de Vries as changes occurring independently of the chromosome-doubling, have been shown to be readily explainable as a direct result of the tetraploid condition with its larger cells and nuclei. These characters include (1) the strong biennial habit (2) the larger seeds (3) the short fruits (4) the greater susceptibility to frost. Whether any characters (such as leaf-shape) remain which can not be explained in this way, is a difficult question to decide in the present state of our knowledge of morphogenetie processes, but the effort should evidently be made, to explain the characters of giant types as far as possible on the basis of a single primary change, whether this be ın chromosome number or merely in cell size. 7. A comparison of the observations of Geerts on meiosis ın the pollen möther cells of O.lata X gigas, with my own, shows Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. 147 that his material presented more irregularitiess in chromosome behaviour, which is probably due to his material having been col- lected very late in the season, while mine was collected in the height of flowering. 8. The various types of chromosome change in Oenothera, based on my own observations together with those of Geerts and Davis, are 1) in diploid races an irregularity in the distri- bution of the heterotypic chromosomes, resulting from the weak attraction between homologous chromosomes, 2) a similar irregula- rity (certainly much less frequent ıf it ever occurs) in the distri- bution of the halves of the homotypie chromosomes. The first of these is sufficient to account for the occurrence of 15-chromosome mutants, such as lata, or 16-chromosome forms. 3) The omission of chromosomes from interkinesis. 4) The union of a diploid egg with a haploid pollen grain. This is sufficient to account for the oceurrence of all triploid mutants. 5) Possibly the latter may also arıse by the union of a haploid egg with a diploid pollen grain, though there is at present no direct evidence for this. 6) Doubling of the chromosome number through a suspended mitosis in the megaspore mother cell, followed by apogamous development. This is sufficient to account for the origin of all tetraploıd mutants, but they may also arise through 7) a suspended mitosis in the nor- mally fertilized egg, or 8) the union of a diploid egg with a diploid pollen grain, though there are no direct observations in support of 7) or 8). Chromosome numbers intermediate between the tetraploid, tri- ploid and diploid may arıse by crossing, and also 9) by irregular- ities in the heterotypic chromosome distribution in the tetraploid or triploid races, 10) by chromosomes being left behind in the heterotypie mitosis, 11) by chromosomes being omitted from the homotypie nuclei or fragmenting during meiosis. 12) By the failure of certain chromosomes to divide in the homotypie mitosis. To these we may add perhaps 13) the loss of chromosomes in the nuclear divisions of the male and female gametophytes, and 14) the loss of chromosomes during the divisions of the fertilized egg. All these processes except 2), 5), 7), 8), 13), and 14) are based on observations. 9. In the valuable paper of Nilsson he assumes that O. gigas has arison through the accumulation of many independent quanti- tative factors for the size and form of various organs, an hypothesis which is inadmissible because it is contrary to the cytological facts as well as the facts regarding the sudden discontinous origin of the giant types and their subsequent wide variation. This varia- tion is doubtless due in part to loss of chromosomes and in part to the fact that gögas contains the capacity of producing the same 10% 148 Gates, Tetraploid Mutants and Chromosome Mechanisms. mutant types as Lamarckiana itself. O. gigas is therefore, lıke O. rubricalyx, a progressive mutant in the sense of de Vries. 10. Hence although some of the characters in Oenothera are Mendelian in their behaviour after they have arisen, yet Mendelıan combinations in the sense of Nilsson are wholly inadequate to account for their first appearance. 11. I am, however, in agreement with Nilsson that many at least of the mutant differences are due to changes which are fun- damentally quantitative. Many of the size-differences in the races with higher chromosome numbers are also probably due to differ- ences in the number of chromosomes in their cells. It is the duty of the observer to analyze these differences as far as possible in terms of chromosome-number and cell-size. Evidently, any explana- tion of the mutation phenomena in Oenothera which neglects the cytological facts, is on very unsafe ground. Literature Cited. Artom, Dr. Cesare. 191la. La sistematica del genere Artemia in relazione col numero dei cromosomi delle cellule sessuali e in relazione col numero e colla grandezza delle cellule somatiche. Biolog. Oentralbl. 31: 104—108. — 1911b. 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A review of the problems, which occupied the investigator during these years, and of their solutions, cannot be given here: the finds are recorded in the literature of science and most of the salient points may be found in detailed form in the memoirs, cited below'). These com- 1) Beard, J. The History of a Transient Nervous Apparatus in certain Ichthyopsida: An Account of the Development and Degeneration of Ganglion-Cells and Nerve-Fibres, Part I. Raja batıs, in: Zool. Jahrbücher, Morph. Abteil., Vol. 8, with eight Plates, 1896. idem. On Certain Problems of Vertebrate Embryology, Jena, Gustav Fischer, 1896. idem. The Span of Gestation and the Cause of Birth, Jena, Gustav Fischer, 1897. idem. A Morphological Continuity of Germ-Cells as the Basis of Heredity and Variation, in: Review of Neurology and Psychiatry, Vol. 2, 1904. idem. The Enzyme Treatment of Cancer, London, Chatto & Windus, 1911. See also Haydon, W. T. — The “Biogenetic Law” considered in relation to an Antithetie Alternation of Generations in the Metazoa, in: 26th Annual Report of the Liverpool Science Students’ Assoc, 1907, Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 151 mence with “The History of a Transient Nervous Apparatus” and end in “The Enzyme Treatment of Cancer”. To the investigator, groping slowly along an untrodden path, it was of very great value, when, ın 1907, it was recognised, that the antithetie alternation of generations, which by observation had been found to underlie the cycle of anımal development, was in reality based in the same antithesis of isomeric compounds of carbon as that laid bare by the epoch-making researches of Pasteur. These, as ıs well known, culminated in the foundation of a science of stereochemistry. Since 1860 stereochemistry has been advanced by the researches of many chemists, and here of these the names of Le Bel, van’t Hoff, Wislicenus, and Emil Fischer need alone be mentioned. Modern Embryology, like modern Zoology in general, has con- cerned itself little with Chemistry. As can be perceived now, many questions, which have troubled embryologists and zoologists, might have been settled easily once and for all and long ago, had the contending investigators occupied themselves with the problem of the true chemical nature of the animal under discussion, instead of assuming, that, of necessity, all anımals were alıke in chemical nature and composition. The embryology of Carl Ernst von Baer and of his successors until recent times was exclusively a descrip- tıve science based in observation. There was, indeed, but a single eriterion, by which anything embryological could be determined, and that was the fate of the cells concerned. But, since in any developing “germ” the cells composing it are living, all questions concerning their fate during development are bound up with chemical, and indeed stereochemical, problems, which demand answers. In 1906 it first dawned upon me, that in organic nature there must exist at least two sorts of living albumins, laevo- and dextro- rotatory respectively, and in 1907 the conclusion was published, that the albumins of cancer and of malignant tumours in general must be dextro-bodies, because of the destructive action, ending in liquefaction, of active pancreatic ferments, especially trypsin, upon them. Because of all this it became desirable to demonstrate, and by some method above reproach, that dextro-rotatory albumins, sımilar to those of cancer, did exist, and, indeed, were widely present in other portions of organie nature. With this end ın view in the summer of 1912 I began a series of experiments, and now record some of the results. The vastness of the fields of animal development and of the unicellular animals or Protozoa would, no doubt, permit of a wide series of experiments, but to carry out very full series would require much time, material, and financial means not at my disposal. 152 Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. There are several ways known by which stereochemical questions can be solved. Of these two only need be referred to as connected with the present enquiry. These are 1) examination of the optical rotations of isolated (dead) liquid albumins ın the polarımeter, and 2) the “lock and key” method, that ıs, the positive or negative action of certain ferments, as employed by Emil Fischer. Regard- ing the first, the isolation of the albumins ın a state suitable for the study of optical rotation is beset with great intrinsie difficulties, more especially in dealing with minute micro-organisms. Since all living matter is bound up with, and depends upon, the action of ferments, ıt is anything but easy so to isolate the albumins that they do not undergo autolysis or self-digestion quickly. The second method, that of the action of ferments, ıs much simpler in practice, and there only remains for brief discussion the reliability of this method of investigation, the question of how far it ıs to be con- sidered as being a severely scientific criterion. Probably to-day a stereochemist would not admit, that these matters were open to doubt or discussion, but mindful of the circumstance, that these lines are written for readers, of whom many are not conversant with the facts of stereochemistry, it may not be superfluous to adduce reasons. One may read — I have myself written it — that “a ferment fits the substance upon which it acts ‘as a key fits a lock””. This simile, and the foregoing thesis, we owe to the genius of Emil Fischer. The dietum is quoted not infrequently, but, as happens with other classie scientific quotations, at times one may doubt whether the citation was made after a study of the original memoirs. It is an excellent rule to verify one’s eitations, and that I propose to do in this instance. Since it is my contention, that the original words and proofs adduced by Professor Emil Fischer suffice amply to establish the legitimacy of this scientific test by means of ferments, and to make it at least equal in value to the test of the optical rotation in the polarimeter, it may be well worth while to give some account of Fischer’s fundamental researches upon the question, and in his own words. This is all the more desirable in that, to my know- ledge, there is at present in the English language no concise account of how Fischer arrived at the simile of “lock and key”, on what cogent evidences its truth was based. A search of the chemical literature of the matter under discussion will show, that the main facts and conclusions are contained in three memoirs. Of these two will be found in one immense volume (vol. 27) of the Reports of the German Ohemical Society, and the third in the 26th volume of the German Journal of Physiological Chemistry. The first paper bears the date 1894, and treats of the behaviour of different sugars towards pure yeasts. From p. 2036 the following Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. 153 citation is taken: “That miero-organisms generally of two optically isomeric compounds prefer the one has long been known from the investigations of Pasteur and others; but with the yeasts and the sorts of sugars the matter lies somewhat differently, since here it is not alone a question of the antithesis of two optical antipodes, but out of a great number of geometrical forms some only satisfy the needs of the cell. It may be anticipated, that the same obser- vation will be found in other miero-organisms, and, moreover, in other groups of organic substances, and perhaps very many chemical processes, which happen in the organism, are influenced by the geometry of the molecule. Under these circumstances it is worth while to seek after the reason of the phenomenon, and it lies on the surface, that the explanation is first of all to be sought in the region of stereochemistry. Among the agents, which the living cell makes use of, the different albuminous substances play the chief röle. They are also optically active, and since they arise synthetically from the carbo- hydrates of plants, one may, indeed, conclude, that the geometrical build of their molecule, in respect of asymmetry, is in essentials similar to that of the natural hexoses. Under this conelusion it is not diffieult to understand, that the yeast-cell with its asym- metrically formed agent can only attack, and force into fermentation, the sorts of sugars the geometry of which departs not too far from that of grape-sugar?).“ The second memoir bears the date Oct. 29, 1894, and in it, under the title “The Influence of the Configuration upon the action of the Enzymes” the author, Prof. Emil Fischer, set up the simile of “lock & key” in the course of the following discussion (on p. 2992— 2993): *But the observations suffice already to approve (the principle) that with respect to the configuration of their objects of attack the enzymes are just as elective as the yeasts and other micro-organisms. In this respect the analogy of both phenomena appears so complete that one may adopt the same reason for it, and with this I return to the hypothesis of Thierfelder and myself, already referred to. As is well known, invertin and emulsin have many resemblances to the proteid stuffs, and like these they possess an asymmetrically built-up molecule. Their restrieted action upon the glucosides would permit of explanation by the supposition, that only with similar geometrical build can that approach of the molecule take place, which is requisite for the resolution of the chemical process. To use a simile, I should like to say, that enzyme and glucoside must fit each other like 2) Fischer, Emil und Thierfelder, Hans. ‚Verhalten der verschiedenen Zucker gegen reine Hefen“, in: Ber. d. d, chem. Ges., V, 27, p. 2031—2037, 1894. 154 Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. lock and key in order to be able to exert a chemical action upon each other. This conception has certainly gained in probability and ın value for stereochemical investigation since the phenomenon itself has been transferred from the biological to the purely chemical region. It forms an extension of the theory of asymmetry, but without being a direct consequence of it, for the convietion, that . the geometrical build of the molecule even in looking-glass image forms should exercise so great an influence upon the play of the chemical affinities could, in my opinion, be gained only by new observations founded on fact. The experience hitherto, that the salts composed of two asymmetrical compounds may differ in solubility and melting point would certainly not suffice for it. That the fact established now for the complicated enzymes will also soon be found for the more simple asymmetrical agents I doubt as little, as the usefulness of enzymes for the ascertaining of the configuration of asymmetrical substances. The experience, that the efficacy of the enzymes is restricted in so high a degree by the molecular geometry, ought also to be of some use for physiological investigation. But still more important for this appears to me the proof, that the difference previously accepted between the chemical agents in respect of molecular asym- metry does not in fact exist. Thereby the analogy emphasized more especially by Berzelius, Liebig, and others of ‘living and lifeless ferments’ is again set up in a not unessential point?).” The third memoir, by Prof. Emil Fischer, is a summary of the chief points of the two earlier ones, and in it (p. 81) under the heading “Theoretical Considerations” the author writes: *But the enzymes are quite especially valuable, as I first emphasized, as means of recognition of stereochemical differences, and with this I come back to the object, which I consider to be the most. important result founded upon fact of my experiments. These furnish the unchallengeable proof, that of two molecular looking- glass-image forıns the one is broken up by enzymes under the same conditions, under which the other remains intact. For this there are two examples, the behaviour of ß-methyl-d-glucoside (plus) and of B-methyl-l-glucoside (minus) towards emulsin, and the behaviour of a-methyl-d-glucoside (plus) and of a-methyl-I-glucoside (minus) towards the enzyme of yeast.” On p. 82 “The ground of these phenomena lies in all probability in the asymmetrical build of the enzyme-molecule. For although these substances are not yet known in pure form, their similarity to the proteid stuffs is yet so great and their origin from these latter so probable, that undoubtedly 3) Fischer, Emil. „Einfluss der Konfiguration auf die Wirkung der En- zyme“, in: Ber. d. d. chem. Gesellsch., V. 27, p. 2985 —2993, 1894. Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 155 they are themselves to be regarded as optically active and thus asymmetrical molecular structures. That has led to the hypothesis, that between enzyme and its object of attack a similarıty of moleeular configuration must exist, if a reaction shall ensue. 1) In order to make this thought intuitive, I have used the simile of lock and key 2)*).” Further, on p. 84 we read: “If one carry this over to the chemical processes of the higher developed organisms, one arrıves at the conception, that generally in the transformations, by which the proteid stuffs function in active masses, as undoubtediy that is the case in protoplasm, the configuration of the molecule frequently plays just as great a röle as its structure, For this reason it is no longer astonishing, that of two stereo-isomeric sub- stances the one reacts strongly upon our sense organs, such as taste and smell, while the other is quite indifferent, or produces a very much weakened reaction °).” In the foregoing ceitations there are two things, to which I would direct special attention. The first is the repeated emphasis, which the author lays upon the use and value of ferments as reagents for the determination of stereochemical differences, and the other the number of experiments, to wit two, from the positive results of which the investigator maintained the establishment of his thesis, that “of two molecular looking-glass-ımage forms the one is broken up by enzymes under the same conditions, under which the other remains intact”. It may suffice for an embryo- logist, who ıs not a stereochemist, to refer to the works and researches of this distinguished chemist, Emil Fischer, for the scientific reasons for the employment of enzymes or ferments as testing agents. As to the second point to be noted, Fischer’s two experiments in proof of his thesis remind one of Pasteur’s words “If a doctrine be challenged, it happens seldom that its truth or falsehood cannot be established by some crucial test. Even a single experiment will often suffice either to refute or to consolidate the doctrine”. In the following, as proving to the hilt the truth of my thesis, that dextro-rotatory albumins occur, and, indeed, are widely represented in organic nature, several experiments and their positive results will be adduced. Here ıt may be added, that the cases described under the experiments are only a few, taken at random, merely because the organisms dealt with happened to be accessible readily, and that the number can be increased to any extent desired, on due cause being shown. He, who may feel inclined to contra- diet the thesis, can by taking the trouble to repeat and extend my 4) The references under 1 &2 are to Vol.27 of the Ber. d.d. chem. Gesellsch., p- 2036 & 2992 respectively. 5) Fischer, Emil. ‚Bedeutung der Stereochemie für die Physiologie“, in: Zeitschr. £. physiol. Chemie, V. 26, p. 60 -87, 1898 —99. 156 Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. experiments, using the same Fairchild preparations, and as I have employed them, convince himself, that his contemplated contradietion and refutation are futile. A condition of all the experiments is, that the miero-organisms used should be in an active healthy state. It would, of course, be feasible to carry out the experiments to a successful issue with much smaller quantities of ferments, provided the experiments were made at a higher temperature, for instance, at blood-heat or between 38 and 40 degrees Öentigrade. It was, however, more convenient to make the experiments at the ordinary temperature of a room, and with such dilutions of the combined ferments, trypsin and amylopsin (Fairchild), as would enable their deadly disintegrating effects upon healthy living asexual micro-organisms to be observed, as a rule, within the space ofan hour or less. It is, be it remarked, quite unnecessary for any eritic to point out, that the finds recorded here could have been obtained by the use of trypsin alone without the aid of amylopsin. Of that fact I am aware. But the reason why amylopsin was also invoked in the experiments was, because I thought, and shall always think, that the use of trypsin alone ın the treatment of cancer, various tropical diseases, tuberculosis, ete. is a very dangerous proceeding, even in many cases a deadly one. I wished, therefore, to avoid doing anything to encourage a belief, that in the practice of medicine trypsin without the aid of ıts com- plement, amylopsin, could be regarded as a safe and efficacious remedy. The reagents and the conditions under which they were used were as follows. Since there are on the market preparations, even injeetions for use in medicine, of pancreatic ferments, trypsin and amylopsin, which are either excessively weak, or unreliable, or even quite inert, it was necessary to take for the experiments such injections of trypsin and amylopsin in combination as were strong, of known strength, standardised, and of a stable character. As W. Bätzner has shown®), the most powerful, reliable, and stable pancreatic injeetions are the ones manufactured by Messrs Fair- child Bros & Foster. To distinguish them from earlier and weaker injections made by the same firm, they will be referred to here as the Fairchild “1912” injeetions of trypsin and amylopsin. These injections are standardised in various ways, not in a single one, and thus it is possible to refer to the trypsin-injection, for example, as Bätzner does, as possessing a potency in dilution of 1: 4000, tested by the Jochmann method, or by the Roberts 6) Bätzner, W. Trypsinbehandlung der chirurgischen Tuberkulose, in: Arch. klin. Chirurgie, Vol. 95, p. 5, 1911. idem. The Practitioner, Jan. 1913, p. 205. Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 157 methods as containing per cubic centimetre 1250 tryptie units, while the amylopsin-injeetion, which like the trypsin-injection is of maximum potency, possesses per cubie centimetre 500 units of amylolytie activity. The procedure was to mix the contents of an ampoule of each of the ferments, trypsin and amylopsin, and then to dilute the fluid with clean fresh rain-water, until the bulk of liquid equalled ten cubic centimetres. This stockfluid, freshly prepared for each occasion, was further diluted as described under the account of the experiments. These latter were made ın watch-glasses, containing the organısms and a given number of drops of clean fresh rain- water, to which at a given time a certain amount of the diluted ferments was added. On all occasions the temperature of the room was noted. The changes are quite easily observed under the microscope, and except with such forms as Amoeba no higher power than a Zeiss AA ıs needed. In instances like Amoeba it ıs more convenient to use a slide with a deep cell in ıt and to cover the preparation. Here also higher powers of the microscope are called for. The ampoules used contain somewhat more than one cubic centimetre, and in instances measured accurately the contents of the two ampoules before dilution totalled 2!/, cubic centimetres. It should be added, that these preparations are stated to be put up in a menstruum of 60°/, glycerin, and that they contain no antı- septic.e. No statement is made in the present writing, that any other pancreatic preparations upon the market used in the like dilutions will give the same results. The finds are recorded for certain specified pancreatic preparations, and for these only, and used as described here. The necessity of this warning may be judged from the fact, that even in the present year 1912 ampoules of injection, labelled “trypsin”, have been offered for sale in Great Britain, and on assay it was found, that all the “trypsin” connected with them in any way was contained in the label. Experiments. I. Hydra fusca. Temperature of room 19°C. Two individuals of the common fresh water “polype”, Hydra fusca, in nine drops of clean fresh rain-water. 11.8a.m. Added one drop of the 10 ce. c. dilution of T. & A., and allowed this to diffuse through the water. Contraction of the anımals in one minute or less. 11. 14 Slight expansion, then contraction, tentacles knobbed. 11.15 One anımal contracted, the other somewhat expanded, but anterior part of body strongly contracted. 11. 18 Both much contracted. 11.19 In one a tentacle in disintegration. 11.20 Bodies pilose, as though stinging- cells had shot out. 11. 31 Both much digested and tentacles becoming indistinguishable. 11. 45 Greatly disintegrated, and cell- 158 DBeard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. remains breaking away. 12. 12 Shockingly disintegrated. Experiment ended. II. Hydra fusca, and its unicellular parasite, Trichodina pedi- culus. Same day and like solution. Three specimens of the common hydra, Hydra fusca, infested with parasitie Trichodina, in ten drops of clean fresh rain-water. 11. 36 Added five drops of the 10 ce. c. solution of T. & A. 11. 38 Polypes contracted strongly. Two parasites moving on one. 11. 39 Tentacles of polypes twisted at ends. 11. 40 Parasites gyrating slowWly on one polype. 11. 41 Parasites dead and fallen off. 11.42 Parasites dissolving and their nature no longer recognisable. 11.50 Tentacles of polypes breaking up. Experiment ended. III. Vorticella. In ten drops of clean fresh rain-water. 11. 52 Added one drop of the 10 c. ce. solution of T. & A. 11. 541/, Vorti- cellids still moving. 11. 55 Movements slight, more gyrations. 11. 57 More vigorous short, not elongating, gyrations. 12 noon Individuals fully extended. 12.2 Slow contractions, not complete, remaining half-way. 12. 4 Individuals all dead, that is, in ten minutes. 12. 10 No movements, clarifying and in disintegration. Experiment ended. IV. Various flagellate “monads”. Same day. Ten drops of water, containing many flagellate “monads”. 12. 40 Added one drop of the 10 ce. c. dilution of T. & A. All movements cease at once. Experiment ended. V. Amoeba and Crustacean *nauplü”. Same day. Amoeba in a cell with five drops of water. 12.48 Added one drop of the 10 e. e. solution of T. & A. There were many Amoebae in this fluid. 1. 2 Amoeba contracting. 1. 6 Another Arnoeba apparently in disintegration, no movements. 1.12 No Amoebae moving, where seen always contracted. At nine p. m. on the same day, that is, eight hours later, two Crustacean “nanplä” were still swimming about in this mixture of water and ferments, and there were no traces of Amoebae. A Desmid appeared to be’ unaltered. VI. Hydra fusca and Trichodina. Room-temperature 18° C. A stock-solution of 10 ec. c. of T. & A. was made up (A solution). Of this 2 ec. c. were nearly boiled to destroy the ferments, and as the result a turbid mixture and flocculent precipitate were obtained. This was filtered to obtain the menstruum of the ferment-solution (B solution). 10.13 Two watch-glasses, each containing two Hydra fusca ın ten drops of clean fresh rain-water. 10. 15 Added to watch-glass no. 1 one drop of the A solution, to no. 2 one drop of the B solution. Phenomena observed in no. 1. 10. 17 The parasitie Trichodinae have dropped off the Hydra. 10.20 One Hydra much contracted. 10. 23 Both Hydra much contracted and one Beard, On the Öceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 159 pilose. 10. 45 Both Hydra much macerated. This portion of experiment ended. Phenomena observed in no. 2. 10. 22 a. m. Trichodinae still alıve and moving on hosts. 10. 45 Hydra still alıve. 11.15 Hydrae still alıve, fluid removed, and fresh rain-water given. This portion of experiment ended. Comparison of the two por- tions shows clearly, that the menstruum (glycerin) was not answerable for the deadly disintegrating effects observed. VII. Various undetermined flagellate micro-organısms. Same day. One drop of the stock-solution of T. & A. added to twenty drops of water. 11 a. m. Of this mixture one drop added to various flagellate micro-organisms in a cell. 3. 30 p. m. All the flagellate organısms dead, but various “swarm spores”, which are vegetable, not animal, were still alive and active. VIII. Amoeba. Amoeba ım a cell with three drops of water. 12. 2 p. m. One drop of the 10 c. c. solution of T. & A. added. 12. 8 An Amoeba found under the microscope, and in movement. 12. 15 Appears to be contracted and not moving. 12. 22 Slight movements. 12. 27 Globular, no pseudopodia, gyrating slowly. 12. 31 Still globular. 12. 33 Slight alterations in shape, but no pseudopodia. 12. 37 Floating freely in the water, and apparently dead. 12. 33 Nucleus escapes. Amoeba seems to be breaking to pieces. 3.15 p. m. Still much the same, but obviously the cyto- plasm has all gone, and what is left is mainly made up of products of excretion, vacuoles, dıatoms, etc. IX. Hydra fusca and Trichodina. One Hydra ın a cell with many parasitic Trichodinae. 2. 48 Added one drop of the 10 c. c. dilution of T.& A. to three drops of clean fresh rain-water. Hydra contracts at once, and to all appearance ıs killed instantaneously. The parasites also seem to be killed at once, and they begin quickly to disintegrate. 2. 52 Tentacles of Hydra in disintegration. 3.16 Hydra is a shapeless mass, and the ectoderm is nearly all dissolved off. Experiment ended. X. Hydra fusca and Daphnia pulex. Temperature 17°C. Two watch-glasses, the one containing two Hydra and a few Daphnia, the other five Daphnia. In each watch-glass there were twenty drops of clean fresh rain-water. 10. 7 To each glass one drop of the 10 ce. c. solution of T. & A. was added. 10. 8!/, The parasitie Trichodinae have fallen off their hosts. 10. 9 Hydra contracted, Daphnia active. 10. 10 The parasitie Trichodinae are dead and in disintegration. 10. 15 Hydra in disintegration, Daphnia alive and active — there is absolutely no change apparent in the latter. 10. 17 The parasitic Trichodinae are shapeless and disintegrated. 10. 18 Each parasitie Trichodina ıs becoming a mere patch of granules. 10. 22 Trichodina quite disintegrated. 10. 24 Some of the examples of Trichodina are represented merely by a collection |60 Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. of loose partieles. 10. 25 Daphnia active, heart pulsating. Ecto- dermal cells of Aydra largely macerated off. 10. 37 Hydra now shapeless and largely disintegrated. Parasitie Trichodinae dissolved. Daphnia active and apparently unchanged. Experiment closed. The specimens of Daphnia with their ferment-environment were now placed in a beaker, and 50 ce. c. of fresh clean rain-water were added. Thirty hours later the Daphnia appeared to be all alıve and active. Forty-eight hours after the close of the experiment some, at all events, of the Daphnia were alıve and active. The weather had now become very warm, XI. Amoeba. An Amoeba was placed in a cell along with three drops of clean fresh rain-water and one drop of the 10 ce. ce. solution of T.& A. This was done at 10. 50 a.m. By 10. 51 the Amoeba had been found under the microscope. It was then rounded and .ıts pseudopodia, such as they were, gave it the appearance of a horse- chesnut in ıts shell. 10. 52 Amoeba sending out pseudopodia. 11. a. m. There are still movements in its interior, and pseudo- podia are still present. 11. 7 Üontraction of contractile vacuole. 11. 10 Still moving by means cf pseudopodia. 11. 17 No pseudo- podia. Ourious linear wormlike movements. 11. 21 Nuclear end contracted, while the other end ıs still moving in wormlike fashion. 11. 23 Appearance tadpole-like. 11. 29 Nuclear end a rounded mass with soap-bubble-like ectosarc. 11. 30 Dumb-bell-shape with narrow bridge between the two ends. 11. 301/, No movements in interior. 11.32 New blunt process formed at side of larger portion. 11.34 Contents of new process now flowing back into main portion. 11. 40 Another blunt process formed, quick movements in its interior. 11. 45 Broken into two pieces, of these the one never stirs again, the other moves a little, then rounds up, and remains still. Both dead. Experiment ended. XII. Cordylophora lacustris, Carchesium polypinum, and a Hydrachnid or water-mite. The material of this experiment con- sisted of two asexual generations, Cordylophora, a fresh and brackish water polype, a very fine collection of ıt, and upon it here and there colonies of the beautiful bell-anımalcule, Carchesium, and a sexual generation, a water-mite or Hydrachnid. This latter was found in one of the watch-glasses used. In the following experiment the glasses were under observation from 11.15 a.m. until 5 p. m., and 24 hours later than this the glass containing the Hydrachnid was examined, and the water-mite was found to be still alive and active. lt had thus lived in a fluid containing these pancreatic ferments for quite thirty hours, while its asexual companions had long ceased to exist, as will be seen. The reagents of the experi- ment were as follows. The usual 10 c. ce. solution of T.& A. was made up. Of this one cubie centimetre was further diluted with Beard, On the Öccurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 161 four cubie centimetres of clean fresh rain-water. Four watch-glasses, labelled A., B., C.& D. were taken, and in each, in 20 drops of clean fesh rain-water, specimens of Cordylophora and Carchesium were placed. 11.15 a. m. Of the 5c.c. of further diluted ferment- solution there were added to A. 2 drops, to B. 4 drops, to C. 6 drops, and to D. 8 drops. Deseribing, first of all, the changes undergone by Cordylophora, 11.26 polypes in D. contracted. 11.53 In polypes of C. queer appearance of tentacles, thread-cells ın dissolution. 12. 10 Polypes ın B. contracted. 12. 20 Polypes in C. disintegrating. 12. 35 These latter now much disintegrated. 1p. m. In A,B.,C.& D. all the polypes of Cordylophora dead and ın disintegration. It should be noted, that D., although con- tainıng more of the ferment-solution than C., had also more polypes of Cordylophora. Possibly this, along with the coldness of the day, accounted for the slowness of the action. The Hydrachnid or water-mite in B. was observed at the very start of the experiment endeavouring to avoid the attack of a polype of Cordylophora, and doing this only with diffieulty. An hour later the polype made no attempt to attack the mite, which could now crawl over it with impunity. In this experiment some of the Carchesium were still living at 2 p.m., but in the three stronger solutions they were dead and digested by 5 p. m. The action upon (archesium ıs given ın a later experiment (no. XIV). XIII. Planaria lactea, a sexual generation of a planarıan worm. Temperature 16.5° C. 11.28 a. m. A watch-glass, containing 50 drops of clean fresh raın-water and Planaria, to which 5 drops of the 10 ce. ce. dilution of T.& A. were added. All that was noted was a cessation of the tendency to crawl on the glass, and an attempt to get out of the fluid, possibly on account of the glycerin. After the anımals had remained for three quarters of an hour ın the fluid, they were removed alıve to fresh rain-water. Three hours later they were still alive, but they made no attempts to erawl up the side of the glass. XIV. Nais proboscidea and Melicerta ringens, two sexual genera- tions, and Oarchesium polypinum, an asexual generation. Tempera- ture 15°C. Two watch-glasses were taken, A. containing 10 drops of clean fresh rain-water, and B. 50 drops, and in each glass specimens of the three anımals were placed. At 11. 12!/, a. m. to each glass one drop of the 10 ce. c. dilution of T. & A. was added. By 12. 25, some seventy minutes later, in both glasses numerous Oarchesium were ın disintegration, but in both here and there single “polypes” of Carchesium were alıve and active. The action was not so marked in glass B. as in glass A. 1. 10 p. m. Prac- tically all the Curchesium in A. were ın disintegration, in B., although all the Oarchesium were dead, not all the “bells” were freed from AXXIH. 11 162 Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Örganie Nature, their stalks, which were now contracted somewhat spirally. At 12. 30 p. m. numerous minute “swarm-spores” (of plants) were observed swimming actiıvely among the debris of the Carchesium. On the rotifer, Melicerta, no action could be noted. Of the worm, Nais, the ferments obviously attacked and dissolved the cuticle. Apparently, owing to this action, at 1. 10 p. m. while the one individual was still alıve, the other was nearly dead. At 6 p. m. both were dead and in disintegration. XV. Nais proboscidea and Carchesium polypinum. The result in the preceding experiment, ending in the death of the Nazis, led to the conclusion, that solutions too strong had been employed in the experiment, and that either the glycerin-menstruum, or the ferment-solution itself, was responsible. Therefore, the experiment upon Carchesium and Nars was repeated as follows, with still greater dilutions. As will be seen, with this modification the experiment was a complete success. Temperature 16° C. The stock-solution used was the same as in the preceding experiment. Five watch- glasses (A., B.,C.,D.& E.) containing respectively 10, 20, 30, 40 and 50 drops of clean fresh rain-water were taken. In each there were a number of “bells” of Cnrchesium and a worm, Nais, and to each, at 11 a. m., one drop of the 10 cc. c. ferment-solution was added. Until 3 p. m. no effect upon any of the organısms was observed. At this time the fluids were removed, fresh rain-water given as before, but to each glass five drops of the ferment-solution were added. 5 p. m. In A., while the Nais was still alıve and active, many of the (archesium were dead and in disintegration. This was confirmed at 6p. m. and 7 p. m. Next morning at 10 a. m. the experiment was seen to have been decisive. All the Carchesium “bells” were dead and in disintegration. All the worms, Nass, were alive and active. In the latter no traces of damage could be detected. In A. to E. the stalks alone represented the former “bells” of Carchesium, along with a debris of diatoms. Nine hours later the Nais were all still alıve and to all appearance unhurt, and just living their ordinary life — in the fluid containing ferments — as though nothing had happened. A day later the experiment was stopped, but even the worm Nais in A., the glass containing most proportion of ferments, was alıve and active. It had been in this solution in rain-water for more than two days. XVI. Actinosphaerium eichhorni, a Heliozoan or sun-animalcule. Temperature 16° ©. One cubie centimetre of the usual 10 ce. ce. stock-solution of ferments, freshly prepared, was further diluted with four cubic centimetres of clean fresh rain-water. To Actino- sphaerium, an (asexual) fresh-water Heliozoan, in two drops of clean fresh rain-water, one drop of the further dilution of ferments was added at 10. 58 a. m. In less than one minute the long delicate Beard, On the Öceurience of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature, 163 hairlike pseudopodia had their ends bent and somewhat thickened. 11 a. m. The hairlike pseudopodia are nearly all gone, and at 11. 2 a. m. they have ceased to exist, and the animal is evidently in disintegration. 11. 5 a. m. The anımal ıs ın dissolution, and the central capsule is escaping. 11.27 a. m. Shockingly disintegrated. 1.30 p.m. Contents of capsule scattered in fluid. At 11.18a.m. it is noted, that the addition of one drop of the further diluted ferment-solution to a drop of water containing Actinosphaerium causes immediate shrinking and shrivelling-up of the fine delicate pseudopodia. XVII. Stentor coerwleus. Temperature 14°C. The usual stock- dilution of 10 ce. c. of the ferments T. & A. was made up. Of this one cubie centimetre was diluted with four cubic centimetres ot clean fresh rain-water. Five watch-glasses, each containing a number of Stentor, were labelled A., B., C., D. and E. In the order given these contained rain-water as follows: 15, 16, 14, 12, and 10 drops. The bulk of each was made up to 20 drops by additions of the further dilution of the ferments, or 2, 4, 6, 8, and 10 drops of the solution thus diluted. It was calculated out, that at the most the glasses would contain the following numbers of tryptic units (Roberts): 3,6, 9,12, and 15. The experiment began at 11.30 a. m. 11.40 a. m. Stentor in E and D mostly at rest. In © some in movement. 11. 41 In B some moving fairly quickly. In A the speceimens of Stentor are moving as though nothing had happened. 11.42 The anımals in Dand E appear to be ın disintegration. The cilia are not obvious. 11.45 The animals in A and B are still in movement. Most of those in D and E are dead. 11. 49 In E disintegration is going on rapidly, but in D a water flea, Daphnia pulex, is actively moving. This was seen later on, alive and active, 27 minutes after the experiment started. Afterwards it was lost sight of. The animals of Stentor in the same watch-glass were killed in ten minutes or less. 11. 54 In B many Stentor ın dis- integration, but some stillin movement. sStentor ın O in disintegra- tion, no ciliary motion. 12noon. InAandB still some movement. 12. 3 Movements ın B appear to be ceasing, but not in A. 12. 4 p. m. Animals ın E greatly disintegrated, many Algae freed. 12.18 Heaps of freed Algae in DandE. 12.20 In A still some cihation, but in many the cilia are working feebly. 12. 25 The anımals ın B are now much disintegrated. 12. 32 Slow ciliatıion in A and all the anımals are crowded together. 2 p.m. In A still the same condition of affairs, but only one anımal moving cilia. At 7 p.m., when the experiment was closed, there were still some anımals of Stentor alive in A, but in the four remaining watch-glasses all the specimens of Stentor were dead and in disintegration. Il* 164 Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. My acknowledgments are due, and may be expressed here, to Messrs Fairchild Bros. & Foster for the two boxes of ampoules of injections of trypsin and of amylopsin used in the experiments. All the organısms employed in the foregoing experiments were supplied by Mr. T. Bolton, 25 Balsall Heath Road, Edgbaston, Birmingham. The number of anımals experimented upon would have been much greater, had all the organisms he sent survived the transit in summer. Of course, ıt was only possible to use organısms, which were in a healthy active condition. The seventeen experiments, hitherto carried out, have established the truth of the thesis, that living asexual generations of anımals are attacked, killed, and their albumins pulled down by solutions of the pan- creatic ferments, trypsin and amylopsin (Fairchild), in which sexual generations of anımals go on living. The following asexual generations of animals exhibited the deadly pulling-down action of pancreatic ferments, and thus revealed the dextro-rotatory nature of their albumins: Hydra, Cordylophora, Trichodina, Vorticella, Car- chesium, Amoeba, Actinosphaerium, and Stentor, eight in all”). The beneficent action of trypsin and amylopsin upon sexual generations of anımals is to me so self-evident, that it has appeared to be almost a work of supererogation to make experiments in this direc- tion. However, for the benefit of the sceptic, the following sexual generations of anımals continued to live in solutions of these fer- ments, which proved to have deadly disintegrating effects upon the afore-mentioned asexual generations of animals: Daphnia, a Hydrachnid or water-mite, cerustacean *naupli”’®), Planaria, Naus, and Melicerta, sıx in all?). Zoologically, the experiment (no. X) with Hydra fusca and Daphnia pulex has special interest. Daphnia pulex is a common prey of Hydra. It is impossible to keep Daphnia living in an aquarium containing Hydra. Even the indi- viduals of Daphnia, which ıt does not catch and devour, Hydra quickly kills with its stinging cells. More than once I had noted, that ıf a number of the two forms, Hydra and Daphnia, were associated together in a small aquarıum, in the space of twenty- four.hours there would be no living Daphnids in the vessel. In experiment X the tables were turned, and in the presence of pan- creatic ferments, trypsin and amylopsin, it was Hydra, which was 7) Eight, without mentioning the “various undetermined flagellate miero- organisms” of experiment no. VII. 8) Crustacean “nauplii” are not “larvae” or asexual generations. For many years, with the late Geheimrat Prof. Anton Dohrn, I have regarded them as being immature sexual generations of Crustacea. Experiment no. V proved the truth of this. 9) Six, without including the “various undetermined ‘swarm-spores’ of plants” of experiments nos. VII & XIV. Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. 165 killed and pulled to pieces, whilst the Daphnids survived. This ıs possibly the first occasion, on which in close association together in nature Hydra was ımpotent to kill its prey, Daphnia pulex. Without doubt ıt ıs by means of a ferment that Hydra kılls Daphnia. This fact answers by anticipation an objection, which may be raised, that Daphnia is protected from the action of trypsin and amylopsin by its chitinous covering. This latter is no protection whatever against the antithesis of trypsin, the ferment produced by the stinging cells of Hydra. Indeed, it is not too much to say, that the result of the experiment with Hydra and Daphnia alone would suffice to establish the existence of two categories of albumins at least, laevo- rotatory and dextro-rotatory respectively. With Emil Fischer I maintain, that “the enzymes are quite especially valuable as means of recognition of stereochemical differences”, and that “of two molecular Ber glass image forms” — in the present case living albumins of animals -— üthe one is broken up by enzymes under the same conditions under which the other remains intact”. His examples were the glucosides: mine the living albumins of certain anımal organısms. Two examples were held by him to suffice to establish his theses: for mine more than two are adduced, and, moreover, ıf shown to be desirable, the number can be increased very considerably. For, ın fact, the organisms employed ın the actual experiments were but samples, chosen in hap-hazard fashion, of a large series of micro-organisms or developing organısms, all of which — and their name is legion — would, ıf ıidentified embryologically as asexual generations, exhibit the same phenomena of death and disintegration in the presence of active pancreatic ferments. The asexual nature of the organisms experimented upon as such had been decided previ- ously, and upon other than chemical grounds, that is, from develop- mentaland biological data. Not a single one ofthe experiments failed to confirm the biological conclusion. On the present occasion it is not my intention to examine the bearings of the facts and conclusions upon ordinary zoological problems, for to do so would carry the discussion too far. Possibly, it may now be recognisable, that the heretical preaching of antı- thetie alternation of generations in the wilderness in past and recent years had its fount in scientific truth. Possibly, it may become evident, that in some groups of anımals, such as sponges, ctenophores, sea-anemones, and corals, as well as in Hydra and Cordylophora, the sexual generation is not represented except by the forerunners of the sexual products, eggs and sperms. It is, however, the duty of the scientific investigator to draw the conclusions from his observations and experiments, and this 1 shall now proceed to do in certain interesting and obvious direc- 1656 Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. tions. 1) The experiments confirm the truth of the biological and embryological conclusions, that the cycle of animal life, even that of such micro-organisms as Protozoa!"), ıs an antithetic alternation of asexual and sexual generations, of such a nature that the albumins of the asexual generation (dextro-rotatory) are the stereo- chemical antitheses of those of the other or sexual generation (laevo- rotatory). As I have pointed out elsewhere!!), the conditions are reversed in plants!?). Here ıt ıs the asexual generation, which possesses laevo-rotatory albumins and dextro-sugars. 2. All such asexual generations of anımals, including all malignant tumours, are killed and pulled down in the living state by the action of active solutions of the pancreatic ferments, trypsin and amylopsin. 3. Since “Science is prevision” — to quote the words of Pasteur — and because of certain facts known to me, certain other conelusions may be drawn. As long ago as 1907 I stated!?), that the pan- creatic ferments, trypsin and amylopsin, were the natural means to be adopted for the cure of tuberceulosis. This was confirmed in a single case of tuberculosis of the bowel by Dr. Margaret A. Gleaves!*), and in various forms of surgical tuberculosis by Dr. W. Bätzner!’). Since the latter has shown, that solutions of trypsin do not inhibit the growth of cultures of tubercle-bacilli, the favourable result ın tuberculosis ıs seen to be due, as I had long foreseen and foretold, to the use made by the leucocytes of the ferments, trypsin and amylopsin, as weapons of attack. While 10) Antithetie Alternation of Generations in Protozoa. In “The Annals of Botany”, V. 9, 1895, p. 446—447 and p. 468, in the course of a paper dealing with “The Phenomena of Reproduction in Animals and Plants”, it will be seen, that I recognised, and postulated, the occurrence of Antithetie Alternation in the life-eycles of the unicellular organisms. In not the least brilliant of his memoirs this was first demonstrated, in the case of Coccidium schubırg’, by that zoological genius, the late Fritz Schaudinn (vide Schaudinn, Fritz. Untersuchungen über den Generationswechsel bei Coceidien, in: Zool. Jahrb., Abt. f. Anat., Vol. 13, 1900, p. 197). 11) Beard, J. The Enzyme Treatment of Cancer, London, 1911, loe. eit., R7159: 12) Therefore, in experiments nos VII & XIV, unlike the asexual generations of animals, such as the “various undetermined flagellate micro-organisms’” of ex- periments nos. IV & VII, the “various undetermined ‘swarm-spores’ of plants” were not killed and disintegrated, but continued to live, in the presence of active pan- creatic ferments, trypsin and amylopsin. The undetermined “swarm-spores” of experiments nos. VII and XIV were probably asexual organisms belonging to the Confervoid division of the Green Algae, such as Ulothrix. 13) Beard, J. ibid., p. 136-137. 14) Cleaves, Margaret A. The Physiological Action of the Pancreatic Enzymes ete., in: Medical Record, June 1, 1907. 15) Bätzner, W. The Trypsin in: Treatment of Surgical Tubereulosis. “The Practitioner”, January, 1913. p. 203—219, 6 plates. Beard, On the Oceurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. 167 Dr. Bätzner has observed, that three injections of the active pan- creatic ferments (Fairchild) suffice to heal a tubercular abcess, in India Captain F. W. Lambelle R. A. M. C., using the like Fairchild injections, has found, in a bad case of amoebie dysentery with abcesses in Jungs and liver, that the like number of injeetions (three) result in the clearıng-away of allthe Amoebae, and the healing of the abcess. From these facts, from the experiments, and, more especially, from the whole course and tenour of my researches during the past twenty-four years the following additional con- clusions find their scientific warrant. Since the organisms underlying the chief tropical diseases, such as malignant malarıa, trypanosomiasis, sleeping siekness, yellow fever, relapsing fever, kala-Azar, etc., are so far as these attack human beings, asexual generations, ıt follows, that the natural means of destroying the organisms of such tropical diseases, and of curing the patients, are the use in combination of the powerful pancreatic ferments, trypsin and amylopsin, as represented by the “1912” Fairchild injections. A further step may, indeed, betaken. Since such tropical dis- orders due to parasitic micro-organısms of an asexual nature, and tuberculosis, are amenable, since the organısms of such nourish themselves, increase, and multiply at the expense of the living human organısm with ıts characteristic laevo-rotatory albumins, and — last not least — because the greater exceeds the less, all infectious diseases, due to parasitic organısms of an asexual nature, all which possess dextro-rotatory albumins, such as pyaemia, small- pox, scarlet fever, pneumonia, leprosy, cholera asiatica, and others of a similar nature, must be, and are, curable naturally by the all- powerful ferments, trypsin and amylopsin, in combination. In order to grasp the bearings of the facts of the present writing upon problems concerning diseases, in which unicellular organisms, bacilli, ete. play a leading part, it is needful to know something of the biology of digestion and of the relationships of extra- and intra-cellular ferments. In the unicellular animals or Protozoa, which, so far as disease is concerned, manifest themselves as asexual generations, in the asexual generations of the higher anımals, in the mammalıan trophoblast, and in its pathological representative any malignant tumour or cancer, digestion is intra- cellular, and by means of ferments acting within and upon the surface of the cell. In the sexual generations, man for example, a differentiation has taken place, ofsuch a nature, that the produc- tion of the characteristic digestive ferments has been assıgned to a certain portion of the alimentary canal, and these ferments act in an extra-cellular fashion. Not only have most of the body-cells lost the power, if they ever at any past time possessed it, of |6bS Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organie Nature. producing trypsin and amylopsin, but a further division of labour has taken place in the original single digestive gland, its ferment- producing properties have been localised in a part of the original structure, and this part we term the pancreas-gland, while its other functions have been reserved for the portion of it, which we term the liver. I am not concerned here with the question of the pro- duction of ferments by and in the vertebrate liver. But any tryptic and amylolytic ferments contained in the liver are almost certainly formed ın the pancreas-gland. The aspect of the matter concerning us here is this: owing to such division of labour the body-cells, in giving up any earlier powers possessed by them of forming trypsin and amylopsin, are placed more or less at the mercy of organısms, such as some Protozoa, bacıllı, ete., which by their ravages create disease. The ferments, produced by these, being the stereochemical antitheses of those of the normal human body, when given the chance, are ın this way enabled to attack the body- cells, which have as their sole immediate protectors the cells termed leucocytes. The leucocytes form the first and only real line of defence against the attacks of such micro-organiısms. It was Metschnikoff!‘), who first insisted on these protective powers of the leucocytes. Notoriously, in many forms of parasitie disease, produced by a micro-organism, a bacillus, or asexual generation, such as cancer, the leucocytes are quite unable to cope with the foe. But increasing evidences go to demonstrate, that, if provided with pancreatic ferments as additional weapons of attack, the leuco- cytes can become highly efficient agents against such onslaughts. Moreover, it must not be forgotten, that the ferments are bodies, which do not, to any extent at all events, diffuse or pass through the walls of the alimentary canal and circulate in the blood From the point of view of practice it may suffice to note tlıe following. The introduction of pancreatic ferments, such as the new Fairchild preparations, into the blood is, as others have demonstrated, a perfectly harmless procedure. In such afflıctions as sleeping sickness, malignant malarıa, tuberculosis, ete., the organisms concerned are enabled to succeed ın their attacks, because of the absence of the naturally protecting ferments, trypsin and amylopsin, but, given these circulating in the blood at the point of attack, the body — often, as in tuberculosis, aided by the leuco- cytes — is placed in a position not merely to resist the attack, but to defeat ıt utterly. 16) Metschnikoff, Elias. Untersuchungen über die intrazelluläre Ver- dauung bei wirbellosen Tieren, in: Arbeiten a. d. Zool. Inst. zu Wien, V.5, p. 141 et seq., 1884. idem. Untersuchungen über die mesodermalen Phagocyten einiger Wirbel- tiere, in: Biol. Centralbl., V. 3, p. 560—565, 1883—84. Beard, On the Occurrence of Dextro-rotatory Albumins in Organic Nature. 169 By the researches of earlier years antithetie alternation of generations as the law of the developmental cycle of anımal life had been placed upon a firm basıs of observation. With the facts now recorded a beginning has been made in supplying this law of antithetic alternation of generations with a foundation in stereo- chemistry. Upon what foundation do the current orthodox conceptions of the nature of the above-mentioned diseases rest? Certainly, as little upon a chemical as upon a biological basis. The line of work I took up four and twenty years ago may have been — may even now be — “heretical”, regarded in the light of common beliefs then and now current. But the error was, and is, in the current beliefs and theories, and not in the “true theories” or general principles, to which patient research during these years has led me irresistibly. For, as Pasteur well said, “The characteristie of erroneous theories is, that they are never able to present new facts; and every time a fact of this nature is discovered, in order to take it into account, they are obliged to graft a new hypothesis upon the old ones. The characteristic of true theories, on the contrary, is of being the expression of the facts themselves, of being com- manded and dominated by them, of being able to foresee new facts certainly, because these by their nature are linked up with the former — in a word, the characteristie of these theories is fecundity !7).” It ıs a long time since 1860, and the fundamental discoveries of Pasteur!®), published in that year, discoveries, relating to what he termed “enantiomorphism”, have had a eurious subsequent history. While, on the one hand, it would, perhaps, not be too much to say, that their influence upon the progress of chemistry had been unbounded, their import in Physiology and allied sciences, dealing with the problems of living things, such as Embryology, Zoology, and Botany, would not appear to have been recognised hitherto. It is scarcely credible now, that so long ago as 1860 Pasteur said *I have, in fact, set up a theory of molecular asymmetry, one of the most important and wholly surprising chapters of science, which opens up a new, distant, but definite, horizon for physio- logy”'°). While admiration of Pasteur’s “prevision” — to use his own word — must be expressed, one cannot refrain from 17) Vallery-Radot, Rene. “La Vie de Pasteur”, Paris 1901, p. 352. As elsewhere stated already, what Pasteur termed “a true theory” I identify as “a general principle”. 18) Pasteur, Louis. On the Asymmetry of Naturally Occurring Organie Compounds, in: G. M.Richardson’s “The Foundations of Stereochemistry, New York, American Book Company, 1901, loc, eit., p- 25, 19)20p3 it. Px:33: 170 Schneider, Die rechnenden Pferde. astonıshment, that more than fifty years, at all events, should have elapsed without a fulfilment of his propheecy. Applying now his discoveries, the later ones of Emil Fischer, and the facts here recorded, to the problems of living things, clearly there is a General Principle of far-reaching import behind the whole. This is, that the micro-organisms, bacıllı, ete., of disease are, of necessity, composed of compounds, which are stereochemical antitheses of those making up the normal human body, and that, when compared similarly with the pancreatic ferments, the like is true of the ferments, by means of which they effeet their ends. Only by means of such antithetic or opposite characters of com- pounds and of ferments produced by them could such disease- inducing organisms bring about their ravages. It follows naturally, irresistibly, and incontrovertibly, that the rational ways and means of meeting and coping with such ravages are the employment of the ferments produced by the organisms, to wit, mankind, who are the vietims, and of these by far the most potent are the pancreatic enzymes, trypsin and amylopsin. Indeed, the final outcome of the present adventure is to demonstrate once again beyond effective contradicetion, that the pancreatic ferments, trypsin and amylopsin, in combination are the most powerful agents in the whole range of organic nature. Die rechnenden Pferde. Von Karl Camillo Schneider, Wien. Zu dem Problem der rechnenden Pferde muss jeder Tierpsycho- loge Stellung nehmen. Ich halte mich um so mehr dazu verpflichtet, als ich in meinem vor kurzem erschienenen tierpsychologischen Praktikum (in Dialogform, bei Veit, 1912) genauer auf den klugen Hans eingegangen bin und die Frage diskutiert habe, ob bei ihm ein wirkliches Denkvermögen vorliege oder nicht. Diese Frage ver- neinte ich damals. Ich verneine sie auch jetzt noch und verneine sie auch für die anderen Wunderpferde. Aber die Sache liegt doch heute für mich ganz anders als noch vor kurzem. Über Nacht gleichsam hat sich das Thema kompliziert und statt der einen, früher in Betracht kommenden Frage ist eine neue aufgetaucht, die so bedeutungsvoll ist, dass niemand mit Stillschweigen an ihr vorbei kann. Ich sehe mich einem Irrtum meinerseits gegenüber, den begangen zu haben mir außerordentlich leid tut, dem zu ver- fallen aber außerordentlich nahe lag. Wenn man nur einigermaßen über das tierpsychologische Gebiet hinaussah, so musste man, wie mir scheint, diesem Irrtum verfallen. Allerdings viele Tierpsycho- logen waren dagegen gefeit, weil sie eben weder über ihr Gebiet Schneider, Die rechnenden Pferde. ı hinaus- noch auch ordentlich in dieses hineinsehen. Wer über die rech- nenden Pferde urteilen will, der muss zunächst über die Frage: was ist Mathematik? entscheiden. Und diese Frage, das wird mir wohl jeder unbefangene Psychologe zugeben, schien jenseits des Gebiets der Tierpsychologie zu liegen. So schien’s! Aber es hat sich ganz anders erwiesen. Ich begreife eigentlich nicht recht, warum jene Tierpsychologen, die am liebsten aus dem Tier einen Menschen machen wollen, so sehr für das Rechenvermögen der Pferde eintreten. Es ıst ja ver- ständlich, dass jeder Monist frohlockt, wenn wieder eine Kluft zwischen Mensch und Tier hinwegfällt; aber hier handelt es sich in Wirklichkeit um etwas ganz anderes. Der Monist — ich will jene Tierpsychologen kurz Monisten nennen, da der Monismus doch den Grund und Boden ihres Denkens ausmacht — will den Menschen als ein gesteigertes Tier erkennen. Durch Erfahrung soll das Tier sich zum Menschen entwickelt haben. Wenn nun aber Erfahrung den Menschen entstehen ließ, wie kommt es dann, dass sıch die scheinbare Ähnlichkeit der Elberfelder Pferde mit Menschen auf einem Vermögen begründet, das sicher nicht durch Erfahrung er- worben wurde? Das sie auch gar nicht durch Übung zu verbessern gedenken, das sie vielmehr am liebsten gar nicht ausübten, wenn es ihnen Herr Krall und die eifrigen Tierpsychologen nur ge- statteten. „Lasst uns unsere Ruhe, wir wollen Pferde bleiben!“ würden sie den Lehrern zurufen, denen sie eigentlich selbst Lehrer sein könnten. Wenn sie nur wollten! In ihrem Fache sind sie ja besser beschlagen als die weitaus meisten Menschen, aber das Fach interessiert sie gar nicht. Wenn sie es nicht von Natur beherrschten, würden sie es nicht zu beherrschen verlangen, so wenig — oder noch weniger — als die Menschen, die aus ıhnen entstanden sein sollen. Nein, die Mathematik ist sicher nieht jenes Denkmittel, das aus Tieren Menschen machte. Es ist absolut unempirisch, und wenn daher die Pferde gleich den Menschen sind, so sind sie als Menschen geboren, sind’s nicht erst mühsam geworden. Der merk- würdige Krall’sche Befund nützt also gar nichts für das Problem, wie wir zu Menschen geworden sind. Denn das uns angeborene mathematische Talent ist zweifellos nicht anerzogen, nicht ererbt worden. Es müsste den Herren Monisten eigentlich vor den Pferden grausen. Ich verstehe sehr gut, dass viele Tierpsychologen absolut das Rechentalent der Pferde. bestreiten und hoffen, es werde später noch ein Trick oder doch eine unbewusste Hilfe entdeckt werden. Meiner Meinung nach bedeutet die Krall’sche Entdeckung eine Art Bankerott der modernen Wissenschaft, die in der Empirie ıhr Heil findet. Man musste wahrhaftig ein Laie sein, um solch merk- würdige Entdeckung machen zu können; ich muss von mir sagen: 172 Schneider, Die rechnenden Pferde. weil ich zu wenig Laie war, habe ich sie nicht gemacht. Nämlich nicht gedanklich gemacht! Ich hätte sie gedanklich machen können, wenn ich ganz unbefangen gewesen wäre. Aber ich war nicht un- befangen! Nicht in Hinsicht auf die Idee, die Pferde dürften keine Menschen sein, sondern in Hinsicht auf die Mathematik, vor der ich zu großen Respekt hatte. Sagen wir besser: vor den Mathe- matikern. Vor den Philosophen der Mathematik, vor den Herren Logistikern, denen die mathematische Methode mit der logischen zusammenfällt. Hätte ich nur an Kant gedacht, der die Zahl auf die Zeit bezieht, so wäre mir die Entdeckung vielleicht geglückt und ich hätte vor dem Erscheinen des Krall’schen Buches!) schreiben können: es muss Mathematik bei Tieren möglich sein, von Osten hat recht gehabt, Pferde können rechnen. Aber da waren Cou- turat und Russel und Royce und viele andere, die mir zuriefen: Kant hatte von Mathematik keine Ahnung, Logik und Mathematik ist eins und da Logik zweifellos den Menschen charakterisiert, so ist auch Mathematik rein menschlich. Und so bestritt ich denn die Fähigkeit des Rechnens bei Tieren, für die ja auch damals nichts sicheres sprach. Der kluge Hans war durch Pfungst entlarvt, das Zählen der Hühner und Elstern musste höchst problematisch erscheinen und sonst gab es keine Befunde, die zur Vorsicht hätten warnen mögen. Da warf Krall seine Bombe und die Unterlassungs- sünde ward offenbar. Aber mit meinem Schema, das den Tieren ein Talent bestritt, flog auch die ganze Logistik mit in die Luft. Soweit sie eben der Mathematik alles Anschauliche bestreitet und sie rein logisch begründen will. Und das ist ein Ergebnis von so großer Tragweite, dass ich darüber mein eigenes Versehen zu ver- schmerzen vermag. Fehler soll man selbst sofort gut machen, um nicht auch noch des bösen Willens oder der Unfähigkeit geziehen werden zu können. Ich hätte nun schon auch mein Versehen längst zugestanden, wenn nur nicht wieder die Theorie gewesen wäre. Nicht die Theorie, die ıch früher hatte und die mich einst behinderte, zum Propheten zu werden, sondern die Theorie, die ich noch gar nicht hatte, die nämlich nötig ist, die Pferde auch in ihrem Tun zu begreifen. Denn es ist wenig damit erreicht, dass man zugibt: ja, die Pferde können rechnen, von Schwindel und unbewussten Hilfen kann keine Rede sein. Ich glaube kaum, dass unter den Forschern, die zur Frage der Elberfelder Pferde Stellung nahmen, auch nur einer ist, der diese Stellungnahme sozusagen unbefangen, ohne Bezugnahme auf eine Weltanschauung vollzogen hat. Das geht einfach nicht, 1) Über dieses Buch ist der Redaktion schon vor längerer Zeit ein eingehender Bericht von einem kompetenten Fachmann zugesagt worden, der sich leider durch einen bedauernswerten Unfall verzögert hat. Wir hoffen ihn in nicht allzulanger Zeit bringen zu können. Schneider, Die rechnenden Pferde. 7% denn es wäre unwissenschaftlich. Tatsachen zusammentragen, ist keine Wissenschaft, der Denker fühlt sich nicht wohl dabei. Darin eben unterscheidet sich der Mensch vom Tier, dass er wissen will; etwas was ja gerade die Elberfelder Pferde nicht wollen. Diese haben wohl ein Vermögen, aber kein noumenales; sie verstehen mit Zahlen umzuspringen und hier Ordnung zu schaffen, aber diese Ordnung ist nur eine äußerliche, eine phänomenale, steht aller echt wissenschaftlichen Ordnung fern. Zwar meint Kant, dass in jeder besonderen Naturlehre nur soviel eigentliche Wissenschaft ange- troffen werden könne, als Mathematik darin sei; dass diese Art der Mathematik aber nicht identisch sein kann mit der der Pferde, drängt sich von selbst auf, wenn wir berücksichtigen, dass alle unsere logischen Aussagen durch das lautere Feuer einer wahrheitsdurstigen Seele hindurchgegangen sind. Aber leider würdigen das nicht alle Forscher. Für den bietet schon äußerliche Ordnung ein Höchstes, der sich damit begnügt, nichts anderes als Funktionalbeziehungen in der Welt vorzufinden, und von Grund und Ursache nichts wissen will. Der mit Kirchhoff meint, Erklären sei einfachste Beschrei- bung, und mit Mach, dass außer unseren Empfindungen nichts Reales existiert und wir in den Gedanken nur Gruppen von Ele- menten ökonomisch zusammenfassen. Wäre darin wirklich die Wissenschaft erschöpft, dann allerdings wäre Rechnen ein Letztes, dann aber auch die Elberfelder Pferde und vielleicht alle anderen höheren Tiere ihrem Wesen nach echte Menschen. Vielleicht schafft gerade die neue Entdeckung hier ein gewisses Besinnen der Men- schen auf sich selbst, auf ıhre wahren Eigenheiten. Jedenfalls wer nicht an der Hand einer neuen Theorie da etwas Ordnung zu schaffen vermag, der hat aus der Tatsache, dass Pferde rechnen können, wenig Profit gezogen. Und so will ich mich denn bemühen, zu zeigen, dass Muhamed ohne Hilfen zu arbeiten vermag und trotz- dem die Sondernatur des Menschen unbestritten bleibt, dass wir eben Mathematiker in einem anderen Sinne sind als die Pferde. Dass Mathematik ein apriorisches Vermögen ist, daran kann wohl heutzutage kein Einsichtiger- mehr zweifeln. Von dieser Vor- aussetzung wollen wir ausgehen; wer möchte nun aber behaupten, dass den Tieren aprioristische Veranlagungen vollständig fehlen sollten? Fragen wir, was eigentlich solche Fähigkeiten bedeuten. Dass die Zahlen ein Gerüst sind, das wir den sinnlichen Eindrücken entgegenbringen, leuchtet ohne weiteres ein, denn was zählen wir denn im praktischen Leben? Eindrücke doch, von denen sich eben eine Vielheit darbietet. Wenn Zahlen auch reine Quantität sind, so haben sie doch Bedeutung für Qualitatives, das durch sie men- suriert wird; wir messen an ihnen die reale Welt, die uns rein qualitativ gegeben ist. Auch wenn wir die Qualitäten vereinfachen, an Stelle der Empfindungselemente bewegte Materie setzen — nach 174 Schneider, Die rechnenden Pferde. Wiesner aus dem phänomenalen Substrat ein metaphänomenales machen —, so bleibt doch die Vielheit immer gewahrt und daher die Mathematik von Bedeutung. Quantität und Qualität gehören untrennbar zusammen, eins ist sozusagen nur für das andere da, wenigstens soweit wir eben in der Wirklichkeit ganz zu Hause sein wollen. Der Mathematiker, der nur dem Wesen der Zahl nach- hängt, ist zwar möglich und ebenso möglich ıst ein Lebewesen, das nur empfindet und nicht zählt — obgleich das erst erwiesen werden muss! —; aber von beiden können wir nicht sagen, sie seien in der Wirklichkeit ganz zu Hause. Der eine steht ihr überhaupt fern und das andere vermag sich in ıhr nicht genauer zu orientieren. Wer möchte mit Sicherheit sagen, dass die Bienen nicht zählen, wenn sie arbeiten? Man prüfe doch genau ihre Bewegungen beim Bau der Zelle, vielleicht herrscht da ein bestimmter Rhythmus, aus dem man auf die psychische Arbeit des Tieres schließen könnte. Ein Hund berechnet seinen Sprung: ja, kann er das ohne zu zählen? Das sınd Probleme für die Tierpsychologie, die aus Krall’s Be- funden hervorwachsen. Jedenfalls liegt nicht das geringste theo- retische Bedenken vor, bei den Tieren Zählvermögen vorauszusetzen. Jetzt hinterher, nachdem es nachgewiesen wurde, lässt sich das allerdings leicht sagen. Dass man es nicht vorhersagte, daran waren Philosophie und Logistik schuld, vor allem unsere moderne Er- kenntnistheorie, die mit dem Phänomenalen ihr Auskommen findet und demgemäß den Menschen die Zahl reservieren wollte und musste. Was bliebe ıhm denn, wenn man ihm auch die noch nahm und ins Tierische übertrug? Wer die Pferde als Pferde weiter bestehen lassen will, der muss zeigen, dass es noch etwas anderes ın der Welt gibt als Quantität und Qualität. Doch bevor wir dem uns zuwenden, sei unsere bisherige Analyse der Wirklichkeit noch ergänzt. Es fehlen ihr noch Raum und Zeit, die wir auch als Extensität zusammen- fassen können. Da sind wir aber rasch am Ende. Mag man nun Extensität direkt mit Quantität und Qualität zusammenwerfen oder von ihnen als objektive Prinzipien, als Faktoren, die der Qualität realiter zugrunde liegen und in der Quantität idealiter sich spiegeln, unterscheiden, jedenfalls gehören sie aufs engste zu ihnen und mit dieser Feststellung können wir uns genügen lassen. Raum und Zeit anderswo zu suchen als im Wahrgenommenen hat keinen Sinn und es bleibt dabei ganz gleichgültig, ob wir sie beide in der Qualität direkt mit erfahren oder sie dieser auch als apriorisches Prinzip entgegenbringen, wie Kant will. Für mich ist beides ein und dasselbe, aber das ıst hier sehr nebensächlich. Nun finde ich in mir noch das Prinzip des Wahrheitswertes im Denken, das zweifellos auch apriorischer Natur ist. Dies be- dauernswerte Prinzip wird allerdings von der modernen Erkenntnis- Schneider, Die rechnenden Pferde. 175 theorie geleugnet und durch verschiedene andere Prinzipien ersetzt, wie das Immanenzprinzip, das Erfolgsprinzip, das Ökonomieprinzip und das Stabilitätsprinzip. Das erste besagt, es gibt nur Psychisches in der Welt, also nur Empfindungen und was daraus abgeleitet werden kann (Vorstellungen, Gedanken, Begriffe); nach dem zweiten ist Erkenntnis nur Anpassung des Subjekts an die Umgebung und nur der Erfolg vermag zu entscheiden über wahr und falsch; das dritte sieht in der Wissenschaft eine Maximum- und Minimum- aufgabe, bezw. eine ökonomisch geordnete Zählerfahrung; das vierte schließlich schreibt dem Denken die Nötigung zu, gleich jedem organischen Geschehen ein möglichst stabiles Gleichgewicht anzu- streben, so dass sich Gedanken als Dauerzustände ergeben, mit denen sich der Mensch beruhigen kann. Es ist nur schade, dass diese Prinzipien weder in der exakten Wissenschaft noch in der Mathematik selbst sich wahren Beifalls erfreuen, sondern nur für Erkenntnistheoretiker Bedeutung haben, die sich in einer Welt- anschauung beruhigen möchten. Die Logistiker setzen ihren Ehr- geiz darein, darzutun, dass für die Denkoperationen so etwas wie der Erfolg nicht im geringsten maßgebend ist, und aus der Natur- wissenschaft entkeimen immer neue materialistische Systeme, die dem Empfundenen ein Substanzielles oder Wirkendes als unent- behrliche Grundlage unterlegen und nicht begreifen können, wie ein wirklicher Vorgang aus psychischen Elementen abgeleitet werden soll. Lieber sagt ein Ostwald, Empfundenes ist Energie, als dass er die Energie als Relation von Empfundenem hinstellt. Und in der Tat: wer die zwei Hauptsätze der Wärmelehre ins Auge fasst, wird kaum umhin können, ihre Sonderstellung gegenüber aller sinnlichen Erfahrung zuzugeben. Ich sehe hier von der mathe- matischen Fassung dieser Sätze ab, mir liegt nur daran, ihre wahre Essenz in volles Licht zu rücken. Der eine Satz findet in allem Geschehen die eine unzerstörbare Energie; was heisst das aber anderes, als dass er hier etwas findet, das weder qualitativer noch quantitativer Natur ıst? Er findet eine Ursache, die er nach der Wirkung wohl messen kann, für die es aber wesentlich ist, dass sie in der Wirkung direkt wiederkehrt. Wie das ein rein quali- tatives oder quantitatives Gebilde fertig bringen sollte, bleibt uner- sichtlich. Der andere Satz sagt einfach darüber aus, wann etwas geschieht und macht dies Geschehen von der Intensität abhängig, also von einem Faktor, der so unquantitativ und unqualitativ wie nur möglich ist, von dem Ostwald direkt sagt: Intensitäten lassen sich nicht physisch addieren. Somit haben wir hier Faktoren vor uns, die unbestreitbar in den Erfahrungen enthalten sind, aber nicht nach Art der sinnlichen Elemente, sondern aller Sinnlichkeit unzu- gänglich und nur vom Verstande erfassbar. Vom Verstande, der hier also sein wahres Arbeitsfeld hat. Man frägt vielleicht, wie 176 Schneider, Die rechnenden Pferde. der Verstand es anfängt, die in den Erfahrungen versteckte Energie zu erfassen? Dies Wie ist uns doch eigentlich sehr bekannt. Wir erleben uns selbst als Ursache und fragen nun auch bei Tätigkeiten der anderen Dinge nach Ursachen. Immer ist es die Bezugnahme auf unseren eigenen Ursachengehalt, der gleichsam als Sinnesorgan wirkt und ın den Instrumenten nur erweitert erscheint, so dass uns gar nichts lebendiger ist als das Bewusstsein einer Wirkung. Man hätte ohne dies Bewusstsein den Reizbegriff wohl überhaupt nicht aufgestellt. Wie charakteristisch dies Verhalten des Ver- standes, von dem Schopenhauer sagte, sein Wesen bestünde darin, eine Ursache für jede Empfindung nach außen zu projizieren! Fragen wir nun aber, ob die Tiere das tun, so müssen wir wohl verneinend antworten. Gerade weil die Kausalität nur eine ist, so fragen wir nach ihr immer und überall; es prüfe doch einer seine Gedanken und er wird finden, dass ihn vorwiegend die eine Frage beschäftigt: warum ıst das so? Es ıst die ganz spezifische mensch- liche Frage und hilft uns, nach und nach aller Schwierigkeiten, die uns entgegen treten, Herr zu werden. Was die Tiere anlangt, so sind sie wohl neugierig und lernen eventuell gern, aber nur: was geschieht, nicht: warum etwas geschieht. Frügen sie im letzteren Sinne, so müssten sie Kindern gleichen, die auch lernen und zu- gleich fragen, aber solche Ähnlichkeit entdeckte man bei Muhamed und Zarif bis jetzt noch nicht. Wie so Kausalıtät den Tieren fremd bleibt, so auch Rationalıtät, worunter die Wahrheitsgrundlage jeder Erkenntnis zu verstehen ist. Es gibt eine Wahrheit an sich: das ist eine Feststellung der modernen Logik und Logistik, an der sich nicht rütteln lässt und die allem Pragmatismus von vornherein den Grund und Boden entzieht. Die Wahrheit ist nicht in der Erfahrung enthalten, sondern wird von uns selbstherrlich gesetzt, ist unser subjektives Geschöpf und doch auch wieder von objektiver Bedeutung, denn eben unsere rationale Subjektität ist, gleich unserer phänomenalen, kein Kind des Zufalls und der Willkür, vielmehr allgemeingültig und jedem Willen Gesetz. Das ıst die große Errungenschaft modernen Denkens, dass sie die schöpferische, normative Befähigung unserer Vernunft klar erkannt und gegen solche Behauptungen wie das Erfolgsprinzip mit Sicherheit erhärtet hat. Wir sagen ja oder nein zu etwas aus freien Stücken und doch durch unser Wesen selbst gebunden und zu solcher Aussage verpflichtet. Wie wir die Maximen unseres Handelns in Freiheit setzen und derart unser Sollen zugleich auch unser Wollen ist, so setzen wir auch die Normen unserer Erkenntnis in Freiheit und sind derart Herren und Sklaven zugleich unseres denkenden Selbsts. Das mag dem befremdend klingen, der über die Tierpsychologie nicht hinausblickt und alles in der Welt auf das Prokrustesbett der Biologie, des Monismus, Pragmatismus und Schneider, Die rechnenden Pferde. 177 Positivismus spannt; aber wer nur ein wenig in dıe Bestrebungen der modernen Logik und Logistik Einblick nimmt, der wird das Gesagte ganz selbstverständlich finden und demgemäß ein ahnendes Verständnis für das wahre Wesen des Menschen mitbringen. Ich sage: ein ahnendes Verständnis! Denn es fehlt noch ein Schritt, um den Menschen frei aus allen phänomenalen Enveloppen herauszuschälen. Man kann nämlich folgendes hier einwenden. Zugegeben die apriorische Natur des Ja und Nein, des Wahr und Falsch, so ıst doch damit kein Unterschied des Menschen zum Tier gegeben. Denn gilt etwa das Wahrheitsprinzip nicht auch für die Mathematik? Und wurde uns nicht eben gesagt, dass auch die Tiere Mathematiker seien, oder doch sein könnten? Sind nicht gerade die Elberfelder Pferde eine schlagende Widerlegung der willkürlichen Degradierung der tierischen Psyche unter die mensch- liche? Wenn zuzugeben ist, dass die Mathematiker nur eine tierische Veranlagung zur vollen Blüte entwickelt haben, so muss doch auch das Wahrheitsprinzip, wenngleich in bescheidenen Grenzen, für Tiere Geltung besitzen, denn jede Addition und Division gründet sich darauf und die Tiere rechnen nicht weniger richtig als die Menschen. Somit ergibt sich die Hinfälligkeit der oben gemachten Unterschei- dung, die Künstlichkeit aller Errichtung von Trennungsschranken zwischen Mensch und Tier. Demgegenüber lässt sich nun eine andere Betrachtung auf- stellen. Hat nicht Schopenhauer mit größter Energie die These verfochten, aller Mathematik liege eine anschauliche Evidenz, keine logische, zugrunde? Darin führte er nur Kant’s Beurteilung der Zahl und Form weiter, gemäß welcher die Form im Raume, die Zahl in der Zeit sich begründet, und wenn auch Kant nicht so radikal dachte wie Schopenhauer, so hat er doch in der Erfahrung von Raum und Zeit als im Subjekt parat liegender Bewusstseinsformen solche Anschauung, der auch manche Mathematiker gehuldigt haben, überhaupt erst möglich gemacht. Und selbst ein Logistiker, wie Couturat, muss zugeben, dass für die Geometrie die Kant- Schopenhauer’sche Meinung eine gewisse Berechtigung hat, da hier, wie er sich ausdrückt, intellektuelle Grundsätze in Verbindung mit Elementen anschaulicher Art stehen. Das Postulat der Dimen- sıionenzahl unseres Raumes hat keinen verstandesmäßigen Charakter, sondern scheint auf einer unzurückführbaren Tatsache der An- schauung zu beruhen, die sich praktisch allen Menschen auf eine unwiderstehliche Art aufdrängt, sei es, dass sie von der subjektiven Konstitution unserer Sinnlichkeit herstammt, sei es, dass sie mehr oder weniger symbolisch eine gegenständliche Eigenschaft der äußeren Welt spiegelt. Diese letztere Frage, die Couturat offen lässt, kann uns hier gleichgültig sein; es genügt das Zugeständnis, dass Kant wenigstens für die Geometrie recht behält. XXXIL. 12 XS Schneider, Die rechnenden Pferde. Warum sollte aber nicht Gleiches auch für die Arıthmetik gelten? Moderne Anhänger Kant’s, z. B. Natorp, führen den Beweis, dass die Zeit ein mathematisches Gebilde sei, so gut wie der Raum. Demgemäß muss es aber auch eine phänomenale Evi- denz im Rechnen geben und siehe da: da hätten wir gerade das, was wir zum Verständnis der rechnenden Pferde brauchen! Es ist nicht nötig, dass sich die Pferde logisch strapazieren, um eine fünfte Wurzel zu ziehen; sie haben einfach den Sinn dafür, und wenn man auch nicht sagen kann, dass sie die Zahlen anschauen, so bewältigen sie sie doch auf Grund einer Veranlagung, die mit Anschauung wenigstens verwandt ist. Es gibt Methoden des Rech- nens, die uns gleichsam die Beziehungen zwischen Aufgabe und Resultat, auch bei verwickelten Themen, evident machen und das Rechnen als etwas höchst Einfaches, Selbstverständliches erscheinen lassen. Man operiert dann mit Zahlengruppen als Einheiten, in Konstruktionen ohne alle logische Grundlage, spart unendliche Mühe und hat eine Gewissheit der Richtigkeit des Resultats, die nach Wahrheit und Falschheit nicht frägt, sondern eben von selbst, aus dem Wesen unserer Sinnlichkeit heraus, einleuchtet. Natür- licherweise kann man die Aufgabe auch auf logischem Wege be- wältigen, aber das ist nur der Weg der Wissenschaft, die an Ur- teile mit Wahrheitsgehalt gebunden ist, nicht der sozusagen natürliche, den wir auch den direkten, uns unmittelbar gegebenen nennen können. Es gibt einen Zahlensinn, dessen Beziehung zur- zeit nicht bestritten werden kann. Mit diesem Zahlensinn nun kommen wir bei Beurteilung der rechnenden Pferde aus und es liegt daher gar kein Grund vor, Pferde und Menschen als Wesen prinzipiell einer Art zu erachten. Solange nicht der Nachweis ge- führt wird, dass sich die Pferde des Ja und Nein, des Wahr und Falsch bewusst sind, wenn sie rechnen, solange braucht uns um unsere Sondernatur nicht bange zu sein. Damit ist meiner Ansicht nach das Pferdethema theoretisch einwandfrei erledigt. Es kann ohne weiteres zugestanden werden, dass die Pferde rechnen, und trotzdem sind sie keine Menschen, für die wesentlich Verstand und Vernunft sind. Beide Vermögen sind für die Pferde aus den von ihnen bekannt gewordenen wunder- baren Leistungen heraus absolut nicht abzuleiten. Selbstverständ- lich auch nicht, wenn wir ihr Sprachvermögen in Betracht ziehen. Hier liegt die Sache einfacher. Ich bin in meinem tierpsycho- logischen Praktikum für die tierische Sprache eingetreten und kann mir daher jetzt eine ausführlichere Begründung sparen. Dass Muhamed sich der Bedeutung der von ihm angewendeten Wörter bewusst ist, erklärt sich aus der echt tierischen Veranlagung zum Lernen ebenso leicht, wie seine Aussagen über Vorkommnisse durch die Assoziationsgesetze ohne weiteres verständlich werden. Gerade Schneider, Die rechnenden Pferde. 179 in der Sprache ist Steigerung beim Tiere als möglich zu erachten und zwar auch im Naturzustande, da es sich hier um ein Empi- risches handelt, das fortwährender Entwickelung unterliegt. Das ist an sich ein höchst interessantes Thema, wir müssen aber von seiner Diskussion absehen, weil es doch ganz ins Tierische gehört und, wie mir scheint, viel weniger aufreizend wirkt als das Problem der mathematischen Befähigung. Betreffs dieses, so betone ich nochmals, kommt eben das aprioristische Moment in erster Linie in Frage. Mathematiker sind wir a priori, unabhängig von aller Erfahrung, reden aber tun wir a posteriori, also ın Abhängigkeit von der Erfahrung. Es ist nun höchst bemerkenswert, dass durch Entdeckung der mathematischen Veranlagung bei Pferden ein aprioristisches Moment auch als für Tiere gültig erwiesen und derart in die Biologie eingeführt wurde. Das bedeutet einen eminenten Fortschritt, weil es die Bedeutung des Psychischen für die Bio- logie in ein klares Licht rückt. Denn hier versagen alle physio- logischen Spitzfindigkeiten und es ergibt sich eine höchst will- kommene Stütze echt psychologischer Betrachtungsweise in der Biologie, die jetzt noch mit so vielen Einwänden zu kämpfen hat. Man darf hoffen, dass mit der Zeit noch mehr solcher Apriorismen aufgedeckt werden, die den Vitalismus in seiner mühevollen Arbeit, Biologisches wahrhaft zu begreifen, die größten Dienste erweisen. Somit erblicke ich ın der Krall’schen Entdeckung allerdings einen Befund von höchster Tragweite, von geradezu unberechenbaren Folgen für die Wissenschaft vom Organischen; nur liegt diese Be- deutung in einer ganz anderen Richtung als es die Herren Nur- physiologen und Monisten unter den Biologen wähnen. Nämlich nicht in der Richtung, dass dadurch die Differenz zwischen Mensch und Tier hinfällig gemacht und der Mensch zum Tier herabgezogen werde, sondern in der ganz anderen, dass dadurch der wahren Be- deutung des Psychischen fürs Biologische eine neue Einbruchspforte ins Denken der Biologen eröffnet werde. Warum soll es z. B. bei den Pflanzen nicht auch eine aprioristische Veranlagung, warum soll es nicht deren mehrere bei Tieren geben? In dieser Hinsicht stehen jedenfalls noch weitere epochemachende Entdeckungen bevor und so wird man Krall’s Werk später einmal mit Recht dem Darwin’s vergleichen können, an Bedeutung nämlich als Anregungs- mittel für die Forschung, nicht in Hinsicht auf den vermeintlichen Wert des Darwinismus, eine Brücke vom Tier zum Menschen ge- schlagen zu haben, was doch absolut nicht der Fall ist. ISO Brehm’s Tierleben. — Ferienkurse. Brehm’s Tierleben. 4. Aufl. — Die Lurche und Kriechtiere. Neu bearbeitet von Franz Werner. 1. Bd. Gr. 8. XVI u. 572 Seiten. Mit 127 Abbild. im Text, 14farbigen u. 11 schwarzen Tafeln. Leipzig. Bibliographisches Institut. Manche Leser unseres Blattes erinnern sich vielleicht noch der Besprechung, welche Herr Werner im Jahre 1893 von der ın der 3. Aufl. des genannten Werkes gelieferten Bearbeitung der „Kriech- tiere und Lurche* durch Herrn Böttger beigesteuert hat. An Stelle des durch Krankheit verhinderten Herrn B. hat jetzt Herr W. selbst die Neubearbeitung dieses Abschnittes übernommen. Da Herr W. als einer der besten lebenden Kenner des Wissensgebietes gilt, dessen Neubearbeitung ıhm anvertraut worden ist, so ist alle Gewähr für gute Ausführung gegeben. Und dieser erste Band rechtfertigt das Vertrauen vollkommen. Vom ursprünglichen Brehm’- schen Text hat Herr W. namentlich die persönlichen Beobachtungen erhalten, sonst aber unter namhafter Vermehrung des Gesamt- umfangs alles getan, um den jetzigen Standpunkt der Kenntnisse gerecht zu werden. Dabei hat er es verstanden, auch in dem neu Hinzugefügten das Vorbild des ersten Bearbeiters auf das Voll- kommenste zu erreichen. Von den Abbildungen sind viele neu. Sie stammen zum großen Teil von J. Fleischmann, der sich mit ihnen glücklich als Tierzeichner von Bedeutung einführt. Andere sind vortrefflich gelungene photographische Aufnahmen. Die Anzahl der geschilderten Arten betrug in der 3. Auflage 95; sie ist jetzt auf 203 gestiegen. So ist es gelungen, nicht nur alle, ım deutschen Tierhandel und in den deutschen zoologischen Gärten regelmäßig vorkommenden Gattungen zu berücksichtigen, sondern auch die meisten Arten aus den deutschen Kolonien und andere, welche sich durch ihre Lebensweise, ihren Körperbau oder ihre Fortpflanzung bemerklich machen, zu erwähnen und zu beschreiben. Pr. Ferienkurse Jena. Vom 4.—16. August 1913. (Für Damen und Herren.) Es werden im ganzen mehr als 50 verschiedene Kurse gehalten, meist zwölf- stündige. Naturwissenschaftliche Abteilung: Naturphilosophie; Botanik; botanisch-mikroskopisches Praktikum; Zoologie; zoologisches Praktikum ; Astro- nomie; Mineralogie; Chemie; Physik; Physiologie; physiologische Psychologie. Ausführliche Programme sind kostenfrei durch das Sekretariat der Ferien- kurse (Jena, Gartenstraße 4) zu erhalten. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. £ Be Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. RK. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XX RO. A XIII. ril 1913. N 4, Inhalt: Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. — Dietze, Biologie der Eupitheeien. — Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. — Mola, Nuovi ospiti di uccelli contributo al genere Hymenolepis. — Jollos. Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. — Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine ed in particolore della Fillossera della vite. — Semon, Das Problem der Vererbung ‚‚erworbener Eigenschaften‘. — Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa. — Fränkel, Dynamische Biochemie. Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. Von Victor Birekner. In letzter Zeit habe ich mehrfach mit Unterbrechungen Ver- suche über die Keimung von Gerstensamen angestellt!.. Da ich an eine Fortsetzung derselben vorläufig nicht denken kann, seien die dabei gemachten Erfahrungen hier inzwischen in Kürze mitgeteilt. a) Versuche über die Rolle des Scutellums bei der Keimung. Die physiologische Funktion des dem Endosperm zugekehrten Teiles des Gramineenembryos ist noch keineswegs aufgeklärt. Zwar hatte Linz?) an Zea Mays die Tatsache festgestellt, dass dies sogen. Schildchen (Scutellum) der frisch keimenden Samen stets mehr (oder ein wirksameres) diastatisches Ferment enthält als irgendein anderer Teil des Kornes, und dass dıe stärkelösende Kraft dieses Organs mit fortschreitender Keimung abnimmt, während die des Endosperms zugleich sich steigert. Man hat wohl hierin eine gewisse Bestätigung der schon früher verschiedentlich geäußerten 1) Die mitgeteilten Experimente wurden zumeist im landwirtschaftlichen La- boratorium der kalifornischen Universität in Berkeley ausgeführt. 2) Linz, Jahrb. f. wiss. Bot. 1896, Bd. 29, p. 257. XXXII 13 182 Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. Ansicht erblickt, wonach vom Scutellum aus während der Keimung Diastase ins Endosperm sezerniert wird. Allerdings hatte Linz zugleich auch festgestellt, dass der Diastasegehalt von Maisendo- spermen auch dann allmählich zunimmt, wenn dieselben von An- fang an vom Keimling losgetrennt, also völlig isoliert waren. Jedoch deutete der ganze Bau des Scutellums der Grassamen, insbesondere die sogen. Palisadenschicht, so ausgesprochen auf eine Sekretions- tätigkeit hin, dass die erwähnte Ansicht, obwohl nie eingehender geprüft, doch kaum je ernstlich in Frage gestellt worden ist. Neuerdings hat man sogar vorgeschlagen, die Gestalt und Größe des Scutellums beim Gerstenkorn als Merkmal für die Bonitierung der Braugersten zu verwerten’). Angesichts dieser Sachlage erschien es angezeigt, die Rolle des Scutellums bei der Keimung einmal direkt am Objekt zu studieren und jene Sekretionshypothese auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Mit diesem Ziel vor Augen habe ich vor zwei Jahren einige Experi- mente angestellt, welche, obwohl nur einen Versuch in der ange- deuteten Richtung darstellend, immerhin der Mitteilung wert er- scheinen. Für die zu wählende Methodik kamen vor allem die Arbeiten von Hansteen*) und Puriewitsch’) in Betracht. Diese Autoren konnten zeigen, dass die für ölhaltige Reservestofibehälter bereits von Van Tighem®) festgestellte Fähigkeit der Selbstverdauung auch den stärkehaltigen Endospermen der Gramineen zukommt, vorausgesetzt, dass in geeigneter Weise für Ableitung der gebil- deten, vorwiegend zuckerartigen Spaltprodukte Sorge getragen wird. Letzteres wurde dadurch erzielt, dass an Stelle des entfernten Em- bryos bezw. von dessen Scutellum ein Gipssäulchen angegossen wurde, dessen Basıs in Wasser gestellt wurde. Puriewitsch gibt an, dass für Maissamen die Stärkeauflösung zum Stillstand kommt, sobald der osmotische Druck der Außenflüssigkeit gleich dem einer etwa 2!/,°/,igen Dextroselösung ist. Die Sterilhaltung der Objekte gelang nach den Angaben dieses Verfassers durch Vorbehandlung mit Kupfersulfatlösung. Das Fortschreiten des Lösungsprozesses wurde in erster Linie auf mikroskopischem Wege verfolgt. Aller- dings schloss sich hieran zumeist auch eine Bestimmung des Zucker- gehaltes des Diffusionswassers, welche jedoch in der Hauptsache zur Bestätigung des mikroskopischen Befundes diente und kaum Anspruch auf besondere Genauigkeit haben dürfte. | Es kam mir nun darauf an, vermittels einer ähnlichen Methode eine quantitative Vergleichung der diastatischen Tätigkeit einerseits 3) Cireular No. 16, U.S. Dept. of Agriculture. Bureau of Plant. Ind. 1908. 4) Hansteen, Flora 79, Erg.-Bd., p. 419, 1894. 5) Puriewitsch, Jahrb. wiss. -Bot. 1898, Bd. 31, p. 1. 6) Van Tighem, Compt. rend. 1877, Vol. 84, p. 582. nr Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. 483 völlig isolierter Endosperme, andererseits solcher, an denen nach Entfernung des Embryos das Scutellum in der natürlichen Stellung belassen war, zu versuchen. Als Objekt wurde der praktischen Bedeutung wegen die Gerste gewählt. Ich hielt mich zu Anfang genau an die von Puriewitsch geschilderte Arbeitsweise. Die vorher entspelzten Körner wurden mit Kupfersulfat behandelt, so- dann in dem sterilen Glaskasten mit allen Vorsichtsmaßregeln operiert und mit dem operierten Ende auf Gipssäulchen montiert, welche in eine unter feuchter Glocke befindliche Kristallisierschale mit Wasser gestellt wurden. Bei den ersten drei auf diese Weise hergestellten Kulturen war nur der Embryo entfernt worden, unter Belassung des Scutel- lums. Alle drei blieben anscheinend steril. Nach 22 Tagen wurde der Versuch unterbrochen und die Flüssigkeit auf reduzierenden Zucker untersucht. Es fanden sich in jeder Schale etwa 10°, Zucker (als Dextrose berechnet), bezogen auf das Gewicht der ent- spelzten Körner vor Beginn des Versuches. Die Temperatur war während dieses Versuches wenig konstant, zumeist recht niedrig. Das Herausoperieren des Embryos war in vielen Fällen nicht ge- nügend gut gelungen, um ein nachträgliches Sıchloslösen des Scu- tellums vom Endosperm zu verhindern. Ferner ergab sich, dass für ein quantitatives Arbeiten die Gipsblöckchen wenig geeignet waren, da sie viel von der Kulturflüssigkeit festhalten, die sich nur mit Mühe wieder zurückgewinnen lässt. Für die weiteren Versuche wurde infolgedessen Gips nicht mehr verwendet. Statt dessen wurde auf die schon von Brown und Morris”) verwendeten Glimmerplättchen zurückgegriffen, welche zur Erzielung quantitativer Resultate weit geeigneter sind. Die Objekte stehen bei diesem Verfahren an der Schnittfläche direkt mit dem Diffusionswasser in Berührung, und außerdem lässt sich eine etwaige Infektion sofort beim ersten Auftreten erkennen. Um ein zu tiefes Einsinken der mit kleinen Löchern versehenen Glimmer- platten zu vermeiden, wurden dieselben durch zugeschmolzene, dünnwandige Glasröhrchen unterstützt und so tragfähıger ge- macht. Glimmerplättchen samt Glasträgern und Kristallisierschalen wurden vor jedem Versuch im Trockensterilisator bei 150—-160° sterilisiert. Jeder Versuch umfasste von nun ab zweı Parallelkulturen, von denen die eine allein aus Endospermen bestand, die andere aus Endospermen mit Schildchen, jedoch ohne Embryo. Für beide wurde stets die gleiche Anzahl Körner verwendet, deren Gesamt- gewicht ebenfalls genau gleich war, was sich durch Auswahl aus einer größeren Menge entspelzter Körner leicht erreichen ließ. Das Ge- 7) Brown and Morris, Journ. Chem. Soc. 1890, Vol. 57, p. 458. 13* 184 Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. samtgewicht für jede Kultur betrug zumeist 1g (ca. 22—25 Körner). Die Temperatur betrug ın allen Fällen 25—27° C. Während nun bei den Gipskulturen selbst nach 22 Tagen keinerlei Infektion zu bemerken war, trat bei den Versuchen mit Glimmerplatten regelmäßig nach ca. 6 Tagen, in vereinzelten Fällen auch erst nach 2 Wochen, Pilzwachstum auf (Penicillium-Arten). Um einen vollkommeneren Kontakt der Samen mit der Kupfer- lösung herbeizuführen, wurden alle Luftblasen während der Kupfer- behandlung mit der Wasserluftpumpe entfernt. Jedoch erfolgte trotz aller Kautelen selbst dann regelmäßig Infektion. Die Untaug- lichkeit der Kupferlösung als Antiseptikum wurde somit offenkundig. Freilich war diese Beobachtung bereits früher im Pfeffer’schen Laboratorium gemacht worden°), wie ich leider erst am Ende vieler mühsamer Versuche gewahr wurde. Wie weit dieser Umstand auf die Bewertung der Versuche Puriewitsch’s von Einfluss ist, ist schwer zu sagen. Merkwürdig ist jedenfalls meine oben mitgeteilte Beobachtung, nach der bei Verwendung von Gipssäulchen selbst nach 3 Wochen keinerlei In- fektion zu bemerken war. Da kaum anzunehmen ist, dass der Pilz ins Innere des Gipsblockes hineingewachsen wäre, muss man wohl an eine Giftwirkung des Kalziumsulfates auf die Sporen von Schimmelpilzen denken. Eine bakterielle Infektion trat bei meinen Versuchen fast nie auf. Trotz. dieses Misserfolges habe ich mit den infizierten Kulturen in vielen Fällen Zuckerbestimmungen vorgenommen. Das Pilzwachs- tum begann, wie erwähnt, in der Regel erst nach etwa 6 Tagen und ließ sich dann bei Verwendung der Glimmerplatten nicht alleın sofort erkennen, sondern auch seinem Umfang nach recht genau feststellen. Bei einer ganzen Reihe von Versuchspaaren, bei denen die Infektion soeben begonnen hatte und bei beiden Gruppen etwa gleich weit vorgeschritten war, wurden nach Unterbrechung des Versuches ın der Kulturflüssigkeit die Eiweißstoffe mit 1 ccm heiß gesättigter Kalıumalaunlösung niedergeschlagen und der reduzierende Zucker nach Pflüger’) bestimmt. Aus all diesen mit großer Sorg- falt und unter Berücksichtigung der Infektion ausgeführten Bestim- mungen ergab sich unzweifelhaft die Tatsache, dass beı der geschil- derten Versuchsanordnung die Gegenwart des Scutellums nicht eine Beschleunigung, sondern eine starke Verlangsamung des Übertrittes der Stärkeabbauprodukte in die Außen- flüssigkeit bedingt. Diese Tatsache darf im Gegensatz zu ent- sprechenden Angaben Puriewitsch’s (l. ec. p. 51—53) als gesichert gelten. Der bei alleiniger Tätigkeit von (nicht infizierten) Endo- 8) Pfeffer, Pflanzenphysiologie, Bd. II, p. 334—342, 1904. 9) Pflüger, Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 93, p. 166—173, 1903. Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. IS5 spermen nach 8 Tagen in die Flüssigkeit übergetretene reduzierende Zucker beträgt bei der angegebenen Temperatur durchschnittlich 4°/, (als Dextrose berechnet) des ursprünglichen Korngewichtes, bei gleichzeitiger Anwesenheit des Scutellums dagegen nie über 3°/,. Auf Angabe der direkt erhaltenen Zahlenwerte kann verzichtet werden, da diese infolge des wechselnden Infektionsgrades bei den einzelnen Versuchspaaren miteinander ohnehin nicht vergleichbar wären. Die Kontrollbestimmung des Zuckergehaltes der Körner bei Beginn eines Versuches, ausgeführt direkt nach 15stündiger Quellung und darauffolgender u ERNUNS des Keimlings, ergab: Reduzierenden Zucker 0.6°/, (als Dextrose ber.) Gesamtzucker (nach Inversion) 2.2°/, (, Aus obiger Wahrnehmung darf jedoch nicht alleemem Eefolbere werden, eos das Sceutellum En keimenden Samen der Beförderung der löslichen Kohlehydrate aus dem Endosperm zum Keimling hinderlich sei. Am intakten Objekt ist keine Schnittfläche, kein direkter Wasserkontakt und keine Wundreaktion in Rechnung zu ziehen. Hingegen gestattet obiger Befund für künftige Versuche eine praktische Schlussfolgerung bezüglich der zu wählenden Me- thodik. Wie Puriewitsch angıbt, erfolgt eine Entleerung des Endosperms ohne Schwierigkeit auch in umgekehrter Richtung, d.h. durch eine ım oberen Teile des Kernes, also weit entfernt vom Keimling, angebrachte Schnittfläche. Diese Versuchsanordnung wäre bei künftigen Studien quantitativer Art anzustreben. In Ver- bindung hiermit ließe sich dann vermittels Eingipsens die bedenk- liche Schnittwunde zwischen Embryo und Scutellum womöglich ganz vermeiden. Die Lostrennung des Scutellums seinerseits vom Endosperm ist offenbar ım Vergleich zu der vorgenannten eine weit ungefährlichere Operation. Die Hauptschwierigkeit besteht jedoch selbstverständlich ın der Auffindung eines geeigneten Desinfektionsmittels für Samen. Es werden ja viele Substanzen für diesen Zweck ın Vorschlag gebracht. Einige, wie Kupfersulfat und Formaldehyd, haben sich auch in der landwirtschaftlichen Praxis ausgezeichnet bewährt. Den Anforde- rungen des wissenschaftlichen Versuches dürfte jedoch wohl noch keine völlig genügen. Ich selbst habe zuletzt vier Kulturen ange- setzt, bei denen die Körner zu Anfang 10 Stunden lang, teilweise unter vermindertem Druck, in '/,, normaler Silberlösung gelegen hatten, ohne dass eine davon steril geblieben wäre. An Stelle der Glimmerplatten, die in Verbindung mit den Glas- trägern immerhin etwas umständlich zu handhaben sind, habe ich such mit gutem Erfolg durchlöcherte Paraffinscheiben (75° Schmelzp.) ver sendlen, welche, ohne besonderer Unterstützung zu bedürfen, an der Wasseroberfläche schwimmen. Ihre Sterilisierung erfolgte mittels starker Formaldehydlösung. Eine solche Paraffinkultur blieb Sb Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. sogar dauernd steril. Es waren Endosperme ohne Schildchen. Nach 70 en wurde der Versuch abgebrochen. Beim Trocknen an der Luft zeigte sich, dass die ın feuchtem Zustande noch voll aus- sehenden Körner in Wirklichkeit nur noch häutige Hüllen waren. Die stark zuckerhaltige klare Flüssigkeit wurde in einen Messkolben gefüllt, das Eiweiß as und einige aliquote Mengen zur Zucker- bestimmung verwendet. Letztere geschah teils ak, teils nach Inversion mittels Säure und darauffolgender Neutralisation. Die Zuckerbestimmungen erfolgten diesmal mittels der Methode von Bertrand!®). Bezogen auf das anfängliche Gewicht der entspelzten Samen ergab sich in der Gesamtflüssigkeit a) Direkt 51°/, Zucker (als Dextrose ber.) b) Nach-Inyersion aa 1775 ( x N) Wollte man, wie es vielfach geschieht, den reduzierenden Zucker als Maltose auffassen, so würden sich anstatt der 51°/, mehr als 80°/, ergeben. Unter Berücksichtigung der ungelösten Endosperm- überreste sowie der durch die Operation entfernten Keimlinge würde für einen Atmungsverlust recht wenig übrig bleiben, und es würde den Anschein erwecken, als wäre der Stärkeabbau durch bloße Fermenttätigkeit ohne gleichzeitige Lebensäußerung der Endosperm- zellen erfolgt. In Anbetracht der Vorbehandlung dieser Kultur dürfte dies allerdings nicht wundernehmen. Die Samen hatten für 9'/, Stunden und unter mehrmaligem Evakuieren in 4°/,iger Kupfer- lösung und hinterher 2 Stunden in Wasser gelegen. Dabei war die Außenmembran zahlreicher Körner aufgesprungen, und, wie im Versuchsprotokoll ausdrücklich vermerkt, waren diejenigen Gruppen, welche viele verletzte Körner enthielten, auf die Paraffinscheiben gesetzt worden. Gelänge übrigens eine erfolgreiche, d.h. die Keimfähigkeit nicht gleichzeitig beeinträchtigende Desinfektion des Samenmaterials, so ließe sich die Frage nach der Lebenstätigkeit der Endospermzellen, um die sich in neuerer Zeit Stoward!') und Brushi!?) viel be- müht haben, vermutlich auch in der Weise entscheiden, dass, falls Lebenstätigkeit nötig wäre, eine Selbstentleerung der Endosperme bei der Optimaltemperatur der Diastasewirkung (55—60° C.) nicht mehr stattfinden dürfte. b) Der Einfluss des Einweichens bei verminde’rtem Druck. Da in Verbindung mit der Vorbehandlung der Samen mit Kupferlösung häufig von der Luftpumpe Gebrauch gemacht worden war, erschien es von Interesse, festzustellen, welchen Effekt dieses 10) Bertrand, Bull. Soc. Chim (3), Vol. 35, p. 1285, 1906. 11) Stoward, Ann. of Botany, Vol. 22, p. 415, 1908. Ibid. Vol. 25, P: 800, 1911: 12) Brushi, Ann. of Botany, Vol. 22, p. 449, 1908. Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. 15T Auspumpen an sich auf die nachfolgende Keimung haben würde. Vermutlich sind derartige Versuche gelegentlich in der Mälzerei- praxis ausgeführt worden; jedoch sind mir entsprechende Literatur- angaben nicht bekannt. Für die Versuche wurden drei verschiedene Gerstensorten be- nutzt; zwei waren regelrechte Braugersten und stammten aus Malz- fabriken, die dritte erhielt ich als intakte Ähren von der landwirt- schaftlichen Versuchsstation. Da letztere bereits längere Zeit gelegen hatten, wurde jedes Korn einzeln von der Spindel entfernt und im Dunkelraum in einem von einer Glühlampe mittels eines mit einem kleinen Loch versehenen Asbestschirmes abgegrenzten Lichtbündels auf defekte Stellen untersucht. Auf diese Weise ließ sich der ge- ringste Fehler leicht und sicher feststellen, und alle so ausgesuchten Körner waren gleichwertig und frei von Verletzungen. Nach anfänglich sich widersprechenden Resultaten gelang es mir schließlich, festzustellen, dass ein Auspumpen zu Beginn der Weiche für die nachfolgende Keimung von nach- teiliger Wirkung ist. Die Zeit der Evakuierung wurde variiert von 10 Minuten bis zu 4 Stunden, und der hemmende Einfluss steigerte sich im allgemeinen mit der Zeit der Einwirkung. Mit der benutzten Wasserluftpumpe ließ sich allerdings nur ein teil- weises Vakuum, bıs herab zu 160 mm Quecksilberdruck, erreichen. Die Gesamtdauer der Weiche betrug zumeist 24 Stunden. Die Körner wurden am Ende kurz in Silberlösung (n/10) getaucht und hierauf mit Kochsalzlösung und sterilisiertem Wasser abgespült, und auf feuchtem Fließpapier oder auf perforierten, auf Wasser schwim- menden Paraffinscheiben zum Keimen ausgebreitet. Bei allen mit gewöhnlicher Braugerste angestellten Versuchen wurden für jede Gruppe mindestens 100 Körner, bisweilen sogar je 300 Körner ver- wendet, während mit der nach obigen Angaben ausgelesenen Gerste Gruppen von je 25 Körnern hinreichend sichere Resultate ergaben. Im übrigen war die Versuchsanordnung einfach und versteht sich von selbst, bedarf daher keiner weiteren Erläuterung. Der schädigende Einfluss der Druckverminderung zu Beginn der Weiche dürfte lediglich eine Folge der forcierten Imbibation sein; eine direkte Wirkung des verminderten Luftdruckes erscheint ausgeschlossen '?). c) Der Einfluss von Sılbersalz auf die Keimung. Schließlich habe ich, angeregt durch die Arbeiten von A. J. Brown!*) und H. Schröder®’), zunächst ohne Rücksicht auf die 13) .s. P. Bert., cf. Czapek, Biochemie, Vol. II. 14) A. J. Brown, Ann. of Bot. 1906, Vol. 21, p. 79. — Ders., Proc. Roy. Soc. (Biol.) 1909, Vol. 81, p. 82. 15) H. Schröder, Centralbl. f. Bakteriol. (II) 1910, Bd. 28, p. 492. 158 Birckner, Beiträge zur Kenntnis der Gerstenkeimung. Frage der Desinfektionswirkung, den Einfluss von Silbernitratlösung auf die Keimung von Gerstensamen etwas näher studiert. Ge- nannte Autoren empfehlen bekanntlich Silberlösung als besonders geeignetes Antiseptikum für Grassamen, da dieses Salz im Gegen- satz zu Sublimat angeblich nicht ins Innere des Kornes einzu- dringen vermag. Schröder gibt auch an, dass Weizenkörner selbst nach 17stündiger Vorbehandlung mit 5°/, AgNO, die nor- male Keimfähigkeit zeigten. Jedoch ist seine Arbeitsweise recht oberflächlich. Bei einem Versuch mit 11 Körnern die Keimfähig- keit in Prozent ausdrücken zu wollen, muss zum mindesten als gewagt erscheinen. Ich hatte nun bereits bei eimigen Vorversuchen beobachtet, dass Gerstenkörner nach Behandlung mit Silbernitrat nicht nur verschieden keimten als ohne dieselbe, sondern auch, dass bereits bei recht niedriger Konzentration eine deutliche Schädigung der Keimfähigkeit stattfindet. Diese Schädigung betrifft besonders den jungen Spross, welcher, obwohl gut vorgebildet, anscheinend nicht mehr imstande ist, die Kornhülle zu durchbrechen. Die Keimwurzeln erscheinen nach der Behandlung eine Klemigkeit dünner, jedoch sonst in jeder Beziehung normal; ja, man gewinnt sogar innerhalb gewisser Grenzen den Eindruck einer stimulierenden Wirkung der Silberlösung auf das Längenwachstum der Wurzel. Während jedoch normale Keimwurzeln die Fähigkeit besitzen, sich an feuchtes Fließ- papier fest anzuhaften, ja sogar den Faserstoff zu resorbieren, ist diese Fähigkeit nach der Silberbehandlung verschwunden. Das zytatische Ferment der Wurzeln wird also anscheinend ınaktiviert bezw. seine Bildung vereitelt. Um die Abhängigkeit der schädlichen Wirkung der Sıilber- behandlung von der Konzentration und der Einwirkungsdauer fest- zustellen, wurde der folgende einfache Versuch angestellt: 19 Proben, je zu 68, einer guten Braugerste wurden verschieden lange Zeit unter Lichtabschluss in Silberlösungen verschiedener Konzentration gelegt, hierauf abgespült und in destilliertes Wasser übertragen. Die Dauer der Silber-plus Wasserweiche betrug für jede Probe 38 Stunden. Am Ende dieser Zeit wurden die Körner jeder Probe mit n/10 Kochsalzlösung und darauf mit sterilisiertem Wasser gründlich abgespült und in Gruppen auf eine dicke Lage gleichmäßig feuchten Fließpapieres gebreitet. Das Ganze wurde in eine feuchte Kammer gestellt und der Keimungsvorgang beobachtet. Das Resultat nach 36stündiger Keimung ist in nebenstehender Tabelle zusammengestellt. Die Zahlen stellen in runden Werten die bei den einzelnen Gruppen erhaltenen Keimungsprozente vor, unter möglichster Be- rücksichtigung des relativen Gesamtwachstums der Keimlinge jeder Gruppe. Dietze, Biologie der Eupithecien. 189 Dauer der Silber- Gruppe | Gruppe 2 Gruppe 3 Gruppe 4 behandlung n/10 AgNO, n/50 AgNO, n/100 AgNO, Dest. Wasser 30 Min. s0 95 96 Sl 30 35 94 | 120% 12 Ss) 90 100 240 „ 6) 70 85 Bu 480. , 5 50 Ss) | 720 „ 3 25 75 Dasselbe Experiment wurde in etwas kleinerem Maßstabe mit der wie unter b) angegeben geprüften und ausgelesenen Gersten- sorte (ungedroschen) wiederholt mit wesentlich dem gleichen Resultat. Da an ein brauchbares Desinfektionsmittel für Samen die An- forderung gestellt werden muss, dass mindestens 80°/, der normalen Keimfähigkeit erhalten bleibt, so folgt aus Obigem, dass für n/10 (= 1.7°/),)AgNO, diese Grenze bereis nach !/,stündiger Einwirkung erreicht ist, während bei n/50 (= 0.34°/,) AgNO, die Einwirkung auf 2 Stunden, und bei n/100 (= 0.17°/,) AgNO, auf 4 Stunden aus- gedehnt werden darf. Dass, wie Schröder angibt, 5°/, AgNO, nach 17stündiger Einwirkung noch normale Keimung gestatten soll, ist absolut uner- sichtlich. Auch kam die Wirkung der von A. J. Brown beschrie- benen semipermeablen Membran der Gerstenkörner bei den von mir benutzten Sorten praktisch kaum zur Geltung. Inwieweit eine Störung der Bakterientätigkeit, die nach einigen Autoren !%) mit dem Keimungsvorgang in engem Zusammenhang stehen soll, für die Erklärung der schädigenden Wirkung der Silber- lösung ın Frage kommt, muss dahingestellt bleiben. Perkins, Kalifornien. Januar 1913. Karl Dietze. Biologie der Eupithecien. I. Teil, Abbildungen, 82 Tafeln, Großquart. Den Originalen des Verfassers im Farben-Lichtdruck nachgebildet von Martin Rommel u. Co. in Stuttgart 1910. Kommissionsverlag von Friedländer u. Sohn, Berlin. Dieses Prachtwerk enthält auf Tafel 1—66 Abbildungen von Raupen teils in natürlicher Größe in ihrer oft erstaunlichen Viel- gestaltigkeit auf den Futterpflanzen meisterhaft farbig dargestellt, teils vergrößert gegeben, um die charakteristische Zeichnung jeder Art für Bestimmungszwecke klar zur Anschauung zu bringen. Es ist ausdrücklich anzuerkennen, dass die Reproduktion den herrlichen Originalen des Autors möglichst gerecht zu werden sucht. Tafel 67 und 68 bieten eme Anzahl Puppen, deren artliche Unterschiede neben der Farbe und dem allgemeinen Habitus nament- lich in der Zahl, Stellung und charakteristischen Krümmung der 16) s. R. Wahl in American Brewers’ Review, 1912. 190 Dietze, Biologie der Eupithecien. kurzen Borsten am letzten Hinterleibssegment und in der Form des letzteren liegen. Tafel 69—80 zeigen in Lichtdruck die photographischen Auf- nahmen von 900 verschiedenen Falterindividuen. Sie mögen gegen 200 Arten angehören. Tafel 81 und 82 endlich bringen von ungefähr 70 Arten kreis- förmige Ausschnitte aus der Schale von deren Eiern in 170facher Vergrößerung, welche die wunderbare Skulptur der Schale, die von Art zu Art wechselt, vorzüglich erkennen lässt. Die Gattung Eupithecia, welcher diese bewunderungswürdige Arbeit gewidmet ist, gehört der Familie der Geometriden an. Sie haben einen spannenden Gang, weil ihnen die Bauchfüße fehlen. Dieser Verlust der Bauchfüße wird wohl am besten aus dem Nicht- gebrauch derselben hergeleitet. Die Spannerraupen, also nicht nur die der Gattung Kupithecia, pflegen nämlich in der Ruhe nur mit den Afterfüßen an ihren Nährpflanzen anhaftend den ganzen übrigen Körper frei in die Luft zu strecken. Sie ahmen dann in dieser Stellung vielfach täuschend einen Blatt- oder Blütenstiel, ein kurzes Zweigchen u. s. w. nach. (serade manche Eupithecien-Raupen sitzen allerdings zumeist ge- krümmt auf ihren Nährpflanzen; namentlich solcher Arten, die an den Blüten fressen und in dieser Stellung ihre spezielle Nahrung am besten imitieren. Die in dieser Gattung besonders weit ge- diehene Fähigkeit, Teile der bewohnten Pflanze im Raupenstadium bis zu verblüffender Naturtreue zu kopieren, hat ıhr den Namen „Eupithecia* eingetragen, von ed „schön“ und zid1xos „Affe“, also etwa „Schönäffehen“ bedeutend. Besonders augenfällige Beispiele bieten: Tafel 1 Eup. chloerata Mab. an den frisch geöffneten Knospen von Prunus spinosa L., Tafel 55 Eup. lentiscata Mab. an dem Fruchtzweige von Pistacia lentiscus L., Tafel 58 Kup. exten- saria Frr. an dem Blütenstand von Artemisia maritima L. Schon diese weitgehende Umgestaltungsfähigkeit, welche selbst an ein und derselben Ortlichkeit im Rahmen vieler Arten zu beob- achten ist, hat von jeher die Aufmerksamkeit zahlreicher Natur- freunde und Forscher auf sich gelenkt. Auch der Berichtende hat sich während eines Dezenniums eifrig damit befasst. Wir können da zum Beispiel, vielleicht auf derselben Tages- exkursion im August, konstatieren, dass die Raupe der häufigen Kup. absinthiata O]., die ein wahrer Proteus bezüglich ihres Farben- kostüms ist, sich findet: 1. Zitronengelb in den leuchtenden, goldenen Blütenähren von Solidago virgaurea L., 2. grün-an noch nicht blühenden Individuen dieser Pflanze, rosa auf den Köpfen der Statice armeria L. m Üentaureen- Blüten, oder an Callına vulgaris L., 4. weiß in den eben geöffneten Dolden der Pimpinella sawi- fraga L., Sb) Dietze, Biologie der Eupithecien. 191 5. braun auf den üppigen Sträußen der Artemisia vulgaris L., 6. ja sogar schön himmelblau auf den kugeligen Blütenständen der Suceisa pratensis Mönch. (Taf. 23 u. 24). Dietze ist diesen Dingen durch Fütterungsexperimente auch direkt nachgegangen. Die Resultate derselben sind auf Tafel 60—64 seiner herrlichen Abbildungen zur Darstellung gebracht. Benutzt wurde Zuchtmaterial von Eup. innotata Hufn., die sich ganz be- sonders dafür eignet, weil sie im Jahr konstant zwei Generationen hat und auf sehr verschiedenen Pflanzen zu leben pflegt. Die aus den Eiern von ihm erhaltenen Raupen nehmen ein verschiedenes Kostüm an, je nachdem sie auf: Prunus spinosa L., Artemisia campestris L., Tamarix gallica L., Fraxinus excelsior L. gezüchtet wurden. Es lässt sich weiter durch Experiment zeigen, dass sich von besonders wandelbaren Arten sogar das einzelne Individuum im Verlaufe seiner Entwickelung in verschiedene Gewänder kleiden lässt. Ziehen wir Kup. absinthiata Cl. vom Ei auf und führen die gleiche Raupe rechtzeitig, d. h. jedesmal vor einer weiteren Häu- tung, sukzessive auf Blumen, z. B. Astern, von verschiedener Farbe: „weiß“, „rosa“, „blau“ über, so können wir dasselbe Individuum nacheinander: weiß, rosa und blau gestalten. Die Farbe gewisser Schmetterlingsraupen rührt wesentlich von bestimmten, umgewandelten Pflanzenpigmenten her, welche der Nahrung entstammen (efr. Ch. Schröder: Die Entwickelung der Raupenzeichnung und die Abhängigkeit der letzteren von der Farbe der Umgebung. Berlin, R. Friedländer, 1894. — G.B. Poulton: Proceed. Royal Societ. 1894, Vol. LIV). Die Gattung Eupithecia gewinnt nun aber ein viel weiter- gehendes Interesse dadurch, dass sie, wie in unserer Flora etwa die Gattungen Fberacium und Rosa, und in unserer Falterwelt ın besonderem Maße die Genera: Hesperia Wats. (Syrichthus B.), Agrotis und Zygaena, sich gegenwärtig in vollem Flusse der Um- gestaltung befindet. Es kommt dies von vornherein durch eine außerordentliche Menge, vielfach schwer scharf voneinander zu trennender Arten zum Ausdruck. — Dietze bildet, wie bereits erwähnt, auf Tafel 69-—-80 900 verschiedene Falterindividuen ab, die etwa 200 Arten angehören mögen. — Ja es gibt hier unzweifel- haft einzelne Individuengruppen, welche gerade gegenwärtig im Begriffe stehen, aus dem Rahmen ihrer bisherigen Arten überzu- borden und sich zu selbständigen, neuen Arten umzugestalten (cfr. bezüglich dieser Dinge: K. Dietze: Beiträge zur Kenntnis der Eupi- thecien. Entom. Zeitschr. Iris, Dresden 1903, p. 331—387, 2 Taf. Abb.’ e: a. ].). So ist es denn eine überaus reizvolle Aufgabe, diesen Umge- staltungen und Neubildungen, welche vielleicht, in manchen Fällen 192 Dietze, Biologie der Eupithecien. gewiss zur Herausgestaltung und Abzweigung neuer Arten führen, bis in die allerfeinsten Einzelheiten hinein nachzugehen. Das interessante Problem is von verschiedenen Forschern in verschiedener Weise ın Angriff genommen worden: M. Draudt ın Königsberg leuchte, von Dietze angeregt und reichlich von ıhm mit natürlichem Material versorgt, die Struktur der Eischalen, welche eine von Art zu Art wechselnde, sehr eigen- artıge Skulptur erkennen lassen (cfr. M. Draudt: Zur Kenntnis der Eupithecien-E Eier, Entom. Zeitschr. Im is, Dresden 1905, p. 230— 320 u. Taf. IU— VI, ferner K. Dietze: Biologie der 'Eupitheei en, Berlin, Friedländer u. Sohn, 1910, Tat, 81 u. 82). Wilhelm Petersen in Reval studierte durch zahllose Präpa- rate die männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane, die inneren sowohl wie die äußeren, um einen Einblick ın die verwandtschaft- lichen Beziehungen der verschiedenen Formen zueinander zu ge- winnen. Die Arbeit, mit vielen Abbildungen illustriert, erschien in der Entom. Zeitschr. Iris, Dresden 1909, p. 203— 314 mit 32 Tafeln, Abbildungen. „Ein Beitrag zur Kenntnis der Gattung Eupithecia Curt. Vergleichende Untersuchung der Generationsorgane.*“ Unser Autor Dietze aber ging ein Menschenalter hindurch mit unermüdlichem Eifer der Erforschung und Untersuchung des Raupen-, Puppen-, und Falterstadiums nach. Bis an die Grenzen des ewigen Schnees einerseits, bis an den Saum der Sahara anderer- seits erstreckten sich wieder und wieder seine Exkursionen. Von einer ganzen Anzahl Arten fand er die bisher vollkommen unbe- kannten Raupen an ihren Futterpflanzen in der freien Natur auf, oder erschloss uns deren Kenntnis durch Zucht aus dem Ei. Auch die Entdeckung einer ganz neuen Art — in allen ihren Entwicke- lungsstadien — der druentiata Dietze von Digne (Dep. Basses Alpes), an Artemisia camphorata Vill., an der sie lebt, als Raupe auf Tafel 31 wiedergegeben, verdanken wir seinem Forscherfleiße. Mit der Ausarbeitung des Textes!) zu dieser einzig dastehenden Mono- graphie ıst der Autor zurzeit noch eifrig beschäftigt. Sie wird uns nicht nur eine ın hohem Grade vollständige Übersicht über diese reizvolle und schwierige Gattung bringen, "sondern zugleich neue und tiefere Einblicke in den Werdeg: ıng der Arten, also in eines der interessantesten und wichtigsten Probleme der Naturforschung. Dass das Prachtwerk Dietze’s keiner Universitäts-Bibliothek fehlen sollte, braucht nach dem Gesagten wohl nicht noch be- sonders betont zu werden. M. Standfuss, Zürich. 1) Nach einem soeben von Dietze dem Referenten zugegangenen Briefe ist der Text im Manuskript gerade jetzt fertig geworden. Ferner besagt derselbe, dass zu den 82 Tafeln noch vier weitere Tafeln als Ergänzung hinzukommen: Zwei davon stellen von 10 Arten die Entwickelung des Rückenornamentes der Raupen in je 9 Stadien dar. Die dritte bringt 105 weitere Falterformen, nämlich Fig. 901—1005. Die vierte zeigt 28 verschiedene Imagines von Kup. reetangulata L., eine Reihe von der dunkelsten Form bis zur hellsten hin und von dieser wiederum alle Übergänge bis zur dunkelsten, Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 193 Katalepsie der Phasmiden. (Vorläufige Mitteilung.) Von Peter Schmidt, Privatdozent der Kaiserl. Universität zu St. Petersburg. Im Herbst 1912 habe ıch durch die Liebenswürdigkeit von Herrn Prof. S. J. Metalnıkow aus dem unter seiner Leitung stehenden Petersburger Biologischen Laboratorium eine ziemlich große Anzahl Eier von einer indischen Stabheuschrecke Cnrausius (Dixippus) morosus Br. v.W. erhalten. Aus diesen Eiern, die sich in einem kleinen Glase an meinem Arbeitstische bei gewöhnlicher Zimmertemperatur befanden, begannen bald winzige Larven dieser Phasmiden auszuschlüpfen und ım Laufe von 2—3 Monaten gelang es mir trotz dunkler Winterzeit mehrere Dutzende jetzt schon zum Teil groß gewordener Phasmiden zu züchten. Sie gedeihen ausge- zeichnet in einem umfangreichen Glasgefäße und werden von mir hauptsächlich mit Petersilie genährt, die sie sehr gerne fressen. Bei alltäglicher Beobachtung dieser in sehr vielen Beziehungen interessanten tropischen Insekten, die auch die Aufmerksamkeit anderer Forscher auf sich schon gelenkt haben, waren mir einige Eigentümlichkeiten ın ihrem Verhalten aufgefallen, die mir höchst sonderbar zu sein schienen. Diese Eigentümlichkeiten sind, wie es scheint, von anderen Beobachtern außer acht gelassen — wenig- stens konnte ich ın der mir zugänglichen Literatur keine Berück- sichtigung dieser interessanten Erscheinungen vorfinden. Ich unterzog die Tiere einer experimentellen Untersuchung und kam zu einigen Schlüssen, die vielleicht auch von allgemeinem Interesse sind, zu- mal sie auch einige Andeutungen auf den Zusammenhang mit anderen — auch leider wenig erforschten — Lebenserscheinungen der Insekten geben. Erst vor kurzem war die Biologie von Carausius (Dixippus) morosus Br. v.W. von Herrn Otto Meissner!) gründlich erforscht. In beinahe allem, was die Lebensweise von Carausius betrifft, kann ich seine ausführlichen Beobachtungen und Angaben nur bestätigen, sofern wenigstens meine eigenen bedeutend kürzeren und bei un- günstigeren Verhältnissen (im Winter) gemachten Beobachtungen es erlauben, — aber die speziell mich interessierenden Fragen waren von diesem Forscher auch gar nicht berührt. Die Anwesen- heit der Abhandlung von Otto Meissner erlaubt mir aber auf die weiteren biologischen Einzelheiten hier vorläufig nicht einzu- gehen und speziell nur meine Beobachtungen und Versuche, die auf das „kataleptische“ Verhalten der Tiere Bezug haben, darzu- legen. 1) Biologische Beobachtungen an der indischen Stabheuschrecke Di.xippus morosus Br. Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiologie, Bd. V, 1909, Heft 1—3. 194 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. Die von mir bei Zimmertemperatur gezüchteten Stabheuschrecken (Carausius morosus Br. v. W.) sınd ım allgemeinen sehr wenig be- wegliche Tiere, und zwar scheint ihre Beweglichkeit mit dem Alter und dem Entwickelungsgrade abzunehmen. Übrigens selbst die neugeborenen Insekten gehen sehr wenig herum, — sie sitzen meistens bewegunglos. Die 5—6 cm langen jungen Tiere, mit denen ich hauptsächlich experimentierte, sitzen wahrscheinlich °/,, ihres Lebens olıne geringster Bewegung an der Wand des Glas- gefäßes oder an den Sten- geln der Petersilie. Dabei nehmen sie gewöhnlich die auf Fig. 1A abgebildete?) höchst charakteristische Stellung an. Mit 4 hinteren, breit aufgespreizten Beinen klammern sie sich fest an den Gegenstand an (sie ver- mögen sich auch sehr wohl an dem Glase zu halten und nur wenn das Glas feucht ist, gleiten sie aus); die 2 Vorderbeine werden zusammen mit den beiden borstenförmigen Fühlern schnurstracks nach vorne gerichtet und mit den kon- vergierenden Endspitzen zu- sammengehalten, so dass alle diese 4 Extremitäten eine natürliche Verlänge- rung des stäbchenförmigen Biel A EEE Carausius morosus Br. y. Wen Körpers bilden. Es ist in- der gewöhnlichen sitzenden Stellung. Nat. Gr. 5 ae s S =: teressant, dass wir bei (arau- 3 — Kopfende von unten. ab — Einkerbung an dem Schenkel. Vergr. Vol. Faussek gez. sius. eine morphologische, speziell für diese Stellung bestimmte Einrichtung vorfinden, denn nicht anders als eine solche kann die an den Femora der Vorderbeine vorhandene tiefe Einkerbung verstanden werden, in die bei ausgestreckten Vorderbeinen genau die Kopfseiten passen (Fig. 1B). Was das Abdomen betrifft, so wird es bei dieser Stellung auch ganz gerade gehalten oder höchstens wird sein Hinterende etwas bogenförmig emporgerichtet. In dieser Lage, ohne selbst mit einem Fuße oder mit einem Fühler zu zucken, 2) Für die naturgetreue Wiedergabe verschiedener Stellungen der Phasmiden spreche ich meinen besten Dank Herrn Stud. rer, nat. Voldemar Faussek aus! Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 195 sitzen die Tiere, wenn sie nicht gestört werden, mehrere Stunden hindurch. Nur dann und wann, nach einer sehr langen Pause, und meistens ın der Nacht, setzt sich das eine oder das andere Tier, wahrscheinlich durch Hunger getrieben oder aus anderen, inneren, schwer zu ermittelnden Gründen, in Bewegung. Dabei wird dieses „Sich-ın-Bewegung-setzen“ auch sehr charakteristisch ausgeführt. Das Tier beginnt zuerst sich auf seinen langen stelzenartigen Beinen in der Seitenrichtung hin und her in raschem Tempo zu schaukeln, als ob es seine Beine elastischer und mehr geeignet zum Gange machen wollte und nur nachdem eine Zeitlang diese „Vorübung* ausgeführt wird, getraut sich das Tier seinen Beinen und läuft oder — was wohl öfter geschieht — geht ruhig fort. Von OÖ. Meissner wird dieses Hin- und Herschaukeln für „ein Mittel, um sich vor Feinden zu schützen und diese zu schrecken“ (l. c., p. 88) gehalten, ich finde aber keine Anhaltspunkte zu solcher Annahme und glaube, dass solche Bewegungen kaum jemanden erschrecken könnten, — eher könnte man annehmen, dass sie für das Tier ungünstig sınd, da sie es seinen Feinden bemerkbarer machen. Es scheint mir natürlicher, diese Bewegungen als wirkliche Vorübung der Mus- keln nach einer manchmal sehr lange währenden Starrheit der- selben und vor ihrer zweckmäßigen und zielbewussten Anwendung zu deuten. Bei oberflächlicher Beobachtung wird wohl von jedem die sitzende Stellung der Phasmiden für die gewöhnliche, einem be- liebigen Tiere — sobald es nicht gestört und nicht beschäftigt ist — eigene Ruhestellung angenommen. Es kann wohl eine solche Stellung auch als eine Schlafstellung angesehen werden, dass man aber in ihr, oder noch mehr in der liegenden (s. unten) Stellung eine „Schreckstellung“ ersehen könnte, wie das O. Meissner voraussetzt (l. c., p. 61), scheint mir auch ganz unannehmbar zu sein, — wie und wen könnte eine solche Stellung, bei der das Tier „sich tot stellt“ und „in der Tat einem Ast oder Stengel ziemlich, oft täuschend ähnlich ist* (©. Meissner, ibid.), erschrecken ? Es genügen aber schon wenige und dabei ganz primitive und leicht ausführbare Experimente, um sich zu überzeugen, dass die Sache hier nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint und dass der Zustand des ruhenden Carausius nicht anders als kataleptisch genannt werden muss. In der Tat, wenn man einem so ruhig sitzenden Tiere vor- sichtig unter dem Kopf eine Pinzette einführt und damit den Kopf nach oben schiebt, so dass er zusammen mit Pro- und Mesothorax etwa einen Winkel von 40—45° mit dem Metathorax und Abdomen ausmacht, so behält das Tier diese unnatürliche und schwierige Positur stundenlang. Auch kann man mit derselben Pinzette die Vorderbeine und Antennen auseinander nehmen und weit aufspreizen 196 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. (Fig. 2) — das Resultat ıst dasselbe. Sodann kann man das Tier umwerfen — dann liegt es bewegungslos auf dem Boden des Ge- fäßes mit weit aufgespreizten Beinen, die genau dieselbe Stellung behalten, die sie auf der Glasoberfläche hatten. Besonders seltsam ıst die Erscheinung, wenn eine ganze Masse auf der Wand sitzender Carausius auf einmal umgeworfen wird — dann liegen sie da wie ein Haufen leichenstarrer Kadaver, die dieselbe Stellung behalten, die sie beim Sitzen vorzeigten. Öfters nehmen sie aber beim Fallen Fig. 2. Carausius in der kataleptischen Stellung mit aufgespreizten Vorderbeinen. Nat. Gr. Vol. Faussek gez. Fig. 3. Carausius in der liegenden kataleptischen Stellung, von der Seite. auch eine andere Positur (Fig. 3): die Vorderbeine zusammen mit den Fühlern werden nach vorne ausgestreckt, das zweite Beinpaar wird ebenfalls ausgestreckt, nach vorne gerichtet?) und dicht an den Körper gedrückt, das dritte Beinpaar wird im gestreckten Zu- stande nach hinten gerichtet und auch an den Körper gelegt (die Tibiae stehen etwas vom Abdomen ab). Diese Stellung kann wohl als die Stellung der vollkommensten Katalepsie und zugleich auch der vollkommensten Mimikry genannt werden, da einerseits die Tiere darin unendlich lang ohne geringste Bewegung bleiben können, andererseits aber sie in diesem Zustande am meisten an die Pflanzen- stengeln etc. erinnern. Ein tot und bewegungslos liegendes Tier kann aber wieder auf die Beine gestellt werden, ohne, wie es scheint, aus seinem kata- leptischen Zustande zu erwachen. Wenn man vorsichtig vorfährt, 3) Es ist wohl ein lapsus calami, wenn OÖ. Meissner (l. c., p. 61) schreibt, „mittlere und hintere Beinpaare liegen nach hinten gestreckt“, — das zweite Beinpaar wird nie nach hinten gerichtet, sondern immer nach vorne. Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 197 so kann man seine vier hinteren ausgestreckten Beine biegen und das Tier dann drehen und auf gebogene Beine stellen. Dabei macht das Tier gewöhnlich einige reflektorische Zuckungen und stellt sich auf wie auf Fig. 1 abgebildet. Dem stehenden Tiere können alle möglichen, selbst die unnatürlichsten und schwierigsten Stellungen aufgezwungen werden. So kann man sehr leicht ein Bein des zweiten Beinpaares in die Luft heben und das Tier steht dann stundenlang auf 3 Beinen. Auch kann man das dritte Bein- paar aufheben und das Tier auf 4 Vorderbeinen stehen lassen. Es gelang mir sogar manchmal, das Tier auf 3 Beine der einen Seite zu stellen, wo- bei es sich selbstverständ- lich auch auf das Ende des Abdomens stützen musste. Nicht nur die Beine, son- dern auch die Fühler und das Abdomen können in jede beliebige, mechanisch zulässige Lage gesetzt wer- den und behalten diese Lage sehr lang. So kann man das Abdomen nach oben umbiegen, so dass seine Endsegmente etwa 90° mit dem Horizont aus- machen, — eine solche Krümmung bekommt das Abdomen nie im normalen Zustande. : Endlich gelang Fig. 4. Auf den Kopf gestellter kataleptischer es mir, beim stark katalep- (arausius. Nat. Gr. Vol. Faussek gez. tischen Zustande, die Tiere auch direkt auf den Kopf zu stellen, wobei sie sich auf die Antennen und erstes und zweites Beinpaar, oder sogar nur auf die Antennen und erstes Beinpaar stützten und das Abdomen beinahe oder ganz perpendikulär zur Tischoberfläche gestellt war (Fig. 4). Und auch in dieser unglaublichen Stellung konnten sie sehr lange verweilen, — in einem Versuche stand das Tier in solcher Lage 4!/, Stunden! Schon aus diesen oberflächlichen Beobachtungen und leicht auszuführenden Experimenten ersieht man, dass der ruhige Zustand von Carausius etwas Außergewöhnliches, nicht unmittelbar mit der Ruhelage der anderen Insekten und Tieren Vergleichbares vorstellt. Es unterscheidet sich dieser Zustand auch von dem „beweglichen“ Zustande, den man „physiologisch-normal“ nennen müsste, der aber XXXII. 14 195 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. bei Carausius eher eine Ausnahme als Regel bildet. In diesen aktiven Zustand geht das kataleptische Tier bei stärkerer Reizung über, z. B. wenn man es unsanft mit der Pinzette am hintersten Bauchsegmente anfasst. Manchmal genügt aber schon ein schwächerer Reiz, z. B. „erwacht“ das Tier, wenn man es an dem Fühler zupft, an dem Beine zwickt oder es anhaucht (vgl. ©. Meissner, |]. c., p. 87). Wenn das Tier liegt, so springt es dann schnell auf seine stelzenartigen Beine auf und läuft fort, wenn es steht, so beginnt es im schnellen Tempo zu wackeln und setzt sich dann auch so- gleich in Bewegung. In seinem beweglichen Zustande reagiert Carausius auf alle Reize durch energische Fluchtbewegungen. Wenn das Tier fällt oder umgeworfen wird, so dreht es sich sogleich vermittels seiner langen Beine um und stellt sich wieder auf. Wenn man es von hinten mit einer Pin- zette anfasst und hält, so macht es die größten An- strengungen mit allen seinen 6 Beinen, um vorwärts zu kommen, und ebenso von vorne, z. B. an den Fühlern angefasst, zieht es aus allen Kräften nach hinten. Es behält auf diese Weise nichts von der im katalep- tischen Zustande vorhan- an A denen Plastizität und Nach- Fig. 5. Kataleptischer Zustand der Musken giebigkeit des Organısmus von (arausıus. —idaslier zeigt ım Gegen- teil gut ausgeprägte Willens- akte, oder wenigstens komplizierte und har usste Reflexerschei- nungen vor. Wenn schon solehe oberflächliche Beobachtungen uns eine große Ähnlichkeit der im Ruhestadium bei Carausius sich vorzeigenden Erscheinungen mit der Katalepsie des Menschen und der höheren Tiere erweisen, so zeigt uns ein näheres Eingehen in die Einzel- heiten der Erscheinungen diese Übereinstimmung noch vollständiger. In den Extremitäten des kataleptischen Tieres scheinen die Muskeln gespannt zu sein; die Femora und Tibia der Beine z. B. sind unter einem bestimmten Winkel zueinander gestellt und es muss eine gewisse Kraft angewandt werden, um diesen Winkel zu verändern, — dann aber behält das Glied auch wieder die gegebene Lage. Wenn das Tier vertikal an der Glaswand sitzt (Fig. 5 A), wobei Femor und Tibia seines Vorderfußes unter Winkel a zu- Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 199 einander stehen und man die Kraft in Punkt « anbringt (z. B. hier mit der Pinzette leicht drückt), so dreht sich die ganze Extremität in dem Hüftgelenke und nimmt die mit Punkten angedeutete Stel- lung, bei welcher Winkel « aber unverändert bleibt. Um diesen Winkel kleiner zu machen, muss man etwas stärker (Fig. 55) ım Punkt b ın der Richtung des Pfeiles drücken, dann geschieht eine Biegung im femoro-tibialen Gelenke und Winkel a wird zu Winkel £. Auch kann die Biegung im Gelenke keinenfalls eine gewisse Grenze überschreiten. Versuchen wir z. B., dieselbe Extremität aus der Stellung a Fig. 6 durch den Druck mit der Pinzette in die punktierte Lage zu bringen, so gelingt es uns nicht, — durch eine federnde Bewegung schnellt das Bein wieder zurück ın dieselbe Lage «a. ü a - ITS SIE | Sara 2 Er Ne ae Fig. 6. Kataleptiseher Zustand der Muskeln Fig. 7. Spannung der Antennen- von Carausius. muskeln von (arausius. Selbst die Muskeln der Fühler sind gespannt, und wenn man ver- suchen würde, die ausgestreckte Antenne zu biegen, so wie es auf Fig. 7 durch Punktierlinie angedeutet ıst, so streckt sich nach dem Aufhören des Druckes die Antenne wieder ganz gerade aus. Die Muskeln sind also für die Dauer gespannt, diese Spannung ist aber nicht übergroß, wie bei Tetanus, sie ist mittelmäßig und kann durch die Anwendung eines etwas stärkeren Druckes über- wunden werden, und dabei bleiben die von den Muskeln dirigierten Glieder in derselben Lage, die man ihnen aufgezwungen hat (selbst- verständlich, wenn man nicht gewisse, durch die Elastizität der Muskeln und Bänder gegebene Grenze überschreitet). Die Muskeln sind also plastisch und nachgiebig. Gerade diese Eigenschaften der Muskel sind aber für die Katalepsie des Menschen und der höheren Tiere (Hühner, Kaninchen, Frosch) charakteristisch. So finden wir eine folgende Definition 14* ID Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. des kataleptischen Zustandes der Muskel bei Charles Richet‘): „Le muscle catalepsie est... faiblement clastique, car un faible effort l’&carte de sa position primitive, et surtout incompletement elastique, car une fois &carte de sa position originelle, il n’y revient plus et garde indefinement la meme position. De meme qu’un morceau de cire ou de beurre, dans laquel on a trac& une empreinte, la conserve sans reprendre son 6&tat premier, de m@me le muscle cataleptique demeure modifie par le fait de l'effort qu’on a exerce sur lui.“ Der tetanisierte Muskel unterscheidet sich von dem kata- leptischen nach Charles Richet durch folgende Züge: „En somme l’ötat cataleptique du muscle est une contracture imparfaite. Le tetanique et le cataleptique se ressemble beaucoup. Chez l’un et chez l’autre la volont& ne peut .pas faire contracter le muscle; chez !’un et chez l’autre le muscle n’est pas reläch6; et ıln'ya entre eux qu’une differance, c’est que chez la cataleptique la con- tracture est moder6e, pouvant &tre vaincue par les plus faibles exci- tations mecaniques, tandıs que chez le tetanıque la contracture est violante et resiste A tous les efforts.“ Der Unterschied zwischen Tetanus (Starrkrampf) und Katalepsie ist also eher quantitativ als qualitativ, — die Katalepsie ist unvollständiger Tetanus; die Grenze zwischen beiden Erscheinungen kann aber doch leicht gezogen werden: in einem Falle kann die durch den Tetanus der Muskeln angenommene Lage der Glieder entweder gar nicht oder nur mit Verletzung der Muskeln und Bänder verändert werden, in dem anderen Falle dagegen sınd die Muskeln plastisch wie Wachs — woher auch der kataleptische Zustand der Muskeln von den Physiologen früherer Zeiten als flexibilitas cerea definiert wurde (Ch. Michheit, .l.c.). Nichts kann aber wohl besser unter diese Definition passen als die Erscheinungen an dem kataleptischen Carausius. Wenn man ein solches Tier vor sıch hat, so bekommt man den Eindruck, dass es aus Wachs und weichen Drähten besteht, — es kann tatsächlich jede beliebige Lage und Stellung einnehmen, die nur aus rein mechanischen Gründen zulässig ist. Die flexıbilitas cerea der Muskeln aber stellt nur eins von den Merkmalen vor, die den kataleptischen Zustand charakterisieren, — es gibt deren noch einige und auch diese sind unseren Tieren eigen. So bemerkt Ch. Richet in dem zitierten Artikel weiter „notons tout d’abord l’absence de fatigue: on sait que les con- tractures (also Tetanuserscheinungen) les plus violentes et les plus persistantes ne determinent aucune sensation de fatigue, de sorte que pendant longtemps, plusieurs heures, plusieurs jours, plusieurs mois me&me, .un muscle restera sans s’öpuiser et sans 4) Dietionnaire de Physiologie, v. II, 1897, p. 498—499. Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 201 fatıguer le sujet, vıolement contracture. Il en est tout A fait de meme pour le muscle des cataleptiques. Malgr& les positions les plus invraısemblables et les plus fatigantes nul sentiment de fatigue, nul tremblement.“ Dasselbe beobachten wir aber auch bei Phas- miden: wir können zwar keine Schlüsse über „sentiment de fatigue“ ziehen, können aber dafür auch bestätigen, dass die Tiere, ohne selbst zu zittern, stundenlang (wenn ungestört) in den denkbar un- bequemsten und schwierigsten Stellungen verbleiben können. Dass sie dabei nicht müde werden, erhellt daraus, dass nach Beendigung des kataleptischen Zustandes die Tiere ebenso schnell und munter laufen können wie zuvor. Sodann charakterisiert sich die Katalepsie beim Menschen durch mehr oder weniger ausgeprägte Unempfindlichkeit („anesthesie* nach Ch. Richet), — ein kataleptisches Subjekt kann man stechen, schneiden, sogar anbrennen, ohne dass es etwas davon fühlt. Genau eine solche Unempfindlichkeit ist aber den Phasmiden eigen und ist bei ıhnen sogar bis zum Extremen entwickelt. Ich nehme einen sich im kataleptischen Zustande befindenden jungen 5—6 cm großen Carausius und gebe ihm die charakte- ristische auf Fig. 2 abgebildete Stellung mit aufgespreizten Beinen. Sobald das Tier sich vollständig ruhig hält und nicht mehr auf seinen Füßen wackelt (das Wackeln ist ein Zeichen, dass die Kata- lepsie nicht vollständig ist), schneide ich momentan, mit einer scharfen Schere, einen Teil, etwa !/, seiner Fühler ab, — manchmal zuckt das Tier ein wenig (Resultat des Choks), bleibt aber stehen und rührt sich nicht von der Stelle, verändert auch nicht im geringsten die ihm aufgezwungene Stellung. Nach einer Pause schneide ich ihm noch !/, der Fühler ab — das Resultat ist dasselbe. Sodann schneide ich ihm die Fühler vollständig ab und beginne dann stück- weise die Vorderfüße abzuschneiden, — das Tier blutet, — kleine Tröpfehen seines grünen Blutes erscheinen an den Schnittstellen — bleibt aber wie verzaubert stehen. Wenn man genug vorsichtig verfährt und die Katalepsie vollständig ist, kann man ein Glied nach dem anderen an beiden Vorderbeinen abschneiden und das verstümmelte Tier behält immer dieselbe Lage. Ich habe gewagt ein noch unglaublicheres Experiment zu versuchen: ich schnitt dem Tiere einen Teil seines Abdomens ab! Das Resultat war das- selbe — eine kleine Zuckung als Folge des Choks und das Tier be- hält dieselbe Lage ohne sich zu rühren, es scheint seinen Verlust gar nicht zu bemerken, nicht zu fühlen! Ich schnitt in kurzen Pausen stückweise einen Ring nach dem andern ab — immer das- selbe Resultat! Es genügte aber, das Tier mit der Pinzette an dem Reste seines Abdomens zu zupfen, um es von seiner Kata- lepsie erwachen zu lassen, und dann lief es fort, indem es zwar 202 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. auch durch sein Betragen weder irgendwelche Schmerzen noch Unbehaglichkeit offenbarte. Durch diese Experimente wird erwiesen, dass die Empfindlich- keit des kataleptischen Carausius ungemein gering ist, wahr- scheinlich bedeutend mehr herabgesetzt als beim kataleptischen Wirbeltiere°), Es scheint mir durch diese Versuche die Analogie der Erschei- nungen des Ruhezustandes von Carausius mit den Erscheinungen des kataleptischen Zustandes des Menschen und der Wirbeltiere in solchem Grade erwiesen zu sein, dass man mit vollem Rechte diese Erscheinungen unter dieselbe Kategorie der Katalepsie bringen kann. Merkwürdigerweise findet diese Analogie Unter- stützung noch ın einem eklatanten Experimente, welches vollständig Fig. 8. Spannung der Körpermuskeln von Carausius. Etwas verkl. Vol. Faussek gez. mit dem bekannten und wohl bei jeder Demonstration der Hypnose des Menschen aufgeführten Versuche übereinstimmt. Beim letzten stellt man zwei Stühle auf und einen dritten dazwischen und legt dann das hypnotisierte Subjekt so auf die Stühle, dass es sich mit seinem Nacken auf dem einen Stuhle, mit seinen Fersen auf den anderen stützt; dann beseitigt man den dazwischen stehenden Stuhl und der kataleptisch ausgestreckte Körper ruht ın dieser Lage un- begrenzt lange Zeit und kann sogar noch eine beträchtliche auf ıhn gelegte Last aushalten. Genau dasselbe kann man aber mit jedem kataleptisch ausgestreckten Carausius unternehmen. Man nimmt z. B. zwei gleichstarke Bände und legt das Insekt, so wie es auf Fig. 8 angegeben ıst, dazwischen. Das Tier stützt sich dabei nur auf die Endspitzen seines ersten Beinpaares und seiner Fühler 5) Es ist mir übrigens nicht bekannt, ob schwerere chirurgische Operationen an den kataleptischen Wirbeltieren resp. Menschen versucht worden waren. Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. 203 und auf die Endspitze des Abdomens. Es kann aber in dieser schwierigen Lage unendlich lange bleiben und sogar eine gewisse Last (z. B. eine Reihe zusammengebogener Papierstreifen) aushalten. Wenn man zu viel Papierstreifen darauf legt, so biegt sich das Tier bogenförmig aus, erwacht aber doch nicht aus seinem hypno- tischen Schlafe! Ich muss wohl gestehen, dass durch den Beweis der Ana- logie der Carausius-Erscheinungen mit der Katalepsie der höheren Tiere noch wenig gewonnen wird, da die kataleptischen Erschei- nungen (auch bei Arthropoden schon bekannt, z. B. beim Fluss- krebs) selbst noch wenig erforscht sind und ein ungelöstes Rätsel vorstellen. Es wäre wohl bedeutend wichtiger, zu erfahren, an welche Teile des Organismus diese kataleptischen Erscheinungen gebunden sind, in welcher Beziehung sie zu anderen Nervenerscheinungen stehen, durch welche äußere Reize sie hervorgerufen werden, welchen biologischen Wert sie haben und wie sie genetisch aufzufassen sind? Ich stehe diesen Fragen gegenüber noch ganz im Anfange der von mir unternommenen Forschung, kann aber doch, wie mir scheint, einige interessante und meines Wissens noch von niemandem beobachtete Tatsachen mitteilen. Ich nehme einen kataleptischen, mit aufgespreizten Vorderbeinen stehenden (arausius und, sobald die Katalepsie mir vollständig zu sein scheint, trenne durch einen raschen Schnitt seinen Kopf, Pro- thorax und die vordere Hälfte des Mesothorax von dem übrigen Körper ab. Der Körper bleibt auf 4 Beinen stehen, als ob nichts geschehen wäre, das Kopfstück fällt und behält auch die Stellung, die es gehabt hatte, d. h. die Beine bleiben aufgespreizt, die Fühler nach vorne gerichtet. Nach einigen Minuten werden aber die Beine des Hinterstückes lahm und können die Last des Körpers nicht mehr tragen. — Der Rumpf legt sich auf den Tisch, sonst bleiben aber die Beine in derselben Stellung wie früher. Wenn man aber Jetzt den Zustand der Beinmuskeln untersucht, so sieht man so- gleich, dass von der „flexibilitas cerea“ nichts geblieben ist! Das Hinterstück ist zu eimem höchst empfindlichen reflek- torıschen Apparate geworden. Sobald man einen Fuß mit der Pin- zette anrührt, zuckt er und zucken meistens auch die anderen Beine; wenn man das Abdomen an der Endspitze mit Pinzette anfasst, so biegt es sich bogenförmig um und das dritte Beinpaar klammert sich um die Pinzette, wie wenn das Tier am Leben wäre. Die kataleptischen Erscheinungen aber sind spurlos verschwunden und nie gelingt es, sie wieder hervorzurufen; dagegen scheinen oft einige Muskeln tetanisiert zu sein, da die Beine beim Anfassen öfters im Hüftgelenke abbrechen, — es ist eine Art künstliche Autotomie entstanden, die bei normalen Tieren, trotz ihrer großen Regene- 204 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. rationsfähigkeit, von mir niemals beobachtet wurde‘). In Ruhe gelassen steht das Hinterstück bewegungslos auf seinen 4 Beinen und macht nur dann und wann schwache Bewegungen, die wahr- scheinlich durch innere Reizung des Nervensystems von der Blu- tung und Austrocknung hervorgerufen werden. Es zeichnet sich überhaupt Carausius durch eine ungemein große Lebenszähigkeit aus. Wenn ein Hinterstück vor Blutung und Austrocknung durch eine vorne gleich an der Schnittfläche angebrachte Ligatur verhütet wird, so bleibt es mehrere Tage (einige Hinterstücke lebten bei mir 12 Tage!) ganz in derselben Lage am Leben und zeigt dieselben Reflexerscheinungen wie gleich nach der Operation. Erst allmählich und zwar hauptsächlich wegen Austrocknung und Nahrungsmangel, erlöscht das Leben in diesem kopflosen Stücke, — ich bin aber überzeugt (und hoffe, dass es mir später gelingen wird, experimentell zu beweisen), dass, wenn man es künstlich ernähren und vor Austrocknung schützen könnte, ein solches Stück bedeutend länger am Leben bleiben und vielleicht sogar wachsen und sich häuten könnte. Ganz anders verhält es sich nun mit dem Kopfstücke. Es ist weniger lebensfähig und durch Ligatur vor Blutung geschützt, bleibt es nur 2—3 Tage am Leben. Es verhält sich aber vollständig so, wie wenn es normal an dem Körper befestigt wäre und das einzige, was es unterscheidet, ist auch eine bedeutend größere Brüchigkeit der Beine im Hüftgelenke. Die Fähigkeit zur Katalepsie und die „flexibilitas cerea* wird in dem Kopfstücke erhalten, wenn auch nicht so scharf ausgeprägt, wie im normalen Tiere. Wahr- scheinlich wird der kataleptische Zustand von der inneren, durch die Austrocknung und vielleicht auch durch die von der Operation bedingte Reizung gestört. Jedoch kann man oft beobachten, dass das Kopfstück stundenlang bewegungslos mit ausgestreckten Beinen und Fühlern liegt. Sonst aber gereizt, kann es auch ganz munter mit Hilfe seines Beinpaares herumspazieren, wobei es vollkommen dieselben Bewegungen ausführt wie in normalen Verhältnissen. Diese Experimente habe ich mehrmals wiederholt und stets dieselben Resultate erzielt. Es fragt sich nun, was für Schlüsse daraus gezogen werden können? Der Unterschied im Verhalten der beiden Stücke den kataleptischen Erscheinungen gegenüber kann, wie es scheint, nur dadurch erklärt werden, dass die Fähig- 6) O. Meissner (l. e., p. 60) konnte die Autotomie auch niemals direkt be- obachten, setzt aber ihre Möglichkeit voraus, da die Beine immer an derselben Stelle abgebrochen oder abgebissen sind. Auch nach O. Meissner verursacht „der bloße Reiz durch Anfassen. Festhalten, Ziehen und Kneifen eines Beines noch keine Autotomie“, — er vermutet aber, dass kräftige Bisse es tun. Nach meinen Beob- achtungen autotomieren aber die ganz kleinen eben ausgeschlüpften Carausius sehr leicht ihre Vorderbeine beim unsanften Anfassen mit der Pinzette. Schniidt, Katalepsie der Phasmiden. 205 keit zur Katalepsie von den Kopfganglien’) abhängig ist. Das Schwinden der Fähigkeit zur Katalepsie im Hinterstücke nach Durchschneidung des Bauchstranges beweist, dass die Katalepsie nicht durch einen besonderen, von der Umgebung (etwa von der Zusammensetzung des Blutes) abhängigen Zustand der Nerven und Muskeln bedingt wird, sondern von den Kopfganglien ausgeht und wahrscheinlich eine besondere Art Nervenerregung‘°) vorstellt. Diese spezifische Art Nervenerregung wird durch uns unbekannte innere Prozesse an den Zentralorganen des Nervensystems hervor- gerufen und wird sodann durch Vermittelung der Leitungsbahnen des Bauchnervenstranges auf das ganze Nervensystem (wahrschein- lich mit Ausschluss des sympathischen) übergeleitet. Sie ruft überall eine vollkommene Depression der reflektorischen Tätigkeit, eine Depression der Empfindlichkeit und einen besonderen, nahezu Tetanus- zustand der Muskelkontraktion, hervor. Ebendiese sämtlichen Resul- tate der spezifischen Nervenerregung werden von uns „Katalepsie“ genannt®). Bei Läsion des Zusammenhanges der Zentraluerven- organe und des Bauchstranges schwindet auch die Möglichkeit des Auftretens der Katalepsıe. Es fragt sich nun, wodurch diese spezifische Nervenerregung ein- geleitet wird? Soweit meine Beobachtungen bis jetzt ausreichen, kann man keinen Zusammenhang zwischen den äußeren Fak- toren und dem Übergange der Phasmiden zum katalep- tischen Zustandefeststellen. Wohl möglich, dass weitere darauf gerichtete Studien auch dieses Gebiet etwas aufklären werden, vorläufig konnte ich aber weder einen festen Zusammenhang zwischen dem Eın- 7) Das erste Bauchganglion des Kopfstückes spielt dabei natürlich keine Rolle, da, wenn man das Tier auch einfach dekapitiert, das Resultat ganz gleich bleibt; ich zog aber gewöhnlich vor, den Mesothorax zu durchschneiden, um das Verhalten des Kopfes näher betrachten zu können. 8) Beim Menschen wird die Katalepsie von dem zitierten berühmten franzö- sischen Physiologen als ‚une perversion de l’innervation volontaire‘“ aufgefasst. Weiter sagt Ch. Richet: „nous devons en effet concevoir Je mouvement musculaire normal comme &tant determine par cette force inconnue, ou plutöt connue par la seule conscience, que nous appelons la volonte; si cette volonte vient & faiblir, elle ne pourra plus ätre mise en jeu par les ineitations psychiques de la m@moire et de l’association des idees; elle aura b&soin pour s’exercer des incitations presantes fournies par le toucher, la vue on la sensibilit@ museulaire.“ Ob wir „la volonte“ auch bei den Insekten anzunehmen haben, scheint mir aber jedenfalls noch fraglich zu sein. 9) Meine Auffassung der Katalepsie von Carausius liegt also derjenigen von Verworn nahe. Es wird von Verworn und seiner Schule (vgl. Symansky, Pflüg. Arch. v. 148, 1912, p. 111ff.) die „sogenannte Hypnose der Tiere“ als „tonischer Reflex‘ aufgefasst. Ich finde aber bis jetzt keine Anhaltspunkte, die Carausius-Erscheinungen als „Reflexe“ aufzufassen, da ich, wie weiter auseinander- gesetzt ist, keine äußere Reize entdecken kann, die die Tiere in diesen kataleptischen Zustand versetzen. Vorläufig wird es also vorsichtiger sein, bloß von einer spezi- fischen Nervenerregung zu reden. 206 Schmidt, Katalepsie der Phasmiden. treten der Katalepsie und irgendeinem mechanischen oder chemischen Vorgange in der Umgebung konstatieren, noch künstlich diesen Zu- stand bei einem sıch im beweglichen Zustande befindenden Carausius hervorrufen. Ich habe mehrmals solche aktive Tiere durch zeit- weiliges Fixieren'°®) in der einen oder in der anderen Stellung, durch leichtes Streichen, durch das Legen auf den Rücken etc. zur Kata- lepsie zu bringen versucht, stets aber ohne Erfolg. Die Katalepsie entsteht augenscheinlich nicht aus äußeren, sondern aus uns unbe- kannten inneren Gründen. Die Vorbedingung ist nur vollständige Ruhe und Abwesenheit der äußeren Störungen. Wenn man ein aktıves Tier fortwährend beunruhigt, verfällt es gar nicht ın den kataleptischen Zustand. Sobald das Tier aber keine besondere äußere Reize erfährt (und auch vielleicht keine innere, wie z. B. Hunger), steht es nach einigem Wandern endlich still, wackelt eine Zeitlang auf seinen Stelzenbeinen, streckt meistens seine Vorder- beine mit den Antennen zusammen nach vorne aus und wird be- wegungslos — die Katalepsie ist eingetreten und man kann jetzt dem Tiere jede beliebige Stellung aufzwingen. Um in Zukunft den Missverständnissen zu entgehen, würde ich vorschlagen, die Carausius-Erscheinungen den anderen Fällen der Katalepsie bei den Tieren als Autokatalepsie gegenüberzustellen. Selbstverständlich steht die Erscheinung der Katalepsie der Phasmiden nicht ganz isoliert im Tierreiche da. Sie kann mit vielen anderen — leider ebensowenig erforschten Erschei- nungen — in Zusammenhang gebracht werden, so vor allen Dingen mit der Erscheinung des „Sichtotstellens“ mehrerer Insekten (sogar ganzer Insektenfamilien) und anderer Tiere. Der Zusammenhang ist desto näher, als ein kataleptischer umgefallener und mit ausge- streckten Beinen daliegender Carausius auch als ein „sich tot stellendes Tier“ aufgefasst werden kann. Die Erscheinung des „Sichtotstellens“ erinnert sehr (nicht nur der biologischen Bedeu- tung nach, sondern auch äußerlich) an die Katalepsie, es ist aber bis jetzt, wie es scheint, in dieser Richtung beinahe unerforscht ''). Sehr nahe an die Katalepsie sind wahrscheinlich auch die anderen Fälle der zeitweise auftretenden und mit Mimikry verbundenen Un- beweglichkeit der Tiere — z. B. bei den Spannerraupen, die den 10) Beim Flusskrebse führt ein solches Fixieren bekanntlich zur vollständigen Katalepsie. 11) Die einzige experimentelle Arbeit, die sich auf diese interessante Er- scheinung bezieht, ist, meines Wissens, die von Holmes („Death-feigning in Ranatra“, Journ. Comp. Neurol. a Psychol. vol. XVI, 1906). Seine Resultate differieren in einigen Beziehungen mit den von mir an Carausius erhaltenen bezüg- lich der Bedeutung des Zentralnervensystems. Nächstens hoffe ich selbst einen Vergleich mit den Erscheinungen an Ranatra zu veranstalten, wenn es mir nur gelingen wird, diese hier nicht vorkommenden Insekten von Südrussland zu beziehen. Tas Schmidt, Katalepsie der Phasmiden, 207 Baumästchen nachahmen — aber auch diese Fälle scheinen experi- mentell nicht näher untersucht zu sein. Endlich hat die Katalepsıe gewiss auch einige und vielleicht sogar nahe Beziehungen zum normalen Schlafe und Winter- (resp. Sommer-) Schlafe der Insekten. Diese Erscheinungen aber haben bis jetzt auch sehr werig Aufmerksamkeit der Naturforscher auf sich gelenkt und besonders von unserem Standpunkte aus bleiben sie vorläufig ganz unaufgeklärt. Es ist aber sehr leicht möglich, dass es sich bei näherer Untersuchung erweisen wird, dass der Schlaf der Insekten öfters in die Katalepsie übergeht oder sogar direkt vom kataleptischen Charakter ist. Der biologische Wert und die Bedeutung der Katalepsie der Phasmiden ist wohl nicht schwer zu begreifen. Die Organi- sation dieser Insekten ist für die bis zum Extremen entwickelte Mimikry angepasst. Ihre äußere Körperform, ihre Färbung, ihre vollständige Flügellosigkeit — alles ist eingerichtet, um die größt- mögliche Ähnlichkeit mit den unbeweglichen Pflanzenteilen her- vorzurufen. Die kataleptische Unbeweglichkeit vom biologischen Standpunkte aus ıst nichts anderes als eine spezifische An- passung des Muskel- und Nervensystems an denselben Zweck. Im Vergleich zur gewöhnlichen Unbeweglichkeit anderer Tiere bietet die Katalepsie einige Vorteile: erstens wird dabei wahr- scheinlich an Energie gespart, da die Tiere, wie oben bemerkt, im kataleptischen Zustande keine Müdigkeit vorzeigen, zweitens werden dabei die reflektorischen Bewegungen unterdrückt, der Körper wird plastisch wie Wachs, und die äußeren mechanischen Einflüsse, die auf ıhn wirken, rufen in ihm keine heftigen Bewegungen hervor, die das Tier bemerkbar machen könnten; wenn z. B. ein sich im kataleptischen Zustande befindendes Insekt durch einen Windhauch oder durch ein fallendes Blatt ete. aus seiner primären Lage ge- bracht wird, so zuckt es nicht sogleich zurück, wie jedes andere lebende Wesen gemacht hätte, sondern bleibt in dieser neuen Lage unbeweglich stehen. Dadurch steigt die Ähnlichkeit mit den unbe- lebten Gegenständen bis aufs Äußerste, — und dies ist gewiss auch der Zweck dieser Einrichtung! Jedenfalls ist diese Anpassung eine von den interessantesten und seltsamsten die wir kennen, da hier nicht eine morphologische, sondern eine physiologische Einrichtung ausgenützt wird, und zwar eine solche, die wir bis jetzt nur in künstlichen, vom Menschen ge- schaffenen Bedingungen kannten. Es ist, wie mir scheint, der erste Fall der normalen, regulären und von den inneren Gründen bedingten Katalepsie im Tierreiche! St. Petersburg, 15. Januar 1913. I0S Mola, Nuovi ospiti di uccelli. Nuovi ospiti di uccelli contributo al genere Hymenolepis nota del Dottor Pasquale Mola. (Mit einer lithographischen Tafel.) Il genere Hymenolepis, creato dal Weiland nel 1858, & rap- presentato da un numero considerevole dı specie; riesce per cio diffieile allo studioso la sistematica dı questo genere. In seguito esso fu diviso ın due sotto-generi: Hymenolepis s. str. e Drepanıdotaenia. Il genere Drepanidotaenia era stato creato dal Bailliet per avere esso riscontrati in alcune specie dei caratteri non comuni a tutte le Hymenolepis e talı da poter, secondo lui, costituire un genere nuovo che sı distinguesse dall’ Hymenolepıis. Tale genere perö fu ammesso come un sotto-genere e fu accettato, forse, per districare alquanto il caos in cui si trovava lo studioso. Poiche ı caratterı che sı attrıbuivano a questo nuovo sotto- genere non avevano tale forza da obbligare a scindere ıl genere Hymenolepis; tanto piü che, anzı questa divisione, a parer mio, creö maggior confusione. Oggidi le Drepanidotaenie sono incor- porate nelle Hymenbolepis. Pit tardı dı nuovo il genere Hymenolepis subi una suddivisione, c1o@: Hymenolepis s. str. ed Echinocotyle, Blanchard. I caratterı dı quest’ultimo sottogenere sono: „Arten mit 10 Haken am Rostellum. Die Saugnäpfe groß mit feinen Häkchen am Rande und ın der Mitte. Immer ein Sacculus accessorius.“ Quanto valore abbıa il sottogenere Echinocotyle stabilito nel 1891 con I’E. rosseteri Bl. non & mio compito discutere, perch@ divagherei dall’argomento che mı sono prefisso; solo ora lo accetto per stabilire a quale sottogenere debbono ascriversi le specie in esame. Dall’esame, che qui appresso descriverö, sono venuto nella convinzione che i cestodi, da me riuvenuti, appartengono al sotto- genere Hymenolepis e che, per caratteri specificı non riscontrabili in nessuna delle moltepliei specie finora conosciute, essi costi- tuiscono Specie nuove. I rarı esempları, che posseggo, furono, fissati con soluzione satura dı sublimato corrosivo e le preparazioni sono state colorate con carminio allumico, che mi ha dato dei buoni risultatı. Premetto intanto che gli uccelli in cui rinvenni i cestodi in parola non sono nidiacı in Sardegna, ma la loro distribuzione geografica € anzı ben lungi dal luogo dı cattura. Sono uccelli orientaliı che viıvono nell’Asıa: ıl Pterochdurus alchatus (Linn.) nella Palestina, nell’Asıa centrale e nel nordovest dell’India e la Netta Rufina (Pallas) nell’Asia centrale, nel nord dell’India e coste Mola, Nuovi ospiti di uccelli. 909 orientali del Mare Mediterraneo. Il numero dei cestodi che essı albergano, e che finora sono statı trovatı ın essı, & limitatissimo; nella Grandula (Pteroclidurus alchatus) € stata trovata la sola taenia obvelata, Krabbe e nel Fistione turco (Netta rufina) l’ Hymenolepis lanceolata (Bloch) ıl Diploposthe laevis (Bloch) e la Fimbraria fasciolaris (Pallas). Come pure devesi aggiungere che nessuna Hymenolepis finora fu trovata in tutto lordine Columbiformi in generale e Pteroclidurus alchatus in particolare e che, mentre neglı Anseriformi abbondano le Hymenolepis, la Netta rufina ne era affetta da un unica specie. Devesi quindı considerare fra ı parassıti dell’ordine dei Cblumbi- formi come prima rappresentante dell’ Hymenolepis la nuova specie da me trovata, mentre nell’ordine degli Anseriformi la nuova specie Hymenolepis riggenbachi ne arricchisce la serie. * Prima dı fare la diserizione delle nuove specie ringrazio vIiva- mente il prof. Dott. Otto Fuhrmann dı Neüchatel per avermi facılıtato lo studio di dette specie con consigli da maestro, onde rendere agevole e sicura la pubblicazione del presente lavoro. 1. Hymenolepis rosenthali, mıhı. Considero come appartenente ad una nuova specie dı Hymeno- lepis aleuni rarı esemplari che rinvenni nell’intestino tenue dı un Pteroclidurus alchatus (Linn.), Grandula, catturato nell’antunno del 1906 a Porto-torres (Sardegna). Gli esempları dı tale specie hanno in media una lunghezza di mm. 97 ed una larghezza dı mm 0,95, si presentano come esili nastrini, ı quali ristretti anteriormente vanno gradualmente allar- gandosı, conservando pero sempre ıl medesimo spessore e sono costituiti da un numero considerevolissimo di proglottidi. Fo osservare che in un esemplare da me posseduto le ultime proglottidi vanno restringendosiı man mano. Tale restringimento comincia a manifestarsı dalla 12° proglottide, contando in senso inverso. (uesta ultıma parte della catena strobiliare prende ıl minuscolo aspetto dı una gradinata piliforme. In tutte le ultime 12 proglottidi non sı osservano organı genitali, i qualı solo dalla 133, sempre in ordine ascendente, cominciano a comparire. In avantı lo strobilo @ sormontato da uno scolice, piuttosto grande, provvisto dı un lungo e ben distinto collo. Lo scolice ha forma grossolana dı un pomo da bastone, lieve- mente piramidato in alto, tetragonale; sulle quattro facce, disposte in croce, presenta quattro grosse ventose a forma di coppette, oblique in alto. Misura in lunghezza mm. 0,55 e il suo diametro trasverso, preso nel mezzo delle ventose, &@ dı mm. 0,4. Ciascuna ventosa inerme, ellissoidale, circolare solo per compressione, ha il 210 Mola, Nuovi ospiti di uccelli. diametro maggiore dı mm. 0,14 ed il minore dı mm. 0,11; ı margini salienti presentano le fibre muscoları radıalı e circolari ben svilup- pate, le prime perö prendono ıl dominio sulle altre. Nel centro dello scolice sı osserva un rostello armato da una serie dı otto uncini, disposti simmetricamente sulla sua parte in- grossata. 11 rostello si trova immerso nel parenchima ed ha forma dı clava di cuı la parte ingrossata sta superiormente; la sua lunghezza & dı mm. 0,63 ed & rivestito da fascı muscoları circoları ben sviluppati e da fascı muscoları longitudinalı, che glı permettono dı protendersi 0 d’invaginarsı. AlFesterno, quando il rostello & invaginato, sı osserva sullo scolice un piccolo foro circolare, apertura rostellare (?). Non entro in una minuta anatomia dı questo caratteristico rostello della specie in esame, perch@ per tale studio dovrei essere in possesso dı molto materiale, cıö che mi fa difetto. Solo suppongo, che il sacco rostellare, ıl quale & munito di potenti fasci muscolari circoları, venga fuorı dall’orifizio rostellare col contrarsi dı questi fascı e che poi, rılassandosı e contraendosi le fibre muscoları longitudinali, ıl rostello riprenda il suo abituale posto. Tale movimento, da me supposto, potrebbe paragonarsi gros- solanamente a cıö che avviene nello stantuffo dı una locomotiva. La divisione delle due distinte porzioni del rostello, che il Diamare fa a proposito del Dipilidium Trinchesiu, ı0 la condivido, e ritengo (?): che la fuoriuscita del rostello, nella specie in esame, & possibile solo alla porzione armata della clava, e non al resto. Questo fatto verrebbe altresi a spiegare la funzionalitä dı tale organo; cioe& la uscita solo della porzione necessarıa ed adatta per la fissazione della specie nell’organo ospitante. Il rostello &@ armato da otto uncini, ciascuno di questi € lungo mm. 0,125 ed ha forma di coltello da caccia con manico triangolare e con lama molto arcuata e sensibilmente assottigliantesi in punta. La porzione basale sı distingue dall’altra merce un dente triangolare, puntuto in alto, che lascıa internamente vedere l’orlo che incurvasi per poı risalire a costituire, direi quası, ıl taglıo della lama. Gli 8 uncini trovansı attaccati anteriormente al rostello con il manico in alto e la lama in basso e presentano la convessitä del- Vuncino all’infuori. Fascı di fibre muscolari, per il movimento degli uncini, sono attaccati aglı uncini, tanto dall’estremo posteriore quanto al dente triangolare. Il loro insieme prende Yaspetto di mandorla. Un collo abbastanza lungo separa lo scolice dalla catena delle proglottidi; queste sı presentano, nella loro prima manifestazione, come rughe trasverse, ciö che fä distinguere la separazione fra collo e proglottidi. Mola, Nuovi ospiti di uccelli. 244 Man mano che le rughe trasverse sı rendono pıiü evidenti s’in- cominciano ad osservare I primi accenni deglı organı genitalı; poscia, proseguendo nella catena, le nal: assumono la forma rettangolare, che nelle giovanı ha il diametro longitudinale superiore a quello delle mature, che al contrario presentano un piccolissimo diametro longitudinale. Il diametro trasverso perö ın tutte le pro- glottidi @ sempre dı gran lunga superiore a quello longitudinale: esso misura nelle proglottidi giovanı mm. 0,60, nelle mature mm. 0,95. Il numero delle proglottidi & considerevolissimo, tanto che riesce difficile enumerarle. Organi genitali. Dove la segmentazione delle proglottidi @ ben manifesta ıvi compaiono glı organı genitali; ı primi abbozzı dı talı organı perö sı hanno in quelle proglottidi, che esternamente, dopo ıl collo, si manıfestano con rughe trasverse. Gli organı genitali maschili precedono, nella serie, dı poco quelli femminilı. Sul lato sinistro dı ciascuna proglottide ad un terzo della por- zıone anteriore, sub-marginale della faccıa dorsale, esiste un piccolo antro genitale che allo esterno sı manıfesta con un foro roton- deggiante, le cui pareti sono rappresentate dallo invaginamento della cuticula. Insieme nel fondo di tale antro confluiscono tanto l’apertura maschile, in basso e ventralmente, quanto quella fem- minile, in alto e dorsalmente. Organi maschili. Il primo accenno dei testicoli si manifesta con piccoli cumuli rotondeggianti, costituti da cellule rotonde, con membrana e nucleo. @uesti cumuli vanno man mano accrescendosi e si rıuni- scono tra di loro in gruppi dı 3—5, ınvolti da una sottile membrana anısta; in modo che, nelle proglottidi, da me studiate, ı gruppi di cumuli testicolari si son rıuniti in tre distinti grossi cumuli; questi sono ı testicoli della specie in parola. Essi occupano la zona cen- trale di ciascuna proglottide: due sono simmetricamente disposti alla linea mediana e superiormente a tutti glı altrı organıi genitalı, Yaltro dei 3 trovasi sempre superiormente al testicolo dı destra, ventralmente, o molto spostato o lievemente obliquo verso destra. Da ciascun testicolo ha origine ıl canalıcolo efferente, piuttosto breve a pareti esilissime. I due efferenti dei testicoli dı destra confluiscono insieme a quello del testicolo di sinistra, essi sono di differente lunghezza; l’efferente del testicolo destro situato superior- mente & piü lungo dı quello del testicolo destro inferiore, l’efferente del quale invece & uguale ın lunghezza a quello del testicolo di sinistra. 2, Mola, Nuovi ospiti di uceelli. Il deferente formato dalla fusione dei tre efferenti ınnanzı detti con un cammıno ascendente verso sınistra, passa al disotto della vagina, ventralmente, l’attraversa e, oltrepassatala, sı slarga a formare la vescicola seminale, poscia sı restringe, oltrepassa ı dotti escretori, e con cammıno da destra a sinistra penetra nella tasca del pene, dove aumenta dı calıbro e forma una seconda vesci- cola seminale o vescicola seminale esterna. Poscıa sı trasforma ın dotto eiaculatore, ıl quale sbocca all’apice del pene, attraversandolo per tutta la sua lunghezza. La vescicola seminale interna ha forma ovoidale, lunga mm. 0,2 larga mm. 0,04; quella esterna ha forma di fiasco ed ha un diametro trasverso dı mm. 0,025. Il pene & relativamente lungo e ha in tutta la sua lunghezza ıl medesimo calıbro; non mi @ dato osservarlo svaginato, neppure sotto la compressione nei preparatı. La tasca del pene & piriforme, molto allungata, ed occupa quasi tutto lintervallo tra l’orlo destro della proglottide e ı dotti escretori; essa si mantiene parallela alla linea dı demarcazione di ciascuna proglottidie e trovası nella meta anteriore. Organi femminili. Gli organi femminili trovansı, nella specie in esame, situati nella parte posteriore della proglottide. L’ovario trovası nell’ultimo quarto posteriore della proglottide e propriamente vicino al margine posteriore di questa. Esso trovası ventralmente alla vagina ed ha posteriormente il vitellogeno, lateralmente i dotti escretori e superior- mente ı testicoli. L’ovario & rappresentato da due masse irregoları, allungate nel senso trasversale, nell’insieme piriformi, ristrette medialmente: occupa la parte centrale del quarto posteriore di ciascuna proglot- tide. Ciascuna massa risulta costituita da tubiı alquanto lunghi e larghi, terminanti a fondo cieco, e tra loro convergenti. (Questi tubi in forma di otre, dı diametro e lunghezza varıa, confluiscono verso un punto centrale e sono separati glı uni daglı altrı da un esile membrana. Ciascun tubo ovarico contiene internamente le cellule uova, a forma sferica, costitutte da una massa protoplasmatica chiara, senza struttura definita, e da un nucleo, le qualı sı colorano in- tensamente. Le due masse dell’ovarıo convergono in un punto dove ha inizio l’ovidotto, ıl quale si porta all’utero descrivendo un ansa a concavitä mediale, e riceve, ad una certa distanza dall’ovarıo lo sbocco della vagina e poco discosto, in prossimitä delle glandole del guscio, quello del vitellodutto. Mola, Nuovi ospiti di uccelli. 5 Dalla massa (ootipo) compatta, l’ovidotto prosegue ıl suo cam- mino ascendente, disponendosi nel mezzo della faccıa ventrale della proglottide, e va a metter capo nell’utero, all’altezza quası del confluire delle due masse ovariche. La glandola del guscio € piccolissima ed & sıtuata posterior- mente all’ovario e al vitellogeno nella linea mediana. Essa sı pre- senta con cellule unicelluları, clavıformi, ben distinte le une dalle altre da una parete; in ciascuna dı queste cellule si osserva il protoplasma con scarse granulazıoni colorabili e con il nucleo verso la parte pıü ingrossata. Le glandole del vitellogeno trovansı nella linea mediana, verso sinistra, e posteriormente all’ovarıo. Nelle giovanıssime proglottidi le glandole del vitellogeno appaiono come un sacco globoso in immediato contatto con F’ovario; in quelle piü avanzate si osserva invece che esse sono piü lontane dall’ovario e s’incomineia allora a vedere delle imperfette divisioni ın lobi. In quelle studiate da me le glandole del vitellogeno sı presentano come tantı tubi vitellini, piriformi, a fondo cieco e confluenti verso ıl punto centrale posteriore, dove con la loro fusione formano un unico dotto, di calıbro alquanto grosso, ıl vitellodotto. I tubi vitellini hanno un diametro ed una lunghezza quası uguali e sono nettamente separatı glı uni daglı altrı da una membrana anista. Il vitello dotto, appena costituito, sı dirige in alto obliquamente e dopo un breve percorso sbocca dorsalmente all’ovidotto, nel punto innanzı detto. L’utero occupa tutto lo strato mediano, compreso fra i dotti escretori, e si compone dı una vasta cavıta imperfettamente sud- divisa in numerose e piccole cellette. Esso sı sviluppa tardi; ı primi accenni si osservano ad di lä del 50 articolo 0 poco piü in forma dı una linea di cellule forma- tricı, dalla parte opposta degli altrı organı genitali. A poco a poco che le uova vengono immesse dall’ovidotto sı vede l’utero distendere ed aumentare ıl numero delle cellette, fino a prendere la sua forma e ad oceupare il posto innanzı detto. Nel suo completo sviluppo le glandole genitali scompaiono, come si osserva nella catena delle proglottidı. In quanto alla struttura istologica Yutero non sı discosta da quella dell’ovidotto uscente dall’ootipo (?); cio@ & costituito anche esso da’una membranella esile rivestita esternamente da elementi celluları ed internamente da un epitelio formato di piecolissime cellule rotonde. Lv uova hanno forma piü o meno sferica, ıl guscio & spesso ed & costituitto da 3 strati: l’esterno e l’interno sono sottili e non presentano struttura apprezzabile; il medio @ pıü spesso, e presenta numerose granulazıoni. XXXI. 15 214 Mola, Nuovi ospiti di uccelli. La vagina, originata dall’ovidotto nel punto innanzi indicato, sı volge obliquamente in alto passando dorsalmente all’ovarıo, con une decorso obliquo da destra verso sinistra. Seguendo un cammino obliquo ascendente, arrıvata ai pressi del margine anteriore della proglottide, la vagina sı rivolge verso il margine laterale sinistro. Oltrepassati i dotti escretori, all’altezza della tasca del pene con un cammino alquanto arcuato ripiega moderatamente in basso per sboccare superiormente e dorsalmente allo sbocco del pene. Alla sua origine dall’ovidotto, la vagina presenta un calıbro uniforme, cilindrico, tubulare; poscia incomincia a slargarsi ed a prendere una forma ovoidale; tutto lo slargamento della vagına costituisce il ricettacolo seminale, l’asse maggiore del quale misura in lunghezza mm. 0,15 e l’asse minore mm. 0,035. Questo nelle pro- glottidi giovanı & ripieno dı spermatozoı. Indi dai dotti escretori incomincia a restringersi e riprende un calibro quasi uguale a quello della sua origine, di tal calıbro sı mantiene fino al suo sbocco. La struttura di tutta la vagina si presenta assai complessa: un distinto epitelio non esiste, ma solo un sottile rivestimento euti- culoide privo di nuclei. Tale rivestimento cuticuloide internamente & rivestito da un epitelio (?) ciliare ed esternamente presenta una tunica muscolare rivestita anch’essa da grosse cellule (glandole vaginali?). Perö per tutto il decorso della vagina tale struttura non si manifesta con l'istessa uniformitä; la prima porzione d’essa infatti, cio@ quella dalla sua origine fino allo slargarsi in ricettacolo seminale, sı pre- senta con le grosse cellule, dove si osservano bene i nuclei, che si colorano intensamente, in numero abbastanza rılevante. Mentre invece sulla porzione vaginale del ricettacolo del seme tali cellule sono rade, ed invece trovo ben manifesta la tunica muscolare, anzi direi quasi questa tunica con il sottile rivestimento euticuloide sembra formi le pareti vaginali del ricettacolo seminale. Ben manı- festa & la eigliatura nella porzione interna della vagina che va dal ricettacolo seminale fino al suo sbocco, quivi le ciglia sono lunghe ed esili e si colorono intensamente; come pure & ben visibile lo strato della tunica muscolare pieghettata, con numerose cellule fortemente colorate nei preparati. Questa struttura vaginale nella specie in esame fä ricordare quella che si riscontra in aleuni cestodi dei pesci ed io nell’Hymenolepis in parola la trovai abbastanza interessante. Riassumendo sı ha: Uccello ospitante: Pteroclidurus alchatus (Linn.). Distribuzione geografica dell’ospitante: Sud-ovest dell’Asia, Pale- stina e nord-ovest dell’India. Mola, Nuovi öspiti di uccelli. Luogo e tempo della cattura: Porto Torres (Sardegna) nel- l’autunno del 1906. Organo ospitante: intestino tenue. Uaratteri specifici-Scolice di media grossezza, rostello elaviforme e armato da otto uncini a forma di coltello da caceia, ventose inermi. Collo lungo e proglottidi numerosissime, molto pronunziate nel diametro trasverso. Pori genitali sub-marginali e tutti sul lato sinistro. Testicoli tre. Organi genitali femminili nella porzione posteriore della proglottide. Utero saceiforme ed occupante tutta la parte mediana di ciascuna proglottide. Uova rotonde. Vagina con ricettacolo seminale molto svilippato e con struttura molto complessa. Dedico questa nuova specie in omaggio e riconoscenza al Dr. J. Rosenthal, professore di fisiologia in Erlangen. Hymenolepis riggenbachi, mihi. Quest’altra specie di Hymenolepis che mi aceingo a descrivere e che io considero nuova, la trovai nell’intestino tenue di una Netta rufina (Pallas), Fistione turco, catturata a Sorso (Sardegna) nel giugno del 1908. Lo strobilo, ristretto anteriormente, va in senso distale gradata- mente allargandosı; la sua lunghezza & di mm. 30 circa e la larghezza massima di mm. 0,5 e conta numerosissime proglottidi. Lo scolice, tetragonale, & lungo eirca mm. 0,4 con un diametro dı mm. 0,12, ed & provisto di un rostello cilindrico, ben pronunziato, che misura in media mm. 0,12; superiormente alla cupula terminale il rostello € cinto da una corona di uncini caratteristici, in numero dı 36 a 40, che costituiscono l’armatura di questa specie. Le ventose sono alquanto piccole, semisferiche, diametralmente opposte e rilevate; esse sono inermi e misurano di diametro mm. 0,02, Le fibre radıalı sono molto pronunziate e con le fibre circolari formano un cercine abbastanza saliente a ciascuna ventosa. La figura 22 fa rilevare chiaramente l’aspetto che ha lo scolice e ıl relativo rostello. Gli uneimi dell’armatura hanno ciascuno la forma rappresen- tata dalla figura 4% io li rassomiglierei al segmento estremo dei palpı mascellari dei scorpioni, che hanno forma di pinze. La loro parte basilare € conica, arquata e termina a punta ottusa; ı due denti, cio@: quello che sı accosta di piü all’asse della porzione basale, € piüı massiccio, quasi dritto e termina con una convessitä; l’altro, l’esterno, presenta una convessitä alquanto pro- nunziata esternamente e termina a punta ed & piü lungo dell’altro. Ciaseun uncino misura mm. 0,039; la parte basale mm. 0,017, il dente massiccio mm. 0,010 e Taltro dente l’esterno mm. 0,012. Gli uncini si trovano sul rostello situati con la parte basilare in alto 15* 916 Mola, Nuovi ospiti di uccelli. e la convessitä in fuori ei due denti con le punte rivolte posterior- mente, l’uno, ıl ptü spesso, poggiante sul corpo del rostello, Valtro, il meno massiccio, con la parte convessa in fuori. Fascı di fibre muscolari longitudinali vanno ad attaccarsı alla parte piü spessa dell’uncino in modo che ıl contrarsı dı questi fascı da all’uncino un movimento a bilanciere. Il dente piü spesso fa da fulero e l’altro dente costituisce V’altro braccio della bilancıa. Un lungo collo fa seguito allo scolice; la segmentazione delle proglottidi si manifesta tardı nello strobilo, ı primi accenni di tale segmentazione si manifestano come rughe trasverse, e sono appunto queste che fanno distinguere il collo dalla catena delle proglottidi, La forma delle proglottidi & la solita delle Hymenolepis, rettango- lare, col diametro trasverso maggtore dı quello longitudinale, e questa forma si mantiene uniforme ın tutto lo strobilo, solo ıl diametro trasverso varia secondo la porzione pi o meno distale dello strobilo, questo fa si che ıl diametro longitudinale diminuisce in rapporto inverso della lunghezza. In media sı hanno di lunghezza mm. 0,3 per il diametro trasverso e mm. 0,03 per quello longitudinale. Il numero delle proglottidi @ abbastanza rilevante negli esem- pları da me posseduti se ne contano piü di 100. Organi genitali. Individualizzatesı le proglottidi, all’esterno sı vedono comparire in queste gli organi genitali, ı primi abbozzı dei quali sı manı- festano ın quelle proglottidi che allo esterno presentano delle rughe trasverse; glı organı maschili dı poco precedono nella formazıone quelli femminili. Tanto Fapertura maschile quanto quella femminile sboccano insieme all’esterno, a metä circa del margine sinistro dı ciascuna proglottide. Un lieve infossamento delle pareti della proglottide mostra l’esistenza delle aperture genitali, le quali sono tutte situate sul lato sinistro delle proglottidı. Organi maschili. I testicoli dı solito sono in numero di tre: due di essi si trovano situati lateralmente in basso, dorsalmente, e non allo stesso livello, ne disposti simmetricamente alle linea mediana; uno, il terzo, & situato superiormente a quello laterale dı destra, non ad esso addossato ma spostato a destra o a sinistra o sulla stessa linea verticale, sempre pero ventralmente. La loro forma predo- minante & la sferica, non manca pero quella ellissoide e quella poliedrica. La loro grandezza varia: in generale i due testicoli, postero-laterali, sono sempre piü grandi del terzo, il quale non supera mai in grandezza gli altrı due. I due, postero-laterali, possono poi essere ’uno pıiü grande dell’altro, anzi raramente sono di eguale Mola, Nuovi ospiti di uccelli. 2A grandezza: in aleune proglottidi & pitı grande quello dı sinistra, in altre quello dı destra. Il testicolo, latero-sinistro, fuorche@ nelle proglottidi dove man- cano del tutto i testicoli, @ sempre rappresentato e si mantiene di solito, salvo cası eccezionali, piü grande degli altrı due. Il 3° testicolo, antero-latero-destro, & quello che nelle proglottidi, per la maggior parte dei casi, non & rappresentato; ma quando € rappresentato la sua posizione topografica cambia spesso: alle volte lo sı vede addossato dorsalmente all’ovarıo e al vitellogeno, alle volte lo sı vede molto spostato verso destra dal testicolo latero- destro, alle volte sı sposta dı molto anteriormente alla proglottide e soprassiede a tutti gli organı genitali. Il suo volume varıa ed esso € in rapporto con la mancanza o presenza del testicolo latero- destro, come pure & in rapporto diretto con la grandezza degli altrı due testicoli. Il testicolo latero-destro, secondo testicolo, varıa dı volume e varia dı posizione topografica mantenendosi sempre perö sul lato destro della proglottide; quando sı sposta dalla sua posizione nor- male, cıö avviene lievemente verso sinistra. Esso puö mancare del tutto, come sı osserva in alcune proglottidi della catena strobiliare. @Queste importantissime anomalıe che riguardano ı testicoli innanzı detti non potrebbero avere la loro spiegazione se non venisse a chiarirle lo sviluppo ontogenetico dei testicoli stessı. Nelle proglottidi giovanıssime non sı ha nessuno accenno degli organı genitali: ı primi differenziamenti I troviamo nelle proglottidi che sı sono individualizzate all’esterno. Questi differenziamenti testicoları sı presentano come cellule rotonde ben distinte da una membrana e da un nucleo, raggruppate in determinati campi 0 zone testicolari; in seguito le cellule di queste zone vengono ad aumen- tare di numero e direi quasi di volume in modo che si possono osser- vare dei cumuli celluları dı forma rotondeggiante. Questi cumuli cellulari nelle proglottidi successive sı vanno man mano acerescendo ancora e si riuniscono tra loro in gruppi differenti di numero, in- volti da una sottile membrana anısta. Talı gruppi rappresentano ı testicoli, che nella specie in esame sono di solito in numero di tre. Ora se si pensa al primo differenziamento delle cellule testi- colari, si puö benissimo stabilire che in quelle proglottidi dove non vi & un accenno del campo 0 zona testicolare li verrä a mancare il testicolo; cosi pure avvenuto il differenziamento, secondo ıl modo di raggrupparsi insieme dei cumuli cellulari in un piecolo numero od in un numero maggiore si ha la grandezza del testicolo, perch& questa non dipende dalla grandezza delle cellule ma dal numero dei cumuli raggruppatisi. Ne & da credere che la mancanza dei testicoli nella specie in esame provvenga da un atrofizzarsi regressivo del testicolo, perch& 218 Mola, Nuovi ospiti di uccelli. nei preparati in quelle proglottidiı dove manca 0 mancano 1 testl- coli non sı nota nessurissima traccıa dı cellule testicoları, ne di dotti efferenti. Con piü abbondante materiale avrei potuto avere dei preparatı, dove sı potesse vedere bene tutto ıl differenziamento istologico delle cellule formantı ı testicoli, ma ciö mi & stato vietato dalla scarsezza del materiale. Da ciascuno dei tre testicoli ha origine un canalıno efferente; questi sono alquanto lunghi e differenti per lunghezza tra loro, secondo la posizione dei testicol. Tutti e tre questi efferenti confluiscono sempre, da tre direzioni differenti, in un punto solo, dove ha inizio ıl deferente, sıtuato ventralmente aglı organı genitali femminili. La lunghezza degli efferenti dipende dalla posızione dei testicoli nella proglottide: si possono infatti trovare i testicoli piü 0 meno ravvicinati ed allora i tre efferenti di lunghezza differiscono poco; possono in due testi- coli, lateralmente disposti, essere discosti ed il 3° superiormente ravvicinato ed allora sı ha che due efferenti sono presso a pPoco ugualı in lunghezza e uno disuguale; oppure se ıl 3° &@ di molto discosto e il testicolo dı sinistra piü ravvicinato, allora sı hanno tre efferenti differenti in lunghezza; infine se ı due testicoli di destra sono ugualmente lontanı e ıl sinistro ravvicinato sı hanno due efferenti eguali e uno disuguale. Il deferente, sempre ventralmente, si porta con cammıno ascen- dente-obliquo verso sinistra al dı sopra della metä superiore della proglottide, ıvi piega ancor pıiü verso sinistra con cammıno flessuoso, oltrepassa ı dotti escretori ed entra nella piccola tasca del pene, all’apıce del quale va a sboccare; ıl pene & piccolo e sottile, come piccola & la tasca del pene ed & piriforme. Una vescicola seminale esterna riscontrasi lungo ıl percorso del deferente, essa ha forma globosa e trovası situata mediana- mente e superiormente a ciascuna proglottide. Misura di dia- metro mm. 0,019. La tasca, spostata ventralmente, trovası al di sotto della vagina. Organi femminili. In mezzo a ciascuna proglottide si trovano situatı gli abbozzi degli organi genitali femminili; Y’ovario superiormente, ıl vitellogeno e la glandola del guscio inferiormente. Gli esemplari da me posseduti sono giovanıssimi per-tal modo gli organi femminili non sono sviluppati; si osservano solo gli abbozzi, che trovansı nel punto innanzı detto. La vagina & costituita da un lungo tubo che si estende quasi trasversalmente dal seno genitale fino allo sbocco nell’ovidotto, solo nel suo inizio s’incurva per risalire e piegarsi verso sinistra, poscia Mola, Nuovi ospiti di uccelli. 219 il percorso e quası rettilineo. Presenta una dilatazione lungo il suo percorso che costituisce un giovane ricettacolo del seme, del resto ıl suo calıbro & quası identico in tutto ıl percorso, che sı mantiene sempre dorsale e superiormente al dotto deferente ed alla tasca del pene. Il suo sbocco, in rapporto a quello del pene, © dorsale e superiore. Rıassumendo sı ha: Uccello ospitante: Netta rufina (Pallas). Distribuzione geografica dell’ospitante: Asıa centrale, India. Luogo e tempo della cattura: Sorso (Sardegna) nel giugno 1908. Organo ospitante: intestino tenue. Caratteri specific: Scolice, tetragonale, piecolo con rostello ben pronunziato e armato da numero 36—40 uncini, disposti ın un sol ranco. Uncini a forma di pinze — Ventose inermi — Collo lungo, numerosissime proglottidi, rettangoları, con diametro trasverso di molto superiore al diametro longitudinale — Pori genitali marginali e sul lato sinistro — Testicoli tre dı solito — Vescicola seminale — Organı femminili (?) — Vagina con ricettacolo seminale. @uesta nuova specıe la dedico ın omaggio al prof. Dott. E.Riggen- bach dı Basel Bibliografia. 1793. Abildgard, P.C. Allgemeine Betrachtungen über Eingeweidewürmer. In: Schr. naturf. Ges. Kopenhagen, Vol. 1, Abb. 1, p. 24-59, I Taf. 1786. Batsch, A. J. G. Naturgeschichte der Bandwurmgattung überhaupt und ihrer Arten im besonderen, nach den neueren Beobachtungen in einem systematischen Auszuge, Halle, 298 p., 5 Taf. 1891. Blanchard, R. Histoire zoologique et medicale des T@niades du genre Hymenolepis Weinland, Paris, 112 p., 22 fig. 1782. 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Lettere comuni a tutte le figure. at — atrio genitale. ri — ricettacolo seminale. de — dotti escretori vse — vescicola seminale esterna. ef = efferenti. vs = vescicola seminale interna. ov — ovario. t — testicoli. p = pene. ogf = abbozzi degli organi genitali ip — tasca del pene. femminili. v® = ventose. un — uncini. oa —. vagina. vit — vitellogeno. Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. (Vorläufige Mitteilung.) Von Victor Jollos. Der Aufschwung, den die experimentelle Forschung in der Biologie, vor allem auch für die Fragen der Vererbung und Art- bildung genommen hat, ist auf dem Gebiete der Protistenkunde bisher verhältnismäßig wenig zur Geltung gelangt. Zytologische und entwickelungsgeschichtliche Probleme sind es, die hier durch- aus noch vorherrschen, und neben ihnen ıst die Zahl der experi- mentellen Arbeiten gering und noch bescheidener die gewonnenen gesicherten Ergebnisse. Der wesentlichste Grund hierfür dürfte in dem häufig beobach- teten „inkonstanten Verhalten“ der Protisten zu suchen sein, ein Umstand, der nicht allein zu Widersprüchen in den Angaben ver- schiedener Autoren führte, sondern der sich auch in den eigenen Versuchsreihen wohl eines jeden Forschers störend bemerkbar machte, der längere Zeit eingehender mit Infusorien — dem be- liebtesten Material für experimentelle Protistenuntersuchungen — gearbeitet hat. Auf äußere wie innere Bedingungen lässt sich dieses „inkon- stante Verhalten“ zurückführen: So ıst eine der wichtigsten Fehler- quellen schon dadurch gegeben, dass man die Ernährung und damit auch die chemische Zusammensetzung des umgebenden Mediums nicht völlig exakt regulieren kann (da ja die meisten Infusorien in erster Linie Bakterien aufnehmen). Schon minimale Abweichungen in der Konzentration verschiedener Ionen können aber, wie vor allem auch aus den Untersuchungen von Enriques und Zweibaum!) hervor- geht, das Verhalten der Infusorien sehr wesentlich beeinflussen. 1) Enriques et Zweibaum: La conjugaison et la differentiation sexuelle chez les Infusoires. V. Arch. f. Protistenk., Bd. 26. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 2923 Zu diesem vorläufig nicht völlıg ausschaltbaren Faktor kommen nun weitere zwar vermeidbare, aber nur selten vermiedene, die sich aus der verschiedenen Beschaffenheit der verwandten Infu- sorien ergeben: Durch die schönen Arbeiten von Jennings?) ist gezeigt worden, dass auch bei den Infusorien innerhalb einer systematischen Art zahlreiche konstant verschiedene Rassen vorhanden sind. Und was Jennings hauptsächlich für die Größe nachweisen konnte, das gilt, wie wir noch sehen werden, auch für jedes physiologische Ver- halten — in welcher Richtung wir es immer genauer untersuchen. — Für die experimentelle Untersuchung ist aber ferner nicht nur ein einheitliches, sondern auch ein genau bekanntes Ausgangs- material nötig. Sein Verhalten muss also zunächst während längerer Zeit studiert werden, damit man jede Störung in den Kulturen, besonders beginnende Degeneration, gleich erkennt und berück- sichtigt. Auch diese bei Versuchen mit höheren Organismen wohl selbstverständliche Forderung ist bei den Protisten bisher kaum beachtet worden. — Verwendet man nun aber einheitliches Material (d. h. „reine Linien“) von gleichem Zustande und bei möglichst gleichen Kultur- bedingungen, so kann man in der Tat einigermaßen gleichmäßige experimentelle Resultate erzielen — vorausgesetzt allerdings noch, dass man nicht mit vorübergehend, sondern mit längere Zeit — min- destens 24 Stunden — einwirkenden Faktoren arbeitet. Gleichmäßig werden die so gewonnenen Ergebnisse innerhalb der „reinen“ oder sagen wir wohl präziser „Individual“ °)-Linie; bei den verschiedenen Linien können sie dagegen recht erheblich von- einander abweichen, und auch mit manchen geläufigen Anschauungen stimmen sie nicht immer überein. Dies zeigt sich schon auf dem relativ viel bearbeiteten Gebiete der Einwirkung verschiedener Temperaturen auf Infusorien, und zwar speziell auf Paramaecium caudatum, welche Art auch bei allen folgenden Versuchen als Material diente. Wohl allgemein wird angenommen, dass Paramaecien bei höheren Temperaturen kleiner, bei niedrigeren größer werden. Eine plau- sible Erklärung für ein solches Verhalten ist eigentlich nicht ge- geben worden: etwaige Veränderungen der Kernplasmarelation (R. Hertwig) bedürften selbst erst einer Erklärung; und der Hin- weis auf die Beschleunigung der Teilungsfrequenz bei steigender Temperatur gemäß der van t’Hoff’schen Regel führt erst recht nicht weiter. Denn handelt es sich bei der Teilung um chemische 2) Jennings, H.S. and Hargitt, G. T.: Characteristics of the diverse races of Paramaecium. Journ. of Morphology, vol. 21, 1910. 3) D. h. eine aus einem einzigen Individuum entstandene Linie. IA Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. Prozesse, so gilt dies von den Wachstumsvorgängen doch sicherlich nıcht minder. Tatsächlich ist aber das Verhalten der Paramaecien bei Tem- peraturveränderungen ein komplizierteres: In dreierlei Weise können Individuallinien von Paramaecium auf Versetzung in höhere Tem- peratur reagieren: Die Infusorien werden entweder größer (resp. behalten ihre Größe ungefähr bei) oder sie werden schnell und dauernd kleiner; und drittens endlich verkleinern sie sich zunächst, um aber dann nach einiger Zeit wieder anzuwachsen'). Nur im letzten Falle ließen sich die Kulturen beliebig lange und ohne Schädigung bei der höheren Temperatur führen. Die Infusorien der beiden ersten Gruppen gingen dagegen stets über kurz oder lang ein. Werden also Individuallinien von Paramaecium bei Versetzung in höhere Temperatur von vornherein größer oder schnell und ständig kleiner, so ist dies ein Zeichen dafür, dass die betreffende Linie (unter sonst gleichen Bedingungen) bei der verwandten höheren Temperatur nicht mehr dauernd lebensfähig bleibt. Einige Zeit — in meinen Versuchen bis zu 8 Wochen! — vermag sie freilich mitunter noch weiter zu wachsen — ein Beweis, wie langsam derartige degenerative Prozesse verlaufen können. — Bei Versetzung der Paramaecien in niedrigere Temperatur kann man ein dem vorher beschriebenen reziprokes Verhalten beobachten, d.h. die Infusorien wachsen entweder rasch und ständig an (und erweisen sich dann bei der tieferen Temperatur nicht lebensfähig) oder sie werden nach einer längeren Wachstumsperiode wieder kleiner. Ein sofortiges Kleinerwerden der Paramaecien bei herab- gesetzter Temperatur, das dem sofortigen Anwachsen (Fall 1) bei Versetzung in eine höhere entspräche, wurde dagegen bisher nicht beobachtet. All diese Verhältnisse seien noch an einem während längerer Zeit genauer verfolgten Beispiele im einzelnen belegt: Die Individuallinie« wurde dauernd bei 19° gehalten und besaß hierbei unter den angewandten und während der ganzen Beobach- tungsdauer nicht veränderten Kulturbedingungen eine Durchschnitts- länge von +1,35 Maßeinheiten?). In 31° versetzt wurde sie zunächst erheblich kleiner, doch sind während dieser Zeit keine genauen Messungen vorgenommen worden. Nach 6 Monaten Kultur bei 31° war ihre Länge aber wiederum 41,28 und blieb nunmehr ziemlich 4) Fast gleichzeitig und völlig unabhängig von mir hat auch Herr V. Weiss bei Untersuchungen über die Kernplasmarelation ein derartiges Wiederanwachsen von Paramaecien bei erhöhter Temperatur festgestellt. 5) Gemessen mit Leitz Objektiv” und Zeiss Okularmikrometer (Kompensok. 6). Es handelt sich um eine sehr kleine Rasse. — Die Breite der Infusorien änderte sich im gleichen Sinne wie die Länge und kann daher hier übergangen werden. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 395 unverändert. So wurde nach 7 Monaten eine Durchschnittslänge von 42,02, nach 8 Monaten eine solche von 41,4 festgestellt. Nach 7monatlicher Kultur bei 31° wurde die Linie wieder in die Ausgangstemperatur von 19° zurückversetzt. Die Messungen ergaben nunmehr nach 4 Tagen eine Länge von 45,3 nach 1 Monate dagegen 41,6. Ein anderer Teil der Linie « wurde nach Tmonatlicher Kultur bei 31° in 8° gebracht und maß hier nach 7 Tagen 48,38, nach 22 Tagen 41,4. Bei der Versetzung der Individuallinie sowohl in höhere wie ın niedrigere Temperatur ist also nach einer Periode des Kleiner- resp. Größerwerdens eine Rückkehr zur Ausgangsnorm zu ,beob- achten. Im Falle unserer Liniea wurde diese Norm zu wiederholten Malen vollkommen erreicht, bei den meisten anderen untersuchten Linien kam die rückläufige Bewegung dagegen schon erheblich früher zum Stillstand. Bei einer Linie endlich trat dagegen eine Überregulation ein. Es hatte nämlich Linie 11 bei 19° eine Länge von 43,53, bei 31° am vierten Tage nur noch von 35,2, am 42. Tage aber von 45,1 Maßeinheiten. Verschieden wie der Grad der Regulation ist auch die Zeit, die bis zu ihrer Vollendung von den verschiedenen Stämmen bean- sprucht wird, und zwar schwankte sie bei der Versetzung von 19° in 31° zwischen 1 und 8 Wochen, während sie bei Überführung in eine entsprechend tiefere Temperatur stets erheblich länger — bis zu 4 Monaten dauerte. (Bei diesen Differenzen zwischen manchen Stämmen dürfte allerdings auch die verschiedene Empfindlichkeit der einzelnen Linien gegenüber geringfügigen Schwankungen der Lebensbedingungen von Bedeutung sein. So ließen sich z. B. mit den mir zur Verfügung stehenden Thermostaten gelegentliche Temperaturschwankungen bis zu 1 oder 2° bei länger dauernden Versuchen nicht vermeiden ; Schwankungen, auf die manche Individuallinien von Paramaecium schon sehr deutlich reagieren, während sie an anderen anscheinend spurlos vorübergehen.) Worauf ıst nun diese Regulation der Größe der Paramaecien bei Temperaturveränderungen zurückzuführen? Zur Klärung dieser Frage war zunächst die Teilungsfrequenz der Infusorien bei ver- schieden langer Einwirkung verschiedener Temperaturen zu prüfen. Für die Individuallinie @°) ergaben sich hierbei innerhalb 48 Stunden: bei 19° (nicht ganz) 3 Teilungsschritte, bei Versetzung in 31° — 9 Teilungsschritte, nach 6monatlicher Kultur dagegen nur 7. Stets 6) Andere Stämme ergaben weniger eindeutige Ergebnisse, zumal da nicht selten bei plötzlicher Versetzung in eine um 12° höhere Temperatur in den ersten 24 Stunden oder noch länger überhaupt keine Teilung erfolgt. 226 Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. ergab sich also bei einer um 12° höheren Temperatur eine etwa 2—3fache Beschleunigung der Teilungsfrequenz, ein Verhalten, das (wie schon besonders von Woodruff gezeigt worden ist) der van t’Hoff’schen Regel entspricht. Neben dieser allgemeinen (Gresetzmäßigkeit lässt sich aber auch innerhalb der durch sie ge- gebenen Grenzen eine Verlangsamung der Teilungsfrequenz nach erfolgter Gewöhnung an die höhere Temperatur feststellen. Berücksichtigen wir endlich noch den Umstand, dass man durch Einwirkung mancher chemischer Verbindungen die Teilungsfähigkeit der Infusorien hemmen und auf diese Weise Riesenindividuen er- zıelen kann, so lässt sich aus allen mitgeteilten Beobachtungen wohl nur der eine Schluss ziehen, dass Wachstum und Teilung nicht in unmittelbarem Zusammenhange stehen. Vielmehr muss es sich hierbei um wenigstens zwei bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander veränderliche Faktoren handeln, von denen der „Wachstumsfaktor“ durch Temperaturveränderungen offenbar gleichmäßig und entsprechend der van t’Hoff’schen Regel beein- flusst wird, während der „Teilungsfaktor“ bei Temperaturerhöhung zunächst eine stärkere Erregung, bei Temperaturerniedrigung eine stärkere Lähmung erfahren kann. Für die dauernde Lebens- fähigkeit der Paramaecien ist aber ein bestimmter „Gleichgewichts- zustand“ beider Faktoren erforderlich, der sich durch die nicht weiter schwankende Zellgröße anzeigt, bei den verschiedenen Stämmen verschieden schnell erreicht wird und bei manchen (a) für alle nicht schädigenden Temperaturen der gleiche ıst. — Für die Fragen der Vererbung und Artbildung haben dagegen alle bisher behandelten Vorgänge keinerlei Bedeutung: Denn mögen die Individuallinien der Infusorien auch noch so lange bei den an- gegebenen höheren oder niedrigeren Temperaturen gehalten werden und mag dabei eine vollkommene oder nur eine geringfügige Regu- latıion eintreten, stets’) erweisen sie sich nach Zurückversetzung in die ursprünglichen Lebensbedingungen völlig unverändert, so dass es sich hier also nur um Modifikationen handelt. Es lag nun nahe zu prüfen, wie weit sich die Paramaecien an extreme Temperaturen gewöhnen lassen, und ob nicht auf diesem Wege erbliche Veränderungen hervorgerufen werden können, wie dies übrigens schon von älteren Untersuchern für verschiedene Formen angegeben ist. — Arbeitet man mit ungeprüftem aus dem Freien geholten Material, also Populationen, so gelingt es in der Tat nicht selten, eine scheinbare, erbliche Verschiebung der „Kar- dinalpunkte“ zu erzielen. Am deutlichsten tritt dies hervor, wenn man von derselben Ausgangspopulation gleichzeitig Kulturen bei allmählich erhöhter wie auch bei fallender Temperatur hält. Prüft 7) Ein abweichender Fall wird noch am Ende dieser Arbeit besprochen. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 997 und vergleicht man die Paramaecien dann nach einiger Zeit, so kann°) es sich ergeben, dass zwar die Infusorien in beiden Kul- turen gut gedeihen, dass aber die „Wärmekulturen“ bei der Tem- peratur der Kältetiere wie auch umgekehrt nicht existenzfähig sind, selbst wenn man die Temperatur nicht plötzlich, sondern allmählich wechselt. Obwohl nun die von demselben Ausgangsmaterial abge- leiteten beiden Stämme dauernd an verschiedene Temperaturen angepasst bleiben, handelt es sich bei diesem Versuch dennoch nicht um eine erbliche Veränderung der Reaktionsnorm, sondern nur um in entgegengesetzter Richtung durchgeführte Selektion verschiedener in der Population enthaltener Rassen — ganz wie bei den bekannten Experimenten von Johannsen oder Jennings. Untersucht man nämlich bei einer größeren Anzahl von Indi- viduallinien, zwischen welchen Temperaturen sie existieren können, so ergeben sich wiederum erhebliche Unterschiede. Während z. B. meine Linie a zwischen 6 und 37° ohne weiteres dauernd kultivierbar war (konstante tiefere Temperaturen standen mir nicht während längerer Zeit zur Verfügung) ließ sich Linie A — bei sonst gleichen Bedingungen! — nur zwischen 12 und 29°, Linie M zwischen 12 und 35° und Linie a, (von der später noch mehr die Rede sein wird) zwischen 6 und 39° ohne Schädigung halten. Endlich gibt Woodruff für eine seiner Kulturen an, dass sie nur zwischen 21,5 und 31,5° dauernd zu züchten wäre (eine Angabe, die aber wegen der verschiedenen sonstigen Kulturbedingungen nicht ohne weiteres mit den meinigen vergleichbar ıst und bei der die hohe Minimal- temperatur auffällt). Wiederholt man nun mit einer „Individual- linie“ den für Populationen angegebenen Versuch der Verschiebung der Kardinalpunkte und kultiviert sie, von einem mittleren Punkt ausgehend, bei langsam steigender, resp. fallender Temperatur, so gedeihen die Infusorien innerhalb der für die betreffende Linie festgestellten Grenzen gut, innerhalb dieser nach den oben ge- machten Angaben häufig recht weiten Grenzen ist aber in der Regel auch eine plötzliche Versetzung in höhere oder niedrigere Tempe- ratur möglich. Sobald dagegen die Grenze nach einer Seite auch nur wenig überschritten ist, sterben die Kulturen fast immer ab. So konnte die Linie «a (s. o.) aus 6° unmittelbar in 37° gebracht werden°), ging aber bei Versetzung in 39° regelmäßig ein, gleich- gültig, ob sie zuvor in 6°, 19° oder selbst 37° gewesen war und sich an diese Temperatur völlig akklimatisiert hatte. Ein dauerndes Überschreiten der gewöhnlichen Temperatur- grenze ist bei manchen Linien überhaupt nicht zu erzielen gewesen. 8) Der Versuch gelingt natürlich um so eher, je umfangreicher und von je mehr verschiedenen Fundstellen das Ausgangsmaterial genommen wird. 9) Ein wechselnd großer Teil der Infusorien geht dabei freilich zugrunde, die übrigen aber gedeihen und vermehren sich gut und dauernd. IS Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. So war die Linie A, deren Maximaltemperatur bei 29° liegt, bei 30° mie länger als 3 Wochen kultivierbar, obwohl dies während 1'/, Jahren in regelmäßigen Abständen versucht wurde. Bei anderen Stämmen ist in einigen Fällen eine kleine Erweiterung der Grenzen erreicht worden; z. B. konnte a nach zahlreichen Fehlschlägen schließlich von 37 über 38 bis 39° gebracht werden — bei sonst gleichbleibenden Kulturbedingungen (Wechsel in der Ernährung scheint dies zu erleichtern, doch sind die Versuche hierüber noch nicht abgeschlossen). Eine Verschiebung der Temperaturgrenzen ohne Schädigung der Infusorien erscheint also unter sonst unveränderten Bedingungen bei Individuallinien von Paramaecium nur in bescheidenem Maße möglich !°), und auch wo sie erzielt worden ist, handelte es sich nicht um erbliche Veränderungen: Denn sobald derartige Kulturen wieder für einige Zeit bei niedrigerer Temperatur'!) innerhalb der ursprünglichen Grenzen gehalten wurden, verloren sie auch die Fähigkeit, bei der höheren Temperatur dauernd zu existieren und mussten erst von neuem unter den gleichen Schwierigkeiten wie zuvor daran gewöhnt werden. Vom Standpunkt der Vererbungslehre betrachtet handelt es sich also auch bei diesen Gewöhnungen an extreme Temperaturen ebenso wie bei den eingangs behandelten Reaktionen auf Tempe- raturveränderungen überhaupt nur um Modifikationen. Neben derartigen Modifikationen können aber unter dem Ein- fluss der Temperatur auch anders zu wertende, da erbliche Ver- änderungen innerhalb einer Individuallinie vom Paramaecıum auf- treten. Bevor wir jedoch hierauf eingehen, sollen noch die auf einem anderen Gebiete, nämlich unter Einwirkung von Giften, speziell Arsenverbindungen, festzustellenden Veränderungen der Reaktion der Infusorien betrachtet werden. Von vornherein waren hier günstige Verhältnisse für Fragen der Vererbung zu erhoffen, wissen wir doch vor allem durch die schönen Untersuchungen von P. Ehrlich und seinen Mit- arbeitern, wie sehr das Verhalten von parasitischen Protisten gegenüber Arsenverbindungen und anderen Giften verändert werden kann: Trypanosomen und Spirochäten lassen sich durch Behand- lung mit nichttödlichen Dosen gegen die betreffende chemische Verbindung (unter Umständen gleichzeitig auch gegen andere) in hohem Maße „fest“ machen, so dass sıe schließlich ein Mehrfaches der ursprünglich tödlichen Dosis ohne jede Schädigung ertragen. 10) Wenigstens bei der mir zur Verfügung stehenden Abstufung der Thermo- staten von (im günstigsten Falle) Grad zu Grad. Bei langsamerer Steigerung der Temperatur ist ja vielleicht mehr zu erzielen. 11) Eine Überschreitung der ursprünglichen Temperaturgrenze ist bisher nur nach oben hin durchgeführt worden. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien, 229 Und diese „Gift(in anderen Fällen Serum-)festigkeit“ kann auch be- stehen bleiben, wenn die betreffenden Trypanosomen monate- ja selbst jahrelang unter zahllosen Teilungen und bei den verschie- densten Tierpassagen weitergezüchtet werden, ohne wieder mit dem Gift in Berührung zu kommen. Ehrlich fasst sie daher als experi- mentell erzeugbare Mutationen auf. Vom biologischen Standpunkt aus ist jedoch Wesen und Entstehung derartiger „giftfester Stämme“ bisher nicht genauer analysiert; auch lässt sich eine solche Prüfung gerade bei Trypanosomen und Spirochäten wegen der komplizierten Lebensbedingungen und unserer noch immer nicht lückenlosen Kenntnis des Entwickelungsganges dieser Protisten nur schwer durchführen. Demgegenüber erschienen wieder die Paramaecien wegen ihrer guten Kultivierbarkeit und wegen des Vorhandenseins sowohl von vegetativer Vermehrung wie von geschlechtlichen Vor- gängen in mancher Hinsicht als günstigeres Objekt. Geprüft wurde das Verhalten sowohl gegenüber verschiedenen organischen As.-Verbindungen wie auch gegenüber einer !/,, n-Lösung arseniger Säure (der der besseren Löslichkeit wegen etwas Na,C0, zugefügt war), doch soll hier nur auf diese letzten Versuche näher eingegangen werden: — Wiederum müssen wir zwischen dem Ver- halten von Populationen und dem von Individualkulturen unter- scheiden. Denn da auch in der Widerstandsfähigkeit gegen dieses Gift Rassenunterschiede nachweisbar sind, so kann schon alleın durch Selektion einer besonders resistenten Linie aus der Popu- lation eine beträchtliche „Giftfestigung* der Infusorien vorgetäuscht werden, schwankte doch die gerade tödliche Dosis bei den von mir untersuchten (etwa 50) verschiedenen Stämmen !?) zwischen 0,3 und 1,1°/, der verwandten Lösung. Innerhalb einer Individuallinie bleiben dagegen entsprechende Selektionsversuche zunächst völlig erfolglos. Man kann die Gift- konzentration leicht derartig wählen, dass nur einige wenige Para- maecien der Linie länger als 48 Stunden darin am Leben bleiben. Züchtet man diese dann arsenfrei weiter und lässt auf die so er- haltene neue Kultur wıeder die gleiche Arsenmenge wie zuvor ein- wirken, so erhält man genau das gleiche Ergebnis wie beim ersten Male: Wieder gehen die Paramaecien bis auf einige wenige inner- halb 48 Stunden ein. Und hieran änderte sich nichts, auch wenn man den Versuch Dutzende von Malen hintereinander in gleicher Weise fortsetzte. Innerhalb der Individuallinien ließ sich also alleın durch Selektion keine Erhöhung der Giftresistenz erzielen, und nicht viel weiter kommt man in der Regel merkwürdigerweise auch durch allmähliche Gewöhnung der Paramaecien an arsenige Säure. 12) Unter diesen befanden sich mindestens 6 sicher verschiedene Rassen. XXXII. 16 230 Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. Wurde z. B. zu 100 cem einer Kultur der Linie A, für die 1:100, meiner Lösung eben tödlich war (innerhalb spätestens 48 Std.), täglıch !,,, cem der arsenigen Säure zugesetzt, so waren die Infusorien stets späte- stens am 26. Tage, gewöhnlich sogar schon zwischen dem 20. und 25. Tage ausgestorben. Bei anderen Linien und bei noch lang- samerer Steigerung der Konzentration kann man allerdings etwas mehr erreichen. So ließ sich die Linie B, die normalerweise durch 1,1:100 abgetötet wurde, bis an 1,9 : 100 gewöhnen '?). Ganz wie an höhere Temperaturen lassen sich also die Indi- viduallinien von Paramaecıum nur relativ wenig, manche so gut wie gar nicht an höhere Konzentrationen von arseniger Säure an- passen. Und auch darin stimmen die Temperatur- mit den Gift- versuchen überein, dass es sich beı einer solchen durch allmählıche Steigerung erzielten Gewöhnung nicht um erblich fixierte Verände- rungen, sondern nur um Modifikationen handelte. Denn auch die Giftfestigkeit ging diesen Paramaecien wieder verloren, sobald sie in arsenfreiem Medium weiter kultiviert wurden. Neben derartigen gewöhnlichen Modifikationen konnte nun aber während der 2 Jahre, die diese Untersuchungen bisher dauern, in mehreren Fällen eine anders geartete Giftfestigung erreicht werden, die auch beı Kulturen in arsenfreiem Medıum erhalten blieb. Fünf gegen arsenige Säure gefestigte Stämme entstanden in der Weise, dass man die Kulturen während mehrerer Wochen unter Einwir- kung von etwa der Hälfte der gerade tödlichen Dosis züchtete und dann in regelmäßigen Intervallen die Konzentration für kurze Zeit bis über die tödliche Dosis hinaus steigerte, um sie nach Abtötung eines großen Teils der Paramaecien wieder herabzusetzen. — Eın sechster giftfester Stamm bildete sich „spontan“ aus einer durch einmalige Hinzufügung einer etwas zu großen Giftmenge zunächst anscheinend vollständig abgetöteten, aber doch noch längere Zeit kontrollierten Individuallinienkultur. Während die Ausgangslinien stets bei einer Konzentration von 0,3—1,1: 100 innerhalb 48 Stunden eingingen, konnten durch das angegebene monatelang fortgesetzte Verfahren Stämme erzielt werden, die noch gegen 3—3,5 : 100 resistent waren. Der spontan aus der einen Konzentration von 1,1: 100 nicht mehr vertragenden Linie B entstandene Stamm B, hielt sich schließlich noch gegenüber 5: 100, ohne erkennbar geschädigt zu werden. Es handelt sich in diesen Fällen also um eine ganz wesentlich höhere Resistenz als bei den allmählich an arsenige Säure gewöhnten 13) Es sei hierbei besonders betont, dass unter „Gewöhnung“ stets eine dauernde Lebens- und Vermehrungsfähigkeit der Infusorien zu verstehen ist und nicht nur eine zeitliche Hinausschiebung der Abtötung, wie sie von verschiedenen Autoren, die mit wesentlich stärkeren Giftkonzentrationen arbeiteten, bereits be- schrieben wurde. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 934 - Paramaecien. Auch rein äußerlich lassen sich beide gefestigten Gruppen meist unschwer auseinanderhalten, da die an das Gift ge- wöhnten Infusorien in der Regel größer als die unbeeinflusste Ausgangslinie waren, während die giftfesten Stämme keinen der- artigen Unterschied aufwiesen. Da endlich die giftfesten Para- maecienstämme auch bei wochenlanger Kultur ın arsenfreiem Medium ihre Resistenz beibehielten, so lag die Vermutung nahe, dass wir es hier im Gegensatz zu den zuvor behandelten gewöhnlichen Modi- fikationen mit Mutationen zu tun hätten, — eine Vermutung, die aber durch das weitere Verhalten der giftfesten Stämme nicht bestätigt wurde. Betrachten wir zunächst die weitere Geschichte des Stammes B,, der, wie oben angegeben, noch gegen eine Konzentration von 5: 100 resistent geworden war. Der Stamm wurde nunmehr dauernd in arsenfreiem Medium bei 31° weiter gezüchtet und daraus ent- nommene Proben in regelmäßigen Zwischenräumen — anfangs täg- lich, dann wöchentlich, später alle 2 Wochen — auf ihre Giftfestig- keit hin geprüft. Während 7 Monaten (von Oktober 1911 bis Mai 1912) blieb die Resistenz gegenüber der Konzentration von 5: 100 unverändert erhalten, anders wurde dies jedoch im 8. Monate: Jetzt gingen Proben aus der Kultur unter sonst gleichen Bedingungen bei dieser Konzentration regelmäßig ein, vertrugen aber noch 4: 100, und nun ging die Giftfestigkeit immer weiter und schneller zurück : nach 9!/, Monaten betrug die „maxima tolerata*-Dosis nur mehr 2,5:100, nach 10'/, Monaten endlich 1: 100, es war also wieder der Zustand der Individuallinie B, der Ausgangslinie von B,, er- reicht und wurde dann dauernd weiter beibehalten. In gleicher Weise — nur in etwas kürzerer Zeit — ging auch die Giftfestigkeit aller anderen Stämme im arsenfreien Medium ver- loren. Irgendwelche geschlechtlichen Vorgänge waren hierbei — ab- gesehen von einem noch zu besprechenden Falle — wohl nicht beteiligt, da Konjugationspaare wenigstens nicht gesehen wurden. Im Falle des Stammes B, lässt sich Konjugation sogar mit großer Sicherheit ausschließen, da dieser stets bei 31° gezüchtet wurde, eine Temperatur, bei der niemals mehr Konjugation zu beobachten war (und nach den neuen Untersuchungen von Zweibaum über- haupt unmöglich sein soll. Da die Giftfestigkeit also bei rein vegetativer Vermehrung wieder völlig verloren ging, so kann es sich auch bei diesen resistenten Stämmen nicht um eine „Veränderung der genotyp!I- schen Grundlage“, eine Mutation, der Ausgangslinie gehandelt haben. Noch klarer wird dies durch zwei weitere Beobachtungen dargetan: Bei einem der fünf anderen „giftfesten“ Paramaecienstämme, der noch eine Konzentration von 3: 100 ver- trug, während er ursprünglich durch 1: 100 abgetötet worden 16* 32 Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. war, traten nach 1 Monat arsenfreier Kultur (bei Zimmertemperatur von ca. 18°) vereinzelte Konjugatiorspärchen auf, die von den übrigen Infusorien getrennt weitergezüchtet wurden. Es ergab sich nun, dass die aus den Exkonjuganten hervor- gegangenen Kulturen ihre Giftfestigkeit sofort und mit einem Schlage verloren hatten. Schon bei der ersten Prüfung (2 Wochen nach der Konjugation) wurden sie ganz wie die Aus- gangslinie bei einer Konzentration von 1:100 wieder abgetötet, während der andere Teil der Infusorien, der keine Konjugation durchgemacht hatte, erst nach weiteren 3 Monaten und dann all- mählich ganz entsprechend dem oben beschriebenen Verhalten des Stammes B, die Widerstandsfähigkeit gegen arsenige Säure zurück- bildete. Bei einem weiteren, gegen 3,5: 100 gefestigten Stamme endlich war während einiger Wochen versucht worden, Konjugation zu er- zwingen. Zu diesem Zwecke wurde ein Teil der Kultur einem häufigen und schroffen Wechsel der Ernährungs- und Temperatur- bedingungen ausgesetzt. Konjugation wurde nicht erzielt, wohl aber verloren die derartig behandelten Paramaecien bereits nach 2 Mo- naten ıhre Giftfestigkeit, während sie bei dem unter normalen Ver- hältnissen belassenen Teil des gleichen Stammes erst nach 3'/, Monat zurückzugehen anfıng. Diese Beobachtungen zeigen wohl zur Genüge, dass auch bei unseren „giftfesten“ Paramaecienstämmen keine Beeinflussung der „genotypen Grundlage“ erfolgt war, sondern dass es sich bei dieser Resistenz um eine - or (Plasma? ) der Infusorien nur äußer- lich aufgezwungene Veränderung handelt, die ıhre potentiellen Fähig- keiten überhaupt nicht berührte, sie zwar einige Zeit nicht zur Geltung kommen ließ, aber schließlich doch von ihnen überwunden wurde, langsam bei normalen Bedingungen, schneller bei wechselnden, die die betreffenden Individuen zu mannıgfachen Reaktionen zwingen, mit einem Schlage durch die im Zusammenhange mit der Konjugation erfolgende tiefgehende Umgestaltung des Paramaeciumkörpers. — Das Fehlen der Beeinflussung der Erbanlage, wie es sich besonders klar bei der Konjugation zeigte, trennt die von uns behandelten Fälle prinzipiell von Mutationen, sie müssen also als Modifikationen bewertet werden. Da sie sich aber andererseits auch von den gewöhnlichen Modifikationen durch ihre langdauernde — ım Falle von B, sich während über 600 Teilungsschritten erhal- tende) -— Konstanz bei Zurückversetzung in die ur- 14) B, a: dauernd bei 31° gehalten (s. 0.) und teilte sich bei dieser Tem- peratur nich regelmäßig mindestens dreimal innerhalb 24 Stunden. Da die Änderung in der Giftfestigkeit erst im 8. Monate einsetzte, war die Resistenz also während etwa 3 X 30 X 7 Teilungsschritten konstant geblieben. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 233 sprünglichen Lebensbedingungen scharf unterscheiden, so ist es wohl notwendig, für derartige Erscheinungen einen neuen Begriff zu schaffen. Wir bezeichnen sie da- her als „Dauermodifikationen*. Dauermodifikationen kommen nun sicherlich bei den Protisten nicht selten vor, wenn sie auch bisher nicht als solche erkannt, sondern meist wohl als „Mutationen“ angesehen worden sind. Bevor wır aber kurz auf derartige Fälle verweisen, muss be- tont werden, dass es bei den Protisten zweifellos auch echte Mu- tationen gibt. Ein solcher Fall konnte auch im Verlaufe der hier mitgeteilten Beobachtungen bei Paramaecıum festgestellt und m m jr DD > I 3 je 1 = ee) Anzahl der Individuen jeder Längenklasse =] Rd E - 2eı = 29730, 310.32 833 312.35530 3.238,39. 407 217427 4374445746 Länge der Paramaecien in Maßeinheiten. Fig. 1. Variationskurven. ——— Stammform («) —+- Mutante (a), @® @@®@ Mu- tante (a,), O©OOOO Mutante nach Konjugation, _—— — — Stammform (a). genau geprüft werden (in zwei weiteren vielleicht analogen Fällen ließ sich die Prüfung aus äußeren Gründen nicht lückenlos durch- führen). Die zu schildernde Veränderung trat nun nicht bei den Gift-, sondern bei den Wärmeversuchen auf: In einer Kultur der Indi- viduallinıe «a (Ss. 0.), die ständig bei 31° gehalten und zu anderen Versuchen gebraucht und daher ab und zu kontrolliert wurde, fanden sich nach 9 Wochen (also zu einer Zeit, wo schon längst eine völlige Gewöhnung und Regulation hätte erfolgt sein müssen) neben Paramaecien von „Normalgröße* auch auffallend kleinere Individuen. Fine genauere Messung ergab denn auch eine typische zweigipfelige Variationskurve (s. Fig. 1) ganz wie bei dem Vor- handensein zweier verschiedener Rassen innerhalb einer Kultur. 254 Jollos. Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. Es wurden nun einzelne der kleinsten wie auch der größten Para- maecien isoliert gezüchtet (und daneben auch die Mischkultur weiter- geführt) und nach einiger Zeit gemessen. In beiden Fällen ergaben sich nunmehr eingipfelige Variationskurven, die aber wesentlich von- einander verschieden waren und nur unerheblich transgredierten ’’) (s. Fig. 1). Von diesen beiden Variationskurven erwies sich die der größeren Infusorien als mit der (häufig aufgenommenen) der Ausgangslinie a identisch, die der kleineren (a,) dagegen als völlig neu. Es war die kleinste von mir je gezüchtete Linie von Para- maecium. Und auch in anderer physiologischer Hinsicht zeigte sich bei diesen kleinen Infusorien (a,) ein Unterschied gegenüber a; sie konnten nämlich unmittelbar aus 31° (und auch aus 19° und sogar 6°) in 39° versetzt werden, während a wie alle meine übrigen Stämme hierbei regelmäßig einging!®). Und diese abweichenden Eigen- schaften behielt a, auch nach monatelanger Kultur sowohl bei 31° wie bei tieferen Temperaturen unverändert, und es behielt sie schließlich, was das Wichtigste ist, auch in Kulturen, die nach dem Eintritt einer Konjugation aus Exkonjuganten gezüchtet worden waren. (Am deutlichsten ist dies aus den Größenvariationskurven zu ersehen. Wohl erfolgt nach der Konjugation eine geringe Ver- schiebung der Kurve, aber nicht in höherem Maße als sie bei Kon- Jugationen innerhalb von Individuallinien überhaupt zu beob- achten sind.) Die neue aus a hervorgegangene Linie a, ist damit als echte Mutante erwiesen. — Nebeneinander kommen also bei den Protisten Modifikationen, Dauermodifikationen und echte Mutationen vor, und äußerlich gleich erscheinende Veränderungen können demgemäß (wenn wir von Selektion aus Populationen sowie Kombination bei Amphı- mixis absehen) unter Umständen dreierlei Art entstehen. Wie sie in jedem einzelnen Falle zu beurteilen sind, lässt sich mit Sicher- heit wie bei den Infusorien allein nach Prüfung ihres weiteren Ver- haltens unter verschiedenen Bedingungen und besonders nach Be- fruchtungsvorgängen entscheiden. Schwieriger wird die Entscheidung demgemäß natürlich dort, wo keinerlei Befruchtung vorhanden oder wenigstens nachgewiesen ist, also gerade bei den ın letzter Zeit noch am meisten unter- suchten Formen: den Trypanosomen, Spirochäten, Bakterien u. a. Auch bei ihnen hat man bisher nur zwischen Modifikationen und 15) Unter sich waren sowohl die „kleinen“ wie auch die „großen“ Paramaecien identisch. 16) Diese neuen Eigenschaften von «, schließen schon allein den sonst nahe- liegenden Einwand aus, es könne eine Verunreinigung der Individuallinien Kultur « erfolgt sein, eine Möglichkeit, die sich auch bei der ganzen Versuchsanordnung völlig ausschließen lässt. Jollos, Experimentelle Untersuchungen an Infusorien. 35 Mutationen unterschieden und jede unter gewöhnlichen Lebens- bedingungen lange konstant bleibende Veränderung in der Regel ohne weiteres als Mutation bezeichnet. Durch die Feststellung von Dauermodifikationen wird einem derartigen Einteilungsprinzip natür- lich der Boden entzogen und eine erneute und vertiefte Prüfung all dieser sogen. Mutationen nötig. Denn beı der Frage, ob Mutation oder Dauermodifikation, han- delt es sich eben nicht um einen Streit um Namen, sondern um prinzipielle sachliche Unterschiede. Und mit der Übertragung der aus den klareren Verhältnissen bei den Infusorien gewonnenen Er- kenntnis auf andere, für derartige Unterscheidungen weniger günstige Protistengruppen erreichen wir nicht nur eine einheitliche An- schauung, sondern können auch manche bisher bestehenden theo- retischen Schwierigkeiten beseitigen: So sind uns die bei den meisten Bakterien- und Pilz,mutationen“ beschriebenen Rückschläge ohne weiteres verständlich '”), finden sie doch in dem Verluste der Gift- festigkeit unserer Paramaecien ein vollständiges Analogon. Keiner besonderen Erklärung bedarf auch die Rückbildung von Bakterien- „mutanten“ nach Darmpassage oder Behandlung mit Karbol, Erschei- nungen, denen gegenüber man sich bisher meist durch die Annahme von neuen „Rückmutationen* zu helfen suchte (während wir bei unseren Infusorien „Rückmutationen* gerade ausschließen können). In gleicher Weise verstehen wir von unserem Standpunkte aus, dass bei gift- resp. serumfesten Trypanosomen die Resistenz in zahlreichen Fällen durch viele Tierpassagen erhalten bleibt, ın analogen anderen dagegen sowie nach Passage durch das über- tragende Insekt völlig verloren geht. Bei dem Verlust der Gift- festigkeit im Überträger brauchen wir sogar nicht einmal die Ein- wirkung eines Bari mac anzunehmen, da schon alleın der ale Wechsel der Lebensbedingungen — ganz wie bei einem unserer Paramaecienstämme — den ac kschlag zum Durchbruch bringen kann. — Sn manche für Mutationen angesehene Veränderungen lassen sich also auch bei den Protisten mit unbekannter a fehlender Sexualität schon jetzt als Dauermodifikationen besser verstehen, und ıhre Zahl dürfte wohl bei eingehenderer Untersuchung ständig wachsen. Neben solchen genauer bestimmten Fällen bleiben aber immer noch andere, die wir auch weiter als Mutationen be- zeichnen miüssen, wenngleich damit zu rechnen ist, dass in diese Kategorie noch geraume Zeit neben echten Mutationen, wie wir sie in der Wärmemutante (a,) von Paramaecium kennen lernten, a auch Dauermodifikationen eingeweiht sind, die wir 17 ) D. h. natürlich nur vererbungstheoretisch betrachtet, nicht dagegen in ihrem „Mechanismus“, 2536 Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine ete. aber erst mit fortschreitender Ausbildung unserer Prüfungsmethoden als solche werden nachweisen können (durch Zurückführung in den Ausgangszustand). Die an den Infusorien gewonnenen Erfahrungen zeigen aber auch schon, ın welcher Weise eine derartige Prüfung anscheinend konstanter Veränderungen bei asexuellen Protisten zunächst weiter auszubauen ist: Einmal müssen die veränderten Stämme viel länger bei normalen Bedingungen (d.h. unter Ausschluss der die Verände- rung hervorrufenden Einwirkungen) gehalten werden als dies bisher gewöhnlich geschieht; daneben aber sind sie den verschiedensten abnormen, besonders schädigenden Einflüssen unter häufigem schroffem Wechsel auszusetzen. Bei „Mutationen“, die durch chemische Agen- tien erzeugt werden, wäre besonders auch an Einwirkungen ganz andersartiger Verbindungen zu denken, Stets kommt es eben nur darauf an, die dem Körper nuräußerlich ohne Beein- flussung seiner erblichen Anlagen aufgezwungene Ver- änderung durch Auslösung tiefgreifender Allgemein- reaktionen der Organismen wieder abzuschütteln. — Diese Hinweise mögen hier genügen, eine eingehendere Besprechung der Literatur muss ebenso wie die genauere Darstellung der ge- schilderten Versuche und Beobachtungen der ausführlichen Arbeit vorbehalten bleiben. München, Zoologisches Institut der Universität. Contributo alla conoscenza delle Fillosserine ed in particolare della Fillossera della vite. Prof. Dott. B. Grassi e suoi allievi DDri A. Foä, R. Grandori, B. Bonfigli, M. Topi. p. 456 (con 20 Tavole). Riassunto p. LXXXV. Roma 1912. Ministero d’Agricoltura. Dieser Beitrag ist die Frucht einer ca. 6jährigen Arbeit des Prof. B. Grassı und der Dr. Anna Foä; die anderen Mitarbeiter (alle Schüler von Prof. Grassi) haben eine kürzere Zeit darauf verwendet. Die Abhandlung ist in zwei Teile geteilt: der erste behandelt alle in Italien vorkommenden Phylloxerinae mit Ausnahme der Reblaus, der zweite bezieht sich fast ausschließlich auf die letztere. Die Autoren unterscheiden in Italien außer der Reblaus 12 Phylloxera-Arten, von denen einige in unserem Lande bis jetzt noch nicht beschrieben, andere vielleicht mit schon bekannten Arten verwechselt wurden, andere endlich, wie z. B. die auf den Wurzeln der Eichen wachsende Foaiella Danesii, gewiss neu sind. Auf Grund eines durch gründliche anatomische Hinweise unterstützten sehr eingehenden Studiums der äußeren Merkmale stellen die Autoren Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine ete. In die systematische Lage aller beobachteten Formen fest und liefern Klassifikationstabellen der verschiedenen Stadien, der Larven, die noch keine Häutung erfahren haben (erste Larven), der dem ersten folgenden Stadien und der definitiven apteren Formen, der ge- flügelten, der sexualen, der Eier und andere Tabellen, die sich auf die Teile der Pflanze beziehen, ın denen die Entwickelung der verschiedenen Formen nach dem Auskriechen aus dem Eı erfolgt, sowie auf die bei den Pflanzen hervorgerufenen wichtigsten Be- fallen; von jeder einzelnen Art wird eine mehr oder weniger aus- führliche Beschreibung gegeben. Von 11 dieser Arten wird auch der Zyklus der Entwickelung geschildert und mit den erforderlichen erläuternden Anmerkungen graphisch dargestellt. Die Schemata der Zyklen folgen aufeinander, indem die Autoren von dem einfachsten ausgehen und allmählich bis zum komplizıer- testen fortschreiten; auf diese Weise wird zur Evidenz nachgewiesen, dass in der Natur die mannigfachsten Fälle eintreten. Angefangen wird mit dem Zyklus der Parthenophylloxera ilheis (Grassı), der ausschließlich aus apteren und geflügelten parthenogenetischen Gene- rationen besteht; dann folgt der des Acanthochermes querceus (Kollar), der nur aus 2 Generationen besteht, die der Fundatrix (aptera sexupara) und die der sexualen (hier ıst die Tatsache bemerkens- wert, dass die Abgabe des dauerhaften Eies fehlt; die erste Larve der Fundatrix entwickelt sich innerhalb des Körpers des toten sexualen Weibchens und tritt ım Frühlung aus einer im Kopfe der Mutter entstehenden Spalte aus [Foä]). Hierauf wird zu den Zyklen der Phylloxerinae (Börner) und der Phylloxerella confusa (Grassı) übergegangen, bei denen dıe Geflügelten fehlen, dann zu denen des Phylloxeroides italicum (Grassı), der Foaiella Danesii (Grassıet Foä), bei der aptere, nymphale und geflügelte (diese letztere sehr selten bei dem Phylloxeroides ütalicum) Sexuparen vorhanden sind, und der Moritziella corticalis (Kalt.), bei der die sexuale Generation die Tendenz hat unterdrücht zu werden, weil die geflügelten Sexuparen fast ausschließlich maskuliparae sind und die überwinternden er- scheinen, um die Art von Jahr zu Jahr zu erhalten. Dann kommt der Zyklus der Acanthapkis spinulosa (Targıonı), bei der virgini- pare geflügelte und sexupare geflügelte (selten virginisexupare), die alle die Eier auf der Zerreiche ablegen, und überwinternde Formen vorhanden sind, und endlich der Zyklus der Phylloxera quercus (De Fonse.), der sehr kompliziert sein kann infolge der Anwesen- heit von geflügelten virginiparen, die von der Steineiche zu den Eichen wandern, von geflügelten sexuparen, die von den Eichen zur Steineiche zurückkehren, und von auf der Steineiche über- winternden; die geflügelte Sexuparen können auch auf der Stein- eiche sich entwickeln, auf die Eiche die Eier legen, ete. Folglich ist die Wanderung zur Eiche, wie die Wanderung von der Eiche, 38 Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine etc. d.h. das Wirtwechseln, nicht notwendig in dem Entwickelungsgang dieser Phylloxera eingeschaltet und nicht alle die oben erwähnten Formen sınd auch für den Entwickelungskreis der Phylloxera quercus notwendig. Was die Phylloxera der Rebe anbelangt, so erklären die Autoren viele Punkte aus der Biologie des Insekts und finden Be- ziehungen zwischen den Merkmalen der ersten Larven und ihrer Lebensweise. Unter den von ihnen nachgewiesenen biologischen Tatsachen ist die fundamentale, für die sie auch den experimentellen Beweis er- bringen, die, dass ım Gegensatz zu dem bisher Angenommenen die aus dem Winterei ausgekrochene (Fundatrix) Larve nicht anders als auf den Blättern leben kann und absolut nicht imstande ist, sich auf den Wurzeln festzusetzen. So geht auf den europäischen Weinstöcken in der größten Mehrzahl der Fälle, da keine Galle- colae hervorgebracht werden, das Produkt des überdauernden Eies verloren und infolgedessen hat die sexuale Generation in diesem Falle hinsichtlich der Erhaltung der Art nicht die Bedeutung, die man ıhr zuerkannt hatte. Diese Tatsache, dass die erste Larve nicht, wie man annahm, willkürlich zwischen dem Leben über und unter der Erde wählen kann, ist von den Autoren experimentell nicht nur für die Fundatrix, sondern für die anderen jungen Larven der Gallecollaegenerationen nachgewiesen worden; sie haben ferner konstatiert, dass die zum Leben unter der Erde bestimmten ersten Larven sich von den zum Leben über der Erde bestimmten darch deutlich hervortretende äußere Merkmale (Gestaltung des dritten Gliedes des Fühlers, Länge der Haare des Fußes, Struktur der dorsalen Kutikula, ete....) unterscheiden. In einer und derselben Galle und als Abkömmlinge einer und derselben Gallenlaus finden sich fast immer die beiden Arten von ersten Larven, welche die Autoren „Neogallecolae-Gallecolae“ nennen (diejenigen, welche auf den an der Luft befindlichen Teilen der Pflanzen weiter leben werden), und „Neogallecolae-Radieicolae“ (diejenigen, welche zu den Wurzeln hinabsteigen werden). Die Neogallecolae-Gallecolae haben sehr große Ähnlichkeit, mit der ersten gründenden Larve, die Neo- gallecolae-, Radicicolae sind gleich den ersten Larven, die aus den Radicicolae auf den Wurzeln entstehen (Neo-Radicicolae). Die numerischen Beziehungen zwischen den beiden Arten von Neogalle- colae variieren hauptsächlich je nach den verschiedenen Wein- stöcken, auf dem die Mutter sich ernährt hat, so dass ein Einfluss auf die Nachkommenschaft ausgeübt wird, wenn man einem Neo- gallecola-Gallecola einen anderen Weinstock anweist. Es existieren auch erste Zwischenlarven zwischen den Neogallecolae-Gallecolae und den Neogallecolae-Radicicolae; ihr Schicksal ist das der Formen, mit denen sie die meiste Ähnlichkeit haben. Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine etc. 339 Ausnahmsweise kann es infolge von Umständen, welche die Autoren angeben, vorkommen, dass irgendeine Neogallecola-Radıcı- cola sich in einer schon gebildeten Galle entwickelt, jedoch die Merkmale einer Radicicola beibehält und auch geflügelt werden kann. Auf diese Weise erklären sich die so viel erörterten Fälle von Geflügelten der Gallen. Die Autoren weisen nach, dass diese Geflügelten genau wie diejenigen, welche sich auf den Wurzeln entwickelt haben, sexupare sind. In anderen seltenen Fällen kann es vorkommen, dass infolge Anwesenheit von Adventivwurzeln oder infolge der durch die Experimentierenden geschaffenen speziellen Bedingungen die Neoradicicolae sich dem Leben über der Erde anpassen. Alsdann erwerben sie allmählich mit dem Aufeinander- folgen der Generationen die Merkmale der Gallecola; diese von den Autoren genannte „Direkte Gallecolae“ können sogar mehr oder minder vollkommene Gallen erzeugen. Dagegen ist es nicht möglich, zu bewirken, dass die Neogallecolae-Gallecolae sich einem Leben unter der Erde anpassen. Sehr verschieden von den Beziehungen zwischen den beiden Arten von Neogallecolae sind die zwischen den apteren und ge- flügelten Radicicolae bestehenden. Die Autoren weisen nach, dass im Augenblick des Ausschlupfens aus dem Ei die erste radicicole Larve, die eine aptere Form er- geben wird, sich nicht von der unterscheidet, die sich zu einer ge- flügelten entwickeln wird; ja, von der dritten jährlichen Generation an gelingt es experimentell, die ersten Larven (nicht alle), die sich zu apteren entwickelt haben würden, in geflügelter Form heran- wachsen zu lassen und umgekehrt, indem man sie von den euro- päischen Weinstöcken auf amerikanische bringt und umgekehrt (geflügelte statt apteren) oder indem sie sie isoliert statt auf einem kleinen Wurzelstück vereinigt aufziehen (apteren statt geflügelte). Auch die Biologie der Geflügelten ist eingehend studiert, wie auch die der Sexualen. Das Studium der Biologie der Radicicolae führt die Autoren dazu, auch die Erscheinungen des Überwinterns und der Ästivation in Betracht zu ziehen. Die Autoren weisen nach, dass beide an die Vegetationsbedingungen der Pflanze gebunden sind, dass die überwinternden Larven sich während des Winters nicht verschieben, sich nach dem Erwachen sehr wenig bewegen und dass die ersten Nodositäten des Jahrganges durch die Töchter der überwinternden erzeugt werden (Foä). Der Vergleich zwischen den verschie- denen Formen veranlasst sie, die Schwankungen der Länge des Schnabels in den verschiedenen Jahreszeiten und unter den ver- schiedenen Bedingungen zu studieren; diese Schwankungen treten bis zu einem gewissen Punkt ein in Beziehung zur Ergreifung der Nahrung. 240 Grassi, Contributo alla conoscenza delle Fillosserine ete. Die Autoren weisen auch bei der Reblaus auf das Vorhanden- sein jener Reihe, die sie Nymphale nennen (weil die erwachsene hier Merkmale hat, hinsichtlich welcher sie mehr oder weniger einer Nymphe ähnelt) und bemerken, diese nymphalen Formen seien virginipare (sehr selten sexupare). Sie beweisen, dass alle Individuen der Phylloxerinae vıer Häutungen durchmachen (Foä), welches auch ıhr endgültiges Aussehen sein mag (Gallecolae, Radicicolae, Geflügelte, Nymphale, Sexuale) und zwar nicht nur bei der Phyl- loxera der Rebe, sondern bei allen Formen aller Phylloxerinae. Sıe beschreiben alle verschiedenen Arten von Eiern der Reblaus, beschäftigen sich mit den numerischen Beziehungen zwischen denen, die Männchen ergeben werden, und denen, aus welchen sexuale Weibchen entstehen werden u. s. w. Bemerkungen von praktischem Interesse finden sich in den Kapiteln, die sich auf die Widerstandsfähigkeit der amerikanischen Weinreben, auf die Verbreitung der Reblaus und deren Bekämpfung beziehen. Unter den verschiedenen Verbreitungsweisen schreiben sie dem Herauskommen der Radicicolae der ersten (jungen) Larven aus dem Boden und ihrem aktiven oder passiven Wandern ver- mittelst der Winde eine große Bedeutung zu. Für unschädlich halten sie die Zirkulation des Steckreises. Endlich stellt Grassi, indem er die erhaltenen Resultate ver- wertet, Überlegungen von allgemeiner Art über den Dimorphismus und die Rudimentationserscheinungen an. Bei den Phylloxerinen lassen sich zwei Arten von Dimorphismus unterscheiden, der eine präinduzierte veranlasst ist durch auf die Mutter ausgeübte Ein- flüsse (dies ist der Fall der Neogallecolae-Gallecolae und der Neo- gallecolae-Radicicolae nach der Verschiedenheit des Weinstocks), und der andere, induzierter Dimorphismus, der veranlasst ist durch auf die Individuen ausgeübte Einflüsse, welche sich auch bei ihrer Nachkommenschaft kundgibt (dies ist der Fall der ersten Larven, welche sowohl aptere Virginiparen, wie geflügelte Sexu- paren werden können). Der Autor vergleicht diese Fälle mit anderen schon hinsichtlich anderer Formen bekannten zu dem Zwecke, die Erscheinungen unter einem gemeinsamen Gesetz zu vereinigen. Sodann betrachtet er die Rudimentatienserscheinungen, die bei den Phylloxera-Arten eintreten, worunter die wichtigsten diejenigen sind, die sich auf die Umgestaltung der Augen, der Flügel beziehen; er bemerkt, sie seien unabhängig vom Nichtgebrauch und lassen sich unterstellen vielmehr zum Prinzip des Balancement des Or- ganes (E. de Geoffroy Saint Hilaire). Grassi hat sich in letzter Zeit sehr viel mit der Phylloxera quereus auf der Steineiche beschäftigt und nachgewiesen, dass die Geflügelten, Töchter der überwinternden, virginipare sind wie jene Töchter der Fundatrix und dass die Nachkommenschaft der virginiparen Semon, Das Problem der Vererbung „erworbener Eigenschaften“. 41 Apteren aus virginiparen Apteren, geflügelten Masculiparen und geflügelten Feminiparen gebildet wird; diese 3 Arten von Individuen folgen aufeinander ın der Ordnung, wie sie aufgezählt wurden. Lässt man sie künstlich überwintern oder ästivieren (indem man für die Ästivation die ersten Larven eine gewisse Zeitlang auf harten Blättern zubringen lässt), so kann man es erreichen, dass die Formen, die geflügelt geworden wären, aptere Virginipare werden, aber es fehlt jedes Anzeichen dafür, dass man statt einer Masculipara eine Feminipara und umgekehrt erhalten kann. Am Schluss sei es noch bemerkt, dass die Bibliographie voll- ständig eingesammelt und sehr gut geordnet ıst: das Werk ist tech- nisch (Tafeln, Textfiguren, Druck) sehr schön ausgestattet. Osw. Polimanti (Rom). Richard Semon, Das Problem der Vererbung „erworbener Eigenschaften“. Leipzig 1912, Verlag von W. Engelmann, 203 Seiten mit 6 Abbildungen. Die exakte Erblichkeitslehre hat das große Verdienst, die Wissen- schaft von der Abstammung der Organısmen von den bloßen Ver- mutungen zum Experiment geführt zu haben. Ihre starren Regeln hätten aber schließlich dahin führen müssen, dass dıe Veränderlich- keit der Arten ın unserer Vorstellung auf ein Minimum reduziert worden wäre. Die meisten deszendenztheoretischen Ableitungen hätten ganz verlassen werden müssen, wenn nicht die Mutations- theorie ausgeholfen hätte. Aber auch mit deren Hilfe war es schwer, ein klares Bild vom Fortschritte der Arbeitsteilung in der organischen Welt zu erhalten, ganz abgesehen von den Stimmen, die gegen ıhre Gültigkeit laut wurden. Allmählich häuften sıch aber dıe Erfahrungen, dass erbliche Veränderungen mit Anpassungscharakter oder ohne solchen durch gewisse äußere Einwirkungen hervorgerufen werden können, sei es durch extreme Einflüsse (Standfuß, Tower etc.), sei es. durch Bastardierung (Rosen). Semon vertritt nun schon seit längerer Zeit die seit Weis- mann’s Auftreten ın Misskredit gekommene Auffassung, dass „er- worbene Eigenschaften“ erblich seien Die neueren dahin deutenden Erfahrungen geben ihm den Anlass, das einschlägige Tatsachengebiet zu einem sehr anregenden Buche zusammenzufassen. Da die ge- bräuchliche Fragestellung, wie sie im Titel angeführt ist, zu mancherlei Irrtümern Veranlassung gibt, wird das Problem folgendermaßen formuliert: „Vererben sich Reız- beziehungsweise Erregungswirkungen, die auf die Elterngeneration erfolgt sind und sich bei ihr, gewisse Ausnahmsfälle abgerechnet, auch manifestiert haben, auf die Nach- kommen ?* 342 Semon, Das Problem der Vererbung ‚erworbener Eigenschaften“. Die bejahende Antwort auf diese Frage wird nun begründet. Herangezogen wird die Widerlegung scheinbar entgegenstehender Tatsachen sowie die Besprechung von Erfahrungen, die für eine solche Vererbung sprechen. Einiges möge angeführt werden. Der schon früher von Semon behauptete 12: 12stündige Rhythmus bei den Schlafbewegungen der Pflanzen trete nach neueren Unter- suchungen nach dem Ausschalten periodischer Einflüsse vielfach klar zutage. Er habe keinen Selektionswert, müsse also als Bei- behaltung einer ererbten Gewohnheit aufgefasst werden. Ver- letzungen werden bekanntlich nicht vererbt. Das sei aber auch nicht zu erwarten. Die Reaktion auf die Verletzung sei es, die auf ıhr leichteres Eintreten hin untersucht werden müsste. Kammoerer habe derartige Erfahrungen an Ascidiensiphonen gemacht. Von Zuchtexperimenten sind nach der Kritik der exakten Erb- lichkeitslehre nur solche beweisend, die an reinem Material ange- stellt worden sind. Es gibt aber Tatsachen, welche zeigen, dass die klimatische Akklımatisation von Pflanzen, die durch äußere Umstände veränderte Fortpflanzungsart von Dapbnien, die Farben- veränderungen an Schmetterlingen, Salamandern, Eidechsen u. s. f. vererbt werden. Besonders wichtig sind Schröder’s Versuche über Instinktänderung bei Käfern und Motten, die Chauvin’schen Experimente mit dem Axolotl und die von Kammlerer mit der Geburtshelferkröte und dem Feuersalamander, weil hier ein un- mittelbarer Einfluss der bewirkenden Faktoren auf die Keimzellen durch die Versuchsbedingungen ausgeschaltet ist. Diese Fragen werden eingehend besprochen. Es handelt sich darum, festzustellen, ob die Veränderung im Verhalten der Nachkommen durch unmittel- bare Einwirkung der Außenreize auf das Keimplasma oder durch Reizleitung von den elterlichen Körperzellen her zustande kommt. Im ersteren Falle wäre eine Parallelität in den Modifikationen der Beschaffenheit und des Gebahrens der Eltern und der Nachkommen schwer zu begreifen. Aber auch rein physiologisch ist dieser Fall vielfach unwahrscheinlich, weil die Außeneinflüsse sehr abgeschwächt zu den Keimzellen dringen. Man müsste z. B. annehmen, dass das Keimplasma des Feuersalamanders sehr viel empfindlicher gegen Lichtreize sei als die Augen! Als Erregungen, die zu den Keimzellen geleitet werden könnten, kommen folgende in Betracht: 1. Solche, die unmittelbar als pbysi- kalische oder chemische Reize die Körperzellen treffen. 2. Solche, die durch die Funktion der Organe bedingt wird. 3. Solche, die durch den Zusammenhang und die Gestalt der Teile hervorgerufen werden. Die ersten sind am wirksamsten. Eine „Parallelinduktion“ durch gleichsinnige direkte Beeinflussung der Eltern und der Nach- kommen ohne Wechselwirkung zwischen beiden hat man aus Ver- suchen Tower’s mit dem Kolorado-Käfer geschlossen. Wirken nämlich äußere Reize, wie z. B. Erwärmung, nur bis zur Beendigung des Puppenstadiums, so wird allein die Farbe des Imagos, nicht die der Nachkommen beeinflusst. Werden dieselben Reize alleın Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 343 während der Reifezeit der Keimzellen angewandt, so verändern sie nur dıe Nachkommen. Nach Semon erklären sich diese Befunde aus der Unmöglichkeit der Farbenveränderung nach dem Aus- schlüpfen aus der Puppe und aus dem Vorkommen einer sensiblen Periode der Keimzellen. Die Stellung der Semon’schen Auffassung zur Bastard- und Variationsforschung kann hier nicht ausgeführt werden. „Muta- tionen“ werden nach dem Verf. vielfach durch äußere Einflüsse hervorgerufen. Ein Schlusskapitel behandelt u. a. das Zusammen- wirken von Zuchtwahl und somatogener Vererbung. Nicht ganz klar erscheinen dem Ref. zwei Punkte. Erstens die Stellung des Verf. zu der Frage, warum durch Reızleitung vom Soma her eher als durch direkte Beeinflussung der Keimzellen eine Parallelität im Verhalten von Eltern und Nachkommen gewährleistet sei. Offenbar muss man annehmen, dass jede Geschlechts- wie jede (sewebezelle ın denselben Erregungszustand gerät. Durch diesen wird dann wohl die Umformung hervorgerufen. Zweckentsprechend kann sie aber doch nur sein, wenn dieselbe „Erfahrung“ im Laufe der Phylogenie schon gemacht wurde. Damit hängt die zweite Frage zusammen. Die erfolgreichen Experimente Kammerer’s beziehen sich großenteils, ähnlich wie die bisher sicher als Mutationen erkannten Veränderungen, nicht auf neue Eigenschaften, sondern entweder auf Verlust von Merkmalen oder auf Wiederholung solcher, die in der Stammesentwickelung schon vorgekommen sind. Dieser Gesichtspunkt hat offenbar auch als heuristisches Hilfsmittel gedient. Es ist bisher sehr schwer, die Entstehung sicher neuer Differen- zierungen, also eine fortschreitende Entwickelung einwandfrei zu erweisen. E. G. Pringsheim, Halle. G. Hegi. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. III. Bd., 607 S., 42 bunte Tafeln, 270 Abb. im Text. München, Verlag von J. F. Lehmann. Von dem Werke, das wir schon wiederholt angezeigt haben, liegt nun der dritte Band, und damit die Hälfte des Ganzen, abge- schlossen vor. Er umfasst den ersten Teil der Dicotyledonen, insbesondere die Gruppe der Monochlamydae und die beiden großen Familien der Caryophyllaceen und Ranunculaceen. Über den reichen Inhalt ist dem früher Ausgesprochenen nichts hinzu- zufügen; er entspricht den Erwartungen, die man nach den ersten Bänden hegen durfte. Ganz erstaunlich ıst, was für den mäßigen Preis an Illustrationen geboten wird; nicht nur die bunten Tafeln stehen dem Besten, was man an Pflanzenabbildungen besitzt, gleich, sondern auch die ein klein wenig schematisierten Textabbil- dungen, die den Habitus und die wichtigen morphologischen Eigen- tümlichkeiten fast aller wichtigeren Arten illustrieren, sind von einer Exaktheit der Zeichnung und Klarheit des Druckes, wie sie A 244 Fränkel, Dynamische Biochemie. kaum übertroffen werden können. Dazu kommen dann noch die guten Reproduktionen von photographischen Naturaufnahmen, die den Habitus oder die Pflanzenvergesellschaftung darstellen. Nicht nur bei den Bäumen, sondern auch bei vielen der kleineren Blüten- pflanzen sind sie ganz vortrefflich gelungen. Und als eine weitere ganz neue Zugabe. zu einer Flora stellen“ sich kleine, ebenfalls sehr klare Kärtchen über die Verbreitung einzelner Spezies, die darin auffallendes zeigen, dar. Um dem einzigen Vorwurf, den man dem Werk machen könnte, der gegen die Voranzeige hinausgezögerten Vollendung, zu begegnen, hat der Verlag zwei neue Bearbeiter für den 5. und 6. Band ge- wonnen, Hans Hallier in Leiden und A. v. Hayek in Wien; der 4. und 6. Band sollen jetzt ın ıhren Lueferungen gleichzeitig er- scheinen. Es ist nur zu wünschen, dass die beiden Schlussbände in jeder Beziehung den vom Hauptherausgeber geschaffenen Bänden gleichen mögen. W. Sigmund Fränkel: Dynamische Biochemie. Chemie der Lebensvorgänge. Wiesbaden 1911. Verlag von J. F. Bergmann. 600 p. Nachdem Fränkel vor einigen Jahren in seiner deskriptiven Biochemie die Beschreibung der ım tierischen Organismus vor- kommenden Substanzen, sowie ihre Gewinnung und Bestimmung beschrieben hat, behandelt er im vorliegenden Werke den Umsatz der Substanzen im Organismus von chemischen Gesichtspunkten aus, so dass nach Vollendung der beiden Teile eine vollständige physiologische Chemie vorliegen soll. Das Thema, das der Verf. sich hier gestellt hat, ist ein außerordentlich schweres; vielfach finden sich Lücken ın unserem Wissen, oftmals sind die Lücken so groß, dass das Bekannte wie Fettaugen auf einer mageren Suppe erscheint. Unter solchen Umständen ıst es natürlich sehr schwer, in diese spröde Materie System zu bringen. Verf. hat, wie man eigentlich voraussehen musste, diese Schwierigkeit nicht bemeistern können, und so ist sein Buch an vielen Stellen eine Aneinander- reihung von Tatsachen ohne rechten Zusammenhang geworden. Andererseits muss man zugeben, dass auf die Materialsammlung großer Fleiß verwendet worden ıst und dass die Mehrzahl der ın Betracht kommenden Tatsachen, wenn auch bisweilen etwas ver- steckt und schwer aufzufinden, in dem Buche enthalten ist. Leider darf nicht verschwiegen werden, dass das Buch eine große Reihe von Druckfehlern enthält, und dass die Literaturangaben recht häufig unzuverlässig sind. Immerhin wird als Materialsammlung das Buch seinen Wert behalten. Pincussohn. Veran, von ne Thieme in Teiplie, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblait. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd.XXXIII. 20. Mai 1913. 65, Inhalt: Wille, Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. — Kieffer und Douwe, Zur Flora und Fauna der Strandtümpel von Rovigno (in Istrien). — Emery, Uber die Abstammung der europäischen arbeiterinnenlosen Ameise ‚‚Anergates‘‘. — Szymanski, Methodisches zum Erforschen der Instinkte.. — Wasmann, Lasius emarginatus Ol., eine kartonnestbauende Ameise. — Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigment- strömung in den Melanophoren der Knochenfische. — Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi (Ociopus vulgaris Lam.). — Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. — Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. — Rosenthal, Bemerkungen zu dem Aufsatz des Herrn Lewin. — Roux, Terminologie der Entwickelungsmechanik der Tiere und Pflanzen. — Nusbaum, Die entwickelungsmechanisch- metaplastischen Potenzen der tierischen Gewebe. — Weigl, Vergleiehend-zytologische Unter- suchnngen über den Golgi-Kopsch’schen Apparat und dessen Verhältnis zu anderen Struk- turen in den somatischen Zellen un«d Geschlechtszellen verschiedener Tiere. — Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. — v. Reichenbach, Lehrbuch der Paläo- zoologie (in zwei Teilen). — Preisausschreiben. — Die 85. Versammlung Deutscher Natur- forscher und Arzte. Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Eine Antwort an Herrn Richard Semon. Von N. Wille (Christiania). In der Wissenschaft wird derjenige, welcher Recht hat, auch zuletzt Recht behalten, deshalb hat eine wissenschaftliche Polemik, die ohne Nachuntersuchungen und neue Tatsachen geführt wird, nur selten wissenschaftlichen Wert. Im reiferen Alter habe ich deshalb auch nicht gern meine Zeit zur Polemik verwenden wollen. Wenn ich diesmal eine Ausnahme mache, dann geschieht es, erstens weil ich von hervorragender Seite aufgefordert worden bin, die wiederholten Angriffe von Prof. Dr. Richard Semon zu beant- worten, zweitens weil ich von diesem fehlender Kenntnisse und beinahe falscher Angaben beschuldigt werde. XXXII. 17 346 Wille, Uber die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Im Jahre 1905 habe ich!) in einem Vortrage auf dem bota- nischen Kongress in Wien nachgewiesen, dass die von Professor Dr. F. Chr. Schübeler ın verschiedenen Arbeiten dargestellten Anschauungen über die Veränderungen, die bei den Pflanzen auf- treten sollten, wenn man sie einige Zeit hindurch weiter nördlich oder in größerer Höhe über dem Meere, als sie gewohnt waren zu leben, kultivierte, einer unparteiischen Kritik gegenüber nicht be- stehen können. Von sachverständigen Botanikern sind wohl meine Beweise allgemein als stichhaltig angesehen worden. Nur der Naturphilosoph Herr Prof. Dr. Richard Semon ist dagegen aufgetreten?) und hat denjenigen von meinen Angaben, welche er bespricht, allen Beweiswert abgesprochen. Ich habe diesen Angriff von Herrn Semon bisher nicht beant- wortet; er hat dann offenbar geglaubt, dass ıch gar nichts ant- worten könnte und hat sich später zweimal noch mehr abweisend gegenüber meiner Kritik ausgesprochen. In einer Abhandlung?) sagt er nämlich: „ein Versuch N. Wille’s, ihren Wert herabzu- setzen, ist deshalb als bedeutungslos zu bezeichnen, weil Wille nachgewiesenermaßen die Kulturversuche Schübeler’s überhaupt übersehen und geglaubt hat, dieser Autor ziehe seine Schlüsse nur aus Berichten anderer sowie aus den Angaben eines alten schwe- dischen Journals. Dem ist aber nicht so.“ In der letzten Auflage von seinem erwähnten Buch®) schreibt er folgendes: „Ein Angriff auf diese bedeutungsvollen Ergebnisse Schübeler’s, der vor einiger Zeit von N. Wille unternommen worden ist, erwies sich deshalb als bedeutungslos, weil dieser Kri- tiker die Hauptsache, auf die es im Grunde einzig und allein an- kommt, vollkommen übersehen hat, nämlich die Schübeler’schen Experimentaluntersuchungen. Sie sind ihm bei seiner Lektüre der Schübeler’schen Schriften durch irgendeinen Zufall ganz entgangen, und er glaubt irrtümlicherweise, Schübeler gründe seine Schlüsse nur auf Hörensagen und die Angaben eines alten schwedischen Journals. Ich bin hierauf in der zweiten Auflage des vorliegenden Buches (S. 86) ausführlich eingegangen, wiederhole aber meine Aus- führungen jetzt hier nicht, weil die Angelegenheit wohl nunmehr erledigt ist.“ 1) N. Wille, Über die Schübeler’schen Anschauungen in betreff der Ver- änderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten (Biolog. Centralbl. Bd. XXV, 1905, S. 561— 575). 2) Richard Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Geschehens. 2. Aufl., Leipzig 1908, S. VII und 86. 3) Richard Semon, Können erworbene Eigenschaften vererbt werden? (Die Abstammungslehre. Zwölf gemeinverständliche Vorträge. Jena 1911. S. 82). 4) Richard Semon, Die Mneme. 3. Aufl. Leipzig 1911. 8. 78. Wille, Uber die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. 247 Ja eine Unwahrheit kann so lange wiederholt werden, bis man glaubt, dass sie Wahrheit ıst! Die zerschmetternden Beweise, die Herr R. Semon gegen mich hervorbringt, sind also alle in der zweiten Auflage von seinem Buche, die ich ım folgenden kurz als „Mneme“ bezeichne, ent- halten. Zuerst schreibt Herr Semon in seinem Vorwort (Mneme S. VI]): „die Angriffe N. Wille’s auf die wertvollen Schübeler’schen Kulturversuche konnten als auf ungenügender Kenntnis der eigent- lichen Leistungen Schübeler’s beruhend zurückgewiesen werden.“ Diese wiederholte Behauptung, dass ich „ungenügende Kennt- nisse“ zu den Leistungen Schübeler’s besitze, kann dadurch be- leuchtet werden, dass ich mitteile, dass ich Schübeler’s Nachfolger als Direktor des botanischen Gartens ın Christiania bin; ich habe mit ihm jahrelang persönlich verkehrt und es gibt wohl überhaupt wenige, welchen er so viel über seine Versuche und Arbeiten mit- geteilt hat. Außerdem habe ich die letzte Ausgabe von Schü- beler’s großer Arbeit (Viridarıum Norvegicum) lesen können, was Herr Semon offenbar nıcht konnte, weıl er (Mneme S. 54, Anm.) ausdrücklich sagt: „letzterer in norwegischer Sprache, referiert ım Biol. Centralblatt 1886.“ Es hat aber eine gewisse Bedeutung, die letzte Ausgabe von einer Arbeit lesen und verstehen zu können, wenn man darüber schreiben will, besonders, wenn wie hier be- deutende Änderungen in der Auffassung gerade in der letzten Aus- gabe hervortreten. Meine Kritik der Schübeler’schen Postulate betreffend die Veränderungen der Pflanzen gegen Norden wird von Herrn Semon nur ın einer Richtung, nämlich betreffend dıe angenommene kürzere Vegetationszeit direkt angegriffen. Betreffend die übrigen Punkte meiner Kritik lässt er nur durchscheinen, dass er die für ebenso wertlos finde, indem er sagt (Mneme S. 56, Anm.): „deren Berech- tigung in anderen Punkten ich weder bestreiten noch zugeben will. Ich untersuche ihre Berechtigung nur in bezug auf die erbliche Verkürzung der Vegetationsdauer durch fortgesetzte Kultur im Norden.“ Über meine Kritik über die Angaben Schübeler’s betreffend die kürzere Vegetationszeit im Norden sagt Herr Semon (Mneme S. 87, Anm.): „Das einzig Wesentliche in dieser Sache, die grund- legenden Kulturversuche Schübeler’s in Christiania, über die er in „Pflanzenwelt Norwegens“ S. 52, 53, Tabelle S. 54, 55 sowie S. 80, 81, in den Kulturpflanzen z. B. S. 20 berichtet, werden von Wille in seinem Aufsatz vollkommen ignoriert und nur allerlei Beiwerk der Kritik unterworfen.“ Die von Direktor L. P. Nilssen gemachten und von mir S. 570 mitgeteilten genauen Untersuchungen über die wirkliche 17* 948 Wille, Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Vegetationszeit der Gerste ın verschiedenen Teilen Norwegens, und die entschieden gegen die Anschauungen Schübeler’s sprechen, werden von Herrn Semon nicht erwähnt und nicht berücksichtigt! Das einzig Beweisende sind nach Herrn Semon nur die Versuche, die Schübeler in den Jahren 1857-—59 gleichzeitig in Breslau und Ohristiania ausgeführt hat und wodurch die Vegetationszeit sich in Christiania 4 Wochen verkürzt zeigte. Weil ich gerade diese Ver- suche betreffend die Vegetationszeit nicht berücksichtigt habe, soll nach Herrn Semon meine ganze Kritik „hinfällig“ sein. Zuerst werde ich erzählen, dass ich diese Breslauer Versuche Seite 563, wo es sich um die Gewichtsverhältnisse der Samen handelt, doch erwähnt habe. Ich habe wirklich aber diesen Bres- lauer Versuchen nicht viel Beweiskraft im Vergleich mit den späteren Versuchen Schübeler’s durch 30 Jahren in Norwegen zugetraut. Und Schübeler selbst scheint später dieselbe Auffassung zu haben, er hat nämlich in der letzten Ausgabe (Viridarium norvegicum I, S. 151) nur ganz kurz (in 6 Zeilen) diese Breslauer Versuche er- wähnt, während er viele Seiten mit seinen anderen Beweisen anführt. Herr Semon hat ja diese letzte Auflage nicht gelesen! Derjenige, welcher ein wenig landwirtschaftliche Kenntnisse besitzt, wird auch verstehen, dass diese von Herrn Semon so hoch- geschätzten Breslauer Versuche keine Beweiskraft besitzen. Ver- suche, die nur 3 Jahre dauern, sind zu viel von Zufälligkeiten ab- hängig, um Beweiskraft haben zu können;. die können höchstens als Orientierungsversuche dienen. Außerdem war es mir bekannt, dass gerade diese 3 Jahre 1857— 59 bei Christiania sogen. „Wunderjahre“* waren. Schübeler hat ın diesen Jahren bei Christianıa auch Versuche mit Maissorten gemacht und von einer ganzen Anzahl reife Kolben erhalten, die im botanischen Museum ın Christiania aufbewahrt sind. Seitdem wollte Schübeler niemals die Ansicht aufgeben, dass Mais eine gute Landwirtschaftspflanze für Norwegen werden könnte. Derartige Wunderjahre treten aber zu selten ein. Um eine objektive Grundlage für die Beurteilung des Sommer- klimas ın Christiania in diesen 3 Jahren im Vergleich mit anderen zu gewinnen, habe ich aus dem meteorologischen Institute die Mittel- temperatur der Monate Mai— September für alle Jahre von 1838—1908 herausschreiben lassen. Die normalen Mitteltemperaturen dieser Monate sind für Christiania: Mai 10,5° C., Juni 15,5° C., Juli 17,0°C., August 15,9° C. und September 11,5° C. Die Abweichungen von der normalen Temperatur sind in der folgenden Tabelle zugefügt mit Vorzeichen — oder —. Wille, Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. 249 Mitteltemperaturen in Christiania. Mai Mittel Abweich. 2071082 9.6 — 0.9 10,02 364 ae 13.9, 1.4 13.6 + 3.1 Juni Mittel Abweich. °C, 15.5° 9:2 10:3 Hol 147 — 0.8 SU las! 16.2 + 07 15407 113.9. 156 15.07.05 Bor 16.0 + 05 151% 04 124972226 la Sal 274 159 208 129 794 15.7 4 02 15.6 4 0.1 14.07 1.5 15.7 + 02 18.1 4 2.6 16.9 4 14 120) ZH 18.1 + 2.6 14.57 — 1.0 1957.00 1a 1 14.0 — 1.5 16.9 4 1.4 1342-2241 15.8 + 0.3 18.0 == 119) Ha 04 IS 0NZ 16.0 4 0.5 1990 15.5 0.0 He Ni 17.0 +15 125 N) 15.6 + 0.1 AZ 16.4 + 0.9 a Io 0:3 15.6 + 0.1 12 N ir een 15.2 — 0.3 Juli Mittel Abweich. 0,1208 12.8.7208 17.5 + 05 14.5 — 14.8 16.0 17.4 OD D = ® +++ +1 | OS Set OO HU OO WT 15.0 — 2.0 August Mittel Abweich., 2697# 15:9 19 17 a 16.0 + 0.1 150. .0.9 18.7 4 2.8 WAS ERET 15.0 — 0.9 9 20.7 1 48 16.6 4 0.7 13.5 15.6 - 15.5 14.7 17.5 15.0 122 15.9 0.0 Ba OS WOoHamDmRwR | September Mittel Abw. SR D ER 12:1. 20.6 182-1103 11,803 10.7 — 0.8 11.4 — 0.1 12.3 + 0.8 1160 11.1 — 0.4 132 + 1.7 104 — 1.1 11.4 — 0.1 11.1 — 0.4 10.9 — 0.6 11.3 + 0.3 11.3 — 0.2 11.9 + 0.4 115 0.0 11.3 — 02 10.4 — 1.1 ee 261091 11.8205 11.2 — 0.3 10.3 — 0.7 11.4 — 0.1 14.5 0.0 11.1 — 0.4 128 4 13 1361 11.1 — 0.4 10.8 — 0.7 11.0 — 05 10.4 — 1.1 98 — 12 10.9 — 0.6 10.3 — 0.7 11.4 — 0.1 more ga 10.8 — 0.7 8.3 — 3.2 12.4 + 0.9 11.9 4 0.4 33 118 11.3 — 0.2 28 +18 11.1 — 0.4 39 9.9 — 1.6 11.2 — 0.3 11.3 — 0.2 IH0 Maı Mittel Abweich. 210.5 ° 1558 94 — 11 Bo 15.2 90 3.5 + 3.0 N 101,04 92 O0 99,107 2.002 ga. Soarz 95 144-439 96. Me me gu Sag a: a 1900, BE Sor 6 2450,20, 2 See oe oe Do 62, a (016 7 HE (14 5 10.0 — 0.5 Juni Mittel Abweich. 2:0. 2519:9% 16221207 20.5 + 5.0 14.0 — 15 15.4 — 0.1 14.4 — 1.1 16.4 + 0.9 15.9 + 0.3 15.8 4 0.4 18.4 -— 2.9 ld! 15.3 — 0.2 15.6 2203 a 15.3 —: 0.2 15.9 + 0.4 159 + 0.4 159 0.0 ro Weg u 00 13.6 — 1.9 15.4 — 0.1 Juli Mittel Abweich. Ce08 16.2 — 0.8 16.7 — 0.3 14.3 — 2.2 17.6 + 0.6 16.9 — 0.1 1810 as 190,12 2:0 15.5 — 15 199212099 19.6 + 2.6 15.5 — 19.9 + 2.9 14.9.2. 0.1 Se 1420) — 16.2 — 18.0 + 18.1 + 11 za 15.6 — 1.4 17.6 + 0.6 August Mittel Abweich. 0.2 15:98 14.2 — 1.7 14.8 — 1.1 15.0 — 0.9 14.5 — 1.4 14.7 — 1.2 15.9 0.0 14.9 — 1.0 15.4 — 0.5 15.3 — 0.6 177, ers 14.2 — 1.7 172, 1-3 15.8 — 0.1 12.4 a5 13.0 — 2.9 14.5 — 1.4 16.0 + 0.1 14.4 — 1.5 15.6 — 0.3 13.4 — 2.5 16.3 + 0.4 Wille, Uber die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. September Mittel Abw. LO Iı 11.4 — 0.1 10.2 — 1.3 12:0 112.25,02 11.2 — 0.3 10.2 — 1.3 10.1 — 1.4 123 +08 11:70:02 11.1 — 0.4 15 0.0 11.1 — 0.4 1625 0.0 12.7 212 98 — 17 11.7 +02 112) 0.0 11.1 — 0.4 12.0 + 05 10.7 — 0.8 10.5 —.0.9 Eine frühe Reifezeit in Christiania wird vorzugsweise durch hohe Wärme und Trockenheit ım Monat August hervoreerufen. fo) Es zeigt sich aus der obenstehenden Tabelle, dass gerade ın den 3 Jahren 1857—59 ım August ın Christianıa ein ganz bedeutender Wärme- überschuss war. Auch die Regenmenge spielt aber eine Rolle; das Getreide reift schneller in trockener Luft als in Regen. die Regenmenge ın diesen 3 Jahren für die Sommermonate ab- schreiben lassen. Die normale Regenmenge ist ın Christianıa: Maı 42 mm, Juni 47 mm, Juli 75 mm, August 83 mm und Sep- tember 65 mm. In den erwähnten 3 Jahren war es aber: Jahr 1 Mai ; Mittel Abweich. 1857 9.2. — 33 en. a ee) 1859 33.7 — 8 Juni Mittel Abweich. 335 —8 a) ee BLSREI, Juli Mittel 139.6 116.1 32 +65 Se 2243 Abweich. August Mittel 21.1 78.8 58.5 07 — 9 — 29 Abweich. Ich habe deshalb auch September Mittel Abw. 45.2 — 20 61.3, 4 128.0 +63 Es zeigt sıch also, dass der Monat August in diesen 3 Jahren auch bedeutend weniger Regen als normal gehabt hat. also gerade in diesen 3 Jahren bei Christiania die zwei Faktoren vereinigt, die eine frühe Reifung hervorrufen können. Herr Semon kann ja untersuchen, ob diese Faktoren in den erwähnten 3 Jahren bei Breslau auch für eine frühe Reifung ebenso günstig waren, wie ın Christiania. Wir haben Wille, Uber die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. 951 Ich hatte aber noch andere Gründe, um diesen Versuchen in Breslau und in Christiania nicht zu große Beweiskraft beizulegen. Der botanische Garten in Breslau hatte eine flache Lage, während der botanische Garten in Christiania, dort wo die Versuche ausge- führt wurden, einen Abhang gegen Süden bildet und aus einem schwarzen Schieferboden besteht, welcher eine Menge Wärme auf- saugt. Die Versuchsbedingungen in Breslau und Christiania können deshalb nicht ohne weiteres als gleichwertig betrachtet werden. Es ist deshalb ganz richtig, wenn ich diese Breslauer Versuche nur wenig berücksichtigt und hauptsächlich die viel wichtigeren Untersuchungen und Forschungen Schübeler’s über diese Frage durch viele Jahre innerhalb Skandinaviens in meiner Kritik berück- sichtigt habe (S. 563 und 568). Diese Resultate Schübeler’s be- treffend die kürzere Vegetationszeit im nördlichen Skandinavien sind durch Direktor Nilssen’s von mir zitierten Untersuchungen (5. 570) in der Tat hinfällig geworden. Ich habe (S. 564) ausgesprochen: „Dass die Vegetationsdauer sich nach Norden zu stark verkürzt, schließt Schübeler ebenda (Kulturpflanzen S. 26), wie es scheint, im wesentlichen aus dem, was man ihm über Getreideaussaat und Erntezeit in Alten (in Nor- wegen 70° n. Br.) erzählt hat, sowie aus den Angaben eines schwe- dischen Journals“ .. Herr Semon (Mneme S. 78, Anm.) erklärt kategorisch: „Dies ist aber vollkommen unrichtig.* Ich muss aber trotzdem meine Behauptung aufrecht halten. Schübeler sagt nämlich selbst (Kultur- pflanzen S. 26): „In Schweden findet dasselbe Verhältnis statt, wie folgende Notiz, die ich dem anno 1781 in Stockholm erschienenen „Hushällnings Journal“ (S. 65) entnehme, zeigen wird.“ Es ist auch in Norwegen lange vor Schübeler ausgesprochen worden, dass die Vegetationszeit im nördlichen Skandinavien kürzer ist als in südlichen Gegenden. Es ist nämlich folgendes zu lesen in einem sehr bekannten Buche von dem berühmten norwegischen Bischof Erich Pontoppidan aus dem Jahre 17535): „Aus dieser Ursache haben wir hier zu Lande eben so früh Erndte, als in Dänne- mark oder in Niedersachsen, obschon hier später gesäet wird, und die Aussaat des Bauern kommt nach Verlauf von 9 Wochen in seine Vorrathskammer wieder zurück, weil die Nächte so kurz sind, dass der Acker nicht abgekühlet wird und das Wachsthum des Getraydes eben so wohl als bey Tage kann erhalten werden. Zu desto besserer Aufklärung und Bestätigung dieser Sache halte ich für gut, die Worte des vortrefflichen schwedischen Naturforschers Linnaeus 5) Erich Pontoppidan’s Versuch einer natürlichen Historie von Norwegen, Erster Theil. Aus dem Dänischen übersetzt von Johann Adolph Scheiben. Kopenhagen 1753. S. 182. 52 Wille, Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. anzuführen. Er spricht nämlich in seiner Abhandlung von Pflan- zung der Gewächse, auf die Natur gegründet, also°): „Gegen die Pole ist der Sommer kürzer, aber hingegen hat man längere Tage. Weil der Sommer in Frankreich länger ist, als ın Lapland, so reifen die Früchte geschwinder in Lapland, als ın Frank- reich. In Paris sind die kühlenden Nächte länger, da denn die Kräuter ruhen, wesfalls sie mehrere Tage zu ihrer Reife zu ge- langen, erfordern. In Lapland ist des Sommers fast gar keine Nacht, und also können daselbst die Kräuter Tag und Nacht wachsen. Z. B. Im Jahre 1732 ward das Korn den 31 May ge- säet, und gegen den 28sten Julius ward es eingeerndtet, es ward also ın 58 Tagen reif. Selbigen Jahres säete man den Rocken am ölten May, und den 5ten August ward er eingeerndtet; er war also in 66 Tagen reif geworden. Dieses geschah in Lulaalapland, und es würde weiter gegen Süden nicht geschehen.“ Es ist doch anzunehmen, dass Schübeler dieses berühmte Buch gekannt hat; er war nämlich ein vorzüglicher Kenner der alten Literatur Norwegens. Mein Ausspruch 1905 (l. ec. S. 573): „Diese Fragen können in- dessen nur durch exakte Untersuchungsmethoden gelöst werden,“ scheint auch von den sachverständigen Botanikern geteilt zu werden. Eine Nachuntersuchung betreffend der Länge der Vegetationszeit unter verschiedenen Breitegraden ist von Prof. Dr. E. Baur in Berlin und Dr. H. Nilsson-Ehle in Svalöf nach exakten Methoden mit „reinen Linien“ organisiert worden. Eine ähnliche Versuchsserie ist auch in Norwegen selbst von meinem Kollegen Prof. Dr. H. Gran und Direktor für die landwirtschaftliche Versuchsstation ın Hede- marken Herrn W. Christie angefangen. Diese Versuche werden nicht nur in 3 Jahren, aber in mehreren fortgesetzt, um beweis- kräftig zu werden. Durch derartige exakte Untersuchungen kann diese Frage end- gültig entschieden werden, nicht aber nur durch leere Worte und unberechtigte Beschuldigungen, wodurch die Wissenschaft überhaupt nicht gefördert wird. Weitere Antwort an Herrn Prof. R. Semon finde ich über- flüssıg. Weil ich gerade dabei bin, möchte ich aber noch eine andere Frage etwas weiter besprechen. Ich habe 1905 (l. e. S. 573) eine Untersuchung über die Be- standteile des ätherischen Öles in den Früchten von Carum Carvi aus drei verschiedenen Stellen in Norwegen referiert. Ich kann jetzt noch eine spätere Mitteilung über die wenig bekannte, aber 6) „Abhandlungen der schwed. Akademie der Wissenschaften, I. Bd. S. 22.“ Wille, Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. 353 sehr interessante Frage, wie sich die ätherischen Öle gegen Norden verhalten, referieren. Cand. pharm. Ths. H. Poulsson’) hat Untersuchungen über die Menge des ätherischen Öles in den Beeren des norwegischen Wachholders angestellt und schreibt folgendes, welches ich hier in der Übersetzung wiedergebe: „Welchen Einfluss das Klima und die geographische Breite auf den Inhalt einer Pflanze an ätherischem Öl haben kann, ist noch nieht genügend bekannt. Die gewöhnliche Annahme ist wohl, dass die Wärme die Entwickelung aromatischer Substanzen befördere und dass die Menge des ätherischen Öles und ähnlicher Substanzen gegen Süden größer werden. Einen entgegen- gesetzten Standpunkt hat aber unser verstorbener, für das ökono- mische Leben so interessierter Botaniker Schübeler eingenommen, indem er sich hauptsächlich aus subjektiven Eindrücken über z. B. Geschmack der Küchengemüse und den Geruch der aromatischen Pflanzen ausgesprochen hat, dass die erwähnten Stoffe gegen Norden zunehmen und auch die ökonomische Ausnutzung davon empfohlen. Versucht man aus den verschiedenen zerstreuten Analysen festzu- stellen, welche von diesen streitenden Ansichten die richtige ist, dann bekommt man den Eindruck, dass eine generelle Regel nicht aufgestellt werden kann. Es ist am wahrscheinlichsten, dass jede Pflanzenart ihrem besonderen Gesetz folgt und dass einige von dem Breitegrade, unter welchem sie wachsen, verhältnismäßig un- abhängig sind, während andere das Optimum betreffend aromatische Substanzen im Norden und wieder andere im Süden haben. Wie sich das Verhältnis für die Wachholderbeeren stellt, geht hervor aus folgenden Angaben, die nach den verschiedenen Quellen, die mir zugänglich waren, zusammengestellt sind. Nach Gildemeister und Hoffmann) ist der durchschnitt- liche Inhalt von ätherischem Öl in italienischen Beeren 1.00—1.50°/,, in bayrischen 1.00—1.20°/,, in ungarischen 0.8—1.00°/,, in ost- preußischen, polnischen, thüringischen und fränkischen 0.6--0.9°/,. Nach Schimmel?) war die Ausbeute bei der fabrikmäßigen Darstellung im großen von italienischen Beeren 1.1 —1.2°/,, von ungarischen 1.0—1.1°/, und von deutschen Beeren 0.5—0.7°|,. Spätere Angaben!) aus derselben Quelle lauten: italienische und ungarische Beeren 0.8°/,, bayrische 1.2°/, und thüringische 0.7°/,. Wie man sieht, sind die Zahlen nicht ganz regelmäßig; sie deuten doch aber im ganzen an, dass die Ölmenge gegen Norden abnimmt. 7) Ths. H. Poulsson, Om Mängden af ätherisk Olje i norske Enebär. (Tids- skrift for Kemi, Farmaci og Terapi. Aarg. 5. Kristiania 1908, S. 365). 8) E. Gildemeister und Fr. Hoffmann, Die ätherischen Öle. Berlin 1899, S. 349. 9) Bericht von Schimmel & Co. Oktober 1887. 10) Kommentar til Pharmacopoea Danica 1893. Kjöbenhavn 1896. 8. 144. 4 Zur Flora und Fauna der Strandtümpel von Rovigno (in Istrien). Von norwegischen Beeren habe ich nur eine Analyse von Mayer!!) ausgeführt gefunden; die Beeren waren bei Drontheim gesammelt und es wird 0.54°/, Ölangegeben. In Beeren aus Oerebro in Schweden hat er 0.43°/, und in finnischen Beeren 0.34°/, ge- funden. Derselbe Verf. hat in italienischen Beeren 0.63°/, und ın deutschen 0.54 °/, gefunden.“ Hr. Poulsson hat selbst drei Analysen von norwegischen Wachholderbeeren, die bei Röros 1907 gesammelt wurden, ausge- führt. Die Resultate waren: I. 500 g Beeren allein —= 0.50°/,. II. 400 g Beeren allein —= 0.34°]|,. III. 313 g Beeren und Nadeln zusammen = 0.60°],. Wenn die Probe III, die Nadeln enthält, außer Betracht gesetzt wird, erhält man niedrige Zahlen, die mit den vorher erwähnten zusammengestellt, wohl zu dem Schlusse berechtigt, dass die Menge der ätherischen Öle von Süden gegen Norden erheblich abnimmt. Zu diesem Resultate Poulsson’s möchte ich doch die Be- merkung fügen, dass die Wachholderbeeren aus Röros wahrschein- lich von der dort verbreiteten Juniperus communisL. var. nana W ılld. stamme und deshalb nicht direkt mit den mittel- und südeuro- päischen Wachholderbeeren verglichen werden dürfen. Soviel geht doch aus diesen Mitteilungen hervor, dass die Anschauungen Schü- beler’s auch in dieser Richtung zurzeit eine tatsächliche Grundlage entbehren. Zur Flora und Fauna der Strandtümpel von Rovigno (in Istrien). Herausgegeben von der Zoologischen Station Rovigno. Vorbemerkung. Diese Sammlung von kleinen Aufsätzen zur Naturgeschichte der Felsentümpel des Strandes von Rovigno ist ein Seitenstück zu den „Notizen über die Fauna der Adria bei Rovigno“, die seit dem 14. März 1911 im Zoologischen Anzeiger erscheinen. — Unter dem Gebiet von Rovigno wird hier wie dort der Teil der istrischen Küste und der ihr vorgelagerten Inseln verstanden, den wir mit dem kleinen Motorbrot der Station ın Tagestouren bequem erreichen können. Da das Fahrzeug durch- schnittlich 7 Seemeilen: in der Stunde zurücklegt, so bestreichen wir mit einem Aktionsradius von 30 Seemeilen eine Küstenstrecke, die vom Kap Salvore bis zum Kap Merlera reicht, und also genau das Gebiet der istrischen Platte (vulgär: des „roten“ Istriens) be- 11) Rundschau für die Interessen der Pharmacie, Chemie, Hygiene etc. von E. Graf und A. Vomäcka, Leitmeritz, Böhmen (Ref. in Jahresbericht der Phar- macie, 1853—84, S. 93). Zur Flora und Fauna der Strandtümpel von Rovigno (in Istrien). 355 grenzt. — Eine knappe Skizze des Arbeitsgebietes enthält Nr. 10/11 des 37. Bandes des Zoologischen Anzeigers. Dr. Thilo Krumbach. 1. Dasyhelea halophila n. Sp., eine neue halophile Zuckmücke. Von Prof. Dr. Kietfer (Bitsch). An der Küste bei Rovigno, in salzwasserhaltigen Felslöchern, sammelte Herr ©. van Douwe kleine wurmförmige Larven, die sich im Wasser zur Puppe verwandelten. Die Mücken, die sich daraus entwickelten, gehören zur Gattung Dasyhelea Kieff., also zu einer Oulicoidinengattung, die bisher nur für Ost-Indien bekannt war!) und die sich von Culicoides Latr. durch die behaarten Augen unter- scheidet. gg. Schwarzbraun und kahl; Beine schmutzigweiß oder lehm- gelb, Knie schwarz, Mitte der Femora und der Tibien schwach ge- bräunt; Hinterrand der Tergite heller gefärbt. Augen oben zu- sammenstoßend, dicht aber kurz feinhaarig. Palpen viergliedrig, 1. Glied kurz, 2. lang, walzenrund, so lang wie die 2 folgenden zusammen, 3. wenig länger als dick, 4. umgekehrt eirund, am Distal- ende mit 5 Borsten. Mund bei Zg lang und spitz, dreimal so lang wie breit am Grunde. Antenne 14gliedrig, 2.—10. Glied beim / kuglig oder kaum quer, 11.—14. zusammen so lang wie die 9 vor- hergehenden zusammen, die Richtung derselben fortsetzend, das 13. etwas kürzer als das 12., dieses dem 11. gleich, alle 3 sind fast walzenrund, 2—3mal so lang wie dick und endigen in einen kurzen Griffel, welcher kaum zweimal so lang wie dick ist, das 14. Glied ist gestaltet wie das 13., aber um die Hälfte länger und etwas dieker; Busch schwarzbraun. Beim 9 ist das 2. Glied ellipsoidal, 3.—13. ziemlich gleich, flaschenförmig, allmählich schwach verlängert, die letzten zweimal so lang wie diek, mit einer halsartigen Ver- längerung, welche die Hälfte ihrer Länge erreicht, nur das End- glied ist deutlich verlängert, um die Hälfte länger als das 13., mit einem kurzen stumpfen Endgriffel; 2.—13. Glied mit einem Borsten- wirtel, der bis zur Mitte des folgenden Gliedes reicht, und über diesem, mit je einer pfriemlichen, dickeren und glashellen Borste, welche das Proximalende des folgenden Gliedes kaum überragt. Flügel glashell, mit anliegenden, ziemlich langen und ziemlich dichten Haaren, die mehr oder weniger in Längsreihen geordnet sind, Zwischenräume punktiert; Radialis und Cubitalis vereinigt, am Distalende der Radialis nähert sich die Cubitalıs dem Vorderrand, dem sie dann bis zu ihrer Mündung parallel bleibt; die Discoidalis 1) Zwei andere Vertreter dieser Gattung wurden inzwischen für Lothringen und Westfalen beschrieben. Auf die Chironomus-Arten, bei denen die Tergite 2—6 mit einem länglichen, benabelten Eindruck versehen sind, gründe ich die neue Gat- tung Glyptotendipes; Type: @. sigillatus Kieff. 356 Emery, Über Abstammung der europ. arbeiterinnenlosen Ameise „Anergates“. verzweigt sich an der schrägen Querader, die Gabelung der Posticalis liegt der Mitte der Cubitalis gegenüber. Vordere Tibia mit einem Kamm, so lang wie das Femur, oder wie die 2 ersten Tarsenglieder, Metatarsus 2!/,mal so lang wie das 2. Glied, das 4. Glied noch fast doppelt so lang wie dick, etwas kürzer als das 5.; Krallen fast gerade, proxımal mit einigen Borsten unterseits, Empodium kaum sichtbar, sehr klein, Tarsus dorsal mit einigen langen Haaren, ventral kurz beborstet. Am Hinterbein haben die Tibia und der Metatarsus dorsal sehr lange zerstreute Haare, welche 4—5mal so lang wie die Dicke der Tıbia sind, die Tibia mit einem Kamm, der Metatarsus so lang wie die 3 folgenden Glieder zusammen. Abdomen wenig dicht behaart; Lamelle der Zange hinten abgerundet und mit einem langen walzen- förmigen Griffel, der ın eine noch längere Borste ausläuft; End- glieder der Zange nur ein Drittel so dick wie die Basalglieder, fast walzenrund, proximal kaum dicker als distal, kaum gebogen, fünf- mal so lang wie dick am Grunde, fein pubesziert und am Distal- ende etwas schräg abgestutzt. Länge: 2—2,5 mm. 2. Tigriopus fulvwus Fischer, var. adriatica, ein typischer Rock pools = Copepode. Von C. van Douwe, München-Schwabing. (Mit 3 Figuren.) 1860. Harpactieus fulvus Fischer. Beitr. z. Kenntnis der Entomostraken. Ab- handl. der Bayer. Akad., vol. III, p. 656. 1868. Tigriopus Lilljeborgi Normann. Last Shetland Dredging Report, p. 296. 1880. Harpaeticus fulvus Brady. A monograph of the Free and Semi-parasitic Copepoda of the Brit. Islands, vol. II, p. 149. 1911. Tigriopus fulvus G. O. Sars. An account of the Crustacea of Norway. Vol. V, Copepoda Harpacticoida, p. 54. Diese sowohl in bio- logischer Beziehung wie auch hinsichtlich der geo- graphischen Verbreitung ın- In teressante Üopepodenspe- —T zies — bisalng von den britischen Inseln, der skan- Y yım dinavischen und ‚franzö- N sıschen Küste sowie von RR Madeira und den Ker- guelen bekannt — 1ritt auch in den zahlreichen Rock pools der istrianischen Adriaküste auf. Hier be- völkert sie, zeitweise in Massen, als ausschließliche Vertreterin der Copepoden, Fig. 1. Furca, dorsal. die oft kaum noch in der Zur Flora und Fauna der Strandtümpel von Rovigno (in Istrien). 357 Spritzzone des Meeres gelegenen Felsenwannen verschiedentlicher (Größe. Schon Brady in der oben zitierten Monographie sagt von unserer Art: „Considerable interest attaches to this species on accountof wits wide geographicaldistribution. It is restrieted almost exclusively to the uppermost margin of the littoral zone, haunsing more especially shallow pools at or above high-water-mark and often oceuring in prodigious numbers towards the end of summer when the water has become warm with prolonged exposure to the sun.“ a u A u A I Fig. 2. 5. Fuß. 119,3:00052 Ruß: Es spricht für ein enormes Anpassungsvermögen gerade dieses Copepoden, dass dessen Lebensmedium nach doppelter Richtung hin den extremsten Schwankungen ausgesetzt erscheint: Einmal hinsichtlich des stets wechselnden Salzgehaltes, der nach Perioden längeren Regens direkt zum Verschwinden gebracht wird, und andernteils in bezug auf die Temperaturverhältnisse, da man weiß, dass das Wasser in diesen oft nur handtellergroßen und dement- sprechend flachen Steingruben Temperaturen bis zu 40° ©. auf- weisen kann. In morphologischer Hinsicht stimmen die an der Adria ge- sammelten Tiere mit den Darstellungen der Autoren, insbesondere mit den von Sars veröffentlichten detaillierten Zeichnungen in einigen wesentlichen Punkten nicht ganz überein. Diese Abwei- chungen, die bei allen adriatischen Exemplaren in gleicher Weise auftreten, veranlassen mich zur Aufstellung der var. adriatica, die durch nachstehende Punkte genügend charakterisiert er- scheint: 255 Emery, Über d. Abstammung d. europ. arbeiterinnenlosen Ameise „Anergetes“. Furkaläste: Tigr. fulvus typ: var. adriatica: Dorsal nur die geknöpfte Borste, Dorsal außer der geknöpften sonst vollkommen glatt. Borste eine lange, starke Borste; über ihr und über der geknöpften Borste je eine kurze Reihe ver- schieden starker Dornen (s. Fig. 1). 5. Fuß des (Endglied): Auf der Außenfläichke keine Auf der Außenfläche eine Dornen. Dornenreihe (s. Fig. 2). 5. Fuß des: DBasale und Endglied schlank, Basale gedrungen, nicht so lang viel länger als breit. als breit; Endglied rundlich, ei- förmig (s. Fig. 3). Die Tiere waren von rotbrauner Färbung, die meisten 9 mit großen, roten Eiersäcken. Über die Abstammung der europäischen arbeiterinnenlosen Ameise „Anergates“. Von Prof. Carlo Emery (Bologna). Als ich den Satz aufstellte, dass die parasitischen und die dulo- tischen Ameisen regelmäßig mit den Wirts- bezw. den Hilfsameisen verwandt seien und von ihnen abstammen, war ich mir der Aus- nahme, welche die Gattung Anergates bilde, wohl bewusst!). Es schien mir nicht möglich, diese Ameise von 7etramorium, mit dem sie lebt, abzuleiten, und Anergates ıst zu sehr in beinahe allen Teilen seines Leibes, sozusagen, degeneriert, d. h. dem Parasitismus angepasst, um einen Vergleich mit irgendwelcher nichtschmarotzenden Ameise zu gestatten. Aber ich hatte bereits im Jahre 1895 eine merkwürdige nord- amerikanische Ameise, unter dem Namen „Epoecus pergandei* be- schrieben, die Herr Theo. Pergande in einem Nest von Mono- morium minutum minimum Buckl. entdeckt hatte; ich vermutete damals schon, dass dieselbe eine Verwandte von Anergates sein möge. Leider bemerkte der Eintdecker nıcht sofort, dass er einen seltenen Fund gemacht; die geflügelten Männchen und Weibchen, die in großer Mehrzahl unter. den Arbeiterinnen von Monomorium vor- kamen, hielt er für Männchen und Weibehen der Wirtsameise. Zum Zweck einer Studie über die Systematik der Myrmicinae, habe ich Epoecus nochmals untersucht und mein damaliges Urteil völlig bestätigt gefunden, nämlich, dass jene Ameise an Anergates sich anschließt und zugleich diese Gattung mit Monomorium ver- bindet. Somit ist Anergates eine mit Monomorium verwandte schma- rotzende Ameise. 1) Über den Ursprung der dulotischen, parasitischen und myrmekophilen Ameisen. Diese Zeitschr., 28. Bd., Nr. 11, 1909. 7 Emery, Uber Abstammung der europ. arbeiterinnenlosen Ameise „Anergates“. 259 Epoecus stellt ein Stadium vor, wo das Männchen noch ge- flügelt ist. Aber dieses Männchen ähnelt dem Weibchen in bezug auf den Bau der Antennen auffallend; dieselbe Ähnlichkeit bietet das Männchen von Anergates mit dem betreffenden Weibchen dar. — Während nämlich die Männchen der Ameisen, und überhaupt der HAymenoptera aculeata, sich von den Weibchen durch ein Glied mehr an den Fühlern unterscheiden, bilden Epoecus und Anergates, mit wenigen, gar nicht verwandten Gattungen (Ontaulacus, Stereo- myrmex, Metapone) eine Ausnahme, indem das Männchen dieselbe Gliederzahl wie das Weibchen besitzt: 11 für Anergates, während die Zahl der Fühlerglieder für Ypoecus ın jedem Geschlecht zwischen 11 und 12 schwankt. Bei den Ponerinae, Myrmicinae und Dolicho- derinae ist noch der Fühlerschaft der Männchen meist viel kürzer als dasselbe Glied der Weibchen; bei Anergates, Epoecus und nicht vielen anderen Gattungen, die mit denselben gar nichts zu schaffen haben, ist er in beiden Geschlechtern ungefähr gleich lang. Auch die Weibehen der beiden Gattungen bieten Ähnlichkeiten dar. Bei nochmaliger Untersuchung der weiblichen Exemplare meiner Sammlung (ich besitze davon 7) bemerkte ich, dass der Hinterleib sämtlicher Stücke an der Rückenseite eingedrückt ist. Einen Eindruck finde ich bei den Männchen nicht; bei den Weibchen der sonstigen Ameisen, die nicht einen übermäßig geschwollenen Bauch haben (was Epoecus nicht hat), und die beim Eintrocknen schrumpfen, finde ich ihn auch nicht. Jener Eindruck des Hinter- leibs der Epoecus-Weibcehen scheint mir etwas beständiges und regel- mäßiges zu sein und entspricht wohl dem Eindruck, den man bei geflügelten Anergates-Weibchen regelmäßig wahrnimmt. Der dorsal eingedrückte Hinterleib bildet also eine durchaus charakteristische gemeinsame Eigenschaft der Epoecus- und Aner- gates-Weibchen. Ich vermute deshalb, per analogiam, dass das Epoecus-Weibchen, wenn es befruchtet und im Genuss voller Frucht- barkeit ist, eines bedeutend geschwollenen Bauches sich erfreut. Die Anhaltspunkte, die Epoecus mit Monomorium darbietet, beziehen sich überhaupt auf den Bau des Kopfes (besonders des Clypeus), des Stielchens und des Geäders des Vorderflügels (be- sonders der offenen Radıalzelle, die bei allen mit Monomorium ver- wandten Gattungen vorkommt). Demgemäß, da Anergates mit Epoecus verwandt ist und letztere Gattung im den Kreis der Monomorium-ähnlichen gehört, dürfte Anergates ebenfalls von Monomorium abgeleitet werden. Ich ver- mute, dass Anergates oder dessen Vorfahren, als Parasiten von Monomorium gelebt haben; wahrscheinlich gehörten jene Vorfahren sogar der Gattung Epoecus an. Es hat deshalb ein Wirtswechsel stattgefunden, von Monomorium zu Tetramorium, 260 Szymanski, Methodisches zum Erforschen der Instinkte. Ich denke, dass die moderne, nachtertiäre Ameisenfauna von Europa (abgesehen von den Überbleibseln von älteren Faunen) hauptsächlich in Zentral- und Westasien sich ausbildete und von dort gekommen ist. Da lebten in trockenem Klima Tetramorium caespitum und verschiedene Monomorium. Ob der Wirtswechsel dort erfolgte oder weiter zurück, in der phylogenetischen Laufbahn des Epoecus- Anergates-Stammes, ist vorläufig nicht zu eruieren; vielleicht ın Afrika, der eigentlichen Heimat der Tetramorium. Monomorium minutum, in dessen Nest Epoecus ın Nordamerika lebt und von dessen Vorfahren er vermutlich abstammt, gehört gewiss einer uralten Formenreihe, die sogar in Neu-Seeland einen Vertreter (M. antipodum For.) hat. Wahrscheinlich ıst M. minutum, samt ihrem Gast, in die Südgebiete von Nordamerika in vormiocänem Zeitalter gewandert; durch welche Festlandbrücken es kam, steht außerhalb der Aufgabe dieses Aufsatzes?). — Die Vettergattung von Epoecus, nämlich Anergates, hatte deshalb geraume Zeit zu variieren und ihren Wirtswechsel zu vollbringen, der zweifelsohne mit manchen Veränderungen verbunden war. Unterdessen war die Eiszeit für Nordeuropa vorüber, der Grund des sarmatischen Meeres war trockengelegt und die Steppe dehnte sich über Mitteleuropa aus. Tetramorium caespitum, die sogen. Wiesenameise (auf die aber der englische Name „Pavement Ant“ allerdings viel besser passt), überflutete ganz Europa, begleitet von ihren Gästen und Parasiten. Methodisches zum Erforschen der Instinkte. Von Dr. J. S. Szymanski (Wien). Die moderne experimentelle Richtung in der Lehre vom Ver- halten der Organismen hat großen Einfluss auf die Methodik der Instinktsforschung ausgeübt. Wenn man sich früher mit der Be- obachtung und der möglichst genauen Beschreibung des instinktiven Verhaltens begnügte, sucht man heutzutage dasselbe in seine Ele- mente zu zerlegen, um diese eingehend studieren zu können. Je komplizierter und verwickelter in der Periode der reinen Beobachtung sich die Äußerungen eines Instinktes zeigten, desto angebrachter galt es damals, dieselben zu rühmen — je nach Ge- schmack — als Folgen entweder der unendlichen Weisheit des präsumierten Trchopier aller Dinge bezw. der vis aestimativa oder als Wirkung natürlicher Selektion bezw. automatisch gewör- dener Be oliihei, 2) Da M. minutum weder in Ostasien noch in Japan bis jetzt gefunden wurde, gehört es wahrscheinlich nicht zur ostasiatischen Tierwanderung nach Nordamerika, die allerdings in einem viel späteren Zeitalter erfolgte. — Vgl.: R. F. Scharff, Distribution and origin of life in America, London, Constable & Co., 1911. Szymanski, Methodisches zum Erforschen der Instinkte. 361 Die experimentelle Richtung hat die unsicheren Bahnen der theologischen bezw. naturphilosophischen Betrachtungsweise ver- lassen. Ohne sich um die „ersten Ursachen“ zu kümmern, wendete man sich den Erscheinungen selbst zu; man hat sich bemüht, die- selbe in kausale Abhängigkeit von anderen schon bekannten Er- scheinungen zu bringen. Dieses Bemühen hat seinen Ausdruck in der Formel: Keine Reaktion ohne Reiz, mit anderen Worten, keine Wirkung ohne „wirkungsbestimmende Umstände“ (Mach) gefunden. Die Methode der modernen Lehre vom Instinkt besteht also ım Ermitteln der Reize, die für einen bestimmten Instinkt charakte- ristischen Bewegungskomplex auslösen. Um dieser Aufgabe näher zu kommen, ist es nötig, mit Er- forschung relativ einfacher Instinkte zu beginnen. Da indessen selbst die einfachsten Instinkte mehr oder weniger zusammengesetzt sind, so gilt es zunächst, dieselben in ihre Elemente zu zerlegen (analytisches Verfahren). Unter einem Element des instinktiven Ver- haltens ist die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit zu verstehen, die durch einen der quantitativ definierten und als obligatorisch für Zustandekommen des Instinkts vorausgesetzten Reize bestimmt wird. Sobald dies geschehen ıst, wäre es angebracht, durch künst- liche Zusammenwirkung der einzelnen Reize den für den analy- sierten Instinkt charakteristischen Bewegungskomplex nach dem Willen des Experimentators wieder hervorzurufen (synthetisches Verfahren). Das heutige experimentelle Verfahren überschritt noch nicht die Grenzen der Analyse; es besteht jedoch die Hoffnung, dass das synthetische Verfahren ın dem oben erwähnten Sinne sich als möglich erweisen wird. Worauf sich diese Hoffnung stützt, möchte ich an zwei Beispielen veranschaulichen. Beispiel I!). Die Beobachtung zeigte, dass Daphnien „Wanderungen“ aus- führen. Das analytische Verfahren stellte fest, dass Daphnien Licht aufsuchen und wärmere Wasserschichten den kälteren bevorzugen (bis zur gewissen Grenze!); hingegen vermeiden dieselben die in starke Wellenbewegung gebrachte Wasserschichten. Ferner konnte man adäquate Reize, die sich als motorische Faktoren auffassen lassen, in ihrer optimalen Wirkung einzeln untersuchen und quan- titativ bestimmen. Die Berechnung zeigte weiter, dass, wenn man alle die Reize in denselben, also optimalen Reizgrößen simultan auf die Daphnien hätte einwirken lassen, die Tiere sich unter dem Winkel von 55° bewegen müssten. Das Experiment bestätigte die 1) Vgl. meine Arbeiten in Pflüg. Arch. Bd. 138 (p. 463 ff.) u. Bd. 143 (p. 28tf.). XXXIl. 18 362 Szymanski, Methodisches zum Erforschen der Instinkte. Richtigkeit der obigen Berechnung. Dies letzte Experiment ent- spricht methodisch dem, was wir oben als synthetisches Ver- fahren genannt haben (vgl. "Tab. 1). Tabelle I. Die Daphnien führen die „Wanderungen“ aus. <- Beobachtung Als die richtungbestimmenden Faktoren dienten bei Bewegungen der zu Versuchen verwendeten Daphnien folgende Vektorreize: Phototropisch | Mechanotropisch | Photopathisch Thermotropisch (positiv) (negativ) (negativ) (positiv) Einseitige Be- | Die Kraft des fal- | Photopathische | Die Temperatur- leuchtung von |lenden Tropfens | Kraft von 5NK_| _differenz von 5BNK X 55 cem | (= 2746.8 Erg) |X 55 cm ist als| 2°C. ist als mo- ist als motorischer | ist als motorischer | motorischer Fak- | torischer Faktor Raktor-=»17 2). Eaktor— 0.5 tor = 0.4 — 02 Wenn man alle die Reize in denselben Reizgrößen simultan auf die Daphnien hätte einwirken lassen, so müssten sich die Tiere unter dem Winkel von 55° bewegen. <- Analytisches Verfahren | Das Experiment bestätigte die Richtigkeit der obigen Berechnung. Synthetisches Verfahren N Fe - - — 5 5 Beispiel IL). Wie die Beobachtung zeigt, besteht ein angeborenes instink- tives Verhalten der Weinbergschnecke, und zwar das den Begattungs- vorgang „einleitende Liebesspiel“ aus einzelnen besonders charakte- rıstischen Bewegungskombinationen. Das analytische Verfahren lehrt, dass jede dieser Be- wegungskombinationen, indem man sie als Reflexe auffasst, sich durch taktile Reizung verschiedener, streng definierter Körperteile bei einer nicht im Liebesspiel begriffenen Schnecke und außerhalb der Begattungszeit einzeln auslösen lässt. Wenn man nun die einzelnen Reflexe in rascher Aufeinander- folge auslöst, kann man bei einer nicht „spielenden“ Schnecke und außerhalb der Begattungszeit die einer „spielenden“ Schnecke ähn- 2) Vgl. meine Arbeit in Pflüger’s Arch. Bd. 149 (p. 471 ff.). ng zum Erforschen der Instinkte. ches ki, Methodis = Szyman — opoyydoy uUSTEIOIEI U9APPIOA A9p AOpuey Op nn nn m 093]0,9 nz a9]un Ad ı9p uoleIz 93]0,7 ınz ug Om PIp ua8a3 pun usyun yoeu AdaIyn,T Usa} -UIg 19p uoJyoLy sep pun uoddry ap pun ıoıynd u919PIOA AOP AOA.TOU A9puz.1uofgog 1op uoreF -uouwesnz pun "UOSSEL UOMLLIOAAOLT yaısuny uo3undomoag pun usdunffe4sıaodıoy uayarfuye ayd9ouyag „uepuoeards“ 1ouro aLp yaLs Y ‘addııoqo A9p pun AOTyN TUIL9P.IOA TOP sayyruyas -aV us3}N99.14s93sn® uosunIyndag PPpuasjojtspueutame yYoset yaınp AOp Toq ‘aydouyasdiequre M uasıgqeLfaqg A9auUI9 axa]Joy aley .opoım 1: a3104 nz sıadıoy -19P-IOA SOp uarypoLunYy Sep uoqeı oddıiago ug sep pun usayorzurg Sep | uafjotuswwesnz yaIs yowu ı9p age APpO sIadIoyA1opIoA | ‘saJdoyy sop Juny sep pun sıad s1od1oN.19pIoA don, T u9aal sap uaysIzyonL| -uag aduLıad yey | -10y.19pıoA sap sop uadund -umg Op 9TaL -nZ 9STOMILO} soyrugssqegJdoy | uoy90AX14sSnYy 819) | -sMaT Ppuap ua.ojun UAA9P Sep yeg Oy99uyogS | usroygaLIadrne "p | -T9M sep yynıı say | -uad op yyaız | -ı0A A0p 'mzoq uoJo}yaLL A9pury op Zuna| -Uugosqeuatyos sıadıoy.tapıoA daTynd U9Iap -osme Aula 1aq | -ynıog aypemyos u9.19]J}TuL sap ualppLynYv | -T0oA uapIaq A9Pp uozyıdsioIqnAT nzije Jyoru "MzZ9q U9IHPiOA | PUaFNIOZToATaU usdunıqnIog ı9p pun soaydoy | yone ıaqe (oy.ıes uo4oyqPLIoSne HoyaBsın] POS1qat aoLIapaIm sep SuniynIog nzjIe FIDIN sap Sunuyniog | -9q yaınp seq 9ITOZIDLO]“) uloIyn Ag usu9doz -Adur qjeq pun (us3undamnag AOLIONIOPIOA apujapund) 4ıyoy weusgoyas -odun pun (ul -qe pur Sunffo4s um om -un "MZoq) UagO u94.10nB 93 Ip u9S93 pun yowu (sIqdaL -UOWWESNZ uo}un yawu uaqgo ua]yoS Aap "Mz9q) SyUI UOA J9p UI UOLIEQIOA | UOA oTyn,T uo.ıaY uosso.rd stBdION.IOPIOA sıadıoy saso[sdundamag | -umy op mosund -IOpPUBUI9UYy u9IoIqaLIEZSFNe -T9P.IOA SOP OSTEANOZ -9MaT 9PU94SGL sea sep uasundonag | uUsyyaLıymy seq u— U9IPPIOA uELIFUN SEP "MZIg AOJyN,T U9TOJULT UOHOSIMZUL ı19p 'Z uay9a9Lıy -J10,7 sep pun uJoysnurus]yog 19p uoadund -DMAqUa]TO A ap "uoposL uop u9393 uaqIas -s9p UaULULO4S -uy pan sıod -TON.IOJUuLF] 89P UIUNITZLAULULES -nZ sep PM -9q AND9UuYDS 19} -yo9.1sadsne Taq STOLION.LOFULIT sap uadunIgmd "9 ONOTIOPOLA\ uopog uap u9393 soyprumosqegnT uo4staJurg SOp UDULLWLOISUY sea *[PIÄSSOgaTT wIagq u9wyauag ANSIEHT usydsImZz 9948 Iap me m nn en ‘uareedıojyng uopıoq pun Aoyng uaasyury op uazyıdg op ‘oyeg .daura uw SIadioy.Ioyuıf SOp sopuvy SAP S3unyıM 949I9]S yey Aaul9 Sunaynmı -9g aTq "(4uwmoN uspog wap yur Sunagnaog ur opeyog orp sIq) ag warıynıaq 19p ru Prog ıaap Junyaral arp pun sofrayıad -10%7 uapussorur sap UOUOIZULT sep uoyımaq Spas Aula Ne sapue.1[9Jue N sap uadunaqne ‚ag ONOULITOPOLM TOLL apuajards sep ınJ yyundzinyg sıe uaIp 9jeydS 9IP uaılge —, ualgeHoA sSOyasyAwuy — Sunygoegoag 18* 264 Wasmann, Lasius emarginatus Ol., eine kartonnestbauende Ameise. lichen Körperstellungen und Bewegungen künstlich hervorrufen (synthetisches Verfahren) (vgl. Tab. 2). Die Möglichkeit des synthetischen Verfahrens scheint mir von großer Bedeutung für die methodische Untersuchung der Instinkte zu sein. Nachdem durch die reine Beobachtung die bloße Tat- sache eines instinktiven Verhaltens festgestellt wurde, zerlegt man durch das analytische Verfahren dasselbe in seine Elemente. Das synthetische Verfahren hätte nun zu ermitteln, welche Reize für die Auslösung eines Instinktes obligatorisch wären. Solche methodisch vollkommene Untersuchung der Instinkte kann bei heutigem Stand der Wissenschaft bloß als Ideal vor- schweben; aber der Weg, den wir einschlagen müssen, um das hohe Ziel zu erreichen, beginnt aus der Dunkelheit herüberzu- schimmern. Lasius emarginatus Ol., eine kartonnestbauende Ameise. Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg). (Mit 2 Photographien.) Als Kartonnestbauer waren unter den europäischen Ameisen bisher nur ZLasius fuliginosus (Mittel- und Südeuropa), Liometopum microcephalum (Südosteuropa) und Cremastogaster scutellaris (Süd- europa) bekannt. Am längsten kennt man die Kartonnester der erstgenannten Art, deren oft papierdünne, meist rauchschwarze Wände von dem Mycel eines Pilzes (Leptosporium myrmecophilum) überzogen sind. Die Kartonnester von (remastogaster scutellaris sind erst kürzlich von A. H. Krausse!) beı Asunı auf Sardinien entdeckt worden, und zwar unter Steinen; sie haben ein bade- schwammartiges Aussehen und bestehen aus dunkelbraunem bis schwarzbraunem Holzkarton. Ich fand ein Kartonnest dieser Art auf einem Bergrücken bei Gardone (Gardasee) im März 1912, in einem alten hohlen Baumstrunk, der eine volkreiche Kolonie jener (remastogaster beherbergte. Der Karton bildete hier jedoch nur dünne, schwärzliche Zwischenwände in den Hohlräumen des skelet- tierten Holzes. Als „Gäste“ waren ım Mulm des Nestes zwei Oetonia-Larven, deren Aufzucht leider nicht gelang. (sanz unbekannt waren leider Kartonnester von Lasius emar- ginatus Ol. Diese südlichste unserer Lasius-Arten wird in Mittel- europa nach Norden hin immer seltener. Ihre Nester sind meist ın Felsspalten (zwischen den Platten schiefriger Gesteine), ın alten Mauern, daher oft auch in Häusern, seltener unter Steinen und 1) Über Kartonnester von Oremastogaster scutellaris Ol. auf Sardinien (Inter- nat. Entomol. Zeitschr. Guben, Nr. 48, 25. Febr. 1911, S. 259—260). Wasmann, Lasius emarginatus Ol., eine kartonnestbauende Ameise. 265 Lasius brunneus Latr., haust. Bei Luxemburg-Stadt fand ich mehr- mals volkreiche Nester von Z. emarginatus unter großen, ım Boden eingebetteten Steinen. Die Nester selbst waren jedoch stets reine Erdbauten, ohne eine Spur von Kartonfabrikation. An den Ufern des Gardasees, besonders in warmen Lagen wie bei Gardone, ist diese Ameise ungemein häufig. Man begegnet ihr hier sehr zahl- reich von den Gärten am Seeufer an durch die Ölbaum- und Wein- pflanzungen hinauf bis zur oberen Grenze der Kulturen bei etwa 500 m, wo sie auf dem unkultivierten Terrain dann minder häufig wird. Dagegen sind unsere nordischen ZLasius-Arten ebendort äußerst selten. Während zweimonatlicher Exkursionen, die nur den Ameisen- nestern galten, traf ich bei Gardone nur einmal eine Kolonie von Lasius niger unter einem Steine an einer schattigen Stelle einer feuchten. Wiese. Obwohl die Arbeiterinnen durch die Beborstung der Schienen und des Fühlerschaftes typische Lasius niger waren, so blieb doch ihre Größe (nur bis 2,5 mm) unter dem mittleren Normalmaß. Zweimal fand ich Nester von Lasius flavus myops For., durch die kleinen, schmalen, facettenarmen Augen von flavus in specie verschieden. Letztere Form, die dem mittel- und nord- europäischen flavus entspricht, traf ich dagegen an dem kühleren Ostufer des Sees am Fuße des Monte Baldo. Während somit die nordischen ZLasius-Arten (dasselbe gilt auch für die nordischen Myrmica?) an den warmen Ufergehängen des Gardasees fast ganz zurückgedrängt werden durch die südeuro- päische Ameisenfauna — Pheidole pallidula, Messor structor, Plagio- lepis pygmaea sind die hier dominierenden Arten — erweist sıch Lasius emarginatus durch seine große Häufigkeit als eine typisch südliche Art, als ein Glied der pontischen Fauna. Die gewöhnlich tief liegenden Nester sind schwer zu entdecken. Am 9. März 1912 fand ich in 400 m Meereshöhe bei San Michele oberhalb Gardone mehrere volkreiche Nester dieser Ameise ın den Eichenpflanzungen oberhalb der Ölbaumzone und in den angrenzenden Weinbergen. Sie lagen unter großen Steinen, und in einem Falle unter den Trümmern einer alten, von den Bauern fortgeworfenen Blechpfanne. In zweien dieser Nester, die unter Steinplatten am Fuße von Eichen lagen, und die sehr stark bevölkert waren, traf ich zwischen dem lockeren Steingeröll auf dem Boden des Nestes eine über einen Dezimeter im Durchmesser erreichende und mehrere Zentimeter dicke Schicht von braunem, weichem, später sehr brüchigem Karton, in welchem das eigentliche Nestzentrum lag. Die Kartonmasse glich unregelmäßigen Lagen von dickem, grobem, durchlöchertem Fließpapier oder Filz. Bei mikroskopischer 2) Die Formica-Arten dieses Gebietes, die zum Teil eingeschleppt sind, werde ich eigens behandeln. 266 Wasmann, Lasius emarginatus Ol., eine kartonnestbauende Ameise. Untersuchung erwies sie sich als ein Gemenge von Mulm, Erde und sehr feinen Wurzel- und Rindenfasern, durch den Kitt der Speicheldrüsensekrete verbunden. Auch größere Stücke von Wurzel- fasern, Stengelstücke, kleine Steinchen, Stücke von Ameisenkokons und Fragmente von Schneckenschalen waren in den Karton einge- bettet (siehe die beiden Photographien der mitgenommenen Nest- stücke). Als Gäste fand ich nur Lepismina polypoda Grassi, eine kleine Heteroptere, Plinthisus brevipennis Ltr.?), und einen Cherne- tiden. Der sehr intensive, stechende Geruch, der von stark bevölkerten Nestern des Lasius emarginatus ausgeht, erinnert ein wenig an jenen von fuliginosus. Der Karton von emarginatus ist jedoch ganz verschieden von jenem des fuliginosus, viel heller, braun, weicher und dieker und eine kompaktere Schicht bildend. Ebenso unter- scheidet er sich auch von jenem der Oremastogaster scutellaris. An Liometopum mierocephalum war gar nicht zu denken, da diese Ameise bei Gardone fehlt und zudem „dei merletti elegantı di cartono legnoso“ (Emery) verfertigt, die ich aus der Gegend von Bologna durch Emery erhielt; diese schlanken Gitter von Holzkarton sind weit verschieden von dem Filzkarton des Lasius emarginatus. Meine anfängliche Vermutung, diese Ameise könnte vielleicht durch Dieb- stahl (Nestraub) in den Besitz ihrer beiden Kartonnester bei Gar- done gekommen sein, war also abzuweisen. Weil man jedoch in der idyllischen Ländlichkeit Italiens als kritischer Forscher auf alle Eventualitäten gefasst sein muss, untersuchte ich das Nestmaterial mikroskopisch, ob es nicht etwa aus einem alten Filzhut eines italienischen Bauern konstruiert sei. Da auch dies nicht zutraf, stand es fest, dass Lasius emarginatus der Kartonnestfabri- kant war. Wenn man bisher noch keine Kartonnester dieser Ameise kannte, so kommt dies wohl zum Teil von der sehr verborgenen Lage ihrer Nester, hauptsächlich jedoch daher, dass sie nur in ihrer südeuropäischen Heimat die Gewohnheit der Kartonfabrikation bei- behalten hat, während sie weiter nördlich diese Eigentümlichkeit nicht zeigt. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Stücke eines Kartonnestes von Lasius emarginatus Ol. vom Gardasee (4: 3). Fig. 2. Stärkere Vergrößerung des rechts liegenden Stückes (4,4 : 1). (Beide Auf- nahmen mit Zeiß Tessar 1: 6,3; F. 136 mm.) 3) Diese Art fand ich auch bei Linz am Rhein in Nestern von Formica ewsecta Nyl. (9. 1893) und von Tapinoma erraticum (10. 1898). (Von Dr. A. Reichen- sperger [Bonn] bestimmt.) Biologisches Centralblatt. Tarall. igl. E. Wasmann S. I. i ® . B a gu , 0% Uhl u Ag — Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung ete. 267 Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung in den Melanophoren der Knochenfische. (Nach Beobachtungen am lebenden Objekt.) (Mit 8 Textfiguren.) Von E. Ballowitz in Münster i. W. In den sternförmigen, dünnen, parallel der Hautoberfläche aus- gebreiteten, dunklen Pigmentzellen der Fischhaut, den sogen. Melano- phoren, kommen, wie bekannt, gewöhnlich zwei, selten mehrere Zellkerne vor, bisweilen wird auch nur einer angetroffen. Diese Zellkerne sind aber nur deutlich, wenn das Pigment ın der Zelle und in den Fortsätzen ausgebreitet ist. Sie erscheinen alsdann als ovale, elliptische oder auch mehr kreisrunde, helle Stellen, über welche die Pigmentkörnchen, wie ich an den lebenden Objekten feststellte, an der oberen und unteren Fläche in radiären Kanälchen hinwegströmen. Aus dem letzteren Umstande ist zu schließen, was ja eigentlich auch selbstverständlich ist, dass die Kerne rings von dem Chromatophorenprotoplasma umgeben und in dasselbe einge- bettet sind. Wie B. Solger!) zuerst betont hat, liegen die hellen Kern- flecke in den sternförmigen Melanophoren stets exzentrisch, während die Mitte der Pigmentzelle von der von Solger beschriebenen Sphäre eingenommen wird, die bei ausgebreitetem Pigment als heller, zentraler Fleck meist sehr deutlich ist. Fließt das Pigment in den Chromatophoren gegen die Zell- mitte zurück, so werden alsbald die vorher so deutlichen strahlen- förmigen Zellfortsätze pigmentfrei und völlig unsichtbar, während sich das Pigment zu einer zentralen, dickeren Scheibe zusammen- ballt, in welcher nicht selten die kleiner gewordene Sphäre als heller, einem Nadelstich ähnlicher, zentraler Punkt noch sichtbar bleibt. Die Kerne dagegen sind nunmehr in der Pigmentscheibe nicht mehr zu erkennen, so deutlich wie sie vorher bei ausgebreitetem Pigment auch waren. Dieser Umstand ist von den früheren Autoren, welche sich mit der Histologie und den Lebenserscheinungen der Chromatophoren beschäftigt haben, wenig beachtet worden. Man scheint sich die geschilderte Tatsache durch die Annahme erklärt zu haben, dass die Kerne mit dem Pigment zentralwärts zurückwandern und als- dann ın der zentralen Scheibe durch das viele zusammengeballte Pigment verdeckt und unsichtbar gemacht werden. 1) B. Solger, Über pigmentierte Zellen und deren Zentralmasse. Mitteilungen des Naturwissenschaftl. Vereins von Neuvorpommern und Rügen. 22. Jahrg., 1890. 368 Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung etc. Nur W. Zimmermann?) hat schon 1893 mitgeteilt, dass er an „kontrahierten Pigmentzellen“* von Sargus annularis beobachtete, „dass die Kerne aus der Pigmentmasse hervorragten oder gar ganz außerhalb derselben lagen und sie nur mit einer Seite berührten“. Diese Erscheinung traf der Autor besonders auch bei Chondrostoma nasus an. Bei diesem Süßwasserfisch sollen die Kerne bei der Konzentrierung des Pigmentes häufig in ihrer Form verändert, ja förmlich zerstückelt werden. Während die Zellkerne in Zellen mit ausgebreitetem Pigment „mehr abgerundete Formen besitzen und nur leicht die Peripherie des Zellleibes berühren, sind sie bei kon- zentriertem Pigment teils stark gegen die Peripherie gedrängt, teils in einen oder mehrere Ausläufer zu gleicher Zeit hineingequetscht. Die dem Pigmentklumpen zugekehrte Seite ist dann meist durch denselben eingedrückt. Es kommt häufig vor, dass ein Kern so stark gezerrt und gestreckt wird, dass ein Teil desselben auf der einen, ein anderer Teil auf der anderen Seite der Pigmentmasse liegt.“ W. Zimmermann machte diese Feststellungen an fixierten, mit Hämatoxylin gefärbten und zum Teil auch gebleichten Präparaten. Auch Solger (l. c.) erwähnt, dass an abgestorbenen Pigment- zellen von Olupea und Esox der zusammengeballte Pigmentklumpen ganz gewöhnlich noch Segmente der mehr oder weniger vom Farb- stoff verdeckten Kerne freilässt. Diese Mitteilungen der genannten Autoren kann ich nun bestätigen und auch ergänzen nach Beobachtungen, welche ich an den lebens- frischen, in lebhafter Körnehenströmung begriffenen Melanophoren bei Untersuchung mit Ölimmersion (Zeiß homogene Immers., 2 mm, Apert 1,30, Kompensat.-Okular 8) machte. Das für diese Feststellung sehr geeignete Objekt fand ich in der an Chromatophoren reichen Hirn- haut bestimmter Gobiiden, deren zartes, dünnes Gewebe alle Einzel- heiten besser erkennen lässt als die derber strukturierte äußere Haut. Die dunklen Pigmentzellen gleichen auch hier im ausge- breiteten Zustande ihres Pigmentes dünnen, vielstrahligen Sternen, in deren Zentrum eine deutliche Sphäre sichtbar ist. Die meist in Zweizahl vorhandenen Kerne liegen exzentrisch, nicht selten in der Basıs eines Fortsatzes. Die Figuren 1a—d illustrieren in vier Phasen die Endstadien des Rückströmens der Pigmentkörnchen kurz vor der definitiven zentralen Pigmentballung an ein und demselben Melanophor. In Fig. 1a liegt noch, besonders oben, ein größerer Teil der Melaninkörnchen außerhalb der schwarzen Scheibe in der Basis der Fortsätze. Die Pigmentkörnchen sind in streng radiären Reihen 32) W. Zimmermann, Über die Kontraktion der Pigmentzellen der Knochen- fische. Verhandl. der Anatom. Gesellsch. auf der 7. Versamml. in Göttingen vom 21.—24, Mai 1893. Jena 1893, S. 77. Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung ete. 269 angeordnet und strömen, lebhaft und oft druckweise hin und her oszillierend, aus der Peripherie gegen die Zellmitte ab. Man sieht dabei, wie sie in radıären Reihen und in stets wechselnden Ab- teilungen über die beiden Kerne an deren Ober- und Unterflächen hinweggleiten. In Fig. 1 b ist die Zahl der noch außerhalb strömenden Körnchen schon wesentlich geringer geworden. Der links befindliche Kern ist an seinem äußeren Rande schon völlig körnchenfrei und er- scheint nur noch mit seiner zentralen Hälfte in die Pıgmentscheibe eingetaucht. Rip. Ic. In dem weiteren Stadium der Fig. 1c ragt auch der zweite Kern mit seinem peripherischen Teil frei. hervor; zwischen den beiden Kernen und zu ihren Seiten lagert aber noch Pigment- masse. In Fig. 1d schließlich erblicken wir das Endstadium. Die Pigmentmasse ist insgesamt zentralwärts zusammengeballt und hat sich noch enger konzentriert, so dass die Begrenzung der Scheibe im Vergleich mit den voraufgegangenen Phasen kleiner erscheint. Am Rande der Scheibe schnellen hier und da noch vereinzelte Körnchen und Körnchengruppen, stets radiär angeordnet, hervor, um sich alsdann wieder der Pigmentmasse einzuverleiben. Die 270 Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung etc. beiden Kerne sind jetzt ganz losgelöst von dem Pigment, nur der linke berührt mit seinem einen Rande noch die Scheibe. Das Pigment ist also an den Kernen vorbeigeflossen und hat diese in ihrer ursprünglichen Lage gelassen. Fig. 7. Fig. 8. Der ganze Prozess des Freiwerdens der Kerne, wie er in Fig. 1a—d dargestellt ist, spielte sich unter dem Mikroskop beı Beobachtung mit konzentriertem Auerlicht meist in wenigen Minuten ab. Im Körper kann die Ausbreitung und Zusammenballung dieser Pigmentzellen fast momentan, jedenfalls binnen wenigen Sekunden, erfolgen. Unmittelbar, nachdem das Pigment von den Kernen abgeflossen, ist die Begrenzung der letzteren gewöhnlich noch nicht deutlich. Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung ete. 271 Erst einige Zeit darauf, wohl mit dem Tode der Zellen, nachdem ı. die Pigmentbewegung völlig erloschen ist, treten die Kerne scharf, ! wenn auch zart begrenzt hervor. Lässt man die Zellen langsam absterben, so tritt vor dem Tode fast regelmäßig die Zusammen- ballung des Pigmentes ein. Nachdem ich in der geschilderten Weise das Freiwerden der Kerne bei Zusammenballung des Pigmentes am lebenden Objekt festgestellt hatte, war es leicht, wenn der richtige Zeitpunkt abge- passt wurde, an meinem Objekt fast an einer jeden zusammen- geballten Pigmentscheibe in deren Nähe die Chromatophorenkerne auf das Deutlichste ohne jede weitere Behandlung nachzuweisen. Die alle bei der gleichen Vergrößerung gezeichneten Figuren 2 — 8 liefern einige Beispiele dafür. Die schwarze Scheibe ist in allen Figuren die zusammengeballte Pigmentmasse, deren Bewegungs- erscheinungen schon erloschen sind, so dass die Scheibe scharf be- grenzt erscheint. Die Kerne sind als kleine, scharf konturierte Kreise und Ellipsen angegeben. In Fig. 2 ragen die beiden einander benachbarten Kerne nur mit ihrem größeren Teil frei hervor, während ihr zentraler Abschnitt noch ım Pigment zurückgeblieben zu sein scheint, jedenfalls davon verdeckt wird. In Fig. 3 ist nur noch ein geringer Teil der beiden Kerne in Kontakt mit der Pigmentmasse, ebenso in Fig. 4, in welcher nur ein einziger Kern nachgewiesen werden konnte. In den übrigen Figuren erscheinen die Kerne vollständig von der Pigmentmasse emanzipiert und befinden sich völlig isoliert in größerer oder geringerer Entfernung davon; dies wurde sehr häufig beobachtet. Nur in Fig. 8 mit drei Kernen steckt der eine Kern noch zur Hälfte in der Pigmentscheibe. Bisweilen bleibt ein Kern in beträchtlicherer Entfernung von dem Zellmittelpunkt zurück, wie es in Fig. 7 der Fall ist. Veränderungen und Verunstaltungen der Kernform, wovon W. Zimmermann bei Ohondrosioma (l. e.) berichtet, habe ich an diesem meinem Objekt, wie die Figuren zeigen, nicht wahrgenommen. Wohl aber traf ich des öfteren eigenartige Kernverzerrungen in dem zentralen Melanophoren an, welcher an den von mir be- schriebenen chromatischen Organen?) von der Iridocytenkapsel um- schlossen wird. Da die dunkle Farbstoffzelle hier von einer Wan- dung umgeben ist, lässt sich leicht erklären, dass die Kerne durch die Pigmentströmungen verzerrt werden können, da sie, wenn sie 3) E. Ballowitz, Die chromatischen Organe in der Haut von Trachinus vipera Cuv. Ein Beitrag zur Kenntnis der Chromatophorenvereinigungen bei Knochenfischen. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie, Bd. CIV, 1913. Vgl. auch: Derselbe, Über chromatische Organe in der Haut von Knochenfischen. Anat. Anzeiger, 42. Bd., Heft 7/8, 1912. 212 Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ecc. in der Höhlung liegen, hier nicht gut ausweichen können. Auch an diesen chromatischen Organen sah ich in den Schnittpräparaten die Melanophorenkerne einige Male aus dem Pigment frei in die helle Umgebung, das pigmentfrei gewordene Zellprotoplasma, vorragen. Aus Obigem geht hervor, dass an unserem Objekt die Zell- kerne durch die Pigmentströmung nicht beeinflusst werden, viel- mehr in ihrer ursprünglichen Lage, oft weit ab von der zusammen- geballten Pıgmentmasse, verbleiben. Da die Kerne nun nicht frei im Gewebe liegen können, vielmehr vom Zellprotoplasma umgeben sein müssen, so folgt daraus weiterhin, dass auch das Chromato- phorenprotoplasma bei der Pigmentströmung an Ort und Stelle liegen bleibt. Die Ausbreitung und Zusammenballung des Pigmentes kann daher nicht dadurch verursacht werden, dass die Chromato- phoren, gleich Amöben, pigmenthaltige Fortsätze ausstrecken und wieder einziehen, vielmehr kommen hierbei Pigmentverlagerungen, ein Ausströmen und Zurückströmen der Pigmentkörnchen in dem unverändert liegen bleibenden Protoplasma, ın Betracht. Nach meinen Beobachtungen am lebenden Objekt bin ich zu der Über- zeugung gekommen, dass die Körnchenströmung innerhalb feiner Kanälchen mit kontraktiler Wandung stattfindet, die in großer Zahl und inradiärer Richtung dasChromatophorenprotoplasma durchziehen. Für die Anschauung einer intrazellulären Pigmentströmung in den unverändert liegen bleibenden Chromatophoren bin ich in diesem Centralblatt schon im Jahre 1893 ın einer Abhandlung*) eingetreten, in welcher ich einige andere Beweise für die Persistenz der Chro- matophorenfortsätze beibrachte. Auch in neuerer Zeit sind die meisten Autoren, ich nenne nur Franz, Kahn, Lieben u. a., bei ihren Chromatophorenstudien zu der Ansicht gekommen, dass das Protoplasma der Melanophoren im Gewebe liegen bleibt und nur das Pigment sich verschiebt. Es wäre daher wohl geboten, dass die Angaben von „amöboiden Bewegungserscheinungen“, „Kontraktion“, „amöboiden Fortsätzen* u.s. w. der Chromatophoren aus den neueren Lehr- und Hand- büchern endlich verschwänden. Ricerche sulla rigidita cadaverica dei cefalopodi (Octopus vulgaris Lam.). per Osv. Polimanti (dalla sezione di fisiologia della Stazione zoologiea di Napoli). (Con 5 figure nel testo.) Come bene sappiamo, non mancano ricerche sopra la rigiditä cadaverica di varie parti (specialmente muscoli scheletrici) dell’orga- 4) E. Ballowitz, Über die Bewegungserscheinungen der Pigmentzellen. Bio- logisches Centralblatt, Bd. XIII, Nr. 19 u. 20, 15. Oktober 1893. Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ecc. 2973 nismo dei vertebrati, oppure dei vertebrati in t0obo. In qualunque manuale dı fisiologia sı trovano eitati ı risultati dı queste osser- vazıoni e delle varie modalıtä sperimentali: influenze fisiche (varie temperature, ecc......), influenze chimiche, taglıo del nervo o dei vası che sı distribuiscono a quel determinato muscolo od arto, ecc., adoperando tutti ı piü svariati sussidi della tecnica (dalla leva seri- vente alla fotografia). Perö, per quanto diligenti siano state le mie ricerche bibliografiche, non credo vı sıa stato nessun ricer- catore, il quale abbıa rivolto la sua attenzione ad organismi inverte- brati, 1 quali possono essere un eccellente materiale di studio per studiare Je varlazioni che subisce l'intero corpo dell’animale, per effetto della rigidita cadaverica. Io ho rivolto la mia attenzione in proposito aı cefalopodi e mi occupo qui specialmente di Octopus vulgaris. Gli Ottopodi (Octopus ed Eledone), fra ı cefalopodi del Mediter- raneo, si prestano molto bene per questi studi, perche non hanno quella massa dı sostegno (Sepium) propria dei Decapodi (Sepia, Loligo). Oeccorre vedere adesso molto brevemente, quale sia la costituzione ed ıl decorso delle fibre muscolari nel mantello e nelle braceia dei cefalopodiı per arrıvare poi alla spiegazione di molti fatti, che si avverano nella rigiditä cadaverica dı questi anımalı. Della costituzione istologieca del mantello dei cefalopodi si oceuparono specialmente Ballowitz!), Marceau?), Lafite- Dupont?), e Gu&rin*). Secondo Ballowitz e Marceau le fibre muscoları del mantello presentano una differenziazione molto mani- festa. Sı distinguerebbe difatti una parte assiale protoplasmatica che contiene il nucleo ed una parte superficiale molto sottile, fatta di fibrille a spirale, che stanno rannicchiate nel sarcoplasma. Queste fibre sono tutte anisotrope, perö lungo il loro decorso si noterebbero delle parti, che si comportano molto differentemente, per quanto riguarda la colorazione. Lafite-Dupont deserive inoltre nel man- tello di Sepia due forme molto rare di fibre, una nastriforme ravvolta a spirale, con l’estremo ingrossato, l’altra invece fatta di fibrre lunghe striate trasversalmente (delle strie oscure e brevi si 1) Ballowitz, E. Über den feineren Bau der Muskelsubstanzen. I. Die Muskelfasern der Cephalopoden. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 39, 1892, S. 291-327. 2) Marceau, F. Recherches sur la structure des muscles du manteau des Cephalopodes en rapport avec leur mode de contraction. Travaux de la Station Zoologique de Arcachon T. 8. 1906. p. 48—65. 3) Lafite-Dupont. Fibres et fibrilles musculaires striees du manteaux de Sepia offieinalis. Travaux de la Station Zoologique de Arcachon. T. 5. 1901. p- 39—42. 4) Guerin, J. Contribution ä l’etude des systömes cutand, musculaire et nerveux de l’appareil tentaculaire des Cephalopodes. Archives de Zoologie experi- mentelle (S. 4). T. 8. 1908. p. 1—178. TER: Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ecc. alternano con strie piüı chiare e lunghe). Secondo Gu&rin infine sono striate anche le fibre trasverse dei piedi prensili dı Sepia. Riguardo poi al decorso delle fibre muscoları nel mantello dei cefalopodi, nulla di preciso si conosce in proposito; io ritengo perö che questi fascı dı fibre sı distribuiscano in senso longitudinale, trasversale, circolare ed a spirale e sono indotto a credere ciö, vista, non solo la maniera dı contrarsı del mantello, ma anche la rapiditä della contrazione, che sı spiega appunto con questi sistemi dı fibre scaglionati nelle varie direzioni. Big,ie La struttura delle braccıa dei cefalopodi fu studiata daGu6rin in un bellissimo lavoro: per quanto riguarda il sistema muscolare di questa regione, egli non solo ce ne ha dato la descrizione micro- scopica, ma ci ha anche fornito una descrizione esatta del decorso dei vari fasci muscolari nelle braceia dı questi molluschi. Guerin ha visto che nelle braccia degli Ottopodi (questi sone i cefalopodi che a noi direttamente interessano in questo lavoro) si possono distinguere sei fasci di fibre muscolari longitudinali: uno ventrale, uno dorsale e due paia laterali. Il fascio dorsale sarebbe quello piü sviluppato di tutti gli altri. Questi fasci di fibre muscolari Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ece. 275 verrebbero poi ad essere suddivisi trasversalmente da altrettanti setti muscolari paralleli tra dı loro. Lateralmente poi, fra le due paia di fascı dı fibre longitudinali, si trovano inoltre dei fasci di fibre muscolari, situate obliquamente. La muscolatura della pelle, che sta fra le braccia, consiste in fibre, che vanno da braccio a braccio e che partono dal sistema delle fibre longitudinalı. Gu6rin ricereo anche il decorso delle fibre muscolari nelle ventose brachialı degli ottopodi; e vide che consisteva in un sistema di fibre circoları a sfintere, che circondavano la ventosa, in fibre Fig. 2. longitudinali che si portavano alle braccia ed in fibre che andavano da una ventosa all’altra. — Riporto molto brevemente ıl decorso della rigiditä cadaverica studiata in un esemplare di Octopus vulgaris Lam.: 1. 7. 1912. Peso dell’animale 0,900 g, temperatura dell’acqua di mare nel bacino 21° C., temperatura dell’aria 25°C. Alle ore 10,15 fu levato dal bacino e posto all’aria per studiare la resistenza dell’Ottopodo all’asfissia (sara ciö argomento di un lavoro in corso di pubblica- zione), alle ore 11,47 aveva dato gli ultimi segni di una manifesta respirazione (durata dell’asfissia all’arıa ore 1,32). 216 Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ece. Alle ore 12 sı mette l’Octopus in un piccolo bacıno contenente acqua, alle ore 12,10 (ore 0,23 dalla morte) si esegue la prima fotografia (fig. 1); come bene sı vede, le braccıa sono completamente rılasciate, il mantello combacia del tutto colla superficie del bacino, sulla quale rıposa. E’manifesta ancora la „danza“ dei cromatofori. Alle ore 2,05 pom. (ore 2,18 dalla morte) sı esegue l’altra foto- grafia (fig. 2), le braccia sı sono cominciate a raccorciare dalla peri- ferıa verso ıl centro, attoreiglandosi alle loro estremitäa, ıl mantello comincia a restringersi omogeneamente e contemporaneamente si € Fig. 3. abbastanza elevato, tanto che eombacia solo piü per una piccola parte col fondo del baecino, l’imbuto & rivolto verso sinistra. Alle ore 6,45 pom. (ore 6,58 dalla morte) si esegue una terza fotografia (fig. 3): delle braccia di destra, la prima anteriore si @ divaricata dalla linea mediana, la seconda e la terza si sono raccor- ciate, la quarta si & brevemente allungata, ma si & accostata di piü al mantello; delle braccia dı sinistra, quelle dalla prima alla terza si sono brevemente divaricate fra di loro, mentre la quarta si & accorciata ed accostata dı piü al mantello.. LW’imbuto sı @ ripiegato verso destra. Il mantello ha subito anche delle variazioni caratteristiche: si © di molto allungato nel senso anteroposteriore e Polimanti, Ricerche sulla rigiditä cadaverica dei cefalopodi ecc. 37 contemporaneamente si & ristretto nel senso trasverso, "Octopus poi, come appare bene dalla fotografia presa ın senso laterale (fig. 4), sı @ di molto sollevato col suo mantello dalla superficie, sulla quale riposava. rn Fig. 4. E’ stata presa un’altra fotografia (fig. 5) nel giorno successivo (2.7.1912) alle ore 2 pom. (ore 26,13 dopo la morte). La forma del mantello & rimasta eguale all’ultima osservazione fatta, mentre le braccia si sono andate quasi contemporaneamente rilasciando e rimangono come arricciate solo alle estremitä. L’acqua nella quale XXXIL. 19 27S Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. sı trova l’animale comincia a divenire opaca, l’Octopus va putre- facendosi, putrefazione che sı rivela anche all’odorato. — Da un esame anche sommario dei nostri rısultati, posto in con- fronto con le cognızionı anatomiche sopra esposte sulla muscolatura dei cefalopodi, appare quindi manifesto, come nella rigiditä cada- verica degli Ottopodi, nelle braceia abbiano specialmente azione le lunghe fibre muscoları longitudinali dorsali, che determinano la retrazione e il raccorciamento consecutivo dell’intero arto. Mentre invece nel mantello sono le fibre muscolari circoları, quelle che hanno una azione spiccata nella rigiditä cadaverica, tanto che deter- minano il raccorciamento laterale dell’animale ed il consecutivo suo allungamento. Dopo circa 24 ore dalla morte, mentre ıl mantello conserva la stessa forma, che assume dopo circa 6 ore, le braccia invece vanno allungandosi completamente. — Ho ereduto interessante dı richiamare l’attenzione dei ricer- catorı sopra questo argomento: nel lavoro completo mostrerö, quale grande azione abbiano sulla rigidita cadaverica dei cefalopodi (Otto- podi e Decapodi), al parı dı quanto sı avvera nei vertebrati, le in- fluenze fisiche (temperatura ece.), le chimiche (variazione nella composizione chimica dell’acqua dı mare, acidi, alcalı, ece.) ed infine le pitı svariate condizioni sperimentali (taglio dı un nervo, ad es. del mantello; o dı un ganglio, ad es. stellare; ecec....). Una comparazione, dı quanto sı osserva nella rigiditä cadaverica dei cefalopodi, con quanto sı vede nella rigiditäA cadaverica dei muscoli dei vertebrati, sara anche interessante, perch@ servirä a delucidare molti fatti non ancora perfettamente dimostrati: ı due ordını dı osservazioni potranno sicuramente completarsi a vicenda. Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg, Holland). Seitdem durch Stadler’s Studien über die Tiergeschichte Albert des Großen und durch die kritische Neuausgabe der Kölner Hand- schrift derselben die Aufmerksamkeit der modernen Wissenschaft auf die mittelalterliche Naturforschung gelenkt worden ist, die neben vielen Schatten auch manche, bisher ungeahnte Lichtseiten aufweist, ıst zu hoffen, dass man allmählich das landläufige Urteil berichtigt, welches ın der gesamten Naturwissenschaft des christ- lichen Mittelalters schlechthin nur eine gedankenlose und beobach- tungslose, von orientalischen Märchen durchflochtene Bücherweisheit erblicken wollte, die im wesentlichen nur auf ein Abschreiben und Kommentieren des Aristoteles und des Plinius hinauslief. Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. 279 Es ist erfreulich zu sehen, wie Richard Hertwig in seinem vortrefflichen „Lehrbuch der Zoologie“ in objektiver Wahrheitsliebe „Ausnahmen“ von der obigen Regel zulässt. In der neunten Auf- lage (Jena 1910) S. 8 gelten ihm hierfür als solche Ausnahmen „vor allem der Dominikaner Albertus Magnus und der Augustiner (später ebenfalls Dominikaner) Thomas Cantimpratensis. Von Albertus Magnus steht es fest, dass er in seinen zoologischen Schriften sich bemühte, wo es ihm nur möglich war, sich auf eigene Beobachtungen zu stützen“. Aber weder Richard Hertwig noch Hermann Stadler, der auf der 80. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Köln am 21. September 1908 seinen Vortrag hielt über „Albertus Magnus von Köln als Naturforscher und das Kölner Autogramm seiner Tiergeschichte“ hatten eine Ahnung davon, dass Albert der Große bereits hundert Jahre vorher eine Vorläuferin besaß, die, obwohl Nonne, an selbständiger Beobachtungsgabe nicht hinter Albertus zurücksteht und den Namen der „ersten deutschen Natur- forscherin“* verdient. Auch bei V.Carus, „Geschichte der Zoologie“ (München 1872) fehlt dieselbe spurlos. Es ist dies die heilige Hildegard (1098 —1179), Äbtissin des Benediktinerinnenklosters auf dem Rupertsberge bei Bingen. In der katholischen Kirche ist sie als mystische Seherin bekannt, die in ihrem „Deivias“ (Wegweiser), an dem sie zehn Jahre lang schrieb, eine Art Dogmatik in drei Büchern mit 26 Visionen verfasste. Wer konnte da ahnen, dass in ihr auch eine echte deutsche Naturforscherseele stak? Und doch ist es so. In einem der praktischen Heilkunde jener Zeit dienenden Werke, das unter dem kürzeren Namen „Physica* oder „Liber simplieis medicinae“ besser bekannt ist als unter dem längeren Titel „Subtilitatum diversarum naturarum crea- turarum libri IX“ hat sie eine große Fülle selbständiger Beobach- tungen und mündlicher Mitteilungen aus der Volkstradition über eine beträchtliche Zahl von Pflanzen und Tieren der unteren Nahe- gegend gesammelt, die es wohl verdienen, der Vergessenheit ent- rissen zu werden. Dieselben sind nicht bloß in biologischer, sondern auch in linguistischer Beziehung hochinteressant. Hildegard hatte zwar, als sie mit acht Jahren von ihrem elterlichen Schloss Böckel- heim bei Kreuznach, wo ihr Vater Burgvogt war, m das nahe Benediktinerinnenkloster auf dem Disibodenberge verpflanzt wurde, von ihrer Meisterin Jutta von Sponheim ganz passabel Latein ge- lernt. Aber für die meisten der ihrer Beobachtung begegnenden Pflanzen und Tiere gab es eben damals noch keine lateinische Namen, sondern nur alt- oder mittelhochdeutsche Volksnamen. Diese hat sie deshalb — es sind gegen tausend — in den latei- nischen Text ihrer „Physica“ verwoben. Für die Geschichte der deutschen Sprache, in welcher gerade damals der Übergang vom 19* 280 Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen sich vollzog, sind diese deutschen Pflanzen- und Tiernamen von nicht geringerer Bedeutung als für die Geschichte der deutschen Botanik und der deutschen Zoologie. Denn sie geben uns ein anschauliches Bild von der Flora und Fauna der damaligen Zeit namentlich in der Nahe- und Rheingegend. Sie bieten zugleich auch den besten Beweis dafür, dass Hildegard ıhre „Physica“ nicht aus Aristoteles oder aus Plinius abgeschrieben hat, sondern als eine selbständige Be- obachterin der sie umgebenden Natur und als eme selbstän- dige Sammlerin der im Volkswissen jener Zeit vorhandenen bota- nischen und zoologischen Kenntnisse anzusehen ist. Ich war selber nicht wenig über diese Entdeckung überrascht. Wir verdanken dieselbe zunächst Herrn L. Geisenheyner-Kreuz- nach, der auf der Versammlung des botanischen und zoologischen Vereins für Rheinland-Westfalen (9.—11. Juni 1911) zu Kreuznach einen Vortrag hielt „Über die Physica der heiligen Hildegard von Bingen und die in ihr enthaltene älteste Naturgeschichte des Nahe- gaues“!. Um mich von der Richtigkeit seiner Angaben zu über- zeugen, studierte ich hierauf die im 197. Bande von Migne’s Patro- logie enthaltenen „Subtilitatum diversarum naturarum crea- turarum librı IX“. Es ist dies die von ©. Daremberg besorgte Bearbeitung der Pariser Handschrift der Physica?), die allerdings eine kritische Neuausgabe auf Grund der vier bisher bekannten Codices sehr wünschenswert erscheinen lässt. Ich möchte nament- lich Herrn Hermann Stadler auf diese „Physica“ der hl. Hilde- gard aufmerksam machen, damit er der Frage nähertrete, ob und inwieweit vielleicht Albertus Magnus, der ein ganzes Jahrhundert später lebte, aus diesem Werke der gelehrten Benediktinerin ge- schöpft hat für seine „Tiergeschichte“. Bei Stadler’s Übung in dergleichen vergleichenden Quellenstudien dürfte das Ergebnis der- selben besonders wertvoll sein; namentlich ın bezug auf die deut- schen Tiernamen in beiden Werken werden sie von hohem Interesse sich erweisen. Eine Naturforscherin im modernen Sinne war Hildegard selbstverständlich ebensowenig wie Albertus. Dabei sehen wir bei beiden ganz ab von ihrer mittelalterlich-christlichen Welt- anschauung, die den Bischof Albertus zu einem „Seligen“ und die 1) Veröffentlicht in den Sitzungsberichten d. Naturhist. Vereins d. preußischen Rheinlande u. Westfalens, 1911, II. Hälfte, E, S. 49—72. 2) Dieses Werk Hildegards, dessen Echtheit gegenwärtig allgemein anerkannt wird, trägt auch den Namen „Liber simplicis medieinae‘“ und ist nach F. A. Reuß zwischen 1150 und 1160 entstanden. Das „Liber compositae medieinae“ oder ‚„Causae et curae‘‘ (Ursachen und Heilungen der Krankheiten) ist naturwissenschaftlich nicht so wertvoll wie die Physica. Vgl. auch Paul Kaiser, Die naturwissenschaftlichen Schriften der Hildegard von Bingen, 1901. Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. 281 Nonne Hildegard zu einer „Heiligen“ in der katholischen Kirche machte. Auch in ihrer Art „Naturgeschichte“ zu schreiben, waren beide eben Kinder ihrer Zeit, wie wir Kinder der unsrigen sind. Deshalb kann es auch nicht befremden, dass die naturgeschicht- lichen Schriften beider nebenbei auch den herkömmlichen Ballast von alter Fabelliteratur mitschleppen, und dass auch in beiden zahl- reiche, uns kaum mehr begreifliche Irrtümer unterlaufen in Angaben über Tiere oder Pflanzen, die sie selber gesehen hatten. So schreibt ja Albertus den Fliegen acht Beine zu?), während Hildegard die Fliegen den „Vögeln“ anreiht. Sie hatte eben noch kein eigenes systematisches Fach bereit für die kleinen geflügelten Tiere. Uns Nachfolgern von Linn& ist es ja ein wohlfeiles Vergnügen, über solche vergleichend morphologische Missgriffe uns lustig zu machen. Aber wer weiß, ob wir es damals selber besser gemacht hätten ? Gegen derartige systematische Irrtümer könnte man höchstens den für die damalige Zeit einigermaßen berechtigten Vorwurf erheben, die Betreffenden hätten nicht genug Aristoteles studiert, der in vielen Punkten bereits ein weit modernerer Systematiker war. Aber gegenüber einer Nonne, die keinen Kommentar zu Aristoteles schreiben wollte wie der gelehrte Dominikaner Albertus in seiner Tiergeschichte es tat, sondern die bloß ein Handbuch der prak- tischen Volksmittelheilkunde für ıhre Ordensgenossinnen und für das Volk der Umgegend verfassen wollte, dürfte der aus der Nicht- beachtung des Aristoteles geschöpfte Vorwurf kaum besonders schwer in die Wagschale fallen. Schlimmer wäre es gewesen, wenn sie den Pedanıus Dioscorides, der durch seine fünf Bücher von der Materia medica bis ins 17. Jahrhundert die klassısche Grundlage der Arzneimittellehre war, nicht hinreichend gekannt hätte. Aber diesen Vorwurf wird ıhr niemand machen können, obwohl sıe anderer- seits in ıhren medizinischen Angaben völlig selbständig vorangeht. Dass Hildegard die sämtlichen Naturobjekte, die sie in ihrer „Physica“ bespricht, hauptsächlich vom Nützlichkeitsstandpunkt aus behandelt, ist durch den Zweck jenes Buches allein schon voll- kommen erklärlich, ohne dass man zu ihrem „mittelalterlichen, aus- schließlich anthropozentrischen Standpunkt“ seine Zuflucht zu nehmen braucht. 3) Ob das Kölner Autogramm ebenfalls hier acht statt sechs Beine aufweist, wird durch den kritischen Neudruck desselben durch Stadler sich wohl bald kontrollieren lassen. Wie vorsichtig man sein muss, älteren Ausgaben in solchen Punkten zu trauen, zeigt folgendes Beispiel. Thomas v. Aquino, der berühmteste Schüler des Albertus, zählt nach der Ausgabe von Vives (1871) in seiner Summa theologiae I. q. 72 ad 2 zu den „reptilia quadrupedia“ ganz richtig die „lacertae et tortucae“ (Schildkröten). Zu tortucae ist die Anmerkung beigefügt: ‚Sie codices, sed nescio qua incuria in Parmensi et in omnibus editionibus „formicae“. Aus den Schildkröten waren also durch den Fehler eines Kopisten Ameisen gemacht worden. Und die sollte Thomas zu den „vierfüßigen Kriechtieren“ gerechnet haben. 3S2 Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. Ich will ım folgenden nur kurz den Inhalt der neun Bücher der „Physica“ der hl. Hildegard skizzieren, mit besonderer Berück- sichtigung der Tierwelt!). Man darf es wohl als besonders glück- lich bezeichnen, dass Geisenheyner der kritischen Beurteilung und Deutung der von Hildegard erwähnten Pflanzen und Tiere sich angenommen hat, weil er ein vortrefflicher Kenner der Lokalfauna und Lokalflora des Nahegebietes ist und speziell die Wirbeltier- fauna desselben schon vor 25 Jahren in einem eigenen Werke behandelte’). Er hatte ferner stets den heute noch üblichen deutschen Volksnamen der dortigen Tiere und Pflanzen seine besondere Aufmerksamkeit zugewandt und war deshalb weit besser als J. Wimmer, v. Fischer-Benzon und P. Kaiser in der Lage, die Hildegard’schen Namen richtig zu deuten und dadurch auch für die Originalität ihrer Beobachtungen und Angaben Zeugnis ab- zulegen. Von den neun Büchern der Physica ist das II., de ele- mentis, allgemeinerer Natur, das IV., de lapıdıbus und das IX., de metallis sind mineralogischen, das I., de plantis und das IIl., de arborıbus, botanischen, das V., de piscibus, das VIII. (de reptilibus, aber ohne diese Überschrift), das VI., de avibus und das VII., de anımalıbus, zoologischen Inhalts. Das Buch de elementis ist eigentlich nur eine Einleitung zu den übrigen und wohl nur durch den Irrtum eines Kopisten an die zweite Stelle gekommen. Es enthält nichts von modern natur- wissenschaftlichem Interesse. Wichtiger sind schon die minera- logischen Bücher. Das IV. Buch, de lapıdibus (26 Kapitel), zählt über 20 Edelsteine auf meist mit den noch heute üblichen Namen. Auch die Perlen werden hier aufgeführt, und zwar außer den echten Perlen (margarıtae) auch die unechten, die sie berlin nennt. Von letzteren bemerkt sie, dass sie „in quibusdam conehis anıma- lıbus nascuntur, scilicet quae ın conchis jacent“. Sie hat also wahr- scheinlich die in den Bächen des Hunsrück häufige Flussperlmuschel schon gekannt. Den Schluss des Kapitels de lapidibus bilden die gemeinen Steine, von denen sie „marmor, grieszstein, calch- stein, duckstein (Tuffstein) und wacken“ im besonderen nennt. Im IX. Buch, de metallis (8 Kapitel), hat nur das messing den deutschen Namen, die übrigen Metalle lateinische. Beim Messing bemerkt sie ausdrücklich, dass es kein einfaches Metall sei, sondern „ex alio metallo factum“. 4) Eine ausführlichere Besprechung der Physica werde ich in der Festschrift zum 70. Geburtstage v. Hertling’s, herausgegeben von der Görresgesellschaft, ver- öffentlichen. 5) L. Geisenheyner, Die Wirbeltierfauna von Kreuznach, unter Berück- sichtigung des ganzen Nahegebietes. I. Teil: Fische, Amphibien und Reptilien, 1588; II. Teil: Säugetiere, 1891. Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. 283 Die Botanik Hildegard’s behandelt die Kräuter (lib. I. de plantis) und die Bäume (lıb. III. de arboribus) getrennt, erstere in 230, letztere ın 63 Kapiteln, die ebensovielen Pflanzenarten ent- sprechen, bei denen in weitaus den meisten Fällen der deutsche Volksname derselben die Kapıtelüberschrift bildet. Auf den hohen Wert des botanischen Teils der Physica, welcher mehr als die Hälfte sämtlicher Kapitel des ganzen Werkes umfasst, hat Ernst H. FE. Meyer schon 1856 im 3. Bande seiner „Geschichte der Botanik“ aufmerksam gemacht und mit Hilfe einer Reihe von mittelalter- lichen Glossarien die Hildegard’schen Pflanzennamen interpretiert. Eine Anzahl weiterer Interpretationen gab Geisenheyner, so dass wir über die Botanik Hildegard’s bereits sehr gut unterrichtet sind. Diese enthält ein relativ vollständiges Verzeichnis der damals im Nahegebiet bekannten Getreidearten, Heilpflanzen, Gemüsepflanzen und Baumarten. Unter letzteren sei hier nur der weiße Maulbeer- baum (murus alba, mulbaum) und der Speierling (Sorbus dome- stica, spiırbaum) erwähnt, die nach Geisenheyner heute daselbst ım Aussterben oder schon verschwunden sind. Derselbe glaubt auch aus Hildegard’s Worten über den dietampnus (Dietamnus fraxinella) „calorem habet in igne, qui de eo egreditur“, schließen zu dürfen, dass ihr bereits die Feuererscheinung an dieser Pflanze be- kannt war, deren Entdeckung man gewöhnlich der Tochter Linn&’s zuschreibt. An windstillen trockenen Tagen sammelt sich nämlich um dıe Blüten eine Hülle von ätherischem Öl, welche, entzündet, zu einer großen Flamme aufblitzt. Bei Hildegard’s Zoologie, die bisher weit weniger berück- sichtigt wurde als die Botanik, will ich mich etwas länger auf- halten. Hier gibt Hildegard ein relativ vollständiges Verzeichnis der damals dem Volke bekannten Säugetiere, Vögel, Reptilien, Am- phibien und Fische, meist mit deren deutschen Namen, die großen- teils heute noch im Rhein- und Nahegau sich erhalten haben. Ferner charakterisiert sie das betreffende Tier kurz vom naiven biologischen Standpunkt aus und begründet hieraus dann die verschiedenen medizinischen Verwendungen desselben. Ihre biologischen Bemer- kungen sind, wie sich an zahlreichen Beispielen nachweisen lässt, großenteils auf eigene Anschauung gegründet und geben außerdem dem damaligen Volkswissen über das betreffende Tier einen kurzen Ausdruck. Am Beginn eines jeden Buches werden zuerst jene Tiere besprochen, welche die Verfasserin aus der klas- sischen Literatur kennt. Hier gibt sie ihre Büchergelehrsamkeit zum besten, meist mit den bekannten alten Fabeln; z. B. im Buch über die Fische beim Wal (cete), den sie natürlich noch zu den Fischen rechnet; im Buch über die Vögel beim Greif (griffo), im Buch über die Amphibien und Reptilien beim Drachen (draco), im Buch über die Säugetiere beim Löwen (leo). Dann erst geht 284 Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. sie zu den einheimischen Arten über, die sie aus eigener An- schauung und Erfahrung kennt. Hier werden ihre Angaben viel origineller und wertvoller, und die alten Fabeln bleiben fort, oder es wird ihnen — wie beim Feuersalamander — sogar wider- sprochen. Gerade in dem Unterschiede, der bei Hildegard zwischen ihrer Behandlungsweise der ausländischen und der einheimischen Tiere obwaltet, zeigt sich — ähnlich wie bei Albertus — das Streben nach eigener, selbständiger Beobachtung. Das Buch über die Fische (lıb. V, 37 Kapitel umfassend), ist dadurch faunistisch besonders wertvoll geworden, dass es Geisen- heyner gelungen ist, alle deutschen Fischnamen Hildegard’s bis auf einen (de pisce conchas habente) zuverlässig zu interpretieren. Wir erhalten dadurch ein Verzeichnis von über dreißig Fisch- arten, die damals im unteren Nahegebiet vorkamen. Den Lachs (lasz) unterscheidet sie vom Salm (salmo), ebenso wie es heute noch geschieht, besonders an der Beschaffenheit des Fleisches, das bei dem flussabwärts vom Laichen rückkehrenden Salm „mollis et infirma“ genannt wird. Auch die Lachsforelle (fornha) ist ıhr bekannt, der hecht, die ascha, die slya, der carpo, der barbo u. s. w. Beim Hecht macht sie die vortreffliche biologische Be- merkung: „in puritate ac in medietate aquarum libenter versatur; et diem diligit et acer est et grim, velut aliqua bestia in silva; atque ubicunque moratur, pisces consumit et aquas ıllas de alus piscibus evacuat.“ Auf Geisenheyner’s Berichtigung früher falsch gedeuteter deutscher Fischnamen Hildegard’s kann hier nicht ein- gegangen werden. Es sei nur bemerkt, dass unter der elsua nicht die Elritze, sondern die Nase (Chondrostoma nasus) zu verstehen ist, die ım Nahegebiet heute noch Else, Eltz oder Eltze heisst. Der stachela genannte Fisch ist nicht etwa der Stichling, sondern der wegen der Stacheln seiner Rückenflossen heute noch von den Fischern gefürchtete und „Stacheler* genannte Kaulbarsch (Acerina cernua). Die steinbisza ist nicht der Steinpeitzger oder die Dorn- grundel (Oobitis taenia), sondern die Sandpricke oder das kleine Neunauge (Petromyzon Planeri), das heute noch bei den Nahe- fischern „Steinbeißer“ heisst. Auf das Flussneunauge (Petromyzon fluviatilis) bezieht sich Hildegard’s lampreda, das heute noch da- selbst „Lampretcher“ genannt wird. Dass Hildegard auch über diesen Fisch aus selbständiger Anschauung urteilt, zeigen ihre Worte: „duos tantum oculos habet, quia foramina, quae quası oculi videntur, oculı non sunt, sed tantum caeca foramına“. Sie meint damit die sieben Paare runder äußerer Kiemenöffnungen. Das Buch über die kriechenden Tiere (Lib. VII.) trägt in der Pariser Ausgabe nur die vom Herausgeber beigefügte Seiten- überschrift „de reptilibus“. Es sind die vermeintlich oder wirklich giftigen Tiere, die hier ın 18 Kapiteln behandelt werden, Amphibien, Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. 285 Reptilien, Spinnentiere [scorpio, aranea, darant (Tarantel)] und — der Regenwurm (ulwurm). Hier zeigt sich besonders auffällig der Unterschied zwischen Hildegard’s Büchergelehrsamkeit, die sie in den Fabeln über die ıhr persönlich unbekannten Tiere (draco und basıliscus) verwertet, und ihrer eigenen Beobachtung, die bei den einheimischen Tieren sich bekundet. Vor der vipera, unter der wir die Kreuzotter zu verstehen haben, die erst seit zwei Jahrhunderten aus dem Nahegebiet verschwunden ist, hat sie große Angst, da sie ohne Zweifel die giftigen Wirkungen ihres Bisses kannte. Darum sagt sie von ihr: „velut ıgnis calıda est et totum, quod in ea existit, mortiferum est“. Die blintsleich gilt ihr da- gegen als ungefährlich: „dum vivit, hominem non Jlaedit.“ Ja sogar den moll (Feuersalamander), über den in der mittelalterlichen Literatur die schrecklichsten Greuelmärchen berichtet wurden, hält sie im Leben für ziemlich harmlos: „ipse moll per se hominem non multum laedıt dum vivit, sed veneno ejus homines oceiduntur sı ıllud gustaverint.“ Statt die alten Fabeln über den moll zu reproduzieren, widmet sie ıhm nur 5t/, Zeilen! Den ulwurm (Regenwurm) führt Hildegard zwar in Gesellschaft der Kriechtiere auf, schildert ihn aber biologisch ziemlich richtig, indem sie seine Lebensweise in den Erdlöchern feuchter Wiesen erwähnt. Deshalb schreibt sie ihm auch eine „munda natura“ zu und nennt ıhn nicht giftig, sondern „bonus et utilis“. Interessant ıst, was sie über das Hervorkommen der Regenwürmer aus den Erdlöchern vor einem Regen berichtet: „cum pluvia de aere descensura eadem humiditas terrae pluviam venturam sentit, de qua venae terrae impleantur, et hoc ulwurm per naturam suam intellegentes procedunt propter repletionem venarum terrae.“ Die Vögel, die ın den 72 Kapiteln des liber VI., de avıbus, behandelt werden, kennt Hildegard besonders gut und gibt ein wert- volles Verzeichnis der damals im Nahegau vorkommenden Arten. Am Schlusse des Buches werden die Fledermaus und acht Arten geflügelter Insekten angereiht. Die Namen der Vögel werden meistens deutsch gegeben, nur bei den aus der klassischen Lite- ratur ihr bekannten lateinisch (pavo, gallus, cygnus, grus, corvus, columba etc.). Die Ente nennt sie verdeutscht aneta statt anas. Unter den Raubvögeln waren vielleicht der Geier (vul- tur) und der Adler (aquila), die sie ebenfalls aufführt, ihr nicht persönlich bekannt, wohl aber der Wanderfalke (falco), Turmfalke (weho), Habicht (habıich), Sperber (sperwere), Milan (milvus), Uhu (huw o) und die ulula, die nach ihrer Schilderung höchstwahr- scheinlich auf den Steinkauz sich bezieht. An Wasser- und Sumpf- vögeln nennt sie den Schwan, den Kranich, den Reiher (reyger), den Storch (odebero), die zahme Gans (anser) und die Wildgans (halegans oder hagelgans), deren Züge sie erwähnt (in multi- Sb Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. tudine volat), die Hausente (aneta domestica) und die Wildente (aneta sılvestris). Auch die Schnepfe (snepha) und die Rohr- dommel (ordumel) waren ihr bekannt. Unter den Hühnervögeln behandelt sie den Pfau, das Haushuhn (gallus et gallına), das urhun, birekhun, rephun und die wachtela. Bei den Taubenvögeln nennt sie unter columba die holtz- duba und die rıngelduba, welche sıe von der Turteltaube (tur- tur) unterscheidet. Die meva Hildegard’s ıst nach Geisen- heyner’s Untersuchung sicher eine Larus-Art, und zwar die Lach- möve, die heute noch an der Nahemündung nieht selten zu sehen ist. Hildegard’s nur 3!/, Zeilen umfassende Beschreibung lässt wegen der Worte „in recto temperamento de aöre et de aqua est“ und „non alte volat“ nur die Deutung der meva als Möve zu. Unter den rabenartigen Vögeln kennt Hildegard den Kolkraben (corvus), die krewa et kraha (die Saatkrähe und die Rabenkrähe), die nebelkraha, die Dohle, die Elster und den Eichelhäher (hera). Als Beispiel, wie die Vögel von ıhr kurz biologisch gezeichnet werden, sei hier ihre Schilderung des Kolkraben wiedergegeben, die fast modern tierpsychologisch klingt: „Et astutus est, audax, et non timet, atque hominem non multum fugit nec timet, ita quod etiam faciliter cum eo loqueretur et scientiam fere ad hoc habet, nisı quod irrationale anımal est.“ Es scheint aus den letzten Worten hervorzugehen, dass Hildegard auch gezähmte Raben und deren Sprachkünste kannte. Bei den Spechten unterscheidet sie den Grünspecht von den übrigen Arten. Auch der Eisvogel (isen- brado) und der Wiedehopf (wedehoppa) waren ihr bekannt. Beim Kuckuck (cuculus) scheint sie von seinem Brutparasitismus nichts zu wissen. Am vertrautesten war sie mit den kleinen Sıng- vögeln, die sie meist auch sehr zutreffend kurz biologisch charak- terisiert: die meysa, amsla, drosela, merla (Merl, Schwarz- drossel), lercha, nachtgalla, staro, vinko, distelwincke, amera, grasmucka, wasserstelza und beynstercza (weiße und gelbe Bachstelze). Beim Spatzen (passer) hebt sie seine „astutia et versutia® hervor. Die hyrundo Hildegard’s ist wohl die Hausschwalbe. Die geflügelten Insekten, welche den Vögeln angereiht werden am Schlusse des Buches de avibus sind die Biene (apis), die Hummel (humbele), die vespa, die musca, die mugga (Mücke), der glımo (Plural glimen, Leuchtkäfer), die locusta und die cicada. Die Säugetiere behandelt das Buch de anımalıbus (lıb. VII, 45 Kapitel). Unter den 43 Säugetierarten, die hier aufgeführt werden, sind 33 einheimische. Als Anhang sind noch — der Floh (pulex) und die Ameise (formica) diesem Buche beigefügt. Bei den Säugetieren beginnt Hildegard wieder mit den klassischen Wasmann, Hildegard von Bingen als älteste deutsche Naturforscherin. 987 fremden Tieren, die sie nicht aus eigener Beobachtung kennt (ele- phans, camelus, leo, unicornis, tigris, panthera) und be- richtet manche Fabeln über dieselben. Auch beim Bären (ursus), der ihr doch näher bekannt war, gibt sie fabelhafte Geschichten wieder. Mit den klassıschen lateinischen Namen nennt sie Pferd, Esel, Hirsch, Schaf, Ziege (hircus), Rind, Schwein, Hase, Wolf, Fuchs, Hund, Maulwurf und Maus, während sie deutsche Namen hat für das rech (Reh), den steynbock, den wisant, den biber, die meerkatza, den luchs, den dachs (dasch ist wohl ein Fehler des Kopisten), das eichhorn, den hamstra, diespiezmus u.s. w. Die lıra Hildegard’s ist nach Geisenheyner sicher unser Garten- schläfer (Elıomys nitela), der heute noch „Leiermaus“ heisst in solchen Gegenden des Rheinlands, wo früher römische Ansiedlungen waren, und wo daher das Tier früher unter dem Namen glis zu kulinarischen Zwecken in eigenen Glirarien gezüchtet wurde, während der Sıebenschläfer (Myoxus glıs), der demselben Zwecke im süd- lichen Europa diente, im Rheinland nicht nachgewiesen ist. Beim Igel (ericius) unterscheidet Hildegard den swinegel von einem anderen, der dem Hunde ähnlich sehen soll; ein Irrtum, den man heute noch beim Volke findet. Den biber, der damals sicherlich an der Nahe noch häufig war, kennt sie als amphibisch lebend und als eine gute Fastenspeise. Zahlreich sind die marder- artigen Raubtiere bei ihr vertreten: der marth (Baummarder), der wassermarth (Wassermarder), der otter (Fischotter), der ılle- diso (lltis), die wisela (Wiesel), der zobel und das harmini (Hermelin). Den Pelz des marth hält sie, entgegen dem heutigen Geschmacke, für besser als den der beiden letzteren. Recht natur- getreu ist ihre Charakteristik des Iltis: „frigidus est et fetidus et de moribus furis et de natura lupi habet et quae immunda sunt saepe comedit.“ Der wassermarth, den Geisenheyner auf den Nörz (Mustela lutreolus) bezieht, ist gegenwärtig fast ganz aus der deutschen Fauna verschwunden. Auch zwei Jagdtiere, die längst in Deutschlands Wäldern ausgestorben sind, der bemähnte Wild- ochse wisant und der luchs, begegnen uns bei Hildegard, und zwar als Tiere, die sie selber gekannt hat. Vom Luchs sagt sie zutreffend, derselbe habe ein wildes unstetes Wesen: „ideo oeuli ejus lucent velut stella in nocte.“ Der Wisentbraten, den sie als sehr gesund empfiehlt, scheint damals keine Seltenheit gewesen zu sein. Unter dem Namen formica versteht Hildegard, wie aus ihrer ganzen Beschreibung und medizinischen Verwendung hervorgeht, die Waldameise (Formica rufa), deren huffen damals im Nahe- gau noch viel häufiger waren als heute, wo der Waldbestand durch Ackerbau und Weinberge vielfach verdrängt worden ist. „Formica calida est et de humore illo erescit, qui aromata educit, et etiam 239 Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. velut volatilia ova in natura sua producit.“ Das heftige Tempera- ment der Waldameise und ihre Entwickelung aus harzduftenden Nestern deuten schon auf die Waldameise hin, ganz abgesehen davon, dass ihre Nester stets huffen genannt werden. Die „gleich- sam geflügelten Eier“, die sie hervorbringt, beziehen sich auf die Kokons, aus denen die geflügelten Geschlechter kommen. Hilde- gard empfiehlt, unter genauer Angabe des zu beobachtenden Ver- fahrens, nicht bloß die Einatmung von Ameisensäuredämpfen gegen das flecma, sowie aus ganzen Ameisenhaufen bereitete Ameisen- säurebäder gegen die gicht, sondern auch — das Tragen eines kleinen lebendigen Ameisennestes auf der bloßen Brust als Mittel gegen Melancholie und Neurasthenie! Wer es nachmachen will, kann es heute noch erproben. Die subkutane Einspritzung von Ameisensäure soll ja ein modernes Antineurasthenikum sein. Diese kurzen Angaben dürften wohl genügen, um die Aufmerk- samkeit der Biologen auf Hildegard’s „Physica“ hinzulenken. Dieselbe ist nicht bloß das älteste naturwissenschaftliche Dokument über die Fauna und Flora des Nahegaues im 12. Jahrhundert durch die zahlreichen deutschen Tier- und Pflanzennamen; sie ist ferner nicht bloß ein interessantes Denkmal der von Hildegard gesammelten naturwissenschaft- lichen Volkstradition jener Zeit; sie enthält auch ein offen- kundiges Streben nach selbständiger Naturbeobachtung und unmittelbarer, auf eigener Anschauung beruhender, bio- logischer Charakteristik der Naturobjekte. Ernst H. F. Meyer hat in seiner „Geschichte der Botanik“ (III, S. 518) schon 1856 bemerkt, dass die deutschen Zoologen und Botaniker in Hilde- gard’s Physica „die ersten rohen Anfänge vaterländischer Naturforschung“ finden — 100 Jahre vor der Tier- und Pflanzengeschichte Albert des Großen. Wie Carl Jessen bereits 1862°) hervorhob, besitzen wir aus der ganzen Zeit vor Albertus kein Werk von solcher Bedeutung für Deutschlands älteste Natur- geschichte wie die Physica Hildegard’s von Bingen. Das Denken in den Naturwissenschaften. Von Robert Lewin. Das Novum Organon Francis Bacon’s gilt allgemein als das Fundament der neueren Naturwissenschaften, seine induktive Me- thodik war den folgenden Jahrhunderten der Schlüssel zu aller experimentellen Forschung, und mit seiner Instanzentafel soll er 6) In einer Besprechung der Wolfenbütteler Pergamenthandschrift der Physica aus dem 13. Jahrhundert (Sitzungsber. der Kais. Akad. Wissensch. Wien, Mathem.- naturw. Klasse XLV, 1862, 1, S. 97—116). Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. 389 alles wissenschaftliche Denken in die rechte Bahn gelenkt haben. Und doch liegt in dem Schicksal dieser Baconischen Instauratio magna eine Ironie verborgen. Die größten Leistungen der Wissen- schaft verdanken wir nämlich nicht der Induktion, so wenig wie der aristotelischen Wortfechtkunst. Was die Wissenschaften seit 1620 an positiven Werten geschaffen haben, wurde trotz und gegen Bacon vollbracht; wie zu allen Zeiten die großen Ideen nicht nach mühseligem Kriechen auf der Straße der Empirie, sondern in einem schöpferischen Augenblick der Erleuchtung konzipiert wurden. Ge- rade aber was Bacon als Irrweg bezeichnete, wurde häufig der Pfad der exakten Wissenschaften. Hier liegt das Bitterste der Ironie. Wohl war Bacon ein Streber, einer, dem äußere Macht- stellung so viel galt, dass er ein Menschenleben zu ihrer Erreichung daransetzte. Wohl ist auch sein wissenschaftliches System ein ge- treues Abbild dieses Strebertums. Anmaßung und Alleswissenwollen sind die Kennzeichen seiner Instanzentafel. Aber mit seinem seltenen Scharfblick hätte er doch der Förderer der Wissenschaften werden können. Denn er wies deutlich auf die Schwächen und Tücken des menschlichen Verstandes, und seine Kritik der Vernunft ringt uns so große Bewunderung ab wie die Kant’s. Er war der erste große Wortkritiker, wie Mauthner, der Schöpfer der „Kritik der Sprache“ selbst zugesteht. Hätte man nur das Novum Organon besser gelesen und anders verstanden! Freilich, die Induktion, mit der Bacon so prahlt, hat uns kein Tor zum Land der Erkenntnis geöffnet. Die herbste Kritik an diesem Verfahren dürfte nicht allgemein bekannt sein. Sie muss aber an das Tageslicht gezogen werden, weil wir aus ihr lernen, dass der Geist durch Fachgelehrsamkeit nicht erweitert, sondern eingeengt wird und dass nur ein kühner Geistesflug um weite Hori- zonte kreis. Edgar Allan Poe schreibt in seinem „Heureka“: „Weisst Du, dass es kaum acht- oder neunhundert Jahre her ist, seit die Metaphysiker sich zum erstenmal dazu verstanden, die Menschheit aus dem Bann der sonderbaren Einbildung zu entlassen, es führten nur zwei gangbare Wege zur Wahrheit. Es lebte in der Nacht der Zeiten ein türkischer Philosoph, der Harry hieß und den Beinamen Stoffel führte (Aristoteles). Der Ruhm dieses großen Mannes ist darauf zurückzuführen, dass er bewiesen hat, das Niesen sei eine natürliche Vorkehrung, mit deren Hülfe übergescheute Denker imstande wären, ihre überschüssigen Gedanken durch die Nase auszutreiben; er erlangte fast eine ebenso bedeutende Be- rühmtheit als Gründer dessen, was man die deduktive Philosophie oder die Philosophie a priori nannte. Dieser Harry Stoffel herrschte nun unumschränkt bis zur Heraufkunft eines gewissen Becker, ge- nannt das Peru Lamm (Bacon von Verulam), der ein völlig ab- weichendes System lehrte, die induktive Philosophie oder die Philo- 2I0 Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. sophie a posteriori. Er ging so zu Werke, dass er Tatsachen, die man affektierterweise instantia naturae nannte, beobachtete, analy- sierte und klassifizierte... So groß war die Verblendung infolge der Lehre Peru-Lamms, dass alles wirkliche Denken tatsächlich unterbunden wurde. Niemand wagte es, eine Wahrheit auszu- sprechen, die er einzig seiner Seele verdankte.“ Die Methode Bacon’s nennt Poe ein Kriechsystem, mit dem die Menschheit nie den Maximalertrag an Wahrheit erlangen könne. Die Anhänger dieser Methodik hätten sich überdies mit fein pulverisiertem schot- tischen Schnupftabak geblendet, nämlich mit dem Detail — und so wären die berühmten Tatsachen der Peru-Lämmer keineswegs ımmer wirkliche Tatsachen. Der Grundfehler des Baconianismus seı entstanden „aus dem Bestreben, Macht und Einfluss in die Hände von Männern zu geben, die nıcht schöpferisch waren, sondern bloß beschreiben konnten, was sie sahen, diesen mikro- skopischen Gelehrten, halb Fisch, halb Mensch, die winzige Tat- sachen ausgruben und damit hausieren gingen — die sie dann alle noch einmal im kleinen auf der Straße verkauften“... Man be- gnüge sich nicht mit diesem Hinweis auf Poe, man lese das herr- liche Stück „Heureka“, um zu erfahren, wie ein hellsichtiger Geist niemals ınduktive Bahnen vor sich sieht, sondern weit unter sich als enge Kletterpfade, die er nicht zu klimmen brauchte. Viel tiefer als Francıs Bacon hat ja schon sein Namensvetter Rogerıus Bacon etwa 400 Jahre vor ıhm geschaut. Und doch stak dieser noch tief in der Alchemie und war Mystiker. Roger kennt außer dem dialektischen Wege zur Erkenntnis den der Er- fahrung. Diese aber teilt er in äußere und innere. Die äußere Erfahrung, das Experiment, kann nicht einmal von den körperlichen Dingen volle Kenntnis geben. Die innere Erfahrung aber er- leuchtet die Vernunft mit göttlicher Wahrheit. Es ist ein großer Zeitabstand zwischen den beiden Bacon, es ist ein weit größerer zwischen Roger Bacon und Schopenhauer. Und doch lehrt letzterer wieder in seiner Dissertation: „Von der vierfachen Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“, wie wissenschaftliche Er- fahrung ın der reinen inneren Anschauung möglich ist. Schopen- hauer erhärtet dies damit, dass wır einen euklidischen Satz in der bloßen Anschauung längst begriffen haben, ehe wir imstande sind, den Satz elementar abzuleiten. Der Beweis hinkt immer nach und wissenschaftliche Experimente sind meistens ein post hoc. Das mag paradox klingen! Zahlreiche Beispiele erweisen aber, wie ein momen- taner Lichtblick das Dunkel eines Problems erleuchtete und wie erst durch spätere Mühsal und Kärrnerarbeit konstruiert wurde, was als Bau schon lange vorher dem großen Geiste vor Augen stand. Man wird auf den Siegeszug der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert weisen und fragen, ob dies nicht Werk der Induktion Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. 291 in Bacon’s Sinne sei. Aber man lässt sich blenden durch die „Tatsachen“ und die „Errungenschaften“. Doch Tatschen sind nicht Wahrheiten und Erkenntnisse. Tausende von Fakta reichen oft nicht aus, um uns ein Quentchen Erkenntnis zu liefern, Tausende von „Tatsachen“ sind sogar ımstande, unseren Geist so zu um- nebeln, dass das erste Lichtlein auf unserem Erkenntniswege uns entrückt ıst. Mit den „Tatsachen“ sind der Menschheit die knö- chernsten Dogmen, die lächerlichsten Irrlehren beschert worden. Man denke doch an jenen Büchner, der mit seiner Tatsachen- sammlung die Köpfe so verwirrte, dass sie Denken mit Urinieren verwechselten. Man denke doch an unsere modernen Tatsachen- fabriken, etwa an die Haeckel’schen Welträtsel! Wirklich, Francis Bacon würde aus Scham zum Mystiker werden, würde er in diese unrühmliche Epoche exakter Forschung versetzt. Und die Errungen- schaften! Sie blenden am meisten. Man vergesse doch nicht, dass dies nur Technik ist, oder in baconischer Sprache „Erfindungen“. Das praktische Ergebnis einer Forschungsarbeit hat nicht notwendig etwas mit wissenschaftlicher Erkenntnis zu tun. Das Salvarsan mag mit einem Schusse sämtliche Spirochäten im Organismus töten, und doch kann die theoretische Basis, auf der es geschaffen wurde, falsch sein. Jenner’s Pockenimpfung entstand ohne die theo- retischen Voraussetzungen der Immunitätslehre. Und es kommt vielleicht einmal der Tag, da die Vakzination weiter wirksam ist und die Immunitätslehre von heute zu den Antiquitäten gehört. Die Fortschritte der Mathematik waren nicht erforderlich, um den Panamakanal oder den Eifelturm zu bauen. Es gab Zeiten, wo erst gebaut wurde und dann der Archimedes kam. Wenn aber Kalkül und Experiment dem Ergebnis vorausgehen, so gewinnen wir zwar achtungswerte Errungenschaften und nützliche Anwendungs- möglichkeiten. Man berausche sich aber nicht an diesen Nützlich- keiten und glaube nicht, dass in ihrer Anwendung das Endziel menschlichen Denkens gegeben sei. Und man vergesse nicht an- gesichts der technischen Resultate menschlicher Forschungsarbeit, dass große Geister zu allen Zeiten mit solchen „Errungenschaften“ gespielt haben wie mit unwichtigen Nebensächlichkeiten. Das Spiel- zeug blieb dann vielleicht Jahrhunderte im staubigen Winkel. Nach Jahrhunderten aber war dann großer Lärm um diese enormen „Er- rungenschaften* und kein Mensch ahnte, dass man altes Spielzeug anstaunte. In der Geheimkammer des Roger Bacon finden wir um 1250 allerlei solchen Kram, der uns die Augen weit aufreißen lässt. Es heißt in seinem Buche: Von den geheimen Wirkungen der Kunst und Natur: „Von künstlichen wunderbaren Instrumenten. Ich will jetzo zuerst die wunderbaren Werke der Kunst und Natur erzählen und nachher ihre Ursache und die Art und Weise der- selben bestimmen. In allen diesen ist keine Zauberei und man 292 Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. kann sehen, dass alle Künste der Zauberer weit hinter den Werken der Kunst und Natur zurückstehen. Denn es können Werkzeuge zur Schiffahrt erfunden werden, mit denen die Menschen rudern, dass die größten Schiffe auf den Flüssen und auf dem Meere fort- gehen, wenn sie ein einziger Mensch regieret, mit größerer Ge- schwindigkeit, als wenn sie voller Ruderknechte wären. Man könnte auch Wagen machen, dass sie ohne Tiere gezogen werden, mit einem unglaublichen Trieb, und es ist zu vermuten, dass die Sichelwagen so beschaffen waren, mit welchen man vor alters in den Streit gezogen. Ja, man könnte Werkzeuge machen zu fliegen, so dass ein Mensch, der mitten in der Maschine sıtzt, und sie mit Verstand regieret, durch dieselbe die Flügel künstlich beweget und die Luft zerteilet, nach Art eines fliegenden Vogels. Man kann auch eine Maschine machen, die klein ist, aber eine unglaublich schwere Last aufheben und niederdrücken kann, welches im Fallen von überaus großen Nutzen ist. Denn durch eine Maschine, drei Finger hoch und drei Finger breit, könnte ein Mensch sich aus dem gefährlichsten Gefängnis retten, sich in die Höhe heben und herablassen. Man kann auch leichtlich eine Ma- schine machen, mit welcher ein einziger Mensch tausend andere Menschen mit Gewalt zu sich ziehen kann wider ihren Willen. Es können auch Werkzeuge erfunden werden, auf dem Meere zu gehen, und in den Flüssen bis auf den Grund, ohne Gefahr seines Leibes. Solche Dinge sınd vor Alters und heutiges Tages gemacht worden, und es ist nicht daran zu zweifeln. Die Maschine allein, womit man fliegen kann, habe ich nicht gesehen, und ich kenne niemand, der eine gesehen hätte, aber einen weisen Mann kenne ich, der dieses Kunststück wohl ausgedacht hat. Außerdem können noch unzählige andere Dinge gemacht werden; z. B. Brücken über Flüsse ohne Pfeiler...“ Man braucht sich darum noch keine übertriebenen Vorstellungen von den Kenntnissen und Fertigkeiten des 13. Jahr- hunderts zu machen, aber warnen müssen uns die Worte Roger’s vor einer Überschätzung der praktischen Ergebnisse wissenschaft- licher Forschung. Mit der induktiven Methodik haben wir es also „herrlich weit gebracht“! Weahrhaftig, mehr als zu Bacon’s Zeiten herrscht ein wirrer Streit der Meinungen. Alle Fehler, vor denen Bacon ge- warnt hatte, sind tausendfach begangen worden, alle Anweisungen zu einer sauberen Verstandesarbeit sind übersehen worden. Wer sich dies vor Augen führen will, der lese in Mauthner’s Wörter- buch der Philosophie p. 77 ff. die meisterhafte Übersetzung eines Abschnittes des Novum Organon. Hier nur einige bedeutsame Stellen. „Die Gespenster der menschlichen Sprache halten die Vernunft so gefangen, dass die Wahrheit nur schwer Zutritt findet.“ — „Die Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. 395 menschliche Vernunft setzt nach der Natur der Sprache eine größere Regelmäßigkeit oder Gesetzlichkeit in den Dingen voraus, als man nachher in ihnen findet. Und obgleich in der Natur vieles nur einmal vorkommt oder voller Ungleichheiten ist, so legt die Sprache doch den Dingen viel Gleichlaufendes, Übereinstimmendes und Be- ziehungen bei, die es nicht gibt. Solch eitles Spiel wird nicht bloß mit Urteilen getrieben, sondern auch mit einfachen Begriffen. Es lieben nämlich die Menschen Spezialuntersuchungen, weil sie darin etwas geleistet haben oder auch nur, weil sie sich darin abgeplagt haben. Wenn solche Menschen dann zu allgemeinen Gedanken übergehen, so verdrehen und verderben sie sie durch ihre früheren Einbildungen. Dieses zeigt sich besonders bei Arıstoteles, der seine Naturphilosophie zur Sklavin seiner Logik machte. Auch die Uhemiker generalisieren leicht und schaffen aus einigen Labora- torıumsversuchen eine phantastische Philosophie ...* „Man lasse sich nicht dadurch täuschen, dass er (Arıstoteles ist gemeint — aber auch mancher zeitgenössische Systembauer) ın manchen seiner Traktate von Experimenten redet. Denn er machte seine Experi- mente erst, wenn er seine Sätze willkürlich dekretiert hatte; erst hinterher musste sich die Erfahrung, und mit wie verrenkten Gliedern, an seine Lehrsätze heranschleppen lassen.“ — „Denn ich sehe und sage voraus: wenn einst die Menschen meinen Rat befolgen und die Wissenschaften empirisch betreiben werden, dann wird der menschliche Geist wiederum vorschnellundın Gedanken- sprüngen Generalideen und Gesetze aufstellen, und die Systeme des Materialismus werden um nichts besser sein als die Systeme der Scholastik.“ Und diese Prophezeiung ist buchstäblich ın Erfüllung gegangen. Der Zustand der Wissenschaften, wie ıhn Francis Bacon kenn- zeichnet, ist heute genau derselbe, wie vor fast 300 Jahren, es ist der Zustand völliger Zerfahrenheit. Man spreizt sich in seiner Spezialdisziplin und erlaubt sich Übergriffe auf nähere und fernere Disziplinen. Wer sich diesen Jahrmarkt wissenschaftlicher Eitel- keit kaleidoskopisch betrachten will, der durchblättere die sogen. Terminologie der Entwickelungsmechanik von Roux und seinen Mitarbeitern. — Wozu diese Gelehrsamkeit! Wird uns das Leben dadurch verständlich? Selbst das von Roux konstruierte „Ent- wickelungsmodell“ (p. 130) lehrt uns nichts vom Leben. Francis Bacon würde sarkastisch grinsen, könnte er erleben, wie Roux mit Brotteigkügelchen spielt, um aus deren Verhalten bei der Hefe- gärung das Leben zu erkennen. So treibt man Biomechanik und schafft Terminologien! Wir lesen von „Petalomanie“ und „Phyllo- manie“. Kommt es also bei Pflanzen zu reichlicher Ausbildung von Blumenblättern oder Laubblättern, so schreibt man dies einer „mania“ (Wut) zu. Besonders schlimm aber ist, dass diese Samm- XXXILH. 20 294 Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. lung überflüssiger und unverständlicher Begriffe den Glauben er- wecken könnte, als stehe die Biologie als ein gigantisches Gebäude vor uns. Und doch ist gerade sie die jüngste, die unwissendste Wissenschaft. Es muss vor das Forum der Naturwissenschaften kommen und laut betont werden: Wir wissen noch nichts vom Leben, wir beginnen jetzt erst, es zu studieren. Die „biomecha- nistische Terminologie“ ıst schlimmer als eitler Kram, es ist Spiegel- fechterei und Hemmung biologischer Forschung. Ähnliches hat Uexküll schon vor eimigen Jahren in seinem Werk: „Umwelt und Innenwelt der Tiere“ ausgesprochen. Die einfachsten Lebewesen sind uns noch eine unbekannte Welt. Jetzt erst sinnen wir auf neue Mittel, das Lebendige zu beobachten. Jetzt erst — nachdem der Darwinismus, Haeckelismus, Monismus schon Inventur gemacht hatten und schon die Menschheit mit den praktischen Folgerungen aus ihrer Rätsellösung beglückt hatten. Das zerfahrene Denken hat diese Sachlage zuwege gebracht, die Zerfahrenheit, die sich in der literarischen Überproduktion allzu lästig bemerkbar macht. Ein Beispiel diene noch zum Schluss als Beweis. Vor mir liegt ein Werk von Professor Moriz Benedikt. Biomechanik und Biogenesis. In der Einleitung verspricht uns der Verfasser „eine Einführung in die allgemeine Pathologie an der Wende des Jahrhunderts zu liefern. Es will handeln von: „dem wichtigsten Born, aus dem die Denkmethodik in der Medizin schöpfen muss, von der mathematischen Mechanik.“ Er will uns lehren, Erkenntnisse zu formulieren, „höchste Erkenntnisse in einfache Formeln zu bringen.“ Und Benedikt meint: „die gewöhnliche Ursache des souverän herrschenden Denkdilettantismus in der Medizin ıst die, dass wır aus der Auflösung einzelner Unbekannten in einer biologischen Gleichung die Gesamtgleichung als gelöst betrachten.“ Dieses vielversprechende Programm wird auf ganzen SS Seiten abgerollt. Das Buch handelt von der Biomechanik des Zellebens, der Fernwirkung der Zellen, des Saftstromes, des Nerven- systems, von den Trophoneurosen, der Neuronenfrage, den Grund- gesetzen der Lebensäußerungen, vom biomechanischen Minimalgesetz und Luxusgesetz, von der Biomechanik des Wachstums ete., vom Seelenleben, vom Bau des Gehirns und des Schädels, von Biogenesis, von ethnologischen, ethischen, juristischen, kriminalanthropologischen Fragen. Die Lektüre dieses Buches gibt unserem vorgefassten Ver- dacht recht: Hier liegt schlimmster Denkdilettantismus vor. Benedikt will das Fundament zu einer „Biomechanik“ fix und fertig haben. Wir lesen vom „Grundgesetz der Lebensäuße- rungen“, ausgedrückt durch eine mathematische Gleichung M = f(H N+N'+E+O), wobei M —= Lebensäußerung jeder Art, N = An- lage oder Natur, N’ == zweite Natur, E = minder eindrückliche Ent- wickelungseinflüsse, O — gelegentliche Einflüsse. Jede seelische Lewin, Das Denken in den Naturwissenschaften. 395 Manifestation soll eine Funktion (f) von N, N‘, E und OÖ im posi- tiven oder negativen Sinne sein. An dieser „biomechanischen Gleichung“ ist nichts mathematisch als das Gleichheitszeichen. Im übrigen ist doch wohl diese „Gleichung“ aus unverständlichen, unberechenbaren Größen barer Unsinn. So enthält dieses Buch zahlreiche Beispiele für eine zerfahrene Art logischen Schließens. Da ist folgender Passus: „Bei Herderkrankungen im Innern des Gehirns sehen wir Kopfschmerzen auftreten, welche den Charakter der örtlichen haben und die in der Regel mit Empfindlichkeit gegen Druck und Beklopfung verbunden sind. Wır haben also eine Pro- jektion des inneren Reizes an die Oberfläche vor uns. Es ist natür- lich (!), dass auch der Wachstumsreiz auf diesem Wege an die Ober- fläche projiziert wird und alle die verwickelten Vorgänge auslöst, die zum Wachstum und Anpassen vor allem der Knochenhülle nötig ist.“ — Eine andere Stelle: „Krankhafte Reize befolgen nicht die Gesetze der physiologischen Fortleitung; sie können nach allen Richtungen hindurchbrechen ... Besonders lehrreich wird dieser Satz für die Auffassung der Hysterie. Mit Zustimmung von Charcot habe ich das biomechanische Wesen der Hysterie als erhöhte Erschütterbarkeit des Nervensystems bezeichnet... .“ Diese Definition der Hysterie gleicht etwa der berühmten Erklärung: die Armut kommt von der Pauvrete. Und mit Zustimmung aller Denkenden werden wır wohl diese apodiktischen Definitionen als unsinnige Tautologien bezeichnen dürfen. Das Buch maßt sich an, der Naturwissenschaft und der Medizin neue Denkrichtungen zu geben; es will versuchen, den „Gegensatz zwischen Geisteswissen- schaften und Naturwissenschaften als widersinnig hinzustellen. Und doch ist das hier geübte Irrlichterieren mit dem Ernst wissenschaft- licher Forschung nicht vereinbar, und in den Geisteswissenschaften würde man diese Frucht durchaus als ıllegitim zurückweisen. Aber Werke dieser Art sind symptomatisch, sie sind Zeuge dessen, dass es trotz Bacon eine allgemein angenommene Denk- methodik in den Naturwissenschaften noch nicht gibt. Wo ist ein Weg aus der Verworrenheit der Begriffe, aus dem unfruchtbaren Streit der Meinungen, eine Rettung in reine Sphären echter Wissen- schaftlichkeit? Es gibt eine Rangordnung ın den Wissenschaften und einen Kastengeist. Man unterscheidet deskriptive von experi- mentellen Wissenschaften. Und dem deskriptiv hängt man un- eingestanden ein „nur“ an. Der Anatom, der Morphologe sind eben „nur“ deskriptiv. Die Palme aber soll dem Experimental- forscher gebühren. Diese Irrung ıst Frucht Baconischen Geistes. Ist diese Rangordnung berechtigt? Ist nicht vielleicht ım letzten Grunde jede Experimentalforschung auch nur deskriptiv? -— Eine Frage für eine Doktordissertation! Akzeptieren wird man diese Erkenntnis erst, wenn dem Kausalgesetz sein Nimbus genommen 20* 296 Rosenthal, Bemerkungen zu dem Aufsatz des Herrn Lewin. sein wird. Dann wird zwischen deskriptiver und experimenteller Wissenschaft nur der Unterschied sein, dass jene das Nebeneinander im Raume, diese das Hintereinander ın der zeitlichen Folge sieht. Die Palme wird aber dann vielleicht der deskriptiven Wissenschaft gereicht werden, weil sie die Ordnung ist, während der Experi- mentalforschung alles unter den Händen zerfließt und oft nur Spreu bleibt. Noch eines bliebe dann zu tun. Man begegne den spekulativen Köpfen in den Wissenschaften mit Misstrauen. Das sind die Halben. Es ist eine eigene Sache mit der Philosophie. Zu diesem Metier gehört Anlage, wie zur Ausübung einer Kunst. Nur seltenen Na- turen ıst das Vermögen der schöpferischen Einbildung gegeben, wie etwa einem Leibniz. Die Wissenschaften an sich haben mit Philosophie nichts zu tun und eitel sind alle Überbrückungsversuche, eitel auch alle voreiligen Verallgemeinerungen wissenschaftlicher Er- gebnisse mit philosophischen Allüren. Bemerkungen zu dem Aufsatz des Herrn Lewin. Von J. Rosenthal. Der vorstehende Aufsatz ıst durch die Wiedergabe hervor- ragender Stellen aus vielgenannten aber wenig bekannten Schrift- stellern gewiss interessant. Nichtsdestoweniger fordert der von Herrn L. so lebhaft verfochtene Gedanke, dass alle großen Fort- schritte unserer Erkenntnis nicht „nach mühseligem Kriechen auf der Straße der Empirie, sondern in einem schöpferischen Augen- blick der Erleuchtung konzipiert wurden“ zum Widerspruch oder doch wenigstens zu der Bemerkung heraus, dass solche „Erleuch- tung“ nur dann einen Wert haben kann, wenn sie auf dem Boden empirisch gefundener Tatsachen erwachsen ıst und nachträglich durch ihre Übereinstimmung mit Tatsachen als wirklich begründet erwiesen wird. Wır alle kennen aus der Geschichte der Wissen- schaften jene Zeiten der älteren wıe der neueren naturphilosophischen Spekulationen, in denen die jetzt von Herrn L. vorgetragene Lehre in allgemeiner Geltung stand. Aber wir wissen auch, welche un- heilvollen Folgen diese Methode zeitigte und welcher mühevollen Arbeit es bedurfte, die Wissenschaft wieder von den auf jenem Boden gezeitigten Irrlehren zu säubern und den wirklichen Fort- schritt anzubahnen. Ich habe in meinem Lehrbuch der allgemeinen Physiologie den Versuch gemacht, die aller Naturwissenschaft zugrunde liegenden Forschungsmethoden darzustellen und habe mehrmals Gelegenheit gehabt, auf jene Auseinandersetzungen zu verweisen, nicht weil ich glaube, darin etwas wesentlich Originelles gesagt zu haben, sondern Rosenthal, Bemerkungen zu dem Aufsatz des Herrn Lewin. 297 weil mir, gegenüber mannigfachen irrtümlichen Auffassungen, jene Darstellung als eine kurze, aber alles Wesentliche enthaltende Zu- sammenfassung dessen zu sein scheint, was heute die Überzeugung aller nüchtern über die Grundlagen ihrer Forschung nachdenkenden Natur- forscher ausmacht. Danach bleibt die einzige Grundlage aller natur- wissenschaftlichen Erkenntnis die Erfahrung, gewonnen durch das Sammeln und Ordnen einzelner Tatsachen. Aus diesen können dann allgemeine Schlüsse gezogen werden, die wiederum durch Ver- gleichung mit den durch Beobachtung und Versuch festgestellten Tatsachen geprüft und verifiziert werden müssen. Erst wenn sie diese Probe aushalten, können sie als wahre Fortschritte der Wissen- schaft anerkannt werden. Das wären also die großen Konzeptionen, nach denen Herr L. mit Recht die Grade des Fortschritts ın der Wissenschaft bemisst. Aber was wären sie, wenn sie nicht auf dem Boden der Empirie erwachsen, durch die Empirie als brauchbar erwiesen und durch den Nachweis, dass ıhnen wirkliche Tatsachen entsprechen, bewiesen würden? Einen recht kurzweiligen Beleg für diese Bemerkungen bringt Herr L. selbst mit seinem interessanten Zitat aus Roger Bacon’s Buch von den geheimen Wirkungen der Kunst und Natur (1250). Er erzählt da von allerlei „Kram“, der sich ın Roger’s Geheim- kammer gefunden habe, Werkzeugen und Maschinen, welche in Wirklichkeit erst Jahrhunderte später wirklich erfunden und kon- struiert worden sind. Die „Geheimkammer“ war aber in Wirklich- keit nur die Einbildungskraft von Bacon’s Gehirn. Es ist doch wohl nichts als Geflunker, wenn B. so tut, als ob er mit Ausnahme „der Maschine, womit man fliegen kann“, alles andere, was er an- führt (unsere Dampfschiffe, Automobile u. s. w.) selbst gesehen habe. Er hätte sonst wohl nicht unterlassen, den einen oder anderen dieser Mechanismen auch bekannt zu machen und damit Ruhm oder wohl auch Geld zu verdienen. Oder sollte ıhn vielleicht nur die Furcht, als Zauberer verbrannt zu werden, davon abgehalten haben? Wie schade! Ich teile durchaus nicht den verächtlichen Standpunkt, den Herr L. gegen diese großen praktischen Erfindungen einzunehmen scheint, noch weniger aber die Meinung, dass die Fortschritte der reinen Wissenschaft für diese Konstruktionen von geringem Wert gewesen seien, glaube vielmehr, dass dem Bau des Eiffelturms und ähnlicher großer Werke sehr sorgfältige und genaue Berechnungen vorausgehen mussten. Ich kann auch nicht zugeben, dass der Zustand der Wissen- schaften heute genau derselbe sei, wie vor fast 300 Jahren, der „Zustand völliger Zerfahrenheit“. Was Herr L. als abschreckende Beispiele (und gewiss mit Recht) anführt, die Irrtümer der Materialisten aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts oder die verworrenen Speku- lationen des Herrn Benedikt kommt doch sicher nicht auf Rech- JS Roux. Terminologie der Entwickelungsmechanik der Tiere und Pflanzen. nung einseitiger Überschätzung des Empirismus, sondern eher auf vorschnelle Aufstellung und ungeschickte Anwendung von „Kon- zeptionen“ hinaus und beweist nur, dass solche Konzeptionen nur dann fruchtbar sind, wenn sie auf dem Boden empirisch gefundener Tatsachen erwachsen sind und nur dann einen wirklichen Fortschritt der Wissenschaft darstellen, wenn ihre Übereinstimmung mit der Erfahrung erwiesen ist. Es gibt in der neueren Naturwissenschaft wohl kaum eine größere „Konzeption“ als die Maxwell’sche elektromagnetische Lichttheorie. Was sıe so wertvoll macht, ıst doch, dass ıhre Brauchbarkeit durch den Nachweis der elektrischen Wellen von Hertz und alle sich an diesen Nachweis anschließenden Arbeiten als brauchbar erwiesen und dass sie so aus dem Bereich einer geistreichen Spekulation in das Gebiet einer wirklichen Errungenschaft unserer Naturerkenntnis übertragen worden ıst. Alle Hochachtung vor den großen Kon- zeptionen soll uns darum nicht daran irre machen, dass die wahre Grundlage unseres Wissens von der Natur die Erfahrung ist und bleiben muss. Und wenn in der Wissenschaft von der lebenden Welt uns heute noch die großen Konzeptionen fehlen, so liegt das daran, dass die Kenntnis der Einzelheiten, d. h. der Tatsachen, noch nicht genügt, solche Konzeption auf gesicherter Grundlage aufzubauen und sie an der Hand der Erfahrung zu prüfen. Alle Hochachtung also vor den Urhebern der großen Konzeptionen, aber Dank und Schätzung auch den Empirikern, welche jene vorbereiten und prüfen, auf dass die Spreu vom Weizen getrennt werde. Terminologie der Entwickelungsmechanik der Tiere und Pflanzen. In Verbindung mit C. Correns, Alfred Fischel, E. Küster herausgegeben von Wilhelm Roux. Es war nicht nur Roux, sondern auch manchem anderen Forscher gesprächsweise von verschiedenen Seiten gesagt worden, die Beschäftigung mit den Resultaten und Problemen der Ent- wickelungsmechanik wäre für den Fernerstehenden deswegen so schwer, weil in den entwickelungsmechanischen Arbeiten erstens eine sehr große Zahl von Terminis technicis vorkommt, und weil zweitens die beiden Hauptvertreter der neuen Wissenschaft, ıhr Begründer und Hans Driesch ihre eigene Terminologie benutzen, was das Verständnis noch mehr erschwere. Aus diesem Grunde ist es mit großer Freude zu begrüßen, dass sich Wilhelm Roux in Verbindung mit drei anderen bewährten Forschern der mühe- vollen Aufgabe unterzogen hat, ein Lexikon der hauptsächlichsten Termini der Entwickelungsmechanik im weitesten Sinne dieses Wortes zu verfassen. Roux, Terminologie der Entwickelungsmechanik der Tiere und Pflanzen. 299 Es liegt in der Natur des Werkes begründet, dass das Haupt- interesse die Artikel von Roux selbst beanspruchen, welche unge- fähr zwei Drittel des ganzen Buches einnehmen. Es ist geradezu erstaunlich, was für eine reiche Fülle von Gedankenarbeit ın diesen Abschnitten des Buches steckt. Das muss auch der objektivste und kritischste Leser rückhaltlos zugestehen. Mit Hilfe der Stich- worte: Deskription, Experiment, Entwickelungsmechanik, Deter- mination und Determinationsfaktoren, Realisationsfaktoren u. s. w. lässt sich leicht ein Überblick über Ziele und Wege und Methodik der neuen Wissenschaft gewinnen, zumal wenn man die aus- giebigen Verweise am Ende der hauptsächlichsten Artikel zu Rate zieht. Ganz außerordentlich zahlreich sind die Termini, welche sich auf funktionelle Anpassung beziehen. Die Artikel, in denen die- selben behandelt werden, bieten zum Teil wesentliche Vervoll- ständigungen der Theorie der funktionellen Anpassung. Das gilt von den Abschnitten über Beanspruchungsgröße und Funktionsgröße, in denen der Zeitfaktor bei dem funktionellen Anpassungsgeschehen Berücksichtigung findet, was bisher noch nicht geschehen war. Es ist bei einem Forscher, der so ganz auf eigenen Füßen steht, selbst- verständlich, dass ın den Artikeln, welche von Roux selbst her- stammen, größtenteils Eigenes geboten wird, wenn auch offen anzu- erkennen ist, dass er auch die Anschauungen anderer Autoren zur Sprache bringt und ihre Termini mit den seinigen vergleicht. Ge- rade dieser letzterer Punkt verdient das Interesse des Lesers. Nach Roux hat A. Fischel den größten Anteil an der Fertig- stellung des Werkes. Die Artikel desselben sind klar abgefasst und berücksichtigen eingehend die Resultate fremder Autoren. Man sieht an den Überschriften der Artikel sofort, dass er die Arbeiten der verschiedenen Forscher auf der Suche nach erwähnenswerten Terminis tüchtig umgepflügt hat. Auch Küster’s Artikel verdienen alles Lob. In ihnen wird die Entwickelungsmechanik der Pflanzen behandelt, während CGorrens die wichtigsten Begriffe der exakten Vererbungslehre bringt. Der reiche Inhalt des Buches gewährleistet auch einen reichen Interessentenkreis, der sich auf Zoologen, Anatomen, Physiologen, Botaniker und Mediziner erstreckt. Von letzteren seien besonders neben den pathologischen Anatomen die Chirurgen und Orthopäden auf das Werk aufmerksam gemacht, welches alleın 70 Termini be- spricht, die auf Knochen, Knorpel und Bänder Bezug haben. Dass das Buch für die Vertreter so vieler Disziplinen von großem Inter- esse ist, ıst ein Beweis, dass die Entwickelungsmechanik keine isolierte und einseitige biologische Wissenschaft ist, sondern mit den verschiedensten Wissensgebieten ın Konnex steht. Wem diese Vielseitigkeit der Entwickelungsmechanik noch nicht klar geworden ist, dem wird sie durch einen Einblick in das Werk ohne weiteres offenbar werden. Curt Herbst. 300 Nusbaum, Die entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenzen etc. Jözef Nusbaum, Die entwickelungsmechanisch- metaplastischen Potenzen der tierischen Gewebe. Vorträge und Aufsätze über Entwickelungsmechanik der Organismen. Leipzig 1912. Der Verf. behandelt die Frage über die entwickelungsmechanisch- metaplastischen Potenzen der tierischen Gewebe vom zoologischen und vergleichend-anatomischen Standpunkte, wobei er auch die Gewebsmetaplasie bei niederen Tieren, die bisher wenig berück- sichtigt wurde, zur näheren Betrachtung heranzieht. Zuerst werden die Begriffe der metaplastischen und der ent- wickelungsmechanisch-metaplastischen Potenz der Gewebe festgestellt. Der Metabolismus oder die Metaplasie der Gewebe bedeuten die Fähigkeit einer bestimmten Gewebseinheit des fertigen Organismus in eine andere bestimmte Gewebseinheit überzugehen, die nicht nur in struktureller, sondern auch in embryologischer, d. h. genetischer Hinsicht von der ersteren different sein kann. Die Auffassung der entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenz deckt sich fast mit Roux’s atypischer und ganz mit Driesch’s sekundärer prospektiver Potenz, denn der Verf. versteht darunter die Fähigkeit der Gewebe zum Metabolismus nur bei besonderen Bedingungen, d.h. unter dem Einflusse bestimmter Reize, bei deren Abwesenheit die betreffende Potenz nicht zur Auslösung gelangt. Nach Feststellung der Begriffe geht der Verf. zu Beispielen von entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenzen der Gewebe im Tierreich über. Es werden zahlreiche positive Fälle von auf- fallendem Metabolismus bei der Restitution zitiert. Bei Regeneration des Lineus lacteus hat der Verf. und sein Mitarbeiter Oxner die Bildung eines Epithelgewebes und zwar des Darmepithels aus den Parenchymzellen des Körpers konstatiert, also aus vereinzelten Wanderzellen bindegewebigen Ursprunges. Bei denselben Tieren wurde auch die Bildung von Muskelzellen aus den differenzierten Parenchymzellen mesodermalen Ursprunges beobachtet. Von anderen Forschern wurde die Bildung von Muskelelementen, von Binde- gewebselementen wie auch der Nervenelemente aus dem differen- zierten Epithelgewebe ektodermaler Herkunft konstatiert. In manchen Fällen erinnert der Gewebsmetabolismus an embryologische Verhält- nisse, doch ist in Betracht zu ziehen, dass es sich um Bildung der Gewebe aus Gewebsarten handelt, die schon bedeutend differenziert sind, welche zuerst einer Entdifferenzierung unterliegen müssen, bevor sie den Metabolismus aufweisen. Die nähere Vergleichung der angeführten Beispiele vom Ge- websmetabolismus veranlasst den Verf., zwei Typen von Metaplasie aufzustellen: eine neocytische, bei welcher zuerst eine energische Zellvermehrung vorkommt und erst nachher eine Differenzierung der jungen neugebildeten stattfindet und eine metacytische Ge- websmetaplasie, bei der die alten Zellen nach einer Gegend wandern und sich direkt in ein neues Gewebe verwandeln, ohne Neocyten zu produzieren. In letzterem Falle findet ein Kampf unter den vorhandenen alten Zellen statt, von denen diejenigen, die sich er- halten und auf phagocytotischem oder polyphagocytotischem Wege Nusbaum, Die entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenzen etc. 301 sich der schwächeren Zellen bemächtigen, tiefgreifende Umgestal- tungen erleiden, ehe sie ihre metaplastischen Potenzen zur Auße- rung bringen. — Es lässt sich (nach Verf.) direkt eine Regel aufstellen, dass nämlich die metaplastische Potenz der Gewebe im umgekehrten Verhältnis zum Differenzierungsgrade derselben steht. In Überein- stimmung mit dieser Regel findet man im ganzen Tierreich kein einziges Beispiel einer metaplastisch entwickelungsmechanischen Potenz des Nervengewebes. Die nervösen Elemente stellen die am meisten differenzierten Gewebszellen des Körpers dar, sie sind daher in entwickelungsmechanischer Hinsicht unipotente Gewebe. Da- gegen weisen die Epithelien und das mesenchymatische Bindegewebe die größten metaplastisch-entwickelungsmechanischen Potenzen auf. Das "Parenchym der Nemertinen — wie die Experimente des Verf. zeigen — ist fast totipotent. Im folgenden weist der Verf. nach, dass die entwickelungs- mechanisch-metaplastische Potenz der Gewebe in großem Maße von der Stellung der betreffenden Tierform im System abhängt. Es ist anzunehmen, dass die metaplastische Entwickelungsweise einer jeden (Gsewebsart immer mehr begrenzt wird, zu je höher organisierten Tierformen wir schreiten. Die Potenzialität der Gewebe weist aber keine Kontinuität der Erscheinungen auf, sehr oft unterscheiden sich nahe verwandte Formen in bezug der Potenzialität ihrer Gewebe. — Als Auslösungsfaktor der entwickelungsmechanisch- metaplastı- schen Gewebspotenzen betrachtet der Verf. in Übereinstimmung mit Child die Aufhebung der Korrelation. Eine glänzende Be- stätigung dieser Behauptung liefern die Regenerationserscheinungen bei Lineus lacteus, sie beweisen, dass eine innige Korrelation zwischen dem Vorhandensein eines bestimmten Gewebes und dem Latent- bleiben gewisser entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenzen stattfindet. Die Parenchymzellen des Lineus lacteus verwandeln sich nicht, weder in das Epithel des neuen Darmes noch in Muskel- faserzellen, so lange eine Anzahl von alten Darmzellen resp. Muskel- zellen vorhanden ist, nur wenn keine Spuren derselben vorliegen, dann übernehmen die Parenchymzellen die Bildung derselben. Der Verf. nimmt daher an, dass verschiedene Gewebe gewisse physio- logische Substanzen (Hormone) produzieren, welche die in anderen Geweben schlummernden formativen metaplastischen Potenzen hemmen, erst das Fehlen des betreffenden Gewebes löst die Potenz zu seiner Bildung, die in einem anderen Gewebe bisher latent war, aus und aktiviert dieselbe. Es wirft sich unwillkürlich die Frage auf, welche Bedeutung die oben beschriebenen Erscheinungen des Metabolismus der Ge- webe für die Keimblättertheorie haben. Der Metabolismus der Ge- webe wird vom Verf. durchaus nicht als ein Beweis gegen die Spezifität der Keimblätter gedeutet, wie es Brachet ım Artikel a propos der Abhandlung Nusbaum’s vermutet (Archives Socio- logiques 1913). Der Verf. betont ausdrücklich an einigen Stellen, dass die entwickelungsmechanisch-metaplastischen Potenzen nur 302 Weigl, Vergleichend-zytologische Untersuchungen ete. unter dem Einflusse bestimmter Reize aktiviert werden (Mangel einer Gewebsart). In einer früheren Abhandlung (Festschrift zur 250jährigen Feier der Begründung der Lemberger Universität durch den König Johann Casimir, polnisch 1911), erörtert der Verf. direkt die Frage, ob die entdeckte metaplastische Potenz der Gewebe die Keimblättertheorie umstürzt. Er behauptet, dass die erwähnten Potenzen in dem normalen Entwickelungsprozesse latent bleiben und erst bei eingetretener Störung des Gleichgewichtes im Körper ausgelöst werden. In dieser Hinsicht deckt sich die Anschauung des Verf. vollkommen mit derjenigen Brachet’s. Der Nachweis, dass ein determiniertes Gewebe unter dem Ein- fluss gewisser Faktoren ein nicht nur anatomisch und physiologisch, vielmehr auch genetisch verschiedenes Gewebe liefern kann, dürfte auch ein neues Licht auf die Entstehung mancher Neubildungen werfen. Die vorliegende Abhandlung ist daher nicht nur für den Naturforscher, sondern auch für den Mediziner von großem Interesse. Dr. K. Reis. R. Weigl, Vergleichend-zytologische Untersuchungen über den Golgi-Kopsch’schen Apparat und dessen Verhältnis zu anderen Strukturen in den somatischen Zellen und Geschlechtszellen verschiedener Tiere. (Extrait du Bulletin de l’Academie des sciences de Cracovie S. B. 1912.) Die Untersuchungen der letzten Jahre haben ein reiches Tat- sachenmaterial zur Kenntnis des Golgi-Kopsch’schen Apparates ge- bracht, welches hinlänglich beweist, dass derselbe eine beinahe allen Zellen des Wirbeltierkörpers zukommende Struktur darstellt. In der vorliegenden Abhandlung versucht der Verf. die Bedeutung und Funktion dieser Strukturen im Zellenleben zu eruieren. Vergleichende Studien über Vorkommen, Bau und Verhalten des Golgi-Appa- rates bei verschiedenen Tiergruppen erwiesen, dass der Apparat „war einen konstanten Bestandteil jeder Zelle bildet, aber nur bei den Wirbeltieren stets in Form eines Netzes erscheint; bei den Wirbellosen kann die Ausbildung des Apparates sogar im Bereiche eines Organismus in verschiedenen Zellen grundverschieden sein. Der Verf. weist im folgenden nach, dass nicht nur die morpho- logischen, sondern auch die histochemischen Kriterien, die beim vergleichenden Studium der Wirbeltiere ermittelt wurden, für die Wirbellosen nicht verwertet werden können. Einige Repräsentanten der Wirbellosen (Borstenwürmer, Hiru- dineen) weisen zwar stark entwickelte Netze auf, die gegen ange- wandte Reagenzien und Färbungen sich den Golgi-Netzen der Wirbeltiere analog verhalten, bei anderen aber, den Gasteropoden, findet man schon nur in manchen Zellkategorien deutliche Netze, in den anderen aber kurze bakterienförmige oder gebogene Fäden, die beinahe das ganze Entoplasma einnehmen. Diese Bildungen verhalten sich gegen Reagenzien, wie die Netze der Wirbeltiere. Noch weitergreifende Abweichungen von den Verhältnissen bei den Weigl, Vergleichend-zytologische Untersuchungen etc. 303 Wirbeltieren finden wir in den Nervenzellen der Cephalopoden, Krustern und Insekten. Der Apparat ist nicht nur morphologisch von den Wirbeltieren verschieden, sondern verhält sich ganz anders gegen Reagenzien, indem er nach kurzer Osmierung mittels Eisen- hämatoxylin, Gentianaviolett sich leicht färben lässt, was bei den Wirbeltieren nie vorkommt. Aus diesen Tatsachen folgert der Verf., dass die Zusammensetzung der diese Apparate aufbauenden Sub- stanz ganz anders sein muss als bei den Wirbeltieren, dass die gegenseitige Bindung des Lecithins mit den übrigen Substanzen eine innigere ist, da die angewandten Reagenzien sie nicht so leicht zu zersetzen vermögen wie bei den Wirbeltieren. Der Mangel an morphologischen wie auch färberischen Kri- terien über die Natur dieser Strukturen, insbesondere in den Ge- schlechtszellen der Wirbellosen erschwert auch in großem Maße ihre Unterscheidung von den Mitochondrien. Die große Ähnlichkeit zwischen den beiden Strukturen führt den Verf. auf den Gedanken, dass der Apparat und die Mitochon- drien phylogenetisch oder auch ontogenetisch zusammengehören. Um den Zeitpunkt der Entstehung dieses Apparates näher fest- stellen zu können, untersucht der Verf. das Verhalten des Apparates bei der Spermatogenese und Oogenese. Der Golgi-Apparat ist bei Helix mit dem als Nebenkern be- kannten Gebilde identisch. Bei den Spermatiden rückt er gegen das Schwanzende vor und zerfällt in scheibenförmige Ringe, die sich reihenweise längs des Achsenfadens um ihn herumlagern, später sammelt sich ein Teil im Mittelstückende, der Rest aber mit der Mitochondrienhülle verdünnt sich, bis er gänzlich schwindet, indem er nach Ansicht des Verf. einer äußerst starken Kondensation unterliegt. Bei Cavia gelang dem Verf. an ausgereiften und schon beweg- lichen Samenfäden in dem Plasmaklümpchen am Mittelstück den Apparat stets nachzuweisen. Der Apparat bildet daher ein kon- stantes Zellorgan, das sich durch alle Phasen der Spermatogenese beobachten lässt und ins gänzlich ausgereifte Spermatozoon über- geht. In der Oogenese erfährt der Apparat nach den Untersuchungen des Verf. keine periphere Verlagerung, sondern zerfällt in kleine Partikelchen, die sich im ganzen Ei verteilen. Die Verschiedenheit der Ausbildung und Verteilung des Appa- rates in den Zellen der Wirbeltiere und Wirbellosen wie auch seine schwache Variabilität während verschiedener Zellfunktionen zeigen, dass wir es in dieser Struktur weder mit einem Apparat im Sinne einer passiven konstanten Einrichtung, noch mit einem Ernährungs- apparat zu tun haben. Nach Ansicht des Verf. dürfte dieses Zell- organ vielleicht im Sinne eines Stoffwechselkerns tätig sein, indem es Funktionen auslöst oder vermittelt, ohne jedoch dabei in Mit- leidenschaft gezogen zu werden, wobei seine Substanz keine tief- greifenden sichtbaren Veränderungen eingeht, vor allem nicht auf- gebraucht wird. Dr. K. Reis. „ >04 Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Herausgegeben von Emil Abderhalden. Halle a./S. Bd. V und VI. Berlin und Wien 1911/12. Urban und Schwarzenberg. Von dem an dieser Stelle schon besprochenen Werke liegen neuerdings bereits Ergänzungen vor. Während ursprünglich das Werk auf 4 Bände berechnet war, hat sich doch die Notwendigkeit herausgestellt, manches zuzufügen, was fehlte oder zu kurz be- handelt worden war. Auch methodische Neuerungen waren nach- zutragen, wenn das Werk auf seiner Höhe bleiben sollte. Die beiden vorliegenden Bände umfassen zusammen über 2200 Seiten und man muss sagen, dass die größte Zahl der aufgenommenen Aufsätze durchaus wünschenswert war und zum Teil Vorzügliches bietet. Ich erwähne vom V. Band die ausgezeichnete und recht ausführliche Arbeit von Fühner-Freiburg über den Nachweis und die Bestimmung von Giften auf biologischem Wege. Freilich gehört dies eigentlich nicht zum ursprünglichen Thema, ebensowenig wie die Blutdruck- bestimmung von Rohde. Sehr gut ist ferner die Methodik zur Aufarbeitung des Blutes von Letsche; die Methodik der Blut- gerinnung hat Morawitz-Freiburg recht vollständig zusammen- gestellt. Sehr wichtig ist ferner die Methodik der Fettbestimmung von Kumagawa-Suto. Folin gibt eine Anweisung für die voll- ständige Analyse des 24stündigen Urins bei Stoffwechselunter- suchungen, zum Teil unter Anwendung seiner eigenen Methoden, die vielfach mit großer Schnelligkeit eine ebensolche Zuverlässigkeit verbinden. Sehr ausführlich hat Lohrisch die Methoden zur Unter- suchung der menschlichen Fäces abgehandelt, wobei ihm das Standard- werk von Schmidt und Strasburger vielfach als Richtschnur gedient hat. Die Methodik der Milchuntersuchung von E. F Edel- stein-Berlin gibt in anschaulicher Schilderung die wesentlichsten Methoden. Leonor Michaelis-Berlin hat die Bestimmung der Wasserstoffionenkonzentration durch Gasketten aus seiner eigenen großen Erfahrung heraus so ausführlich beschrieben, dass man bei Befolgung seiner Vorschriften die recht diffizilen Methoden ohne Schwierigkeiten ausführen kann. Die zweite Hälfte des V. Bandes enthält zunächst eine ausge- zeichnete Anleitung über den Nachweis der Gifte auf chemischem Wege von Autenrieth-Freiburg, eine Methodik der Stoffwechsel- untersuchungen bei Mikroorganismen von H. Pringsheim-Berlin, die Methoden zur biochemischen Untersuchung des Bodens von Stoklasa-Prag. Recht angenehm wird das Methodische aus der Biochemie der Pflanzen von G. Pringsheim -Halle empfunden werden. Hervorzuheben ist ferner die eingehende, geschickt dis- ponierte und sehr gut durchgeführte Methodik der Untersuchung des intermediären Stoffwechsels von Otto Neubauer-München. Pregl-Innsbruck hat seine sehr minutiösen und exakt ausgeführten Methoden der quantitativen Mikroanalyse organischer Substanzen beschrieben. Besonders hübsch ist die Mikrostickstoffanalyse nach Kjeldahl, die sich in der physiologischen Chemie wohl bald Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. 205 Bürgerrecht erwerben dürfte. Die biologische Mikroanalyse, d.h. die Mikroanalyse der organischen, physiologisch wichtigen Sub- stanzen wurde von Macallum-Toronto bearbeitet. Von besonderer Wichtigkeit sind dann noch die van SIyke’schen Arbeiten über die Bestimmung des primären aliphatischen Aminostickstoffs und die darauf begründete Analyse der Eiweißkörper; auf anderem Ge- biete liegt der Aufsatz von London über Gefäßnaht und Massen- transplantation sowie die Arbeit von Garrel über die Technik der Gewebskultur ın vitro. Es ist unmöglich, die Zahl der aufge- nommenen Artikel zu erschöpfen; auch nicht hier besonders er- wähnte Arbeiten enthalten zum Teil Vorzügliches, z. B. die von Levene über partielle Hydrolyse der Nukleinsäuren, die Aufsätze von Pfeiffer, Fränkel, Traube, Rona und Pohl. Der VI. Band zeigt das gleiche bunte Bild wie der eben be- sprochene fünfte. Es gilt aber von ihm in höherem Maße das, was ich oben sagte; es ist manches darin, das eigentlich nicht recht hineingehört. Dies gilt z. B. von der chemischen und biologischen Untersuchung des Wassers, den biochemischen Methoden für Malaria- untersuchungen, den Methoden der Kautschukbestimmung, wenn es auch nur einige Seiten sind, und der Bestimmung der Gerbstoffe. Will man dies alles hereinnehmen, so müsste man eigentlich den Titel des Werkes ändern und statt biochemischer „biologische“ Arbeitsmethoden schreiben. Dann könnte man diese Sachen unbe- anstandet lassen. Durch nichts begründet aber ist die fast 150 S. lange Ergänzung zur allgemeinen chemischen Laboratoriumstechnik von Kämpf-Berlin, die eine Menge für den Biochemiker durchaus unwesentlicher Einzelheiten enthält, wie sie wohl in ein rein che- misches ausführliches Werk gehören, nicht aber in eine Methodik für den physiologischen Chemiker. Der Chemiker findet und sucht zudem solche Angaben in anderen, einschlägigen Werken. Solche Aufsätze verteuern das an sich nicht billige Werk nach meiner Meinung unnötig, ohne dafür einen entsprechenden Nutzen zu bringen. Trotz dieser Ausstellungen kann man sich auch im VI. Bande an vielen Sachen freuen, so an den pflanzenbiochemischen Aufsätzen von Viktor Grafe-Wien, der spektrographischen Methodik zur Hämoglobinbestimmung von Schumm-Hamburg, der Anwendung der photographischen Methode in der Spektrophotometrie des Blutes von Heubner-Göttingen. der Methodik zur Untersuchung der Ver- dauungsprodukte von Zunz-Brüssel, den chirurgisch-biologischen Aufsätzen von Carrel, Fischler, von den Velden, Cohnheim, Lampe. Wertvoll ist ferner die Monographie von G. Zemplen über Darstellung, Gewinnung und Bestimmung der höheren Kohlen- hydrate, die Gerbstoffmethodik von Nierenstein, die Bestimmung des diastatischen Fermentes und des Fibrinfermentes von Wohl- gemuth, die Methoden zur Bestimmung der chemischen Licht- intensität von Vouk-Wien. Auch die Methodik bei Malariaunter- suchungen von Giemsa-Hamburg bringt an sich viel Schönes. Daneben gehen eine Anzahl kleinerer Aufsätze und Ergänzungen, die auch manches Wertvolle bieten. 306 Stromer v. Reichenbach, Lehrbuch der Paläozoologie. Das Handbuch zeigt, im ganzen genommen, auch in den vor- liegenden Bänden seine Existenzberechtigung und wird, wenn es sich nicht zu sehr ın Nebensächlichkeiten verliert, wozu leider hier und da eine Tendenz vorhanden zu sein scheint, zweifellos immer unentbehrlicher werden. In Kürze soll wieder ein neuer Band er- scheinen, der schon im Druck ist. Hoffentlich bringt er uns wieder viel gute und neue Anregungen. Übrigens ist es Referenten auf- gefallen, dass nirgends eine Methodik der Stoffwechselversuche an kleinen Warmblütern zu finden ıst: vielleicht könnte eine solche Ergänzung ın den kommenden Band aufgenommen werden. Pineussohn. Stromer v. Reichenbach, Prof. Dr. E. Lehrbuch der Paläozoologie (in zwei Teilen). In: Naturwissenschaft und Technik in Lehre und Forschung. Herausgegeben von Dr. F. Doflein und Dr. K. T. Fischer. Leipzig und Berlin. 1909 und 1912. Das in zwei handlichen, je über 300 Seiten starken Leinen- bänden nunmehr abgeschlossen vorliegende Werk behandelt im ersten Bande die Wirbellosen, im zweiten die Wirbeltiere. Seine Ausstattung ıst vortreffllich: deutlich der Druck, übersichtlich der Text, die Figuren von erstklassigen Spezialisten angefertigt. Und als ın jeder Hinsicht gediegen darf man vor allem seinen Inhalt bezeichnen. Lehrbücher mit einer Zusammenfassung paläozoologischen Wissens besitzen wır mehrere. Allein sie behandeln zum Teil das gesamte Gebiet der Paläontologie, umfassen also auch die Phyto- Paläontologie. Nun ist die Anzahl der Studierenden, die sich der reinen Paläozoologie wıdmen, aber gering. Jene Werke sind des- halb so angelegt, dass sie auch die Bedürfnisse der zahlreicheren Geologen mitberücksichtigen. Zu dem Zweck müssen sie die Be- deutung der Versteinerungen als Leitfossilien, d. h. als die Grund- lagen der historischen Geologie, eingehend würdigen. Erreicht wird diese Absicht jedoch nur durch eine ziemlich eingehende Darstellung der Systematik von den höheren Kategorien bis auf die Gattung herunter. Denn erst hierdurch wird die Aufnahme der möglichst zahlreichen, für das Bestimmen notwendigen Abbildungen von Typen und Leitfossilien in den Text zur Erfüllung des geologischen Neben- zweckes ermöglicht. Will man das v. Stromer’sche Buch unbefangen würdigen, so empfiehlt es sich, es nicht direkt am Maßstabe jener Werke zu messen. Mit den eigenen Worten des Verfassers verfolgt es viel- mehr das Ziel, eine möglichst exakte Einführung in die reine Paläozoologie zu bieten. Es ist als eine Ergänzung der zoologischen Lehrbücher gedacht, welche auf die Organisation der alten Lebe- wesen höchstens nur kurz verweisen können. Dementsprechend liegt der Nachdruck hier auf der Klarlegung des allgemeinen Bau- planes der fossilen Tiergruppen. Die Systematik hingegen wird Stromer v. Reichenbach, Lehrbuch der Paläozoologie. 307 vornehmlich nur in ihren Grundzügen und zumeist nur bis auf die Ordnungen oder Unterordnungen herunter berücksichtigt. Auf Einzelheiten kann bei der Fülle des Gebotenen selbstver- ständlich nicht näher eingegangen werden. Ich beschränke mich daher auf die folgenden Bemerkungen. Die Einleitung behandelt in Kürze Inhalt, Entwickelungs- geschichte und gegenwärtigen Zustand der Paläozoologie. Daran reiht sich eine ausführlichere Erläuterung ihrer Beziehungen zu den Nachbarwissenschaften, der Erhaltungsarten und -bedingungen der Fossilien und der allgemeinen Verhältnisse des Skeletts. Der spezielle Teil gliedert sıch in größere, den Tierstämmen entsprechende Abschnitte, die jeweils mit einem Verzeichnis der einschlägigen neueren Literatur abschließen. Biologen ı. e. S. wird es vielleicht interessieren, dass sich bei jeder größeren Gruppe an die Darstellung der allgemeinen Organısationsverhältnisse eine solche der Lebensweise der Tiere anreiht. Auch deren zeitliche und geographische Verbreitung — erstere in tabellarischer Form —- erfahren gebührende Beachtung. Den Schluss bilden kurze, präzis gefasste Diagnosen, welche das Bestimmen in dankenswerter Weise erleichtern. Beı den Faraminiferen wurde überdies der wertvolle Versuch gemacht, die geographische Verbreitung der alttertiären Num- muliten kartographisch darzustellen, was zu interessanten Ergeb- nissen betreffs der Temperatur und der Strömungsverhältnisse der damaligen Ozeane führte. Bezüglich der Abbildungen sei dem oben Gesagten noch hinzugefügt, dass ıhre Auswahl — seien es nun Figuren aus anderen Werken oder Originalzeichnungen — in jeder Hinsicht befriedigt. Phylogenetische Probleme werden innerhalb des streng didaktischen Rahmens des Buches erfreulicherweise mit Zurückhaltung behandelt, finden aber breiteren Raum ın den Schluss- betrachtungen. Wer sich über die zeitliche Aufeinanderfolge der Faunen, über den augenblicklichen Stand der Tiergeographie und Ökologie in der geologischen Vergangenheit kurz unterrichten will, findet in den ersten Kapiteln der genannten Schlussbetrachtungen dazu Gelegenheit. Im Anschluss daran enthalten die letzten Kapitel eine kritische Würdigung der Bedeutung der Paläozoologie für die Entwickelungstheorie und zur Beantwortung der Frage nach den Ursachen des physiologischen Todes und des Aussterbens der Indı- viduen. Kommt das vorliegende Werk als Lehrbuch auch an erster Stelle für Paläozoologen ın Betracht, so wird es wegen der klaren, zuverlässigen Darstellung der allgemeinen Organisationsverhältnisse der alten Lebewesen, durch die ausführliche Behandlung ihrer Lebensweise und historischen wie geographischen Verbreitung, so- dann durch seine zahlreichen Literaturhinweise und die kritischen Schlussbetrachtungen sich auch unter den Zoologen und Geologen und ım Kreise der zoologisch oder geologisch gebildeten Laien sicher Freunde erwerben. L. Krumbeck, 308 Preisausschreiben. — Die 85. Versammlung Deutscher Naturforscher u. Arzte. Preisausschreiben. Herr M.von Horstig (Wiesbaden) hat der Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung die Summe von 2000 AM zur Verfügung gestellt, die zu Preisen für die besten Lösungen von folgenden drei Aufgaben ver- wendet werden soll: 1. Es sind die Materialien zusammenzustellen für dıe Erörterung der Frage nach den Landverbindungen, die zur Tertiär- und Quartärzeit im atlantischen Ozean und im Mittelmeer für die Wanderungen der Primaten bestanden habe . Preis 600 #. 2. Es sind die Tatsachen zusammenzustellen und zu erörtern, die auf einen zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang zwischen der Umbildung der Tierwelt (und des Menschen) und den klimatischen Anderungen während der jüngsten Tertiärzeit und der Dilwvialzeit hindeuten. Preis 600 M. 3. Welche anatomischen, physiologischen und geologischen Anhaltspunkte sind vorhanden zur Erklärung des aufrechten Ganges beim Menschen. Preis S0O M. Die Arbeiten sind in deutscher Sprache abzufassen, in Maschinenschraft zu schreiben und bis zum 1. April 1914 mit Motto versehen an den Vor- sitzenden der Rheinischen Gesellschaft für wissenschaftliche For- schung in Bonn, Nuß-Allee 2, einzusenden. Das Preisgericht besteht aus den Herren Prof. Bonnet, Steinmann und Verworn in Bonn. Die 85. Versammlung Deutscher Naturforscher und Arzte findet zu Wien vom 21.—%6. September d. J. statt. Vorläufiges Programm: Sonntag, den 21. September: Begrüßungsabend in der Volkshalle des Rathauses. Montag, den 22. September, vormittags: Erste allgemeine Versammlung, Begrüßungsansprachen, Vorträge: F. Rinne, Leipzig: Das Wesen der kristal- linen Materie vom Standpunkt des Mineralogen. H. von Seeliger, München: Moderne Astronomie. Nachmittags: Abteilungssitzungen. Dienstag, den 23. September : Abteilungssitzungen. Mittwoch, den 24. September, vormittags: Naturwissenschaftliche Haupt-. gruppe: Abteilungssitzungen. Medizinische Hauptgruppe: Gesamtsitzung ; Vor- träge: Brodmann, Tübingen: Neuere Forschungsergebnisse der Hirnanatomie. Reich, Wien: Anatomie des Bogengangapparates. BKothfeld, Wien: Physio- logie des Bogengangapparates. Barany, Wien: Klinik des bBogengangapparates. Nachmittags: Naturwissenschaftliche Hauptgruppe: Gesamtsitzung, Vorträge: H. Wiener, Darmstadt: Wesen und Aufgaben der Mathematik. A. Steuer, Innsbruck: Ziele und Wege biologischer Mittelmeerforschung. Medizinische Haupt- gruppe: Abteilungssitzungen. j Donnerstag, den 25. September, vormittags: Geschäftssitzung der Gesellschaft. Gemeinsame Sitzung beider Hauptgruppen, Vorträge: K. Ritter von Hess, München: Der optische Sinn der Tiere. O. Lummer, Breslau: Das Sehen. E. Dolefal, Wien, und Exz. A. von Hübl, Wien: Photogrammetrie. Nach- mittags: Abteilungssitzungen. Abends: Empfang der Stadt Wien im Festsaal des Rathauses. Freitag, den 26. September, vormittags: Zweite allgemeine Sitzung: Vorträge: E. Fischer, Freiburg im Breisgau: Das Rassenproblem. Max Neuburger, Wien: Gedenkrede auf Joh. Christ. Reil ($ 1813). Othenio Abel, Wien: Neuere Wege phylogenetischer Forschung. Samstag, den 27. September: Tagesausflug in die Wachau. Sonntag, den 28. September: Tagesausflug auf den Semmering. An einem noch zu bestimmenden Abend ist ein Empfang bei Hof und an einem ferneren Abend Besuch der Hoftheater in Aussicht. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr’ K. Goebel und’ DraR. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXXIII. 20. Juni 1913. TB. Inhalt: Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen, und Buche. — Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. — Tschugunoff, Uber die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii (Focke) unter dem Einfluss von Nahrungsentziehung. — Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linksnändiskeit. — Franz, Tierverstand und Abstam- mungslehre. — Bernstein, Elektrobiologie. — Der XIII. Internationale medizinische Kongress. Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. Von Werner Magnus. In Wäldern und Parkanlagen fallen zur Winterszeit und weit in das Frühjahr hinein zwischen den kahlen entblätterten Zweigen der Laubbäume häufig einzelne Bäume auf, die mit abgestorbenen gebräunten Blättern ganz oder doch zum Teil bedeckt sind. Fast stets lehrt der nähere Augenschein, dass es sich um eine unserer einheimischen Eichen (Oxereus pedunculata und sessiliflora) oder die Buche (Fagus silvatica) handelt. — Die Regelmäßigkeit der Eır- scheinung macht es natürlich, dass sie, jedoch immer nur beiläufig, schon in einigen Arbeiten über Laubfall Erwähnung gefunden hat (von Mohl, Nördlinger, Kerner von Marilaun, Büsgen, Dingler u.a.). Einige neuere Erfahrungen über die Periodizität der Lebenserscheinungen der Pflanzen, insbesondere über Laubfall und Lauberneuerung, lassen aber diesem auffälligen Verhalten viel- leicht allgemeinere Gesichtspunkte abgewinnen. Fast alle unsere einheimischen Laubbäume sind sommergrün, d. h. sie sind nur im Sommer belaubt und werfen periodisch im Herbst ihr Laub ab, um es im Frühjahr wieder zu erneuern. Die zu Be- ginn der kalten Jahreszeit einsetzenden ungünstigen Vegetations- XXXIL. 21 310 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. bedingungen sind dabei jedenfalls mitbestimmend. Denn das Ab- werfen der Blätter kann auch zu anderer Zeit durch äußere Beeinflussungen sehr mannigfacher Natur hervorgerufen werden. So werden die Blätter vielfach dann abgeworfen, wenn sie sich unter Verhältnissen entwickeln, die ihre normale Funktion (Transpiration, Kohlenstoffassimilation) ausschließen oder auch schon, wenn sie plötzlich einen starken Wechsel in ihren Lebensbedingungen er- fahren. — Als ökologisch wichtig unterscheidet z. B. Wiesner bei unseren Bäumen außer dem Herbstlaubfall einen Sommerlaubfall, beı dem mitten im Sommer ım Innern der Krone die Blätter ab- gestoßen werden, weil dort die Lichtintensität für die Kohlenstoff- assımılation nicht genügt. Durch zu starke Sonnenstrahlung bei verminderter Wärmeausstrahlung und großer Bodentrockenheit kann gleichfalls, häufig bei Linde und Rosskastanıie, eine Entlaubung herbeigeführt werden (Hitzelaubfall. Ebenso können durch Frost die Blätter zum Abfallen gebracht werden (Frostlaubfall) u. a. m. — In allen diesen Fällen wird durch einen Reizvorgang an der In- sertionsstelle des Blattes die Neubildung einer speziellen Trennungs- schicht hervorgerufen, in der, wie wir aus den vielfach bestätigten Untersuchungen v. Mohl’s wissen, durch einen biologischen Prozess das Auseinanderweichen der Zellen stattfindet. — Genau der gleiche Vorgang spielt sich beim herbstlichen Laubfall ab. Welche äußere Reizursache aber hier speziell die Bildung der Trennungsschicht veranlasst, ist ohne weiteres nicht zu sagen. Es wäre besonders an die Herabminderung der Temperatur zu denken. Diese wirkt nicht nur direkt auf die Lebensfunktion des Blattes ein, sondern besonders auch indirekt durch den eintretenden Wasser- und gleich- zeitigen Nährsalzmangel, da die Wurzeln aus dem kalten Boden nur erschwert Wasser und mit ıhm Nährsalze aufzunehmen vermögen. Vielleicht ıst diese Wirkung besonders stark, wenn, wie ım Herbst, reichlich Reservematerial aufgespeichert ist. — Es wäre auch ver- fehlt, in den klimatischen Faktoren die einzige Ursache des herbst- lichen Laubfalls zu sehen, vielmehr ıst ein periodischer Herbstlaub- fall augenscheinlich im Organiısationsplan dieser Bäume vorgesehen. Schon im Sommer, zu einer Zeit, in der sich die auf den Laubfall hinwirkenden klimatischen Faktoren noch kaum geltend machen können, wird beı vielen Bäumen eine Korkschicht unterhalb des Blattstiels angelegt, dıe dazu bestimmt ist, nach dem Blattabfall den Verschluss der Narbe herbeizuführen (von Mohl). So wird auch das Alter der Blätter nicht ohne Einfluss auf den gleich- mäßigen Laubfall sein und dürfte ım allgemeinen eine bestimmte Grenze nicht übersteigen. — In der Tat bleiben oft die im Laufe des Sommers gebildeten Blätter ım Herbst länger erhalten, wie be- sonders Dingler an den nach Beschneidung der Bäume entstehen- den regenerativen Sprossen näher untersuchte. Hier geschieht es Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 341 dann oft, dass bei plötzlich eintretendem Frost die Blätter eher absterben als die Trennungsschicht ın Funktion tritt. Da die Blätter, wie Wiesner zeigte, bis auf den Blattgrund abzusterben pflegen, kann die Ablösung nicht durch einen biologischen Prozess statt- finden. Sıe werden vielmehr schließlich durch den Wind oder durch andere äußere mechanische Kräfte oder durch Vermoderung losgelöst, wobei allerdings dıe Region der Trennungsschicht in der Regel dem Zerreißen den geringsten Widerstand entgegensetzt. — Dass ın der Tat das Absterben des Laubes und Laubfall nicht gleichzusetzen sind, zeigen auch mit welkem Laub bedeckte Zweige, die durch mechanische Zufälle oder durch Parasiten frühzeitig zum Absterben gebracht wurden. Andererseits kann aber auch durch den Reiz des Parasiten der die Ausbildung der Trennungsschicht bewirkende Reiz im Herbst paralysiert werden und hierdurch die abgestorbenen Blätter am Baum haften bleiben, wie es z. B. die Weidenrosen, hervorgerufen von Rhabdophaga rosaria, zeigen, die als braune Blattschöpfe an den sonst kahlen Weiden den ganzen Winter überdauern. — Damit also der normale herbstliche Laubfall ein- tritt, muss jedenfalls zu den äußeren Ursachen eine entsprechende Aufnahmefähigkeit für den Reiz, sagen wir einmal: innere Dis- position, hinzukommen. In ganz ähnlicher Weise, wie in unserem Klima im Winter das Laub abgeworfen wird, stehen vielfach auch ın anderen Kh- maten mit periodischem Wechsel die Bäume zeitweise kahl, indem sie besonders zu Beginn einer Trockenzeit das Laub abwerfen. Aber auch im fast gleichmäßig feuchtwarmen Klima der Tropen, wie in Buitenzorg auf Java, fällt ein Laubwurf vieler Bäume auf, der, wie Volkens und Klebs neuerdings eingehend untersuchten, mehr oder weniger periodisch erfolgt. Volkens sieht dies als sicheren Beweis für die Existenz einer von direkten äußeren Ein- flüssen ganz unabhängigen Periodizität der Art an, während Klebs meint, dass es sich dabei vielfach teils um Nachwirkung aus mehr oder weniger periodischem Klima eingeführter Bäume handelt, teils der immerhin stets vorhandene, wenn auch geringe Wechsel ge- wisser klimatischer Faktoren auch ın diesem anscheinend so gleich- förmigen Klıma für diese Fragestellung noch nicht eingehend genug untersucht ist. Soviel scheint jedenfalls sicher, dass auch hier eine Disposition zum Laubfall vorhanden sein muss, damit die ihn etwa auslösenden direkten äußeren Einflüsse in Wirksamkeit treten können. — Diese Disposition kann selbst bei dicht nebeneinander stehenden Exemplaren der gleichen Gattung sehr verschieden sein. Denn, wie Volkens besonders hervorhebt, tritt bei solchen Individuen zu sehr verschiedenen Zeiten, oft Monate voneinander getrennt, der Laubfall ein. — Hier zeigt sich nun eine auffallende Ähnlichkeit im Verhalten der Eichen und Buche, die auch Volkens nicht ent- 21* 310 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. gangen ist. Denn nur ein Bruchteil der Bäume behalten ihre Blätter. Unmittelbar neben völlig kahlen Bäumen, die ım Herbst ihr Laub verloren haben, stehen solche, die dicht mit brauneın Laub bis weit ın das Frühjahr hinein bedeckt sind. — Für dieses absonderliche Verhalten ın unserem stark periodischen Klıma muss also untersucht werden, inwieweit die auftretenden Verschieden- heiten von erkennbaren äußeren Bedingungen abhängig sind oder nur individuellen Dispositionen der einzelnen Bäume zuzuschreiben sind. — Meine Beobachtungen, die ich während mehrerer Winter ım Berliner Tiergarten und während des letzten Winters außerdem ın den Parkanlagen und Wäldern der Umgebung von Potsdam an- stellte, lassen keinen Zweifel zu, dass ın der Tat in hohem Maße individuelle Eigenschaften maßgebend sind. Von Bäumen, die, so- weit es zu erkennen war, unter ganz gleichen Bedingungen neben- einander wuchsen, kann der eine das Laub ım Herbst völlig ver- lieren, während der andere bıs ın das Frühjahr hinein völlig oder zum Teil mit ıhm bedeckt bleibt. Dabei ist das Verhalten der ein- zelnen Bäume ın den aufeinanderfolgenden Jahren ein recht gleich- artiges. — Es ıst nun interessant, dass bei @uercus pedunculata, wo die individuellen Unterschiede am deutlichsten auftreten, sie auch der Volksbeobachtung nicht entgangen sind. Nach Köppen (zitiert nach Ascherson-Graebner, Synopsis IV, p. 497) unter- scheidet das Volk ın Russland von der allgemein verbreiteten Form, die im Winter das Laub abwirft (Sommereiche), eine andere weniger verbreitete, bei der im Winter das Laub vertrocknet stehen bleibt (Wintereiche). Czernia&w unterscheidet sie als Varietas praecox und tardıflora. Ascherson-Graebner meinen, dass sıe sicher- lich weiter verbreitet sind. So kennt solche individuellen Unter- schiede auch Lasch in märkischen Wäldern, der sogar angıbt, dass man das Holz der laubbehaltenden Form zu technischen Zwecken vorzieht. — Da nun alle Übergänge vorkommen von Bäumen, welche ihr Laub völlig verlieren zu solchen, die ihr Laub teilweise und zu solchen, die es völlig behalten, dürfte eine scharfe syste- matische Scheidung nicht angängig sein. — Auch der angebliche weitere Unterschied, dass die ım Herbst das Laub abwerfenden Bäume 2—3 Wochen früher, wie die laubbehaltenden, das neue Laub entfalten, worauf Dingler hinweist, ist keineswegs durch- greifend. Es lässt sich auch das Umgekehrte beobachten. Auch die ım Johannistrieb im Juli gebildeten Blätter sind nicht besonders zum Hängenbleiben prädestiniert; es bleiben also nicht etwa die Blätter im Herbst länger hängen, welche nicht ein genügendes Alter erreicht haben oder nicht genügend ausgereift sind, wie Nörd- linger meint. — Noch mehr wie @uercus pedunculata scheint (Quercus sessiliflora prädestiniert zu sein, das Laub den Winter über zu behalten, wie auch die bei uns gebräuchlichen Namen Sommer- Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 313 eiche für jene und Wintereiche für diese andeuten!). Jedoch kommen auch hier, wie auch Ascherson und Graebner meinen, große individuelle Unterschiede vor und es ist mir zweifelhaft, ob, wie jene Autoren angeben, der Zeitpunkt des Eintritts des ersten strengen Frostes oder die Winterwitterung gleichfalls von großem Einfluss ist. Auch für Lasch’s und Nördlinger’s Ansicht, dass im allgemeinen bei Eiche und Buche die Blätter in um so größerer Menge hängen bleiben, je früher ım Oktober oder November die Kälte eintritt, ergaben meine Beobachtungen keine Bestätigung. Halte ich somit auch die individuellen Anlagen der einzelnen Bäume unserer Eichen und Buche für ausschlaggebend, lassen sich doch bei der Beobachtung vieler Bäume allgemeinere Regeln aufstellen, die auf die Mitwirkung gewisser äußerer Faktoren hindeuten. Am deutlichsten ist die Erscheinung bei jüngeren, starkwüchsigen Exem- plaren, bei jüngeren, nicht der vollen Beleuchtung ausgesetzten Pflanzen, weiter an den unteren stärkeren Ästen älterer Bäume, die oft völlig ihr Laub behalten, während die oberen Äste ganz kahl stehen. Bei der Buche scheinen nur diese Fälle vorzukommen. Ältere Bäume, die in den oberen Zweigen ihr Laub behielten, habe ich nicht beobachtet. Bei der Eiche hingegen können einzelne recht alte, über 20 m hohe Bäume fast völlig belaubt bleiben, doch sind sie dann oft von noch höheren etwas beschattet. — Zum Ver- ständnis dieser Tatsache ist es nun sehr wichtig, damit zu ver- gleichen, was wır von Volkens und Klebs über das Verhalten gewisser tropischer Bäume erfahren, die der Regel nach ihr Laub periodisch verlieren und eine Zeitlang kahl stehen, was ich nach meinen Beobachtungen auf Java bestätigen kann. Bei ihnen heben sich die an der Basis der Stämme und an dieken Ästen entspringenden Sprosse oft auffällig durch ihre Beblätterung von den sonst kahlen Bäumen ab. Auch bleiben die jungen Teetona-Bäumchen im Gegen- satz zu den alten in Ost-Java beblättert, wıe auch Wright schon darauf aufmerksam gemacht hatte, dass bei einer Reihe von Arten der periodische Laubabfall erst bei alten Bäumen eintritt. Auch Stock- ausschläge von Tectona sollen nach Klebs ın der Trockenzeit be- blättert sein. — Klebs meint ähnlich wie Holtermann, dass die genannten Sprosse noch mit der vom Boden gelieferten Menge des Wassers und der Nährstoffe auskommen, ältere Bäume nicht mehr zu allen Zeiten; oder anders ausgedrückt: Der Mangel an Wasser und Nährsalzen ist es, der als Reiz auf die Bildung einer Trennungsschicht der Blätter der älteren Bäume wirkt, während er bei den jüngeren Bäumen, bei Stockausschlägen oder an einzelnen durch ihre Stellung im Baumsystem in der Wasser- und Nährsalz- 1) Irrtümlicherweise wird oft angegeben, z. B. Warburg, Pflanzenwelt 1913, dass Quercus pedunculata das Laub stets abwirft und Quereus sessiliflora stets behält. 314 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. zufuhr begünstigten Zweigen nicht die zu einemsReizerfolg nötige Stärke erreicht. — Wir dürfen annehmen, dass in ganz ähnlicher Weise bei den Eichen und Buchen im Herbst die klimatischen Fak- toren, die normalerweise den Reiz zur Ausbildung einer Trennungs- zone liefern, unter bestimmten Umständen keine genügende Stärke erreichen, sei es, dass bei jugendlichen sehr gut ernährten oder nicht stark transpirierenden Pflanzen oder unteren Zweigen die Blätter früher vertrocknen, resp. die Bäume in einen Ruhezustand ein- treten, ehe die Trennungsschicht ausgebildet wurde, sei es, dass, wie besonders bei der Eiche häufig überhaupt die notwendige indi- viduelle Disposition mangelt. — Die Disposition dieser Bäume auf klimatische Reize ım Herbst durch Laubfall zu reagieren, ıst also noch am stärksten bei der Buche ausgebildet, wo die Trennungs- schicht beı allen alten Bäumen in Wirksamkeit tritt, am geringsten bei den individuellen Variationen der Eiche, wo sie auch beı alten Bäumen fehlen kann. Damit stehen in guter Übereinstimmung die den Laubfall be- gleitenden anatomischen Verhältnisse. Während bei den meisten sommergrünen Dicotylen schon vor dem Laubfall die die Blattnarbe abschließende Korkschicht gebildet wird, fehlt sie nach v. Mohl der Rotbuche und einigen anderen Pflanzen, wie der Esche und Syringe. Hier erfolgt der Verschluss durch Bräunung der ober- flächlichen Zellen. Die Peridermbildung beginnt erst nach dem Blatt- abfall, unterbleibt aber bei Fagus auch manchmal ganz (Staby), d. h. erfolgt erst ım nächsten Frühjahr. — Eine völlige Aus- nahmestellung unter allen übrigen sommergrünen Dicotylen nehmen nach Staby nur @uercus pedunculata und sesstiliflora, wie andere Eichensorten, ein. Auch hier trocknet nach Abfall der Blätter die bloßgelegte Parenchymschicht etwas unter lebhafter Braun- färbung ein und die Gefäße werden mit Gummi gefüllt. So bleibt aber die Blattnarbe im Spätherbst nach dem Blattfall und noch zwei Winter hindurch. Erst ım dritten Jahre zeigt sich rege Korkbildung, welche die Blattnarbe abschließt. Das ıst der einzige Fall, bei dem so ungewöhnlich lange die Gefäße nur durch Gummi verschlossen sind und die Korkbildung so spät auftritt. Von welchen Gesichtspunkten aus lässt sich nun die Ausnahme- stellung der Eichen und Buchen verstehen? Denn es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, dass das so allgemein verbreitete Ab- werfen des Laubes unserer Bäume im Herbst eine für die Pflanze äußerst zweckentsprechende Anpassungserscheinung sein muss. Es kann dabei ganz dahingestellt bleiben, ob, wie Wiesner es will, die hierdurch ermöglichte Einwirkung des direkten (parallelen) Lichtes auf die Knospen von ausschlaggebender Bedeutung ist oder die Anreicherung des Bodens durch Mikroorganismen oder, was am nächsten liegt (Kerner v. Marilaun und Dingler) die Herab- 7 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 35 setzung der Transpiration das wichtigste Moment ıst und die Sıche- rung vor verderblichen Schneedruck in Betracht zu ziehen ist. Auch seinoch auf Warming’s Ansıcht hingewiesen, dass durch den Laub- fall die Wärmeleitung stark herabgesetzt wird. — Wiesner schätzt die ökologische Bedeutung des herbstlichen Laubfalls so hoch eın, dass er meint, dass in allen den Fällen, in welchen sıe unterbleibt, auch das Ausbleiben der Entblätterung für die Pflanzen vorteilhaft erscheint, oder dass es einleuchtet, dass ın diesen Fällen die Blatt- ablösung zwecklos wäre, dass also mit anderen Worten sich die biologische Bedeutung des Laubfalls auch in negativen Fällen zeigt. Als Beispiel hierfür führt er Eupatorium adenophorum an. Seine Blätter haften abgestorben an dem Stamm, bis sie durch rein äußere Zufälle zerstört werden und vom Stamme verschwinden. Der Laub- fall wäre hier zwecklos, weil die nicht großen, an langen Inter- nodien stehenden Blätter fast gar keine Beschattung hervorrufen. — Für die Eichen und Buche kann nun eine solche ökologische Wertung des unregelmäßigen oder mangelnden Herbstlaubfalls sicherlich nicht angewendet werden und Dingler sagt direkt: „dass sich einstweilen die Erscheinung als eine Art Variation darstelle ohne biologische Bedeutung.“ — Die große Verbreitung der Er- scheinung zwingt uns jedoch, zu versuchen, zu ihrem Verständnis auf einem anderen Wege zu gelangen. — Man könnte vielleicht an entwickelungsmechanische Momente denken und sagen, da die Eiche, ein Baum etwas trockener Standorte, durch ihre relativ dicke Kutikula gegenüber den anderen sommergrünen Bäumen gegen Transpirationsverlust stärker geschützt ist, möchte sich der wahrscheinlich zur Ausbildung der Trennungsschicht führende Reiz mangelnder Wasserzufuhr bei abnehmender Bodentemperatur ım Herbst weniger deutlich bemerkbar machen. D. h. aber nichts anderes, als dass eben die Disposition zur Ausbildung der Trennungs- schicht eine ungenügende ist. Ganz abgesehen davon, dass diese Überlegung schon für die Buche kaum passen würde, bleibt auch die Frage bestehen, warum gerade diesen Bäumen die augenschein- lich zweckmäßige Disposition der anderen einheimischen Laubbäume zum Laubfall im Herbst mangelt. — Es macht nun aber ganz den Eindruck, als wären diese Bäume erst im Begriff, diese Anpassung zu erwerben und noch nicht in ihren gesicherten Besitz gelangt. Während manche Individuen und vielleicht auch Rassen diese Fähigkeit zum Herbstlaubfall vollkommen erworben haben, können sie bei andern im jugendlichen Alter?) oder besonderen Wachstums- verhältnissen nicht in Erscheinung treten, während sie eine weitere Gruppe noch völlig zu entbehren scheint. Es ist als hätten diese 2) Auch Berthold weist darauf hin, dass die Jahresrhythmik bei jugendlichen Pflanzen im allgemeinen weniger stark ausgeprägt ist (Pflanzl. Organis. II, p. 250). >16 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. Bäume einst anderem wärmeren Klıma angehört, in denen ein perio- discher herbstlicher Laubfall unnötig, ın denen sie vielmehr das ganze Jahr mit grünem Laub bedeckt sein konnten. — Die Ähnlichkeit zu den immergrünen Pflanzen wird aber noch deutlicher, wenn die Art der schließlichen Abstoßung des Laubes ım Frühjahr berücksichtigt wird. — Während sie, wie wir sahen, bei den durch plötzlich ein- tretenden Frost absterbenden Blättern auf mechanischem Wege er- folgt, da auch die Region der Trennungsschicht abstirbt, bleibt diese bei Eichen und Buche am Leben. Während des ganzen Winters ist die Ansatzstelle des Blattstiels grün und turgeszent; in ıhr bildet sich schließlich die Trennungszone aus und die Blatt- ablösung erfolgt, wie gewöhnlich, durch Auseinanderweichen der Zellen?). Diese Trennungsschicht tritt jedoch erst auf einen ganz bestimmten Reiz in Wirksamkeit. Es genügt hierzu nicht etwa eine für Wachstum und Zellteilung genügend hohe Temperatur, wie sie einzelne warme Tage des Spätherbst und Frühlings bringen. Auch als Mitte Dezember Zweige von Quercus pedunculata ın das geheizte Zimmer gebracht wurden, veränderte sich nicht sogleich der Blattgrund. Erst Mitte Januar trat die durch ihren Stärke- gehalt leicht erkennbare Trennungsschicht deutlich hervor. Zu gleicher Zeit begannen aber auch die Knospen zu wachsen und als sich gegen Ende Januar die Knospen öffneten, fiel ein Blatt nach dem anderen ab. Im Freien tritt die Trennungsschicht gleichfalls erst in Wirksamkeit, wenn das Wachstum der Knospen beginnt. Bei einem von mir ständig beobachteten 15 m hohen @uercus pedunculata des Tiergartens begann z.'B. sich das während des ganzen Winters haften gebliebene Laub bei fast windstillem Wetter am 1. April 1913 ın dichtem Fall abzulösen, so dass der Baum am 2. Aprıl schon ganz kahl aussah und am 4. April nur noch ein paar Blätter besaß. Frühzeitiger als gewöhnlich hatte hier, durch das anormal warme Wetter veranlasst, eine kräftige Streckung der Knospen eingesetzt. Ein dicht daneben stehender gleich großer Quercus pedunculata hatte zu dieser Zeit noch nichts von seinem alten Laub verloren, aber auch die Knospen zeigten noch kein Wachstum®). Ebensowenig wie die zahlreicher anderer Eichen, die völlig kahl waren oder an denen die unteren Äste mit braunem Laub bedeckt waren. Auf den Zusammenhang zwischen Laubfall und Knospentreiben immergrüner Pflanzen hat besonders Wiesner hingewiesen und ıhn 3) Büsgen gibt auch für Eichen und Buche an, dass die hängenbleiben- den Blätter am Baum allmählich verwesen, soweit sie nicht gewaltsam abgerissen werden, und der gleichen Meinung ist Pfeffer (Pflanzenphysiologie II, p. 277). Ich habe das nicht beobachten können und es stellt jedenfalls nicht den gewöhn- lichen Fall dar. 4) Dieses begann erst am 10. April und damit auch das Abfallen der Blätter. Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 317 als Treiblaubfall von den anderen Arten des Blattfalls unterschieden. Während bei vielen ımmergrünen Pflanzen der Laubfall ım allge- meinen ein sehr geringer ist, steigt er zur Zeit der Laubentfaltung gewaltig. Zahlreiche entsprechende Angaben rühren von Volkens her. Dieser enge Zusammenhang zwischen dem Treiben der Knospen und Abstoßen der alten Blätter durch einen biologischen Prozess stellt sıch also durchaus als eine Eigenschaft immergrüner Gewächse dar. — Es mag hervorgehoben sein, dass auch Wiesner für andere Pflanzen ein solcher „Übergang sommergrünen zu immergrünen“ Verhalten nicht entgangen ıst. Bei der Zerreiche Quercus cerris, bei der stets ein Teil des Laubes abgestorben bis zum Frühling bleiben soll, fielen beim Einstellen in das Warmhaus auch die Blätter erst nach dem Treiben der Knospen ab°). — Dass wir es aber nun wirklich bei unseren Eichen und Buche mit Anklängen an das Verhalten immergrüner Pflanzen zu tun haben, zeigen die periodischen Erscheinungen der Lauberneuerung, die nicht weniger fremdartig wie der Laubfall zwischen den anderen einheimischen sommergrünen Bäumen stehen. — Sie waren für mich eigentlich erst die Veranlassung, mich auch näher mit dem Laub- fall dieser Bäume zu beschäftigen. — Mir war bei gelegentlichen Beobachtungen in Ceylon und Java über die Lauberneuerung der tropischen Bäume die Vermutung aufgestoßen, dass auch das wieder- holte Austreiben einiger unserer sommergrünen Bäume nicht als Folge anormaler äußerer Einflüsse anzusehen wäre, sondern wie die vielfach in kurzen Zwischenräumen erfolgende periodisch und stoßweise erfolgende Laubentfaltung tropischer Bäume in der Organi- sation begründet sein müsse. — Auf meine Veranlassung hat H. Späth dieses Problem in aus- führlicher Weise experimentell behandelt. Über seine Ergebnisse, soweit sie uns hier interessieren, werde ich kurz berichten: Die bekannte Johannistriebbildung der Eichen und Buche ist eine nor- male periodische Laubentfaltung und wird nicht etwa durch anor- male klimatische Verhältnisse hervorgerufen. In der Organisation dieser Bäume ist es begründet, dass ganz wie bei vielen tropischen Bäumen verhältnismäßig schnelles, stoßweises Treiben und Ruhe- perioden miteinander abwechseln. Diese Ruheperiode beträgt für die Eiche etwa 1?/, Monate. Es braucht sich also der Johannis- 5) Hier wie bei dem Abwerfen der durch Frost geschädigten Blätter von Ligustrum ovifolium ist anzunehmen, dass es sich um den gewohnten biologischen Prozess in der Trennungsschicht handelt. Denn wie Wiesner angibt, fallen die Blätter von Ligustrum erst 6—12 Tage, nachdem sie ins Warmhaus gebracht wurden, ab, also eine genügend lange Zeit, dass die Trennungsschicht in Wirksamkeit treten konnte. Nachher mag dann die schnelle Vertrocknung des über der Trennungs- fläche gelegenen Blatteils durch den Spannungsunterschied, wie es Wiesner will, bei der Lostrennung mitwirken. 518 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. trieb keineswegs im Juni zu bilden, sondern dies hängt ausschließ- lich von der Zeit des Knospenschlusses des ersten Triebes ab. Unter günstigen Wachstumsbedingungen können sich nach ent- sprechender Ruheperiode zum zweiten Male und öfters Johannis- triebe bilden. Junge Eichen, welche vom April bis September im Warmhaus bei 31° gezogen wurden, zeigten vier durch Ruheperioden getrennte Triebe, wobei der dritte oder vierte Trieb allein die Länge des ersten und zweiten zusammen übertreffen kann. Die Johannis- triebbildung lässt sich nicht durch äußere Einflüsse unterdrücken, so lange diese überhaupt ein Wachstum ermöglichen. Das dıskon- tinuierliche Wachsen lässt sich nicht etwa dadurch erklären, dass erst wieder eine genügende Menge von Assimilaten gespeichert werden muss. — Auch durch extrem günstige Nährsalzzufuhr und andere Wachstumsbedingungen gelingt es nicht, die Ruheperiode auszuschalten und die Triebe zu ständigem Fortwachsen zu ver- anlassen. Höchstens kann die Ruheperiode etwas verkürzt werden. — Mit dem normalen periodischen Treiben der Buche und Eichen dürfen nicht etwa die zweiten Triebe vieler anderer sommergrüner Bäume verwechselt werden. Sıe entstehen infolge anormaler äußerer Einflüsse und besonders regenerativ zum Ersatz verloren gegangenen Laubes. Da sie sich aus Knospen entwickeln, deren Entfaltung normalerweise erst im nächsten Jahre stattfindet, sind nur sie ın Wirklichkeit proleptische Triebe. Die individuelle Triebbildung der Eichen und Buche im Sommer liegt hingegen ebenso in ihrem Organisationsplan, wie ın dem der stoßweise treibenden tropischen Pflanzen. — Es kann kaum zweifelhaft sein, dass die zusammenhängende Laubentfaltung unserer sommergrünen Bäume nicht weniger eine zweckentsprechende Anpassung, ein Ökologismus, ist wie der Laub- fall dieser Bäume ım Herbst. Nur durch sie können die Pflanzen die kurze Sommerzeit möglichst ausnutzen. Welche Vorteile können aber in unserem Klima die Bäume von einer diskontinuierlichen Belaubung besitzen, noch dazu solche, die wie Eiche und Buche so extrem spät austreiben, während in dem mehr oder weniger gleich- förmigen Tropenklima ein periodisches Wachstum, wie wir noch sehen werden, durchaus verständlich ist? — Bei der Eiche mit ihrer beträchtlichen Johannistriebbildung könnte man noch daran denken, dass es sich um einen vorbeugenden Ersatz für Beschädigung des ersten Triebes durch Frost oder Insektenfraß handelt, wenn auch alle anderen Bäume mehr oder weniger zu einer regenerativen Ersatzbildung befähigt sind. Bei der Buche aber mit ihrer für die Gesamtbelaubung kaum mitsprechenden geringen Johannistrieb- bildung fällt auch dieses Argument jedenfalls fort. — Ganz wie für den Laubfall, müssen wir also auch für die Laubentfaltung fest- stellen, dass Eiche und Buche ein Verhalten zeigen, das nicht in Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 319 voller Übereinstimmung steht zu ihren jetzigen Lebensbedingungen, aber wohl Anklänge besitzt zu dem Verhalten von Bäumen, die unter anderen klimatischen Bedingungen erwachsen sind. Eichen und Buche, die Bäume, die wir gewohnt sind als die charakteristischsten Vertreter des deutschen Waldes anzusehen, unterscheiden sich auffällig ın den beiden Hauptpunkten der Vege- tationsperioden unserer Breiten, dem Laubfall im Herbst und der Lauberneuerung im Frühling, von allen übrigen sommergrünen Bäumen, zeigen aber, wenn auch ın gewisser Weise individuell verschieden, deutliche Anklänge an das Verhalten der Bäume anderer Wärmeklimate mit immergrünen Pflanzen. Liegt es da nicht nahe, anzunehmen, dass wirklich ıhre Ahnen einem anderen wäÄrmeren Klima angehörten, von denen sie noch deutliche zu ihrer jetzigen Umgebung wenig passende Erinnerungen in sich tragen? Können wir nicht vielleicht das absonderliche Verhalten ihrer Periodizität als ein Wiederauftreten des physiologischen Verhaltens ihrer Ahnen ansehen und von einem physiologischen Atavismus sprechen? Es wäre aber noch eine andere Möglichkeit zu erwägen. Viel- leicht bezeichnen wir mit Unrecht unsere Eichen und Buche als sommergrüne laubalwerfende Bäume. Vielleicht zwingen ıhnen ungünstige klimatische Bedingungen nur eine Winterruhe auf, die in ihrer Natur nicht begründet ıst, während sie unter günstigeren Bedingungen erwachsen ın Wahrheit immergrün wären. Dafür sprechen nun in der Tat auf den ersten Blick einige Beobachtungen. Nach Krasan (zitiert nach Ascherson- Graebner, Synopsis Bd. IV) behält Quercus sessiliflora ım südlichen Gebiet an geschützten Orten ın Schluchten ete. das grüne Laub bis zur Entfaltung der Blätter. Es hat hier durchaus einen immergrünen Charakter. — Auch für Quercus pedunculata werden von Kerner v. Marılaun entsprechende Angaben gemacht. Nach ihm haftet an, durch fort- währendes Verstümmeln, niedrig gehaltenen Exemplaren auf dem warmen Boden der Mulde nächst der Solfatara bei Neapel noch Ende April das Laub des verflossenen Jahres grün und gesund an den Zweigen, obschon bereits neues Laub aus den Knospen hervor- zubrechen beginnt. Dennoch wäre es verfehlt, ganz abgesehen davon, dass für unsere Buche immergrüne Formen meines Wissens nicht bekannt sind, auch für die Eichen daraus schließen zu wollen, dass sie als immergrüne Bäume anzusehen sind und eine „sommergrüne Perio- dizität“ nicht besäßen. Denn zahlreiche andere Beobachtungen zeigen deutlich, dass auch bei Eichen und Buche unter sehr günstigen klimatischen Bedingungen das gesamte Laub periodisch abstirbt resp. abgeworfen wird. — Sehr bekannt und oft zitiert sind die Beobachtungen Heer’s aus Madeira: Das Laub der Stiel- eiche wird auch hier Ende Oktober gelb und bleibt, allmählich 320 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. trocknend, bis zum 1. Januar hängen. Einige einzelne Bäume trieben vom 10. Januar an und waren am 6. Februar wieder grün, alle übrigen blieben aber in Ruhe und waren ım allgemeinen erst bis zum 20. Februar wieder mit Blättern bedeckt. Das Buchenlaub wird erst Anfang November gelb und bleibt in der Hauptmenge bis zum Wieder- austreiben am 1. Aprıl auf den Bäumen. — In dem gleichmäßig warmen Klıma von Tjıbodas auf Java verhält sich @uercus pedun- culata nach Schimper’s Angaben, die von Holtermann, Klebs, Volkens und auch von mir bestätigt werden konnten, sehr eigen- tümlich. Einzelne Äste zeigen Winter, Frühjahr und Sommer, d.h. neben kahlen entlaubten Zweigen solche, die ihr Laub eben ent- falteten und solche mit vollem Blätterschmuck. Einigermaßen genau sind wir durch Dingler über das Verhalten von Quercus pedun- culata ın dem Bergklima von Hacgala auf Ceylon unterrichtet. Ähnelt es auch dem von Tjibodas, lassen sich doch auch die Ein- flüsse eines nicht ganz so gleichmäßigen Klimas erkennen. Für uns ist es wichtig, dass auch hier die alten Blätter vor der Bildung der jungen Triebe absterben und dann entweder sogleich abgeworfen werden können, so dass der Baum kahl steht oder wıe häufig mit dem Austreiben des neuen Triebes abgestoßen werden. Das im Mai beobachtete Wiederaustreiben beblätterter Zweige deckt sich sicherlich mit den Johannistrieben unserer Breiten. — Der perio- dische Laubfall und das Kahlstehen der Äste unserer Richen in Tjıbodas ıst um so auffälliger, als eine andere „sommergrüne* Eiche (uercus cerris immergrün wird, indem sie ihr altes Laub grün bis zum Austreiben des neuen behält. Doch haben wır schon gesehen, dass Quercus cerris auch im südlichen Europa stets das Laub, wenn auch abgestorben, im Winter behält und somit wohl wirklich als mehr oder weniger immergrün anzusehen ist. Aus allen diesen Beobachtungen in tropischen und subtropischen Gegenden dürfte sich ohne weiteres folgern lassen, dass unsere Eichen auch unter den günstigsten Bedingungen sich nicht wie immergrüne Bäume verhalten. Ganz wie in unserem Klıma sterben in weniger als einem Jahr die Blätter ab und werden entweder gleich abgestoßen oder erst nach der stets eintretenden kürzeren oder längeren Ruheperiode beim Austreiben des jungen Laubes®). — Es ist dementsprechend zu vermuten und müsste experimentell geprüft werden, ob die oben erwähnten Eichen bestimmter euro- päischer Standorte, die ıhr grünes Laub während des ganzen Jahres behalten, nicht Varietäten sind, die sich in ihrem physiologischen Verhalten von dem der anderen mitteleuropäischen Formen unter- 6) Das ist um so bemerkenswerter, als andere Bäume, wie z. B. der Pfirsich, in wärmere Gegenden verpflanzt, sehr bald ohne Ruhepause fortwächst und gleich- zeitig unperiodisch seine alten Blätter abstößt. Vgl. Anm. 12, p. 335. Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 21 scheiden. — Wenn sie somit auch nicht als Beweis dafür gelten können, dass unsere Eichen ein immergrünes Verhalten zeigen, können sie doch als weitere Stütze dafür dienen, dass in der Orga- nisation unserer sommergrünen Eichen die Merkmale einer immer- grünen Natur verborgen liegen, die in einem physiologischen Ata- vismus immer wieder zum Durchbruch gelangt. Dass wir aber unter den Ahnen unserer Eichen immergrüne Formen zu suchen haben, wird noch wahrscheinlicher, wenn wir daran denken, wıe viele unseren Eichen nahe verwandte Formen immergrün sind. Besonders in den Resultaten einer jüngst er- schienenen pflanzengeographisch-systematischen Studie fand ich eine erfreuliche weitere Stütze für unsere aus rein physiologischen Be- obachtungen gewonnene Ansicht. Schottky sagt: „Von den immer- grünen Eichen, die eine Sommerruhe durchzumachen haben, zu den sommergrünen Arten der temperierten Gegenden, existieren alle Übergänge, aus denen man genauer die Genesis des sommergrünen Laubblattes verfolgen kann.* Und er fährt direkt fort: „Der späte Ausschlag unserer Eichen und ıhr Bestreben, im Winter das Blatt zu behalten, deuten noch auf ihre Abstammung hin.“ — Zuerst ist dieser Gedanke aber wohl von Dingler in einer Anmerkung aus- gesprochen worden: „Auch unsere Eichen haben eine gewisse Neigung zur langen Erhaltung ıhrer jüngeren Blätter und man könnte daran denken, dass dieses Verhalten und vielleicht auch die häufige Kon- servierung des abgestorbenen Laubes mit ihrer Abstammung von gewissen immergrünen Formen zusammenhängt. Der Gedanke ist um so näherliegend, als unsere Qxercus sessiliflora mit der sehr ausgeprägt halb immergrünen Formgruppe der Wuercus infectoria des Orients sehr nahe verwandt ist.“ Beide Autoren stimmen also darın überein, die Ahnen unserer Eichen unter klimatischen Be- dingungen zu suchen, die etwa denen der Mittelmeerländer ent- sprechen. Da hier ım Sommer mit hohen Temperaturen geringe Niederschläge zusammenfallen, während der Winter durch niedere Temperaturen und Regenreichtum ausgezeichnet ist, wird hier in gewissem Maße eine Winter- und Sommerruhe bedingt (vgl.v.Gutten- berg), von denen aber keine den Gang der Vegetation so völlig unterbricht, wie der Winter ın Mitteleuropa. So besitzen hier die Eichen mehr oder weniger die ledrigen Blätter der Hartlaubgewächse (Schimper), deren anatomische Beschaffenheit vielfach an typische Xerophyten erinnert und sıe geeignet macht, diese extremen Perioden zu überdauern. Sie können auch in diesen Zeiten, wenn auch herabgesetzt, funktionieren, besonders aber auch sogleich bei Ein- tritt günstiger Vegetationsbedingungen ihre volle Funktion auf- nehmen. Es lässt sich nicht verkennen, dass auch unsere Eichen in der Beschaffenheit ihrer Blätter gewisse „xerophytische“ Merk- inale aufweisen, durch die sie zur Besiedelung auch trockener Stand- 329 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. orte befähigt werden. Dennoch möchte ich zögern, sie direkt als Nachkommen der Hartlaubgewächse zu bezeichnen. Über eine dis- kontinuierliche Belaubung finde ich keine Angaben für die Pflanzen des Mittelmeergebietes. — Die Verwandtschaft des geologisch alten Eichengeschlechts reicht aber ın der Tat weiter als zu den immer- grünen Eichen mit Sommerruhe; sie geht über alle Zwischenstufen bis zu den immergrünen Eichen ım gleichförmigen Klima der Tropen (vgl. Brenner und Schottky). Wer vermag zu sagen, welche Merkmale, einst unter warmem Himmel erworben, in den Eichen unserer jetzt kalten Breiten schlummern ? — So mag auch für die Buche der Hinweis genügen, dass sie in der Gattung Notophagus immer- grüne Verwandte besitzt, ohne dass auch nur der Versuch ge- macht werden soll, festzustellen, welcher Ahnen Merkmale hier ım physiologischen Atavismus zum Vorschein kommen. Nicht das erste Mal wird von unseren Eichen und Buche eın Atavismus erwähnt. Unser Nachweis eines physiologischen Atavis- mus in den periodischen Erschemungen der Eichen und Buche erinnert daran, dass gerade sie schon früher Veranlassung dazu gegeben haben, von einem Atavismus der Pflanzen zu sprechen. Von Ettingshausen und KraSan wollen in einer Reihe Unter- suchungen den Nachweis erbracht haben, dass die zahlreichen ver- schiedenartigen Blattformen unserer Eichen und Buche aufzufassen seien als Atavısmen, als Rückschläge zu den Blättern dieser Gat- tungen vergangener Erdperioden oder auch lebender Formen. Ihre Bildung soll sowohl durch nachweisbare äußere wie innere Gründe veranlasst werden können. Diese Auffassung als Ganzes und in Einzelheiten hat manchen Widerspruch gefunden, wie z.B. von Po- tonie und Brenner, und es liegt mir fern, an dieser Stelle ihre Berechtigung diskutieren zu wollen. — Dennoch ist zu fragen, ob das Zusammentreffen des von mir angenommenen physiologischen Atavısmus und des von jenen erschlossenen morphologischen Ata- vismus bei den gleichen Pflanzen rein zufällig ıst oder ob ein innerer Zusammenhang besteht. Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, dass besonders unsere Eichen nicht nur ın ihrer individuellen Blatt- gestalt äußerst variabel sind — ich verweise hierfür auf die syste- matischen! Zusammenstellungen von Ascherson und Graebner und aus früherer Zeit auf die von Lasch — als auf alle möglichen Reize durch Umformungen der Blätter reagieren können (Brenner). Mit Recht weisen aber KraSan und Ettingshausen darauf hin, — dass wir die Entstehung dieser Neubildungen doch nur auf aus- lösende Reize zurückführen können, auf Anregungen, welche eine bereits im Organismus enthaltene Disposition gleichsam in tatsäch- liche Erscheinung umsetzen. Die Kräfte, denen die normale Form- gestaltung der Pflanzen zuzuschreiben ist, sind also bei ihnen schwankender wie sonst, und es genügt schon ein geringfügiger Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 393 Anlass zur Verdrängung der normalen Formelemente. Ihr Form- zustand ist labil und reagiert auf mannigfache Reize, wofür als weiterer Beweis nur auf die von Späth näher studierte Heterophylie der Johannistriebe hingewiesen sein mag. — Die Ähnlichkeit mit den physiologischen Erscheinungen der Periodizität ist auffallend. Auch hier neben großen individuellen Schwankungen eine starke Reaktionsfähigkeit auf äußere Einflüsse. Die normale mit den klı- matischen Faktoren in Übereinstimmung stehende Periodizität ist labil und immer wieder treten periodische Erscheinungen auf, die nicht in Übereinstimmung stehen mit dem normalen Verhalten sommergrüner Bäume. Fre wie dort hat es den Anschein, als wären wir die Zeugen eines Umwandlungsprozesses, als wäre eine ge- sicherte Norm noch nicht erreicht. — In diesem Sinne kann wohl ein Zusammenhang zwischen dem von uns erschlossenen physio- logischen Atavismus und dem von Ettingshausen und Krasan erschlossenen Atavismus der Form der gleichen Bäume bestehen. Neuerworbenes ist noch nicht in gesicherten Besitz übergegangen und kämpft mit Altererbtem, das unter geeigneten Umständen innerer oder äußerer Natur immer wieder zum Durchbruch ge- langen kann. Jahrtausende haben nicht ausgereicht, ın Eichen und Buche periodische Erscheinungen zu unterdrücken, die ihrer heutigen Um- gebung nicht zu entsprechen scheinen (diskontinuierliche Laubent- faltung) oder mit dieser notwendigerweise verknüpftes rhythmisches Geschehen (Herbstlaubfall) in gesicherten Besitz zu bringen. Es ist als wäre die Außenwelt noch nicht in völliger Harmonie zu der spezifischen Struktur der Pflanze gelangt. — Da aber, wie Berthold sagt, „die Lebensrhythmik zweckmäßig und notwendig ist für den Bestand des Individuums und der Art ın unseren Klimaten und allen anderen, die einen streng periodischen Klimawechsel zeigen“, ist die BR ne der periodischen Leibe hen en der Pflanzen mit dem periodischen Wechsel der äußeren een gungen im allgemeinen so groß, dass es äußerst schwer fällt, zu erkennen, welcher Anteil an ihrem Zustandekommen der Arteigen- tümlichkeit und welcher den jeweilig wirkenden wechselnden äußeren Kräften zufällt. — So liegt es nahe, zu versuchen, aus dem unge- wöhnlichen periodischen Verhalten der Eichen und Buche auch Fingerzeige für die Lösung des schwierigen Problems nach dem realen Zustandekommen des Vegetationsrhythmus der Bäume über- haupt zu gewinnen. — Es wird damit gleichzeitig Gelegenheit ge- geben sein, gegenüber den dem Thema entsprechend bisher bevor- . zugten ökologischen Gesichtspunkten mehr auf die kausal-entwicke- lungsmechanische Seite des Problems hinzuweisen, — 324 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. Für die Frage nach dem Zustandekommen der Periodizität ım vegetativen Leben der Bäume musste das Studium derjenigen Bäume von der größten Bedeutung sein, die im feuchtwarmen, tropischen Klima erwachsen sind, das starke periodische Schwankungen nicht zu besitzen scheint. Besonders Volkens und Klebs haben letzthın unter diesem Gesichtspunkt das periodische Verhalten der Pflanzen in Java studiert und uns mit einer Fülle von neuem wertvollen Tatsachenmaterial bereichert. Ihre theoretischen Hauptresultate er- scheinen dabei recht verschieden. Während Volk ens folgert, dass die Periodizität ın der Eigentümlichkeit der Art begründet sei, dass die Rhythmik das Primäre ıst und nur durch wechselnde äußere Einflüsse reguliert wird, meint Klebs, dass eine solche Periodizität auch hier stets nur durch die wechselnden Einwirkungen der Um- welt im weitesten Sinne bedingt sei. Bei der Erörterung der periodischen Lebenserscheinungen in den Tropen scheinen häufig die ökologische und die kausal-mecha- nische Betrachtungsweise nicht genügend scharf voneinander ge- trennt zu werden. Da die Periodizität als Anpassungserscheinung an die Umwelt unverständlich erschien, wurde ohne weiteres eın möglicher Zusammenhang zwischen Periodizität und Umwelt ge- leugnet. Andererseits wurde aus der Möglichkeit, eine solche Periodizität durch äußere Eingriffe zu verschieben oder gar aufzu- heben gefolgert, dass sie eine mehr oder weniger zweckentsprechende Reaktion auf periodisch wechselnde Einflüsse darstellen müsse. In beiden Schlussfolgerungen scheint unerlaubterweise ökologische und entwickelungsmechanische Betrachtungsweise miteinander vermengt zu sein. — Sicherlich dürfte aber auch hier, wie so oft erst das Verständnis des Ökologismus den Weg zum Verständnis des kau- salen Geschehens weisen. Kann nun wirklich, wie Berthold sagt, die Rhythmik ın den Tropen als eine mehr zufällige Erscheinung aufgefasst werden? Wozu braucht zumal in dem gleichmäßigen Tropenklima überhaupt ein Blattwechsel stattzufinden ? Die begrenzte Lebensdauer der Blätter ıst vielfach so gedeutet worden, dass es ın ıhrer Natur begründet ist, nur eine beschränkte Zeit funktionsfähig zu sein. Durch die Untersuchungen von Linde- muth, Mathuse u. a. wissen wir aber, dass die Blätter vom Stocke getrennt weit über die normale Zeit leben und funktionsfähig ge- halten werden können. Ihr frühes Absterben oder Abfallen auch ohne direkte äußere Ursache muss also auf Korrelationserscheinungen beruhen, die im periodisch wechselnden Klıma ökologisch verständ- lich erscheinen. Aber auch in den Tropen gibt es neben Bäumen mit sehr langlebigen Blättern solche, die ihr Laub oft nach sehr kurzer Zeit periodisch abwerfen. Könnten hierfür nicht auch im gleichmäßig feuchten Tropenklima Zweckmäßigkeitsgründe anderer: Art maßgebend sein? — Bekanntlich werden die Blätter sehr vieler Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 335 Bäume der Tropen von epiphytischen kryptogamen Pilzen, Algen und Flechten bewohnt. Volkens konnte, wenn andere Mittel ver- sagten, direkt das Alter einer Blattgeneration von der Stärke ihres Vorkommens ableiten. „Die 5—6 ältesten untersten Blätter waren mit einem dichten grauen Filz von Blattflechten vollkommen überzogen. Die nächsthöheren zeigten große Rasen solcher, die sich mit ihren Rändern fast berührten. Die folgende Gruppe wiesen immer kleinere Rasen auf; der zuletzt entstandene Schub endlich war frei von jeder Bedeckung, ließ Blätter mit gleichmäßig spiegelndem Glanz gewahren.“ Und Busse berichtet für das Regenwald- gebiet von Kamerun, dass fast nur die alljährlich ihre Blätter wech- selnden Gewächse frei von Epiphyllen sind. Wenn wir dann noch hören, dass gerade diejenigen immergrünen Pflanzen, die durch be- sondere Lebensdauer der Blätter ausgezeichnet sind, wie Cordyline, Jucca, Dracaenenarten epiphytenfrei sind (Fitting), muss es als eine sehr nützliche Einrichtung für diejenigen Pflanzen, die ihrer Blatt- struktur nach leichter befallen werden, angesehen werden, nach einer gewissen Zeit ihr Laub zu wechseln. Es sollte hier nur ein in die Augen springender Punkt für den Ökologismus des Blatt- abfalls im gleichmäßigen Tropenklima angeführt werden. Unzweifel- haft aber werden sich bei eingehenderer Untersuchung noch andere auffinden lassen. — Wie wird sich in einem gleichmäßigen Klıma der Blattwechsel am zweckentsprechendsten vollziehen? Anscheinend wohl so, dass der Baum ständig während des ganzen Jahres ein Blatt nach dem andern abwirft und gleichzeitig ständig fortwachsend ein Blatt nach dem andern hervorbringt. Es ıst nun in der Tat sehr auffällig, dass nach Volkens u. a. gerade unter den in den Tropen einheimischen Dikotylen recht wenige Bäume dieses Ver- halten zeigen. Auch Klebs, der, seinen Voraussetzungen ent- sprechend, sich besonders nach Bäumen mit ständig fortwachsenden Trieben umsah, scheint nur eine recht geringe Zahl gefunden zu haben. Das ist noch bemerkenswerter, wenn wir bedenken, dass im mitteleuropäischen Kliıma eine ganze Reihe von Bäumen vom Frühjahr bis zum Herbst kontinuierliches Wachstum zeigen, bis erst durch ungünstige äußere Einflüsse oft erst durch Nachtfröste ım Oktober die jungen noch zarten Triebspitzen zum Absterben gebracht werden wie bei Weiden, Pfirsich u. a. (vgl. Berthold, Späth). Werden dann solche Bäume in tropische Klimate ver- setzt, so vermögen sie zum Teil anscheinend wirklich, wie z. B. der Pfirsich, ohne Ruhepause fortzuwachsen und gleichmäßig in dauerndem Blattfall langsam die Blätter abzustoßen”). — Bei den Bäumen des gleichmäßigen tropischen Klimas ist vielmehr fraglos die diskontinuierliche Laubentwickelung die häufigere Art der Blatt- 7) Vgl.Bordage. Nach Klebs hat der Pfirsich in Buitenzorg einige kahle Äste, XXXIL. 22 396 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche, bildung, sei es, dass periodische Streckung und Ruhe an den ein- zelnen Trieben zu verschiedenen Zeiten miteinander abwechseln, sei es, dass dies mehr oder weniger gleichzeitig an dem ganzen Baum- individuum stattfindet. — Es fällt nicht schwer, auch hierin eine recht zweckentsprechende Ökologie der tropischen Bäume zu er- kennen. Ein gleichmäßiges Fortwachsen der Triebe könnte nur dann als Vorteil gelten, wenn wirklich dieses Wachstum mit der Schnelligkeit erfolgen könnte, die den auf den Vegetationspunkt direkt einwirkenden klimatischen Bedingungen der Wärme, des Lichts und der Feuchtigkeit entsprechen würde, wenn also, wie Klebs sagt, ıhre nächste Umwelt überall gleichmäßig günstig wäre und Stamm und Wurzel für alle genügendes Wasser mit den Nährsalzen herbeischaffen würde. Bei größeren Bäumen ist es aber kaum denkbar, dass der Stamm so schnell in die Dicke wächst, wie dann seine Inanspruchnahme sowohl in mechanischer wie er- nährungsphysiologischer Weise zunehmen muss. Auch muss es fraglich erscheinen, ob es den Wurzeln gelänge, entsprechend schnell neues Terrain zu erobern, um der fast in geometrischer Proportion erfolgenden Zunahme einer ungehindert fortwachsenden Laubmasse durch Wasser- und Nährsalzzufuhr zu genügen. Die von Klebs gegebene Zuwachsgröße der Triebe und Blätter erwachsener, ständig fortwachsender Bäume ist ın der Tat für die sonst bekannten Wachstumsschnelligkeiten anderer tropischer Gewächse äußerst ge- ring, und besonders auch, wenn damit die Wachstumsgeschwindig- keit junger Bäume verglichen wird. -— Wenn sich aber doch die Produktionsfähigkeit der Triebe als Teile des Baumganzen nicht zu ihrer vollen Stärke entfalten darf, kann noch auf andere Weise eine zweckentsprechende Produktionsbeschränkung erzielt werden. Statt des verlangsamten kontinuierlichen Wachstums tritt die rasche Laubentfaltung, aber ım diskontinuierlichen Wachstum mit perio- dischem Wechsel von Ruhe und Entfaltung, während solcher Wechsel nach Klebs bei den Sträuchern nicht einzutreten pflegt. Da nun die Erfahrung lehrt, dass dieser Weg von den meisten Bäumen bevorzugt wird, muss nach seinen Vorzügen gefragt werden. Pfeffer weist darauf hin, wie notwendigerweise jedes Entwickelungsstadium durch verschiedenartige chemische Umsetzungen bedingt sein muss, eine Anschauung, die auch durch die neueren experimentellen Unter- suchungen Berthold’s und Klebs’ bestätigt werden. Es lässt sich durchaus einsehen, dass der Ablauf aller dieser verschiedenen Um- setzungen ein viel geregelterer und zweckentsprechenderer sein muss, wenn er sich hintereinander, als wenn er sich nebeneinander voll- zieht, wenn etwa einmal die Produktion und Speicherung der Assi- milate das chemische Getriebe beherrscht, das andere Mal das Wachstum und die Produktion neuer Körpersubstanz. Ich verweise hierfür nur auf die Beobachtung von Volkens, nach dem bei Ficus Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 397 fulva kurz vor und während des Treibens ein gewaltiger Wurzel- druck aus allen alten Wunden das Wasser hervortreten lässt, dann aber der Saftstrom, sowie die Blätter erwachsen sind, sofort auf- hört. Nur hingewiesen mag darauf sein, dass in gleicher Weise auch eine periodisch mit dem vegetativen Wachstum abwechselnde Blütenbildung, wie sie vielfach bei tropischen Bäumen festzustellen ist, vorteilhaft sein muss. — Neben diesen in der Organisation liegenden Vorteilen ist es aber auch klar, dass beim diskontinuier- lichen Wachstum ganz anders die kleinen stets vorhandenen Schwan- kungen der klimatischen Bedingungen ausgenutzt werden können. Wenn nach einer Ruhepause eine erneute Blattentfaltung einsetzen soll, können hierfür Tage stärkerer Niederschläge oder vielleicht auch stärkerer Nährstoffzufuhr benutzt werden. — Alle dıe mannig- fachen, von Volkens und Klebs aufgedeekten Übergänge zwischen dem langsamen kontinuierlichen Wachstum bis zu dem schnellen stoßweisen Treiben erscheinen unter diesem Gesichtspunkt ökologisch verständlich. Während die Beschränkung der Blattproduktion bei der einen Baumart noch durch das während des ganzen Jahres unregelmäßig hier und dort erfolgende Aussetzen des an und für sich verlangsamten Wachstums erfolgt, wechselt in anderen Fällen eine Ruhepause und darauffolgendes schnelles Treiben von Ast zu Ast oder vollzieht sich gleichzeitig am ganzen Baum, je nach der Art in kürzeren oder längeren Pausen, die sich bis auf Jahresfrist oder vielleicht noch länger ausdehnen können. So ıst es auch ökologisch verständlich, dass dıe jungen Pflanzen vieler Bäume "mit nicht ausgeprägt diskontinuierlicher Wachstumsweise anfänglich, wofür Klebs zahlreiche Beispiele gibt, kontinuierlich wachsen und sich erst später, wenn die Blattproduktion eingeschränkt werden muss, das periodische Wachstum einstellt. Stockausschläge und gut ernährte untere Äste können sich dabei wie junge Pflanzen verhalten. Bei Bäumen mit sehr ausgeprägtem diskontinuierlichen Wachstum kann dies aber eine so ausgesprochene Eigenschaft ihrer Organisation sein, dass sie schon bei jungen Pflanzen, trotz günstigster Ernährung, ein deutliches Schwanken der Wachstumsintensität gel- tend macht, wenn auch hier dıe Periode der Ruhe gegenüber der der wachsenden Bäume erheblich abgekürzt sein kann. Ein sehr charakteristisches Beispiel sind neben dem von Klebs studierten Theobroma Cacao die von Huber beschriebenen einjährigen Exem- plare von Hevea Brasiliensis. Diese trieben in Para während der Regenzeit fünfmal aus. Der Trieb braucht zu seiner Entfaltung etwa 30 Tage, worauf dann eine Ruhezeit von etwa 10 Tagen eın- tritt. Ältere Exemplare dagegen treiben nur ein- oder zweimal im Jahre aus. — Das Verständnis der Ökologie des diskontinuierlichen Wachs- tums dürfte nun in der Tat den Weg zeigen, die kausalen Zu- DI* a 398 Maenus, Der physiolorische Atavismus unserer Eichen und Buche. Oo ) I ‘ © sammenhänge aufzuklären, die das Zustandekommen dieser Perio- dizität ermöglichen. Aus dem Bisherigen dürfte mit Sicherheit zu folgern sein, dass die Bäume der Tropen in verschiedenem Grade die ın ihrer Organisation begründete Disposition besitzen, ihren Vegetationspunkt in einen Ruhezustand überzuführen; oder anders ausgedrückt, die strukturelle Befähigung auf entsprechende Reize mit einer Wachstumsstockung zu reagieren. Während bei den einen die Reaktion der Wachstumsstockung nur durch einen stärkeren Mangel in der Zufuhr sei es des Wassers, sei es der Nährsalze ausgelöst wird, genügt bei den anderen hierzu vielleicht eine sehr geringe Verminderung der Nährsalze und bei der dritten wird schon die Hemmung im Vegetationspunkt der Achse durch eine von den jeweiligen nern Umständen unabhängige Gegenreaktion gegen das Wachstum bewirkt. In diese lien) Kategorie rangieren augen- scheinlich Eichen und Buchen. Denn wie wir sahen, tritt ah bei jungen Pflanzen die Wachstumshemmung unabhängig von direkten äußeren Einflüssen auch bei günstigsten Ernährungsbedingungen ein, um nach einiger Zeit von neuem Treiben abgelöst zu werden. Es liegen hier also unzweifelhaft von äußerem periodischen Geschehen ganz unabhängige periodisch eintretende Vorgänge vor, die auf inneren Bedingungen beruhen. — Gelingt es nun noch weiter, in diese Bedingungen einzudringen? Während sich Pfeffer damit begnügen zu müssen glaubt, darauf hinzuweisen, dass hier chemische Wechselbeziehungen maßgebend sein müssen, sınd eingehendere Betrachtungen über die Frage, welche Wechselbeziehungen (Korre- lationen) ın der Pflanze speziell die Wachstumshemmung im Vege- tatıonspunkt hervorrufen könnten, von Berthold, Jost und Klebs angestellt worden. Als das Wahrscheinlichste muss von vornherein angesehen werden, „dass das Treiben eines neuen Blattschubs und die erste Zeit der Tätigkeit eben ausgewachsener Blätter eine Hem- mung in dem Vegetationspunkt der Achse herbeiführt“ (Klebs). — n dieser Richtung könnten Späth’s Beobachtungen an ım Dunkeln unter günstigsten ann son er snde Eichen ge- deutet random, An den etiolierten Trieben war die esislliirne der Blätter stark reduziert und dafür das Stengelwachstum sehr gefördert. In der Wachstumshemmung der Vegetationspunkte ver- hielten sich nun die untersuchten Exemplare sehr verschieden. Während bei den einen deutlicher Knospenschluss und darauf- folgende einmonatliche Ruhe eintrat, unterblieb bei den anderen die Ausbildung der Knospenschuppen und es trat nur eine etwa eine Woche dauernde Wachstumsstockung ein. Bei einer dritten Gruppe schließlich unterblieb die vollkommene Hemmung des Vege- tationspunktes ganz und nur die Verkürzung der Internodien weist noch auf die Stelle hin, wo die Ausbildung des neuen Blattschubs einsetzte. Also auch bei der durch das Etiolement sehr gestörten Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 399 Korrelation war die Disposition des Vegetationspunktes zu einer Wachstumsstockung so stark, dass sie sich auch im extremsten Fall nicht ganz unterdrücken ließ. Hieraus aber und aus den Be- obachtungen an einem wohl gleichfalls mehr oder weniger etiolierten ohne Wachstumspause fortwachsenden Trieb von Petraea mit hin- fälligen Blättern (Klebs) einen sicheren Beweis zu sehen für die bekannte Beziehung zwischen Blatt und Sprosswachstum möchte ich zögern, da erst festgestellt werden müsste, ob nicht der Licht- mangel den Vegetationspunkt direkt beeinflusst. — Was uns aber hier schließlich interessiert, ist ja nur, wie schwer sich bei der Eiche auch bei Ausschaltung der normalen Korrelationen die Disposition der Hemmung unterdrücken lässt, wie groß die Reaktionsfähigkeit auch auf einen nur schwachen korrelativen Reiz sein muss. So kann es auch durchaus dahingestellt bleiben, ob die von Berthold und Klebs verteidigte Hypothese, dass die Nährsalzentziehung der wachsenden Blätter das Hauptmoment der korrelativen Vegetations- punkthemmung ist, als richtig anzusehen ist. Bei Eiche und Buche allerdings gelingt es nicht, auch bei der extremsten Zuführung von Nährsalzen unter den günstigsten Wachstumsbedingungen diese Hemmung aufzuheben. Und wenn, wie gleichfalls Späth zeigte, bei Stockausschlägen an jungen und alten Pflanzen ein Knospen- schluss nicht eintritt, wenn auch die Internodienlängen einen sehr unregelmäßigen Verlauf nehmen, so vermag ich darin nur zu er- kennen, dass, wie so oft bei Regenerationsprozessen die zur nor- malen Formgestaltung führenden korrelativen Hemmungserschei- nungen ausgeschaltet sind, ohne dass wir vorläufig im allgemeinen imstande sind, näher die einzelnen Reizvorgänge zu analysieren. — Auch über diejenigen Korrelationen, welche periodisch bei den Bäumen der Tropen nach einer Ruhepause die Wiederaufnahme des, Wachstums bedingen, dürfte die nach Klebs’ Untersuchungen zumeist nach Fortnahme der Blätter regenerativ eintretende Blatt- entfaltung keinen sicheren Rückschluss gestatten. — Ganz wie bei der Wachstumshemmung wird vielmehr bei ihrer Aufhebung je nach der spezifischen Reaktionsfähigkeit vielleicht einmal eine ge- ringe erneute Zufuhr von Wasser und Nährsalz genügen, ein ander- mal ein erheblicher „Druck“ notwendig sein oder schließlich kom- pliziertere Korrelationsvorgänge. Dazu kommt, dass nach den Untersuchungen von Goebel, Johannsen, Jost u. a. der momen- tane physiologische Zustand der ruhenden Knospe einheimischer Bäume für ihre Wiedererweckung wesentlich mitspricht, dass also ihre Reaktionsfähigkeit erheblichen Schwankungen ausgesetzt ist. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass auch in den Tropen bei einem bestimmten physiologischen Zustand der Vegetationspunkte mancher Bäume ein Nährstoffzufluss nicht zur Knospenentfaltung genügt, welcher zu einer anderen Zeit hierzu vollkommen genügen 390) Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. würde. Bei Eiche und Buche sehen wir wenigstens, dass bei reich- lichster Darbietung von Nährsalzen unter den günstigsten Wachstums- bedingungen die Ruheperiode zwar nicht aufgehoben, aber deutlich abgekürzt werden kann. Erst von einem bestimmten physiologischen Zustand der Knospe au wird sie für die gesteigerte Nährsalzzufuhr reizempfindlich. Dass etwa eime stärkere Inaktivierung der für das Wachstum notwendigen Enzyme und dadurch bedingte ausge- prägtere Wachstumshemmung Hand in Hand mit der Speiche- rung der Assimilate geht (Berthold und ebenso Klebs) ist denkbar. Nicht mit den Tatsachen in Übereinstimmung ist aber, wenigstens bei der Eiche und Buche, die Vorstellung von Ber- thold, dass deshalb bei jugendlichen Individuen leicht ein zweiter oder dritter Trieb gebildet wird, weil noch kein genügender Vorrat an Reservematerial angesammelt ıst. Weder hier noch bei den tropischen Pflanzen vermögen wir zu sagen, durch welche kom- plizierten Korrelationsvorgänge der physiologische Zustand der ruhenden Knospe unabhängig von unmittelbaren äußeren Einflüssen eine Änderung erfährt. Noch undurchsichtiger werden aber die kausalen Bedingungen der periodischen Blattentfaltung in den Tropen dadurch, dass sie im normalen Entwickelungsgang vielfach, wenn auch nicht bei allen Bäumen, mit dem periodischen Abstoßen des Laubes verknüpft ist. Es existieren, wie besonders Volkens zeigt, alle Übergänge von den Bäumen, die neben einem diskontinuierlichen Treiben während des ganzen Jahres ziemlich gleichmäßig die Blätter abwerfen, zu solchen, bei denen oft periodisch Treiben und Blattfall miteinander verknüpft sind bis zu solchen, wo mit dem periodischen Treiben ein teilweiser oder vollständiger Blattabfall verbunden ist. — Auch der Ökologismus des periodischen Laubfalls in den Tropen ist ver- ständlich. Auf diese Weise kann die für die Organisation des Baumes passende Blattmasse, die durch den neuen Schub unver- hältnismäßig gesteigert würde, auf der notwendigen Höhe gehalten werden. Es können aber auch die aus den absterbenden Blättern vor ihrem Abfall zurückwandernden wichtigen Nährstoffe zum Auf- bau der Blätter des neuen Schubs alsbald Verwendung finden. — Im einzelnen kann der periodische Laubfall während der Entfaltung der neuen Blätter stattfinden, der häufige Treiblaubfall der immer- grünen Pflanzen, oder kurz vor dem erneuten Treiben. Es finden sich auch alle Übergänge zwischen solchen Bäumen, welche perio- disch den einen Schub des diskontinuierlich getriebenen Laubes abwerfen, zu solchen, welche eine Generalreinigung (V olkens) einer /Zweiggruppe vornehmen, zu solchen, welche überhaupt alle Blätter abwerfen und dann für kurze Zeit kahl stehen können. Hierdurch hat wiederum die Pflanze Gelegenheit, sich in einem gewissen Spiel- raum klimatische Schwankungen nutzbar zu machen, etwa in Zeiten Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 351 stärkerer Trockenheit oder Nahrungsmangels sich früher als not- wendig der älteren Blätter zu entledigen oder bei im allgemeinen kurze Zeit kahl stehenden Bäumen diese Ruheperiode zu ver- längern. — Unter diesen und den oben erwähnten Gesichtspunkten, die den Ökologismus des tropischen Blattwechsels aufklären, dürfte aber auch wiederum die kausal-mechanische Seite des Problems in Angriff zu nehmen sein. — Da auch die Blätter vieler tropischer Bäume ein für die einzelne Art verschiedenes Alter nicht über- dauern, ändert sich offenbar mit dem Alter aus inneren, bisher nicht näher analysierbaren Korrelationen ihr physiologischer Zustand, oder, wie es bei der Darstellung der periodischen Erscheinungen der Eichen und Buche genannt wurde, ihre Disposition zum Ab- fallen. Der physiologische Zustand braucht naturgemäß nicht un- abänderlich aus der Konstitution des Blattes allein zu folgen, sondern kann wiederum korrelativ von der Stellung im Baum- system abhängen, etwa so, dass von den Blättern jugendlicher Pflanzen oder von Stocktrieben die zum Abfallen geeignete Re- aktionsfähigkeit später erreicht wird. Das wäre dann damit zu ver- gleichen, dass auch der Sonnenblattypus der Blätter, die Schramm auf meine Veranlassung untersuchte und wie es von Nordhausen bestätigt wurde, sich erst von einem bestimmten Alter der Bäume an bildet, welche Korrelation an tropischen Laubblättern nach meinen bisher nicht veröffentlichten Untersuchungen noch viel aus- gesprochener auftritt. Von dem jeweiligen physiologischen Zustand der Blätter wird es also neben der allgemeinen Reaktionsfähigkeit der Art abhängen, wie stark die den Blattfall direkt auslösenden Reize sein müssen. — Dingler gebührt das Verdienst, experimentell bewiesen zu haben, dass das Alter der Blätter auch bei tropischen Bäumen bei dem Zustandekommen des Laubfalls mitwirkt. Er ent- laubte in Ceylon Ende Oktober Bäume, die normalerweise im Fe- bruar oder März ihr Laub abwerfen. Sie wurden hierdurch noch vor der Trockenzeit zur regenerativen Bildung neuen Laubes ange- regt. Diese Blätter fielen dann ın der Trockenzeit nicht ab. — Es wäre aber verfehlt, zu folgern, dass somit auch der zu Beginn der Trockenzeit bei vielen Bäumen einsetzende Laubfall von äußeren Einflüssen unabhängig ist; vielmehr zeigt der Versuch nur, wie Klebs richtig sagt, dass die neugebildeten Blätter sich in einem anderen Zustand befinden als die lange vorher gebildeten Blätter. Damit ist aber noch nicht etwa der Beweis erbracht, dass „junge Blätter mehr Trockenheit aushalten als die alten“, vielmehr nur, dass ältere Blätter sich in einem physiologischen Zustand befinden, der sie für die zur Blattablösung führenden Reize reaktionsfähiger macht. — Bei den Eichen und Buche wechselt nun die Disposition zum Blatt- fall von Individuum zu Individuum. Die Aufnahmefähigkeit der Blätter für den klimatischen Reiz im Herbst kann genügend sein, 302 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. die Trennungsschicht in Wirksamkeit treten zu lassen, braucht es aber nicht, und diese bleibt dann, wohl im Zusammenhang mit der sonstigen winterlichen Periode relativer Ruhe, bis zum Frühjahr unverändert. Dennoch überschreitet auch bei den Eichen und Buche die Lebensdauer der Blätter nicht eine bestimmte Grenze. Die Disposition zur Ausbildung der Trennungsschicht nımmt zu und ın dem gleichmäßigen Klıma von Tjıbodas braucht es vielleicht schließ- lich nur einer unmerklichen klimatischen Schwankung, die Blätter zum Abfallen zu bringen. Dabei werden sich die durch die Stellung des Zweigsystems bedingten geringen Verschiedenheiten der Dis- position?) deutlicher geltend machen können und bewirken, dass im Laufe weniger Jahre die gleichmäßige Periodizität der Zweige, die bei uns durch die starke Reizwirkung ım Herbst reguliert wird, verloren geht. Man kann dann in der Tat sagen, die Periodizität seı vom Stamm abgerückt und auf die Zweige übergegangen. Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, wie ein entsprechendes kausales Geschehen bei den tropischen Bäumen anzunehmen ist, die eine zeitlich getrennte Periodizität in ihren einzelnen Zweigen aufweist. Bei den Eichen und Buche steht schließlich der Laubfall im Frühjahr ın engster Beziehung zum Austreiben der Knospen und auch bei den tropischen Bäumen existiert vielfach dieser hier öko- logisch verständliche Zusammenhang. Dadurch kompliziert sich aber die Frage nach der direkten Mitwirkung äußerer Einflüsse er- heblich. Denn alle die Faktoren, die für die Neuentfaltung der Triebe in Betracht kommen, können durch gleichzeitige korrelative Wirkungen den Laubfall beeinflussen und umgekehrt. Es wird im einzelnen oft sehr schwer zu entscheiden sein, welche von den beiden in Wechselwirkung stehenden Vorgänge, Laubfall oder Treiben ım kausalen Geschehen als das Primäre anzusehen sind, wenn sich auch schon aus den von Klebs und Volkens beschriebenen Er- scheinungen unschwer sowohl für das eine wie für das andere Bei- spiele ableiten ließen. — Für Eiche und Buche dürfte wohl das durch die klimatischen Bedingungen neu erweckte Treiben im Früh- jahr als der primäre Vorgang angesehen werden. Dass aber auch hier für den Reizerfolg der physiologische Zustand der Blätter ıhre periodisch eintretende Reaktionsfähigkeit die notwendige Vor- bedingung ist, folgt daraus, dass mit dem Johannistrieb ein Blatt- fall nicht verknüpft ist. — Sehr lehrreich für das Verständnis des Zustandekommens des Blattfalls ist auch das von Heer beschriebene Verhalten der Buche in Madeira. Obgleich dort das Laub ohne Frosteinwirkung im Herbst vergilbt, erreicht doch die Reizwirkung 8) Über solche Verschiedenheiten in der Periodizität im Zweigsystem bei anderen einheimischen Bäumen vgl. auch Berthold, p. 250. Maenus, Der physiolorische Atavismus unserer Eichen und Buche. 333 gnus, ph) g bei der geringen Disposition der Blätter zum Abfallen ım Herbst nicht die genügende Stärke und erst beim Austreiben der neuen Blätter im Frühjahr wird die Trennungsschicht zur Wirksamkeit angeregt. Aus diesen Erörterungen dürfte ohne weiteres folgen, dass zwischen dem kausalen Zustandekommen des periodischen Wachs- tums der Eichen und Buche und der- tropischen Pflanzen engste Beziehungen vorhanden sind. — Ganz allgemein gesagt, ist das dis- kontinuierliche Wachstum der Bäume ım gleichförmigen Tropen- klima und der vielfach mit ıhm verknüpfte Laubfall bedingt durch die in ihrer Organisation begründete, eigentümliche Reaktionsfähig- keit ihrer Organe auf äußere Reize°). Es resultiert auch hier aus dem Zusammengreifen dieser „autogenen“ und der unmittelbar wir- kenden „aitiogenen“ Vorgänge, wie Pfeffer sagt, das reale Ge- schehen in der Natur. — Die autogenen Vorgänge, speziell der periodische Wechsel der Reaktionsfähigkeit resp. des physiologischen Zustandes der Organe lässt sich zum Teil durch Wechselwirkungen (Korrelationen) zwischen ihnen, wie besonders Klebs gezeigt hat, dem Verständnis näher bringen. Es liegt daher keine Veranlassung vor, für das Zustandekommen dieser Periodizität einen merkwürdigen, in der spezifischen Struktur des Plasmas etwa gelegenen Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung anzunehmen. Daher ist die Perio- dizität auch durch äußere Einflüsse in gewissen Grenzen veränder- lich und durch starke Störungen der inneren Beziehungen des Baumorganismus sogar unter Umständen aufhebbar. Da diese inneren Beziehungen aber einen wesentlichen Teil der Arteigentümlichkeit des Baumes ausmachen, kann man auch sagen, es ist in der Organi- sationseigentümlichkeit vieler tropiıscher Bäume begründet, ohne äußere periodisch wirkende Einflüsse diskontinuierliche periodische Wachstumserscheinungen zu zeigen. — Es gibt also in der Tat bei den tropischen Bäumen ebenso wie zum Teil bei Eichen und Buche eine von dem direkt wirkenden Wechsel äußerer Einflüsse ganz unabhängige Periodizität, dieauch nicht als Nachwirkung früherer periodisch wechselnder äußerer Einflüsse aufgefasst werden kann. — Damit ist natürlich nicht die Frage beantwortet, auf welche Weise ohne periodisch wechselnde klimatische Einflüsse eine solche Periodizität entwickelungsmechanisch zustande kommen kann. Die Erörterung dieses Problems erscheint aber so untrennbar verknüpft mit dem allgemeinen Problem der Pflanzenentwickelung, dass hier füglıch 9) So konnte auch Schröder an einem anderen Beispiel, bei einer auf meine Veranlassung gemachten Untersuchung an den Hölzern einheimischer Pflanzen, die in den Tropen gewachsen waren, zeigen, dass auch die Bildung der Jahresringe in gleicher Weise sowohl von der Arteigentümlichkeit wie von den äußeren Reizen abhängig ist. 354 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. darauf verzichtet werden kann!®). Klebs Untersuchungen haben uns auch in dieser Hinsicht jedenfalls wertvolle Fingerzeige für die „Relation zwischen Außenwelt und innerer Struktur“ geliefert. — Da die periodischen Wachstumserscheinungen der tropischen Pflanzen ebenso nützliche Ökologismen darstellen wie die perio- dischen Erscheinungen der Pflanzen mit periodischem Klimawechsel, können jene in gleicher Weise in einem periodischen Klıma öko- logisch unpassend sein, wie diese in einem gleichförmigen Klima. Das diskontinuierliche Wachstum ebenso wie der mit der Blatt- erneuerung verknüpfte Laubfall für Eiche und Buche muss als eine für unser Klıma ungeeignete periodische Wachstumserscheinung angesehen werden, genau so wie die winterliche Ruheperiode der Eichen und Buche in Madeira. — Die merkwürdige Periodizität der Eichen und Buche dürfte aber noch für die Lösung eines anderen Problems nicht unwichtig sein, nämlich für die Frage nach der Entstehung dieser Periodizität im Laufe der Phylogenese. Wie ist der ın der jetzigen Reaktions- weise der Arten zum Ausdruck kommende Ökologismus entstanden? oder wie es Detto nennt: wie haben wir uns die Ökogenese vor- zustellen? Berthold hat dafür folgende Antwort gefunden: „So haben wir Grund anzunehmen, dass auch die Periodizität der Ent- wickelung ım Laufe des Jahres und die dieser entsprechenden Örganısationsverhältnisse und ebenso auch die für den ganzen Lebenslauf des Organismus geltende Periodizität sich herausgebildet haben unter dem Einfluss von Nachwirkungen auf den Gang der klimatischen Faktoren und der kausalen Existenzbedingungen, und es würde also der ganzen Ausbildung derselben nach Organisation und Ausstattung mit Reservesubstanzen in ganz bestimmter Weise die Erlebnisse des Individuums und bei Samen auch die einer Reihe von Generationen fixiert und gewissermaßen gespeichert sein. In beiden würden wir sozusagen den Niederschlag all dieser Einwir- kungen zu sehen haben.“ — Da nun die Erscheinungen der Perio- dizität im wesentlichen zurückgeführt wurden auf die spezielle ın der Arteigentümlichkeit begründeten Reaktionsfähigkeit der Organe auf äußere Reize folgt, dass Berthold eine erbliche Änderung dieser Reaktionsfähigkeit und zwar eine gerichtete Änderung infolge äußerer Reize annimmt. Solange aber hierfür ein experimenteller Nachweis nicht erbracht ist, haben wir um so weniger Ursache, seine Richtigkeit anzunehmen, als ich!!) zeigen konnte, dass die angeblichen Beweise einer solchen „Vererbung erworbener Eigen- schaften“, die Engelmann und Gaidukov aus der Farbenverände- rung der Oscillarien haben führen wollen, auf falschen Deutungen 10) Vgl. Klebs, Pfeffer, Driesch. 11) Magnus und Schindler. Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. 35 beruhen. Auch Klebs Untersuchungen über die Vererbung künst- lich hervorgebrachter Blütenanomaliıen scheinen mir durchaus nicht für eine Vererbung in bestimmter Richtung veränderter Reaktions- fähigkeit zu sprechen. — Es gibt aber auch direkt Beispiele, in denen Bäume während langer Zeit den Einflüssen des periodischen Klımas ausgesetzt sind, und auf die sie mit periodischen Wachs- tumserscheinungen reagieren, welche aber, sobald sie in das gleich- mäßige Tropenklima versetzt sind, eine deutliche Periodizität nicht mehr erkennen lassen, wie etwa der Pfirsich!?) oder wie es von Klebs an zahlreichen Stauden experimentell nachgewiesen wurde. — Um so merkwürdiger ıst, dass dennoch Klebs mehr oder weniger die Anschauung Berthold’s teilt. Eichen und Buche zeigen nun aber, dass die Erwerbung einer gesicherten zweckentsprechenden Periodizität, wenn eine geeignete Reaktionsfähigkeit auf die Reize der wechselnden klimatischen Ver- hältnisse nicht vorhanden ist, auch in einem sehr langen Zeitraum nicht zu gelingen braucht und zeigen gleichzeitig, dass die völlige Auslöschung unzweckmäßiger Periodizitäten, die in der Arteigen- tümlichkeit begründet sind, nicht weniger schwer fällt. — Vielmehr deutet das ganze morphologische Verhalten dieser Bäume darauf hin, dass sich unter unseren Augen in kleineren oder größeren un- gerichteten sprungweisen Veränderungen der Reaktionsfähigkeit eine Umwandlung der Art vollzieht. Nicht das periodische Klima ruft durch eine direkte Einwirkung auf das Plasma eine spezielle Re- aktıonsfähigkeit für diese Periodizität hervor, sondern diese muss erst, wie irgendeine andere morphologische oder physiologische Eigenschaft der Art erworben werden. Dabei ist es dann wohl möglich, dass, wie Haberlandt meint, diejenigen Pflanzen am ge- eignetsten sind, die im periodischen Klima notwendige Periodizität zu erwerben, die bereits in den Tropen eine, wie wır sahen, gleich- falls zweckentsprechende, aber dort vom direkten periodischen Klima- wechsel unabhängige Periodizität besaßen. Botanisches Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. Literatur. Berthold, G. Untersuchungen zur Physiologie der pflanzlichen Organisation. II. Leipzig 1904. 12) Bordage hat das Verhalten von aus Frankreich nach R&union einge- führter Pfirsichpflanzen näher untersucht. Er stellte entsprechend früheren Beob- achtungen fest, dass der periodische Gesamtblattfall ziemlich bald verloren geht. — Irrtümlicherweise sieht er dies als einen Beweis für die Vererbung erworbener Eigenschaften an. Seine Beobachtungen zeigen aber nur, dass der durch äußere Einflüsse hervorgerufene Jahresrhythmus sehr rasch ausklingt. Angaben über die Lebensdauer der Blätter fehlen. Das wichtigere Verhalten tropischer Sämlinge aus den in Reunion und in Frankreich geernteten Samen wird nur ganz kurz ange- deutet. Etwaige Unterschiede lassen aber auch hier eine ganz andere Deutung als die „Vererbung erworbener Eigenschaften“ zu. 356 Magnus, Der physiologische Atavismus unserer Eichen und Buche. Bordage, Edm. A propos de l’heredit& des caracteres acquis. Bull, scient. de la Fr. et de la Belg., 7 ser., T. 24, 1911. Brenner. Klima und Blatt bei der Gattung Quereus. Flora, 1902. Büsgen, M. Bau und Leben unserer Waldbäume. Jena 1897. Busse, W. Über das Auftreten epiphyllischer Kryptogamen im Regenwald von Kamerun. Ber. d. deutsch. bot. Ges. 23, 1905. Dingler, H Über das herbstliche Absterben des Laubes von Carpinus Betulus an geschneidelten Bäumen. Ber. d. deutsch. bot. Ges. 24, 1906. — Versuche über die Periodizität einiger Holzgewächse in den Tropen. Sitz.- Ber. 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Vor kurzem habe ich den Nachweis geführt!), dass die Durch- lässıgkeit der lebenden Plasmahaut, gemäß ıhrer Gelnatur, für Kol- loide durch die Teilchengröße der Sole (Dispersitätsgrad, spezi- fische Oberfläche) bestimmt wird. Diese Rolle des physikalischen Spannungshäutchens des Protoplasten entsprach also genau der eines Ultrafilters, von welchem die Teilchen der Sole je nach der „Konzentration“, also Porenweite des Filtergels, durch- gelassen oder zurückgehalten werden. Diese einfachen physikalischen Beziehungen traten rein, vor allem von Adsorptionserscheinungen ungestört, zutage, wenn die Sole in genügendem Überschuss ver- wendet wurden. Ich hatte in jener Arbeit als Sole wegen ihres leichten Nach- weises ın der Zelle die wässerigen „Lösungen“ einer großen An- zahl von Anilinfarbstoffen verwendet, bei denen die Dispersität den gesamten weiten Bezirk zwischen groben Suspensoiden bis nahe zu iondispersen Lösungen umfasst. Da ferner zu diesen Verbindungen, je nachdem der Farbstoff das Kation oder Anıon bildet, sowohl positiv wie negativ geladene Kolloide gehören, erschien es mir zur Begründung der entwickelten Auffassung nicht nötig, noch andere Kolloide in meine Veröffentlichung einzubeziehen, um so weniger, als mir bereits einige Versuche mit nichtpermeierenden zelleigenen Kolloiden, wie Gerbstoffen, Saponinen, Anthocyanverbindungen, Inulin u. s. w., wie nicht anders zu erwarten war, die Gültigkeit der gefundenen Gesetzmäßigkeiten auch für diese dargetan hatten. Wenn nun auch demnach diese zelleigenen Kolloide für das kapillarchemische Verständnis der Plasmahaut kaum wesentlich Neues bieten dürften, so wird doch für die Beurteilung ihrer Lei- tung, Speicherung, event. ihres ganzen physiologischen Verhaltens das genauere Studium ihrer Diffusibilität in Gelen erhebliche Be- deutung haben. Es ist indessen nicht meine Absicht, im folgenden Näheres in dieser Richtung mitzuteilen. Vielmehr wandte sich mein Interesse nach Aufdeckung der Ultrafilternatur der lebenden Plasmagrenzhäute an Pflanzenzellen vor allem dem Verhalten der Enzyme zu, da dieses weit mehr 1) „Studien über die Aufnahme von Kolloiden durch die pflanzliche Plasma- haut“ (Jahrb. f. wiss. Botan. 51. 1912, S. 376). 338 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. als die spezielle Kapillarchemie der übrigen zelleigenen Kolloide von zellphysiologischer Bedeutung sein musste. Die besondere Schwierigkeit, welche das chemische Getriebe der Zelle auch nach Auffindung der zahlreichen Enzyme dem phy- siologischen Verständnis von jeher bot, lag vor allem in der ver- wirrenden Mannigfaltigkeit, dem lokalen und zeitlichen und doch anscheinend ungestörten Nebeneinanderlaufen der verschiedenen, ohne Zweifel z. T. antagonistischen Einzelreaktionen. (Gerade dieses Problem hat bekanntlich Hofmeister?) vor einigen Jahren zum Gegenstand einer anziehenden Darstellung ge- ma a und ist hierbei auf Grund unserer bisherigen Kenntnisse und aus vorwiegend theoretischen Erwägungen heraus zu Vor- stellungen gelangt, die seither in vielen die Enzymwirkungen zu- sammenfassend betrachtenden Arbeiten Beifall — von manchen Autoren allerdings nicht uneingeschränkten — gefunden haben’). Demzufolge dürfte es sich wohl empfehlen, ın den nachfolgenden Zeilen, die in aller Kürze die gleiche Frage behandeln sollen, an die Hofmeister’sche Darstellung anzuknüpfen, wozu sie auch durch ihre Prägnanz besonders geeignet erscheint. Wenn wir von demjenigen uns hier weniger interessierenden Teil der Ausführungen Hofmeister’s absehen, welche die kata- lytische Natur der Enzymreaktionen ın ihrer physiologischen Be- deutung behandeln, so können wir zwei Hauptpunkte in jener Dar- Selling hervorheben: Beide betreffen die Kolloidnatur der Enzyme, und zwar wird ihre Bedeutung einmal darin gefunden, dass die letzteren als die chemischen Mittel der Zelle durch sie vor einer Ausschwemmung durch den die Zelle stetig durchsetzenden Diffusions- strom sichergestellt werden. Ferner ist aber auch die aus allge- mein chemischen Gründen zu fordernde speziellere Lokalisierung der einzelnen Enzyme innerhalb des Protoplasten nach Hofmeister aus ihrer Kolloidnatur in Verbindung mit der besonderen Struktur des Protoplasmas zu folgern. Beide Hauptpunkte haben also, wie man sieht, im Grunde das Problem der diosmotischen Eigenschaften des Plasmas für Enzyme zum Gegenstande, dessen Wichtigkeit in der Tat nicht überzeugender dargetan werden kann, als es von Hofmeister an jener Stelle geschieht. Wir werden im folgenden öfter Gelegenheit nehmen, auf seine Ausführungen ım einzelnen einzugehen. Zunächst aber, und namentlich um unsere eigenen Anschauungen zu begründen, ist es geboten, das genannte Grundproblem etwas näher zu erörtern. 2) „Die chemische Organisation der Zelle‘ (Naturwiss. Rundschau, 1901). 3) Vgl. zu dieser Frage u. a. Czapek, „Biochemie der Pflanzen“, Bd. I, S. 35; Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., S. 13; M. Jacoby, > Stoffwechsel: der Zelle“ (Oppenheimer’s Handb. d. Biochem. II [1908], 11); Höber, „Physikalische Chemie der Zelle und Gewebe‘, 3. Aufl., S. 619). Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 399 Was zunächst überhaupt die Kolloidnatur der Enzyme anbe- langt, so wird sie wohl meist als feststehend angenommen. Oppen- heimer*) sieht darin sogar das Einzige, was über die Natur der meisten Fermente mit Sicherheit ausgesagt werden kann. In der Tat dürfte das für alle zweifellos als solche charakterisierten En- zyme Geltung haben. Auf die Tatsachen, welche im einzelnen dafür sprechen und ın Anspruch genommen worden sind, alle ein- zugehen, würde hier zu weit führen. Es muss deshalb auf die bekannten Sammelwerke verwiesen werden. Freilich bleibt eine kritische Durcharbeitung dieses schwierigen Kapitels wohl immer noch zu wünschen. Etwaige Zweifel an der Kolloidität der Enzyme knüpfen sich wohl an die Tatsache der immer noch mangelnden „Reindarstellung“ derselben. Aber gerade diese Tatsache, d. h. die Unmöglichkeit auf Grund von wiederholten Fällungen mit Alkohol u. s. w., und vor allem von Dialysen zu echt gelösten Enzymen zu gelangen, ist neben deren Adsorptions- und Diffusionserscheinungen?’) wohl das stärkste Argument für die Kolloidnatur. Die diosmotischen Eigenschaften der Oberflächenspannungs- häutchen (Vakuolenhaut en äußere Plasmamembran) der pflanz- lichen Protoplasten für Kolloide lassen sich, wie ich in meiner oben zitierten Arbeit gezeigt habe, aus Versuchen über deren Diffusibilität in erstarrten, mindestens etwa 10°/,igen Gelatinegelen®) erschließen. Ich brachte zu diesem Zweck in derselben Weise wie bei den ana- logen Versuchen mit Farbstoffen mit einer 2 mm im Durchmesser betragenden Platinöse Tropfen der „gesättigten“ Enzymlösungen auf die Gelatineoberfläche und stellte die Ausbreitung nach 2 Tagen fest. Untersucht wurden nur einige wenige Enzyme, welche meist durch zweimalige Alkoholfällung aus den Pressäften gewonnen waren. Sehr bequem in der Ausführung sind z. B. Versuche mit Diastase, wie sie übrigens in ähnlicher Weise, natürlich zu anderen Zwecken, schon öfter, und zwar zuerst wohl von Brown und Morris’) ausgeführt worden sind. Untersucht wurden die Sekretionsdiastase des Gerstenmalzes und die Translokationsdiastase aus Erbsen- pflanzen, die bekanntlich besonders reichlich in diesen enthalten ist. Da Translokationsdiastase auf gewöhnliche Stärke, besonders intakte Stärkekörner, nur langsam einwirkt, wurde der schwach sauren, 4) „Die Fermente und ihre Wirkungen“, 3. Aufl. (1910), Bd. I. S. 28. 5) Auf die ausgedehnte neuere Literatur darüber kann hier nicht eingegangen werden. Man vergleiche z. B. Höber, a. a. O., S. 284ff., 317, 384 u. s. w. 6) Über die Bedeutung der kapillaren Ausbreitungserscheinungen von Kolloiden in Fließpapier für deren Durchtrittsfähigkeit vergleiche meine oben zitierte Arbeit S. 395ff. Die Gelatine, deren Sorten etwas verschiedene Durchlässigkeit haben, darf natürlich nicht lange und hoch erhitzt werden. 7) „Contributions to the chemistry and physiology of foliage leaves“ (Journ, Chem. Soc. 63, 1893). 340 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 15°/,igen, mit Thymol steril gehaltenen Gelatine eine wenig „lös- liche Stärke“ von Merck vor dem Erstarren beigemischt und die Ausbreitung darauf durch Übergießen der Platte mit Jodjodkalium- lösung gestellt, Da die in sekeninn 2t und 48 Stunden betrugen, spielte die verschiedene Wirkungsgeschwindigkeit keine Rolle mehr. Nach 48 Stunden fand keine wesentliche Ausbreitung mehr statt. Das Resultat war, dass beide Diastasen eine ungefähr gleiche, und zwar erhebliche Ausbreitung zeigten. Die Diffusionshöfe be- trugen bei wirksamen Präparaten nach Ablauf von 48 Stunden etwa 1,5—2,5 cm ım Durchmesser). In ähnlicher Weise wurde eine aus Zuckerrübenblättern er- haltene kräftige Invertase°) untersucht. Nachdem sich die Aus- breitung der durch Zusatz eimes im Gel nicht diffusiblen Farb- stoffes (Chicagoblau B) nach dem ursprünglichen Umriss markierten Tropfen während 48 Stunden vollzogen hatte, wurden schmale Ringzonen vom Radius 1,0—1,5 cm aus der Gelatine ausgestanzt, in gelinder Wärme gelöst und zu einer mit Toluol versetzten Rohr- zuckerlösung zugefügt. Die Wirksamkeit des Enzyms konnte leicht mit dem Halbschattenapparat polarıskopissh festgestellt werden. Als Beispiel für ein glykosidspaltendes Enzym wurde die von Marshall Ward und Dunlop!°®) studierte Rhamnase gewählt. Kleine Mengen der feucht zerriebenen Raphe des Samen von Rhamnus infeetoria (der sogen. persischen Beere) wurden auf die thymol- haltige Gelatineoberfläche gebracht und nach 2 Tagen Ausstanzungen in 0,5 cm Entfernung rings um die Samenteilchen vorgenommen. Wenn diese Gelatinestückchen vorsichtig geschmolzen und ın Aus- züge aus dem Perikarp der Früchte derselben Pflanze, die bekannt- lich keine Rhamnase, sondern das Xanthorhamnin enthalten, ein- getragen wurden, so erfolgte nach kurzer Frist das Ausfallen des charakteristischen goldgelben Niederschlages der färbenden Substanz. Um in derselben oda: auch ein oxydasisches Enzym zu untersuchen, wurde Pressaft aus Grasblättern auf mit einer Thymol- gelatine age nan Objektträgern tropfenweise aufgetragen. Nach- dem die Obi r 2 Tage ın einer sauerstoffreien Atmosphäre verweilt hatte, wurden sie in eine frisch bereitete Guajaklösung eingetragen. Nach genügender Einwirkung und Verdunstung des Alkohols wurde auf die Gelatine schwache Wasserstoffsuperoxyd- 8) Die Durchmesser hängen natürlich auch von der Stärkekonzentration ab, da von den geringen Enzymmengen in den äußeren Diffusionszonen schließlich nicht mehr alle Stärke verzuckert werden kann. 9, Vgl. W. Ruhland, ‚Untersuchungen über den Kohlenhydratstoffwechsel von Beta vulgaris“ (Jahrb. f. wiss. Bot. 50 [1911], 200). 10) „On some points in the histology of the fruits and seeds of Rhamnus“ (Ann. of Botan. 1, 1887, 1). Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 344 lösung aufgetragen, welche nun an der Bläuung eine entsprechende Ausbreitung der Oxydase erkennen ließ'!). Alle diese Versuche lassen also übereinstimmend eine überaus leichte Diffusibilität der Enzyme in Gelen erkennen, welche an die der leicht beweglichen Anilinfarbstoffe erinnert und zeigen, dass die Dispersität oder „spezifische Oberfläche“ derselben eine sehr hohe sein muss. Ebenso folgt aus diesen Resultaten nach Analogie der Farbstoffe und anderen Kolloiden unzweifelhaft, dass alle diese Enzyme leicht durch die lebende Plasmahaut hindurch- treten müssen. Wir können uns also nıcht mit Hofmeister zu der Annahme verstehen, dass schon der Kolloidcharakter die Enzyme vor einer „Ausschwemmung“ aus der Zelle sichert. Vielmehr reiht sie ıhr Verhalten in Gelen unter diejenigen Kolloide, welche weitaus leichter als die meisten iondispersen Stoffe zu permeieren vermögen. Wie stimmen nun unsere sonstigen physiologischen Erfahrungen zu diesen Resultaten? Bezüglich der sekretorischen oder sogen. „Ekto- enzyme“, wie es die Malzdiastase u. a. ıst, kann ja kein Zweifel herrschen, dass sıe bei der Sekretion durch die Plasmahaut der aus- scheidenden lebenden Zellen nach außen hindurchtreten. Solche Fälle sind nun aber relativ selten, die weitaus größere Mehrzahl der En- zyme wird von der lebenden Zelle festgehalten und tritt, so lange diese unbeschädigt ist, nicht einmal in Spuren in umspülende Außen- flüssigkeiten über. Selbstverständlich folgt daraus durchaus nicht, wie man wohl vielfach geschlossen hat, dass derartige Enzyme die Plasma- haut nicht zu permeieren vermögen. Endosmotische Versuche in dieser Hinsicht, also ob bei Darbietung von Enzymen ın Außen- lösungen ihr Eintritt ın die Zelle an chemischen Wirkungen da- selbst erkannt werden kann, sind schon öfter angestellt worden, soweit mir bekannt, wohl immer mit negativem Ergebnis. Ja, sogar mit toten Zellen sind solche Versuche meist erfolglos ge- blieben. Schon Brown und Morris!?) glaubten, als sıe feststellten, dass bei der Keimung der Getreidesamen zunächst die Wände der toten Endospermzellen gelöst werden, dass dies wegen der geringen Diffusibilität der von Sceutellum sezernierten Diastase erfolge; und Krabbe!) gelang es in der Tat selbst bei wochenlang dauernden sorgfältigen Versuchen niemals, eine Korrosion von Stärkekörnern innerhalb unverletzter, in Diastaselösungen befindlicher toter Zellen aufzufinden. Auch mir ist dies im allgemeinen nicht gelungen. 11) Ein analoger Versuch bei Grüß: „Über Oxydasen und die Guajakreaktion“ (Ber. Deutsch. Botan. Gesellsch. XVI, 1898, 139). 12) „Researches on the germination of some of the Gramineae“ (Journ. Chem. Soc. 57, 1890). 13) „Untersuchungen über das Diastaseferment“ (Jahrb. f. wiss. Botan., 21. (1890), 8. 520. XXXIIL, 23 34° Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. De Andrerseits war Krabbe aber in der Lage, die vielfach mit Pergamentpapier, Kollodiumsäckchen, künstlichen Lipoidhäutchen '*) u. Ss. w. festgestellte Dialysierbarkeit der Diastase durch eigene Ver- suche mit Holzmembranen zu bestätigen. Beı allen diesen Ver- suchen kommt freilich dıe anfangs verhältnismäßig schnelle Dialyse bald zum Stillstand. Die Ursache davon tritt bei Fällungsversuchen mit Suspensionen oder namentlich bei Filtrierversuchen mit Ton- ete. -kerzen!®) klar zutage: sie liegt offenbar in Adsorptionsvorgängen und der allmählichen Verstopfung der Filterporen, augenscheinlich durch die von den Enzymen praktisch nicht trennbaren weniger dispersen proteoiden Begleitstoffe. Während dementsprechend Krabbe, welcher mit rohen Gersten- malzauszügen arbeitete, zu ganz negativen Ergebnissen kam, gibt z.B. Grüß!”) an, dass er mit Hilfe eines gut gereinigten und kräftig wirksamen Diastasepräparates schließlich deutliche Korrosionen an Stärkekörnern innerhalb intakter toter Zellen erhalten habe. Frei- lich beobachtete er dies auch erst nach mehrwöchentlicher Ver- suchsdauer, und nachdem wohl auch die Membran fermentative Veränderungen erlitten hatte. Bei diesen Versuchen dringt nun offenbar, genau wie bei den Dialyseversuchen mit den verschiedenen Membranen, anfänglich ziemlich rasch, bald aber nur noch wenig oder gar keine Diastase mehr ein. Die sehr geringe Diastasemenge, die auf solche Weise überhaupt in das Zellinnere gelangt, genügt offenbar meist nicht, um deutliche Korrosionen hervorzurufen. Nur ein einschlägiger Versuch von vielen sei hierzu kurz erwähnt. Eine von mir frisch dargestellte Malzdiastase hatte bereits nach 24 Stunden bei +8°C. freiliegende Kartoffelstärke korrodiert, vermochte indessen selbst bei dreiwöchentlicher Versuchsdauer keine erkennbare Wirkung an Schnitten durch die Kartoffelknolle, d.h. auf Stärkekörner auszu- üben, die in sonst intakten, aber mit Chloroform getöteten Zellen eingeschlossen waren. Lässt man die Schnitte dagegen vor dem Ver- such kurz in Wasser von etwa 70— 80°C. verweilen, so dass die Stärke mehr oder weniger verkleistert wird, so kann man schon nach 24 Stunden, und auch mit rohen Gerstenmalzauszügen, ein völliges Verschwinden der Stärke aus vielen oder den meisten intakten Zellen feststellen, da die Diastase auf Kleister bekanntlich viel leichter wirkt, also sich auch eine sehr geringe eingedrungene En- 14) Swart, Biochem. Zeitschr. 6, 1907, 358. 15) Michaelis, Biochem. Zeitschr. 10, 1908, 283; ebenda 12, 1908, 26; Dauwe, Hofmeister’s Beitr. 6 (1905), 426; Hedin, Zeitschr. physiol. Chem. 60, 1909, 364 u. 8. w. 16) Holderer, „Recherches sur la filtration des diastases“ (These, Paris 1911, zit. nach Botan. Oentralbl.) u. a. 17) „Über das Verhalten des diastasischen Enzyms in der Keimpflanze‘“ (Jahrb. f. wiss, Botan. Bd 26, 1894, 379). ‘ Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 345) zymmenge an der Wirkung sogleich bemerkbar macht. Dass die Ursache nicht in irgendwelcher Veränderung der Zellhäute liegt, die bei ihrer Widerstandsfähigkeit und dem nur kurzen Verweilen in höherer Temperatur ja auch sehr unwahrscheinlich wäre, zeigt u. a. der Umstand, dass die hierbei zufällig nicht verkleisterten Körner in der Diastase wochenlang intakt bleiben können. Dass Diastase und die meisten anderen Enzyme tatsächlich den toten Plasmaschlauch und die Zellhaut sehr leicht und schnell durchdringen, zeigten eigene sowie zahlreiche Exosmoseversuche verschiedener Autoren. Unter anderen hat noch jüngst Wohl- lebe!?) nachgewiesen, dass nach dem Absterben von Wurzeln sogleich Diastase nach außen tritt. Aber gerade aufdie Erfahrungen mit endosm tischen Versuchen ıst hinzuweisen, wenn man die Verhältnisse an lebenden Zellen be- urteilen will. In der Tat werden wir nicht erwarten dürfen, durch äußere Darbietung z. B. von Diastase Stärkeauflösung im Innern lebender Zellen direkt herbeizuführen, da, wie wir oben sahen, ja schon das beim Absterben koagulierte Plasma und die Zellhaut, zu denen hier als störendes Adsorbens noch die viel engporigeren und also leichter verstopfbaren Gele der lebenden Plasmahaut hinzu- kommen würden, wochenlang jede sichtbare Wirkung auf intakte Stärkekörner verhinderten. Auf andere naheliegende Schwierig- keiten bei derartigen Versuchen (längere Versuchsdauer, Stärke- umsatz, der schon an sich in der lebenden Zelle erfolgt, mittelbare Wirkungen eindringender Enzyme auf das lebende Plasma und um- gekehrt u. s. w.) sei nur kurz hingewiesen. Es wäre deshalb verfehlt, eine Erhärtung der aus den Diffusions- versuchen mit Gelen gefolgerten leichten Permeabilität der Plasma- haut durch endosmotische Versuche mit Enzymen zu fordern. Eigene langdauernde Versuche mit lebenden Schnitten in oft gewechselten Diastaselösungen bei Temperaturen von + 5 bis 8°C. haben, wie zu erwarten war, nie eindeutige, positive Resultate ergeben. Ebenso- wenig gelang es mir jemals, z. B. durch Invertaselösungen !?) spezi- fische Wirkungen (Druckänderungen) in lebenden Zellen der Beta- Wurzel gegenüber Kontrollschnitten zu erzeugen. Immerhin wäre es erwünscht, Tatsachen in dieser Richtung anführen zu können In der Literatur finden sich gelegentlich be- zügliche Hinweise. So gibt z. B. Tischler?°) an, dass er stärke- haltige und keimungsunfähige Pollen von Cassia Fistula durch 18) Wohllebe, „Untersuchungen über die Ausscheidung von diastatischen und proteolytischen Enzymen bei Samen und Wurzeln“ (Dissert., Leipzig 1911). 19) Auch Invertase tritt aus abgestorbenen Zellen meist sogleich nach außen. Vgl. u. a. W. Ruhland, Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 50 (1911), 8. 253f. 20) „Untersuchungen über den Stärkegehalt des Pollens tropischer Gewächse“ (Jahrb. f. wiss. Bot. 47, 1910, 219). 23* 344 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. Übertragen in diastasehaltiges Wasser zur Auflösung der Stärke und zum Auskeimen gebracht habe. Wie aus dem ganzen Ge- dankengange und mehreren Stellen bei Tischler auch noch aus- drücklich hervorgeht, nımmt dieser Autor hier eine unmittelbare lösende Wirkung der eingedrungenen Diastase an?!). Nach unseren Erfahrungen vermögen wir ihm, obwohl wir seine Objekte nıcht unter den Händen gehabt haben, hierin nicht beizu- stimmen. Die erwähnte Wirkung vollzog sich nach Tischler in kürzester Frist. Schon nach wenigen Stunden war die Stärke meist ganz oder zum Teil aufgelöst und die Körner sogar schon in Kei- mung begriffen. Die angewendete Diastaselösung war eine sehr schwache. Man vergleiche damit, was oben über die Dauer solcher Versuche selbst mit toten stärkehaltigen Zellen gesagt wurde. Auch Pollenkörner verhalten sich nicht anders. Ich habe verschiedene unreife stärkehaltige Pollen, deren Zellhaut für das Enzym also noch leichter permeabel war, in Chloroform getötet und in starke Diastaselösungen gebracht. Es dauerte 4—5 Wochen, bis hier und da ım günstigen Falle einmal gewisse Anzeichen einer Diastase- wirkung sich erkennen ließen. Mit lebenden Pollenkörnern habe ich nie den geringsten Erfolg gehabt. Dennoch ist natürlich an der von Tischler beobachteten Wir- kung des Diastasepräparates auf die Keimung der Pollenkörner nicht zu zweifeln, und auch v. Faber berichtet?) von einem völlig entsprechenden Versuch an Pollenkörnern von Psychotria bacterio- phila. Es muss somit von dem zugesetzten Präparat natürlich auch etwas ın das Plasma des Pollens eingedrungen sein, und zwar mit großer Geschwindigkeit, wenn man bedenkt, dass sogar die Keimung schon in der genannten Frist erfolgt war. Wir dürften also diesen interessanten Tıschler’schen Versuch als Beweis für die aus unseren Geldiffusionsversuchen gefolgerte leichte Durchtrittsfähigkeit durch die Plasmahaut ins Treffen führen, wenn es sicher wäre, dass tatsächlich eigentliches Enzym aus dem zugesetzten Präparat die angeführte Wirkung ausübte. Es ist aber natürlich auch mög- 21) Ein sicher bezeugter Fall einer von außen bewirkten Sekretion eines Enzyms in das Innere einer lebenden Zelle hinein ist mir vom normalen pflanzlichen Stoff- wechsel nicht bekannt. Spatzier (‚Über Auftreten und die physiologische Bedeutung des Myrosins in der Pflanze,“ Jahrb. f. wiss. Bot. 25, 1893, S. 39) gibt an, dass ihm an keimenden Senfsamen ein schwacher Senfölgeruch aufgefallen sei. Da hier bekanntlich Glykosid und Myrosin in gesonderten lebenden Zellen enthalten sind, könnte eine solche Sekretion vermutet werden. Mir ist dieser Geruch nur bei Sinapis alba aufgefallen; hier kommen aber Myrosinzellen in der Testa vor, die z. B. bei Brassica nigra fehlen. Es handelt sich also offenbar beim weißen Senf um Reaktionen in der toten, beim Keimen mit Wasser durchtränkten Testa. — Inwieweit durch Parasiten solche Sekretionen hervorgerufen werden, soll hier nicht weiter erörtert werden. 22) Jahrb. f. wiss. Botan. Bd. 51, 1912, S. 311 Anm. Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 345 lich, dass andere, vielleicht nur in Spuren anwesende Bestandteile desselben im Spiele sind bei dieser Reizwirkung. Diese mag dann möglicherweise wesentlich in einer Anregung de Plasmas zu ver- Behrier Diastasebildung bestehen, elle he vielleicht deshalb keimungsunfähig gewordenen Pollenkörner eingebüßt hatten. Eine ähnliche, zwar nicht auf die Keimung der Pollenkörner, sondern auf die Richtung der Pollenschläuche bezügliche, und zwar positiv chemotropische Wirkung von Diastasepräparaten hat be- kanntlich Lidfors??) beschrieben, aus denen ebenfalls eine Be- stätigung unserer aus den Geldiffusionsversuchen gezogenen Schlüsse zu entnehmen wäre. Lidfors hat mit dialysierter Diastase gearbeitet, und auch Präparate aus den Pressäften verschiedener Pflanzen (Gerstenmalz, Pisum, Lathyrus) verwendet, wobei eine je nach deren Diastasegehalt verschieden starke chemotropische Wirkung von ihm beobachtet wurde. Ich selber fand auch In- vertase wirksam. Ein durch zweifache Alkoholfällung aus Press- saft von Beta vulgaris gewonnenes und 6 Wochen lang unter Thymolzusatz durch Dialyse gegen fast täglich gewechseltes de- stilliertes Wasser gereinigtes Präparat gab folgende Resultate mit Pollen von Primula sinensis auf Agar: War Material der Wurzel verarbeitet worden, so war kaum eine deutliche chemotropische Wirkung zu erkennen, dagegen erwies sich Blattmateriıal als überaus wirksam. Ersteres enthielt kein Invertase und nur schwer nachweisbare Diastasemengen, letzteres war an beiden En- zymen, namentlich auch an Invertase reich°*). Allerdings ıst auch hierin noch kein ganzbindender Beweis im obigen Sinne zu er- blicken. Sehr bemerkenswert ist schließlich noch, dass neuerdings Leh- mann und Ottenwälder°**) übereinstimmend mit den älteren Angaben von Crocker, Waugh, Kinzelu. a. das Eindringen pro- teolytischer Enzyme in keimende Samen von außen her dartun konnten. Das Vermögen der uns hier interessierenden Enzyme, sehr ge- schwind durch die lebende Plasmahaut zu permeieren, kann jedenfalls nicht ernstlich angezweifelt werden. Für die Sekretionsdiastase. des Malzes ist das selbstverständlich. Diese hat aber keine andere Geldiffusion als die Translokationsdiastase der Erbse, die Invertase u. s. w. Die Geldiffusion aller ist sehr erheb- lich und so groß wie die leicht permeierender Anilinfarbstoffe. Ein Bedenken dagegen, die auf Grund von Versuchen mit Farb- stoffen gewonnenen Erfahrungen über die Kolloidpermeabilität der 23) Vgl. namentlich Zeitschr. f. Bot., 1, 1909. Über das Eindringen solcher chemotropisch wirksamen Stoffe vergl. W. Rothert, „Beobachtungen und Betrach- tungen über taktische Reizerscheinungen“ (Flora 88, 1901, S. 370, bes. S. 410 ff.). 24) Ruhland, Jahrb. f. wiss. Bot. 50 (1911), S. 200. 24a) Zeitschr. für Botanik 5 (1913), 346. ‘ 346 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. Plasmahaut auch auf andere Kolloide anzuwenden, kann wohl auch nicht bestehen. Denn die von mir geprüften, sehr zahlreichen Farbverbindungen waren von der verschiedensten chemischen Be- schaffenheit, zeigten die verschiedensten Abstufungen des Kolloid- charakters, umfassten sowohl anodisch wie kathodisch wandernde Verbindungen, und solche, die dem Typus der hydrophilen wie dem der suspensoiden Kolloide entsprachen. Für alle diese Kategorien erwiesen sich die bezüglich des Permeierens aufgefundenen Gesetz- mäßigkeiten als durchgehend gültig. Dasselbe gilt, wie wir oben sahen, für die bisher geprüften, nicht gefärbten, zelleigenen Kolloide. Die Enzyme zeigen besonders leichte Geldiffusibilität; sie sind wohl den Hydrophilkolloiden zuzuzählen. Elektrische Überführungs- versuche an ihren „Lösungen“ ?®’) oder Bestimmungen des ıisoelek- trischen Punktes?*), ferner Adsorptionsstudien haben ergeben, dass auch bei ıhnen bald ein saures, bald ein basısches Verhalten vor- herrscht. Ist es nun schon unzulässig, wie Hofmeister wollte, aus dem bloßen Kolloidcharakter der Enzyme ein Gebundensein an die Mutter- zelle zu folgern, so müssen wir nach den hier mitgeteilten Er- fahrungen ın den Enzymen sogar solche Kolloide erblicken, die auf das leichteste die Plasmahaut zu permeieren vermögen. Wir sehen jedoch, dass die lebende unversehrte Zelle, ihre Enzyme, von den sekretorischen abgesehen — durchaus festhält und nicht in den geringsten Spuren an umspülende Lösungen nach außen abgıbt?”), eine Tatsache, die somit einer ganz anderen Erklärung als der auf den kolloiden Charakter der Enzyme und die Permea- bilität der Plasmahaut bezüglichen bedarf. In die Erörterung dieses wichtigen Punktes wollen wır gleich die sich an den zweiten Hauptpunkt der Hofmeister’schen Aus- führungen über die chemische Organisation der Zelle anknüpfenden Fragen einbeziehen. Hofmeister fordert, wie wir sahen, nicht nur ein Festhalten der Enzyme durch die Zelle, sondern er legt mit Recht besonderen Nachdruck darauf, dass auch deren Lokalisation im Plasma eine ganz bestimmte sein müsse. Wir wollen ganz kurz die Gesichts- punkte, die ıhn zu einer solchen Auffassung drängen, wiedergeben, um uns gleichzeitig darüber klar zu werden, ob die Vorstellungen, zu denen unser Autor im einzelnen gelangt, auch für uns jetzt noch annehmbar sind. 25) V. Henri, Soc. de Biol. 1907, S. 296. 26) Michaelis, Biochem, Zeitschr. 16 (1909), 81 u. 486; 17 (1909), 231; 1971909) 71817281910), 27) Einzelne gegenteilige Angaben in der Literatur, auf die es nicht einzu- gehen lohnt, sind unkritisch. Meine eigenen Versuche erstreckten sich namentlich auf diastase- und invertasehaltige Pflanzen. Man erwäge auch die Verhältnisse in Wasserbewohnern. Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 347 Hofmeister betrachtet dıe Einrichtungen ım „Hausrat“ der Zelle, „welche räumlich den ungestörten Verlauf der vitalen Re- aktionen sichern“. Er fragt°®): „Ist die Zelle als Ganzes ein Gefäß, erfüllt von einer homogenen Lösung, ın der sich sämtliche che- mische Vorgänge abspielen, oder schließt sie eine Anzahl von ge- trennten Gefäßen ein, bestimmt, den ungestörten Ablauf der ein- zelnen Reaktionen nebeneinander zu sichern? Die Antwort darauf muss für die leicht diffusiblen Stoffe, für Gase und Salze, viele Nährstoffe und fast alle Abfallprodukte dahin lauten, dass sie überall in der Zelle zusammentreffen und daher auch überall aufeinander reagieren können. In Wirklichkeit stellt diese Art Vorgänge, z. B. die Bindung von Kohlensäure durch Alkali, nur einen kleinen Teil der vitalen Reaktionen dar. Die meisten in den Zellen sich ab- spielenden sind an ein kolloides Substrat oder zum mindesten an die Vermittelung eines kolloiden Reagens, eines Fermentes, geknüpft, können daher in dem kolloiden Gefüge des Protoplasmas ganz gut eine bestimmte Lokalisation haben. Von den intrazellulären Pro- fermenten und Fermenten im besonderen ist zu erwarten, dass sie mangels einer Diffusibilität dort, wo sıe ın der Zelle entstanden sind, auch verbleiben, dort gewissermaßen festwurzeln und nur ın Tätigkeit treten, wenn ihnen das adäquate Material zugeschwemmt wird. Eine ‘solche Vorstellung setzt allerdings das Bestehen von zahlreichen kolloiden Scheidewänden im Protoplasma voraus“ ... Er weist dann vor allem darauf hin, dass ohne solche strengere Lokalisierung der Fermente unverständlich bliebe, wie im Plasma nebeneinander so verschiedene, zum Teil chemisch entgegengesetzt verlaufende Prozesse, wie Hydrierung und Wasserentzug, Oxydations- und Reduktionsvorgänge u. s. w. möglich seien, und ferner müsse eine gesetzmäßige Reihenfolge der chemischen Reaktionen statt- finden, damit im Abbau und Aufbau verschiedener Stoffe durch viele Zwischenstufen wirklich ganz bestimmte Produkte entstehen. Aus diesen Gründen sei ein einziger, gleichartiger Reaktionsraum, eine „ubiquitäre Gleichwertigkeit des Protoplasmas“ a priori un- möglich. Dieser Begründung sowie der Vorstellung einer Lokalisation der chemischen Mittel im Hausrat der Zelle wird man nur bei- pflichten können und in der einschlägigen Literatur ist hiergegen denn auch wohl nirgends Einspruch erhoben worden. Anders steht es natürlich mit der Art, wie er diese Lokalı- sation entstanden denkt, wobei er wieder von der irrigen Annahme einer Unmöglichkeit der Diffusion eines Kolloides im anderen ausgeht. In Wahrheit wird aber ein Kolloid, das schon imstande ist, die Plasma- haut zu passieren, im Plasma selbst noch weit leichter ZE)FA. 2.0.8. 613. 348 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. beweglich sein. Denn in diesem ist molekular und kolloidal ge- löstes Wasser reichlichst vorhanden, während ın der Plasmahaut die Teilchen sehr dicht aneinander gerückt sein müssen, wie in den wasserärmsten Gelen, so dass dort nur wenig Imbibitionswasser, vielleicht gar nur Quellungswasser ım Sinne Nägeli's, d. h. nur solches zu denken ist, das mehr oder weniger im Bereich der mole- kularen Wirkungssphäre der einzelnen Bausteine der hautbildenden Plasmateilchen festgelegt ist. Wie sehr aber dıe Kolloiddiffusion ın wasserreichen Gelen ansteigt, haben die Ultrafilterversuche über- einstimmend gezeigt. | Trotzdem wollen wir noch einen Blick auf das konkrete Bild der Plasmastruktur werfen, zu der Hofmeister gelangt. Man kann, meint er, sich „die kolloiden Reagentien durch undurchlässige Scheidewände getrennt denken. Bei der Vielseitigkeit der che- mischen Vorgänge kommt man damit zur Forderung einer sehr ausgiebigen Vakuolenbildung, event. über die Grenze des Sichtbaren hinaus, und so kann man den Gründen, welche von hervorragender morphologischer Seite für die Existenz einer Schaumstruktur bei- gebracht worden sind, auch physiologisch-chemische Erwägungen beigesellen. So begreift es sich, dass das Leben, wie wir es kennen, stets an ein kolloides Substrat geknüpft ıst, denn nur ein solches ermöglicht bei genügender Durchlässigkeit für Nichtkolloide einen komplizierten Aufbau auf kleinstem Raum“. Auf die Frage der Schaumstruktur des Plasmas können wir hier nicht näher eingehen. Schon Pfeffer’) hat betont, dass unsere Erfahrungen über die Eigenschaften und Tätigkeiten des Proto- plasmas mit der Wabenstruktur zwar völlig verträglich sind, diese aber durchaus nicht unbedingt erfordern. Die neueren ultramikro- skopischen Untersuchungen haben aber ergeben, dass das Plasma nur in wenigen abweichenden Fällen teilweise schaumig erscheint, sonst aber den Charakter einer sehr feinen Emulsion oder mehr den eines diffusen Gels besitzt, und Lepeschkin®") hat mit Recht auf die Unverträglichkeit der Annahme einer allgemeinen Schaum- struktur mit dem Aggregatzustand, den Bewegungserscheinungen u. s. w. des lebenden Plasmas hingewiesen. Aber selbst wenn wir die unzulässige Annahme einer Schaumstruktur gelten ließen, und weiter, wofür keinerlei Tatsachen vorliegen, den einzelnen Waben- räumen den Charakter kleinster Vakuolen°®!) und somit natürlich 29) Pflanzenphysiologie, 2. Aufl., Bd. II, S. 720, Anm. 1. 30) „Uber die Struktur des Protoplasmas‘ (Ber. Deutsche Bot. Gesellsch. 29 [1911], 181). 31) Ebensogut könnten aber die „Wabenräume‘“ von lebendiger Substanz er- füllt sein und ihre Wandungen abweichende Beschaffenheit haben. Vgl. u. a. Pfeffer a. a. O., Bd.1, S. 37. Die Annahme, dass die Enzyme nur in Vakuolen vorhanden wären und wirkten, würde übrigens mit manchen Tatsachen in Wider- Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. 349 den Wabenwänden die der äußeren Plasmahaut analogen Eigen- schaften von „Vakuolenhäuten“ zuerteilen würden, so wäre damit ‚angesichts der Permeabilität derselben für Enzyme nichts im Hof- meister’schen Sinne gewonnen. Ich vermag in Anbetracht dieser Schwierigkeiten und um allen bisher beobachteten Tatsachen gerecht zu werden, zu keiner anderen Vorstellung als der einer festen Verkettung der Enzyme mit den Plasmateilchen zu gelangen und bin überzeugt, dass zu einer solchen Vorstellung auch speziellere oder andere allgemein-physiologische Erwägungen führen werden. Es ist z. B. bemerkenswert, dass Lepeschkin°?), von anderen Überlegungen ausgehend, zur Annahme einer Lokalisierung der chemischen Mittel der Zelle in bestimmten disperse Teilchen des Plasmas gelangt, was der von mir ent- wickelten Vorstellung im Grunde sehr nahe kommt. Die Bindung der Enzyme an die Plasmateilchen dürfte wohl als eine chemische anzusehen sein. Denken könnte man zunächst freilich wohl auch an eine bloße Adsorption, sei es an der Ober- flächeeiner der dispersen Phasen des Plasmas oder an dessen Grenzflächen selbst. Dass z. B. die bei der Überführung elektro- negative Invertase auch im adsorbierten Zustand wirksam ist, geht aus Angaben von Michaelıs®?) hervor. Die Annahme einer chemischen Verkettung mit den lebenden Plasmateilchen, welche die Wirksamkeit der Enzyme nicht behindert, wohl aber erlaubt, sie auf eine abgegrenzte Stelle des Plasmaleibes einzuschränken bezw. sie dort jederzeit hinzuschaffen und ihr Wirken regulatorisch unmittelbar zu beeinflussen, dürfte indessen weit befriedigender sein, als wenn man in diesem ganzen, ungeheuer komplizierten, durch so vielfache Auslösungen regulatorisch ver- knüpften Reaktionsmechanismus des Plasmas den durch physikalische Zufälligkeiten bedingten Adsorptionsbindungen unnötig einen so tiefgreifenden Anteil zugestehen wollte. Auch die Möglichkeit der Zelle, ein Enzym vorübergehend oder dauernd durch vielleicht nur geringfügige Umlagerungen innerhalb der „Pangene“ außer Wirkung zu setzen und abwechselnd neu zu bilden, wird man nurr durch chemische Verkettung erklären können. Ich vermeide hier aber alle molekularen Spekulationen und mache nur noch auf zwei wichtige physiologische Gesichtspunkte aufmerksam. spruch stehen. Vgl. u.a. die Diastasen, welche die sicherlich im Plasma liegenden Stärkekörner lösen, und meine Ausführungen über die Lokalisation der Invertase bei Beta (a. a..0. 8. 252£.). 32) A.2.0. 8.189. 33) „Die Adsorptionsaffinitäten der Hefe-Invertase‘‘ (Biochem. Zeitschr. VII, 1908, 488). 990 Ruhland, Zur chemischen Organisation der Zelle. Der eine ist energetischer Art. Der Biochemiker, der sich gewöhnt hat, in den chemischen Lebenserscheinungen eine komplh- zıerte Kette enzymatischer Prozesse zu sehen, und vor allem deren Reaktionsprodukte zu betrachten, gelangt naturgemäß in Anlehnung an seine extravitalen chemischen Erfahrungen vielfach zu gröber mechanischen Vorstellungen, auch weil er oft nicht entsprechend die Grundtatsache des Betriebsstoffwechsels, bei welchem es der lebenden Substanz um Energiegewinn und Energietransformation zu tun ist, einschätzt. Da aber solche Transformationen als Quelle einer bestimmten vitälen Arbeitsleistung ohne zweckentsprechende regulatorische Vorrichtungen, die nirgends anders als im Plasma selbst liegen können, undenkbar sind, so ist, damit diese „Struktur“ des Plasmas im Wirksamkeit treten könne, der Physiologe längst dazu gelangt, eine möglichstinnige Einbeziehung der reagieren- den Stoffe m den molekularen Wirkungsbereich der Plasmabausteine, eine wenigstens lockere Anlagerung an die lebenden Teilchen zu fordern’!). Dass einem solchen not- wendigen Gedankengange unsere Plasmaenzymbindung zu Hilfe kommt und dass auf diese Weise auch wieder den von Hof- meister entwickelten Prinzipien Rechnung getragen wird, dürfte einleuchten, auch wenn man zunächst nur an die intermediären Additionsprodukte zwischen Enzym und den Ausgangsstoffen bezw. den Reaktionsprodukten denkt. Der zweite hier hervorzuhebende Gesichtspunkt knüpft sich an die Tatsache, dass manche Enzyme, wie man längst weiß, auf keine Weise vom Plasma also auch nicht nach dem Töten und Zer- reiben der Zellen zu trennen sind. Diese Enzyme, zu denen z. B. das der Milchsäuregärung, die Alkoholoxydase, manche proteolytische En- zyme (z. B. bei Pilzen) gehören, und deren Anwesenheit demgemäß nicht an Auszügen, sondern nur an Versuchen mit dem Organ- brei erkannt werden kann, sind als „intrazellulare“ bezeichnet worden®’). Während sie aber bisher allen übrigen ziemlich schroff gegenüberstanden, würden sie nunmehr nur noch graduell, durch eine festere, auch noch postmortale Verkettung mit dem Plasma abweichen. Hierhin dürften auch jene zahlreichen Fälle gehören, in denen man°®) von einem „Fermentativ-Vermögen“ des Plasmas 34) Die Angaben von Boysen-Jensen (Biochem. Zeitschr. Bd. 40, 1912, S. 420), der in vitro allein durch die gleichzeitige Anwesenheit und Tätigkeit oxy- dasischer Atmungsenzyme die „Energie“ für eine extravitale Rohrzuckersynthese durch Zymase gewonnen haben will, also ohne Transformation und Übertragung durch das Protoplasma, bedürfen wohl dringend der Bestätigung. 35) So M. Jacoby (Ergebnisse der Physiol. I, 1902, 213); vgl. auch E. Abder- halden und H. Pringsheim (Zeitschr. f. physiol. Chem. 65, 1910, 180). Hof- meister (a.a. OÖ. S.583) u. a. gebrauchen diese Bezeichnung übrigens für nicht- sekretorische Enzyme. 36) Vgl. z. B. Green-Windisch, „Die Enzyme“, S. 343ff. Tschugunoff, Uber die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. 351 gesprochen hat. Beijerinck hat bekanntlich sogar Buchner’s Zy- mase noch als „Protoplasma“ angesprochen ’?”). Den geraden Gegensatz zu ihnen bilden dieSekretions-(„Ekto-*) enzyme, die vom Plasma in freiem Zustand abgeschieden werden und dann infolge ihrer hohen Dispersität aus der lebenden Zelle nach außen zu diffundieren vermögen. Zwischen beiden Extremen steht dann die große Mehrzahl der bisher genauer studierten Enzyme, deren Bindung mit dem Plasma beim Tode gleichzeitig mit den übrigen tiefgreifenden che- mischen und physikalischen Veränderungen daselbst zerfällt?®). Ver- mutlich wird der hierbei in Freiheit gesetzte, wasserlösliche fermen- tatıve Anteil immer noch eine Eiweißverbindung mit „zymophorer“ Gruppe darstellen. Es ist ja bisher nur in ganz vereinzelten Fällen angeblich gelungen, durch vielfache fraktionierte Fällungen, Wieder- auflösungen, Dialysen u.s. w. zu Präparaten zu gelangen, die keinerlei „Eiweißreaktionen“ mehr ergeben. Beim Absterben der Zelle sehen wir solche Enzyme meist so- gleich nach außen diffundieren, wo sie an ihren chemischen Wir- kungen erkannt werden können. Wenn das in einzelnen Fällen nicht eintritt, so z. B. bei manchen pflanzlichen Proteasen °), manchen Invertasen (Monilia etc.) und Lipasen, sondern erst nach Zerstörung der Zellhaut ein lösliches Enzym erhalten wird, so dürfte hier beim Tode eine hochkolloide, wenngleich ebenfalls „wasserlösliche“ Ei- weiß-Enzymverbindung aus den die ursprünglichen physiologischen Einheiten bildenden Plasmateilchen abgespalten werden. Halle a. S, Botan. Institut d. Universität, 10. Januar 1913. Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii (Focke) unter dem Einfluss von Nahrungsentziehung. (Eine experimentelle Untersuchung.) (Vorläufige Mitteilung.) Von Nicolaus Tschugunoff. (Aus der biologischen Station in Kossino [bei Moskau] und aus dem Laboratorium des zoologischen Museums der Universität Moskau.) Über die Veränderung des Auges bei Cladocera existieren in der zoologischen Literatur zwei verschiedene Ansichten. P. Kap- terew (3) war der erste, der diese Erscheinung beschrieb: auf Grund 37) Vgl. u. a. auch H. Fischer, „Über Enzymwirkung und Gärung“ (Sitz.- Ber. d. niederrhein. Gesellsch. f. Natur- u. Heilk., 1903). 38) Wie ich a a. ©. S. 254 mitteilte, können die Zellen der Beta-Wurzel schon so schwer geschädigt sein, dass sie ihren Rohrzucker reichlich herausdiffundieren lassen, Invertase tritt dagegen erst mit erfolgtem Tode aus. 39) Wohllebe, a. a. O0. Derartige Enzyiie sind vielfach als „Endoenzyme“ bezeichnet worden. Indessen ist auch dieser Begriff nicht von allen Autoren in einheitlichem Sinne gebraucht worden. 352 Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. seiner Experimente bei Kunstzucht von Daphniden im Dunkeln führt er die Depigmentation des Auges auf die direkte Wirkung der Dunkelheit zurück. Bald nach diesem Versuch erschien die Arbeit von G. Papaniıcolau (6), aus welcher zu ersehen ist, dass auch beı Licht eine derartige Depigmentation des Auges sich voll- zieht: dıe Erklärung der Erscheinung findet der letztere in der all- gemeinen Degeneration der Daphnien, in der Abschwächung ihrer Organısmen infolge einer großen Anzahl parthenogenetischer Gene- ratıionen und ferner noch unter dem Einfluss von ungünstigen Lebens- bedingungen. Dieser Schluss, den G. Papanıcolau auf Grund seiner Arbeit zog, wurde von P. Kapterew in seiner nächstfolgenden Arbeit (4) einer Kritik unterzogen: er weist darauf hin, dass die Depigmentation des Auges sich nicht auf Grund von Degeneration erklären lässt, da in einer ganzen Anzahl seiner Daphnienkulturen sich keine Indi- viduen mit Degenerierungsmerkmalen vorfanden. Dieser letzte Um- stand bekräftigte P. Kapterew ın seiner Ansicht über die direkte Einwirkung der Dunkelheit auf das Auge der Daphnien. Die positiven Resultate der Arbeit G. Papanicolau’s bringen noch nicht die volle Klarheit unserer Ansichten über den direkten Effekt der Dunkelheit auf das Auge der Daphnien. Es ist nun möglich, dass außer der Dunkelheit eine ganze Reihe anderer Fak- toren die Veränderung des Auges beeinflusst; möglich ıst auch, dass diese Faktoren sowohl bei Zucht im Dunkeln als auch bei Licht ihre Wirkung ausüben. Diese Erwägungen waren es, die mich veranlassten, die Ver- änderungen des Auges bei Cladocera zu untersuchen. Die Voraus- setzung zulassend, dass dabei viele Faktoren tätig sein können, fixierte ich meine Aufgabe in den Grenzen eines der wichtigsten Faktoren — des Hungers. Als Objekt für mein Experiment wählte ich ZLeptodora Kindtii (Focke)!), als einen der größten Vertreter der Cladocera, mit ver- hältnısmäßig hoch organisiertem Auge, zumal einen unersättlichen Räuber, der mir gerade in dieser seiner Eigenschaft für Hunger- experimente sehr geeignet schien. Die Untersuchungen wurden auf der biologischen Station in Kossino bewerkstelligt, einer Station, die ihre Entstehung der „Kommission zur Untersuchung der Fauna des Moskauer Gouvernements“ verdankt. Das Untersuchungsobjekt Leptodora Kindti wurde im „Weißen See“ gefangen, an dessen Ufer die biologische Station sich befindet. Was die Lebensweise von Leptodora Kindtii betrifft, so findet sich in der Literatur eine Reihe von Hinweisen auf ihre räuberischen Gewohnheiten (Lilljeborg [5], Seligo [7], Gerschler[1] u.a.). 1) Soviel ich die Literatur kenne, sind derartige Versuche mit Leptodora Kindtii nicht veranstaltet worden. Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. 359 Als Nahrung dienen der ZLeptodora K. kleine Crustaceen — Oopepoda und Oladocera. Die Beute wird nicht verschlungen, sondern zerstückelt und ausgesogen (Gerschler [1]). Infolgedessen finden sich im Darm der Leptodora K. niemals einzelne Teile der aufge- zeichneten Urustaceen, sondern nur sogen. Nahrungsbrei (Seligo [7], Gerschler[1, p. 432]). Die Kultivierung von Leptodora K. ıst weit schwerer als die anderer Cladocera, da ıhr spezielle Atmungsorgane fehlen (nur Haut- und Darmatmung) und ıhr daher ım Wasser reichlicher Sauerstoff- gehalt not tut (Gerschler [1, p. 439]). Leptodora K. wurde deshalb in einem speziell konstruierten Apparate mit fließendem Wasser gezüchtet, welches während der ganzen Dauer des Experiments vermittels Siphons beständig ge- wechselt wurde. Das Wasser für die Tiere wurde aus demselben Weißen See genommen, wo die ZLeptodorae K. gefangen waren. Vorläufig wurde das Wasser durch ein Planktonnetz Nr. 20 filtriert. Eine nochmalige Filtration durch Watte wurde im Gehälter selbst in besonderen Röhren bewerkstelligt. In solcher Weise filtriert enthielt das Wasser zweifellos keine Crustaceen, Rotatorıa, Infusorien, mit Ausnahme einer unansehn- lichen Zahl von kleinsten Vertretern des sogen. Mikro-Nannoplankton. — Proben des filtrierten Wassers ın einer Quantität von 15 gem dienten zur Kontrolle: sie wurden während 10 Minuten zentrifugiert und der Rückstand mikroskopisch untersucht. Die Leptodora K. wurden zu je 1—3 Exemplaren (in etlichen Fällen mehr) in Glasbüchsen von 1—1'/, Il Inhalt, die am Fenster standen, untergebracht. Vorläufig wurden die Tiere aufs Genaueste untersucht. Im ganzen wurden zu verschiedener Zeit 108 Exemplare Leptodora K. zu den Experimenten benutzt. Der größere Teil davon waren parthenogenetische Weibchen, eine geringere Anzahl — ge- schlechtliche Weibchen und Männchen. Ein Teil der Zeptodora K. — 35 Exemplare kamen schon in den ersten Tagen des Experi- ments um, ohne Veränderungen erlitten zu haben; 33 Exemplare wurden ın den frühesten Veränderungsstadien zwecks histologischer Untersuchung fixiert; die übrıgen 40 Exemplare waren dem Hunger- zustande am längsten ausgesetzt: sie wiesen alle mehr oder weniger vorgeschrittene Veränderungen an dem Auge auf. Sie wurden auch in verschiedenen Stadien fixiert. Zum Fixieren diente für alle Zeptodora K. die Flemming’sche Gemisch. Ein Teil von ihnen wurde zu Totalpräparaten ver- wertet, die übrigen, in üblicher Weise, in Paraffin eingebettet und in 5—6 „u dicke Serienschnitte zerlegt. Zuerst waren es die übrigen Organe der Leptodora K., dıe in- folge von Hunger Veränderungen erlitten. Besonders stark ver- ändert war der Darm. Zur Zeit, wo die Augen die ersten bemerk- 354 Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. baren Veränderungen aufwiesen, war der Darm im Verhältnis zu seımem normalen Umfang beinah um zwei Drittel eingeschrumpft. Fig. 1. Fig. 2. Nicht ın einem einzigen Falle ließ sich eine Veränderung des Auges bemerken, solange der Darm mehr oder weniger nor- mal blieb. — Veränderungen ließen sich auch ın den Ova- rien, ın den Testes und ın anderen Organen konstatieren. Zunächst waren es aber die Veränderungen des Auges, denen ich meine Aufmerksam- keit zuwandte, wobei ich von der Voraussetzung ausging, dass die Veränderungen, die das Auge erleidet, mit Schwä- chung und funktionellen Stö- rungen des Organismus im Zusammenhang stehen. Alterationen innerhalb des Auges treten recht bald ein, — am 5.—7. Tag nach Anfang des Experiments bei solchen Leptodora K., dıe kurz vordem gefangen worden sind. Bei Leptodora K., die dem Labora- torınmsaquarıum entnommen und event. einen Monat darin verblieben waren ?), treten Veränderungen noch rascher und zwar am 3.—4. Tag ein. Eine solche Beschleunigung des Zerstörungsprozesses im Auge ist leicht zu erklären, da ım Aquarium trotz stetem Wasserwechsel die Lebens- bedingungen für die Zeptodora K. sich dennoch schlechter gestalten als ım Freien, und die Tiere infolgedessen, was Nahrung betrifft, schon vor dem Experiment in ungünstigere Ver- hältnisse geraten waren. 2) Im Aquarium lassen sich Leptodora K. leicht einen Monat am Leben erhalten. Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. 355 Das Auge der Leptodora K. ıst ein kompliziertes Facettenauge, das aus ungefähr 300 einzelnen Facetten besteht (Gerschler [2,S.83]). In den von mir beobachteten Veränderungsstadien des Auges voll- zieht sich der ganze Zerstörungsprozess innerhalb des Auges selbst. Die ersten Veränderungen ım Auge äußern sich folgendermaßen: von der mittleren Zone des Pigments, in seinem vorderen Teile, sondern sich allmählich in der Richtung zur Peripherie des Auges einzelne Pigmentschollen ab. Auf der Mikrophotographie 13) ist ein beinahe normales Auge abgebildet, auf seiner rechten Seite sieht man die Loslösung des Pıgments. — Im nächstfolgenden Stadium Eig.W3. ist der Zerstörungsprozess schon weiter vorgeschritten: vom Pigment- komplex im Zentrum haben sich einzelne Klümpchen des Pigments ziemlich weit zur Peripherie des Auges entfernt (Mikrophot. 2). Schon in diesem Stadium ist zu bemerken, dass das Auge sich in der Längsachse erweitert. In der Folgezeit nimmt die Verlängerung zu, und im Stadium, wo die Zerstörung schon weit vorgerückt ist (Mikrophot. 3) sieht das Auge, dermaßen längsgestreckt, gleichsam „zweietagisch“ aus. In dieser Phase (Mikrophot. 3) hat sich beinahe die ganze vordere Hälfte des Pigments von seiner Zone abgelöst 3) Die Mikrophotographien sind vermittels der Winkel’schen Kammer und des Zeiß’schen Mikroskops angefertigt: Nr. 1, 2 u. 3 — Zeiß, apochr. 16 mm pr. oe. 2, Nr. 5,6u.8 — Zeiß apochr. 4 mm pr. oc. 4 u. 2, und Nr. 7 — Zeiß apochr. 1,5 mm pr. oc. 2. An dieser Stelle muss ich Herrn P. Shiwago meinen freund- schaftlichen Dank für die Anfertigung der Mikrophotographien aussprechen, 356 Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtüi etc. und ıst in Form einzelner Pigmentschollen an die Oberfläche des Auges gerückt. Bei Untersuchung der Pigmentabsonderungen ın allen Zeit- phasen ergibt sich, dass sie ın Schollen konstanter Form auftreten, wobeı eine jede Gruppe aus fünf Pigmentteilchen besteht. Inner- halb einer jeden Pigmentscholle ist eine Höhlung vorhanden (Mikro- phot. 3). Eine derartige Form der Pigmentabsonderungen hat ihre Er- klärung in der Struktur des Auges der Leptodora K. und in dem Entwickelungsgang des Zerstörungsprozesses. Der unterste Teil der einzelnen Facette — das Rhabdom — ist von fünf pigmentierten Zellen umgeben und, gleichsam, ins Pigment versenkt. Nach Zer- störung des Rhabdoms und des Kristallkegels sondert sich das Pigment zur Peripherie des Auges ab, behält aber seine frühere Anordnung um das Rhabdom, das die früher erwähnte Höhlung verursacht. Bei Betrachtung des veränderten Auges der ZLepto- dora K. ın Totalpräparaten kann man sich darin überzeugen, dass die Deplazierung des Pıgments innerhalb der Grenzen der einzelnen Facetten vor sich geht®). In allen beobachteten Fällen verläuft die Veränderung im Auge in ganz präziser Reihenfolge, wobei der Zerstörungsprozess alle oben beschriebenen Stadien durchmacht. Von der primären Ab- sonderung des Pigments bis zum letzten Zerstörungsstadium ver- gehen gewöhnlich 2—3 Tage. In den Bewegungen der Leptodora K. mit zerstörten Augen lässt sich keine besondere Abnormität beob- achten. Im ganzen sind dıe Tiere in dieser Periode des Verände- rungsprozesses, also nach 4—6 Tagen Hungerns, recht abgeschwächt und im Wasser viel weniger lebhaft als normale Tiere. Wenden wir uns jetzt zu den histologischen Veränderungen, die sich bei der Zerstörung des Auges bei Leptodora K. geltend machen. Jede Facette des komplizierten Auges der ZLeptodora K. besteht, nach den Angaben von O. Miltz (zitiert nach Gerschler [2, S. 80]) aus 14 Zellen (s. Schema 4); dieses sind: zwei Korneazellen — die oberste Zellenreihe, unter der Kornea gelegen, fünf Kegelzellen, die den Endteil des Kristallkegels umgeben (Endkegelzellen), zwei Stütz- zellen, die die Stiele des Kristallkegels umschließen, und fünf Retinulazellen im unteren Teil der Facette um das Rhabdom herum. Das Pigment befindet sich ım unteren Teil der Facette innerhalb fünf Zellen. Beiliegendes Schema 4 stellt die einzelnen Veränderungs- stadien der Facette in ihrer Folgereihe leicht schematisiert dar. 4) Howland beschreibt die Migration des Pigments in den Augen von Branchipus gelidus unter dem Einfluss des Lichtes. Diese Migration geschieht auch innerhalb einzelner Facetten. Howland, R. — Migration of retinal pigment in the eyex of Branchipus gelidus. Journal experiment. Zoologie. Vol. 11. Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtiüi ete. 357 Als frühester Moment der Zerstörung der Facette ist das Anfangs- stadium der Veränderung des Rhabdoms anzusehen (Schema 4b). Zuerst verliert das Rhabdom seine feste Struktur, es wird mürbe und windet sich bandartig (Mikrophot. 5). Zu gleicher Zeit gehen Veränderungen auch in den Stützzellen vor. Darauf folgen Veränderungen in dem Kristallkegel (Schema 4 c). Dem Zerstörungsprozess unterliegt zu allererst der proximale Teil desselben, allmählich erstreckt er sich über den ganzen Kristallkegel. In diesem Stadıum lassen sich auf Querschnitten durch den Kristall- kegel folgende Veränderungen konstatieren: die fünf dreiseitigen BEER TESTIIRRUTPIRTITNTENTRTTTRIRTITTTT S b c d e f Fig. 4. e = Kornea; cz = Korneazellen; Ek = Endkegel; kz = Kegelzellen; k = Kristall- kegel; stz — Stützzellen; r = Retinulazellen; r% — Rhabdom. Prismen, die den Kristallkegel bilden und in normaler Facette von- einander gut abgegrenzt sind, verlieren im Anfangsstadium des Pro- zesses ihre genauen Umrisse, man möchte sagen, dass sie miteinander verschmelzen; ferner gehen sie mit Ausnahme des Endkegels zu- grunde. Gleichzeitig findet die Zerstörung der Stützzellen statt (Schema 4 c), die ebenfalls ihre natürliche Form verlieren und mürbe werden (Mikrophot. 5 u. 6). Während so Kristallkegel und Stützzellen zerfallen, bewegt sich das Pigment allmählich aus dem unteren Teil der Facette in der Richtung zur Peripherie des Auges hin (Schema 4d). Das Pigment verändert nicht seine frühere Anordnung; infolge fortschreitenden Zerfalls des Kristallkegels verliert es im distalen XXXI. 04 558 Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. Teil seinen Haltepunkt und gleitet infolgedessen dem zerstörten Kristallkegel entlang; in diesem Stadium besteht letzterer nur aus unregelmäßigen bandförmigen Strän- gen (Mikrophot. 5, 6, 7). Die Stützzellen bilden zu derselben Zeit ebenfalls nur einen formlosen Rest, der ım folgenden Sta- dıum vollständig ver- schwindet. Die Zer- störung des Kristall- kegels nımmt in der nächsten Phase zu (Schema 4e). Die bandartıgen Stränge, der Rest des Kristall- . - kegels, sind auf der Mikrophot. 5, 6 und besonders 7 deutlich zu sehen. Sie be- halten ihre frühere Lage, indem sie sich von der Ein- trittsstelle der Ver- zweigungen des ner- vus opticus bis zur Grenze der oberen Reihe Kristallkegel- zellen erstrecken. Es muss an dieser Stelle be- merkt werden, dass, während Rhabdom, Stützzellen, Kri- stallkegel dem Zer- störungsprozess verfallen und in einem Rest von bandartigen Strän- Fig. 6. gen von unregel- mäßiger Form über- gehen, die zwei distalen Zellenreihen, sowohl Kegelzellen, die den Endteil des Kristallkegels (Endkegel) umgeben, als auch Fig. 5. Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. 559 Korneazellen vom Zerfallprozess verschont bleiben, wenn sie auch Modifikationen erleiden. Dasselbe gilt auch für die Stadien inten- siver Zerstörung (Schema 4du. e), wo die erwähnten zwei Zellen- reihen erhalten bleiben (Mikrophot. 5, 6 u. 7). Dem starken Zerstörungsprozess im Kristallkegel entspricht eine Deplazierung des Pigments auf ansehnliche Entfernung. Im endlichen Zerstörungsstadium der Facette bleibt von Rhab- dom und Stützzellen nichts übrig, — sie zerfallen vollständig mit Ausnahme der zwei distalen Zellenreihen, der Kegelzellen und der Korneazellen. Vom ganzen Kristallkegel restiert nur sein Endteil, — der Endkegel, von Kegelzellen umgeben, die ebenfalls unversehrt bleiben (Mikrophot. 8). Die zwei restierenden Zellen- reihen, die Kegelzellen und Korneazellen, bilden eine Grenze für ein weiteres Vor- schreiten des Pıgments, das sich von seiner zentralen Pigmentzone an dem zer- störten Kristallkegel fort- bewegt hat (Mikrophot. 8). Es ıst wahrscheinlich, dass das Pigment ın seiner Be- wegung zur Peripherie des Auges sich rein passıv be- nimmt. In allen Fällen, wo die Veränderung des Auges bei Leptodora K. beobachtet Fig. 7. wird, sieht man deutlich, dass jede Facette an sich, unabhängig von den anderen Facetten, zerstört wird: auf ein und demselben Präparate lassen sich die ver- schiedensten Degenerationsstadien die einzelnen Facetten beobachten. Bei Betrachtung von Schnitten durch das veränderte Auge lassen sich da, wo die Zerstörung am intensivsten vorgegangen war, Höhlen beobachten (Mikrophot. 8). Letztere dürften wohl von der Flüssigkeit ausgefüllt sein, die sich infolge des Zerfalls der unteren Facettenhälfte gebildet hat. Da der ganze Veränderungsprozess innerhalb des Auges vorgeht, so darf man annehmen, dass das Ent- stehen der Flüssigkeit mit der Verlängerung der Längsachse des Auges ım Zusammenhang steht: je weiter der Zerstörungsprozess vorschreitet, um so mehr bildet sich Flüssigkeit, um so länger wird dann das Auge. Die Zerstörung geht in der vorderen Hälfte des Auges vor sich, und gerade hier, in diesem Teil, ist das Auge auf- geblasen (Mikrophot. 2 u. 3). 24* 360 Tschugunoff, Über die Veränderung des Auges bei Leptodora Kindtii ete. Die oben beschriebenen Veränderungen des Auges vollziehen sich im proximalen Teil der Facette, der der Verästelung des nervus opticus am nächsten gelegen ist. Ein derartiger Gang der Ver- änderungen erinnert an den Depigmentationsprozess bei den Daph- niden, den P. Kapterew beschrieb [3 u. 4]: die Verbreitung der Depigmentation nimmt dort ebenfalls von dem proximalen Teile des Auges, ın der Nähe des optischen Ganglion, ihren Ausgang’). Es lässt sich annehmen, dass die Zerstörungsprozesse mit patho- logischen Vorgängen im nervus opticus im Zusammenhang stehen. Da diese Frage nur auf Grund spezieller zytologischer Untersuchungen gelöst werden kann, muss sie offen bleiben. Fig. 8. Gemäß den beschriebenen Veränderungen im Auge von Lepto- dora K. infolge von Hunger lässt sich natürlicherweise die Frage stellen, ob die Depigmentation des Auges der Daphniden, die Kap- terew beobachtete, sich nicht auch unter Einwirkung desselben Faktors vollzogen hat? Ich möchte auf Grund meiner, sich nur auf Leptodora K. be- zıehenden Experimente keine weitgehenden Schlüsse ziehen, — den- noch zeigen diese Versuche, dass die Frage über die Wirkung der 5) In seiner Arbeit über Depigmentation des Auges bei Daphniden [3 u. 4] lässt Kapterew die Frage über histologische Veränderungen unberührt; ich kann deshalb den oben beschriebenen Veränderungsprozess im Auge der Leptodora K. nicht im einzelnen mit den Angaben Kapterew’s über die Depigmentation des Auges bei Daphniden vergleichen. Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 361 Dunkelheit auf das Auge der Daphniden sich nicht so leicht lösen lässt, wie es P. Kapterew annimmt. Die Angaben G. Papa- nıcolau’s [6] und die angestellten Versuche mit Leptodora K. zeigen zur Genüge, dass derselbe Effekt, dıe Zerstörung des Auges, der bei Daphniden durch Einwirkung der Dunkelheit hervorgerufen wird, auch unter dem Einfluss anderer Faktoren entstehen kann. Folglich dürfen wir bei der Zucht der Daphniden im Dunkeln außer der Dunkelheit eine Reihe anderer Momente voraussetzen, deren Gesamteinfluss die Veränderung des Daphnienauges bewirkt. Moskau, 27. Dezember 1912. Literaturverzeichnis. 1. Gerschler, M. W. Monographie der Leptodora Kindtii (Focke). I. Teil, Archiv für Hydrobiologie und Planktonkunde, Bd. VI, 1911. — N. Teil. Ibid. Bd. VII, 1911. 3. Kapterew, P. Experimentaluntersuchungen über die Frage vom Einflusse der Dunkelheit auf die Gefühlsorgane der Daphnien. Biolog. Centralblatt, Bd. XXX, 1910. 4. — Überden Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. Ibid. Bd. XXXII, Nr.rz01912: . Lilljeborg, W. Cladocera Sneciae. 1900. . Papanicolau, G. Experimentelle Untersuchungen über die Fortpflanzungs- verhältnisse der Daphniden. Biolog. Centralblatt, Bd. XXX, 1910. 7. Seligo, A. Tiere und Pflanzen des Seenplanktons. Stuttgart 1909. > a Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. Von Prof. Alexander Brandt (Dorpat). In das uralte Problem der Arbeitsteilung zwischen den beiden anscheinend gleichwertigen Brustextremitäten des Menschen ist neuerdings ein frischer Zug gekommen, ja dasselbe hat auch in v. Bardeleben!) einen Monographen gefunden. Dieser bringt, neben einer Fülle eigener, zum Teil recht überraschender Unter- suchungen ein sehr vollständiges Literaturverzeichnis und eine Übersicht der wesentlichsten bisher vorgebrachten Theorien und Hypothesen?) über den Ursprung der Rechtshändigkeit. Depri- mierend aber klingt seine Äußerung (p. 56), es fielen sämtliche bisher aufgestellte Erklärungen in nichts zusammen; es handle sich um eine morphologische Tatsache, für die es einstweilen keine Er- klärung gibt, keine Erklärung wäre aber doch besser als eine oder mehrere falsche. Über den letzteren Passus, deucht mir, ließe sich immerhin disputieren, denn entspringt nicht, wie der Franzose sagt, aus dem Zusammenprall der Meinungen die Wahrheit? Direkt aus 1) Bardeleben, K.v., Über bilaterale Asymmetrie beim Menschen und bei höheren Tieren. In: Verhandl. d. Anatom. Ges,, XXIII. Versamml., Anat. Anz., Bd. XXXIV, 1909, p. 2—72. 2) In einem populären Aufsatz ‚„Rechts- und Linkshändigkeit‘“, welcher soeben der Zeitschrift „Aus der Natur‘ eingeschickt wurde, gehe ich auf dieselben näher ein. 362 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. der Luft gegriffene und noch dazu als unumstößliche Wahrheiten in die Welt posaunte Erklärungen sind gewiss beklagenswert, ver- werflich, während selbst unzureichende anregend und indirekt nütz- lich sein können. Negative Ergebnisse sind ja auch Ergebnisse: sie weisen die Sackgasse, welche man in Zukunft zu meiden hat. Von diesem Standpunkte ausgehend, möchte ich es wagen, hier für eine Hypothese einzutreten, mit welcher ich mich seit den siebziger Jahren herumgetragen, welche ich stets ım Kolleg erwähnt und auch in russischen populären Arbeiten angeführt habe?). An Muße und Gelegenheit zur Bearbeitung hat es mir alle die Dezennien hindurch gefehlt. Nunmehr ın den Ruhezustand getreten, muss ich endgültig darauf verzichten. Mögen jüngere, über die gehörigen Hilfsmittel verfügende Kräfte sich des Themas annehmen. Es handelt sich dabei zum Teil um feine Untersuchungen in einer nunmehr gerade gegenwärtig so modernen und so Erstaunliches leistenden experimentellen Richtung. So umfassend das Tatsachenmaterial über die Rechtshändigkeit auch sein mag, so ist man mit den Erklärungen dennoch gewisser- maßen auf einem toten Punkte angelangt. Von diesem dürfte ge- rade eine experimentell zugängliche Arbeitshypothese verhelfen können. Wenn ich mir erlaube, die betreffende Hypothese mit solchem Nachdruck zur Prüfung zu empfehlen, so geschieht es mit um so ruhigerem Gewissen, als ich mich auf namhafte Vorgänger stützen kann, zu welchen selbst der eminente K. E. v. Baer gehört. Es sei mir gestattet, die betreffende Hypothese zunächst in jener Form darzulegen, wie sie mir die vielen Jahre hindurch vor- schwebte. Es ist eine bekannte Tatsache, dass der Embryo des Hühnchens zeitweilig bogenförmig mit der Konkavität nach links gekrümmt dem Dotter aufzuliegen pflegt. Seine Krümmung ist be- kanntlich keine bloß elastische, etwa wie bei einem Gummiplättchen welches losgelassen sofort sich gerade biegt, sondern eine orga- nische, mit einem ungleichen Wachstum der Körperhälften ver- knüpfte, da der Embryo auch vom Eiinhalte befreit und in eine Flüssigkeit getan seine Krümmung beibehält. Gilt es nach vorher gehender Härtung, einen solchen Embryo in eine Serie von Quer- schnitten zu zerlegen, so muss er von Zeit zu Zeit unter dem Messer entsprechend gedreht werden, worauf nach einem rechts verdickten, untauglichen Keilschnitte wieder regelrechte Querschnitte erhalten werden. Durch die Leibeskrümmung eingeengt, könnten, so lehrte ich, die Organe der konkaven Seite sich weniger frei ent- wickeln. Als Ursache der Seitenlage betrachtete ich aber ohne 3) Eingehender in einem Aufsatz „Architektonik des menschlichen Körpers‘ in der russischen Zeitschrift „‚Naturwissenschaft und Geographie“, Moskau 1901, p- 33—53. — Noch ganz neuerdings erwähnte ich des Ausgangspunktes der Hypo- these in einer Fußnote meines Grundrisses der Zoologie, Berlin 1911, p. 28. Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 365 weiteres die durch Raummangel im Ei bedingte Anschmiegung des Embryos an den Dotter. Dadurch würden die Organe der konkaven Hälfte in ihrer freien Entwickelung durch gegenseitigen Druck und dem entsprechenden geringeren Blutzufluss in ihrer freien Ent- wickelung etwas hintangehalten. Eine spätere ergiebige Ansammlung von Liquor amni, in welchem der Embryo nunmehr frei schwebt und darauf auch bewegt, genügten nicht, um die einmal gegebene Ungleichmäßigkeit der Körperhälften völlig auszugleichen. Die beim Hühnchen ausnahmsweise vorkommende Rechtslage des Embryo wurde von mir als Schlüssel für die Linkshändigkeit gedeutet. Gern verweilte ich auch bei der ungleichen Ausbildung der gesamten Körperhälften mit Einschluss auch der Bauchextremitäten, sowie bei den Kreiswanderungen des Menschen und der Säugetiere. Da- bei zitierte ich die Wägungen (teilweise. auch Messungen) von S. de Luca, welche am menschlichen Skelett begonnen, sich auf eine größere Anzahl von Säugetieren der verschiedensten Ordnungen ausdehnen und zum Teil so ins Detail eingehen, dass nicht bloß jede rechts- und linksseitige Rippe, sondern auch jeder Zahn einzeln gewogen wurde. Überall fand de Luca ein Überwiegen der rechts- seitigen Knochen über die entsprechenden linksseitigen. (Für den Büffel beträgt der Unterschied zugunsten der rechtsseitigen ca23. Durch ein nunmehriges ads bin ich zur Überzeugung ge- kommen, dass die betreffende Darstellung der Hypothese et insofern zu modifizieren ist, als nicht das Seitwärtskippen, sondern ein ungleiches Wachstum in Körperhälften das Primäre ist, wie dies namentlich der au keine große Dotterkugel gepresste Säugetier- embryo beweist. Ferner wurde ich durch die bereits angeführte schöne Arbeit v. Bardeleben’s (p. 35) darauf aufmerksam, dass unterdessen, bereits vor Jahren mit derselben Grundidee, wenn auch in einer anderen Fassung, Camille Dareste’) an die Öffent- lichkeit getreten. Sonderlichen Anklang und Verbreitung scheint jedoch seine Mitteilung nicht gefunden zu haben. Um so mehr möchte ich mir erlauben, sie hier in extenso, mit lediglicher Fort- 4) S. de Luca, Rech. s. les rapports qui existent entre le poids des divers os du squelette chez ’homme. Comptes rendus de l’Acad. de s. Se., T. 59, 1863, p- 588—589. Ders., Rech. s. ]. rapp. qui existent entre le poids d. divers os du squelette de la Balene des Basques. Ibid. T. 87, P. 2, 1878, p. 261, 263. Ders., Rech. s. 1. rapports de poids que existent entre les os du squel. d’un chevre. Ibid. p. 335, 338. Ders., Rech. s. l. rapp. qui existent entre les poids d. os d’un squelette de Buffle. Ibid., p. 364, 365. Ders., Ricerche su’ rapporti tra le ossa di diversi scheletri di animali, e parti- colaramente tra quella dello scheletro di un bufalo. Redie. dell’Accad. scienz. fisich. e mat. Napoli. XVIII, 1879, p. 142—145. 5) Dareste, Hypothöse s. l’origine d. droitiers et .d. gauchers. Bull. de la Soc. d’Anthropol. de Paris. T. VIII (3-me serie), seance du 21 mai 1885, p. 415—418. 364 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. lassung der unwesentlichen Einleitungs- und Schlusszeilen, in wört- licher Übersetzung wiederzugeben. „Bei sämtlichen allantoiden Wirbeltieren,“ hebt Dareste an, „dreht sich in einem gewissen Moment der Embryo, welcher bisher dem Dotter mit seiner vorderen Fläche aufgelegen hatte, dermaßen, dass er sich nunmehr dem Dotter mit seiner linken Seite auflegt. Beim Embryo des Hühnchens vollzieht sich diese Umdrehung am vierten Tage.“ „Bisweilen, doch sehr ausnahmsweise, vollzieht sich die Um- drehung des Embryos im entgegengesetzten Sinne; es ist alsdann die rechte Seite, welche sich dem Dotter anlegt.“ „Sollte dies nicht die Ursache der Ungleichheit des Volums der beiden Körperhälften sein? In der Tat, die dem Dotter auf- liegende Seite ist mehr oder weniger gegen das Amnion gedrückt und dürfte in ihrer Entwickelung behindert sein, während die ent- gegengesetzte Seite, ım Kontakt mit dem Liquor Amni, sich ın aller Freiheit entwickelt. Nun aber haben meine teratologischen Versuche mich schon lange gelehrt, dass sehr leichte Pressionen der Dotterhaut oder des Amnions in den ersten Tagen der Embryonal- entwickelung eine sehr große Anzahl von Anomalien erzeugen können.“ „Ist dem so, so dürften die Linkser jener sehr wenig zahl- reichen Kategorie von Embryonen entspringen, welche sich mit ihrer rechten Körperhälfte dem Dotter anlegen.“ „Anfangs glaubte ich, dass die Prüfung dieser Hypothese un- möglich sei, da wir nicht wissen können, in welcher Lage ein Livkser während des Embryonallebens auf dem Dotter geruht. Dennoch geben uns gewisse teratologische Tatsachen vielleicht ein Mittel zur Prüfung an die Hand: es sind dies die so merkwürdigen Tat- sachen der Heterotaxie oder Inversion der Eingeweide. Hier ist in der Tat die Lage des Embryos auf dem Dotter gut bekannt.“ „Die Anfangstatsache der Inversion der Eingeweide, auf welche seit langem Baer und Remak hingewiesen und welche ich in einer gewissen Anzahl von Fällen konstatieren konnte, besteht in einer Linksbiegung der Herzschlinge....; während für gewöhnlich die Biegung dieser Schlinge sich nach der rechten Seite des Em- bryo vollzieht. Diese Biegung der Herzschlinge zieht die Drehung des Kopfes nach sich, darauf den des ganzen Körpers vom Embryo, welcher sich dem Dotter mit der linken Seite anlegt, wenn die Herzschlinge nach rechts gebogen ist, und mit der rechten, wenn die Herzschlinge nach links gebogen ist.“ „Nunmehr handelt es sich aber darum, zu erklären, wie es möglich, dass zu Linksern bestimmte Embryonen sich mit ihrer rechten Seite dem Dotter anlegen ohne Anwesenheit einer Inversion der Eingeweide und folglich ohne Linksbiegung der Herzschlinge des Embryos? Offenbar kann dies nur durch eine Lageveränderung Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 365 des Körpers nach erfolgter Umbiegung der Herzschlinge geschehen. Die Ursache dieser Lageveränderung ist mir unbekannt; aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass es auf der rechten Seite liegende Embryonen ohne Eingeweideinversion gibt.“ „Um meine Hypothese zu prüfen, handelt es sich darum, zu wissen, ob die mit Inversion der Eingeweide behafteten Individuen Linkser statt Rechtser seien. Da doch bei ihnen die rechte Körper- seite an den Dotter gepresst ist, so würde die Feststellung des Überwiegens ihrer linken Hand über die rechte sich erklären durch den Unterschied in ihren Beziehungen zum Dotter während des Embryonallebens.*“ Bardeleben referiert und weist die Dareste’sche embryo- logische Erklärung mit folgenden kurzen Worten zurück. „Die Embryonen aller höheren Wirbeltiere liegen anfangs mit der Vorder- oder Bauchseite auf dem Eidotter, drehen sich aber nach einiger Zeit derart, dass sie mit der linken Körperseite auf dem Dotter zu liegen kommen. — Die mechanische Ursache dieser Drehung ist aber wiederum das Herz, das nach rechts hin ausbiegt und diese Richtung nach rechts auch dem Kopf und dem übrigen Körper des Embryo mitteilt. In seltenen Fällen dreht sich der Herzschlauch und der Embryo nach der anderen Seite, dann liegen aber später nicht nur das Herz, sondern alle inneren Organe umgekehrt. Wäre Dareste’s Theorie richtig, dann müssten natürlich auch die Links- händer die umgekehrte Lage sämtlicher Organe haben.“ Letzterem gegenüber lässt sich betonen, dass bereits Dareste selbst den Einwand vorausgesehen, die Linksheit sei eine häufige, Inversio viscerum hingegen eine höchst seltene Erscheinung und dass somit nur die allerwenigsten der mutmaßlich rechts konkaven Embryonen Individuen mit einer Inversion der Eingeweide liefern können. Er vermutet daher für die späteren Linkser eine ihren Ursachen nach unbekannte Lageveränderung des Embryo, welche nach erfolgter Umbiegung der Herzschlinge zustande kommen soll. Hier dürfte es am Platze sein, in Erinnerung zu bringen, dass eine Verkehrtlage des Herzens (Dextrokardie), bei welcher alle Teile des Herzens, wie im Spiegelbilde, umgekehrt angeordnet sind, mithin die Herzspitze nach rechts gerichtet ist, nicht bloß bei Situs inversus viscerum totalıs regularıs vorkommt, sondern auch, wenn auch ganz selten, als reine Dextrokardie bei normalem Situs der Bauchorgane. Die Literatur über solche Fälle wurde von Lochte und Koller, sowie auch von Schelenz zusammengetragen °). Mit Dareste die Grundidee teilend, die ungleiche Ausbildung der beiderseitigen Extremitäten (und Körperhälften) wäre mit der Seitenkrümmung des Embryo in Zusammenhang zu bringen, bin ich nun 6) Kaufmann, Ed., Lehrbuch der speziellen pathologischen Anat., 5. Aufl., Berlin 1909, p. 57. 366 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. schlechterdings nicht imstande, die Ursache der Seitenlage des Embryo ın der Abweichung der embryonalen Herzschlinge von der Median- ebene zu erblicken. Die normalerweise bekanntlich rechtsseitige Herzschlinge soll nach der Vorstellung von Dareste eine Drehung zunächst des Kopfes und darauf des ganzen Körpers nach sich ziehen; als Folge hätte man die Linkslage des Embryo. Welche Kräfte hierbei etwa im Spiele wären, bleibt unverständlich. Die Schwerkraft ıst selbstredend ausgeschlossen, da doch nicht alle Tierklassen, gleich den Vögeln, einen spezifisch leichten weißen Dotter besitzen, welcher den Embryo stets oben schwimmen lässt, und auch bei den Vögeln die Schwere der Herzschlinge statt eines Linkskippens ein Rechtskippen veranlassen würde. An einen wir- kungsvollen Zug oder Druck oder an ein Abstoßen der Herzschlinge vom Dotter ist; selbst beim Vogelembryo nicht zu denken, da weder Lage noch Dimensionen der Herzschlinge dafür sprechen und noch dazu der Kopf des Embryo abwärts gekrümmt in den Dotter ein- gepresst und so relatıv fixiert ist”). Das Heranziehen der Herzschlinge und der Inversio viscerum durch Dareste scheint mir ein Missgriff zu sein, welcher Ver- wirrung in die Sache gebracht hat und eine an sich beachtenswerte Idee nicht zum Durchschlag bringen ließ. Der unter 10000 Menschen etwa nur einmal vorkommende Situs inversus dürfte um so weniger etwas mit der Linkshändigkeit zu tun haben, als er auch bei Rechts- händern vorkommt (Pye Smith, 1891; zitiert nach v. Barde- leben, p.27). Hierdurch wäre der Hypothese ın der von Dareste gegebenen Fassung der Boden entzogen. Die ihm und mir gemein- same Grundidee vom Zusammenhang der zeitweiligen Seitenlage des Embryo mit der ungleichen Ausbildung der Körperhälften und ihrer Anhängsel aber will ich dennoch zu retten versuchen. Auf der Suche nach näheren Angaben über die Seitenkrümmung des Embryo und ihre mutmaßlichen Ursachen richtete ich mein Augenmerk u. a. auf das klassische Werk K. E. v. Baer’s®). Es sei mir gestattet, die betreffenden Stellen in extenso hier anzu- führen. Was wir daraus lernen, ist nicht bloß, dass v. Baer die betreffenden Krümmungen, ım Gegensatz zu Dareste, als selb- 7) Bei M. P. Erdl (Die Entwickelung des Menschen und des Hühnchens im Eie. Leipzig 1845, Bd. I, p. 21) heisst es vom Hühnerembryo des dritten Tages: „Der Embryo hat sich mit dem Rücken nach vorn stark eingebogen; auch der Großhirnteil hat sich nach vorn herabgebogen. Dadurch verlor der Embryo das Gleichgewicht und legte sich auf die linke Seite. Er ist von jetzt an immer nur von der Seite zu sehen.“ Der Verfasser bleibt die Belege dafür schuldig, dass die Herabbeugung des Kopfes, welcher sich ja in den Dotter eindrückt, wirklich das Gleichgewicht des Embryo stört und weshalb er infolgedessen gerade auch die linke und nicht etwa ebenso häufig auf die rechte Seite fällt? 8) Baer, K. E. v., Über Entwickelungsgeschichte der Tiere. Beobachtung und Reflexion. Königsb. I. 1828. II. 1837 und 1888. Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 367 ständiges Wachstumsphänomen ansieht,, sondern, dass er bereits die Vermutung vorwegnimmt, die noch in späteren Zeiten bei vielen Wirbeltieren vorhandene kräftigere Ausbildung der rechten Körperseite könnte auf diesem ungleichen Wachstum der symmetrischen Hälften des Embryo beruhen. Das Wort Rechtshändigkeit kommt da allerdings nicht vor, aber der Sınn ist offenbar der nämliche. Ehre, wem Ehre gebührt! Die nachstehenden Baer’schen Angaben beziehen sich aufs Hühnchen. Am dritten Tage gesellt sich zu einer Abwärtskrümmung des Vorderendes bald eine Drehung auf die linke Seite, so dass die Spitze des Kopfes sich nach der rechten Seite des Fötus dreht. Die Drehung beginnt am Kopfe und rückt allmählich fort, sowie der Fötus sich schließt. Der offene Teil des Leibes ist den dritten Tag hindurch noch gerade, oder, ehe der Schwanz sich auf die linke Seite dreht, S-förmig gebogen, auf dem Bauche liegend (p. 50). „Das Drehen des Embryo auf die Seite ist ein sehr wichtiges Moment in der Bildungsgeschichte des Fötus, denn mit ihm hängen viele Veränderungen, namentlich die Metamorphose des Herzens, auf das innigste zusammen. Die linke Seite des Embryos zeigt schon bei Entwickelung des Kreislaufes eine physio- logische Verschiedenheit von der rechten, denn sie ist im Verhältnis zu dieser die rezeptive, aufnehmende Seite. Die auf- steigende Vene steigt am linken Rande des Fötusleibes in die Höhe und geht von lınks nach rechts in den Fötus ein. Sind zwei herab- steigende Venen da, so ist doch die linke stärker und hat ein wei- teres Flussgebiet, wie man wohl den Umfang der Körpergegend nennen kann, aus welchem das Venenblut aufgenommen wird, als die rechts absteigende Vene. Ist nur eine solche Vene, so ist es eben die linke und auf der rechten Seite bildet sich erst allmählich eine kleine analoge, welche das Blut aus der Kopfscheide aufnimmt. Von der linken Seite strömt nämlich nicht nur das Venenblut ein, sondern auch die Eingänge in den Speisekanal, besonders der vor- dere, stellen sich immer mehr links, und der ganze offene, rinnen- förmige Teil des Speisekanals liegt mehr links, und nach der Drehung liegt der ganze Dotter auf der linken Seite des Vogelembryo. — Wie wichtig dieses Verhältnis sein muss, sieht man daraus, dass in allen Tieren, bei denen... der Fötus vom Dottersacke auf kürzere oder längere Zeit sich abschnürt, der Dottersack an der linken Seite des Fötus liegt, so der Dotter bei Eidechsen, Schlangen, Vögeln, so die Nabelblase in allen Säugetieren... Unter mehreren hundert Embryonen des Huhnes fand ich nur zwei, welche die rechte Seite dem Dotter zugekehrt hatten. In dem einen war die Drehung noch nicht weit vorgeschritten, und das Herz hatte die gewöhnliche Form und Lage, so dass ich zweifelhaft bin, ob diese falsche Wendung sich nicht noch aufgehoben hätte. In 368 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. dem andern Falle hatte aber schon der halbe Fötus sich auf die rechte Seite gedreht, die hintere Hälfte war nicht ganz gerade, sondern eigentümlich gedreht, als ob sie eine Gewalt erlitten hätte. Das Herz war hier ganz umgekehrt gestellt; die Vorkammer lag nach rechts, die Wölbung der Kammer nach links, und war in allen seinen Teilen das umgekehrte Verhältnis der Lage... Ich kann daher nicht zweifeln, dass hier ein Sıtus ınversus sich zu bilden angefangen habe“ (p. 51). — Während des vierten Tages wendet sich das Schwanzende stark gegen den Kopf und legt sich auf die linke Seite; nur der eigentliche Rumpf zwischen beiden Extremitäten ist gerade (p. 69). — Am fünften Tage liegt der Embryo ganz auf der linken Seite (p. 80). Rekapitulierend darauf zurückkommend, dass Venenblut und Dotter von der linken Seite in den Embryo gehen, macht v. Baer (p. 88) darauf aufmerk- sam, dass im Gegensatz hierzu dasjenige, was aus dem Embryo vorgetrieben wird, wie der Harnsack mit seinem Inhalte, sich nach der rechten Seite wende. „Ja die ganze rechte Seite des Em- bryo wächst ın der zweiten Periode merklich kräftiger und rascher, und in dieser kräftigen Entwickelung wäh- rend der frühesten Zeit könnte vielleicht der Grund liegen, dass bei vielen Wirbeltieren noch in späterer Zeit die rechte Seite kräftiger ist als die linke. Es geht also auch die Ausscheidung neuer Maße mehr nach rechts als nach links. Ja fast ın allen einzelnen Organen offenbart sich dasselbe Verhältnis und übt auf die Gestaltung der Teile seinen Einfluss. Von der linken Seite empfängt das Herz sein Blut, und nach der rechten treibt es dasselbe aus. Hierauf beruht die Art der Gefäßverteilung in den Säugetieren und Vö- geln, indem, wie auch die einzelnen Modifikationen sein mögen, immer der Hauptstrom des Blutes zuerst nach rechts geht. — Der Grund vom Übertreten der Ingestion nach der linken und der Egestion nach der rechten Seite möchte wohl darin liegen, dass die linke Seite des Embryo ursprünglich nach dem ingestiven Pole des Eies zugekehrt ist. Es scheint nämlich, dass, während der Embryo in seiner ersten Bildung mit der auf- nehmenden unteren Fläche dem Dotter zugekehrt ist, auch das polare Verhältnis im Eie sich der Keimhaut und dem Embryo all- mählich mitteilt. Daher schon in der ersten Periode der Eintritt des Venenblutes von der linken Seite. Wenn nun die linke Seite allmählich immer mehr Anteil an der physiologischen Bedeutung der unteren Fläche nimmt, so scheint es notwendig, dass sie auch räumlich in ihre Verhältnisse tritt und sich nach unten stellt. Dies ist es eben, was wir mit anderen Worten ein Drehen des Embryo auf seine linke Seite genannt haben. Der Embryo steht nämlich zum Dotter in nächster Beziehung und empfängt aus ihm seine Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit 369 Nahrung. Seine ingestive Seite muss daher immer dem Dotter zugekehrt sein. Die Umänderung des ingestiven und egestiven Gegensatzes und die Wendung auf die linke Seite, sind also nur Erscheinungen derselben Metamorphose.“ (Es folgen vergleichende Betrachtungen über den Molluskentypus.) Interessenten seien ferner auf das in den Scholien IV, $3 und V, $3 Ausgeführte verwiesen. Was wir ın Teil II über die uns interessierenden Krümmungen des menschlichen Embryo finden, ist kaum von Belang. Auf p. 337 heisst es von einem dreiwöchentlichen Embryo, er sei sehr ge- krümmt, besonders sei sein hinteres (kaudales) Ende von rechts nach links stark aufgerollt (Taf. IV, Fig. 11d). Es würde uns zu weit führen, im einzelnen Auszüge aus zahl- reichen späteren Schriften die Krümmungen des Embryo ver- schiedener Tierklassen betreffend anzuführen. Statt dessen sollen nur wenige Autoren herangezogen werden, welche sich sowohl durch selbständige hervorragende Leistungen, als auch durch zusammen- fassende Schriften hervorgetan haben. Überlassen wir hierbei zu- nächst dem trefflichen A. v. Kölliker?) das Wort. Er schreibt (p- 203): „Von den Drehungen um die Längsachse erwähnen wir vom Hühnchen in erster Linie eine auffallende Drehung am dritten Tage ın der Art, dass, während der Rumpf mit seiner Bauchfläche gegen den Dotter schaut, der Kopf so sich dreht, dass er seine linke Seite bauchwärts kehrt. Später legt sich auch das hintere Leibesende auf die Seite mit der linken Hälfte dem Dotter zu, worauf dann der Kopf wieder gerade sich stellt und später selbst auf die rechte Seite sich umlegt, so dass dann der ganze Rumpf eine von links nach rechts gewundene Spirale beschreibt.“ Die Drehung um die Längs- achse ist am ausgeprägtesten am vierten und fünften Tage. „Von da streckt sich der Embryo immer mehr gerade und dreht sich auf, so dass vom sechsten Tage an die Leibesachse wieder gerade verläuft.“ Hieraus dürfte man ersehen, dass der Kopf eine auf- fallende Selbständigkeit in seinen Wachstumskrüm- mungen nach links und rechts offenbart und im relativen Ausbildungsgrad seiner Hälften nicht unbedingt an den der Rumpfhälften gebunden ist. Eine von Kölliker (p. 250, Fig. 172) gebrachte Abbildung eines 9 Tage und 2 Stunden alten Kaninchenkeims zeigt noch vor Auftreten der Herzschlinge eine rechts konkave Krümmung, während ein erheblich weiter entwickelter von 9 Tagen 3 Stunden auf Fig. 173 als linkskonkav abgebildet ist, obgleich er mit einem Situs inversus cordis behaftet ist. Das Verhalten beider Em- bryonen ist der Dareste’schen Annahme von der Rolle der Herz- 9) Kölliker, A., Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. 2. Aufl., Leipzig 1879. 370 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. schlinge über der Seitenkrümmung des normalen und des mit In- versio viscerum behafteten nicht günstig. Was Kölliker (p. 256) von der „in einer bestimmten Zeit sehr ausgeprägten Drehung des Säugetierembryo um seine Längs- achse* sagt, bezieht sich, möchte ich annehmen, auf ein späteres Stadium, da es heisst, der Kopf liege mit seiner linken Seite nach oben der Keimblase auf; während der mittlere Teil des Em- bryo in der Weise gedreht ıst, dass immer mehr vom Rücken sichtbar wird und die hintere Leibeshälfte den Rücken direkt nach oben kehrt. „Das hintere Ende selbst ıst häufig wiederum etwas auf die Seite gewendet und zeigt dann bei weiterer Entwickelung eine Andeutung einer spiraligen Aufrollung, die ich beim Kaninchen so stark ausgeprägt finde, dass das letzte Schwanzende hakenförmig umgebogen ist, während sie beim Hunde und Rinde nicht nennens- wert erscheint. Sehr schön ausgebildet ist dagegen diese spiralige Aufrollung bei Eidechsenembryonen (Remak, Taf. IV, Fig. 66) und vor allem bei Schlangenembryonen nach Rathke...“ „Noch ıst zu bemerken, dass die Spiralkrümmung des Leibes eine von links nach rechts gewundene Spirale darstellt, wie am besten an Schlangenembryonen zu sehen ist.“ Als unstreitige Ursachen der Embryonalkrümmungen im allge- meinen erklärt Kölliker (p. 256) ein ungleichmäßiges Wachstum der Organe, erläutert diese Ansicht allerdings nur an der Krümmung in der Medianebene, und zwar durch das anfänglich übermäßige Wachstum des Zentralnervensystems; ein späteres verstärktes Wachs- tum der Teile an der Bauchseite lässt den Embryo sich wieder strecken. Einer etwaigen Beteiligung des Herzens am Entstehen der Krümmungen erwähnt er wie auch v. Baer mit keinem Worte. Hören wir noch, wie es in Balfour’s verdienstvollem Sammel- werk heisst !P). Zunächst von den Vögeln. Während des dritten Tages dreht sich deren Embryo „so herum, dass er teilweise auf die linke Seite zu liegen kommt. Diese Drehung betrifft zunächst nur den Kopf, erstreckt sich aber ım Laufe des vierten Tages auch auf den übrigen Körper. In Zusammenhang mit dieser Lage- veränderung erfährt der ganze Embryo eine ventralwärts gerichtete und etwas spiralige Drehung“. Vom Eidechsenembryo heisst es kurz, er wende sich bald auf die linke Seite. Sonst wird der spiraligen Aufrollung des langen Schwanzes, und ım übrigen der bereits für die Vögel bekannten Formveränderungen gedacht. Kürzer kommen die Säugetiere in bezug auf embryonale Leibeskrümmungen außerhalb der Medianebene weg. Es heisst: „In den meisten Fällen bekommt der ganze Embryo nach Ausbildung des Schwanzes eine stärkere oder schwächere spiralige Drehung, doch wird dieselbe iR 10) Balfour, F. M., Handbuch der vergl. Embryologie. Jena 1880, Bd. 2, p- 1, 157, 186, 208. Brandt, Arbeıtshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. Se nie so auffallend, wie das bei den Lacertiliern und Ophidiern die Regel ist.“ Zur Orientierung in betreff neuerer Angaben über embryonale Abweichungen der äußeren Körperform von der bilateral-symmetri- schen lässt sich mit erheblichem Gewinn die fleißige Übersicht von Keibel benutzen!!);, Ein paar Andeutungen in bezug auf eine asymmetrische Lage des Schwanzes finden wir bereits für Bdello- stoma (p. 15, Fig. 31) und Lepidosteus (p. 29). Eine Linkslage des Embryo wird erwähnt für Hatteria (p. 82), Krokodile (p. 77, Fig. 26), Lacerta (p. 85, Fig. 30), Anguis (Fig. 82). Das kaudale Ende weicht stets nach rechts von der Symmetrie ab und ist bei der langgezogenen Angauis und ganz besonders bei den Schlangen (Fig. 36) schneckenförmig von links nach rechts aufgerollt, wobei der Gesamtembryo der Spitze eines Bohrers mit gegen das freie Ende sich immer mehr verjüngenden Windungen ähnelt. Der Em- bryo des Huhns beginnt sich mit seinem Vorderende bereits auf die linke Seite zu drehen, wenn erst dieses allein sich genügend vom Blastoderm abgehoben (p. 97, Fig. 37e von einem Embryo der 46. Bebrütungsstunde). Bei einem 5 Stunden älteren Embryo hat sich das ın seiner Ausbildung bedeutend fortgeschrittene vordere Körperende ganz auf die linke Seite gedreht, während das hintere noch flach dem Dotter aufliegt, sich unbedeutend über dessen Niveau erhebend. An einem Embryo von 2 Tagen 19 Stunden (h, h‘) be- ginnt auch das kaudale Ende sich auf die linke Seite zu drehen, während ein Embryo von 3 Tagen 12 Stunden (i) seine ganze linke Seite dem Dotter zukehrt und sein Endstück, bezw. das Schwänzchen, nach rechts emporbiegt. Der betreffende Embryo ist überhaupt so stark zusammengekrümmt, dass er den Teil einer Spirale bildet. Die rechtsseitige Aufwärtskrümmung des Schwanzabschnittes beginnt, was ich auch an dieser Figur hervorheben möchte, entsprechend der Anlagestelle der hinteren Gliedmaßen !?). 11) Keibel, F., Die Entwickelung der äußeren Körperform der Wirbeltier- embryonen, insbesondere der menschlichen Embryonen aus den ersten 2 Monaten. In: OÖ. Hertwig, Handb. d. vergl. u. experim. Entwickelungslehre d. Wirbeltiere. Jena, Bd. 1, 1906. 12) Bei den Vögeln ist meines Wissens überall die Seitenkrümmung des Em- bryos beobachtet worden. Es hat dies u. a. auch für den Strauß Gültigkeit (Nas- sanow,N., Zur Entwickelungsgeschichte des Straußes [Struthio camelus L.|. War- schau 1894—95, russisch. Am fünften Tage der Bebrütung ist der Keim S-förmig geschweift. Er bildet zwei Krümmungeninder Horizontal- ebene: die das Herz umfassende Kopfhalskrümmung und die ent- gegengesetzte eigentliche Rumpfkrümmung. Während der vordere, der erstgenannten Krümmung entsprechende Abschnitt gesondert, frei ist und mit der linken Seite bereits dem Dotter aufliegt, erhebt sich der letztgenannte noch kaum über das Niveau der Keimscheibe. Bald darauf nimmt die horizontale Rumpf- krümmung etwas ab. Erst beim sechstägigen Embryo ist auch der unterdessen emporgewachsene Rumpfteil dermaßen gekrümmt, dass er gleich dem Kopfhalsteil 372 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. Fahren wir in unseren Entlehnungen aus den Zusammen- stellungen von Keibel fort, indem wir uns nunmehr den Säuge- tieren zuwenden. Über den Embryo von Echidna (Fig. 46b, nach Semon) erfahren wir (p. 111), es sei bei ihm zu einer starken Zu- sammenkrümmung eine leichte Spiraldrehung hinzugekommen. Im Vergleich zum Vogelembryo wäre, nach dieser Abbildung zu urteilen, eine beträchtliche Verspätung und Abschwächung der Spiral- drehung anzunehmen. Ferner dürfte sich letztere auch nicht lange halten, denn an dem ın ce abgebildeten, nicht viel weiter gediehenen Embryo wird diese Drehung bereits als fast ausgeglichen bezeichnet. Bei den viviparen Säugetieren setzt die Spiraldrehung offenbar wiederum früher ein, und zwar vor Abgrenzung der Extremitäten- lappen. Für das Schwein bringt Keibel eigene Mitteilungen und Abbildungen, denen folgendes entlehnt sei. An einem Embryo von 14 Tagen 19 Stunden nach der Begattung (p. 121, Fig. 53 d) haben wir eine Spiraldrehung von rechts nach links zu verzeichnen, so dass auf der Abbildung das Kopfende genau von links ım Profile, das Kaudalende aber von der ventralen Seite zu sehen ist. „Der 17 Tage 12 Stunden alte Embryo Fig. 53g zeigt die Spiraldrehung auf der Höhe ihrer Entwickelung, eine Zusammenkrümmung, welche sich in den Zwischenstadien von Fig. 53f und g herauszubilden pflegt, geht in diesem Stadium, wohl unbedingt durch die starke Entwickelung der Urniere, wieder zurück“.. Ein wei- terer Rückgang der Spiraldrehung fällt mit einem Zunehmen der Zusammenkrümmung in kranio-kaudaler Richtung und mit der flossen- förmigen Ausbildung der Extremitäten zusammen. Später, bei bereits mehrgestrecktem Rumpfe, sehen wir als Rest der Spiraldrehung das Schwänzchen nach rechts abgebogen abgebildet (Fig. 54). Sehr ausgesprochen ist die spiralige Aufrollung bei Nagerembryonen (p. 127, Fig. 5e,f, g). In e beschreibt der Embryo der Wander- ratte etwas mehr als eine volle Windung, deren größerer (links- konkaver) Rumpfteil schwach, der Schwanzteil hingegen steil nach rechts und kopfwärts gebogen ist. Später beträgt die Spirale bis anderthalb Windungen (g). — Für den Hund gibt Keibel die Fig. 57, an welcher die Spiralwindung sich am Schwanze noch mehr äußert. Besonders interessant erscheinen mir die nach Hubrecht’schen Originalen vorgeführten drei Embryonen eines Halbaffen (Tarsius, p. 133, Fig. 59) ungleicher Stadien, weil sie uns sämtlich das Schwänzchen nach links gekrümmt zeigen. Sollte dies zu einer mit seiner linken Seite dem Dotter aufliegt (eine solche Verspätung dürfte vom Standpunkte unserer Hypothese im Sinne einer geringeren Beeinflussung der Bauch- extremitäten zu deuten sein). Hieran schließt sich beim siebentägigen Embryo eine solche Reehtskrümmung des abwärts gebogenen hinteren Rumpfendes und des Schwanzteils, dass die linke Bauchextremität fast die Stirn berührt. Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 373 Folgerung berechtigen? — Die nach Selenka gegebene Abbildung eines Cercopithecus-Embryo (p. 134, Fig. 60c) zeigt die Schwanz- spirale abermals rechtsseitig. Was verlautet nun über Seiten- bezw. Spiralkrümmung mensch- licher Embryonen? Auf S. 139 werden wir auf einen His’schen Embryo (Fig. 62e) von 2,6 mm Länge und einem etwaigen Alter von 15—20 Tagen aufmerksam gemacht, welcher, im Gegensatz zu früheren, vorn etwas zusammengekrümmt und zugleich derart schwach um seine Achse gedreht ist, dass sich das Kopfende nach links, das Beckenende nach rechts wendet. Ein anderer Embryo (Fig. 62 g), dessen Alter sich auf 23 Tage berechnen lässt, zeigt eine Rücken- linie, welche, dank dem spiralen Verlauf, mehr als einen vollen Kreis beschreibt.“ „Die Symmetriefläche des Embryo ist windschief und so gedreht, dass der Kopf nach rechts, das Beckenende nach links sıeht.* Ein Rückblick auf das hier Vorgebrachte dürfte uns zunächst darüber belehren, dass Abweichungen des Embryo von der Median- fläche, beziehungsweise dessen Spiralschlängelungen der Längsachse eine allen Amnioten (Sauropsiden) gemeinsame Erscheinung darstellt. Was die Anamnier (Ichthyopsiden) anbetrifft, so ıst nichts Zuver- lässiges für sie ın dieser Beziehung bekannt. Das Verhalten der Hatteria könnte als Anhaltspunkt für die Annahme dienen, dass die betreffende Symmetrieabweichung eine Begleiterscheinung der Sauropsidenwerdung darstellt. Woher sie wohl stammen mag, ist eine Frage, welche wir hier nicht näher erörtern wollen. Den Anamniern noch fremd — vielleicht gewisse Krümmungen des embryonalen Schwanzes ausgenommen — ist die Symmetriestörung gewisslich ohne phylogenetische Bedeutung und wohl am ehesten eine Anpassungserscheinung des Prosauropsidenembryo für die Zeit seines Aufenthaltes ım Ei, zunächst vermutlich durch Raumverhält- nisse bedingt. — Als ferneres Ergebnis des Vorgebrachten hätten wir den Satz zu vermerken, dass die so ausgesprochene und allbe- kannte Seitenkrümmung des Vogelembryo im Grunde als identisch mit der Spiralkrümmung!?) des Amniotenembryo überhaupt anzu- sehen ist. Auch hier dreht sich der Leib in Spiraltouren eines Bohrers, an welchem das obere Ende eine am meisten in die Länge gezogene, am meisten erweiterte und am meisten massige ist. Diese oberste Windung bildet übrigens nur einen Teil einer Spiraltour und reicht herab bis zur Region der Bauchextremitäten, bezw. des Beckens (Sakralregion). Von diesem Punkte setzt zunächst eine steile rechts- konkave Schwanzbiegung ein; dann beginnt eine postsakrale engere 13) Dass die uns hier nicht interessierende, nur anscheinend streng in der Medianebene verlaufende Rückenkrümmung auch einen Teil der Bohrerspirale, und zwar deren Grat ausmacht, ist selbstredend, XXXIL. 25 374 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. Bohrerwindung'*). Bei kurzschwänzigen Tieren bleibt es bei der einen (unvollständigen), bei langschwänzigen Tieren, wie den Eid- echsen und namentlich Schlangen, entstehen geradezu freie Schnecken- windungen, wie an einem Korkzieher. Für uns kommt zunächst die oberste, größte, vom Kopf bıs zur Sakralregion sich erstreckende Windung, richtiger Halbwindung, ın Betracht, welche rechts konvex und links konkav ist und bei massigem Dotter diesem aufliegt. Denken wir uns diese Windung der gekrümmten Medianebene nach gespalten, so ıst die rechte konvexe Körperhälfte selbstredend an Volum und Gewicht die größere. Hiermit wäre der Grundstein auch für die Rechtshändigkeit gelegt. Wir haben es bei dieser Spiralkrümmung offenbar mit einem dem Embryo innewohnenden Wachstumsphänomen zu tun, ebenso wie bei dessen sich in der Medianebene vollziehenden Bogenkrümmung. Dass ein ungleiches Wachstum seinerseits mit auf einer ungleichen Ernährung, als auch ungleichen Ausbildung der Blutgefäße zusammenhängen muss, hat schon v. Baer vorgeschwebt. Der gewundene, linkskonkave Embryo dürfte in viel höherem Grade als das ausgebildete Tier eine quantitative Asymmetrie der Körperhälften und ihrer Auswüchse, der Gliedmaßen darbieten. In welchem Grade, ließe sich durch Messungen und Berechnungen ermitteln. Die embryonale quantitative Asymmetrie, so lautet ferner ungezwungen die Hypothese, kann durch späteres gleich- mäßigeres Wachstum der Körperhälften nıe ganz ausgeglichen werden und wird beim Menschen ım Laufe des Lebens durch ungleiche Arbeitsteilung an den oberen Extremitäten noch verstärkt. Hätte man es einzig und allein mit einem Überwiegen der rechten Körperhälfte nebst der zugehörigen Gliedmaßen zu tun, so würde die dargestellte embryologische Erklärung wohl ohne wei- teres als ganz erschöpfende Anerkennung finden. So einfach liegt die Sache jedoch bekanntermaßen nicht; vielmehr wollen noch folgende, mehr oder weniger häufige Eigentümlichkeiten erklärt sein: 1. die Linkshändigkeit, 2. die Gleichhändigkeit, 3. die Gleich- beinigkeit und 4. die gekreuzten Asymmetrien, also die Kombı- nationen von Rechtshändigkeit mit Linksbeinigkeit und von Links- händigkeit mit Rechtsbeinigkeit. Schon die Existenz dieser individuell in sehr verschiedenem Grade ausgesprochenen Varianten verrät, dass wir es nicht mit gegensätzlichen Phänomenen, sondern mit ihrem Wesen und ihrer Ursache nach leichten Abänderungen zu tun haben. Ist nun die Seitenkrümmung des Embryo die wirkliche Ursache des typischen Phänomens, so müssen sich auch dessen Abweichungen 14) Über den Schwanzteil ist besonders zu vermerken, dass er ursprünglich, gleich dem Rumpfe, nach links gekrümmt ist und erst später, ähnlich dem Kopfe, sich in der Horizontalebene zunächst nach rechts wendet, um erst darauf eventuell sich aufzurollen., Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- ünd Linkshändigkeit. 319 von leichten, an sich unwesentlichen Variationen dieser Krümmung ableiten lassen. Sehen wir zu, inwieweit dies möglıch ıst. Zunächst wenden wir uns der jedermann geläufigen Linkshändigkeit zu. Wer möchte hier sich dessen erwehren, an die gewundenen Schnecken und an die Plattfische, Pleuronectiden zu denken, deren Embryo bezw. Jugendstadium sich gleichsam im labilsymmetrischen Gleichgewicht befindet und statt ım üblichen, nur allzu leicht im entgegengesetzten Sinne asymmetrisch wird. So könnte auch ein ursprünglich vertikal emporstrebender Embryo später, statt nach links wie es die Regel, sich nach rechts krümmen und einem Linkser den Ursprung geben. Anfangs wollte es auch mir so scheinen. Es war dies um so eher möglich, als ich zur betreffenden Zeit nur über eine ganz geringe embryologische Erfahrung verfügte und trotzdem einen verkehrt, also rechts liegenden Embryo zu beobachten Ge- legenheit hätte. Ähnlich urteilte, wie wir oben sahen, auch Dareste, nur dass er mit der Verkehrtkrümmung des Embryo gleichzeitig auch eine Inversio viscerum ın Verbindung brachte. Wir waren aber beide auf entschieden falscher Fährte; denn die Rechts- krümmung und Rechtslage des Embryo ist eine phänomenale Selten- heit. So fand v. Baer (s. 0.) unter mehreren hundert Hühnerembryonen nur zwei, welche die rechte Seite dem Dotter zugekehrt hatten, und von diesen bereitete sich bei einem offenbar eine Verkehrtlage der Eingeweide vor. Hierzu kommt, dass nach den neuen For- schungen, namentlich von v. Bardeleben, eine wenn auch häufig verkappte Linkshändigkeit ungleich häufiger ist als bisher ange- nommen wurde. Eine abnorme Rechtskonkavität des Embryo ist also keine zutreffende Erklärung der Linkshändigkeit, wenigstens dem Hühnchen nach zu urteilen (von dessen Rechts- und Links- händigkeit wir übrigens nichts Zuverlässiges wissen). Wir werden also nach einer anderen Ursache der Linkshändigkeit auszuspähen haben, und zwar nach einer minder radikalen Krümmungsvariation des Embryo. Eine solche liegt es nahe in der elenneleman des Kopfteils zu suchen. Derselbe, ursprünglich in Übereinstimmung mit dem Rumpfe, links gekr mt, krümmt sich später durch verstärktes linksseitiges Wachstum nach rechts. Fällt diese Krümmung ausnahms- weise so ergiebig aus, dass die so naheliegenden Anlagen der Brust- extremitäten ın Mitleidenschaft gezogen werden, so hätten wir deren Beeinflussung in einem dem vorhergehenden entgegengesetzten Sinne und als Resultat verschiedene Grade von Gleich- und Linkshändig- keit. (Beiläufig bemerkt, dürfte das überwiegende linksseitige Wachs- tum des Embryonalkopfes auch die ir iche des nenerdings wohl allgemein anerkannten Überwiegens der linken Schädel- Med Kopf- hälfte des Erwachsenen über die rechte sein). Nun zu den Bauchextremitäten. Auf diese lässt sich unsere Hypothese noch ungezwungener anwenden. Dieselben sprossen in 25* 376 Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. einer Region des Rumpfes, der Sakralregion, wo die Linkskrümmung bereits verstreicht und in die rechtskonkave Schwanzkrümmung übergeht. Daher wohl die an diesen Extremitäten meist weniger als an den Brustextremitäten ausgesprochene Größendifferenz. Denken wir uns nun den Wendepunkt der entgegengesetzten Krümmungen nur um ein Geringes kopfwärts verschoben, so muss je nach dem Grade entweder Gleichbeinigkeit oder Linksbeinigkeit die Folge sein. Der größte Stein des Anstoßes für alle übrigen einschlägigen Hypothesen, die Entstehung der gekreuzten Asymmetrie, er- gibt sich bei der hier verteidigten als so selbstverständliche Variante, dass eine besondere Besprechung überflüssig erscheint. Ergänzend sei hier noch auf die notorisch erwiesenen, oral- und kaudalwärts erfolgenden ontogenetischen Verschiebungen der Extremitätenanlagen längs des S-förmig gekrümmten Stammes hin- gewiesen. Auch Variationen in diesen durch ungleiches Wachstum des Stammes bedingten Verschiebungen könnten bei der Ausbildung der verschiedenen Extremitätenasymmetrien konkurrieren. Ein Überblick über die Summe der zu erklärenden, denkbar mannigfaltigen Variantion der uns beschäftigenden Symmetrie- störungen und über die bisher vorgebrachten Hypothesen dürfte doch wohl dafür sprechen, dass von den vorgebrachten und etwa noch vorzubringenden erklärenden Hypothesen nur eine solche Aus- sicht auf Erfolg haben dürfte, welche mit angeborenen Ungleich- heiten oder Prädispositionen zu solchen rechnet. Eine solche ist gerade die hier vertretene, wie man sieht, zu einer ganzen Theorie ausspinnbare Hypothese. Sie knüpft an unleugbare Wachstums- phänomene des Embryo an. Allerdings beanspruchen diese ihrer- seits eine Erklärung. Was aber heisst denn überhaupt Erklärung eines Phänomens anders als ein Zurückführen eines Unbekannten auf ein Allgemeineres, jedoch gleichfalls und vielleicht erst recht Unbekanntes? Einen großen Vorzug vor den meisten anderen einschlägigen Hypothesen dürfte die hier vorgetragene insofern haben, als sie wie keine andere den Namen einer Arbeitshypothese verdient, Sie fordert zunächst zu einem an sich entwickelungsmechanisch inter- essanten Studium der Wachstumskrümmungen des Embryo auf. Diese wollen zunächst genauer, und zwar nach Möglichkeit stereo- metrisch beschrieben sein, sowohl an sich als auch in ihren topo- graphischen Beziehungen zu den Gliedmaßenanlagen in verschiedenen Entwickelungsperioden. Auch einer experimentellen Prüfung weist die Hypothese den Weg. Es handelt sich hierbei um eine Beein- flussung der Spiralkrümmungen des Embryo durch Eingriffe ın der Voraussetzung, dass sich hierdurch prägnante quantitative Asym- metrien (und auch absolute Symmetrie) erzielen lassen. Man möchte hierbei zunächst an bebrütete Eier möglichst großer Vogel- und Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. 371 Reptilienarten denken. Die Eier wären unter aseptischen Mani- pulationen zu trepanieren, um nach erfolgtem experimentellen Ein- griff am Embryo wieder verschlossen von neuem der Weiter- entwickelung überlassen zu werden. Was die Eingriffe selbst anbetrifft, so hätten sie einesteils in einer Applizierung von leichten Scheiden oder Klammern zu bestehen, welche die normalen Krüm- mungen des Embryo abändern, andererseits in einer Versperrung dieser oder jener Blutbahnen, was sich etwa unter Anwendung einer galvanokaustischen, im gegebenen Moment in Glut zu versetzenden Schlinge oder Nadel bewerkstelligen ließe. Es handelt sich hierbei zunächst um Ausschaltung der Dotterarterie und Vene einer Seite und eine dadurch etwa zu erzielende abgeänderte Blutverteilung. Nachtrag. Wie reich die Spezialliteratur über Rechtshändigkeit und Körper- asymmetrie überhaupt auch sein mag, wie wertvoll auch die be- treffenden allgemeinen Zusammenstellungen!’) sind, so tritt uns immerhin beim genaueren Zusehen eine Reihe von Lücken und Widersprüchen entgegen, deren systematische Beseitigung in hohem Grade wünschenswert erscheinen dürfte. Es sei mir gestattet, einige sich mir aufdrängende diesbezügliche Erwägungen hier vor- zubringen, welche zum Teil anregend wirken könnten. 1. Der Sache förderlich dürfte eine Feststellung, am besten durch Kollektivberatungen, betreffenden Normen und Methoden zu Er- hebungen, Beobachtungen, Messungen und Wägungen sein. Manche Widersprüche und Unklarheiten können hierdurch ın Zukunft ver- mieden und auch die statistische Seite der Rechts- und Linkshändig- keit gefördert werden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich als anscheinend noch nicht angewandte Methode, Volumbestimmungen durch Verdrängung von Flüssigkeit in Vorschlag bringen. Dieselbe dürfte sich zunächst am Lebenden für die unteren Partien von Arm und Bein, von der Ellenbogen- und Kniebeuge abwärts recht wohl eignen. Auch für Knochen, deren Gewicht, wegen ungleichen Gefüges, nicht für zu- verlässig genug gilt, dürfte sich die Methode eignen, natürlich unter Berücksichtigung oder möglichster Beseitigung des Eintritts von Flüssigkeit ins Innere der Knochen. Eine empfehlenswerte Methode für die Feststellung einer un- gleichen Ausdehnung der Hautoberfläche und ungleichen Ausbildung der Muskelmassen dürfte eine Zählung der Nervenfasern in den 15) Außer der Arbeit von v. Bardeleben bereits oben zitierten und ihren in späteren Jahrgängen des Anat. Anz. veröffentlichten Nachträgen, seien hier nur noch die allgemeinen von Reh und Gaupp angeführt (Reh, L., Über Asymmetrie und Symmetrie im Tierreiche. Biol. Centralbl., Bd. XIX, 1899. — Gaupp, E., Die normalen Asymmetrien des menschlichen Körpers. Samml. anat. u. physiol. Vortr. Jena 1909. 31S Brandt, Arbeitshypothese über Rechts- und Linkshändigkeit. entsprechenden rechts- und linksseitigen Nervenstämmen der Ex- tremitäten abgeben. 2. Wünschenswert sind neue umfassende anatomisch-physio- logische Untersuchungen über den ontogenetischen Zeitpunkt des wahrnehmbaren Auftretens einer Ungleichheit der rechts- und Iinks- seitigen Extremitäten. Manche leugnen ja, dass dieselben angeboren, und verlegen ihr Auftreten zum Teil in eine spätere postembryonale Periode der Kindheit. 3. Zur Phylogenie empfiehlt es sich, fossile Menschenskelette, wo immer man derselben habhaft werden kann, immer wieder auf die relative Ausbildung der oberen und unteren, rechts- und links- seitigen Extremitäten zu untersuchen. Handelt es sich doch darum, zu prüfen, inwiefern die nach der Technik vorhistorischer Erzeugnisse erschlossene häufigere Gleichhändigkeit sich beweisen lässt. Des- gleichen ıst eine Berücksichtigung der Pithecanthopoiden in bezug auf ıhre anatomische Prädisposition zur Ungleichheit der beider- seitigen Extremitäten, nach Maßgabe neuer Funde wünschenswert. 4. Die an Skeletten von Menschenaffen vorgenommenen hoch- interessanten Messungen und Wägungen, welche auf die Existenz entgegengesetzter artlicher Veranlagungen hinweisen, differieren leider zum Teil bei den einzelnen Forschern, so dass eine einheit- liche Nachprüfung des Gesamtmaterials nach einheitlicher Methode erwünscht wäre. 5. Den Instituten für Tierpsychologie sei es besonders ans Herz gelegt, unter Beobachtung aller Kautelen an frischem, durch Nachahmung und Dressur noch nicht beeinflusstem Material die strittige Frage nach einer etwaigen, den Menschenaffen angeborenen Bevorzugung einer der Hände widerspruchslos zu entscheiden. Das- selbe gilt auch für die niedriger stehenden Affen. 6. Für die vierfüßigeh Säugetiere gilt es u. a., die unwillkür- lichen Kreisbewegungen, welche besonders die Gebrüder Guld- berg so erfolgreich untersuchten, noch des weiteren auszuspinnen, namentlich in Rücksicht der widersprechenden Ergebnisse anderer Forscher. (Auch am Menschen verschiedenen Alters sind aus dem nämlichen Grunde solche Versuche unter Berücksichtigung der nach anderen Methoden ermittelten anatomischen und physiologischen Ungleichheit der Beine — und auch der Arme — vorzunehmen.) 7. Die bisher recht unbestimmten Ergebnisse über bilaterale Asymmetrie bei Vögeln sind in erweitertem Umfang neu aufzu- nehmen. Ferner wollen auch die Reptilien in den Kreis der Unter- suchungen gezogen sein. Es sind hier in erster Linie Messungen, Wägungen und Volumbestimmungen an Knochen gemeint. - Zu empfehlen sind möglichst große rezente und auch fossile Tier- formen, wie straußartige Vögel, Krokodile, Hydrosaurier, Dino- saurier u. d. m. Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. 379 8. Die oben vertretene Hypothese berücksichtigt zwar nur die Amnioten bis auf die Hatteria herab, betrachtet die betreffenden Formen von Asymmetrie als eine Neuerwerbung der Amnioten, und dennoch dürfte vom allgemeineren Standpunkte aus, sel es auch zur Feststellung negativer Resultate, eine Übersehreitung des Gebietes nicht von = Hand zu weisen sein. Weiter oben schlüpften ein paar Daten in betreff von Lepedosteus, ja sogar Bdellostoma durch, und die Brüder Guldberg berufen sich auf die Aussage von Tauchern, welche vom Lichte geblendete Fische im Kreise vor der Taucherglocke schwimmen sahen, eine Angabe, welche immerhin zitiert wird. Ferner werden gelegentlich, bei Be- sprechung der quantitativen Asymmetrie unserer Körperhälften die Plattfische, ja selbst die Akranier in den Kreis der Betrachtungen gezogen, obgleich die Symmetriestörungen dieser der paarigen Glied- maßen entbehrenden Wesen andersartig sind und vielleicht ganz abseits vom großen Entwickelungspfade der Wirbeltiere on (Ich erinnere hier, für das Gen. Amphioxus an die seitliche Lage des Neuroporus — der Riechgrube — und des Afters, an die Verschiebung der rechts- und linksseitigen Muskelsegmente und Nervenwurzeln, an die linksseitige Lage der larvalen Mundspalte, welche in andern Genera auch die geschlechtsreifen Tiere beibe- halten, ferner daran, dass bei den Amphioxides Gonaden sich nur an der rechten Seite entwickeln.) Wem es belieben sollte, mit wenig Aussicht auf positiven Erfolg die Untersuchungen über Asym- metrie der Körperhälften und Extremitäten auf Lurche und Fische auszudehnen, dem seien, selbstredend, möglichst große Repräsen- tanten empfohlen, wie der Riesensalamander, wie die Haie. Tierverstand und Abstammungslehre. Von Dr. V. Franz, Leipzig-Marienhöhe. Das Problem des „Klugen Hans“ und der Elberfelder „denken- den und rechnenden“ Pferde ist schon viel diskutiert worden, und bald wird man allgemein zu der Ansicht kommen, dass der Worte genug gewechselt sind und man lieber „Taten“, also neue Beobach- tungen sehen möchte. Wenn ich trotzdem mich noch mit einer Meinungsäußerung hervorwage, obschon wie zahlreichen anderen so auch mir nur ein kurzer, zu irgendwelchen entscheidenden Be- obachtungen nicht hinreichender Besuch bei den gelehrigen Tieren vergönnt war, so geschieht es, weil ich einige noch nicht geäußerte Argumente zu der Diskussion beibringen möchte, Argumente, welche sich an meine im „Biolog. Centralblatt“ (1911) sowie an anderen Stellen gegebenen Den über das „Höhere“ und das „Niedere* im Organismenreiche, über die vermeintlichen Abstufungen in der „Lierreihe“ anschließen. 380 Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. Dass ein Pferd rechnen und menschenähnliche Intelligenz be- weisen könne, das soll, nach der auf dem letzten internationalen Zoologenkongress zu Monako von Dexler in Verbindung mit anderen Zoologen und Psychologen veröffentlichten Erklärung, eine „dem Entwickelungsgedanken völlig zuwiderlaufende“ Lehre sein. Inwie- fern würde denn dieses Ergebnis, welches — auch nach meiner Meinung — noch durch möglichst viele weitere Beobachtungen zu prüfen ist, dem Entwickelungsgedanken zuwiderlaufen? Spricht nicht aus diesen nur zu leicht Beifall findenden Worten eine recht veraltete Auffassung von der Entwickelung des Tierreiches? Es könnte damit wohl etwa folgendes gesagt sein: die Entwickelung schreite vom Einfacheren zum Komplizierteren fort; der Mensch stammt von tierischen Vorfahren ab; also müssen wir beim Menschen kompliziertere Zustände vorfinden als beim Tiere; so auch beim Baue seines Gehirns und bei der Leistungsfähigkeit desselben. — Man hätte meinen sollen, nur Laien können mit Staunen und un- gläubigem Kopfschütteln reagieren, wenn man ihnen mitteilt, dass so und so viele Fähigkeiten bei den und jenen Tierarten viel besser entwickelt sind als beim Menschen, der „Krone der Schöpfung“. Aber siehe da, auch gewissenhafte Forscher, denen z. B. auf dem Gebiete der Sinnesphysiologie die Überlegenheit der Tiere über den Menschen in zahlreichen Fällen eine längst ausgemachte Tat- sache ist, wissen auf die Behauptung, ein Tier könne rechnen, dog- matisch zu erwidern: das widerspreche der Entwickelungslehre. Vielleicht widerspricht es ihr bezw. dem „Entwickelungsgedanken* nur deshalb, weil dieser Gedanke unrichtig ist. Ich bin weit ent- fernt davon, die Entwickelungslehre in Bausch und Bogen zu ver- werfen. Aber darüber müssen wir uns doch heutzutage schon klar sein — obwohl noch heute Zoologen leben, die da glauben, die Vorfahren des Menschen hätten als Haifische im Meere umher- geschwommen und die Amöbe sei die Stammutter aller Tiere —, dass die ganze Organısmenwelt seit den Tagen des Präkambriums, also seit den ältesten versteinerungsführenden Schichten, die wir kennen, mit Ratzel gesprochen, sich nicht merklich zunehmend entwickelt hat, dass wir trotz der langen Reihe paläontologischer Urkunden vom Lebensfaden nur das Ende in der Hand haben und uns die Kenntnis der hypothetischen einfacheren, ursprünglicheren Stufen des Lebens auf Erden versagt ist. Finden wir doch in der Ära der ältesten Versteinerungen bereits alle größeren Tierstämme in reicher Entwickelung vertreten mit Ausnahme der Wirbeltiere, von denen wir jedoch mit Jaekel annehmen können, dass auch sie bereits vorhanden gewesen sein werden. Allerdings gibt es hier und da eine Zunahme der Kompliziertheit im Laufe der stammes- geschichtlichen Entwickelung, wofür z. B. der von Schicht zu Schicht komplizierter werdende Verlauf der „Lobenlinien“, einer sehr äußer- Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. 31 lichen Eigenschaft gewisser Vertreter der von Anfang an vor- handenen Klasse der Cephalopoden, und viele andere Beispiele genannt werden können. Aber diese Fälle der fortschreitenden Differenzierung werden vollständig paralysiert durch anderweitige Beispiele der Rückdifferenzierung im Laufe der Stammesgeschichte und durch das häufige Aussterben gerade der besonders kompliziert oder „aberrant“ entwickelten Gruppen. Unvoreingenommene Be- trachtung der gesamten heutigen und vorweltlichen Tierwelt — letz- tere soweit sie uns bekannt ıst — kann also nur lehren, dass von einer Zunahme der Entwickelung im ganzen seit außerordentlich weit zurückliegenden Zeiten nichts zu merken ıst. Wenn man sich dies einmal klar macht — zu bewundern wäre dann der Mut, welcher in der „Tierreihe* noch Anklänge an die phylogenetische Entwicke- lung erblicken wollte, anstatt sich der dann und wann schon von dem einen oder anderen Autor, wiederholt und am schärfsten aber wohl von mir ausgesprochenen Ansicht anzuschließen, dass die ver- meintlichen Unterschiede des Entwickelungsgrades in Wahrheit lediglich Unterschiede des Grades der Menschenähnlichkeit sind. Bemerkt sei noch, dass auch den Protisten einschließlich der zahl- reichen und in Bau wıe Funktion und Entwickelungsgang hoch komplizierten Amöbenarten nicht eine „niedere*“ noch ursprüng- liche Organisation zuzuschreiben ist, sondern die Eigentümlichkeit dieser Tiere vielmehr, wie dies unlängst C. Clifford Dobell vor- trefflich zeigte, darin liegt, dass sie eben von ganz anderer Bauart als die Metazoen sind, wie dies durch ihre Kleinheit und Einzellig- keit bedingt ist. Schon hat man versucht (A. Meyer), die Bak- terien als Abkömmlinge vielzelliger Pflanzen zu erweisen. Der Umstand, dass eine solche Auffassung möglich ist, gibt objektiv urteilenden Forschern (z. B. Benecke) zu bedenken, dass man die für jenen Teil des Organısmenreiches konstruierten Stammbäume ebensogut vorwärts wie rückwärts lesen darf. Ähnliches muss man sich auch in weiterem Sinne vergegenwärtigen; noch ist also nicht erwiesen, ob man besser die Protozoen als Vorfahren oder aber als Abkömmlinge vielzelliger Wesen betrachten sollte. So stehen also die Protozoen stammesgeschichtlich nicht anders da als die Metazoen, ebenso stehen alle größeren Metazoenabteilungen stammes- geschichtlich nebeneinander etwa wie Vettern, aber nicht wie verschie- dene Generationen, und so ist es denn auch ganz nichtssagend, den Menschen als das Endglied der Entwickelung oder das höchst- entwickelte Tier zu bezeichnen oder wie derartige Redeweisen lauten mögen. (Alltäglich begegnen wir noch den Ausdrücken „höhere“ und „niedere“ Organismen, oder der „Entwickelungsreihe“ „von der Amöbe bis herauf zum Menschen“, lauter Gedankenlosigkeiten, die verpönt sein müssten.) Was speziell den Menschen betrifft, so folgt aus den Darlegungen von Klaatsch noch deutlicher als man O2 Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. es früher schon wusste, dass er ın vielfacher Hinsicht außerordent- lich primitiv im Verhältnis zu anderen Wirbeltieren, insbesondere auch zu den menschenähnlichen Affen organisiert ist, und wenn wir uns die Ausdrucksweise, der Mensch stamme vom Affen ab, schon längst versagen und nur noch behaupten, dass beide, Mensch und Affe, gemeinsame Vorfahren haben, so würde die Quintessenz der Klaatsch’schen Ausführungen, „recht ins grobe versetzt und cum grano salıs zu verstehen, in der gewöhnlichen Schlagwortformulierung lauten: Der Mensch stammt nicht vom Affen ab, sondern der Affe vom Menschen“. Nicht wenig verwundert es mich daher, dass v. Buttel-Reepen, von dem nämlich die soeben zitierten Worte herrühren, bezüglich der Frage, ob den (Elberfelder) Pferden eine hohe Intelligenz zugeschrieben werden könne, zu dem Ergebnis kommt, diese Annahme würde „die Darwin’sche Theorie über den Haufen werfen“. Das würde sie noch lange nicht! Hat es auch die Darwin’sche Theorie über den Haufen geworfen, dass wir den Pferdehuf als eine weniger ursprüngliche Bildung ansehen als die menschliche Hand? Man entgegne also der Behauptung, das Pferd hätte Intelligenz, nicht mit einem so schlecht begründeten Dogma. Es ıst Aufgabe der Wissenschaft, die hier in Rede stehende Frage der Intelligenz bei einem Tiere durch tatsächliche Beobachtungen zu prüfen. Die Abstammungslehre kann dazu nichts sagen, denn der Mensch stammt nicht vom Pferde ab. Das wäre das eine, was ich sagen wollte, und nun komme ich zum zweiten. Was nämlich die Prüfung an der Hand von Tatsachen betrifft, so wird man sich hüten müssen, nicht in denjenigen Fehler zu ver- fallen, den man unzählige Male bereits begangen hat, nämlich die Uberbewertung der menschlichen und menschenähnlichen Merkmale und die Geringachtung der Eigenheiten anderweitiger Organismen, eine Betrachtungsweise, aus der sich allerdings mit Selbstverständ- lichkeit ein scheinbares Ansteigen der tierischen Organisationen zum Menschen hin ergeben muss. Die vergleichende Gehirnanatomie steht noch ganz und gar im Banne dieses Irrtums. Indem sie die „Höhe“ eines Wirbeltiergehirns nur danach beurteilen möchte, wieviel Großhirnrinde an ıhm gefunden wird, während sie anderweitige Gehirnteile bei der „Bewertung“ in Betracht zu ziehen vergisst, kommt sie mit aller Selbstverständlichkeit zu dem Ergebnis, dass die Landwirbeltiere an Gehirnentwickelung den Fischen voranstehen, und dass innerhalb der Landwirbeltiere die Reihe von den Am- phibien zu den Reptilien, Vögeln, Säugetieren und schließlich zum Menschen führe. Weiterhin zeigt sich in der Gehirnanatomie wie auf sonstigen Gebieten, dass wir uns immer wieder gar zu leicht dazu verleiten lassen, nachdem einmal der Glaube an die Gipfel- stellung des Menschen da ist, allerhand vermeintliche erneute Be- Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. 385 weise für sie zu finden. Es ist populär, zu sagen, der Mensch habe das windungsreichste und das größte Gehirn (Gehirn hier — Groß- hirn). Beides trifft durchaus nicht zu, würde übrigens auch nicht das Geringste beweisen. Denn der Windungsreichtum des Gehirns zeigt, abgesehen von so merkwürdigen nen wie z. B. seiner enormen Entwickelung bei Pinnipediern, die durch Ver- gleichung nahe verwandter Senn stets festzustellende Ge- setzmäßigkeit, dass er bei kleineren Arten resp. kleineren Gehirnen stets viel geringer ist als bei größeren. Das heisst also, er ist keine absolute Größe. Ebenso ist die Größe des Gehirns, sein Gewicht, absolut gemessen, viel weniger entscheidend als das relative Ge- wicht, dasjenige im Verhältnis zum übrigen Körper. Aber auch dieses gibt längst kein einwandfreies Maß, da „ceteris paribus“ oder im Durchschnitt größere Tiere immer ein geringeres relatives Hirn- gewicht haben als kleinere. Bedenkt man noch, dass die verschie- denen Tierkörper selber untereinander gar nicht quantitativ ver- gleichbar sind, dass z. B. die riesige Muskel- und in Abhängigkeit davon sonstige Körpermasse, die das Wasserleben beim Wal sowie beim Fisch er in. dert, etwas ganz anderes bedeutet als die geringeren Körpermassen eines le: es, welches wiederum von jedem Vogel an Leichtheit des Körperbaues übertroffen wird, so erkennt man leicht, dass uns in den angeführten Argumenten jegliche Handhabe für eine psychologische Hirnbeurteilung fehlt. Höchstens soviel können wir uns wohl sagen, dass das Fischgehirn an relativer Größe nicht so ungünstig dasteht wie es anfangs scheint, da eben der Fisch eine verhältnismäßig so sehr große Körpermasse hat; dagegen können wir nach dem Gehirnbaue nicht entscheiden, ob der Mensch ein besser entwickeltes Gehirn hat als der Affe oder das Pferd, oder ob vielmehr sein Gehirn nur deshalb relativ mäch- tiger entwickelt erscheint, weil sein Körper faktisch so viel schmäch- tiger entwickelt ist. Bemerkt sei noch, dass innerhalb der Spezies Mensch eine Zunahme der Gehirnentwickelung vom „Wilden“ zum „Kulturmenschen“ nicht einwandfrei festzustellen ist (vgl. Kohl- brugge). Einiger eventuell zur psychologischen Gehirnbeurteilung heranziehbarer Kriterien haben wir noch nicht gedacht. Über den Reich- tum an Dendritenverzweigungen bei Tieren wissen wir fast gar nichts. Über den Reichtum an Zellen elenmen, !), der ganz offenbar von der absoluten Größe des Gehirns viel ushenlenie: abhängt als von seinem Reichtum an Gedanken, brauchen wir wohl kaum Worte zu verlieren. Eher könnte.dies verlangt werden bezüglich der Edinger’- schen Stirnlappenlehre, deren Ergebnisse, mit den Brodmann'- schen Untersuchungen über den feineren Bau der Hirnrinde und die histologische Abgrenzbarkeit ihrer einzelnen Felder in diesem Punkte harmonierend, wiederum die Höchststellung des Menschen ergeben. Es ist mir zurzeit nicht möglich, über diese Forschungen 394 Franz, Tierverstand und Abstammungslehre. ebenso entschieden zu urteilen wie über die landläufigen Lehren betreffend Größe und Windungsreichtum des Gehirns. Es sei nur daran erinnert, dass diese Ergebnisse noch sehr neu sind und auf einer schließlich doch recht geringen Zahl von untersuchten Tier- arten fußen, so dass sie nur mit Vorsicht zu allgemeinen Schlüssen zu verwerten sind. Genug, es haben sich diejenigen Tatsachen, auf Grund deren man früher und bis in diese Zeit die Gipfel- stellung des menschlichen Gehirns erweisen zu können glaubte, als hierfür durchaus nicht hinreichend erwiesen. Mag schließlich am menschlichen Gehirn sich ein auch für den Anatomen bemerkbarer, auf Rechnung der Kulturanlagen zu setzender Überschuss über das Tiergehirn ergeben, zur Überbewertung des Menschen neigen wir allemal. Da wird man sich fragen müssen, ob eine solche nicht möglichenfalls auch auf dem Gebiete der ver- gleichenden Psychologie eingetreten sein könnte, ganz nach dem- selben Prinzip wie auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie, wo wir jetzt ihrer Überwindung entgegengehen. Auch auf dem Gebiete der Tierpsychologie sehen wir an den verschiedenen Tier- arten doch am leichtesten dasjenige, was uns vom Standpunkte der menschlichen Psychologie an ihnen auffällt. Mithin fallen unsere Beschreibungen des Verhaltens der Tiere leicht um so weniger vollständig aus, je weiter eine Tierart uns verwandtschaft- lich entfernt ist. Hier liegt eine neue Quelle, die uns verwandt- schaftlich ferner stehenden Typen für niedere zu halten, während faktisch bei jedem Tiere die psychologisch in Betracht fallenden Leistungen um so zahlreicher erscheinen werden, je eingehender wir uns mit ihm beschäftigen. Dass man die Protisten, selbst die Bienen, die Fische für Reflexmechanismen ansprechen konnte, während genauere Beobachtungen bei ihnen allen einen gewissen Grad von Lernvermögen erkennen ließ, sind Beispiele für das Ge- sagte. In vielen Fällen haben wir somit „niedere“ Wesen „heben“ müssen. Was wäre denn nun Wunderbares daran, wenn jemand, der sich mit einem Säugetiere viel eingehender beschäftigt als bisher jemals geschehen, auch bei dieser Tierart auf die Spur reicherer psychischer Leistungen käme, als es früher gelungen ist? Allen Anschein nach liegt doch bei den Pferden nach den Beobachtungen v. Osten’s, Krall’s und seiner Besucher wirklich eine uns bisher nicht bekannt gewesene Lernfähigkeit vor, kein alleiniges Reagieren auf Signale. Sie verstehen wohl eine ganze Anzahl Worte der menschlichen Sprache, auch manchen Satz, können einfachere Rechenaufgaben lösen und schwierigere wie z. B. Wurzel- ausziehungen halb ratend finden, verhalten sich also hierin, übrigens auch in manchem anderen Punkte, z. B. in der Irritierbarkeit durch eine Kommission, etwa so wie ein im Kopfrechnen besonders ge- schickter Schulknabe. Auch ein Schulknabe sucht die richtige Bernstein, Elektrobiologie. 38d Antwort oft außer durch Nachdenken auch durch Ablesen von der Miene des Lehrers zu finden, auch er benutzt also „Signale“, mit deren wissenschaftlicher Analyse man sich noch nicht befasst hat. So etwa möchte ich die Sache bis auf weiteres auffassen und damit am nächsten mit Plate übereinkommen, der sich nicht scheut, auch beim Pferde von Intelligenz zu sprechen, und dessen in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift abgedruckter Bericht sich vor denen aller anderen Forscher durch Mitteilung prinzipiell neuer Beobachtungen zur Sache auszeichnet, nämlich von Berechnungen über die Zahl der falschen und richtigen Ant- worten, die seine Annahme stützen. — Doch meine Absicht ist durchaus nicht, mich in der Frage der Pferdeintelligenz auf einen bestimmten Standpunkt festzulegen, sondern einstweilen zu zeigen, dass selbst die Krall’sche Auf- fassung nicht nur der Entwickelungslehre nicht wider- spricht, sondern vielmehr gerade in derjenigen Rich- tung liegen würde, nach welcher hin wir die Entwicke- lungslehre gegenwärtig umgestalten müssen. Julius Bernstein. Elektrobiologie. Die Lehre von den elektrischen Vorgängen im Organismus auf moderner Grund- lage dargestellt. (Die Wissenschaft. Heft 44.) 8. IX und 215 Seiten. Braun- schweig. 1912. F. Vieweg & Sohn. Die neuen Erkenntnisse, welche durch die physikalisch-chemischen und andere Forschungen für das Entstehen elektrischer Potential- differenzen in geschlossenen, nur aus Leitern zweiter Klasse ge- bildeten Stromkreisen geschaffen worden sind, konnten nıcht ohne Einfluss auf die Auffassung der elektrobiologischen Erscheinungen bleiben. Als E. du Bois-Reymond die Gesamtheit dieser Er- scheinungen, soweit sie bis dahin bekannt waren oder durch seine eigenen mustergültigen Forschungen festgestellt wurden, im Zu- sammenhang darzustellen versuchte, musste er sich naturgemäß auf die damals gangbaren Anschauungen stützen!). Diese gingen aus von der Annahme sogenannter elektromotorischer Kräfte, welche bei dem Kontakt chemisch-differenter Substanzen auftreten, ohne dass man über den Zusammenhang dieser Kräfte mit den chemischen (oder auch physikalischen) Unterschieden der sich be- rührenden Stoffe genauere Vorstellungen hatte. Die Potential- 1) Die erste Veröffentlichung seiner Untersuchungen brachte du Bois-Rey- mond in einem kurzen Aufsatz in Poggendorf’s Annalen 1843. Von seinem großen Werk erschien der 1. Band 1848, die erste Hälfte des 2. Bandes 1849, eine Fortsetzung 1860, eine zweite 1884, ohne dass das Werk vollendet wurde. Viele Nachträge wurden gesammelt in dem Werke: Gesammelte Abhandlungen zur allge- meinen Muskel- und Nervenphysik. Bd. 1, 1875. Bd. 2, 1875. Außerdem sind noch zu nennen die Untersuchungen am Zitteraal. 18S1, 386 3ernstein, Elektrobiologie. differenzen als gegeben angesehen, suchte dann du Bois-Rey- mond, offenbar unter dem Einfluss der Ampere’schen Magnet- theorie die auftretenden Ströme durch die Anordnung kleiner Elemente, an denen die elektromotorischen Kräfte haften sollten, die anderungen derselben durch Lageänderungen jener Teilchen darzustellen. Dass er jene Elemente als „Molekeln“ bezeichnete, halte ich für einen unglücklichen Griff. Im übrigen bin ich noch heute der Ansicht, dass seine Darstellung dem damaligen Stande der wissenschaftlichen Kenntnis vollkommen entsprochen habe. Aber theoretische Darstellungen müssen es sich gefallen lassen, modifiziert oder auch vollkommen umgestoßen zu werden, wenn neue Anschauungen Platz greifen, welche den Tatsachen auf ein- fachere Weise gerecht werden, oder wenn gar neue Tatsachen die alte Darstellungsweise als ungenügend erweisen. Eine solche neue Grundlage für die Darstellung fand der Verfasser des vorliegenden Werkes ım Anschluss an Vorarbeiten anderer ın der „Membran- theorie“ 1902. Ihrer Auseinandersetzung und Begründung ist das Buch gewidmet, doch enthält es auch eine Weiterentwickelung und bringt eine Darstellung des Gesamtgebietes an der Hand einer durch theoretische Erwägungen begründeten Auseinandersetzung. Das erste Kapitel gibt eine kurze historische Darstellung, be- ginnend mit den Versuchen von Galvanı und Volta bis zur Alte- rationstheorie von L. Hermann, das zweite einen Bericht über die Theorie der elektrischen Ketten von W. Gibbs und H. v. Helm- holtz, die Nernst’sche Theorie der Konzentrationsketten und der Phasengrenzkräfte nach Nernst und Riesenfeld. Das dritte be- richtet über die elektrischen Vorgänge ın Nerven und Muskeln in ihrer Beziehung zur Erregung, Reizleitung und Kontraktion. Hier werden des Verfassers Versuche mit dem Differentialrheotom er- wähnt, welche den Nachweis geliefert haben, dass eine erregte Stelle negative Spannung annımmt gegen alle ruhenden Stellen und dass diese Spannungsänderung sich in Nerven und Muskeln mit der gleichen Geschwindigkeit fortpflanzt wie die Erregung, sowie die Bestätigung und Erweiterung dieser Erfahrungen durch Versuche mit dem Kapillarelektrometer und dem Saitengalvano- meter, wobei zu bemerken ist, dass beim Muskel die Reizwelle in ihrem Hauptteile bereits abgelaufen ist, ehe eine merkliche Zu- sammenziehung beginnt. Man hat hieraus den Schluss gezogen, dass die elektrischen Vorgänge im Muskel an eine andere Substanz gebunden seien als die mechanischen. Die möglichen Deutungen der Versuchsergebnisse, auch bei Vergleichung der isotonischen und ıisometrischen Zuckung sowie bei wiederholten Reizungen (Tetanus) werden besprochen, ohne dass der Verfasser zu einer abschließenden Anschauung gelangt. Das vierte Kapitel bespricht die analogen Erscheinungen an Nerven, wobei die Unterschiede besprochen werden, welche man an verschiedenen Nerven gefunden hat, ferner die wenigen Erfahrungen am Zentralnervensystem, die ergiebigeren am Herzen (Elektrokardiogramm), die Versuche an glatten Muskelfasern und an der Netzhaut des Auges bei Belichtung. Bernstein, Elektrobiologie. 387 Im fünften Kapitel wird die Membrantheorie vorgetragen, welche Herr Bernstein zum Ersatz der du Bois-Reymond’schen Molekulartheorie aufgestellt hat. Nachdem Ostwald gefunden hatte, dass halbdurchlässige Membranen sich verschieden gegen die Ionen eines Elektrolyts verhalten, so dass die Kationen sich auf der einen, die Anıonen auf der anderen Seite der Membran an- häufen und dass dadurch größere Potentialdifferenzen entstehen als sonst ın Flüssigkeitsketten, sprach er schon die Vermutung aus, dass dies zur Aufklärung über die biologisch-elektrischen Erschei- nungen dienen könnte. "Zehn Jahre später (1901 und 1902) kamen Oker-Blom und Bernstein auf diese Theorie zurück. Bern- stein unternahm die Untersuchung des Muskelstroms nach thermo- dynamischen Gesichtspunkten. Aus den (im zweiten Kapitel behandelten) Untersuchungen von v. Helmholtz über Konzentrationsketten, bei denen gar keine chemische Aktion stattfindet, geht hervor, dass bei ihnen die elek- trısche Energie auf Kosten den Flüssigkeiten entzogener oder von außen zugeführter Wärme entsteht und dass ihre elektromotorische Kraft proportional der absoluten Temperatur steigt. Sie haben einen positiven Temperaturkoöffizienten. Als nun Bernstein die elektromotorische Kraft des Muskels daraufhin untersuchte, ergab sich das Gleiche (1902). Hierauf sich stützend entwarf er die Membrantheorie der bioelektrischen Ströme. Denkt man sich (es ist zunächst nur vom Muskel die Rede) die Muskelfaser von einer semipermeablen Membran umhüllt, das Innere derselben von einer stärkeren Konzentration eines Elektrolyten erfüllt und außen von einer schwächer konzentrierten Lösung umspült, so treten die positiven Ionen durch die Membran, während sich die negativen an der Innenfläche ansammeln. Diese Membran umschließt ent- weder das ganze histologisch als Muskelfaser bezeichnete Gebilde, oder jede sogenannte Fibrille, was Bernstein als wahrscheinlicher ansieht. Wird irgendwo ein Querschnitt angelegt, so tritt hier an die Stelle des Membranpotentials ein viel schwächeres freies Diffusionspotential. Der Querschnitt muss daher negativ gegen den Längsschnitt werden. Der stärkere Potentialsprung liegt also am Längsschnitt, nicht am Querschnitt, wie es nach Hermann’s Alte- rationshypothese anzunehmen wäre. In Ubereinstimmung damit findet Bernstein, dass bei ungleichen Temperaturen verschiedener Stellen des Muskels die wärmere Stelle positiv ist gegen die kältere und dass diese Ströme nahezu proportional den Temperaturdiffe- renzen sind. Wird der Strom von Längs- und Querschnitt abge- leitet, so ist die Stärke des Stromes nur von der Temperatur der Längsschnittstelle, nicht von der des Querschnittes abhängig. Ähnliche „Temperaturströme* zeigen verschiedene Längsschnitt- stellen des Nerven, wenn ihre Temperaturen ungleich sind. Da- gegen wird der Längs-Querschnittstrom des Nerven beim Erwärmen des Querschnittes schwächer, beim Abkühlen stärker, was dadurch erklärt wird, dass sich der Querschnitt des Nerven schnell durch eine Membran abgrenze (Ran vier’sche Schnürringe?). Die negative 388 Der XIII. Internationale medizinische Kongress. Schwankung wird erklärt durch die Annahme, dass die Membran an den chemischen Veränderungen teilnehme, welche bei der Rei- zung vor sich gehen und dass sie dabei für die negativen Ionen durchgängiger werde. Daher könne auch bei stärkster Reizung die Potentialdifferenz höchstens bis Null heruntergehen, aber niemals sich umkehren, was durch Versuche mit dem Rheotom und dem Quecksilberelektrometer belegt wird. Das sechste Kapitel handelt von den elektrischen Fischen und zeigt, dass auch hier die Erscheinungen sich durch die Membran- theorie ungezwungen deuten lassen und dass alle festgestellten Er- scheinungen mit ıhr ım Einklang sind. Im siebenten Kapitel wird die innere Polarisation und die elektrische Reizung besprochen. Der sogenannte Elektrotonus wird nach der Kernleiterhypothese von Hermann dargestellt, die Polarisation aus den Annahmen der Membrantheorie abgeleitet. Sodann werden die Gesetze der elek- trischen Erregung von du Bois-Reymond, Hoorweg und von Nernst besprochen und gezeigt, dass die Nernst’schen Formeln sich sehr gut mit der Membrantheorie vereinigen lassen. — Im achten Kapitel werden die Haut- und Drüsenströme und ihre Be- deutung für die Sekretion und Resorption besprochen und auf Grund der Erscheinungen der Elektroosmose gleichfalls eine Membran- theorie derselben entwickelt, im neunten Kapitel wird diese auf alle Zellen übertragen und daran eine Deutung der Pflanzenströme und der Reizbewegungen beı Pflanzen geknüpft; das zehnte Kapitel endlich beschäftigt sich mit der Elektrokinese, welche auch zur Erklärung der karyokinetischen Erscheinungen verwertet wird. Auf den Inhalt dieser Kapitel gehe ich nicht ım einzelnen ein, weil es sich dabei um die ersten Schritte der Deutung der Erscheinungen auf der Grundlage der Membrantheorie handelt, welche allerdings auch durch einzelne Versuchsergebnisse gestützt werden. — Ein Anhang endlich gibt eine kurze aber lesenswerte Beschreibung des (uecksilberelektrometers und des Saitengalvanometers. Fassen wir alles zusammen, so können wir ın der Membran- theorie einen sehr beachtenswerten Versuch sehen, unsere Kenntnis der elektrobiologischen Erscheinungen mit dem heutigen Stand der physikalisch-chemischen Errungenschaften in Einklang zu bringen. Noch geht die Durchführung der Darstellung nicht ohne Mithilfe von allerlei Hilfshypothesen ad hoc ab. Immerhin aber ergibt die Theorie den Ausblick auf eine Anzahl von Versuchen, welche bisher nur ungenügend in Angriff genommen worden sind, und deren weitere Verfolgung imstande sein wird, uns neue Anschauungen zu vermitteln. J. Rosenthal. Der XIII. Internationale medizinische Kongress wird zu London vom 9. bis 12. August 1913 abgehalten werden. — Anmeldungen sind zu richten an „Ihe Treasurers of the VIIIth International Congress of Medicine, 13 Hinde Street, London W.“ Beitrag 20 Mk. — für Damen die Hälfte. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen, Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. .R.. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herru Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. BaXxxım. So, Mm Inhalt: Correns, Selbststerilität und Individualstoffe.. — Schwantke, Bemerkungen zur Tier- psychologie veranlasst durch den Aufsatz von Camillo Schneider: Die rechnenden !’ferde. — Carazzi, Über die Schlafstellung der Fische. — Baunacke, Studien zur Frage nach der Statoeystenfunktion. — Hertwig, Allgemeine Biologie. — Berichtigung. Selbststerilität und Individualstoffe. Von €. Correns'). Einleitung und Literatur. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass im Tierreich wie ım Pflanzenreich den erblichen Unterschieden, die eine Art von ihren nächsten Verwandten trennen, stets stoffliche Differenzen zugrunde 1) Die nachfolgende Untersuchung ist in der „Festschrift zur S4. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Münster in Westfalen“, herausgegeben von der Medizinisch-Naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Münster, S. 1586— 217, an- fangs September 1912 erschienen. Da sie an dieser Stelle schwer zugänglich sein und doch einiges allgemeineres Interesse besitzen dürfte, bin ich dankbar dafür, dass sie auch in das Biologische Centralblatt aufgenommen werden konnte. Sie ist bis auf wenige Korrekturen ganz unverändert geblieben; ein kleiner Zusatz über die Ursache der Selbststerilität bei (ardamine auf S. 319 steht in Klammern. Nachdem die Versuchspflanzen, auf deren Verhalten sich die nachstehende Mitteilung gründet, den Winter von 1910 auf 1911 alle sehr gut überstanden hatten, gingen im Winter 1911 auf 1912 mehr als zwei Drittel zugrunde, darunter die eine unersetzliche Stammpflanze und sämtliche Ableger, die ich davon gemacht hatte, so dass ich 1912 von vorn anfangen musste. Da es mindestens zwei Jahre dauern wird, ehe ich wieder so weit bin, wie ich schon war, gebe ich hier einstweilen die gewonnenen Resultate und behalte mir vor, auf das Thema zurückzukommen. Im einzelnen noch unvollständig, sind die Ergebnisse doch im Hauptpunkt beweisend, dafür, dass die Hemmungsstoffe, die die Selbststerilität der Cardamine pratensis bedingen, nach bestimmten Gesetzen vererbt werden und keine Individualstoffe sind. XXXIl. 26 390 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. liegen. Das ist bei Unterschieden in der chemischen Zusammen- setzung und ım Stoffwechsel ohne weiteres deutlich, wenn z. B. zwei Tierarten verschieden kristallisierende Hämoglobine besitzen oder die Verschiedenheit ihrer Blutsera durch das Ausbleiben der Präzipitinreaktion verraten. Aber auch wenn die für uns erkenn- baren Merkmale selbst nicht stofflicher Natur sind, wenn sie z. B. in Form- oder Größenunterschieden bestehen, müssen wenigstens die Anlagen, auf deren Entfaltung unter den gegebenen äußeren Bedingungen das Auftreten der betreffenden Merkmale beruht, chemisch verschiedene Körper sein. Man darf also mit gutem Recht von spezifischen chemischen Stoffen sprechen; sie finden sich überall da, wo wir zwei syste- matische Einheiten durch konstante Unterschiede auseinander halten können, mag es sich dabei um „Arten“ handeln oder um Einheiten, die eine höhere Rangstufe einnehmen, also Gattungen, Familien etc. sind, oder um Einheiten, die eine niedrigere Stufe darstellen und nur den Wert von Varietäten, Elementararten oder gar „Linien“ haben. Immer mehr bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass auch ganz geringfügige Merkmale vererbt werden, konstant sein können. Seit den 50er Jahren des verflossenen Jahrhunderts haben Alexis Jordan und andere auf botanischem Gebiet gezeigt, dass eine ganze Reihe Linn&’scher „guter“ Arten aus einer Menge, oft aus einer Unzahl nächstverwandter, wenig verschiedener Sippen, „Elementar- arten“ („petites especes“) bestehen, die bei der Aussaat wieder genau ihresgleichen hervorbringen. Das Frühlingshungerblümchen (Erophila verna) und das Stief- mütterchen (Viola tricolor) sınd z. B. schon von Jordan selbst so zerlegt worden, Frauenmantel (Alchimilla vulgaris) und Löwenzahn (Taraxacum officinale) erst ın neuerer Zeit. — Als sich zu Anfang unseres Jahrhunderts diese Erkenntnis allgemein durchgesetzt hatte, trat W. Johannsen mit dem Nachweis hervor, dass auch eine solche Elementarart noch nichts Einheitliches ist oder doch nichts Einheitliches zu sein braucht. Eine Gartensorte, z. B. die „braune Prinzessbohne“, besteht wieder aus einer Menge noch einfacherer, voneinander sehr wenig verschiedener, aber konstanter systematischer Einheiten niedrigsten Grades, „Linien“, deren Existenz sich nur durch besonders exakte Vererbungsversuche nachweisen lässt. Die Wirkung der vorübergehenden, das einzelne Individuum während der Ausbildung des Merkmals treffenden äußeren Einflüsse kann viel größer ausfallen als die Wirkung der inneren Verschieden- heiten der Linien unter sich, also der für die einzelnen Linien cha- rakteristischen Anlagen. Die Linien sind dann als solche nicht ohne weiteres auseinander zu halten, sondern bilden zusammen eine „Population“. Die Unterscheidung zwischen dem, was von den Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 29] Eigenschaften eines Individuums durch die veränderlichen äußeren Einflüsse (die „Ernährung“ ım weitesten Sinne) bedingt wird, und dem, was von der (säkular) unveränderlichen, inneren Beschaffen- heit, den Anlagen, abhängt, tritt nach diesen Untersuchungen erst recht scharf hervor. Solche niedrigsten systematischen Einheiten, wie die Linien Johannsen’s, sind sicher überall ım Tier- und Pflanzenreich vor- handen. Sie sind aber nur da ohne weiteres nachzuweisen, wo die Fortpflanzung ausschließlich oder fast ausschließlich durch Selbst- befruchtung oder auf ungeschlechtlichem Wege vor sich geht. Je sicherer durch Geschlechtertrennung, Selbststerilität oder auf andere Weise dafür gesorgt ist, dass die Linien fortwährend untereinander bastardiert werden, desto schwerer ıst ıhr Nachweis, bis er schließ- lich fast unmöglich wird. Man wird mit vollem Recht selbst den Linien Johannsen’s spezifische Stoffe, „Linienstoffe“, zuschreiben dürfen, und es ist verführerisch, noch einen Schritt weiter zu gehen und als letzte Konsequenz auch für die einzelnen Individuen einer Linie verschiedene . charakteristische chemische Stoffe, „Individual- stoffe“, anzunehmen. In diesem Sinne haben sich z. B. Ham- burger, Abderhalden, Jost?) geäußert. Abderhalden’) spricht z. B. von Tatsachen, die wohl geeignet sind, „nicht nur jede Tierart, sondern vielleicht auch jedes Einzelindividuum als ein in seinem ganzen Stoffwechsel wohlabgegrenztes und charakterisiertes Wesen erscheinen zu lassen.“ Auch V. Häcker*) hält sich mit R. Fick berechtigt, nicht nur von Art-, sondern auch von Individual- plasma zu sprechen. Meiner Meinung nach hat man nur dann ein Recht, von einem „Individualstoff“ zu sprechen, wenn man darunter einen dem be- treffenden Individuum eigenen, bestimmten chemischen Körper, wenn auch von sehr kompliziertem Bau, verstehen will. In diesem Sinne ist der Begriff Individualstoff jedenfalls von einem Teil der genannten Autoren, z. B. von Jost, verstanden worden. Um die Möglichkeit zu beweisen, dass jedes Individuum einer Linie oder Art einen anderen Individualstoff ausbildet, hat man auf die zahlreichen Modifikationen hingewiesen, in denen eine sehr kompliziert gebaute organische Verbindung vorkommen kann. 2) L. Jost, Über die Selbststerilität einiger Blüten. Botan. Zeit. 1907, Heft V u. VI (1907), p. 112; hier die Zitate für Hamburger (Arteigenheit und Assimi- lation, Leipzig und Wien 1903) und E. Abderhalden (Der Artbegriff und die Artkonstanz auf biologisch-chemischer Grundlage. Naturwiss. Rundschau, p. XIX, p- 557, 1904). 3) E. Abderhalden, Lehrbuch der physiologischen Chemie, II. Aufl., p. 591 (1909). 4) V. Häcker, Allgemeine Vererbungslehre, II. Aufl., p. 27 (1912). 26* 399 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. Miescher?’) hat wohl zuerst ın ähnlichem Zusammenhang betont, dass ein Eiweiß- oder Hämoglobinmolekül bei seiner enormen Größe und seinen vielen asymmetrischen Kohlenstoffatomen eine kolossale Menge von Stereoisomeren erlaubt. Danach scheint es auf den ersten Blick wohl möglich, dass jedes Individuum eines größeren Artbestandes, z. B. eines Roggenfeldes, sein eigenes Isomer besitzt, wenn es auch für die Gesamtheit aller in einem Jahre vorhandenen Roggenpflanzen ®) kaum möglich wäre. Überlegt man sich die Sach- lage aber näher, so wird man, wie ich glaube, bald finden, daß sie nicht so einfach ıst. Nur dann ist z. B. die Möglichkeit gegeben, dass jede Roggenpflanze eines Feldes auch wirklich ein anderes Isomer erhält, wenn entweder die einzelnen Isomeren überlegt auf die einzelnen Pflanzen verteilt werden, was natürlich ausge- schlossen ist, oder wenn, bei Entstehung und Verteilung durch den Zufall, die Zahl der Isomeren unendlich viel größer ıst als die Zahl der Pflanzen. Sonst müssen sehr rasch Wiederholungen eintreten und dieselben Individuen denselben Stoff erhalten”). Schon von dieser Seite dürften der Annahme, dass jedes, oder annähernd jedes Individuum seinen eigenen Stoff bildet, sehr erheb- liche Bedenken entgegenstehen; die Hauptschwierigkeit scheint mir aber auf einer anderen Seite zu liegen. Die Bildung der Stoffe, dıe für die einzelnen Individuen cha- rakteristisch sein sollen, kann nicht von äußeren Einflüssen abhängen, denn dann wären sie nicht dem einzelnen Individuum eigen, sie kann auch nicht durch Anlagen bestimmt sein, dann 5) Fr. Miescher, Histochemische und physiologische Arbeiten, Bd. I, p. 117 (1897). 6) Rechnet man die mit Roggen bebaute Fläche für Deutschland zu 6 Millionen Hektar, für Europa zu 41 Millionen (nach dem statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1903) und nimmt für den Quadratmeter 100 Roggenpflanzen an, so erhält man für jedes Jahr 6 resp. 41 Billionen Roggenpflanzen. 7) Es sei die Zahl der Individuen so groß, wie die Zahl der möglichen Iso- merien, nämlich — n, und der Zufall entscheide nicht nur, was für ein Isomer jedes- mal entsteht, sondern auch, welches Individuum dieses Isomer in jedem einzelnen Falle erhält, so stehen für das zweite Individuum nicht mehr n-Isomerien zur Ver- fügung. sondern nur n—1 (eine hat ja schon das erste Individuum erhalten), für das dritte n- 2, für das vierte n—3 u. s. w., bis für das letzte Individuum nur noch ein Isomer übrig ist. Für das zweite Individuum sind die Chancen, ein anderes n-(n—1)-(n—2) nn ussathe Isomer zu erhalten als das erste, ee für das dritte ! n: für das letzte =. Dieser Wert n! wird mit steigendem n sehr rasch verschwindend 74 klein gegenüber den Potenzen von n. Für n = 2 ist die Chance, dass jedes Indi- viduum ein anderes Isomer bekommt, 4, fürn =3 ist sie 6, firn=4,4, für n = 55,15%, für n= 6 schon „12%, u.s. w. Nur dadurch, dass die Zahl der mög- lichen Isomerien größer ist als die der zu versehenden Pflanzen, und zwar in einem Verhältnis, das sehr viel rascher zunimmt als die Zahl der Pflanzen, kann das aus- geglichen werden. Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 393 wären sie ererbt und würden von Generation zu Generation weiter gegeben, und es könnte sich ebenfalls nicht um den einzelnen Indi- viduen eigene Stoffe handeln. Es müsste vielmehr jedesmal bei der Befruchtung, aus der das Individuum hervorgeht, eine besondere Verbindung oder ein besonderes Isomer entstehen, konstant für das betreffende Individuum — denn dieses besitzt sie sein Leben lang —, aber mit dem Individuum zugrunde gehend, wobei der „Zufall“ die stets wechselnde Atomgruppierung besorgen müsste. Nun kennen wir aber zurzeit mit Sicherheit an den Organısmen des Tier- und Pflanzenreichs keine anderen Eigenschaften als solche, die entweder von inneren vererbten Anlagen oder von äußeren Einflüssen herrühren, oder, richtiger ausgedrückt, wir kennen nur Eigenschaften, die auf inneren Anlagen beruhen und unter dem Einfluss der äußeren Faktoren entfaltet werden. Für Eigenschaften, die so entstünden, wie die Individualstoffe entstehen müssten, fehlen sichere Beispiele. Jost hat dies deutlich empfunden; er sagt°): „Schwieriger ist die Frage nach der Entstehung immer neuer solcher Stoffe bei der fortwährenden Neuentstehung von Individuen.“ Das beweist natürlich nicht, dass es solche Eigenschaften nicht geben kann, mahnt aber zur Vorsicht und fordert dazu auf, das ganze Problem der „Individualstoffe“ genauer zu prüfen. Eın Versuch dazu soll im folgenden gemacht werden, durch Untersuchung der Selbststerilität. Wenn irgendwo, so scheint hier die Annahme besonderer, für jedes Individuum eigentümlicher Stoffe berechtigt, wie wir gleich sehen werden. Es ist eine Anzahl Blütenpflanzen bekannt, bei denen zwar Staubgefäße und Stempel in derselben Blüte in durchaus tauglichem Zustand ausgebildet werden, bei denen aber die Belegung der Narbe mit dem eigenen Blütenstaub völlig oder fast völlig unwirksam ist. Sie sınd „selbststeril“. Dabei bleibt es sich im wesentlichen gleich, ob der Blütenstaub aus den Staubgefäßen derselben Blüte stammt oder aus denen einer anderen Blüte desselben Stockes. Ja, auch der Blütenstaub eines anderen Individuums, das auf un- geschlechtlichem Wege, als Steckling, als Ableger, als Pfropf- reis etc., aus dem ersten hervorgegangen ist oder von der gleichen, ungeschlechtlichen Herkunft ıst, bleibt wirkungslos. Mit dem „tremden“ Blütenstaub eines anderen, auf geschlechtlichem Wege entstandenen Individuums trıtt dagegen normaler Fruchtansatz ein. Entsprechendes kommt auch bei hermaphroditischen Tieren vor; die Eier lassen sich dann durch das Sperma desselben Individuums nicht befruchten. Diese für Pflanzen schon längere Zeit, vor allem durch Darwin?) Else Selkl. 9) Ch. Darwin, Die Wirkungen der Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzen- reich. Stuttgart 1877, p. 3221. 394 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. bekannt gewordene Erscheinung ist zuletzt von L. Jost!) einer eingehenden Untersuchung unterworfen worden, wobei die Frage nach den Ursachen der Selbststerilität im Vordergrund stand. Jost konnte nachweisen, dass bei solchen Gewächsen der eigene Blütenstaub schon auf der Narbe und dann weiterhin im Griffel in seiner Entwickelung (bei der Bildung der Pollenschläuche) ge- hemmt ıst, so dass die Befruchtung der Eizellen in den Samen- anlagen des Fruchtknotens nicht oder nur ausnahmsweise eintreten kann, während der fremde Blütenstaub die zur Befruchtung nötigen Schläuche ungehindert entwickeln kann. Jost sieht als Ursache dafür die Anwesenheit „individueller“ Stoffe an, wie vor ihm schon Strasburger!!), wenn auch in etwas anderem Sinne. Er neigt zur Ansicht, dass die eigenen Individualstoffe gleichgültig seien, dass dagegen die individuellen Stoffe aus einer anderen Blüte Stimulantıa sind, und stützt sich dabei auf Erfahrungen, die er bei seinen Versuchen, Pollenkörner in künstlicher Nährlösung zur normalen Schlauchbildung zu bringen, machte. Es stellte sich dabei heraus, dass das nie gelang. Die Schläuche blieben, auch günstigsten Falles, viel zu kurz. Das führte ihn zu der Annahme, dass ıhnen m der Natur von Narbe und Griffel Stoffe geboten werden, die wachstumsfördernd wirken, und dies wiederum zur An- nahme, dass bei den selbstbestäubten Blüten selbststeriler Pflanzen diese nötigen Reizstoffe für Pollenkörner und Pollenschläuche nicht vorhanden sind. Wir wollen hier auf die Gründe für und wider nicht eingehen und einfach von Hemmungsstoffen sprechen, die die normale Entwickelung des eigenen Pollens verhindern, mag diese Hemmung wörtlich zu nehmen sein, oder nur auf dem Ausbleiben einer Förde- rung der Pollenkeimung beruhen. Darin, dass es sich dabei nicht um das Protoplasma, oder gar das Idioplasma, handeln kann, sondern nur um lösliche, diffusionsfähige Stoffe, stimme ich Jost vollkommen bei. Es herrscht nun offenbar die Ansicht, dass der Pollen jedes fremden (aus einem anderen Sexualakt hervorgegangenen) Individuums 10) L. Jost, Über die Selbststerilität einiger Blüten. Botan. Zeit 1907, Heft V u. VI. Die Fälle, in denen die Narbe verletzt werden muss, damit der Blüten- staub auf ihr keimen kann, wo aber, nach dieser Verletzung, fremder und eigener Pollen gleich tauglich zur Befruchtung ist, scheiden für uns aus. Hier besteht keine Selbststerilität, es muss nur überhaupt ein Insektenbesuch erfolgen, damit eine wirksame Bestäubung eintritt. Man könnte solche Pflanzen (der Goldregen- baum, Oytisus Laburnum, gehört dazu) einfach in die Kategorie der „Herkogamen“ stellen. 11) E. Strasburger, Über fremdartige Bestäubungen (Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. XVII, p. 84), 856. Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 395 die Befruchtung ausführen kann. Jost!?) sagt vorsichtiger, es scheine so zu sein. Verhielte sich die Sache wirklich so, dann bliebe freilich kaum etwas anderes übrig, als anzunehmen, dass „immer neue solche Stoffe bei der fortwährenden neuen Entstehung von Individuen entstehen“. Hier konnte das Experiment einsetzen. Auffallenderweise hat sich aber noch fast niemand mit dieser Fragestellung an die selbst- sterilen Organismen herangewagt, und die wenigen einschlägigen Versuchsreihen sind mit Individuen angestellt worden, die aufs Geratewohl herausgegriffen und nicht unter dem Gesichtspunkt aus- gewählt waren, ob die Hemmungsstoffe vererbt oder neu gebildet würden. Von Darwin!?) haben wir einige Angaben für die Garten- reseda (Zeseda odorata), deren Individuen teils selbststeril, teils selbstfertil sind. Er führte zwischen fünf selbststerilen Pflanzen (A, B,0, D, E) fast alle möglichen Verbindungen aus, die meisten auf beide Weisen (als Ao+Bd, Bo -+A dete.; es fehlt B+E), und fand sie alle fertil, während alle Selbstbestäubungen erfolglos blieben. Leider ist über die Herkunft, resp. die eventuelle Ver- wandtschaft der fünf Individuen gar nichts bekannt. Vor allem ist aber hier T. H. Morgan’s'*) zu gedenken, der bei seinen ausgedehnten Versuchen über die Selbststerilität der hermaphroditischen Ascidie Oiona auch die Frage studiert hat, ob das Sperma eines Individuums die Eier aller anderen Individuen mit gleicher Leichtigkeit befruchten könne. Er hat zu diesem Zweck über 600 Kreuzungen zwischen verschiedenen Individuen ausgeführt. Das Ergebnis war, dass durchaus nicht jede Kombination, bei der fremde Eier und Spermatozoen zusammengebracht wurden, den gleichen guten Erfolg (Befruchtung) hatte, ja, dass in vielen Fällen überhaupt keine Befruchtung eintrat. Zum Teil mag daran, worauf Morgan hinweist, die schädigende Wirkung des Blutes und der Körpersäfte schuld sein, deren Beimischung bei seiner Versuchs- anstellung nicht ganz verhindert werden konnte, und deren Menge bei den einzelnen Versuchen ungleich ausgefallen sein wird. Die Unterschiede sind aber so groß, dass die Erklärung auch nach Morgan’s Meinung nicht ganz ausreicht. Es ist also wenigstens sehr wahrscheinlich, dass bei (ona nicht jedes Individuums Eier Koyrl.’er pl. ullre:sp43322u. 32171. 14) T. H. Morgan, Some further Experiments on Selffertilization in Ciona, Biological Bulletin, Vol. VIII, No. 6, May 1905, und Cross- and Self-Fertilization in Ciona intestinalis. Arch. f. Entwickelungsmech. d. Organ. XXX (Fest-)Band für Prof Roux, II. Teil (1910). Die erste Mitteilung aus dem Jahre 1903 ist mir unzugänglich. — Die Tatsache der Selbststerilität wurde zuerst von Oastle festgestellt. >96 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. von jedes Individuums Sperma befruchtet werden können; die von Morgan mitgeteilten Tatsachen geben aber, soviel ich sehe, keinen Anhaltspunkt dafür, ob daran die zufällige Ausbildung des- selben Individualstoffes Schuld ist (S. 3) oder die Überlieferung des- selben Linienstoffes durch Vererbung. Die Versuche wurden ım der Weise angestellt, dass die Eier eines Individuums A z. B. auf sechs Schalen (A, A, A, A, A, A) ın Seewasser verteilt wurden, die eines zweiten Individuums in gleicher Weise auf sechs Schalen (B,B,B...) u s. w., bis die Eier von sechs Tieren (A—F) in 36 Schalen verteilt waren. Dann wurde das Sperma des Individuums A dem Vas deferens entnommen und zu je einem Gefäß mit den Eiern von A, von B, von Ü u. s. w. gegeben, hierauf mit dem Sperma von B in gleicher Weise ver- fahren u. s. w., bis jede der 36 möglichen Kombinationen der sechserlei Eier und .Spermatozoen ausgeführt war. Im folgenden gebe ich einen beliebig herausgegriffenen Versuch Morgan’s mit vier Indi- viduen wieder, der sich nach dem eben Gesagten von selbst erklärt. Die Eier sind mit großen, das Sperma mit kleinen Buchstaben be- zeichnet, die Zahlen unter den einzelnen Kombinationen geben die Prozentzahl der befruchteten Eier an, die ın der betreffenden Schale gefunden worden waren: Aa Ab Ac Ad 0) 2 (0) te) Ba Bb Be Bd 100 () 50 100 0a Cb Öe Od 100 100 0) 100 Da Db De Dd 5 2 1 0) Aa, Bb, Ce, Dd sind die resultatlos gebliebenen, auf Selbst- befruchtung hinzielenden Kombinationen; von den auf Fremdbefruch- tung hinauslaufenden gehören immer zwei als reziprok zusammen: Ab und Ba, Ac und Ca ete. Es muss auffallen, dass diese Paare sehr oft unähnliche Resultate gegeben haben, nicht bloß in der oben reproduzierten Versuchsreihe, sondern überhaupt. Hierbei mögen zwar ungleich starke Verunreinigungen mit Blut und Körper- säften eine Rolle gespielt haben, gewiss ist aber auch eine be- sondere Beschaffenheit des Sperma und Eies bei dem einzelnen Tier beteiligt. So waren in der oben mitgeteilten Versuchsreihe die Eier von A und D „poor“, wie Morgan sich ausdrückt. Viel- leicht spricht sich darin der Anfang einer Geschlechtsdifferen- zierung aus. Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 397 Auf die zahlreichen Versuche Morgan’s, den Grund der Selbst- sterilität zu ermitteln und sie womöglich zu überwinden, so dass Selbstbefruchtung einträte, kann ich hier nicht näher eingehen, so interessant sie sind; es sei nur bemerkt, dass er die Selbstbefruch- tung durch künstliche Eingriffe nicht erzwingen konnte. Er nimmt an, das Ei von Cona verdanke seine „Immunität“ dem eigenen Sperma gegenüber der Unfähigkeit des Sperma, in dem Eı jene Prozesse hervorzurufen, die zur Aufnahme des Spermatozoons in das Ei führen. Es werde nicht die Aktivität des Sperma vom Eı aus geschädigt, es handle sich vielmehr um eine spezifische Reaktion zwischen Ei und Sperma an der Eioberfläche. Die eigenen Versuche. 1. Das Versuchsmaterial. Die ersten Versuche habe ıch 1902 mit dem Bastard Petunia nyetaginiflora 4 violacea angestellt, den ich 1901 erzeugt'’) und von dem ich elf Stöcke überwintert hatte, die alle Geschwister waren, wenn sie auch zum Teil P. vwolacea, zum Teil P. nyetagini- flora zum Vater hatten. Als ıch durch Selbstbestäubung die zweite Generation herstellen wollte, fand ich, dass sechs Individuen selbst- fertil waren, I, IV, VIIL IX, X, XI, drei ganz selbststeril, II, V, VII, und zwei, III und VI, fast selbststeril. Ferner wollten durch- aus nicht alle Verbindungen gelingen. Ich versuchte darauf, soweit es die gegebene Blütenzahl und Zeit erlaubten, alle möglichen Kombinationen auszuführen. Die Ergebnisse bestätigten die ersten Beobachtungen. So gelang es z. B. nie, II mit V oder II mit VII zu verbinden, weder auf dem einen, noch auf dem anderen Wege, während andere Kombinationen stets und sehr leicht gelangen. Auch die Verbindung eines selbststerilen mit einem selbstfertilen Individuum wollte zuweilen durchaus nicht glücken. Ich habe 1903 auch bei der zweiten Generation auf das Ver- mögen, mit eigenen Pollen anzusetzen oder nicht, geachtet. Es schien mir aber das Material durch das gleichzeitige Auftreten selbstfertiler und selbststeriler Geschwister und durch das Fehlen der (nicht aufgehobenen) Elternpflanzen für die weitere Verfolgung der sofort aufgetauchten Frage nach der Vererbung der Hemmungs- stoffe nicht besonders geeignet, und ich nahm mir vor, an einer anderen Pflanze, die für die erste Orientierung günstiger wäre, die Untersuchung neu aufzunehmen. Es schien mir nämlich von be- sonderer Wichtigkeit, mıt einem Objekt experimentieren zu können, das nicht nur das gegenseitige Verhalten der Geschwister zueinander zu prüfen gestattete, sondern auch das der Kinder zu ihren beiden 15) ©. Correns, Die Ergebnisse der neuesten Bastardforschungen für die Ver- erbungslehre. Ber. d. Deutsch. Botan. Gesellsch., Bd. XIX, p. (90), 1901. 398 Sorrens, Selbststerilität und Individualstoffe. Eltern. Wenn irgendwo, so musste sich hier am ehesten die Ver- erbung der Hemmungsstoffe zeigen. Die Erfahrung hat das auch bestätigt; an Hand der bis jetzt ermittelten Tatsachen über das Verhalten der Kinder untereinander wäre es mir kaum möglich gewesen, zu den später mitzuteilenden, relativ einfachen Ergebnissen zu gelangen. Es konnte sich also nur um eine ausdauernde, wiederholt blühende Pflanze handeln. Dabei war es von Wichtigkeit, dass der Zeitraum vom Keimen der Samen bis zum Blühen nicht zu lange dauerte. Versuche, die ich 1904 mit Ialienarten aus der Ver- wandtschaft des Lilum bulbiferwm begonnen hatte, haben aus diesem Grunde bis jetzt noch kein Resultat gegeben. Ein ganz gutes Material schien mir dagegen Oardamine pratensis, unser überall verbreitetes „Wiesenschaumkraut“, abzugeben. Dass diese Crucifere selbststeril ist, wurde 1896 von F. Hildebrand, dem wir so viele hübsche biologische Beobachtungen verdanken, nach sorgfältigen Versuchen mitgeteilt'‘), Jost!”) konnte diese Angabe bestätigen, insofern die aus dem botanischen Garten der Universität Straßburg stammenden Versuchspflanzen überhaupt nicht ansetzten, ja auch am Standort sich selbst überlassen kaum Früchte ausbildeten. Jost glaubt, dass ihm eine sterile Rasse, Hildebrand aber eine fertile vorgelegen habe. Ohne eingehende Prüfung lässt sich das Ver- halten der Freiburger und Straßburger Cardamine natürlich nicht definitiv aufklären; ich halte es für möglich, dass Jost mit Indi- viduen experimentierte, die auf ungeschlechtlichem Wege aus einer Mutterpflanze hervorgegangen waren, was ja bei den Pflanzen eines Botanischen Gartens besonders leicht der Fall sein kann. Bei Cardamine pratensis ıst es leicht, ın Jahresfrist kräftige blühende Pflanzen zu ziehen, wenn die Samen gleich nach der Reife ausgesät werden; ohne grobe Verstöße gelingt auch die Uber- winterung im Kasten leicht. Über die Ursachen der Selbststerilität kann ich folgendes an- geben: Auf den Narben der selbstbestäubten Blüten keimen die Pollenkörner zwar zum Teil, schmiegen sich auch oft mit kurzen, an der Spitze verbreiterten Schläuchen sehr eng an die Narben- papillen an, dringen aber nicht ein. Bei fremdbestäubten Narben fand ich dagegen die Pollenschläuche schon nach 24 Stunden im Gewebe der Narbe und nach 48 Stunden im oberen Teil des Frucht- knotens, mindestens 1!/, mm von der Narbenoberfläche entfernt. Weiter habe ich diese Frage einstweilen nicht verfolgt; das Beob- achtete genügte, um zu zeigen, dass die Entscheidung darüber, ob 16) F. Hildebrandt, Einige Biologische Beobachtungen. 1. Über Selbst- sterilität bei einigen Cruciferen. Berichte d. Deutsch. Botan. Gesellsch., Bd. XIV, p. 324, 1896. 1) 1 SCaPp-23r. Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 399 der Bestäubung die Befruchtung folgt, wenigstens in der Regel schon auf der Narbe selbst gefällt wird. [Die Pollenkörner keimen in 15 bis 30%, Rohrzucker mit 4, Gelatine ganz gut, am besten in 20 und 25%. Das zeigt, dass sie zur Keimung keinen besonderen Reizstoff brauchen, dass folglich das Ausbleiben der Keimung auf der selbstbefruchteten Narbe durch einen wirklichen Hemmungsstoff veranlasst werden muss. Die Wirksamkeit solcher Stoffe zeigt sich sehr hübsch, wenn man in dem Tropfen Nährlösung vor der Aussaat des Pollens einige Narben- köpfe zerquetscht: die Körner keimen dann nicht mehr. Merk- würdigerweise habe ich aber diese Hemmung nicht nur mit den Narben derselben Pflanze, die auch den Pollen hervorgebracht hat, erhalten, sondern auch mit Narben von Pflanzen, die sich mit diesem Pollen befruchten ließen. Ich werde auch diese Versuche fortsetzen. ] Die Versuche wurden 1910 mit zwei Pflanzen 8 und © be- gonnen, die aus den Wiesenflächen des botanischen Gartens zu Münster stammten und sich schon durch die Blütenfarbe unter- scheiden ließen. Die eine, ©, blühte besonders hell lila, fast weiß, die andere, 3, hatte besonders intensiv lila gefärbte Blüten. Auch sonst waren sie in mehreren Punkten deutlich verschieden. Sie wurden gewählt, um sicher Individuen von verschiedener geschlecht- licher Herkunft zu haben, und setzten auch, in einem Kalthaus isoliert und (27. bis 30. April) von Zeit zu Zeit gegenseitig bestäubt, sehr schöne Schoten an, während bei künstlicher Selbstbestäubung weder ® noch ©, wie vorauszusehen war, ansetzte. Die Schoten reiften in Gazesäckchen heran (wegen des elastischen Aufspringens der Klappen), die frisch geernteten Samen wurden am 3. Juni auf sterilisierte Erde ausgesät, 246g als Nr. 1, $o+BdG als Nr. 2. Am 19. Juli waren die Keimlinge so weit entwickelt, dass sie (von mir selbst) pikiert werden konnten; am 24. August wurden von beiden Nummern (unter meiner Aufsicht) je 30 Pflanzen einzeln in Töpfe gesetzt und (von mir selbst) mit 1a, 1b, Ic... lae und 2a, 2b, 2c... 2ae etikettiert. Die Töpfe wurden in einen Kasten gestellt, so weit auseinander, dass die Blätter jedes Topfes nicht auf die Erde der Nachbartöpfe kommen konnten '®), und so über- wintert. Die Erde für das Pikieren und Einzelpflanzen war nicht sterili- siert worden; diese Vorsicht wäre auch nicht nötig gewesen, wie ) 13) Wegen der bekannten ungeschlechtlichen Vermehrung durch blattbürtige Adventivpflanzen. 00 Öorrens, Selbststerilität und Individualstoffe. die Beobachtung der Unkrautpflanzen lehrte, die sonst auf der ver- wandten Erde auftraten. Die Überwinterung gelang sehr gut, und im Frühjahr 1911 standen also außer den beiden Elternpflanzen 60 Pflanzen der ersten Generation (F1) zu Versuchen bereit. Sie wurden bei Beginn der Blüte in einem geräumigen, vierteiligen Gazehaus untergebracht, worin sie sich ganz gut hielten. Jede Bestäubung wurde womög- lich an drei Blüten ausgeführt, oft an mehr. Dabei wurden in den zu bestäubenden Blüten zunächst die Antheren der vier längeren Staubgefäße entfernt. Diese Maßnahme schien mir wünschenswert, um den fremden Pollen bei allen Narben recht gleichmäßig auf- iragen zu können und ıhn nicht durch den eigenen Pollen der Blüte gewissermaßen zu „verdünnen“, was ja von Fall zu Fall hätte ungleich stark geschehen können. Da von vornherein sicher war, dass nicht alle möglichen Kom- binationen (gegen 4000) ausgeführt werden konnten, entschloss ich mich, zunächst das Verhalten der Kinder und Eltern gegenüber dem Pollen zweier neuer, sicher nicht blutsverwandter Pflanzen festzustellen, dann möglichst genau das Verhalten des Pollens beider Eltern ihren sämtlichen 60 Kindern gegenüber zu ermitteln und endlich noch das Verhalten des Pollens von so vielen Kindern als möglich allen ihren 59 Geschwistern gegenüber zu prüfen. Bei der relativ kurzen Blütezeit konnte das Ergebnis der ersten derartigen Bestäubungen keinen sicheren Fingerzeig für die Auswahl neuer Pollenlieferanten geben. Es wurden deshalb beliebig herausgegriffene Individuen verwandt. Die Ergebnisse entsprachen nicht ganz meinen Erwartungen; sie waren nicht so eindeutig scharf, wie ich gehofft hatte, und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal zeigte es sich bald, dass dieselbe Kombination, mit dem- selben Individuum A als Pollenlieferant und demselben Individuum B als Lieferant der Narben, unter möglichst gleichen Bedingungen zuweilen gelang und zuweilen versagte, aus Ursachen, die ich noch nicht übersehe. Um einige besonders auffällige Beispiele zu nennen, gaben das erste Mal vier Blüten von 1 | mit Pollen von ® ein durch- aus negatives Resultat; das zweite Mal weitere vier Blüten alle guten Ansatz. Oder es gaben das erste Mal drei Blüten von Ir, wieder mit Pollen von 3, zweimal keinen, einmal einen guten An- satz, bei der Wiederholung weitere sechs Blüten alle einen guten u.s.w. Es liegt nahe, an einen Einfluss des Alters der Narbe und des Blütenstaubes zu denken, doch waren diese bei einigen hierauf gerichteten Versuchen auch noch in dem ältesten Zustand, in dem ich sie bei den Bestäubungen verwendet hatte, tauglich. Hier und da beobachtete ich bei einzelnen Stöcken eine Neigung zur Reduktion der Stempel, besonders bei den ersten Blüten, und ’ Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. A401 dadurch mag ein großer Teil der Misserfolge zu erklären sein. Ganz ausgeschlossen ist es schließlich nicht, dass eine mosaikähn- liche Ausbildung verschiedener Hemmungsstoffe bei demselben Indi- viduum vorkommen kann; doch ist diese Annahme wohl sehr wenig wahrscheinlich. — Dass ın solchen Fällen die posıtiven Resultate den Ausschlag zu geben hatten, war selbstverständlich; es werden aber durch diese Erfahrungen die nur an einigen wenigen Blüten gewonnenen negativen Ergebnisse mehr oder weniger verdächtig. Größere Schwierigkeiten für die Beurteilung der Ergebnisse bot das „schlechte“ Ansetzen; wenn z. B. in einer Schote nur einige wenige Samen oder nur einer ausgebildet wurde '”), und die übrigen in gleicher Weise bestäubten Blüten gar nicht ansetzten. Lag dann wirklich ein ausnahmsweise erfolgtes Ansetzen mit dem absichtlich zur Bestäubung benutzten, sonst unwirksamen Pollen vor, oder eine zufällige Verunreinigung des Versuches durch fremden, wirk- samen Pollen? (Dass der schlechte Ansatz auf einem dritten Wege, durch Selbstbestäubung, zustande gekommen sei, die hier und da, trotz der Entfernung der oberen Antheren (3. 320), eingetreten sein wird, war nach dem völlıg negatıven Ausfall aller speziell darauf abzielenden Versuche ganz unwahrscheinlich.) Unbeabsichtigte Bestäubungen sind nun neben den gewollten sicher unterlaufen. Das war daran zu erkennen, dass auch sonst hier und da an den Versuchspflanzen einzelne Blüten mehr oder weniger gut angesetzt hatten, ohne dass sie überhaupt zu Ver- suchen verwendet worden wären. Als Ursache kommen die Manı- pulationen in Betracht, die beim Herausnehmen der Pflanzen behufs Bestäubens und beim Wiederhereinstellen ın die Abteilungen des Gazehauses vorgenommen werden mussten, vor allem aber die un- vermeidlichen Berührungen einzelner anderer Blüten bei der Ka- stration, der Bestäubung und vor allem der Markierung der zum Versuche ausgewählten Blüten. Auch beim Gießen der Töpfe und durch einzelne, dabei gelegentlich eingedrungene und nicht sofort bemerkte Insekten mögen die Ergebnisse gestört worden sein. 1912 habe ich aber auf all diese Fehlerquellen viel besser geachtet und nur noch ganz ausnahmsweise den „spontanen“ Ansatz beobachten können. Trotzdem erhielt ich bei den absichtlich bestäubten Blüten wieder, relativ wohl ebensooft als 1911, den „schlechten“ Ansatz. Wenn nun nicht noch andere, bisher nicht genügend berücksichtigte Fehlerquellen in Frage kommen, sprechen die Ergebnisse dafür, 19) Im letzteren Falle sprangen die Schoten trotzdem ganz normal auf. Dies ist mit Rücksicht auf die Versuche K. v. Goebel’s, durch Abtöten aller jungen Samen bis auf einen die Schote von Sinapsis arvensis zur Schließfrucht zu machen (Naturw. Wochenschr., N. F., Bd. X, S. 829, 1911), von Interesse, 402 Öorrens, Selbststerilität und Individualstoffe. dass es wirksamere und weniger wirksame Hemmungsstoffe gıbt, eine unerwünschte Komplikation des Problems. Hier können nur weitere Untersuchungen Klarheit bringen. II. Das Verhalten der Eltern und Kinder dem Pollen anderer, sicher nicht verwandter Pflanzen gegenüber. Es schien mir von Wichtigkeit, festzustellen, ob unter den 60 Kindern nicht etwa einzelne völlig steril wären. Zu diesem Zwecke wurden sie und auch die beiden Eltern ® und ® mit dem Pollen zweier Stöcke bestäubt, die sicher weder untereinander, noch mit den Versuchspflanzen blutsverwandt sein konnten. Als solche Pollenlieferanten benützte ich eine Pflanze A vom Züricher See und eine zweite W aus Schwaben ?®). Es wurden meist je drei Blüten bestäubt, und sie setzten So- wohl bei den Eltern als auch bei sämtlichen Kindern fast ausnahmslos sehr gut an. In den wenigen Fällen, wo mir der Erfolg zunächst zweifelhaft erschien, wiederholte ich den Versuch mit neuen Blüten und erzielte dann stets einen vollen Erfolg. Ich führte mit Pflanze R auch einige Male den umgekehrten Versuch aus, indem ich je zwei bis fünf von ihren Blüten mit Pollen von 10, Ir, 1s, lu und 2ab bestäubte. Auch so erhielt ich, von einer einzigen schlecht an- setzenden Blüte abgesehen, lauter tadellose Schoten. Ich verzichte darauf, die Ergebnisse einzeln wiederzugeben, weil sie eben ganz gleichmäßig und eindeutig ausfielen: alle Ver- suchspflanzen setzten, sobald sie nur mit dem richtigen Pollen bestäubt wurden, ausnahmslos und gut an, und zwar konnte der Pollen ein- und desselben Individuums sie alle befruchten. Von den Eltern und den 60 neuentstan- denen Individuen hatte also keines denselben Hemmungsstofl ge- bildet, wie N oder %. Dies Resultat ist für die Bewertung der folgenden Versuche sehr wichtig. III. Das Verhalten der Kinder den Eltern gegenüber. Ich gebe zunächst das Resultat der Bestäubungen in Form einer Tabelle. Sie erklärt sich wohl von selbst (z. bedeutet ziem- lich, s. sehr, schl. schlecht). 20) Die eine verdanke ich der Freundlichkeit von Verwandten, die andere der des Herrn Apothekers Völter in Nürtingen, dem ich auch an dieser Stelle noch meinen besten Dank ausspreche. Öorrens, Selbststerilität und Individualstoffe. 405 Tabelle 1. Verhalten der Kinder bei der Bestäubung mit dem Pollen ihrer beiden Eltern. je De Human io) Madgscuan DDCDVDVDR DDR DITRD ID Boss "r-bmmronome bestäubt mit ® rm bestäubt mit 6 ECT UE | Typus Vers.-, Zahl | Zahl | | der ı der Ergebnis ı der Ergebnis | Vers.- Blüten Blüten | Pfl | RR | la |4+6| 4-2 nichts, 3z. gut | 4 |3s. gut, 1 nichts ıBg 1b ,4+3| alle nichts Ve aus gut Bg le /4-+4| 4 nichts, 4 gut 4-+-3|2 nichts, 2 +3 gut bg 1d /4+3| 3 nichts, 14+3 ss. gut |3+4/3+3 nichts, 1 schl. bG le |3-+-4| alle nichts 44+3/3 + 2 nichts, 1+ 1z.schl. BG ler 4 3 s. gut, 1 beschäd. |4+3|4 nichts, 3 z. schl. IbG lg 4 alle s. gut 4+3[3+2 nichts, l+1z.schl. b G ih 4 alle gut |2+3 alle nichts bG ie alle gut bis z. gut 3-3 alle nichts |bG Ik .4-2.5 314 nichts, 1 gut, l1schl. | 1443 |1 + 1nichts, 1 + 1schl., | BG? | | 2+1 gut | alle gut 3 |alle nichts I7b2G 449) 2 + 9 nichts, 2 gut 13+3/1-+3 nichts, 2 schl. BG? 4-6 alle nichts 3+3/3 + 2 nichts, 1 einamig BG 446 2+4gutbiss.gut,2+2| 7 5 gut, 2 nichts |bg nichts 3 s. gut, 1 mäßig a | alle s. gut lle s. gut | alle nichts Ye +++ er tour tettttwwutett este Ss w alle nichts alle z. gut = ee »e4ttataotttttter +44 100 4 +5 nichts, 2 s. schl. 2 s. schl., 1 nichts B b bg | bG 13+6| 1+ 6 gut, 2 nichts | ‚3 gut, 1 nichts bg 4+-8| 4 nichts, 8 gut 13+3|3 nichts, 3 s. gut bg |4-4| 4 nichts, 4 gut 41.3 3 + 2nichts, 1 schl., Leins.| b G 5+5|/5-+ 4 nichts, 1 schl. 2 gut, 1 schl. Bg 4-6 | 4 nichts, 6 s. gut 4+3|4 nichts, 3 gut bg 4-+.9| alle nichts [2 gut, 1 nichts Bg alle gut alle gut bg 4+9| 4+ 8 nichts, 1 s. schl. ‚alle s. gut IEBEE | Ar: gut |3+4/2 + 4 nichts, 1 s. schl. b’G 4144| 4 +2 nichts, 2 schl. 134312 nichts, 1 +3 s. gut Bg 4-16 4nichts, 6 gut bis s. gut |4--3 [alle nichts bG 34-7 alle nichts |2+-4|2-++1 nichts, 2 gut, 1schl. BG alle nichts |1z. gut, 2 schl., 1 nichts | BG alle gut ‚43/4 +1 nichts, 1 miteinem | b G san. 1 sschl. alle gut |3 gut, 1 schl. bg Bg |BG alle s. gut 34+4/2+4 nichts, 1 z. gut bG alle s. gut 15--3[/5 + Inichts, 1schl.,12.gut | b G 4-6 alle nichts 4.4 3+-3nichts, 1. schl., leins. BG 34-6 alle nichts gut bis z. gut |Bg 448 4+7 nichts, 1 s. schl. alle s. gut |Bsg alle s. gut 3 8. gut, 1 z. schl. bg 2715| 2 + 4 nichts, 1 z. schl. alle nichts BG 4+6 | alle nichts 6 nichts, 1 s. schl. BG 4-7 alle nichts 3+3|alle nichts BG 3-+7| 147 gut, 1schl., 1s.sch.|3+ 3/2 + 3 nichts, 1. sch. |b@ alle nichts 3+3[1+3 gut, 2 nichts ıBg alle nichts bis auf ] ein- alle gut Bg samige Schote 404 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. bestäubt mit B bestäubt mit & n | Ä | nn ee ee, — | Typus Vers.-| Zahl | Zahl | | der Pfl. | der | Ergebnis der Ergebnis | Vers.- Blüten, ‚Blüten Pl: 2 | re a TE ER EN NEE BEER BRUT E 1 BE RER BEREITEN TREE 2 qu 5 alle s. gut 3 alle gut Ibg 2r 343 |3 + 2 nichts, 1 mäßig 3 alle (z.) gut |Bg 28 4 |alle gut 3 alle gut bg 2t 3-47 alle nichts 3—+4 alle nichts |BG 2u /44+6 | 3 + 6 nichts, 1 s. schl. 3 [alle s. gut |Bg 2v 44-6 | 4 nichts, 6 gut 3 alle gut bg 2w 3+7 | 3 +4 nichts, 3 s. sch. |4+3|4 +1 nichts, 2 s. schl. BG ZIX | SA. alle gut 2 alle gut bg 2y 1347 |2+7 (s.) gut, 1 schl. 4 alle s. gut |bg A 2 (s.) gut, 1 nichts 3 alle s. gut be 2aa 447 4+6 nichts, 1 schl. 3-7 alle nichts |BG 2ab 4--8 alle nichts 3 |2 s. gut, 1 verwelkt MBeg 2ac 4+11)| 1 + 11 mäßig bis s. gut)3+3|3 +2 nichts, 1 schl. bG l ganz schl., 2 nichts | 2rad. |) .3 all gut 3 |alle gut bg 2ae | 3 2 s. gut. 1 nichts 443 | 2 +3 nichts, 2 (e.) sch. |b G Ist die Zahl der bestäubten Blüten als Summe gegeben, z. B. 44-6 oder 4-+-3, so war der Versuch zweimal ausgeführt worden; der erste Summand bezieht sich dann auf den ersten, der zweite auf den zweiten Versuch. Dann ıst, wenn nötig, auch das Ergebnis in die zwei Summanden zerlegt aufgeführt. Die Rubrik „Typus“ wird erst später erklärt werden. Es war meine Absicht gewesen, auf Grund dieser ersten Er- gebnisse ım Jahre 1912 alle Kinder, soweit nötig, nochmals be- sonders genau auf das Verhalten dem Pollen der Eltern gegen- über zu prüfen. Das war nun leider aus dem eingangs angegebenen Grunde nicht möglich; von den beiden Eltern stand mir nur noch ein Ableger der Pflanze 3 = Bd, und von den Kindern noch 8 Pflanzen der Nr. 1 und 9 Pflanzen der Nr. 2 in blühbarem Zu- stande zur Verfügung. Die Versuche, die ich damit anstellte, sind ın Tabelle 2 mitgeteilt. Zum Vergleich sınd die Ergebnisse von 1911 aus Tabelle 1 vorangestellt (siehe Tabelle 2). Wie man sieht, stimmen die Ergebnisse von 1912 sehr gut zu denen des Vorjahres. Außer der Zuverlässigkeit meiner damals gewonnenen Beobachtungen geht aus ihnen auch hervor, dass sich der Ableger (96), wie zum voraus zu erwarten war, genau so verhält wie die Stammpflanze (B). Es waren 1911 auch einige Male die Eltern $ und & mit dem Pollen einiger ihrer Kinder bestäubt worden — nicht nur die Kinder Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 405 mit dem Pollen der Eltern. Das Ergebnis bringt Tabelle 3, ın der auch die reziproken, entsprechenden Versuche aus der Tabelle 1 zum bequemeren Vergleich nochmals aufgeführt werden. Tabelle 2. Verhalten eines Teiles der Kinder bei der Bestäubung mit dem Pollen des Elters ® und des Ablegers BÖ. bestäubt 1911 mit B bestäubt 1912 mit Bö Vers.-| Zahl Zahl er h 2 ypus Pfl. | der Ergebnis der Ergebnis Blüten Blüten le /3+4| alle nichts 9 alle nichts B Ef 4 3 s. gut, 1 beschädigt 4 |alle gut b lk 4+5|3-+ 4nichts, 1 schl., 1gut 9 \nichts,nurlSchotem.1Sam.| B 11 5 alle gut 4 ‚alle gut b 1s 4—+8| 4 nichts, 8 gut 6 |5 gut, 1 nichts b lu 5+5,5 + 4 nichts, 1 schl. 6 1/5 nichts, 1 schl. B laa |444| 4 + 2 nichts, 2 schl. 12 |alle nichts B l ae 4 alle gut 5 [alle gut b 2b ,4-+-3| alle nichts 12 |10 nichts, 2 s. schl. B 2e 4 alle s. gut 6 |alle gut b 2g 34-6) alle nichts 9 |8 nichts, 1 s. schl. B 2h |4-+8| 4-+7 nichts, 1 s. schl. 15 |14 nichts, 1 s. schl. | B 2i 3 alle s. gut 2 |beide s. gut b 2 qu 5 alle s. gut 6 alle gut b 2r 3+3|3+ 2 nichts, 1 mäßig 5 1|4 nichts, 1 s. schl. B ax 4 alle gut 4 alle s. gut b 2y |34+7| 2 +7.) gut, 1 schl. 2 ‚beide gut b Tabelle 3. Reziproke Bestäubungen zwischen Kindern und Eltern. Elter ® Bi Elter CE Zahl | Zahl Versuch | d. be- -. Versuch |d. be- i Dr stäubt. Brrehre Bar stäubt. Ergebnis Blüten Blüten B-+lc| 3 alle gut S-tle| — it lc+B8 |4+4| 4 nichts, 4 gut le+& 4+3|2 nichts, 2+3 gut B-+1l 3 alle gut $+1l 3 | alle nichts 11+%8 5 alle gut 11+& | 3 alle nichts 8-+1m| 2 1 nichts, 1 schl. &-+1m| 3 2 nichts, 1 mäßig 1m+8 ‚4+9| 2-+9 nicht, 2gut | Im + 3+3,1+3 nichts, 2 schl. 8+1x| 2 beide mäßig bis gut | & +1x 2 | beide gut 1x+B 3 alle gut 1Ix+6& 3 alle gut B-+lae 2 beide gut Ö-+lae| 2 |beide nichts lae+B 4 alle gut laa+® 4 + 3|4+-1nichts, Im.1Sa.,1schl. 8+2b| 2 beide nichts $-+2b| 2 beide nichts 2b+8 |4+3| alle nichts 2b+6 3 alle z. gut B+2d| 1 gut $+2d 2 |1 gut, 1 nichts 2d+B 3 alle sehr gut 2d+® [3+4/2 +4 nichts, 1 z. gut XXXIIl. 27 406 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. SDR DEE Zahl | Zahl Versuch | d. be- N > Versuch |d. be- > og stäubt.. Ergebnis oz |stäubt. Ergebnis Blüten! Blüten Im — | = 7 B-+42e| 4 |3gut,1s. schl. 6-+2e | 2 beide nichts 2e+B 4 | alle s. gut 2e+& 5+3/5+ 1nichts, 1schl., 1 z.gut 8-+42t| 2 | beide nichts &+2t| 3 alle nichts 2t+B | 3+7 | alle nichts 2t—+6 3+4|alle nichts In allen Fällen, einen ausgenommen, stimmt das Ergebnis der beiden reziproken Bestäubungen sehr gut überein, selbst darin, ob es ganz entscheidend ausfiel, oder etwas zweideutig blieb. Die einzige sichere Ausnahme ist &+2b und 2b+6, die eine Be- stäubung gab bei zweı Blüten keinen, die andere bei drei Blüten einen ziemlich guten Ansatz. Sie konnte 1912 nicht nachgeprüft werden, weil © und die von ihm gemachten Ableger sämtlich zu- grunde gegangen waren. Die Wiederholung im Jahre 1912 und die reziproken Be- stäubungen des Jahres 1911 stimmen in ihren Ergebnissen unter- einander und mit den in Tabelle 1 zusammengestellten Haupt- versuchen so weit überein, dass man daraus einige Schlüsse ziehen kann. Sie dürfen im großen und ganzen als völlig gesichert ange- sehen werden, selbst wenn ım einzelnen die eine oder andere Pflanze falsch beurteilt sein sollte. Diese Schlüsse sind: 1. Die Kinder lassen sich nach ihrem Verhalten einem bestimmten Elter gegenüber in zwei Klassen bringen: die Individuen der einen Klasse sind mit diesem Elter bei wechselseitiger Bestäubung fertil, die Individuen der anderen Klasse bleiben steril (oder setzen nur sehr schlecht an). In der „Typus“ überschriebenen Kolonne der Tabelle 1 sind die Individuen, die mit dem Pollen der Eltern oder & fruchtbar sind, mit dem entsprechenden kleinen Buchstaben (b oder g), die damit sterilen mit dem entsprechenden großen Buchstaben (B oder G) bezeichnet. 2. Beide Klassen sind ungefähr gleich groß. Zählt man die verschiedenen Buchstaben der Spalte „Typus“ ın Tabelle 1 zusammen, so erhält man: Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. A407 Tabelle 4. Es sind | mt8 |. mie fertil steril fertil | steril | be | 0% DS: | „G“ bei 1 Ten 2 ER, bei 2 | 14 16 17 13 bei 1 und 2 zusammen | 32 03788 | 30 | 30 Die beiden nach dem Verhalten gegenüber dem Elter & ge- bildeten Klassen sind (zufällig) genau gleich groß (umfassen also je 30 Individuen); die nach dem Verhalten gegenüber dem Elter B gebildeten Klassen sind nur wenig verschieden (32:28). Ich brauche wohl kaum zu bemerken, dass die Auszählung erst erfolgte, nach- dem die wenigen zweifelhaften Exemplare in der einen oder anderen Klasse definitiv untergebracht waren. 3. Das Verhälten eines bestimmten Kindes gegenüber dem einen Elter ıst völlig unabhängig von seinem Ver- halten dem anderen Elter gegenüber; ist es z. B. mit dem Pollen von 8 fertil, so kann es mit dem von ® entweder auch fertil oder steril sein. 4, Es lassen sich folglich die Kinder nach dem Ver- halten ihren beiden Eltern gegenüber in vier Klassen bringen, resp. es lassen sich vier Typen unterscheiden: A. fertil mit beiden Eltern (mit ® und ©) Klasse 1, Typus bg B. fertil mit dem einen, steril mit dem anderen Elter: a) fertil mit ®, steril mit & Klasse 2, Typus bG b) fertil mit ©, steril mit ® Klasse 3, Typus Bg C. steril mit beiden Eltern (mit ® und ©) Klasse 4, Typus BG 5. Ist das Verhalten gegenüber B von dem gegenüber & völlig unabhängig, so müssen die vier Klassen ungefähr gleich groß sein und ungefähr je ein Viertel der Kinder umschließen. Die Aus- zählung der Tabelle 1 ergibt: Tabelle 5. Exemplare || bei 1 | bei 2 nbe1 u “berechnet zusammen = nun - ıL _— in Klasse 1 | vom Typus bg RI "16 15 a on 6 ne 5 16 15 „ „ 3 „ „ Bg | 6 83 14 | 15 2 a ML BG 6 3 14 15 zusammen 30 | 30 | 60 | 60 AUS Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. Man sieht, die gefundenen Werte stimmen mit den zu er- wartenden (!/, von 60 = 15) überein, zufälligerweise ganz auffallend. Natürlich wurden auch hier die Zählungen erst ausgeführt, als alle Beobachtungen abgeschlossen waren. Die nächste Frage ist: Worauf beruht es nun wohl, wenn ein Kind mit dem Pollen eines Elters gar nicht ansetzt, während es mit dem Pollen eines anderen Individuums völlig fruchtbar ist? Die einzige mögliche Erklärung scheint mir zu sein: es setzt nicht an, weil es denselben Hemmungsstoff ausgebildet hat, wie dieses sein Elter. Das ist jedesmal etwa bei der Hälfte der Kinder der Fall, und kann kein Spiel des Zufalls bei einer Entstehung neuer individueller Hemmungsstoffe sein. Sahen wir doch, dass dieser Zufall auch nicht einem der Kinder einen der Hemmungsstoffe gegeben hat, die bei den nicht blutsverwandten Pflanzen N und % vorkommen (S. 322). Es ließe sich ferner von vornherein denken, dass eine einfache Weitergabe des Hemmungs- stoffes von der Mutter an einen Teil ihrer Kinder vorläge. Erinnert man sich jedoch daran, dass die Hälfte der Kinder auch mit dem Pollen jenes Elters steril ıst, das die Rolle des Vaters gespielt hat, also dessen Hemmungsstoff besitzt (die Pflanzen von Versuch 1 [B2-&d] und Versuch 2 [892 +3 7J] verhielten sich ja z. B. gegenüber B ganz gleich), so fällt diese Annahme ohne weiteres hin. Die männliche und die weibliche Keimzelle sind offenbar hierin völlig gleich. Für die Ausbildung der Hemmungsstoffe müssen richtige „Anlagen“ vorhanden sein, sıe werden einfach auf die Hälfte der Nachkommen vererbt. Es fehlt jede Berechtigung, die Hemmungsstoffe als Individualstoffe in dem früher (S. 311) definierten Sinne anzusprechen. Es handelt sich vielmehr um Stoffe, die den niedrigsten systematischen Einheiten — wir wollen sie mit Johannsen’s Linien identifizieren — eigen sind: die Hemmungs- stoffe sind Linienstoffe. Die Tatsache, dass dasselbe Kind mit seinen beiden Eltern steril bleiben kann, während diese doch miteinander angesetzt haben, legt ferner die Annahme nahe, dass ein Individuum mindestens zwei gleichzeitig wirksame Hemmungsstoffe hervorbringen kann, einen, der den Pollen des einen Elters, und einen, der den Pollen des anderen Elters an der normalen Weiterentwickelung hindert. Es ıst weiterhin daran zu erinnern, dass die Kinder, die mit dem Pollen eines ihrer Eltern oder mit dem beider Eltern ansetzen, also die wirksamen Hemmungsstoffe der Eltern nicht besitzen, doch selbststeril sind, folglich andere aktive Hemmungsstoffe ausbilden als diese. Diese Hemmungsstoffe könnten entweder völlig neu Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 409 oder bei den Eltern zwar der Anlage nach vorhanden sein, aber nicht wirklich ausgebildet, nicht wirksam werden, mit einem Wort, bei den Eltern „rezessiv“ sind. Die erste Annahme, dass es sich um völlig neue Stoffe handle, scheint mir wenig wahrschein- lich, schon deshalb, weil wir bei den Geschwistern dieser Pflanzen vererbte Hemmungsstoffe auftreten sehen, und wir dann zweierlei Stoffe ganz verschiedener Herkunft bei den nächsten Verwandten demselben Zweck dienstbar gemacht fänden. Wahrscheinlicher ist die zweite Annahme, dass es sich um die Entfaltung von Anlagen handle, die bei den Eltern rezessiv vorhanden waren. Dass jedes dam mehr als eine Anlage für Hemmungsstoffe besitzt, geht ja, sobald man deren edle Übertragung überhaupt zu- gibt, sogleich daraus hervor, dass jedes ach Köhonch aus der Ver- einigung der Keimzellen zweier anderer Individuen hervorgeht, die mindestens je einen besonderen Hemmungsstoff gebildet haben müssen (hätten beide den gleichen ausgebildet, so hätte ja die Be- fruchtung nicht eintreten können, aus der das neue Individuum hervorging). Berücksichtigen wir endlich noch die Naeh dass die Hälfte der Kinder denselben Hemmungsstoff wie das eine Elter, die Hälfte einen oder einige andere ausbildet, so können wir uns aus all dem etwa folgendes, ın einem Punkte freilich noch unklares Bild von Ir Meran: der Hemmungsstoffe machen: Jedes der Eltern bildet nialen kenne einen aktiven Hem- mungsstoff aus, in unserem Fall das eine Elter 9 den Stoff B, das andere Elter & den Stoff G. Außerdem ist bei jedem noch mindestens eine Anlage für einen anderen Hemmungsstoff im in- aktiven Zustande vorhanden (als nicht entfaltete Anlage); wir wollen den des einen Elters b, den des anderen g nennen. Die „Erbformeln“ wären dann Bb für das eine und G g für das andere Elter. Bei der Keimzellbildung tritt nun eine Spaltung ein; das eine Elter bildet zur Hälfte Keimzellen mit der Anlage B, zur Hälfte solche mit der Anlage b, und das andere Elter zur Hälfte Keimzellen mit der Anlage G, zur Hälfte solche mit der Anlage g Bestäubt man nun die beiden Eltern wechselseitig miteinander, so sind acht Kombinationen gleich gut und gleich oft möglich: Tabelle 6. — . —— - _ | | Res Komb. Eltern B%-+® 4 1 | Komb.| Eltern GP +8 J | Anden) Keimz allen“ | | | Kanzellen 1 BiEG 20 | > G+B ie ae ua en bG 4 || 8 - ur be g-+b & 410 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. Dass B mit b und G mit g wieder zusammenkommen, ist durch die Selbststerilität verhindert, die keine Vereinigung der Keimzellen desselben Individuums zulässt, gleichgültig, was für eine Anlage sie übertragen). Das Ergebnis sind die vier gleich großen Individuenklassen, die wir tatsächlich beobachtet und in Tabelle 1 unter der Rubrik „Lypus“ auch vorweg mit denselben Buchstaben bezeichnet haben. Das Verhalten den beiden Eltern gegenüber erklärt sich auch ohne weiteres, wenn man im Sinne behält, dass B und G die Anwesen- heit der Hemmungsstoffe der Eltern bedeutet, b und g deren Fehlen. B verbunden mit B muss also z. B. ohne Ergebnis bleiben, b mit B ansetzen. Iabelle 7. bestäubt | bestäubt Kinderklasse | mit dem | Resultat | mit dem |, Resultat Elter | Elter | = BG | | — | a ng! EN | | a | | | Klasse BG ist also mit beiden Eltern steril, Klasse bg mit beiden fertil, Klasse Bg nur mit G, Klasse bG nur mit B fruchtbar. So gut all das zusammenpasst, in einem Punkte herrscht doch Unstimmigkeit. Um zu erklären, dass die Individuen der Klasse BG mit dem Pollen beider Eltern nicht ansetzen, müssen wir annehmen, dass sie die Hemmungsstoffe dieser beiden Eltern auch wirklich ausbilden, B darf weder über G dominieren, noch ihm gegenüber rezessiv sein. Umgekehrt mussten wir aber annehmen, dass von den Hemmungsstoffen, die sowohl das eine als das andere Elter (P,) von seinen beiden Eltern (P,) (den Großeltern von BG, Bg etc.) überkommen haben, der eine entfaltet, der andere inaktiv geblieben ist. Sonst hätten wir das Ansetzen von bg mit beiden Eltern nicht erklären können. Hier müssen weitere Untersuchungen, be- sonders über das Verhalten der Kinder untereinander und der Enkel gegen ihre Eltern und Großeltern, Klarheit bringen, Untersuchungen, die wohl Komplikationen ergeben, aber den Grundgedanken der Vererbung der Hemmungsstoffe nach dem Spaltungsgesetz bestehen lassen dürften. 21) Es ist vielleicht nicht überflüssig, noch besonders darauf hinzuweisen, dass darüber, ob eine Befruchtung erfolgt oder nicht, die Beschaffenheit der beiden Elternpflanzen entscheidet, nicht die Beschaffenheit der Anlagen, die den Keimzellen im unentfalteten Zustande mitgegeben werden. Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 4 1 IV. Das Verhalten der Kinder untereinander. Meine Beobachtungen hierüber gehen einstweilen noch nicht weit, reichen aber doch für einige Schlüsse aus. Von den 3540 möglichen Verbindungen der 60 Kinder untereinander habe ich 1911 nur 720 ausgeführt und zwar so, dass ımmer das Verhalten des Blütenstaubes eines Kindes allen seinen 59 Geschwistern gegenüber geprüft wurde. Nach und nach konnten so 12 beliebig heraus- gegriffene Individuen als Pollenlieferanten benutzt werden; der Zufall fügte es insofern recht günstig, als sich nachträglich heraus- stellte, ne alle vier oben genannten Klassen (BG, Bi Gb, bg) oma vertreten waren. Diesen konnten jedesmal nur wenige Blüten für einen Versuch verwendet werden, meist nur drei, und die Versuche konnten auch nicht wiederholt werden, so dass die Ergebnisse auf völlige Genauigkeit noch weniger Anspruch machen können, als die der schon besprochenen Versuche, wo die Kinder mit dem Blütenstaub der Eltern bestäubt worden waren. Immerhin treten auch hier sehr deutliche Gesetzmäßigkeiten hervor, sobald man die Ergebnisse so zusammenstellt, dass man die Wirkung ein und desselben Blütenstaubes auf die Geschwister derselben Klasse leicht überblicken kann. Das ist ın den nachfolgenden Tabellen geschehen. (s. bedeutet sehr, z. ziemlich, schl. schlecht, f. fast, g. ganz oder gut, n. nichts, mäß. mäßig.) Tabelle 8A—D. Kinder untereinander bestäubt. Tabelle 8A. Kinder vom Typus bg als Pollenlieferanten. bestäubt mit Versuchs- | LEDER} 41x | Zahl Zahl Zahl Typus Nr. best Ergebnis der Ergebnis | der Ergebnis Blüten! | uyn Blüten re _ | — 3 1/2 schl,, A mo 3 alle gut 1o | 4 |2 gut, 2 nichts) 3 |1 gut, 2 nichts 3 ‚alle nichts ps 3 | alles. gut 6 ‚alle nichts 3. 22 gut,.1 nichts Ir | 2 | beide nichts 3 |2 gut, 1 nichts 3 ‚alle nichts ls 3 alle nichts 3 |alle gut 3 |2 gut, 1 nichts lv 6 | 3 gut, 3 nichts 3 |2 n. 1 einsam. Dee Dienselgeinsam: x 2 | beide gut 3 alle s. gut 3. |alle "nichts 28 7 6 gut, 2 nichts] 4 |Jallez.gutb.mäß.| 5 4 mäßig, 1 nichts be \ 2i 4 ‚alle gut 2 |alle gut 3. .| alle nichts 2qu 2 | beide gut 3 2 menleg schl: 3 alle nichts 218 3. \ alle gut 5 ‚alle nichts 3 [2 nichts, '1'schl. 2vV 3 | alle gut 3 ‚alle gut 3 ı2nichts, 1s.schl. ax 3 |.alles. gut Il 2 |beide gut 2 1 gut, 1 schl. 2y 3 | alle nichts \ 3 ‚alle sehr gut 3 |alle nichts 22 3 2 gut, 1 nichts | 2 | beide gut 4 |3 gut? 1 nichts 2 ad 3 alle gut 3 | alle gut 4 |3n,1s. mäßig 412 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. bestäubt mit Versuch#-| 0 te aber 1p 1x Pflanze |7ahıd.| Zahl Zahl Typus Nr. | best. | Ergebnis der Ergebnis der Ergebnis Blüten Blüten, Blüten Id | 4 alle nichts 2 Im lassgechl. 3 alle s. gut 1 f 4 alle nichts 2 beide nichts 3 nichts lg 3 alle nichts 3 2 gut, I nichts| 3 | =. gut ih 4 alle nichts 3 alle nichts 3 2 gut, 1 nichts Aha 6 Anh izeslkn.jle3 alle nichts 2 beide gut 1a} 3 2 nichts, 1f.n. 3. | ZA nichts, 1 f.n. 4 3 gut, 1 nichts lqu| 3 alle nichts 3 2 nichts, 1schl.|| 3 2 z. gut, In. bG yıt 3 alle nichts 3 | alle nichts 3 alle gut lz 3 alle nichts 2 beide nichts 3 alle gut bis s. g. 1 ab 4 alle nichts 3 alle nichts 3 alle s. gut l ae 3 2 n., 1 einsam. 2 beide nichts 3 | alle gut 2d 4 alle nichts 3 248... 5chl-,l+n. 3 2 nichts, 1 mäß. 2e 2 beide nichts 5 |4n, leinsamig| 3 | 2 gut, 1 nichts 2n > alle nichts 4 alle gut 3 alle gut 2 ac 3 alle nichts 2 1 nichts, 1 schl. | 3 alle sehr gut [ la 4 alle nichts In alle s. gut — | — 1b 4 alle gut 3 alle schlecht 3 alle gut lu 3 | 1 gut, 2 nichts || 3 iusasehl.20n.2|e 3 alle s. gut lw 3 2 gut, 1 nichts || 3 alle gut 3 2,,gut, 1 schl. ly 3 alle s. gut 2 beide gut | 3 alle s. gut | laa 4 alle gut 3 alle gut | 4 alle gut Bo} 2P 3 alle s. gut 3 alle z. schlecht | 3 alle nichts 812 g 3 | alle gut 3 alle z. gut 3 alle gut 2h 4 alle s. gut 2 beide nichts 3 alle z. gut bis g. 20 4 2ig., l’schl., In. 2 beide gut 3 alle gut 2p 3 alle nichts 2 beide gut 3 alle gut 2r |5-+-3| 5 nichts, 3 gut | 3 | alle gut 4 alle gut 2u 5 alle s. gut 3 178: gut, 2n. 2 beide gut 2ab| A |1gut, 3s.schl.| 3 1. schl, 2 n.| 3 alle gut | le 3 alle nichts 3 alle s. gut 3 alle s. gut ik 3 2 gut, 1 nichts|| 3 1 gut, 2 nichts| 3 2 gut, 1 nichts mi" alle gut 2 beide gut 3 | alle gut In 3 | alle gut 2 , beide gut SINE. lac 3 1 gut, 1 nichts || 3 alle gut 3 lg, l.schl,.in. lad 2 | beide z. gut 3 alle 3 gut 3 alle s. gut | 2 c 2 | beide gut 3 alle 3 gut 4 alle gut BGy 2 f 4 3 nichts, 1schl. | 2 beide gut 6 3 gut, 3 nichts 2k 9 |8n, 1 mäßig 2 beide gut 3 alle gut 21 4 alle nichts 3 alle gut 3 alle gut 2m |4+3| 4 nichts, 3 gut | 3 alle gut 4 alle gut 2t 3 alle nichts 3 alle gut 3 alle s. gut 2w 5 alle nichts 3 1schl., 13. schl., 3 alle gut | 1 nichts 2 aa 4 alle nichts 2 beide nichts 3 alle gut Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 413 Tabelle 8B. Kinder vom Typus Bg als Pollenlieferanten. _ bestäubt mit Versuchs- udn eb ai 2) a DEIN > I anze} | Zahlld. Zahl d. Typus Nr. best. Ergebnis | best. Ergebnis Blüten Blüten [1 c 3 | 2 z. gut, 1 nichts 3 alle gut lo 3 alle fast gut bis gut 5 alle gut lp 2 beide gut 6) alle gut der 3 alle z. gut bis gut 4 alle gut ls 3 2 gut, 1 z. schlecht 4 alle gut lv 3 alle gut 6 alle gut 1x 3 alle gut 5 alle gut bo J 2a 2 beide gut 3 2 z. gut, 1 nichts 81\2i 2 beide gut 5 alle z. gut bis sehr gut 2 qu 2 beide gut 4 alle gut 28 2 beide gut 4 alle gut 2v 3 | alle gut 6 alle gut 2x 3 2 gut, 1 nichts 4 1 mäßig, 2 schl., 1 nichts 2y 3 alle gut 4 alle gut 22 3 alle sehr gut 3 all gut (2 ad 3 alle gut 6 alle z. gut bis gut | | Id 3 | 2 mäßig, 1 nichts 4 alle z. gut bis gut 1: 3 | alle nichts 4 1 gut, 3 nichts lg 3 | alle nichts 6 ‚alle sehr gut ich 3 | alle nichts I alle gut li 2 alle nichts 3 alle gut 1l | 2 |1 ganz schlecht, 1 nichts 6 5 gut, 1 schlecht lqu| 3 |alle nichts 6 2 gut, 4 nichts bG!1t | 3 1 ganz schlecht, 2 nichts | 6 alle gut Bez | 3 alle nichts Il 3 | alle gut Lab. 3 alle nichts | 6 |alle gut l ae 3 2 schlecht, 1 nichts 2 \ beide z. gut 2d | 3 alle nichts 6 |alle gut De. 12 beide nichts 3 z. gut 2n | 3 | alle nichts 6 alle gut ® ac 3 1 schlecht, 2 nichts 4 alle gut la 3 | 1z.schl., 1fragl., 1nichts | 4 2 schl., 1 fraglich, 1 nichts Ihe on alle nichts 3 alle nichts us 073 alle nichts 5 1 einsamig, 4 nichts lw 3 | alle nichts 4 1 fraglich, 3 nichts ly 3 2 schlecht, 1 nichts 5 4 s. schlecht, 1 nichts laa 4 | 2 schlecht, 2 nichts 4 alle nichts Be} 2b 2 beide nichts 3 2 nichts, 1 einsamig & 28 3 alle nichts ‚3 alle nichts 2h 2 1 fast nichts, 1 nichts 3 1 s. schlecht, 2 nichts 20 3 alle nichts 4 2 schlecht, 2 nichts 2p 2 | 1 nichts, 1 schlecht 7 | 2 (s.) schlecht, 5 nichts Dir 2 | beide nichts 4 | 1 s. schlecht, 3 nichts 2u 2 \ beide nichts 4 alle nichts |>ab 3 alle nichts 4 | 1 s. schlecht, 3 nichts 414 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 20 (Ve een i Versuchs- 2b a * en, | Zahrd. | Zahld. Typus N T.|| best. | Ergebnis best. Ergebnis ı Blüten Blüten le | 2 | beide nichts 4 | alle nichts Ik 32 beide nichts 5 l s. schlecht, 4 nichts Im 3 ‚alle nichts 5 | 1s. schlecht, 4 nichts In 3 alle nichts 6 alle gut lac || 3 |alle nichts 4 alle nichts lad 2 | 1z. gut, 1 nichts 3 | alle nichts Ba) 2® 3 1 schlecht, 2 nichts 4 1 s. schlecht, 3 nichts MO 3. alle nichts 5 | alle nichts | 2k 2 beide nichts 2 beide nichts 2] 2 beide nichts 5 alle nichts 2m 2 beide nichts 4 alle nichts 2t 2 beide nichts 4 alle nichts 2w 2 \ beide nichts 4 alle nichts 2 aa 3 1 ganz schlecht, 2 nichts 2 2 schlecht, 5 nichts Tabelle SC. Kinder vom Typus b& als Pollenlieferanten. | £ bestäubt mit Versuchs- er Ruine h 2d ze Pflanze ns = 3 | Be: | er Typus Nr. = Ergebnis _ A Ergebnis za Ergebnis -ä Ergebnis CH: 8% ce = u 3 x 2 > 2| I 3 le | 4 |2gut,2 nichts] 2 1 gut, I nichts, 3 \2gut, I nichts) 2 | beide nichts lo || 2 |1 gut, 1 nichts|) 2 |beide gut 3 |2 gut, 1 nichts|| 3 |2 gut, 1 schl. 1p || 2 |beide s. gut || 2 |beide gut 3 [alle gut 2 | beide gut ir |2 |lgut,1nichts|| 2 |beide gut 3 lalle s. gut 2 |1 gut, 1 schl. ls | 2 |l gut, I nichts|| 2 |beide nichts || 3 |2 gut, I nichts|| 2 | 1 gut, 1 nichts 1v | 2 [beide gut || 2 |beide nichts | — _ | 2 beide nichts 1x | 2 |beide gut '2 |beide s. gut | 2 [beide gut |) 2 | beide gut be J2a | 2 |beide gut '2 beide gut 1 |gut 2 | beide gut Sr 2 |beide gut | 2.|beide s. gut || 2 |beide gut 3 alle gut 2qu | 3 ‚alle gut '2 beide gut 2 |beide gut 2 | beide gut 2s 3 alle gut ‚2 beide gut 3 lalle gut 2 | beide gut 2v || 3 Jalle gut | 2 |beide gut 3 Jalle gut 2 | beide gut 2x | 3 jalle s. gut | 2 [beide gut 3 \alle gut 2 | beide gut | 2y | 3 alle s. gut || 2 |1gut,1 nichts) 2 alle beide gut|| 2 |1 gut, 1 nichts 2 3 /alle gut 2 |beide (s.) gut|| 2 |beide s. gut | 2 |1g., 1s.schl. > ad | 3 /alle gut | 2 |beide gut 3 lalle gut 2 | beide gut | ‚ rn d | 3 alle nichts | 2 |beide nichts | 3 'lz.g.,1mäß.,| 2 | beide nichts BG | | 1 nichts | ] 1f |5 |4g.od.z. gut,| 2 beide nichts || 3 [alle gut 2 beide gut | 1 nichts | | | | von BNeOS —mm [=] Oo ® [Pu ee 5o DVDVDVH HH nn a [e) B-igere lee) 8 [|——oo S DVDVDDNDDNDDHHHH m SEHTSEOT EN > » Ss n a DD DVODDVDH HH mn =) RER 28 BE mo er m = D » 8 D ‚alle nichts ‚alle nichts beide nichts beide nichts beide nichts alle nichts ‚beide nichts \beide nichts ‚alle nichts leschle, zone \alle nichts alle nichts oo DD DD ID ww we ws DDDNKDDDDDDDIDIDIDND ‚alle s. gut lalle s. gut | I1g.,1schl., In.) ‚alle gut | alle s. gut Dow ovDVvVvyryvyDvyvDwHe I) insehl&,2’n= 2 beide gut 2 beide s gut || 2 ‚beide s. gut | 2 beide s. gut | 2 beide s. gut | 2 [alle (z.) gut || 4 alle gut 2 beide gut I 2 2 > | 2 2 w [08 [3] ODyDDyENDDDUD 2 nichts | lg. schlecht, | 3 2 nichts ugs schl., on: beide beide beide beide |beide nichts gut nichts nichts nichts beide nichts beide nichts beide nichts ‚beide nichts | beide nichts beide s. gut beide nichts l gut, 1 nichts 1 gut, 1 nichts beide s. gut beide nichts beide s. gut beide s. gut beide nichts beide gut alle gut beide s. gut beide s. gut beide nichts 1 gut, 2 nichts jaschl., %n..|2 ı2 gut, 2nichts 3 ıbeide nichts | 2 1 schl., In. beide nichts | 2 | beide nichts beide nichts | 2 beide nichts ‚beide gut | 2 | beide gut beide gut In2a Ir schl, len: ls. schl., 1 n.| 2 | beide nichts beide nichts | 2 | beide nichts ‚beide nichts | 2 | beide nichts Ilz. gut, 1 s.| 2 |beide nichts | schl., In. | | 1 ganz schl., 2 | beide nichts 2 nichts | 1 mäßig gut, 2 beide nichts | alle gut I1g.schl, In.| 2 gut, 2 nichts) 3 gut, 1 nichts |beide nichts | 1 g.schl., 2n.|| Il z. gut, 1 n.| beide nichts alle nichts alle nichts DDDDDDDDNMD 18. gut,.2.n. | 'alle nichts 2 schl' len: OD wDmDDWWD Bw alle s. gut ‚alle gut alle nichts alle nichts beide s. gut alle gut 2s.g.,1s.schl. alle s. gut ‚alle s. gut alle gut ‚alle gut | DD DW w ww um wWD WC wc 'alle gut | beide s. gut ‚beide s, gut 3 alle s. gut | 3 ‚2 gut, 1 nichts) 1.35 .Dgut, 2 f&n: 3 2 schl., In. | 3 Jalle s. gut | 2 beide gut | 3 sehr gut 2 beide gut 2. 12. gut, 1m. | 2 beide nichts 2 beide nichts 3 alle nichts 3 |alle nichts 3 Jalle gut | I%.sehl., 2un, || l1z.g.,1g.schl.| DDDDmmwwwnmwww | 8 | beide DDVOVDWDDDnDDmD Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 415 bestäubt mit Pine ! £ 171 | l ae | 2d I 2e al na I 8 Sen = * NE 5) u IP #8] “2 SE > = re =®| Ergebnis |-#%, Ergebnis |, Ergebnis, |-#| Ergebnis S% SH || 8% No No IN © IN o F= R=} ı 2] IE r# Pen _ Neischl},2’n. ‚beide nichts ‚alle s. gut | | beide nichts beide nichts \ beide nichts | beide nichts Mlezsent,jlen. beide nichts 1 gut, 1 nichts | beide nichts beide nichts beide nichts 1.9. schl., In. 1 s. schl., In. beide nichts beide nichts alle s. gut beide gut beide gut beide s. gut beide s. gut beide gut beide s. gut beide nichts 1 gut, 1 nichts beide gut beide gut beide s. gut beide nichts Pesschl. sin. beide nichts beide nichts 1 gut, 1 nichts beide gut beide nichts | 1 gut, 1 nichts alle nichts nichts beide nichts beide nichts beide nichts beide nichts 416 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. Tabelle SD. Kinder vom Typus BG als Pollenlieferanten. bestäubt mit | Versuch | oO 1m IR Er | 2t Pflanze |7un1d. "Zahl d.| [Zahl d.) Typus Nr. | best. | Ergebnis | best. | Ergebnis | best. Ergebnis Blüten Blüten | Blüten c 1 gut, 1 nichts | alle nichts beide gut 0 alle s. gut Halle; Wschl:, Um: | 2 gut, 1 nichts p alle gut | | alle gut alle gut r 18? gut, len || | alle (s.) gut alle gut D 2,2.schl., 14n. ' alle gut alle gut v 1 gut, 1 nichts | alle gut alle gut x beide s. gut | alle gut alle gut | beide mäßig beide gut beide gut ' beide s. gut alle s. gut beide z. g. bis g. beide gut alle gut beide gut | alle gut alle gut alle gut | ' alle gut alle gut y.Slen: 4 alle nichts Bg\ 2b 2 | beide nichts 3 alle s. gut 3 alle nichts 2g 2 beide nichts 1 nichts? (welk) 2 beide nichts 20 2 beide nichts DEI EIESSschlesien® 2 beide nichts 2p DE 61.8. schl..-Aum: 3 | alle nichts 3 1 schl., 2 n. 2r 2 | beide nichts 2 beide nichts 2 beide nichts 2u 3 alle nichts 3 1, gut, 2.n. 2 beide nichts 2 ab 3 1:schl., 2 n. 3 alle nichts 3 alle nichts Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 4417 | bestäubt mit Versuchs- | lm | 2m | 2% | | | | Pflanze |y.n1d. Zahld. Zahl d. TypusNr. | pest. Ergebnis | best. , Ergebnis best. Ergebnis Blüten) \ Blüten Blüten, le 2 beide nichts 3 alle nichts 3 \ alle nichts | lk 2 beide nichts 4 alle nichts 2 | beide nichts lm 2 beide nichts I alle nichts 3 alle nichts In 2 beide nichts \ 3 alle nichts 3 alle nichts lac 3. alle nichts 3 alle nichts 3 alle nichts lad| 2 | beide nichts 3 alle nichts 2 beide nichts J2e 2 beide nichts 3 1 s. sch, 2n. | 2 | beide nichts BG\ 2f 2 \ beide nichts 4 | alle nichts 2 | beide nichts 2k 2 _ beide nichts 2 beide nichts 2 | beide nichts 2] 3 | alle nichts 2 beide nichts 2 | beide nichts 2m 3 | alle nichts 3 alle nichts 3 | alle nichts 2 2 beide nichts 3 alle nichts 2 beide nichts 2 w 2 beide nichts 3. | alle nichts 3 alle nichts 2 aa 6 alle nichts 3 | alle nichts 3 alle nichts Einzelne Versuchspflanzen mögen nicht in die richtige Kate- gorie eingereiht worden sein. Es war natürlich meine Absicht, die Versuche 1912 zu wieder- holen und zu vervollständigen. Ich konnte aber mit den Resten der vorjährigen Versuchspflanzen nur wenige Bestäubungen vor- nehmen, wobei andere Pollenlieferanten, je einer aus den Klassen Bg, bG, bg, verwendet wurden. Die Resultate stimmten im allge- meinen bei jeder Klasse gut mit den Ergebnissen des Vorjahres überein. Es zeigte sich z. B. dort, wo ich 1911 mit einer Klasse, je nach den Individuen, verschiedene Resultate erhalten hatte, auch diesmal wieder ein ungleiches Verhalten. In Tabelle 9 sind die neuen Ergebnisse zusammengestellt. Tabelle 9. Kinder unter sich. SA 2. bestäubt mit Versuchs- | (bg) 2i BREOEEN N BET 2ER Erze \zanıa, [Zahl d.| Zahld. TypusNr. \ best. Ergebnis |, best. Ergebnis best. | Ergebnis ı Blüten Blüten Blüten lp 7% 6 gut, 1 nichts | 5 1 8. schl;, 4 n.! | '—= — ls 5 4 2. schl., 2 .n. 3 2 g., leinsamig| 2 beide gut bo ji 4 alle nichts I) alle gut 3 alle z. gut 5 2 qu 4 2,schl,, 2.n. 7 || 5 alle gut 1 gut F X 4 alle gut | 3 alle nichts 3 2 gut, 1 nichts 2y 3 alle nichts | 3. | alle mäßig gut 2 | beide nichts 415 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. | Par fi erlaubt mit Versuchs- \ REDE) Dan (bG) 1 ab i zus _ (Be)2h Pflanze IZahld. | Zahld. Zahld. Typus Nr. | best. Ergebnis best. Ergebnis | best. | Ergebnis Blüten Blüten Blüten) | (z.) gut | | — | 1 9 | 1 | (z.) gut [ı' | 2 1 gut, 1 nichts| 1 | nichts | 2 beide gut? bG/1lab | 4 | 3 gut, 1 nichts) — | u 2 Ieout,leschl: | lae|| 3 2 gut, 1 nichts) 1 | schl. (zweisam. )\ 2 1 gut, 1 nichts 2iei ı||: v4 1 dreisam., 3n. 5. 126, 2irasl, In. 3 alle gut I | 3 gut, 3 nichts LE AU a) | 4 gut, I nichts 6 -- 1 aa 4 alle gut | 4 | alle mäßig | 3 alle nichts Br 2b 3 | alle gut I alle gut In 02 l einsam., 1 n. Zar2ıq 4 alle gut 5 | alleg. bis mäß.| 1 nichts Bi 3 alle gut _ -- I) 1 einsam., 2 n. 2r — — 3 alle nichts —_ 2 Bf le 3 alle gut 1782 1 z. schl, In DEE Ieinsammalen: lık 6 5 gut, 1 nichts 4 2 gut, 2 nichts| 3 alle nichts Einstweilen lassen sich aus den Versuchen der beiden Jahre wohl folgende Schlüsse ziehen: 1. Auch untereinander sind die Kinder lange nicht alle fertil. Ein guter Teil setzt mit dem Blütenstaub bestimmter Geschwister nicht (oder nur sehr schlecht) an, während er mit dem Pollen anderer Geschwister vollkommen fruchtbar ist. 2. Das Ansetzen und Nichtansetzen der Kinder unter- einander steht sicher im Zusammenhang mit ihrem An- setzen und Nichtansetzen mit dem Blütenstaub der Eltern. So waren (Tabelle 8D) alle Versuche, die 14 zur Klasse BG gezogenen Pflanzen mit dem Pollen dreier Pflanzen aus derselben Klasse (1m, 2m, 2t) zu befruchten, völlig vergeblich; keine der je 2—6 Blüten umfassenden 39 Bestäubungen (die 3 Selbstbestäubungen sind schon abgerechnet) hatte Erfolg. Dagegen setzten mit dem Pollen derselben 3 Pflanzen die 16 zur Klasse bg gerechneten Indi- viduen fast ausnahmslos gut, zum Teil sehr gut an; von den 47 Ver- suchen mit je 2—4 Blüten (eine Bestäubung wurde aus Versehen nicht ausgeführt) gelang nur einer (3 Blüten, 1eg-—+2md) gar nicht. In diesen Fällen liegt auch die Erklärung ganz nahe. Die Pflanzen der GB-Klasse setzen mit dem Pollen anderer, derselben Klasse angehörigen Individuen nicht an, weil sie alle zusammen die gleichen zwei Hemmungsstoffe, Bund G, haben. Die Pflanzen der bg- Klasse dagegen lassen sich mit dem Pollen der BG-Klassse erfolgreich Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 419 bestäuben, weil ihnen allen diese beiden Hemmungsstoffe fehlen. Auch die reziproken Bestäubungen, bei denen die 14 Pflanzen der BG-Klasse den Pollen dreier Pflanzen der bg-Klasse (1c, 1p, 1x) erhielten (Tabelle 8 A), gaben dementsprechend fast durchgängig ein positives Resultat; nur mit dem Blütenstaub von 1c wurde eine Anzahl negativer Resultate erzielt. Bei anderen Klassen waren die Resultate augenscheinlich nicht einheitlich. So kam es vor, dass von den zu einer Klasse ge- rechneten Pflanzen die einen mit dem Pollen eines bestimmten Individuums steril blieben, während die anderen damit ansetzten, selbst wenn der Pollenlieferant derselben Klasse angehörte. Von den 15 Pflanzen der Klasse bg, die mit dem Blütenstaub von 1c bestäubt worden waren, gaben z. B. 3 kein Resultat, 12 ein mehr oder weniger gutes, von den 16 Bestäubungen in derselben Klasse mit dem Pollen von 1p 5 kein Resultat, 11 ein gutes und von ebensoviel Bestäubungen mit dem Pollen 1x 10 keines und nur 6 ein gutes. Dabei gehörten die Pollenlieferanten 1c, Ip und 1x ebenfalls zur Klasse bg. Es kam aber auch vor, dass bei sämt- lichen Vertretern einer Klasse das Resultat mit dem Pollen der einen Pflanze positiv, mit dem der anderen negativ ausfiel, obwohl beide Pollenlieferanten zur selben Klasse gerechnet worden waren. So gaben z. B. die 16 Pflanzen der Klasse bG, die mit dem Pollen von 2b fast ausnahmslos steril blieben (nur bei 2ad setzten die drei bestäubten Blüten gut an), mit dem Pollen von 2u fast durch- gängig gute Resultate (nur zwei Kombinationen blieben zweifelhaft, 1fo+2ug:i gut, 3 nichts, und que +2ug:2 gut, 4 nichts), 2b und 2u gehörten in die Klasse Be. Zweifellos sind also die Klassen Bg, bG und vor allem bg hin- sichtlich ihrer Hemmungsstoffe nicht einheitlich, und es liegen ihrem Verhalten noch besondere Gesetzmäßigkeiten zugrunde. Wie viel aber von den zurzeit vorliegenden Daten durch die drei Fehler- quellen: zufälliges Versagen von Kombinationen, die eigentlich ge- lingen sollten, unbeabsichtigte Bestäubung und endlich Einreihung der einen oder anderen Pflanze in eine unrichtige Klasse, bedingt wurde, lässt sich, wo die Mehrzahl der Versuchspflanzen zugrunde gegangen ist, nicht mehr ermitteln und muss deshalb dahingestellt bleiben. Ich verzichte einstweilen darauf, diesen Fragen im ein- zelnen weiter nachzugehen, ehe ich neues Material habe. V. Das Verhalten der Enkel. „Enkel“ will ich ganz allgemein die Individuen der dritten Generation nennen, gleichgültig, ob sie aus der Verbindung zweier Kinder unter sich oder aus der Verbindung eines Kindes mit einem der Eltern hervorgegangen sind. Es war meine Absicht gewesen, ihr Verhalten den Eltern und Großeltern gegenüber zu prüfen, und 420 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. ich hatte deshalb 1911 einzelne von den gelungenen Bestäubungen gesäckt und die Samen ausgesät. Es waren alle vier Klassen ver- treten gewesen; von den verschiedenen so erhaltenen neuen Ver- suchspflanzen konnte ich aber dieses Frühjahr nur noch wenige prüfen. Zunächst die Enkel, die zwei Kinder aus der Klasse bg (1cund Ip) mit dem Pollen ıhrer beiden Eltern (® und ©) gegeben hatten, auf ıhr Verhalten gegen den Pollen eines dieser Eltern. Die Zahl der Versuchsobjekte war leider sehr gering geworden; die Ergeb- nisse bringt Tabelle 10. Tabelle 10. Verhalten der Enkel, die durch Bestäubung der mit beiden Eltern fertilen Kinder (Klasse bg) mit diesen Eltern entstanden waren, dem Pollen des einen Elters (®, resp. dessen Ableger Bö) gegenüber. A. (bg +8) bestäubt mit 89 B. (bg-+6) bestäubt mit 8) “ SS | Zahld. I SS Zahld. | Versuchs- IN & | best. Ergebnis Nezuce, = & | best. Ergebnis Nr. ZE | Blüten Nr. | 5% | Blüten 6 R Herkunft| 1 | 3 alle nichts |Herkunft | 1 2 | beide nichts 1c+B 2 4 alle nichts | 1c+® 2 2 |1g., leinsamig 3 3 alle nichts 4 2 ‚beide gut Dr! alle gut | | | 8 9 Herkunft, 2 3 | alle nichts Herkunft 1p+28 3 2 beide gut 1p+6| 1 5 alle gut N 2 beide nichts 2 2 l einsamig, In. 6 6 alle nichts Dann standen mir noch die Nachkommen einer Pflanze der Klasse bG (11), die nur mit dem Pollen des einen Elters (B) ange- setzt hatte, zu Versuchen mit dem Pollen dieses Elters resp. eines Ablegers davon bereit. Auch hier war die Zahl der verwendbaren Versuchsobjekte recht gering geworden. Die Ergebnisse sind in Tabelle 11 (s. S. 119) zusammengestellt. Besonders augenfällig ist, dass (wie Tabelle 11 zeigt) die mit dem Pollen eines der Eltern erzeugte Nachkommenschaft eines Kindes hinsichtlich der Hemmungsstoffe ungleichförmig ausfällt oder doch so ausfallen kann. Sie besteht dann wieder aus zweierlei Individuen, von denen die einen mit diesem Elter steril, die anderen fertil sind; und beide Klassen dürften ungefähr gleich groß sein. Das weist darauf hin, dass bei dem Kind aufs neue ein Spalten Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. 421 Tabelle 11. Verhalten der Enkel, die aus der Verbindung eines nur mit einem Elter fertilen Kindes (11, Klasse b&) mit diesem Elter ® entstanden waren, dem Pollen dieses einen Elters (8, resp. dessen Ableger Bd) gegenüber. (bG +8) bestäubt mit 85 . Zahld r Zahl d.| Nr..der | pest | Ergebnis | el ee, | Ergebnis Pflanze | Blüten Pflanze | Blüten | | l er a = alle nichts 8 de! einsamig, 4 nichts fe) 5 4 | 4 | alle sehr gut 9 5 | alle nichts 5 3 | alle sehr gut 10 3 | alle gut 6 3 alle nichts 11 1 | nichts 7 3 alle nichts 12 A 2asgut,alsz.schl., Ion. vorgekommen ist, in dem Sinne, dass es mindestens zweierlei Keim- zellen gebildet hat. Man kann sich das vorläufig in folgender Weise zurechtlegen: Eltern: B & /\ deren Keimzellen: Bid EuE daraus entstehen die (viererlei) Kinder: BG bG Bg bg deren Keimzellen: b G wieder bestäubt mit dem Pollen von ® respektive mit dessen Keimzellen: B b es entstehen 4 gleich häufige Kombinationen Bb BG bG bb als Enkel. Diese Enkel verhalten sich gegenüber dem Pollen von Bö (mit dem Hemmungsstoff B) ın folgender Weise: Enkel Großelter 2L a 5 setzen nicht an, weil beiderseits B ausgebildet ist. S a S \ setzen an, weil der Hemmungsstoff B bei den Enkeln fehlt. Schluss. Im Vorstehenden glaube ich den Nachweis geliefert zu haben, dass die Hemmungsstoffe, auf denen die Selbststerilität der (ar- damine pratensis beruht, keine richtigen Individualstoffe sind, d. h. keine chemischen Verbindungen, die für das einzelne Indi- viduum charakteristisch wären, die bei seiner Entstehung neu ent- ständen und mit seinem Untergang spurlos vergingen. Wir müssen vielmehr in den Hemmungsstoffen Linienstoffe sehen, deren Aus- bildung auf der Anwesenheit einer Anlage beruht, die vererbt wird, die sogar wahrscheinlich dem Mendel’schen Spaltungsgesetz folgt. XXXII 28 422 Correns, Selbststerilität und Individualstoffe. Wenn im allgemeinen die aus dem Freien geholten, nicht auf ungeschlechtlichem Wege auseinander hervorgegangenen Stöcke der Cardamine pratensis, untereinander bestäubt, fertil sind, rührt das vom Vorhandensein zahlreicher solcher Linien her, die gerade infolge der Selbststerilität fortwährend untereinander bastardiert werden. „Reine“ Linien können nicht bestehen, weil Pflanzen mit denselben Hemmungsstoffen untereinander keine Nachkommenschaft geben können. Der Kampf ums Dasein, der nur je ein Kind an Stelle eines Elters treten lässt, verhindert (ohne Selektion), dass derselbe Bastard und damit dieselbe Kombination von Hemmungs- stoffen mehrfach auf demselben Standort vorkommt. — Die Existenz der vielen Linien mit verschiedenen Hemmungsstoffen müssen wir als gegeben hinnehmen, wie die vielen Linien einer Bohnenrasse Johannsen’s, nur dass eben bei Cardamine die Linien nicht rein vorkommen wie bei den Bohnen, sondern durcheinander gemischt, infolge der Selbststerilität und der dadurch bedingten fortwährenden Bastardierung der Linien untereinander. Im übrigen sind bei unserem Versuchsobjekt nicht bloß hin- sichtlich der Hemmungsstoffe Linien vorhanden, sondern auch hin- sichtlich zahlreicher äußerer Merkmale. Keines der 60 Geschwister war einem anderen oder den Eltern völlig gleich; sie unterschieden sich z. B. in der Größe, ın der Farbe, in der Umrissform und in der Orientierung der Blumenblätter, in der Farbe des Pollens, ın der Länge des Fruchtknotens, in der Größe des Narbenkopfes, ın der Länge und in der Färbung der Schote, wobei die Extreme durch deutliche, oft durch mehrere Zwischenstufen verbunden waren. Ich stehe nicht an, die bei Cardamine pratensis gewonnenen Erfahrungen zu verallgemeinern und nicht nur auf die Hemmungs- stoffe anderer selbststeriler Pflanzen und Tiere auszudehnen, sondern auch auf die übrigen Fälle. wo man die Existenz von „Individual- stoffen“ angenommen hat, selbst auf die Ausbildung der Riech- stoffe, die es z. B. dem Hunde ermöglichen, die Fährte eines be- stimmten Individuums aus einer großen Zahl anderer menschlicher Fährten herauszufinden und zu verfolgen. Eingehende, experimen- telle Untersuchungen darüber sind mir nicht bekannt, jedenfalls vermag der Hund, wenigstens in der Regel, auch die Kinder des- selben Elternpaares am Geruche zu erkennen. Das Bekannte fügt sich unschwer unseren an (ardamine gewonnenen Anschauungen, wenn wir annehmen, dass der charakteristische Geruch des Einzel- individuums nicht von einer einzigen chemischen Verbindung her- vorgebracht wird, sondern sich aus verschiedenen selbständigen Riechstoffen zusammensetzt, die von Individuum zu Individuum teils selbst verschieden, teils verschieden kombiniert sind. Wie wir annehmen dürfen, dass all die verschiedenen Gesichter um uns Schwantke, Bemerkungen zur Tierpsychologie etc. 493 herum durch die Kombination zahlreicher — der Individuenzahl gegenüber aber wahrscheinlich verschwindend weniger — Züge ent- stehen, die getrennt vererbt werden können und wirklich so ver- erbt werden, dürfen wir auch annehmen, dass relativ wenige Riech- stoffe, deren Entfaltung von vererbten Anlagen abhängt, in ver- schiedener Weise ausgelesen und kombiniert, genug differente Gesamtgerüche geben, dass der Hund die Fährten auseinander halten kann. Dem Individuum eigen sind nicht einzelne Stoffe; eine bestimmte Kombination von Stoffen ist für das Indıi- viduum charakteristisch. Die Ausbildung jedes einzelnen Stoffes beruht auf einer Anlage, die wie andere Anlagen in den Keimzellen von Generation zu Generation weitergegeben wird. Sie ist etwas Spezifisches, nicht etwas Individuelles. Die Kombination der Anlagen und damit die der Stoffe selbst aber fällt immer wieder bei jeder Befruchtung verschieden aus, als Spiel des Zufalls. Die Kombination entsteht jedesmal bei der Entstehung des Individuums und geht wieder mit ıhm zugrunde: sıe ist das Individuelle. Botanisches Institut der Universität Münster 1./W. Bemerkungen zur Tierpsychologie veranlasst durch den Aufsatz von Camillo Schneider: Die rechnenden Pferde. Von Dr. phil. Christoph Schwantke. Herr Professor Schneider hat sich in dem genannten Auf- satz wie auch in seinem tierpsychologischen Praktikum die Lösung seiner psychologischen Fragen sehr erschwert und sogar unmöglich gemacht dadurch, dass er es unterlässt, eine sehr einfache Frage zu stellen — die Frage nämlich: Wovon sprechen wir, wenn wir von Sachen und Vorgängen der Natur, sie seien physikalischer, che- mischer oder biologischer Art, reden? Die Antwort darauf kann nämlich nur lauten: wir sprechen von unserem Wissen. (Man vermeide den Zusatz „nur“ von unserem Wissen; denn wir können eben von nicht anderem reden und also auch diesem Wissen nichts anderes entgegensetzen. In der Tat, wenn wir unserem Wissen die „Wirklichkeit“ entgegenstellen, so meinen wir damit eine Stellung unseres wahrscheinlich vollkommeneren Wissens von morgen gegen unser unvollkommenes Wissen von heute.) Also wir sprechen von unserem Wissen. Wir haben damit erkenntnis- kritisch die klare Zweiheit von Schöpfer des Wissens und Ergebnis des Wissens und damit die unbedingte Vorzugs- stellung des Menschen eben als des Schöpfers gegenüber den Tieren. Denn die Sache ist doch offenbar so: Alle Sätze über Tiere sınd 28* 494 Schwantke, Bemerkungen zur Tierpsychologie etc. Ergebnisse des Wissens, auch alle naturwissenschaftlichen Sätze über den Menschen sınd das, und wir sind so weit, alles natur- wissenschaftliche Wissen über Tiere und alles Wissen über den Menschen in ausgezeichneten Zusammenhang gebracht zu haben; außerdem aber ist der Mensch der Schöpfer von allem diesem Wissen. Um nun die Ergebnisse dieses Wissens — selbstverständlich anlässlich von Sinneseindrücken — zu gewinnen, stehen zwei Gruppen von Methoden zur Verfügung: 1. die Methoden der Messbarkeit und 2. die der Bildlichkeit. Die ersteren sind Zeitordnung, Raum- ordnung und die Aufstellung physikalisch-chemischer Gesetzlichkeit, und es ıst das klare, wenn auch wohl unerreichbare Ziel aller Naturforschung, alles Wissens um Naturvorgänge — auch der Bio- logie — ın Wissen um physikalisch-chemische Gesetzlichkeit auf- zulösen. Das Idealwissen um die Elberfelder Pferde würde also heißen: Es treffen sie die und die Reize, dadurch werden die und die physikalisch-chemischen Prozesse im Gehirn ausgelöst, es ge- schehen Umsetzungen nach den und den Gleichungen in den Nerven und Muskeln — folglich müssen die Pferde genau die und die Be- wegungen machen. Es ist nicht überflüssig, dieses utopische Bild durchzudenken, weil man daran erkennt, dass bei seiner Verwirk- lichung die Worte: Bewusstsein, Denken, Rechnen, Mathematik, a priori ... ganz aus dem Wissen um die Pferde verschwunden wären, d. h. also, dass die Frage: können die Pferde rechnen? dann überhaupt keinen Sınn mehr hätte. Nun ist freilich nicht abzusehen, dass jemals der Mensch so weit kommen wird, sein Wissen um so verwickelte Sachen, wie die Lebensprozesse höherer Tiere in ein Wissen um rein physi- kalisch-chemische Gesetzlichkeit zu verwandeln; es treten daher hier für jetzt und alle absehbare Zeit die Methoden der zweiten Gruppe in ıhr Recht, die Methoden der Bildlichkeit. Sie bestehen darin, den Dingen der Natur — heute kommen natürlich nur noch die Tiere ın Betracht — Bewusstsein, Denken, Willen, Lust u. s. w. zuzuschreiben. Diese Worte sınd Analogiebegriffe, genommen aus der menschlichen Schaffenstätigkeit, sie sind berechtigt und not- wendig, solange sie einen naturwissenschaftlichen Nutzen gewähren; d.h. solange man die Bewegungen eines Tieres noch nicht rein physi- kalisch-chemisch erklären kann, ist es richtig zu sagen: das Tier denkt, will u.s. w. Endlich — und das ist das Wichtigste für unsere Zwecke: es ist ganz falsch, aus Fällen, in denen solche Analogiebegriffe nötig sind, um ein Wissen, um ein Tier zu er- zeugen, Rückschlüsse auf den Menschen zu machen, von dem diese Analogiebegriffe genommen sind. Also wenn wir auch jetzt genötigt sein sollten, den Satz auszusprechen: die Pferde können rechnen, und vielleicht nach beliebig langer Zeit diesen Satz durch ein Wissen Carazzi, Über die Schlafstellung der Fische. 425 um verwickelte Reflexe ersetzen können — ein Schritt näher zur physikalisch-chemischen Gesetzlichkeit — so berühren diese Aus- sagen über Ergebnisse unseres Wissens nicht ım geringsten unsere Aussagen über die Möglichkeiten und Methoden der Wissens- erzeugung. Dass im besonderen die Möglichkeit der Zeitordnung und die der Raumordnung wurzelhafte Methoden menschlicher Wissenserzeugung sind (a priori nach Kant’s Sprachgebrauch), daran werden uns die Pferde also wirklich nicht irre machen. Es sei noch ein kurzes Wort über das eigentliche Thema hinaus gestattet: Kehren wir noch einmal zu dem utopischen Ideal zurück, dass alles menschliche Wissen um die Natur sich entwickelt hätte zu einem Wissen um physikalisch-chemische Gesetzlichkeit, es würde dann in den Ergebnissen der Naturwissenschaft keine Aus- sage über Psychisches mehr stehen; trotzdem wäre natürlich die Er- zeugung des Wissens genau wie heute ein rein psychischer Prozess, und man müsste sagen: Psychisches ist der Erzeuger des Wissens vom Physischen. Heute hat der Satz etwas verwickelter zu lauten: Psychisches ist der Erzeuger des Wissens vom Psychischen und kann als vorläufiger Analogiebegriff auch im Inhalt des Wissens vorkommen. Jedenfalls aber steht sich Psychisches und Physisches als der strenge Dualismus von Subjekt und Objekt gegenüber, und alle Versuche, diesen Dualiısmus durch Sätze zu ersetzen wie: Psychisches und Physisches „ist dasselbe“, oder „geht parallel“, sind erkenntniskritische Irrtümer. Über die Schlafstellung der Fische. Von Dav. Carazzi. Padua. Verschiedene Beobachter und unter ihnen, wie ich glaube, als erster Möbius, haben bemerkt, dass einige im Aquarium gehaltene Fischarten eine Schlafstellung annahmen, wobei sie auf der Seite oder mit dem Bauche nach oben im Wasser lagen und zwar längere Zeit bis zu einigen Stunden. Während dieser Zeit werden die Flossen nicht bewegt und die Atmungsbewegungen sind ebenfalls sehr vermindert. Erst kürzlich haben auch Werner, Romeis und Krüger im Biolog. Öentralbl.!) über Ruhe- oder Schlafstellung von in Aquarien gehaltenen Fischen berichtet. Bisher hat aber meines Wissens niemand die im Meere schlafenden Fische erwähnt, weshalb ich glaube, dass die Beschrei- bung dieser merkwürdigen Erscheinung nicht ohne Interesse ist, die ich mehrmals im Golfe von Spezia beobachten konnte. Dort finden sich während der guten Jahreszeit häufig verschiedene Meer- äschenarten: Mugil cephalus, M. capito, M. auratus; selten sind M. 1) Biolog. Centralbl. 1911, S. 41 u. 83; ibid. 1913, S. 14. 426 Carazzi, Über die Schlafstellung der Fische. chelo und M. saliens. Von den beiden erstgenannten Arten konnte ich besonders die zweite (M. capito) mehrfach in Schlafstellung be- obachten und diese beiden sind nicht nur die häufigsten, sondern auch die größten. Der ım Juli und August in so zahlreichen Schwärmen erscheinende M. auratus, dass ich ıhn mehrfach durch einen Flintenschuss erbeuten konnte, ist immer von geringerer Größe und wird nicht länger als 13 cm. Auch der M. saliens über- steigt niemals dieses Maß. Der M. chelo erreicht bemerkenswertes (Gewicht und Länge und ist seines vorzüglichen Fleisches wegen sehr gesucht, aber er kommt nur selten im Golf vor und die Fischer übervorteilen die Käufer leicht dadurch, dass sie ıhm durch den ganz gewöhnlichen M. cephalus und den M. capito ersetzen! Von diesen zwei Arten waren von 30—35 cm lange und über ein halbes Kilogramm schwere Exemplare ziemlich häufig, die ich mehrfach im Sommer während der heißen Mittagszeit ın Schlaf- stellung sehen konnte. Sie liegen dann gänzlich unbeweglich an der Oberfläche des Wassers auf der Seite und lassen sich von den durch die leichte Brise erzeugten Wellen hin und her schaukeln, so dass man sie für tot halten könnte, was auch ich anfangs glaubte, da ich mich so weit nähern durfte, bis ich sie mit dem Ruder oder einem anderen Gegenstand berührte und sie erst dann blitzschnell flüchteten. Um von dem relativ festen Schlaf der Meeräsche einen Be- griff zu geben, erwähne ich nachstehende Begebenheit. Eines Tages machte ich mit Bekannten eine Fahrt im Golf und während mein Schiffer die beiden Ruder führte, steuerte ich das Boot. Den Wasserspiegel überblickend hatte ıch noch weit vor uns eine große Meeräsche bemerkt, die sich von den Wellen schaukeln hieß. Ohne die Gesellschaft darauf aufmerksam zu machen, schlug ich die Wette vor, dass ich aus dem Meere einen lebenden Fisch mit meinem Hute herausfischen würde. Da die Wette, die man für einen Scherz hielt, angenommen wurde, hieß ich meinem Fischer mit aller Kraft rudern und ım richtigen Augenblick die Ruder einziehen, so dass das Boot infolge des starken Antriebes sich ohne das geringste Geräusch fortbewegte. Genau steuernd begab ich mich dann ins Vorderteil des Fahrzeugs, nahm den Hut ab und konnte mit schneller Bewegung die große Äsche herausfischen, die ich zum großen Schrecken der Damen und Erstaunen der ganzen Gesellschaft mitten ins Boot warf. Handelt es sich um Schlaf oder um Rast? Mir scheint, sie müssen wirklich schlafen, sonst ließe es sich nicht erklären, dass man sich wie im erwähnten Falle ihnen nähern kann bis man sie berührt. Wenn sie wach wären, würden sie, furchtsam wie sie sind, beim Näherkommen eines Fahrzeugs gleich die Flucht er- greifen; sie tun es nicht weil sie nicht sehen (obgleich sie die Augen Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 427 offen haben) und nicht hören; sie sehen und hören nicht weil sie schlafen. Was mag die Ursache dieses Schlafes sein? Nach meiner Überzeugung ist er, wie bei Menschen, durch das Ruhebedürfnis während der sommerlichen heißen Mittagsstunden begründet und eher die Folge der erhöhten Temperatur der Wasseroberfläche, welche das Tier einschläfert, als die Folge der Müdigkeit. Sicher- lich habe ich nie schlafende Äschen außer der heißen Jahreszeit und außer den Stunden größter Hitze gesehen; meine Beobach- tungen erstrecken sich über mehrere Jahre, während denen ich jeden Tag einige Stunden im Boote zubrachte. Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. (Statische Reflexe beı Mollusken.) Mit 5 Photographien und 6 Textfiguren. Von Dr. phil. W. Baunacke, Assistent am Zoolog. Institut Greifswald. Nach den kürzlich von E. Mangold (1912) in Winterstein’s Handbuch der vergleichenden Physiologie zusammengestellten Be- funden zahlreicher Untersuchungen über die Frage nach Zweck und Wirkungsweise der Statocysten niederer Tiere erscheint diese Frage noch lange nicht so weit klargestellt, wie es das Verständnis der großen biologischen Bedeutung dieser Organe für ihre Träger erfordert. Nicht nur kommen verschiedene Autoren zu abweichen- den Resultaten bezüglich der Annahme einer statischen Funktion für diese Organe bei gewissen Tieren überhaupt, sondern wir finden vor allem auch die verschiedensten Auffassungen bezüglich des Wesens derselben vertreten bei Forschern, welche ihnen eine sta- tische Funktion zusprechen. Kein Wunder, wenn die Vorstellung, die sich der Nichtspezialist von solchen Gebilden und deren Bedeutung macht, nicht anders als unklar sein kann. Dies geht deutlich schon daraus hervor, dass für ıhn gewöhnlich statische Organe schlechthin „Gleichgewichts- organe*“ sınd und dass man ferner mitunter ıhrer Funktion nach noch völlig unbekannte Sinnesorgane in der Literatur rein hypo- thetisch als statische angesprochen findet, wohl einfach deshalb, weil sie ihrem Baue nach in keine Kategorie der übrigen allbe- kannten Sinnesorgane hineinpassen wollen. Vor allem fehlt es uns noch an der geeigneten Definition für den biologischen Zweck dieser Organe, der allein ihre Existenz bei den einen, ihr Fehlen bei anderen Formen bedingt, und der doch im einzelnen so sehr ver- schieden ist. Mangold (1912) definiert als spezifisch statische (p. 904) solche Sinnesorgane, „die neben dem optischen und dem Tastsinne die 498 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. Lage und Bewegungen des Körpers regulieren“. Diese kurze Defi- nition ist ebenso treffend als umfassend. Sie ist so umfassend, dass nicht nur Statocysten und ihnen ähnliche Bildungen, sondern auch die Seitenorgane der Capitelliden und Fische, die Hicks’schen Papillen am Dipterenschwinger, ja schließlich auch wohl solche Tastorgane der Arthropoden u. a., deren spezifische Funktion die Regulierung der Lokomotion in Luft und Wasser durch Wahr- nehmung des Druckwiderstandes des zu verdrängenden Mediums ist, sich nach ıhr unter dem Sammelbegriff „Statische Sinnesorgane“ sehr wohl vereinigen lassen. Es passt eben tatsächlich nach Mangold’s Definition alles, was bisher als „statisches Sinnesorgan* angesprochen worden ist, unter diesen Namen, und so ıst sie für eine Zusammenfassung dessen die einzig mögliche und rechte. Gerade diese Dehnbarkeit jenes Sammelnamens ist es aber auch, die eine Abgrenzung der rein statischen von gewöhnlichen Tastsınnesorganen unmöglich macht. Und eine Grenze ist da um so schwerer zu ziehen, als ja schließlich auch rein statische Organe nur eben Tastorgane sind, wie dies ja schon Verworn (1891, p.471) besonders hervorhebt, und auch schon sehr einfach gebaute Tast- organe mehr oder minder vollkommen in den speziellen Dienst der Orientierung im Raum treten können. Wir dürfen also unter Um- ständen ein Tasthaar, wie es bei den Arthropoden beispielsweise in so verschiedener Gestalt auftritt, schon als ein statisches Sinnes- organ bezeichnen. So aber darf es uns nicht wundern, wenn die Zusammenstellung physiologisch wie biologisch zum Teil recht sehr verschiedener Dinge unter gemeinsamer viel zu allgemeiner Be- zeichnung das Verständnis ihres Wesens nicht eben fördert. Ich glaube darum, dass es für das Erkennen der speziellen biologischen Bedeutung der einzelnen unter jenem Begriffe zu- sammengefassten Gebilde von großem Vorteil wäre, wenn eine Scheidung aller dieser im einzelnen doch so stark voneinander ab- weichenden Sinnesapparate sich ermöglichen ließe. Da stoßen wir indessen auf beträchtliche Schwierigkeiten insofern, als schon die Entscheidung nicht leicht zu treffen ist, ob wir diese Trennung nach physiologischen oder biologischen Gesichtspunkten vorzunehmen haben. Die ganze Frage nach der Funktion und Bedeutung sta- tischer Sinnesorgane ist aber m. E. leider noch nicht soweit ge- fördert, noch nicht genügend geklärt, als dass die Einteilung jener Organe nach diesen oder jenen Momenten einwandfrei durchgeführt werden könnte. Ja, wir werden Gründe kennen lernen, welche eine solche beinahe unmöglich machen. Wohl wissen wir, dass bei der großen Mehrzahl statischer Sinnesapparate die Gravitation, bei anderen indessen Trägheit, Luft- resp. Wasserwiderstand oder Strömungsdruck mit größerer oder geringerer Sicherheit als physiologische Faktoren betrachtet werden, Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 499 welche reizerzeugend wirken sollen. Eine Einteilung nach diesen physiologischen Momenten ist nun aber solange unmöglich, als jene reizbewirkenden Faktoren bisher nur in wenigen Fällen wirklich ein- wandsfrei bestimmt sind. Aber auch biologische Momente sind zu einer Klassifikation nicht recht zu brauchen, denn die Lebensbedingungen sind selbst für nahverwandte Formen doch so verschieden, dass die Funktion der statischen Sinnesorgane nicht nur bei einzelnen Vertretern der- selben Klasse eine sehr abweichende, sondern, wie es sich zeigen wird, sogar beim selben Tiere eine mehrfache sein kann. Wir werden sehen, dass die jeweiligen Funktionen statischer Organe durchaus den Bedürfnissen ihrer Träger entsprechen. Die Betrach- tung verschiedener Sinnesorgane dieser Art bei verschiedenen Tieren nach biologischen Gesichtspunkten wird zeigen, dass gleiche Be- dürfnisse gleichwirkende Organe erfordern und dass wir deren, bei verschiedenen Formen den nämlichen Zweck erfüllende Funktionen auch unter gleichem, die jeweilige Funktion spezieller charakterı- sierenden gemeinsamen Namen sehr wohl zusammenfassen können. Schon das wird uns die verschiedene Bedeutung dieser Sinnesorgane verständlicher machen. Nicht aber dürfen wir die Organe selbst nach dieser Funktion benennen oder gar einteilen und das aus dem Grunde, weil ein einzelnes Organ recht verschiedene Funktionen in verschiedenen Lebenslagen des Tieres erfüllen kann. Im allgemeinen lässt sich wohl das Wesen statischer Sinnes- organe dahin definieren, dass es mehr oder minder kompli- ziert gebaute Organe des Tastsinnes sind. Sie perzi- pieren Reize, die eine bestimmt gerichtete Kraft direkt oder indirekt auf den Körper ausübt, und lösen Be- wegungen aus, die den Körper in eine zur Richtung jener Kraft bestimmte und von biologischen Bedürfnissen be- dingte Normallage bringen und darin erhalten. Hier wollen wır aus der Gesamtheit aller jener Organe als wohl charakterisierte und scharf umschriebene Gruppe einstweilen diejenigen herausgreifen, die ihre Wirksamkeit unmittelbar der Gravitation (indirekt ıst das wohl für alle der Fall) verdanken. Nur solche Organe statischer Funktion sollen uns hinsichtlich ihrer biologischen Bedeutung hier zunächst beschäftigen, die einen durch die Schwerkraft bedingten lotrecht gerichteten Kontaktreiz empfangen. In einer längeren Abhandlung habe ich vor kurzem (1912) den anatomischen und experimentellen Nachweis zu erbringen versucht, dass die sogen. „falschen Stigmen“ der Nepiden (Wanzen), ebenso wie die sogen. „Sinnesgruben“ ihrer Larven, in ihrer Gesamtheit ein System von Sinnesorganen bilden, bestimmt, ihren Trägern die Orientierung unter Wasser zu vermitteln. Die Art, wie und unter welchen Bedingungen das geschieht, möge hier, weil es zum Ver- 430 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. ständnis meiner weiteren Ausführungen notwendig ist, noch einmal kurz Erwähnung finden. Die betreffenden Sinnesorgane — Mangold (l. c., p. 899) be- zeichnet sie als spezifisch geotaktische — zeigen, wie auch sonst die Organe statischer Funktion der von uns betrachteten Gruppe einen Mechanismus, der den Tieren stets die Lotrechte als Richtungskonstante sichert. Im Gegensatze zu den Statocysten anderer Formen werden hier aber die richtenden Reize hervor- gerufen durch das Bestreben eines spezifisch-leichteren Körpers (Luft), im spezifisch-schwereren Medium (Wasser) die höchstmög- liche Lage zu gewinnen. Und solche mit jeder Änderung der Körper- lage wechselnden Erregungen lösen die nach Mangold (l.c., p 901) als negativ-geotaktisch zu betrachtenden Richtungsbewegungen eines solchen Tieres aus, sobald es, unter Wasser kriechend, durch eintretende Atemnot gezwungen wird, den Rand, resp. die Ober- fläche des Wassers und damit die Verbindung mit der Atmosphäre wieder aufzusuchen. Im Einklang mit diesen Tatsachen stehen die biologischen wie die experimentellen Befunde. Die Tiere finden ihre Nahrung allein im Wasser, sind aber durch ihr Atembedürfnis in hohem Maße auf die Verbindung mit der Atmosphäre angewiesen, die sie vermittels besonderer Atemröhren (Schaufeln bei der Larve) aufrecht erhalten. Immerhin sind sie bis zu einem gewissen Grade befähigt, ihre Atemluft auch dem Wasser direkt zu entnehmen, eine Atmungs- weise, die im Winter bei stark reduziertem Stoffwechsel wohl aus- reicht, im Sommer dagegen nur als Notbehelf dient, wie unsere Ver- suche bewiesen haben. Andererseits aber sind diese Tiere so schlechte Schwimmer, dass sie, um rasch nach dem Grunde zu ge- langen, ihr spezifisches Gewicht durch spontane, reichliche Luft- abgabe so stark erhöhen, dass sie, einmal auf dem Grunde ange- langt, nicht mehr imstande sind, nach oben zu schwimmen. Am Boden hinkriechend oder an Pflanzen hochkletternd, gewinnen sie dann den Wasserspiegel wieder. Es ıst klar, dass solche merkwürdigen Lebensbedingungen den Tieren hinsichtlich ihres Aufenthaltsortes starke Beschränkungen auferlegen, dass diese aber andererseits selbst an eine ihnen gut zu- sagende Örtlichkeit so angepasst sein müssen, wie das die Befrie- digung aller ihrer Lebensbedürfnisse verlangt. Und so finden wir die Tiere selten (wohl nur zufällig) im freien Wasser, gewöhnlich aber vielmehr da, wo der Boden der Gewässer, aus feinen Sedı- menten gebildet, bank- oder strandartig in schiefer Ebene zum Ufer hin ansteigt (vgl. Fig. 1), oder aber ım dichten Pflanzengewirr. Hier wie dort sitzen sie dann so dicht unterm Wasserspiegel, dass sie mit ihren Atemröhren die Atmosphäre eben erreichen, und nur soweit entfernen sie sich kriechend von jener, wie das ihre Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 451 Beutezüge erfordern, um dann aufs neue zur Atemstelle zurückzu- klettern. Eintretende Atemnot stellt sich also hier dem Weiterkriechen nach der Tiefe als Reflexhemmung entgegen und zwingt das Tier, jenen Sınnesorganen folgend, umzukehren. Durch deren Vermitt- lung findet es somit reflektorisch seinen Weg zum Wasserspiegel zurück. Diese Befunde bei den Neprden legen nun vor allem die Frage nahe, ob nicht auch anderen Tieren, die unter ähnlichen äußeren Bedingungen leben, etwa Organe der gleichen oder ähnlichen Funktion zum Zwecke der Orientierung zur Verfügung stehen. Das Fig. 1 (Erkl. vgl. Text!). ist um so wahrscheinlicher, als wir eine Anzahl von Formen kennen, welche eine den Nepiden sehr ähnliche Lebensweise führen. Ja, wir müssen nach den Resultaten der obigen Untersuchungen und verschiedenen eingehenderen biologischen Beobachtungen neuerer Autoren m. E. die ganz allgemeine Frage aufwerfen, ob nicht über- haupt die Existenz statischer Sinnesorgane bei denjenigen niederen Tieren, bei denen wir den biologischen Nutzen solcher bisher nicht zu erkennen vermochten, bedingt wird durch Lebensbedürfnisse, welche eine Orientierung besonderer Art voraussetzen, die ihrer- seits aber gemäß der Eigenart jener eine wohl sehr verschiedene und doch in hohem Maße charakteristische sein wird. So zeigen die neuerdings durch von Buddenbrock bei Peeten, marinen Anneliden und Synaptiden eruierten physiologischen Be- 132 Baunack, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. funde ebenso wie die oben rekapitulierten Tatsachen aus dem Leben der Nepiden ja zur Genüge, dass wir den Besitz statischer Sinnes- apparate bei den genannten Formen als ganz spezielle Anpassungs- erscheinung an die Eigenart der Umgebung und an die besonderen Bedürfnisse der betreffenden Organısmen selbst betrachten müssen. Vor allem aber weist ja schon das wechselnde und im Gegensatze zu anderen Sinnesorganen (deren Fehlen wir als Ausnahme hervor- zuheben pflegen) unbeständige oder verhältnismäßig seltene Auf- treten statischer Sinnesorgane innerhalb mancher sonst eng ver- wandter Formenkreise (Coelenteraten, Würmer) darauf hin, dass ihre Existenz an besondere Bedingungen gebunden ist. Diese aber können eben so verschieden sein, wie der Nutzen, den die von solchen Sinnesapparaten ausgehenden Reize deren Trägern zu bieten vermögen. Das zeigt auch ıhr, trotz des sonst gleichen, der Funktion zugrunde liegenden Prinzips, im einzelnen doch so verschiedenartiger Mechanismus. Zu Beginn seiner Arbeit über die Funktion der Statocysten ım Sande grabender Meerestiere (Arenicola und Synapta) fasst von Buddenbrock (1912) die Resultate der bis dahin von zahl- reichen Forschern über die Bedeutung statischer Sinnesorgane aus- geführten Untersuchungen dahin zusammen, „dass die Statocysten, soweit bisher bekannt, auf Schwerkraftsreize reagierende Organe sind, und dass sıe zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dienen“. Schon in meiner oben zitierten Abhandlung sprach ich (1912, p- 154) die Vermutung aus, „dass bei gewissen Formen die statischen Organe mit der Erhaltung des Gleichgewichts nichts zu tun haben, sondern vielmehr ganz bestimmten Zwecken dienende Orientierungs- mittel darstellen, die im engsten Zusammenhange mit der Lebens- weise ihrer Träger stehen“. Auf den biologischen Zweck jener Sinnesorgane der Nepiden hatte ich aber schon in einer früheren Veröffentlichung (1910) hingewiesen, und schon die damals vorge- nommenen Experimente hatten die charakteristische Funktion der- selben klar gezeigt. Müssen wir nun den ersten Teil jener m. E. unge- eigneten Definition ohne weiteres gelten lassen, so glaube ich, dass wir ‚nach den neuesten Untersuchungen auf unserem Gebiet deren zweiten Teil ganz wesentlich einschränken müssen. Und das aus dem einfachen Grunde, weil bei zahlreichen niederen Tieren die Statocysten und die ihnen verwandten Organe mit der Gleich- gewichtserhaltung gar nichts zu tun haben können, deshalb nämlich, weil diese Tiere dauernd oder normalerweise im stabilen, ja indiffe- renten Gleichgewicht leben, also passiv, d. h. rein mechanisch be- reits vollkommen ausreichend orientiert sind. von Buddenbrock begründet ın der Einleitung zu seiner Pecten-Arbeit (1911, p. 4) das Fehlen statischer Sinnesorgane bei gewissen Mollusken mit deren Biologie, unter anderem für Janthina damit, dass sie sich Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 433 stets ım stabilen Gleichgewicht befinde. Nun haben wir aber wohl Tiere (und auch Mollusken), die ım stabilen, ja beinahe indifferenten Gleichgewicht lebend, dennoch Statocysten besitzen. Wir dürfen also die Annahme der Gleichgewichtsfunktion für Statocysten ebenso- wenig wie für statische ns gane überhaupt verallgemeinern. Gerade der Umstand, dass man die funktionelle Ele solcher Sinnesapparate immer nur in einer reflektorischen Erhaltung des Gleichgewichts suchte, machte ja deren Vorkommen bei an sich bereits mechanisch vollkommen sicher orientierten Formen so un- verständlich und ließ auch bei den Gegnern der Statocystenhypo- these immer wieder Zweifel an deren Richtigkeit aufkommen. Eine Gleichgewichtserhaltung durch Vermittlung statischer Sinnesorgane ist m. E. aber nur notwendig bei Formen, die sich vorübergehend oder dauernd in labilem Gleich- gewicht bewegen, d. h. also bei Schwimmern, Fliegern und Läufern, soweit diese eben nicht durch entsprechende Verteilung spezifisch verschieden schwerer Massen ihres Körpers passiv orien- tiert sind. Damit aber soll keineswegs gesagt sein, dass alle die letztgenannten Formen nun unbedingt statische Sinnesorgane be- sitzen müssen. Wir wissen im Gegenteil sehr genau, dass mancherleı Sinne und auch Tropismen für solche Organe vikarııeren können. Dass solche statischen Sinnesapparate aber ihren labil orientierten Trägern bezüglich der lokomotorischen Gewandtheit gegenüber statocystenlosen, passiv orientierten Formen große Vorteile bieten werden, das habe ich bereits an anderer Stelle darzulegen versucht und die Bethe’schen Experimente an jungen Fischen (1910) sprechen stark zugunsten dieser Anschauung. Bei labil orientierten Formen also haben wir am ehesten noch die Berechtigung, von „Gleichgewichtsorganen“ im gewohnten Sinne zu sprechen, denn hier sind es tatsächlich die von den Statocysten ausgehenden Reize, welche die reflektorischen Bewegungen auslösen, die zur Erhaltung einer gewissen Lage, die eben hier aus biologisch-praktischen Gründen eine labile Gleich- gewichtslage ist, nötig sind. Statische Sinnesorgane aber künftig noch, wie das bisher oft genug geschah, ganz allgemein schlechthin als „Gleichgewichtsorgane“ zu bezeichnen, das ist nach den Resul- taten, welche in jüngster Zeit von Buddenbrock’s und meine eigenen Untersuchungen gebracht haben, kaum mehr angängig. Mangold trägt dieser Tatsache Rechnung, wenn er die oben er- wähnten Sinnesorgane der Nepiden (1912, p. 899) „spezifisch geo- taktische Sinnesorgane“ nennt, „wie sie bei den übrigen negativ- geotaktischen Tieren bisher nicht nachgewiesen werden konnten“. Für die Statocysten derjenigen Formen also, die einer besonderen antikinetischen Gleichgewichtsregulierung nicht bedürfen, müssen wir nach einer anderen Deutung suchen. 434 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. H. L. Clark (1899) hat für statocystentragende Holothurien der Gattung Synapta das Bestreben, auf schiefen Flächen stets bergab zu kriechen, experimentell dargetan und damit typische positive Geotaxis für diese Formen erwiesen. Durch ebenso einfache als lehrreiche Versuche hat weiterhin von Buddenbrock die biologische Bedeutung dieses Verhaltens an Synapta digitata gezeigt. Nach diesem Autor vermitteln bei Synapta die Statocysten „eine erdwärts gerichtete Fluchtbewegung, die eintritt, sobald das Tier entweder gewaltsam aus dem Sande gegraben oder frei auf dem Sande liegend von irgendeinem Feinde überrascht wird. Die zwangsläufig vertikale Bewegung hört auf, sobald die Synapta gänzlich im Sande verschwunden ist.“ In gleicher Weise konnte von Buddenbrock auch für den marinen Anneliden, Arenicola grubei, der gleichfalls mit Statocysten ausgerüstet ist, den „Vertikal- reflex*, d. h. die gleiche geotaktische Fluchtbewegung, wie bei Synapta digitata nachweisen. Auch bei diesen Tieren stehen also wie bei den Nepiden, die statischen Sinnesorgane im Dienste einer bestimmt gerichteten Bewegung, die bei jenen Formen aus dem Schutzbedürfnis, bei den Nepiden aber aus dem Atembedürfnis resultiert. Hier wie dort aber haben sie nicht das mindeste zu tun mit der Gleichgewichtserhaltung, sondern die von ihnen aus- gehenden Erregungen bewirken bei Synapta und Arenicola posi- tive, bei den Nepiden hingegen negativ-geotaktische Bewe- gungen. Während aber, wie von Buddenbrock meint, bei Synapta und Arenicola der Vertikalreflex durch den Reiz des Aus- gegrabenwerdens ausgelöst, durch den Sandwiderstand bei Areni- cola, den Kontaktreiz allseitig umgebender Sandpartikelchen aber bei Synapta gehemmt wird, müssten wir für die Nepiden als aus- lösenden Reiz der betreffenden Bewegung eben die eintretende Atemnot, als Reflexhemmung aber wohl die Berührung mit der Atmosphäre betrachten. Das erscheint plausibel, zumal, wenn wir daran denken, dass bei den Nepiden die statischen Sinnesorgane sämtlich im direkten Konnex stehen mit dem Respirationssystem und ihre Träger nur in ausgesprochen negativ-geotaktischem Sinne, d. h. in der Richtung nach dem luftspendenden Wasserspiegel hin, orientieren. Das infolge äußeren Reizes sich geltend machende Schutz- resp. Atembedürfnis also veranlasst diese Formen, ihren statischen Sinnesapparaten in bestimmter Richtung so lange zu folgen, bis neue, als Hemmungen wirkende äußere Reize, welche die Befriedigung der betreffenden Bedürfnisse begleiten, die Be- wegung zum Stillstand bringen, oder den durch die Statocysten bewirkten Vertikalreflex ausschalten. So dienen hier also Statocysten wohl lediglich dem Zweck, das Tier immer wieder in eine bestimmte Lage zurückzuführen, die man als Ruhelage oder besser Normallage bezeichnen mag, die Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 455 aber weder einer labilen Gleichgewichtslage entspricht, auch nicht notwendig in der Massenverteilung der Körpersubstanz begründet zu sein braucht, sondern für das Tier diejenige Situation dar- stellt, welche eine Befriedigung wichtiger, sich mehr oder weniger dauernd geltend machender Lebensbedürfnisse ge- währleistet. Solche Bedürfnisse sind aber zumeist weniger das sich nur zeitlich regende Nahrungs- und Fortpflanzungsbedürfnis, als vielmehr gerade das Schutz- und Atembedürfnis, die sich ım Gegensatze zu jenen fast dauernd geltend machen. Sucht doch auch Nepa einerea sich ın der für sie immerhin gefahrvollen durch jenen Vertikalreflex erreichten Ruhelage, die gleichbedeutend ist mit der Atemstellung, noch durch besondere „Anpassungsmaßnahmen“ zu sichern (vgl. 1912, p. 300—301). Alle diese Tatsachen aber zeigen schon zur Genüge, dass ıhrer Wirkungsweise nach sehr wohl zu unterscheiden sind statische Sinnesorgane, welche wirklich (ganz allein oder doch in ıhrer Haupt- funktion) der Gleichgewichtserhaltung dienen, und andere, welche bestimmte Richtungsbewegungen auslösen, dıe das Tier in eine von besonderen Lebensbedürfnissen bedingte Normallage führen resp. zurückführen, nachdem es dieselbe freiwillig oder unfreiwillig ver- lassen hatte. Wir haben somit die Sinnesapparate der ersteren Art von denen der letzteren schon deshalb zu trennen, weil ihre biologische und funktionelle Bedeutung eine verschiedene ist. Die Bezeichnung „Statocysten“ werden wir nach wie vor ja wohl aufrecht erhalten können ganz allgemein für jene statischen Sinnesapparate, deren Mechanismus auf unmittelbarer Einwirkung der Gravitation beruht und die die Körpermuskulatur (Tonus- funktion!) in der Weise beherrschen, dass sie unter gewissen Be- dingungen reflektorisch Bewegungen auslösen, welche dem Organis- mus eine bestimmte Lage ım Raum sichern, deren dauernde oder zeitweilige Innehaltung eine biologische Notwendigkeit für ıhn ıst. Wie aber mit jenen Bedingungen auch die Bewegungen und die Lage, die aus ihnen resultiert, nach den jeweiligen Lebensverhält- nissen des betreffenden Tieres wechseln können, so tritt uns als Endresultat solcher antikinetisch sich vollziehenden Orientierung das eine Mal eine mehr oder minder labile Gleichgewichtslage, ein andermal aber irgendeine jeweils verschiedene, stets aber cha- rakteristische Normallage entgegen, die in keinem oder nur nebensächlichem Zusammenhang mit der Gleich- gewichtserhaltung steht. Darum also dürfen wır von statischen Sinnesorganen keines- falls schlechthin als von „Gleichgewichtsorganen“ sprechen, sondern wir werden besser sagen, dass die von ihnen reflektorisch herbei- geführte und erhaltene, biologisch bedingte Normallage aus bio- logisch-praktischen Gründen auch eine labile Gleichgewichts- 496 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. lage sein kann. Wenn wir also im vorliegenden Falle der so verschiedenen biologischen Bedeutung der Organe aus der von uns hier näher betrachteten Gruppe künftighin gebührend Rechnung tragen, d. h. ihre charakteristischen Funktionen recht bezeichnen wollen, werden wir besser von einer spezifischen Balancefunktion, positiv- oder negativ-geotaktischen Funktion statischer Sinnesorgane sprechen. Bezeichnungen aber, wie „Balance- organe“, „positiv- oder negativ-geotaktische Sinnesorgane“ werden wir schon deshalb vermeiden müssen, weıl ein „Balanceorgan“ ja zugleich geotaktische Funktion in positivem oder negativem Sinne haben könnte, und weil es stets strittig bleiben wird, welche dann als „Hauptfunktion“ zu betrachten wäre und den Namen hergeben müsste. Wır hätten hiernach also die Statocysten der mehr oder minder labil orientierten Schwimmer, Flieger und Läufer als statische Sinnesorgane mit spezifischer Ba- lancefunktion, die betreffenden Sinnesorgane bei Synapta und Arenicola indessen als solche mit positiv-, bei den Nepiden aber negatıv-geotaktischer Funktion zu bezeichnen. Wir wissen indessen nicht, ob jenen Organen nicht auch noch andere Funktionen zukommen. Aber noch müssen wir hier eine Funktion statischer Sinnes- organe in Betracht ziehen, deren biologische Bedeutung ihre Ein- reihung unter die oben erwähnten als nicht angängig erscheinen lässt. Angeregt durch den Hinweis E. Mangold’s (1912, p. 865) auf noch ausstehende biologisch-physiologische Untersuchungen bezüg- lich der Funktion der Statocysten bei den Pulmonaten, unterzog ich das Orientierungsvermögen verschiedener Vertreter dieser Gruppe einem eingehenderen Studium. Leider standen mir zu dieser Jahres- zeit nur von Nacktschnecken genügend viele Exemplare der Gat- tungen Limax und Arion zur Verfügung. Bezüglich der Gehäuse- schnecken gelangte ich zu einem völligen Abschlusse meiner Beob- achtungen wegen Materialmangels zwar noch nicht, wie auch die Versuche an Limax- und Arion-Arten eine Fortsetzung wünschens- wert erscheinen lassen. Gelegentlich solcher Versuche konnte ich ausgesprochene sta- tische Reflexe bei diesen Tieren beobachten. Ich experimentierte zuerst mit frisch von draußen ins Labora- torıum gebrachten völlig heilen Tieren der Gattungen Limax (L. agrestis, L.) und Arion (A. hortensis, Fer.). Abgesehen von der größeren Lebhaftigkeit der ersteren verhielten sich bei den folgenden Versuchen die Vertreter beider Genera gleich. Beide sind gewöhn- lich negativ-heliotaktisch und kriechen auf einem Tisch am Fenster sogleich schnurgerade vom Fenster (abends vom Glühlicht) weg, dem dunkleren Hintergrunde des Laboratoriums zu. Ihr Fuß erscheint besonders in dem vorderen Abschnitt der Kriechsohle in Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 437 hohem Maße stereotaktisch. Je frischer die Tiere dem Freien entnommen sind, um so lebhafter sind sie und um so mehr er- leichtert sich das Experimentieren. Ich legte also zunächst eines der Tiere (später mehrere Indı- viduen beider Gattungen gleichzeitig) auf den Rücken (vgl. Fig. 2) und beobachtete, dass es ın kürzester Zeit, wie zu erwarten, seine Normallage wieder eingenommen hatte. Und zwar begann das Umkehren in die normale Kriechlage bei den meisten Tieren sogleich nach dem Umwenden in die Rückenlage. Keines der Tiere aber verbleibt in verkehrter Lage, so oft man es auch immer von neuem in diese zurückgebracht hat, die Tiere reagieren viel- mehr so lange in derselben Weise, bis sie sich wegen vorschrei- tender Austrocknung schließlich „in sich selbst zurückziehen“. Dann stellen sie jede Reaktion ein und verhalten sich völlig passiv. Fig. 3 (Erkl. vgl. Text!). Wie vollzieht sich nun diese Umkehr ın die Normallage? Folgendermaßen: Das eben auf den kücken gelegte (oder gefallene) Tier dreht sogleich den Kopf ın der Richtung um die Körperlängs- achse in die Normallage zurück, um ıhn dann alsbald soweit nach unten zu senken, bis der stark stereotaktische Vorderrand der Kriechsohle den Boden berührt. An diesem aber heftet er sich sofort an und zieht, in Lokomotion eintretend, den ganzen übrigen Teil der Kriechsohle und mit ıhr den ganzen Körper allmählich ın die Normallage herum. So kommt es, dass der hintere Abschnitt des Tieres noch lange die verkehrte Lage (Kriechsohle nach oben gerichtet) zeigt, während im vorderen Abschnitt die Normallage schon erreicht und das ganze Tier bereits in Fortbewegung be- griffen ist. Auf diese Weise kommt es für kurze Zeit zu einer fast spiraligen Windung der Kriechsohle. Dabei aber laufen die bekannten Kontraktionswellen doch sogleich über die ganze Sohle fort, sobald nur der vordere, dem Kopf benachbarte Teil den Boden berührt hat. Beigegebene Photographie (vgl. Fig. 3) zeigt drei XXXIM. 29 438 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. Tiere im Begriffe des Umwendens. Und zwar hat es der Zufall gewollt, dass diese Bewegung in drei verschiedenen Stadien bei den drei Tieren, und zwar in der Reihenfolge von links nach rechts getroffen wurde'). Alle drei Tiere waren zuvor auf den Rücken ge- legt worden. Das links gelegene Individuum beginnt soeben mit der Drehung des Kopfes in die Normallage, liegt sonst aber noch ganz, Kriechsohle nach oben gekehrt, auf dem Rücken. Das Tier in der Mitte zeigt den Vorderkörper schon in normaler Lage und Lokomotion, während der hintere Körperabschnitt noch ın der Rückenlage ıst. Es lässt zugleich die infolge dieser Körperver- drehung noch teilweise spiralige Windung der Kriechsohle er- kennen. Das Tier zur Rechten endlich hat die Umkehr eben so- weit beendet, dass nur noch am Analende die vorherige Rückenlage daran erkennbar ist, dass hier die Kriechsohle sich dem Boden noch nicht ganz angelegt hat. Kurzum, die Tiere zeigen sich, so oft man diesen Versuch auch wiederholen mag, ganz ausgezeichnet orientiert und gewinnen stets sehr rasch ihre Normallage wieder, wenn man sie in irgendeine andere wälzt. Stets aber erfolgen die gleichen, oben geschilderten Bewegungen des Kopfes beim Umkehr- akte, und zwar wird dieser bald durch Rechts-, bald durch Links- drehung in die Normallage gebracht. Fragen wir uns nun aber, worauf denn dieses Orientierungs- vermögen, dieser eigenartig regelmäßige Umkehrreflex des Kopfes zurückzuführen ıst, so liegt es wohl am nächsten, an die dort befindlichen Ommatophoren und Taster zu denken, zumal ja Gesichts- und Tastsinn bei so vielen Tieren die Orientierung ver- mitteln. Diese Möglichkeit verliert aber an Wahrscheinlichkeit schon deshalb, weil die Kopfdrehung sehr oft schon erfolgt, noch ehe Taster und Augen zur Ausstülpung kommen und ehe überhaupt Kopf oder Nacken den Boden berühren. Sind in- dessen Fühler und Ommatophoren erst hervorgekehrt oder gar der Sohlenrand in Berührung mit dem Boden gekommen, so erfährt die Umkehrbewegung allerdings eine gewisse Beschleunigung. Dass aber diese Umkehr auch ganz unabhängig von Gesichts- und Tast- sinn vor sich geht, beweist vor allem die Tatsache, dass auch Tiere, deuen Tage zuvor Ommatophoren und Taster amputiert worden waren, den Umkehrreflex absolut sicher zeigten. So bieten auch die folgenden in dieser Richtung vorgenommenen Versuche, die wir gleich näher kennen lernen werden, keinen Anhalt für die ent- gegengesetzte Annahme, zeigen vielmehr, dass der Umkehr- bezw. Vertikalreflex des Kopfes auch unabhängig von jenen Sinnesorganen fortbesteht. 1) Alle Aufnahmen wurden bei Blitzlicht gemacht. Die Tiere befanden sich also während des Umkehraktes im Dunkeln! Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 439 Noch bliebe aber der Kontaktreiz zu berücksichtigen, der die Berührung des Bodens mit dem Rücken des Tieres begleitet und als auslösender Anstoß für die Umkehrbewegung und Senkung des Kopfes sehr wohl in Betracht kommen könnte. Dann müsste aber das seiner Augen und Taster beraubte Tier, so oft die Kriechsohle kontaktfrei, der Rücken aber mit der Unterlage in Berührung ist, den Kopf stets nach der Unterlage hin drehen, auch wenn sich das Tier sonst in der Normallage befände, d.h. Rücken oben, Sohle unten im Raume läge. Das aber ist, wie die folgenden Versuche zeigen, keineswegs der Fall. Eine Platte sehr rauhen Kartons (als Kriechunterlage benutzt) wird dem normal liegenden Tier so auf den Rücken gelegt, dass es mit diesem an der Platte kleben bleibt und so im der Normal- lage (d. h. immer Rücken oben, Sohle unten!) gehoben wird (vgl. Fig. 4). Es sind also der Rücken in Berührung mit der Platte, die Sohle aber völlig kontaktfrei und zudem das Tier in der Normal- lage: Das Tier wendet sich trotz des Kontaktreizes im Rücken nicht der diesmal oben gelegenen Unterlage zu, sondern neigt den Fig. 4 (Erkl. vgl. Text!). Kopf wieder nach unten, d.h. der Erde zu, und zwar gewöhn- lich so stark, dass es nach einiger Zeit herabfällt. Dieser Versuch wurde auch so angewandt, dass das Versuchstier nur zur Hälfte mit dem Rücken in einer schmalen gefalzten Papierrinne angeklebt wurde und zwar so, dass die orale Körperhälfte mit dem augen- und fühlerlosen Kopfe frei über das Ende dieser Rinne hinausragte, und ohne dass zwischen Papierrinne und Kriechsohle ein Kontakt stattfand. Die Rinne wurde um ihre Längsachse drehbar an einem Stativ befestigt und so mit dem Tier langsam in Bewegung ge- setzt. Damit wird aber gleichzeitig das Versuchstier um seine Längsachse gedreht. Hierbei beantwortet das Tier jede Lage- änderung mit der entsprechenden Drehung des freien Kopfendes in die Normallage. Es wendet indessen den Kopf auch bei diesen Versuchen der Unterlage zu, sobald der Sohlenrand auch nur ein wenig mit jener in Berührung kommt. Das also muss verhindert werden, führt uns aber gleichzeitig zu der Überlegung, dass der Drehreflex und die Senkung des Kopfes nach unten nur eintreten, solange die Kriechsohle kontaktfrei ist, dass sie andererseits aber nicht erfolgen, sobald dieser Kontakt vorhanden ist. Mit anderen Worten: Das Freistehen der Kriechsohle ist der auslösende Reiz, der ihre Berührung mit einem Substrat begleitende 29* Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. BES Kontaktreiz äber die physiologische Hemmung für jenen Umkehrreflex und die Senkung des Kopfes. Dass dies aber in der Tat nicht anders sein kann, mögen die folgenden Versuche zeigen: Lässt man Limax agrestis oder Arion hortensis auf der Karton- platte in normaler Weise kriechen, so kann man die mit der Sohle fest an der Platte haftende Schnecke mit ıhrer Unterlage in alle nur denkbaren Lagen (vgl. Fig. 5 und 6) bringen, ohne dass sich der Kopfdrehreflex einstellt. So sehen wir ja auch ın der Natur die Tiere in allen möglichen Lagen umherkriechen. Bedeckt man ul De Ha Fig. 5 (Erkl. vgl. Text!). schließlich ein eben auf den Rücken gelegtes, augen- und tasterloses Tier noch vor Eintritt des Drehreflexes rasch von oben her so mit einer Glasplatte (Objektträger!), dass diese die Kriechsohle bedeckt (vgl. Fig. 7), so unter- bleibt der Umkehrreflex des Kopfes nach der Boden- fläche (Kartonplatte!) hin sogleich, und das Tier kriecht, zwischen Kartonfläche und Glastafel ın verkehrter Lage an der letzteren hin. Diese beiden zuletzt beschriebenen Versuche zeigen so- mit wohl deutlich genug, dass der Umkehrreflex ausbleibt, sobald eine Berührung der stereotaktischen Kriechsohle mit Fig. 6 (Erkl. vgl. A 2) “ A: 4 A a) ” E Text!). Fig. 7 (Erkl. vgl. Text!). irgendeinem irgendwie im Raume gelegenen Substrat stattfindet. Der auf die Kriechsohle einwirkende Kontaktreiz ist also tatsäch- lich der hemmende Faktor, der den Umkehrreflex zur zeitweiligen Ausschaltung bringt, während umgekehrt das Fehlen jenes zum auslösenden Reiz für ihn wird. Wenn es nun aber weder die ohnehin sehr primitiven Augen noch die Taster, noch überhaupt der allgemeine Tastsinn des Körpers ist, welche diese sich so sicher vollziehende Orientierung ım Raume vermitteln, wenn ferner auch Tiere mit Augen und Tastern bei dem zuletzt erwähnten Versuche sich zwischen Karton- und Glasplatte ebenso benehmen, wie die schon erwähnten, so bleibt m. E. ın der Tat nichts anderes übrig, als die Statocysten der Tiere dafür verantwortlich zu machen. Und für diese An- nahme sprechen nicht nur die einzelnen Ergebnisse unserer Ver- Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion, 444 suche, sondern vor allem schon die Lagebeziehung jener Sinnes- organe zu Kopf und Fuß der Tiere. Simroth sagt (1907, p. 322) hierüber bezüglich der Prosobranchier: „Die Tatsache, dass das paarige Ohrbläschen vom Cerebralganglion innerviert und meist in die Nachbarschaft der Pedalganglien gerückt, weit von der Epi- dermis in das Innere des Körpers entfernt ist, deutet darauf hin, . dass es mehr Statocyste ist als Otocyste.* Und weiterhin fragt der gleiche Autor: „Sollte nicht auch die Lagebeziehung zum Be- wegungsorgan ın gleichem Sinne zu deuten sein?“ Diese Frage Sıimroth’s scheint durch unsere Versuche in be- jahendem Sinne beantwortet zu werden, und das wäre ja für Stato- cysten als solche nichts Neues, denn schon mehrfach wurde ihre physiologische Bedeutung als Oentren für die Lokomotion experi- mentell bewiesen. Für die Pulmonaten indessen stand dieser Nach- weis bisher noch aus. Und so werden wir nicht fehl gehen, wenn wir bei den oben bezeichneten Nacktschnecken die reflektorische Aufrichtung der Tiere aus jeder zur Lokomotion unge: eigneten Lage in die Normallage als eine spezifische Funktion der Statocysten betrachten. Wie aber liegen diese Verbältnisse bei den gehäusetragenden Landpulmonaten? Sicher sehr ähnlich, wie die folgenden Versuche erkennen lassen. Lässt man eine Anzahl ihrer Ommatophoren und Taster be- raubter Exemplare von Helix pomatia, Linn., oder Helix hortensis, Müll., auf ebener Tischplatte hinkriechen und wirft sie in irgend- eine beliebige abnorme Lage um, also etwa so, dass das ausge- streckte Tier auf Seite oder Rücken zu liegen kommt, so benehmen sich die Tiere ganz ähnlich wie ihre gehäuselosen Verwandten. Sie ziehen zunächst auf den Reiz des Umwerfens hin den Kopf ein, um ihn gleich darauf, meist noch vor vollendeter Ausstülpung, in die Normallage zurückzudrehen. Dabei legen sie die Kriechsohle in ihrem oralen Abschnitt dem Boden an und ziehen den übrigen Körper samt Gehäuse in die normale Kriechlage nach. Die aus- gestreckten Tiere also verhalten sich ganz so, wie die Arion- und Limax-Arten, wenn auch bei diesen der Mangel des Gehäuses die einzelnen Reflexe schärfer hervortreten lässt. Wie aber steht es mit der Orientierung unserer Gehäuseschnecken, wenn sie, in ihrem Hause geborgen, in irgendeine beliebige Lage gerollt wurden oder von selbst rollten? Ein Gehäuse mit dem Tier (FH, pomatia) im Innern hat nur zwei stabile Gleichgewichtslagen, wenn es auf halbwegs ebener Fläche liegt, d. h. nicht in vielen Punkten gleichzeitig eine Stütze findet. Es kann einmal so liegen, dass es mit der Öffnung dem Boden zugekehrt ist (das ist di oraallase 2), ferner aber auch so, dass seine Öffnung nach oben zeigt (das ist die Ver- 442 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. kehrtlage). Auf rauhem Erdboden, im Rasen und dergleichen Orten kann aber das Gehäuse in alle möglichen Lagen gelangen, Fig. S (Erkl. vgl. Text!). Fig. 10 (Erkl. vgl. Text!). weil es da viel mehr Stützpunktefindet. Die Schnecke, die doch in der Natur leicht ın diese oder jene Lage mit ıhrem Gehäuse gerät, muss also das letztere aus jeder be- liebigen Situation ım die Normallage zurück- zubringen wissen. Setzen wir eine Anzahl Individuen von H. pomatia, L., so auf Plastolinfüße, dass wir das Gehäuse jedesmal ın einer anderen Lage auf der Knetmasse festdrücken, so beob- achten wır das Fol- gende: Ganz gleich- gültig, wohin wir die Öffnung des Gehäu- ses gerichtet haben, drehen die Tiere ge- wöhnlich schon beim Hervorkriechen oder aber unmittelbar danach den Kopf in die Normal- lage, d. h. Rücken oben, Sohle unten. So verharren sie und suchen den Kon- takt mit dem Boden zu gewinnen, was Ihnen aber die Höhe der Plastolin- füße verbietet. Sie geraten schließlich in Kontakt mit dem eigenen Gehäuse oder dem Körper und versuchen dann gewöhnlich, daran von ihrem Sitz herabzukriechen, was ihnen natürlich infolge der Befestigung missglückt. Unsere Photographien (Fig. 8—10) zeigen die Tiere in solchen Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 445 Situationen. In Fig. 8 stehen beide Gehäuse Öffnung nach vorn; das Tier rechts hat soeben das seine verlassen und den Kopf in der Normallage. In den folgenden Figuren sehen wir dasselbe Tier links, rechts ein anderes. Fig. 9 zeigt uns beide Tiere, Gehäuse- öffnung nach oben gewandt, auf die Plastolinfüße gestellt: Das linke Individuum hat dieser Lageänderung schon Rechnung getragen und den Kopf in die Normallage gebracht, das Tier rechts (es ist weniger lebhaft) ist eben noch im Begriffe, dasselbe zu tun. Fig. 10 end- lich zeigt dieselben Tiere, wieder in die frühere Lage (vgl. Fig. 8!) zurückgebracht: Das Tier links zeigt die Kopfdrehung schon vollendet und beginnt, am eigenen Körper herabzukriechen, sein Nachbar rechts (vgl. dessen Lage in Fig. 9!) ist eben noch dabei, den Kopf aus der ıhm soeben aufgezwungenen Verkehrtlage in die Normal- lage zurückzubringen. Wir sehen also, dass auch diese Gehäuse- schnecken, ungeachtet der Lage ihres „Hauses“, wohl orientiert sind und den Kopf stets in die Normallage zu bringen wissen. Die Tiere regeln ihre Körperlage also schon beim Her- vorkriechen aus dem Gehäuse und zwar auch nach erfolgter Ampu- tation der Augenträger und Fühler. In dem Maße aber, wie sie dann den Körper strecken, senken sie Kopf und Vorderkörper nach dem Boden hin, wobei sie, wie schon erwähnt, gewöhnlich in Kon- takt mit dem eigenen Gehäuse geraten. Sie zeigen also den Um- kehrreflex auch in solchen Situationen recht deutlich. Weniger scharf tritt indessen der Vertikalreflex (d. i. die Kopfsenkung!) in jenen Lagen bei ihnen hervor. Und damit hat es folgende Be- wandtnis: Die Lage der Tiere auf den Plastolinfüßen ist ebenso wie die ganze Versuchsanordnung in hohem Maße unnatürlich des- halb, weil das Gehäuse des betreffenden Tieres festklebt, also nicht, wie draußen in der Natur wohl stets, frei beweglich ist. Legen wir nämlich ein Tier auf die ebene Tischplatte, aufge- schütteten Sand oder Kies in die „Verkehrtlage“, so erfolgt der Drehreflex des Kopfes und dessen Senkung ganz ähnlich so, wie auf den Plastolinfüßen (s. o.), nur dass hierbei infolge der Beweg- lichkeit des Gehäuses auch die mit dem Auskriechen des Tieres und dem Leererwerden des Hauses Hand in Hand gehende Schwer- punktsverlagerung zur Geltung kommt. In dem Maße, wie sich das Tier beim Hervorkriechen aus dem verkehrt liegenden Gehäuse streckt (bezw. Kopf mit Vorderkörper mehr oder minder stark nach unten senkt), wird der Schwerpunkt allmählich so verschoben, dass Gehäuse und Tier in die jeweils neu geschaffene Gleichgewichts- lage herumrollen, so lange, bis das Tier in irgendeiner Lage den Boden oder eine sonst geeignete Kriechunterlage berührt. Dann aber beginnt wieder der uns bekannte Aufrichtungsakt. Der Ver- tikalreflex findet also in jener Schwerpunktsverlagerung und dem nachfolgenden Umkippen des Gehäuses gleich- 444 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. sinnige Unterstützung. Das aber ist wohl auch der Grund für sein weniger augenfälliges Hervortreten bei unseren oben geschil- derten Versuchen. Abgesehen von den Besonderheiten, welche der Besitz des Ge- häuses mit sich bringt, können wir also bei unseren beiden Gehäuse- schnecken ın ganz ähnlicher Weise Reaktionen beobachten, wie wir sie bei ihren gehäuselosen Verwandten, Limax und Arion, Tfestge- stellt haben. Und so erscheint mir auch bei ıhnen der Schluss be- gründet, dass es die Statocysten sind, welche als Centren für jenen Umkehrreflex und die nachfolgende Senkung des Kopfes ın posıtiv-geotaktischer Richtung zu betrachten sind, Reflexe, die beide ausgelöst werden durch das Freistehen der Kriech- sohle, und die ein Kontakt derselben als Reflexhemmung ausschaltet. Denn alle auch sonst bei jenen Nacktschnecken eruierten Befunde wiederholen sich beim Experiment mit jenen Helix-Arten, abgesehen davon, dass sie als Tagestiere die negative Heliotaxis jener vermissen lassen. Sonst aber trifft auch alles das, was wir oben von Simroth bezüglich der Statocysten hörten, ın jeder Hinsicht auch für sie zu. Wir haben es bei den statischen Sinnesorganen dieser Mollusken also zu tun mit Sinnesapparaten, die neben einem Umkehrreflex auch einen positiv-geotaktischen Reflex auslösen zu dem Zweck, das Tier immer von neuem wieder „auf die Beine zu bringen“, wenn es seine Normallage verloren hatte. Wir sehen aber gleich- zeitig auch, dass diese Normallage keine bestimmte Gleichgewichts- lage, die etwa von den Statocysten reflektorisch erhalten werden müsste, ist, sondern sie ist diejenige Lage, in die das Tier gelangen muss, um ın Lokomotion eintreten zu können. Sie hat bezüglich der Gleichgewichtserhaltung vor anderen be- liebigen Körperlagen nichts voraus, denn das Tier vermag ja, ein- mal in Lokomotion, in jeder Lage zu kriechen, solange nur die Kriechsohle Kontakt behält. Das Umherkriechen der Tiere in jeder Lage im Raum an beliebig plazierten Gegenständen ist aber seiner- seits nur möglich, wenn mit beginnender Lokomotion, d. h. mit der Herstellung des Kontakts zwischen Kriechsohle und Substrat, die Statocysten zur Ausschaltung gelangen. Geht ıhm aber dieser Kontakt und damit die Lokomotionsmöglichkeit aus irgendeinem Grunde verloren, so treten die Statocysten wieder in Tätigkeit und stellen die zum Kriechen geeignete Lage von neuem her. Die Tiere sind also, solange nur die Vorbedingungen für die normale lLokomotion erfüllt sind, in der Tat an keine bestimmte Lage ım Raume gebunden. Indessen ıst das ÖOrientierungsvermögen der von uns unter- suchten Pulmonaten mit den bis jetzt konstatierten Reaktionen noch nicht erschöpft, auch wenn wir vom Gesichts- und Tastsinn absehen. Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 445 Als ich eine Anzahl Gehäuseschnecken in einer großen Porzellan- schale unter Wasser gebracht hatte, um sie dadurch zum Aus- strecken zu bewegen, fiel es mir auf, dass alle die Tiere am schräg ansteigenden Schalenrande sehr rasch ihren Weg nach oben fanden und so dem Wasser zu entgehen wussten. Durch diese dann noch öfter gemachte Beobachtung an meine Schaukelversuche (vgl. 1910, p. 488 und 1912, p. 310—325) erinnert, brachte ich zwei ihrer Fühler und Ommatophoren beraubte Exemplare von Limax agrestis unter Wasser auf das schräg gestellte Schaukelbrett (vgl. Fig. 11) und da krochen denn auch beide Tiere schnurstracks auf dem Brette nach oben, ja sogar der Lichtseite zu, die sie doch sonst gern meiden. Als dann das Brett langsam gewendet und damit die Anstiegrichtung verkehrt wurde, hielten beide Tiere sogleich im Marsche inne, hoben die Köpfe längere Zeit empor, um als- bald nach Berührung des Brettes mit dem Vorder- rande der Kriechsohle und begonnener Lokomotion prompt umzukehren und in entgegengesetzter Richtung nach oben zu kriechen. So reagierten diese beiden Tiere nacheinander auf 12 Schaukeldrehungen prompt’ dureh jedesmaliges» „2 217 zu m) Fre Kopfheben und nach- Fig. 11 (Erkl. vgl. Text!). folgende Umkehr und 5 krochen stets nur aufwärts. Wurde das Schaukelbrett aber nur so weit gedreht, dass wohl der Anstiegswinkel, nicht aber die An- stiegsrichtung sich änderte, krochen die Tiere ruhig in der Anstiegs- richtung ohne Aufenthalt vorwärts. Die Erschütterung der Schaukel oder des Wassers konnte somit die Umkehr der Tiere nicht ver- ursacht haben. Aber auch Augen und Taster fehlten ıhnen. Ja, der folgende Versuch zeigt uns, dass selbst heile Tiere sich dieser Sinnesorgane zur Orientierung unter Wasser nicht bedienen. Sechs völlig heile Tiere, auf das zur Lichtseite hin schief an- steigende Schaukelbrett unter Wasser geworfen, kehren, ganz wie an der Luft, sich sogleich in die normale Kriechlage um und zeigen dabei alle von uns beobachteten Einzelheiten dieses Aktes. Keines der Tiere streckt indessen die Taster oder die Ommato- phoren unter Wasser aus. Vier von ihnen kriechen bald nach 2) Diese Art, sich beim Falle unter Wasser aufzuhängen, konnte ich oft be- obachten. 446 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. der Aufrichtung bergan, das fünfte Tier kehrt erst um, nachdem es ein kleines Stück (d. h. ca. 3--4 cm weit) bergab, also falsch, gekrochen ist. Die sechste Schnecke kriecht beharrlich in falscher Richtung, d.h. bergab, fällt dann vom Brett herab und bleibt mit einem Schleimfaden am Schaukelbrett hängen?). Bei der nun folgenden ersten Wendung des Brettes wenden fünf der Tiere gleich um und kriechen in der neuen Anstiegsrichtung vorwärts. Auch das sechste Individuum kehrt, kopfabwärts auf die Schaukel zurückgebracht, um und kriecht jetzt, den anderen gleich, bergan. Die zweite Wendung der Schaukel wird von allen sechs Tieren fast gleichzeitig richtig durch Umkehr beantwortet. Bei der dritten Umkehr des Brettes fallen zwei Tiere vom Brett, bleiben an Schleimfäden hängen, reagieren aber, auf die Schaukel zurückgesetzt, ebenso wie die übrigen Versuchstiere richtig. Die vierte Wendung der Schaukel wird wieder von fünfen der Tiere sogleich, vom sechsten erst nach 10 Minuten richtig durch Umkehr beantwortet. Das sechste säumige Tier hielt während dieser langen Zeit den Kopf über das Schaukelbrett erhoben und kehrte erst um, als es endlich ın Kontakt mit der Unterlage und in Lokomotion einge- treten war. Sehr erschwert werden diese Versuche (und nur darauf sind ım. E. einzelne Misserfolge mit vielleicht ohnehin matten Tieren zurückzuführen) durch den starken Gewichtsverlust, den die Tiere unter Wasser erleiden, und der ıhnen vor allem das Festhaften an der Unterlage recht schwierig macht?). Dann müssen ja aber auch alle die Vorbedingungen für die Lokomotion erst gegeben sein, ehe die Umkehr der Tiere ın die neue Anstiegsrichtung erfolgen kann, und zu deren Verzögerung trägt das jedesmalige Kopfheben nach der Schaukelwendung stark mit bei. Kurzum, die Langsamkeit der Reaktionen wie überhaupt aller Bewegungen der Tiere unter Wasser gestaltet diese Versuche etwas zeitraubend. Das aber gilt noch mehr von den gleichen Experimenten mit Gehäuseschnecken der von uns oben erwähnten Arten, die überhaupt zum Untertauchen im Wasser nur dann zu bringen sind, wenn ihr (sehäuse wenigstens annähernd luftfrei im Innern ist. Die Tiere sinken gewöhnlich nur dann unter, wenn man sie ins Wasser wirft zu einer Zeit, wo sie sich ım Gehäuse verborgen halten. Dann aber reagieren sie ebenso wie jene Nacktschnecken, nur viel unbe- holfener und langsamer wegen der Gehäuselast. Wenn wir nun also unsere Beobachtungen über die Orien- tierung dieser Tiere unter Wasser zusammenfassen, so erkennen wir das Folgende: 3) Die Tiere benutzen unter Wasser häufig nur die orale Hälfte der Kriech- sohle zur Lokomotion und heben die hintere empor. Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. AAT 1. Auch unter Wasser erfolgt der die normale Kriechlage herstellende „Umkehrreflex“, den wir an der Luft beobachten konnten, in ganz gleicher Weise. 2. Auch unter Wasser ist der Kontakt der vorderen Kriechsohlenhälfte mit der Unterlage die auslösende Vor- bedingung für die Lokomotion der Tiere. 3. Während nach erfolgter, beim Kopfe beginnender Aufrich- tung des Tieres in die Normallage an der Luft der Vorder- körper in positiv-geotaktischer Richtung gesenkt wurde, wird er im Wasser in negativ-geotaktischer Richtung von der Unter- lage abgewandt. 4. Die negative Geotaxis kommt bei den Tieren unter Wasser vor allem auch während der Lokomotion zum Ausdruck dadurch, dass sie das Bestreben zeigen, stets bergan zu kriechen. 5. Die negative Heliotaxis der Tiere macht sich bei deren Orientierung unter Wasser in keiner Weise geltend. 6. Fühler und Ommatophoren werden unter Wasser nie ausgestülpt. Was nun die biologische Bedeutung dieses eigenartigen Verhaltens der Tiere unter Wasser anbelangt, so haben wir es wohl ohne Zweifel zu tun mit einem Fluchtreflex. Die land- bewohnenden Lungenschnecken haben m. W. keine Möglichkeit, unter Wasser zu atmen (eine Tatsache, die bekanntlich viel zum Abtöten dieser Tiere in ausgestrecktem Zustande benutzt wird). Darum müssen sie als typische und noch dazu so überaus sch wer- fällige Bodentiere sich wohl unbedingt gegen Überflutungen ihrer Aufenthaltsorte, wie sie bei Regengüssen doch so oft, wenn auch in kleinem uns nicht weiter auffälligen Maße vorkomme:: werden, zu schützen und auch das Vordringen in Wasserlachen zu vermeiden wissen. Vermöge der im Wasser negativen Geotaxis werden sie, wie in der Schüssel, auf der Schaukel, so auch in der freien Natur in den weitaus meisten Fällen ihren Weg aus dem Wasser herausfinden und dem Erstiekungstode entgehen können. Gerade die unter Steinen, Laub u. dgl. lebenden Nacktschnecken werden oft in solche. Lagen kommen. Und sie zeigen ja die nega- tive Geotaxis unter Wasser auch in so ausgesprochenem Maße, dass ich es nicht: unterlassen möchte, die oben geschilderten Ver- suche als Schulversuche zur Demonstration negativer Geo- taxıs zu empfehlen. Nicht nur die Einfachheit der Anordnung, sondern auch der Wegfall jeder besonderen Vorbereitung der Ver- suchstiere, wie z. B. der Blendung, die das Experimentieren bei den Nepiden so erschwert, macht sie besonders zu Demonstrations- zwecken geeignet. 448 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. Wie aber haber wır nun diese Orientierungsvorgänge unter Wasser zu analysıeren, wie lassen sie sich vereinbaren mit jenen, die wir bei unseren Versuchstieren an der Luft beobachteten? Sind es auch unter Wasser die .Statocysten, welche die so zweckent- sprechenden negativ-geotaktischen Richtungsbewegungen zur Aus- lösung bringen? Wir sahen, dass sich die zur Aufrichtung der Tiere in die normale Kriechlage dienenden Reflexe, deren Auslösung wir den Statocysten zuschrieben, d. h. der Umkehr- und der positiv-geotak- tische Reflex auch unter Wasser ın genau der gleichen Weise vollziehen, wie an der Luft. Der durch sie erlangte Kontakt der Kriechsohle in ihrem oralen Abschnitt mit der Unterlage, der hier wie dort die Lokomotion einleitet, ließ nach der in der Folge zu- tage tretenden Unabhängigkeit der Tiere von einer bestimmten Lage im Raum zugleich den weiteren Einfluss der Statocysten an der Luft ausgeschaltet erscheinen. Im Wasser zeigen die Tiere nun aber nach begonnener Lokomotion bezüglich ıhrer Lage im Raum die gleiche Unabhängigkeit, vermögen also auch hier beı- spielsweise an der Unterseite des Schaukelbretts oder an dessen Seitenkante (wenn auch unter Schwierigkeiten) umherzukriechen. Trotzdem aber nehmen sie unter Wasser, gleichviel in welcher Lage, doch stets ihren Weg in negativ-geotaktischer Richtung auf- wärts, d.h. nach dem Wasserspiegel hin. Wir stehen also vor der Alternative, anzunehmen, dass entweder die Statocysten unter Wasser auch während der Lokomotion ın Funktion bleiben, oder aber dass, wenn sie auch hier ausgeschaltet würden, jene negative Geotaxis von ihnen unabhängig ıst. Wir stehen mit anderen Worten vor der Frage: Vollzieht sich die Orientierung der Tiere unter Wasser antikinetisch oder antityp? Wenn aber diese negative Geotaxis wirklich antikinetischen Ursprungs, d. h. eine weitere besondere Funktion der Statocysten in besonderer Lebenslage des Tieres wäre, so ständen wir damit vor der immerhin eigenartigen Erscheinung, dass ein Tier, welches an der Luft nur positiv-geotaktisch reagiert (Kopfsenken!) auf einen besonderen äußeren Reiz (Kontakt mit dem Wasser?) hin durch die Vermittlung der Statocysten negativ-geotaktische Bewegungen (Kopfheben und Aufwärtskriechen!) ausführt, also direkt umge- steuert wird. Indessen erfordert die sichere Beantwortung dieser Frage noch weitere Versuche und darum will ich auf die Analyse aller dieser Orientierungserscheinungen bei den genannten Pulmonaten noch ein- mal zurückkommen. Dann wollen wir auch die Orientierungsweise der wasserbewohnenden Schnecken und Muscheln einer genaueren Betrachtung unterziehen und an größeren, mir zurzeit leider nicht zugänglichen Formen der oben untersuchten Gattungen die opera- Baunacke. Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. 449 tive Ausschaltung der Statocysten zur Ausführung von Kontroll- versuchen probieren. Hier kam es uns vorläufig vor allem auf die Feststellung an, dass bei jenen landbewohnenden Pulmonaten die Statocysten nichts mit der Gleichgewichtserhaltung zu tun haben, sondern augenschein- lich verschiedene besonderen Lebenslagen der Tiere entsprechende Reflexe auslösen. Wir würden sie vielleicht also zu betrachten haben als statische Sinnesorgane, die — ıhre tatsächliche Mitwir- kung in allen diesen Fällen vorausgesetzt — neben den uns schon von Synapta und Arenicola respektive Nepa her bekannten positiv- und negativ-geotaktischen Reflexen auch noch einen „Umkehr- reflex“ bewirken. Zu den von uns oben genannten Balance-, positiv- und negativ-geotaktischen Funktionen käme so- mit die reflektorisch sich vollziehende Umkehr des Tieres ın die Normallage als neue Funktion der Statocysten noch hinzu. Einen ebensolchen „Umkehrreflex“ hat von Budden- brock beobachtet und auf die Wirkung der Statocysten zurück- geführt. Nach diesem Autor sind nämlich die bei gewissen frei- beweglichen Pecten-Arten entsprechend der Asymmetrie und Seiten- lage der Tiere asymmetrisch ausgebildeten Statocysten nicht allein für die reflektorische Erhaltung des Gleichgewichts beim Schwimmen, sondern auch für die Umkehr dieser Muscheln aus der Verkehrt- lage in die Normallage verantwortlich zu machen. Es wäre also auch bei diesen Tieren die Funktion der statischen Sinnesorgane eine mehrfache, nämlich eine Balance- und eine „Umkehrfunktion“®). Eine weitere Statocystenfunktion, wie sie Becher (1909) für die betreffenden Sinnesorgane der Synaptiden annımmt, dürfte ihrem Prinzip nach theoretisch nicht ausgeschlossen sein. Es ist sehr wohl denkbar, dass ein spezifisch schwerer Statolith vermöge seiner Trägheit bei plötzlich eintretender passiver Fort- bewegung respektive Lageänderung des Tieres durch Druck gegen die Statocystenwand und deren reizperzipierende Organe bestimmte Reflexe zur Auslösung bringt. Indessen müsste eine derartige Funktion erst noch experimentell erwiesen werden. 4) V. Bauer (Zool. Jahrb. Allg. Zool. 33. Vol., 1912, p. 148) ist der Ansicht, dass auch die Augen eventuell allein jenen Umkehrreflex auslösen, also für die Statocysten offenbar vikariieren können. Diese schon bei anderen Tieren beobachtete - Übernahme statischer Reflexe durch die optischen Organe kann m. E. nur eine sekundär erworbene Funktion derselben sein, weil ja jeder Wechsel in der Körper- lage zugleich mit einem bestimmten Wechsel der auf diese Sinnesorgane einwirken- den optischen Reize verbunden sein wird. So konnte sich auch bei ihnen eine orientierende Funktion herausbilden in Lebenslagen des Tieres, wo sonst nur Stato- eysten die Regulierung der Körperlage bewirkten, ja es erscheint nicht ausgeschlossen, dass sie bei gewissen Formen den statischen Sinnesapparaten ihre Funktion ganz abnahmen. 450 Baunacke, Studien zur Frage nach der Statocystenfunktion. Dies gilt in gleicher Weise auch von der Annahme einer akustischen Funktion der Statocysten niederer Tiere, die wir erst dann als bewiesen gelten lassen können, wenn uns das Vorkommen von Tönen in der natürlichen Umgebung eines solchen Tieres nach- gewiesen wird, auf deren Schwingungszahl solch einfache „Hörorgane“ abgestimmt sind, d.h. mit anderen Worten deren Wahrnehmung für das Tier ein biologisches Bedürfnis ıst. Das aber dürfte weder mit Glocken-, noch mit Pfeifentönen (mit denen man bisher experimentierte) der Fall sein, sondern doch höchstens mit natürlichen Geräuschen. Wir sehen also, dass unsere bisherige Kenntnis vom Wesen solcher Sinnesorgane noch nicht genügt, um sie uns in allen ihren Funktionen verständlich zu machen, geschweige denn dass sie zu irgendwelchen Verallgemeinerungen berechtigt. Wir müssen viel- mehr von Fall zu Fall entscheiden, welches die funktionelle Bedeu- tung solcher Sinnesorgane bei den verschiedenen Tieren ist, wenn wir deren vielseitigen Nutzen für ihre Träger und ihre jeweilige biologische Bedeutung ganz verstehen lernen wollen. Wohl aber mögen uns bei manchen statocystentragenden Tieren einzelne jener Funktionen in einer oder der anderen Kombination immer wieder begegnen und uns bestätigen, dass diese Organe gleicher oder ähn- licher Wirkungsweise ihren Ursprung gleichen respektive ähnlichen Bedürfnissen verdanken und in den verschiedenen Tierstämmen, ja bei einzelnen Vertretern einer Gattung, unabhängig voneinan- der aus biologisch-praktischen Gründen, d. h. im Kampfe des Tieres mit den äußeren Bedingungen seines Aufenthalts- ortes, zur Ausbildung gelangten. Sie konnten da, wo das Orientierungsbedürfnis besonders hervortrat, zu komplizierten Mecha- nısmen mit mannigfachen Funktionen werden, andererseits aber wieder verloren gehen, wo ein Wechsel in der Lebensweise (Über- gang zu sessiler Lebensweise z. B. des Benthos) eintrat, der eine durch sie vermittelte Orientierung überflüssig machte. Wollten wir aber die betreffenden Sinnesapparate nach ihren Funktionen be- nennen oder gar einteilen, so wäre das, wie ich schon eingangs er- wähnte, ın den Fällen ganz unmöglich, wo, wie bei jenen Pulmo- naten und Pecten-Arten die Funktionen der Statocysten den jeweils verschiedenen Bedürfnissen der Tiere entsprechend doch offensicht- lich recht verschiedene sind, ihre Funktion sich also mit den Lebens- lagen des Tieres ändert. Die besondere Bedeutung solcher Sinnesorgane werden wir aber um so eher und sicherer ergründen, je eingehender wir deren Träger bezüglich ihrer biologischen Bedürfnisse untersuchen. Dann werden wir voraussichtlich erkennen, dass solche Organe allen denjenigen Tieren eigen sind, für dieein dauerndes oder zeitweises Innehalten einer bestimmten Lage, sei es während der Lokomotion oder im Zustande der Ruhe, Baunacke, Studien zur Frage naeh der Statocystenfunktion. 451 die sie auf andere Weise nicht (oder, wo vikariierende Sinnesorgane anderer Art vorhanden, nicht unter allen Umständen) zu erlangen vermögen, direkt oder indirekt zur Lebensbedingung wurde. Andererseits aber wird uns eine genaue biologische Kenntnis solcher Formen wieder ermöglichen, diese nach gewissen überein- stimmenden Lebensbedingungen in Lebensgemeinschaften zu scheiden, denen diese oder jene Orientierungsform ein unabweisbares Be- dürfnis ist, so dass wır umgekehrt, aus bestimmten biologischen Verhältnissen vielleicht Schlüsse ziehen dürfen auf ein mögliches Vorhandensein statischer Organe oder eines Ersatzmittels für solche, wie das bei vielen Tieren Lichtempfinden und Tastsınn sein können. So leben beispielsweise eine Anzahl /nsektenlarven, welche mit den Nepiden die Seichtwasserzone (vgl. Fig. 1) als Wohnort teilen, unter Existenzbedingungen, die den Besitz statischer Organe oder anderer Orientierungsmittel als ein notwendiges Posulat erscheinen lassen. Ich denke da vor allem an gewisse Dipteren-Arten, wie ' beispielsweise Kristalis, Stratiomys, Tipula, Ptychoptera u. a., die bezüglich ihrer Lebensbedürfnisse den Nepiden sehr nahe kommen, und andere, wie Tabaniden und Ephemeriden, deren Lebensweise in gewisser Hinsicht Anklänge an die der grabenden Synaptiden zeigt. Aber auch unsere Süßwassermuscheln, Unionen und Ano- donten, führen wohlorientierte Bewegungen aus, die den Besitz der Statocysten auch bei ihnen wohl begründet erscheinen lassen. Kurz, meine bisherigen Untersuchungen dieser Formen haben mir unzwei- deutig schon das eine gezeigt, dass ihnen allen eine bestimmte Ruhelage zukommt, die gewöhnlich vom Schutz- und Atembedürfnis bedingt wird, und deren notwendige Bewahrung uns das auch bei diesen Tieren so stark hervortretende Orientierungsvermögen ver- ständlich macht. Sıe lassen ferner aber auch schon erkennen, dass nicht bei all diesen Formen die Orientierungsvorgänge an Stato- cysten gebunden sind. Nur bei einigen der erwähnten Dipteren- Larven finden sich (von den Statocysten der Flussmuscheln abge- sehen) Sinnesorgane, deren Ähnlichkeit mit Statoeysten kaum einen Zweifel an ihrer Funktion übrig lässt. Genaueres über die Orien- tierungsweise dieser eben erwähnten Formen werde ich mitteilen, sobald meine diesbezüglichen Untersuchungen ein abschließendes Urteil gestatten. Dann will ich auch versuchen, ob sich die ver- schiedenen Funktionen der Statocysten nicht nur der hier erwähnten, sondern auch der übrigen mit solchen Sinnesorganen ausgerüsteten Tiere, soweit diese überhaupt nur einigermaßen sicher festgestellt sind, nicht etwa unter die von uns oben definierten Möglichkeiten unterordnen lassen. Das aber erscheint mir nicht ausgeschlossen, wenn wir auch damit rechnen müssen, dass die Bedeutung der Statocystenorgane eine noch weitergehende sein kann. 452 Hertwig, Allgemeine Biologie. Zitierte Schriften. Baunacke, W., Abdominale Sinnesorgane bei Nepa cinerea. In: Zool. Anz., BasaMol., 1910. — Statische Sinnesorgane bei den Nepiden. In: Zool. Jahrb. Anat., 34. Vol., 1912. Becher, S., Die Hörbläschen der Leptosynapta bergensis. In: Biolog. Centralbl., 29. Vol.,. 1909. 3ethe, A., Notizen über die Erhaltung des Körpergleichgewichts schwimmender Tiere. In: Festschr. R. Hertwig, 3. Vol., 1910. Buddenbrock, W. v., Untersuchungen über die Schwimmbewegungen und die Statocysten der Gattung Pecten. In: Sitzber. Heidelberg. Akad. d. Wiss. math.-naturw. Kl, Jahrg. 1911. — Über die Funktion der Statocysten im Sande grabender Meerestiere (Areni- cola und Synapta). In: Biolog. Centralbl., 32. Vol., 1912. Clark, H. L, The Synaptas of the New England Coast. In: Bull. U. S. Fish. Comp., 19. Vol., 1899. Mangold, E., Gehörsinn und statischer Sinn. In: Handb. d. vergl. Physiol. von H. Winterstein, 4. Vol., Jena 1912. Simroth, H., Mollusca. In: Bronn’s Kl.u. Ordn. d. Tierreichs, 3. Vol., II. Abt., 1907. Verworn, M,, Gleichgewicht und Otolithenorgan. In: Arch. ges. Phys., 73. Vol., 1891. ? Oskar Hertwig. Allgemeine Biologie. 4. umgearbeitete und vermehrte Auflage. Gr. 8 XVII und 787 S. 478 teils farbige Abbildungen. Jena. Gustav Fischer. 1912. Seitdem sich Herr H. entschlossen hat, sein in 2 Bänden erschienenes Lehr- buch ‚die Zelle und die Gewebe“ in zweiter Auflage in neuer Bearbeitung unter dem Titel „Allgemeine Biologie“ herauszugeben, hat die Gediegenheit seines Inhalts und die dadurch gerechtfertigte Beliebtheit immer wieder neue Auflagen erforderlich gemacht, von denen jetzt (das ursprüngliche Werk mitgerechnet) die vierte vorliegt. Wie es die Forschungsrichtung des Verfassers mit sich bringt, ist darin die morpho- logische Seite der Wissenschaft von den Lebewesen in erster Linie berücksichtigt. Dass aber auch das eigentlich Physiologische nicht vernachlässigt ist, zeigt sich u.a. in den Zusätzen, durch welche diese neueste Auflage bereichert worden ist. Sie be- treffen u a. die Wirkungen der f- und y-Strahlen auf pflanzliche und tierische Ge- webe, namentlich auf Eier und Samenfäden, die Chemotherapie und die Hormone. Andere Zusätze und Neubearbeitungen beziehen sich auf das Überleben der Gewebe, auf die Deckglaskultur, die Geschlechtsbestimmung, die Lehre von den Chondrio- somen, des Dimorphismus der Samenfäden, den Heterochromosomen, den Pfropf- bastarden, der sekundären Geschlechtscharaktere, der Vererbung erworbener Eigen- schaften. Die Darstellung ist im allgemeinen die gleiche wie in den früheren Auflagen; an manchen Stellen wurde der Text gekürzt, um Platz für die neuen Zusätze zu gewinnen. Trotzdem musste der Umfang um 4 Bogen vermehrt werden. Die Zahl der Figuren ist auf 478 vermehrt worden (in der dritten Auflage waren es 435). Wegen der Charakterisierung des ganzen Werkes können wir auf das bei den früheren Auflagen Gesagte verweisen. R. Berichtigung. In meiner Abhandlung über Hildegard, Heft 5, S. 288, Zeile 4—6, muss es heißen: Die Eier, die sie „gleich den Vögeln hervorbringt,“ beziehen sich auf die Kokons, welche heute noch ‚‚Ameiseneier‘“ genannt werden. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie. vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXXIII. 20. August 1918. Des Inhalt: Wiesner, Biologie der Pflanzen mit einem Anhange: Die historische Entwiekelung der Botanik. — Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalyariation der Cladoceren. — v. Huene, Beobachtungen über die Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. — Secerov, Ueber einige Farbenwechselfragen. — Kornfeld, Ueber Kiementransplantationen an Sala- mandeılarven. — Ballowitz, Das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung in den Erythrophoren von Knochenfischen. — Erhard, Beiirag zur Kenntnis des Lichtsinnes der Daphniden. — Prell, Ueber zirpende Schmetterlingspuppen. — Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. — Balss, Ueber die Chemorezeption bei Garneelen. — v. Buttel-Reepen, Tierverstand und Abstammungslehre. — Cohen, Jacobus Henrieus van’t Hoff. Sein Leben und Wirken. J-. R. v. Wiesner. Biologie der Pflanzen mit einem Anhange: Die historische Entwickelung der Botanik. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 91 Textillustrationen und einer botanischen Erdkarte. Wien und Leipzig, Alfr. Hölder, 1913. Die üblichen Lehrbücher der Botanik in deutscher Sprache sind voneinander meist nur in quantitativer Beziehung verschieden. Sie stimmen aber alle darin überein, dass sie zwar eine Übersicht der wichtigsten bekannten Tatsachen geben, aber ein Eingehen auf allgemeine Fragen sorgfältig vermeiden. Höchstens findet man einige deszendenztheoretische Erwägungen in ihnen. Allem Strit- tigen — und dazu gehören ja naturgemäß gerade die allgemeinen Fragen am meisten — aber gehen sie sorgfältige aus dem Wege, oO Oo oO & 2 ähnlich wie ein ehrbarer Bürger und Handwerker nur sein Tage- werk erfüllt, alles andere aber den „Herrn da oben“ überlässt. Das Wiesner’sche Buch macht von diesem Verhalten eine er- freuliche Ausnahme, denn es behandelt „die Lehre von der Lebens- weise, von der Zweckmäßigkeit der Organeinrichtungen, von der Erblichkeit, Veränderlichkeit, Anpassung und natürliche Verbreitung“ der Pflanzen, also die sogenannten „vitalistischen Probleme“. Damit aber betritt es ein Gebiet, auf welchem, wie erwähnt, viele verschiedene Auffassungen herrschen. Wie sehr man dabeı XXXIM. 30 454 Wiesner, Biologie der Pflanzen ete. verschiedener Meinung sein kann, zeigt schon die Wiesner’sche Definition der Hauptaufgabe der Biologie, wonach diese m dem teleologischen Begreifen der Erscheinungen liegen soll. Teleo- logie ıst aber immer subjektiv. Denn sie setzt das als „Ziel“ vor- aus, was durch einen bestimmten Vorgang oder eine bestimmte Gestaltung ermöglicht wird. So fasst W. als „Zweck“ des posi- tiven Heliotropismus der Laubstengel den auf, dass sie dem Lichte zugeführt werden; darın liegt die „teleologische Erklärung“ des Heliotropismus; das ist nur ein anderer Ausdruck für „Feststellung der Bedeutung des Heliotropismus für die Pflanzen“, ohne An- nahme eines „Zweckes“ oder Zieles. Schon dieses Beispiel zeigt, welche Probleme in dem Wies- ner’schen Buche ın den Vordergrund treten. Dass ein so hervor- ragender, mit einem reichen Schatze eigener Forschungen und Er- fahrungen ausgerüsteter Forscher wie Wiesner uns dabei sehr viel Interessantes und Anregendes mitzuteilen hat, ıst fast selbst- verständlich. Ebenso auch, dass man manche Anschauungen nicht als feststehend wird bezeichnen können. Wenn z. B. als Beispiel einer direkten Anpassung angeführt wird (p. 14) „ob ein Blatt zum Sonnen- oder Schattenblatt.... wırd, darüber entscheidet das Aus- maß von Licht, welches auf das betreffende Blatt während der Ent- wickelung fällt“, so stimmt das mit den Resultaten von Nord- hausen und Schramm nicht überein. Diese zeigen vielmehr, dass Sonnen- und Schattenblätter den „Folgeformen“* und „Jugend- formen“ entsprechen, wird in ihrem Auftreten nicht durch die Ein- wirkung der Lichtmenge auf das einzelne Blatt, sondern indirekt durch die Beeinflussung des Vegetationspunktes bedingt werden!), genau so, wie bei anderen Fällen von Heterophylie (z. B. Wasser- und Luftblätter bei amphibischen Pflanzen. Wiesner stellt sich auf den vitalistischen Standpunkt. Er akzeptiert das „Gedächtnis“ der lebenden Substanz, die Zielstrebig- keit der lebenden Wesen, die zweckmäßige Betätigung der Orga- nismen und ihrer Organe, Erscheinungen, die mechanisch nicht zu erklären seien. Ein erster Abschnitt behandelt die Biologie der vegetativen Prozesse. Dabei ist besonders reichhaltig die Erörterung über Anisotropie und Anisomorphie des Pflanzenkörpers, ein Gebiet, mit welchem wir dem Verf. zahlreiche wichtige Untersuchungen ver- danken. Wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, nimmt er dabei ein Erblichwerden erworbener Eigenschaften an, eine Annahme, die allerdings gerade auf diesem Gebiete sehr nahe liegt, aber der- zeit eben doch nur eine Annahme ist. Es ist nicht möglich, auf den außerordentlich reichen Inhalt näher einzugehen. Die Literatur ist eingehend berücksichtigt, dass gelegentlich eine unrichtige Angabe unterläuft (wie p. 104 betreffend der angeblichen — längst widerlegten Haftwurzeln an Winterknospen 1) Wie Ref. für andere Fälle heryorgehoben hat (vgl. Goebel, Pflanzenbiolog. Schilderungen, Einleitung). Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. 455 von Utr. intermedia) oder neuerdings sehr in Frage gestellte Auf- fassungen mitgeteilt werden (wie die über Ameisenpflanzen p. 121) ist bei einem Werke, das einen so großen Stoff behandelt, kaum zu vermeiden. Eine etwas eingehendere Besprechung hätten wohl die „Pfropf- hybriden“ (p. 206) verdient, zumal sie ja nach verschiedenen Rich- tungen hin von großem Interesse sind. Der dritte Abschnitt gibt eine allgemeine Pflanzengeographie, der vierte bespricht die Entwickelung der Pflanzenwelt (Evolution, Abstammungs-, Deszendenzlehre). Hier wäre eine schärfere Unter- scheidung dessen, was man unter „Variation“ versteht, wohl er- wünscht gewesen, der nicht sachkundige Leser wird die Verschieden- heit von "Polymorphismus und fluktuierender Variation, sowie die der Linn&schen Sammel- und der „Elementar“-Arten "wohl kaum der Darstellung entnehmen können. Ein Anhang schildert die historische Entwickelung der Botanik. Überblickt man den hier nur flüchtig skizzierten Inhalt des Buches, das mit der bekannten Klarheit und Prägnanz des Verfassers ge- schrieben ist, so kann man sagen: es enthält gerade das, was den üblichen botanıschen Lehrbüchern am meisten fehlt, Dadurch ist es für die, welche sich über die wichtigen darın behandelten Pro- bleme orientieren wollen, eın sehr wertvolles Hilfsmittel. Für den Fachbotaniker ıst es namentlich auch dadurch von Interesse, weil er daraus die Stellung eines Forschers wie Wiesner zu den wich- tigsten Problemen der Biologie in Kürze kennen lernen kann. K. Goebel. Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. Von Dr. Karl Gruber (München). Die Erscheinung der Temporal- und Lokalvarıation der Ulado- ceren ıst heute eine allgemein anerkannte Tatsache, welche für die Systematik die Folge zeitigte, dass die früher fast unübersehbare Fülle der Arten und Varietäten, so z. B. bei Daphnia und Bosmina, sich auf eine geringe Zahl reduzierte, während man in den ver- schiedenen Standortsvarietäten derselben Art fest fixierte Rassen oder Elementararten zu erkennen glaubte. Dennoch ist das Pro- blem bıs heute noch nicht restlos geklärt, indem vor allem in der Beantwortung zweier großer Fragen die Meinungen der Forscher immer noch sehr auseinander gehen. Die erste Frage liegt auf physikalisch-biologischem Gebiet und würde etwa lauten: durch welche Eigenschaften des Milieus (Standort) werden die lokalen Unterschiede in der Körperform, insbesondere der Fortsatzbildung der Cladoceren bedingt, auf welchen physikalischen und biologischen Vorgängen beruhen ferner in ein und demselben Standort die ım Laufe der Jahreszeit am Körper der Cladoceren sich vollziehenden 30* 456 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. Veränderungen und welche Bedeutung haben endlich diese varıieren- den Bildungen für ihre Träger? Die zweite Frage ist eng mit dem Artbildungsproblem ver- knüpft und lautet etwa: auf welche Weise sind die temporalen und lokalen Variationen der ÖGladoceren entstanden, ist es alleın der direkte Milieueinfluss, der das Auftreten der abweichenden Formen ım Laufe der Jahreszeiten hervorruft, der ın den ver- schiedenen Standorten bestimmt charakterisierte Rassen schuf und noch schafft, oder aber müssen wır der Mutation ın dieser Rıch- tung eine bedeutungsvolle Rolle zuschreiben, oder gibt uns schließ- lich das Selektionsprinzip den Schlüssel zur Erklärung dieser Er- scheinungen? Als Vorfrage wäre dabeı noch zu beantworten, ob es sich erstens bei den Lokalrassen um wirklich fest fixierte Ele- mentararten handelt, die nicht ohne weiteres ineinander übergeführt werden können und zweitens, ob auch die charakteristischen Stadien der Temporalvariation einer Rasse nicht in jedem Lebenszyklus neu hervorgerufen werden, sondern ähnlich, wie wir es bei der Neigung zur Sexualität nach der alten Ansicht von Weismann!) und ihrer prinzipiellen Bestätigung durch Papanıcolau?), Wolter- eck?) und von Scharfenberg®) sehen, an bestimmte Generationen und Würfe gebunden sind. Die beiden, in den zwei Hauptfragen enthaltenen, an sich verschiedenen Probleme hängen eng zusammen, eine Lösung des zweiten ıst ohne vorherige Klärung des ersten kaum denkbar. Aus diesem Grund sucht auch Woltereck°’) ın seiner letzten Arbeit, mit der wir uns hier noch eingehend be- schäftigen müssen, durch eine enge Verknüpfung beider Fragen eine Deutung für das Gesamtproblem zu geben. Die Erscheinung der Temporalvarıation hat, in Form einzelner Fälle schon seit längerer Zeit bekannt, ihre erste gründliche Bear- beitung durch die umfassenden limnologischen Untersuchungen Wesenberg-Lund’s®) erfahren. Der dänische Forscher wies in seinen vergleichenden Studien über das Plankton der baltischen Seen nach, dass die pelagischen Organismen — neben den Clado- ceren auch Peridineen und Rotatorien — im Sommer eine andere 1) A. Weismann: Beiträge zur Naturgeschichte der Daphnoiden. Zeitschr. f. wissensch.. Zoolog., Bd. 27— 33, 1876—1879. 2) Papanicolau: Experiment. Untersuchungen über die Fortpflanzungs- verhältnisse der Daphniden. Biol. Centralbl., 1910. 3) R. Woltereck: Über Veränderung der Sexualität bei Daphniden. Internat. Revue der ges. Hydrobiol. u. Hydrographie, Bd. IV, 1911. 4) v. Scharfenberg: Studien und Experimente über die Eibildung und den Generationszyklus von Daphnia magna. Internat. Revue, Biol. Suppl., 1910. 5) Woltereek: Über Funktion, Herkunft und Entstehungsursachen der sogen „Schwebefortsätze‘“ pelag. Cladoceren. Zoologiea, H. 67, 1912. 6) Wesenberg-Lund: Plankton-Investigations of the Danish lakes. Kopen- hagen 1904, 1908. Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. 457 Körperausbildung aufweisen als im Winter. So zeigen, um Kardinal- beispiele zu wählen, bekanntlich verschiedene Daphnia-Arten (z. B. Hyalodaphnia cueullata) m der wärmeren Jahreszeit höhere Helme und eine längere Spina gegenüber den niedrigköpfigen, mit kurzer Spina versehenen Formen der kälteren Monate, während man bei den Bosminen — mit wenigen auffallenden Ausnahmen — im Sommer sehr stark verlängerte I. Antennen (Hörner) und hohe Rücken findet. Diese Erscheinungen führt Wesenberg-Lund auf die physikalischen Veränderungen des Seewassers ım Laufe der Jahres- zeiten zurück und kommt dabei zu der unter dem Namen „Schwebe- theorie“ des Planktons bekannt gewordenen Erklärung, dass die Umbildungen des Körpers den Formwiderstand der Individuen er- höhen sollen und zwar aus folgendem Grund: Die Temperatur- verschiebungen in den Seen bedingen regelmäßige Änderungen der Viskosität (Zähigkeit) und des spezifischen Gewichts des Wassers in dem Sinne, dass bei der Erwärmung des Wassers Viskosität und spezifisches Gewicht ganz bedeutend abnehmen. Betrachtet man nun das Schweben der pelagischen Organismen als ein Sinken mit minimaler Geschwindigkeit, so muss natürlich im wärmeren Wasser die Sinkgeschwindigkeit der Individuen bedeutend zunehmen, wenn ihr nicht durch Erhöhung des Form- oder Querschnittwiderstandes entgegengearbeitet wird. Solche Mittel zur Erhöhung des Form- widerstandes sind ın den Helmen, Dornen, Antennen, Hörnern, in den Rauhigkeiten der Schale, der Volumverminderung u. s. w. der Cladoceren und anderen pelagischen Organısmen zu erblicken. Diese Temporalvarıationen vollziehen sich während einer außerordentlich kurzen Periode (ca. 3 Wochen) im Frühsommer, nämlich dann, wenn die rasch ansteigende Temperatur des Wassers 12—16° er- reicht hat. Auch die Lokalvariationen sind von den, die Sink- geschwindigkeit der Organismen beeinflussenden physikalischen Ver- hältnıssen des Wassers bedingt, beschränken sich jedoch ausschließ- lich auf das Sommerhalbjahr — im Winter zeigen alle Lokalrassen einer Art das gleiche Aussehen. Mit dieser, hier kurz skizzierten, auf den ersten Blick außer- ordentlich plausiblen Deutung lassen sich auch die Befunde anderer Autoren an verwandten Objekten schön ın Einklang bringen, so die bekannten Untersuchungen Lauterborn’s’) über die bestimmt ge- richteten Variationsreihen von Anuraea cochlearis, die sich mit Be- ginn der wärmeren Jahreszeit aus einer Stammart differenzieren. Nicht so günstig wie die Untersuchungen im Freien sind die auf experimentellem Wege zur Beantwortung des Problems ge- wonnenen Resultate für die Schwebetheorie, da eine Reihe wider- 7) Lauterborn: Der Formenkreis von Anuraea cochlearis. I. u. II. Ver- handl. des Naturhist. Mediz. Vereins zu Heidelberg, 1900 u. 1903. 458 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. sprechender Ergebnisse gezeitigt wurde. Allerdings sind sicherlich die ım Laboratorium erhaltenen Befunde vielfach überschätzt worden in ihrer Bedeutung für die Erklärung von Temporal- und Lokal- rarıation. Gerade hier, wo es sich doch um Anpassungen an einen Komplex physikalisch-chemisch-biologischer Bedingungen (= Milieu) handelt, ist es außerordentlich schwer, experimentell einwandfrei vorzugehen. Wenn wir die Reaktion einzelner Formen auf eine bestimmte Kategorie von Einflüssen — z. B. Temperatur — hin prüfen, so suchen wir damit ausschließlich einen kleinen Teil des in der Natur vorhandenen gesamten Milieueinflusses zu kopieren. Wenn wir dann nach einer bestimmten Richtung hin einen Aus- schlag bekommen, z. B. Steigerung der Helmhöhe, so haben wir nachgewiesen, dass unsere Versuchstiere auf eine bestimmte Ände- rung der von uns ım Laboratorium geschaffenen Außeneinflüsse in charakteristischer Weise reagieren, wir dürfen aber keinesfalls die von uns angewandten Einflüsse denen der Natur gleichsetzen, auch wenn wir äußerlich ähnliche Wirkungen, z. B. Steigerung der Helm- höhe, erzielen. Durch die Überpflanzung in das Laboratorium sind die Individuen von vornherein schon ın abnorme Bedingungen ge- bracht worden, sie wurden dabei den Milieueinflüssen ıhres Stand- ortes, an die sie sich durch eine unberechenbare Reihe von Gene- rationen angepasst hatten, entzogen. Dass die Experimente für unser biologisches Problem dadurch an Beweiskraft verlieren, ist nicht zu leugnen. Als erster hat bekanntlich Wo. Ostwald?®) die Frage experimentell bearbeitet ım Anschluss an seine wichtige Arbeit über die Theorie des Planktons®), in der er die Wirkung der Temperaturschwankung auf die „Innere Reibung“ des Wassers nachwies: Herabsetzung der „Inneren Reibung“ bei Temperatur- steigerung. Da er nun in seinen Laboratoriumsversuchen bei Wärme hochköpfige, bei Kälte niedrigköpfige Daphnien erzielen konnte, so zog er den Schluss, dass die durch Erwärmung des Wassers her- vorgerufene Herabsetzung der inneren Reibung die Tiere zwinge, die dadurch erhöhte Sinkgeschwindigkeit durch Vermehrung des Form- oder Reibungswiderstandes zu kompensieren. Im Prinzip ist das eine Bestätigung der Schwebetheorie W esenberg-Lund'’s. Ostwald spricht dabei direkt von Temperaturvarıationen, die er den Temperaturaberrationen bei Schmetterlingen (Weismann, Standfuß) vergleicht. Bei kritischer Betrachtung verlieren die Ostwald’schen Resultate an Bedeutung, da er mit relativ rohen Mitteln arbeitete, so vor allem der sachgemäßen Ernährung seiner Objekte zu wenig Beachtung schenkte; er fütterte seine Daphnien mit zerriebenem Algenmaterial, sicherlich keine sehr rationelle S) Wo, Ostwald: Experimentelle Untersuchungen über den Saisondimorphis- mus der Daphniden. Arch. f. Entw.-Mechanik, Bd. VIII, 1904. 9) Wo. Ostwald: Zur Theorie des Planktons. Biol. Centralbl., 1902. Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. 459 Nahrung, wie mannigfache Degenerationen in seinen Kulturen zeigen. Woltereck!?) prüfte dann an Hand eines sehr großen Materials die Ostwald’schen Resultate nach, wobei er einheitlich günstiges Nährmaterial — Chlorella-Reinkultur — verwendete. Wenn auch einerseits seine Versuche zur Widerlegung der Bedeutung der inneren Reibung — Züchtung von Daphnien in Quittenschleim ohne Einfluss auf die Helmhöhe — m. E. keinen Gegenbeweis erbringen, da die Bedingungen zu abnormal gewählt waren und wohl auch zu wenig Generationen verwendet wurden, so sind dagegen die Re- sultate aus den Kulturen mit Verschiebung der Ernährungsintensität sehr interessant. Er konnte an sich niedrigköpfige Daphnien durch starke Fütterung ın hochköpfige überführen, und zwar auch dann, wenn die Tiere in kühlem Medium belassen wurden, während andererseits bei schlechter Ernährung trotz hoher Temperatur keine hohen Helme gebildet wurden. Die große Bedeutung der Ernährung für die in der Temporal- und Lokalvariation von Daphnia sich dokumentierende geringe oder bedeutende Ausbildung der Helm- höhe ıst dadurch einwandfrei bewiesen. In der Ernährung jedoch auf Grund der an Daphnia erhaltenen Resultate den Hauptfaktor für die Variation der Oladoceren überhaupt zu sehen, geht sicher zu weit und Woltereck selbst hat in seiner neuesten Arbeit seine frühere diesbezügliche Ansicht eingeschränkt und modifiziert. Eben- sowenig wie in den Experimenten Woltereck’s kann ich in den Aus- führungen Dieffenbach’s und Sachse’s!!) bei ihren experimentell- biologischen Studien an Rotatorien eine einwandfreie Widerlegung der Schwebetheorie sehen. Die beiden letzteren Autoren legen ebenfalls das Hauptmoment für die Variation von Körpergröße und -form in die Ernährung unter besonderer Betonung der Bedeutung des Zentrifugenplanktons und unter gleichzeitiger Verwendung des- selben für die Fütterung der Versuchsindividuen. Sie leugnen so- wohl die Wirkung der Tragfähigkeit des Wassers, indem nach ihrer Ansicht die Temperatur nur die einzelnen Komponenten der Nahrung, des Zentrifugenplanktons beeinflusst, wie die, auch von Krätschmar!?), vertretene Ansicht, dass die Veränderung des Körpers und seiner Fortsätze ım Entwickelungsgang der einzelnen Formen begründet seı, ein Punkt, auf den wir unten noch näher eingehen müssen und in dem ich auf Grund eigener, beweisender Versuche einen Dieffenbach entgegengesetzten Standpunkt ein- nehmen muss. 10) Woltereck: Weitere experimentelle Untersuchungen über Artverände- rung etc. Verh. d. deutsch. Zool. Ges. 1909. 11) Dieffenbach und Sachse: Biologische Untersuchungen an Rädertieren in Teichgewässern. Internat. Revue der ges. Hydrobiol. u. Hydrogr., Biolog. Suppl. III, H. 2, 1912. 12) Krätschmar: Über den Polymorphismus von Anuraeca aculeata Ehrbe. Internat. Revue etc., Bd. I, 1908. 460 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. Für die Schwebetheorie dagegen spricht Jörgensen'°) an Hand von Studien über Ceratien, indem er sich im Prinzip Ost- wald, allerdings unter gewisser Modifizierung der von diesem Forscher aufgestellten Formeln anschließt, während Krause?) eben- falls auf Grund von Befunden an Öeratien nicht alle die Formaus- bildung bedingenden biologischen Reaktionen der Viskosität, die ihrerseits nicht allein durch Temperatur, sondern auch durch suspen- dierte Stoffe beeinflusst wird, auf Rechnung setzt. Behning '°) wiederum postuliert für die Lokalvariation der Phyllopodenextremität als Grund alles, was man unter Milieueinflüssen versteht. Wie man aus dieser kurzen Übersicht über die Ansichten der mit unserem Problem sich beschäftigenden Autoren ersieht, gehen die Meinungen stark auseinander, und mit Recht betont Wesenberg- Lund'®) in seiner letzten, gemeinsam mit Brönstedt geschaffenen Arbeit, dass von einer Widerlegung der Schwebetheorie keine Rede sein könne, er glaubt ım Gegenteil neue Beweise erhalten zu haben. Ausgedehnte Untersuchungen in den dänischen Seen zeigen, dass die rascheste Entfaltung der Temporalvariationen sich in dem Zeit- intervall findet, wo das größte Stück der Jahresamplitude der Tem- peratur in der kürzesten Zeit zurückgelegt wird. Dabei ist die Tragkraft des Wassers (abhängig von Viskosität und spezifischen Gewicht) bei 14—16° C. (1.—15. Mai) viel geringer als bei 10— 12°C. (1.—15. Mai). Außerdem stimmt mit der von einigen Forschern postulierten Hauptrolle der Ernährung die Erscheinung nicht über- ein, dass einzelne Formen, die im Sommer hohe Helme bilden, dabei ihr Körpervolumen reduzieren. Meine eigenen, an der durch Stirnhorn und Mucronen ausgezeichneten Scapholeberis muecronata ausgeführten Untersuchungen !”) sprechen ebenfalls gegen eine ein- seitige Betonung der Temperatur wie der Ernährung. Weder konnte durch erhöhte Temperatur bei gleichzeitiger guter Ernährung eine Verlängerung von Stirnhorn und Mucronen erzielt werden, noch war intensive Unterernährung imstande, trotz Reduktion der Körper- fortsätze die an diesen sich abspielende Temporalvarıation ganz aufzuheben, indem auch ın den Hungerkulturen ım Sommer längere Mucronen gebildet wurden als im Frühling. Wie Woltereck'*) sehr einleuchtend ausführt, ist die Ausbildung der Körperfortsätze 13) Jörgensen: Die Ceratien. Internat. Revue, Biolog. Suppl., II. Serie, 1911. 14) Krause: Formveränderung bei Ceratium hirundinella ete. Internat. Revue, Biolog. Suppl. III, 1911. 15) Behning: Studien über die vergl. Morphologie etc. der Phyllopoden- extremitäten. Internat. Revue, Biolog. Suppl., IV. Serie, H. 1, 1912. 16) Brönstedt und Wesenberg-Lund: Chemisch- physikalische Unter- suchungen der dän. Gewässer. Internat. Revue, 1912. 17) K. Gruber: Studien an Scapholeberis mucronata ©. F. M. Zeitschr. f. indukt. Abst. u. Vererbungslehre, Bd. 9, H. 4, 1913. 18) Woltereck: 1. eit., S. 456. Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. 46 2 ] 4 in der Entwickelung der Cladocerenindividuen eine Funktion des im Körper herrschenden Blutdrucks, dieser aber von der Assi- milationsintensität abhängig. Durch Überassimilation bei Mästung können bei Daphniden Helmhöhen erzielt werden, die denen be- stimmter Temporalvariationen oder Lokalrassen gleichen, aber hier wohl auf anderem Weg erzeugt wurden, während bei Unterernährung und minimaler Assimilation der Blutdruck auch bei an sich hoch- köpligen Rassen nicht ausreicht, die Helme auszubilden. Aus diesem Grund verlieren auch meine Hungerformen von Scapholeberis ihr Horn und bilden ıhre Mucronen zurück. Trotz dieser intensiven Reduktion aber kommt, wie erwähnt, die typische Temporalvariation an den Mucronen dennoch zum Ausdruck und zwar deshalb, weil diese erblich fixiert ist. Doch damit berühren wir schon den zweiten Teil des Problems, vor dessen Inangriffnahme wir noch die durch Woltereck) geschaffene neue Auffassung der „Schwebefortsätze* kennen lernen müssen. Wie wir sahen, kann man aus den bio- logischen und experimentellen Ergebnissen bis jetzt weder einen vollen Beweis noch eine einwandfreie Widerlegung der Schwebe- theorie erhalten, sie bliebe immer noch weitaus die logischste und plausibelste Erklärung; die auch mit den physikalischen Verhält- nissen der Seen am besten übereinstimmt. Nun konnte aber Woltereck'’) in seiner eben erschienenen Arbeit gewichtige Be- denken, ganz anderer Art als die bisher geäußerten, gegen die Theorie ins Feld führen. Die Bedenken sind sehr schwerwiegend, da sie eine der Hauptvoraussetzungen der Schwebetheorie betreffen und zwar zum großen Teil wahrscheinlich mit voller Berechtigung. Man hatte bisher allgemein die Fortsätze der Cladoceren stets als Schwebeapparate bezeichnet und auffallenderweise ein feineres Stu- dium der mechanischen Bedeutung dieser Fortsätze bei der aktiven Cladocerenbewegung unterlassen. Indem man die Bedeutung der aktıven Bewegung der Cladoceren für ihr pelagisches Leben ver- nachlässigte, legte man den Hauptwert auf das Schweben, nach der Ostwald’schen Definition ein Sinken mit minimaler Geschwindig- keit, das bei Änderung der Tragkraft des Wassers durch Erhöhung des Formwiderstandes der Individuen auf seiner Norm erhalten werden muss. Nun wies aber Woltereck darauf hin, dass den eigentlichen „Schwebern“ unter den Cladoceren, als die vor allem Diaphano- soma und eventuell noch Moina zu betrachten sind, gerade diese Fortsätze fehlen. Alle anderen pelagischen Cladoceren benützen die Eigenbewegung als wichtigste Methode, sich vor dem Unter- sinken zu bewahren. Dabei verliert natürlich die Erhöhung des Reibungswiderstandes ihre Bedeutung für die aktiven Schwimmer 19)elz eit., 8.456. 462 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. und bleibt wichtig nur für passıv bewegte (pflanzliche) Organismen. Aus diesem Grund wird die bekannte Ostwald’sche Formel: Übergewicht Formwiderstand — Viskosität d. W. Sinkgeschwindigkeit — von Woltereck umgeändert in: Sinkgeschwindigkeit — Übergewicht X Abwärtsbewegung und -steuerung Reibung X Aufwärtsbewegung und -steuerung Man ersieht aus der Formel, dass hier ein ganz neues Moment, das der Steuerung, eingeführt wird. Die bekannten Körperfort- sätze sind keine „Schwebeorgane“* — als Bedenken seien angeführt, dass sie zum Teil lotrecht getragen werden, dass vielfach im wärmeren Wasser des Spätsommers sich kürzere Köpfe finden, dass bei einzelnen Bosminen sich ein widersinniges Variieren der Hörner zeigt —, auch keine „Balanceorgane* — Amputations- versuche sind ergebnislos —, sondern sie sind „Richtungsorgane“ für die aktive Bewegung. Diese, in ihren umwälzenden Konsequenzen im ersten Moment überraschende neue Auffassung Woltereck’s basiert auf exakter Analysierung des Bewegungsmechanismus von Daphnien und Bosminen unter Berücksichtigung der verschiedensten Faktoren, wie Einfluss der Schwerkraft, mechanische Reize, Wir- kung des Lichtes ete. Wir können in dieser kurzen Übersicht nicht näher auf die interessanten Untersuchungen eingehen, wollen aber noch sehen, wie sich Woltereck auf Grund seiner Annahmen den ökologischen Wert dieser Richtungsorgane und ihrer Änderung in der Variation vorstellt. Die hauptsächlichste Bedeutung der Organe liegt in der Erzielung einer möglichst horizontalen Schwimm- bahn. Diese horizontale Bahn bewirkt neben bedeutender Kraft- ersparnis dass die Tiere ımmer ın derselben, zonaren Nahrungs- schicht bleiben und außerdem den sogen. „surface film“ (Scour- field) und die „Sprungschicht“ vermeiden. Letztere stellt die unter der belebten Zone befindliche Schicht dar, in der die Temperatur plötzlich sehr rasch abnimmt — ihr Passieren scheint für die Planktonorganismen ein Wiederaufschwimmen auszuschließen (Rutt- ner?%)) — während es eine bekannte Erscheinung ist, dass Daphnien, die mit der Oberfläche des Wassers („surface film“) in Berührung kommen, nicht mehr absteigen können und ebenfalls zugrunde gehen. Dadurch nun, dass die Tiere in sehr spitzem Winkel ansteigen, berühren die Antennen zuerst die Wasseroberfläche und die Tiere führen dann auf den Reiz hin eine Abwärtsbewegung aus. Genau begründet hat Woltereek diese Wirkung der Richtungsorgane für Daphnien und 20) Ruttner: Über tägliche Tiefenwanderung von Planktontieren ete. Internat. Revue, 1909. Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. 463 Bosminen, wobei er auch das scheinbar sinnwidrige Variieren der Il. Antennen (Hörner) von Dosmina longirostris und B. coregoni longi- spina erklären konnte, die im Gegensatz zu B. coregoni gibbera im Sommer kurze, im Winter lange Hörner bilden. Die starren Hörner werden durch den Ruderschlag und die den Kopf nach oben drückende Schwerkraft gegen das Wasser angestemmt, wodurch eine horizontale Haltung des Körpers erzielt und ein Überschlagen nach hinten vermieden wird. Im Sommer, bei reichlicher Ernährung und ım warmen Wasser schwimmen die Tiere schnell, brauchen also kürzere Steuer als im Winter, wo sie ım kalten Wasser mit „halber Kraft fahren“. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie schön die neue Auffassung manche Erscheinungen zu erklären vermag, wie sehr aber auch gleichzeitig das Problem dieser früher einfach als „Schwebeapparate“ bezeichneten Organe kompliziert wird. Inwieweit Woltereck aller- dings berechtigt ist, auf Grund der genauen Bewegungsanalysierung von Daphnia und Bosmina seine Deutung auch auf andere Olado- ceren (z. B. Srapholeberis), auf Rotatorien und Peridineen zu über- tragen, das kann erst eine ebenso eingehende Beobachtung des Schwimmechanismus dieser Formen erweisen. Auch glaube ich, dass wir trotz Annahme der Richtungsorgane die Wirkung der für das Schweben wichtigen physikalischen Komponenten des Wassers, spezifisches Gewicht und Viskosität auch für aktive Bewegung und Steuerung nicht zu sehr außer acht lassen dürfen. Und ob sich bei einigen der Fortsätze neben der Richtungsfunktion nicht doch noch eine Bedeutung für das Schweben finden lässt, scheint mir auch zu überlegen. Für die prinzipielle Wichtigkeit der schönen Woltereck’schen Untersuchungen sind jedoch diese Bedenken ohne Belang. Wenden wir uns nun zum zweiten Teil des Gesamtproblems, so wird uns die Tatsache, dass wir in den verschiedenen Standorts- varietäten in der Hauptsache erblich fixierte Rassen zu sehen haben, nicht weiter auffallen. Woltereck®') hat mit einer Reihe von Lokalrassen zum Zwecke der Abänderung ihrer Helmhöhen- Reaktionsnorm experimentiert; es zeigte sich, dass eine dauernde Überführung einer Rasse in die andere sich als unmöglich erwies, die Reaktionsweisen der einzelnen Rassen waren erblich ver- schieden, es ließen sich besondere Reaktionsnormen für die Stand- ortsvarietäten (z. B. Obersee — Untersee Daphnia, Lunz etc.) fest- stellen. Wenn nun Wesenberg-Lund) angibt, dass die verschiedenen 21) Woltereck: Beitrag zur Analyse der „Vererbung erworbener Eigen- schaften“ ete. Verh. d. Deutsch. Zool. Ges., 1911. 22) Wesenberg-Lund: Grundzüge der Biologie und Geographie des Süß- wasserplanktons etc. Internat. Revue, Bd. III, Biolog. Suppl. 1, 1910. 464 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Oladoceren. Lokalrassen der dänischen Seen im Winter zu derselben niedrig- köpfigen Rasse — dem arktischen Typus — zurückfallen, so handelt es sich da sicher nıcht um erbgleiche Rassen, sondern um solche, in deren Reaktionsnorm eine scheinbar gleiche Reaktion auf die Winter-(arktischen)Bedingungen, aber ein verschiedenes Variieren unter sommerlichen Verhältnissen begriffen ist. Nicht ohne weiteres selbstverständlich ıst die an Generationen gebundene erbliche Fixierung der Temporalvariation; vielleicht ist auch, um es vorweg zu nehmen, die Labilität, d. h. die Beeinflussbarkeit des äußeren Habitus durch Verschiebung der Außenbedingungen bei einzelnen Arten größer als bei anderen. Nach den Ostwald’schen Versuchen müsste man annehmen, dass die Individuen jeden Sommer von neuem auf Erwärmung und Abkühlung des Wassers reagieren. Gegen diese Annahme sprechen jedoch viele Beobachtungen und experimentelle Resultate, von denen ich hier als sehr typisch meine eigenen Ergebnisse an Scapholeberis mucronata anführen möchte. Die Temporalvarıation der von mir beobachteten Lokalrasse — all- mähliche Abnahme des Stirnhorns, Zunahme der Mucronenlänge — ging in meinen Kulturen bei gleicher (Zimmer-)Temperatur und gleicher Ernährung ruhig weiter, genau wie draußen am Standort, sie wurde auch durch starke Wärme (22—26 ° C.) nicht im geringsten tangiert. Nur intensivste Nahrungsherabsetzung hatte ein vorzeitiges Schwinden des Horns, eine bedeutende Reduktion der Mucronen zur Folge, was wohl einfach darauf beruht, dass infolge der Unter- assimilation der Blutdruck des Körpers zur Ausbildung der Fort- sätze nicht mehr ausreichte (s. 0.!). Aber selbst ın diesen Hunger- kulturen kam die Temporalvarıation nicht völlig zum Schwinden, denn die Frühsommer-Hungertiere zeigten trotz kürzerer Hunger- wirkung weniger lange Mucronen als die Spätsommer-Individuen, die aus viel späteren „Hungergenerationen“ stammten. Aus Einzel- kulturen in gleichmäßiger Temperatur und Ernährung ließ sich ferner sehr schön die von Generation zu Generation und von Wurf zu Wurf steigende Tendenz erkennen, einesteils die Hornlänge zu reduzieren, andererseits die Mucronenlänge zu steigern, ein Analogon zu der in derselben Weise sich steigernden Neigung der Cladoceren zur Sexualität. Diese, auf experimentellen Grundlagen erhaltenen Ergebnisse an Scapholeberis mucronata sprechen sehr gegen die Zweifel Dieffenbach’s®) und Behning’s®‘) an einer Festlegung der Temporalvarıation im Entwickelungsgang der einzelnen Formen, an einem bestimmten Variationsrhythmus. Andererseits bestätigen meine Beobachtungen den ebenfalls von Behning — im Prinzip früher schon von Wesenberg-Lund aufgestellten Satz, dass 23) 1. eit., S. 459. 24) 1, eit., S. 460. Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Oladoceren. 465 die Parthenogenese ım Lebenszyklus der Cladoceren die Zeit der Variabilität darstellt, hervorgerufen durch die umgestaltende Wirkung der äußeren Verhältnisse, während die sexuelle Fortpflanzung redu- ziert, zur Ausgangsform zurückführt — Begünstigung der Rassen- bildung durch ungeschlechtliche Vermehrung, Ausgleich der Rassen- differenz in der Sexualität (Wesenberg-Lund). Bei Scapho- leberis sind alle aus dem Winterei stammenden Tiere sich sehr ähnlich, von charakteristischem Aussehen, ein Jahr wie das andere; auch die ersten Generationen aus verschiedenen Standorten mit stark verschiedenen Sommerformen gleichen sich sehr. Im Herbst werden hornlose Weibchen von hornlosen Männchen befruchtet, aus den Wintereiern aber dieser Weibchen entstehen im Frühjahr langgehörnte Exemplare. Aber nicht nur im Gesamtlebenszyklus der Art zeigt sich diese Erscheinung, auch im Leben des einzelnen Individuums steigt die Variabilität von Häutung zu Häutung. Die eben geworfenen Jungen zeigen weder unter sich, in demselben Wurf, eine beachtenswerte Variabilität, noch unterscheiden sich die Jungen aus den Frühjahrsweibchen stark von denen des Sommers, obwohl sich die Temporalvariation auch hier, allerdings in geringem Maße, dokumentiert. Dagegen gleichen sie in ihren Proportionen — relativ sehr langes Horn — auffallend den ex ephhippio stammen- den, erwachsenen Individuen. Zwei weitere wichtige Fragen sind dann noch zu beantworten. Die erste ist die, ob es möglich ist, eine erblich fixierte Rasse künstlich durch Verschiebung der Reaktionsnorm zu ändern, die zweite dagegen, wie wir uns die allmähliche Entstehung der Tem- poralvarıationen und der Lokalrassen erklären können. Dass es im Prinzip möglich sein muss, eine erblich fixierte Rasse abzuändern, muss bei dem bestehenden Naturgesetz der Umwandlung der Arten, des Entstehens neuer, Vergehens alter Formen unbedingt bejaht werden. Die Bemühungen jedoch, experimentell eine Rasse in die andere überzuführen, sind bis jetzt noch fehlgeschlagen (W olter- eck?°) gibt allerdings ın einer kurzen Bemerkung an, aus einer reinen Linie von Hyalodaphnia konstant kurzköpfige Formen im Freilandbecken gezüchtet zu haben, doch müssen wir vor der Ver- wertung dieses Resultates noch nähere Mitteilungen abwarten). Wie draußen ın der Natur allmählich die Umwandlung vor sich geht, davon können wır uns gerade durch den Vergleich verschie- dener Lokalrassen von Scapholeberis em Bild machen. Beweisen können wir allerdings nicht, dass die Entwickelung unserer Art gerade so vor sich geht, wie wir sie uns vorstellen, aber man muss m. E. bei biologischen Problemen hier und da über Zahlen und Tabellen hinausgehen und, wenn auch nur im Bilde, große Zeit- Zo)Blcıı> 3,4150. 4655 Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Cladoceren. räume an Stelle der uns zur Verfügung stehenden minimal kurzen setzen. Ich habe in meiner letzten Arbeit?®) auf die Erscheinung hingewiesen, dass allem Anschein nach für große Gewässer lang- gehörnte, für kleine aber kurz und sehr bald ungehörnte Formen von Scapholeberis typisch sınd. Nun sehen wir in den drei von mir untersuchten Standorten von stark verschiedener Wassermasse, dass die ersten Generationen (ex ephhippio) sich bei allen drei Rassen sehr gleichen, dıe Hornlänge ıst für jede der Rassen etwa dieselbe, ziemlich bedeutende. Während der Zeit der Partheno- genese jedoch, in der sich die Temporalvarıation geltend macht, geht ım kleinen Gewässer die Ausbildung des Horns sehr schnell zurück, während im großen Standort die Hornlänge sich viel kon- stanter erhält — der mittlere Standort nımmt eine Mittelstellung ein. Meiner Vermutung nach stammen alle drei Rassen von einer gemeinsamen langgehörnten Form ab, wobei auch jetzt noch der ursprüngliche Typus sich nach dem auf die Sexualität folgenden Dauerstadium zeigt — Ausgleichung der Rassendifferenz (W esen- berg-Lund). Während der durch die Variation ausgezeichneten Parthenogenese jedoch passt sich jede Rasse den speziellen Milieu- bedingungen ihres Standortes an oder hat sich schon ın weitgehen- dem Maße angepasst — Begünstigung der Rassenbildung (W esen- berg-Lund). Nun aber kommt die schwierige Frage nach den die Artänderung ursächlich bedingenden Vorgängen. Wesenberg-Lund?”) vertritt die Bedeutung der direkten Milieuwirkung, wobei er zu einer Verurteilung der bis jetzt in dieser Richtung negatıv gebliebenen Experimentierungsmethoden gelangt; den Hauptgrund der Fehlschläge sieht er in der viel zu geringen, dem Experimentator zur Verfügung stehenden Zahl der (Generationen. Diesen Versuchen gegenüber stellt er das unermess- lich große Erblichkeitsexperiment der Natur, die als Experimentator zur Fixierung durch äußere Bedingungen erworbener Eigenschaften über die erste Bedingung für den Eıfolg verfügte, eine unbegrenzte Zeit. So sind die bei uns lebenden Oladoceren als durch Variation aus den arktischen abgespaltene Formen zu betrachten, ın denen die Reaktionsstufen gegenüber den Milieuänderungen durch äußere Einflüsse erblich wurden. Ein Beweis für die ausschließliche Be- deutung der direkten Milieuwirkung bei den Artänderungen oder, um die gebräuchliche Bezeichnung zu wählen, für die Vererbung erworbener Eigenschaften ıst das natürlich nicht, denn weder kann die Mutation, noch die Selektion als eventuelle Hauptfaktoren aus- geschaltet werden; Wesenberg selbst nennt seine, auf riesiges Beobachtungsmaterial sich stützende Auffassung eine reine Glaubens- 26) 1. eit., S. 460. An) on, Sb 2K0j0% Gruber, Das Problem der Temporal- und Lokalvariation der Oladoceren. 467 sache. Experimentell wäre ein Beweis erst erbracht, wenn wir eine genau analysierte Rasse durch kontrollierte, direkte Milieu- wirkung so abändern könnten, dass nıcht nur während der Partheno- genese, der Zeit der Variabilität, sondern auch nach Überwindung des reduzierenden Dauerstadiums eine dauernde Veränderung der Reaktionsweise sich zeigte; aber auch hier wird es im Experiment außerordentlich schwer sein, eine eventuelle Mutations- oder Se- lektionswirkung auszuschließen. So sind wir vorderhand immer noch auf indirekte Schlüsse angewiesen. Ein gutes Stück weiter ın dem Versuch, uns die Vorgänge bei der Artbildung der Uladoceren zu erklären, bringt uns ebenfalls wieder dıe neueste Woltereck’sche Arbeit. Zahlreiche, vergebliche Transmutationsversuche hatten Woltereck an der Bedeutung des direkten Milieueinflusses zweifeln lassen. Nun konnte er andererseits an Hand langjährig beobach- teten Materials nachweisen, dass unbestimmt gerichtete, wahllose Mutationen ım Leben der Rassen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Selektion wiederum hatte er deshalb keine Bedeutung zugemessen, weil einmal die Frage nach dem Entstehen erblicher Varianten in den Stämmen nicht beantwortet war und weil zweitens bei der Annahme der „Schwebefunktion“ der Oladocerenfortsätze der für die Selektion nötige Nutzwert der Anfangsstadien nicht erkannt werden konnte. Beide Schwierigkeiten konnten nun aber nach Woltereck’s Angaben behoben werden. Erstens zeigten sich in den reinen Linien häufig kleine mit Milieusteigerung zusammen- hängende, transgressive, bestimmt gerichtete Blastovarıanten (ultranormale, erbliche Abweichungen), während andererseits bei der Annahme der Fortsätze als Richtungsorgane sıch der Nutzwert auch kleinster Anfangsstadien verstehen lässt. Die Richtungsorgane der einzelnen Cladocerenarten und -rassen entstehen daher nach Woltereck auf folgendem Weg: Die vermehrte Milieuenergie wirkt wahllos auf alle von Blutdruck und Bluternährung abhängigen Organanlagen steigernd ein. Milieusteigerung kann aber auch erb- liche Hypertrophie aller vom Quantum der zugeführten Energie abhängigen Organe bewirken, indem sowohl die ım somatischen Substrat (determinierend) als die im Keimplasma (gen-assimilierend) wirksamen Enzyme mit ihren Reaktionskonstanten geändert werden — Entstehung erblicher Plusvarıanten. Da nun aber die Art- änderungen der Cladoceren darin bestehen, dass einzelne Körper- fortsätze verändert werden ım Einklang mit den Erfordernissen des Milieus und der Funktion, so liefert die Milieuänderung für die Anpassungen nur das Material, ihr Anteil an der Artänderung besteht in der Hervorrufung von Konstantenänderungen. Zur wei- teren Erklärung brauchen wir einmal die Selektion — dass sie möglich ist, ergibt sich aus der Anwesenheit von Blastovarianten und dem effektiven Nutzwert der ersten Anfangsstadien der Fort- 468 v. Huene, Beobachtung. über d. Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. sätze —, zweitens aber die lokalisierte Varıabılität (Labilität) einzelner Körperregionen, die bei Gladoceren ebenfalls nachweisbar vorhanden ist. Ihr Zusammenwirken ist die Grundlage, auf der sich die Artänderung vollzieht. Es ıst unbestreitbar, dass wir es hier mit einer logisch geschlossenen Erklärung, die sich auf exakte Beobachtungen stützt, zu tun haben. Zwei Punkte in den Grund- lagen der Woltereck’schen Annahmen können jedoch bestritten werden. Einmal könnten die Verfechter der Mutationslehre die nach Woltereck bestimmt gerichteten Blastovarıanten, die erblichen, ultranormalen Abweichungen für die Mutation postulieren — ein Streit um Worte und Definitionen, der, wenn solche extreme erb- liche Varianten wirklich vorhanden, von geringerer Bedeutung ıst. Hypothetisch aber bleibt vorderhand noch der Versuch, sich das Entstehen solcher Varianten zu erklären, ein Versuch, bei dem sich Woltereck an seine, auf der Ferment-Antigenlehre basierenden Deutungen seiner Transmutationsexperimente an Daphnia anschließt. Doch sind hier, um die logische Gedankenkette zu schließen, Hypo- thesen unerlässlich und jeder ernsthafte Forscher ist sich ja von vornherein bewusst, dass Hypothesen nur Notbrücken sınd, so lange ein komplexes Tatsachenmaterial fehlt. Eine große, schwere Ar- beit wäre noch zu bewältigen, nämlich auf dem von Woltereck gezeichneten Weg experimentell Blastovarianten zu erzeugen, künst- liche Selektion derselben zu versuchen, um auf diese Weise eine Rassenänderung zu erzielen. Inwieweit und ob ein solcher Unter- suchungsplan, vor allem technisch, überhaupt möglich, muss die Zukunft lehren. Ein positiver Erfolg des Experimentes aber wäre nicht nur für das Problem der Cladocerenvariation, sondern für die gesamte Abstammungs- und Vererbungslehre von der größten Be- deutung. Beobachtungen über die Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. Von Friedrich von Huene in Tübingen. Mit 7 Figuren. Obwohl nicht Zoologe, sondern Paläontologe, hat mich in Zu- sammenhang mit der Entstehungsgeschichte der Krokodile die Be- wegungsart ihrer rezenten Vertreter interessiert. Da ıch Literatur über diesen Gegenstand nicht zu finden wusste, wandte ich mich auf Herrn Prof. Blochmann'’s Rat an den Direktor des zoologischen Gartens in Frankfurt, Herrn Dr. Priemel, der mir in der liebens- würdigsten Weise gestattete, an den lebenden Krokodilen Beobach- tungen anzustellen und mit ihnen zu experimentieren; dabei waren mir die Herren Menke und Schacht sowie ein Wärter in zuvor- kommenster Weise behilflich und haben mich zu lebhaftem Dank verpflichtet. v. Huene, Beobachtung. über d. Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. 469 Von den ım Mai 1913 ım Frankfurter zoologischen Garten vorhan- denen zahlreichen schönen Krokodilen eigneten sich am meisten Osteo- lamus tetraspis, Crocodihuıs niloticus und Alligator mississipensis zu Beobachtungen. Bei langsamer Bewegung wird der Körper auf dem Boden schleifend vorgeschoben. Beı etwas rascherer, zielbewusster Gangart sowie beim Laufen wird der Körper durch die Extremitäten N hochgehoben; Kopf, Körper und Schwanz mit Ausnahme von dessen SS Fe = In Spitze werden dann etwa um die =, % m . Q // Länge des Unterschenkels über dem Ne T : Y Boden getragen. Dabei bewegen 1% 1: sich die Extremitäten vollkommen frei und voneinander unabhängig, grundverschieden von der schlän- gelnd schiebenden Bewegung der A Molche, in der Abwechslungsfolge Sl des Vorsetzens einigermaßenähnlich 4 W derjenigen hochbeiniger Säuger. Bei der Hinterextremität bleibt ec er es das Knie ın starkem Knick, der Oberschenkel ist aber im Hüftgelenk sehr beweglich. Der Fuß tritt mit der ganzen Sohle auf; besieht man sich aber die Abnützung der Epi- dermis an der Sohle, so zeigt sich, dass das Hauptgewicht des Körpers nicht mit dem Tarsus, sondern mit den Phalangen und dem Vorder- ende des Metatarsus auf den Boden drückt, mıt anderen Worten, dass das Fußgelenk stets in starker Spannung bleibt. Die Besichtigung der Fußspuren in weichem Lehm ergibt dasselbe (Fig. 1). Beim ge- wöhnlichen Gehen wird die ganze Fußsohle abgedrückt, die Phalangen nur wenig tiefer als die Sohle; von a Ze ey Ia> D ey Se ne EN Eip. 1. spur. Geh- Hinter- extremität, V — Abdruck der Vorder- extremität, Al —= Klauenspur. Östeolamus tetraspis H = Abdruck der Zehen drückt sich die unbekrallte vierte etwas leichter ein als die den drei medialen bekrallten. Die Stellung des Fußes beim Gehen ist nicht auswärts, sondern vorwärts gerichtet, so dass die zweite Zehe ziemlich genau parallel der Körperachse steht, während die dritte und namentlich vierte stark seitwärts gebogen ist. Fußspuren in weichem Lehm sowohl vom Gehen als vom Springen zeigen die XXXIH. Sl 470 v. Huene, Beobachtung. über d. Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. nachgeschleifte Fährte der inneren Klauen, welche von einem Fuß- abdruck bis in den nächsten hinein einen stark nach außen ge- richteten Bogen beschreiben; diese Tatsache zeigt, dass die Haupt- Fig. 2. Ze Osteolamus tetraspis. Fig. 3. Alligator mississippensis. Rechte Rechte Vorderextremität. Vorderextremität. msn = Sn Rn N IE IE SES N UI IQ Fig. 4. Crocodilus nilotieus. Linke Vorderextremität. er I EEE — Fig. 5. Osteolamus tetraspis. Linke Vorder- Fig. 6. Crocodilus nilotieus. Linke extremität. Vorderextremität. kraft und der Abstoß des Fußes an der inneren Seite geschieht. Beim Sprung wird die Hauptbewegung der Hinterextremität nicht im Knie, sondern im Fußgelenk ausgeführt, indem Metatarsus und Zehen abwärts schnellen und mit ihrem distalen Teil besonders v. Huene, Beobachtung. über d. Bewegungsart der Extremitäten bei Krokodilen. 471 kräftig sich abstoßen. Diese Bewegung wird durch den verlängerten Calecaneus, an dessen Tuber die Sprungsehnen einen Hebelgriff finden, besonders begünstigt. Besonders interessant war mir m die Vorderextremität. Der Grund / j / der Verlängerung der proximalen Ä " Carpalia war mir der Ausgangs- punkt der Fragestellung. Bei Be- V sichtigung der Tiere fiel mir sofort ' auf, dass die Vorderextremität vor dem Ellbogen noch zwei in Er- scheinung tretende Gelenke besaß, nämlich zwischen Unterarm und Carpus einerseits und zwischen Meta- carpus und den Phalangen anderer- seits. Zwischen Metacarpus und Carpus konnte ich Bewegungen nicht beobachten. Der Carpus dient also praktisch zur Verlängerung des Metacarpus. In Ruhelage ıst das Carpalgelenk meist mehr oder we- niger abgebogen, mitunter aber auch genau in die Verlängerung des Unter- armes gestellt und dann sınd nur die Finger rechtwinkelig abgebogen auf den Boden gestellt. Beim Gehen ist es die Regel, dass nur die Finger auf der Erde aufliegen und die Mittelhand hochgestellt ıst und genau in der Achse des Unterarmes als dessen Verlängerung dient. Es ist also die Vorderextremität digiti- grad, die Hinterextremität aber plantigrad. Auch die Hand wird in der Bewegung beim Auftreten ın die Körperachse gestellt; der dritte und längste Finger steht dann ganz parallel der Körperachse. In Ruhe- Bien nl, tetraspis. Lauf- lage werden dagegen Finger und spur. Bezeichnungen wie in Fig. 1. Zehen häufig seitwärts gerichtet Das Körpergewicht scheint in der Hand mesaxonisch zu ruhen, denn im Gegensatz zum Fuß wird die Hand genau geradlinig (parallel der Körperachse) nach vorne gesetzt bei einem Schritt oder Sprung. Der vierte und fünfte Finger tragen bekanntlich keine Krallen und werden weniger kräftig auf den Boden gesetzt. Aus 3lhn 472 v. Huene, Beobachtung. über d. Bewegungsart der Extremitäten vei Krokodilen. der Spur werden die Finger auf den Fingerrücken umgeklappt herausgezogen und mehrere Male habe ich die zur Faust zusammen- gezogenen Finger in dieser Weise mit ihrer Rückenseite auftreten und auch verharren gesehen, wobei der vierte und fünfte Finger weniger gekrümmt nur mitgeschleppt wird. Auch durch das Auf- treten mit der Faust wird eine funktionelle Verlängerung des Armes bewirkt. Sind die Krokodile in großer Eile, so machen sie Sprünge, in- dem sie mit allen vier Füßen zugleich sich ın die Luft werfen und sıch dann auf den Bauch fallen lassen. Mit der Vorderextremität werfen sie sich bei dieser Gelegenheit nur ın die Höhe, einen Moment später setzt die Tätigkeit der Hinterextremitäten ein, diese schnellen das Tier zwar auch ın die Höhe, aber zugleich auch vor- wärts und da die schwerere Vorderhälfte des Körpers dann schon in der Höhe und noch ın Aufwärtsbewegung ist, so wird der Mangel einer eigenen starken Vorwärtsbewegung der Vorderextremitäten nicht hemmend auf die Sprungbewegung der Hinterextremitäten wirken. Man kann die Mechanik des Krokodilsprunges nach meinen Beobachtungen mit einem vorne schweren Wurfspieß vergleichen, dessen Spitze in die Höhe gerichtet sein muss, bevor die Beschleuni- gung eintritt. Aus diesen Beobachtungen scheint mir hervorzugehen, dass die Krokodile (die Beobachtungen beziehen sich hauptsächlich auf kurzschnauzige Formen) eigentlich (relativ) zu kurze Vorderextremi- täten haben und sie auf die beschriebenen Arten funktionell zu verlängern streben. Die bedeutende Kürzung kann aber nur ın der Stammesgeschichte seine Begründung finden. Aus Gründen, die ich anderen Ortes (Beiträge zur Geschichte der Archosaurier, Pal. u. Geol. Abhandl., Verlag G. Fischer) näher ausführe, nehme ich an, dass die Krokodile erst sekundär wieder zu völlig tetrapoder Lebensweise übergegangen sind und dass ihre Vorfahren vorüber- gehend bipede Lokomotion übten, wobei die Vorderextremitäten sich rasch verkürzt hatten. Nach dem Erfahrungssatz der Irrever- sıbilität der Entwickelung konnte der gleiche Weg der Verlängerung bei der Rückkehr zur tetrapoden Lebensweise nicht eingeschlagen werden, sondern das physiologische Ziel der erneuten Verlängerung musste auf anatomisch anderem Wege erreicht werden. Das ge- schah durch Verlängerung der proximalen Oarpalia. Wie bei den Anuren die proximalen Tarsalıa zur Erreichung eines Sprunggliedes abnorm verlängert wurden, so hier die proximalen Carpalia. Der Fall liegt zwar nicht genau parallel. Aber dass eine besondere Funktion mit dieser Abnormität verbunden sein muss, war mir von vornherein sicher; es ıst Verlängerung, stärkere Biegungsmöglich- keit und damit die Fähigkeit, sich höher empor zu schnellen. Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 473 Über einige Farbenwechselfragen. Von Dr. Slavko Sederov. 1. Ist der Nachweis der Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen widerlegt? K. v. Frisch hat in seiner Arbeit „Über die farbige Anpassung der Fische“!) auch meine, mehr orientierenden Versuche über die Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen berührt, ja sogar wiederholt, und nach der Auffassung des Verfassers sollen sie das Gegenteil beweisen. Die Behauptung und Auffassung K. v. Frisch’s scheint auch ın der Literatur einen Widerhall ge- funden zu haben. Ich beschränke mich auf die Zitierung von einem so hoch verdienten experimentellen Forscher wie ©. Herbst ist, der beı der Erörterung meiner Versuche über den Farbwechsel der Bartgrundel (Nemachilus barbatula L.) ım Handwörterbuche der Naturwissen- schaften (Korschelt, Linckete. Bd. III, Jena 1913) ım Artikelüber die „Entwickelungsmechanik* folgendes sagt (p. 597): „für das Zustande- kommen der Farbenanpassung gibt es dreierlei Erklärungsmöglich- keit, von denen zweı schon vor langer Zeit im Anschluss an die Experimente mit Schmetterlingspuppen erörtert worden sind. Die nächstliegende dieser drei Möglichkeiten ıst natürlich die, dass man die Farbenanpassungen, welche sich experimentell beherrschen lassen, mit natürlicher Farbenphotographie also die Haut der be- treffenden Tiere mit einer farbenempfindlichen photographischen Platte vergleicht. Dem steht die zweite Erklärungsmöglichkeit gegenüber, welche in der Farbenanpassung einen komplizierten, durch Photorezeptionsorgane und Nervensystem vermittelten Pro- zess sieht; und schließlich wäre noch eine Kombination der beiden ersten Hypothesen zu einer dritten möglich, wenn man annımmt, dass dıe Farbenanpassung in letzter Instanz ein farbenphoto- graphischer Prozess sei, dass aber der Ablauf dieses Prozesses von Impulsen abhängig sei, die den Hautbezirken durch das Nerven- system zugeleitet werden und auf Photorezeptionsorgane zurück- zuführen sınd.*“ Ich habe nun versucht, die erste dieser Annahmen experimentell zu prüfen und die Möglichkeit der Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen, die überall vorhanden sind und somit als ursprüngliche erscheinen, darzulegen. Ich war mir im Klaren über den Wert der Experimente, die mich selbst nicht vollständig befriedigten, aber da ich nicht bessere Methoden verwenden konnte, habe ich es für nötig gefunden, die- selben doch mitzuteilen. Ich will aus meiner eigenen Arbeit?) folgendes anführen, das 1) Zool. Jahrbücher, Abt. f. allg. Zool. u. Phys., Bd. 32, p. 171—230, 1912. 2) Arch. f. Entwickelungsmechanik — Roux, Bd. 28, 1909. 474 Sederov, Über einige Farbenwechselfragen. das oben Gesagte bestätigen soll: „Durch die angeführten Versuche ist es also sehr wahrscheinlich, dass die Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen auch im lebenden Tiere möglich ist“ (p. 656) und in der Zusammenfassung: „Die Versuche an aus- geschnittenen frischen Hautstücken zeigen erstens Zersetzung der schwarzen Pigmente bei natürlicher Beleuchtung, zweitens Zer- setzung der schwarzen isolierten Pigmente nach dem Wiener’schen Prinzip. Die Versuche mit Glyzerin-Hautpräparate bestätigen das- selbe“ (p. 658). Obwohl also meine Stellung zu den eigenen Versuchen gar nicht so exklusiv und apodiktisch waren, hat es auch ©. Herbst im obigen Artikel für nötig gefunden anzuführen, dass sich auch K. v. Frisch gegen Sederov gewendet hat; K. v. Frisch’s Versuche sollen das Gegenteil beweisen oder nach den Worten K.v.Frisch’s: „An ausgeschnittenen Hautstücken der Bartgrundel (Nemachilus barbatula L.) ließ sich, entgegen den Angaben Se@erov’s, ein Ein- fluss des farbigen Lichtes auf die Farbe der Hautstücke nicht nach- weisen. Auch dieser Fisch passt sich vermittels seiner Gesichts- wahrnehmungen an gelben Untergrund an, bei blinden Tieren unter- bleibt die Anpassung auch, wenn der Aufenthalt auf dem farbigen Grunde viele Monate währt“ (p. 224). Und doch sagt Frisch nach diesem Satz: „Somit sind wir noch im Zweifel darüber, ob nicht farbiges Licht bei sehr langer Einwirkung auf die Pig- mentbildung Einfluss nehmen kann, die Anpassung an den Untergrund aber, welche in der Natur eine so große Rolle spielt, ist bei den untersuchten Fischen sicher lediglich durch die Augen und das Nervensystem vermittelt.“ Es wird klar aus den folgenden Zeilen, dass die ausschließliche Wirkung der Augen und des Nerven- systems nicht richtig ist und zwar aus den Angaben von Frisch selbst. Überhaupt soll man sich hüten zu sprechen von der aus- schließlichen Wirkung eines Naturfaktors bei der Entstehung irgend- einer Naturerscheinung, denn ın der Natur gibt es nicht solche „monistische* Tendenzen; es sind nur Kombinationen von Faktoren vorhanden, deren einzelne Wirkungsweise zu erschließen die Auf- gabe des Experiments ist. Es ist also selbstverständlich, dass ich auch die Wirkung der Augen und des Nervensystems nicht leugne. Darum drücken die Sätze von Frisch: „Sowohl die Melanophoren wie die farbigen Pigmentzellen der Bartgrundel werden also von den Gesichtswahrnehmungen beeinflusst, der Fisch besitzt einen deutlichen physiologischen Farbwechsel. Das hätte Secerov bei seinen Versuchen mit farbigen Lichtern berücksichtigen müssen“ (p- 206), gar nicht den Sachverhalt aus, denn ich habe die deut- liche Wirkung des physiologischen Farbwechsels nicht geleugnet. Das kann jeder, der die Abhandlung über Nemachilus aufmerksamer Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 45 liest, sehen. Ich nahm es nur nicht an, dass jede Farbenanpassung reflektorisch durch Vermittlung der Augen zustande kommt. Die Versuche über die Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen sollten eine mehr handgreifliche Stütze zu der An- nahme der mechanischen Farbenanpassung sein. Die Farbenanpassung auf Grund der Entstehung der farbigen Pigmente ist auf Grund meiner Versuche aus einer theoretischen Annahme zu einer experi- mentell prüfungsfähigen Hypothese geworden. Die Wichtigkeit der Versuche, obwohl nicht den Wert der Ergebnisse, hat K. v. Frisch ganz richtig aufgefasst. Er sagt selbst: „Die Sache schien mir für die Frage nach dem Zustande- kommen der Farbenanpassung in der Natur von prinzipieller Be- deutung.“ Darum prüfte K. v. Frisch zuerst mit denselben Methoden, wie ich es versucht hatte, jedoch mit negativem Erfolge. Er beob- achtete eine gelbliche Verfärbung der Melanophoren bei der Ver- wesung, aber weder makroskopisch noch mikroskopisch, ließ sich ein Einfluss der Färbung der Umgebung bemerken. Ich bemerke zu diesen Versuchen, dass ich auch eine Verfärbung der Melano- phoren bei den Kontrollversuchen der in Glyzerin eingeschlossenen Hautstücken konstatiert hatte. Denn „Der Versuch ergab, dass die schwarzen Pigmente die Farbe auch etwas verändern. Die Pigmente nehmen einen sehr dunklen, roten Ton an* (p. 656). K. v. Frisch hat nun weitere Versuche in Schott’schen Gläsern aufgestellt. „Wenn farbiges Licht auf die Pigmentzellen in abgestorbenen Hautstücken überhaupt eine Wirkung ausübt, dann sollte man einen viel deutlicheren Effekt als bei Verwendung farbiger Papiere er- warten, wenn man die Hautstücke mit monochromatischem Lichte bestrahlt. Es standen mir einige Schott’sche Gläser, und zwar ein rotes, gelbes und blaues zur Verfügung. Als Lichtquelle diente eine Nernst-Lampe (Lichtstärke — 300 Normalkerzen). Ihr Licht wurde, nachdem es ein Wärmefilter (fließendes Wasser) passiert hatte, durch Linsen auf dıe Vorderwand eines kleinen Holzkästchens konzentriert; dieses war in vier lichtdicht voneinander abgeschlossene Fächer eingeteilt, in welche durch seitliche, Iichtdicht verschließbare Öffnungen die Präparate gebracht werden konnten. In der Vorder- wand des Kästchens besaß jedes Fach eine Öffnung, in welche die drei farbigen und eine farblose Glasscheibe eingesetzt wurden. Der Versuch an ın Glyzerin eingeschlossenen Hautstücken wurde bei solcher Anordnung noch zweimal wiederholt. Das Käst- chen war das eine Mal innen mit weißen, das andere Mal mit schwarzen Papier ausgekleidet. Der erste Versuch blieb 3 Wochen in Gang, die Lampe brannte Tag und Nacht. Es stellten sich während dieser Zeit keine Unterschiede an den Hautstücken in den 476 Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. verschiedenen Farben ein. Nur einmal (6 Tage nach Beginn) waren innerhalb der gelben Pıgmentzellen des Gelb- und namentlich des Rotpräparates zahlreiche rote Tröpfchen zu erkennen, deren rote Farbe aber 3 Tage später wieder vollständig verschwunden war. Ebensolche Tröpfchen traten im zweiten Versuche ım Blaupräparat und an einem Hautstück, das sich im Dunkeln hielt, auf. Nach 12 Tagen erschien das Rotpräparat, makroskopisch betrachtet, eine Spur mehr rötlich als die drei anderen, dem Lichte ausgesetzten Hautstücke, es war aber mit dem im Dunkeln aufbewahrten Hautstücke genau gleich gefärbt. Ich setzte ferner noch zweimal Hautstücke, ın denen die farbigen Pigmente durch Alkohol gelöst waren und welche auf Objektträgern unter Deckgläschen, an drei Seiten mit Wachs um- randet, in Wasser eingelegt waren, in dem Kästchen dem farbigen Lichte aus. Beim ersten Versuche schien nach 7 Tagen das Rot- präparat bei makroskopischer Betrachtung etwas mehr rötlich als dieanderen Präparate. Die mikroskopische Unter- suchung ergab, dass sie diesem Hautstücke mehr expandierte Melano- phoren vorhanden waren als ın den anderen; nur die expan- dierten Melanophoren verfärbten sich aber bei der Zer- setzung rötlichgelb, während die kontrahierten dunkel blieben. Zwischen den expandierten Melanophoren des Rot- präparates und denen der anderen Hautstücke ließ sich mikro- skopisch kein Unterschied erkennen. Nach 12 Tagen erschien das Gelbpräparat bei makroskopischer Betrachtung gelb- lich, das Rot- und Blaupräparat in gleicher Weise, schwach rötlich im Vergleich mit dem dem weißen Lichte ausgesetzten Hautstücke. Im Mikroskop sah man, wo zufällig Falten in den Hautstücken vorhanden waren und wo man also durch eine dieckere Hautschicht blickte, dass diese Differenzen auf eine diffuse Färbung in der Haut zwischen den Melanophoren zurückzuführen war. An diesen selbst waren keine Unterschiede zu bemerken. Als ich nun den Versuch nochmals in genau gleicher Anordnung aufstellte, war wieder nach 8 Tagen das Rotpräparat eine Spur mehr rötlichgelb als die anderen, infolge einer diffusen Ver- färbung zwischen den Melanophoren. Nach drei weiteren Tagen war das Gelb- und Weißpräparat genau ebenso verfärbt“ (p. 207209). Überblickt man diese Resultate, so sind sie, nach Frisch, nicht danach angetan, von der Existenz einer mechanischen Farben- anpassung im Sinne Wiener’s an toten Hautstücken von Fischen zu überzeugen. „Wir werden vielmehr, solange keine bessere Be- Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. ATT weisgründe vorliegen, auf eine derartige Annahme verzichten müssen,“ sagt Frisch. Wenn wir aber diese Versuche näher analysiereu, so werden wir sehen, dass sie ebensowenig für wie gegen dıe Annahme sprechen. Die Frisch’schen ersten Versuche, ohne Schott’sche Gläser, verliefen negativ aber doch nicht ganz, denn „die dem Sonnen- lichte ausgesetzten expandierten Melanophoren ver- färbten sich gelblich, während sie im Dunkeln schwarz blieben“ (p. 207). Frisch führt diese Verfärbung auf Verwesung zurück; nun ist doch die Frage zu beantworten, warum tritt die Verwesung und Färbung nicht im Dunkeln ein? K.v. Frisch hat diese Frage nicht aufgestellt und nicht beantwortet. Übrigens sind keine näheren Angaben über die Versuchsbedingungen vorhanden und man ist nicht ın der Lage, die Versuche näher zu analysıeren. Aus der zu sum- marischen Behandlung dieser Versuche kann man nichts über die Temperatur, Lichtverhältnisse (Lichtmengen zu verschiedenen Jahres- zeiten sind doch verschieden) ete. entnehmen. Die Versuche mit Schott’schen Gläsern sind von Frisch aus- führlicher behandelt und ich habe sie mit seinen eigenen Worten wiedergegeben. Der erste Versuch gibt nach 6 Tagen positives Resultat (in Gelb- und namentlich ın Rotpräparate zahlreiche rote Tröpf- chen). Das Verschwinden beweist nichts gegen die Wirkung des farbigen Lichtes, sondern ist höchstens ein Beweis der Unbeständig- keit, Unfixiertheit des Farbstoffes. Der zweite Versuch war vorzugsweise negativ: Ebensolche (rote) Tröpfehen traten ım Blaupräparate und ım Dunkeln auf; aber Frisch gibt hier keine näheren Angaben über den Zeitpunkt des Erscheinens. Das Positive des zweiten Versuches besteht darin, dass das Rotpräparat, makroskopisch betrachtet, eine Spur mehr rötlich er- scheint als die drei anderen, dem Lichte ausgesetzten Hautstücke, aber es ist gleichgefärbt mit dem ım Dunkeln aufbewahrten Haut- stücke. Wenn wir den Wert dieser von Frisch selbst angegebenen Tatsachen erwägen, so sehen wir, dass das Positive der Versuche, nämlich Gleichfärbung, rote Tröpfehen im Rot- und Gelbpräparate im ersten und das „mehr makroskopische Rötliche* des Rotpräpa- rates im zweiten Versuche über das Negative, nämlich rote Tröpf- chen im Dunkel- und Blaupräparate überwiegt. Denn wenn man nicht annimmt, dass das mehr Rötlichwerden des Rotpräparates nicht als Wirkung der roten Lichtstrahlen entstanden ist, so ist man doch zweifelhaft darüber, woher das größere Quantum kommt? Die negativen Ergebnisse sollen später erläutert werden. 4185 Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. Die zwei weiteren Versuche ergeben folgendes: Der erste Versuch: Positiv, Rotpräparat makroskopisch betrachtet nach 7 Tagen mehr rötlich als die anderen Präparate; mikroskopisch sind expandierte Chromatophoren rötlichgelb, die kontrahierten dagegen dunkel, beweist gar nichts gegen die Wir- kung der farbigen Strahlen, denn in den kontrahierten Melanophoren sind die Pigmente zusammengedrängter, die Pigmentschicht dicker, also die Wirkung ın der Zeit muss verschieden sein. K. v. Frisch erklärt das makroskopisch mehr Rote des Rot- präparates durch die größere Menge der expandierten Melanophoren und ın diesem Sinne wirkte das gleichfarbige Lieht zuerst expan- dierend und dann tritt nach Frisch bei der Verwesung die röt- lich-gelbe Färbung ein. Nun entsteht die Frage: kann das rote Licht eine größere Menge der Melanophoren in Hautstücke zur Expansion bringen ? Ist dieser Vorgang wahrscheinlich und stützen ıhn die Angaben aus der Literatur! Vom Standpunkte K. v. Frisch’s, der die Farben- we. bselreaktionen der blinden Fische, Pfrillen, Karauchen, Flussbarsche auf Vermittlung des Pinealorgans?) oder der epithelialen Auskleidung des Zwischenhirnventrikels zurückführen will, ist diese schweigende Annahme, die doch die Grundanlage seiner Erklärung bildet, un- wahrscheinlich. Für uns ist eine elektive Wirkung der Lichtstrahlen auf den Expansıonszustand der Melanophoren ebenfalls unbewiesen und infolgedessen betrachten wir das mehr Rötlichwerden des Rot- präparates als eine Folge der Bestrahlung mit rotem Lichte. Das Positive des ersten Versuches besteht weiter ım folgenden: nach 12 Tagen erschien das Gelbpräparat bei makroskopischer Betrachtung mehr gelblich, das Rotpräparat schwach rötlich, und das Negative, dass auch das Blaupräparat rötlich erschien. K. v. Frisch führt die Entstehung dieser Erscheinungen auf die diffuse Färbung in der Haut zwischen den Melanophoren zurück. Nun entsteht die Frage, wie kann durch eine diffuse Färbung beim (Gelbpräparat das Gelbliche, und bei einem Rotpräparate das höt- liche entstehen? Und noch die weitere Frage, warum entsteht eben beim Gelbpräparate die gelbliche Färbung und beim Rot- präparate die rötliche? Sind diese Gleichfärbungen durch die diffuse Färbung in der Haut zwischen den Melanophoren wirklich be- wiesen? Die diffuse Färbung und ihre Wirkung sind also sehr hypo- thetisch, das Problem der Entstehung der Gleichfärbung oder Homo- chromie wird verschoben. Das Positive des zweiten Versuches der zweiten Versuchsserie besteht ım folgenden: nach 8 Tagen ist das Rotpräparat eine 3) Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. Arch. f. ges. Phys. Bd. 138, 1911, p. 319—387. a Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 479 Spur mehr rötlichgelb als die anderen, infolge einer diffusen Verfärbung zwischen den Melanophoren; das Negative: nach 3 Tagen war das Gelb- und Weıißpräparat ebenso verfärbt. Wenden wir uns nun zur Erklärung der negativen Ergebnisse K. v. Frisch’s. 1. K. v. Frisch hat zuerst ohne Lösung des gelben Pigments gearbeitet, denn wir finden keine näheren Angaben in der Arbeit; darum war die Wirkung auf seine Glyzerinpräparate auf dem roten, orangeroten, dunkelgelben, hellgelben, schwarzen und weißen Glanzpapier undeutlich oder ergebnislos. 2. Wie er das gelbe Pigment gelöst hat, setzte er die Haut- stück in eine feuchte Kammer, deren Boden und Wände mit dunkel- gelbem, hellgelbem, schwarzem und weißem Glanzpapier beklebt war; bei diesen Versuchen hat er eine gelbliche Färbung konstatiert, aber auch an allen; jedoch keine ausführliche Beschreibung, keine näheren Angaben über Versuchsbedingungen. 3. Versuche mit Schott’schen Gläsern hat Frisch zuerst ohne Lösung der gelben Pigmente aufgestellt, denn er sagt „Nur einmal (6 Tage nach Beginn waren innerhalb der gelben Pigment- zellen etc.“ (p. 208). 4. Das gilt ebenso für den zweiten Versuch, wo also das Dunkelpräparat gleichgefärbt war mit dem Rotpräparat. Aus den Angaben K. v. Frisch’s ist nicht zu entnehmen, ob er die Pig- mente gelöst hat oder nicht; es ist also die Möglichkeit der anfäng- lichen Unterschiede nicht ausgeschlossen. 5. Bei der zweiten Versuchsserie waren die farbigen Piginente durch Alkohol gelöst. Bei dieser war die Wirkung auch die klarste. Das Gelbpräparat war gelblich, das Rotpräparat rötlich, und negatıv verlief die Wirkung, dass das Blaupräparat und Weiß- präparat sich auch rötlich bezw. rötlichgelb verfärbten. 6. Die Zersetzung geschieht bei intensivem Lichte, ın den Frisch’schen Versuchen mit Schott’schen Gläsern war die Licht- intensität nicht sehr groß. Ich habe zuerst an Glyzerinpräparaten ohne Untergrund, also dem entsprechen die Frisch’schen Weißpräparate, und Frisch hat an Blaupräparaten und anderen, unter unsicheren Versuchsbedin- gungen konstatiert, dass eine Tendenz der Melanophoren zum Zer- fall vorhanden ist, die sich darın äußert, dass dıe Melanophoren, wenn sie nicht farbig belichtet werden, eine rötlich oder rötlich- gelbe, nach mir dunkelbraune Färbung annehmen. Es scheint die Wirkung der farbigen Lichtstrahlen darin zu be- stehen, dass einzelne Phasen dieses von der Umgebung unabhängigen Zerfalls durch die Lichtstrahlen fixiert werden. Diese Fixierung ist an die gleiche Färbung ge- bunden. Es ist jedoch verständlich, dass die Bildung, Zerfall und 480 Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. Fixierung des Farbstoffes nicht in das Unendliche ın einem aus- geschnittenen Hautstücke vor sich gehen kann, einfach darum, weil das Stück abstirbt. Bei der Absterbung verfärben sich die Melanophoren dunkelrotbraun, und die Farbe ıst wohl zu unter- scheiden von den durch die Lichtstrahlen entstandenen Farben. Die hier vorgetragene Auffassung stützt sich auf die bisherigen Beobachtungen und erklärt am vollständigsten die bisher beob- achteten Tatsachen. Es folgt aus den bisherigen Darlegungen: 1. Es besteht eine Tendenz der Melanophoren zum Zerfallen an ausgeschnittenen Hautstücken ; dieser äußert sich im Verschwinden der schwarzen Farbe und Annehmen einer dunklen, rotbraunen oder gelbbraunen Farbe; 2. die Versuche von K. v. Frisch widerlegen keineswegs die Entstehungsmöglichkeit der farbigen Pigmente aus den schwarzen, sondern sprechen vielmehr zugunsten derselben (II. Versuchsserie, 2. Versuch); 3. die Entstehung der Homochromie nach der hier vorgetragenen Auffassung schließt keineswegs andere Faktoren aus, sondern dient dazu, um einen ganzen unverständlichen Komplex von Erscheinungen dem Verstehen näher zu bringen; 4 die Homochromie auf dem Wege der Entstehung der farbigen Pigmente wird auch durch andere Faktoren gestützt, besonders durch die Menge des Pigments, über welche Erscheinungen im folgenden Abschnitte berichtet wird. Die zersetzende Wirkung des Lichtes auf die Melanophoren ist keineswegs eine isolierte Erscheinung. Ich führe hier R. Du- boıs*) an: „La lumiere exerce egalement une action destructive sur beaucoup de pigments, particulierement sur le rouge retinieu ou erythropsine. Ce pigment se forme a l’obscurite, dans le fond de P’ouil et desparait a la lumiere, ce qui permet d’obtenir sur la retine des photographies, aux quelles on a donne le nom d’optographies, d’optogrammes et quı peuvent etre fixees avec lalun.*“ Die Wirkung der Strahlen ist verschieden; die der roten ist null, sie wird erhöht durch die grünen und erreicht die höchste Wirkung durch die blauen. 2, Über die Mengen des Pigments bei der Farbenanpassung. Man hat bisher den Farbenwechsel fast nur vom pbysikalisch- physiologischen Standpunkte untersucht. In dieser Hinsicht haben die Arbeiten Pouchet’s den größten Einfluss geübt. Die experi- 4) Action de la lumitre sur les animaux. — Trait@ de Physique Bio- logique publ. sous la Dir. D’Arsonsval, Gariel, Chauveau, May, Weiss. Paris 1903. T. II, p. 272—294. Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 481 mentelle Prüfung auch der anderen Faktoren wurde fast gar nicht geprüft und man begnügte sich mit theoretischen Annahmen. Den größten Einfluss hätte noch die Temperatur auf Farbwechsel und Pigmentbildung, und ın dieser Hinsicht ıst wichtig die Beobachtung von Standfuß°), dass die Färbung varıabler Puppen bei einer gewissen Temperatur von der Farbe des Unter- srundes abhänge. Denn, nach Standfuß lieferten Raupen von Vanessa cardui L, welche sich bei 440° C., und solche von Va- nessa articae L., die sich bei + 37° C., die in einem beiderseits mit weißen Leinen bespannten, dem vollen Tageslicht ausgesetzten Holz- rahmen verpuppten, Puppen von annähernd weißer Totalfärbung; bei — 18 bis 28° 0. dagegen ergaben sich Puppen von natürlichem graubraunen Kolorit. Die Beobachtung von Standfuß zeigt, dass eine Homochromie, die ın diesem Falle entweder auf Bildung oder Hemmung der Bildung der Pigmente beruht, auch von der Tem- peratur abhängig ist. Das ist vom chemischen Standpunkte fast selbstverständlich, aber doch ıst es nützlich, das auch hier zu be- tonen. Wenn die farbigen Strahlen eine Wirkung auf die Bildung der gleichfarbigen Pigmente ausüben, so müssen nach einer ge- wissen Zeit Unterschiede in der Pigmentmenge sich einstellen. Ich habe in der Nemachilus-Arbeit festgestellt, dass ın den meisten Fällen die jeweilig vorhandene makroskopische Farbe durch die gleichgefärbten Pıgmente bedingt ist und schwarzes Pigment, also Melanophoren, bedingen nur eine dunklere oder hellere Tönung der- selben Farbe durch dıe Kontraktion oder Expansion. Die Menge des Pigmentes zu prüfen war ich nicht imstande, weil die Zahl der Versuchstiere bei einzelnen Farbversuchen zu gering war. Ich werde aber einige Angaben aus den Arbeiten K.v. Frisch’s®) entnehmen. „Ob der Aufenthalt ın den verschiedenen Farben Unterschiede in der Menge des gelben Pıgments zur Folge hatte, darüber konnte ich nicht ganz ins Reine kommen. Es war auffallend, dass in der Epidermis bei den meisten (5) Gelbtieren das gelbe Pigment etwas reichlicher war als beı den Grün- und Kontrolltieren. Doch war in einem Falle umgekehrt das Gelb- tier sehr arm an gelbem Epidermispigment im Vergleich zum Grün- und Kontrolltier. Auch war keine deutliche Steigerung dieses Unterschiedes im Laufe der Monate zu beobachten. In der oberen und unteren Kutesschicht konnte ich in zwei Fällen keinen Unter- 5) Handbuch der paläarktischen Großschmetterlinge, 1896. Weiter P. Bachmetjev, Exper. Entomologische Studien, II. Bd., Sophie 1907. 6) Über die farbige Anpassung der Fische. — Zool. Jahrb. Abt. f. allg. Zool. u. Phys., Bd. 32, 1912. 482 Sederov, Über einige Farbenwechselfragen. schied in der Menge des gelben Pigments zwischen den drei Gruppen bemerken; ın einem Falle schien das Kontrolltier etwas reicher, in einem anderen Falle umgekehrt etwas ärmer an gelbem Pigment als das Grün- und Gelbtier, in zwei letzten Fällen (nach 22 Wochen) schien das gelbe Pigment der beiden Grüntiere etwas blasser als das der anderen Tiere“ (p. 202). Diese Angaben gelten für die blinden Pfrillen (Phoxinus laevis). Für sehende Pfrillen sind keine Angaben, wahrscheinlich wegen der kurzen Versuchs- dauer, gemacht. Über die an (sehenden) Orentlabrus gewonnenen Resultate sagt K.v. Frisch: „Ob in der Menge des in den Chromatophoren ent- haltenen Pigments Unterschiede bestanden, ließ sich nicht fest- stellen. Jedoch hatte es den Anschein, als wenn der diffuse blau- grüne Farbstoff in grünem Lichte vermehrt wurde. Denn in zwei von den bisher besprochenen drei Fällen waren beim Grüntier die Gewebe stärker blaugrün als beim Rot- und Kontrolltier, was nach Entfernung der Haut an der Körpermuskulatur deutlich zu erkennen war“ (p. 211). Über die Versuche an blinden Orenilabrus berichtet Frisch folgendermaßen: „Je zwei Individuen von (renilabrus roissali waren 2 und 3 Wochen im Versuche und blieben während dieser Zeit untereinander gleichgefärbt. Dagegen waren von je zwei Indivi- duen der Varietät gwinguemaculatus (von ca. 8 cm Länge) nach 1—2 Wochen die Rottiere an Körper und Flossen mehr röt- lich, die Grüntiere mehr grünlich gefärbt als die Kon- trolltiere; der Unterschied war lange nicht so stark wie bei den sehenden Tieren. Das Rottier der einen Gruppe starb nach 2 Wochen und ich kann daher über den Expansionszustand seiner Pigment- zellen nichts aussagen; doch ergab ein Vergleich mit dem zuge- hörigen getöteten Grüntiere, dass das Rottier reicher an roten Pigmentzellen war. Die anderen drei Tiere wurden nach 16tägigem Aufenthalte in den Farbaquarien fixiert. Die mikroskopische Unter- suchung ergab, dass zwischen drei Fischen kein Unterschied ım Expansionszustande der bunten Pigmentzellen (Melano- phoren waren sehr wenige vorhanden) bestand, sie waren überall stark expandiert. Dagegen besaß das Rottier sehr zahlreiche rote Pigmentzellen, beim Kontrolltier waren sie etwas weniger intensiv gefärbt, beim Grüntier sehr spärlich vorhanden“ (p. 213). Aus den an blinden Orenilabrus gewonnenen Resultaten folgt also, dass die farbigen Lichter auf den Kontraktionszustand der Pigmentzellen keine Wirkung ausüben. Diese Tatsache be- stätigt unsere Anschauung, dass keine elektive Wirkung der Strahlen auf den Expansionszustand der Chromatophoren vorhanden und dass infolgedessen die größere Menge der rötlichgelben Chromato- phoren nicht auf die Expansionstätigkeit oder irgendeinen Expansions- Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 483 reiz der roten Strahlen zurückzuführen ıst, sondern auf andere Faktoren; es ist also die mehr rötliche Farbe des Rotpräparates im ersten Versuche der zweiten Versuchsserie vom Standpunkte K. v. Frisch’s unverständlich. Es folgt ferner also, dass die Anpassung von blinden Oreni- labrus roissali an Grün und Rot durch die Differenzen in der Menge des gleichfarbigen Pigments zurückzuführen seı. K. v. Frisch ıst mit der Erklärung dieser Erscheinung ganz unsicher; er versucht sie auch nicht zu deuten. Denn ın der Zu- sammenfassung findet man in dieser Arbeit zwei ganz wider- sprechende Sätze; K.v. Frisch stellt zuerst eine allgemeine Schluss- folgerung, die aber sofort in den folgenden Sätzen durch die von ihm selbst beobachteten Tatsachen widerlegt werden. Frisch sagt (p. 2 u. 4) für Orenilabrus roissali: „Auch hier bleibt die Reaktion bei blinden Tieren völlig (?) aus. Ob die Anpassung an die Be- leuchtungsfarbe, welche im geringeren Grade auch bei einigen blinden Individuen von (renilabrus roissali zu beobachten war, durch Unterschiede in der Pıgmentmenge verursacht als Zufall oder als Einfluss des farbigen Lichtes auf die Pigmentbildung aufzufassen ist, muss angesichts der geringen Zahl der Versuchstiere (je zwei positive gegenüber drei negativen Fällen im roten und grünen Lichte) dahingestellt bleiben.“ Es ıst sonderbar, dass K. v. Frisch für die Pfrillen sagt, dass ein Einfluss der Farben auf die Pigmentbildung nicht nachzu- weisen war, wo doch er selbst festgestellt hat, dass bei den meisten(5) Gelbtieren der blinden Pfrillen ın der Epidermis das gelbe Pıgment etwas reichlicher war als bei den Grün- und Kontrolltieren. Es kann kein Zufall sein, wenn weiter der blaugrüne Farbstoff im grünen Lichte bei sehenden Crentilabrus roissali vermehrt worden war. Für sehende Pfrillen hat Frisch einfach darum keine An- gaben gemacht, weil sie zu kurze Zeit (6 Wochen) im Versuche waren. Es kann weiter kein Zufall sein, dass die Rottiere reicher an roten Pigmentzellen waren als die Kontrolltiere. Frisch hat also selbst entweder an blinden oder an sehenden Fischen die Vermehrung des gelben, roten und blaugrünen Pigments konstatiert. Wir sind nicht imstande, diese wiederkehrende Tatsache als einen Zufall anzunehmen, ein- fach darum, weil die Erscheinung nicht in allen Exemplaren prä- gnant und sehr klar war. Über die Vermehrung des Pigments bei der Farbenanpassung finden wir Angaben in einer weiteren Arbeit von K. v. Frisch’), 7) Über die Farbenanpassung des Crenilabrus. — Zool. Jahrb. Abt. f. allg. Zool. u. Phys., Bd. 33, p. 151—164. AS4 Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. obwohl diese Angaben betreffend der blinden Tiere, wegen der geringen Zahl und zu kurzer Versuchsdauer zu unvollständig sind, als dass man daraus so bestimmte negative Schlüsse ziehen kann, wie es K. v. Frisch getan hat. Die Angaben dieser Arbeit sind aber wertvoll, weil es nach der Auffassung des Verfassers selbst ganz eindeutig eine Vermehrung des blaugrünen Pigments bei der Farbenanpassung stattfindet. Die Ergebnisse der vorjährigen Versuche fasst Frisch folgender- maßen zusammen (p. 152): „Urentlabrus roissali wurde nach wenigen Tagen ım roten Lichte rötlich, im grünen grün und zwar durch entsprechende Änderung des Kontraktionszustandes seiner roten und gelben Pigmentzellen, die sich bei Aufenthalt im roten Licht stark expandierten (sehende!), ım grünen Licht stark kontrahierten und dann die blaugrüne, durch einen diffusen Farbstoff bedingte Grundfarbe des Körpers zur Geltung kommen ließ. Es hatte den Anschein, als würde ım grünen Lichte auch der diffuse braun- grüne Farbstoff vermehrt und die Anpassung dadurch noch ver- stärkt, doch war das Material zu umfangreich, um Zufälligkeiten auszuschließen. Bei blinden Tieren blieben diese Reaktionen und somit eine deutliche Anpassung an die Beleuchtungsfarbe vollständig aus, doch schien es, als wäre der Aufenthalt der blinden Tiere im farbigen Lichte auf die Pıgmentbildung nicht ohne Einfluss geblieben, als wären doch Andeutungen einer Farbanpassung auch bei den blinden Tieren durch Änderung der Pigmentmenge zu bemerken; es waren nach 1—2 Wochen zwei von den fünf ım roten Licht gehaltenen Tieren etwas mehr rötlich, zwei von fünf ım grünen Licht gehaltenen Tieren etwas mehr grünlich als die entsprechenden Kontrolltiere, und die Untersuchung ergab, dass diese Unterschiede auf Differenzen in der Menge der roten Pıgmentzellen zurückzuführen wären. Die neuen Versuche ergaben (p. 155—56): „Crentlabrus ocellatus reagiert also im allgemeinen auf rotes, gelbes und grünes Licht im gleichen Sinne durch Expansion seiner roten und gelben Pıgment- zellen, doch tritt die Reaktion nicht regelmäßig ein. Im blauen Licht erfolgt eine deutliche Anpassung, indem der Fisch seine Piıgmentzellen stark kontrahiert. Ich habe noch hinzu- zufügen, dass ın der Hälfte der Fälle (3 von 6) dıe Anpassung noch dadurch gefördert war, dass der diffuse blaugrüne Farbstoff, der die Haut und den ganzen Körper des Orenilabrus durchsetzt, im blauen Licht vermehrt worden war. Es war dies deutlich zu erkennen, wenn man den Fischen die Haut abzog und die Farbe des Fleisches verglich. Es erschien dann das Fleisch der Blautiere mehr bläulich oder sogar stark blaugrün, im Vergleich mit dem blassbläulichen Fleisch der übrigen Tiere. Bei einem Secerov, Über einige Farbenwechselfragen. 485 Fisch war die Zunahme des blauen Farbstoffes schon im Leben unzweifelhaft zu erkennen, da er an den Wurzeln der ventralen Flossen viel lebhafter blau war als die anderen Fische, während zu Beginn des Versuches kein solcher Unterschied bestanden hatte.“ Über die Vermehrung des blaugrünen Farbstoffes bei Orenilabrus roissali gibt Frisch folgendes an (p. 158): „Bei zwei Grüntieren und bei sämtlichen Blautieren war der diffuse blaugrüne Farbstoff stark vermehrt, was nach Entfernung der Haut an der Färbung des Fleisches deutlich zu erkennen war. ... Im Vor- jahre waren beim Abschluss der Versuche bei keinem der drei Rot- tiere, jedoch zweien der drei Grüntiere, die Gewebe auffallend reich an dem blaugrünen Farbstoff gewesen. Man muss also an- nehmen, dass bei (renvlabrus roissali im blauen Licht regel- mäßig, im grünen Licht oft der blaugrüne Farbstoff in den Geweben vermehrt wırd.“ Frisch fragt sich dann, worauf ist dies zurückzuführen? Ist dies eine direkte Wirkung des farbigen Lichts? „Weder im Vorjahre noch heuer war, wie ich gleich vor- wegnehmen will, bei einem der blinden Tiere auch nur eine Spur einer Vermehrung des fraglichen Farbstoffes im blauen oder grünen Lieht zu bemerken“ (p. 158). Diese Behauptung ist einfach un- richtig, denn erstens K. v. Frisch hat überhaupt die blinden Oreni- labrus roissali (siehe oben das Zitat) in kein blaues Farbaquarium gegeben und zweitens „waren von je zwei Individuen der Varietät quingquemaculatus (von ca. 8 cm Länge) nach 1—2 Wochen die Rot- tiere an Körper und Flossen mehr rötlich, die Grüntiere mehr grünlich gefärbt als die Kontrolltiere“ (p. 213, farbige Anpassung der Fische). Frisch spricht von einer Vermehrung von roten Pıgmentzellen bei den Rottieren; über den blaugrünen Farbstoff macht er keine Angaben. Wenn wir aber daran denken, dass nach der Auffassung von K.v. Frisch der blaugrüne Farbstoff bei den Grüntieren oft erscheint und dass die „regelmäßige“ Vermehrung des blaugrünen Farbstoffes bei Crenilabrus ocellatus nur in der Hälfte der Fälle (3 von 6) deutlich war; wenn wir denselben Maß- stab auch auf die blinden Tiere anwenden, so konnte die deutliche Vermehrung des blaugrünen Farbstoffes nur in einem Falle (2 Ver- suchstiere) erscheinen; wenn wir aber weiter berücksichtigen, dass die Anpassung bei den blinden Tieren nicht mit physiologischen Farbenwechselfaktoren (Gesichtswahrnehmungen, Nervensystem, Ex- pansionszustände etc.) kombiniert und verstärkt worden war und die Versuchszeit nur 1—2 Wochen dauerte, so erhellt sich der wahre Wert der Frisch’schen Behauptung. Auf Grund dieser falschen Annahme — die auch übrigens durch die Beobachtungen Frisch’s an Pfrillen (Vermehrung des gelben Pigments) —, dass keine Vermehrung des blaugrünen Farb- stoffes in blinden Tieren erfolgt, komnit Frisch zum Schlusse, dass XXXII. 32 486 Sederov, Über einige Farbenwechselfragen. das Funktionieren der Augen eine conditio sine qua non der Ver- mehrung des Pigments sei. Über die Wirkung des Funktionierens der Augen stehen nach Frisch zwei Möglichkeiten: entweder die Wahrnehmung des Blau resp. Grün bewirkt direkt (durch Vermittlung des Nervensystems) eine Zunahme des blaugrünen Farbstoffes; oder die Zunahme ist eine Folge der andauernden Kontraktion der roten und gelben Pigmentzellen, also indirekt durch die Gesichtswahrnehmungen aus- gelöst. Dass diese beiden Annahmen auf sehr schwachen Grundlagen beruhen, wird aus folgenden Fragen klar werden. Wie kann aus den gelben oder roten Pigmentzellen durch Kontraktion der blaugrüne Farbstoff gebildet werden? Und zweitens, wie kann die Wahr- nehmung des Blau, ein psychophysiologischer Vorgang, die Ent- stehung der blaugrünen Farben, des blaugrünen Pigments, also einen chemischen Vorgang bewirken? Bei dieser Annahme ist es das Unbegreifliche, nicht die Auslösung des chemischen Vorganges selbst, sondern die Beherrschung der Farbe des chemischen Vor- ganges, des blaugrünen Pigments durch die psychophysiologische Tätigkeit der Wahrnehmung. Es ist die Pflicht des Forschers, wenn er eine Annahme auf- stellt, sie auch etwas näher zu beleuchten und irgendwie mit den bekannten Erscheinungen in irgendeine Beziehung zu bringen. Hat die Beherrschung der Farbe der chemischen Stoffe durch Gesichts- wahrnehmungen in den Organismen ein Analogon? Soweit mir be- kannt ist, gibt es Vorgänge dieser Art nicht. Wir wollen die Annahmen nicht weiter zergliedern, weil sie auch keine Bedeutung haben. — Wir glauben, dass wır berechtigt sind, folgendes zu schließen: 1. dass der Nachweis der Entstehung der farbigen Pigmente aus den schwarzen durch die Frisch’schen Versuche keineswegs widerlegt sind; 2. dass die genauesten Versuche von K. v. Frisch (2. Versuch, Il. Versuchsserie m Schott’schen Gläsern) zugunsten der gleich- farbigen Zersetzung der schwarzen Pigmente sprechen; 3. dass die Beobachtungen K.v. Frisch’s über die Vermehrung der gleichfarbigen Pıgmentmenge bei der Farbanpassung zugunsten der mit Beleuchtungsfarbe gleichfarbigen Zersetzung der schwarzen Pigmente spricht; 4. dass K. v. Frisch eine Vermehrung des gelben Pigments bei blinden Pfrillen in gelber Umgebung, des roten bei den blinden Orentlabrus und des blaugrünen Pigments bei Ürenilabrus roissali und ocellatus konstatiert hat; 5. dass die Erklärungen K. v. Frisch’s über die Vermehrung des gleichfarbigen Piıgments auf so schwachen Grundlagen beruhen, dass sie kaum diskussionsfähig sind; Kornfeld, Uber Kiementransplantationen an Salamanderlarven. AST 6. dass die Konstatierung der Vermehrung, wie überhaupt der Zersetzung der schwarzen Pigmente von sehr vielen Umständen abhängt (Temperatur, mögliche Sensibilitätsperiode, Lichtmenge, verschleiernde Wirkung der physiologischen Faktoren des Farben- wechsels), deren einzelne Wirkungsweise zu ermitteln die Aufgabe der Zukunft ist. Über Kiementransplantationen an Salamanderlarven. (Vorläufige Mitteilung.) Von Werner Kornfeld. (Aus der Biologischen Versuchsanstalt in Wien, zoologische Abteilung.) Im September 1912 schlug mir Dr. Eduard Uhlenhuth vor, im Anschluss an seine Augentransplantationen an Salamandra maculosa Kiementransplantationen an demselben Objekte zu ver- suchen. Die Experimente sollten zeigen, ob auch transplantierte Kiemen in ähnlicher Weise vom Wirtstier beeinflusst werden, wie transplantierte Augen, ob auch hier eine synchrone Metamorphose, d. h. eine gleichzeitige Umwandlung des transplantierten Organes mit dem wirtseigenen unabhängig vom Alter des Transplantates erfolge. Die Versuche ergaben schon jetzt positive Resultate, die hier kurz mitgeteilt werden sollen. Eine genaue Beschreibung ein- zelner Fälle und Wiedergabe meiner Protokolle behalte ıch mir vor, bis einige noch nicht abgeschlossene und einige noch neu auf- zustellende Versuchsreihen durchgeführt sein werden. Wie die Fragestellung, so schloss sich auch die Operations- technik in allen wesentlichen Punkten der der Uhlenhuth’schen Augentransplantationen an. Es wurden stets rechte und linke Kiemen eines Tieres auf zwei verschiedene andere übertragen. Für die Operation wurde nach verschiedenen Orientierungsversuchen die Nackengegend gewählt. Das Transplantat wurde meist so auf- gelegt, dass die frei abstehenden Kiemenenden nach rückwärts ge- richtet waren. Eine erste Serie von Experimenten umfasste Vorversuche über die Kiementransplantationen im allgemeinen. Es zeigte sich, dass ein Verwachsen des Transplantates leicht und schnell erfolgt. Doch war sein weiteres Verhalten nicht so günstig, wie man es nach den Uhlenhuth’schen Augentransplantationen erwarten durfte. Während dort auf eine kurze Periode der Rückbildung meist eine Wiederaufdifferenzierung erfolgt, ließ sich bei den transplantierten Kiemen wenigstens makroskopisch nur eine Rückbildung feststellen. Diese betraf vor allem die Fiedern der Kiemen, die nach 3—4 Wochen meist ganz verschwunden waren, in geringerem Maße aber auch die Kiemenstämme. Hierin trat aber bald ein Stillstand ein. 4 Wochen nach der Operation bot das Transplantat meist folgendes 32* 488 Kornfeld, Uber Kiementransplantationen an Salamanderlarven. bis zur Metamorphose unverändert bleibendes Bild: Hinter einer Aufwölbung stehen die drei verschieden langen, manchmal noch schwach gezackten Kiemenstämme frei ab. Eine bisher nur ganz oberflächlich durchgeführte anatomische Untersuchung ergab, dass die Aufwölbung außer Muskulatur, Bindegewebe, Knorpel- stücken vom Kiemenbogen, Drüsen und Blutgefäßen in allen unter- suchten Fällen auch die, wie es scheint, stets mitübertragene Thymus enthält. Ihr Verhalten wird noch genauer zu prüfen sein. Die Kiemenstämme zeigen ein normales Bild: Vom Epithel um- schlossenes straffes Bindegewebe mit spärlichen Muskelzügen. Über den wichtigsten Punkt: Verlauf von Blutgefäßen, kann ich noch kein Urteil abgeben. Das Transplantat, das sich nach der anfäng- lichen Fiederrückbildung in einigen Fällen schon bis zu 8 Monaten scheinbar unverändert erhielt, muss vom Wirtstier mit Blut ver- sorgt werden. Wie diese Versorgung stattfindet, ıst eine noch offene und sehr schwer zu entscheidende Frage. Es wäre vielleicht daran zu denken, dass gerade eine ungenügende Blutzufuhr die Wiıederaufdifferenzierung der Fiedern verhindere. Da die Kiemen ihrer Funktion entsprechend viel mehr Blutzufuhr brauchen, als etwa das Auge, könnte man vielleicht daran denken, die fehlende Wiederaufdifferenzierung der eigentlich funktionellen Teile mit einem Ausfallen des funktionellen Reizes ın Zusammenhang zu bringen. Doch liegt bisher keine Tatsache vor, die eine solche Deutung unterstützt. Eine zweite Versuchsserie sollte zeigen, ob erstens ein Stutzen der eigenen Kiemen einen Einfluss auf das Verhalten des Trans- plantates hat, und zweitens ob ein Stutzen des Transplantates etwa durch Schaffung einer freien Wundfläche Regeneration und Wieder- aufdifferenzierung herbeiführen könne. Positive Resultate wurden hier noch nicht erzielt, doch ist jedenfalls noch das Ergebnis einer Wiederholung dieser Versuche abzuwarten. Als wichtigste Versuche wurden in einer dritten Serie Transplan- tationen zwischen verschieden alten Tieren durchgeführt. Es zeigte sich, dass nicht nur überhaupt eine Metamorphose des Transplan- tates stattfindet, sondern dass diese auch tatsächlich unabhängig vom Alter des Transplantates genau gleichzeitig mit der Metamor- phose des Wirtstieres erfolgt. Die Metamorphose des Transplantates äußert sich in einer plötzlich einsetzenden, raschen und vollständigen Rückbildung der bis zur Metamorphose des Wirtstieres (oft bis zu 8 Monaten) unverändert erhalten gebliebenen Kiemenstämme des Transplantates. Beweisend scheint mir beispielsweise eine Anzahl von Fällen, bei denen von etwa 5 Wochen alten frühlarvalen Tieren, die von der Rückbildung ihrer Kiemen noch Monate entfernt waren, die eine Kieme auf ein gleich junges, die andere auf ein 5—6 Monate altes, nahe vor der Verwandlung stehendes Tier übertragen wurde. Kornfeld, Uber Kiementransplantationen an Salamanderlarven. >3s4 Nach der Transplantation zeigte sich wie immer erst eine sofortige langsame Rückbildung der Fiedern und dann ein Stillstand. Dieser Vorgang spielte sich je in den beiden auf verschieden alte Tiere verpflanzten Kiemen eines Tieres in genau gleicher, auf den Tag übereinstimmender Weise ab, bis das ältere Tier in Metamorphose trat, was sich in starker Häutung, Rückbildung des Ruderschwanzes und der eigenen Kiemen äußerte Genau zur selben Zeit trat innerhalb von 1 —4 Tagen eine vollständige Rückbildung der Kiemen- stämme des Transplantates ein, während auf dem jüngeren Tier das bis dahin sich genau gleich verhaltende Transplantat weiter unverändert blieb, bis das jüngere Tier in Metamorphose trat. Auch der umgekehrte Fall wurde untersucht und brachte die entsprechenden Resultate. Er zeigte, dass auch ein Hinausschieben der Verwand- lung des Transplantates durch Überpflanzung auf ein jüngeres Tier erzielt werden kann, so wie in dem besprochenen Fall eine be- schleunigte Metamorphose erreicht wurde. Auch die genau syn- chronen Metamorphosen der Transplantate aus der ersten und zweiten Serie können zur Stützung der Tatsachen herangezogen werden. Die Rückbildung der Kiemenstämme am Transplantat begann immer in den letzten 1—3 Tagen des Wasserlebens der Tiere und war m den ersten 1--3 Tagen ihres Landlebens vollendet. Die Rückbildung der eigenen Kiemen beginnt meist schon längere Zeit vor dem ans Land gehen der Tiere und geht nun an Stämmen und Fiedern gleichzeitig vor sich. Worauf die Verschiedenheit ın der Zeit und in der Art der Rückbildung zurückzuführen ist, lässt sich heute noch nicht angeben. Vielleicht werden hierüber, sowie über- haupt über die Frage der Kiemenrückbildung und auch über die Frage, warum es’ bei der Kiementransplantation nicht zu einer Wiederaufdifferenzierung der Fiedern kommt, schon eingeleitete Versuche über das verschiedene Verhalten normaler und transplan- tierter Kiemen im Wasser und im feuchten Raum Aufschluss bringen. Meme bisherigen Resultate lassen sich folgendermaßen zu- sammenfassen: Die Transplantation der Kiemen führt zunächst zu einer langsamen Rückbildung der Fiedern, die unab- hängig vom Alter des Transplantates und vom Alter des Wirtstieres gleich nach der Operation erfolgt. Die Rück- bildung der Kiemenstämme, die wir als den Ausdruck der Metamorphose des Transplantates betrachten dürfen, erfolgt unabhängig vom Alter des Transplantates genau synchron mit der Metamorphose des Wirtstieres. 490 Ballowitz, Das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung ete. Das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung in den Erythrophoren von Knochenfischen. Nach Beobachtungen an der lebenden Rotzelle von Maullus. Mit 5 Textfiguren. Von E. Ballowitz in Münster i. W. In einer Mitteilung, welche kürzlich ın Nr. 5 des 33. Bandes dieses Biologischen Centralblattes erschienen ıst, habe ich!) über Beobachtungen berichtet, welche die Kerne der Melanophoren der Knochenfische betrafen. Ich stellte an dem von mir untersuchten Objekt fest, dass die Zellkerne durch die Pigmentströmung nicht beeinflusst werden, vielmehr ın ihrer ursprünglichen Lage, oft weit ab von der zusammengeballten Pıgmentmasse, verbleiben. Da die Kerne nun nicht frei ım Gewebe liegen können, vielmehr vom Zellprotoplasma umgeben sind, so folgt daraus weiterhin, dass auch das Chromatophorenprotoplasma bei der Pıgmentströmung an Ort und Stelle liegen bleibt. Die Ausbreitung und Zusammenballung des Pigmentes kann daher nicht dadurch verursacht werden, dass die Chromatophoren, gleich Amöben, pigmenthaltige Fortsätze aus- streckten und wieder einziehen, vielmehr handelt es sich hierbei um Pigmentverlagerungen, ein Ausströmen und Zurückströmen der Pigmentkörnchen ın dem unverändert persistierenden Protoplasma. Durch meine Feststellungen am lebenden Objekt kam ich zu der Überzeugung, dass die Körnchenströmung innerhalb feiner Kanälchen mit kontraktiler Wandung stattfindet, die ın großer Zahl und in radıärer Richtung das Chromatophorenprotoplasma durchziehen. Diese Beobachtungen machte ich an einem äußerst günstigen Objekt, welches gestattete, die intrazellulären Pıgmentströmungen viele Stunden lang zu beobachten?). War doch bıs jetzt die Pig- mentströmung an den lebenden Chromatophoren erwachsener Knochenfische ın voller Intensität bisher von niemand gesehen worden. Ein ähnlich günstiges Objekt fand ich nun bei einem kürz- lichen Studienaufenthalte an der zoologischen Station in Neapel ın den Erythrophoren der Seebarben, Maullus barbatus L. und Meullus surmuletus L., auf. Da ich den Bau und die Bewegungserschei- 1) E. Ballowitz, Das Verhalten der Zellkerne bei der Pigmentströmung in den Melanophoren der Knochenfische. (Nach Beobachtungen am lebenden Objekt.) Mit 8 Textfiguren. Biolog. Centralbl. Bd. XXXIII, Nr. 5, 20. Mai 1913 2) Vgl. hierüber auch: E. Ballowitz, Über chromatische Organe, schwarzrote Doppelzellen und andere eigenartige Chromatophorenvereinigungen, über Chromato- phorenfragmentation und über den feineren Bau des Protoplasmas der Farbstoffzellen. Mit Demonstrationen und kinematographischer Vorführung der bei Ölimmersion aufgenommenen Körnchenströmung in den Chromatophoren. Vortrag, gehalten auf der 27. Versammlung der Anatomischen Gesellschaft in Greifswald, 10.—13. Mai 1913. Verhandlungen der Anatomischen Gesellschaft. G. Fischer, Jena 1913. Ballowitz, Das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung ete. 491 nungen dieser eigenartigen Zellen ın einer demnächst im Archiv für mikroskopische Anatomie erscheinenden Abhandlung?) schildern werde, möchte ich im Anschluss an meine oben zitierte Mitteilung hier nur das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung nach Beobachtungen an der lebenden Pigmentzelle berühren. Die Erythrophoren von Mellus sınd relativ kleine, sehr zier- liche, stark abgeplattete, dünne Farbstoffzellen, welche in der Leder- haut parallel der Hautoberfläche ausgebreitet liegen. Ihr Pigment ist im ausgebreiteten Zustande von schöner, hellziegelroter Färbung. Von einer kleinen zentralen Scheibe strahlen ausgesprochen keil- förmige Fortsätze aus, deren Zahl aber nur gering ıst. Eigentüm- lich an diesen Zellen ıst, dass nur ein einziger, ziemlich großer Kern in einer jeden Zelle vorhanden ist und dass dieser Kern ganz peripher ım äußeren Abschnitt eines Fortsatzes liegt. Ist das Pigment ausgebreitet, so tritt der Kern als heller, aus- gesparter Fleck sehr deutlich hervor. Stellt man die obere oder die untere Oberfläche des abgeplatteten Kernes ein, so sieht man, dass auch diese von Körnchenreihen des radıär ausgebreiteten Pig- mentes bedeckt sınd, mithin der Kern ringsherum von dem pig- menthaltigen, kanalisierten Protoplasma umgeben wird. Ballt sich das rote Pıgment zusammen, so konzentriert es sich in einer relativ kleinen, dunkelroten Scheibe, ın welcher keine Spur des Kernes zu erkennen ist. Die Ausbreitung und Ballung des Pigmentes finden nun bei diesen Mullus-Zellen sehr schnell, momentan, statt und folgen sich in dem bei starker Ölimmersion unter Beobachtung stehenden Prä- parat häufig aufeinander. Man überblickt daher wiederholt an ein und derselben Zelle alle Stadien der Ausdehnung und Ballung des Pigmentes und stellt auf das leichteste fest, dass das Pigment stets ın dieselben Fort- sätze hineinschießt, und dass der Kern dabei seine ursprüngliche Lage bewahrt. Die Fortsätze zeigen jedesmal dieselbe Größe und Form. Wenn das Pigment in sie hineinströmt, so umbrandet es förmlich den Kern, der dabei in derselben Zelle stets in gleicher Lage und gleicher Form angetroffen wird. Diese Rotzellen zeigen daher bei Beobachtung am lebenden Objekt auf den ersten Blick auf das deutlichste, dass Protoplasma und Kern bei den Pigmentströmungen formbeständig sind und an ihrem Platze verbleiben. Fig. 1a demonstriert eine solche Rotzelle von Malluıs mit 5 breitkeilförmigen Fortsätzen, in welchen sich das Pigment in 3) E.Ballowitz, Über die Erythrophoren in der Haut der Seebarbe, Mullus L., und über das Phänomen der momentanen Ballung und Ausbreitung ihres Pigmentes. Nach Beobachtungen an der lebenden Zelle. Mit 2 Tafeln. Arch. f. mikroskopische Anatomie, 1913. 492 Ballowitz, Das Verhalten der Kerne bei der Pigmentströmung etc. radiären Körnchenreihen ausgebreitet hat. In der peripherischen Hälfte eines Fortsatzes macht sich der Kern als rundlicher, ausgesparter, heller Fleck geltend. Fig. 1b führt uns das andere Extrem vor. 2 2 Pla Fig. 2a. Das Pigment ist jetzt zu einer kleinen Scheibe mit deutlicher Sphäre zusammengeballt und hat sich völlig von dem Kern zurückgezogen. Der letztere ist in größerer Entfernung von der Pigmentscheibe als zart umrandeter Kreis deutlich erkennbar. Seine Entfernung Ballowitz, Das Verbalten der Kerne bei der Pigmentströmung etc. 403 vom Mittelpunkt der Sphäre ıst genau dieselbe geblieben wie bei ausgebreitetem Pigment. Das gleiche zeigen uus die Figuren 2a und b. In Fig. 2a erblicken wir einen Erythrophor mit nicht vollständig ausgebreitetem Pigment. Seine Fortsätze grenzen sich nicht deutlich voneinander ab, wie es bisweilen vorkommt. An einer Stelle ganz peripher ist der Kern noch ringsherum von Pigment umgeben und als helle, ovale, relativ große Stelle sehr auffällig. Fig. 2b daneben illustriert dieselbe Zelle mit völlig zusammengeballtem Pigment. Auch hier ist der Kern sehr deutlich und in genau derselben Lage befindlich, die er in der Zelle bei ausgebreitetem Pigment hat, wie die Mes- sung ergibt. So oft sich nun die Pigmentzelle unter dem Mikro- skop ausbreitet und zusammenzieht, bleiben die Zahl und Form der Fortsätze, ebenso wie die Lage des Kernes doch stets die gleichen. GERT an... Fig. 3. Fig. 4. Das Liegenbleiben des von Pigment völlig entblößten Kernes beweisen auch die Figuren 3—5. Die gesamte Pigmentmasse hat sich in diesen Figuren zu einer etwas unregelmäßig begrenzten Scheibe konzentriert, in welcher der zentrale Sphärenfleck und eine radıäre Struktur zu erkennen sınd. In größerer Entfernung ist bei jeder Pigmentscheibe der zu dem be- treffenden Chromatophor gehörige Zellkern festzustellen. Das war in den Präparaten ein ganz regelmäßiger Befund. Die roten Mullus-Zellen liefern daher noch viel leichter und schöner als die Melanophoren den Beweis, dass die Chromato- phoren formbeständig sind. und die Formveränderungen ihrer Pig- mentmassen durch Aus- und Zurückströmen der Pigmentkörnchen in den mit dem Kern persistierenden Zellfortsätzen hervorgerufen werden. In betreff der eigenartigen Bewegungserscheinungen dieser Mudllus-Zellen, welche ich auf Strömen der Pigmentkörnchen ın radıären Kanälchen und Kontraktion ihres Wandungsprotoplasmas zurückführe, verweise ich auf meine oben angeführte Abhandlung. h 494 Erhard, Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes der Daphniden. Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes der Daphniden. Von H. Erhard. (Aus der Kgl. Augenklinik zu München.) Bekanntlich bewegen die Daphnien ıhr Auge der einfallenden Lichtquellezu. Nun fand v. Heß (2,5), dass diese Augenbewegungen bei Anwendung farbiger Lichter „ın den hier wesentlichen Punkten eine solche Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichtes zeigten, wie es der Fall sein muss, wenn die relativen Helligkeiten der ver- schiedenen farbigen Lichter für das Daphnienauge ähnliche oder die gleichen sind, wie für das total farbenblinde Menschenauge (l. e., S. 634). Bei diesen Untersuchungen benützte v. Heß farbige Glaslichter und spektrale Lichter. Nachdem v. Heß (4) zunächst für Onlex-Larven gezeigt hatte, dass sogar das von farbigen Papierflächen zurückgeworfene Licht zu solchen Lichtsinnversuchen verwendet werden kann, stellte ich auf den Rat von Herrn Geheimrat v. Heß an Simocephalus Ver- suche mit solehen farbigen Flächen an. Es sollte versucht werden, ob auch mit dieser so einfachen, von jedermann leicht nachkon- trollierbaren Methode verwertbare Resultate an Daphniden erzielt werden könnten. Vor den Versuchen wurden die farblosen Helligkeitswerte der farbigen Flächen durch Beobachtung mit gut dunkel adaptierten Augen bei entsprechend herabgesetzter Belichtung festgestellt. Außerdem wurden sie noch einem total farbenblinden Jungen vor- ' gelegt. Die mikroskopische Beobachtung der unter dem Einfluss farbiger Lichter auftretenden Augenbewegungen geschah auf zweierlei Weise: 1. Das Mikroskop wurde allseitig von schwarzer Pappe um- geben, die nur auf einer Seite einen Ausschnitt hatte. Vor diesen wurden abwechselnd farbige Flächen!) unter annnähernd konstantem Winkel zur Lichtquelle (helles Fenster) so gehalten, dass sie das Himmelslicht auf die Mitte des Objektträgers zurückwarfen. Die an dieser Stelle in einer Aushöhlung des Objektträgers unter Deck- glas befindlichen Tiere befanden sich in Seitenlage. Nur frische Tiere erwiesen sich als völlig geeignet. 2. Sind. die Tiere so gerichtet, dass sie der einfallenden Licht- quelle zugekehrt sind, so erfolgt bei raschem Ersetzen einer hell- grauen durch eine dunkelgraue Fläche ein Abwenden des Auges. Das Auge wird nach oben zurückgedreht. Umgekehrt wird das Auge wieder zur einfallenden Lichtquelle gewendet, wenn die dunkel- 1) Es waren dies Kartons von 11,5 em Breite und 14 cm Höhe, überzogen mit mattfarbigen Pigmentpapieren. Die grauen Papiere stammten von H. Mitter, Leipzig, Neumarkt, die andersfarbigen von G. A. Rietzschel, Leipzig, Kreuzstraße 12. Es waren also die gleichen, die Hering — zu seinen Farbgleichungen benützt hatte. Erhard, Beitrag zur Kenntnis des Lichtsinnes der Daphniden. 415 sraue durch die hellgraue Fläche ersetzt wird. Beides geschieht, wie es v. Heß (3) S. 633, Fig. 8 und 9 abbildet. Wir wollen, dem Vorgange von v. Heß folgend, die erstere Bewegung als Ver- dunklungsbewegung, die letztere als Erhellungsbewegung bezeichnen. Belichtet man das Tier von rückwärts oben, so ıst der Vor- gang natürlich umgekehrt. Bei Verdunklungsbewegung wird das Auge nach vorn abwärts, bei Erhellungsbewegung nach rückwärts aufwärts gedreht. Wir wollen im folgenden, um Verwechslungen zu vermeiden, stets die Bewegungen bei Belichtung von vorn schildern. Belichtete ich das Auge mit einer blauen und dann einer für den farbentüchtigen Menschen heller roten Fläche, so erfolgte den- noch bei Erscheinen von Rot Verdunklungsbewegung. Bei Er- setzen der roten durch eine blaue Fläche trat bei Erscheinen der letzteren Erhellungsbewegung ein. Abwechselnd Ersetzen von Rot durch Hellgelb hatte bei Erscheinen von Rot Verdunklungsbewegung zur Folge, ebenso von Rot durch Grün. Ein für mich helles Gelb abwechselnd mit einem für mich dunkleren Grün ergab trotzdem Verdunklungsbewegung in Gelb und umgekehrt. In dieser Weise wurden zahlreiche verschiedene Kombinationen versucht. Eine zweite Versuchsanordnung war die, dass große (35 : 40 cm) mattfarbige Flächen gleicher Herkunft, die das Himmelslicht reflek- tieren sollten, nicht mit der Hand vorgehalten wurden, sondern beweglich zum Auf- und Abziehen in einem Gestell nach Art einer Guillotine waren. Das reflektierte Licht wurde in diesem Fall nicht auf die Tiere direkt, sondern durch eine Öffnung der das Mikro- skop umgebenden schwarzen Pappe auf den Spiegel des Mikroskops und von diesem auf die Tiere gerichtet. Das Ergebnis war das gleiche. 5 Als nun dem total Farbenblinden die einzelnen Farbenflächen vorgehalten wurden, entsprachen seine Aussagen in allen Punkten genau dem an Simocephalus ermittelten. Besonders bemerkenswert war auch hier, dass er die rote Fläche als „schwarz“ erklärte, da- gegen eine für mich dunklere blaue als „viel heller“. Ebenso war für ıhn das dunklere Grün heller als das hellere Gelb, ja, ein noch dunkleres Grün als das benutzte kam ihm immer noch etwas heller vor als das benützte Gelb. Ein schönes leuchtendes Rot war für ıhn „fast gleich“ einem ihm vorgehaltenen tatsächlichen Schwarz u.s. w. All dies entsprach ganz der zuerst von E. Hering (1) fest- gestellten Tatsache, dass die Helligkeitswerte der verschiedenen farbigen Lichter für den total Farbenblinden andere sind wie beim Normalen. Die Helligkeitswerte der Farben für den Normalen steigen von der Grenze des Ultraviolett bis zum Gelb und sinken dann bis zur Grenze des Ultrarot; für den total Farbenblinden steigen sie am kurzwelligen Ende bis zum Gelbgrün an und sind 496 Prell, Über zirpende Schmetterlingspuppen. bereits im Rot stark verkürzt. Dieses Verhalten ist stets für den total Farbenblinden, und zwar nur für ıhn bezeichnend, wie die Erfahrung lehrt. Hätten die Daphniden einen dem unsrigen irgend- wie vergleichbaren Farbensinn, so müssten die Augenbewegungen bei verschiedenfarbiger Belichtung ın durchaus anderer Weise ver- laufen, als es ın der Tat der Fall war. Es lehren also auch diese Untersuchungen mit Pig- mentpapieren, dass die Helligkeitswerte der verschie- denen farbigen Lichter für das Daphnidenauge die gleichen oder mindestens sehr ähnliche sind wie für das Auge des total farbenblinden Menschen. Herrn Geheimrat v. Heß, ın dessen Institut und unter dessen Leitung diese Versuche ausgeführt wurden, möchte ıch auch an dieser Stelle für sein großes Entgegenkommen, seine Hilfsbereit- schaft und seine Ratschläge meinen verbindlichsten Dank sagen. München, Juni 1913. Literaturverzeichnis. 1. Hering, E. Untersuchung eines total Farbenblinden. Arch f.d. ges. Physiol., 3d. 49, 1891. 2. Heß, ©. Neue Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren. Arch. f. d. ges. Phys., Bd. 136, 1910. 3. — Gesichtssinn. In: Handbuch der vergleichen: Jen herausgeg. v. H. Winterstein. Jena, G. Fischer, 1912, 21. Lieferung. 4. — Neue Untersuchungen zur vergleichenden Phy on des Gesichtssinnes. IV. Untersuchungen über den Lichtsinn der Larven von (ulex nemorosus. Zool. Jahrb. Abt. f. allg. Zool. u. Phys., Bd. 33, Heft 3, 1913. Über zirpende Schmetterlingspuppen. Von Dr. Heinrich Prell. (Aus dem Zool. Institut der kgl. Forstakademie Tharandt.) Mit 5 Figuren. Beim Ausräumen eines Zuchtglases, in welchem Raupen von Zephyrus quercus L. aufgezogen und zur Verpuppung gebracht wurden, fiel dem Präparator des hiesigen zoologischen Institutes, Herrn Herpig, ein feines „piependes“ Geräusch auf. Der Ton konnte nur von den auf dem Tische liegenden Puppen ausgehen, und in der Tat ließ er sich sehr deutlich wahrnehmen, wenn man dieselben in der hohlen Hand ans Ohr hielt. Da genauere Angaben über eine derartige Lautäußerung nicht vorliegen und ihr Vorhandensein auch biologisch einiges Interesse beanspruchen dürfte, erbat und erhielt ich eine der Puppen zur Untersuchung. Im folgenden soll nun das Ergebnis mitgeteilt und eine Schilderung des tonerzeugenden Apparates gegeben werden. Die Raupe von Zephyrus quercus verpuppt sich auf dem Boden im Laube ohne Anheftung an festen Gegenständen. Die braune, Prell, Über zirpende Schmetterlingspuppen. 497 schwarzgesprenkelte Puppe (Fig. 1) erinnert im Habitus stark an eine Heterocerenpuppe. Sie ist ziemlich kurz und diek, ohne irgend- welche Prominenzen, und besonders auf der Dorsalseite mit sehr kurzen pinselförmigen Borsten besetzt, zwischen denen in der Nähe der Stigmen auch längere morgensternförmige Borsten auftreten. Sehr bemerkenswert ist es, dass die Puppe scheinbar völlig unbe- weglich ist, da ihr die Fähigkeit des „Schlagens“, welche anderen Puppen zukommt, abgeht. Rösel erklärte sie daher für starr, und, soviel ich sehen kann, ist diese Ansicht noch nicht aufgegeben worden. Betrachtet man bei schwa- cher Vergrößerung die Puppe, so findet man, dass die Anein- anderfügung der Hinterleibsringe an ihr nicht überall gleichartig ist. Während für gewöhnlich die Segmente ganz fest miteinander verkittet sind, klafft auf der Dorsalseite, ventralwärts allmäh- lich verschwindend, zwischen dem 5. und 6. Segmente ein deutlicher feiner Spalt. Wenn irgendwo, so musste hier also die Schallquelle zu suchen sein, denn dass es sich um Stridulation handeln müsse, war von Anfang an zu erwarten. Die Puppe wurde nun durch leichte Berührung oder durch Anhauchen zur Stridulation ver- anlasst. Noch bei der Betrachtung mit starker Lupenvergrößerung ließ sich keine Bewegung im Ge- biete des Stridulationsspaltes be- merken. Fig. 1. von Z.quereus2 (X 8,3). A— Abdominal- segmente. At — Antenne. Au — Auge. Seitliche Totalansicht der Puppe B — Beine. Fl — Flügel. K — Kopf. Mx& — Maxille. $ti — Stigma. Str — Stridulationsspalte. T — Thorakal- segmente. Erst unter Anwendung 60facher Binokularvergrößerung und bei dorsaler Aufsicht sah man deutlich, dass die hintere Hälfte des Abdomens ganz schwach gegen die vordere gehoben und ge- senkt, beziehungsweise herangezogen und losgelassen wurde. Gleich- zeitig mit diesen Bewegungen konnte man die einzelnen Stöße des Zurptones unterscheiden. Hierauf wurde die Puppe seziert und die einzelnen Inter- segmentalbezirke genauer untersucht. 498 Prell, Über zirpende Schmetterlingspuppen. Dabei zeigte es sich, dass die „starren“ Intersegmentalverbin- dungen sich durch leichten Zug lösen ließen (Fig. 2). Dann trat zwischen den beiden dicken braunen, mit borstentragenden Chitin- leisten skulpierten Hauptschuppen eine glashelle Interskleritalhaut hervor, welche sehr zarte, in unregelmäßigen Reihen angeordnete Spinulae trägt. Nach den Rändern zu werden die Spinulae etwas gröber und mögen hier mit zur Verankerung der beiden Platten aneinander beitragen. In der Mitte der Interskleritalhaut findet A 4 A,— Im Sp— ce BB 62 & e a0 0°, 50° VOW on? a5 v 3.56% . ® NE Rp r = Irre ag © Mg a Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 2. Intersegmentalbezirk zwischen 4. (A) und 5. (A) Abdominalsegment. Ps — Präsegmentalleiste (X 100). Fig. 3. Intersegmentalbezirk zwischen 5. (A) und 6. (A) Abdominalsegment. Ps — Präsegmentalleiste. Rp — Reibplatte. Sp — Schrillplatte (X 100). Fig. 4. Querschnitt durch den a) 4.:5., b) 5.:6. Intersegmentalbezirk. Lm — Längs- muskel. Rp — Reibplatte. 5» — Schrillplatte. sich eine undeutlich begrenzte Chitinspange, welche der dorsalen Längsmuskulatur zum Ansatze dient und als Präsegmentalleiste zu identifizieren ist. Im Querschnitte der nicht gelockerten Segment- verbindung (Fig. 4a) sieht man die fest aufeinander gepressten Hauptplatten und die taschenförmig dazwischen eingestülpte Inter- skleritalhaut mit dem an der Präsegmentalleiste ansetzenden Longi- tudinalmuskel. Etwas anderes ist das Bild an der Stridulationsspalte (Fig. 3). Hier nimmt das Chitin am Hinterrande der 5. Hauptschuppe zu- nächst an Dicke ab und ist mit verstreuten gröberen Zähnchen be- setzt. Wenig weiter hin treten dann die Spinulae dicht aneinander, Prell, Über zirpende Schmetterlingspuppen. 499 das Chitin wird stärker, und es entsteht ein schmales, nach hinten ziemlich scharf begrenztes rauhes Band, welches die Schrillplatte bildet. Hierauf folgt eine Zone dünnen Chitins mit feinen Spinulae, welche in der Mitte die muskeltragende Präsegmentalleiste enthält. Nach hinten zu verdickt sich das Chitin allmählich, die Spinulae werden größer, treten dicht zusammen und es bildet sich so eine in der Aufsicht allerdings nur teilweise sichtbare Reibplatte, welche direkt in die leistenbesetzte Hauptplatte des 6. Segmentes über- geht. Im Querschnitt der etwasauseinandergezoge- nen Stridulationsspalte (Fig. 4b) sieht man, dass der schräg von vorn nach hinten geneigten Schrill- platte die ebenso gerich- tete Reibplatte gegenüber liegt, und man kann deut- lich erkennen, wie durch den Zug der Längs- muskulatur die Rücken. schuppe des 6. Segmentes über den Hinterrand der vorangehenden hinaufge- schoben wird, wobei dann die beiden zahntragenden Platten übereinander gleı- ten und den Stridula- tionston hervorbringen. Verfolgt man die Schrillplatte nach den Seiten zu, so findet man Re | 2 | | ee liaherallals anı SE 3. ulerrard u nen in 5 : 3 3 er Höhe des Stigmas.. (Il — borstentragende nähernd gleich breit blei- (itinleisten. Ps — Präsegmentalleiste. Sp — bendes Band. Lateral Schrillplatte. Sti -— 5. Abdominalstigma (X 100). steigt sie ebenfalls ziem- lich weit herab, um schließlich in der Höhe des Stigmas aufzuhören (Fig. 5). Die Grenzen der Reibplatte sind weniger scharf um- schrieben. Die Erzeugung des Tones scheint hauptsächlich in den Seiten- teilen des Apparates zu erfolgen. Als auslösender Faktor für die Stridulation wirkt jede Beunruhigung der Puppe. Die Stärke des Tones gleicht anfangs nahezu dem eines Spargelhähnchens (Crio- ceris asparagi), ım Laufe der Entwickelung lässt sie aber, ent- sprechend der zunehmenden Steifheit der Puppe, allmählich nach, so dass der Ton später nur noch schwierig wahrzunehmen ist. Über >00 Pell, Über zirpende Schmetterlingspuppen. den mutmaßlichen Zweck lassen sich keine sicheren Angaben machen. In Betracht käme vielleicht die Abschreekung von Feinden, was in Anbetracht der Schwäche des Tones wenig wahrscheinlich ist, oder auch die Anlockung anderer Raupen der gleichen Art zum Zweck der bei Lycaeniden häufigen geselligen Verpuppung, die wiederum eine gewisse Garantie für sichere Befruchtung bieten würde. Bei der Durchsicht der Literatur schien es zunächst, als ob die Stridulation von Schmetterlingspuppen noch nicht bekannt ge- worden sei. Wenigstens enthalten die neueren zusammenfassenden Arbeiten über tonerzeugende Apparate (Berlese, Prochnow) keinen Hinweis darauf. Im weiteren Verfolg aber zeigte sich, dass die Hervorbringung von Tönen durch Schmetterlingspuppen schon sehr lange bekannt ıst, ohne allerdings genauer untersucht zu sein. Der erste, welcher darüber berichtet, ist Kleemann, der in seiner Natur- und Insektengeschichte von 1774 des knorrenden Ge- räusches gedenkt, welches die Puppen von Callophrys rubi L. von sich geben. Ein volles Jahrhundert später entdeckte unabhängig davon Schild wiederum bei (©. rubi die Fähigkeit zu zirpen, als er eine größere Anzahl davon auf einen Bogen Papier ausschüttete. Er versuchte auch, eine Erklärung für das Entstehen des Tones zu geben. Da er keine Bewegung an der Puppe wahrnehmen konnte, kam er auf die „anthropomorphistische“ Deutung des Tones als eines Blasetones, hervorgerufen durch den Aus- und Eintritt von Luft durch die Stigmen. Damit suchte er auch das Verstummen des Tones bei Benetzung der Puppen zu erklären, da eine lebhaftere Atmung stattfinde, wenn die Puppe trocken liege. Während der Ausfall des Tones bei Benetzung wohl nur durch das Eindringen von Wasser in die Stridulationsspalte verursacht wird, ist die Deu- tung des Tones als Blaseton sicher verfehlt. Einmal sind die Tra- cheen der Puppe viel zu spärlich und entbehren der erforderlichen starken Muskulatur, und dann ist kaum das Vorhandensein von zwei verschiedenen Tonapparaten anzunehmen. Außer diesen beiden Literaturangaben konnte ich, abgesehen von Zitaten nach denselben, keine weiteren Mitteilungen über das Zirpen von Schmetterlings- puppen finden. Neben Z. gquerceus untersuchte ich noch eine größere Anzahl von Th. spini Schiff. auf Lautäußerungen hin, und konnte auch bei dieser Art ein feines Zirpen wahrnehmen. Im Gegensatz zu Schild’s Angaben für €. rabi fand ıch hier, dass die Neigung zum Zirpen bei dicken (weiblichen) und dünnen (männlichen) Puppen annähernd gleich, dass sie jedoch bei dunkler gefärbten (älteren) stets geringer als bei helleren (jüngeren) war. Im Bau stimmt der Tonapparat mit demjenigen von Z. quercus überein. Ist nunmehr das Stridulieren bei den Puppen der Genera Thecla F., Zephyrus Billb. und Callophrys Dalm., das ıst bei sämt- Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. 501 lichen Gattungen heimischer Zipfelfalter, festgestellt, so erscheint es sehr wohl möglich, dass diese Fähigkeit ein Gruppenmerkmal bildet. Leider bot sich mir keine Gelegenheit, auch Vertreter anderer Lycaenidengattungen ın den Kreis der Betrachtung zu ziehen, so dass diese Frage zunächst offen bleiben muss. Zitierte Literatur. Kleemann, Chr. Fr. ©., Beiträge zur Natur- und Insektengeschichte, IV, 1774, p. 123 (mir nicht zugänglich). Schild, F.G., Miscellen (Zirpende Insektenpuppen etc.) Stett. Ent. Zeit. XXXVIII, 1877, p. 85-87 (97). Zur Theorie der alkoholischen Gärung. Von Priv.-Doz. Dr. Hans Pringsheim, Berlin. Die Wandlungen unserer biologischen Anschauungen sind mit der Entwickelung der Gärungstheorie immer eng verknüpft ge- wesen. So hat alkoholische Gärung zu einem Kampfe über die Möglichkeit der Urzeugung herausgefordert, der dann durch die Ent- deckung der Hefe eine Lösung zu finden schien. Doch sollten hier die Waffen nicht vergraben werden: denn Liebig und seine An- hänger wollten in der Hefe nur eine Nebenerscheinung sehen, bis ihnen durch Pasteur der Beweis geliefert wurde, dass nicht die in den Gärflüssigkeiten enthaltenen Eiweißstoffe, sondern die Hefe- zellen selbst für die Zerlegung des Zuckers ın Alkohol und Kohlen- säure verantwortlich sind. Hiermit war für die Zukunft die Frage- stellung eine veränderte geworden: sie lautete nicht mehr, ıst die Hefe die Ursache der alkoholischen Gärung, sondern, mit Hilfe welcher Mittel gelingt es der Hefezelle, die Zerlegung des Zuckers zu vollziehen? Kann man, wie Moritz Traube theoretisch ge- schlussfolgert hatte, das wirksame Prinzip der Hefezelle von ıhr trennen und so eine „Gärung ohne lebende Zellen“ ın Tätigkeit treten lassen? Wie allbekannt hat man sich nach der Entdeckung der zellfreien Gärung durch Buchner bis auf den heutigen Tag dahin geeinigt, dass .die alkoholische Gärung durch ein Ferment, die Zymase, verursacht wird, welches sich von der Hefezelle abtrennen lässt, und das zwar der vitalen Tätigkeit der Hefe seine Entstehung, nicht aber seine Wirkungsweise verdankt. Stets war beobachtet worden, dass das der Hefezelle entnommene Ferment ın bezug auf die Zuckerzerlegung der Wirkungsweise der lebenden Hefe in qualı- tatıver Beziehung folgt; über die quantitative Verminderung der Gärkraft, welche das einer bestimmten Hefemenge entnommene Ferment ım Vergleich zur Wirkungskraft derselben Menge noch lebender Hefe entfaltet, hatte man sich wenig Sorgen gemacht, denn man schien von vornherein wohl einen Rückgang in der Gär- kraft getöteter Hefe zu erwarten und man glaubte genügend Gründe für ıhn zu kennen. Auf sie wird im weiteren noch einzugehen sein. XXXII. 33 502 Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. (Gerade hier aber sollten der jetzt herrschenden Gärungstheorie neue Gefahren erwachsen. Mit Hilfe seines Biokalorimeters hat Max Rubner das Problem einer neuen Bearbeitung unterzogen und seine Ergebnisse und Schlussfolgerungen in einem „Die Er- nährungsphysiologie der Hefezelle bei alkoholischer Gärung“ be- titelten Buche niedergelegt. Die Messung der Wärmeproduktion bei der Gärung gestattet ihm, mit Hilfe seiner fein ausgearbeiteten Methodik innerhalb kurzer Zeitspannen die Verfolgung des Gär- verlaufes, derart, dass die Hemmungen durch die Alkoholbildung nicht in Erscheinung tritt, da sie innerhalb der Versuchszeit zu gering ist. — Zuerst wird nun festgestellt, dass in einer gärenden Flüssig- keit keine andere Wärmequelle nachzuweisen ist als jene, welche aus der Vergärung des Zuckers fließt. Dieser fundamentale Satz wird einwandsfrei bewiesen. Seine Richtigkeit dürfte feststehen, trotzdem ın die Gärungsgleichung auch die Bildung der Bernstein- säure neben der von Alkohol, Kohlensäure, Glyzerin und Zellulose (Zellwandsubstanz der Hefe) einbezogen wird, während wir doch durch die Untersuchungen von Felix Ehrlich wissen, dass die Bernsteinsäure nicht aus dem Zucker, sondern aus einem Eiweiß- spaltungsprodukt der Hefe, der Glutaminsäure, gebildet wird. Aber die Bildung der Bernsteinsäure wird auf ein Mol. Traubenzucker nur zu 1,11 kal. angesetzt, so dass der hierdurch entstehende Fehler innerhalb der Fehlergrenzen der Methodik fällt. Rubner schlussfolgert nun folgendermaßen: „Da kein anderer energetischer Vorgang nachweisbar ist, muss also der Gärprozess in seiner Totalıtät oder zum Teil Quelle der Lebensenergie sein, deren die Hefe ebenso wie jeder sonstige Organısmus bedarf.“ Deshalb ist die Fermenttheorie in ihrer heutigen Form unhaltbar, da wir hier bei der Hefe ausschließlich Umsetzungsvorgänge hätten, die mit der lebenden Substanz in gar keiner näheren Beziehung stehen, denn bei einer Fermentwirkung entsteht bei der Umsetzung freie Wärme. Es muss also entweder die ganze Gärwärme oder ein Teil der durch sie repräsentierten Energie als Kraftquelle für die lebende Substanz dienen, und wir müssen zwischen rein zyma- tischen und vitalen oder Lebensvorgängen unterscheiden. Mit anderen Worten heisst das, da wir nicht imstande sind, die Frage zu beantworten, wie die Hefe die durch das Ferment vermittelte Gärwärme als Kraftquelle ausnutzt, so muss zum mindesten ein Teil der Gärwärme nicht durch die Vermittlung des Fermentes, sondern direkt durch die lebende Zelle produziert werden. Da- gegen lässt sich zuerst sagen, dass wir auch dann noch nicht wissen, wie die Hefe diesen Anteil der Gärwärme, der schließlich auch in Gestalt freier Wärme in Erscheinung tritt, als Kraftquelle ausnützt. Dieses Problem ist gewiss außerordentlich interessant, aber es liegt scheinbar fürs erste noch nicht ım Bereiche einer uns zugänglichen Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. 505 Beantwortung; sind wir doch auch im Kraftwechsel höherer Lebe- wesen in dieser Beziehung auf experimentell nicht gestützte Theorien angewiesen: man muss entweder annehmen, dass durch die Gärung eine Temperaturdifferenz entsteht, welche erst die Verwandlung von Wärme in Arbeit thermodynamisch gestattet oder es gibt keine andere Erklärung als die einer Lebensenergie, die durch den che- mischen Prozess vorübergehend gebildet wird und deren sich die Zelle bedient, ehe sie die Energie wieder in Gestalt von Wärme an die Umgebung abgibt! Rubner kommt nun auf Grund der hier geschilderten An- schauungen zu einer dualistischen Gärungstheorie: die Gärwirkung der Hefe zerfällt danach in zwei getrennte Prozesse, die Zerlegung des Zuckers durch das Ferment in Alkohol und Kohlensäure und die Zerlegung des Zuckers durch die vitale Tätigkeit der Hefe, die zu den gleichen Endprodukten führen soll. Der ganze Mechanismus der alkoholischen Gärung, dessen Phasen wir wenigstens zum Teil kennen, die Bildung der Traubenzuckerphosphorsäureester ete. soll nun durch zwei verschiedene Ursachen zu genau der gleichen Wir- kung führen. Ferner aber glaubt Rubner die Fermentwirkung und die vitale Tätigkeit der Hefe auch in quantitativen Messungen bestimmen zu können. Er argumentiert folgendermaßen: eine bestimmte Menge lebender Hefe gibt innerhalb einer gewissen Zeit in überschüssiger Zuckerlösung eine bestimmte Wärmetönung. Verwandle ich die- selbe Menge Hefe in Hefepressaft, Acetondauerhefe oder töte ich sie durch den Zusatz von Toluol, so gibt sie unter denselben Be- dingungen eine geringere, z. B. nur 20°/, der Wärmetönung der lebenden Hefe. Die tote Hefe soll nun die in der lebenden Hefe vorhandene Fermentwirkungskraft zum Ausdruck bringen. Es würden also in einem solchen Experiment 20°, der Gärwärme auf die Zymasewirkung und der Rest von 80°, auf die vitale Tätigkeit der Hefe entfallen. Dabei hätte zuerst schon auffallen müssen, dass die Zymasetätigkeit je nach der Art der Abtötung der Hefe sehr verschiedene Wärmetönungen ergeben hat: wie z. B.: Zymasewirkung von 1 g lebender Hefe gibt Wärme a) nach Pressaftversuchen .. . . 14 gKRal. b)r 7,7 2 Zymnversuchen’ I.M7S 2m Fazer Kal: c) "5 "Angaben E. Buchner’s‘. . 41 gKal. Schon daraus folgt, dass man die in der Hefe ursprünglich vorhandene Fermentmenge auf diesem Wege kaum messen kann. Aber noch zahlreiche andere Gründe lassen sich dagegen an- führen, dass man auf dem geschilderten Wege zwischen vitaler und Fermenttätigkeit der Hefezelle unterscheidet. Erstens seien die verschiedenen Gründe erörtert, warum nach der Ferment- darstellung nicht die in einem gegebenen Moment in der Hefe vor- DI % 9] 504 Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. handene Fermentmenge noch wirksam ıst. 1. Bei der Buchner’- schen Pressaftmethode bleibt ganz gewiss ein Teil des Fermentes ın den Pressrückständen; für andere, z. B. zuckerhydrolysierende Fermente ist nachgewiesen, dass auf diese Weise bei Schimmel- pilzen die ganze Fermentmenge zurückgehalten werden kann. Ferner wird ın dem Moment, wo die Zelle durch Zerreiben gesprengt wird, eine Vermischung ihrer Fermente einsetzen, durch die die Zymase sofort der zerstörenden Wirkung der Eudotryptase, des eiweiß- spaltenden Fermentes der Hefezelle ausgesetzt wird. 2. Bei der Darstellung der Acetondauerhefe kommt das Ferment in Berührung mit der giftigen Wirkung nicht nur des Acetons, sondern auch des hier immer zum Trocknen verwandten Äthers. 3. Beim Töten der Hefe mit Toluol wird die Zelle nicht gesprengt und das Toluol ıst nach allen Erfahrungen ein sehr schwaches Fermentgift; aber hier ist die osmotische Wirkungskraft der Zelle durch die Abtötung vernichtet, das endozellulare Ferment kann aus der Zelle nicht heraus, der Zucker wird nicht mehr schnell hereinbefördert und so ıst eben die Berührung des Zuckers mit dem Ferment beein- trächtigt, die doch eine Bedingung für eine katholytische Ferment- reaktion sein muss. Es sind also rein experimentelle Ursachen, welche einen Teil der geschwächten Zuckerspaltung durch das Ferment verschulden. Das kommt auch sehr deutlich durch folgende Tatsache zum Aus- druck: die obergärige Hefe gıbt bekanntlich ıhr Gärferment nach dem Buchner-Verfahren nicht oder nur in sehr geringer Menge ab. Auch Rubner hat vergeblich versucht, aus ihr einen gär- kräftigen Pressaft darzustellen. Im vorigen Jahre ıst es dagegen van Laer ın Gand gelungen, mit Hilfe des Mazerationsverfahrens von Lebedeff’s auch aus der Obergärhefe einen gärkräftigen Saft zu gewinnen; man sieht daraus deutlich, wie stark die Varıatıon experimenteller Bedingungen dıe Wirkungskraft der von der lebenden Hefe abgetrennten Zymase beeinflussen kann. In alledem sehen wir jedoch nicht die Hauptursache dafür, dass das Ferment einer bestimmten Menge viel schwächer wirkt als die lebende Hefe selbst. Es scheint sehr wohl möglich, dass in gewissen Fällen die Hauptmenge der zu einer bestimmten Zeit in der Hefezelle enthaltener Zymase auch fermentativ zur Wirkung kommt. Wır wollen jedoch nicht „alle Wirkung durch das prä- formierte Ferment geschehen lassen“. Auch Buehner ist gewiss nicht der Meinung gewesen, dass diese Auslegung den Tatsachen entspricht. Wie bei allen fermentativen Prozessen, welche durch die lebende Zelle hervorgerufen werden, so wird sicher auch bei der Hefe während der Gärung eine dauernde Neubildung von Fer- ment angenommen werden müssen; diese Neubildung des Fermentes muss in dem Augenblick sıstiert werden, in dem die Zelle durch Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. 505 Abhtötung ıhre Lebenskraft einbüßt. Die Verhältnisse sind denen eines höheren Organısmus vergleichbar, der ın einem gegebenen Moment eine bestimmte Menge eiweißspaltenden Fermentes ın seinem Darmsaft besitzt; niemand wird annehmen, dass ın dieser fermentativen Spaltungskraft die gesamte Trypsinwirkung des Orga- nısmus während seines Lebens zum Ausdruck kommt. Wir wissen, dass das Ferment immer neu nach Bedürfnis gebildet wird; ebenso liegen die Verhältnisse bei der Hefe, nur auf einen kleineren Raum und auf eine kürzere Zeitspanne zusammengedrängt. Die vitale Lebenstätigkeit der Hefezelle besteht daher in der geeigneten Regulation der Absonderung ihres Gärungsfermentes, soweit die eine Funktion der Gärwirkung in Frage kommt. Ob sich auch diese Regulierung einst von der lebenden Zelle wird trennen lassen, ist eine ganz andere Frage, die momentan einer mehr oder weniger nützlichen Spekulation, mit unseren bisherigen Hilfsmitteln aber sicher keiner allein wertvollen experimentellen Lösung zugänglich ist. Denn sie schließt die präparative Bereitung einer lebenden Zelle ın sich, deren mögliche Erschaffung momentan reine Glaubenssache sein muss! Der Gedanke, die vıtale Kraft irgendeiner Zelle zu messen, ıst groß angelegt; aber er konnte im gegebenen Falle der Lösung rein: all ah: werden — und wir sind von dieser Möglichkeit wohl überhaupt noch sehr weit entfernt. Seitdem durch Pasteur bewiesen worden ıst, dass man der Hefe ıhr Stickstoffbedürfnis mit Ammoniaksalzen befriedigen kann, ist ihr Eiweißstoffwechsel häufig untersucht worden. Dass wachsende Hefe ihrer Nährlösung Stickstoff entzieht, ist von vornherein klar; etwas schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob gleichzeitig eine Ausscheidung von Stickstoff aus der Hefe erfolgt und vor allem, ob der ausgeschiedene Stickstoff im weiteren Verlaufe der Gärung wieder von der Hefe aufgenommen werden kann. Die Beantwortung der ersten Frage gelingt einwandsfrei durch die Verfütterung von Ammonsalzen. Die Hefe bildet nämlich bei der Vermehrung und Gärung kein Ammoniak. Bieten wir ıhr nun Ammoniaksalze als einzige Stickstoffquelle, so können wır analytisch feststellen, dass im Gärprozess weit mehr Ammoniakstickstofl verschwindet, als sich am Ende in der gebildeten Hefe vorfindet. Die Hefe hat also während der Gärung mehr Stickstoff aufgenommen als in ihrer Körpersubstanz vorhanden ist; folglich muss ein Teil des aufge- nommenen Stickstoffes von der Hefe wieder ausgeschieden und an die Nährflüssigkeit in Form von Hefeeiweißabbauprodukten abge- geben worden sein. Der Beweis, dass dieser ausgeschiedene Stick- stoff wieder in den Stoffwechsel der Hefe gerissen werden kann, gelingt mit Hilfe der von F. Ehrlich entdeckten Umwandlung 06 Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. des Leueins in Amylalkohol, den Hauptkonstituenten des Fuselöls, bei der alkoholischen Gärung. Bringen wir eine gewisse Hefe- menge in eine stickstoffreie Zuckerlösung. so können wir in ihr nach der Gärung Amylalkohol nachweisen. Dieser Amylalkohol kann nur aus Leucin stammen; das Leucin aber gelangt in die Nährflüssigkeit als ein Zerfallsprodukt des Hefeeiweißes, welches während der Gärung in Leucin und andere Eiweißspaltungsprodukte abgebaut worden ist. Vor kurzem habe ich durch die Totalhydro- Iyse von Hefeeiweiß festgestellt, dass es hauptsächlich aus Leucin und Valin besteht. Das Valin ist die Ursprungssubstanz des Iso- butylalkohols ım Gärprozess. Es ıst demnach nicht erstaunlich, dass beim Zerfall des Hefeeiweißes gerade diese Produkte in die Gärflüssigkeit gelangen, die daraufhin weiter zu Fuselöl vergoren werden. Ferner spricht dafür auch folgender Versuch: wir bieten der Hefe bei minimaler Einsaat einen großen Zuckerüberschuss und sehr wenig Leucin. Nach Verlauf der sehr langsamen Gärung finden wir dann 200°/, der gebotenen Menge Leucin an Amylalkohol in der Gärflüssigkeit wieder. Die Erklärung dieses Befundes ist folgende: das Leucin wurde von der Hefe aufgenommen und in Amylalkohol gespalten, hierbei wırd der stickstoffhaltige Anteil des Leucins ın Hefeeiweiß verwandelt, denn das Leucin dient der Hefe ja als Stickstoffquelle. Das so gebildete Hefeeiweiß gibt wieder Leucin an die Lösung ab, welches wiederum in Amylalkohol ge- spalten wırd, wobei von neuem Stickstoff zur Verfügung der Hefe gestellt wird. Und so zirkuliert die geringe Menge Stickstoff, die wir ın Gestalt von Leucin geboten haben, bis aller Zucker vergoren ıst von der Nährlösung in die Zelle, aus der Zelle in die Lösung u. Ss. f. in einem Kreisprozess, wodurch der Beweis erbracht wird, dass der von der Hefe ausgeschiedene Stickstoff immer von neuem zum Ansatz gelangen kann. Auch dies wird von Rubner auf Grund energetischer Betrach- tungen geleugnet. Er berechnet: 1 Molekül Leucin bildet 855,9 kg Kal. Die neuen Produkte sind: Amylalkohol (gelöst) . . . 791,1 kg Kal. Ammoniak . . . N aka! Kohlensäure (absorbiert) A. Diuika'Ralıtt = 881,1 kg Kal. Effekt: — — 32,1 kg Kal. Er sagt: „Daher wäre ein wiederholter An- und Abbau des Eiweißes nötig, um dem Bedürfnis nach Umwandlung von Leucin in Amylalkohol zu genügen, d.h. im Verlauf weniger Tage müsste nur zu dem Zwecke der Amylalkoholbildung (oder den sonstigen N-Umsatz) sämtliches Eiweiß der Zelle mehrmals abgebaut und wieder aufgebaut werden, um genügend Leucin zu liefern. Solch Pringsheim, Zur Theorie der alkoholischen Gärung. 907 eine gewaltige Umwälzung aller lebenden Substanz für eine einzige, im ganzen doch untergeordnete Funktion der Bildung eines Neben- produktes widerspricht allen Erfahrungen, die wir sonst von der Beständigkeit der lebenden Substanz haben.“ Nach dieser Argu- mentation wäre also die Amylalkoholbildung ein primärer Vorgang, der für das Leben der Hefe von Nutzen sein müsste. In Wirk- lichkeit ist der Amylalkohol aber ein für die Hefe nutzloses Exkret, das nur nebenbei gebildet, weil eben die Hefezelle,. um die ge- waltige Zuckerzerlegung zu vollziehen auch eines kraftvollen Eiweiß- stoffwechsels bedarf, der ihr die Regulation ihrer Fermentproduktion und -wirkung ermöglicht. Wenn dieser Eiweißumsatz mit einer Einbuße an Energie verbunden ist, so muss das die Hefe mit in Kauf nehmen, da sie nur so sich dauernd in gärfähigem Zustand erhalten kann. Bieten wir der Hefe nur Leucin und keinen Zucker, so findet keine Umwandlung in Amylalkohol statt; Gärung_ tritt nicht ein und es kommt auch zu keinem Eiweißstoffwechsel, sondern nur zu einer Eiweißanreicherung der Zelle. Bieten wır getöteter Hefe Leuein und Zucker, so erfolgt zwar noch eine alkoholische Gärung mit Hilfe des wırksanı gebliebenen Anteils des präformierten Fermentes. Aber auch hier wird kein Leucin mehr in Amyl- alkohol umgewandelt, da die tote Zelle keinen Eiweißstoffwechsel mehr besitzt, keine Neubildung von Zymase vollziehen kann und deshalb, wie wir gesehen haben, auch in ihrer Gärkraft ge- schwächt ist. Es herrscht also bei Rubner auch in bezug auf den Eiweiß- stoffwechsel der Hefe eine dualistische Auffassung: er gibt zu, dass die Hefe sehr wohl dazu befähigt ıst, den aus toten Zellen aus- tretenden autolytischen Stickstoff weiter zu verwerten; dagegen soll der aus der lebenden Hefe während der Gärung ausgeschiedene Stickstoff unverwertbar durch die Hefe sein. Wir müssen uns da- gegen vor Augen halten, dass die Hefe ihren Eiweißabbau mit Hilfe ihrer peptolytischen Fermente vollziehen muss. Und so er- scheint die Annahme äußerst erschwert, dass tote und lebende Hefe in ihrem fermentativen Eiweißabbau mit Hilfe derselben Fermente zu verschiedenen chemischen Produkten gelangt. Denn nur durch die Annahme einer Verschiedenheit des exkreten und des auto- lytischen Stickstoffmaterials könnten wir doch ihre Nichteignung oder Eignung als Stickstoffnahrung für die Hefe erklären. — Neben diesen, nach meiner Meinung strittigen Punkten, enthält das inhaltsreiche Buch noch eine große Zahl von experimentellen und theoretischen Ergebnissen, die dem aufmerksamen Leser viele Anregung bieten werden. — Der praktische Gärungsphysiologe wird dem Buche erst nach sehr eingehendem Studium nützliche Winke entnehmen können; aber auch der Theoretiker wird tief graben müssen, ehe er in die schwierige Materie eindringt. Es 08 Balss, Über die Chemorezeption bei Garneelen. schien daher wertvoller, ein paar der Hauptpunkte eingehend zu erörtern, als eine Aufzählung des Inhalts vorzunehmen, den niemand ohne die Lektüre des Werkes selbst würdigen kann. Über die Chemorezeption b..i Garneelen. Von Dr. Heinrich Balss (München). Der vorliegende Aufsatz möchte einen kleinen Beitrag zur Frage nach dem Geruchs- und Geschmacksvermögen bei Garneelen liefern. Nachdem Nagel (1894) auf Grund von theoretischen Er- wägungen den Wassertieren das Geruchsvermögen überhaupt abge- stritten hatte und ıhm auch andere Forscher darın gefolgt waren, ist man in neuerer Zeit auf Grund von exakten Experimenten (Bethe, Baglioni, Doflein u.a.) zu der Überzeugung gelangt, dass auch im Wasser der Geruch beı der Auffindung der Nahrung auf Entfernung hin eine große Rolle spiele. Diese Autoren kommen dabeı auf die alte Definition Forel’s zurück, dass der Geruch das Sinnesorgan sei, das auf Entfernung hin die chemische Natur gewisser Körper zu erkennen gestatte, während beim Ge- schmack dies erst bei Berührung mit dem Körper selbst mög- lich seı. Meine Untersuchungen erstreckten sich nun auf die Frage, welche Rolle beide Sinnesempfindungen bei Garneelen spielen und an welchen Organen sie lokalisiert seien. Ich benutzte zu meinen Untersuchungen, die ich ın der zoologischen Station zu Neapel ausführte, meist Palaemon (Leander) treillanus, der ein sehr lebhaftes, leicht reagierendes Tier ıst. In den Aquarien, die, wie in Neapel üblich, mit durchlaufendem See- wasser gespeist waren, wurde während der Versuche der Zulauf unterbrochen, um die Diffusionsströme, die von den Nahrungs- stücken her kamen, ungehindert nach allen Seiten hın fließen zu lassen. Bei den Operationen gab ich den Tieren oft schon eine Stunde, nachdem ıhnen ein Organ amputiert war, wieder Nahrung, die sie auch willig annahmen; auf diese Art wurde erzielt, dass die Sterblichkeit unter den operierten Tieren nur gering war. I. Versuchsreihe: Über den &eschmackssinn. Über den Geschmackssinn bei Garneelen hat bisher nur Dof- leın (1910, p. 65) eine Angabe gemacht; er gab seinen Tieren Fischfleisch, das mit Indigkarmin blau gefärbt worden war. Dieses Fleisch, welches zuerst ganz normal angenommen worden war, wurde nach einiger Zeit völlig verschmäht, selbst wenn die Tiere hungrig waren; auch Tiere, die gewöhnliches Fleisch ohne weiteres nahmen, ließen die gefärbten Stücke liegen. Doflein schließt daraus, dass es nicht die Konsistenz ıst, an der die Tiere ihre Balss, Uber die Ohemorezeption bei Garneelen. 509 Nahrung erkennen (wozu die Tastorgane ausreichen würden) und dass eine Chemorezeption wahrscheinlich ıst. Meine eigenen Untersuchungen betreffen vor allem die Frage nach der Lokalisation dieses Sınnes.. Um jeden Einfluss auszu- schalten, den die verschiedenen Oberflächen der gereichten Sub- stanzen haben könnten, wählte ıch die Anordnung so, dass kleine Wattestückchen mit den Stoffen getränkt wurden und den Tieren gereicht wurden. Da die Garneelen auf gewöhnliche Wattestück- chen überhaupt nicht reagieren, so kann dann nur die chemische Beschaffenheit der gereichten Substanz einen Einfluss auf das Be- nehmen der Tiere haben. Ich benutzte zu diesen Versuchen der Augen beraubte Tiere, die etwa einen halben bıs einen Tag ge- hungert hatten; der Einfluss des Gesichtssinnes konnte also die Resultate auch nicht beeinflussen. Erster Versuch!). Die mit Saft von Fischfleisch getränkten Wattestückehen wurden mit dem Telson ın Berührung gebracht; es erfolgte keinerlei Re- aktion; ebensowenig bei Kontakt mit der Oberfläche des Carapex. Zweiter Versuch. Der Wattebausch wird den Geißeln der Antennen genähert und mit ihnen ın Kontakt gebracht. Es wird keine sofortige Be- wegung ausgelöst, wie man erwarten sollte, wenn hier Geschmacks- organe säßen; erst nach einiger Zeit (3—4 Min.) werden die Tiere aufmerksam; ich setze dies auf Rechnung der Geruchsempfindung, die hier, wie wir sehen werden, ihren Sitz hat. Dritter Versuch. Bei der Berührung (nicht schon bei Annäherung) mit irgend- einem der Thorakalbeine ergreifen die Garneelen das Wattestück- chen sofort und mit Heftigkeit, um es den Mundgliedmaßen zuzu- führen. Mit welchem von den Thorakalgliedmaßen dabei die Berührung erfolgt, ist einerlei, die Reaktion ist immer dieselbe; wie ein elektrischer Schlag läuft der Reiz durch das Tier, es ergreift den Wattebausch und bringt ihn an den Mund. Vierter Versuch. Berührung der Mundgliedmaßen allein hat dieselbe Wirkung, die Tiere ergreifen den Wattebausch sofort. Fünfter Versuch. Das Wattestückchen wurde mit 1% Chininlösung oder mit 1%, Kokainlösung getränkt. Auch hier erfolgt weder bei Berührung der Antennengeißeln noch des Telsons eine Reaktion. Bringt man 1) Ich bemerke, dass diese Versuche natürlich öfters wiederholt wurden; die Zeitangaben sind nur Durchschnittsworte. 510 Balss, Uber die Chemorezeption bei Garneelen. es dagegen mit den Thorakalbemen ın Kontakt, so betasten es die Tiere ein wenig und lassen es ruhig liegen. An die Mundglied- maßen — zu näherer Untersuchung etwa — wird es nicht gebracht. Ergebnis. Es erhellt aus diesen Versuchen mit Deutlichkeit, dass die (sarneele weder ın den Antennen noch am Telson ein für den Kontaktreiz empfängliches chemorezeptorisches Sinnesorgan besitzt, sondern dass hierfür nur die Thorakalfüße und die Mundglied- maßen ın Betracht kommen, die mit wünschenswerter Deutlich- keit sowohl das Ergreifen wie das Verschmähen, also den „guten“ wie den „schlechten“ Geschmack eines vorgelegten Stückes zeigen. Für die Mundgliedmaßen ist dies ja nicht weiter merkwürdig, für die Beine wird es jedoch hier zum ersten Male nachgewiesen; man hatte bisher nur Organe für dıe Tangorezeption in ihnen vermutet. Dabei ıst gerade bei ıhnen die Reaktion besonders deutlich; das Tier braucht nur mit der Spitze des Daktylus den Wattebausch leicht zu berühren, um sofort auf ıhn zuzufahren und ihn zu er- greifen. II. Reihe: Über den @eruehssinn. Nachdem Nagel (1894, p. 155) dem Gesichtssinn die Haupt- rolle beim Erkennen der Nahrung zugeschrieben hatte, hat zuerst Bethe, der mit geblendeten Tieren arbeitete, die Wichtigkeit des (reruchssinnes betont; er lokalısierte ıhn auf die Geißeln der ersten Antennen, betonte jedoch, dass sie nicht die einzigen Geruchs- Organe seien. F. Doflein, der die Versuche Bethe’s fortsetzte, erhielt keine sicheren Resultate; doch vermutete er außer an den Antennengeißeln auch an den Beinen den Sıtz von Organen des Geruchs; ähnlich glaubten auch Holmes und Hormuth, dass an den Mundglied- maßen und den Endgliedern der Scherenfüße Nerven für Geruchs- eindrücke endigten. Laubmann (1912) hält dann wieder nur die Endgeißeln der Antennen und die Mundgliedmaßen für Organe, die auf fernwirkende Substanzen reagieren. Meine eigenen Untersuchungen haben die Ansichten aller Forscher in bezug auf das Vorhandensein von Geruchsorganen auch an anderen Stellen als an den Antennen bestätigt, ohne dass auch ich jedoch Näheres über diese Stellen angeben könnte. Erster Versuch. Ein Stück Fischfleisch wurde in ein aus einem Ende geschlossenes, etwa 70 mm langes und 15 mm breites Glasröhrchen geführt und zwar so, dass es an das geschlossene Ende zu liegen kommt und als heller Fleck von außen sichtbar ist. Nach etwa 4—5 Minuten werden die Garneelen (in einer Entfernung von etwa 30 cm) auf- Balss, Uber die Ohemorezeption bei Garneelen. 1 merksam, gehen auf das Röhrchen zu und betasten mit ihren An- tennen und Füßen zuerst die Stelle, an der das Fleisch hervor- leuchtet. Da sie es nicht erreichen können, wandern sie tastend dem Glasröhrchen entlang bis sie an seine Mündung kommen, wo der Diffusionsstrom mit dem Fleischgeruch hervorströmt Hier wenden sie und suchen ins Innere des Röhrchens zu gelangen, was ihnen wegen dessen geringer Weite nicht gelingt. Zweiter Versuch. Die Anordnung ist dieselbe, doch werden zum Versuche blinde, der Augen beraubte Eevanaallar benutzt. Auch sıe finden ad etwa 4--5 Minuten aus einer Entfernung von 30 em bis zur Mün- dung des Röhrchens hin. Dritter Versuch. Blinde Tiere, denen auch die Geißeln der ersten Antennen ab- geschnitten waren, finden erst nach 20 Minuten zur Mündung hin. Vierter Versuch. Blinde Garneelen, denen beide Antennenpaare amputiert sind, werden ebenfalls nach einiger Zeit unruhig, wandern suchend umher, bis sie zur Mündung des Röhrchens gelangen. In den beiden letzten Versuchen reagierten die Tiere auf größere Entfernungen (mehr als 10 cm) schlecht und zeigten erst in der Nähe deutliche Anziehungs- reaktionen. Ergebnis. Es ergibt sich, da jede direkte Berührung bei diesen Ver- suchen mit der Nahrung selbst vermieden wurde und also nur die aus der Mündung des Glasröhrchens herausquellenden Diffusions- ströme die Verbreiter der Geruchsstoffe sein können, dass die Gar- neelen, auch wenn sie geblendet sind, auf diesen Reiz deutliche Anziehungsreaktion zeigten, dass also der Geruch beim Auffinden der Nahrung eine ganz wesentliche Rolle spielt. Dass der Gesichts- sinn jedoch nicht überflüssig ist, zeigt Versuch I mit schöner Deut- lichkeit. Dass die geruchsempfindlichen Stellen nicht nur an den Antennengeißeln, sondern auch an sonstigen Stellen des Körpers sitzen, zeigen die letzten Versuche; ob an den Beinen oder Mund- gliedmaßen dürfte auf experimentellem Wege schwer zu beweisen sein. Es würde wichtig sein, etwaige morphologische Verschieden- heiten der beiden Organe, also Geschmackshaare oder Geruchshaare kennen zu lernen. Leider hat Laubmann, der eine nahe verwandte Form untersucht hat, nichts Bestimmtes finden können. Zwar fand er, dass alle Haare des Garneelenkörpers, also auch die der Ex- tremitäten und der Mundgliedmaßen mit dem Zentralnervensystem in Verbindung stehen also Sinnesorgane darstellen; wele he der verschiedenen Typen (er zählt drei ehcdeie Formen auf, die aber nicht auf bestimmte Organsysteme beschränkt sind) gerade 512 v. Buttel-Reepen, Tierverstand und Abstammungslehre. die Geruchs-, welche die Geschmacksorgane darstellen, konnte Laubmann nicht nachweisen und dürfte überhaupt schwierig deut- lich zu machen sein. So möchte ich meine nur auf Experimenten beruhenden Ergebnisse noch einmal dahın zusammenfassen, dass Geschmacksorgane an den Mundgliedmaßen und den Thorakalfüßen, Geruchsorgane an den Antennen und auch sonstigen Stellen des Garneelenkörpers zu suchen sınd. Literaturverzeichnis. 1. Baglioni, S. Nervensystem in: Winterstein’s Handbuch der vergleichenden Physiologie. 2. Bethe, A. Das Nervensystem von Careinus maenas. 1. Teil: Arch. f. mikrosk. Anat., vol. 50, 1897. . Doflein, F. Lebensgewohnheiten und Anpassungen bei dekapoden Krebsen in: Festschr. f. R. Hertwig. Jena, vol. 3, 1910. 4. Holmes und Hormuth, The seat of small in the erayfish in: Biolog. Bulletin, Woods Hole, vol. 18, 1910. 5. Laubmann, A. Untersuchungen über die Geruchsinnesorgane bei dekapoden Krebsen aus der (ruppe der Carididen in: Zoolog. Jahrb. Abteil. f. Anat. u. Ontogenie der Tiere, vol. 35, 1912. w bi 6. Nagel, G. Vel. physiolog. u. anatom. Untersuchungen über Geruchs- und Ge- schmackssinn in: Bibliotheca zoologica, vol. VII, Heft 18, 1894. Tierverstand und Abstammungslehre. Von Prof. H. v. Buttel-Reepen. Unter obigem Titel gibt V. Franz ın Nr. 6 dieser Zeitschrift vom 20. Juni einige Ausführungen, die sich zum Teil auch mit einigen einschlägigen Arbeiten von mir beschäftigen. V. Franz beruft sich auf Darlegungen von Klaatsch und sagt alsdann (vgl. p. 382): „die Quintessenz der Klaatsch’schen Ausführungen würde, ‚recht ins grobe versetzt und cum grano salıs zu verstehen, ın der gewöhnlichen Schlagwortformulierung lauten: Der Mensch stammt nicht vom Affen ab, sondern der Affe vom Menschen‘. Nicht wenig verwundert es mich daher, dass v. Buttel-Reepen, von dem nämlich die soeben zitierten Worte herrühren, bezüglich der Frage, ob den (Elberfelder) Pferden eine hohe Intelligenz zuge- schrieben werden könne, zu dem Ergebnis kommt, diese Annahme würde ‚die Darwin’sche Theorie über den Haufen werfen‘. Das würde sie noch lange nicht! Hat es auch die Dar win’sche Theorie über den Haufen geworfen, dass wir den Pferdehuf als eine weniger ursprüngliche Bildung ansehen als die menschliche Hand? Man entgegne also der Behauptung, das Pferd hätte Intelligenz, nicht mit einem so schlecht begründeten Dogma. Es ist Aufgabe der Wissenschaft, die hier in Rede stehende Frage der Intelligenz bei einem Tiere durch tatsächliche Beobachtungen zu prüfen. Die Ab- Buttel-Reepen, Tierverstand und Abstammungslehre, 513 stammungslehre kann dazu nichts sagen, denn der Mensch stammt nicht vom Pferde ab.“ Dr. Franz sagt hiermit nur, um mit den Schlussätzen zu beginnen, was ich anderen, die sich lediglich mit Gedankenspeku- lationen über die [Elberfelder] Pferdefrage beschäftigen, und damit auch ıhm, schon vor langem zugerufen, nämlich: „dass alle theo- retischen Spekulationen, welcher Art sie auch sein mögen, uns in dieser Angelegenheit nicht vorwärts bringen. Es heisst jetzt Experi- mente anstellen“ etc., ferner: „Es erwächst für die Wissenschaft die Aufgabe, von neuem zu prüfen“ etc.'). Infolge meiner 6tägigen Beobachtung der Krall’schen Pferde glaube ich mit anderen konstatiert zu haben, dass die Pfungst’sche Theorie nicht richtig sein könne, sondern dass tatsächlich Intelli- genz beim Pferde zu finden sei, „ein gewisses begriffliches Denken“, ein „Zählvermögen“ und „ein vorzügliches Gedächtnis“ ete.!). Es ist mir daher nicht recht verständlich, wie man gerade mir gegen- über sagen kann: „Man entgegne also der Behauptung, das Pferd. hätte Intelligenz, nicht mit einem so schlecht begründeten Dogma“, da ıch überdies das Vorhandensein von Intelligenz bei Tieren in früheren tierpsychologischen Arbeiten stets besonders betont habe. Aber eine „menschliche Intelligenz“, wie Herr Krall sie bei seinen Pferden annimmt, habe ich bisher noch nicht Grund genug gehabt, festszustellen, (die außerordentlichen Verdienste Krall’s habe ich an anderer Stelle!) gewürdigt) und diese „hohe Intelligenz“, die die Befähigung in sich trägt, die Schwierigkeiten sehr kompli- zıerter Rechenaufgaben (Wurzelziehen) leicht zu besiegen, die sogar das „Raten“ solcher Aufgaben und zwar das oft sehr schnelle oder gar sofortige richtige Raten fertig bringen soll, die ist nach meiner Ansicht bei den Pferden nicht vorhanden. Dr. Franz verfällt hier, wie mir däucht, demselben Irrtum wie Plate, der anzunehmen scheint, dass ein Raten unter diesen Umständen keine so große Intelligenz erfordere, während es tatsächlich nach der allgemeinen Auffassung des Intelligenzproblems eine höhere Stufe der Intelligenz darstellt. Ich bin kein Pädagoge, aber dass — gewitzte und mit dem Wurzelziehen vertraute — Schüler die richtigen Grundzahlen aus den Potenzen mit gutem und schnellem Erfolg „raten“ können, und zwar nur auf Grundlage „vernünftiger Überlegungen“ (Plate), das scheint mir ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, zumal wenn die Grundzahl eine dreistellige ist. Der ältere geschulte Denker und Mathematiker mag vielleicht mit eimigem Erfolg dergleichen fertig bringen, selbstverständlich rede ich hier nicht von den be- kannten Ausrechnungstricks, aber will man wirklich im Ernst den Pferden diese „hohe Intelligenz“ zusprechen? Und glaubt man 1) „Meine Erfahrungen mit den ‚denkenden‘ Pferden.“ Jena, Gust. Fischer, 1913. 914 v. Buttel-Reepen, Tierverstand und Abstammungslehre. wirklich, dass eine solche hohe Pferdeintelligenz nicht gegen die Selektionstheorie, denn nur von dieser spreche ich, nicht von der „Abstammungslehre“, verstoßen würde? Muss man wirk- lich noch einmal an das Wort Huxley’s erinnern, das da sagt, wenn auch die Darwın’'sche Theorie eines Tages „fortgefegt‘ sein würde, die Entwickelungslehre würde bestehen bleiben, um auf den Unterschied zwischen diesen beiden Theorien aufmerksam zu machen?! Gerade dadurch, dass der Pferdehuf eine „weniger ur- sprüngliche Bildung ıst als die menschliche Hand“ wird die Selek- tionstheorie gekräftigt, wie kann man, bei richtiger Auffassung des von mir Gesagten die Pferdehufsache anführen, die ja nur die „Darwın'’sche Theorie“ unterstützt und unter allen Umständen nicht das allergeringste dagegen sagt. Will man tatsächlich be- haupten, dass sich durch Selektionsprozesse (oder meinetwegen auch durch andere Vorgänge) eine derartige hohe mathematische Intellı- genz bei den Pferden ausgebildet haben könne?! Aber nach Franz mag sie wohl seit Urzeiten schon bestanden haben, da „von einer Zunahme der Entwickelung ım ganzen seit außerordentlich weit zurückliegenden Zeiten nichts zu merken ist“! (?). Über diese Sonderansicht will ich hier aber nicht weiter reden, ich möchte nur noch eine andere Auffassung in eine etwas richtigere Beleuchtung rücken. Franz identifiziert mich mit. den eingangs zur Klaatsch’schen Theorie erwähnten Worten. Ich gebe aber nur eine Erklärung der Klaatsch’schen Theorie, zu der ich aus- drücklich erwähne (vgl.?) p. 94), dass wir uns damit „vorsichtig und mit aller Reserve tastend ın das Dunkel der urfernen Ver- gangenheit hineinbegeben, manches sich noch umgestalten dürfte, und die ganze Hypothese starke Gegnerschaft finde.“ Ein eigentliches Wurzelausziehen ım landläufigen Sinne findet übrigens bei den Pferden gar nicht statt, da nur restlos aufgehende Zahlen in Betracht kommen. Unter „Ausrechnungstricks“ (s. oben) verstehe ich alle jene Methoden, die auf Grund einer weiten, umfassenden Erfahrungs- wissenschaft gewonnen sind, die zuvörderst eine eingehende rechnerische Überlegung erfordern, eine Überlegung, die erfahrungs- gemäß selbst hervorragenden Intelligenzen nicht so ohne weiteres zur Verfügung steht, sondern meist erst durch die Beihilfe ge- schulter Mathematiker erlangt wird. Ein vorzügliches Gedächtnis ist eın weiteres Erfordernis. Da nun die Pferde nach meiner Überzeugung ein vorzügliches (Gedächtnis für Zahlen haben, das allerdings oft aufgefrischt werden muss, so wäre es ja möglich, nehmen wir diese Möglichkeit wenig- 2) „Aus dem Werdegang der Menschheit. Der Urmensch vor und während der Eiszeit in Europa.“ Jena, Gust. Fischer, 1911. v. Buttel-Reepen, Tierverstand und Abstammungslehre. 515 stens einmal an, dass bei geeigneter Methode durch einen mathe- matisch geschulten Lehrer ein derartiger Unterricht stattfinden könnte, dass die Pferde später auf dem vereinfachten Trickwege das Wurzelziehen bewältigten, wobei aber immer noch die vorher- gegangene Hauptintelligenzarbeit beim Lehrer läge. Nun aber ist Herr Krall erklärtermaßen kein guter Rechenmeister (vgl. seine Äußerungen hierüber in meiner oben erwähnten Broschüre), dem ein gutes Zahlengedächtnis „völlig abgeht“, der nicht imstande ist, beispielsweise die 3. Wurzel aus einer fünfstelligen Potenz „weder im Kopf noch schriftlich“ finden zu können. Außerdem ist seine ganze Methode auf dem Gebiet des Wurzel- ziehens, soweit man aus den vorliegenden spärlichen Äußerungen darüber schließen darf, eine sehr sprunghafte gewesen, die ın über- raschend schneller Weise von einfachsten Aufgaben zu den kom- pliziertesten fortgeschritten ıst. Wenn also somit die Pferde ımstande sein sollen, auf Grund eigener rechnerischer Fähigkeiten das Wurzelziehen auf dem Trick- wege zu leisten (auch der Formelweg ist ihnen natürlich nicht ge- lehrt worden), so müssen wir auch hier ıhnen eine Intelligenz zu- sprechen, die die Durchschnittsintelligenz des Menschen ebenfalls weit übertrifft. Diesen Schluss kann ich nicht mitmachen, (wie ich das des Näheren in meiner Broschüre ausgeführt habe, auf die ich hier verweisen muss), trotzdem „der Mensch nicht vom Pferde ab- stammt.“ Da nun aber die Pferde tatsächlich richtige Antworten auf schwierigste Wurzelaufgaben liefern, auch wenn sie allein im Stalle sind, so habe ich die Lösung dieses Rätsels mit jenem merkwürdigen Phänomen des Zahlensinns ın Verbindung zu bringen gesucht, das uns hin und wieder sogar bei so gut wie intelligenzlosen, schwach- sinnigen oder gar geradezu verblödeten Rechenkünstlern, wie auch bei geistig gesunden aber unentwickelten und unerzogenen Bauern- kindern jüngsten Alters (3—12 Jahre ete.) entgegentritt. Wir sehen hier, wie ich das des Näheren in meiner Broschüre ausgeführt habe, die wunderbarste Rechenkunst vorhanden, welche die höchster mathematischer Intelligenzen in gewisser Weise weıt übertrifft. Es mag hier, wir wissen es nicht, eine intuitive, assoziative, mehr mechanisch vor sich gehende Fähigkeit zugrunde liegen. Ob dieser Ausweg aus dem Dilemma der richtige ist, wer möchte das jetzt schon entscheiden, jedenfalls entschlage man sich der Annahme einer bewussten Zeichengebung, es kann davon keine Rede sein und auch mit der unbewussten kommt man nicht durch das Problem hindurch. >16 Cohen, Jacobus Henricus van’t Hoff. Sein Leben und Wirken. Ernst Cohen. Jacobus Henricus van’t Hoff. Sein Leben und Wirken. XV + 638 S. mit 2 Gravüren und 90 Abbildungen. Leipzig, Akademische Ver- lagsgesellschaft, 1912. Bei der außerordentlichen Bedeutung, welche die physikalische Chemie für die Behandlung der Lebenserscheinungen gewonnen hat, soll auch an dieser Stelle nicht unterbleiben, auf die vorliegende Biographie hinzuweisen, worin uns van’t Hoff’s Anteil an unserem physikalisch-chemischen Wissen von seinem langjährigen Assistenten und Freunde — jetzt Professor der Chemie an der Reichsuniversität zu Utrecht -— zusammenfassend vor Augen geführt und mit einer liebevollen Schilderung seiner Persönlichkeit verknüpft wird. Durch die Geschicklichkeit des Verfassers, an vielen Stellen van’t Hoff selbst zu Worte kommen zu lassen, wırkt das Buch trotz seines Umfanges nirgends ermüdend und durch den glücklich getroffenen, trotz aller Verehrung und Hingebung für den Helden nicht ins Byzantinische verfallenden Ton wırd auch nirgends das unange- nehme Gefühl hervorgerufen, das uns beim Lesen biographischer Werke mitunter befällt. Die von van’t Hoff selbst herrührenden Stellen des Buches sind zumeist bisher noch nicht, oder nur in holländischer Sprache erschienen: so die erste Veröffentlichung vom asymmetrischen Kohlenstoffatom, die Amsterdamer Antritts- vorlesung „Über die Phantasie in der Wissenschaft“, biographische Skizzen, zumeist holländischer Chemiker, dann der hochinteressante Briefwechsel mit Arrhenius, der uns einen Einblick sowohl in die Entstehung der Arbeiten van’t Hoff’s über den osmotischen Druck, wie in Arrhenius’ Theorie der elektrolytischen Dissoziation gewährt und noch vieles Lesenswerte mehr. Die schöne Ausstattung des Werkes ıst auch in unserer an- spruchsvollen Zeit besonders erwähnenswert. Eine gute Idee sind die vielen Abbildungen von namhaften Persönlichkeiten, die auf van't Hoff’s Schicksal von Einfluss gewesen sind oder mit ıhm in näherer Verbindung standen. Vielleicht werden viele unter den Abgebildeten Gesichtszüge finden, welche kennen zu lernen schon lange ıhr Wunsch gewesen ist. Aristides Kanitz, Leipzig. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig. München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXX. 20. September 1: 1913. Bag Inhalt: v. At h und ee Über den Einfluss der Lichtfarbe auf die phototaktischen Reaktionen niederer Krebse. — Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des In- sekteneies und die Chromidienlehre. — Yakowletf, Biologische Parallelen zwischen den Korallen und Braehiopoden in bezug auf ihre Veränderliehkeit. — Meyer, Das Renogenital- system von Puncturella noachina L. — Shull, Eine künstliche Erhöhung der Proportion der Männchenerzeuger bei Hydatina senta. — Escherich, Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten — Schäfer, Das Leben, sein Wesen, sein Ursprung und seine Erhaltung. — Jacobi, Mimikry und verwandte Erscheinungen. — Brehm’s Tierleben, Die Vögel. Über den Einfluss der Lichtfarbe auf die phototaktischen Reaktionen niederer Krebse. Von Karl v. Frisch und Hans Kupelwieser. (Aus dem zoologischen Institut der Universität München.) (Mit Tafel III—V.) Inhalt. Einleitung . . BEE Be Ne ee pas N A iz I. Erster een Negalivierung von Daphnien durch blaues Eicht 2,243 .; ee 521 II. Zweiter ein onnenelansnelt Positivierung von Daphnien Haren rol- gelbes. Biehtu "4.9: MEERE DE En eh 0.4.1531 III. Abgrenzung der wirksamen Spektralbe ae DES EHRENE 532 Lv. Der Einfluss farbigen Lichtes auf die Augenbewegungen der Daphnien 239 N Versuchermit-Artemiazsalına 2.1: ee ae DAB VI Schluss. ‘2... . SE NEE NIE RR nn 5 NOTE. a Ne Br 550 Zusammen fassung Ra Re RN Leo) I REDE er Ed N 1y5 2. 0] Einleitung. Trotz der zahlreichen Untersuchungen über die Lichtreaktionen niederer Krebse wissen wir über die Wirkung farbigen Lichtes nur wenig und der Nachweis einer spezifischen Reaktion auf Farben liegt bisher nicht vor. XXXI. 34 518 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. Zwar hat schon P. Bert!) im Jahre 1869 mitgeteilt, dass Daphnien die verschiedenen Spektralfarben unterscheiden könnten: während sich die Tiere im Dunkeln gleichmäßig in ihrem Ge- fäße zerstreuten, sammelte sich, sobald man ein Spektrum in ihr Gefäß fallen ließ, die große Mehrzahl im Gelb, Grün und Orange, eine große Zahl auch noch ım Rot, wenige waren ım Blau und Violett zu finden. Doch braucht man solche und ähnliche (z. B. ?)) Beobachtungen nicht auf eine Wirkung der Farbe, also der Qualität des Lichtes zurückzuführen, es kann sich ebensogut um Reaktionen auf verschiedene Helligkeit handeln. Wir können nicht wissen, ob die Daphnien — um bei dem oben zitierten Beispiel zu bleihen — das Orange, Gelb und Grün der Farbe wegen aufsuchen, oder weil vielleicht für sie diese Region des Spektrums die größte Helligkeit hat. Merejkowsky°) suchte diese Alternative auf folgendem Wege zu entscheiden: Er brachte seine Krebschen (marine Copepoden [Dias longiremis| und Larven von Balanus) in ein lichtdicht abge- schlossenes Gefäß, ın welchem sie sich gleichmäßig verteilten; ließ er durch einen Spalt Licht einfallen, so sammelten sie sich an der beleuchteten Stelle an; ließ er durch zwei Spalten Licht von ver- schiedener Farbe einfallen, so wanderten die Tiere zu der helleren Farbe, z. B., wenn Gelb und Violett verwendet wurde, zum Gelb. Machte er aber nun das Gelb dunkler, ohne die Qualität der Farbe zu verändern, so gingen die Tiere zum Violett. Daraus schließt er, dass die niederen Kruster die Natur der verschiedenen Wellenlängen nicht unterscheiden können, sie sehen nur eine Farbe ın den ver- schiedenen Variationen ıhrer Intensität. „Nous percevons les cou- leurs comme couleurs; ıls ne les percoivent que comme lumiere.“ Yerkes*) kam an Daphnien (Simocephalus) zu dem gleichen Re- sultat; in einem von oben in das Gefäß geworfenen Spektrum be- vorzugten die Tiere das Orangerot und Gelb; wurden aber diese Farben relativ verdunkelt, so gingen die Tiere ins Grün, Blau und Violett. Auch aus diesen Versuchen kann man nicht viel schließen; denn da die betreffenden Krebse auf Intensitätsunterschiede reagieren, ist es nicht merkwürdig, dass sie sich aus einer Farbe vertreiben lassen, wenn man deren Intensität stark herabsetzt; es folgt aber 1) P. Bert, Sur la question de savoir si tous les animaux voient les m&mes rayons Jumineux que nous. Arch. de physiol., t. 2, 1869. 2) Loeb and Maxwell, Further proof of the identity of heliotropism in animals and plants. University of California publ., Physiol., Vol. 3, 1910. 3) Merejkowsky, Les crustac6s inferieurs distinguent-ils les couleurs ? Comptes Rendus Acad. Sc. Paris, t. 93, 1881, p. 1160—1161. 4) R. M. Yerkes, Reactions of Entomostraca to stimulation by light. Amer. Journ of Physiol., Vol. 3, 1899, p. 157—182. u“, v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 519 daraus nicht, dass die charakteristische Verteilung der Tiere ım Spektrum nur durch Intensitätsdifferenzen und nicht auch durch die Qualität der Farben verursacht ist. Und selbst wenn sich dies nachweisen ließe, wäre es voreilig, daraufhin den niederen Krebsen, wie es Merejkowsky will, einen Farbensinn abzusprechen; ein soleher könnte vorhanden, aber ohne Einfluss auf die phototaktischen Reaktionen sein. Schon J. Lubbok°) wandte sich gegen die von Merejkowsky gezogene Folgerung; er fand, dass die Daphnien „zwischen Strahlen von verschiedener Wellenlänge unterscheiden, und jene vorziehen, welche unsern Augen als Grün und Gelb erscheinen“ — und zwar nicht wegen ihrer Helligkeit, sondern wegen ihrer Farbe. Er schloss dies aus eimer großen Zahl von Einzelversuchen, bei welchen er je 50 Daphnien in einen Trog brachte, der zur Hälfte mit einem Farb- filter bedeckt, zur Hälfte offen war. Bei Anwendung von gelben oder grünen Farbfiltern war nach einer gewissen Zeit fast immer im Gelb oder Grün eine größere Zahl von Daphnien zu finden als in der unbedeckten Hälfte, obwohl sie die hellere Hälfte bevor- zugten, wenn man den Trog zum Teil durch eine Porzellanplatte verdunkelte oder durch Anwendung eines Spiegels eine Hälfte des Troges stärker belichtete. Wir dürfen auf Grund unserer Versuche Lubbock Recht geben. Als strengen Beweis für einen Farbensinn der Daphnien kann man jedoch seine Experimente kaum ansehen, da es möglich wäre, dass durch einen geeigneten Grad der Ver- dunklung einer Troghälfte derselbe Effekt zu erreichen ist wie durch die gelben und grünen Strahlenfilter. Neuerdings hat Hess®) das Verhalten niederer Krebse zu far- bigem Lichte untersucht. Er fand, dass sie sich so verhalten, „wie sich auch total farbenblinde Menschen verhalten würden, die, unter entsprechende Bedingungen gebracht, stets die für sie hellsten.... Stellen aufzusuchen sich bestrebten“”). So gibt er an, dass Daph- nien, die an mäßig helles Licht adaptiert sind, in einem lichtstarken Spektrum nicht das Gelb, das dem normalen, helladaptierten Men- schenauge am hellsten erscheint, sondern das Gelbgrün und Grün aufsuchen, also die Region, dıe dem total farbenblinden Menschen- auge am hellsten scheint. Für das total farbenblinde Menschen- auge ist ferner charakteristisch, dass es — im Gegensatze zum nor- malen, farbensehenden Menschenauge — für rotes Licht sehr wenig empfindlich ıst. Auch bei den Daphnien fand Hess ein dement- sprechendes Verhalten: Wurde das Bassin mit weißem Lichte be- leuchtet, und zwar die eine Hälfte heller als die andere, so gingen 5) J. Lubbock, On the sense of color among some of the lower animals. Journ. of the Linnean Society, Vol. 17, 1884, p. 205—214. 6) C. Hess, Lichtsinn, in Winterstein’s Handb. d. vergl. Physiol., Bd. 4. 7)21l:2:c5,.p--. 644. 34* 320 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. die Tiere in die hellere Hälfte. „Ist die eine Bassınhälfte mit lichtstarkem blauen, die andern mit einen für unser helladaptiertes Auge deutlich heller roten Glase belichtet, so eilen die Daphnien nach dem Blau, so lange dieses unserem dunkeladaptierten Auge bei passend herabgesetzter Lichtstärke deutlich heller erscheint als das Rot°). Steigert man aber die Lichtstärke des Rot so weit, dass es unserem dunkeladaptierten Auge heller erscheint als das Blau, so eilen die Tiere aus dem Blau ins Rot. Stellt man die Lampen für die Rot- und Blaufläche so, dass unser dunkeladaptiertes Auge bei herabgesetzter Lichtstärke beide angenähert gleich hell sieht, so ver- teilen sich auch die Daphnien ın angenähert gleicher Weise in beide Hälften. (Unserem helladaptierten Auge erscheint... das tot jetzt viel heller als das Blau)°).“ Durch solche und andere Methoden hat Hess zu zeigen ge- sucht, dass nicht nur Daphnien und sonstige niedere Krebse, sondern auch die verschiedensten anderen wirbellosen Tiere (Mückenlarven, Bienen, Käfer, Muscheln, Cephalopoden ete.) und auch Fische in ihrem Helligkeitssinn mit dem des total farbenblinden Menschen übereinstimmen, indem ılınen das Spektrum am langwelligen Ende verkürzt erscheint und die hellste Stelle für sie nicht im Gelb, sondern im Gelbgrün bis Grün liegt. Ein strikter Beweis, dass die betreffenden Tiere total farbenblind wären, ıst hiermit nicht ge- geben. Denn da wir nicht wissen, warum die Helligkeitsverteilung im Spektrum für den total farbenblinden Menschen eine andere ist als für den farbentüchtigen, können wir auch nicht behaupten, dass allgemein ım Tierreich ein Helligkeitssinn, welcher mit dem des total farbenblinden Menschen übereinstimmt, notwendig an totale Farbenblindheit gebunden sei. Man wird zum mindesten die Berechtigung zugeben müssen, die Frage auch von einer anderen Seite her zu untersuchen. Dies ıst bei Bienen!®) und Fischen '') geschehen und hat zu dem Resultat geführt, dass diese Tiere, trotz der von Hess konstatierten Übereinstimmung ihres Helligkeits- sinnes mit dem des total farbenblinden Menschen, Farbensinn be- sitzen. Demnach ist man auch nicht mehr berechtigt, bei den niederen Krebsen oder anderen Wirbellosen in einer Überein- stimmung ihres Helligkeitssinnes mit dem des total farbenblinden Menschen eine Stütze für die Annahme totaler Farbenblindheit bei diesen Tieren zu sehen. 8) Auch der normale Mensch sieht mit dunkeladaptierten Augen bei schwachem Lichte das Spektrum so, wie es der total Farbenblinde bei jeder Lichtstärke sieht. 9) ©. Hess, Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren. Arch. f. Augenheilkunde, Bd. 64, Ergänzungsheft, 1909, p. 52. 10) K. v. Frisch, Über den Farbensinn der Bienen und die Blumenfarben. Münchn. mediz. Wochenschr., 1913, Nr. 1. 11) K. v. Frisch, Sind die Fische farbenblind? Zoolog. Jahrb., Abt. f. allg. Zool. u. Physiol. d. Tiere, Bd. 33, 1912; daselbst weitere Literaturangaben. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 3. Überblicken wir die Angaben über die Reaktionen niederer Krebse auf farbiges Licht, so finden wir somit weder für noch gegen die Annahme eines Farbensinnes bei diesen Tieren zwingende Argumente. Wır haben nun bei Daphnien (D. magna und pulex) und bei Artemia salina charakteristische Farbenreaktionen feststellen können, bei einer Versuchsanordnung, welche die Möglichkeit aus- schließt, dass es sich nur um Reaktionen auf Intensıtätsdifferenzen handle, und die nicht anders zu erklären sind als durch die An- nahme, dass die genannten Tiere einen Farbensinn besitzen. 1. Erster Fundamentalversuch: Negativierung der Daphnien durch blaues Licht. Wir bringen eine größere Anzahl von Daphnia magna in die Dunkelkammer und belichten sie mit einer seitlich angebrachten Lichtquelle von mäßiger Intensität. Nach einiger Zeit sind die Daphnien an dieses Licht adaptiert und mehr oder weniger gleichmäßig in dem Gefäß verteilt. Setzt man nun die Lichtintensität herab, so nähern sich die Daphnien der Lichtquelle, sie werden positiv-phototaktisch. Steigert man die Lichtintensität, so entfernen sich die Tiere von der Lichtquelle, sie werden negativ-phototaktisch. Nach einiger Zeit sind die Daphnien in beiden Fällen wieder gleichmäßig im Gefäß verteilt. Wir setzen nun eine geeignete Blauscheibe vor die Licht- quelle. Würden die Farben von den Daphnien nur als Hellig- keitsdifferenzen wahrgenommen, dann wäre das Vorschalten der Blauscheibe für die Tiere gleichbedeutend mit einer Herabsetzung der Lichtintensität, denn es wird von dem vorhandenen Licht etwas weggenommen. Sie müssten sich also der Lichtquelle nähern. Tat- sächlich geschieht das Gegenteil, die Tiere werden „negativ“. Dies ist somit eine spezifische Wirkung der blauen Farbe und hat mit der Reaktion auf Intensitätsänderung des Lichtes nichts zu tun). Zum Nachweis dieses Verhaltens ist folgende Versuchsanord- nung geeignet: Als Lichtquelle dient eine 100kerzige Osramlampe (Z, vel. Fig. A), welche in den außen schwarz überkleideten Kasten (A) lichtdieht eingefügt ist. Der Kasten hat (in der Abbildung links) eine mit einer Mattscheibe (M,) versehene Öffnung, vor welcher eine Irisblende (7) lichtdicht angepasst ist. Der Durchmesser der Blendenöffoung beträgt maximal 10 em. An die Irisblende schließt eine innen weiße, außen schwarz überkleidete Röhre aus Pappe (R) an, deren Abschluss eine zweite Mattscheibe (M,) bildet. Diese ist an ihrer freien Seite mit schwarzem Papier (P) beklebt, das mit einem kreisrunden Ausschnitt (4) von 9 cm Durchmesser versehen 12) Details und Abweichungen von dem geschilderten Verhalten werden weiter unten beschrieben. 52 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. ist. Die Daphnien sind in einem Gefäß (D) mit planparallelen Wänden untergebracht (Länge 20 cm, Breite 12 cm, Höhe 10 cm). Die Vorderwand (V) des Gefäßes ist 20 cm von der Mattscheibe M, entfernt. Der Boden des (refäßes ıst mit dem unteren Rande des Ausschnittes A, der Wasserspiegel mit dem oberen Rande desselben auf gleicher Höhe. Für die Daphnien stellt der Abschnitt A der von hinten be- leuchteten Mattscheibe M, die Lichtquelle dar. Die Intensität dieser leuchtenden Kreisfläche war (bei vollständig geöffneter Irisblende) — der Intensität von 6 Normalkerzen. Bei Verengerung der Irisblende sieht man vom Standpunkt der Daphnien aus die Intensität der leuchtenden Fläche (A) ab- nehmen, ohne dass ihre Ausdehnung sich ändert; denn die Matt- scheibe M7, und die Röhre R bewirken, dass auch bei enger Blenden- öffnung die Fläche A in allen Teilen gleichmäßig beleuchtet wird. Um die Intensität der leuchtenden Fläche Ain einer kontrollier- baren Weise abstufen zu können, wurde folgende Einrichtung getroffen: Fig. B zeigt den die Lampe enthaltenden Kasten mit der Irisblende in der Ansicht von vorne, nach Entfernung der Röhre (R in Fig. A); die Handhabe (H) der Iris- blende steht bei /, wenn die Blende vollständig geöffnet ist; bei XII, wenn sie vollständig geschlossen ist; neben der Irisblende ist am Kasten ein Blech (Bl) be- festigt; in diesem sind zwei Serien von Löchern angebracht, in welche ein Stift (St) passt. Die Löcher der inneren Serie (mit römischen Ziffern bezeichnet) sind derart angeordnet, dass, wenn der Stift im Loch // steckt und die Handhabe (HM) so weit verschoben wird, bis sie an den Stift anstößt, die Intensität der leuchtenden Fläche A (vgl. Fig. A) angenähert auf die Hälfte herabgesetzt wird (= 3 Normalkerzen); wird die Handhabe bis /II gedreht, so ist die Intensität der Fläche 4A angenähert — !/, der ursprünglichen Intensität —= 1,5 Normalkerzen; bei IV = '/, der ur- sprünglichen Intensität — 0,75 Normalkerzen ete. Auf eine genaue Abstufung der Intensität kam es bei unseren Versuchen nicht an. Diese innere Einteilung ergibt sehr feine Abstufungen bei starker Herab- setzung der Lichtintensität. Die ersten Sprünge, von I nach II, von I nach IIT, sind dagegen beträchtlich und es wurde deshalb noch die äußere Serie von Löchern (mit arabischen Ziffern bezeichnet) angebracht; steckt der Stift im Loch 2 und wird die Handhabe bewegt, bis sie anstößt, so ist der Durchmesser der Iris- blende von 10 auf 9 cm verkleinert, die Intensität der leuchtenden Fläche A ange- nähert um !/,, vermindert; beim Loch 3 beträgt der Durchmesser 8 cm, die Inten- sität der Fläche A angenähert °/,, = */, der ursprünglichen Intensität ete. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 595 Die Versuche begannen wir in der Regel damit, dass wir einige hundert Daphnien'?), welche in schwachem diffusem Tageslicht ge- standen hatten, in dem Parallelwandgefäß ın die Dunkelkammer brachten und ın der oben beschriebenen Anordnung bei vollständig geöffneter Blende etwa !/, Stunde an das Lampenlicht adaptieren ließen. Sie pflegten nach dieser Zeit ziemlich gleichmäßig durch das ganze Gefäß zerstreut zu sein und kehrten, wie dies schon mehrfach beschrieben ist (Rädl, W.F. Ewald u.a.), ihren Rücken der Lichtquelle zu; die ganze Masse verschiebt sich weder zum K I H Bl Fig. B. Licht noch vom Licht fort, nur einzelne Tiere sieht man ab und zu plötzlich positiv oder negativ werden. Schwache Herabsetzung der Lichtintensität (etwa von / auf 2 oder 3 [auf °/,, oder ®ıo der ursprünglichen Intensität, vgl. Fig. B und die Erläuterung dazu im Text]) hat keinen merklichen Einfluss auf ihre Bewegungen; öffnet man die Blende wieder und setzt (nach einigen Minuten) die Intensität etwas stärker herab!*), so bewegt sich unmittelbar nach der Verdunklung die ganze Masse der Daphnien ein kurzes Stück auf die Lichtquelle zu; bei Steigerung der Lichtstärke auf die ursprüngliche Intensität reagieren die Tiere durch kurzes Fort- 13) Daphnia magna eignet sich zu den Versuchen besser als D. pulex, bei welcher die Farbenreaktionen oft undeutlich sind. 14) Allgemein gültige Zahlen lassen sich nicht angeben, da verschiedenes Daphnienmaterial sehr verschieden empfindlich ist. 524 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe etc. schwimmen vom Licht. Diese Reaktion wird nun immer deutlicher, wenn man die Intensitätsdifferenzen steigert’): Bei Verminderung der Intensität etwa von I auf VI oder VII drehen sich die Daphnien sogleich um und schwimmen mit dem Kopf voraus auf die Lichtquelle zu, sinken an der dem lachte zu- gewandten Gefäßwand ab (woran der Wirbel schuld sein dürfte, den die schräg nach unten schlagenden Ruderantennen erzeugen) und mühen sich am unteren Rande der Gefäßwand weiter ab, dem Lichte zuzueilen; öffnet man nun die Blende, so beginnen die Daphnien sofort, sich durch das ganze Gefäß gleichmäßig zu zer- streuen; lässt man aber die Intensität längere Zeit herabgesetzt, so beginnt die „positive Ansammlung“ nach etwa 1 Minute von selbst sich aufzulösen und nach etwa 3—4 Minuten sind die Tiere gleichmäßig im Gefäß verteilt. Öffnet man jetzt die Blende, so eilen die Tiere von der Lichtquelle weg und es kommt zu einer „negativen Ansammlung“ (an der dem Lichte abgewandten Gefäß- wand). Auch diese Ansammlung löst sich nach einigen Minuten von selbst auf und macht wıeder einer gleichmäßigen Verteilung der Tiere Platz. Setzt man die Lichtintensität noch stärker herabals ın den früheren Fällen, so nımmt die Lebhaftigkeit, mit der die Tiere auf die Lichtquelle zueilen, wieder ab; außerdem bemerkt man nun ein Aufsteigen der Daphnien aus den tieferen Regionen des Gefäßes zur Oberfläche. Beim Öffnen der Blende sinken die Tiere ab und eilen dann vom Licht fort. Erfolgt das Aufsteigen bei starker Verdunklung zunächst noch schräg, in der Richtung zum Licht hin, so nimmt doch die horizontale Komponente der Bewegung immer mehr ab, je stärker man verdunkelt; bei einer Herabsetzung der Intensität etwa von J auf X/ erfolgt kaum mehr eine merkliche Annäherung an das Licht, aber allgemeines Aufsteigen; beim Öffnen der Blende sodann Absinken und Fliehen vor dem Licht. Auch bei völliger Verdunklung steigen die Tiere meist an die Ober- fläche auf. Die Daphnien reagieren also auf schwache Herabsetzung der Intensität nicht, auf mittelstarke Herabsetzung durch Annäherung an das Licht, sie werden positiv-phetotaktisch, auf sehr starke Herabsetzung der Intensität durch Aufsteigen an die Oberfläche, und diese Reaktionsweisen sind unter- einander durch kontinuierliche Übergänge verbunden. 15) Die hier beschriebenen Reaktionen auf Intensitätsveränderungen sind im wesentlichen schon bekannt. Vgl. z. B. W. F. Ewald (Über Orientierung, Loko- motion und Lichtreaktionen einiger Cladoceren und deren Bedeutung für die Theorie der Tropismen, Biolog. Oentralbl., Bd. XXX, 1910, p. 13 ff.); auf p. 16 sagt er: „Es lässt sich demnach für die Cladoceren der Satz aufstellen: das „Optimum“ der Belichtung ist relativ bestimmt durch die Lichtintensität, an welche die Tiere adap- tiert sind. Herabsetzen der Intensität hat Bewegung zum Licht hin, Erhöhen die Flucht vom Licht fort zur Folge.“ Biologisches Centralblatt 1913. Taf. III. Fig. 1. Verteilung der Daphnien in einem Parallelwandgefäß nach längerer Adaptation an das seitlich ein- fallende weiße Licht. Der Pfeil gibt die Einfallsrichtung des Lichtes an. (Die dunkle Masse, welche in der Mitte des Gefäßes auf dem Boden liegt, ist Detritus, dessen Lage sich natürlich auf den folgen- den Bildern nicht verändert.) Fig. 2. Verteilung der gleichen Daphnien !/; Minute nach Verminderung der Lichtintensität. Die Hauptmasse der Tiere hat sich an der Lichtseite unten angesammelt. Dr. v. Frisch und Dr. Kupelwieser, München. Sinsel & Co. G.m.b.H, Leipzig-Oetzsch. Biologisches Centralblatt 1913. Taf. Fig. 3. Nachdem die Lichtintensität auf die normale Stärke zurückgebracht worden war und die Daphnien sich wieder so verteilt hatten, wie es die Fig. 1 darstellt, wurde eine Blauscheibe vor die Licht- quelle gesetzt. Obwohl hiermit eine Verminderung der Lichtintensität verbunden ist, sammeln sich die Daphnien an der vom Lichte abgewandten Seite des Gefäßes an. (Die Aufnahme ist ca. I Minute nach dem Vorsetzen der Blauscheibe gemacht). Die gleichen Daphnien einige Minuten nach Entfernung der Blauscheibe. Sie haben sich wieder durch das ganze Gefäß zerstreut. Dr. v. Frisch und Dr. Kupelwieser, München. Sinsel & Co. G.m.b.H, Leip IV. Biologisches Centralblatt 1915. Taf. V. Fig. 5 Reaktion auf Steigerung der Lichtintensität. Die Daphnien sammeln sich an der vom Lichte abgewandten Gefäßwand, wie nach dem Vorschalten der Blauscheibe (Aufnahme !/,—1 Minute nach der Intensitätssteigerung). Dr. v. Frisch und Dr. Kupelwieser, München. Sisel & Co. G.m.b.H, Leipzig-Oetzsch v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 325 Wenn man nun bei geöffneter Irisblende eine Blau- scheibe vor die Mattscheibe M, (Fig. A) setzt, so eilen die Daphnien sofort von der Lichtquelle weg und es kommt zu einer negativen Ansammlung, wie sonst bei Steige- rung der Lichtintensität, obwohl durch das Vorsetzen der Blauscheibe die Intensität herabgesetzt wird. Ent- fernt man die Blauscheibe, so eilen die Tiere auf das Licht zu, und es kommt zu einer positiven Ansamm- lung, wie sonst bei Herabsetzung der Intensität, obwohl durch das Entfernen der Blauscheibe die Intensität ge- steigert wird. Es sei aber gleich betont, dass dieser Versuch mit den meisten käuflichen Blauscheiben nicht gelingt, weil sie zu dunkel sind; es ist dann mit dem Vorschalten der Blauscheibe eine so starke Herabsetzung der Lichtintensität verbunden, dass die Verdunklungs- reaktion über die Farbenreaktion das Übergewicht bekommt und die Tiere positiv werden; dies mag auch der Grund sein, warum die früheren Beobachter die hier beschriebene Reaktion übersehen haben. Wir werden weiter unten eine Farblösung angeben, die leicht herzustellen ist und ebenso wirkt wie unsere Blauscheibe (p. 538). Um eine Vorstellung davon zu geben, mit welcher Deutlichkeit die Reaktionen stattfinden, bringen wir auf Taf. I und II einige Blitzlichtaufnahmen. Alle fünf Aufnahmen sind an dem gleichen Material binnen 50 Minuten gemacht. Eine störende Nachwirkung von dem kurzen Aufleuchten des Blitzlichtpulvers war an den Daphnien nicht zu bemerken. Die dunkle Masse, welche in der Mitte des Gefäßes auf dem Boden liegt, ist Detritus, dessen Lage natürlich unverändert bleibt. Taf. III Fig. 1 (aufgenommen 2!°®) zeigt die Verteilung der Daph- nien im Gefäß nach längerer Adaptation an das Lampenlicht. Die Tiere sind durch das ganze Gefäß zerstreut, an der „positiven“ wie an der „negativen Seite“ bemerkt man, namentlich unten, eine größere Ansammlung von Tieren; die Bildung eines solchen „posi- tiven“ und „negativen Lagers“ konnten wir öfter beobachten. Taf. II Fig. 2 (aufgenommen 2?°») zeigt die Verteilung der Tiere nach einer mäßig starken Herabsetzung der Lichtintensität (Blende von J/ auf /V, also Herabsetzung der Intensität auf '/,); die Auf- nahme erfolgte !/, Minute nach der Verengerung der Blende. Man sieht die Hauptmasse der Daphnien an der positiven Seite unten angesammelt, an der vom Lichte abgewandten Seite des Gefäßes sind nur vereinzelte Tiere bemerkbar. Nach der Aufnahme wurde die Blende sogleich wieder geöffnet und die Daphnien verteilten sich im Gefäß wieder so, wie es die Fig. 1 darstellt. Nun wurde die Blauscheibe vorgesetzt (2*°") und 5265 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. ca. 1 Minute darauf die Aufnahme gemacht, welche auf Taf. IV Fig. 3 wiedergegeben ist. Es besteht eine dichte „negative Ansammlung“, die dem Lichte zugewandte Seite des Behälters ist verödet. Nun wurde die Blauscheibe entfernt, die Tiere zerstreuten sich wieder durch das ganze Gefäß (Taf. IV Fig. 4, 2°°»). Einige Minuten vor 3" wurde die Blende verengert (wieder von I auf IV); es kam natürlich zu einer „positiven Ansammlung“; nun wurde abgewartet, bis die Daphnien sich wieder gleichmäßig zerstreut hatten und dann (3%) die Blende geöffnet und !/,—1 Mi- nute später die Aufnahme Taf. V Fig. 5 gemacht; man sieht, dass die Steigerung der Lichtintensität die Tiere negativ gemacht hat, wie früher das Vorschalten der Blauscheibe. Nicht selten waren die Reaktionen noch weit auffallender als bei dem hier photographisch festgehaltenen Versuche. Um zu zeigen, wie die Versuche im einzelnen durchgeführt wurden, und als Beleg für die bisher geschilderten Reaktionen geben wir im folgenden ein Versuchsprotokoll wieder. Es wurden — aus naheliegenden Gründen — die verschiedenen Abstufungen der Blendenverengerung nicht der Reihe nach, sondern in willkür- licher, ungeordneter Reihenfolge durchprobiert und in der Regel mehrmals zwischendurch die Reaktion auf das Vorschalten der Blau- scheibe geprüft (in dem hier zitierten Versuche kam die Blauscheibe erst am Schlusse zur Anwendung). Versuch vom 23. Februar 1913. 9°°h wurde eine Anzahl Daphnia magna im Parallelwandgefäß in die Dunkelkammer gestellt und '/, Stunde dem Lampen- licht bei geöffneter Blende ausgesetzt. 10° n. Blende von I auf 5'%); keine sehr deutliche Reaktion. 10%h, Blende von 5 auf I; deutliche negative Reaktion. 10'h, Blende von / auf 6; die Mehrzahl der Daphnien wird sofort positiv. 10'°h,. Blende von 6 auf I; die Daphnien schwimmen vom Lichte weg. 10'*h, Blende von / auf 3; momentan kurzes Absinken, dann ganz schwache posi- tive Schwankung, beides aber ziemlich undeutlich. 10!°h, Blende von 3 auf /; einige Tiere zeigen eine negative Reaktion, im Ganzen keine deutliche Reaktion. 10'%h, Blende von / auf 8; sofort starke positive Reaktion; die Tiere schwimmen nach der Lichtseite, wo sie sich fast alle versammeln. 10°°h, Blende von 8 auf /; alles flieht vor dem Lichte, nach !;, Minute sind die Daphnien bereits aka. durch das ganze Gefäß een nach ! „ Mi- nute ist eine starke negative Ansammlung vorhanden. 10°, Blende von / auf 4; keine deutliche Reaktion. 10°:h, Blende von £ auf ih sehr deutliche, wenn auch nicht starke negative Re- aktion. 10°'h, Blende von / auf 1/0; die Daphnien werden positiv; die Beobachtung ist bei der geringen Lichtintensität erschwert. 10°°h, Blende von /0 auf /; jetzt sieht man erst, dass die Daphnien quantitativ an der positiven Seite angesammelt sind; nun fliehen sie vor dem Lichte, 16) Vgl. Fig. B und die Erläuterung dazu im Text. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 597 nach '/, Minute sind sie durch das ganze Gefäß zerstreut, dann kommt es zu einer negativen Ansammlung. 10°h, Blende von / auf 9; deutliche positive Reaktion. 10” h, Blende von 7 auf I; die sehr starke positive Ansammlung löst sich flucht- artig auf. 10°. Blende von / auf 7; ziemlich schwache positive Reaktion. 10°°h, Blende von 7 auf I; starke negative Reaktion. 10%®h, Blende von I auf 2; keine Reaktion. 10°h, Blende von 2 auf I; keine Reaktion. Nun gehen wir, um noch einige stärkere Verdunklungen als von / auf 10 an- zuwenden, auf die innere Blendeneinteilung über. 10”h,. Blende von / auf VIII; die Intensität ist so weit herabgesetzt, dass die Daphnien nicht deutlich zu erkennen sind. 10°*h, Blende von VIII auf I; die Daphnien sind alle an der positiven Seite an- gesammelt, und zwar die meisten am Boden, einige in der Nähe der Ober- fläche; nun werden sie stark negativ. 10h, Blende von I auf X; es ist nichts zu erkennen. 10%h, Blende von X auf I; etwa die Hälfte bis ein Drittel der Daphnien ist an der Oberfläche angesammelt, die übrigen sind vorwiegend in der dem Lichte zugekehrten Hälfte des Gefäßes, doch nicht unmittelbar an der Gefäßwand; nun sinken sie ab und werden negativ; um 10°°h sind sie gleichmäßig im Gefäß verteilt. 10%°h, Blende von I auf XII; es ist nichts zu erkennen. 10°°h, Blende von XII auf /; sie sind gleichmäßig über die ganze Länge des Ge- fäßes verteilt, etwa die Hälfte der Tiere ist an der Oberfläche; nun sinken sie ab, dann werden sie negativ, nicht übermäßig stark, immerhin kommt es zu einer beträchtlichen negativen Ansammlung, die sich rasch wieder auflöst. 10%; h, Blauscheibe vorgesetzt; alles bewegt sich sofort in der Richtung vom Lichte weg und es kommt zu einer starken negativen Ansammlung. 10° n. Blauscheibe entfernt; deutliche positive Reaktion, die negative Ansammlung löst sich auf und die Tiere verteilen sich wieder gleichmäßig im Gefäß. Man könnte vielleicht meinen, solche Versuche seien noch kein strenger Beweis für das Vorhandensein von Farbensinn; denn das Vorschalten des Blau könnte doch für die Daphnien gleichbedeutend sein mit einer bestimmten Herabsetzung der Intensität, deren Grad zwischen zwei Graden unserer Blendeneinteilung läge. Dass dem so wäre, ıst sehr unwahrscheinlich schon deshalb, weil — wie oben auseinandergesetzt wurde und auch aus dem Protokoll zu ersehen ist — die Reaktionsweise der Daphnien auf sehr schwache Verdunklung kontinuierlich übergeht in ihre Re- aktionsweise auf starke und auf sehr starke Verdunklung; sollte der Einwand zu Recht bestehen, so müsste mitten in dieser kon- tinuierlichen Reihe, und zwar zwischen zwei Gradeinteilungen unserer Blende, ein zweimaliger plötzlicher Umsehlag zu einer gegensinnigen Reaktionsweise stattfinden; noch unwahrscheinlicher wird eine solche Annahme dadurch, dass blaue Lösungen von recht verschiedener Konzentration in gleichem Sinne wirken; und sie lässt sich völlig zurückweisen auf Grund folgenden Versuches: Setzt man die Blau- scheibe vor und verengert gleichzeitig die Blende von / auf 2 528 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. oder von / auf 3 oder von / auf 4 (Fig. B), so erfolgt dennoch jedesmal eine negative Reaktion; erst wenn man gleichzeitig mit dem Vorschalten der Blauscheibe die Blende von / auf 5 verengert, halten sich die Farben- und die Intensitätsreaktion die Wage; es ist interessant zu beobachten, wie dann die Daphnien oft, im Wett- streit beider Reaktionen, horizontal und senkrecht zur Richtung der Lichtstrahlen hin- und herschwimmen, ohne sich der Licht- quelle merklich zu nähern oder sich von ıhr zu entfernen. Noch stärkeres Verengern der Blende beim Vorsetzen der Blauscheibe hat dann, je nach dem Grade der Verengerung, langsames oder rasches Zuschwimmen auf die Lichtquelle zur Folge: es überwiegt die Verdunklungsreaktion !"). Wollte man nun trotzdem den oben erwähnten Einwand auf- recht halten, so müsste man annehmen, dass bei vier verschiedenen Graden der Verdunklung, und zwar immer zwischen je zwei Graden unserer Blendeneinteilung, jedesmal ein doppelter plötzlicher Um- schlag zu einer gegensinnigen Reaktion stattfinde. Und zu dieser Annahme wird sich wohl niemand entschließen. Als Beleg für das Gesagte diene die Fortsetzung des oben zitierten Versuchsprotokolls: 105b, Blende von / auf 2 und zugleich Blauscheibe vorgesetzt; die Daphnien werden alle negativ. ılh, Blende von 2 auf / und Blauscheibe entfernt; starke positive Reaktion; es kommt zu einer positiven Ansammlung. 11%h, Blende von / auf 3 und Blauscheibe vorgesetzt; allgemein negative Re- aktion, starke negative Ansammlung. 11%h, Blende von 3 auf / und Blauscheibe entfernt; starke positive Reaktion und Ansammlung an der positiven Seite. 11%, Blende von / auf # und Blauscheibe; deutliche und allgemeine negative Reaktion, aber schwächer und langsamer als die letzten Male. 11°. Blende von 4 auf / und Blauscheibe entfernt; deutliche positive Reaktion, die negative Ansammlung löst sich auf. 11!°h, Blende von / auf 5 und Blauscheibe; nun herrscht ziemliches Gleich- gewicht; einige Tiere sieht man positiv, andere negativ werden, die meisten behalten ihren Abstand von der Lichtquelle bei. 11'?h, Blende von 5 auf Z und Blauscheibe entfernt; die gleiche Sache, einige Daphnien werden negativ, andere positiv, im ganzen ändert sich ihre Ver- teilung nicht wesentlich. 11'!h, Blende von / auf 7 und Blauscheibe; deutliche, langsame positive Reaktion. 11'%h, Blende von 7 auf / und Blauscheibe entfernt; im allgemeinen negative Re- aktion, doch bleibt ein beträchtlicher Teil der positiven Ansammlung noch längere Zeit bestehen. Wie wir die Reaktion bisher geschildert haben, kann sie als die normale, typische bezeichnet werden; bei der Kompliziertheit der phototaktischen Reaktionen kann man sich nicht darüber wundern, 17) Verengert man die Blende, lässt die Tiere an die herabgesetzte Intensität adaptieren und setzt dann erst die Blauscheibe vor, so erhält man auch bei ge- ringer Lichtstärke eine deutliche Farbenreaktion. v. Frisch u. Kupelwieser, Uber den Einfluss der Lichtfarbe ete. 529 dass nicht selten Abweichungen von diesem Verlaufe vorkommen, auf die wir kurz hinweisen müssen: 1. Manchmal verteilen sich die Daphnien auch nach '/,—1stün- diger Adaptation an das Lampenlicht nicht ganz gleichmäßig durch das Gefäß, sondern sind dauernd an der positiven oder an der negativen Seite etwas dichter angehäuft; dies stört die Versuche nicht wesentlich, dıe Massenbewegungen sind auch unter diesen Umständen klar zu erkennen. 2. Nicht selten haben wır Daphnienmaterial bekommen, das auf Vorsetzen der Blauscheibe in gleicher Weise reagierte wie auf Verdunklung (positiv) oder so undeutlich und unzuverlässig negatıv wurde, dass keine klaren Resultate zu erhalten waren. Solches Material ist für unsere Versuche unbrauchbar. 3. Zweimal ıst uns im Verlaufe dıeser Untersuchung, die sich über ein ganzes Jahr erstreckt, Daphnienmaterial untergekommen, das nicht nur bei Steigerung der Lichtintensität, sondern auch bei Herabsetzung derselben negatıv wurde (einmal im Februar, einmal im Mai). Das eine Mal reagierten die Daphnien nur undeutlich selbst auf starke Änderungen der Lichtintensität, es war aber doch sicher erkennbar, dass sie sowohl beı Steigerung wie bei Verminde- rung der Intensität schwach negativ wurden. Sıe zeigten tagelang das gleiche Verhalten, während anderes Daphnienmaterial zur gleichen Zeit bei der gleichen Anordnung normal reagierte. Das andere Mal zeigten die Tiere auch sowohl bei Erhellung wie bei Verdunk- lung eine „negative“ Reaktion, aber doch in verschiedener Weise: Bei Steigerung der Intensität schwammen sie ın normaler Weise von der Lichtquelle weg; bei Herabsetzung der Intensität sprangen sie im ersten Moment wild durcheinander, und zwar hauptsächlich in der Richtung vom Licht weg; dann pflegten sie sich dem lachte wieder zu nähern. Beim Vorschalten der Blauscheibe eilten alle vom Lichte weg und waren nach kurzer Zeit fast quantitativ an der vom Lichte abgewendeten Gefäßwand versammelt. Dieselben Daphnien reagierten am nächsten Tage völlig normal. 4. Zweimal ist es uns auch vorgekommen, dass Daphnien nicht nur bei Herabsetzung, sondern auch bei Steigerung der Intensität positiv wurden. Auch hier war die Reaktion trotzdem verschieden von der Reaktion auf Entfernung der Blauscheibe, da die Daphnien bei der Intensitätssteigerung zunächst deutlich negativ wurden und erst nach !/,—!/, Minute sich der Lichtquelle zu nähern be- gannen, während sıe beim Entfernen der Blauscheibe sofort auf das Licht zuschwammen. 5. Schließlich ıst zu erwähnen, dass wir ım Juli 1912 eın Daphnienmaterial hatten, das beim Vorschalten der Blauscheibe gar nicht oder nur undeutlich negativ wurde, aber in anderer, sehr charakteristischer Weise auf das blaue Licht reagierte: Während 530 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe etc. die Tiere bei mittlerer Herabsetzung der Intensität auf das Licht zuschwammen, bei starker Herabsetzung an die Oberfläche auf- stiegen, stürzten sie beim Vorschalten der Blauscheibe mit dem Kopf voraus nach unten und sammelten sich alle am Boden des Gefäßes an; beim Entfernen der Blauscheibe stiegen sie wieder in die höheren Regionen des Gefäßes empor, während sie auf Steige- rung der Lichtintensität in normaler Weise durch Fortschwimmen vom Licht reagierten. Für all diese Abweichungen können wir keine Gründe angeben. Wir müssen uns damit begnügen, festzustellen, dass meist die ge- samten Tiere eines bestimmten Fanges gut oder schlecht oder irgendwie abnorm reagierten, unabhängig von den äußeren Be- dingungen, denen sie vor und während des Versuches ausgesetzt waren. Das seitliche Anbringen der Lichtquelle hat manche Vorteile, entspricht aber nicht den normalen Bedingungen; daher schien es uns wünschenswert, auch zu prüfen, wıe die Reaktionen ausfallen, wenn das Licht von oben kommt. Zu diesem Zwecke wurde unsere Versuchsanordnung etwas verändert: der Lampenkasten wurde gehoben und vor dem- selben ein Spiegel aufgestellt, der, um 45° geneigt, das Licht in vertikaler Richtung ın das Gefäß mit den Daphnien warf. Da bei dieser Anordnung zu erwarten war, dass die Daphnien vor- wiegend in vertikaler Richtung wandern würden, kam ein höheres Parallelwandgefäß (15 cm lang, 15 cm breit, 20 cm hoch) zur An- wendung. Der Versuch hatte folgendes Resultat: Auf jede beliebige Ver- engerung der Blende — wenn sie nicht zu geringfügig war — reagierten die Daphnien durch Aufsteigen an die Oberfläche, also wieder durch Annäherung an die Lichtquelle; wurde die Blende wieder geöffnet, so entfernten sie sich von der Lichtquelle und sammelten sich am Boden des Gefäßes an; es geschah dies zum Teil durch passives Absinken (schwächere Ruderschläge), zum Teil aber auch durch eine Änderung der Schwimmriechtung: die Daphnien stellten sich mit der Längsachse ihres Körpers annähernd horizontal und sanken auf diese Weise vasch ab. Nach Vorschalten der Blau- scheibe sammelten sich die Daphnien ın gleicher Weise am Boden des Gefäßes an wie nach Steigerung der Lichtintensität; nach dem Entfernen der Blauscheibe erfolgte ein allgemeines Aufsteigen der Tiere — wie nach Herabsetzung der Lichtintensität. Das Resultat stimmt somit völlig zu dem, was wir bei seitlich angebrachter Licht- quelle gesehen haben. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 531 ll. Zweiter Fundamentalversuch: Positivierung der Daphnien durch rotgelbes Licht. Im vorigen Kapitel wurde gesagt, dass Daphnien, welche beim Vorschalten einer Blauscheibe vor die weiße Lichtquelle negativ geworden waren, beim Entfernen der Blauscheibe, trotz der hier- mit verbundenen Intensitätssteigerung positiv-phototaktisch werden. Da das Entfernen der Blauscheibe gleichbedeutend ıst mit einem Hinzufügen von vorwiegend langwelligen Strahlen, lag die Ver- mutung nahe, dass ganz allgemein langwelliges Licht positivierend auf die Daphnien wirke, im Gegensatz zur negativierenden Wirkung des kurzwelligen Lichtes. Diese Vermutung wird gestützt durch folgende Beobachtung: Lässt man die Daphnien an das weiße Lampenlicht adaptieren und schaltet man eine Rot- oder Gelbscheibe oder eine Lösung von Kaliumbichromat vor, so eilen die Tiere sofort auf die Lichtquelle zu. Nun ist aber der Versuch in dieser Form nicht verwertbar, da mit dem Vorschalten der Rotscheibe eine Herabsetzung der Lichtintensität verbunden ist und die positive Reaktion auch allein durch diese Intensitätsveränderung ausgelöst sein könnte. Man muss also das Rot einwirken lassen, ohne dabei die Gesamtintensität herabzusetzen. Zu diesem Zwecke brachten wir in dem Kasten X (v gl.Fig. A,p.522) zwei 100kerzige Osramlampen nebeneinander an; sie waren durch eine nase hellen voneinander getrennt, derarı dass die Matt- scheibe M, von beiden Lampen beleuchtet wurde; das Licht wurde auf dem Wege bis zur Mattscheibe M, so weit zerstreut, dass diese in allen Teilen gleichmäßig leuchtend schien, auch wenn nur eine der beiden Lampen brannte; setzte man vor eine Lampe eine Ku- vette mit einer Lösung von Kalıiumbichromat und ließ beide Lampen brennen, so mischte sich das orangerote und das weiße Licht und die Mattscheibe M, erschien gleichmäßig rötlich. Wir ließen nun Daphnien an das weiße Licht einer Lampe adaptieren; waren sie gleichmäßig im Gefäß verteilt und zündeten wir nun die zweite Lampe mit der vorgeschal- teten Kaliumbichromatlösung an,so schwammen die Daph- niıen auf die Lichtquelle zu undes kam zu einer Ansamm- lung der Tiere an der positiven Seite, obwohl sie durch Verstärkung der Lichtintensität negativ werden. Dass die Daphnien durch Steigerung der Lichtintensität negatıv werden, geht aus den im vorigen Kapitel beschriebenen Tatsachen hervor; um die Sache aber auch für diese spezielle Versuchsanord- nung zu prüfen, ließen wir zunächst beide Lampen ohne vorge- schaltete Kaliumbichromatlösung brennen und stellten dabei die Blende auf 6 (vgl. Fig. B); unsere leuchtende Kreisfläche (M,, Fig. A) 539 v. Frisch u. Kupelwieser, Uber den Einfluss der Lichtfarbe ete. hatte dann angenähert die gleiche Lichtintensität wie bei geöffneter Blende und einer brennenden Lampe. Nun prüften wir in be- liebiger Reihenfolge die Reaktion der Daphnien auf Blenden- erweiterung von 6 auf 5, 4, 3, 2 und /; mit anderen Worten: wir nahmen zum Ausgangspunkt die Intensität bei einer brennenden Lampe und geöffneter Blende (in Wirklichkeit brannten beide Lampen beı entsprechend verengerter Blende) und prüften die Re- aktion der Daphnien auf Steigerung der Intensität (in fünf Ab- stufungen) bis zur Intensität bei zwei brennenden Lampen und geöffneter Blende. Innerhalb dieser Grenzen muss die In- tensitätssteigerung liegen, welche damit verbunden ist, dass wir zur einen brennenden Lampe die zweite Lampe mit vorgeschalteter Kaliumbichromatlösung hinzufügen. Es zeigte sich, dass jede Intensitätssteigerung innerhalb der genannten Grenzen eine negative Reaktion der Daphnien zur Folge hat, die um so deutlicher wird, je stärker der Intensitätsunterschied ist; das Hin- zufügen von Orangerot hingegen machte die Tiere trotz der Inten- sıtätssteigerung positiv; es handelt sich also auch hier um eine spezifische Wirkung der Farbe. Ill. Abgrenzung der wirksamen Spektralbezirke. Das Spektrum der von uns verwendeten, recht lichtstarken Blauscheibe zeigte einen Absorptionsstreifen ım Rot, ein starkes Absorptionsband ım Orange und Gelb und ein mäßıges Absorptions- band im Grün; Blau und Violett wurde ungeschwächt durchgelassen. Das mit dieser Glasscheibe erzeugte blaue Licht war also recht heterogen. Da es uns interessierte, welcher Teil des Spektrums für die negativierende Wirkung dieses Blau verantwortlich zu machen ist, mussten wir wenig ausgedehnte, scharf begrenzte Be- ziırke des Spektrums zur Anwendung bringen und stellten uns zu diesem Zwecke Farblösungen nach den Angaben von Nagel'®) her. Doch da tauchte sofort eine Schwierigkeit auf: Schaltet man vor die Lampe blaue Farblösungen von solcher Konzentration, dass man scharf begrenzte Ausschnitte aus dem Spektrum erhält, so wird dadurch die Lichtstärke viel zu sehr herabgesetzt; die Daph- nien werden positiv, es überwiegt die Verdunklungsreaktion. Wir haben uns so geholfen, dass wir als Lichtquelle statt einer Lampe zwei Lampen benutzten und vor beide Lampen Farb- lösungen vorschalteten, z. B. vor die eine Blau, vor die andere Gelb; die Daphnien sind nach kurzer Zeit an die durch das Vor- schalten der Farblösungen herabgesetzte Lichtintensität adaptiert und nun kann man durch Auslöschen oder Anzünden der einen oder anderen Lampe beliebige Spektralbezirke wegnehmen oder 18) Biolog. Centralbl., Bd. XVIII, 1898, p. 649—655. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 533 hinzufügen, ohne die Lichtintensität so stark zu verändern, dass die Farbenreaktionen unterdrückt werden. Unser Lampenkasten X (Fig. A) musste für diese Versuche abgeändert werden; Fig. © zeigt ıhn ın seiner neuen Gestalt; der Deckel ist abgehoben, um das Innere demonstrieren zu können. Der Innenraum ist durch eine Längswand (W) ın zwei Fächer ge- teilt; in jedem Fache hängt bei geschlossenem Deckel eine 100- kerzige Osramlampe. Die Innenwände dieser Abteilungen sind weiß gestrichen. Vorne sind die beiden Fächer durch einen Rahmen (7) Fig. ©. begrenzt, welcher zur Aufnahme der Kuvetten mit den Farblösungen dient; die Kuvetten werden durch die seitlichen Öffnungen des Rahmens (b) eingeschoben. Das Licht trifft die Mattscheibe M,, wird durch diese zerstreut und gelangt gut gemischt an die Matt- scheibe M,, welche wieder die Lichtquelle für die Daphnien dar- stellt. Die seitlichen Öffnungen des Kastens sind während des Versuches durch schwarze Vorhänge lichtdicht abgeschlossen. Wir stellten uns nun, meist nach den Angaben von Nagel’), neun verschiedene Farblösungen ?®) her; da nun aber bei der Kom- 19)al2e. 20) Dieselben waren: I. Rot: Lithiumkarmin, II. Rotgelb: Kaliumbichromat, III. Orange (lichtschwach): Saffranin — Kupferazetat + Essigsäure, IV. Gelb: Kaliumbichromat —+ Essigsäure gekocht mit Kupferazetat, XXXII. 35 34 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. bination einer dunklen Farblösung mit einer hellen wiederum der Übelstand eintreten kann, dass die Intensitätsveränderungen zu stark werden und die Farbenreaktionen unterdrücken, hielten wir jede dieser Lösungen in verschiedenen Graden der Verdünnung vor- rätig und konnten nun bei jeder Farbenkombination die Helligkeit der Lösungen nach Bedarf varıieren. Wir hatten so 36 Lösungen zur Verfügung, deren jede einen scharf umschriebenen Spektral- bezirk repräsentierte; denn dıe Lösungen wurden nur so weit ver- dünnt, dass diese Bedingung erfüllt blieb. Es war nicht vorauszusagen, ob die positivierende, resp. negati- vierende Wirkung der Farben an bestimmte Spektralbezirke ge- bunden sei, oder ob bei der Kombination zweier beliebiger Spektral- bezirke stets der Bezirk, welcher dem kurzwelligen Ende des Spek- trums näher liegt, gegenüber dem anderen Bezirk negativierend wirke. Es hat sich gezeigt, dass das erstere der Fall ist: Die langwellige Hälfte des Spektrums, das Rot, Gelb und Grün bis etwa zur Linie 5b, zieht die Daphnien an, wirkt positivierend; die kurzwellige Hälfte des Spektrums, das Blaugrün, Blau und Violett stößt die Daphnien ab, wirkt negativierend. Um zu zeigen, auf welche Weise dieses Resultat gewonnen wurde, wollen wir einen der Versuche etwas ausführlicher besprechen: Wir stellten das Parallelwandgefäß mit Daphnien in die Dunkel- kammer vor den ın Fig. © abgebildeten Apparat und ließen die Tiere an das Lampenlicht adaptieren; es brannten beide Lampen und zwar war die eine Lampe mit der grünen Lösung V, versehen, die andere mit Oyanblau VII, (vgl. Fig. DJ. Mit den römischen Ziffern I—IX bezeichnen wir unsere 9 verschiedenen Farblösungen (vgl. Anm. 20 auf S. 533), die beigesetzten arabischen Ziffern be- zeichnen den Grad der Verdünnung: 7, ist das konzentrierteste Rot, I, der erste Grad der Verdünnung etc.). Die Lampen waren also mit Grün V, und Cyanblau VII, versehen und die Mattscheibe M, (Fig. ©) leuchtete in einem entsprechenden Mischlicht. Nachdem die Daphnien adaptiert und ziemlich gleichmäßig ım Gefäß verteilt sind, löschen wir das grüne Licht aus: die Mattscheibe erscheint jetzt blau; obwohl das Auslöschen des grünen Lichtes natürlich eine Herabsetzung der Intensität bedeutet, schwimmen die Daphnien vom Licht weg, es kommt zu einer starken Ansammlung an der negativen Seite. Nach 3 Minuten zünden wir das grüne Licht wieder an; die Tiere beginnen sogleich nach der positiven Seite V. Grün: Kupferazetat + Essigsäure + wenig Kaliumbichromat, VI. Blaugrün: Kupferazetat + Essigsäure + Methylgrün, VII. Oyanblau: Kupferazetat+ Essigsäure + Methylgrün + Gentianaviolett, VIII. Blau und Violett: Cuprammoniumsulfat, IX. Grün, Blau und Violett: Kupferazetat. v. Frisch u. Kupelwieser, Uber den Einfluss der Lichtfarbe etc 535 A aBt D Eb F G h H,Ha Lösung 1, & 715 70 65 60 39 50 45 40 A aBc D Eb F G h Hıka ’ I, 8 75 70 65 60 35 v0 45 40 U EREILE, D Eb 5 G h Hılla, - II, 80 75 70 65. 60 RR) 50 45 40 A aBt D Eb F G h Hıka, „ JENE 875 1065 60 55 50 45 40 ArranBit D Eb F G h HıHa „ V; 8075 065 0 5 50 45 4) Ar aaBit D Eb E G h HHa ” #1, 8075 7065 MW 55 5% 45 40 A aBt D Eb F G h HıHz, VI, zen _— 8 75 0 65 55 50 45 40 A aBC D Eb H G h HıHa, \ KaaRs 0 75 065 5) 50 45 0 A aBßt D E F G h HıHa 80 75 065 60 59 % 45 40 A aBtl D Eb E G h Rı Ha, KG US 60 5 s0 45 40 Fig. D. Spektra einiger Farblösungen. Die schwarz gehaltenen Spektralbezirke werden von den betreffenden Lösungen in voller Stärke durchgelassen, die weiß ge- haltenen Gebiete vollständig absorbiert, die grauen in ihrer Intensität geschwächt. 35* 536 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. zu wandern (bei Steigerung der Lichtintensität ohne Farbenänderung wandern sie vom Lichte weg, was wir weiterhin wohl nicht mehr zu betonen brauchen). Bei oftmaliger Wiederholung liefert dieser Versuch stets das gleiche Resultat. Auch wenn wir die blaugrüne Lösung VI, statt VII, verwenden, also Grün V, mit Blaugrün VI, kombinieren, erfolgt mit gleicher Deutlich keit Negativierung durch Auslöschen des grünen Lichtes, Positivierung durch Anzünden desselben. Im gleichen Sinne fällt die Reaktion aus, wenn wir Grün V, mit Violett VIIl, kom- binieren. Wenn wir dagegen das Grün V, mit Orange II, kombinieren und nun das orangefarbene Licht abwechselnd auslöschen und anzünden, erfolgt in keinem Falle eine Reaktion. Ebensowenig, wenn wir Grün V, mit Rot I, oder I, kom- binieren. Wohl aber geben die gleichen roten und orangefarbenen Lösungen bei Kombination mit der blaugrünen Lösung VI, deutliche Reaktionen: Bei der Kom- bination von Rot /, mit Blaugrün VI, hat das Auslöschen des roten Lichtes ein allgemeines Wandern gegen die negative Seite, das Anzünden des roten Lichtes eine sehr starke Ansammlung an der positiven Seite zur Folge; bei der Kombination von Rot /, mit Blaugrün VI, ist die Reaktion im gleichen Sinne vorhanden, aber schwach, bei der Kombination von Orange //, mit Blaugrün VI, wieder sehr deutlich. In gleicher Weise konnten wir zeigen, dass Blaugrün VI, in der Kombination mit Violett VIII, oder VIII, keine Reaktionen gibt, wohl aber in der Kombination mit Grün V, oder Gelb IV, (Negativierung durch Auslöschen, Positivierung durch Anzünden des grünen oder gelben Lichts). Ferner, dass Rot /, mit Gelb /V, kom- biniert, keine Reaktion gibt, wohl aber mit Cyanblau VII, oder Violett VIIT,. Um die eben erwähnten Einzelheiten übersichtlich darzustellen, haben wir Fig. E und F gezeichnet. Fig. E gibt die Spektra von 8 Paaren von Farblösungen wieder, bei deren Kombination man deutliche Reaktionen der Daphnien erhält: Bei jeder von den 8 Kom- binationen wurden die Daphnien beim Auslöschen des langwelligeren Lichts negativ, beim Anzünden desselben positiv-phototaktisch; es ist kein Unterschied in der Deutlichkeit der Reaktionen zu er- kennen, ob man nun unmittelbar benachbarte Spektralbezirke (Fig. E, 7) oder weit auseinanderliegende (Fig. E, $) zur Anwendung bringt. Fig. F gibt die Spektra von 4 Paaren von Farblösungen wieder, bei deren Kombination man keine Reaktionen der Daphnien erhält: Das Auslöschen oder Anzünden des langwelligeren Lichtes bleibt wirkungslos, auch wenn die angewandten Spektralbezirke relativ weit auseinanderliegen (wie Fig. F, 2). Aus diesen und zahlreichen anderen Kombinationsversuchen geht hervor, dass, bei passender Wahl der Intensitäten, von zwei verschiedenen Spektralbezirken derjenige, welcher dem violetten Ende des Spektrums näher liegt, negativierend wirkt gegenüber dem anderen, langwelligeren Bezirk, sofern die beiden Bezirke auf verschiedenen Seiten der Linie 5 des Spektrums liegen; dass man dagegen keine Reaktionen erhält bei der Kom- bination zweier Spektralbezirke, welche beide auf derselben Seite von der Linie b gelegen sind. Mit anderen Worten: Rot, Gelb und Grün wirkt positivierend, Blaugrün, Blau und Vio- lett negativierend auf die Daphnien ein. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 937 Wir haben unsere Versuche auf die Wirksamkeit des für den Menschen sichtbaren Spektrums beschränkt. Das Ultrarot kommt für die Daphnien wohl schon wegen seiner starken Absorption ım Wasser nicht in Frage. Ultraviolett konnte bei unserer Versuchsanordnung nicht mitspielen, da mehrere Glasplatten in den Strahlengang ein- geschaltet waren. Es schien uns von keiner wesentlichen Bedeutung zu sein, auch diese Strahlengattung in die Untersuchung einzube- ARE D Eb [2 G h Hkz 1. Lösung V,+ VI, ren Ä RER UTE BAER VASE LT, Te u, DENDL EL eg ER aa TS PAI, N Bu ET LIWERL, Fig. E. Spektra von 8 Paaren von Farblösungen; bei jeder der 8 Kombinationen erhält man deutliche Reaktionen der Daphnien. Wie in Fig. D geben die schwarzen Striche die Spektralbezirke an, welche von den Lösungen in voller Stärke durch- gelassen werden. BC Aa D BE G h HE 1. Lösung ,+ IV, =. ’ Le: a Fl VI, vs Fig. F. Spektra von 4 Paaren von Farblösungen; bei keiner der 4 Kombinationen erhält man Reaktionen der Daphnien. Br ziehen, da es wahrscheinlich ıst, dass das Ultraviolett nur indirekt auf das Auge einwirkt, indem es ın den Augenmedien Fluoreszenz hervorruft ?!), hierbei wird es bekanntlich in Licht von anderer Wellenlänge umgesetzt. Es seı hier noch erwähnt, dass die Deutlichkeit der Reaktıon von der absoluten Lichtintensität in hohem Grade unabhängig ist, sofern die Daphnien nur an die Intensität adaptiert sind. So erhielten wir z. B. bei der Kombination von Orange //, mit Blau IX, eine sehr deutliche negative Reaktion nach Auslöschen 21) Vgl.C. Hess, Über Fluoreszenz an den Augen von Insekten und Krebsen. Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 137, 1911, p. 339—349. 538 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe etc. des orangefarbenen Lichtes, positive Reaktion nach Anzünden des- selben. Wir verengerten nun die Blende von / auf 5 (vgl. Fig. B) und ließen die Daphnien !/, Stunde adaptieren; Auslöschen und Anzünden des orangefarbenen Lichtes hatte nun den gleichen Effekt. Die Blende wurde von 5 auf /0 verengert; mit gut ausgeruhten Augen waren die Daphnien bei diesem Lichte noch eben zu er- kennen; nach t/,stündiger Adaptation hatte Auslöschen und Anzünden der Orangelampe den gleichen Effekt wie zuvor. Will man sich die Reaktionen ohne den hier beschriebenen, immerhin etwas komplizierten Apparat ansehen, so empfehlen wir als Blaufilter die Lösung VI/ (vgl. S. 533, Anm. 20); wir erhalten durch Vorschalten dieser Lösung bei der in Fig. A (S. 522) abge- bildeten Versuchsanordnung ebenso deutliche Negativierung wie mit unserer Blauscheibe, wenn die Lösung so stark verdünnt ist, dass sie blassblau erscheint und in ihrem Spektrum zwei deutliche Ab- sorptionsstreifen zeigt, einen im Rot und einen im Gelb, das fast ganz ausgelöscht ist. Um die Positivierung durch rotgelbes Licht einwandfrei zu zeigen, muss man zwei Lampen haben (vgl. S. 531); es empfiehlt sich dann, als Rotlösung für die eine Lampe eine kalt- gesättigte Lösung von Kaliumbichromat anzuwenden. Wem es nur darauf ankommt, das Wesentliche der hier ge- schilderten Reaktionen, unter Verzicht auf einen exakten Nachweis des Farbensinnes der Daphnien, zur Anschauung zu bringen, der mache folgenden Versuch: Man stelle an einem hellen Fenster drei Glasschalen (Petrischalen) mit Daphnien nebeneinander auf schwarzem Grunde auf. Dann stülpt man über eine Glasschale eine blaue, über die zweite eine rote oder gelbe Glasglocke??) und über die dritte etwa eine Düte von weißem Papier. Entfernt man nun nach ca. !/, Stunde die Hüllen und setzt hiermit wieder alle drei Gruppen von Daphnien dem gleichen, weißen Lichte aus, so reagieren sie darauf (ein geeignetes Daphnienmaterial vorausgesetzt, vgl. S. 529) in typisch verschiedener Weise: in dem Glase, das mit Papier be- deekt gewesen war, sammeln sich die Daphnien an der vom Fenster abgewandten Seite, sie werden durch die Steigerung der Licht- intensität negativ-phototaktisch; in der Schale, die unter der blauen Glocke gestanden hatte, sammeln sich dagegen die Daphnien an der dem Fenster zugewandten Seite; auch hier wird, durch das Entfernen der blauen Glocke, die Lichtintensität gesteigert; aber die negativierende Wirkung dieser Intensitätssteigerung wird unter- drückt und es kommt sogar eine starke positive Reaktion zustande dadurch, dass für die an blaues Licht adaptierten Daphnien nun 22) Senebier’sche Glocken oder farbige Glasampeln, wie sie für den Gebrauch in Kirchen und vor Gräbern käuflich sind. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 539 das weiße Tageslicht relativ reich an langwelligen, positivierenden Strahlen ist. In dem dritten Glase hatten sich die Daphnien an rotes oder gelbes Licht adaptiert. das Tageslicht ist für sie nun relativ reich an kurzwelligen Strahlen, deren negativierender Einfluss sich zur negativierenden Wirkung der Intensitätssteigerung hinzugesellt, die negative Reaktion verstärkend. So übt also auf Daphnien, die sich in blauem, und auf solche, die sich in gelbem Lichte befunden haben, das gleiche weiße Licht die entgegengesetzte Wirkung aus — eine Erscheinung, der wohl ähnliche Vorgänge im Auge oder im Zentralnervensystem der Daphnien zugrunde liegen dürften, wie jene sind, welche es bedingen, dass uns Menschen das gleiche weiße Licht bläulich erscheint, wenn wir einige Zeit durch gelbe, gelb- lich, wenn wir durch blaue Gläser gesehen haben. IV. Der Einfluss farbigen Lichtes auf die Augenbewegungen der Daphnien. Es ist seit Rädl’s®) Untersuchungen bekannt, dass das große Auge der Daphnien, welches in einem Hohlraum des Kopfes durch Muskeln bewegt wird, eine bestimmte Stellung zur Lichtrichtung ein- zunehmen sucht und es wird wohl allgemein angenommen, dass hierdurch die Normalstellung des ganzen Daphnienkörpers bestimmt wird: das Tier pflegt, ohne Rücksicht auf „oben“ und „unten“, der Lichtquelle den Rücken zuzukehren und bei dieser Stellung sind alle Augenmuskeln angenähert gleichmäßig gespannt; dreht sich der Körper aus dieser Lage heraus, so behält doch das Auge seine Stellung zum Lichte bei, indem sich die Muskeln der ent- sprechenden Seite kontrahieren und das Auge relativ zum Körper drehen; in der Kontraktion der Augenmuskeln herrscht erst wieder Gleichgewicht, wenn der Körper seine Normallage wiedergewonnen hat. Da man bei geeigneter Versuchsanordnung auch ohne Ver- änderung der Einfallsrichtung des Lichtes, nur durch Änderung der Liehtintensität deutliche Augenbewegungen auslösen kann, hat man versucht, auch die Reaktionen der Daphnien auf Intensitäts- schwankungen des Lichtes mit diesen Augenbewegungen in Zu- sammenhang zu bringen; doch ist die Durchführung dieses Ge- dankens bisher nıcht geglückt. Tatsache ist, dass das Daphnienauge auf Intensitätsschwankungen des Lichtes in charakteristischer Weise reagiert und es lag somit für uns nahe, zu untersuchen, ob nicht auch charakteristische, von den Intensitätsreaktionen vielleicht ver- schiedene Farbenreaktionen des Daphnienauges nachzuweisen sind — um so mehr, als Hess bereits den Einfluss farbigen Lichtes auf die Augenbewegungen der Daphnien studiert hatte und dabei 23) E. Rädl, Über den Phototropismus einiger Arthropoden. Biolog. Centralbl., Bd. XXI, 1902. 540 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. zu dem Resultat gekommen war, dass sich auch hierin die Tiere so verhalten, wie es bei total farbenblinden Organismen zu er- warten ist. Um das Folgende verständlich zu machen, müssen wir zunächst etwas ausführlicher die Augenbewegungen schildern, mit welchen die Daphnien der Lichtquelle folgen, wenn diese relativ zum Daphnienkörper bewegt wird. Wir klemmen eine Daphnia pulex?*) derart zwischen Objekt- träger und Deckglas fest, dass sie sich nicht bewegen kann, aber auch nicht zu stark gedrückt ist und bringen sie bei der aus Fig. G ersichtlichen Versuchsanordnung in der Dunkelkammer auf den Fig. G. L Zeiß’sche Bogenlampe, 5 schwarzer Schirm, mit einem kleinen Loche versehen, W Wasserfilter zur Absorption der Wärmestrahlen. drehbaren Objekttisch des Mikroskops, und zwar so, dass das Tier der Lichtquelle den Rücken zukehrt, wie es die Stellung 7 der Fig. H (5. 542) darstellt („Normalstellung“); die Augenmuskeln (M) sind gleichmäßig gespannt, der Nervus optieus (N) zieht in geradem Verlauf aus dem Auge zum Ganglion (G) und der Scheitel S des Auges ist der Lichtquelle zugekehrt. Diese Lage sucht das Auge auch bei allen folgenden Körperstellungen möglichst beizubehalten ?): 24) Daphnia pulex ist für diese Versuche im allgemeinen besser geeignet als Daphnia magna. 25) Auch Rädl sagt, dass das Auge seinen „Scheitel‘‘ der Lichtquelle zuzu- kehren suche; doch scheint er unter „Scheitel“ den dem Nervenaustritt gegenüber- liegenden Pol zu verstehen, da er von einer „sagittalen Achse“ spricht, „welche den Scheitel des Auges mit dem Nervenaustritt verbindet“ (I. e., p. 77, Anm.); Wolter- eck bemerkt hingegen in einer kürzlich erschienenen Abhandlung (Über Funktion, Herkunft und Entstehungsursachen der sogen. „Schwebe-Fortsätze‘“ pelagischer Cladoceren, Zoologiea, Heft 67, p. 495), das Daphnienauge werde „im Lichtgefälle immer so orientiert, dass die Augenbasis mit dem Nervaustritt dem stärksten Licht, der Gegenpol... dem tiefsten Schatten soweit als möglich zugewendet wird“. Bei Daphnia pulex und magna können wir diese Angabe nicht bestätigen. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe etc. 541 Drehen wir den Objekttisch so, dass der Daphnienkörper die Stel- lung 2 einnimmt, so verkürzen sich die ventralen Augenmuskeln, das Auge dreht sich etwas und diese Drehung kommt auch im Verlauf des Augennerven deutlich zum Ausdruck. Bei weiterer Drehung des Daphnienkörpers (Stellung 3, 4, 5) wird diese Torsıon des Auges stärker, reicht aber nıcht mehr hin, um den Scheitel völlig dem Lichte zuzukehren und bald kommt eine Stellung (zwischen 5 und 6), bei welcher trotz maximaler Kontraktion der ventralen Augenmuskeln der Scheitel des Auges vom Lichte abgewandt wird; nun schnappt das Auge plötzlich in eine andere Lage über (Stellung 6), indem die erschlafften dorsalen Muskeln sich maximal kontrahieren, die ventralen Muskeln dagegen erschlaffen, und so wird neuerdings der Scheitel des Auges der Lichtquelle möglichst zugekehrt; bei weiterer Drehung des Daphnienkörpers (Stellung 7) erschlaffen die dorsalen Muskeln allmählich, bis die Normalstellung (2) wieder erreicht ist. Dreht man den Daphnienkörper, von der Normalstellung aus- gehend, in der umgekehrten Richtung, so dass auf Stellung 1 Stel- lung 7, dann 6, 5 ete. folgt, so gilt auch hierfür die in Fig. H ge- gebene Darstellung; nur ist die Lage, bei der das Umschnappen des Auges aus der einen extremen Stellung in die andere erfolgt, etwas verschieden je nach der Drehungsrichtung, in dem Sinne, dass das Auge die Lage, in der es sich befindet, beizubehalten sucht: Bei Drehung des Körpers von Stellung I nach 2, 3 ete. wird das Auge etwa knapp vor Stellung # dorsal umschnappen, bei der Drehung des Körpers in der umgekehrten Richtung dagegen etwa bei Stellung 5 ventral umschnappen *). Dies also sind die Augenbewegungen, durch welche die Daphnien eine Lichtquelle zu fixieren suchen und welche offenbar dafür ver- antwortlich zu machen sind, dass diese Tiere stets — außer wenn sie gerade rasch auf das Licht zuschwimmen — der Lichtquelle den Rücken zukehren. Es wurde schon erwähnt, dass man auch durch Intensitätsveränderungen des Lichtes Augenbewegungen auslösen kann: Dreht man bei der oben geschilderten Versuchs- anordnung eine Daphnie aus der Stellung 7 (Fig. H) etwa in Stel- lung 3, wobei sich die ventralen Augenmuskeln verkürzen, und löscht nun das Licht der Bogenlampe aus?”), so kehrt das Auge 26) Wir haben uns hier auf den einfachen Fall beschränkt, dass die Einfalls- richtung des Lichtes bei allen Stellungen des Daphnienkörpers in der Sagittalebene der Daphnien liegt; anf die etwas komplizierteren jedoch im wesentlichen gleichen Verhältnisse bei seitlichem Lichteinfall brauchen wir nicht einzugehen. 27) Um eine genaue Beobachtung zu ermöglichen, muss man nicht nur bei diesem, sondern bei allen in diesem Kapitel beschriebenen Versuchen außer dem auffallenden Licht der Bogenlampe ein Minimum von durchfallendem Lichte an- Be Dieses muss so schwach sein, dass seine Abblendung keine Augenbewegung auslöst. 542 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe etc. ın die Ruhestellung (alle Muskeln gleichmäßig gespannt) zurück; Anzünden des Lichtes hat neuerliche Kontraktion der ventralen Augenmuskeln zur Folge. Auch durch relativ geringe Verminde- rung der Lichtintensität kann man schon die ventralen Augen- muskeln zum Erschlaffen, durch darauffolgende Verstärkung der Intensität wieder zu stärkerer Kontraktion veranlassen. Hat man 6 Licpteinfall Fig. H. die Daphnie aus der Normallage nach der anderen Richtung ge- dreht, also etwa in Stellung 7 gebracht, so kann man auch hier durch Verringerung der Lichtintensität ein Erschlaffen der ge- spannten (jetzt der dorsalen) Muskeln, durch Intensitätssteigerung ihre stärkere Kontraktion auslösen. Wir haben aber auch oft Daphnien unter dem Mikroskop gehabt, welche bei jeder Körperstellung auf Verminderung der Lichtintensität durch Kontraktion der dorsalen Augenmuskeln (und zwar oft maximale Kontraktion!) reagierten?®). 28) Das gleiche hat W. F. Ewald (l. c,, p. 52) beobachtet. Er schreibt: „Jch habe versucht, die Augenbewegungen von Daphnia auch zu ihren Reiz- v. Frisch u. Kupelwieser, Uber den Einfluss der Lichtfarbe ete. 543 Diese Augenbewegungen hat nun Hess?’) benützt, um den Einfiuss farbigen Lichtes zu studieren. Er schreibt (l. e., p. 291): „Wird ein Daphnienauge, das bei der schwächsten zur Beobachtung genügenden Belichtung geradeaus gerichtet ist, durch ein Reiz- licht von bestimmter Stärke z. B. von der Seite her getroffen, so dreht es sich um einen bestimmten Winkel in der Richtung nach dem Lichte hin. Wird nun die Lichtstärke dieses Reizlichtes bei unveränderter Einfallsrichtung erhöht, so wendet das Auge sich noch weiter in der Richtung zum Lichte; wird die Lichtstärke ge- mindert, so kehrt es wieder mehr oder weniger weit in der Richtung zu seiner Ausgangsstellung zurück...“ Er bezeichnet die bei abnehmender Belichtung des Auges erfolgenden Bewegungen als „Verdunklungsbewegungen“, die bei zunehmender Belichtung erfolgenden als „Erhellungsbewegungen“ und konstatiert nun, dass, wenn man das Auge in raschem Wechsel mit verschiedenen Bezirken eines Spektrume belichtet, beim Übergang von Gelbgrün zu Rot eine starke, beim Übergang von Gelbgrün zu Blau eine schwache Verdunklungsbewegung erfolgt, umgekehrt beim Übergang von Rot oder von Blau zu Gelbgrün eine entsprechend starke Erhellungs- bewegung. Der Übergang von Blau zu Rot veranlasste eine ausgiebige Verdunk- lungsbewegung, von Rot zu Blau eine ausgiebige Erhellungsbewegung. (l. e., p. 294): „Die geschilderten Versuche am Spektrum ergänzte ich durch solche mit Glaslichtern: Die Tiere werden unter dem Mikroskop ... im auffallenden Lichte der Zeiß’schen Bogenlampe untersucht. In passenden Rahmen hatte ich z. B. ein rotes und ein blaues Glas dicht nebeneinander so angebracht, dass bei kleinen Verschiebungen des in den Lichtkegel gehaltenen Rahmens das Tier bald mit dem roten, bald mit dem blauen Lichte bestrahlt wurde. Auch hier machte das Daphnienauge bei Übergang von Blau zu Rot regelmäßig ausgiebige Verdunk- lungsbewegungen, bei Übergang von Rot zu Blau ausgiebige Erhellungsbewegungen. „Meinem helladaptierten Auge erschien das Rot wieder viel heller als das Blau, während dem dunkeladaptierten das durch einen passenden Episkotister be- trachtete (jetzt farblos gesehene) Blau heller als das Rot erschien. „Bei weiteren Versuchen mit Glaslichtern hatte ich farbige durchgefärbte Glaskeile (Zeiß) in einem Rahmen nebeneinander verschieblich angebracht, so dass ich je nach Bedürfnis ein für mein helladaptiertes Auge helles Rot mit einem sehr dunklen Blau oder aber ein für mich sehr dunkles Rot mit einem sehr hellen Blau zur abwechselnden Belichtung des Daphnienauges verwenden konnte. In anderen Beobachtungsreihen brachte ich neben dem roten einen grünen Glaskeil an und nahm mit dieser Kombination in gleicher Weise wie vorher den Belichtungswechsel vor. Die Ergebnisse zahlreicher derartiger Versuche stimmten stets darin überein, dass das Rot, wenn es bei passend herabgesetzter Lichtstärke beider Reizlichter mittels Episkotisters meinem dunkeladaptierten Auge beträchtlich dunkler erschien als das Blau bezw. Grün, auch bei den in den fraglichen Versuchen benützten hohen Lichtstärken Verdunklungsbewegungen des Daphnienauges hervorrief, obschon es bei diesen meinem helladaptierten Auge beträchtlich heller erschien als das Blau bezw. Grün. Doch konnte ich bei dem fraglichen Belichtungswechsel auch mit Rot Erhellungsbewegungen und mit Blau Verdunklungsbewegungen auslösen, wenn ich die Lichtstärke des Rot so weit steigerte und die des Blau bezw. Grün so weit herab- setzte, dass auch meinem dunkeladaptierten Auge bei gleichmäßiger Herabsetzung reaktionen in Beziehung zu setzen. Die Versuchstiere reagierten aber auf Be- schattung des Auges meist durch Kontraktion des oberen Augenmuskels, gleichgültig, wie sie zum Licht orientiert waren. Die Reaktionen waren zudem so unsicher, dass ich von einem genaueren Eingehen auf diese Frage Abstand nehme.“ 29) C. Hess, Neue Untersuchungen über den Lichtsinn bei wirbellosen Tieren. Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 136, 1910. 544 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. der Lichtstärken beider Reizlichter das (nun farblos gesehene) Rot beträchtlich heller erschien als das Blau bezw. Grün. „Die mitgeteilten Beobachtungen lehren die überraschende Tat- sache, dass für die fraglichen Augenbewegungen die Helligkeiten, in welchen die farbigen Lichter erscheinen, von ausschlaggebender Bedeutung sind. Bei allen meinen Versuchen zeigten die Augen- bewegungen der Daphnien in den hier wesentlichen Punkten eine solche Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichtes, wie es der Fall sein muss, wenn die rela- tiven Helligkeiten der verschiedenen farbigen Lichter hier ähnliche oder die gleichen sind wie für das total farbenblinde Menschenauge.“ Wir haben die Hess’schen Beobachtungen nicht nachgeprüft und bestreiten nicht ihre Richtigkeit. Aber wir haben gefunden, dass bei einer bestimmten Versuchsanordnung die Augenbewe- gungen der Daphnien eine solche Abhängigkeit von der Wellenlänge des Lichtes zeigen, wie es nicht der Fall sein kann, wenn die farbigen Lichter dem Daphnienauge ähnlich oder gleich erscheinen wie dem total farben- blinden Menschenauge Die Wirkung von rotem und gelbem Lichte war von der Wirkung blauen Lichtes qualitativ verschieden. Wir brachten eine zwischen Objektträger und Deckglas fest- geklemmte Daphnia pulex oder D. magna bei der aus Fig. G er- sichtlichen Versuchsanordnung unter das Mikroskop und gaben ihr die der Stellung 4 (Fig. H) entsprechende Lage°"). Das Auge war, außer von dem starken, seitlich einfallenden Lichte der Bogen- lampe, zur besseren Beobachtung von unten, durch den Mikroskopspiegel, mit relativ sehr schwachem Lichte beleuchtet; außerdem befand sich neben dem Fuße des Mikroskops eine beleuchtete weiße Fläche, um die Augenstellungen mit dem Zeichen- apparat festhalten zu können (natürlich war diese letztere Nebenbeleuchtung so an- gebracht, dass sie für das Daphnienauge unsichtbar war). Das Auge wurde bei nicht zu schwacher Vergrößerung beobachtet (Zeiß Obj. ©, Oe. 1). Wir füllten nun in zwei Kuvetten eine orangefarbene (gesättigte Lösung von Kaliumbichromat) und eine blaue Lösung (Nr. VII der auf S. 533 genannten Strahlenfilter) von solcher Konzentration, dass beide Lösungen dem total farbenblinden Auge ängenähert gleich hell erschienen®'), Wenn die Sehqualitäten der Daphnien angenähert oder völlig die gleichen sind wie die des total farben- blinden Menschen, ist zu erwarten, dass die beiden Farblösungen, 30) Wir gingen meist so vor, dass wir die Daphnia etwa aus Stellung 7 über Stellung 7 nach 6 etc. drehten, bis das Auge ventral umschnappte. 31) Wir wählten die Konzentration der Blaulösung so, dass sie unsern dunkel- adaptierten Augen bei passend herabgesetzter Lichtstärke eben deutlich etwas dunkler erschien als das Kaliumbichromat, so dass der vorhandene Unterschied, wenn er überhaupt wirksam war, zu unsern Ungunsten wirken musste. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 545 vor die Lichtquelle vorgeschaltet, die gleiche Wirkung auf das Auge ausüben. Es zeigte sich, dass die Wirkung der orange- roten und der blauen Farbe auf die Augenbewegung einander direkt entgegengesetzt waren. Schalteten wir (bei F, Fig. G) das Kaliumbichromat vor die Lampe, so schnappte das Auge sofort nach der Dorsalseite um, in dıe Lage, welche es sonst bei Stellung 6 (Fig. H) einnimmt, oder es machte wenigstens eine starke Drehung in dieser Richtung; entfernten wir die Lösung, so kehrte es wieder ın die ursprüngliche Lage zurück ®?). Schalteten wir nun die blaue Lösung vor die Lampe, so bemerkten wir ein schwaches Zucken des Auges, in manchen Fällen eine noch stärkere Kontraktion der ventralen Augenmuskeln. Beim Entfernen der Blaulösung erfolgte nun in manchen Versuchsreihen regelmäßig Umschnappen des Auges ın dorsaler Richtung oder doch eine deut- liche Verkürzung der dorsalen Muskeln, worauf das Auge nach einiger Zeit in die ursprüngliche Lage zurückkehrte. (In anderen Fällen bemerkten wir beim Entfernen der Blaulösung keine Reaktion oder nur ein schwaches Zucken des Auges.) Es ist wichtig, hervorzuheben, dass diese Reaktionen von der Konzentration der Lösungen, also auch von der Helligkeit, in der diese einem total farbenblinden Auge erscheinen, in hohem Grade unabhängig sind. Wir erhielten genau die gleichen Resultate, als wir die Kaliumbichromatlösung mit dem 15fachen Volumen Wassers versetzten und die Blaulösung entsprechend verdünnten, so dass sie dem farbenblinden Menschenauge wieder angenähert gleich hell erschien. Wir erhielten auch die gleichen Resultate, wenn wir statt des Kaliumbichromat rote oder gelbe Glasscheiben, statt der blauen Lösung blaue Glasscheiben vorschalteten. Verdunkelten wir die Lichtquelle, indem wir vor die Bogenlampe statt der Farblösungen farblose Mattscheiben oder Paraffinpapier oder einen undurchsichtigen Karton setzten, so wirkte dies auf das Auge in gleichem Sinne wie das Vor- schalten des Kaliumbichromat: das Auge schnappte in die Dorsallage um oder bewegte sich doch deutlich ın dieser Richtung, wobei aber manchmal durch keinen Grad der Verdunklung eine so starke Dorsaldrehung des Auges zu erzielen war, wie durch das rote Licht. Wır erinnern daran, dass auch auf die Be- wegung freischwimmender Daphnien die Farbe des Kaliumbichromat in gleichem Sinne wirkt wıe Verdunk- 32) Dieses Zurückkehren in die ursprüngliche Lage erfolgt nicht immer syn- chron mit dem Entfernen der Orangelösung: ließen wir das Orangerot nur sehr kurz (etwa !/,—1 Sekunde) einwirken, so blieben die dorsalen Augenmuskeln manch- mal noch mehrere Sekunden kontrahiert, dagegen kehrte das Auge bei langer Ein- wirkung des Orangerot etwa nach '/, Minute (allgemein gültige Zahlen lassen sich jedoch nicht angeben) von selbst in die anfängliche Lage zurück. 546 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. lung der Lichtquelle, beides macht die Tiere positiv- phototaktisch (vgl. S. 531). Entfernen der Mattscheiben, also Ver- stärkung der Lichtquelle, hatte Kontraktion der ventralen Augenmuskeln zur Folge, wirkte also im gleichen Sinne auf die Augenbewegung wie Vorschalten der Blaulösung; wir erinnern daran, dass auch freischwimmende Daphnien auf Vorschalten eines blauen Strahlenfilters in gleicher Weise reagieren wie auf Verstärkung der Lichtquelle, beides macht die Tiere negativ-phototaktisch (vgl. S. 521). Fig. I, welche nach einer mit dem Zeichenapparat entworfenen Skizze angefertigt ist, stellt den Kopf einer Daphnia magna dar. Es wurde, bei oben geschilderter Versuchsanordnung mit vorge- schaltetem Blaufilter, die Lage des Auges, des Augennerven und der Augenmuskeln eingetragen (die ausgezogenen Linien) und Fig. I. dann statt der blauen die orangerote Lösung von gleichem farb- losen Helligkeitswert vorgeschaltet, und neuerdings die Lage von Auge, Nerv und Muskeln gezeichnet (die punktierten Linien). Um zu zeigen, mit welcher Regelmäßigkeit die Reaktionen erfolgen können, geben wir das zu diesem Falle gehörige Versuchsprotokoll wieder: Versuch vom 27. Juni 1913; Daphnia magna unter dem Mikroskop in einer der Stellung 4 (Fig. H) entsprechenden Lage. Wir verwenden als Strahlenfilter eine gelbe (ges. Kaliumbichr., 15fach mit Wasser verdünnt) und eine blaue Lösung von angenähert gleichem farblosen Helligkeitswert. Wir schalten Blau vor die Lichtquelle: das Auge zuckt schwach. Blaulösung entfernt: das Auge schnappt sofort nach der Dorsalseite um und kehrt dann wieder in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt. Blau entfernt: keine Reaktion. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der Dorsalseite um. Nach 2 Sek.: Gelb entfernt: das Auge kehrt in die frühere Lage zurück. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der Dorsalseite um. Wir lassen die Gelblösung !/, Minute vorgeschaltet, das Auge bleibt solange in seiner, dorsal tordierten Lage. Nun nehmen wir statt der verdünnten Lösungen eine konzentrierte Lösung von Kaliumbichromat und eine Blaulösung von gleichem farblosen Helligkeitswert: v. Frisch u. Kupelwieser, Uber den Einfluss der Lichtfarbe ete. 547 Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der Dorsalseite um. Gelb entfernt: das Auge kehrt in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: keine Reaktion. Blau entfernt: das Auge schnappt nach der Dorsalseite um und kehrt nach mehreren Sekunden in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: keine Reaktion; nach 2 Sek.: Blau entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um, kehrt dann wieder in die frühere Lage zurück. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um; nach 3 Sek.: Gelb entfernt: das Auge kehrt in die irühere Lage zurück. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um; wir lassen das Gelb vorgeschaltet, bis das Auge von selbst in seine frühere Lage zurückkehrt; dies findet nach 55 Sek. statt. (Gelb entfernt. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt schwach, nach 15 Sek.: Blau entfernt: das Auge schnappt nach der Dorsalseite um, kehrt nach 25 Sek. in die frühere Lage zurück. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um; wir lassen das Gelb vorgeschaltet, das Auge kehrt nach 40 Sek. von selbst in die frühere Lage zurück. Gelb entfernt. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt und dreht sich noch etwas stärker nach der ventralen Seite; nach 45 Sek.: Blau entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um, kehrt nach 55 Sek. in die frühere Lage zurück. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um; nach 2 Sek.: Gelb entfernt: das Auge bleibt noch wenige Sekunden in der dorsalen Lage, dann kehrt es in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt schwach; nach 2 Sek.: Blau entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um, nach ca. '/, Min. kehrt es in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt schwach; nach 2 Sek.: Blau entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um, kehrt nach */, Min. in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet und sofort wieder entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um und kehrt nach 25 Sek. in die frühere Lage zurück. Blau vorgeschaltet: das Auge zuckt und dreht sich etwas stärker nach der ventralen Seite. Blau entfernt: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um. Gelb vorgeschaltet: das Auge schnappt nach der dorsalen Seite um. Wo nichts anderes erwähnt ist, folgte die Augenbewegung so unmittelbar auf die Beleuchtungsänderung, dass beide Vorgänge dem Beobachter als gleichzeitig er- schienen. Zwischen je zwei Beleuchtungsänderungen wurde, wo nichts anderes an- gegeben ist, nur so lange gewartet, wie nötig war, um die Beobachtung zu notieren. Wir wollen schließlich nachdrücklich darauf hinweisen, dass der geschilderte Einfluss farbigen Lichtes auf die Augenbewegungen der Daphnien nicht leicht zu beobachten ist. Als wir uns ım De- zember an Daphnia pulex die Sache zum erstenmal ansahen, war die gegensinnige Wirkung von Rot und Gelb einerseits, Blau anderer- seits in wundervoller Deutlichkeit zu sehen; nicht nur die Ver- kürzung der dorsalen Augenmuskeln (Umschnappen des Auges) bei Verdunklung der Lichtquelle und beim Vorsetzen von Rot- und Gelbscheiben, sondern auch die kleine gegensinnige Augendrehung 548 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. (noch stärkere Verkürzung der stark kontrahierten ventralen Augen- muskeln) beim Vorsetzen von Blauscheiben trat mit großer Regel- mäßıgkeit ein. Wir benutzten damals als Farbfilter rote, gelbe und blaue Glasscheiben, zur Herabsetzung der Lichtintensität Papier- blätter und schrieben keine ausführlichen Protokolle, sondern ver- schoben die genauere Durchführung der Versuche auf einen späteren Zeitpunkt. Als wir die Versuche im Frühling wieder aufnahmen, erhielten wir viele Wochen lang kein brauchbares Material, obwohl wir Daphnia pulex und magna von den verschiedensten Lokalitäten heranzogen. Die Tiere reagierten in unregelmäßiger Weise auf farbiges Licht, auch auf Verdunklung und Belichtung folgten oft gar keine oder nicht die typischen Augenreaktionen. Wir waren nahe daran, die Sache aufzugeben, als wir Ende Juni plötzlich wieder gutes Material bekamen, an welchem die oben beschriebenen Versuche ausgeführt wurden. Doch auch von diesem guten Material waren bei weitem nicht alle Tiere für die Versuche brauchbar. Bei vielen erfolgte, wenn man sie auf dem Objekttisch drehte, das Umschnappen der ‚Augen nicht regelmäßig oder nur träge; solche Tiere sind ungeeignet. Andere reagierten nur einige Male deutlich und regelmäßig auf die Farben, dann wurden die Reaktionen un- regelmäßig, es hatte z. B. nicht selten das Vorschalten von Blau Verkürzung der dorsalen Augenmuskeln zur Folge, also die gleiche Wirkung wie Verdunklung, u. dgl. m.; andere Tiere zeigten die typischen Reaktionen, es erfolgte aber auch häufig ein Umschnappen der Augen aus der einen extremen Lage in die andere, ohne dass an der Beleuchtung etwas verändert worden wäre; auch an solchen Tieren ließen sich keine einwandfreien Versuchsserien anstellen. Man könnte nach alledem unseren ganzen Ausführungen über den - Einfluss farbigen Lichtes auf die Augenbewegungen skeptisch gegen- überstehen. Wir sehen hierfür keinen Grund, denn wenn eine Versuchsserie überhaupt klare und einheitliche Resul- tate lieferte, dann fielen diese so aus, wie sie oben ge- schildert wurden; bei abweichenden Resultaten handelte es sich stets um Tiere, welche auf die gleichen Reize in verschiedener, unregelmäßiger Weise reagierten. Dass das letztere vorkommt, ja sogar das Gewöhnliche ist, kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, unter welch abnormen Verhält- nissen die zwischen Objektträger und Deckglas festgeklemmte Daphnie sich befindet. V. Versuche mit Artemia salina. Vor einer Reihe von Jahren waren an der Zoolog. Station Triest Versuche in gleicher Richtung mit Artemia salina aus Capo d’Istria angestellt worden und es hatte sich damals auch bei diesem Material gezeigt, dass die Tiere, die bei Intensitätserhöhung regel- v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 549 mäßıg negativ-phototaktisch, bei Intensitätsverminderung positiv wurden, beı Vorschaltung einer Blauscheibe trotz der Intensitäts- verminderung negativ und dass sie bei Entfernung der Blauscheibe trotz der Intensitätserhöhung positiv-phototaktisch wurden. Da von den Triester Versuchen kein Protokoll vorhanden war, mussten die Resultate überprüft werden. Die aus Triest im Herbst 1912 bezogenen Artemien erwiesen sich aber zunächst für unsere Versuche als nicht brauchbar. Erstens reagierten sie überhaupt nur äußerst träge auf Licht und zweitens war unser Fundamental- versuch mit ihnen nicht ausführbar. Vor unseren auf S. 522 be- schriebenen Apparat gestellt blieben sie bei Vorschaltung der Blau- scheibe indifferent oder sie wurden, wie auf Verkleinerung der Blendenöffnung, schwach positiv-phototaktisch. Im Frühjahr 1913, als die Artemia-Kulturen sich anscheinend in sehr gutem Ernährungszustand befanden, wiederholten wir die Versuche neuerdings und nun mit besserem Erfolg. Angewendet wurde die auf S. 533 beschriebene Anordnung. Im Apparat be- fanden sich zweı brennende Lampen nebeneinander, vor die eine war eine blaue, stark verdünnte Cuprammoniumsulfatlösung (Y"/,), vor die andere eine orangegelbe Kaliumbichromatlösung ("/,) ge- schaltet. Wurde die Lichtintensität um mehr als etwa die Hälfte herab- gesetzt (Blendenverengerung auf 6 oder mehr, Fig. B, S. 523), so wurde regelmäßig Positivierung, bei nachheriger Öffnung der Blende jedesmal Negativierung der Tiere beobachtet. Auf kleinere Inten- sıtätsänderungen erfolgte keine deutliche Reaktion. Wurde nun bei offener Blende die Lampe hinter der Kalıum- bichromatlösung ausgelöscht, während die Lampe hinter der blauen Lösung weiter brannte, so wurden die Tiere trotz Intensitäts- verminderung negativ. Bei Wiederanzünden des gelben Lichtes wurden sie trotz Erhöhung der Intensität positiv. Die Artemien verhielten sich also in dieser Hinsicht ebenso wie die Daphnien. Mehrmals fanden wir, dass diese Farbreaktionen nach einer längeren Versuchsserie undeutlich wurden oder auch an manchen Tagen von vornherein ausblieben. Es zeigte sich nun, dass man die undeutlich gewordene Reaktion auf die Qualität des Lichtes wieder deutlich machen konnte, wenn man die Tiere längere Zeit hindurch an rotgelbes Licht adaptıerte: Wurden die Artemien 40 Minuten lang allein von rotgelbem Licht bestrahlt, dann die blaue Lampe dazu angezündet, so wurden sie, was ja wegen der Intensitätserhöhung allein schon zu erwarten war, zuerst negativ und verteilten sich nach 2—3 Min. wieder gleichmäßig. Wurde jetzt die gelbe Lampe ausgelöscht, so machte sich die vorausgegangene Gelbadaptation dadurch geltend, dass die XXXII. 36 550 v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. Tiere nun dem blauen Licht gegenüber deutlich negativ wurden. Sie waren jetzt für die kurzwelligen Strahlen wesentlich empfind- licher geworden. Auch die positive Reaktion beim Wiederanzünden der gelben Lampe war wesentlich deutlicher geworden. An einem anderen Tage, als die Reaktion bei der gewöhnlichen Versuchsanordnung undeutlich geworden war, wurden die Artemien wieder 40 Min. lang an gelbes Licht adaptiert, ohne dass damit eine Erhöhung der Empfindlichkeit auf blaues Licht erzielt wurde. Die Adaptationszeit von 40 Min. war zu kurz; erst nach einer 75 Min. währenden Einwirkung des gelben Lichtes wurde die Blauwirkung wieder deutlich, und zwar wurden die Artemien durch Zuschaltung der blauen Lampe zuerst natürlich wieder stark negativ, dann ver- teilten sie sich nach 2 Min. gleichmäßig. Auf Auslöschen der gelben Lampe erfolgte allgemeine starke Negativierung, die noch 2!/, Min. lang deutlich war; und auf Wiederanzünden wurden alle Tiere stark positiv und blieben es 3 Min. lang. Damit war aber die Wirkung der vorhergegangenen langen Gelbadaptation zum großen Teil erschöpft, denn bei neuerlichem Auslöschen der gelben Lampe war die Negativierung schon wesent- lich weniger deutlich geworden. VI. Sehluss. Wir haben ın dieser Abhandlung wiederholt von einem „Farben- sınn“ der niederen Tiere gesprochen. Man könnte gegen die Be- rechtigung dieses Ausdruckes Einspruch erheben. Zwar wird man nicht daran zweifeln, dass das farbige Licht, ebenso wie das weiße, die Bewegungen der Krebse durch Vermitt- lung ihrer Augen beeinflusst. Wir haben ja gesehen, dass die charakteristischen Reaktionen dieser Tiere auf das Einsetzen des Farbreizes ebenso unmittelbar folgen, wie ihre bekannten photo- taktischen Reaktionen auf das Einsetzen eines Lichtreizes, und dass die Daphnien mit ihren Augenbewegungen so prompt auf farbiges Licht reagieren, dass dem Beobachter die Veränderung der Licht- farbe und die hierdurch bedingte Augendrehung synchron zu er- folgen scheinen. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen der Wirkungsweise von farbigem und von weißem Lichte. Man könnte aber darauf hinweisen, dass eine ganze Anzahl chemische Reaktionen bekannt sind, die durch Licht von verschie- dener Wellenlänge in gegensinniger Weise beeinflusst, z. B. durch gelbes Licht (im Vergleich zum Ablauf der Reaktion im Dunklen) gefördert, durch violettes Licht gehemmt werden®?)., Man könnte also vielleicht einwenden, auch bei unseren Versuchen handle es 33) Vgl. z.B. Wo. Ostwald, Über die Lichtempfindlichkeit tierischer Oxy- dasen und über die Beziehungen dieser Eigenschaft zu den Erscheinungen des tierischen Phototropismus. Biochem. Zeitschr., Bd. 10, 1908, p. 1—130. v. Frisch u. Kupelwieser, Über den Einfluss der Lichtfarbe ete. 551 sich nur um solche farbenempfindliche Stoffe, die etwa im Daph- nienauge vorhanden sein könnten, und wir hätten somit kein Recht, von einem Farbensinn der Daphnien zu sprechen, oder müssten auch bei jenen chemischen Reaktionen den reagierenden Substanzen einen Farbensinn zuschreiben. Darauf ist zu erwidern: Ebensowenig, wie man bei lichtempfind- lichen photographischen Platten von einem Lichtsinn sprechen wird, wird man bei jenen farbenempfindlichen Substanzen von einem Farbensinn sprechen. Wenn aber ein Tier sein Gebaren danach richtet, ob langwelliges oder kurzwelliges Licht sein Auge trifft, so sprechen wir von Farbensinn, ob nun die Verschieden- heit seiner Reaktionen durch photochemische oder durch andere Wirkungen bedingt sind. Und mit demselben Rechte, mit dem wır den Daphnien auf Grund ihrer Lichtreaktionen einen Lichtsinn zuschreiben, sprechen wir nun auf Grund ihrer Farbenreaktionen von dem Farbensinn dieser Tiere. (sanz andere Fragen sind es, wie dieser Farbensinn beschaffen, wie hoch er entwickelt ist. Wir begnügen uns mit der Feststellung, dass er vorhanden ist und können über seine Beschaffenheit keine Behauptungen aufstellen. Doch sind wohl die geschilderten Tat- sachen am ehesten mit der Vorstellung in Einklang zu bringen, dass wir es hier mit einem dichromaten Farbensystem zu tun haben. Zusammenfassung. 1. Lässt man ein geeignetes Material von Daphnia magna oder Daphnia pulex an weißes Licht von mittlerer Intensität adaptieren, so sind die Tiere nach einiger Zeit gleichmäßig in ıhrem Gefäße verteilt. Herabsetzung der Lichtintensität (wenn sie nicht zu ge- rıngfügig ıst) veranlasst die Tiere sofort zu positiv-phototaktischen Bewegungen; bei sehr starker Herabsetzung der Intensität ist die Bewegung der Tiere zur Lichtquelle hin schwach oder bleibt ganz aus, bei keinem Grade der Intensıtätsverminderung ist eine negativ- phototaktische Bewegung zu beobachten. Bei Steigerung der Licht- intensität werden hingegen die Daphnien negativ-phototaktisch. Schaltet man vor die Lichtquelle eine Blauscheibe, so werden die Daphnien, trotz der hiermit verbundenen Herabsetzung der Licht- intensität, negativ-phototaktisch. Fügt man zu einem weißen Licht, an welches die Daphnien adaptiert sind, gelbes Licht hinzu, so werden die Tiere hierdurch positiv-phototaktisch, obwohl sie durch Intensitätssteigerung des Lichtes innerhalb der Grenzen, welche hier in Betracht kommen, negativ-phototaktisch gemacht werden. Demnach handelt es sich bei dem Einfluss von blauem und gelbem Lichte auf die phototaktischen Bewegungen der Daphnien nicht nur um Intensitätswirkungen, sondern die Wellenlänge des 36* 552 Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies etc. Lichtes wirkt als Qualität ın spezifischer Weise Mit anderen Worten, die Daphnien haben Farbensinn. 2. Bei Anwendung scharf umschriebener Spektralbezirke ergibt sich, dass Rot, Gelb und Grün bis etwa zur Linie 5 des Sonnen- spektrums positivierend, Blaugrün, Blau und Violett hingegen negativierend auf die Daphnien einwirkt. 3. Bei einer bestimmten Versuchsanordnung lässt sich zeigen, dass auch die Augenbewegungen der Daphnien von rotgelbem und blauem Lichte in gegensinniger Weise beeinflusst werden. 4. Artemia salina zeigt in den phototaktischen Reaktionen im wesentlichen die gleiche Abhängigkeit von der Qualität des Lichtes wie Daphnia magna und Daphnia pulex. Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies und die Chromidienlehre. Von Paul Buchner, München. (Mit 8 Figuren.) Die folgenden Zeilen wollen auf eine bei Insekten ziemlich weitverbreitete Erscheinung von allgemeinem Interesse aufmerksam machen und gehen einer umfangreicheren, vergleichenden Unter- suchung über den Gegenstand, die dessen ganze Variationsbreite umfassen will, voraus. Es ist eine zu den verschiedensten Zeiten ım Zelleben auftretende Erscheinung, dass ein Kern, der einen nor- malen Ohromosomenbestand enthält, in kleine Teilkerne oder Karyo- meriten zerfällt, von denen jeder einen seiner Größe entsprechenden Anteil des ursprünglichen Chromatins mitbekommt; solche Karyo- meriten enthalten dann entweder je ein einziges Chromosom oder es gehen mehrere in sie ein. So genau lässt sich die Wertigkeit eines einzelnen Karyomeriten natürlich nur bestimmen, wenn die Vielkernbildung bei kompakten Chromosomen einsetzt. Das ist der Fall im direkten Anschluss an eine Mitose oder beim Zerfall eines Spermakopfes in seine Chromosomen im besamten Ei. In den anderen Fällen, wo die Karyomeritenbildung als spontane Reaktion eines Ruhekerns auf schädigende Einflüsse eintritt, lässt sich der Inhalt der einzelnen wechselnd großen Kernchen nicht in Chromo- somenzahlen ausdrücken; es ist vielmehr anzunehmen, dass hierbei eine Zerreißung von Ruhechromosomen auf verschiedene Kerne stattfinden kann, woraus sich interessante Fragestellungen bezüglich der Chromosomenzahl und -individualität bei erneuten Teilungs- versuchen solcher Karyomeriten ergeben. Jedenfalls sind aber alle bisher studierten Fälle der Teilkernbildung in eine Kategorie zu stellen, die ich als mixochromatische Karyomeriten bezeichnen möchte, um damit auszudrücken, dass sie beide Erscheinungsformen des Kernchromatins in sich vereinigen, das generative, in das Chro- Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies ete. 553 mosom kondensierte Chromatin und das trophische, im Laufe einer Funktionsperiode im Ruhekern von diesem für die augenblicklichen Bedürfnisse des Stoffwechsels produzierte. Die Berechtigung dazu, die chromatische Doppelnatur dieser Karyomeriten besonders zu betonen, leitet sich von der Existenz rein trophochromatischer Karyomeritenbildung ab, der diese Zeilen gewidmet sein sollen. Sie kommt ım wachsenden Ei vieler Insekten vor. Das Prinzipielle an dem Vorgang ist, dass der jugendliche Ovocytenkern an seiner Peripherie Bläschen knospen lässt, die die Fähigkeit besitzen, selbständig beträchtlich zu wachsen und sich weiterhin noch sehr oft selbst amıtotisch zu teilen. Zu Hunderten, Ja Tausenden verteilen sie sich im wachsenden Eiplasma und finden erst spät ihren Tod. Sıe stellen Teile des Ovocytenkernes dar, ın die von dessen Chromosomenmaterial nichts eingeht. Die Tetraden SS 3 Rn ’ a ’ ie > X a & Fr ® : 4 E : a If EN 17Z a FL I. x DE > DR: EN! ei * wi 400 N 3 N A +5 GE 67 It SE BR a Be y— ; P ne er PR, © ® 7 Ir P” n \®. N y PR j4 x° 23 Fig. 1. Fie. 2. Fig. 1 u. 2. Der Kernapparat zweier verschieden alter Eier von (amponotus. konzentrieren sich vielmehr meist zur Zeit der ersten Karyomeriten- bildung zu einem ın der Mitte des Kernes gelegenen Knäuel, und die an der Peripherie vor allem gelegenen Nukleolen treten durch die Kernmembran hindurch, sammeln Flüssigkeit um sich und ver- anlassen die Entfaltung eines zarten Retikulums. Diese Nukleolen besitzen oft ganz spezifische Strukturen und finden sich im Mutter- kern und den Kernknospen in gleicher Weise. Die Art der Ab- lösung der Teilkerne wechselt. Bei (amponotus entfalten sich diese sofort ganz selbständig und runden sich daher von Anfang an völlig ab; allerdings bleiben sie auch noch die erste Zeit ihres Wachs- tums in enger Nachbarschaft um den Mutterkern gedrängt (Fig. 1 u. 2). Bei einigen Ichneumoniden aber verbindet beide Teile noch lange Zeit eine gemeinsame Kernmembran, so dass die Karyo- meriten abgeplattet allseitig oder einseitig den Kern umgeben und so besonders deutlich ihre Entstehungsweise dokumentieren (Fig. 3 u. 4). Auch der Beginn des Prozesses ist nicht bei allen Formen der gleiche. Aber stets fällt er, soweit ich bis jetzt sehe, in die 554 Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies etc. Zeit unmittelbar vor und nach der definitiven Zusammenlagerung von Ei- und Nährzellen. Auf diese erste Phase, die dadurch charakterisiert wird, dass die Karyomeriten den Mutterkern umgeben, folgt eine solche der Wegbewegung von diesem. Die Details der Wanderung sind ver- schieden bei den einzelnen Objekten. Stets ist, besonders auf jungen Stadien, deutlich zu beobachten, dass sie, entsprechend der Lage des Kernes von vorne nach rückwärts geht. Die Kerne gleiten meist Kira. Fig. 4. Fig. 3 u. 4. Ei einer Ichneumonide vor und zu Beginn der Karyometenbildung. Aug A EEE . ES Fig. 5. Oberflächliche Schicht der Karyo- Fig. 6. Ausschnitt aus der meriten in dem Ei einer Ichneumonide. Eioberfläche von Bombus. der Eioberfläche entlang nach hinten, sich ständig lebhaft ver- mehrend. Unter Umständen wird nie eine andere Lage eingenommen und die Kerne liegen entweder nur in einer peripheren Schicht (Fig. 5) oder in mehreren. Ein Blick auf die Eioberfläche von Bombus zeigt, welche Unzahl von Kernen diese bedecken (Fig. 6). Bei anderen Objekten wandern sie auch in die Tiefe und durch- setzen das ganze Ei, ja es gibt Ichneumoniden, bei denen die Längs- achse des Eis besonders bevorzugt wird, wie Fig. 7 zeigt. Immer bleibt aber die Nähe des Ovocytenkernes im engeren Sinne ausge- zeichnet durch eine größere Ansammlung von Karyomeriten (Fig. 8). Hier scheint auch noch ziemlich lange die Mutterzelle trophisches Chromatin abzustoßen. Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies ete. 555 Endlich aber erlahmt diese Tätigkeit und die dritte Phase setzt ein, die Degeneration. Diese schlägt, soweit ich bis jetzt die Dinge überschaue, wiederum mannigfache Wege ein. Schon die Karyo- meritenstruktur wechselt bei den einzelnen Formen sehr; das Chro- matın ıst in kräftigen Gerüsten vorhanden oder sehr spärlich reti- kulär oder mehr körnelig gestaltet. Bei manchen Objekten ist die Definition der kleinsten Kerne kaum mehr möglich, da alle Ab- stufungen bis zu Körnchen, die von zarten Vakuolen umgeben sind, vorliegen. Geeignet gewählte Färbungen werden aber hier- über noch Klarheit gewinnen lassen. Gegen Ende der Dotter- Fa « rt r ; aiBr 8 To) ® ee LER BE a Dr } ® DER “= key R 7 ® PR « 5 Sud SR As 5 wur. r ner) # [4 EX Wars s 2 Saar >: Cr & ©: Bu I u a N ae h > Fig. 7. Zentrale Partie eines Ichneumonideneies. speicherung im Ei scheimen alle diese Kerne unterzugehen. Der Kerninhalt verflüssigt sich hierbei derart, dass die Kugeln sich im Dotter verlieren; bei gewissen Ichneumoniden scheint es mir, dass die Kernmembran gelöst wird und die kugeligen Kernpartikelchen direkt zu Dotter werden. Ganz merkwürdig ist das Schicksal der Camponotus-Karyomeriten, sie rücken allmählich mehr in das Innere, das Chromatin ballt sich pyknotisch in einzelne unregelmäßige Körperchen und um diese entwickelt sich eine Strahlung. Das Ganze macht deutlich den Eindruck eines ersten und letzten Teilungs- versuches. — Nur der Kern, der das Idiochromatin für sich reserviert be- hielt, überlebt diese Degenerationsperiode und führt die Tetraden unversehrt der Reifeteilung zu. 556 Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies etc. Es sind nicht nur Hymenopteren, welche diese Vorgänge zeigen, sondern auch Vertreter der Dipteren, Coleopteren und wohl auch Lepidopteren. Ihre Bedeutung ist zu offensichtlich eine trophische, als dass man sie verkennen könnte. Die Funktionssteigerung, die sonst im wachsenden Eı durch ein beträchtliches Anwachsen des Kernes, durch mächtige Entfaltung der trophischen Nukleolar- substanzen oder in den Einährzellen und vielen Drüsenzellen durch weit verästelte Kerne bedingt ist, ıst hier von der Karyomeriten- °. N ) .... ® “ Fig. S. Der Mutterkern der ‚Ovoeyte;'von zahlreichen Karyomeriten umgeben (Ichneumoniden). bildung begleitet, die durch ihr selbständiges Wachstums- und Teilungsvermögen und durch die Fähigkeit der Ortsveränderung den gestellten Ansprüchen in geradezu idealer Weise genügen müssen. Ihre spezielle Bedeutung für die Vorgänge der Reservestofl- speicherung können wir aber natürlich bis jetzt auch nicht genauer umschreiben als für den normalen Kern. Der Wert der Beobachtungen aber liegt auf allgemeinen Ge- bieten der Zellforschung. Sie lassen die Hypothesen von der Exi- stenz zweier Chromatine, des Idio- und Trophochromatins von einer neuen Seite beleuchten und illustrieren auf das Deutlichste, dass Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies ete. 557 wir in gewissen Phasen des Zellebens sicherlich zu einer Trennung dieser beiden Substanzen berechtigt sind. Ich schließe mich damit der Auffassung an, dass diese Doppelnatur nur eine vorüber- gehende, im gegebenen Moment als Funktionsfolge sich einstellende ist und nicht in so weitgehendem Grade als eine‘ elementare Du- plizität des Chromatins aufgefasst werden darf, wie Schaudinn und Goldschmidt dies taten. Die Funktion des Trophochromatins in der Metazoenzelle wurde von letzterem im Anschluss an Hertwig’s und Schaudınn’s Er- fahrungen und Gedanken über die Protozoenzelle vornehmlich ın der Weise gedacht, dass es durch die Kernmembran auswandernd als Chromidium mannigfachen Stoffwechselvorgängen des Plasmas vorstehe und gelegentlich unter Bildung morphologisch selbständiger Zellorgane, wie Dotter,kerne“, ebenfalls lange Zeit in der Zelle tätig bleibt. Diese Vorstellungen haben den Streit der Meinungen über die fragliche Existenz und Rolle der Chromidien der Meta- zoenzelle herbeigeführt. Als sein Resultat ıst zu bezeichnen, dass die ursprüngliche Konzeption Goldschmidt’s in ihren Details zu weit ging. Es steht ohne weiteres fest, dass dıe Basıs der ganzen Chromidienlehre, die Annahme, dass die trophochromatischen Massen im Kern hohen Anteil an den Vorgängen im Plasma besitzen, richtig ist. Dass hierbei Stoffaustausch zwischen Kern und Plasma in beiden Richtungen stattfindet, muss als eine Selbstverständlich- keit erscheinen. Man muss sich daher wundern, wenn bei den Diskussionen, ob dieser Stofftransport unter Umständen mit ge- formtem Chromatin vor sich geht, nicht selten der Ton der Autoren die Grenzen der objektiven Meinungsäußerung über- schritten hat. Was man früher in manchen Punkten der Chromidienlehre mit Recht vorwerfen konnte, gilt heute im vollen Maße für die Mito- chondrienlehre, die in einer vom Kern stets unabhängigen spezi- fischen Substanz im Plasma eine Struktur von prinzipieller Bedeu- tung für die Funktion der Zelle, für ihre histologische Differenzierung, für die Vererbung väterlicher und mütterlicher Eigenschaften sieht. Hat die Chromidienlehre die dem Plasma a priori innewohnenden Strukturen vernachlässigt, so tut dies heute in gesteigertem Maße die Mitochondrienlehre mit der Funktion des Kerns. Hat diese manches vereint, was heterogener Natur ist, so schablonisiert jene heute in ungleich höherem Maße. Man hat denen, die den Kern- austritt von Chromatin beschrieben haben, eine nicht genügende Färbetechnik vorgeworfen; heute mehren sich die Stimmen, die die Benda’sche Methode, auf die sich die Identität aller Mitochondrien und ihre Unabhängigkeit vom Kern stützt, als eine hierfür sehr ungeeignete, weil keineswegs selektive Färbung bezeichnen, in be- denklicher Weise. 558 Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies ete. Und ıch glaube endlich nicht, dass je die Chromidienlehre so gewaltsam ıhre Befunde der Theorie zuliebe gedeutet hat, wie Meves dies tut, wenn er annımmt, dass aus einer Seeigelblasto- mere nur larvale, bei der Metamorphose resorbierte Organe, aus der anderen das definitive Tier wird, nur weıl er selbst beobachtete, dass die väterlichen mitochondrialen „Vererbungsträger“ stets nur in eine Blastomere gelangen. Gerade dieses Objekt ıst ein klassisches Beispiel für ein harmonisch-äquipotentielles System der formbilden- den Faktoren, und die Entwickelungsgeschichte lehrt uns, dass Mesenchym, Cölom und Darm je zur Hälfte aus einer der ersten Furchungsblastomeren gebildet werden. Während man beı der Lektüre der letzten, eingehenden Zu- sammenfassung der Mitochondrienlehre das Gefühl hat, dass dieser Forschungszweig unter Vernachlässigung der Wirbellosenzytologie zu einem Kapitel der Histologie der Anatomen erstarrt, wird der richtige Grundgedanke der Chromidienlehre ım Gefolge haben, dass sie an der Hand kritischer gewählter Materialien unter Abstoßung mancher Unrichtigkeiten, die zum Teil den Resultaten der Mito- chondrien zu danken sind, regeneriert. Eine solche neue und, wie ich glaube, sehr kräftige Stütze empfängt die Lehre durch den Nachweis der trophochromatischen Karyomeriten der Eizelle. Es sind chromatische Massen, die sich vom Kerne lösen, ohne dabeı dessen Idiochromatin zu dezimieren, also genau das, was der Begriff des Chromidiums fordert. So deutlich wird ein solches Verhalten hier nur durch die spezielle Merkwürdig- keit der Bläschenbildung und deren Wachstums- und Teilungsfähig- keit. Aber stellt das einen prinzipiellen Unterschied dar? Ich glaube nicht. Ich denke vielmehr, dass diese Beobachtungen jenen einen erneuten Wahrscheinlichkeitsgehalt verleihen, die morpho- logisch so sehr für eine Chromatinemission des wachsenden Eikerns sprechen (radiäre Kernstruktur und Kappenbildung in das Plasma hinein, an den Stellen, wo die Radien auf die Kernmembran stoßen, oder für eine solche im genetisch homologen Nährzellkern, der zu der Zeit, wo der Ovocytenkern Karyomeriten ins Plasma schickt, bei Ichneumoniden z. B. mit weit ins Plasma ragende „Nukleolen“ be- setzt ıst. Es gibt eine Anzahl weiterer Tatsachenkomplexe, die bei einer Wiedergeburt der Chromidienlehre eine ähnliche, die Fundamente sichernde Bedeutung haben werden. Hierzu gehören vor allem alle die Fälle, bei denen eine Vertretbarkeit von „Plasmaprodukt“ und Substanzen, die sich von direktem Kernzerfall herleiten lassen, fest- zustellen ist. Dies ist in weitgehendem Maße bei den Nähreimrich- tungen des Eies der Fall. Das Fressen von Nährzellkernen und das Bereichern durch das Sekret der Nährzellen. alterniert bei oft sehr nahestehenden Formen; bei anderen nimmt die Eizelle das Buchner, Die trophochromatischen Karyomeriten des Insekteneies ete. 559 Nährzellchromatin erst auf, nachdem eine Sekretionsperiode voraus- gegangen ist. Pigment entsteht bei ıntaktem Kern und entsteht unter Kernzerfall. Die Keimbahn begleitenden Substanzen ent- stehen entweder direkt aus degenerierenden Nährzellkernen !) oder aus dem Sekret der Nährzellen, wie sich mir aus noch unver- öffentlichten Untersuchungen an Ameisen und lchneumoniden er- geben hat. Weiter schließen sich die Fälle an, wo Substanzen, die im allgemeinen im Plasma entstehen, zuerst ım Kern auftreten, wie dies für das Glykogen soeben bei Trematoden besonders schön nachgewiesen werden konnte?). Auch Marziaskı's Bilder lassen nicht zweifeln, dass Drüsensekrete ım Kern gebildet werden können und durch dessen Membran ıns Plasma übertreten?). Endlich sei daran erinnert, dass vielfach der allmählichen An- häufung eines Körpers ım Plasma eine Erschöpfung des Kernes parallel geht, die ıhn von reichlicher Uhromasıe nahezu zur Achro- masıe führen kann. Alldas sind Dinge, die ebenso wie die hier beschriebene Karyo- meritenbildung dem Grundgedanken der Chromidienlehre der Meta- zoenzelle eine feste Stütze geben und sich durch Benda-Färbungen nicht entkräftigen lassen! Es wäre merkwürdig, wenn die auffälligen Bilder der Karyo- meriten im Insektenei bisher ganz unbeachtet geblieben wären. Blochmann*) hat sie vielmehr schon 1886 ım Ameisenei gesehen und eine Entstehung durch Kernknospung angenommen. Wir be- stätigen also seine Angaben vollkommen. Aber sie stammen aus einer Zeit, die so manches fälschlicherweise als Kernknospung be- schrieben hatte und deshalb wurde sıe nicht angenommen. Außer einigen weiteren Angaben von Stuhlmann?°) berichten kurz über sie Korschelt®) und Gross”). Ersterer sah einiges hiervon bei Mausca und spricht sich nicht weiter aus, Gross verlässt die alte, richtige Auffassung Blochmann’s, die inzwischen durch unsere Vorstellungen von der Chromosomenindividualität und den Re- 1) P. Buchner, Das Schicksal des Kernplasmas der Sagitten. Hertwig- Festschrift, 1910. Kühn, A. die Sonderung der Keimesbezirke u. s. w. Zool. Jahrb. Abt. Anat., Bd. 35, 1912. 2) Ortner, Archiv f. Zellforsch., 1913 (in Druck). 3) Marziaski, S., Recherches eytologiques ete., ebenda Bd. 6, 1911. 4) Blochmann, F., Über die Reifung der Eier bei Ameisen und Wespen. Festschr. naturf. med. Ver. Heidelberg, 1886. 5) Stuhlmann, Reifung des Arthropodeneies. Ber. Naturf. Ges. Freiburg. I. 1856. 6) Korschelt, E., Über Entstehung und Bedeutung der verschiedenen Zell- elemente des Insektenovariums. Z. wiss. Zool., Bd. 48, 1886. 7) Gross, J., Untersuchungen über die Histologie des Insektenovariums. Zool. Jahrb. Anat., Bd. 18, 1903. 560 Yakowleff, Biologische Parallelen zwischen den Korallen u. Brachiopoden etc. duktionsvorgängen in den Geschlechtszellen etwas ganz Unmög- liches geworden war und sucht die Erscheinung, die ihm bei Vespa und Dombus aufstößt, dadurch zu deuten, dass somatische Kerne, die sich vorher zwischen den Nährzellen fanden, durch die Nähr- verbindung in das Ei einwandern, um bei der Dotterbildung eine Rolle zu spielen. Damit wäre die Erscheinung nur einer der zahlreichen Spezial- fälle der Nährzelleinrichtungen. Tatsächlich aber handelt es sich, wie wir gesehen haben, um eine bis jetzt viel zu wenig studierte Karyomeritenbildung, die uns über das spezielle Interesse hinaus wegen der zahlreichen Einblicke in allgemeine Zellfragen fesseln muss. Biologische Parallelen zwischen den Korallen und Brachiopoden in bezug auf ihre Veränderlichkeit. Von Prof. N. N. Yakowleff, St. Petersburg. Da ich mich ın letzter Zeit mit der Frage der Korallenriffe, sowohl fossiler als auch rezenter, beschäftigte, habe ich auch die zoologische Literatur!) der neueren Zeit, welche diese Frage be- handelt, kennen gelernt. Als näherer Beweggrund hierzu diente meine teise nach Port Sudan zur Besichtigung der Korallenriffe des Roten Meeres, welche ich im Anfange des Jahres 1913 unternommen hatte. Im Resultate wurden mir unter anderem interessante bio- logische Parallelen zwischen den Korallen und Brachiopoden, mit welchen ich auch mich in den letzten Jahren beschäftigt hatte, klar, nämlich Parallelen in bezug auf die äußerst große Veränderlich- keit der Vertreter dieser genannten Gruppen des Tierreichs im Zu- sammenhange mit der Anheftung des Tieres an seinen Wohnsitz. Solche Parallelen hat, wie ich glaube, noch niemand aufgestellt. Die Veränderlichkeit der Madreporaria tritt sowohl in der Ge- samtform der Kolonie — der Form des vegetativen Wachstums, in der Vermehrung der die Kolonie auf ungeschlechtlichem Wege bildenden Koralliten als auch im Charakter dieser Koralliten und im Bau der Zwischenräume zwischen ihnen auf der Gesamtober- fläche des Polypenstockes hervor. In bezug auf all die genannten Beziehungen gibt es keine guten Merkmale zur Unterscheidung der Arten. Die verschiedenen Formen des vegetativen Wachstums der Kolonien, welche zu derselben Art gehören, entstehen infolge solcher Bedingungen wie: größere oder kleinere Tiefe des Wassers, Vorhandensein eines starken Wellenschlages oder völlige Stille des Wassers, Reichtum, sogar Überfluss, oder völliger Mangel an Sedi- menten. l) Arbeiten von Wood Jones, Gravier, Gardiner u.a Yakowleff, Biologische Parallelen zwischen den Korallen u. Brachiopoden ete. 561 Korallen, welche an einem Orte, wo beständiger Wellenschlag ist, wachsen, haben die Tendenz, einen Korallenstock sphäroidaler Form zu bilden, da diese Form am meisten dem Wellenschlage standhalten kann (Porites); baumartig verzweigte Korallen wie Madrepora haben in solchen Fällen die Neigung, ihre Zweige zu verkürzen. Die Formen, welche ım stillen Wasser leben, zeichnen sich durch starke und feine Verzweigung ihres Korallenstockes aus. Ein Überfluss an Sedimenten im Meere wirkt tödlich auf die Zooide, welche unvorteilhaft gelagert sind und ruft infolgedessen eine Ab- plattung derjenigen Polypenstöcke hervor, welche ım reinen Wasser sphäroidal wären; bei unregelmäßiger Verteilung der Zooide, welche vom Schlamm getötet werden, bilden sich amorphe Korallenstöcke unregelmäßiger Form. Ein Überfluss an Sedimenten hat noch die Folge, dass die einzelnen Zooide kleiner werden und dabei stärker auf der Gesamtoberfläche des Polypenstockes hervorragen. Die Zwischenräume zwischen den einzelnen Zooiden auf der Gesamt- oberfläche des Stockes erhalten verschiedene Verzierungen und Rillen zur Ausfuhr des Schlammes, welcher sich auf der Ober- fläche des Korallenstockes gesetzt hat. Die Korallen besitzen eine außerordentliche Plastizität, ein grenzenloses Vermögen sich zu ver- ändern, zu varıieren, sich den Anforderungen der Umgebung anzu- passen; sie besitzen die Eigenschaft, auf großartige Kompromisse zwischen den vorhandenen Kräften der ihnen angeborenen Wachs- tumsformen und den Veränderungen, welche den Anforderungen der Umgebung entsprechen, einzugehen. Die Bedingungen, welche die Veränderlichkeit der Korallen bestimmen, können selbst varııeren, wie räumlich so auch zeitlich. Räumliche Veränderungen der Be- dingungen können schon bei kleinen Entfernungen fühlbar sein und die zeitlichen sich während der Lebensperiode ein und der- selben Kolonie vollführen (Wood Jones). Gravier meint, dass die Madreporaria, ım Gegensatz zum ersten 'Eindrucke, welchen ihre Kalkskelette machen, widersprechend, eine ganz außerordent- liche Plastizität besitzen, eine Plastizität, welche den Natur- forscher, der sich mit der Systematik der Arten beschäftigt, ın Staunen setzt. Den Lebensbedingungen entsprechend können sie Formen an- nehmen, welche auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, als ob sie miteinander nichts zu tun hätten und ganz verschiedenen Arten angehörten. In keiner Gruppe des Tierreichs ıst der künst- liche, zum großen Teile subjektive Charakter unserer Artunter- scheidungen und die provisorische Bedeutung unserer Bestimmungen so augenscheinlich, wie bei den Madreporaria. Auch die Unter- scheidung der Genera ist nicht viel schärfer, sogar bei den all- gemein bekannten und weıtverbreitesten Gattungen. 569 Yakowleff, Biologische Parallelen zwischen den Korallen u. Brachiopoden etc. Fr b} a Naturforscher der Neuzeit unterscheiden eine „vegetative“ Ver- änderlichkeit, von welcher oben die Rede war, von einer „artlichen“, d.h. der Veränderlichkeit, auf der die Unterscheidung der Arten begründet ist. Diese individuelle vegetative Veränderlichkeit der Korallen wird durch die Anheftung der Korallen bedingt, vermöge deren die Tiere vor die Alternative gestellt sind, entweder zu sterben oder sich den Lebensverhältnissen anzupassen. Diese außer- ordentlich große individuelle Veränderlichkeit der Korallen, welche sich so sehr von der gewöhnlichen individuellen Variabilität der Vertreter anderer Gruppen des Tierreichs unterscheidet, entspricht nun auch die Veränderlichkeit der Brachiopoden, über welche ich schon in zwei Arbeiten berichtet habe: „Sur la fixation des coquilles de quelques Strophomenacea“* (Bullet. du Comite geolog. vol. XXVI, 1907) und „Die Anheftung der Brachiopoden als Grundlage der Arten und Gattungen“ (Mem. du Com. geol. Nouv. Serie Livr. 18, 1908). In diesen Arbeiten habe ich zu beweisen versucht, dass die Anheftung der Brachiopoden und die damit verbundene Unmög- lichkeit, den Wohnsitz zu verändern, beträchtliche Veränderungen im Bau der Schale hervorruft. Zuerst dehnt sich, wahrscheinlich infolge eines Überflusses an Sedimenten, die Ventralschale aus, um so zu verhüten, verschüttet zu werden. Dabei verlängert sich auch das dreieckig begrenzte Feld, dıe Area, die sich unter dem Schnabel der Ventralschale befindet, und die dreieckige Öffnung in der Mitte der Area (Delthyrium), durch welche der Stiel heraustritt. Diese Vergrößerung der Öffnung ist unnütz und unvorteilhaft, weil der (Juerschnitt des Fußes derselbe bleibt, deshalb wird sie durch das Entstehen des Pseudodeltidiums kompensiert, eines Kalkblattes, welches einen Teil des Delthyrıums zudeckt, so dass nur eine runde Öffnung, die dem Fuße entspricht, nachbleibt. Außerdem wird auf Grund derselben Kompensierung bei Exemplaren mit er- höhter Area der Spitzenwinkel der Delthyrialöffnung (der Winkel, der unter dem Wirbel liegt) kleiner als bei den Formen mit nor- maler Area, so dass dıe umnütze, sogar schädliche Vergrößerung der Öffnung hauptsächlich nur in die Höhe geht. Da der Spitzenwinkel des Delthyrıums bei den Exemplaren mit gewölbter Schale kleiner ist als bei flachen Formen, bilden die Zahnplatten, welche das Delthyrium umgeben und in die Schale hineinwachsen, auch einen kleineren Winkel miteinander, wachsen deshalb zusammen und bilden das sogen. Spondylıum. Beı den Formen, welche ein Spondyhum besitzen, gewöhnlich bei den Formen mit gewölbter Schale, heften sich die Muskeln an das Spondylium an. Dies geschieht deshalb, weil bei den gewölbten Formen der Schnabel weit vom Schlossrande entfernt ist und die Muskeln (Schließ- und Öffnungsmuskeln) sich bei normaler Anheftung un- u Yakowleff, Biologische Parallelen zwischen den Korallen u. Brachiopoden ete. 563 nötig verlängern müssten. Durch das Übertragen der Anheftungs- stellen der Muskeln von dem Boden der Ventralschale auf das Spondylium, welches aus der Tiefe der Schale hervorragt, bleibt ihre Länge, wenn nicht vollkommen unverändert, so doch jeden- falls annähernd dieselbe, wıe bei den flachen Schalen, welche unter den Bedingungen einer langsamen Sedimentierung leben. Das Ent- stehen des Spondyliums und die Übertragung der Muskeln auf das- selbe geschieht folglich als Resultat der Anpassung des Tieres an neue Lebensverhältnisse. Manchmal entwickelt sich kein Spondylıum, das geschieht bei den Formen, welche keine Zahnplatten haben (Productes), doch dann verlängert sich der Schlossfortsatz der Dorsalklappe, so dass dadurch die Anheftungsstellen der Dorsal- klappe denjenigen der Ventralklappe näher gebracht werden. In meiner letzten Arbeit über die Brachiopoden wies ıch noch darauf hin, dass Unterschiede wie die genannten weder Art- noch Gattungsunterschiede sind, ich vertrat dabei den Standpunkt, dass die Anheftung der Brachiopoden eine beträchtliche Veränderlich- keit der Schale hervorruft, weil das Tier sich, indem es die Ventral- klappe verlängert, vor Verschüttung durch Schlamm zu schützen sucht. Es sind dabei bei Individuen, die nebeneinander leben, starke Unterschiede möglich, entsprechend der Verschiedenartigkeit der Bedingungen, welche bei der Anheftung der einzelnen Indivi- duen herrschen: das eine lebt z. B. ın einer Vertiefung des Meeres- grundes und ist dadurch stärker der Verschüttung durch Sedimente ausgesetzt, das andere ist an einem Geröll, welches sich vom Meeres- grunde hervorhebt, festgewachsen und wird deshalb weniger vom Schlamm bedeckt. Es ıst klar, dass die Veränderungen der Schale, welche infolgedessen entstehen, nicht einmal als Varietät aufgefaßt werden können, da dıe Träger dieser Veränderungen an kein be- stimmtes Gebiet gebunden sind, keine bestimmte geographische Verbreitung haben, wie es bei Arten und Varietäten der Fall ıst; eine Entfernung von wenigen Zoll genügt, um die Ursache, welche so auffällige Veränderungen der Schale hervorgerufen hat, wieder aufzuheben. Solche veränderte Formen kommen sporadisch vor ın dem Gebiete der Verbreitung der normalen flachen Formen, von welchen sie abstammen; ıhre, auf diese Weise erworbenen Eigen- schaften, können nicht erblich übertragen werden. Ich habe eine Reihe von Beispielen angegeben, wo die Ver- änderungen der Brachiopoden, obwohl sehr groß, so doch weder Gattungs- noch Artveränderungen sind. Auf den ersten Blick kann es etwas sonderbar erscheinen, eine Analogie zwischen den Korallen und Brachiopoden zu suchen, so verschieden sind sie ın ihrer Organisation und auch in ihrem Aus- sehen, doch ist ım Grunde diese Analogie biologisch ganz natür- lich. Die Anheftung ist ın der Biologie der beiden genannten 564 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. Gruppen ein wenn auch nicht allgemein, so doch weitverbreiteter Charakter. Bei beiden Gruppen wächst das Tier am Substrat und zwar vollständig fest, so dass seine Schale (resp. Skelett) fast gänz- lich unbeweglich ıst, ım Gegensatz zu den mit dem Byssus sich befestigenden Lammellibranchiaten. Wahrscheinlich bin ıch der erste Naturforscher, welcher den Brachiopoden eine außerordentliche Veränderlichkeit im Zusammen- hange mit der Anheftung ihrer Schale zusprach und viele Eigen- arten des Baues ihrer Schale erklärte, indem ıch von dem Stand- punkte ausging, dass das Tier sich den Lebensverhältnissen anzu- passen sucht. Das Renogenitalsystem von Puncturella noachina L. Von Anna Meyer. (Aus dem zootomischen Kabinett der Universität Kasan.) Mit 10 Textfiguren. Die Untersuchungen der Exkretions- und Genitalorgane der niederen Diotokardier sınd insofern von bedeutendem Interesse, als man in diesem Organsystem, ähnlich wie in der Beschaffenheit des Herzens und der Kiemen, wenngleich vielleicht auch nur als Spuren, jene Paarigkeit und Symmetrie erwarten kann, wie sie theoretisch als für die Urgastropoden charakteristisch gedacht werden muss. Eine derartig paarige und symmetrische Beschaffenheit der besagten Organe glaubte nun Haller unter den heute noch leben- den Formen bei Puncturella (Cemoria) noachina L. aus der Familie der Fissurelliden tatsächlich entdeckt zu haben. Spätere Unter- suchungen riefen jedoch beträchtliche Kontroversen unter den aller- dings wenigen Forschern hervor, welche das Renogenitalsystem dieser Form nachuntersuchten, und blieben diese Widersprüche auch bis jetzt noch unentschieden. Daher folgte ich gerne dem Vorschlage meines Vaters, Professor Eduard Meyer’s, das Reno- genitalsystem von Puneturella einer eingehenden Untersuchung zu unterwerfen und die Angaben meiner Vorgänger nachzuprüfen. Bevor ich jedoch zur Darstellung meiner eigenen Beobachtung übergehe, will ich kurz die Resultate der früheren Untersuchungen referieren. Die ersten Angaben über das Renogenitalsystem von Pumcturella machte v. Erlanger im Jahre 1892 in seiner Arbeit „On the Paired Nephridia of Prosobranchs“!), wo er das Vor- handensein von zwei Nephridien konstatierte und auf deren stark asymmetrischen Entwickelungszustand hinwies. Seinen Beobach- tungen nach ist hier das rechte Organ außerordentlich stark ent- 1) Erlanger, R. v. 1892. On the Paired Nephridia of Prosobranchs, the Homologies of the only remaining Nephridium of most Prosobranchs, and the Re- lations of the Nephridia to the Gonad and Genital Duct. In: @. Journ. Mier. Sc (9), -T: 23: Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. 565 faltet und erstreckt sich fast durch die ganze Leibeshöhle des Tieres, während die linke Niere in hohem Grade reduziert ist. Beide Nephridialsäcke öffnen sich auf besonderen Papillen in die Mantel- höhle zu beiden Seiten des Afters, wobei die linke Nierenpapille bedeutend schwächer ausgebildet und mit einer weit kleineren Öff- nung versehen sei. Eine Kommunikation der Nephridien mit dem Perikard konnte v. Erlanger weder am linken, noch am rechten Organ entdecken. Bezüglich der Gonade teilt uns v. Erlanger mit, dass sie bei Puncturella durch eine wohlentwickelte, unpaare Drüse repräsentiert sei, welche vermittelst eines Gonoduktes in den Endteil des Nierensackes dicht am Ausführungsgange desselben ein- münde. Darauf erschien 1894 die Abhandlung Bela Haller’s „Studien über Docoglosse und Rhipidoglosse Prosobranchier“?), in der er behauptete, dass wir bei Punecturella das ursprünglichste Verhalten der in Rede stehenden Organe vor uns hätten, indem sie hier durchaus paarıg und symmetrisch ausgebildet seien, wie er das denn auch in seinem hier wiedergegebenen Schema abbildet (Fig. A). Seinen Angaben nach stellt sowohl die rechte als auch die linke Niere je eine große acinöse Drüse mit weitem Lumen vor, wobei jede aus verschiedenen Lappen besteht, die jederseits zu einem in die Mantelhöhle ausmündenden Ausführungsgange zu- sammentreten. Beide Nierenpapillen sind gleich gut entwickelt und liegen rechts und lınks vom After. Etwas weiter zurück, hinter dem Ausführungsgange entspringt an jeder der beiden Ne- phridien ein relativ kurzer Renoperikardialgang, welcher sich mit mäßig weiter Mündung in den Herzbeutel öffnet. In das Lumen jeder Niere mündet ferner mit kurzem Ausführungsgange die eben- falls paarıge und vollkommen symmetrische Gonade, welche lateral in der Leibeshöhle gelegen und jederseits durch eine lange, sack- förmige Geschlechtsdrüse repräsentiert ist. Zu beachten ist dabei der Umstand, dass auf der Abbildung Haller’s die beiden Gonaden sich hinten mit ihren Enden berühren, und die rechte Drüse der linken ein wenig aufliegt. Wie man sieht, unterscheiden sich die Beobachtungen Haller’s von den oben referierten Angaben v. Erlanger’s sehr beträchtlich. Nach Haller wäre das Renogenitalsystem bei Pumneturella ein außer- ordentlich primitives und würde infolge seiner vollkommen sym- metrischen Ausbildung, falls sich dies als richtig erweisen sollte, von großer phylogenetischer Bedeutung sein, da wir dann hier bei einem lebenden Vertreter der Diokardier die hypothetische Aus- gangsform für das Renogenitalsystem der heutigen Gastropoden noch fast vollständig erhalten hätten, wie sie bei den etwaigen 2) Haller, B. 1594. Studien über Docoglosse und Rhipidoglosse Proso- branchier. Leipzig. XXX. 37 566 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. Ur- oder Progastropoden?) beschaffen gewesen sein dürfte. Allen schon 1898 wurde die Richtigkeit der Beobachtungen Haller’s von Pelseneer bestritten, welcher in seinen „Recherches morphologiques et phylogenetiques sur les Mollusques Archaiques“ ®) uns eine ganz andere Darstellung des Renogenitalsystems von Puncturella gibt. Pelseneer behauptet, dass Puncturella wie alle Fissurelliden überhaupt zwei durchaus asymmetrische Nephridien besitze, indem die linke Niere nur schwach entwickelt sei, sich durch ein flacheres Epithel unterscheide und keine Verbindung mit dem Perikard habe. Die rechte Niere dagegen ist ihrer Größe nach prävalierend und erstreckt sich durch die Leibeshöhle zu beiden Seiten des Perikards. Vermittelst eines deutlich ausgesprochenen Renoperikardialganges kommuniziert das rechte Nephridium mit dem Herzbeutel, an dessen unterer Seite ziemlich weit nach hinten die eigentliche Renoperikardialöffnung sich befinde, weshalb sie v. Erlanger auch nicht bemerkt habe. In den Renoperikardial- gang des rechten Nephridiums mündet nach Pelseneer mit be- sonderem Gonodukte die bloß ın der Einzahl vorhandene, unpaare (sonade, welche die Leibeshöhle des Tieres hinten im Bogen umfasst. Trotz dieser sehr kategorischen Angaben Pelseneer’s hielt Haller seine Ansichten über das Renogenitalsystem von Punctu- rella ın vollem Umfange aufrecht und hat sie in seinem 1904, also nach Erscheinen der Abhandlung Pelseneer’s veröffentlichten Lehrbuche der vergleichenden Anatomie unverändert wieder abge- druckt, wie solche denn auch noch in anderen, neueren Lehrbüchern, ungeachtet ıhrer Widerlegung durch Pelseneer’s Beobachtungen, als tatsächlicher Befund Aufnahme gefunden haben. Zu meinen Untersuchungen standen mir drei gut konservierte Exemplare von Puncturella noachina L. zur Verfügung, welche von den Herren N. Liwanow und S. Timofejeff im Weißen Meere gesammelt und mir freundlichst übergeben worden waren. Das Studium dieser drei Schnittserien ergab folgende Resultate. Das Nephridialsystem von Puncturella (Fig. B) besteht aus zwei typisch asymmetrischen Nierenorganen. Das rechte Nephridium ist stark "entwickelt und hat die Gestalt einer unregelmäßig verzweigten Exkretionsdrüse, welche sich durch den rechten und linken Teil der Leibeshöhle erstreckt, unterwegs alle inneren Organe umgibt und sich ihnen fest anschmiegt. Man kann an demselben vier Ab- 3) Im Gegensatze zu Haller’s noch umgedrehtem Prorhipidoglossum möchte ich als Progastropoden jenes hypothetische Vorstadium der rezenten Gastro- poden bezeichnen, bei welchem sich die ursprüngliche Symmetrie der Organe zwar auch noch erhalten, die Verlagerung des Pallealkomplexes nach vorn aber bereits vollzogen hatte. 4) Pelseneer, P. 1898. Recherches Morphologiques et Phylog@netiques sur les Mollusques Archaiques. In: M&m. cour. et m&m. sav. 6trangers. T. 57. Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. Db7 schnitte unterscheiden. Zunächst die eigentliche, verzweigte Ex- kretionsdrüse mit ihrem charakteristischen, hohen und hellen, exkre- torıschen Epithel, welche ın den zweiten, distalen, ampullenartigen Abschnitt, die sogen. Urinkammer einmündet, die von flachen, sich dunkel färbenden Epithelzellen ausgekleidet ıst. Von dieser Am- pulle geht als dritter Abschnitt der ziemlich enge, ebenfalls mit flachem Epithel ausgekleidete Ausführungsgang ab, der mit einer kleinen, spaltförmigen Öffnung rechts vom After in die Mantelhöhle ausmündet. Eine deutlich ausgesprochene Papille habe ich auf meinen Schnitten nicht zu erkennen vermocht. In die besagte Am- pulle öffnet sich endlich auch der vierte Abschnitt des Nierenorgans, Fig. A. Schema des Renogenitalsystems von Puncturella (Cemoria) noachina L. A. nach Haller; B. nach eigenen Untersuchungen. g.d. — Gonodukt. 1.95,.0.,9: — linke und rechte Gonade. I.n., v.n. — linke und rechte Niere. l.n.o., 7.n.0o. — deren äußere Öffnungen. l.tr., r.tr. — deren Perikardialtrichter. nämlich der Renoperikardialgang des rechten Nephridiums. Seine Wandungszellen sind denjenigen des exkretorischen Hauptabschnittes der Drüse durchaus ähnlich und unterscheiden sich nur durch be- deutendere Länge ihrer Geißelhaare. Der Renoperikardialgang der rechten Niere verläuft auf einer ziemlich bedeutenden Strecke von der Ampulle bis zum Herzbeutel, in welchen er sich mit einem wohl ausgesprochenen Wimpertrichter öffnet. Das Trichterepithel unterscheidet sich scharf vom Epithel der übrigen Nierenabschnitte durch die kubische Gestalt seiner dunkel gefärbten Zellen und durch die sehr langen Geißelhaare. Die Perikardialöffnung des rechten Nephridiums befindet sich am äußersten hinteren, rechten Winkel des Herzbeutels, worauf auch Pelseneer bereits hingewiesen hat. Das linke Nephridium von Puneturella ist stark reduziert und hat die Gestalt eines unansehnlichen, ganz einfachen und nicht Bir 568 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. weiter verzweigten Säckchens. Sein Epithel hat denselben exkre- torischen Charakter wie ın den exkretorischen Abschnitten der rechten Niere. Sein enger Ausführungsgang ist von einem flachen Epithel ausgekleidet und führt aus dem drüsigen Nierenabschnitt direkt in die Mäntelhöhle, wo er eine kaum bemerkbare äußere Öffnung besitzt; eine Ampulle ist hier nicht vorhanden. Die linke Nierenöffnung liegt links vom After und hat auch keine vorspringende Papille. Etwas weiter nach hinten nimmt am Nierensäckchen der linke Renoperikardialgang seinen Ursprung, der mit demselben charakteristischen Geißelepithel wie der rechte Gang ausgekleidet ist. Jedoch ist er viel kürzer als dieser, mündet aber ebenso ver- mittelst eines typischen, obschon weniger stark entwickelten Wimper- trichters in den äußersten hinteren, linken Winkel des Perikards. Wie man sieht, haben also beide Nephridien, sowohl das rechte als auch das linke, ihre deutlich ausgesprochene Kommunikation mit dem Perikard, welche auf beiden Seiten durch den charakterist- ischen Perikardialgang mit seinem Wimpertrichter hergestellt wird. Was nun den Genitalapparat anbelangt, so ist derselbe bei Pumncturella durch eine stark entwickelte, unpaare Drüse repräsentiert. Dieselbe hat die Gestalt eines langen, hufeisenförmigen Sackes, welcher von links nach hinten und rechts die zentral gelegenen Organe des Eingeweidesackes umgreift. Durch einen relativ kurzen Gonodukt, der mit einem flachen Epithel ausgekleidet ist, mündet die Gonade in den rechten Renoperikardialkanal, nicht weit von dessen Einmündung in das Perikard. Daraus geht hervor, dass die Geschlechtsprodukte nach ihrer Reifung aus der Gonade durch den Renoperikardialgang zunächst in das rechte Nephridium gelangen und von diesem durch die äußere Nierenmündung in die Mantel- höhle befördert werden. Es sei hier hervorgehoben, dass man bei einer oberflächlichen Durchmusterung der Schnitte leicht den Eindruck erhalten kann, als wären hier zwei symmetrische, sich hinten berührende Gonaden vorhanden, wie das Haller auch dargestellt hat. Das kommt daher, dass die hufeisenförmige Geschlechtsdrüse in der Mitte ihrer Krüm- mung hinten eine mediane Einkerbung besitzt. Allein bei ge- nauerem Nachsehen wird man gezwungen, eine solche Ansicht auf- zugeben, indem es sich als ganz zweifellos herausstellt, dass die beiderseitigen Hälften der Drüse hinten ununterbrochen ineinander übergehen und somit zusammen ein einheitliches Organ bilden. Dasselbe ergibt sich auch noch daraus, dass der linke Abschnitt der Gonade keinen Ausführungsgang und keine Verbindung weder mit der Niere noch direkt mit der Mantelhöhle besitzt. Und so kommen wir zum Schlusse, dass das Renogenitalsystem von Puncturella auf keinen Fall als vollkommen symmetrisch betrachtet werden kann, da sich hier die Geschlechtsdrüse als ein durchaus unpaares Organ u Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. 569 erweist, die Nephridien aber, obgleich paarig, dennoch stark asym- metrisch ausgebildet sind. Im Hinblick auf die asymmetrische Ausbildung der Nephridien sei hier auf eine interessante Erscheinung hingewiesen, die ich bei meinen Untersuchungsobjekten beobachtet habe. Wie bereits er- wähnt, standen mir 3 Exemplare von Puncturella zur Verfügung, bei deren Untersuchung es sich herausstellte, dass ın allen drei Fällen das linke Nephridium anders entwickelt war, resp. einen verschie- denen Grad der Reduktion repräsentierte. Bei zwei von meinen Exemplaren ist das linke Nephridium in allen seinen Teilen deut- lich entfaltet: es ist mit dem charakteristischen Exkretionsepithel ‚versehen, hat einen engen Ausführungsgang und einen gut ent- wickelten, mit Wimpertrichter ausgestatteten Renoperikardialkanal. Bei einem von diesen beiden Individuen jedoch ist der Perikardial- trichter bereits etwas kleiner, obschon er ın Gestalt und Geißel- epithel noch durchaus typisch erscheint. Beim dritten, von mir untersuchten Exemplare dagegen ıst das linke Nephridium sehr stark reduziert und stellt ein sehr unansehnliches Säckchen vor, dessen Wandungen von einem flachen, sich dunkel färbenden Epithel gebildet sind. Weder einen Ausführungsgang mit einer Offnung in die Mantelhöhle, noch eine Verbindung mit dem Perikard konnte ich hier entdecken und glaube daher, dass das linke Nephridium bei diesem Exemplare einen derartigen Reduktionsgrad erreicht hat, wo die aufgezählten Bildungen bereits verschwunden sind und sich bloß noch ein kleines, vollkommen abgeschlossenes Säckchen erhalten hat. Wenn ich nun die Ergebnisse meiner eigenen Untersuchungen mit den Anschauungen meiner Vorgänger zusammenstelle, so komme ich zu dem Schlusse, dass sie zu den Untersuchungsresultaten von Haller, wonach bei Puncturella paarıge Gonaden und vollkommen symmetrische Nephridien vorhanden sein sollten, in schroffem Wider- spruche stehen. In einem Punkte jedoch konnte ich Haller’s Be- obachtung bestätigen, nämlich dass auch die linke Niere einen deut- lich ausgesprochenen Renoperikardialgang hat, der mit einem charakteristischen Wimpertrichter ın das Perikard mündet. Weit mehr nähern sich die Resultate meiner Beobachtungen denjenigen Pelseneer’s und unterscheiden sich von ihnen hauptsächlich durch die Feststellung der Kommunikation zwischen linker Niere und Perikard, welche jedoch infolge der Schwierigkeit, den linken Nieren- trichter zu bemerken, sowie infolge des individuell verschiedenen Reduktionsgrades desselben Pelseneer leicht entgangen sein kann. Auch wäre es möglich, dass Pelseneer nur Exemplare mit hoch- gradig reduziertem, linksseitigen Nephridium untersucht und daher weder den linken Renoperikardialgang, noch den linken Perikardial- trichter gesehen hat. Was nun die Arbeit v. Erlanger’s betrifft, 370 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puncturella noachina L. so stimmen seine Untersuchungsresultate mit denjenigen von Pel- seneer und folglich auch mit den meinigen im großen und ganzen überein, nur hatte v. Erlanger die Verbindung weder der linken, noch der rechten Niere mit dem Herzbeutel aufzufinden vermocht. Wir dürfen somit auf Grund von bereits drei Untersuchungen, die sich auf das Renogenitalsystem von Pruncturella beziehen, nun wohl endgültig behaupten, dass die Ansicht Haller’s, der zur Folge hier eine vollkommene Paarigkeit und Symmetrie ım gegebenen Organsystem bestehe, nicht weiter aufrecht erhalten werden kann und auf ungenaue Beobachtung zurückzuführen ist. Ihrem Renogenitalsystem nach erscheint Punchirella gewisser- maßen als ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Repräsen- tanten der Diotokardiıer. Ihr schließen sich zunächst die übrigen Vertreter der Fissurelliden eng an, von denen wir speziell Fis- surella und Emarginula (Fig. 5) ın Augenschein nehmen wollen. Den neueren Untersuchungen nach ist auch bei diesen wie bei Puneturella eine unpaare Gonade vorhanden, welche sich in den Renoperikardialgang des rechten Nephridiums öffnet und somit durch Vermittlung des letzteren in die Mantelhöhle ausmündet. Die Nieren sind hier ebenfalls paarıg, und hat die rechte von ihnen die Gestalt einer stark entwickelten und verzweigten, sackförmigen Drüse mit deutlich ausgebildetem Ausführungsgange und Renoperikardialkanal, der sich vermittelst eines typischen Wimpertrichters in das Peri- kard öffnet. Somit wäre das rechte Nephridium der genannten Formen seiner Ausbildung nach demjenigen von Puncturella voll- kommen analog. Dagegen ist das linke Nephridium bei Frssurella und Kmarginula durch ein einfaches, unansehnliches Säckchen ver- treten, welches mit dem Perikard in keiner Verbindung stehen soll. Dieser Hauptunterschied von Puneturella verliert jedoch stark an Bedeutung in Anbetracht des Umstandes, dass unter den verschie- denen Exemplaren von Puncturella, wie oben dargestellt, auch solche vorkommen, bei welchen die linke Niere sehr stark reduziert ist und weder eine innere, perikardiale, noch sogar eine äußere Öffnung besitzt. Auf das eventuelle Fehlen einer Ausmündung in die Mantelhöhle möchte ich hier nun allerdings nicht zu sehr be- stehen, da es überhaupt sehr schwer ist, eine solche an Schnitten zu konstatieren. Falls meine diesbezügliche Beobachtung jedoch richtig sein sollte, so würde sich also bei einem der von mir unter- suchten Exemplare das linke Nephridium auf einem noch mehr vor- geschrittenen Stadium der Reduktion befinden als bei den übrigen Vertretern der Fissurelliden. Übrigens ist es leicht möglich, dass sich auch noch solche Individuen von Peneturella auffinden lassen dürften, bei denen das Nephridialsystem und im besonderen die linke Niere dem typischen Verhalten dieser Organe bei den Fissurelliden vollkommen entspräche, indem das linke Nephridium Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. AN auf ein einfaches Säckchen mit äußerer Öffnung, aber ohne jegliche Verbindung mit dem Perikard reduziert wäre. Diotocardia., Monotocardia. Fissurella. Haliotis. Patella. Puncturella und . e l Prodiotocardia. ! 1; erste Stufe. Progastropoda. zweite Stufe. Schematische Darstellung des Renogenitalsystems bei den niederen Gastropoden und deren phylogenetischer Beziehungen. Wenn sich nun dem Verhalten ihres Renogenitalsystems nach an Puncturella einerseits die typischen Fissurelliden anschließen, so nähert sich ihr andererseits in dieser Beziehung auch die Gattung Patella, also ein Vertreter der aberranten Gruppe der Oyeleo- branchier. Bekanntlich ist auch die Gattung Patella ähnlich den 572 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. Fissurelliden durch den Rückgang der Spiralwindung ihrer Re- präsentanten charakterisiert, welche sich gleichfalls mit breiter Fußfläche am Substrat fest ansaugen und dabei ihren Körper mit einer flachen, napfförmigen Schale vollständig überdecken. Bei Patella ist das Nephridialsystem demjenigen von Puncturella sehr analog, indem es den übereinstimmenden Angaben nach auch aus zwei Exkretionsdrüsen besteht, von denen die rechte bedeutend stärker entwickelt, die linke dagegen ebenfalls mehr oder weniger reduziert ist, wobei beide Nierenorgane wie bei Puncturella mit dem Perikard in offener Verbindung stehen (Fig. 4). Bei Patella hat nun aber das linke Nephridium seine ursprüngliche Lage verändert, indem es sich auf die rechte Seite des Perikards verschoben hat und somit neben die rechte Niere zu liegen kommt. Ein weiterer Unterschied von Puncturella besteht noch ım Verhalten der Ge- schlechtsorgane. Die Gonade, ebenfalls eine unpaare Genitaldrüse, soll bei Patella keinen Ausführungsgang und keine beständige Kom- munikation mit dem rechten Nephridium besitzen, sondern mit letzterem, wenn die Geschlechtsprodukte reif werden, nur temporär in Verbindung treten durch Verwachsen und Durchbruch der dicht aneinanderliegenden Wandungen von Geschlechtsdrüse und Niere. Dabei bleibt aber der Weg, den die Geschlechtsprodukte zurück- zulegen haben, um ın die Mantelhöhle zu gelangen, im Grunde ge- nommen derselbe wie bei Puncturella, nämlich durch das rechte Nierenorgan. Die übrigen, mehr typischen Vertreter der Diotokardier, wie Pleurotomaria, Haliotis, Trochus und Turbo, unterscheiden sich ım Verhalten ihres Renogenitalsystems etwas stärker von Punchurella und nehmen gewissermaßen eine Sonderstellung ein. Bei Pleuro- tomaria (Fig. 6) hat trotz der niederen Stellung, welche diese Form nach ihrer durch sehr ursprüngliche Eigenschaften charakterisierten, spiraligen Schale einnimmt, das Nephridialsystem einen gewissen sekundären Charakter angenommen, der sich im Baue des linken Nephridiums äußert. Hier sind auch noch zwei asymmetrische Nieren vorhanden, von denen das rechte Organ seinen Dimensionen nach prävaliert und den typisch-exkretorischen COharakter beıbe- halten hat. Dagegen hat das linke Nephridium die Gestalt eines nicht großen, ovalen Sackes, dessen Wandungen eine Menge nach innen vorspringender Auswüchse und Papillen bildet, woher es auch als „Papillarsack“ bezeichnet wird. Dieses Iınke Organ steht durch einen gut ausgebildeten, ziemlich langen Renoperikardialkanal mit dem Perikard in Verbindung, welcher nach Woodward?’) beim rechten Nephridium fehlen soll. Was die Funktion dieses „Papillar- 5) Woodward, M. F. 1901. The Anatomy of Pleurotomaria Beyrichii Hilg. In: @. Journ. Micr. Sc. (9), T. 44. Meyer, Das Renogenitalsystem von Puncturella noachina L. 973 sackes“ betrifft, so ist sie bis jetzt noch nicht endgültig aufgeklärt, doch wird sie sich wahrscheinlich von derjenigen des rechten Nierenorganes stark unterscheiden. Die unpaare Gonade von Pleurotomaria öffnet sich in das rechte Nephridium, dessen Ausführungsgang hier sehr starke Wandungen erhalten hat. Infolge eines derartigen Verhaltens ihres Renogenitalsystems steht Pleurotomaria den Haliotiden, Tro- chiden und Turbiniden unbedingt näher als den Fissurelliden. Bei Haliotis, Trochus und Turbo (Fig. 6), welche auch eine spiralige Schale besitzen, ist das Nephridialsystem demjenigen von Pleuro- fomaria ım allgemeinen ähnlich. Das linke Nephridium ist hier ebenfalls kleiner als das rechte, nur erscheint es als charakteristischer „Papillarsack*, der mit dem Perikard durch einen deutlich ausge- sprochenen Renoperikardialkanal und Wimpertrichter kommuniziert. Das rechte Nephridium stellt ein stark entwickeltes, typisches Ex- kretionsorgan vor, in dessen Renoperikardialgang die Geschlechts- drüse einmündet, unterscheidet sich aber von demselben Organe von Pleurotomaria eben durch seine Kommunikation mit dem Peri- kard, die übrigens erst vor einigen Jahren von zwei Beobachtern, Fleure®) und Totzauer”), entdeckt worden ist, bis dahin aber in Abrede gestellt wurde. Nimmt man nun in Betracht, dass einer- seits eine solche Verbindung bei den im System höher stehenden Formen Halitis, Trochus und Turbo sich noch erhalten hat, und dass andererseits die Anatomie von Pleurotomaria überhaupt nur ein einziges Mal, nämlich von Woodward, untersucht worden ist, so kann man mit ziemlicher Bestimmtheit annehmen, dass die Reno- perikardialverbindung des rechten Nephridiums auch bei Pleuro- tomaria dennoch besteht und nur infolge der Schwierigkeit, sie zu beobachten, unbemerkt geblieben ist. Hiernach scheint mir die Annahme berechtigt, dass das Renogenitalsystem von Pleurotomaria ein durchaus analoges Verhalten wie bei Haliotis, Trochus und Turbo aufweisen dürfte. Aus dem Vorhergehenden geht hervor, dass man auf Grund der Ausbildung des Renogenitalsystems in der Gruppe der Dioto- kardier zwei verschiedene Entwickelungsrichtungen, zwei diver- gente Hauptzweige aufstellen kann. Als Ausgangspunkt der einen Richtung können wir das Verhalten bei Pumneturella betrachten, an welche sich die übrigen Fissurelliden anschließen, die jedoch in der Reduktion ihres linken Nephridiums bereits weiter vorgeschritten sind. Von derselben Entwickelungsrichtung muss sich sehr früh auch die aberrante Gruppe der Cyclobranchier abgezweigt haben, wo wir in der Gattung Patella, wena wir von der Verlagerung des 6) Fleure, H. J. 1905. Zur Anatomie und Phylogenie von Haliotis. In: Jena. Zeit. Naturw., 39. Bd. 7) Totzauer, R. 1905. Nieren- und Gonadenverhältnisse von Haliotis. Ibidem. zıuy 574 Meyer, Das Renogenitalsystem von Puneturella noachina L. linken Nephridiums auf die rechte Seite absehen wollen, ebenso wie bei Puneturella einen der ursprünglichsten Zustände des Nephridial- systems vorfinden, die man unter lebenden Formen überhaupt noch antreffen kann. Interessant ıst dabei noch der Umstand, dass alle Vertreter dieses ersten Hauptzweiges der Diotokardier eine mehr oder weniger stark ausgesprochene Tendenz zu einer napfförmigen Abflachung ihrer Schale unter sekundärem Verlust der apikalen Spiral- wundung aufweisen. In der zweiten Hauptrichtung, an deren Basis die ihrer Schalenbildung nach unter den rezenten Diotokardiern als ursprünglichster Vertreter zu betrachtende Gattung Pleurotomaria zu stellen ist, hat sich das Nephridialsystem in seiner Entwickelung vom primären Typus ein wenig entfernt, indem das linke Nephri- dium die abweichende Form des „Papillarsackes“ annahm. Von Pleurotomaria lassen sich die weiteren Formen, wie Halotis, Trochus und Turbo ableiten, bei welchen das linke Nephridium ebenfalls durch den „Papillarsack“ repräsentiert, und die rechte Niere auch zu einer großen, typischen Exkretionsdrüse ausgebildet ist. Hier jedoch macht sich bereits eine allmähliche Reduktion gewisser Organe der rechten Seite, wie der rechten Kieme und ihrer Ge- fäße, bemerkbar, wodurch sich diese Formen den Monotokardiern zu nähern scheinen. Bei diesem zweiten Hauptzweige der Dioto- kardier finden wir ebenso wie beim ersten eine gewisse Überein- stimmung in der Gestalt der Schale, die hier ihre ursprüngliche spirale Aufwindung beibehalten hat, obschon sie bei einer Gattung, nämlich Halotis, sehr flach erscheint, aber dennoch die typische Spiralwindung am Apex noch deutlich aufweist. Wenn wir nun von den obigen Betrachtungen ausgehend die Diotokardier mit den Monotokardiern vergleichen, für welche eine echte Asymmetrie der Organe, sowie das Vorhandensein nur einer Niere charakteristisch ist, so müssen wir zu dem Schlusse gelangen, dass sich diese beiden Gruppen voneinander sehr stark unterscheiden. Das Hauptinteresse liegt hier darin, dass nach der allgemein verbreiteten Ansicht die unpaare Niere der Monoto- kardier als die linke aufgefasst wird und nicht als die rechte, wie das nach dem Verhalten des Nephridialsystems bei den Dioto- kardiern zu erwarten wäre, von denen Pelseneer und Thiele bekanntlich die Monotokardier ableiten wollen. Bei den letzteren ist nun aber gerade jenes linke Nephridium, das bei den Dioto- kardiern sich auf dem Wege zu definitiver Rückbildung befindet oder die aberrante Form eines „Papillarsackes“ angenommen hat, im Gegenteil stark entwickelt und funktioniert als alleiniges Ex- kretionsorgan des Körpers (Fig. 8). Was jedoch das rechte Nephri- dium anbelangt, so hat es hier die Funktion eines Exkretionsorganes vollständig eingebüßt und ist zum einfachen Ausführungsgang der unpaaren Geschlechtsdrüse geworden. Meyer, Das Renogenitalsystem von Puncturella noachina L. Ay) In Anbetracht eines so starken, prinzipiellen Unterschiedes im Verhalten des Renogenitalsystems kann die Gruppe der Monoto- kardier unmöglich von den rezenten, heute noch lebenden Dioto- kardiern abgeleitet werden. Wir müssen vielmehr die Monoto- kardier als einen besonderen Zweig betrachten, der von den ursprünglichsten Gastropoden durchaus selbständig seinen Ursprung genommen hat. Von diesen ausgestorbenen Progastropoden, für welche eine vollkommene Symmetrie und Paarigkeit des ganzen Renogenitalsystems charakteristisch gewesen sein muss (Fig. 1), stammt dann auch die Gruppe der Diotokardier ab, wobei so- wohl bei den letzteren als auch bei den Monotokardiern die Entwickelung des Renogenitalsystems anfangs in dem Sinne in gleicher Richtung erfolgt sein mag, dass bei beiden eine Reduktion der linken Gonade bis zu völligem Schwunde eintrat (Fig. 2), und erst danach gingen sie in ihrer Weiterentwickelung scharf aus- einander. Bei den Diotokardiern, als deren Ausgangspunkt man sich eine hypothetische Gruppe von Prodiotokardiern vorstellen kann, bei deren Vertretern die Ausbildung des linken Nephridiums allmählich zurückging, machte sich einerseits dieser Vorgang immer mehr geltend, andererseits aber kam es zur Bildung jenes eigen- tümlichen „Papillarsackes“. Dagegen schlugen die Monotokardier nach Durchgang einer hypothetischen Übergangsstufe mit sich redu- zierendem rechten Nephridium, die man als Promonotokardier (Fig. 7) bezeichnen kann, eine ganz andere Entwickelungsrichtung ein, indem bei ihnen der exkretorische Abschnitt dieser rechten Niere nach und nach vollkommen rückgebildet wurde, und vom ganzen Organ nur der Ausführungsgang erhalten blieb, der sich in den Gonodukt verwandelte (Fig. 5). Um wieder auf das von Haller für Puncturella gegebene Schema des Renogenitalsystems (Fig. A) zurück zu kommen, so können wir sagen, dass es bis zu einem gewissen Grade das Ver- halten bei jenen eben erwähnten hypothetischen Progastro- poden (Fig. 1) illustriert, von welchen unserer Anschauung nach sowohl die Diotokardier als die Monotokardier ihren gemeinsamen Ursprung nahmen. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass ein derartiges Verhalten des Renogenitalsystems bei keiner der heute lebenden Gastropodenformen in Wirklich- keit existiert oder bis jetzt wenigstens noch nicht aufgefunden worden ist. Meine Mitteilung abschließend, halte ich es für eine angenehme Pflicht, meinem hochgeschätzten Vater und Lehrer, Prof. Eduard Meyer, welcher mir die Ausführung der obigen Untersuchungen ermöglichte und überhaupt meine wissenschaftlichen Studien leitete, hier meinen wärmsten Dank auszusprechen. Auch sei es mir ge- stattet, noch den Herren H. Sabussow, N. Liwanow und S. Ti- 576 Shull, Eine künstliche Erhöhung der Proportion der Männchenerzeuger ete. mofejeff für ıhr reges Interesse an meinen Arbeiten und ihre be- ständige Bereitheit, mir mit Rat und Tat behilflich zu sein, meine aufrichtige Anerkennung kund zu geben. Eine künstliche Erhöhung der Proportion der Männchenerzeuger bei Hydatina senta'). Von A. Franklin Shull. (University of Michigan, Ann Arbor, Mich., U. S. A.) Nachdem ich ın 1910 ermittelte?), dass man die Männchen- erzeuger des Rotators Aydatina senta an Zahl vermindern oder sie ganz verhindern kann, dadurch, dass man die Tiere in einer Pferde- mistsolution züchtet, wurden einfache chemische Substanzen in ziemlich großer Anzahl gefunden, die in hohem Grade dieselbe Wirkung auf sie ausüben. Versuche, die die Wirkung einiger dieser Substanzen zeigen, sind schon veröffentlicht worden°), und meine noch nicht herausgegebenen Resultate vergrößern die Zahl solcher Substanzen. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, eine einzige ge- meinsame Eigenschaft dieser Substanzen zu entdecken, welcher man ihre gemeinsame Wirkung zuschreiben könnte. Daher schien es kaum der Mühe wert, nach vielen anderen solchen Substanzen zu suchen, und ich bemühte mich bald um die Entdeckung einer Substanz mit der entgegengesetzten Wirkung, d.h., einer Substanz, welche das Zahlenverhältnis der Männchenerzeuger erhöhen würde. Nach zahlreichen Experimenten, die nur negative Resultate brachten, hatte ich das Glück, eine Substanz zu finden, welche die erwünschte Erhöhung der Proportion der Männchenerzeuger verursachte. Der Einfluss dieser Substanz war nicht groß, aber mehrere Wieder- holungen des Versuches stimmten untereinander ganz überein. Das Forschen nach anderen gleichwirkenden Substanzen wird vermut- lich noch lange dauern müssen; daher scheint es mir erwünscht, die erfolgreichen Experimente hier zu veröffentlichen. Die erwähnte Substanz ist Kalziumchlorid in Konzentrationen von bis zu Rädertierchen aus zwei verschiedenen Gegenden N 600° wurden ın diesen Lösungen gezüchtet. Obgleich die Linie aus der einen Gegend nur negative Resultate brachte, gelangte ich bei Tierchen aus der anderen Gegend zu übereinstimmend positiven 1) Contributions from the Zoological Laboratory of the University of Michigan, Nr. 141. 2, Shull, A.F. The artifiecial production of the parthenogenetic and sexual phases of the life eycle of Hydatina senta. Amer. Nat., vol. 44, March, 1910. 3) Shull, A. F. Studies in the life cycle of Hydatina senta. II. Journ. Exp. Zool.. vol. 10, no. 2, February, 1911. Escherich, Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten. 577 Ergebnissen. Zwei Schwesterlinien aus dieser Gegend wurden ge- — h . . . . . . L ir züchtet, die eine ın reinem Quellwasser, die andere in 100 Cal],. Zweı Männchenerzeuger traten in dieser auf, in jener aber gar keiner, obgleich die Linie durch mehr als 20 Generationen in Quell- wasser gezüchtet wurde. In einem späteren Experiment erhielt man 2,3°/, Männchenerzeuger in Quellwasser, 7,3°/, in CaCl,. Gleich- zeitig mit letzterem Versuche wurde eine dritte Linie abwechselnd ın Quellwasser und in CaUl, gezüchtet. Die eine Generation wurde ın Quellwasser gebracht, die nächste in Ga0l,. In acht Generationen traten elf Männchenerzeuger auf. Zehn dieser Männchenerzeuger gehörten zu Familien, deren Mütter in CaCl, gezüchtet worden waren, nur einer war die Tochter eines ın Quellwasser lebenden Weibehens. Meinen früheren Versuchen nach*) wird es schon in der Wachstumsperiode des Eies entschieden, welch ein Weibchen (Männchen- oder Weibchenerzeuger) sich aus dem Ei entwickeln wird. Daher führt das letzte Experiment zu demselben Schluss wie die zwei anderen, nämlich, dass verdünntes Kalziumchlorid in dieser Linie von Hydatina senta eine Erhöhung der Anzahl von Männchenerzeugern verursacht. Näheres über die Experimente und eine Diskussion ihrer Be- deutung wird später mitgeteilt werden. K. Escherich. Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten '). Auf Einladung L. O. Howard’s, des Chefs des Bureau of Entomology am U. St. Department of Agriculture zu Washington, hatte Escherich im August 1911 eine mehrmonatliche Studienreise durch die Vereinigten Staaten angetreten, um die dortigen Ein- richtungen für angewandte Entomologie zu studieren. Die Kosten der Reise wurden von Andrew Carnegie getragen. Aus der Fülle der Eindrücke, die er auf jener Reise erhielt, möchte der Verfasser „als wichtigstes Ergebnis die Erkenntnis hinstellen, dass die Bedeutung der angewandten Entomologie für die Praxis, d h, ihre Leistungsfähigkeit bezüglich der Schäd- lingsbekämpfung, weit größer ist, als wir in Europa und speziell in Deutschland anzunehmen geneigt sind. Die 4) Shull, A. F. Studies, u. s.w. III. Journ. Exp. Zool., vol. 12, no. 2, February, 1912. 1) Eine Einführung in die biologische Bekämpfungsmethode. Zugleich mit Vorschlägen zu einer Reform der Entomologie in Deutschland. Gr. 5°, 196 S., Berlin, Paul Parey, 1913, Mk. 6.—. 578 Escherich, Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten. angewandte Entomologie ist eine Wissenschaft von hohem Werte, die berufen ist, tief in das menschliche Kulturleben einzugreifen. Das wird einem in Amerika mehr wie irgend sonstwo klar. Dass diese Erkenntnis auch ın Deutsch- land, wo die angewandte Entomologie gegenwärtig auf einen recht pessimistischen Ton gestimmt ist, sich Bahn brechen möge — dazu beizutragen ist der Hauptzweck des vorliegenden Buches“ (Sal). Der 1. Teil desselben (S. 1--77) gibt eine anregende Schilde- rung der Organisation der angewandten Entomologie in den Vereinigten Staaten. Am ausführlichsten wird das „Bureau of Entomology“ am Ackerbauministerium in Washington behandelt, das die Zentralstelle der ganzen Organisation bildet. Sodann folgen die landwirtschaftlichen Versuchsstationen, andere ento- mologische Arbeitsstätten und Lehrstätten und die American Association of Economic Entomologists, welche Escherich auch als Vorbild für deutsche Verhältnisse hinstellen möchte (vgl. 3.172): Im II. Teil (S. 78—149) befasst sich Escherich mit den in den U. St. üblichen Bekämpfungsmethoden der schädlichen Insekten. Am eingehendsten bespricht er die „biologische Be- kämpfung“, welche darauf beruht, dass bestimmte natürliche Feinde der betreffenden Schädlinge in das bedrohte Gebiet eingeführt und dort systematisch gezüchtet werden. Eine Reihe von Beispielen, wie diese Methode in den dortigen Versuchsstationen gehandhabt wurde, und welche Erfolge durch sie erzielt worden sind, werden zur Illustration beigefügt. Das bekannteste und vorbildlichste dieser Beispiele ist wohl die Verwendung des Üoccinelliden Novwzus cardi- nalis, welcher zur Bekämpfung der aus Australien oder Neuseeland eingeschleppten Schildlaus Zcerya Purchasi in Kalifornien mit bestem Erfolge eingeführt wurde. In kritischen Schlussbemerkungen (S. 129) fasst Escherich die zur richtigen Handhabung der biologischen Bekämpfungsmethode erforderlichen Bedingungen zusammen. Dann erwähnt er noch kurz die verschiedenen technischen Bekämpfungs- mittel. Der Ill. Teil (S. 150--172) gibt die Schlussfolgerungen, zu denen der Verfasser durch seine Studienreise gelangt ist: „Was können wir von Amerika lernen? Reformvorschläge.“ Er bemerkt ausdrücklich, dass die in diesem Abschnitte unvermeid- liche Kritik der diesbezüglichen deutschen Verhältnisse keinerlei Personen, sondern nur das System betreffe. Die Frage, ob bei uns die bisherige Handhabung der angewandten Entomologie eine den Bedürfnissen entsprechende sei, glaubt Escherich (S. 159) mit einem „unbedingten Nein“ beantworten zu müssen, namentlich Jacobi, Mimikry und verwandte Erscheinungen. 579 was die landwirtschaftliche und die koloniale Entomologie anlangt; um die Forstentomologie sei es relativ besser bestellt. Inwieweit die vom Verfasser (S. 169—172) energisch aufge- stellten praktischen Reformvorschläge sich verwirklichen lassen, entzieht sich der Beurteilung des Referenten. Jedenfalls werden sie die Berücksichtigung, die sie verdienen, von kompetenter Seite finden. Die Schrift ist in anregendem Stile geschrieben und durch gute Abbildungen — auch von hervorragenden nordamerikanischen Entomologen — illustriert. Den Schluss bildet ein Verzeichnis der wichtigsten Veröffentlichungen des Bureau of Entomology. E. Wasmann. E. A. Schäfer. Das Leben, sein Wesen, sein Ursprung und seine Erhaltung. Präsidialrede, gehalten zur Eröffnung der British Association for the Advancement of Science in Dundee, September 1912. Übersetzt von Charlotte Fleischmann. 8. V und 67 Seiten. Berlin. Julius Springer. 1913. Der bekannte Professor der Physiologie an der Universität Edinburgh gibt in dieser einleitenden Rede eine Darstellung seiner Anschauungen über die Natur und den Ursprung alles Lebenden und über die Art, wıe das Leben der vielzelligen Organısmen, be- sonders der höheren Tiere und Menschen erhalten wird. In den ersten Auseinandersetzungen wird auf die Ahnlichkeit der Erschei- nungen an lebender und nicht lebender Materie hingewiesen und betont, dass kein prinzipieller Unterschied die beiden Erscheinungs- reihen trennt. Er zeigt sodann, wie es die chemischen Eigenschaften der lebenden Materie sind, von denen alle Erscheinungen beein- flusst werden, wie diese auch in den höheren Lebewesen die Vor- gänge beeinflussen, was besonders aus den Wirkungen der Hormone hervorgeht und wie durch diese unter Mitwirkung des Nerven- systems die Einheit und das Zusammenwirken der an und für sich selbständig tätıgen Zellen der höheren Lebewesen zustande kommt. R. A. Jacobi. Mimikry und verwandte Erscheinungen. (Die Wissenschaft. Sammlung von Einzeldarstellungen aus den (Gebieten der Natur- wissenschaft und der Technik. Bd. 47.) 8. IX und 215 Seiten. Mit 31 zum Teil farbigen Abbildungen. Braunschweig. Friedr. Vieweg & Sohn. 1913. Die Mimikry ist eine der interessantesten Erscheinungen der -Natur und hat bei der Entwickelung der darwinistischen Lehren eine wichtige Rolle gespielt. Dennoch fehlte es an einer umfassen- den und kritischen Behandlung nach dem jetzigen Stande unseres Wissens. Eine solche geliefert zu haben ist ein Verdienst des Ver- 80 Marshall, Brehm’s Tierleben. Die Vögel. fassers. Sein Standpunkt ist ein durchaus nüchterner. Er weist alle unbegründeten oder nicht genügend gesicherten Darstellungen zurück und begrenzt den Begriff gegenüber falschen Erweiterungen einzelner Autoren. Die einschlägige Literatur ist gewissenhaft be- nutzt und in einem 4 Seiten umfassenden Schriftenverzeichnis ZU- sammengestellt. Er gliedert die Darstellung in die Abschnitte: I. Schutzfärbung. Il. Schützende Ahnlichkeit. III. Warnfärbung. IV. Mimikry oder schützende Nachäffung. V. Nachäffung stechender Hautflügler oder Sphecoidie. VI. Nachäffung von Ameisen oder Myrmecoidie. VII. Nachäffung von Käfern. VI. Nachäffung unter Schmetterlingen. Allgemeine Eigenschaften dermimetischen Schmetter - linge. — Überall sucht er die sicheren Tatsachen festzustellen und zu weitgehende Schlussfolgerungen zurückzuweisen, aber auch un- begründete Einwürfe zu widerlegen. So wird sich das Schrifichen als ein sicherer Wegweiser für weitergehende Forschungen erweisen. Brehm’s Tierleben. Die Vögel. Neubearbeitung von W. Marshall (F), vollendet von F. Hempelmann und OÖ. zur Strassen. 4. Bd. Sperlingsvögel. Gr. 8. XVI und 568 Seiten. Mit 136 Abbild. im Text, 27 farbigen und 13 schwarzen Tafeln, 9 Doppeltafeln nach Photographien, 2 Tafeln Eier und 3 Kartenbeilagen. Leipzig und Wien. Biblio- graphisches Institut. 1913. Mit diesem 4. Band der Abteilung Vögel (dem 9. des ganzen Werkes) ist die Darstellung der Vögel abgeschlossen. Wie die Sperlingsvögel mehr als die Hälfte aller bekannten Vogelarten um- fassen, so gehören zu ihnen auch zahlreiche durch prachtvolles Ge- fieder ausgezeichnete ‘oder als Singvögel uns liebe, durch Vertilgen von Schädlingen als nützlich geschätzte Arten, denen wir deshalb ein besonderes Interesse entgegenbringen. Alle diese finden im vorliegenden Bande eingehende und liebevolle Beschreibung und lebendige Schilderung im Anschluss an die altbeliebte Darstellung Brehm’s und mit Bereicherung oder, wo es nötig war, Berichtigung durch neuere Erfahrungen und Beobachtungen. Die Vorzüge des Werkes zu würdigen, müssten wir das über die früheren Bände Gesagte wörtlich wiederholen. Die neuen bunten und schwarzen Tafeln sınd gelungene Darstellungen hervorragender Künstler oder nach guten Photographien gefertigt. Sehr dankenswert sind auch die beigegebenen 3 Tafeln über die Verbreitung der Vögel. Wir freuen uns, dass der wichtige Abschnitt über die Vögel jetzt zum Abschluss gekommen ist und wünschen dem dankenswerten Unter- nehmen weiteren guten Fortschritt. RP. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, an nz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. 7.u beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, Müuchen, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosentlial, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. er 1918. As 10. Inhalt: Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. — Correns und Goldschmidt, Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes. — Secerov, Die Zweckmäfsigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. — Klatt, Experimentelle Untersuehungen zwischen Kopulation und Eiablage beim Schwammspinner. — v. Reichenau 7. Loeb’s Mechanistic Conception of Life. By S. 0. Mast. The “analysıs of life [psychical and ethical as well as physio- logicall from a purely physico-chemical view-point“ has been Loeb’s aım ın practically all of his work. In a recent volume, consisting of a number of so called essays, he has made an attempt to present ın popular form the more important of the results attaıined. A book containing what may truly be called the essence of the life-work of a man with a reputation such as Loeb has, especially when it deals with a subject of such profound significance as the phenomena of life, can not faıl to be of universal interest. Practically every fundamental problem of biology ıs raised in some form or another in thıs volume altho the author deals specif- ically with only a few. Fertilization, heredity, morphogenesis and behavior, including psychical and ethical, are the principal problems discussed; they occur repeatedly in the different chapters sometimes with little varıation. Regardıng these problems Loeb draws the general conclusion based largely on the results of his own investiga- tions, that they have been or can be reduced to purely physico- 1) From the Zoological Laboratory of the Johns Hopkins University. 2) The Mechanistie Conception of Life, by Jacques Loeb, The University of Chicago Press, 1912. 232 pages. XXXII. 38 589 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. chemical prineiples, and he maintains that since these problems are among the most fundamental all others can be analysed in the same way. He says (p. 23) “It is not possible to prove in a short address that all life phenomena will yield to a physico-chemical analysis. We have selected only the phenomena of fertilization and heredity, since these phenomena are specific for living organisms and without analogues in inanimate nature; and ıf we can con- vince ourselves that these processes can be explained physico- chemically we may safely expect tlıe same of such processess for which there exist a-prıori analogies in inanımate nature, as, e.g., for absorption and secretion.” It is evident that everything in this conclusion depends upon the meaning of mechanical and physico-chemical. It will therefore be necessary, first of all, to attempt to ascertain clearly the sense in which Loeb has used these terms. He does not specifically define them, strange as it may seem, especially in a book whose whole argument is rooted in them. We can therefore only infer the ideas he intends to convey by their use. His aim in all of his work is to obtain methods for controlling vital phenomena. He says (p. 195): “It was perhaps not the least important of Darwin’s services to science that the boldness of his conceptions gave to the experimental biologist courage to enter upon the attempt of con- trolling at will the life phenomena of animals.” and (p. 196) “All the writer could hope to do was to bring together a few instances of the experimental analysis of the effect of environment, which indicate the nature and extent of our control over life phenomena”. I assume that he holds that if such phenomena can be controlled, we have a physieo-chemical explanation and that such an explana- tion is the foundation of a mechanical conception of life. Mechan- ical and physico-chemical are evidently used synonymously. In fact according to Loeb there is but one kind of explanation; to explain means the same thing as explaining mechanically. He says (p. 58): “All “explanation’ consists solely in the presentation of a phenom- enon as an unequivocal function of the variables by which it ıs determined.” As for metaphysics, our author repeats again and again, it isa “mere play on words”. (p. 73) Metaphysicians “employ the wrong methods of investigation and substitute a play on words for an explanation by means of facts”. and (p. 3) *In certain of the mental sciences ... everything rests on argument or rhetorie and ... what is regarded as true today may be expected with some probability to be considered untrue tomorrow”. This definition, like a number of other statements in our volume, appears to me to be exceedingly vague. Superficially ıt looks clear enough, but as soon as one attempts to apply it to actual cases it assumes a different aspect. It seems to mean nothing more Mast, Loeb’s Mechanistic Conception of Life. 583 than a statement that nature ıs orderly and that an explanation of any phenomenon consists merely in ascertaining the position of the phenomenon in the whole series of natural events, that is, in ascer- tainıng the order of events in nature. Probably nearly every one would, at least in a limited sense, accept this as a definition of an explanation, but very few indeed would follow our author in the implied assertion that such an explanation is necessarily physico- chemical or mechanical. It thus appears that these terms have been used in a very loose sense, in my opinion a wholly un- justifiable sense; and much of the controversy regarding Loeb’s apparent dogmatic ultra mechanistic tendencies center in this un- fortunate circumstance. Not only is mechanism used synonymously with physico-chemism, ıt is also used synonymously with deter- minism. If however such a definition of mechanism be accepted some of Loeb’s conclusions necessarıly follow, but others appear, even on this basıs, to be wıthout foundation. Some of these I wısh to consider now. In selecting only questionable matter for treatment in our review it should be emphasised that it ıs taken for granted that the author’s splendid achievement in certain fields is generally recognized, and that limitations of space prevent the consideration of much in which the reviewer would be in agreement with the author. Loeb maintains that the function of the sperm is twofold. It causes the egg to develop and it serves to transmit male charac- ters. Both of these phenomena, our author holds, have already been largely reduced to physico-chemical principles. He says (p. 20): “The problem of sex determination has, therefore, found a simple solution, and simultaneously Mendel’s law of segregation also finds its solution.” and (p. 14) “The process of the activation of the egg by the spermatozoon, which twelve years ago was shrouded in complete darkness, ıs today practically completely reduced to a physico-chemical explanation. Considering the youth ofexperimental biology we have a right to hope that what has been accomplished in this problem will occur ın rapid succession in those problems which today appear as riddles.” What has ın reality been solved in connection with these problems? It has been demonstrated, (1) that certain eggs will develop without sperm, some under normal conditions, others when subjected to certain chemical or physical changes in the environ- ment, (2) that the development will not begin in the absence of oxygen, (3) that after development begins the elimination of carbon dioxid increases, (4) that unfertilized or inactive eggs live longer in the absence of oxygen than in its presence, (5) that transmission of hereditary characters including sex is associated with the chromo- 38* 584 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. somes. These facts, admittedly of great importance, or any other facts that have been established in regard to the sperm, do not appear to me to warrant Loeb’s conelusions stated above. Prac- tically nothing regarding the chemical changes in the egg preceding and accompanying activation is known. How then can it be main- tained, except in the most superficial sense, that this process has been practically completely reduced to physico-chemical prineiples? The same is true with reference to heredity. The establishment of the fact that heritable characteristics are associated with chromo- somes does, indeed, mark a great advance in the study of inher- itance. But the statement that this whole problem is practically solved and that we may hope that all the riddles still connected with it as well as all those connected with all other biologieal phenomena will disappear in rapıd succession, must be looked upon largely as the personal opinion of an enthusiast. Many riddles will undoubtedly disappear but some bid fair to stay with us, for example certain features concerning the association of hereditary characters with chromosomes and specific ‘changes within them. Even if we succeed in discovering every chemical and every physical change in every chromosome and precisely how each character is connected with them — and we shall no doubt be able to do much along this line of the greatest value both practical and theoretical — there still remains the riddle as to why they are thus associated. This riddle and others of a similar sort are clearly beyond mechanıics, even in the loose sense in which Loeb has used this term, for they involve not only the question of order in nature but also the question of why there is order. What hope is there then ın our author’s “mechanistie conception” for the solution of such problems. It is however in the fields of morphogenesis and behavior that anti-mechanists have found the most fertile source of materıal for their arguments. And it is therefore not surprising to find these subjects rather extensively treated by our author. He discusses morphogenesis in two different sections and appears to arrive at quite different conclusions as to an explanation of this phenomenon. He found experimentally, that the place of origin and the direetion of growth in a number of organisms is nalen upon gravity and contact. And he concludes " 3. 91): “The eircumstances that determine the forms of animals and plants are only the dif- ferent forms of energy, in the sense in which this word is used by the physicist, and have nothing to do with natural selection.” In this same section he maintains (p. 108) that the reason why the egg of the sea-urchin normally gives rise to only one embryo “is due simply to the geometrical nn of the protoplasm, which, under normal conditions, is that of a sphere” (in other words Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. ale) if the fornı were not spherical, there would be more than one) and that the limit to the number of embryos that can arise from one egg “is not due to any preformation, but to other circum- stances, the chief one being that with t00 small an amount of protoplasm the formation of a blastula — from merely geometrical reasons, as there must be a minimum size for the cleavage-cells — becomes ımpossible.” Neither of these conclusions seems to be in accord with the facts. The experiments of Pflüger, Hertwig and others show that when frog’s eggs are flattened they still develop into but one embryo; and the work of CGonklin, in par- ticular, shows that preformation in the egg has much to do with the determination of the number ofembryos that can develop from it. In this section then Loeb maintains that the form of organisms, including the interrelation of different parts, is regulated directly by the action of gravity, light, surface tension, etc. He rejects ın unmistakable terms, quoted above, the ıdea that natural selection has anything to do with it. In another section however his whole discussion of this problem is ın complete harmony with the theory of natural selection. In thıs section he postulates, under normal conditions, numerous varıations in form, structure and arrangement of parts’ due to hybridization and maintains that in a large percentage of the in- dividuals which arıse thus, these features are of such a nature that they soon die leaving only those which are adapted to their environ- ment. He says (p. 24): “The number of teleosts at present in existence is about 10000. If we accomplish all possible hybridiza- tions 100000000 different crosses will result. Of these teleosts only a very small proportion, namely about one one-hundreth or 1 per cent, can live... It is, therefore, no exaggeration to state that the number of species existing today is only an infinitely small fraction of those which can and possibly occasionally do originate, but which escape our notice because they cannot live and reproduce.” The whole matter ıs summed up in the following startling sentence (p. 25): “Disharmonies and faulty attempts in nature are the rule, harmonically developed systems the rare exception.” No one to my knowledge ever sketched the theory of natural selection with bolder strokes. Loeb settles the whole question of adaptation and the origin of species in the space of a few paragraphs. What ıs more, he shows that all of these phenomena are only the product ot “blind forces”. “Nobody doubts”, he says, in concluding a brief argument, (p. 26) “that the durable chemical elements are only the product of blind forces. There ıs no reason for conceiving other- wise the durable systems in living nature.” Thus it appears that in this section in attempting to account for morphogenesis, Loeb makes use of the fundamental principles 586 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. underlying the theory of natural selection which was definitely rejected in another section. But his whole argument in support of his contention rests on highly speculative premises, that is, that hybrids oceur extensively under natural conditions and that only relatively very few organısms produced thus can live. Moreover, this hypothysis has no bearıng on organisms which reproduce only asexually. His final conclusion regarding the reduction of form production and adaptation to “blind forces’’ hinges on the meaning implied by the expression “blind forces”; and in the absence of a definition of thıs extremely vague term, it would be folly either to agree or to disagree with the conclusion. It may be said however that ıf the author intends to maintain that we have any real insight into the reason why certain chemical elements are durable and others are not (quoted above), further than the fact that this has been observed to be so he will be supported by few if any of those com- petent to judge in the matter. The treatment of the problem of behavior oceupies nearly one- fourth of the entire volume. Loeb holds that the elements of all behavior both ın plants and in animals, including all psychic phenomena, are tropısms. These, he maintains, have been mechanic- ally explained and since the elements have been reduced to mechanical prmeiples all of the compounds constructed from them can be sımilarly reduced. A tropism is, according to Loeb, a process of orientation due to the continuous action of the stimulating agent on symmetrically situated sensitive tissues. He says (p. 219): “In... heliotropie an- imals in which the symmetrical muscles participate equally in locomotion, the symmetrical museles work with equal energy as long as the photochemical processes in both eyes are ıdentical. If, however, one eye is struck by stronger light than the other, the symmetrical muscles wıll work unequally” In another con- nection (Dynamics of living Matter, p. 135) he says specifically that tropisms are “a function of the constant intensity”. Reactions in accord with these ideas would, of course, result in orientation. The question is are the observed orienting reactions actually of this nature; are they controlled by the continuous action of the stimulat- ing agent? One or both of these questions have been conclusively answered ın the negative for the following organısms: Zuglena, Stentor and all of the other unicellular organısms, with the possible exception of Ameba, ın which the process of orientation has been studied, Volvox and all other colonial forms tested, Hydra, fire- flies, fiddler-crabs and toads. (See Mast, “Light and the Behavior of Organısms“.) In most of these forms ıt has been shown that orientation is dependent upon the time rate of change in the inten- Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. 587 sity of the stimulating agent on the sensitive tissue and not on ıts continuous action as Loeb’s theory demands. In the rest of them it has been demonstrated that stimulation of symmetrically located sensitive tissue is not necessary in the process of orientation. Loeb maintains (p. 220) that ecircus movements caused by the destruction of the sensitive tissue on one side of certain anımals as observed by Holmes, Parker and others support his theory, but he fails to consider the fact that in a number of these cases the anımals after some time tended to recover and orient normally with the sensitive tissue funetional on only one side, reactions directly in opposition to his theory. In not a single case has it actually been demonstrated that the response of any organism is ever in accord with Loeb’s theory of tropisms, with the possible exception of certain reactions to electrieity. This whole theory of tropisms must consequently be relegated to the realm of pure speceulation. How then can it it be maintained that tropisms are elementary reactions which have been mechanically explained? And what possible sup- port can the assumption that all behavior is founded on such hypothetical reactions lend to the thesis that behavior is capable of mechanical explanation? Loeb holds that the orienting reactions in plants and animals are identical, and that this supports his mechanistie ideas on behavior. He says (p. 28): “In a series. of experiments I have shown that the heliotropie reactions of animals are identical with the heliotropie reactions of plants.” He brings forth several points of identity ın support of this eontention. All of these are of essentially the same nature. We shall discuss but two of them, the effect of different colors and the effeet of different chemicals on reactions. (1) “In plants”, our author says, (p. 29) “only the more refrangible rays from green to blue have... heliotropie effects, while the red and yellow rays are little or less effective; and the same is true for the heliotropie reactions of animals.” This state- ment holds, if at all, only in a very general and superficial sense. The region of maximum stimulation m the solar prismatie speetrum for all green plants, as far as tested, is either in the violet or the indigo. Blaauw (1908) found that in the region of maximum stimulation (indigo 465 uu), for oat seedlings, the efficiency on the basis of equal energy is 2600 times greater than in the red, yellow or green. In the unicellular and the lower multicellular animals, as far as investigated, the distribution of stimulating eflieieney ıs similar to that in green plants. Engelmann gives for Euglena, blue, 470—490 uu, Harrington and Leaming, and Mast for Ameba, violet, indigo, blue; Wilson for Hydra violet, indigo, blue, 430-490 uu. But in the higher animals the distribution is not in agreement with this. Lubbock e. g. found the maximum for 585 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. Daphnia ın the yellow and green. Loeb (1910) confirmed this result, using Lubbock’s methods, altho earlier (1905) he had sar- castically rejected Lubbock’s results intimating that his methods were jfaulty. Many other experimental results could be cited in support of the eriticısm of Loeb’s contention stated above. (2) Loeb says (p. 223): “The writer has shown that the ex- periments on the effect of acids on the heliotropism of copepods can be repeated with the same results in Volvox. It is, therefore, erroneous to try to explain these heliotropie reactions of animals on the basıs of peculiarities (e. g., vision) which are not found in plants” Loeb refers here to the fact that when a trace of acid is added to the solution Volvox and a number of different copepods have been found to become strongly positive in their reactions to light. But Volvox is on the border-line between plants and animals. It ıs claimed by botanists as a plant, by zoologists as an animal. What support theu can this fact lend to the contention that the orienting reactions to light in plants and animals are identical! especially when this is the only known point of similarity in the reactions of these forms and when it is known that the process of orientation in the copepods is radıcally different from that in Volvox and that changes in temperature have precisely opposite effects on the reactions to light in these forms? It ıs, however, ın the treatment of those forms of behavior known as moral action that our author seems to have wandered farthest on the paths of mysticism and vague dogmatie speculation. In attempting to reduce ethics to mechanical principles he assıumes that all instinets are purely mechanical and says (p. 31): “Our instinets are the root of our ethies and the instincts are just as hereditary as is the form of our body. We eat, drink, and reproduce not because mankind has reached an agreement that this is desirable, but because, machine-like, we are compelled to do so. We are active, because we are compelled to be so by processes in our central nervous system; and as long as human beings are not economic slaves the instinets of successful work or workmanship determines the direction of their action. The mother loves and cares for her children, not because metaphysicians had the idea that this was desirable, but because the instinet of taking care of the young is inherited just as distinetly as the morphologieal characters of the female body. We seek and enjoy the fellowship of human beings because hereditary conditions compel us to do so. We struggle for justice and truth since we are instinetively com- pelled to see our fellow beings happy.” Thus morality is supposed to rest directly on instinet and heredity. In another section, how- ever, the author appears to arrive at a quite different conclusion. He says (p. 62): „The highest manifestation of ethies, namely, the con- Ze Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. 589 dition that human beings are willing to sacrifice their lives for an idea is comprehensible neither from the utilitarian standpoint nor from that of the categorical imperative. It might be possible that under the influence of certain ideas chemical changes, for instance, internal secretions within the body, are produced which increase the sensitiveness to certain stimuli to such an unusual degree that such people become slaves to certain stimuli just as the copepods become slaves to the light when carbon dioxide is added to the water.” And he concludes after referring to Pawlow’s work, “it no longer seems strange to us that what the philosophers term an ‘ıdea’ is a process which can cause chemical changes in the body.” Thus he begins with an attempt to found ethies on instincts, which are assumed to be purely mechanical, and ends with the surprising statement, apparently diametrically opposed to this, that chemical reactions in the body are “caused” by ideas. The whole argument intended to reduce ethics to mechanical principles seems to amount to but little more than would a statement that ethical phenomena are mechanical because they are. It certainly must be classıfied as speculation of the vaguest sort. Finally our author maintains that all natural phenomena, in- cluding our existence, are “only a matter of chance... based on the blind play of forces”. Precisely what is here implied by this expression I am unable to ascertain, but I assume the author in- tends it to be synonymous with the phrase “fortuitous concourse of atoms” so much used some fifty years ago. Now, whatever else this phrase may mean it seems clear that it has ordinarily been used with the intention to convey an idea in direct opposition to the fundamental principle of mechanism which is undoubtedly deter- minism. How can anything that is definitely determined (mechanical) be a mere matter of chance dependent upon the play of blind forces! How can a mechanist maintain that our existence is purely fortuitous! Our author scornfully rejects all metaphysical speeulation with the statement that it is a mere play on words and yet he implies in the phrase just quoted that force is a causal agent, a purely metaphysical concept. Even “stereotropism” is clothed with mysterious power to regulate the movement of organisms. “Nega- tive stereotropism,” says Loeb (p. 92), “forces the polyps to grow away from the ground into the water, and hence parts surrounded by water form polyps only. Positive stereotropism forces roots in contact with the ground to hold to it, hence parts in contact with the ground give rise to roots only.” It probably is true that all biological phenomena, including ethies, are mechanical in the very loose sense in which our author appears to have used this term, meaning merely orderly, and it may possibly be true that they are mechanical in the striet sense of >90 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life, the term, but the evidence presented in favor of either of these contentions is anything but convineing. Leaving now the question of the reduction of life processes to mechanical principles, let us consider a few instances ın which Loeb’s work seems to be open to critiesm from other points of view. In attempting to establish the idea “that vision is based on the formation of an image on the brain” he makes use of two lines of evidence, (a) results obtained in operations on the brain, and (b) observation on the pattern adaptation in fishes. He says (p. 79) that the experiments of Munk on the brain of dogs show that “there exists a projection of the retina on a part of the cortex” designated as the visual sphere and he main- tains in this connection, that these experiments have been confirmed by Henschen and by Minkowski, but on page 35 he says, referring to these same experiments: “Five years of experiments with extirpations in the cerebral cortex proved to me without doubt that Munk had become the vietim of an error.” His principal source of evidence in support of the thesis in hand ıs however, he maintains, found in Sumner’s work on changes in the pattern of the skin of certain fishes so as to continuously harmonise with the background. I,oeb holds that this work shows that the retinal image is reproduced in the skin. He says (p. 81): “There exists, therefore, a definite arrangement of the images of the different Juminous points of the ground on the retina and a similar arrangement of the images of the luminous points on the skin of the fishes”, and coneludes that “vision is a kind of telephotography”. A careful examination of Sumner’s excellent photographs of patterns produced in the skin of flatfishes by different backgrounds shows clearly that the spacial arrangement of light and dark areas in the skin is similar in all. It ıs essentially the same in fishes over a background consisting of alternate black and white squares as it is over one consisting of alternate black and white stripes or black spots on a white field or white spots on a black field or an irregular arrangement of high light and shadows as is found ın nature on gravel bottoms. Sumner says (p. 468): “Squares, cross- bands, eireles, ete., were never copied in any true sense, by the fishes.” The size of the dark and light areas in the background have a profound effect on the nature of the pattern, but I can find no evidence indicating that their form or their spacial arrangment has any. Where then is there any foundation for Loeb’s specula- tion on the mechanies of vision? What evidence is there that images on the retina are reproduced as such in the brain? Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. 591 Loeb says (p. 207): “It has often been noticed by explorers who have had a chance to compare the faunas in different climates that in the polar seas such species as thrive at all in those regions oceur, as a rule, in much greater density than they do in moderate or warmer regions of the ocean.” He holds that the results of a number of investigators show that it requires an increase of about 10° in temperature to double the rate of development in organisms, but maintains (p. 209) that the length of life of sea-urchin eggs (fertilised and unfertilised) is doubled if the temperature is deereased only 1°. And he says: “Lowering the temperature by 10 degrees therefore prolongs the life of the organısm 2%, i.e., over a thousand times, and a lowering by 20 degrees prolongs it about one million times. Since this prolongation of life is far in excess of the retardation of development through a lowering of temperature, it is obvious that, in spite of the retardation of developmeut in Arctic seas, animal life must be denser there than in temperate or tropical seas.” If there is anything in this theory we should expect in the temperate zone that pelagie life would be much more abundant in winter than in summer. We should expect our ponds to swarm with microorganisms when they are covered with ice. Of course every one knows that this is not true. In this instance we have an illustration of a peculiar method of reasoning not rarely found in Loeb’s works. He finds that a change of 1 degree at a given temperature produces a given effect on a sea-urchin egg and concludes that a change of 1 degree will produce the same effect in practically all organisms over a wide range of temperatures. Another illustration of the same tendency to excessive generaliza- tion is found in the following statement (p. 45): “Every animal is continually producing acids in its cells, especially carbonic acid and lactic acıd; and such acids increase the tendeney in certain animals to react hehiotropically ... Fluctuations in the rate of the produe- tion of these substances will also produce fluetuations in the heliotropie sensitiveness of the animals. If, for instance, the active mass of the photosensitive substance in a copepod is a relatively small, a temporary increase in the production of carbonie acid can increase the photosensitiveness of the animal suffieiently to cause it to move for the period of a few seconds direetly toward the source of light. Later the production of carbonie acid decreases and the anımal again becomes indifferent to light and can move in any direction. Then the production of carbonic acid increases again and the animal goes again, for a short time, toward the light.” Thus it is clear that our author holds that variability in the response of animals to light is due to variability in the pro- duction of acids within them. Superficially this appears to be a 599 Mast, Loeb’s Mechanistie Conception of Life. very simple and plausible explanation; but Loeb himself found that the reactions to light can be changed by certain alkalıes, salts and narcotics as well as by acıds, and others have discovered that the same changes can be produced by mechanical stimulation and by changes in temperature. Why then select acıd as the con- trolling factor? Moreover he assumes that substances within the body have the same effect as they do when outside, an assump- tion which, as far as I am aware, has no foundation in facts. Of a sımilar nature is the argument (pp. 96-99) leading to the conclusions that “Growth in animals is determined by the same mechanical forces which determine growth ın plants” and “Activity plays the same röle ın the growth of a muscle that the temperature plays ın the growth of the seed.” The consideration of only a portion of the known facts regard- ing many phenomena has made it possible for Loeb to offer ex- tremely simple and attractive explanations for them, explanations which appear superficially plausible especialle to those not thoroly grounded ın the subject. Asıde from those already referred to our author has made a number of statements, direct or implied, which, altho of no great consequence in the discussion, are of doubtful validity. For example, (p. 41) “Experiments on the perception of light by our retina have shown that the effect of light equals the product of the intensity into the duration of illumination.” (p. 43) Copepods have retinas. (p. 50) More species react to light than to the electric current. (p. 52) Anımals are aggregates of independent hereditary qualities. (p. 53) There is no indicatien of adaptation in the reactions of animals to light. If they are positive at all they are positive to all intensities above the threshold. (p. 54) Sudden decrease of in- tensity of light causes a decrease in movements in planarians. (p- 55) Hypotricha are sensitive to light. (p. 54) Haberlandt, Nemec and F. Darwin do not attempt to explain plant tropisms physico-chemically. (p. 196) “All as a rule or the majority of ın- dividuals of a species in a given region spawn on the same day.” (p. 174) “The egg membrane in Fundulus possesses a small opening, the so-called micropyle, through which the spermatozoon enters into the egg.” (p. 74) “It can be shown that Infusoria, Coelen- terates, and worms do not possess a trace of associative memory.” (p. 14) “The problem of the beginning and the end of individual life ıs physico-chemically clear.” After criticising former theories of fertilization as too vague to be useful Loeb says (p. 115): “If we want to make new discoveries in biology, we must start from definite facts and observations, and not from vague speculations.” I know of no biologist who would not whole-heartedly subseribe to this doctrine, but with all due Correns u. Goldschmidt, Die Vererbung u. Bestimmung des Geschlechtes.. 595 respect for our distinguished author I am compelled to say that his “mechanistie conception” appears to me to contain so much vague speculation based upon so few well founded facts, that I fear his practice imperfectly conforms to his precept. Correns und Goldschmidt. Die Vererbung und Bestimmung des Geschlechtes. 2 Vorträge, Berlin 1913. 72 + 76 S., 10 + 45 Abb., 4,50 Mk. Das Bändchen enthält die auf der Naturforscherversammlung zu Münster 1912 gehaltenen Vorträge ın erweiterter und durch Hinweise auf neuere Veröffentlichungen ergänzter Fassung. Cor- rens bespricht unter dem Titel Experimentelle Unter- suchungen über Vererbung und Bestimmung des Ge- schlechtes die fast ausschließlich durch Bastardierungsversuche gewonnenen Einblicke in die Tendenz der Keimzellen, das eine oder andere Geschlecht hervorzubringen. Kein anderer Forscher hat auf diesem Gebiete so große Erfolge zu verzeichnen wie der Ver- fasser, dem es durch sorgfältig durchdachte Anwendung der Mendel’schen Spaltungsgesetze gelungen ist, einige besonders günstige Fälle klarzulegen. Da ursprünglich wohl überall beim Auftreten der Sexualität beide Geschlechter demselben Individuum zugeteilt waren und sich dieser Zustand bei den Pflanzen meist erhalten hat, während die Metazoen zur Getrenntgeschlechtigkeit übergegangen sind, müssen wir den tierischen Hermaphroditismus da, wo er sich findet, als sekundär erworben ansprechen, während er bei den Pflanzen primär ıst. Es ist das wohl ein Grund dafür, dass sich Blütenpflanzen als be- sonders geeignet für derartige Versuche erwiesen. Einen Anhalt zum Eindringen in die vorliegenden Fragen gaben jene Pflanzen, die selbst zweigeschlechtig zwitterige Verwandte be- sitzen, mit denen sie gekreuzt werden können. Denn ähnlich wie eine Analyse der Erbeinheiten eines Organismus auf Grund der Spaltungsregel erst dann möglich wird, wenn eine Bastardierung mit Individuen vorgenommen werden kann, die in irgendeiner oder mehreren Erbeinheiten abweichen, so lässt sich auch die Vererbungs- tendenz einer Keimzelle nur aus ihrer Wirkung auf eine in der Verteilung der Sexualität verschiedene Spezies entnehmen. Solche Verschiedenheiten ın der Geschlechterverteilung finden sich z. B. in den Gattungen Satureia, Melandrium und Bryonia. Besonders die letztgenannte bietet relativ einfache Verhältnisse, da Bryonia alba zwitterig, Bryonia dioica getrenntgeschlechtig ist. Wird eine der beiden Arten mit sich selbst bestäubt, so erhält sich das Ver- hältnıs der Geschlechter, indem Br. alba lauter Zwitter, Dr. dioica zur Hälfte Männchen, zur Hälfte Weibchen gibt. Dr. alba g —+ Br. 594 Correns u. Goldschmidt, Die Vererbung u. Bestimmung des Geschlechtes. dioica g‘ gibt 50% 2 und 50%, d Bastarde. Br. dioica 9 + Br. alba g' aber gibt 100%, 29 Bastarde. Der Verf. erklärt dieses Er- gebnis so: Die Keimzellen der Dr. dioica 9 stimmen unter sich überein, es gibt ıhrer nur einerlei, während es zweierlei männliche Keimzellen geben muss. Die Weibchen sind homogametisch, die Männchen heterogametisch. Die gemischtgeschlechtige Tendenz der Keimzellen von Dr. alba wird unterdrückt. Es ergeben sich dann die erwähnten Resultate der Selbst- und Kreuzbefruchtung. Die Auffassung wird durch Besprechung anders lautender Erklärungs- versuche verteidigt und dürfte wohl zurzeit die einzige befriedigende sein. Genau entsprechend fiel ein Versuch mit dem getrennt- geschlechtigen Melandrium aus, das mit der zwitterigen Selene viscosa gekreuzt wurde. Dagegen ergab die Bastardierung von ge- wissen Schmetterlingen in Versuchen von Doncaster und Gold- schmidt das umgekehrte Verhalten, indem hier die Männchen homogametisch, die Weibchen heterogametisch zu sein scheinen. Alle Versuche sınd aber mit folgenden Annahmen im Einklang: Die getrenntgeschlechtigen Tiere und höheren Pflanzen bringen Keimzellen mit einer bestimmten sexuellen Tendenz hervor, und zwar so, dass das eine Geschlecht nur einerlei Keimzellen bildet, während das andere zweierlei Keimzellen erzeugt. Die Bestimmung des Geschlechtes käme bei der Befruchtung zustande, indem die Keimzellen des heterogametischen Geschlechtes dominieren. Die zweierlei Keimzellen würden durch Mendel’sche Spaltung erzielt. Wenn man auch nach Correns vielleicht in absehbarer Zeit den Mechanismus der Geschlechtsbestimmung verstehen wird, so dürfte dieser doch, wenigstens beim Menschen, künstlicher Ein- wirkung unzugänglich bleiben. Der Goldschmidt’sche Aufsatz enthält unter dem Titel Cyto- logische Untersuchungen über Vererbung und Bestim- mung des Geschlechtes eine übersichtliche Darstellung der Chromosomenlehre und auf dieser Grundlage dann alles Wissens- werte über Geschlechtschromosomen und geschlechtsbegrenzte Ver- erbung sowie über die Bedeutung dieser Dinge für die Geschlechts- bestimmung. Der Verf. geht von der Sachlage aus, wie sie bei Rückkreuzung eines Bastardes mit einem seiner Eltern vorliegt. Die Nachkommen- schaft zeigt dann zu gleichen Teilen die Eigenschaften des Bastardes und die des reinen Elters. Es beruht das darauf, dass die ab- weichende Eigenschaft des anderen Elters an ein Uhromosom des Bastardes gebunden ist. Derartige Chromosomen erhält die Hälfte der Enkelgeneration, während auf die andere Hälfte das Schwester- chromosom übertragen wird, das von dem entsprechenden Chro- mosom des zur Rückkreuzung benutzten Elters nicht verschieden u Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 595 ist. Die eine Hälfte der Nachkommenschaft enthält deshalb gleich- artige, die andere ungleichartige Ohromosomenpaare, d.h. die eine ist rein, die andere heterozygotisch. Das geschilderte Schema ist nun geeignet zum Vergleich mit der Geschlechtsvererbung, wenn man annimmt, dass ein Geschlecht dem Bastard, das andere dem Elter entspricht. Auch hier ent- stehen ja die zweierlei Nachkommen, die den zweierlei Eltern gleichen, in gleicher Anzahl. Gestützt wird diese Auffassung da- durch, dass in manchen Fällen eine Zwiegestaltigkeit der Keimzellen zu erkennen ist. Es sind nämlich Organismen bekannt, bei denen das eine Ge- schlecht ungleichartige Chromosomen aufweist. Dieses Hetero- chromosomenpaar besteht entweder aus zwei ungleich großen Chro- mosomen oder es fehlt einem der Elemente der Partner ganz und gar. Bei der Reduktionsteilung kommt dann auf jede zweite Keim- zelle ein abweichendes Öhromosom oder der Mangel eines solchen. Leider fehlen zum Vergleich ganz überzeugende Fälle von Bastarden, bei denen zweierlei morphologisch unterscheidbare Chromosomen deutlich verfolgt worden wären. Goldschmidt zeigt nun, dass alle Erfahrungen mit folgender Auffassung in Einklang sind: Ein Geschlecht ist homogametisch, das andere heterogametisch, wie sich das zuweilen auch morpho- logisch ın den erkennbaren Geschlechtschromosomen ausdrückt. Auf Grund der presence-absence-Theorie ist dann auch der Fall verständlich, wo an Stelle verschieden großer ein unpaares Chro- mosom auftritt. Man sieht die Parallele zu den von Correns aus Bastardierungsversuchen gezogenen Schlüssen. Auch für das Ver- ständnis der geschlechtsbegrenzten Vererbung ist eine solche Auf- fassung von Wert, wenn man nur annimmt, dass die sekundären Geschlechtsmerkmale irgendwie an das Heterochromosomenpaar gebunden sind. Die teilweise noch hypothetischen Darlegungen werden für zukünftige Forschung Anknüpfungspunkte geben, besonders wenn cytologische und experimentelle Bearbeitung nach einheitlichem Plane ausgeführt werden. Derartige Untersuchungen erscheinen jetzt besonders aussichtsreich. Ernst G. Pringsheim. Die Zweckmälsigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. Von Dr. Slavko Sederov (Belgrad). T. Seit jeher hat der Begriff der Zweckmäßigkeit des Lebens in dem intellektuellen Leben der Menschheit eine große Rolle gespielt. Die Harmonie und eine gewisse Ordnung in den Organismen hat 596 Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. schon in der ältesten Zeit des menschlichen Denkens die Erklärung hervorgerufen, welche darin gipfelte, dass die Ursache dieser Er- scheinungen ein übernatürliches Wesen, der Schöpfer sei. Mit dem Fortschritte des menschlichen Denkens ist diese Auf- fassung, wenigstens in der Wissenschaft, verschwunden; die Har- monie und die Ordnung in den Organismen kann nicht als durch einen übernatürlichen Faktor verursacht, angesehen werden, sondern die Ursachen werden entweder in den Organismen selbst gesucht oder auf Grund der Analogie versucht man die Harmonie und die übrigen zweckmäßigen Lebenseigenschaften auf die schon bekannten mechanischen, chemisch-physikalischen Faktoren zurückzuführen. Die erste dieser Auffassungen vertreten in der heutigen Bio- logie die Neovitalisten mit den Deszendenztheoretikern, wie die Neolamarckisten oder Psychobiologen, die zweite die Mechanisten und die große Mehrzahl der Physiologen. Bevor wir auf die Darstellung des Verhältnisses der zweck- mäßigen Lebenseigenschaften und der organischen Regulationen übergehen, wird es von Interesse sein, die teleologische Auffassung einiger Biologen, welche für die Teleologie als Wesen des Orga- nischen kämpfen, näher zu betrachten. Für eine — ich möchte sagen, — vollständige Analyse der teleo- logischen Auffassung wird die Betrachtung der Ansichten von Wolff‘), Pauly?) und Driesch?) genügen. Wolff nennt, ım Anschluß an Kant, eine Einrichtung zweck- mäßig, wenn unser Kausalıtätstrieb uns dazu zwingt, ihr Dasein mit ihrem Effekt ın ursächliche Beziehung zu bringen. Wenn wir z. B. die Funktion des Herzens betrachten, so zwingt uns unser Kausalitätsbedürfnis, einen Zusammenhang zwischen dem Dasein dieses Organs und seiner Leistung anzunehmen, d.h. in der Leistung den Grund des Daseins zu sehen. Diese teleologische Auffassung ist ebenso notwendig wie die kausale, weil sie kausal ist. Wolff meint, dass in dieser Auffassung kein psychisches Ele- ment liegt, obwohl er zugıbt, dass diejenigen Fälle, in denen es gelang, für ein konstatiertes teleologisches Kausalverhältnis eine, bis zu einem gewissen Grade befriedigende Erklärung zu geben, d. h. in welchen die kausale Abhängigkeit des Daseins vom Effekt einer Einrichtung im einzelnen dargelegt ıst, solcher Natur sind, in den wir uns für berechtigt halten, die Hypothese einer psy- chischen Vermittlung aufzustellen. Das heisst aber nach Wolff nur, dass eine andere als psychologische Erklärung eines teleo- 1) G. Wolff, Mechanismus und Vitalismus. II. Aufl., Leipzig 1905. 2) A. Pauly, Darwinismus und Lamarckismus. München 1905. 3) H. Driesch, Der Vitalismus als Geschichte und als Lehre. Leipzig 1905. — Ders., Philosophie des Organischen. Leipzig 1910. Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 597 logischen Kausalverhältnisses zu geben, uns bis jetzt nicht gelungen ist, aber daraus folgt keineswegs, dass eine psychologische Er- klärung immer anwendbar und die einzig mögliche sein muss. Die teleologische Beurteilung ist also nicht gleichbedeutend mit der Substituierung einer psychischen Ursache. Die Auffassung von Wolff wird noch klarer aus dem folgenden Beispiele. Betrachten wir den Körper eines soeben getöteten Tieres, so wissen wir, dass er jetzt schon anfängt sich zu verändern und dass er bald in Verwesung übergeht und vollständig zerfallen wird. Nun betrachten wir den lebenden Körper eines gleichen Tieres und fragen wir uns — nach Wolff —, warum zerfällt dieser Körper nicht? Die Antwort wird lauten: weil er einen Darmkanal hat, welcher Nahrung aufnimmt, weil er ein Herz hat, das die Säfte im Körper herumführt, Wertvolles zuführt, Wertloses abnımmt, weil er eine Lunge hat, die den zur Erzeugung der Kräfte nötigen Sauerstoff holt und die entstandene Kohlensäure weggibt, weil er eine Niere hat, welche Zerfallsprodukte ausscheidet, weil er ein Nervensystem hat etc. Das Zusammenwirken all dieser Organe führt zu dem Resultate der Erhaltung des Organismus; dieses Re- sultat ist nicht zufällig entstanden, und die Organe sind ebenso- wenig zufällig entstanden, sondern das Resultat oder die Erhaltung des Organismus steckt irgendwie in dem Zusammenwirken aller Organe als ein Ziel desselben. Die Unzulänglichkeit der mechanistischen Auffassung hegt nicht darın, dass sie den Zerfall nicht ausschließt, sondern darin, dass sie ıhm die leitende Rolle erteilt bei der Entstehung des Zweckmäßigen. Wir sind dagegen nach Wolff gezwungen, teleologisch zu be- urteilen, weil jede andere Denkweise unserem logischen Denken widerspricht. Wenn z. B. einem nestbauenden Vogel gerade dieser Strohhalm oder jene Flocke ın den Schnabel fällt, so enthalten diese Zufälligkeiten kein biologisches Rätsel, aber dass er diese Zufälligkeiten überhaupt verwenden kann, darın liegt das Problem und das kann durch Annahme eines Zufalls für unser kausales Denken nicht gelöst werden. Die Lösung dieses Problems findet nur mit Rücksicht auf den Effekt statt, also teleologisch. Die Zweckmäßigkeit ist nach Wolff nicht unbegrenzt, was die Regeneration beweist. Ob irgendeine Erscheinung im biologischen Sinne zweckmäßig ist, entscheidet es nicht, ob es bis zu dem Zwecke gekommen ist, sondern es ist die Hauptsache, dass ein Streben nach dem Ziele besteht. Das Endergebnis hat also keine ent- scheidende Rolle bei der Beurteilung des Zweckmäßigen und der Grad der Vollkommenheit einer Funktion ist ebenso für die bio- logische Betrachtung nebensächlich. Die teleologische und vitalistische Auffassung sind identische Begriffe nach Wolff, während nach Driesch die Teleologie die XXXII. 39 598 Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Örganismen. Zweckmäßigkeit nur deskriptiv konstatiert, aber dıe Frage, ob die Organismen auf Grund einer Maschine aufgebaut oder durch einen vitalen Faktor determiniert sind, ungelöst lässt. Für Driesch sind nur die Reaktionen zweckmäßig, welche Wolff als primär zweckmäßige bezeichnet. Unter diesem Begriffe soll man diejenigen zweckmäßigen Reaktionen auf irgendeine äußere Ursache verstehen, bei welchen die Annahme einer organisatorischen Vorbereitung ausgeschlossen erscheint. Die größte Mehrzahl der zweckmäßigen Reaktionen ist durch die Vererbung fixiert, aber wir müssen annehmen, dass diese fixierten Reaktionen, als sie zum ersten- mal erschienen sind, aus solchen Reaktionen entstanden sind, welche den Charakter der primären Zweckmäßigkeit tragen. Diese primäre Zweckmäßigkeit äußert sich auch bei der Regeneration der Linse von Tritonen, wie es Wolff selbst konstatiert hat. Nach Wolff ist also die Teleologie eine Ergänzung der Kau- salität, die teleologische Betrachtungsweise eine Ergänzung der eh Verhalten und die primäre zweckmäßige ae ae keit ist ein Beweis des vitalistischen Geschehens. Viel klarer und präziser fasst Driesch die Zweckmäßigkeit und die teleologische Betrachtungsweise auf. Dass es vieles Zweckmäßige an den Lebensgeschehnissen gibt, ist, nach Driesch, nichts anderes als eine Tatsache. Im Sprachgebrauch des täglichen Lebens bezeichnet man solche Handlungen als zweckmäßig, welche erfahrungsgemäß ein bestimmtes gewolltes Ziel, mittelbar oder unmittelbar, herbeiführen, oder von denen man das wenigstens annımmt. Ich beurteile alle Zweck- mäßigkeit von Handlungen von mir aus; ich weiß für mich, wann meine Handlungen das Prädikat zweckmäßig verdienen, daich meine Ziele kenne. Handlungen anderer Menschen benennt man zweck- mäßig, wenn man ihr Ziel kennt, d. h. wenn man sich denken kann, dass das Ziel ein eigenes sein kann, und wenn man mit Rücksicht auf dieses Ziel beurteilt. Nun dehnt sich die Anwendung des Wortes zweckmäßig auch weiter, und zwar in zwei Richtungen. Daher entspringt einmal die Anwendung des Wortes zweckmäßig auf Biologisches und aus dieser Anwendung auf Biologisches entspringt das biologische Grundproblem. Driesch, wie auch viele andere, nennen zweckmäßig viele Bewegungen der Tiere und zwar nicht nur solche, welche als „Hand- lungen“ benannt werden können, sondern auch solche Bewegungs- gruppen, welche ihrer festen Geschlossenheit wegen nicht als Hand- lungen, sondern als Instinkte, Reflexe oder ähnlich bezeichnet werden. Von diesen Bewegungen bis zu den Bewegungen der Pflanzen, z. B. gegen das Licht hin oder vom Licht ab, ist nur ein Schritt, nn Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 599 und noch einen Schritt weitergehend, können auch Wachstums- bewegungen zweckmäßig genannt werden. Auf diesem Wege fortschreitend, kann man also schließlich alle Geschehnisse an lebenden Wesen als zweckmäßig bezeichnen, welche nachweislich auf einen Punkt zulaufen, der in irgendeinem Sinne als Ziel gedacht werden kann. Das ist die Genese des deskriptiven Begriffes der Zweckmäßigkeit. Wie man sieht, kann man durch die Analogie den Begriff zweckmäßig auf die biologischen Phänomene übertragen, aber nicht nur auf diese, sondern auf verschiedene vom Menschen gefertigte Artefakte, wie es verschiedene Maschinen und Kunstprodukte sind. Von dieser Anwendung des Begriffes zweckmäßig auf die menschlichen Kunstprodukte entsteht der Ausgang der Auf- rollung des biologischen Grundproblems. Aus dieser Anwendung entsteht die Frage, sind die Organismen Maschinen und spielen sich die organischen Erscheinungen auf Grund oder Basis einer Maschinerie oder sind sie durch einen besonderen vitalen Faktor determiniert? Das bedeutet: Sind die als zweckmäßig bezeichneten Vorgänge an Organismen zweckmäßig vermöge einer gegebenen Struktur oder Tektonik oder liegt eine besondere Art des Zweckmäßigen im Bereiche des Lebens vor? Wir wollen uns nicht mit dieser Frage weiter beschäftigen, sondern es sei nur konstatiert, dass Driesch zu dem sogen. bio- logischen Grundproblem durch eine Analogie kommt. Diese Ana- logie ıst noch potenziert, denn der Begriff zweckmäßig wird zuerst aus dem psychischen Bereich auf die organischen Vorgänge über- tragen und zweitens wird die Anwendung. des Begriffes zweckmäßig auch auf menschliche Kunstprodukte erweitert, ebenfalls durch Ana- logie; nur von der letzten Anwendung entsteht dann die „biologische Grundfrage“. Die Mängel jeder logischen Strenge ın der Frage und dem Grundprobleme erhellt dadurch von selbst. Die organische Zweckmäßigkeit hat zwei Kennzeichen: die Harmonie und die Regulation. Die Harmonie zeigt sich ın dreifacher Hinsicht an den Orga- nismen, als Kausal-, Kompositions- und Funktionalharmonie. Es sind Fälle aus der Entwickelungsgeschichte der Organismen bekannt, in denen ein Teil des werdenden Organismus durch Wir- kung auf einen anderen die Entstehung eines dritten hervorruft oder auslöst, wie man gewöhnlich sagt. Damit solches möglich ıst, müssen offenbar derjenige Teil, welcher auslöst, und derjenige, an welchem die Hervorrufung statthat, so geschaffen sein, dass eın Entsprechen des B auf den Reiz des A hin überhaupt statthaben kann, B muss für A als Ursache empfangsfähig sein. Dieses Ver- hältnis bezeichnet Driesch als Kausalharmonie. Als Beispiel soll angeführt werden: Die Augenlinse der Wirbeltiere wird durch 39* 600 Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. Wirkung der wachsenden Augenblase auf die Körperhaut ausgelöst; Augenblase und Haut verhalten sich kausalharmonisch zueinander. Unter der Kompositionsharmonie versteht Driesch die Selbst- differenzierungsfälle oder das Verhältnis der einzelnen Teile des werdenden Organismus, welche in einer gewissen Abhängigkeit von- einander entstehen, aber wenn sie einmal entstanden sind, ent- wickeln sie sich ohne Rücksicht auf andere Teile. Die Selbstdifferenzierungsfälle sowie die Entstehung einheit- licher, komplizierter Organe des Erwachsenen aus der Vereinigung mehrerer, sich je für sich differenzierender Anlagen zeigen, dass ein harmonischer Charakter in dem Lageverhältnis der embryonalen Teile zueinander obwalten muss, kraft dessen das Selbständige zum Einheitlichen zusammenschließt. Also die Komposition der Keimes- teile ist harmonisch. Driesch gibt folgendes Beispiel: der Mund und der Darm der Seeigellarven entwickeln sich ohne Rücksicht aufeinander, sind aber beide fertig, dann passen sie zusammen. Die Teile, welche trotz relativer Selbständigkeit ein Ganzes nach der Entwickelung bilden, funktionieren harmonisch. Ein Bei- spiel der Funktionalharmonie bieten die Funktionen der verschie- denen Abschnitte und Anhangsdrüsen des Darmkanals. Diese drei Arten der Harmonie bilden nur die eine Seite der organischen Zweckmäßigkeit; die andere ist die Regulation. Unter Regulationsvermögen der Organismen soll ganz allgemein ihre Fähigkeit, trotz abnormer auf sie einwirkender Umstände ihre Norm, in Hinsicht auf Gestalt und Funktion, zu wahren verstehen. Die Regulation ist manchmal erstaunlich groß. Je nachdem die Regulation mit Rücksicht auf Störung von etwas im Organismus selbst oder von seiner Umgebung stattfindet, kann man von Korrelation oder von adaptiver Regulation sprechen. Aus der Betrachtung eines teleologischen Vorganges des Bauens einer Maschine wird uns klar, wie eine Erscheinung teleologisch und zugleich mechanischer oder physikochemischer Natur sein kann. Alle Vorgänge an den vom Menschen gefertigten Maschinen sind nur insofern zweckmäßig, als sie sich als Glieder eines höheren spezi- fischen Ganzen abspielen; sie sind zweckmäßig, weil die einheitliche Verrichtung durch spezifische Lage und spezifisches Verhältnis der Teile zueinander ermöglicht wird oder vermöge der gegebenen Struktur und Tektonik des Ganzen. Diese, durch die Struktur einer Vorrichtung entstandene Zweckmäßigkeit zeigt uns die statische Teleologie oder Teleologie der Konstellation. Nun kann die Frage aufgeworfen werden, gehören die Natur- vorgänge dieser Teleologie an oder nicht? Und weiter, gehören die organischen Zweckmäßigkeiten auch zu diesem Typus? Alle jene Erscheinungen, die nicht auf Grund einer gegebenen Struktur zweckmäßig sind, bezeichnet Driesch als dynamisch- 2 Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 601 teleologisch. Nach ıhm gehören alle Organısmen in die letzte Art der Teleologie; das bedeutet, dass die organische Zweckmäßigkeit nicht durch die Struktur, sondern durch einen besonderen vitalen Faktor, die Entelechie bedingt ist. Für das genetische Verständnis der teleologischen Auf- fassung sind die Ansichten Pauly’s die interessantesten. Das Wesen des Lebens verstehen, fällt nach Pauly zusammen mit der Erklärung des Zweckmäßigen. Wir begegnen der Zweckmäßigkeit in verschiedenartigen Formen; zuerst als Organ, d. h. von der Natur geschaffenes Werkzeug in allen Graden der Verwickeltheit in beiden organischen Reichen. In dieser liegt das Zweckmäßige als das Problem eines abgelaufenen Vorganges vor uns; es soll nach Darwin’s Anschauung zufällig entstehen und sein Wachstum von außen reguliert werden, gegen welche Auffassung die ganze Pauly’sche Lehre gerichtet ist. Daneben erkennen wir das Zweckmäßige als Leistung des physio- logischen Vermögens der Organe in den Verrichtungen; auch für diese Form fehlt uns die Erklärung, doch muss es zugegeben werden, dass der Organismus selbst als Täter für diese Form des Zweck- mäßigen in Anspruch genommen wird, womit ein Vermögen aner- kannt wird, das nicht durch fingierte Außenverhältnisse vertreten werden kann. Weiter finden wir das Zweckmäßige im Tierreich, schon auf tiefster Stufe, als Handlung entweder zum Instinkt mechanisiert oder bei höheren Tieren deutlich aus freien Urteilen entspringend und nach allgemeiner Anschauung in das geistige Wesen des Menchen übergehend. Wir lernen ın uns selbst die vierte Form der Zweckmäßigkeit durch innere Erfahrung, in Gedanken, — einer Art von inneren Handlung. Neben alledem objektiviert sich das Zweckmäßige als künst- liches Erzeugnis — mit geringen Vorläufern im Tierreiche —, in der Unermesslichkeit von Werkzeugen, Maschinen, Instrumenten, Büchern, Gebäuden, Kunstwerken; diese Zweckmäßigkeiten bilden den Kulturbesitz der Menschheit. In der letzten Form erscheint das Zweckmäßige wie in der erstgenannten als Produkt eines abgelaufenen Vorganges. Das künstliche Zweckmäßige unterscheidet sich zwar von dem natürlichen, dem Organ, durch den Mangel am eigenen Leib und scheint dadurch mit diesen unvergleichbar; es bekundet sich aber als Glied derselben Reihe durch den Charakter der Vernünftigkeit, die allen Gliedern derselben gemeinsam war und erlangt sogar theoretisch den höchsten Wert, weil wir über seine Entstehung eine Gewissheit besitzen, die durch keine Hypothese aus den Angeln gehoben werden kann. 602 Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. Das künstliche Zwecekmäßige entsteht aus dem eigenen bild- nerischen Vermögen der Lebewesen als Produkt einer Handlung, deren bewegende Kräfte psychologische Faktoren sind. Psycho- logische Faktoren sind es auch, welche die beiden anderen Glieder, Gedanken und Handlung erzeugen, und so wären von vornherein alle Formen des Zweckmäßigen auf ein eigenes Vermögen des Lebendigen zurückzuführen mit Ausnahme desjenigen der organischen Werkzeuge, für welches wir die Erklärung noch suchen, falls wir nicht die Dar win’sche annehmen. Es entsteht nun nach Pauly durch die Existenz der Dar- win’schen Theorie die Problemstellung, dass es in der Welt zweierlei Zweckmäßiges gibt, beides von dem gleichen Charakter der Ver- nünftigkeit, nämlich lebende Körper mit Organen und außerdem physiologische Leistungen, Handlungen und Gedanken, von denen das erstere seinen vernünftigen Charakter dem Zufall verdankt, das andere einem ureigenen Vermögen psychologischer Natur der organischen Materie, welches Vernunft enthält, oder es gibt nur einerlei Zweekmäßiges, nur ein Vermögen und die Darwin’sche Theorie ist falsch. Durch solche Fragestellung gelangt Pauly zu dem Ergebnis, dass es nur eine Art der Zweckmäßigkeit gibt und dass nur eine Art der Tätigkeit, Zweckmäßiges zu erzeugen, besteht, welche der psychischen Sphäre immanent ist. Die Erzeugung der zweckmäßigen Erscheinungen soll folgender- maßen stattfinden. Sie besteht in der aktiven Synthese oder Asso- ziation zweier Erfahrungen, d.h. der vom Bedürfnis und der vom Mittel, mit welchem das Bedürfnis befriedigt wird. Der Ursprung dieser Erscheinung liegt in einem Gefühlszustande des Organismus, welchen wir Bedürfnis nennen, weil er mit einem Wunsche verknüpft ist. Das Bedürfnis wird entweder durch äußere oder innere Reize hervorgerufen; es zeigt einen Spannungszustand, welcher bis zu einer Höhe gelangen muss, um Folgen hervorzurufen. Die Spannung wie der Effekt, mit welchem Arbeit geleistet wird, zeigt, dass dieser psychische Zustand nicht ohne physische Energie vor sich gehen kann. Ohne Aufwand der physischen Energie kann dieser Zustand auch dann nicht stattfinden, wenn das innere Stadium der Gedanken nicht überschritten wird, denn auch die Assoziation zweier Vorstellungen, welche sich nicht auf dem- selben Orte befinden, erfordert Energie für die Leitung und Antwort. Wie man auch diese Erscheinung in die kontinuierte oder un- kontinuierte Phasen zerlegt, so zeigt sie nach Pauly immer, dass der erste Zustand des Bedürfnisgefühls die wahre Ursache der folgenden sei und die wahre Ursache wegen des Aufwandes der Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 6053 Energie und er ist außerdem durch die Erzeugung des Zweckmäßigen gekennzeichnet Der kontinuierliche Regulator aller Br heinungen im Organis- mus ıst das Gefühl; das ıst ein Zustand des Sarah, welcher durch alle Phasen der Handlung erhalten bleibt und die Handlungen untereinander verbindet als Ursache, welche als causa efficiens finalıs und zugleich als causa finaliter efficiens wirkt. Die Assoziation einer Empfindung des Bedürfnisses mit den Mitteln, die das Bedürfnis befriedigen werden, wird durch ein Ur- teil gebildet. Durch die Urteilsfähigkeit kommt ein Organısmus zu der Erkenntnis, ob die Mittel das Bedürfnis befriedigen werden oder nicht. Infolgedessen beruht die Erzeugung der Zweckmäßigkeit auf einem psychischen Prinzip, dem Akt des Urteils, dem Prinzip des Urteilens. Diese Art der Erzeugung der Zweckmäßigkeit zeigt sich auch bei der Entstehung der Organe; wir sehen, wie ein Gewebe, welches ursprünglich gleichartig, homogen war, im Laufe der Entwickelung hell glasartig oder pigmentiert bis zur tiefsten Schwärze, dann elastisch wird oder auch andere Formen annımmt. Diese Hetero- genität der Organe, welche Mittel für die Ganzheit sind, kann nicht durch Mechanismus erklärt werden, sondern erfordert nach Pauly eine animistische, subjektivistische, psychisch-egoistische Erklärung auf Grund des Urteilsprinzips. Die Zweckmäßigkeit und ihre Erzeugung ist nach Pauly empı- rischer Natur und wenn die Zellen über etwas keine Erfahrung haben und auch keine Gelegenheit für die Erwerbung derselben gehabt hatten, kann — bei Vorkommen irgendwelcher Umstände — auch eine amd mäßıge Reaktionsweise stattfinden. Daher kommt die Dysteleologie. Die Harmonie im Organısmus wie auch die einheitliche funk- tionelle Wirkung der Teile eines Organs und die Einheitlichkeit aller Organe im Körper, also die Einheit des Organısmus, lassen sich durch die Wirkung des Bedürfnisses erklären, denn die Har- monie wird bei einzelnen Organen durch die Einheitlichkeit der Funktion hervorgerufen und die harmonische Einheit ist durch die Einheitlichkeit aller Funktionen hervorgerufen. Die Lehre von Pauly stellt uns eine Fortsetzung und Weiter- bildung der Lamarck’schen Anschauungen. Nach Lamarck besteht „die wahre Ordnung der Dinge* ım folgenden: erstens, jede ein wenig beträchtliche und anhaltende Verände- rung in den Verhältnissen ruft eine wirkliche Veränderung der Be- dürfnisse der Organismen hervor; 604 Secderov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. zweitens, jede Veränderung in den Bedürfnissen der Tiere macht andere Tätigkeiten; um diesen neuen Bedürfnissen zu genügen, und folglich andere Gewohnheiten nötig; drittens erfordert jedes neue Bedürfnis, indem es neue Tätig- keiten zu seiner Befriedigung nötig macht, von dem Tiere, das es empfindet, entweder den größeren Gebrauch eines Organs, von dem es vorher geringeren Gebrauch gemacht hatte; durch den Gebrauch entwickelt sich dasselbe und wird beträchtlich vergrößert. Oder neue Tätigkeiten erfordern den Gebrauch neuer Organe, welche die Bedürfnisse im Organısmus unmerklich durch Anstrengung seines inneren Gefühls entstehen lassen. Pauly’s Zusatz besteht in dem Urteilsprinzip, in der Asso- ziation und Synthese der Erfahrung. Bevor wir nun über den Wert der teleologischen Auffassung ein Urteil aussagen, seien folgende Tatsachen festgestellt: 1. die teleologische Auffassung hat ihren Ursprung ın der menschlichen Handlung; die Teleologie entsteht aus der Anwendung der aus der psychischen Handlung entnommenen finalen Verhältnisse auf bio- logische Probleme, wie Driesch es anerkannt hatte; 2. jede bisher gelungene teleologische Auffassung ist mit psychischer Vermittlung verbunden, wie es Wolff anerkannt hat; 3. jede Teleologie muss, bewusst oder unbewusst, psychische Faktoren annehmen und durch psychische Eigenschaften der Organe oder des Organısmus wird die /Zweckmäßigkeit erklärt; jede teleologische Erklärung beruht auf der Annahme psychischer Qualitäten, z. B. Urteilsfähigkeit, wie es aus der Autoteleologie am besten ersichtlich ist. Wenn wir diese Tatsachen begreifen, so sehen wir den logischen und empirischen Wert der teleologischen Auffassung. Das teleologische Problem beruht auf Analogie und auf dem möglichen analogen Prozess der menschlichen psychischen Handlung mit den organischen Erschei- nungen; die Teleologen dagegen bemühen sich nicht, dieser Ana- logie eine festere Grundlage zu geben. Die Teleologen sind der Meinung, als ob die organischen Erscheinungen und die mensch- lichen Handlungsprozesse gleich und identisch wären, aber sie haben diese Identität auch zu beweisen. Bei dem Beweise der Identität der organischen Zweckmäßig- keitserscheinungen mit den Handlungen des Menschen entfällt jeder logische Wert der Teleologie. Die Identität ıst aber nicht möglich zu beweisen, denn jede psychische Handlung oder Willensakt hat subjektive Korrelate, durch die eigentlich der Psychismus definiert ist. Die subjektiven Korrelate bei den organischen Prozessen kann man nicht beweisen; man hat bisher keine bestimmten objektiven Kriterien für Psychismus der Tiere und der Beweis des allge- Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 605 meinen Psychismus der organischen Erscheinungen ist darum logısch und empirisch unmöglich. Dadurch fällt auch der empirische Wert der Teleologie; die Teleologie ist ein unempirischer Standpunkt. Sie ıst manchmal eine wertvolle pädagogische Ausdrucksweise oder Formel, durch welche die Wertung eines morphologischen oder physiologischen Vorgangs hervorgehoben wird, aber der Wert der Teleologie ist eben nur auf die pädagogische Anschaulichkeit zurückzuführen. Die Teleologie beweist durch ihre Existenz nur, dass das finale Verhältnis, d. h. die Möglichkeit, dass eine Folge zur Ursache wird, in der psychischen Sphäre möglich ist. Wenn wir diese Tatsache begreifen, so drängt sich die Frage auf, wie es dazu gekommen ist, dass das kausale Verhältnis in das finale sich umkehrte? Mit der Frage werden wir uns später be- schäftigen. I Wir haben gesehen, dass die teleologische Auffassung auf der Analogie begründet ist und dass sie aus der psychischen mensch- lichen Handlung entnommen ist; wir haben weiter konstatiert, dass darum ıhr logischer Wert nicht groß ist. Wir teilen die deskriptiven zweckmäßigen organischen Eigen- schaften in vier Arten: 1. in die Einheitlichkeit des Organismus, 2. innere Zweckmäßigkeit, welche sich in die strukturelle, funktionelle und reflektive oder instinktive Zweckmäßigkeit gliedert, 3. äußere und 4. in die Art erhaltende Zweck- mäßiıgkeit®). In die erste Kategorie gehören folgende Erscheinungen: A. Jedes lebende Wesen hat gesetzmäßige Gruppierung diffe- renter Teile oder die Organisation; es scheint, als ob alle Teile der Erhaltung des Lebens dienen würden. Sie wirken alle har- monisch zusammen und stellen uns die physiologische und mor- phologische Einheit der Organismen dar. Alle Organe sind aneinander angepasst; zwischen ıhnen herrscht die zweckmäßige morphologische und physiologische Korrelation, durch welche das harmonische Wachstum bewirkt wird; jeder Teil nımmt aus dem Blute nur die- jenige Materie, welche ihm notwendig ist. Z. B. die Nieren nehmen nur diejenigen Nitratverbindungen, welche von anderen Organen ausgeschieden sind und sie befördern sie nach außen. B. Noch klarer sieht man die Einheitlichkeit der Organismen aus den morphologischen Eigenschaften. Wenn ein Teil einem Organısmus abgeschnitten wird, so bildet sich ein neuer, dem alten ähnlicher Teil auf der Stelle des abge- schnittenen. Die Protozoen regenerieren die Hälfte ihres Körpers, 4) Vgl. Plate, L., Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 3. Aufl., Leipzig 1908. 606 Secderov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. oder sogar aus einem Teil wächst ein ganzer Organısmus aus, wenn der Kern in dem betreffenden Teile vorhanden ist. Die Cölenteraten, z. B. die Hydroiden regenerieren ihr Köpfchen oder ihren Stamm; sie sind weiter imstande, auch ihre Polarität umzukehren und sie regenerieren aus entgegengesetztem Pole das Köpfchen und die Tentakeläste. Die Regenwürmer können ihren Kopf oder ihren Schwanz erneuern; wenn man den Kopf vorne und den Schwanz rückwärts abschneidet, so bilden sich aus allen diesen drei Teilen je ein kleinerer Regenwurm. Die Planarien können in neun Quer- stücke geteilt werden und alle diese Teile regenerieren ganze Orga- nısmen (Loeb, Morgan). Bei den Wirbeltieren ıst die Regenerationsfähigkeit noch bei den Salamandern groß; sie können ihre Beine und den Schwanz regenerieren. Die Salamander sind sogar ımstande, aus dem Bein- stücke, welchem auch die Finger abgeschnitten sınd, nach Trans- plantation in die Haut (z. B. zwischen den Extremitäten) das ganze Bein zu regenerieren (Kurz). Dann hat das Tier fünf Beine, denn neben den drei normalen Beinen hat das vierte abgeschnittene Bein regeneriert und das fünfte ist aus dem transplantierten Beinstücke ausgewachsen. Diese Tatsache zeigt uns, dass der Organismus nicht nur als solcher, sondern dass auch die Organe ihre Ganzheit haben, welche sie durch die Selbstdifferenzierung erreichen. ©. In der Ontogenese finden wir die morphologische Einheit- lichkeit noch klarer ausgedrückt. Nehmen wır z. B. das Seeigelei. Wenn das Seeigelei befruchtet wird, beginnt es sich in zwei, vier, acht, sechzehn ete. Teile oder Blastomeren zu teilen. Das See- igeleı kann man künstlich ın einzelne Blastomeren, so in zwei, vier, acht oder sechzehn etc., teilen. Diese Teilung kann entweder durch mechanische (Schüttelung) oder durch chemische Agentien bewirkt werden. Wenn die Blastomeren getrennt sind, so könnte man erwarten, dass die einzelnen Blastomeren, also die Hälfte, das Viertel, Achtel oder das Sechzehntel des ursprünglichen Eies, die Hälfte, das Viertel, Achtel oder das Sechzehntel des Organismus und nicht den ganzen Organismus geben würden. Doch das geschieht nicht. Die einzelnen Blastomeren entwickeln ganze Organismen, ganze Larven, ganze Plutei, nur proportional verkleinert und keine organische Teilstücke. Der Teilung und Trennung in einzelnen Blastomeren sind Grenzen gesetzt und wenn diese Grenzen überschritten werden, wird auch die morphologische Einheitlichkeit geschädigt. Betrachten wir jetzt die innere Zweckmäßigkeit des Orga- nischen. A. Jedes Organ hat einen zweckmäßigen Bau, durch welchen es für eine gewisse Leistung befähigt wird, z. B. in dem langen N ED Nr A . 7 2 “n° 1° 3 E . . . Vater] Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 607 Knochen sind die Knochenlamellen in der Richtung des stärksten Zuges und Druckes angeordnet. Die innere Fläche der Hufe ist lamellös gebaut, um eine stärkere Verbindung mit der Haut zu er- möglichen. Die Chalazen des Vogeleies ermöglichen den Embryonen das Verbleiben in schwebender Stellung. Die Spiralen in den Tracheen sind so geordnet, dass sie eine größere Elastizität ermög- lichen. Manche Spermatozoen haben einen komplizierten Bau, um das Eindringen in das Ei zu erleichtern. Das sind die Fälle der strukturellen Zweckmäßigkeit. B. Die funktionale Zweckmäßigkeit umfasst die bekannte Fähig- keit vieler aktiver Organe, besonders der Drüsen und der Muskeln, durch welche sie durch den Gebrauch und Übung stärker und durch den Nichtgebrauch schwächer werden. Roux hat für diese Er- scheinung zwei Gesetze formuliert, welche folgendermaßen lauten: 1. Die stärkere Funktion vermehrt das Organ nur in jenen Dimensionen, in welchen die stärkere Funktion ausgeübt wird; 2. die stärkere Funktion verändert die qualitative Zusammensetzung des Organs und vermehrt seine spezifische Tätigkeit. Bekanntes Beispiel ist das Wachstum der Muskeln in zwei Dimensionen durch den Gebrauch, also sie werden dieker. Wenn man eine Niere herausschneidet, so wird die andere stärker und voluminöser durch die Leistung der Funktion der beiden Nieren. Die Haut wird unter dem Einflusse des Druckes stärker. Hierher gehören auch die geschiedenen Formen der Extremitäten, z. B. die Laufbeine des Pferdes mit dem dritten verlängerten Finger, Grabfüße des Maul- wurfes, Sprungfüße des Känguruh. Weiter gehören hierher die muskulösen Magen des Krokodils und der Vögel ete. Ö. Die reflexive und instinktive Zweckmäßigkeit um- fasst alle jene Reflexe und Instinkte, Bewegungsmechanismen, Tro- pismen, welche unter dem Einflusse verschiedener Reize der Außen- welt (Licht, Temperatur, Gravitation ete.) oder bisher unbekannter innerer Faktoren entstehen und hervorgerufen werden und sie schützen die Organismen durch ihren Mechanismus vor den äußeren, schädlichen Einflüssen oder sie geben Zeichen, dass etwas im Inneren des Organısmus gestört ist. So orientiert uns die Empfindung des Hungers oder des Durstes über die Bedürfnisse der Nahrungsverhältnisse; die Empfindung des Schmerzes orientiert uns über die schädlichen Einflüsse und unan- genehmen Existenzbedingungen. Die Pupille kontrahiert sich bei starker Beleuchtung. Das Schwitzen dient zur Erniedrigung der Tempe- ratur. Durch Husten und Niesen werden fremde Körperchen beseitigt. Die Haut des Pferdes wird bewegt zum Schutze vor den un- erträglichen Insekten. Wenn man einer Eidechse den Schwanz er- greift, so autotomiert sie ıhn, d. h. er wird in der Gefahr abgetrennt und die Flucht ermöglicht. 608 Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 3. Die äußere ZweckmäBßigkeit besteht im folgenden: Jeder Organısmus steht in einem gewissen Verhältnis gegen die Umwelt durch seine zweckmäßige Organisation, welche an die äußere Um- gebung angepasst ıst oder durch ein einzelnes zweckmäßiges Organ, welches die Erhaltung gegen die äußere Umgebung durch die zweckmäßige Form und Funktion fördert. Weiter hat jeder Orga- niısmus bis zu einem gewissen Grade die Fähigkeit, an die neuen äußeren Verhältnisse sich anzupassen, um dadurch sich die Be- dingungen für die weitere Existenz zu schaffen. Jeder Organısmus ist in seinem Ernähren, Entwickelung und Fortpflanzung an dıe äußeren Existenzbedingungen angewiesen und wenn sich diese plötzlich und ın sehr großem Grade ändern und der Organısmus ist nicht imstande, sich anzupassen, so muss er entweder sterben oder verkümmern. Dass die äußeren Verhältnisse einen großen Einfluss auf die Organismen haben, zeigen die Unterschiede zwischen den Tieren, welche auf dem Lande, im Wasser, in Meerestiefe oder ın der Luft leben. Die Mammalien, die Wale, werden in ihrer Organisation den Fischen ähnlich. Die Vögel, die Pinguinen verlieren die Flug- fähigkeit und ıhre Flügel werden verkümmert, weil sie sich an das Festland gewöhnt haben. Bei den Parasiten sieht man den unmittelbaren Einfluss der Umwelt am besten; unter dem Einflusse einförmiger Verhältnisse verlieren sie ihre komplizierte Organisation und umwandeln sich in einfache Säcke, welche nur für das Aussaugen der Nahrung vom Wirte fähig sind. Die äußere Zweckmäßigkeit äußert sich ın dem gesamten Bau und Form der ganzen Form. Die sich freibewegenden Organısmen sind gewöhnlich bilateral symmetrisch, die festsitzenden aber radial gebaut. Die spirale Umdrehung bei den Schnecken dient zur Er- leichterung des Tragens von inneren Organen. Die äußere Zweckmäßigkeit ist besonders in den Fällen der Schutzfärbungen, der protektiven und aggressiven Farben, welche die Grundlagen des Darwinismus bilden, hervorgehoben. Die Vogel- eier haben gewöhnlich Schutzfärbung und sie sind vielmals .der Um- welt sehr ähnlich; die weiße Farbe findet man nur bei denjenigen Arten, welche ıhre Eier in die Erde oder ın den Sand begraben. Die protektiven und aggressiven Farben findet man hauptsächlich beı den Tieren der arktischen Zonen und der Wüsten. Von den arktischen Tieren sind zu erwähnen: Eisbär, Polarfuchs, Lemming, Schneehahn ete. Einige Tiere sind in zweifacher Weise angepasst; im Winter sind sie weiß, ım Sommer grau. Von den Wüstentieren haben protektive und aggressive Farben: Löwe, Antilope, Schlangen, Eidechsen, Geckonen und Insekten. Tryxalis ist in dem sandigen Teile der Iybischen Wüste hellgefärbt, im steinigen dunkelgefärbt. Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 609 Die pelagischen Tiere sind hell, glasartig und durchsichtig; so z. B. Ctenophoren, Heteropoden, Salpen, Alciopiden und manche Krebse. Grüne Farben haben jene Insekten, welche ım Gras oder auf den Ästen leben; so z. B. bei den Grylliden, Wanzen, Raupen, Spinnen und Mücken. Die Raupen passen ihre Farben bei einigen Familien in ihrer ersten Jugend der Umgebung an. Die Bartgrundel wird auf hellem Untergrunde hell gefärbt, auf schwarzem dunkel, auf orangefarbenem orange gefärbt, wie ich aus eigenem Versuche erfahren habe. Die Anpassung eines Tieres an die Umgebung oder an eine andere Form kann bis zu einem solchen Grade vorkommen, dass es uns scheint, als ob der betreffende Organısmus der anderen Form oder der Umgebung nachahmen würde; so ıst z. B. Kallima paralecta sehr ähnlich dem Blatte. Das gleiche gilt von Pierochroa aus Süd-Brasilien oder Phyllium, genannt das wandernde Blatt. Während die Insekten den Blättern nachahmen, gibt es eine Pflanze aus Süd-Afrika, Mesembryantemum bolussi, welche den Steinen nachahmt und ıhre Farbe ist der jeweiligen Umgebung ähnlich. Den Ästchen schauen Selenia tetrahunaria und Baeillus rossi aus ete. Es seien noch einige Mimikry-Beispiele erwähnt. So ahmen die Danaiden der Familie Papilioniden nach. Die Danaiden haben giftige Körpersäfte und zeigen sogen. Schreck- oder Warn- farben, d.h. lebhafte Farben, welche die Aufmerksamkeit der Vögel auf sich lenken und zugleich von sich abschrecken sollen. Farbe, Form und Zeichnung, sogar die Flugweise sollen nachgeahmt werden. Die Mimikry-Fälle sind nicht nur bei den Schmetterlingen, sondern auch bei den anderen Tierformen vorhanden. So wird Mygnimia aviculus vom Coloborhombus fasciatapennis und Vespa crabro von Sesia crabroniformis nachgeahmt. 4. Die arterhaltende Zweckmäßigkeit zeigt sich darin, dass es sehr viele Vorrichtungen, Organe gibt, welche dem Träger derselben von keinem Nutzen sind, aber sie fördern die Arterhal- tung. Sie zeigen sich besonders in den Organen oder Funktionen (Instinkten), welche in Verbindung mit der Sexualität und dem (ie- schlechte stehen. Bierher gehören alle Bildungen, welche im Dienste der je größeren Produktion der Keimzellen stehen (Größe und aus- giebige Ernährung der Geschlechtsdrüsen); Kopulationsapparate; Farben, Düfte, für die Anlockung des anderen Geschlechts; die Blütenfarben, Nektarien zur Anlockung der Insekten, Hectokotylien von Saepien, verbreitete Tarsen mancher Insekten, Hirschgeweih, Stoßzahn vom Narwal, kammartige Rückbildungen der Tritonen, große Augen von Drohnen und Mücken, welche so groß sind, dass sie sich manchmal (Bibio, Dilophus) berühren und zur Erleichterung des Auffindens vom anderen Geschlechte dienen. Weiter gehören 610 Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. hierher die Hochzeitsfärbungen mancher Vögel, Amphibien und Reptilien. Kurz gesagt, die primären und sekundären Geschlechts- charaktere. I Wir haben gesehen, dass die Organismen nach der gewöhn- lichen Auffassung sehr viele zweckmäßige Erscheinungen haben; es scheint als ob eine Gruppe dieser Erscheinungen den Zweck haben würde, die Einheit der Organismen zu erhalten; die andere zeigt die innere Harmonie in der Struktur, Funktion und Instinkten und Reflexen, welche wieder scheinbar dazu dienen, um den Orga- nismen die Erhaltung zu erleichtern; die dritte Gruppe der Er- scheinungen bildet die Summe jener Vorgänge, welche durch ihre Zweckmäßigkeit den Schutz der Organismen gegen die Umgebung und die Anpassung ermöglichen; die vierte Gruppe dagegen ist zum Erhalten der Art bestimmt. Es war nicht möglich, alle Erschei- nungen in jeder Gruppe anzuführen, weil man dazu die ganze Bio- logie mit den Hilfswissenschaften wiederholen sollte; es wurden nur markantere und für die ganze Gruppe typischere Fälle ange- geben. Verlassen wir diesen statischen, teleologischen Standpunkt. Wir wollen die Erscheinungen nicht bewerten und uns nur der Analogie vertrauen, sondern betrachten wir den Gang und die Dynamik der Lebenserscheinungen. Wenn wir in die Dynamik der Lebenserschei- nungen eindringen wollen, werden wir bei dem Begriff Regulation uns begegnen, welcher, obwohl er nicht so alt ist, dennoch den Eindruck macht, dass er durch seine Bedeutung und allgemeine Anwendbarkeit alle biologischen Erscheinungen umfassen wird. Schon Spencer hat über die Adjustierung der inneren Be- dingungen im Organısmus an die äußere gesprochen. Unabhängig von ihm hat Roux ım Jahre 1881 den Begriff Selbstregulation in der Ausübung aller Funktionen sowohl der Be- triebs- als auch der Gestaltungsfunktionen als allgemeine charakte- ristische Eigenschaft der lebenden Wesen aufgestellt und zugleich gezeigt, dass diese Annahme notwendig sei. Roux betont es in seiner Arbeit, dass die Selbstregulationen der lebenden Wesen als Regulationen eines physikalisch-chemischen Systems nicht als ein Ausdruck irgendeines unbekannten Faktors aufzufassen sind. Driesch, der sich mit den Regulationen viel beschäftigt hat, definiert diesen Begriff folgendermaßen: Regulation ıst ein am lebenden Organismus geschehender Vor- gang oder die Änderung eines solchen Vorganges, durch welchen oder durch welche eine irgendwie gesetzte Störung seines vorher bestandenen „normalen“ Zustandes ganz oder teilweise, direkt oder indirekt, kompensiert und so der „normale“ Zustand oder wenigstens eine Annäherung an ihn wieder herbeigeführt wird. Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 611 Die Schwäche dieser Definition besteht ın dem Begriffe des Normalen und ın der dadurch bedingten Beschränkung der An- wendbarkeit vom Begriffe Regulation. Unter Regulationen werden wir daher alle jene morphologische, physiologische und biologische Prozesse oder Erscheinungen verstehen, welche bei den inneren oder äußeren Änderungen be- wirken, dass der Organismus sıch als biologisches System erhält, entweder dadurch, dass er seine Norm, also die morphologische Einheit, oder dadurch, dass er die Norm irgendwie ändert, aber er hört nicht auf als biologisches System zu bestehen’). Nach dieser Auffassung werden wir die Regulationen in vier Arten teilen: 1. In die formative, 2. endogene, 3. exogene und 4. ın die biologische Regulation. 1. Unter der formativen Regulation verstehen wir alle Er- scheinungen, welche nach der Störung der organischen Form die Wiederherstellung der gestaltlichen Norm bewirken. In diese Art gehören fast alle Regenerationserscheinungen und embryogenetische Experimente mit Eiern, Blastulen, Gastrulen und mit entwickelten Embryonen, weiter einige Transplantationsversuche und einige Vorgänge bei der Metamorphose. Wir wissen über die Regeneration, dass sie allgemeine Eigen- schaft der Organısmen, unabhängig von der Verlustwahrscheinlich- keit oder Bedeutung des Organs ist. Die Regeneration ist eine allgemeine und ursprüngliche Eigenschaft der Organısmen und fällt mit der phylogenetischen Höhe so, dass die näheren Verwandten ähnliche Regenerationsfähigkeit haben, die spezialisierten Gruppen dagegen regenerieren weniger. Die Regeneration fällt je älter das Tier ist. Die Regeneration kann als eine Folge der Störung‘ des physı- kalischen und chemischen dynamischen Gleichgewichtes betrachtet werden und dann erscheinen als eine automatische Wıiederherstellung der verlorenen Quantität und Qualität; sie zeigt sich dadurch als eine Art der Regulation (Przibram). Die Regulation und die Regeneration gehen nicht immer in gleicher Richtung, denn durch die Regeneration können auch Monströsitäten, Doppel-, Dreifach- und Mehrfachbildungen entstehen. Wenn wir z. B. bei der Linea parallel der Base und senk- recht darauf in den Fühler einschneiden, so wachsen zwei neue Fühler und wir bekommen eine Dreifachbildung. Die Versuche von Tornier mit den Kröten sind in dieser Richtung bekannt; 5) Diese Auffassung und die Einteilung der Regulation ist zuerst in Glasnik Hrv. Prirodosl. Drustva, XXV, 1913, vorgebracht. 612 Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. bei denselben konnte Tornier durch geeignete Schnittführung in die Extremitäten Vierfach- und Sechsfachbildungen bekommen. Die Regulationsfähigkeit in der Embryogenese ist keineswegs unbegrenzt. Die Teilung und die Trennung hat ihre Grenzen, wenn man nicht Defektbildungen erzielen will. Eben wegen dieser Be- schränktheit der morphologischen Regulationsfähigkeit haben wir keinen trıftigen Grund, vitale Faktoren anzunehmen. Wenn die Regulationsfähigkeit unbegrenzt wäre und wenn es keine Defekt- bildungen gäbe, würden wir berechtigt sein zu behaupten, dass ein vitaler Faktor in den Lebenserscheinungen vorkomme, welcher die Einheitlichkeit der organischen Form reguliert und zugleich befähigt ist, die Defekte auszugleichen. Die Tatsachen zeigen aber, dass der Organismus nur unter den gewissen Verhältnissen in der Lage ist, seine Form wiederherzustellen, das andere Mal geht die Regu- lation in eine andere Richtung. Es besteht also Equilibrierung und keine eindeutige Bestimmtheit des Verlaufes der Erscheinungen. Die Formregulation bildet nicht nur neue Teile, wenn die alten durch irgendeine Ursache verschwunden sind, sondern sie umfasst auch jene Erscheinungen, bei welchen einige Teile zerstört werden. Sie kann also auch negativ verlaufen. Dieser Fall geschieht bei der Absorption der Larventeile. Das im Wachstum begriffene Tier kann von sich selbst einige Teile absorbieren, so z. B. die Kaul- quappe den Schwanz oder die Kiemen u. s. w. Diese Erscheinung könnte man physiologisch auch so auffassen, dass die durch die Lungen absorbierte Menge des Sauerstoffes durch die Veränderungen in die Kiemenregion und durch die unvollkommene, anfängliche Atmung verringert wird und das Blut, welches bis zum Schwanze kommt, nicht in der Lage ist, die nötige Menge des Sauerstoffes zu liefern und dass infolgedessen die Gewebe degenerieren und durch die Phagozytose aufgefressen werden. Hierher gehören auch Erscheinungen der Morpholaxis. Wenn man zwei Tiere bei den Regenerationsversuchen vereinigt, so wachsen sie gewöhnlich nicht zusammen, aber es geschieht dennoch, beson- ders bei Hydra und Planarien, dass sich die vereinigten und ange- nähten Teile zweier Tiere nicht trennen, sondern durch eine Um- formung des Materials einen neuen Organismus bilden. Wenn man z. B. auf die vordere Hälfte einer Hydra die hintere Hälfte der anderen transplantiert, so wächst aus diesen zwei Teilen ein Exemplar von normalen Proportionen ohne weitere Verände- rungen. Das Resultat ändert sich aber, wenn die zusammen- gewachsenen Teile kürzer oder länger sind als in der normalen Hydra. Wenn der vordere und hintere Teil von der Hälfte kleiner sind, so entsteht eine neue kurze Hydra, aber später werden die Dimensionen vergrößert und es wächst eine Hydra von normalen Proportionen und typischer Form aus. Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 613 Wenn die aufgepflanzten Teile von der Hälfte der normalen Hydra länger sind, so entsteht eine lange Hydra, welche sich aber nicht verkleinert, wie sich umgekehrt die kurze Hydra vergrößert hat, sondern sie trennt sich in zwei Stücke. In diesem Falle sehen wir, dass die Vorgänge der Formregulation von der Größe des Materials und nicht von dem inneren unbekannten Faktor abhängig sind. Zwei ähnliche Versuche geben entgegengesetzte Resultate; das eine Mal entsteht kurze Hydra von a manmmelien Größe der typischen Hydra und das andere Mal lange Hydra und dann zwei neue Hydren, von denen die eine aus dem Vorderteil, die andere aus dem Hinterteile auswächst. Der Vorderteil bildet einen neuen Fuß, der Hinterteil aber ein neues Köpfchen mit dem Tentakel- kranze. Aus allen diesen Beispielen sehen wir, dass die formative Re- gulation allgemein vorkommt; sie kommt während der embryonalen Entwickelung der Organismen, sie besteht bei den erwachsenen Indi- viduen, wie das die Regenerationsversuche am besten beweisen. Die formative Regulation erscheint weiter auch unter den ganz abnormalen Versuchsbedingungen (Transplantation), sie dokumentiert sich dadurch als eine allgemeine ursprüngliche Eigenschaft nicht nur der normalen, im Wachstum begriffenen und erwachsenen, sondern auch der unter den experimentellen Bedingungen vor- handenen, fast kranken Organismen. 2. Endogene Regulation umfasst alle jene regulativen Er- scheinungen, welche auf die inneren, aufeinander wirkenden Wechsel- erhelmnse der Teile des Organısmus oder der Teile auf die Ganz- heit zum Gegenstand haben. In diese Gruppe gehören alle regulativen Vorgänge, welche mit dem Energie- oder Stoffwechsel oder mit irgendeinem physikalisch- chemischen Verhältnisse in Zusammenhang stehen. Die Regulation der Menge des Zuckers mit Hilfe der Bene: gehört eren der Überschuss von Zucker wird in der Form des Glykogens resorbiert, im Falle des Mangels von Zucker wird Glykogen in Zucker ver- wandelt. Der Organismus überhaupt zeigt im Zustande des Hungers die Regulation dadurch, dass er die durch die frühere Assimilation erworbenen Stoffe verzehrt und der Mangel der Nahrung ersetzt wird. Die Reservestoffe werden vor dem Hunger nicht verzehrt und während des Hungers geht die Verzehrung in einer gewissen Ord- nung. Zuerst wird der ganze Stoffwechsel verlangsamt; die Ver- zehrung der Reservestoffe beginnt mit Fettgewebe; weniger werden die Muskeln und die inneren Organe und am wenigsten das Gehirn und Blut verbraucht. Bei den Pflanzen dagegen nehmen die jüngeren den älteren Organen die Nahrung weg. XXXIL 40 614 Nederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. Ähnlich ist die Regulation vom Sauerstoffe. Wenn der Sauer- stoff ungenügend wird, tritt die sogen. intramolekulare Atmung ein; diese Atmung besteht im Zerfall noch unzersetzten, fast unbekannten Verbindungen, womit der Mangel des Sauerstoffes ersetzt wird. Die Immunität während der Krankheit gehört in die endogene Regulation. Wıe schon bekannt ıst, erträgt der Organısmus nach den periodischen Injektionen der organischen Giftstoffe auch solche Giftmengen, durch welche sonst der Tod hervorgerufen wird. Die Immunität wird entweder dadurch erreicht, dass die Leucocyten die schädlichen Objekte aktıv beseitigen und dadurch den normalen Gang der Lebensvorgänge und die Erhaltung des Organismus als biologisches System ermöglichen oder die Regulation besteht ın der Hervorrufung der Bildung der Antitoxine seitens der Toxine, wo- durch die Wirkung der Toxine paralysiert wird. Die Bildung der Antitoxine wird durch Injektion des Blutserums irgendeines aktıv- immunen Organismus ermöglicht. Der Organismus kann nicht immer die Antitoxine im Verhältnis zu der Menge der Toxine bilden, aber die Bildung derselben wird durch die Injektion kleinerer Mengen erleichtert. Die Bildung der Antitoxine zeigt wie die Versuche mit Blasto- meren, Grenzen der organıschen Regulation; in dem ersten Falle der formativen, in dem zweiten der endogenen. Energetische Regulationen sind: die Menge CO, ım Blut wird durch den Druck des Blutes reguliert und dadurch die Intensität der Atmungsbewegungen, durch die Temperatur der Umwelt die Zirkulation des Blutes ın der Haut und dadurch die Körperwärme. Die Transpiration der Pflanzen wird durch die Nässe der Luft reguliert. Zum Schutze von der Plasmolyse ın sehr konzentrierten Lösungen bilden einige Pflanzen mehr osmotisch wirkende Sub- stanzen und dadurch regulieren sie den Turgor, bei den Bakterien dagegen setzt sich die Durchdringlichkeit der Oberfläche nach der Änderung des Mediums in Gleichgewicht mit dem Medium. In die endogene Regulation gehören auch alle Korrelations- erscheinungen der Teile ım ÖOrganısmus. Durch die Korrelation werden die Teile im Organismus in eine Einheit vereinigt. Die Korrelation beruht auf den physiologischen und chemischen Ver- hältnissen und auf dem Nervensystem. Das Nervensystem ver- emigt alle Teile des Organısmus mit dem Zentralorgan und bewirkt die Einheitlichkeit der Bewegungen. Durch das Nervensystem werden auch die formativen Erscheinungen reguliert; so z. B. wenn man das Augenganglion mit dem Auge bei dem Krebse exstirpiert oder vernichtt, so regeneriert eine Antenne auf der Stelle des Auges (Heteromorphose). Es ist schon lange bekannt, dass ein enges Verhältnis zwischen den Geschlechtsdrüsen und sekundären Sexualcharakteren bei einigen x Seterov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 615 Wirbeltieren existiert. Die Geschlechtsdrüsen körnen künstlich oder durch Krankheit oder durch anormale Entwickelung beseitigt werden. Wenn ein Hirsch kastriert wird, so entwickelt er kein Geweih oder wenigstens nicht ein solches, wie es bei dem normalen Männchen vor- handen ist. Der Hahn entwickelt nach der Kastration keine Schmuck- federn, der Kamm bleibt unvollständig und er kann nicht so singen wie gewöhnlich. Die Eunuchen haben keinen Schnurrbart und ihre Stimme ist hoch wie bei den Weibern. Alle diese Eigentümlich- keiten zeigen, dass die Kastrierung die Entwickelung der sekundären Sexualcharaktere hindert, und die Kastraten bleiben auf einer niedrigeren Entwickelungsstufe stehen und darum sind sie ähnlicher den Weibchen. Die Korrelation reguliert also die Entwickelung der Organe. Die Exstirpation der Ovarien hindert die Entwicke- lung der Milchdrüsen bei den Kaninchen, Meerschweinchen und Hunden. Dieser Einfluss der Sexualorgane wirkt durch die innere Se- kretion. Wenn man die innere Ausscheidung gewisser Stoffe künst- lich unmöglich macht, so hindert man dadurch die Entwickelung entiernter Körperteile. So ruft die Beseitigung der Schilddrüse den Idiotismus und Formveränderung des Körpers hervor. In der Natur findet man einstweilen ähnliche Versuche, so z.B. wenn der parasitische Copepode, Sacculina fraissei, die Krebsart Stenorhynchus angreift, wodurch die Genitalorgane vollständig ver- nıchtet werden, so zeigt das Männchen weibliche Charaktere, — kleinere Scheren und breiteren Schwanz. Die Weibchen dagegen umgekehrt kleinere abdominale Füße, welche für die Männchen charakteristisch sind. 3. Die exogene Regulation tritt dann auf, wenn irgendein Faktor ın der äußeren Welt so verändert wird, dass dadurch die Änderung der Verhältnisse in dem Organismus und zugleich die Regulation hervorgerufen werden kann. In die exogene Regulation gehören mehr oder weniger alle Bewegungserscheinungen (Tro- pismen). Es seien hier dıe Gedanken von Jennings angeführt. Nach Jennings stellt der Organısmus einen Komplex von zahl- reichen Vorgängen dar, von chemischer Veränderung von Wachs- tum und von Bewegung, die alle mit einer gewissen Energie vor sich gehen. Diese Vorgänge sind in ihrem ungehinderten Ab- laufe von Beziehungen zueinander und von den Beziehungen zu der Umgebung, welche diese Prozesse selbst bedingen, abhängig. Wenn irgendwelche von diesen Funktionen aufgehoben oder ge- stört werden, infolge einer Veränderung der Beziehung zu- einander oder zu der Umgebung, so fließt die Energie in an- dere Richtungen hinüber und bringt verschiedene Veränderungen hervor, in der Bewegung und auch in chemischen und Wachstums- vorgängen. 40* 6516 Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen, Diese Veränderungen verändern die Beziehungen der Prozesse zueinander und zu der Umgebung und beseitigen die Beeinträch- tigung, welche die Ursache der Veränderung war. Darauf hört die Veränderung auf, weıl kein Grund zu den weiteren Veränderungen vorhanden ist, und der erreichte Zustand wird beibehalten. Die exogene Regulation bezieht sıch nicht nur auf die physiologischen, sondern auch auf die morphologischen Verände- rungen. Diese Veränderungen können mit den äußeren Faktoren gleichgerichtet sein, d.h. die Veränderungen gleichen die Organismen mit den äußeren Faktoren aus oder sie sind nicht gleichgerichtet und die Regulation, wie sie auftritt, führt zu keiner Ähnlichkeit mit den äußeren Faktoren. Die erste Art der Regulation nennen wir homeodrome exo- gene Regulation, die zweite heterodrome exogene Regu- lation. Tower hat gefunden, dass neue Mutationen resp. Mutanten in ziemlicher Zahl unter den extremen äußeren Verhältnissen er- scheinen. Die Koloradokäfer Zeptinotarsa müssen der Wirkung der extremen Bedingungen dann ausgesetzt werden, wenn eine Schicht der Eier die Reifungsperiode überstanden hat; ın dem Falle kann man die Eier so beeinflussen, dass von diesen Mutanten entstehen. 4 Männ- chen und 4 Weibchen von Leptinotarsa decemlineata sınd unter der extremen Wärme (durchschnittlich über 35°C.) und großer Trocken- heit und zugleich unter dem niedrigen atmosphärischen Drucke während des Wachstums und Reifung der drei Schichten von Eier 8 gehalten worden; nach der Eierlegung sind die Tiere in die nor- malen Verhältnisse zurückversetzt. Von 506 Larven sind 96 Käfer erzogen worden; von diesen waren 82 Leptinotarsa pallida, 2 Lep- tinotarsa immaculothorax und 14 unveränderter Art. Die Versuche von Tower zeigen uns einen Fall von hetero- dromer exogener Regulation morphologischer Natur; hohe Tempe- ratur hat nicht auf die Erhöhung der physiologischen Temperatur gewirkt, sondern Veränderungen in den Gonaden hervorgerufen, welche so groß waren, dass sie Artunterschiede hervorgebracht hatten. Alle adaptiven Reaktionen gehören in die exogene Regulation, Wenn die Bartgrundel, Nemackilus, auf hellem Untergrunde hell, auf dem dunklen dunkel, und auf dem orangefarbenen orange gefärbt wird, so sind das Fälle von homeodromer exogener Regu- lation mehr oder weniger physiologischer Natur. Aber nicht nur das Licht, sondern auch die Temperatur bewirkt eine Regulation der Farben; Anolis, eine Eidechsenart, wird in der Wärme grün, in der niedrigen Temperatur dunkel gefärbt. Das ist ein Fall hetero- dromer Regulation physiologischer Natur. ne a > Sederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 617 Farbenveränderungen können auch morphologischer Natur sein, wie es die Versuche von Standfuß, Fischer, Merrifield und G. v. Linden zeigen; sie gehören in die morphologische hetero- drome Regulation. Die Menge der heterodromen Regulationen ıst größer als die der homeodromen; dıe Mehrzahl der äußeren Faktoren ruft hetero- drome Regulationen hervor, was verständlich ıst, denn die Orga- nismen sind zu kompliziert für die Hervorrufung einfacher und gleichgerichteter Veränderungen seitens der äußeren Faktoren. Die Ausgleichung ist bedeutend schwieriger wegen der Verwickeltheit der organischen Erscheinungen. Der Organısmus von äußerster Kompliziertheit wird durch äußere Fa*toren als System gestört und die Störung bezieht sich auf mehrere Faktoren, welche keines- wegs ähnlich und von gleicher Natur sind, wie die Ursache der Veränderung. Darum ist auch die Regulation nicht gleicher Natur, homeodrom, wıe der Faktor, die Ursache der Veränderung. In die biologische Regulation rechnen wir jene Equili- brierung im Leben einer organischen Art, welche infolge der Hyperproduktion der Geschlechtsprodukte entsteht und durch die Beschränktheit des Raumes und der Lebensbedingungen den Kampf ums Dasein hervorruft. Der Kampf ums Dasein bewirkt die Ver- nichtung weniger angepasster Individuen und dadurch beeinflusst er den Gang der Artbildung. Kurz gesagt, die Selektionstheorie wird unter dem Begriffe „biologische Regulation“ umfasst. Die Selektion reguliert die Existenz der Organismen und beein- flusst das Überleben der mehr angepassten Individuen durch die Vernichtung der weniger angepassten. Sie wirkt auch auf die Ent- stehung sogen. passiver Adaptationen, obwohl alle passiven Adap- tatıonen nicht durch Selektion entstehen. Die Selektion wırkt mög- licherweise weiter auch auf dıe Entstehung der sekundären sexuellen Charaktere. I Wir haben die vier Arten, die formative, endogene, exo- gene und biologische Regulation betrachtet. Für erste drei Arten haben wir einige Beispiele aus der Experi- mental-Biologie genommen; diese experimentellen Fälle haben größeren Wert als die rein beschreibenden, weil sie durch die Ge- nauigkeit und Exaktheit der Beobachtung gestatten, die Erschei- nung der Regulation zu isolieren. Der Mangel der exakten Beob- achtung schadet am meisten der Selektionstheorie und wegen dieser Mangelhaftigkeit ıst sie auch von den exakten Forschern wenig anerkannt. Wenn wir die vier Arten der Regulation mit den zweckmäßigen Eigenschaften vergleichen, so bemerken wir, dass die formative Regulation die Einheitlichkeit der Organismen und älle mit der 615 Nederov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen, morphologischen Einheit zusammenhängenden zweckmäßigen Eigen- schaften umfasst; die endogene Regulation umfasst jene Erschei- nungen, welche sich auf die innere Zweckmäßigkeit, auf die funk- tionelle, strukturelle und reflexive beziehen und zugleich einen Teil der ersten Klasse von zweckmäßigen Eigenschaften, besonders die physiologische Einheitlichkeit der Organismen; die exogene um- fasst die äußere Zweckmäßigkeit des Lebens, und die letzte Art, die biologische Regulation, die arterhaltende Zweckmäßigkeit. Was für Verbindungen hat die Zweckmäßigkeit und die Regu- lation ? Die Zweckmäßigkeit wie der ganze teleologische Standpunkt stellt uns die Statik ın der Auffassung des Lebens; sie konstatiert vorhandene Tatsachen, wertet dieselben, aber sie erklärt uns nicht die Entstehung der Eigenschaften. Es ıst unmöglich, auf Grund dieses statischen Standpunktes die Entstehung der Zweckmäßig- keit und der zweckmäßigen Eigenschaften, also die Dynamik der organischen Erscheinungen verstehen ohne vitalistische und anthro- pomorphe Faktoren, deren Wirkung die Entstehung der Zweck- mäßigkeit darstellt, vorauszusetzen. Die Beweise und Beispiele sind dafür Driesch mit der Entelechie, Reinke mit den Domi- nanten, Schneider mit der vitalen Energie und Bechterew mit seiner Energie und noch eine Liste der Forscher mit allen mög- lichen und unmöglichen Faktoren. Bei allen diesen Autoren wird ein Faktor, welcher subjektive Empfindungen hat, urteilt, wertet, menschenähnlich fühlt, in die Erklärung der zweckmäßigen Lebenserscheinungen eingeschleppt. Diese Auffassung hat weiter den Grund in der Tatsache, dass der teleologische Standpunkt aus der menschlichen psychischen Handlung entstanden ist und die Zweckmäßigkeit kann, wie es vom psychlogischen und logischen Standpunkte verständlich ist, nur auf Grund dieses Standpunktes verstanden werden. Nun fragt es sich: ist dieser Standpunkt berechtigt? Wir haben schon aus der früheren Darstellung die empirischen und logischen Fehler des empirischen teleologischen Standpunktes ge- sehen; nun fragt es sich, ist es berechtigt, die Dynamik mit einem statischen Standpunkte zu erklären, oder anders gesagt, kann die Wertung der Erscheinung zugleich ihre Erklärung der Entstehung sein? Wenn man die Frage so aufstellt, so wird die Antwort ne- gatıv sein. Die Dynamik kann durch kinetische oder dynamische Auf- fassung erklärt werden; diese Auffassung findet ıhre Lösung ın dem Begriffe der Regulation und der organischen Regulations- fähigkeit. Wir werden darum sagen, dass alle zweckmäßigen Eigenschaften des Lebens durch die Regulationsfähigkeit der Organismen ent- Secerov, Die Zweckmäßigkeit des Lebens und die Regulation der Organismen. 619 stehen. Die Regulation ist bei allen Organismen in größerem oder geringerem Maße vorhanden. Sie ist größer auf der phylogenetisch niedrigen Stufe. Weil die Regulationsfähigkeit bei den phylogene- tisch niedrigen Organismen groß war, war auch die Entstehung und Entwickelung der verschiedenen Formen ermöglicht und da- durch die Entwickelung der höheren Formen aus den niederen. Es ist möglich und wahrscheinlich, dass die Regulationsfähig- keit bei den ersten Organismen noch größer war als bei den jetzt lebenden niedrigsten Formen; auf diese Auffassung weist auch die durch Versuche bestätigte Tatsache hin, dass die phylogenetisch niedrigen Formen größere Regulation als phylogenetisch höhere haben. Wir glauben, dass es durch solche Auffassung des Begriffes Regulation möglich wird, auch die Steigung von den niederen zu den höheren Formen zu erklären. Die Steigung bewirkt Mannig- faltigkeit der Struktur und Funktion, aber dadurch verliert das Leben an Regulationsfähigkeit. Die Regulation wird bei den höheren Formen komplizierter; die endogene und exogene wird mit der biologischen ver- wickelt. Jede einzelne zerfällt weiter in mehrere Unterarten, weil die Struktur und Funktion komplizierter geworden ist. V. Wir haben gesehen, dass die Zweckmäßigkeit ihren Ursprung in der menschlichen Handlung hat, weil erfahrungsgemäß die Um- kehrung des Kausalitätsverhältnisses nur in der menschlichen Psyche existiert. In der psychischen Sphäre kann die Folge zugleich Ur- sache sein, also B (Folge) geht der A (Ursache) voraus. Dieses Finalitätsverhältnis zu leugnen, ist ohne Sinn, weil es durch Beispiel aus dem täglichen Leben bewiesen werden kann. Für uns ist folgende Frage von größerem Interesse, wie hat die Entstehung der Finalität stattgefunden oder ist das Verhältnis ein Ursprüngliches? Nach unserer Meinung ist die Finalität die Umkehrung des Kausalitätsverhältnisses, und die Umkehrung war durch die hohe Entwickelung der Assoziationszentren, große Mannigfaltigkeit der Assoziationsbahnen und durch die Lebhaftigkeit und Schnelligkeit der Reaktionen im Zentralnervensystem ermöglicht und bedingt. Alle diese Momente erklären wir uns aus dem Verhältnis A--B, das umgekehrte Verhältnis B—-A entsteht, und das geschieht nur bei den Organismen mit den obigen psycho-physiologischen Eigentümlichkeiten, wie sie wahrscheinlich nur bei den Menschen vorhanden sind. Die Umkehrung der Reaktionsweise findet man in der Chemie und in der Biologie, sogar bei den Entwickelungsvorgängen und 620 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. darum ıst die Umkehrung des Kausalıtätsverhältnisses in ein finales keineswegs eine vereinzelte Erscheinung. Durch die Umkehrung des Kausalitätsverhältnisses in ein finales, und durch die Übertragung des letzteren auf die biologischen Phäno- mene auf Grund der Analogie entsteht das Problem der Zweck- mäßıgkeit des Lebens. Die Zweckmäßigkeit des Lebens findet ihre Lösung einerseits, wenn wir den psychologischen Ursprung begreifen, anderseits, wenn wir den Begriff der Regulation als allgemeine organische Eigen- schaft auf die sogen. zweckmäßigen Eigenschaften des Lebens an- wenden. Experimentelle Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Kopulation und Eiablage beim Schwammspinner. Von Dr. Berthold Klatt. (Aus dem Zoologischen Institut der Kgl. Landwirtschaftl. Hochschule zu Berlin.) Als ich im vergangenen Sommer 1912 begann, Schwammspinner zum Zweck von Vererbungsstudien zu züchten, machte ich einige Beobachtungen, die den Schluss nahelegten, dass bei diesem Spinner „wischen Kopulation und Eiablage bestimmte kausale Beziehungen beständen. Um die Behauptung, dass Schwammspinnereier sich auch ohne Befruchtung entwickeln, zu prüfen, hatte ich einige Weibchen ohne Männchen belassen; während nun ın allen jenen Fällen, wo eine Befruchtung erfolgt war, kurz darauf, selbst bei eben erst geschlüpften Weibchen, eine normale große Eiablage anzutreffen war, sah ich, wie hier die Weibchen 5, 6 Tage warteten, ehe sie sich gleichsam zögernd an die Eiablage machten, die ein von einer normalen ganz verschiedenes Bild darbot: Es waren stets nur wenige, unregelmäßig abgesetzte, mit relativ viel Wolle be- deckte Eier. Als rudimentäre Eiablagen will ich sie im folgenden bezeichnen. Offenbar wird also durch den normalen Kopulationsakt ein Reiz oder ein Komplex von Reizen auf das Weibchen ausgeübt, der bei ıhm die normale Eiablage auslöst, und es war von Interesse, eine experimentelle Analyse dieser Reize zu versuchen. Als solche Reize konnten sowohl mechanische wie chemische in Betracht kommen. Was erstere anlangt, so war vor allem an taktile Reize, hervorgerufen durch die Einführung des Penis, zu denken. Was die chemischen Reize anlangt, so konnte es sich sowohl um eine Einwirkung des Nebendrüsensekretes handeln wie um eine chemische Reizung von seiten der Spermatozoen selbst. Es konnten schließlich auch mit der Füllung des Receptaculum Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 621 seminis etwa verbundene Dehnungsreize in — wiederum mecha- nischer Weise — die normale Eiablage auslösen. Wenigstens die ersten zwei Möglichkeiten schienen einer experi- mentellen Analyse zugänglich, wenn es nämlich gelang, einerseits solche Männchen, die nur noch die äußeren Genitalien (Penis und Genitalklappen), aber keine Nebendrüsen und Hoden mehr besaßen, andererseits Männchen, denen nur die Hoden genommen, die Neben- drüsen aber belassen waren, zur Kopulation zu bringen. Diese zwei Versuchsreihen, sowie erneute Beobachtungen an normalen Tieren, wollte ich im folgenden Jahre durchführen und beschaffte mir daher im Frühjahr 1913 größere Mengen von Schwammspinnern. Leider waren die Raupen in diesem Jahre ganz außerordentlich stark mit Tachinen und Darmkrankheiten infiziert, so dass der allergrößte Teil nach und nach einging. Um das noch übrig bleibende Material möglichst zu schonen und zugleich um die Versuche event. auch noch auf andere verwandte Arten auszudehnen, unternahm ich zu- nächst entsprechende Vorversuche am Weidenspinner, der ja etwas früher fliegt und somit ein geeignetes Material abgab, sich in die Technik besonders der Nebendrüsenexstirpation einzuarbeiten. Diese Versuche ergaben jedoch keine eindeutigen Resultate; weswegen ist schwer zu sagen. Vielleicht, dass diese Art die künstliche Haltung nicht so gut übersteht wie der sozusagen unverwüstliche Schwamm- spinner, und dass durch die Abänderung der äußeren Lebens- bedingungen die gesamte Physiologie des Tieres verändert wird, dass derartig feinste physiologische Mechanismen gestört werden. Vielleicht auch, dass die betreffenden Vorgänge, trotzdem beide Arten derselben Familie angehören, sich bei beiden doch etwas verschieden abspielen. Sind doch auch in dem männlichen Genital- apparat nicht unerhebliche morphologische Unterschiede festzustellen. Nach meinen Beobachtungen dürfte sich der Weidenspinner auch schon deshalb wenig für vorliegende Experimente eignen, weil der viel stumpfsinnigere Falter, soweit ich beobachten konnte, bei gleicher Lebensdauer eine längere Kopulationszeit besitzt als der Schwamm- spinner. (In einem Fall dauerte die Kopulation 30 Stunden.) Außer- dem ist der Weidenspinner viel schwerer zur Kopulation zu bringen, die anscheinend ebenso wie die Eiablage nur bei Nacht vollzogen wird. Alles Eigentümlichkeiten, welche einer klaren Deutung der Versuchsergebnisse Schwierigkeiten in den Weg legen. Denn schon in den ersten Tagen muss ja der Versuch beendet sein, wenn man nicht Gefahr laufen wıll, dass eine event. schon jetzt fällige rudi- mentäre Eiablage, wie sie für alleın belassene Weibchen charakte- rıstisch ıst, eintritt und die Resultate trübt. Ich will daher über diese amı Weidenspinner angestellten Versuche gar nicht erst weiter berichten und erwähne sie nur, um event. Nachuntersucher auf diese Schwierigkeiten aufmerksam zu machen. Nur die entsprechen- 622 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. den Versuche mit Schwammspinnern, der ein in fast jeder Be- zıehung günstigeres Objekt darstellt, sollen im folgenden dargelegt werden. Der Einwand, der gegen diese erhoben werden kann, ist anderer Art: Die Zahl der Versuche ist eine verhältnismäßig ge- ringe. Wenn ich trotz dieses von mir selbst am schwersten eınp- fundenen Mangels sie jetzt schon veröffentliche, so geschieht das deswegen, weil es mir zweifelhaft erscheint, dass ich im nächsten Sommer genügend Zeit finden werde, diese Versuche in dem wünschenswerten größeren Maßstabe mit zugleich erweiterter Frage- stellung durchzuführen, und weil außerdem gewisse Haupttatsachen mir auch jetzt schon als gesichert erscheinen. Einige kurze Vorbemerkungen noch, was das Material und die Versuchsbedingungen anlangt. Die für diese Versuche verwendeten Schwammspinner waren zum Teil als mittelalte Raupen ım Freien gesammelt, zum andern Teil stammten sie aus Eiern, dıe von einer bereits im Vorjahre vom Eı an ın Gefangenschaft gezogenen Gene- ration abgesetzt waren. Irgendwelche Unterschiede in dem uns hier interessierenden Verhalten von Kopulation und Eiablage habe ich zwischen diesen beiden Sorten nicht wahrnehmen können. — Die Behälter, ın denen die Falter zur Kopulation resp. zur Beoh- achtung eingesetzt wurden, waren etwa 15 cm hohe, 10 cm breite Einmachgläser, die mit Gaze zugebunden waren und auf die Seite umgelegt wurden, so dass die Luft ım Innern sich leicht erneuern konnte. Die Tiere setzten sich dann mit Vorliebe an der Gaze fest. Kontrolliert wurden die Versuche meist nur beı Tage, das erste Mal um 8 Uhr morgens, zuletzt um 8 Uhr abends. Während des Tages selbst waren sie fast ständig unter Beobachtung, da die Gläser in meinem Arbeitszimmer ıhren Platz hatten. Kontrolle während der Nacht fand nur in einigen besonderen Fällen statt und ist im Protokoll dann speziell vermerkt, während die vielfachen Tageskontrollen nur eingeschrieben wurden, wenn sie von besonderer Wichtigkeit erschienen. Nach diesen Vorbemerkungen gebe ich zunächst eine genauere Besprechung vom Verhalten normaler Tiere Die weitaus meisten Falter schlüpften während der Nacht und wurden dann bei der Mörgenkontrolle schon mit völlig entfalteten Flügeln an- getroffen. Eine genaue Angabe über das Alter der Tiere ist in diesem Falle somit nicht möglich. Indessen konnten sie natürlich nie älter als 12 Stunden sein. Die Weibchen wurden meist an einer vertikalen Wand des Gefäßes stıllsitzend angetroffen. Die Vorderränder der dachartig getragenen Flügel lagen der Unterlage an, die letzten Segmente, die bekanntlich eine bewegliche zapfen- artig vorspringende Legeröhre darstellen, waren etwas vorgeschoben. Schon im Laufe dieses ersten Tages wird die Legeröhre etwas weiter ee Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 623 vorgestreckt und man kann vielfach jetzt schon beobachten, dass sie ein wenig hin und her bewegt wird. Am nächsten Tage reckt sie sich noch etwas weiter heraus und zugleich sind die Flügel etwas von der Unterlage abgehoben. Gestört — etwa durch eine leichte Beschattung durch die Hand — legt das Tier sie sofort an, zieht wohl auch die Legeröhre etwas ein, um aber bald wieder die alte Haltung einzunehmen. An den folgenden Tagen steigert sich diese offenkundige Kopulationsbegier des Weibchens mehr und mehr. In einem der extremsten Fälle sah ich die Flügel hoch erhoben, ähnlich wie bei einem Tagfalter, der sie gerade entfalten will, das Abdomen gleichfalls nach hinten weit von der Unterlage abge- spreizt, die Legeröhre fast !/, cm weit vorgereckt ın starker hın- und hertastender Bewegung. Durch leichten Reiz wurde nur ganz flüchtig ein geringes Senken der Flügel erzielt. Natürlich variiert die Intensität der Kopulationsbegier bei den einzelnen Tieren, und auch die allmähliche Steigerung bis zu den höchsten Graden ist hinsichtlich der Schnelligkeit ihrer Entwickelung individuellen Schwankungen ausgesetzt. In der freien Natur dürfte es wohl über- haupt selten zu so hochgradiger Steigerung kommen, da stets Männchen in genügender Zahl vorhanden sein dürften, so dass die Weibchen meist schon am ersten oder zweiten Tage begattet werden. Und nach der Begattung habe ich nie wieder ein Ein- nehmen dieser Haltung beobachten können. Was die Kopulation selbst anlangt, so wird sie von den Männ- chen schon am ersten Tage ihres Lebens vollzogen. Doch auch hier kann man, wie mir scheint, ein ähnliches, allmähliches An- wachsen der Kopulationsbegier beobachten wie bei den Weibchen. Ehen geschlüpfte Männchen sitzen, wenn man sie mit einem Weib- chen ın das kleine Beobachtungsglas zusammenbringt, manchmal mehrere Stunden lang ruhig dicht neben dem Weibchen, ohne zu kopulieren; Männchen dagegen, die einen oder mehrere Tage isohert gehalten wurden, vollziehen oft fast momentan die Kopula. Der Ort, wo sich das Weibchen aufhält, wird ihnen offenbar durch den (Geruchssinn angegeben. Man kann diese für Schmetterhnge ja im allgemeinen schon lange bekannte Tatsache hier vielfach schön ın folgender Weise illustrieren: Wenn das Weibchen in dem umge- legten Glase wie gewöhnlich an der Gaze seinen Platz hat und das Männchen einige Zentimeter dahinter auf dem Boden des Glases sitzt, braucht man nur leise an dem Abdomen des Weibchens vorbei ın der Richtung des Männchens zu hauchen, um vielfach — nicht immer — die Antennen des Männchens einige rasche zitternde Bewegungen ausführen zu sehen, die durch den Hauch selbst jedoch unmöglich hervorgerufen sein können. Dann kriecht es in der Richtung des Hauchs heran und flattert auf das Weibchen zu, um dann nach dem üblichen kürzeren oder längeren Umflattern die Kopulation zu 624 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. vollziehen. Es wird dabeı die Hinterleibsspitze stets nach der dem Weibchen jeweils zugekehrten Seite abgebogen. Kommt es mit der rechten Seite heran, so biegt sie sich nach rechts, kommt es von Iinks, so nach links. Eine Prüfung der Frage, welche Reize wohl die bestimmte Richtung dieser Hinterleibsbewegung auslösen, habe ıch nicht voll durchgeführt. Dass die Sınnesreize, welche die jeweils dem Weibchen genäherte Körperseite treffen, es sind, welche die Reizung der gleichseitigen motorischen Zentren im Hinterleib und damıt dessen gleichsinnige Bewegung veranlassen, liegt auf der Hand. Ob es taktische Empfindungen, etwa durch die Flügel vermittelt, sind, die ja das Weibchen bei diesem Umflattern ständig berühren, oder ob es ın der Antenne der gleichen Seite lokalisierte Geruchsempfindungen sind, könnte man vielleicht durch Experi- mente entscheiden. Versuche mit normalen Männchen, denen die Flügel beim Auskommen verkrüppelt waren, gaben mir indessen keine eindeutige Auskunft, und die einseitige Amputation der An- tennen, die ja gleichfalls zur Analyse dieser Frage verwendet werden müsste, nahm ich nicht vor, um mein knappes Material nicht der Möglichkeit einer noch größeren Beschränkung auszusetzen. Es ist das ja auch eine Frage für sich, die mit dem Hauptproblem nur ın loser Beziehung steht. — Man kann übrigens Kopulationsversuche der Männchen auch auslösen, wenn das Männchen dicht unterhalb des Weibcehens an der Gaze ruhig sitzt, und man dann leicht gegen die Stelle der Gaze klopft, wo der Hinterleib des Weibchens sich befindet. Meist beginnt das Männchen dann sofort mit dem üb- lichen Umflattern. So kann man z. B. bei Männchen, die vor kurzem erst die Kopula vollzogen haben, oft wieder eine Erneuerung der- selben auslösen; besonders leicht, wie es scheint, wenn ihnen ein neues Weibchen zur Verfügung gestellt wird. Im allgemeinen allerdings liegt zwischen zwei normalen Kopu- lationen eine längere Zwischenzeit. Fälle, wie ein von mir beob- achteter, wo eın normales Männchen innerhalb von 8 Stunden fünf- mal mit einem Weibchen kopulierte, sınd selten. Normalerweise dauert eine Kopulation 2—4 Stunden). Dann folgen einige Stunden Ruhe. Noch nicht lange geschlüpfte Weibehen benehmen sich bei dem Anflug der Männchen wie bei jeder anderen Störung (s. oben). Sie legen die vorher gelüfteten Flügel an, ziehen auch die Lege- röhre völlıg ein, so dass das Männchen zuweilen lange Zeit braucht, um seine Hinterleibsspitze unter dem Flügelrand durchzuschieben. Weibchen dagegen, bei denen die Kopulationsbegier sehr gesteigert ist, behalten oft die Flügel erhohen, so dass man fast versucht wäre zu glauben, sie wollten dem Männchen entgegenkommen. Offenbar 1) Vgl. auch J. Meisenheimer, Experimentelle Studien zur Soma- und Ge- schlechtsdifferenzierung. 1. Beitrag, Jena 1909. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 625 liegt das aber an ihrer herabgeminderten Reaktionsfähigkeit gegen äußere Reize (s. oben). Wenn auch die Kopulation vom Männchen leicht bei Tage voll- zogen wird, so scheint die Kopulationslust bei Nacht resp. Dunkel- heit doch noch zu wachsen, wie mir entsprechende Kontrollen zeigten. Stets in der Dunkelheit, normalerweise also bei Nacht, scheint die Eiablage vollendet zu werden. Nur einmal konnte ich sie am hellen Tage beobachten, bezeichnenderweise bei einem Tier, das schon mehrere Tage, ohne kopulieren zu können, dage- sessen hatte, bevor ich ihm das Männchen beigab. Meist scheinen die ersten Nachtstunden zur Eiablage benutzt zu werden, wie ich bei einigen nächtlichen Kontrollen beobachtete. Durch künstliche Verdunklung des Glases kann eine Verfrühung der Eiablage hervor- gerufen werden (z. B. schon um 4 Uhr nachmittags in einem völlig dunkel gehaltenen Falle). Wie die Ablage der Eier erfolgt, darüber habe ich einmal in jenem oben zitierten Falle einige lückenhafte Beobachtungen anstellen können, wo das Weibchen bei Tage die Eier ablegte. Ich sah den Hinterleib in lebhafter Bewegung von rechts nach links und umgekehrt begriffen, und um besser sehen zu können, schnitt ich dem Tier die Flügel ab, wodurch es sich gar nicht stören ließ. Da sah ich denn, dass die Legeröhre bei diesem lebhaften seitlichen Hin- und Herbewegen des Hinterleibs aufs eifrigste arbeitete. Wie ein Finger fuhr sie tastend hierhin und dahin, glättete und presste die abgesetzte Afterwolle gegen die Unterlage. Die Eiabblage selbst habe ich indessen nicht beobachtet, da das Tier schließlich doch innehielt. Was uns nun besonders interessiert, ıst die Frage, wieviel Zeit zwischen Kopulation und Eiablage liegt. Da habe ich nun mit einer Ausnahme in sämtlichen Fällen gefunden, dass spä- testens an dem auf die Kopulation folgenden Morgen die Eiablage fıx und fertig da ist, gleichgültig, wie alt die kopu- lierenden Tiere waren. Ob das Weibchen bereits 4 Tage alt war, oder ob es in der Nacht selbst geschlüpft, also nur erst wenige Stunden alt war, am Morgen war die normale Eiablage da, sofern es nur mit einem normalen Männchen kopuliert hatte. Eine solche normale Eiablage ist gar nicht mit der später zu beschreibenden . rudimentären zu verwechseln. Es ıst stets ein großer, je nach der Größe des Weıbchens ein halbes bis mehrere Hundert Eier enthaltender, rundlicher oder länglicher, schwachgewölbter Klumpen, der so vollkommen mit der braunen Afterwolle überdeckt ıst, dass man keines der Eier sieht. Sie sind — bei näherer Untersuchung erkennt man das — sorgfältig reihenweise angeordnet; die oben angeführten Beobachtungen über die Arbeit der Legeröhre zeigen, wie ordentlich dabei verfahren wird. Der Eihaufen ist fest an die Unterlage angekittet. Die einzelnen Eier und die Wolle ebenfalls 626 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. fest zusammenhaltend. Das Weibchen bleibt nach erfolgter erster Ablage, wenn es nicht gestört wird, vor dem Haufen sitzen, in der Stellung, wie es das letzte Ei gelegt hat, und setzt in Zwischen- räumen noch einige kleinere Nachschübe von Eiern ab — anscheinend gleichfalls bei Nacht. In Fällen, wo die Männchen eine erneute Kopula mit einem solchen Weibchen eingingen — ohne dass dieses übrigens dabei seine Stellung veränderte — sah ich die Neuablage der Eier auch bei Tage eintreten. Die kopulationsbegierige Haltung wird indessen, wie schon gesagt, nie wieder eingenommen. Die zuletzt abgesetzten Eier sind oftmals nicht mehr mit Wolle zuge- deckt. Anscheinend weil diese schon völlig für die übrigen aufge- braucht ist. Nach Ablage der letzten Eier stirbt das Weibchen bald. Nur in sehr wenigen Fällen konnte ich im Leib der Ver- storbenen noch einige wenige nicht abgelegte Eier antreffen. Wie verhalten sich nun Weibehen, denen man dauernd die Männchen vorenthält? Über das Verhalten solcher Weib- chen in den ersten 4 Lebeustagen habe ich vorhin (S. 622 u. 625) schon berichtet: ihre hochgradige Kopulationsbegier bekundet sich durch starkes Abheben der Flügel und des Abdomens und lebhafte Bewegungen der weit vorgestreckten Legeröhre. Am Morgen des nächsten (d.) Tages — bisweilen noch später (am 6., 7., ja erst 8. Tag), selten früher (nur zweimal schon am 4. Tag) — sitzt das Weibchen mit der Unterlage genähertem Abdomen da und hat etwas Wolle abgesetzt, aber nicht fest wıe ein normales, begattetes Weibchen es tut, sondern so locker, dass man sie zum großen Teil fortblasen kann. Meist liegen in jedem Wollhäufchen ein oder einige wenige Eier, die gleichfalls nur locker angekittet sind. Am Tage nimmt es dann meist wieder seine kopulationsbegierige Hal- tung ein. Am nächsten Morgen eine erneute, ebenso rudimentäre las doch meist etwas er (6—10 Bier). Dann schließlich erfolgt am nächsten oder übernächsten Morgen eine Hauptablage, die nun aber ganz anders aussieht als eine normale. Wenn sie auch annähernd gleiche Ausdehnung wie diese erreichen kann: Die Eier sind unregelmäßig und meist weniger fest angeheftet, zuweilen so locker, De sie enehislllen. das Ganze nur wenig oder gar nicht mit Wolle überdeckt. aan ıst vielleicht len zu erklären, dass eine Menge Wolle schon für die ersten rudımentären Ablagen verbraucht ist und der Vorrat daher nicht mehr reicht. In einigen Fällen, und zwar in relativ mehr als bei normalen begatteten Weib- chen, habe ich ım Leib der Verstorbenen. noch gut ausgebildete Eier angetroffen, und zwar ın erheblich größerer Zahl (30—40 Stück). Was die Zahl der von mir genau kontrollierten Fälle angeht, so ıst diese, wie gesagt, eine verhältnismäßig geringe (8). Aber alle acht stimmen miteinander überein. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 627 Von normalen Kopulationen habe ich weit mehr beobachtet, allein in diesem Jahre 18, die genau kontrolliert und registriert wurden, jener zahlreichen Fälle ungerechnet, die ich bei meinen Vererbungsstudien in diesem und im Vorjahre beobachtete, ohne die genaueren Daten weiter aufzuzeichnen. Nur in drei Fällen habe ich gewisse Abnormitäten beobachten können. Sie seien hier nach dem Protokoll wiedergegeben. ie Ball: 21. VII. morgens 5 Uhr ein soeben geschlüpftes Weibchen mit 3 Tage altem Männchen zusammengesperrt. 10 Uhr vormittags in Kopula. 2 Uhr mittags nicht mehr in Kopula. 22. VII. morgens 8 Uhr Weibchen ohne Eiablage. Männchen entfernt. 23. VII. morgens 8 Uhr eine starke normale Eiablage. Das Abnorme an diesem Falle besteht darin, dass die Eiablage nicht in der auf die Kopula folgenden Nacht, wie sonst stets in solchen Fällen, sondern erst ın der nächsten Nacht vollzogen wurde. 2, Ball: 21. VII. mittags 3—4 Uhr. Weibchen geschlüpft. Allein belassen bis 23. VII. nachmittags. Sitzt da mit allen Zeichen höchstgradiger Kopulationsbegier. Ein an den Flügeln verkrüppeltes Männchen dazu gesetzt, das im Laufe des Abends mehrfach intensive Kopulationsversuche macht, ohne zum endgültigen Ziel zu gelangen. 10 Uhr abends ein wenig Wolle ohne Ei abgesetzt. 24. VII. zwischen 12 und 6 Uhr morgens ein wenig neue Wolle mit 5 Eiern. — Ein anderes in gleicher Weise verkrüppeltes Männchen dazu, das auch Kopulationsversuche macht, die ihm nicht gelingen. 25. VII. morgens S Uhr keine erneute Ablage. Weibchen in kopulationsbegieriger Haltung. Männchen entfernt. Männchen mit normal entwickelten Flügeln dazu gesetzt. Sofort Kopulation von mehreren Stunden. 6 Uhr abends eine normale große Eiablage, aber mit verhältnismäßig wenig Wolle wird begonnen. Das Zimmer war seit Mittag dunkel gehalten. Das Anormale besteht hier ın der ohne vorangegangen Kopu- lation bereits am Beginn des dritten Tages erfolgten Eiablage. An- scheinend handelt es sich um ein Tier, das viel früher als normal, auch ohne Beisein des Männchens zur rudimentären Eiablage ge- schritten wäre. Die hochgradige Kopulationsbegier bereits am zweiten Lebenstage spricht hierfür. Oder sollten etwa auch bloße Kopu- lationsversuche durch die damit verbundenen Reizungen eine solche rudimentäre Eiablage auslösen können? 3ekall 24. VII. morgens 8 Uhr. Weibchen in der Nacht vorher geschlüpft. 25. VII. abends 8 Uhr. Weibchen mit allen Zeichen der Kopulationsbegier. Männ- chen vom 22. VII. dazu gesetzt. Sofort Kopula. Das große, sehr starke Weibchen kriecht fort und entzieht sich dem Männchen. Sofort erneute Kopula. Dasselbe Manöver wie vorher. Wieder in Kopula. Weiter nicht beobachtet, daher zweifelhaft, ob dieselbe von Dauer ist. 625 v. Reichenau 7. 26. VII. morgens S Uhr. Weibchen vor einer festen Eiablage, aber nicht sehr viele Eier (fraglich. ob als normal anzusprechen). 27. VII. abends 8 Uhr. Weibchen hat an mehreren Stellen größere Eihaufen ab- gesetzt. Männchen tot. 28. VII. morgens S Uhr in erneuter Eiablage. Das Abnorme bei diesem Fall besteht darın, dass nicht eine große, normale Eiablage, sondern eine ganze Anzahl nicht ganz normal scheinender kleinerer vorgefunden wurde. Vielleicht erklärt sich dies so, dass das überaus lebhafte Weibchen mehrfach gestört wurde, daher den Platz wechselte und dann ın der Eiablage fortfuhr. (Schluss folgt.) Mainz. Am 1. September hat Professor Dr. von Reichenau, der langjährige, verdienstvolle Leiter des hiesigen Naturhistorischen Museums, einen Urlaub angetreten, von dem er nicht wieder in sein Amt zurückkehren wird. Das Mainzer Museum verliert in ıhm einen Mann, der ıhm über ein Menschenalter seine ganze Kraft, sein ganzes, reiches Wissen gewidmet, der es zu einer erstklassigen Anstalt empor- gehoben hat. Erwähnt sei hier die Gründung einer paläonto- logischen Sammlung, der Ausbau und die Neuordnung der Vogel- und der Insektensammlung, sowie eine den Anforderungen der Neuzeit entsprechende Aufstellung größerer Säugetiergruppen. Unter von Reichenau’ zahlreichen Veröffentlichungen sind neben seiner „Flora von Mainz und Umgebung“ besonders seine Arbeiten auf paläontologischem Gebiet zu nennen. In Anerkennung der letzteren wurde ihm durch die Universität Gießen die Doktor- würde honoris causa verliehen. Eine größere Arbeit über die fossilen Pferde soll in Kürze erscheinen. Hoffen wir, dass es der Stadtverwaltung gelingt, unter den sicherlich zahlreichen Bewerbern als seinen Nachfolger einen Mann zu finden, der so wie von Reichenau gründliches, vielseitiges Wissen mit aufrichtiger Liebe zur Natur und einer trefflichen Be- obachtungsgabe in sich vereinigt. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. jologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtzebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem der Zoologie vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXXIL 20.November 1913. il. Inhalt: Klatt, Experimentelle Untersuehungen zwischen Kopulation und Eiablage beim Schwamm- um ze spinner, — Semon, Die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s. — Hentschel, Uber die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise auf die biologische Systematik. — Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. — Mräzek, Enzystierung bei einem Süfswasser- oligochaeten. — v. Natzmer, Zur Psychologie der sozialen Instinkte bei den Ameisen. — Ruschkamp, Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. (Formica sanguinea-[usca-pra- tensis.) — Wasmann, Nachschrift. Uber pratensis als Sklaven von sanguinea. — Molisch, Mikrochemie der Päanze. — Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksiehtigung des Menschen. — De Vries, Gruppenweise Artbildung. Experimentelle Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Kopulation und Eiablage beim Schwammspinner. Von Dr. Berthold Klatt. (Aus dem Zoologischen Institut der Kgl. Landwirtschaftl. Hochschule zu Berlin.) (Schluss.) Entsprechend dem in der Einleitung angegebenen Versuchsplan kam es nun darauf an, zu sehen, welchen Einfluss eine durch Kastraten vorgenommene Kopulation auf die Eiablage aus- lösen würde. Zu dem Zweck hatte ich eine größere Anzahl Raupen (43 männliche) in dem fünften Lebensalter kastriert. Die Technik wich von der von Meisenheimer angegebenen insofern ab, als ich die Tiere nicht narkotisierte. Das Vorderende der Raupe wurde zwischen zwei Fingern gehalten, mit der Pinzettenschere ein leichter querer Schnitt am Rücken des Genitalsegmentes geführt, worauf, wenn es sich um eine männliche Raupe handelte, die großen Go- naden meist schon von selbst hervorquollen und mit der Pinzette entfernt wurden. Von einem Verschluss der Wunde nahm ich Ab- stand, da nach Erfahrungen, die ich bei früheren Kastrations- und XXXII. 41 630 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. Transplantationsversuchen gemacht hatte, einmal die Blutung von selbst steht und zweitens durch Kollodiumverschluss die Tiere leicht bei der nächsten Häutung stecken bleiben und so zugrunde gehen. Auch jetzt habe ich wieder kein einziges Tier während der Häutung eingehen sehen und die starke Sterblichkeit, welche die Tiere dezi- mierte (12 Puppen und nur 4 normal gebildete Falter), erklärte sich zum größten Teil durch die schon vorher vorhandenen außer- ordentlich zahlreichen Infektionen in meinen diesjährigen Beständen. Dass solcherart kastrierte Männchen ebenso leicht, womöglich sogar noch eifriger als normale kopulieren, ist ja seit langem be- kannt. Die Kopulationsdauer ist, wie schon Meisenheimer be- merkt, die normaler Tiere. Eskam nun nur daraufan, möglichst junge Weibchen auszuwählen, da beı älteren eine ohnehin etwa zu erwartende rudimentäre Eı- ablage das Versuchsergebnis trüben konnte. Sieben derartigen Ein- wänden nicht ausgesetzte Versuche konnte ich anstellen. In vier von ihnen waren die Weibchen beim Zeitpunkt der Kopulation noch nicht 24 Stunden, in drei Fällen noch nicht 2 Tage alt. Von diesen sieben Versuchen verliefen fünf übereinstimmend so, dass ebenso wie beiKopulationen durch normale Männchen spätestens am Morgen nach der Kopulation eine Ablage da war, aber dieselbe war eine rudımentäre wie bei Weibchen, welche ohne Männchen belassen waren’). Es wird also durch die Kopulation des Kastraten ein Reiz aus- geübt, der die Eiablage hervorruft, aber dieser Reiz ist nicht völlig adäquat dem, wie ihn normale Männchen ausüben. Auch etwaige erneute Kopulationen dieser Kastraten konnten keine normale Eiablage auslösen. Gleichgültig, ob die Weibchen nochmals kopulierten oder nicht, ihr Verhalten war von nun ab ganz dasselbe wie von Weib- chen, die nie kopuliert hatten, nur dass eben dieses Verhalten in- folge Kopulation mit den Kastraten verfrüht einsetzte. Die endgültige große Eiablage kam aber hier nicht früher, sondern entsprechend spät, wie bei solchen gänzlich unbegattet belassenen Weibchen. In einem Falle machte ich dann die Probe und ließ eines dieser Weibchen noch nachträglich mit einem normalen Männchen kopu- lieren und erhielt auch prompt die erwartete normale Eiablage, wodurch erwiesen wird, dass nicht eine Abnormität des Weibchens 2) Es ist von Bedeutung, dass Oudemans in seinem einzigen Versuch, wo er einen Vollkastraten kopulieren ließ, als Erfolg gleichfalls die Ablage von vier Eiern beschreibt, wonach das Tier zu legen aufhörte. „Ob es später dies fort- gesetzt haben würde, ist wahrscheinlich, blieb jedoch unbestimmt, da ich das Exem- plar tötete.“ (I. Th. Oudemans, Falteraus kastrierten Raupen, wie sie aussehen und wie sie sich benehmen. Zool. Jahrb. Abt. f. Syst., 1899.) Da Oudemans die Unterschiede zwischen normaler und rudimentärer Eiablage nicht kannte resp. sie für bedeutungslos hielt, ist diese von einem somit völlig unvoreingenommenen Beobachter mitgeteilte Tatsache für mich eine wertvolle Bestätigung. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 631 schuld an dem Verhalten dieser Tiere war, sondern eben die unzu- reichende Kopulation durch den Kastraten. Abnormitäten, die dem Weibchen an sich zukamen und nicht durch die Kopulation hervorgerufen waren, konnte ich in zwei Fällen konstatieren. Es sind gleichartige Abweichungen, wie sie oben für einige Fälle, wo normale Männchen kopulierten, beschrieben sind. Das Nähere sagen die Bemerkungen zum Protokoll, das ich hier folgen lasse und in dem bei der Wichtigkeit dieser Versuche alle sieben Fälle mitgeteilt werden. Porz] 19. VII. morgens S Uhr. Weibchen in der Nacht geschlüpft. Dazu 2 Männchen (Kastraten) vom gleichen Tage. 9 Uhr vormittags. Beide versuchen zu kopulieren; da sie sich gegenseitig hindern, wird der eine entfernt. ll Uhr vormittags. Männchen in Kopula. 2 Uhr mittags. Dieselbe beendet angetroffen. 4 Uhr nachmittags. Ein wenig Afterwolle, aber kein Ei abgesetzt. 20. VII. morgens. Etwas mehr Afterwolle und 4 Eier abgesetztzt. Nachmittags andauernde Kopulationsversuche; bis 5 Uhr nicht in Kopula. 21. VII. morgens ein Ei abgesetzt. Mittags in kopulationsbegieriger Stellung. . VII. morgens nichts Neues. 3. VII. morgens 2 Eier einzeln ohne Wolle abgesetzt (liegen frei im Glase). . VII. morgens weitere 4 Eier abgesetzt und ein drittes Häufchen von 10 Eiern mit wenig Wolle. 25. VII. morgens nichts Neues. 26. VII. morgens ein größeres Eihäufchen von ca. 40 Eiern. 27. VII. abends ein weiteres festes größeres Eihäufchen. 28. VII. morgens Weibchen tot. Kein Ei mehr im Leib. Bemerkungen: Das Männchen scheint am 21. gestorben zu sein. Im Protokoll ıst es vergessen worden, hierüber etwas mitzuteilen. Am 27. war erst am Abend das erste Mal kontrolliert worden. 2. Fall. DDOD PF ww 27. VII. ein Weibchen geschlüpft. 28. VII. morgens. Ein kastriertes Männchen in der Nacht geschlüpft. Beide zu- sammengesetzt. '/,10 Uhr morgens in Kopula angetroffen. ll Uhr vormittags diese gelöst. Männchen herausgenvmmen. 29. VII. morgens an einer Stelle nur ein wenig Wolle (fest), an einer anderen ebensoviel Wolle und ein Ei abgesetzt. 30. VII. morgens nichts Neues. Weibchen in wenig kopulationsbegieriger Haltung. 31. VII. morgens dasselbe wie tags zuvor. 1. VIII. morgens ein wenig Wolle abgesetzt, kein Ei. 2. VIII. morgens nichts Neues. 3. VIII. morgens nur etwas Wolle abgesetzt. 4. VIII. morgens Weibchen tot. Der Leib mit Eiern gefüllt. Bemerkungen: Hier fehlt also sogar die endgültige Eiablage. Das Weibchen war ein großes, starkes Tier und schien sonst ge- sund. Sein genaues Alter ıst nicht bekannt, da vom 26. abends 41* 632 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. bis 27. abends nicht kontrolliert war. Zur Zeit der Kopula war es jedoch höchstens 1'/, Tage alt. 3BalE 27. VII. ein Weibchen geschlüpft. 28. VII. vormittags 11 Uhr das Männchen von Fall 2 dazu gesetzt. 8 Uhr abends in Kopula. Dauer derselben unbekannt. Zwischen 10 und 2 Uhr nachts ist bereits etwas Wolle abgesetzt. 29. VII. morgens 6 Uhr noch etwas mehr Wolle und 6 Eier. Mittags neue Kopula. 30. VII. morgens nichts Neues abgesetzt. Am Hinterleib hängen Wollbüschel, die beim Aufheben des Glases abfallen. Männchen entfernt. 31. VII. morgens 2 Eier und ein wenig Wolle abgesetzt. 1. VIII. morgens große Anzahl von Eiern lose unten im Glase nebst loser Wolle. Weibchen tot. Kein Ei mehr im Leib. Bemerkungen: Bezüglich des Alters des Weibchens gilt das- selbe wie für Fall 2. Dieses hier war höchstens 2 Tage alt zur Zeit der Kopulation. 4. Fall. 21. VII. nachmittags 4 Uhr. Weibchen eben geschlüpft. Flügel etwas verkrümmt, sonst groß und kräftig. Dazugesetzt Männchen vom 19. VI. 22. VII. morgens 5 Uhr in Kopula. Morgens 7 Uhr dieselbe beendet. Bis abends 7 Uhr nichts Neues. 23. VII. morgens. Weibchen hat ein wenig Wolle, aber kein Ei abgesetzt. Nachmittags 3 Uhr Männchen entfernt. 24, VII. morgens nichts Neues, Normales Männchen vom 22. VII. dazu ge- setzt. Sofort Kopula von mehreren Stunden. Abends 8 Uhr eine größere normale Eiablage vollendet. (Das Zimmer war seit Mittag dunkel gehalten.) 25. VII. morgens nichts Neues. 26. VII. morgens ebenfalls. 27. VII. abends. Weibchen tot aufgefunden. Im Leib noch ca. 20—30 Eier. Bemerkungen: Dieses war der Fall, wo die Prüfung des Weib- chens durch nachträgliche Kopulation mit einem normalen Männchen stattfand. Sein Verhalten nach der Kopula entsprach der Erwar- tung. Sonderbar ıst nur die verhältnismäßig große Zahl von Eiern, die noch ım Leib zurückbehalten wurde. 5. Ball. 22. VII. morgens. In der Nacht ein Weibchen geschlüpft. 23. VII. nachmittags 3 Uhr Männchen von Fall 4 zugesetzt. Nachmittags 5 Uhr in Kopula. Abends 10 Uhr dieselbe gelöst. Eine Viertelstunde später setzt das Weib- chen Afterwolle ab (nicht so locker wie sonst, sondern fest), aber ohne Eier. 24. VII. morgens nichts Neues. 25. VII. morgens nichts Neues. Zwei normale Männchen vom 25. VII. morgens dazu gesetzt, die jedoch sicht kopulieren, und, da sie anderweitig gebraucht werden, am Abend herausgenommen werden. 26. VII. morgens nichts Neues. 27. VII. abends ebenso. 28. VII. morgens ebenso. 29. VII. morgens ebenso. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 3: > ) wi ww 30. VII. morgens ebenso. Das Weibchen macht eigentümlich stark zuckende Be- wegungen mit dem Hinterleib. 31. VII. morgens tot. Kein Ei im Leib. Bemerkungen: Dieser Fall ıst interessant deswegen, weil kein einziges Ei abgesetzt wurde und auch keines im Leib des Tieres sich vorfand. Es handelte sich zwar um ein recht kleines Tier, aber andere von gleicher Größe hatten doch immer wenigstens 40-50 Eier produziert. Ob es vielleicht bei mangelnder: Kopulation bisweilen zu einer Resorption der Eier kommt, wie das für manche Fische, wenn sie nicht abgelaicht haben, behauptet wird? ... oder lag hier ein Fall parasitärer Kastration vor? 6. Fall. 30. VII. morgens 8'/, Uhr. Ein Weibchen soeben geschlüpft. Flügel noch nicht entfaltet. Dazu das Männchen, welches schon in Fall 2 und 3 kopuliert hat. Durch Klopfen des Weibchens gereizt (s. darüber S. 624), versucht es sofort die Kopulation. Vormittags 10 Uhr in Kopula. 12 Uhr vormittags dieselbe beendet. 31. VII. morgens 7 Uhr trotz vorhergegangener Kopulation kein Ei und keine Wolle abgesetzt. Bis nachmittags 5 Uhr im Dunkeln gehalten. Um diese Zeit bei der Kontrolle beide Tiere dicht nebeneinander angetroffen, als ob sie eben kopuliert hätten. Beide sind darauf außerordentlich lebhaft. Auch das Weibchen fliegt herum. 6 Uhr nachmittags in Kopula. 8!/, Uhr abends dieselbe beendet, worauf das Weibchen wiederum heftig herumflattert. 9 Uhr abends etwas Wolle und 2 Eier abgesetzt. . VIII. morgens nichts Neues. . VIII. morgens nichts Neues. Männchen lebt nur noch schwach. . VIII. nicht kontrolliert. . VIII. morgens etwas Wolle und 2 Eier abgesetzt. Männchen tot. . VIII. morgens größerer Klumpen (ca. 30—40) von Eiern unregelmäßig und locker abgesetzt. Weibchen liegt im Sterben. Im Leib kein Ei mehr. - Bemerkungen: In diesem Fall handelte es sich anscheinend um ein anormales Weibchen. Sein Verhalten entspricht ganz dem auf S. 627 beschriebenen abnormen Fall eines Weıibchens, welches mit einem normalen Männchen kopuliert und auch erst in der über- nächsten Nacht seine Eier abgesetzt hatte. 7. Ball 19. VII. morgens ein Weibchen in der Nacht geschlüpft. 20. VII. morgens ein Weibchen, das mit allen Zeichen der Kopulationsbegier da- sitzt, hat ein wenig Afterwolle und ein Ei abgesetzt. 11 Uhr vormittags kastriertes Männchen vom 19. VII. dazu gesetzt. 1 Uhr mittags in Kopula angetroffen. 3 Uhr nachmittags dieselbe beendet. 21. VII. morgens 6 Eier abgesetzt. Mittags in kopulationsbegieriger Stellung. 4 Uhr nachmittags erneute Kopula. 6 Uhr nachmittags dieselbe beendet. 22. VII. morgens kleines Häufchen von 8 Eiern abgesetzt. om m 034 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 23. VII. morgens 7 weitere Eier dazu gelegt. 24. VII. morgens nichts Neues. 25. VII. morgens ein größeres, etwa 20 Eier haltendes Häufchen, abgelegt. 26. VII. nichts Neues. 27. VII. noch beträchtlich mehr Eier dazu gesetzt. 28. VII. morgens tot. Kein Ei mehr im Leib. Bemerkungen: Auch hier handelt es sich anscheinend um ein anormales Weibchen ganz entsprechend Fall 2 (s. S. 627), wo gleich- falls vorzeitig eine rudimentäre Eiablage sich fand. Wenn das Tier trotzdem zur Kopulation mit dem Kastraten benutzt wurde, so ge- schah es deshalb, weil kein anderes Weibchen zur Verfügung stand und weil ja auch geprüft werden sollte, ob nicht etwa eine normale Eiablage durch die Kopulation mit dem Kastraten ausgelöst werden kann, was aber auch in diesem Falle, wie man sieht, nicht geschah. Fehlten diesen eben beschriebenen Kastraten nur die Hoden selbst und waren die übrigen Teile des Genitalapparates erhalten, so kam es in der letzten Versuchsreihe darauf an, Männchen zur Kopulation zu bringen, denen auch noch die übrigen Teile des Genitalapparates, besonders die Samenblasen mit den Nebendrüsen genommen, die äußeren Genitalien aber geblieben waren. Ich dachte zunächst daran, das Herold’sche Organ, wie es Meisenheimer schon getan hatte, ım Raupenstadium zu exstirpieren. Es wäre in diesem Falle jedoch auch die Penisanlage mit entfernt und eine Kopulation unmöglich gemacht worden (vgl. die diesbezüglichen Angaben bei Meisen- heimer). Eine Entfernung der Nebenapparate auf dem Puppen- stadıum war insofern schwierig, als hier die Hauptentwickelung des Herold’schen Organs vor sich geht, seine topographische Ana- tomie also ein von Tag zu Tag wechselndes Bild aufweist und es somit schwer ist, den zur Operation geeigneten Zeitpunkt und Ort festzustellen. Es hätte also erst genauester Vorarbeiten an einem großen Material bedurft, die mir zurzeit unmöglich waren. Blieb also nur die Exstirpation der Nebenapparate am Falter selbst. Und diese war leichter als ich gedacht hatte. Auch hier arbeitete ich wieder ohne Narkose. Der Falter wurde an den über dem Rücken mit den Öberseiten zusammengelegten Flügeln erfasst, mit der rechten Seite auf eine Korkplatte gelegt und durch 3 oder 4 dicht neben dem Körper und schräg über die Flügel in den Kork ge- steckte Nadeln in dieser Lage fixiert. Dann wurden die Schuppen vom Hinterleib abgepinselt, darauf in die Haut des sechsten oder siebenten Abdominalsegmentes seitlich ein kleiner Einschnitt mit der Pinzettenschere gemacht und mit einer spitzen Pinzette die ge- rade unter der Wunde liegenden Organe gefasst und hervorgezogen. Nach einer Reihe vergeblicher Versuche hatte ich bald die nötige Klatt, Experimentelle Untersuchungen ete. 635 Erfahrung?) und erfasste mit ziemlicher Sicherheit die Samenblasen und den Ductus ejaculatorius, der herausgezogen und möglichst weit analwärts durchschnitten wurde. Samenblasen, Vasa deferentia und Hoden wurden nach Möglichkeit herausgezogen. Meist wurden auch andere Organe, besonders der Darm, Tracheen und Vasa Malpighi mit zerstört und fortgenommen, was den Tieren aber an- scheinend keine wesentlichen Störungen verursachte. Von einem Verband mit Kollodium wurde hier gleichfalls abgesehen, um die zur Kopulation nötige Beweglichkeit des Abdomens nicht zu beein- trächtigen. Die Tiere flatterten, sobald ich die haltenden Nadeln entfernte, aufs lebhafteste umher und versuchten, zu Weibchen gesetzt, sofort die Kopulation. Da es auch hier wieder darauf an- kam, die Tiere mit möglichst frischen Weibchen zusammenzusetzen (s. oben S. 630), und ich nur noch wenige Weibchen zur Verfügung hatte, konnte ich nur vier ın dieser Beziehung einwandfreie Ver- suche anstellen. Wie bei den Meisenheimer’schen Tieren, denen infolge Exstirpation des Herold’schen Organs der Penis fehlte, blieb es auch hier in drei Fällen bei andauernden Kopulations- versuchen. Nur einem der so operierten vier Männchen gelang es, die Kopulation zu vollziehen. Der Erfolg war derselbe wie bei den Kastratenversuchen: Es erfolgte eine sofortige, doch rudimentäre Eiablage. Die Sektion dieses Männchens ergab eine Durchtrennung des Ductus ejaculatorius in der Höhe des sechsten Abdominalsegments. Von allen oralwärts gelegenen Teilen des (renitalapparates, Samenblasen, Nebendrüsen, Vasa deferentia, Hoden nichts weiter zu finden. Von allen inneren Teilen des Genital- apparates also nur der fast in ganzer Länge erhaltene, mit dem Penis in intakter Verbindung stehende Ductus ejaculatorius vor- handen. Darm in der Höhe des sechsten Abdominalsegmentes durehschnitten und der mehr oralwärts liegende angrenzende Teil entfernt. Nervensystem, soweit bei makroskopischer Präparation zu entscheiden möglich, intakt. Ob diese letztere Tatsache oder das verhältnismäßig vollständige Erhaltensein des Ductus ejacula- torius*) oder noch andere Besonderheiten zu erklären, dass speziell diesem einen Männchen die Kopulation gelang, müssen umfassendere Versuche zeigen. Es folgt das Protokoll. 3) Beim Weidenspinner mit seinem dickeren Hinterleib ist diese Operation noch viel leichter mit gutem Erfolge und ohne andere Teile zu verletzen, auszu- führen; ein Vorzug dieser Spezies gegenüber den oben erwähnten Nachteilen. 4) Bei den übrigen operierten Männchen war dies nicht in diesem Maße der Fall und auch bei meinen Weidenspinnerversuchen war es charakteristisch. dass bei dem einzigen Männchen, welchem die Kopulation gelang, der Ductus ejacula- torius in beträchtlicher Länge erhalten war, während er bei vier anderen, die nicht kopuliert hatten, dicht hinter seiner Mündung in den Penis durchtrennt war. 29. VIE 26. VII. 2X NIT: 28, ‘VI. ZI VL: SO. VIE. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 1. Fall. nachmittags Weibchen geschlüpft. Abends S Uhr Männchen vom 24. VII. morgens dazu gesetzt, welches am 25. nachmittags 6 Uhr operiert worden war. Sofort lebhafte Kopulations- versuche, die jederzeit leicht durch Klopfen hervorzulocken sind. Keine Kopulation. 10 Uhr abends Männchen herausgenommen. morgens nichts Neues. Männchen wieder herzugesetzt. abends Männchen tot. Weibchen ohne Spur einer Eiablage. Operiertes Männchen von Fall 2 dazu gesetzt. morgens zweites Männchen auch tot. Weibchen setzt Wolle ohne Ei ab morgens. Weibchen hat erneute Wolle ohne Eier abgesetzt. morgens nichts Neues u. s. w. bis zum 4. VIII. morgens, wo das Weibchen tot ohne Eier im Leib angetroffen wird. Bemerkungen: Auch hier hatte das ziemlich kleine Weibchen keine Eier abgesetzt, noch solche nach dem Tode im Leibe (vgl. Fall 5 der Kastraten). 2.SoV1I: 26. ‚VIM. 27. VAL. 28. VI. 2I SV SUSSVIT. 3. VI: AL SVIET, 2. VII. ED Ya. 26. VL Aids WW LL SV DEN Damall morgens. Ein Weibchen in der Nacht geschlüpft. 7 Uhr abends Männchen vom 25. VII. morgens, welches soeben operiert: ist, hereingesetzt, sofort lebhafte Kopulationsversuche, ohne Erfolg. Zwischen 10 und 12 Uhr nachts gleichfalls lebhafte Kopulationsversuche, ebenso bei der Kontrolle am morgens 6 Uhr. Etwas Wolle ist abgesetzt, aber kein Ei. nichts Neues. Männchen heraus. Ein normales, aber an den Flügeln verkrüppeltes Männchen herein. morgens. Das Männchen, das schon am Abend vorher sehr schlaff war, hängt halbtot an der Gaze. Eine Kopula hat anscheinend nicht statt- gefunden. Sonst nichts Neues. morgens nichts Neues. morgens Männchen tot. Sonst nichts Neues. Anderes in gleicher Weise verkrüppeltes normales Männchen vom selben Tage herein. Keine Kopula beobachtet. morgens etwas Wolle, 2—3 Eier. morgens etwas Wolle, einige Eier. morgens große, aber nicht normale Eiablage. Kan. morgens. Ein Weibchen in der Nacht geschlüpfe. 8 Uhr abends. Soeben operiertes Männchen vom 23. VII. dazu gesetzt. Sofort lebhafte Kopulationsversuche. 10 Uhr abends Männchen tot. An seiner Stelle Männchen von Fall 1 herein, das bis 12 Uhr nachts andauernde Kopulationsversuche macht. Bei der Kontrolle nachts um 3 Uhr wieder mit Kopulationsversuchen be- schäftigt. . morgens 6 Uhr gleichfalls. Etwas Wolle, aber kein Ei ist abgesetzt. Männchen wieder heraus. An seiner Stelle ein normales Männchen vom 25. VII. abends hereingetan. Mittags in Kopula. . abends eine sehr große, normale Eiablage. . morgens. Weibchen lebt immer noch, hat inzwischen noch weitere Eier dazu gesetzt, die letzteren ohne Wolle. Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. 6537 6. VIII. morgens Weibchen im Sterben. Die Wolle bei dem sehr großen Tier völlig abgescheuert, im Leib kein Ei mehr. Bemerkungen zu den Fällen 2 und 3: Es ist darauf hinzuweisen, dass eine ganz minimale Menge von Wolle auch hier am Morgen nach den Kopulationsversuchen an der Gaze haftend vorgefunden wurde. Es ıst möglich, dass diese bei den ständigen Kopulations- versuchen der Männchen, die anscheinend auch in der Nacht an- dauerten (s. Protokoll), einfach abgeschabt wurde. Es wäre aber auch daran zu denken, ob nicht vielleicht auch schon die bloßen ständigen Kopulations versuche und die damit verbundenen mecha- nischen Reizungen beim Weibchen ein aktives Absetzen der Wolle ausgelöst haben. Diese Ansicht könnte gestützt werden durch den auf S. 627 beschriebenen abnormen Fall (s. Bemerkungen zu diesem). A=Kall: 27. VII. Ein Weibchen geschlüpft. 28. VII. nachmittags ein operiertes Männchen vom 27. VII. dazu gesetzt. 8 Uhr abends sichere Kopula beobachtet. 10 Uhr abends noch in Kopula. 29. VII. 2 Uhr morgens. Etwas Wolle und 2 Eier abgesetzt. 8 Uhr morgens noch ein Häufchen Wolle und ein Ei abgesetzt. 30. VII. morgens etwas Wolle und ein Ei abgesetzt. Männchen, das halb tot ist, heraus. 2 normale Männchen vom 29. VII. herein. 1/,10 Uhr morgens. Das eine in Kopula, die beim Kontrollieren gelöst wird. '/,11 Uhr vormittags erneut in fester Kopula. ®/,1 Uhr mittags dieselbe beendet. 4 Uhr nachmittags. Weibehen bei einer großen normalen Eiablage (das Zimmer war völlig dunkel gehalten). Beim Kontrollieren aufgeschreckt, kriecht das Tier umher. 7 Uhr abends wieder im Dunkeln gehalten, hat es den Rest der Eier ab- gesetzt und liegt tot da ohne ein Ei im Leib. Bemerkungen: Das Weibchen war zur Zeit der Kopulation mit dem .operierten Männchen höchstens 1!/, Tage alt (s. Bemerkungen zus Hall27S. 631). Durch meine Beobachtungen scheint mir als sicher festgestellt, dass die Eiablage beim Schwamnispinner je nachdem, ob eine normale Kopulation vorhergegangen ist oder nicht, in verschiedener Weise erfolgt. Im ersten Fall in der bekannten normalen Art, im zweiten Fall als eine rudimentäre, wie sie oben beschrieben wurde. Bei Kopulationen durch Männchen, denen eine Übertragung von Sperma unmöglich gemacht ist, wird eine Eiablage der letztgenannten Art veranlasst. Welche Reize es sind, die diese rudimentäre Ablage hervorrufen, ob nur die mechanischen Reize durch Einführung des Penis, ob chemische von seiten der Nebendrüsensekrete, kann aus den bisherigen Versuchen nicht geschlossen werden, da unbekannt ist, sowohl ob in dem einen Falle, wo ein der Nebendrüsen be- 635 Klatt, Experimentelle Untersuchungen etc. raubtes Männchen die rudimentäre Eiablage auslöste, nicht vielleicht doch etwas Nebendrüsensekret in dem verhältnismäßig lang er- haltenen Ductus ejaculatorıus vorhanden war und übertragen wurde, als auch ob in den von den Kastraten ausgeführten Kopulationen eine Ejakulation stattgehabt hatte. Aus gleichen Gründen bleibt es auch fraglich, ob die normale Eiablage in irgendeiner Art durch das Sperma oder durch Wirkungen des Nebendrüsensekretes ver- anlasst wird. Nur soviel kann Positives auf Grund meiner Ver- suche ausgesagt werden, dass die bloßen mechanischen Reize durch den Penis nicht den Reiz bilden, der die normale Eiablage aus- löst. -—— Es war ein Fehler in der Annahme vorhanden, von der ich ausging, nämlich die Voraussetzung, dass Männchen, denen die Hoden genommen, die Nebendrüsen aber geblieben waren, nun auch Nebendrüsensekret ejakulieren würden. Das braucht ja keineswegs notwendig der Fall zu sein. Es wäre sogar denkbar, dass über- haupt schon die Bildung des Nebendrüsensekretes bei auf dem Raupenstadium kastrierten Männchen unterbliebe. Denn wenn auch durch die umfassenden Meisenheimer’schen Untersuchungen solcher Kastraten, die völlig intakte morphologische Ausbildung des restierenden Genitalapparates nachgewiesen ist, so können der- artige Abänderungen in den feineren physiologischen Vorgängen doch vorhanden sein. Es sind also vor allem genauere histologische Untersuchungen über event. mangelnde oder vorhandene Sekretion der Nebendrüsenzellen bei normalen und kastrierten Tieren nötig, welche durch histologische Untersuchungen der weiblichen Genital- ausführwege vor und nach erfolgter Kopulation durch normale wie kastrierte Männchen ergänzt werden müssten. Nur durch solcherart kombinierte experimentelle und histologische Methoden wird man ermitteln können, welche Reize die normale, welche die rudimen- täre Eiablage auslösen. Zu einer möglichst vollkommenen Analyse der sich hier abspielenden Prozesse sind ferner nötig noch weitere genaueste Beobachtungen über die Art, wie Wolle und Eier bei den Weibchen unter den verschiedenen Bedingungen abgesetzt werden. Wenn solehe Untersuchungen vorliegen, wird man auch Nebenfragen entscheiden können, wie z. B. die, ob das vielfach be- obachtete, weniger feste Ankitten der Eier bei nicht normal be- gatteten Weibchen durch ein weniger sorgfältiges Funktionieren des Ablageinstinktes hervorgerufen wird oder etwa durch eine bei mangelnder oder unvollständiger Kopulation herabgesetzte Zell- tätigkeit der weiblichen Nebendrüsen. Auf alle Fälle ist es hier beim Schwammspinner möglich, das bei wirbellosen Tieren so gut wie gänzlich unbeackerte Gebiet der feineren Physiologie des Genitalapparates einer experimentellen Bearbeitung zu erschließen. Semon, "Die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s. 659 Die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s. Von Richard Semon. Auf die Ausführungen N. Wille’s in Nr. 5 des vorliegenden Bandes dieser Zeitschrift!) habe ich folgendes zu erwidern. Wille hat vor einiger Zeit?) die Auffassungen Schübeler’s über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten nach dem Tode dieses Forschers einer ausführlichen Kritik unterzogen. Wenn ich seinerzeit (Mneme, 2. Aufl., S. 86, Anm.) in bezug auf diese Kritik gesagt habe, ich wolle ihre „Berechtigung in anderen Punkten weder bestreiten noch zugeben“, so bedeutet dieser klare Wortlaut einfach einen Verzicht auf ein eigenes Urteil, nicht aber, wie Wille ganz falsch herausliest eine Andeutung, dass ich seine Kritik auch über die von mir näher ins Auge gefassten Punkte hinaus für wertlos hielte. Darüber ıst kein Wort zu verlieren. Um so entschiedener bin ich aber gegen einen bestimmten Teil der Wille’schen Kritik aufgetreten. Wille sagt dort (a. a. O., 1905. S. 563): „Schlägt man ın der erstgenannten Ar- beit („Kulturpflanzen“, S. 24) nach, so findet man, dass Schü- beler’s Versuche nur darin bestanden, dass er Samen verschiedener Pflanzenarten, welche in Kanada, Frankreich oder Deutschland ge- sammelt waren, in Norwegen (den größten Teil in Christiania, einige in Trondhjem) aussäen ließ; er beobachtete dann an den Samen eine Gewichtszunahme von bis 71%. Auf der anderen Seite ließ er Samen aus Norwegen in Breslau aussäen, wo man eine Gewichts- abnahme von 27,6%, feststellte. Diese Versuche sind jedoch im allgemeinen nur ein einziges Jahr lang und in Massenkultur aus- geführt worden und man hat keine Bürgschaft dafür, dass die aus- gesäten und die abgeernteten Samen nach einheitlichen Grundsätzen verglichen sind, da nämlich die Einsammlung an den verschiedenen Stellen von verschiedenen Personen vorgenommen worden zu sein scheint. Die Versuche ermangeln daher der wesentlichsten Be- dingungen, um wirklich als streng komparativ gelten zu können. Dass die Vegetationsdauer sich nach Norden zu stark verkürzt, schließt Schübeeler ebenda („Kulturpflanzen“, S. 26), wie es scheint, im wesentlichen aus dem, was man ihm über Getreideaussaat und Erntezeit in Alten (in Norwegen, 70° n. Br.) erzählt hat, sowie 1) N. Wille. Über die Veränderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Eine Antwort an Herrn Richard Semon. Biolog. Centralbl., 33. Bd., Nr. 5, 20. Mai 1913, S. 246—254. 2) N. Wille. Über die Schübeler’schen Anschauungen in betreff der Ver- änderungen der Pflanzen in nördlichen Breiten. Biolog. Centralbl., 25. Bd., 1905, S. 561—574. 3) Vgl. besonders die folgenden drei Werke F. ©. Schübeler’s: Die Kultur- pflanzen Norwegens. Christiania 1862. — Die Pflanzenwelt Norwegens. Christiania 1873—75. — Viridarium norwegieum. Christiania 1885, 1. Bd. 640 Semon, Die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s. aus den Angaben eines schwedischen Journals über Saat- und Erntezeit ın Piteä (65° 19 13“ n. Br.) aus den Jahren 1740—51 und in Upsala (59° 51‘ 34“ n. Br.) aus den Jahren 1747—52. Dass der Farbstoff in den Früchten nach Norden hin zunimmt, schließt Schübeler („Kulturpflanzen“, S. 29) aus sehr wenigen und keines- wegs einwandfreien Versuchen.* Jeder, der diese Ausführungen liest, muss unbedingt aus ihnen entnehmen, dass Schübeler eigene, unter seinen Augen ablaufende Versuche nur über die Veränderungen des Samengewichtes (diese im wesentlichen nur in einem Jahre) sowie über die Abnahme des Farbstoffes in den Früchten angestellt hat, während er nach Wille „wie es scheint“ die Veränderungen der Vegetationsdauer nur auf Grund fremder Angaben erschlossen hat. Dies und dies allein war und ist der springende Punkt meiner Gegenkritik. Ich bin aufgetreten gegen die Nichtberücksichtigung der über 12 Jahre ausgedehnten Experimentaluntersuchungen Schübeler’s über die Veränderung der Vegetationsdauer von Getreide, das er aus südlicheren oder nördlicheren Breiten nach Christiania versetzte und fortlaufend in drei, vier, ja fünf Generationen selbst kultivierte. Die Tatsache dieser Nichtberücksichtigung ergibt sich ohne wei- teres aus den zitierten Sätzen sowie den ganzen folgenden Aus- führungen Wille’s, die zehn Druckseiten umfassen, und sie bleibt auch nach den neueren, gegen mich gerichteten Auslassungen Wille’s bestehen. Nicht etwa nur um die in Breslau vorgenommene Gegenprobe handelt es sich dabei, auch nicht allein um die in den Jahren 1857 —59 vorgenommenen Experimentaluntersuchungen über die allmähliche Verkürzung der Vegetationszeit von besonders aus südlicheren Breiten importierten Getreiderassen, die W ille früher ebenfalls igno- riert hat und die er jetzt durch Hinweis auf meteorologische Daten zu entkräften sucht, auf die ich unten noch zurückkomme. Sondern ferner noch um die von Schübeler während der Jahre 1852—57 in Christiania ausgeführten Versuche mit Hühnermais (Pflanzenwelt Norwegens, $. 80, Viridarium I, S. 55), sowie um die Versuche mit aus Alten bezogenen Gerste, diei im Jahre 185963 vorgenommen wurden (Pflanzenwelt Na asen, S. 53, Viridarium I, S. 59): Alle diese Versuche hat W le er absolut igmorierh, Erst jetzt in seiner Erwiderung an mich schenkt er wenigstens den in den Jahren 1857-59 vorgenommenen Versuchen Beachtung und wendet nunmehr ein, diese 3 Jahre seien in Norwegen meteoro- logisch che, sogen. „Wunderjahre“ gewesen; ferner sei die Lage ir Kulturfläche in Christiania eine eigenartige (ein nach Süden abfallender Hang) gewesen. Nun wird aber durch diese jetzt von Wille herangezogenen Daten das Wesentlicheder Schübeler’schen Ergebnisse, die allmäh- Semon, Die Experimentaluntersuchungen Schübeler's. 641 lich fortschreitende Verkürzung der Vegetationszeit in keiner Weise erklärt. Wird nämlich, wie Wille angibt, eine frühe Reife- zeit in Christiania vorzugsweise durch hohe Wärme und Trocken- heit im Monat August hervorgerufen, so müsste die Vegetations- dauer im Jahre 1857 eine kürzere gewesen sein als ım Jahre 1859. Denn die Temperatur betrug im Mittel 19° C. ım August 1857, dagegen nur 16,7°C. ım August 1859; die Regenmenge betrug 21,1 im August 1857, dagegen 58,5 im August 1859. Der August des Jahres 1857 war also viel wärmer und trockener als der des Jahres 1859. Zieht man auch noch die Daten über dıe klimatischen Ver- hältnisse in den übrigen Monaten mit in Betracht, so lässt sıch aus ihnen ebenfalls ın keiner Weise ein Grund dafür herauslesen, dass das Klima des Jahres 1859 eine Frühreife mehr begünstigt habe als das des Jahres 1857. Ebensowenig erklärt sich daraus die Verkürzung der Vegetationszeit der nach Deutschland zurück- versetzten dritten Generation gegenüber der von dort herrührenden Stammkultur. Dies um so weniger, als ja, wıe Wille festgestellt hat, die Lage der Kulturfläche des neuen deutschen Standortes (Breslau) einer Frühreife keineswegs besonders günstig war. Diese nunmehr vorgebrachten Einwände treffen also den Kern der Sache, die von Schübeler beobachtete allmählich fort- schreitende Verkürzung der Vegetationszeit bei der Versetzung der Kultur in nördlichere Breiten nicht. Zudem handelt es sich, wie schon betont, bei diesen Schübeler’schen Experimentalunter- suchungen keineswegs bloß um die Jahre 1357 —59, sondern um den viel längeren Zeitraum von 1852 —1863. Auf keinen Fall recht- fertigt also dieser Einwand nachträglich ein vollständiges Tot- schweigen der die Vegetationszeit betreffenden Schübeler’schen Versuche. Es liegt mir fern zu bestreiten, dass diese Versuche mancherlei Fehlerquellen in sich bargen, und ich halte eine kritische Nach- untersuchung mit unseren jetzigen geschärften Methoden, vor allem Kultur ın „reinen Linien“ für durchaus erforderlich. Aber es ist doch ganz etwas anderes, Versuchsergebnisse nicht für einwandfrei zu halten, ihnen nicht viel Beweiskraft zuzutrauen, zu erklären, sıe „könnten höchstens als „Orientierungsversuche dienen“, wıe Wille es jetzt tut, als sie, wie er es in seiner eingehenden Kritik ge- tan hat, vollständig mit Stillschweigen zu übergehen und bloß die von unserem heutigen Standpunkt aus viel weniger schwerwiegenden anderen Argumente mit großer Ausführlichkeit zu widerlegen. Ich kann aber nicht umhin zu bemerken, dass Wille auch ın seiner letzten Publikation (1915) über die Werke seines Lands- mannes und Amtsvorgängers Angaben macht, die irreführend sind. So sagt er (S. 248): „Ich habe wirklich aber diesen Breslauer Ver- suchen nicht viel Beweiskraft im Vergleich mit den späteren Ver- 642 Semon, Die Experimentaluntersuchungen Schübeler's. suchen Schübeler’s durch 30 Jahre in Norwegen zugetraut. Und Schübeler selbst scheint später dieselbe Auffassung zu haben, er hat nämlich in der letzten Ausgabe (Viridarium norwegicum I, S. 151) nur ganz kurz (in 6 Zeilen) diese Breslauer Versuche er- wähnt, während er viele Seiten mit seinen anderen Beweisen an- führt. Herr Semon hat ja diese letzte Auflage nicht gelesen!“ Jeder Leser dieser Zeilen muss unbedingt aus ihnen entnehmen, dass Schübeler in seinen früheren Werken (oder Auflagen, wie Wille sie jetzt bezeichnet) längere Ausführungen über diese Versuche ge- bracht und dieselben im Viridarium gekürzt und mehr beiläufig gefasst, jedenfalls anders gebracht habe als früher. In Wirklichkeit aber ist die Fassung und der Umfang der betreffenden Ausführungen in den „Kulturpflanzen“ (1862, S. 28) und in der „Pflanzenwelt Norwegens“ (1873---75, S. 81) genau dieselbe wie „im Viridarium“ (I, S. 151), nur dass die deutschen 6 Zeilen ın der „Pflanzenwelt“ in 6 norwegische Zeilen im „Viridarıum“ übersetzt und zwar wört- lich übersetzt sind. Der einzige Unterschied ist der, dass Schü- beler in den beiden älteren Werken bezüglich der zahlenmäßigen Details auf die diesen beiden Büchern beigefügte tabellarische Über- sicht verweist, die die Resultate noch sehr vieler anderer Anbau- versuche mit den verschiedensten Pflanzen ın Christiania, Bres- lau, Alten und Throndhjem wiedergibt. Diese Tabelle ist im Viri- darıum nicht wieder mit abgedruckt; dafür weist aber Schübeler in einer besonderen Anmerkung auf sie hin unter Angabe der Seiten, wo sie in den „Kulturpflanzen“ (S. 24—25) oder in der „Pflanzenwelt Norwegens“ (S. 54-55) zu finden ist. Der Versuch Wille’s, Schübeler einen Meinungswechsel zu imputieren, ist also ebenso ungerechtfertigt wie der gegen mich erhobene Vorwurf, ich hätte in das „Viridarıum“ keinen Einblick genommen. Dieser Vorwurf ist nach dem eben Mitgeteilten nicht nur belanglos, sondern er ıst auch unbegründet. „Viridarıum norwegicum“ hat mir seiner- zeit im Exemplar der Münchener Staatsbibliothek vorgelegen, und ich habe meine Leser nur deshalb in einer eingeklammerten Be- merkung auf ein ım Biolog. Oentralblatt in deutscher Sprache er- schienenes Referat hingewiesen, weıl ein solches ausführliches Referat eines in norwegischer Sprache erschienenen, nicht überall zugäng- lichen Werkes für deutsche Leser wertvoll ist. Wie man daraus einen Vorwurf gegen mich konstruieren will, ist mir unverständlich. Ebenso unbegründet endlich ist der Vorwurf Wille’s, ich hätte die Untersuchungen L. P. Nilssen’s über die wirkliche Vegetations- zeit der Gerste in Norwegen nicht erwähnt und nicht berücksichtigt. In „Stand der Frage nach der Vererbung erworbener Eigenschaften“ (Fortschritte d. naturw. Forschung, 2. Bd., Berlin und Wien 1911, S. 37) sage ich darüber: „Bei der ‚vernichtenden Kritik‘ Nilssen’s handelt es sich überhaupt nicht, wie man aus den Angaben Semon, Die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s 643 Johannsen’s entnehmen müsste, um einen Widerspruch gegen die Experimentaluntersuchungen Schübeler’s, sondern um eine Kritik gewisser vegetationsstatistischer Angaben und Generalisationen, bei denen Schübeler geirrt oder nicht ganz das Richtige getroffen haben mag, die aber für die Beurteilung seiner experimentellen Leistungen vollkommen irrelevant sınd.“ Gegen das Ignorieren der Ergebnisse von höchst interessanten, ihrer Zeit weit vorauseilenden Experimentaluntersuchungen in der Wille’schen Kritik habe ich protestiert, und wenn ich es mir nicht anders erklären konnte, als dass dasselbe einem zufälligen Übersehen oder einem Auslassen des Gedächtnisses, dem wir ja alle unter- worfen sind, zuzuschreiben sei, so glaube ich auch heute noch, da- mit die mildeste Erklärung emes unzweifelhaften Fehlers gegeben zu haben. Es schien mir unmöglich, anzunehmen, Wille habe die Ergebnisse zum mindesten sehr schön ausgedachter und mühevoll durchgeführter Pionierexperimente in bewusster Absicht völlig un- erwähnt gelassen, während er die Argumente Schübeler’s, soweit sie sich auf die Angaben Anderer über Getreide- und Kartoffelbau im hohen Norden beziehen, einer höchst ausführlichen Kritik für wert erachtete. Nach seinen neuerlichen Äußerungen scheint es, dass ich mich in der Erklärung des Zustandekommens eines von ihm gemachten, unbegreiflichen Fehlers geirrt habe; der Fehler als solcher bleibt nach wie vor bestehen. Mein Protest gegen denselben war um so gerechtfertigter, als eine ganze Reihe von Autoren auf Wille’s Kritik hin nicht nur die sonstigen Ansichten Schübeler’s, sondern auch seine von Wille nicht berücksichtigten Experimentaluntersuchungen über die Verkürzung der Vegetationszeit für endgültig widerlegt angesehen haben. Meinen eigenen Standpunkt den Schübeler’schen Kultur- versuchen gegenüber habe ich wiederholt, z. B. Mneme, 2. Aufl., 1908, S. 88, 3. Aufl., 1911, S. 79, „Problem der Vererbung“, 1912, S. 63, 64) dargelegt und schließe mit einem Zitat aus letzterer Arbeit. Nachdem ich dort auseinandergesetzt habe, dass bei Schü- beler’s COhristiania-Versuchen die Möglichkeit einer durch zu frühes Ernten bedingter Auslese der frühreifen Individuen laut Wille’s eigenen Angaben über die Art des Erntens im südlichen Norwegen ganz fortfällt, fahre ich fort: „Dennoch ist die Möglich- keit nicht in Abrede zu stellen, dass bei den von Wille übersehenen Kulturversuchen Schübeler’s unbewusste Auslese in irgendeiner Weise eine Rolle gespielt hat. Diese Versuche, ebenso wie die verwandten von Hoffmann (1887), Cieslar (1890, 1895, 1899) und Wettstein (1902, 1903) sind nicht mit „reinen Linien“ oder Reinzuchten elementarer Arten vorgenommen worden, sondern mit Gemengen solcher, mit Populationen oder Phaenotypen, und es ist 644 Hentschel, Uber die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise etc. zuzugeben, dass alsdann bei solchen Massenkulturen ein vielleicht gar nicht immer erkennbarer Auslesefaktor mitspielen kann. Um wirklich beweisend zu sein, müssten diese Versuche an reinen Linien oder Äquivalenten reiner Linien angestellt werden.“ Das Schlussergebnis also ıst, dass die die Vegetationszeit be- treffenden Versuche Schübeler’s von Wille in seiner ersten Kritik (1905) ignoriert, nicht aber widerlegt worden sind, und dass sie durch die meteorologischen Daten, die Wille neuerdings (1913) bringt, ın ihrem Kern nicht berührt werden; dass sie aber, um eigentliche Beweiskraft zu erlangen, einer Nachprüfung mit modernen Methoden noch durchaus bedürfen. Über die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise auf die biologische Systematik. Von Ernst Hentschel (Hamburg). Jede Systematik beruht auf der Existenz verschiedener Arten von untereinander Ähnlichen Gebilden, dıe das Bedürfnis der über- sichtlichen Anordnung in uns erwecken. Diese Anordnung nach dafür zweckmäßig erscheinerden, möglichst aus der Natur der betreffenden Gebilde hergeleiteten Prinzipien heißt eben Systematik. Die Arten der Zoologie und Botanik sind Massen von Individuen, die als zusammengehörig betrachtet werden, weil sie im wesentlichen ın ıhren Merkmalen übereinstimmen. Die in einer Diagnose zu- sammengestellten Merkmale kennzeichnen den Begriff der betreffenden Art. Der Artbegriff setzt sich also aus Merkmalsbegriffen zusammen. Die Zusammengehörigkeit der verschiedenen, in einer Art vereinigten Merkmale ist uns in der Anschauung gegeben. Wir können ihr Zusammensein an den einzelnen Individuen viele Male beobachten. Die Merkmale sind räumlich und zeitlich aneinander gebunden. Unsere Vorstellungen von der Art und Weise dieser Zusammengehörigkeit sind jedoch wesentlich mannigfaltiger, als sie aus der einfachen Anschauung der „In-dividualität* entspringen könnten. Sie sind unter anderem mannigfaltig geworden durch die An- schauungen, die wir über ihren Ursprung gewonnen haben. Etwas einigermaßen Sicheres über den Ursprung von Merkmalen auszu- sagen, vermögen wir nur dann, wenn sie sich als Anpassungsmerk- male, als zweckmäßige Bildungen kennzeichnen. Wır können dann überzeugt sein, dass ihre Existenz zu den Bedingungen der um- gebenden Verhältnisse in Beziehung steht. Bei den meisten anderen Merkmalen ist uns über den Ursprung nichts einigermaßen Sicheres bekannt. Man wird vielleicht einwenden: Streng genommen wissen wir überhaupt nichts über den Ursprung von Merkmalen. Es würde Hentschel, Uber die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise ete. 64) aber augenscheinlich absurd sein, wenn man behaupten wollte, dass zu den Entstehungsbedingungen der Nagezähne des Bibers nicht die Existenz von Holz oder anderen nagbaren Stoffen gehört. Wenn nun eine Art durch gewisse unzweifelhafte Anpassungs- merkmale von anderen Arten ausgezeichnet ıst, so haben die An- passungsmerkmale augenscheinlich eine besondere Stellung unter den Merkmalen der Artengruppe. Sıe erscheinen gleichsam als etwas von außen an den Organismus Herangebrachtes. Sie gehören ge- wissermaßen weniger der Artengruppe, als der Umgebung an. Ihre Zugehörigkeit zu den übrigen Merkmalen ıst eine besondere. Wenn in den häufigen Fällen „konvergenter“ Anpassung die Umgebung verschiedenen, in sehr vielen Merkmalen einander fremden Tiertypen übereinstimmende Anpassungsmerkmale aufgeprägt zu haben scheint, so wird es noch deutlicher, dass diese Merkmale eine gewisse Unabhängigkeit von den übrigen Merkmalen haben. Dasselbe zeigt sich aufs klarste, wenn verschiedene Merkmale eines und desselben Tieres in Anpassung an verschiedene Eigen- tümlichkeiten der Umgebung entstanden sind, beispielsweise das Gebiss des Bibers ın Anpassung an dıe Nahrung, sein Ruderschwanz ın Anpassung an das Medium, in dem er lebt; oder die Barten eines Wals in Beziehung zum Planktongehalt, seine Flossen in Be- zıehung zu den mechanischen Eigentümlichkeiten des Wassers. Da wir über den Ursprung von nicht ausdrücklich als Anpas- sungsmerkmale gekennzeichneten Bildungen nichts Befriedigendes aussagen können, so ist es schwer, sich ein Urteil über die Art ihrer Zusammengehörigkeit zu bilden. Dass aber hier etwas Ähn- liches stattfindet, wie ın den besprochenen Fällen, zeigt sich darın, dass auch nicht adaptive Merkmale ın sehr verschiedenen Tier- gruppen wiederholt auftreten können. Als Beispiele dazu mögen Merkmale der Zeichnung bei Wirbeltieren, Gliedertieren, Mollusken u. Ss. w. dienen. Für alle Merkmale, adaptive sowohl wie nicht adaptive, ist aber ferner die Erfahrung von großer Bedeutung, dass wir Gattungs- merkmale, Familienmerkmale u. s. w. von den Artmerkmalen unter- scheiden können, oder, was die Verhältnisse richtiger und allgemeiner ausdrückt, dass wır neben den Merkmalen, die nur der Art ange- hören, andere und wieder andere finden, die immer größeren Kreisen von Arten gemeinsam eigentümlich sind. Wir legen bei dem Auf- bau des Systems diesen generelleren Merkmalen einen anderen Wert bei, als den spezielleren. Wenn mit bestimmten „Gattungsmerk- malen“ einmal diese, einmal jene „Artmerkmale“ verbunden sind, so ıst das ein Beweis, dass Gattungs- und Artmerkmale vonein- ander unabhängig sind. Ein bestimmtes Gattungsmerkmal kann in Verbindung, es kann aber auch außer Verbindung mit einem be- stimmten Artmerkmal vorkommen. Oder, um es ohne Beziehung XXXI. 42 646 Hentschel, Über die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise etc. auf die künstlichen Kategorien der Systematik auszusprechen: Eın Merkmal, welches bei einer größeren Zahl von Arten vorkommt, ist bis zu einem gewissen Grade unabhängig von jedem, welches nur einer geringeren Zahl von Arten angehört. Man wird also ganz allgemein sagen können: Die Merkmale einer und derselben Art sind bis zu einem gewissen Grade selbständig. Natürlich immer nur bis zu einem gewissen Grade. Es ist selbstverständlich und gehört zum Wesen des ÖOrganısmus, dass nichts in ihm ganz selbständig, ganz unabhängig sein oder auch nur gedacht werden kann. Auch wurde im vorstehenden schon darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Merkmale in verschiedenem Grade voneinander unabhängig sind. Das Prinzip der Selb- ständigkeit der Merkmale, das ja in etwas anderem Sinne aus der Vererbungslehre bekannt ist, lockert also für unsere Betrachtung die durch die Individualisierung anschaulich dargebotene Einheit der Art. Die Art wird dadurch gewissermaßen in ıhre Merkmale zerlegt. — Die Anordnung der Arten in einem System beruht auf ihren Übereinstimmungen und ihren Unterschieden. Um diese festzu- stellen bedarf es der Vergleichung. Da aber die Art begrifflich nur gleich der Summe ihrer Merkmale ist, müssen die einzelnen Merkmale verschiedener Arten miteinander verglichen werden. Man vergleicht die Größe oder Gestalt eines Körperteils einer Art mit der Größe oder Gestalt desselben Körperteils bei einer anderen Art. Es werden immer Merkmale, und zwar entsprechende Merk- male miteinander verglichen. Diese allen systematischen Untersuchungen eigentümliche An- schauung, dass Merkmale verschiedener Arten einander entsprechen, deutet auf eine andere Weise der Zusammengehörigkeit von Merkmalen hin, die mit der bisher besprochenen Zusammen- gehörigkeit im Individuum oder der Art nichts zu tun hat. Die einander entsprechenden Merkmale verschiedener Arten bilden ın einem gewissen Sinne eine Einheit. Diese zweite Art der Zusammen- gehörigkeit wird wieder, ganz wie die Selbständigkeit der Merkmale, besonders deutlich bei Anpassungsmerkmalen, weil sich da die ge- meinsamen Züge der betreffenden Merkmale, an denen wir ihre Zusammengehörigkeit erkennen, als Folgen gemeinsamer Ent- stehungsbedingungen verstehen lassen. Die Untersuchung ver- schiedener Arten in bezug auf dieZusammengehörigkeit ihrer Merkmale führt also einerseits zur Zerlegung der räumlich-zeitlich-anschaulichen Einheit der Art (des Individuums), andererseits zur Zusammen- setzung der begrifflichen und wohl kausalen Einheit der einander entsprechenden Merkmale. Die Gesamtheit der in einer solchen Einheit zusammengehörigen Merkmale will ich als „Merkmalsgruppe“ bezeichnen. Hentschel, Über die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise ete. 647 Ich möchte außer diesem Ausdruck hier noch zwei andere Bezeich- nungen, die sich auf den Merkmalsbegriff beziehen, einführen, näm- lich die Worte „Merkmalswert“ und „Merkmalsschema“. Unter Merkmalswert will ich das einzelne Merkmal im engeren Sinne verstehen, wie es zur Unterscheidung einer Art von der anderen gebraucht wird. Beispielsweise wenn Insekten nach der Zahl ihrer Fühlerglieder unterschieden werden, so sollen die einzelnen vor- kommenden Zahlen, z. B. 9, 13, 24 u. s. w., die Merkmalswerte sein. Oder wenn ich von der Farbe von Käferflügeln spreche, so sollen die einzelnen Farben, rot, braun, olivgrün, als Werte des Merkmals bezeichnet werden. Jenen allgemeinen Begriff aber, der gewisser- maßen die leere Form für die Aufnahme der einzelnen Merkmals- werte ist, das, wonach gefragt wird, wie z. B. Fühlergliederzahl, Flügeldeckenfarbe, und worauf mit der Nennung des Merkmalswertes die Antwort gegeben wird, das will ich „Merkmalsschema“ nennen. Diese drei Begriffe verhalten sich also derart zueinander, dass eine Merkmalsgruppe die Gesamtheit der Merkmalswerte ist, welche einem Merkmalsschema angehören. Betrachtet man die Merkmale, soweit das möglich ist, kausal, so wird man ohne weiteres zugeben, dass die Entstehungsbedingungen aller unter ein und dasselbe Schema fallenden Merkmale bis zu einem gewissen Grade die gleichen sein müssen, daß aber, insofern die Werte innerhalb des Schemas verschiedene sind, auch die Ent- stehungsbedingungen bis zu einem gewissen Grade verschieden sein müssen. Man wird sich also diesen Komplex der Entstehungs- bedingungen als etwas innerhalb der Gattung u. s. w. Veränder- liches vorstellen müssen. Wenn verschiedene Arten in bezug auf ein Merkmalsschema verschiedene Werte haben, so muss man ent- sprechende Änderungen des Bedingungskomplexes annehmen. Dies Verhältnis aber wird seinen besten Ausdruck in dem Funktions- begriff finden. Das Merkmal, als etwas innerhalb der Gattung Veränderliches, ist dann als Funktion seiner (unbekannten) Ent- stehungsbedingungen zu betrachten. Nun ist es ohne Zweifel nicht selten, dass verschiedene Merk- malsgruppen einer Artengruppe bis zu einem gewissen Grade von denselben Bedingungen abhängen. Für die einzelne Art äußert sich dies Verhältnis in Korrelationen. Betrachtet man Artengruppen, d.h. Einheiten mit veränderlichen Merkmalen (die „Art“ als konstant gedacht, die Variabilität vernachlässigt), so werden also verschiedene solche Merkmale Funktionen von den gleichen Veränderlichen sein. Dann müssen sie, wie das ja aus der Anwendung des Funktions- begriffs in der Mathematik, Physik u. s. w. bekannt ist, sich auch als Funktionen von einander betrachten lassen. Wenn diese theoretische Überlegung zu Recht besteht, so muss sich das in günstigen Fällen empirisch nachweisen lassen. Es muss 42 648 Hentschel, Uber die Anwendung der funktionalen Betrachtungsweise ete. sich durch Untersuchung verschiedener Merkmalsgruppen derselben Artengruppe zeigen, ob die betreffenden Merkmale voneinander abhängig sind, ob eine funktionale Beziehung zwischen ihnen be- steht. Während die Betrachtung der Merkmale als Funktionen ihrer Entstehungsbedingungen für sich allein von geringem Werte ist, verspricht ıhre Betrachtung als Funktionen von einander neue wissenschaftliche Resultate. Ich habe mich bemüht, derartige Fälle von Merkmalsfunktionen zu finden und habe vor kurzem ım Zoologischen Anzeiger (Bd. 42 p. 252) unter dem Titel „Über einen Fall von Orthogenese hei den Spongien“ ein Beispiel davon veröffentlicht. Der Gegenstand der Untersuchung war die Gattung Mycale ( Esperella auct.) der monaxonen Kieselschwämme. Es wurde für verschiedene Merkmale der Spieulation eine Dar- stellungsform gesucht, welche gestattete, die einzelnen Merkmals- werte durch einfache Zahlen auszudrücken. Die Längenmaße der Spicula waren dafür ohne weiteres geeignet; Formen ließen sich zum Teil durch Verhältuwiszahlen (Ausdehnungsverhältnisse) kenn- zeichnen; über die Zusammensetzung der Spiculation gab die An- zahl der Spiculatypen ın jeder Art einige Auskunft; auch das bloße Vorkommen oder Nichtvorkommen eines Merkmals ließ sich in ge- wisser Weise zahlenmäßig ausdrücken. Darauf wurden die Arten nach steigenden Werten eines dazu besonders geeigneten Merkmals (der Länge der Skelettnadeln) angeordnet, und untersucht, ob bei dieser Anordnung auch andere Merkmalswerte eine gesetzmäßige Folge zeigten, ob in den anderen Wertreihen sich ein gleichzeitiges Steigen, Fallen oder sonst eine regelmäßige Veränderung von Art zu Art nachweisen ließ. In der Tat war eine derartige Gesetzmäßigkeit erkennbar, wenn man Durchschnittswerte für Abteilungen von Arten aus der so ge- bildeten Artenreihe berechnete. Es ließ sich also zeigen, daß die verschiedenen Merkmale ın Abhängigkeit voneinander stehen, dass mehrere Merkmale als Funktionen des zugrunde gelegten Haupt- merkmals (und damit als Funktionen von einander) betrachtet werden können. Meines Erachtens ist damit eine tiefere Einsicht ın die Gestal- tungsverhältnisse der Gattung Mycale gegeben worden. Wahrschein- lich wird etwas Ähnliches in anderen Fällen möglich sein. Man wird jedenfalls sagen können, dass verschiedene, einer Arten- gruppe eigentümliche Merkmale sich wahrscheinlich in vielen Fällen als voneinander abhängige Funktionen be- trachten lassen, die in jeder Art einander zugeordnete Werte annehmen. Der Wert dieser Betrachtungsweise liegt darin, dass sie zu einer unvoreingenommenen Darstellung der Beziehungen, welche Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 649 zwischen den Merkmalen und Arten bestehen, führt und dadurch mithelfen kann, die Erkenntnis der Gesetze vorzubereiten, welche die Entstehung von Merkmalen und Arten beherrschen. Zur Analyse der sozialen Instinkte. Von Dr. J. S. Szymanski (Wien). Methodisches. Die sozialen Instinkte, wie überhaupt das instinktive Verhalten, sind keine einfachen, weiter nicht zerlegbare Erscheinungen'!); es lassen sich in denselben mindestens zweierlei Reihen von Reaktionen unterscheiden Die erste Reihe fasst diejenigen Reaktionen zusammen, welche, abgesehen von etwaigen sozialen Einflüssen, dem Indivi- duum, also dem Vertreter einer bestimmten Gattung eigen sind; das glückliche Zusammenwirken dieser individuellen Reaktionen innerhalb der koloniebildenden Art ermöglicht überhaupt die Ent- stehung der Gemeinschaft (primäre Reaktionen). Die zweite Reihe bilden diejenigen Reaktionen, welche als Folge des Zusammenlebens vieler Individuen entstanden sind (sekun- däre Reaktionen). Um nun die beiden Arten der Reaktionen, die einen sozialen Instinkt bilden, voneinander trennen zu können, untersucht man zunächst kausal die Reaktionen der einzelnen Individuen, d. h. man bemüht sich zu ermitteln, was für ein Reiz eine bestimmte Be- wegung bewirkt. Sobald dies geschehen ist, beobachtet man, wie die einzelnen Individuen einer künstlich zerstörten Gemeinschaft arbeiten, um mit den Genossen in Fühlung zu treten und die Kolonie wieder herzustellen. Dabei versucht man in den Kolonie- bildung bewirkenden Bewegungen des einzelnen die schon früher analysierten individuellen Reaktionen auf einen uns bekannten Reiz wiederzufinden. Wenn es uns gelänge, alle Bewegungen, die einen sozialen Instinkt bilden, auf die auch außerhalb der Gemeinschaft beobachteten individuellen Reaktionen zurückzuführen, würde unsere Aufgabe gelöst sein. Wenn aber ein „Rest“ bleibt, ist es wohl denkbar, dass man es hier mit einer sekundären Reaktion zu tun hat. Die sekundären Reaktionen, also die Reaktionen, die durch die Gemeinschaft bewirkt sind, d. h. durch einen „sozialen“ Reiz ausgelöst werden, lassen sich als die bloß für die kolonienbildenden Arten einer Gattung spezifischen Reaktionen auf einen bestimmten äußeren oder inneren Reiz nicht schwer erkennen und weiter unter- suchen. 1) Vgl. meine Arbeit im „Biol. Centralbl.“ „Methodisches zum Erforschen der Instinkte“ (Bd. 33, p. 260, 1913). 650 Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte, Für eine unter dem oben erwähnten methodischen Gesichts- punkte durchgeführte Analyse der sozialen Instinkte schien es mir angebracht, möglichst einfache und primitive Instinkte zu wählen. Solche Instinkte glaube ich im Leben der sozialen Insekten- larven gefunden zu haben; ich möchte im folgenden zwei Fälle der sozialen Instinkte bei diesen Tieren, und zwar die Bildung des ge- meinsamen Gespinstes bei den Raupen der Baumspindelmotte (Hyponomeuta evonymella) und die Bildung der Fressgesellschaft bei den Afterraupen einer Blattwespe Arye (Hylotoma) ustulata L. etwas genauer analysieren. Die Bildung des gemeinsamen Gespinstes bei den Raupen der Baumspindelmotte (Hyponomeuta evonymella)?). Die Raupen dieser Motten leben in selbstgefertigten, unregel- mäßig-kugelförmigen Gespinsten. Das Gespinst ıst gewöhnlich zwischen mehreren Zweigen der Nährpflanze ausgespannt; in der Mitte desselben sitzen unbeweglich die Raupen; zwischen einzelnen Individuen bleiben kleine, von Spinngewebe erfüllte Zwischenräume. Die Analyse der individuellen Reaktionen der einzelnen Indi- viduen hat ergeben, dass die Raupen keine Tropismen zeigen. Die einzige Ausnahme bildet der stark ausgesprochene negative Stereo- tropismus. Einzeln auf den Boden gesetzt, bewegen sich die Raupen äußerst langsam; die Bahnen, welche sie dabei beschreiben, haben die Form einer unregelmäßigen, in sich geschlossenen Schleife Beinahe auf jeder Stelle der Peripherie bleiben die Raupen stehen, und führen ausgiebige „Probierbewerbungen“ (Jennings), d. h. die pendelnden Bewegungen mit dem Vorderkörper aus; dabei ver- suchen die Tiere, einen aus ihrem Mund herausquellenden Spinn- faden irgendwo zu befestigen. Falls dies ihnen gelingt, bewegen sie sich von der Befestigungsstelle fort. Wenn wir die Bahn einer Raupe durch einen großen Kreis und die Stellen, wo die „Probierbewerbungen“ ausgeführt wurden, durch schwarze Punkte mit radial ausstrahlenden Pfeilen markieren, so können wir, wie dies in Fig. 1 geschehen ist, rein schematisch die Bewegungsart dieser Raupen darstellen?). Diese Bewegungsart ist aber nichts anderes als das auf eine Fläche projezierte Geschäft der Herstellung des Gespinstes, denn eine in dreidimensionalem Raume befindliche Raupe stellt durch ähnliche Bewegungen das Gespinst her; dabei kommt ihr negativer Stereotropismus zur Geltung. Derselbe äußert sich darin, dass die gewebespinnende Raupe sich stets weiter und weiter von der Be- 2) Herr Prof. F. Werner hat die Freundlichkeit, die Art dieser Raupe für mich zu bestimmen. 3) Über die Bewegungen dieser Raupen siehe meine Arbeit: „Ein Beitrag zu den tropischen Bewegungen“, die demnächst in Pflüger’s Arch. erscheinen wird. Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 651 festigungsstelle ihrer ersten Spinnfäden zu entfernen bemüht. Dies geschieht dadurch, dass die Raupe, nachdem sie ein Spinngewebe hergestellt hat, dessen eine Seite frei bleibt, sich auf die der Befestigungsstelle gegenüberliegende freie Seite des Spinngewebes begibt. In den Mittelpunkt desselben angelangt, führt sie neuer- dings die „Probierbewegungen“ aus, um eine neue, möglichst weit von daselbst gelegene Befestigungsstelle zu finden, u. s. f. Auf diese Weise verfertigt die einzelne Raupe ıhr Gespinst. Um nun zu untersuchen, ob dieses individuelle Verhalten für die Bildung des gemeinsamen Gespinstes, das die ganze Kolonie beherbergen soll, genügt, habe ich .ın ein rundes Glas 8 Raupen derart untergebracht, dass 6 derselben sich bei A und je eine bei B und © befanden (vgl. Fig. 2). Fig. 2. Die Figur stellt den sche- matischen Quer- schnitt durch das Gefäß dar; die Pfeile zeigen die Richtung, in der die Arbeit vor sich gegangen ist; die feinen Linien sol- len das Spinnge- webe markieren. Bei A 6 Raupen; bei B und © je eine Raupe. Alle Raupen machten sich sofort an die Arbeit, die genau so ausgeführt wurde, wie ıch dies oben beschrieben habe. Die Raupen, welche bei B bezw. bei © plaziert worden waren, arbeiteten jede für sich. Desgleichen dıe 6 Raupen bei A; jedoch kamen deren Ge- spinste wegen der räumlichen Nähe der einzelnen Individuen vom Anfang an mitemander in Berührung. Nach einiger Zeit vereinigten sich auch die Gespinste von B und © mit denen von A; denn es ist der Moment gekommen, in welchem die Raupen B bezw. © durch ihren negativen Stereotropismus getrieben, indem sie sich auf ihrem neu hergestellten Gewebe stets vorwärts bewegten, so- weit sich von dem Punkte B bezw. C entfernten, bis sie endlich den Rand des viel größeren Gespinstes von A erreichten und eine Brücke herüberschlagen konnten. Dann arbeiteten sie weiter, und nach 4 Stunden ruhten alle in der Mitte der neu hergestellten ge- meinsamen Wohnung. Es ıst wohl denkbar, dass die Herstellung des gemeinsamen Gespinstes in der Natur ähnlich vor sich geht. Die Arbeit wird wahrscheinlich begünstigt durch die mangelnde Neigung zur Fort- 652 Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 2 « ) bewegung‘) und das enge räumliche Zusammenfinden der gleich jungen Raupen, die aus einem Gelege gleichzeitigherausgekrochen sind. Wie wir sehen, lässt sich die Herstellung der gemeinsamen Wohnung in diesem Falle restlos auf die primären Reaktionen zu- rückführen. Dies ıst aber nicht gelungen ım Falle eines anderen sozialen Instinktes, zu dessen Analyse ich jetzt übergehen will. Die Bildung der Fressgesellschaft bei den Afterraupen von Arye (Hylotoma) ustulata L.°). Die Afterraupen dieser Blattwespe bilden ıhre Kolonien auf den Weidenarten in der Weise, dass sie auf dem Blattrand in ganz bestimmter Stellung zur Blattspreite rıttlings hintereinander sitzen. Wenn das Blatt schief zum Horizonte steht, was bei Weiden ge- wöhnlich der Fall ıst, so bildet die longitudinale Achse des Vorder- körpers der Raupe einen spitzen Winkel mit dem Blattrand; der Hinterkörper — von den ersten Hinterleibsegmenten bis zur Leib- Fig. 3. I. Die Kolonie in der Ruhe. II. Dieselbe bei der leisen Erschütterung der Blattspreite. spitze gerechnet — wird nach unten gekrümmt und zusammen- gerollt; derselbe hängt frei auf der Blattunterseite (vgl. Fig. 31 und Fig. 4]). Die Afterraupen folgen derart dicht aufeinander, dass die nach- folgende die ersten Hinterleibsegmente der vorhergehenden mit ihrem Kopf berührt. In dieser Stellung bleiben die Tiere ein paar Stunden be- wegungslos sitzen; sie fressen dabei das Blatt vom Rande her. Nach Ablauf dieser Zeit löst sich, wenigstens bei ziemlich erwachsenen Larven, die Kolonie auf. Die Auflösung geht gewöhnlich derart vor sich, dass die Larve, welche der Blattspitze am nächsten sitzt, zunächst ihren Platz verlässt. Den Anlass dazu gibt wahrscheinlich 4) Die Raupen Jassen sich zum progressiven, mehr oder weniger geradlinigen Fortbewegung erst durch mechanische Reizung (Berührung) des Hinterkörpers bringen. 5) Herr Dr. F. Maidl aus dem K. K. Naturhistorischen Hofmuseum hat die Freundlichkeit, die Art für mich zu bestimmen. Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 653 der Nahrungsmangel. Da die Raupen den Hauptnerv des Blattes un- berührt lassen, wird die obere Raupe, welche die schmalste Stelle der Blattspreite einnimmt, mit ihrem Nahrungsvorrat zunächst fertig; sie kriecht dann weg. Dabei lassen sich drei Fälle beobachten: 1. Entweder kehrt sie um, kriecht die Blattspreite hinunter und verlässt überhaupt das Blatt; 2. oder sie wandert bis an das Ende der Kolonie über die Rücken ihrer Genossen hinunter, dann setzt sie sich hinter der letzten Larve und beginnt von neuem zu fressen; 3. oder aber schließlich geht sie auf den anderen Blattrand hinüber, um dort zu fressen. Besonders schöne und individuenreiche Kolonien bilden die ganz jungen Larven; mit dem fortschreitenden Alter werden die Kolonien allmählich kleiner, und die ganz ausgewachsenen Larven sind schließlich meistens vereinzelt oder in höchstens 2 Exemplaren auf einem Blatt zu treffen. Il Fig. 4. I. Schematische‘,Darstellung der zwei Tiere in der Ruhastellang (von oben gesehen). II. Schematische Darstellung derselben nach der Erschütterung der Blatt- spreite (von oben gesehen). (Die gleichen Zahlen der Fig. 3 u. 4 korrespondieren miteinander.) Um nun den Instinkt der Bildung der Fressgesellschaft bei diesen Larven in seine Elemente zu zerlegen, begann ich mit der Prüfung des individuellen Verhaltens der einzelnen Individuen außer- halb der Kolonie. Was zunächst die Tropismen betrifft, sind ‘die mittelgroßen Larven positiv-phototropisch, negativ-geotropisch und positiv-stereo- tropisch. Diese Tatsachen konnte ich durch folgende Beobachtungen feststellen: Bei einseitiger Beleuchtung kriechen die Larven stets gegen die Lichtquelle hin (positiver Phototropismus). 2. Auf ein gleichmäßig beleuchtetes Stäbehen bezw einen eben- solchen Zweig gesetzt, bewegen sich die Tiere nach oben (negativer Geotropismus). Die andere Äußerung des Geotropismus ist wahr- scheinlich die Lage, welche die Larve im Raume einnimmt, und zwar ist der Hinterleib immer halb gebeugt und nach unten gerichtet. 3. Auf eine Stelle gebracht ballen sich die Larven zusammen und bilden einen Knäuel; wobei sie sich mit den außerordentlich biegsamen Hinterleibern zusammenhalten (positiver Stereotropismus). 654 Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. Der zuletzt genannte Stereotropismus steht wahrscheinlich ım Zusammenhang mit der Art der Fortbewegung, welche allen von mir näher untersuchten Vertretern dieser Gattung eigen ist. Die Larven bewegen sich nämlich derart, dass sie zunächst einen dünnen Zweig, Blattrand bezw. Blattstiel mit ihren Brustbeinen umfassen; der Hinterleib wird auf eine Seite gedreht und mit seiner Spitze der Unterlage fest angepresst (angesaugt?). Die eigentliche Fort- bewegung besteht aus zweı aufeinanderfolgenden Phasen: zunächst bewegt sich der Vorderkörper mittels der Brustbeine möglichst weit nach vorwärts; der Hinterleib bleibt unbeweglich angepresst (Fig. 5I von a, bis a,). In der zweiten Bewegungsphase löst sich der Hinterleib los, wird nach vorwärts angezogen und befestigt sich neuerdings an der Unterlage (Fig. 5II von b, bis b,); darauf bewegt sich wiederum der Vorderleib u. s. f. Schon diese kurze Beschreibung zeigt, welche wichtige Rolle der Hinterleib im Mechanismus der Fortbewegung dieser Larven spielt. Aber auch in bezug auf die reflek- torische Empfindlichkeit für die Berührungs- reize ist er dem Vorderkörper weit über- legen. Wenn der Kopf und die Brust- segmente auf Berührungsreize keine moto- ! rische Reaktion zeigen, verhält sich der Hinterleib durchaus anders. Derselbe ist für diese Kategorie von Reizen außerordent- lich empfindlich. Folgende Reflexe habe ich als motorische Reaktion auf Berührungs- reize beobachtet: 1. Wenn man die hintere Körperspitze mit einem fein zuge- spitzten Stäbchen berührt, richtet sich die hintere Körperhältte auf. 2. Wenn man die eine Seite des Hinterkörpers berührt, richtet sich der Hinterkörper mehr oder weniger auf („wölbt sich“) und dreht sich derselbe von der berührten Stelle weg. 3. In die Kategorie der auf mechanische Reize erfolgenden Be- wegungen gehört wohl der Aufrichtereflex bei leiser Erschütterung der Unterlage, auf der die Larve ruht. Um nun zu prüfen, ob die Bildung der Kolonie sich auf dieses individuelle Verhalten der einzelnen Larven zurückführen lässt, bin ich folgendermaßen vorgegangen. Ein Weidenzweig wurde in einen mit feuchtem Sand gefüllten Blumentopf gesteckt; darunter wurde eine Anzahl Individuen, die aus verschiedenen Kolonien gesammelt wurden, untergebracht. Nach einiger Zeit begannen die Tiere sich zu rühren und infolge des negativen Geotropismus zunächst den Stengel, dann den Blattstiel und schließlich den Blattrand hinauf- zusteigen. Da nun die Tiere infolge des positiven Phototropismus immer auf der dem Lichte zugekehrten Seite kriechen, versammeln ei SEE. Ms ee Me En Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 655 sich die meisten unter diesen Umständen in der Regel auf dem untersten, der Lichtseite zugekehrten Blatt. Dass die Larven das unterste Blatt bevorzugen, lässt sich durch die Art ihrer Bewegung erklären. Die Larven bewegen sich, indem sie rittlings die Unter- lage umfassen; sie werden deshalb durch die ihnen am meisten zusagenden, d. h. möglichst dünnen Stäbchen angelockt. Da der Blattstiel dünner als Stengel und stärker als Blattrand ist, müssen die Larven zunächst vom Stengel auf den ersten ihnen begegnenden Blattstiel und daraufhin auf den Blattrand hinübergehen. Wenn dabei die Blattspreite so steht, dass die Blattränder sich nicht auf dem gleichen Niveau befinden (ein Rand höher als der andere), so sammeln sich die Larven kraft ihres negativen Geo- tropismus auf dem höherstehenden Rande. Wenn aber in der Blatt- ränderstellung keine Differenz hinsichtlich der relativen Lage vor- handen ist, verteilen sich die Larven gleichmäßig auf denselben (vgl. Fig. 3 Abb. ]). Bei Erkletterung des Blattrandes herrscht keine Regelmäßigkeit. Die Larven kriechen hin und her; dabei kann die nachfolgende Larve entweder über den Rücken der vorhergehenden fortkriechen oder sie stößt die vorhergehende von hinten und zwingt sie dadurch die letztere zum Fortkriechen. Hat eine der Larven die Blattspitze erreicht, so kehrt sie entweder um und kriecht wieder hinunter oder sie geht auf den anderen Blattrand hinüber. Bald machen jedoch einige, wahrscheinlich besonders nahrungsbedürftige Tiere Halt und beginnen zu Fig. 6. fressen: sie bilden den Kern der zukünftigen Kolonie. Nach und nach schließen sich die übrigen Tiere ihnen an; dieselben nehmen die noch unbesetzten Stellen am Blatt- rande ein. Noch herrscht keine Ordnung; die zwei Hauptmerk- male, die der Kolonie den Eindruck des sozialen Gebildes ver- leihen, und zwar die einheitliche Stellung mit den Hinterleibern nach unten und der enge Kontakt, der durch die Berührung der vorderen Hinterleibsegmente der vorhergehenden Larve durch den Kopf der nachfolgenden zustande kommt, fehlen noch. Zwar sitzen die meisten Tiere in der ihnen üblichen Stellung mit den Hinter- leibern nach unten, doch bei weitem nicht alle; auch sind viele Larven durch freie Zwischenräume getrennt. Die Kolonie erhält schließlich durch folgenden Vorgang, den ich wiederholt beobachtet habe, ihr übliches, sozusagen soziales Aussehen (vgl. Fig. 6). Die durch einen Zwischenraum getrennten Larven (wie über- haupt alle Vertreter dieser Art) fressen im Blattrand eine kleine Vertiefung (Fig. 6b bezw. d) heraus, indem sie den Blattrand von vorne nach hinten bogenförmig verzehren; dabei bewegen sie sich 656 Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. allmählich vorwärts (gegen a bezw. c der Fig. 6). Stellen wir uns vor, dass die nachfolgende Larve (Fig. 6 II) schneller als die vor- hergehende (Fig. 61) frısst. Das beide Larven trennende Blattstück (Fig. 6c) verschwindet nach und nach, und schließlich kommt der Moment, in welchem die zweite Larve (II) die vorderen Hinterleibsegmente der ersten (I) mit dem Kopf von unten berührt. Diese Berührung löst aber allmählich bei der berührten Larve den uns schon bekannten Reflex aus: der Hinterleib derselben richtet sich auf und dreht sich von der berührten Seite weg. Wenn der Hinterleib der vorhergehenden Larve sich, was die Regel ıst, nicht nach der Blattunterseite dreht, kommt die Körperspitze wieder ın Berührung mit dem Vorderkörper der nachfolgenden Larve, was neuerdings die motorische Reaktion der vorhergehenden Larve zur Folge hat; die Ruhe wird erst her- gestellt, wenn die letztgenannte Larve ihren Hinterkörper zusammen- ballt und nach unten legt°). Auf diese Weise bekommt die Kolonie zum Schluss ihr üb- liches wohlgeordnetes Aussehen. Die Koloniebildung bewirkenden Faktoren waren dabei folgende: 1. Einengung vieler Individuen auf einem kleinen Raum. 2. Tropische Bewegung. 3. Beschaffenheit des Vorder- und Hinterleibes ın Hinsicht auf ihre reflektorischen Tätigkeiten. 4. Fortbewegungs- und Ernährungsart. Wie aus dieser kurzen Beschreibung der Koloniebildung her- vorgeht, spielen die primären Reaktionen dabei eine hervorragende Rolle, denn die meisten Koloniebildung bewirkenden Bewegungen lassen sich auf das auch im individuellen Leben beobachtete Ver- halten zurückführen. \ Und doch, wie mir scheint, nicht restlos. Die gebildete, wohlgeordnete und einige Zeit ungestört bleibende Kolonie zeigt einen Reflex, der, obwohl er sich mit Leichtigkeit bei jedem einzelnen Individuum auslösen lässt, durch ein eigentüm- liches Merkmal auffällt. Wie schon oben erwähnt, richtet sich der Hinterleib bei der leisesten Erschütterung der Unterlage, auf der die Larve ruht, auf. Dieselbe Reaktion zeigt die ganze Kolonie’) (Fig. 3Il und Fig. 4 II). 6) Aus dieser Beschreibung folgt, dass eine Kolonie nur auf einem mehr oder weniger horizontal stehendem Blatte ihr wohlgeordnetes Aussehen bekommen kann. Und in der Tat zeigten die Kolonien, die ich auf einem senkrecht herabhängenden Blatt sich bilden ließ, kein einheitliches soziales Gebilde, denn die Hinterleiber der einzelnen Individuen waren unregelmäßig entweder nach links oder nach rechts gedreht. 7) Wegen der außerordentlichen Leichtigkeit der Auslösung ist dieser Reflex aller Wahrscheinlichkeit nach schon von vielen Entomologen beobachtet worden; Szymanski, Zur Analyse der sozialen Instinkte. 657 Was hier aber besonders auffällt, ist der merkwürdige Syn- ehronismus im Auftreten der Reaktion: Alle koloniebildenden Indıi- viduen beantworten gleichzeitig und, wenn ich mich so ausdrücken darf, explosiv den Reiz durch das plötzliche Aufrichten ıhrer Hinter- leiber, um in dieser Stellung ganz unbeweglich längere Zeit hin- durch zu verharren. Wenn wir uns der überaus großen individuellen Verschieden- heiten, die sich bei der Auslösung jeder Reaktion beobachten lassen, erinnern, können wir den Gedanken nicht ohne weiteres abweisen, dass man es hier möglicherweise mit der Folge des Lebens in Ge- meinschaft zu tun hat. Dafür spricht auch der Umstand, dass dieser Reflex um so schöner auftritt, je wohlgeordneter und jünger die Kolonie ist. Bei den ganz erwachsenen Exemplaren, die keine Kolonien mehr bilden, habe ich keinen Aufrichtereflex bei Erschütterung des Blattes beobachtet. Über die biologische Bedeutung dieses Reflexes bin ich nicht im klaren. Wenn jedoch ın der Lehre von den Schreckstellungen und Schreckbewegungen mehr als der bloße Anthropomorphismus steckt, haben wir vielleicht hier einen solchen Fall vor uns. Wie auch dem sei, möchte ich vielleicht diesen Reflex wegen seines Synehronismus als einen Fall der sekundären Reaktion auf- fassen. Anhang. Als das Hauptergebnis meiner Untersuchungen möchte ich die Vermutung aussprechen, dass nicht die „sekundären* (sozialen), sondern die „primären“ (individuellen) Reaktionen die Kolonie- bildung in den von mir untersuchten Fällen bewirken. Die Kolonie wird nicht durch „den Geist der Gemeinschaft“, eine Art des Maeterlinck’schen „Geistes des Bienenstockes“ ins Leben gerufen; im Gegenteil, sie hat sich bilden müssen als notwendige Folge des individuellen Verhaltens der einzelnen Individuen. In diesem Punkte stimmen meine Versuchsergebnisse mit den Resultaten der Untersuchungen von Öornetz®) und Wagner’) über die gemein- same Arbeit bei Ameisen überein. Die letztgenannten Forscher haben nämlich gefunden, dass es in Wirklichkeit kein derartiges Zusammenarbeiten gibt; das Verhalten jeder einzelnen Ameise wird ob derselbe bereits beschrieben ist, weiß ich nicht. In der mir zugänglichen Lite- ratur habe ich bloß ganz allgemeine Bemerkungen über den Anrichtereflex gefunden; so z. B. schreibt Rudow, dass „Hylotoma rosarum Fbr. bei Störung den Hinter- leib aufrichten“ (Rudow, Afterraupen der Blattwespen und ihre Entwickelung, Entom. Rundschau, Jahrg. 27, 1910, p. 109). 8) V.Cornetz, L’Illusion de l’entraide chez la fourmi (Rev. des Idees, 9° annee, pP. 292,.1912). 9) W. Wagner, Biologische Grundlagen der vergleich. Psychologie (russ.), 1913, 658 Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochatene. durch individuelle Reaktionen bewirkt. Wenn jedoch daraus etwas einheitliches herauskommt, so hängt es davon ab, dass viele räum- lich zusammengedrängte Individuen das gleiche Benehmen zeigen. Wenn diese Untersuchungen, welche sich jetzt noch im aller- ersten Anfange befinden, durch weitere Forschungen bestätigt werden, und wenn man voraussetzen könnte, dass die gleichen Gesetze für die Bildung der menschlichen Gesellschaft gelten, so ließen sich daraus die Schlüsse von großer Tragweite ziehen. Ich möchte bloß auf ein Problem hinweisen, welches daraus für dıe Pädagogik herauswachsen müsste. Wenn ich mich in einer rein naturwissenschaftlichen Untersuchung auf eine derartige Frage einlasse, so geschieht dies deshalb, weil Schriften von berufensten Seiten in allerneuester Zeit erschienen sind, die große Bedeutung der Lehre vom Verhalten der Tiere für die pädologischen Wissen- schaften beimessen. Ich möchte in erster Linie den interessanten Aufsatz von Ed. Claparcde!®) nennen. Dieses Problem bestehe im folgenden: Wenn das persönliche Verhalten des Individuums das primäre bei der Bildung der Ge- meinschaft sein sollte, so wäre der sicherste Weg zur sozialen Ver- vollkommnung die Vertiefung und Verfeinerung des individuellen Verhaltens. Nicht Unterdrücken der Individualität, sondern vielmehr die Entfaltung und fortschreitende Verfeinerung derjenigen Triebe, aus denen sich die sozialen Instinkte integrieren, verbürge am sichersten die Vervollkommnung und Höherentwickelung des sozialen Verhaltens des Individuums. Enzystierung bei einem a Von Prof. Dr. Al. Mräzek, Prag. Mit 6 Textabbildungen. Im Frühjahr des laufenden Jahres fand ıch bei uns in Böhmen in der Elbeniederung bei Celakovice einen Vertreter der Lumbri- culidengattung Olaparedeilla. Dieser interessante Fund zeigt deut- lich erstens, wie schlecht es mit der faunistischen Erforschung der niederen Tierwelt bei uns in Mitteleuropa noch bestellt ist, und zwar auch in Gegenden, die sonst als relativ besser durchforscht bezeichnet werden können, und zweitens, wie leicht auch offenbar weitverbreitete, häufige und ziemlich auffällige Formen übersehen werden. Denn es erscheint mir als gesichert, dass Olaparedeilla keineswegs eine Seltenheit ist, sondern auch anderswo in ähnlichen Verhältnissen vorkommt, und auf unserer Lokalität von jeher ver- 10) Ed. Claparede, Die Bedeutung der Tierpsychologie für die Pädagogik (Z. £. päd. Psych., 1911, p. 145); in allerneuester Zeit hat P. Hachet-Souplet ein ganzes Werkchen dem nämlichen Gegenstande gewidmet (De l’animal ä l’enfant, Paris 1913). Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. 659 treten war, d. h. keineswegs als eine rezente Einschleppung ange- sehen werden kann. Wahrscheinlich wurde die Form schon oft angetroffen (ich selber muss sie schon gewiss früher gesehen haben), aber von Lumbrieulus nicht auseinander gehalten, dem sie habituell sehr ähnlich ist, wie denn auch Claparede sie mit dem Zumbri- culus variegatus vermengte. Ich gedenke über die Organisationsverhältnisse ete. der mir vorliegenden Olaparödeilla-Art seinerzeit an einem anderen Orte aus- führlicher zu berichten, hier will ich nur einer interessanten bio- logischen Eigentümlichkeit der Olaparedeilla Erwähnung tun, näm- lich ihrer Fähigkeit, sich zu enzystieren. Die Nomenklatur unserer Form werde ich in der ausführlichen Arbeit behandeln, im folgen- den werde ich kurzwegs stets nur von (laparedeilla sprechen. Die Olaparedeilla kommt auf der von mir durchforschten Strecke, die etwa 3 km lang ist, in zahlreichen Tümpeln längs des Elbeufers vor. Dieselben sind teilweise gebildet durch natürliche kleinere Un- ebenheiten des Bodens oder durch alte Flussbette der Elbe, teil- weise sind es die zwischen den nn Korbweidenkulturen angelegten Gräben. ur Mehrzahl dieser Lokalitäten steht im Winter und Frühjahr unter Wasser. Das ganze Gebiet ist oft Überschwemmungen unter- worfen, aber ım mar bei niedrigem Wasserstande der Elbe größtenteils vollkommen trocken gelegt. Zur biologischen Charak- terisierung dieser Lokalitäten mag noch bemerkt werden, dass auf demselben Apaus produetus und Branchipus vorkommen. Eine Erklärung auf die Frage, wie die Olaparederlla auf solchen vollkommen im Sommer austrocknenden Stellen ıhr Leben fristen kann, ließ nicht lange auf sich warten. An den ins Laboratorıum gebrachten Tieren sah ıch bereits nach Verlauf einiger Tage, wie sich die einzelnen Individuen zu einem Kügelchen zusammenrollten und unter Ausbildung einer Schleimzyste sich regelrecht enzystierten. Dieser Vorgang wurde anfangs nur vereinzelt beobachtet, wurde jedoch bald häufiger, so dass schließlich nach 2 Monaten in meinen Kulturen kein einziger freibeweglicher Wurm sich befand, sämtliche Tiere haben sich enzystiert''). Da die einzelnen Tiere bezüglich ihrer Größe ziemlich varııerten, so sind auch die Zysten von recht verschiedener Größe. Die kleineren Zysten haben 2-3 mm ım Durchmesser und sind entweder von rein kugeliger oder mehr eiförmiger Gestalt. Soweit ich beob- achten konnte, enzystieren sich die Tiere einzeln, d. h. ein einziges 1) Dieser Umstand, resp. dieses biologische Vermögen der Ulaparedeilla griff unliebsam störend ein in die von mir unternommenen entwickelungsmechanischen Untersuchungen. Die Versuchstiere enzystierten sich öfters kurz nach der Operation und entzogen sich so weiterer Beobachtung. 660 Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. Individuum für sich und die Zyste kann vollkommen isoliert bleiben. Aber meistens fand ich in meinen Zuchtgläsern, dass neue Zysten im engen Anschluss an andere Zysten gebildet wurden. Die ein- zelnen Zysten verkleben dann untereinander und es entstanden so Zystengruppen, die bis Haselnußgröße erreichten, aber meistens von einer unregelmäßigen Gestalt waren (vgl. Fig. 1). Claparedeilla vermag also durch /ystenbildung dem periodischen Aus- ng trocknen ihrer natürlichen Fundorte zu 1 widerstehen. Wahrscheinlich verkriechen sich die Würmer bei beginnender Aus- trocknung unter das abgefallene Laub in die tieferen Schlammschichten und en- zystieren sich hier klumpenweise?). Die Zyste zeigt, frisch untersucht, AR, Bi eine innere dünne, feste Schicht, die von Fig. 1. Zysten und Zysten- 2 ? ; IR an un Ola, , Si breiteren weicheren, schleimigen (Natürl. Größe. Photographie.) Hülle umgeben ist. Die Zyste ist wohl ein Produkt der Schleimdrüsen, die vereinzelt im Kör- perepithel zer- streut sind. Diese Drüsen lassen sich vorzüglich deut- lich machen bei der Behandlung der Schnittpräpa- rate mit Thionin, Fig. 2. Schleimdrüsen im Hautepithel. 520 X vergr. wo sie sich schön rot färben und sıch auf diese Weise scharf von den blaugefärbten Kernen des Hautepithels abheben. Genau denselben Farbenton nimmt auch die Zyste an, doch färbt sich die Zyste mit Thionin sehr rasch, erscheint rot schon zu einer Zeit, wo das Gewebe des Wurmes noch überhaupt ungefärbt ist. Wırd das ganze Präparat endlich gefärbt, so hat 2) In dem Claparedeilla-Distrikt kommen noch zwei andere Vertreter der Lumbrieulidensippe, der gewöhnliche Lumbriculus variegatus und Rhynchelmis limosella vor, teilweise sogar alle drei Formen gleichzeitig in demselben Tümpel. Wie verhalten sich diese Formen gegenüber dem Trockenwerden der Fundorte ? Rhynchelmis bewohnt solche Stellen, wo das Wasser fließt oder im direkten Zu- sammenhang mit dem Flusse steht, oder wo auch im Sommer in der Trockenperiode an den niedrigsten Stellen der Tümpel (so besonders in den Gräben in den Weiden- feldern) Wasser stehen bleibt. Lumbriculus habe ich aber auch in Gemeinschaft mit Olaparedeilla in vollkommen austrocknenden Fundorten gefunden. Ob der- selbe der Austrocknung wirklich widerstehen kann und wie, ist noch zu ermitteln. Jedenfalls zeigt aber Lumbriceulus in der Gefangenschaft nie eine Zystenbildung. # Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. 661 sich die Farbennuance der Zyste schon lange verändert (ins Vio- lette), behält jedoch immer einen selbständigen Ton. Die Claparcedeilla-Zysten beobachte ich nun mehr als 5 Monate. Es scheint mir, als ob die Zysten und Zystengruppen kleiner ge- worden wären und eine mehr unregelmäßigere eckigere Form an- genommen hätten. Da ich jedoch ursprünglich nicht die Dimen- sionen der Zysten notiert habe, so könnte es sich nur um eine subjektive Täuschung handeln. Möglicherweise könnten aber an dem geänderten Aussehen der Zysten die inneren Vorgänge inner- halb der Zyste und die Veränderungen der Zystenwand schuld tragen. N ) . EFF Fig. 3. Schnitt durch eine größere Einzelzyste, bald nach der Enzystierung. 30 X vergr. Die aus erhärtendem Schleim bestehende Zystenwand wächst nämlich im Laufe der Zeit. Bei frischen Zysten, die am zweiten Tag nach ihrer Bildung fixiert wurden, erscheint die Zystenwand an Schnittpräparaten dünn (Fig. 3). Bei 5 Monate alten Zysten ist jedoch die Zystenwand sehr dick, offenbar durch viele nach- träglich abgesonderte Schleimschichten verstärkt (Fig. 4). Wie ein- gangs erwähnt wurde, verkleben oft die Zysten zu Klumpen, oder die Würmer enzystieren sich von vornherein im Anschluss an schon bestehende Zysten. Mit bloßem Auge und bei Lupenbetrachtung sind die einzelnen Abteilungen einer solchen Gruppe deutlich nach- weisbar. An Schnittpräparaten zeigt sich, dass das Diekerwerden XXXIU. 43 662 Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. der Zystenwand nur da geschieht, wo die Zysten an die Außen- welt stoßen, da wo sich die einzelnen Zysten berühren, bleibt die verklebte Wand dünn (Fig. 5). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es vielleicht nicht zu einem Platzen der Querwand und freier Kommunikation zwischen den beiden Zystenhöhlen kommt. Die Zystenwand ist vollkommen durchsichtig, so dass man die einzelnen Windungen etc. der Zystenbewohner deutlich sieht. Wenn auch schon das Vermögen der Claparedeilla, sich zu enzystieren, von Interesse ist, so steigert sich das letztere ın An- betracht der weiter mitzuteilenden Beobachtungen. Fig. 4. Schnitt durch eine 5 Monate alte kleinere Zyste. 45 X vergr. Die Quer- schnitte des Bauchnervenstranges zeigen deutlich die Orientierung der Würmer innerhalb der Zyste an. Wie erwähnt liegen die Zysten jetzt schon über 5 Monate. Als ich eine solche schon alte Zyste konservierte und schnitt, fiel mir auf, dass in der kleinen regelmäßig kugeligen Einzelzyste von kaum 2 mm Durchmesser mehrere Würmer sich befanden. Obgleich nach meinen früheren Beobachtungen sich regelmäßig die Würmer einzeln enzystieren, konnte man doch immerhin annehmen, dass in diesem Fall drei kleinere Individuen gemeinschaftlich eine einzige /yste bildeten. Diese Möglichkeit bewog mich, eine Anzahl weiterer 7ysten zu untersuchen, jedesmal mit dem Erfolg, dass in einer jeden Zyste oder Zystenabteilung mehr als ein Individuum gefunden wurde. Schon ein Bliek auf einen einzigen Schnitt, wie ıhn z. B. Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. 663 unsere Fig. 5 abbildet, belehrt den Beobachter, dass die Zahl der Würmer in einer größeren Zyste eine größere sein muss. Dieser Umstand ist an und für sich schon ganz bemerkens- wert, es gesellt sich jedoch noch ein anderer dazu. Die von mir gesammelten Tiere waren nicht alle gleich groß, und es befanden sich unter denselben auch kleinere Individuen. Auch befanden sich Fig. 5. Schnitt durch eine Zystengruppe, zwei aneinanderstoßende Zysten treffend. 20 X vergr. unter dem Zystenmaterial auch enzystierte bloße Teilstücke (Hälften) aus meinen Regenerationsversuchen. Aber immerhin ist es sehr auffallend, dass jetzt nach 5 Monaten sämtlich offenbar nur kleinere Individuen in den Zysten vorhanden sind. Ein Vergleich der Fig. 3 und 4 ist gewiss lehrreich. In der größeren Zyste von 3 mm Durchmesser aus Mai ein einziger großer Wurm, in der kleineren Zyste aus September drei Würmer. Wir werden zu der Annalıme 43* 064 Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. + ; h 8 fe) gezwungen, dass sich die Individuenzahl innerhalb der Zysten ım Laufe der Zeit vermehrt, dass sich die Würmer teilen. Und dies wird zur Gewissheit, wenn man genauer die histologische Struktur der verschiedenen Würmer resp. ihrer einzelnen Körperteile verfolgt. Einzelne Körperstrecken der Würmer tragen deutlich den Charakter eines jungen Regenerationsgewebes zutage. Kurz und gut: (la- paredeilla pflanzt sich ungeschlechtlich fort innerhalb der Zysten. Diese Tatsache ist von einem großen biologischen Interesse. Die Eigenschaft der ungeschlechtlichen Fortpflanzung teilt Clapa- redeilla mit ıhrem nächsten Verwandten Zumbriculus?), doch dürften beı Claparedeilla, da hier die ungeschlechtliche Fortpflanzung auch mit jährlich wohl regelmäßig wiederkehrenden Enzystierungen ver- gesellschaftet erscheint, die Verhältnisse des Fortpflanzungszyklus stabilerer, bestimmterer Natur sein als bei Zumbriculus. Jedenfalls wird es nötig sein, den ganzen Entwickelungszyklus der Olaparedeilla und zwar eventuell auch an verschiedenen Lokalitäten genau zu verfolgen. Eine diesbezügliche Beobachtung kann aber schon jetzt mitgeteilt werden. Sämtliche von mir ım Frühjahr gefundenen und dann ım Laboratorium gehaltenen Würmer waren nicht ge- schlechtsreif, zeigten keine Spuren der Geschlechtsorgane. Beim Durchmustern der zahlreichen in den geschnittenen Zysten befind- lichen Würmer fand ich aber in einigen etwas größeren Exem- plaren, die auch sonst noch nach dem Aussehen der übrigen Ge- webe, insbesondere z. B. der Chloragogenzellen sich als schon normal fertig entwickelte Tiere manifestierten, die Anlagen der Gonaden. Es dürfte demnach anzunehmen sein, dass die Geschlechts- periode wohl unmittelbar nach dem Verlassen der Zyste beginnt. Zum Schluss mögen noch einige Bemerkungen über die Orien- tierung der Würmer innerhalb der Zyste angeführt werden. Zuerst sehen wir an den Schnittpräparaten, dass die einzelnen Windungen der vielfach gekrümmten Tiere stets voneinander durch deutliche Zwischenräume getrennt sind, dass es nirgends zur direkten Be- rührung zweier Flächen kommt. Inwiefern hier Schrumpfungs- erscheinungen bei der Fixation, Entwässerung und Einbettung oder das eventuelle Vorhandensein einer Schleimschicht auf der Ober- fläche des Körpers, welche einen direkten Kontakt hindern würde, mitbeteiligt sind, mag unentschieden bleiben. Wir wollen uns lieber mit einem weit interessanteren Verhalten der enzystierten Clapa- rödeilla befassen. Die Würmer sind innerhalb der Zyste in ganz 3) Morgulis hat zwar die Existenz einer ungeschlechtlichen Fortpflanzung von Lumbriculus bestritten, aber ich habe in einer größeren, zurzeit im Druck be- findlichen Arbeit (Beiträge zur Naturgeschichte von Lumbrieulus variegatus. Sitz.- Ber. K. B. Ges. d. Wiss. 1913) u. a. auch dargetan, dass Lumbrieulus sich tatsäch- lich auf ungeschlechtlichem Wege vermehrt. in ee ee a nn Mräzek, Enzystierung bei einem Süßwasseroligochaeten. 669 eigentümlicher charakteristischer Weise orientiert. Diese Orien- tierung, die sofort ins Auge fällt, wenn man auf einem Schnitt sich die Lage des Querschnittes des Bauchnervenstranges als Orien- tierungszeichen genauer ansieht, ist z. B. auf der Fig. 4 m sehr instruktiver Weise deutlich. Überall ist die Rückenseite der Würmer gegen die Peripherie der Zyste gekehrt, nicht nur in der äußeren Schieht, sondern auch in den zentralen Partien der Zyste, überall erscheinen die Querschnitte des Bauchnervenstranges zentripetal gerichtet. Von diesem Verhalten gibt es keine Ausnahme. Nirgends sehen wir ein Bild, wo die Bauchseite direkt zu der Zystenwand gekehrt wäre. Da wo der Querschnitt des Bauchnervenstranges Fig. 6. Ein Schnitt derselben Serie wie Fig. 4, die Orientation der Kopfenden innerhalb der Zyste zeigend. aus dem Radius der Zyste seitlich verschoben erscheint oder wo wie hier und da in den inneren Lagen die Orientierung der Würmer- querschnitte eine entgegengesetzte zu sein scheint, zeigt ein ge- naueres Verfolgen der Schnittserien, dass die vermeintlichen Aus- nahmen nur Täuschungen eines Anschnittsbildes sind. Es sind eben immer nur Stellen, wo der Schnitt eine Biegung trifft. Mit dieser Orientierung ist aber noch eine weitere gepaart. Die Schwanz- enden der Würmer scheinen oft an der Peripherie, unterhalb der Zystenwand zu liegen. Die Kopfenden jedoch sind stets einge- schlagen in das Innere der Zyste. Dieses Verhalten ist schon auf der Fig. 4 sichtbar, ich habe jedoch in Fig. 6 einen anderen Schnitt derselben Serie schematisch dargestellt, wo die Anordnung der Kopfenden in besonders typischer Weise hervortritt. 566 v. Natzmer, Zur Psychologie der sozialen Instinkte der Ameisen. Man könnte wohl versucht sein, die soeben beschriebene Orien- tierung der Würmer innerhalb der Zyste physiologisch zu erklären als eine Adaptation an die Verhältnisse des Zystenlebens. Womög- lichst großes Abschließen des Nervensystems von den Eindrücken . und Einflüssen der Außenwelt. Möglich ist aber, dass der Zu- sammenhang mit den Funktionen des Nervensystems, wenn ein solcher schon besteht, ein nur entfernterer ıst, insofern die Funktion des Nervensystems mit der Architektur des Körpers kausal zu- sammenhängt. Ich glaube, dass die Anordnung der Würmer inner- halb der Zyste wohl nur der extreme Fall ihrer normalen Bewegungs- stellungen ist. Vergleicht man die einzelnen Bilder wie Fig. 4, 5 und 6, so sieht man, dass oft nebeneinander eine Anzahl von Quer- schnitten der Würmer liegt. Verfolgt man aber die einzelnen (Juerschnitte auf der Schnittserie, so sieht man, dass die neben- einanderliegenden Querschnitte einem und demselben Wurm ange- hören. Das ganze Arrangement ıst dasjenige des sich schlängelnden Wurmes, wie man ein solches Bild bekommt, wenn man z. B. den Wurm aus dem Schlamm auf einem vermodernden Blatt herausholt. Zusammenfassung. 1. Olaparedeilla besitzt die Fähigkeit, Schleimzysten zu bilden und vermag auf diese Weise dem periodischen Austrocknen ihrer natürlichen Fundorte zu widerstehen. 2. Die Enzystierung ist mit der ungeschlechtlichen Fortpflanzung verbunden, indem die Zerfallsteilung innerhalb der Zyste geschieht. 28. September 1913. Zur Psychologie der sozialen Instinkte der Ameisen. Von G. v. Natzmer. Es gilt als eine feststehende Tatsache, dass die Beziehungen zwischen den Angehörigen der verschiedenen Ameisenkolonien, auch wenn dieselben der gleichen Art angehören, überaus feindlicher Natur sind. Gerät nämlich eine Ameise in ein fremdes Nest, so fallen die Insassen desselben sofort über den Eindringling her, um ihn zu töten. Von dieser Regel macht nun nach meinen sowohl in der freien Natur als auch im künstlichen Nest oft wiederholten Beobachtungen und Experimenten allein Lasius fuliginosus eine bemerkenswerte Ausnahme! Meine diesbezüglichen Studien möchte ich deshalb im folgenden mitteilen. Setzte ich nämlich eine Anzahl Arbeiter von Lasius fuli- ginosus in eine andere Kolonie derselben Art, so wurden sie dort fast stets völlig unbehelligt gelassen oder höch- stens neugierig betastet. Nur in den allerseltensten Fällen fanden ganz geringe Angriffe statt, die aber immer sehr bald wieder 1 v. Natzmer, Zur Psychologie der sozialen Instinkte der Ameisen. 667 aufgegeben wurden. Noch eingehender konnte ıch diese Unter- suchungen in künstlichen Nestern ausführen. So wurden Ar- beiter und Geschlechtstiere von Lasius fuliginosus, dıe ich in ein solches, das von derselben Art bewohnt war, brachte, vom ersten Augenblick an als Mitglieder der Kolonie aufgenommen. Auf diese Weise erzielte ich ohne die geringste Mühe Mischnester, die sich aus den Angehörigen der ver- schiedensten Kolonien zusammensetzten. Ebenso wurden auch Larven aus fremden Kolonien wie die der eigenen aufgezogen. Noch be- merken will ich, dass die Nester, denen ich die Ameisen entnahm, nicht einander benachbart waren, sondern dass sie sich zum Teil in weit voneinander entfernten Gebieten befanden, wodurch die Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen ıhnen völlig ausge- schlossen ist. Erwähnen will ich noch, dass Lasius fulrginosus gegen Angehörige anderer Arten, die ich in seine Nester setzte, aggressiv vorgeht. Um nun die Frage nach den Ursachen dieser internationalen Beziehungen zwischen den Lasius fuliginosus-Staaten beantworten zu können, muss man sich vor allem hüten, diese als etwas bewusstes anzusehen‘). Vielmehr können diese sich nur auf rein mechanische Weise allmählich entwickelt haben. So ist es vielleicht möglich, dass es die Anlage von Zweigniederlassungen, die sich bei Zasius fuliginosus häufig vorfinden, mit sich gebrachthat, dass sich die sozialen Instinkte, die sich ursprünglich nur auf die Kolonie beschränkten, ım Lauf der Zeit auf die ganze Art ausdehnten und dass auf diese Weise das „Nationalgefühl“ ganz allmählich zu einem „Artgefühl“ wurde. Doch dürfte diese Erklärung deshalb nicht große Überzeugungskraft besitzen, weil ja auch viele andere Ameisenarten, bei deren diese „internationalen Beziehungen“ nicht vorhanden sind, zur Bildung von Zweigkolonien neigen. Mehr hat vielleicht die Annahme für sich, dass der eigentümliche penetrante Geruch, der bekanntlich Zasius fuliginosus eigen ist, einen eigentlichen Nest- geruch, der nach den Untersuchungen von E. Wasmann, A.Betheu.a. das einzige Mittel ist, durch das sich die Mitglieder einer Kolonie erkennen, nicht aufkommen lässt. Vielleicht werden diese Beobachtungen über die sozialen In-. stinkte von Lasius fuliginosus noch zum Gegenstand weiterer Unter- suchungen gemacht. l) Übrigens versagen die sozialen Instinkte oftmals gerade dort, wo man ihr Vorhandensein am meisten erwarten sollte. So beobachtete ich im Lauf meiner hier publizierten Studien mehr als einmal, dass Lasius fuliginosus-Arbeiterinnen, an denen sich eine andere Ameise festgebissen hatte, nicht die geringste Hilfe von seiten ihrer Genossinnen zuteil wurde. 565 Rüschkamp, Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. (Formica sanguinea-fusca-pratensis.) Von F. Rüschkamp S. J. (Feldkirch, Vorarlberg). Im Juni 1911 hatte ich bei Valkenburg (Holl. Limburg) eine neue Adoptionskolonie rıfa-fusca entdeckt und ım Biol. Centralbl. 1912, N. 4, S. 213—216 beschrieben; es handelte sich dabei, wie durch genaue Untersuchung sich feststellen hieß, um eine rufa- Königin, die in einer weisellosen, alten fusca-Kolonie erst vor kurzem Aufnahme gefunden hatte, also um ein sehr frühes „Stadium 1“ einer rufa-fusca- Adoptionskolonie. Im folgenden will ich über eine dreifach gemischte Kolonie sangwinea-fusca-pratensis berichten, die ich im Sommer 1912 eben- falls bei Valkenburg fand, und die nach ihrer Vorgeschichte sich herausstellte als eine Raubkolonie sanguinea-fusca, in welcher nach Verlust der sangrrinea-Königin eine pratensis-Königin aufgenommen wurde, also als eine Raub- und Adoptionskolonie. Natürliche sanguinea-Kolonien, in denen neben fusca oder sogar anstatt derselben rufa oder pratensis als Hilfsameisen sich fanden, sind überhaupt selten. Bei einer fünfjährigen, 410 Kolonien umfassenden Statistik eines sangwinea-Gebietes bei Exaten ın Holland konnte Wasmann!) nur fünf solcher „anormal gemischter Kolo- nien“ feststellen. a) 1 Kolonie, welche nur pratensis als Hilfsameisen hatte (Nr. 66-67). b) 1 Kolonie, welche pratensis und fusca zugleich als Hilfsameisen hatte (Nr. 247). c) 1 Kolonie, welche rufa und fusca zugleich hatte (Nr. 0). d) 1 Kolonie, welche rufo-pratensis (eine zwischen beiden Rassen stehende Varietät) und fasca zugleich hatte (Nr. 105). e) 1 Kolonie, welche pratensis, rufo-pratensis und fusca zugleich hatte (Nr. 84). Die unter b genannte Kolonie Nr. 247 sangwinea-pralensis- fusca, deren Geschichte Wasmann mehrere Jahre hindurch (1597—-1899) verfolgte, erwies sich als eine Raubkolonie sangeinea- fusca, ın welcher nach Verlust der sangruinea-Königin eine pratensis- Königin aufgenommen worden war. Dieser Kolonie scheint die von mir bei Valkenburg entdeckte dreifach gemischte Kolonie am ähnlichsten zu sein. Wasmann hat auf die letztere bereits in einem Vortrage auf der deutschen Naturforscherversammlung zu Münster 1. W. September 1912?) kurz hingewiesen und meinen Be- richt über dieselbe im Biol. Centralblatt in Aussicht gestellt. 1) Neues über die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen (Allgem. Zeitschr. f. Entomologie, Bd. VI u. VII, 1901 u. 1902), 1902, S. 33—37, 72—77 (S. 12—20 Separat.). 2) Verhandl, II. Teil 1. Hälfte, S. 267. Rüschkamp, Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. 669 Die Geschichte der von mir entdeckten sanguwinea- fusca- pratensis-Kolonie ıst folgende. Sie wurde von mir in Begleitung P. Wasmann’s am 17. April 1911 gefunden auf dem Hügelzug, der an der Geul entlang von Valkenburg nach Houthem geht. Damals war sie eine volkreiche sangzuinea-Kolonie mit relatıv zahlreichen fusca-Sklaven. Das Nest wurde auf Lomechusa von uns untersucht, ohne es zu zerstören. Damals waren sicher keine pratensis in dem- selben vorhanden. Am 2. Maı 1911 entnahm mein Kollege W. Bönner?) der- selben Kolonie ungefähr 100 Arbeiterinnen von sanguinea und fusca und eine sanguinea-Königin, um zu Hause ein Beobachtungsnest damit einzurichten. Die Königin wurde zwar einige Zentimeter vom Nest entfernt gefangen, gehörte aber sicher zu dieser Kolonie, da sie in dem Beobachtungsneste von Anfang an als Königin be- handelt wurde. Pratensis waren auch jetzt noch keine vorhanden. Am 21. Februar 1912 fing W. Bönner in demselben Neste abermals eine etwas kleinere sangwinea-Königin, die unter dem obersten Stein des Nestes mitten unter den sangwinea und fusca saß. Sie wurde mitgenommen und isoliert gehalten, bis am 25. Februar 20 sanguwinea und 5 fusca zu ihr gesetzt wurden, die an diesem Tage aus derselben Kolonie geholt worden waren und die Königin sofort wiedererkannten. Diese im Februar aus der Kolonie geholte Königin war die einzige in dem natürlichen Nest noch befindliche gewesen. Beim Ausgraben desselben Ende Februar war keine mehr zu finden. Die Kolonie war also weisellos ge- worden. Am 7. August 1912 besuchte ich das Nest wiederum, um doch nochmals nach einer sangeinea-Königin zu suchen, die ich zu Be- obachtungszwecken brauchte. Das Nest wurde diesmal ganz aus- gegraben. Schon unter dem Sandsteinblock, der das Nest bedeckte, und wo es sonst bei warmem Wetter von Ameisen wimmelte, fiel mir die mannigfache Größe und Färbung der rot und schwarzen Ameisen auf; aber ich achtete nicht weiter darauf, zumal auch unter den fusca zweierlei Größenstufen vertreten waren, die aus verschiedenen Sklavenkolonien stammten. Um eine Königin zu finden, wurde Gang für Gang des Nestes in den aus weißem Sand bestehenden Wänden bis zu einer Tiefe von 75 em sorgfältig ver- folgt, bis wir auf den Kreidefelsen stießen. Aber obwohl zahlreiche Kammern vollgepfropft von Arbeiterinnen beider Färbung waren, blieb das Suchen lange vergebens. Endlich in der letzten, hühnerei- großen Kammer unmittelbar über dem Felsen fand sich mitten ın einem’ Arbeiterklumpen eine Königin. Dieselbe wurde mit einer 3) Dieselbe übersandte mir diese Notizen von Charlottenlund (Dänemark) aus, wo er jetzt weilt. 670 Rüschkamp, Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. beträchtlichen Anzahl Arbeiterinnen für ein Beobachtungsnest mit- genommen. Zum Schluss überzeugte ich mich nochmals davon, dass auch wirklich das ganze Nest ausgegraben und kein Gang mehr übrig sei. Die zurückgebliebenen Arbeiterinnen bauten das Nest zum Teil wieder auf, starben aber bis zum Juni 1913 ent- weder aus oder wanderten fort; ıch fand vor meiner Abreise nach Vorarlberg das Nest völlıg verlassen. Das Aussehen der hier gefangenen Königin hatte mich zwar schon im ersten Augenblick stutzig gemacht. Aber ım Eifer der Ausgrabungsarbeit hatte ich darauf nicht weiter geachtet. Erst zu Hause, als das Fangglas zur Übersiedlung der mitgebrachten Ameisen an ein Lubbocknest angeschlossen worden war, bemerkte ich an der dunkleren Färbung des Rückens der Königin, dass es sich um ein pratensis-Weibchen handelte. Auch ein Teil der mitgebrachten vermeintlichen sanguinea- Arbeiterinnen erwies sich als pratensss. Darunter waren zwei große neben anderen nur mittelgroßen Indi- viduen; die letzteren waren frisch entwickelt, und eins der- selben hatte noch Reste der Puppenhaut auf dem Rücken kleben. Die sanguinea waren durchschnittlich mittelgroß, aber auch einige kleine darunter; es waren sämtlich alte, ausgefärbte Exemplare. Unter den damals mitgebrachten Ameisen kamen auf 47 sangurnea- Arbeiterinnen und 41 fusca nur 7 pratensis, die zusammen mit der Königin der letzten Kammer entnommen waren. P. Wasmann hat sowohl die Königin als die Arbeiterinnen später näher untersucht, nachdem sie in Alkohol gesetzt worden waren. Um die Entstehung dieser dreifach gemischten Kolonie zu erklären, sind folgende tatsächliche Anhaltspunkte zu berück- sichtigen: 1. Die Kolonie war ursprünglich eine normal gemischte Raub- kolonie sanguinea-fusca (April 1911). 2. Durch Wegnahme der beiden sangıuinea-Königinnen im Mai 1911 und Februar 1912 war sie weısellos geworden. 3. Im August 1912 besaß sie als einzige Königin ein be- fruchtetes pratensis-Weibcehen. Dasselbe muss im Frühling oder Sommer 1912, jedenfalls nach dem 21. Februar, daselbst adoptiert worden sein. 4. Auch unter den Arbeiterinnen befanden sich jetzt eine An- zahl pratensis. Die Kolonie war somit jetzt eine dreifach ge- mischte natürliche Kolonie sanginea-pratensis-fusca geworden. 5. Die pratensis-Arbeiterinnen waren zum großen Teil frisch entwickelte Individuen, die samguinea dagegen nur alte. Dadurch wird bestätigt, dass keine sangerinea-Königin mehr im Neste war. Leider wurde beim Ausgraben des Nestes auf den Brutbestand der Kolonie nicht weiter geachtet. In dem samt der Königin mitge- brachten Ameisenklumpen befanden sich keine Eierpakete. Rüschkamp, Eine dreifach gemischte natürliche Kolonie. 671 6. Auffallend ıst die relative bedeutende Körpergröße der mit- gebrachten pratensis- Arbeiterinnen, unter denen auch einige große (S mm) neben mittelgroßen, aber keine kleine sich befanden. Die erste Arbeitergeneration, die aus den Eiern einer jungen Königin stammt, ist nämlich auch bei pratensis gewöhnlich nur klein bis mittelgroß. (Dies hatte P. Wasmann auch bei der obenerwähnten sanguinea-pratensis-fusca-Kolonie Nr. 247 bei Exaten nach Aufnahme der pratensis-Königin in dieselbe bestätigt gefunden.) Schlussfolgerung. Dass dıe von mir bei Valkenburg ent- deckte dreifach gemischte Kolonie eine Raub- und Adoptionskolonie darstellt, insofern ın der ehemaligen sangwinea-fusca-Kolonie eine pratensis-Königıin nach Verlust der sangwinea-Königinnen adoptiert worden war, ist somit sicher. Dagegen ist die relativ bedeutende Körpergröße der pratensis- Arbeiterinnen ın dieser Kolonie keineswegs eindeutig. Es sind hier folgende Möglichkeiten zu erwägen. a) Die aufgenommene pratensis-Königin war keine junge, vom Paarungsfluge desselben Frühjahrs stammende, sondern eine bereits ältere, die vielleicht aus einer durch die Händler mit Ameisen- eiern geplünderten, benachbarten pratensis-Kolonie versprengt und in der sangwinea-fusca-Kolonie adoptiert worden war. Dadurch würde sich die bedeutende Größe der pratensis-Arbeiterinnen direkt erklären lassen. b) Oder es war zwar eine junge Königin, aber die günstigen Erziehungsverhältnisse ihrer Larven in der noch ziemlich volkreichen sanguinea-fusca-Kolonie gestatteten eine reichliche Larvenernährung. Denn der Hauptgrund für die Kleinheit der ersten Arbeitergeneration in den jungen pratensis- und rufa-Kolonien liegt in der kümmer- lichen Larvenernährung bei beschleunigter Erziehung derselben. Obwohl die Königinnen von rufa und pratensis ıhre neuen Kolo- nien*) als Adoptionskolonien mit Hilfe von Arbeiterinnen von fuse« (bezw. rufibarbis) gründen und somit ihre erste Arbeiterschaft nicht selber erziehen, so bleibt jener Grund doch auch ın den schwach bevölkerten jungen Adoptionskolonien bestehen. c) Oder die pratensis-Arbeiterinnen in der dreifach gemischten Kolonie stammten überhaupt noch nicht aus den Eiern der erst vor kurzem adoptierten, Jungen pratensis-Königin, sondern waren durch Puppenraub der sangrrinea aus einem benachbarten schwachen pratensis-Nest dorthin gelangt. Dadurch würde die Körpergröße jener pratensis- Arbeiterinnen und ihr frischer Entwickelungszustand sich leicht erklären; ebenso auch die Abwesenheit von Eierpaketen in dem die Königin umgebenden Ameisenklumpen. 4) Ich sage „neue Kolonien“ im Gegensatz zu der bei ihnen sehr häufigen Zweigkolonienbildung von einem Mutterneste aus. 672 Wasmann, Nachschrift. Uber pratensis als Sklaven von sanguinea. d) Oder nur die etwas älteren, bereits ausgefärbten, großen pratensis-Individuen stammten aus einem vor mehreren Wochen erfolgten Puppenraub, während die jüngeren, nur mittelgroßen, ganz frisch entwickelten bereits aus den von der adoptierten Königin in dieser Kolonie gelegten Eiern sich entwickelt hatten. Dagegen spricht allerdings der Umstand, dass weder Larven noch Eierpakete ın dem aus der Kolonie mitgebrachten Nestmaterial sich fanden. Es ist somit wahrscheinlicher, dass die Eiablage der jungen, neu aufgenommenen pratensis-Königin noch gar nicht begonnen hatte. P. Wasmann, der mir diese Erklärungsmöglichkeiten angab, neigt selber zur dritten (c), da er sie nach seinen Erfahrungen über mehrere mit pratensis gemischte sangwinea-Kolonien bei Exaten für die wahrscheinlichste hält. Er wird Näheres darüber in einer eigenen Nachschrift anführen. Ich dagegen möchte den zweiten, unter b genannten Lösungsversuch vorziehen, weil das die Reste der Puppenhaut tragende Exemplar sich an Größe von den zwei größten pratensis nicht viel unterscheidet und somit auch diese beiden als frischentwickelte Individuen angesehen werden können. Demnach wären die sämtlichen, sowohl die mittelgroßen als großen pratensis- Arbeiterinnen Nachkommen einer in der weisel- losen Raubkolonie sangwinea-fusca adoptierten pratensis-Königin?°). Nachschrift. Über pratensis als Sklaven von sanguinea. Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg). Unsere Kenntnis der anormal gemischten natürlichen Kolonien von Formica sanguinea ıst durch obige interessante Entdeckung Rüschkamp’s um einen neuen Baustein bereichert worden. Unter den oben (S. 668) zitierten, von mir bei Exaten beobachteten fünf Fällen anormal gemischter sanguinea-Kolonien gleicht dieser Fall am meisten der Kolonie Nr. 247, deren Schicksale ich 1902!) in der „Allgem. Zeitschr. f. Entomologie“ eingehend beschrieben habe. Auch hier wurde ın einer Raubkolonie sangwinea-fusca ein befruchtetes pra- tensis-Weibehen aufgenommen, wodurch eine dreifach gemischte Raub- und Adoptionskolonie sunguinea-fusca-pratensis entstand. Die 5) Der frische Entwickelungszustand jener pratensis-Arbeiterinnen lässt sich ebensogut durch die Annahme erklären, dass dieselben aus einem erst kürzlich er- folgten Puppenraub stammten. Die Größe der Arbeiterinnen und die Abwesenheit von Eierklumpen bei der Königin stimmen jedenfalls besser zu der dritten Er- klärungsmösglichkeit als zu der zweiten. Der Puppenraub von pratensis durch die sanguinea erfolgte wahrscheinlich erst nach der Adoption der pratensis-Königin und war vielleicht gerade durch letzteren Umstand psychologisch veranlasst. (An- merkung von E. Wasmann.) 1) Neues über die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien, S. 12—20 (Separ.) a m. u ee u u LU _ Wasmann, Nachschrift. Uber pratensis als Sklaven von sanguwinea. 6753 weiteren Schicksale der Rüschkamp’schen Kolonie würden sich ebenfalls ähnlich gestaltet haben, wenn man sie hätte weiter ver- folgen können. Gleich der Kolonie Nr. 247 würde sie in ein oder zwei Jahren durch Aussterben oder Auswandern der letzten sangwinea- fusca zu einer reinen pratensis-Kolonie geworden sein. Was die Valkenburger Kolonie jedoch von der Exatener Kolonie Nr. 247 unterscheidet und Erklärungsschwierigkeiten bietet, ist das Vorhandensein von relativ großen statt kleinen pratensis-Arbeiter- innen in der gemischten Kolonie zu einem Zeitpunkt, der auf die Adoption der pratensis-Königin nahe folgte Wenn ıch es für das wahrscheinlichste halte, dass diese Arbeiterinnen nicht aus den Eiern der neuen Königin stammten, sondern als Kokons durch Puppen- raub in das sanguinea-Nest gelangten, so sind meine Gründe dafür folgende. Unter den fünf in meiner Statistik des sangrinea-Gebietes bei Exaten beobachteten anormal gemischten Kolonien finden sich außer der Kolonie Nr. 247 noch drei andere (Nr. 66—67, 84 und 105), welche pratensis als Hilfsameisen hatten (siehe oben S. 668). In der Nähe dieser sanguinea-Kolonien lagen schwach bevölkerte Nester von pratensis bezw. von var. rufo-pralensis; aus diesen müssen die sanguinea sich durch Sklavenraub pratensis-Arbeiterinnen ver- schafft haben. Dies geht aus den folgenden, noch unveröffent- lichten Notizen über jene Kolonien hervor, die ich meinen steno- graphischen Tagebüchern entnehme. Kol. Nr. 66—67. — Sie wurde am 20. Mai 1895 entdeckt und bis ın den September 1898 beobachtet. (Im Winter 1898 —99 wurde sie durch Umgraben des Heidelandes zerstört.) Sie bewohnte abwechselnd oder gleichzeitig drei, ein Dreieck bildende Nester, die mehrere Meter voneinander entfernt waren. Bei 30 Besuchen während vier Jahren sah ich niemals auch nur eine fasca als Hilfs- ameise in denselben, sondern nur sangwinea und pratensis?). Als ich die Kolonie entdeckte, war sie bereits mittelstark (ca. 1000 Ar- beiterinnen) und enthielt in dem einen der beiden kleinen Nest- haufen etwa 10%, pratensis, ım andern gegen 40%; es waren mittel- große bis große Individuen. Aus dieser großen pratensis-Zahl ist zu schließen, dass die Kolonie’ damals noch eine Adoptionskolonie war, entstanden durch die Aufnahme eines sanguinea-W eibchens ın einer weisellosen pratensis-Kolonie. Hieraus erkläre ich mir die Sitte dieser sangeainea, auch künftig pratensis als Sklaven zu rauben, weil die ersten Arbeiterinnen durch pratensis erzogen worden waren (vgl. Biol. Centralbl. 1905, S. 125 und 281; 1909, S. 600). Eine 2) Es sei hier darauf aufmerksam gemacht, dass bereits Forel in der Schweiz (Etud. myrmecol. en 1875, p. 57) eine natürliche sanguwinea-rufa-Kolonie und später (Et myrm. en 1886, p. 139) eine natürliche sanguwinea-pratensis-Kolonie, beide ohne fusca, fand. 574 Wasmann, Nachschrift. Über pratensis als Sklaven von sanguinea. pratensis-Königin war sicherlich nicht in derselben; denn die ge- flügelten Geschlechter gehörten stets nur sanguinea, niemals pra- tensis an. Da die Zahl der sangeunea-Arbeiterinnen in dieser Kolonie 1895 rasch wuchs, sank die relative Zahl der pratensis in den folgen- den Jahren auf durchschnittlich 10%, immerhin eine verhältnismäßig hohe Hilfsameisenzahl für eine über mittelstarke sangwinea-Kolonie. Die Kolonie war bei ihrer Entdeckung schon wenigstens zwei oder drei Jahre alt. Da aber das individuelle Alter der Formica-Arbeiter- innen nach meinen Versuchen in Beobachtungsnestern und in freier Natur (Biol. ( Centralbl. 1905, S. 210ff.) drei Jahre nicht übersteigt, müssen in obiger Kolonie neue Hilfsameisen aus einem pratensis- Neste er aubt worden sein; sonst ist ihre konstante Mischung mit pratensis bis Herbst 1898 nicht zu erklären. Einmal sah ich auch (im August 1898) frisch entwickelte pratensis in einem der Nester dieser sangueinea-Kolonie. Wenn zwei oder drei der zu ihr gehörigen Nester gleichzeitig bewohnt waren, war in einem der- selben die Zahl der pratensis meist viel größer als im andern; dem- entsprechend war dann auch die Bauart der Nester eine verschie- dene, dem groben Kuppelbau von pratens’s oder dem feinen von sanguinea sich nähernd. Beim nächsten Besuche hatte manchmal schon wıeder die Artverteilung der Bewohner in den Nestern und deren Bauart gewechselt. Dass diese Kolonie eine wirkliche Raub- kolonie sanguinea-pratensis war, halte ich für sicher. Kol. Nr. 84. — Eine ziemlich volkreiche sangawinea-Kolonie, die ich schon seit mehreren Jahren kannte, aber erst am 26. Mai 1895 notierte und näher untersuchte. Sie hatte damals außer etwa 3% fusca noch 3%, pratensis-Sklaven von zwei deutlich verschie- denen Färbungen, einer dunklen, fast schwarzen Rasse und einer helleren, rwfa-ähnlichen (var. rufo-pratensis), war also vierfach gemischt. Dieses Verhältnis blieb bestehen bis zum September, wo sie auswanderte und später nicht wieder gefunden wurde. Auch hier müssen die pratensis durch Sklavenraub in die sanguinea- Kolonie gelangt sein, da sie nur in geringer Zahl vertreten waren und zweierlei Varietäten angehörten. Kol. Nr. 105. — Eine starke sangwinea-Kolonie an einem Waldrand, am 27. Mai 1896 notiert und bis zum 27. August 1898 beobachtet. (Im folgenden Winter wurde sie durch Umeriben der Heide zerstört.) Während des Jahres 1896 und im Frühling 1897 hatte sie nur fusca als Sklaven. Am 12. Juni 1897 traf ich in ihr außer etwa 3%, fusca noch 2%, rufo-pratensis (helle Varietät); am 8. Juli noch etwas mehr von beiden Sklavenarten (je ca. 5%). Eine Königin von refo-pratensis war sicher nicht ım Neste; denn die geflügelten Weibchen, die ich hier fand, waren nur sanguinea und die Prozentzahl der pratensis-Arbeiterinnen blieb auch 1898 noch fast dieselbe wie jene der fusca. Wäre eine rufo-pratensis- Molisch, Mikrochemie der Pflanze. 675 Königin 1897 adoptiert worden, so hätte die Zahl ihrer Arbeiterinnen im folgenden Jahre bedeutend steigen müssen, wie es in Kol. 247 tatsächlich der Fall war. Kol. 105 zeigt überdies, dass auch eine ursprünglich mit fusca gegründete sanguinea-Kolonie später zum pratensis-Raub übergehen kann, wenn schwache Kolonien dieser Art in ihrer Nähe liegen. Diese Beispiele zeigen zur Genüge, wie mannıgfach verschiedene Verhältnisse bei den dreifach gemischten Kolonien sangwinea-pra- tensis-fusca vorliegen können. Nur durch längere Beobachtung wird es gelingen, ihre jeweilige Entstehungsgeschichte klarzustellen, wo- beı man sich vor jeder vorgefassten Schablone zu hüten hat. Zum Schluss noch eine Bemerkung über die abhängige Kolonie- gründung von Formica rufa. Obwohl ich mit Wheeler, Brun, Reichensperger, Rüschkamp und Kutter der Ansicht bin, dass eine weisellose fusca-Kolonie — ebenso wie bei der Kolonie- gründung von F. truncicola mit fusca — die günstigsten Be- dingungen für die Adoption eines rufa-Weibchens ın der Hilfs- ameisenkolonie bietet, so liegt doch auch die bereits tatsächlich bestätigte Möglichkeit vor, dass eine rufa-Königin, die nach dem Paarungsfluge ın ein fusca-Nest eindringt, das noch eine eigene Königin hat, diese während ihrer Adoption durch die fesca-Arbeiter- innen gewaltsam beseitigt. Einen in freier Natur eingeleiteten und im Beobachtungsnest fortgesetzten Vorgang dieser Art habe ich im Biol. Centralbl. 1905°), S. 663 u. 683ff. als Augenzeuge be- richten können. R. Brun hat diese Beobachtung wohl nicht mehr ın Erinnerung gehabt, als er kürzlich das zu allgemeine Urteil aus- sprach): „Jedenfalls kann man bei rufa den von Santschi-Forel an Wheeleriella und Bothriomyrmex, von Emery an Polyergus be- obachteten Modus, wonach das eindringende Parasitenweibchen die Königin der Hilfsameisenart tötet und sich an ihrer Stelle adop- tieren lässt, ziemlich sicher ausschließen.“ Hans Molisch. Mikrochemie der Pflanze. X und 395 S. 116 Abbildungen im Text. Gustav Fischer. Jena 1913. Wie stark das Bedürfnis der biologischen Wissenschaften nach einer zusammenfassenden und kritischen Darstellung der mikro- chemischen Methoden und der mit ihrer Hilfe gewonnenen Unter- suchungsergebnisse geworden ist, lässt sich aus der wachsenden Zahl der ın den letzten Jahren zur Veröffentlichung gelangten, 3) Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myr- mekophilie bei den Ameisen. 4) Zur Biologie von Formica rufa und Camponotus herculeanens i. sp. (Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiol. 1913. Heft 1, S. 16). 676 Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. diesem Gegenstand gewidmeten Publikationen ersehen. Es er- schienen, um nur die auffälligsten zu nennen, die wertvollen, ein- schlägigen Werke Czapek’s, Wehmer’s, Euler’s, Emich’s, Grafe’s und Tunmann'’s, denen sich nunmehr die „Mikrochemie der Pflanze“ von Hans Molisch anreiht. Es ıst dankbar zu be- grüßen, dass ein Mann wie Molisch sich zu einer solch mühe- vollen Arbeit entschloss, der ja, durch so manche eigene sowie unter seiner Leitung durchgeführte, mikrochemische Fragen be- handelnde Arbeiten auf das günstigste vorbereitet, dazu besonders bestimmt war. Wie sehr ihm die Lösung der Aufgabe gelungen ist, die er sich in seinem Buche gestellt hat, nämlich die Mikrochemie der Pflanze in weiterem Umfange auf der Basis der heutigen Erfahrungen zu behandeln, wobei das Vorhandene kritisch zu prüfen und über den Wert und die Brauchbarkeit der Reaktionen jedesmal durch eigene Anschauung ein Urteil zu bilden war, zeigt deutlich der Inhalt des Werkes an. Dieser gliedert sich in einen allgemeinen und einen speziellen Teil. Im ersten findet sich neben den einleitenden Abschnitten über Licht- und Schattenseiten der Mikrochemie, ferner über die Ergebnisse der Mikrochemie in ihrer Bedeutung für die Anatomie, Physiologie und Systematik der Pflanze die mikrochemische Methodik sehr anschaulich dargestellt. Im spe- zıiellen Teil, der sich in einen anorganischen und einen organischen gliedert und dem noch ein solcher über die Zellhaut und weiter über Einschlüsse des Kerns, Plasmas und Zellsafts angefügt ist, werden die einzelnen Stoffe in übersichtlicher Zusammenstellung der Reihe nach behandelt, und zwar jedesmal über ıhr Vorkommen und die besten Möglichkeiten ihres Nachweises berichtet. Jedem Abschnitt ist ein reichhaltiges Literaturverzeichnis beigegeben. Eine Anzahl trefflicher Originalfiguren machen das Buch besonders wert- voll. So wird das Buch für jeden, der sich mit der pflanzlichen Mikrochemie beschäftigt, sei es, dass er sich in die zugehörige Me- thodik einarbeiten, seı es, dass er sich über das Vorkommen und die einwandfreisten Nachweismittel der verschiedenen in den Pflanzen sich findenden Stoffe orientieren will, ein zuverlässiger Wegweiser sein, zudem zur Weiterarbeit manche Anregung geben. Max Koernicke, Bonn. L. Plate. Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. Für Studierende, Ärzte und Züchter. Handbücher der Abstammungslehre herausgegeben von Prof. L. Plate. Jena. II. Band. 519 S. 179 Figuren und Stammbäume im Text und 3 farbige Taf. Leipzig 1913. Wilhelm Engelmann. Preis: Mk, 18.—, geb. Mk. 19.—. Zu den im Jahre 1911 ın Deutschland herausgegebenen drei Lehrbüchern der Vererbungswissenschaft von Baur, Haecker (2. Auflage 1912) und Goldschmidt erschien im Winter 1913 ein viertes von Plate. Die drei gleichzeitig veröffentlichten Arbeiten Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. 6577 komplettierten einander vorzüglich, indem Baur hauptsächlich den Mendelismus behandelte, den er vorwiegend durch Beispiele aus der Pflanzenwelt illustrierte, Haecker wiederum sein Werk in erster Linie dem zytologischen Zweige der Vererbungslehre mit be- sonderer Berücksichtigung der Tierwelt widmete, während schließlich Goldschmidt sein Interesse vor allem der von den zwei eben genannten Forschern kaum oder nur beiläufig berücksichtigten Variationsstatistik zuwandte. Ein gemeinsamer Zug der drei Werke ist, dass sie die Ver- erbung bei dem Menschen nur vorübergehend streifen, und es scheint Ref. deshalb ein glücklicher Gedanke von Plate gewesen zu sein, gerade diesen wichtigen, bis jetzt noch wenig behandelten jüngsten Zweig der Vererbungslehre, einschließlich der Eugenik oder Rassen- hygiene, zu einem wesentlichen Abschnitt (ca. 100 Seiten) seines Werkes gemacht zu haben. Hierdurch verteidigen alle vier deutschen Vererbungslehren ıhr Dasein, indem sie das bald unübersehbare Material unter verschiedenem Gesichtswinkel betrachten. Es ist selbstverständlich nicht möglich, eine so umfassende und inhaltsreiche Arbeit, wie die vorliegende, eingehender zu referieren, weshalb ich mich hier auf einige Worte über die Auf- stellung der Arbeit und die Behandlungsweise des Themas beschränken muss und zum Schluss Plate’s Auffassung ın einigen besonders wichtigen und umstrittenen Fragen erwähnen werde. Im 1. Abschnitt werden zunächst die allgemeinen Tatsachen über Erblichkeit, Nichterblichkeit, Variabilität und Selektion be- handelt. In den drei folgenden Kapiteln wird der Mendelismus sehr eingehend besprochen, worauf das 5. Kapitel der Vererbung des Geschlechts und den geschlechtsabhängigen Merkmalen gewidmet wird. In dem 6. Abschnitt bringt Verfassser, wie gesagt, eine aus- führliche Zusammenstellung unsere jetzigen Kenntnisse von der Vererbung beim Menschen. Hiernach folgen Erörterungen theore- tischer Art, die verschiedene Probleme der Vererbungslehre be- handeln, wie z. B. die Natur der angenommenen Vererbungsträger oder Gene, das Verhalten vom Mendelismus zur Abstammungslehre und zur Mutationstheorie. Sodann berührt Plate die zytologischen Forschungen, welche die Mendel’schen Spaltungsgesetze in zyto- morphologischer Hinsicht begründen, und zum Schluss folgen noch einige Worte über die praktische Bedeutung der modernen Genetik. Bei der Behandlung des Stoffes hat Plate den Wunsch gehegt, nicht nur ein Buch zu schreiben, das bloß die Hauptzüge der Ver- erbungslehre bringt, die Schwierigkeiten und Streitfragen dagegen bei Seite lässt, sondern ein Werk zu schaffen, das mit einer ele- mentaren Darstellungsweise eine gewisse Vollständigkeit und Kritik vereint. Die Aufgabe ist keine leichte gewesen, möge es aber gleich gesagt sein, daß Verf. sie dennoch sehr glücklich gelöst hat. Die Einteilung der Kapitel in Paragraphen und diese in Momente macht es dem Anfänger leicht, sich zu orientieren, und der vorgeschrittene Forscher findet mühelos eine Zusammenstellung der wichtigsten be- XXXII. HH 678 Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. kannten Fälle irgendeiner Form der Vererbung. Selbstverständlich wird die Lektüre durch die immer wiederkehrende Kategorisierung und die pädagogische Behandlungsweise des Stoffes weniger genuss- reich. Plate ist sich aber dessen offenbar bewusst gewesen, hat es jedoch für wichtiger gehalten, der Arbeit den Charakter eines Handbuches der Vererbungswissenschaft zu verleihen. Eine der ersten brennenden Fragen in der Genetik, die von Plate diskutiert wird, ıst der Begriff der Vererbung. Plate lehnt entschieden die von Baur u. a. gegebene Definition ab, nach welcher ein Merkmal als solches oder seine Anlagen nicht vererbt werden, sondern nur die Fähigkeit, unter denselben äußeren Bedingungen ähnlich wie die Eltern zu reagieren. Plate gesteht zwar, dass der an und für sich richtige Gedanke, dass auch die erblichen Eigen- schaften von der Außenwelt nıcht unabhängig sind, in der Definitton zum Ausdruck kommt, meint aber, dass wenn wir an dieser Auf- fassung festhalten, wir alle Merkmale als erblich ansehen müssen. Er möchte deshalb die Weismann’sche Anschauung aufrecht er- halten, welche eine scharfe Grenze zwischen den von der Außenwelt relativ unabhängigen erblichen Merkmalen oder Variationen und den überwiegend von dem Milieu erzeugten Eigenschaften oder den Somationen zieht. Die von Plate vertretene Ansicht wird sich wohl in den meisten Fällen als richtig erweisen und hat vor allem einen praktischen Wert, aber allgemeine Gültigkeit kann sie trotz- dem nicht beanspruchen. Es gibt nämlich besonders ım Pflanzen- reich Eigenschaften, die zweifellos durch Erbeinheiten bestimmt, aber trotzdem von den Milieueinflüssen so verändert werden, dass sie nicht mehr erkennbar sind. Ein solches Beispiel sind die be- kannten von Johannsen gezüchteten reinen Linien von Bohnen. Die Bohnengröße ıst ein erbliches Merkmal; sie wird jedoch so leicht durch verschiedene äußere Bedingungen beeinflusst, dass man die besonderen Rassen nur durch Beurteilung ihrer Nachkommen- schaft sicher erkennen- kann. In einem solchen Fall kommt man also tatsächlich nicht ohne die Definition von Baur aus. Das Prinzip, nach dem die Erbeinheiten benannt werden sollen, wird von Plate erörtert, und er betont, wie wichtig es ıst, dass die Buchstaben so gewählt werden, dass sie, wenn möglich, irgend- eine Beziehung zu der Eigenschaft haben, die das von ıhnen be- zeichnete Gen hervorruft, z. B. B (black), © (colour). Vor allem wiederholt Plate seinen schon früher gemachten Vorschlag, dass man auch in der (Genetik das Prioritätsgesetz gelten lassen sollte und nicht fortwährend die schon eingebürgerten Buchstaben ver- ändern, denn sonst wird die schon jetzt bemerkbare Verwirrung mit jedem Jahr größer. Es wäre zu hoffen, dass dieser gut be- gründete Vorschlag unter den Genetikern allgemeinen Anschluss fänden. Unter den Kapiteln, die den Mendelismus behandeln, fällt be- sonders das dritte über die dihybriden Kreuzungen auf. Plate hat hier eine sehr verdienstvolle und klare Zusammenstellung einer großen Anzahl verschiedener Fälle ausgearbeitet, die sicher das Ver- Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. 679 ständnis für die oft sehr verwickelten Spaltungen erheblich erleichtern wird. Der Mendelismus wird sodann durch Beispiele in erster Linie aus der Säugetierklasse erläutert, unter denen die von Plate selbst gekreuzten Hausmausrassen am eingehendsten besprochen werden. Selbstverständlich finden auch andere Tierklassen und auch ver- schiedene Pflanzen wie z. B. die Löwenmaulrassen von Baur Er- wähnung. Die Homomerie -— mit welchem Ausdruck Plate die Erscheinung bezeichnet, dass ein Außenmerkmal durch die Wirkung zweier oder mehrerer selbständiger gleichsinniger Faktoren hervorgerufen wird (Polymerie nach Lang) —, findet eine sehr eingehende Erörterung, und Plate kommt zu dem Resultat, dass alle bisher beschriebenen Fälle von konstant-intermediärer Vererbung (OÖhrenlänge der Ka- ninchen, Mulattenfarbe) durch die Annahme einer gegenwärtigen Homomerie eine völlig befriedigende Erklärung erhalten. Plate zweifelt überhaupt an dem Vorkommen einer intermediären Ver- erbung zwischen nahe verwandten Formen, deren Gameten also immer spalten sollten. Dagegen scheint es Plate nicht unmöglıch, dass es konstant-intermediär vererbende Artbastarde gıbt, obgleich sie ın der Regel steril oder sehr wenig fruchtbar und aus diesem Grunde einer Untersuchung nicht zugänglich sind. In bezug auf die Erklärung der Entstehung der intermediären Bastarde will Plate die von ıhm früher verteidigte Hypothese von einer Verschmelzung der Gene nicht mehr aufrecht erhalten, son- dern meint ganz ım Gegenteil, dass die Gene ihre Selbständigkeit bewahren. Die Richtigkeit dieser ın jeder Hinsicht weit besser be- gründeten Auffassung ıst inzwischen durch Untersuchungen der Keimzellen von Schmetterlingsbastarden wenigstens für diese Gruppe bewiesen. In dem Abschnitt über die Vererbung beim Menschen wird zuerst die graphische Darstellungs- und Registrierungsweise in der Familienforschung durch Beispiele erläutert. Sodann behandelt Plate die normalen Merkmale, die den Mendel’schen Regeln folgen. Es sind Haarform und -farbe, Irisfarbe, Hautfarbe einschließlich des Albinismus, Lebensdauer, Alkaptonurie, der Habsburger Familien- typus und der jüdische Gesichtstypus. Hiernach bringt Plate einige Leitsätze zur Beurteilung von erblichen Missbildungen und Krankheiten und erklärt, wie die Anlagen sich vererben, je nach- dem, ob sıe dominant, rezessiv oder vom Geschlecht abhängig sind. Zuerst werden die dominanten Anomalıen behandelt, unter denen die Brachydaktylie die am besten bekannte ist und allgemein als Paradebeispiel Erwähnung findet. Bei den übrigen: Phalangenver- wachsung, Polydaktylie, Spaltfuß, Haararmut, Hypospadie, Lippen- und Kieferspalte sowie Zwergwuchs durch Achondroplasie liegen die Verhältnisse nicht ganz so klar, sondern Ausnahmen kommen noch vor, die wohl durch Heranziehung eines größeren Materials in der Zukunft ihre Erklärung finden werden. Unter den dominanten Krankheiten werden weiter verschiedene solche der Haut aufgezählt. Hierher gehören auch solche Störungen des Stoffwechsels, wie 44: 680 Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. Diabetes insipidus und mellitus, Zystindiathese und erbliche Gelb- sucht. Auch einige Nerven- und mehrere Augenkrankheiten scheinen dem dominanten Typus anzugehören, wie Star, Glaucoma, Retinitis pigmentosa (auch rezessiv), Anıridie, Hemeralopie, Nystagmus u.a Unter den rezessiven Anomalien sind die angeborene Hüftgelenk- verrenkung und der echte Zwergwuchs die wichtigsten. Als ver- mutlich rezessiv werden noch folgende Krankheiten angeführt: hereditäre Taubheit, Epilepsie und Schwachsinn, Xeroderma pig- mentosum und Friedreichsche Ataxie. Das größte Interesse bean- spruchen die geschlechtsabhängigen Krankheiten, unter denen die Farbenblindheit und Hämophilie die bekanntesten und gründlichst untersuchten sınd. Es kommen aber eine große Anzahl anderer Krankheiten vor, die dem gynephoren Vererbungstypus angehören, d.h. durch äußerlich gesunde Mütter auf die Söhne übertragen werden. Es würde zu weit führen, die verschiedenen interessanten Erklärungsversuche dieser eigenartigen Form der Vererbung hier näher zu erörtern. Es wird aber immer wahrscheinlicher, dass dieselbe mit den Geschlechtschromosomen ın Verbindung steht. Das größte Interesse in Plate’s Werk knüpft sich zweifellos an seine Grundfaktor-Supplement-Hypothese, die er hier eingehend begründet. Er hat schon längst seine Zweifel über die Richtigkeit der Presence-Absence- Hypothese gehabt und diese auch ausgesprochen. Er muss zwar zugeben, dass dieselbe für die Genetik von außer- ordentlich großer Bedeutung gewesen ist und durch die einfache und klare Bezeichnungsweise mächtig zu ihrer Entwicklung bei- getragen hat, aber sie hat dennoch nicht den Nagel auf dem Kopf getroffen, und deshalb sah sich Plate veranlasst, seine Grund- faktor-Supplement-Hypothese aufzustellen. Verschiedene Verhält- nisse zwingen uns nämlich anzunehmen, dass der rezessive Zustand nieht nur etwas negatives darstellt im G egensatz zu dem positiven domı- nanten Zustand, wie die Presence- Absence- Hypothese lehrt, sondern dass beide durch bestimmte Stoffe hervorgerufen werden. So er- klärt sich der häufig vorkommende Valenzwechsel, womit Plate den Übergang vom dominanten zum rezessiven Zustand und vice versa versteht, viel leichter unter Voraussetzung solcher Stoffteilchen auch für die rezessiven Typen. Zu dieser Annahme zwingt uns geradezu das Verhalten der sekundären Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter, wenn wir die Bestimmung der Sexualität mit Hilfe der Faktorenhypothese erklären wollen. Beide Geschlechter ent- halten nämlich die Anlagen des anderen in latentem oder rezessivem Zustande und unter gewissen Umständen können diese aktiv werden. Plate setzt deshalb voraus, „dass der rezessive Zustand der ur- sprüngliche ist und auf einen „Grundfaktor“ beruht und dass durch Hinzutritteines,Supplements“ von vermutlich enzymartigem Charakter das höhere dominante Merkmal ausgelöst wird.“ Da Enzyme in inaktiver Form auf!reten können und dann wirkungslos sind, so kann man sich vorstellen, dass das Supplement als indifferenter Körper den Grundfaktor begleiten kann und plötzlich aktiv wird, d.h. den dominanten Zustand hervorruft. Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. 681 Plate’s Hypothese scheint Ref. ein Fortschritt zu sein, ob- gleich sie sich eigentlich nicht erheblich von der Presence-Absence- Hypothese unterscheidet. Dagegen kann Ref. die Kritik über diese in allen Punkten nicht billigen. So dürfte wohl die Behauptung (S. 400), dass sie das Vorkommen erbungleicher Teilungen fordert, kaum zutreffend sein. Plate meint nämlich, dass wenn Faktor A zu 2 A heranwächst, so ginge die Zelle vom herterozygotischen in den homozygotischen Zustand über. Hierbei berücksichtigt Plate jedoch nicht, dass gleichzeitig auch alle die übrigen Gene verdoppelt werden, wodurch das gegenseitige Verhalten zugleich des Faktors A zu der S Summe der übrigen Gene also forknahren ganz dasselbe bleibt. Denselben Vorwurf könnte man übrigens auch der Grund- faktor-Supplement-Hypothese machen. Sie wäre aber hier ebenso unberechtigt. Auch der Versuch (S. 249), zu beweisen, dass es nach der Presence-Absence-Hypothese gleichgültig ıst, ob man das Abrawas grossulariata 9 DDWm oder DRWm chen kommt Ref. nicht überzeugend vor, obgleich man andererseits auch zugeben muss, dass die Annahme, alle in der Natur vorkommenden 99 seien ee: zygotisch, auch nicht zusprechend ist. Hier hilft man sich wohl am besten aus, wenn man den @rossulariata-Faktor ın das X-Chromosom verlegt und das 9 als heterogametisch, das 5 als homogametisch betrachtet, wozu man völlig berechtigt ist, seitdem es gelungen ist, ein solches Verhalten bei einer anderen 'Schmetterlingsart festzu- stellen. Die Bedeutung der zytologischen Forschungen für die Genetik wird von Plate im 9. Kapitel betont, wobei er sich ım schärfsten Gegensatz zu der extrem mendelistischen Schule stellt, die jedes Ver- ständnis für die zytologische Richtung in der Vererbungswissenschaft entbehrt. Durch die neuesten Arbeiten auf dem Gebiete der Hetero- chromosomen-Forschung wird wohl die unberechtigte Skepsis weichen müssen, und es ist als besonders erfreulich zu begrüßen, dass Plate, der selber nur auf dem Gebiete der experimentellen Genetik tätig gewesen ist, die zytomorphologische Schule so hoch zu schätzen weiß. In dem 1. Bande der in Rede stehenden Handbücher, das gleichzeitig die 4. Auflage von Plate’s bekanntem Buche „Das Dar- win’sche Selektionsprinzip“ bildet, wird Plate die Selektions- theorie eingehend behandeln. Hier wird deshalb nur die Bedeutung der modernen Vererbungslehre und der Mutationstheorie für die Auswahlslehre kurz erörtert. Plate ist bekanntlich seit der Ver- öffentlichung der Mutationstheorie ein eifriger Bekämpfer dieser gewesen. Er hat, mit Anerkennung der Bedeutung der experimen- tellen Arbeiten von de Vries, die auf diese aufgebauten theoreti- schen Anschauungen bestimmt abgelehnt. Er gehörte zu den ersten, die den Gedanken aussprachen, dass Oenothera Lamarckiana keine reine Art, sondern ein komplizierter Bastard sei. Demzufolge seien die de Vries’schen Mutationen nicht als solche, sondern "als ge- wöhnliche Spaltungsprodukte aufzufassen. Diese Annahme wurde von anderen Forschern als falsch erklärt und zurückgewiesen. In- 682 Plate, Vererbungslehre mit besonderer Berücksichtigung des Menschen. zwischen hat die Plate’sche Auffassung durch Arbeiten amerika- nıscher Forscher immer mehr an Wahrscheinlichkeit gewonnen und dürfte durch die experimentelle Nachprüfung der de Vries’schen Versuche von Heribert-Nıilsson endgültig als richtig festgestellt sein. Leider erschien die Arbeit des schwedischen Genetikers zu spät, um ın Plate’s Arbeit berücksichtigt werden zu können. In einer so jungen Wissenschaft wıe der Genetik hat die Ter- minologie selbstverständlich noch keine größere Festigkeit erreicht, und man findet oft, dass die Genetiker denselben Ausdruck in ganz verschiedener Bedeutung benutzen. So wird beispielsweise der von Johannsen geschaffene Ausdruck „reine Linie“ sehr oft als gleichbedeutend mit Homozygot benutzt, was ganz falsch ıst. Plate hat sich dagegen bemüht, die ursprüngliche Bedeutung der Fach- termini beizubehalten, und wo sie ıhm nicht gut und charakteristisch schienen, hat er neue geschaffen, wie dies z. B. mit dem erwähnten Terminus Homomerie geschah. In einem Fall möchte Ref. Plate dennoch nicht beistimmen, nämlich in bezug auf die Anwendung des Wortes Biotypus. Plate meint, dass alle Individuen, welche dieselbe genotypische Zusammensetzung haben, also auch die Hetero- zygoten zu einem Biotypus gehören. Ref. möchte dagegen die Bezeichnung Biotypus für Homozygoten, Mikroarten, Kleinrassen, reine Linien u. s. w. reservieren; in diesem Sinne dürfte er wohl auch zuerst von Johannsen gebraucht worden sein. — Plate’s Erwähnung des Walnusskammes als Beispiel eines Heterozygoten, der etwas neues darstellt, ıst wohl als ein Lapsus anzusehen, denn unter den Amphimutationen wird er auch ganz richtig an- geführt. Für eine zweite Auflage des ausgezeichneten Werkes, die wohl nicht allzu lange auf sich warten lassen wird, möchte Ref. den Wunsch aussprechen, dass die Abbildung, welche die Vererbung der Abraxas grossulariata- und lacticolor-Formen darstellt, mit einer neuen ersetzt würde. In der jetzigen sınd die Bezeichnungen der Faktoren irreführend und die Etiketten mit Angabe der Generationen streng genommen auch nicht korrekt. Da Verf. sich außerdem im Text verschrieben hat und ein störender Druckfehler vorkommt, wird das Auffassen der an und für sich schon verwickelten Uriss- Uross-Vererbung dem Anfänger große Schwierigkeiten bieten. Plate’s Werk kann also jedem biologisch interessierten Ge- bildeten aufs wärmste empfohlen werden, und der selbständige Forscher wird es, wie gesagt, oft zu Rate ziehen. Es verdient eine weite Verbreitung. Ausstattung und Druck des Buches sind, wie man es bei dem bekannten Verlage gewohnt ist, vornehm, und die 3 farbigen Tafeln geben eine eute- Vorstellung von den Farbenrassen der Hausmaus und einigen Löwenmaulsippen. Harry Federley, Helsingfors. I ae u u De Vries, Gruppenweise Artbildung. 683 Hugo de Vries, Gruppenweise Artbildung. 365 S. mit 121 Abb. im Text und 22 farb. Tafeln, Berlin 1913. Gebr. Borntraeger. Das neue Werk von de Vries enthält nicht die wohl von vielen Seiten ‘erwartete Abrechnung mit seinen Gegnern. Auch die von anderen Forschern inzwischen beigebrachten Tatsachen zur Umbildung der Arten werden nicht besprochen. Vielmehr wird an erweitertem experimentellem Material das Verhalten der Mutanten und älteren Arten von Oenothera bei Selbstbefruchtung und be- sonders bei Kreuzung dargestellt. Der Verf. beschränkt sıch also ganz auf die hauptsächlich von ıhm studierte Gattung, deren Ver- treter und ihre Bastarde mustergültig beschrieben und abgebildet werden. Es werden eine Menge von Tatsachen niedergelegt, deren Bedeutung sich noch schwer übersehen lässt. Hauptzweck des Verf. ist, zu zeigen, dass seine Mutanten sich anders verhalten als ge- wöhnliche Varietäten. Er hält dabeı an dem, z. B. von Baur be- kämpften Standpunkte fest. dass die Gültigkeit der Mendel’schen Regeln auf Varietäten beschränkt ist, d.h. auf solche Formen, die ihre Entstehung dem Verlust oder der Wiedererlangung verlorener Eigenschaften verdanken, dass dagegen Arten durch das Auftreten neuer Eigenschaften gekennzeichnet sind und bei Kreuzung eine konstante Mittelform liefern. Die Mutanten von de Vries lassen sich, soweit genauer unter- sucht, nach ihrem Verhalten bei Kreuzungen folgendermaßen ein- teilen: „A. Gigas-Gruppe. Entstehung von intermediären Hybriden. B. Brevistylis-Gruppe. Spaltung nach der Mendel'schen Regel. 0. Nanella-Gruppe. Spaltung bisweilen ın der ersten, bisweilen in der zweiten Generation. 0, nanella und rubrinervis. D. Lata-Gruppe. Spaltung stets bereits in der ersten Gene- ration, oder doch niemals erst in der zweiten. O.lala, O. scintillans, vielleicht auch ©. oblonga.“ O0. Gigas zeigt also ein besonderes Verhalten. Sıe bildet mit allen Verwandten Bastar de, die Arthybriden entsprechen. Dem ent- spricht auch die mangelhafte Fruchtbarkeit. Gleichzeitig ist sie durch den Besitz der doppelten Chromosomenzahl gegenüber den anderen Oenotheren ausgezeichnet. Sıe dürfte also durch das Auf- treten neuer Erbschaftsträger entstanden sein. O. brevistylis ıst eine Verlustvarietät, woraus sich das Ergebnis der Kreuzungen erklärt. O. rubrinervis ist in der Hauptsache durch Verlust des „Festig- keitspangens“ entstanden, und zwar tritt diese Veränderung zunächst in einer Sexualzelle auf, woraus die Halbmutante 0. subrobusta hervorgeht. Diese stellt einen Bastard zwischen O0. Lamarckiana und rubrinervis dar, der dann reine Rubrinervis abspaltet. Daher zweierlei Nachkommen in F, bei Kreuzung mit Lamarekiana. Bei Bastardierung mit den ferner stehenden Arten tritt die Aufspaltung erst in F, auf. 654 De Vries, Gruppenweise Artbildung. O. nanella verhält sich im Prinzip ebenso. Bei ihr ıst eine Erbeinheit, das Alta-Pangen, für Hochwuchs ınaktıv geworden. In Lamarckiana ıst es labıl, ın den älteren Arten aktıv. O. lata, scintillans und wahrscheinlich auch oblonga geben bei Kreuzungen immer schon ın F, Spaltung, weil das bestimmende Pangen in allen Arten außer der betreffenden Mutante inaktiv, ın dieser aber labil ıst. Am klarsten ist die Erblichkeitsstruktur von O. scintillans. Bei Selbstbefruchtung spaltet sıe auf, weil sie nur ım weiblichen Ge- schlecht mutiert ıst, also eine Halbmutante, einen Bastard darstellt. Bei Kreuzung bringt der Pollen keine Scintillans hervor, dıe Eizellen stets. Reine Scintillans, ın beiden Geschlechtern mutiert, also kon- stant, werden nicht hervorgebracht, weil das Pangen nie ın den männlichen Geschlechtszellen vorkommt. Genau so würde sich ver- mutlich ©. /ata verhalten, wenn sıe nicht rein weiblich wäre. 0. oblonga ist bei Selbstbefruchtung konstant, ihr Pangen ist also in beiden Geschlechtern im selben Zustand vorhanden. Bei Kreu- zung mit anderen Arten spaltet sie ın F,, also ıst die betreffende Eigenschaft ın diesen inaktiv, in ıhr selbst labıl. Der Zustand der Pangene lässt sich nach de Vries an folgen- dem erkennen: Labilität eines Pangens zeigt sich erst bei Kreuzung, Inaktivwerden bedingt Verlustmutation. Wenn Spaltungen in F, auftreten, so sind inaktıve und labile antagonistische Pangene zu- sammengetroffen. Kommt Spaltung erst ın F, vor, so haben inaktive und aktıve Pangene zusammengewirkt. Gar keine Spal- tung findet man, wenn keine Verschiedenheiten vorhanden sind (normale Befruchtung), wenn ein Pangen keinen Partner findet (Artbastarde) und wenn aktıve mit labılen Antagonisten sich kom- binieren. Ziemlich unabhängig von diesen Ergebnissen, aber darum nicht weniger wichtig, sind die Erfahrungen an Kreuzungen mit den anderen Oenothera-Arten. Die meisten Bastarde sind einförmig und- konstant. Besonders O0. biennis und muricata aber verhalten sıch anders, indem hier von den sichtbaren Merkmalen einige nur durch den Pollen, andere nur durch die Eizellen übertragen werden, so dass die reziproken Kreuzungen einander ungleich sınd. Das Ergebnis ist z. B. bei O. biennis, dass sein Pollen auf anderen Arten Bastarde erzeugt, die fast Biennis gleichen, dass die Eizellen aber mit fremden Pollen bestäubt eine ganz andere Nachkommenschaft ergeben, in der keine Biennis-Merkmale zu erkennen sind. Diese kleine Auslese der wichtigsten Resultate wird zeigen, dass die Mutationsforschung an Oenotheren auch weiterhin vieles aufdeckt, was einer Einordnung in das von anderen Arten bekannte Schema noch widerstrebt. Pringsheim (Halle). Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zn wollen. 0. Dezember 1913. Inhalt: Iltis, Uber eine Symbiose zwisehen Planorbis und Batrachospermum. — Mräzek, Die Schwimmbewegungen von Branchipus und ihre Orientierung. — Kutter, Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca i. sp. — (Car, Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. — Zander, Das Geruchsvermögen der Bienen. — Tendt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. —- Schreiber, Herstellung von Nährgelatine zu Wasseruntersuchungen durch die Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem. — Demoll, Ge- legentliche Beobachtungen an Libellen. — Przibram,,, Experimentalzoologie. — Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. — Roux, Über kausale und konditionale Welt- anschauung und deren Stellung zur Fntwiekelungsmechanik. — Tier- und Pflanzenleben der Nordsee. — Register. Bezatn, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. Von Hugo Iltis. (Mit 3 Textfiguren.) Der Begriff Symbiose wurde bekanntlich von De Bary (1366) und Schwendener (1869) für das ganz eigenartige Verhältnis von Pilz und Alge in den Flechten aufgestellt!). Seither sind sehr viele Fälle von wechselseitiger Förderung zusammenlebender Organismen bekannt geworden, aber keiner von solcher Innigkeit des Verbandes und so formbildender Kraft wie jener der Flechtensymbiose, durch die ja eine völlig neue Organismenklasse geschaffen wurde. In vielen Fällen handelt es sich um das Zusammenleben zweier Pflanzen: es sei an verschiedenartigen Erscheinungen, die unter dem Namen Mykorrhixa zusammengefasst werden, an die Bakterien- knöllchen der Leguminosen, an den in Lolium temulentum lebenden Pilz, an das Auftreten von Nostoc im Thallus von Lebermoosen 1) Neuere Literatur siehe: Kammerer, D. P. Genossenschaften von Lebewesen auf Grund gegenseitiger Vorteile. Stuttgart 1913. XXXII. 45 686 Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. (Anthoceros ete.) und Oycadeenwurzeln, von Anabaena im Gewebe von Axolla, von Sceytonema in Gunnera, an das erbliche Zusammen- leben von Bakterien und tropischen Pflanzen, namentlich Rubiaceen, erinnert. Häufig gehen ferner zwei Tierarten eine Lebens- gemeinschaft ein, so z.B. die Einsiedlerkrebse mit Aktinien oder mit Suberites. Endlich können sich pflanzliche und tierische Organismen zu einer Symbiose vereinigen: die Gelb- bezw. Grünfärbung vieler Tiere (Radiolarıen, Aktinien, Amöben, Infu- sorien, Spongien, Würmer, Wasserkäferlarven etc.) durch Zooxan- thellen und Zoochlorellen sei hier erwähnt. — Dem ursprünglichen Sinn des Begriffes Symbiose entsprechen am meisten jene Fälle, wo wie in den oben angeführten eine körperliche Vereinigung zweier Lebewesen vorliegt: doch spricht man von Symbiose auch dann, wenn Organismen ohne feste physische Verbindung durch Instinkt, Gewohnheit, gegenseitige Anpassung etc. miteinander ın Beziehung gebracht werden. Es sind hier z. B. die Rädertiere (Calli- dina)?) ın den Lebermoos-„Auriculae“, die Ameisen und myrme- kophilen Pflanzen, Ameisen und Ameisengäste, im weitesten Sinn des Wortes auch Ameisen und myrmekochore Pflanzen und endlich Insekten und Blütenpflanzen in ihren vielfältigen Beziehungen im Hinblick auf die Bestäubung zu nennen. Ebenso dürfen wir bei einer weiteren Fassung des Begriffs Symbiose jene Fälle ın seinen Umfang stellen, die den wechselseitigen Nutzen nicht klar erkennen lassen und die in mannigfachen Abstufungen einer seits zum Parasitismus, anderseits zum Epiphytismus oder zum bloßen Nebeneinanderleben, hinabführen. Wenn wir alle diese Fälle durch den Begriff Symbiose bezeichnen, so wird natürlich sein Geltungsbereich sehr erweitert, seine Präzision aber vermindert. Man kann aber auch den einzelnen Varianten entsprechende Ter- mini zuordnen, wie dies ja durch Aufstellung der Bezeichnungen Mutualismus, Helotismus, Synökie, Parabiose, Epiphytismus, Raum- parasitismus ete. geschehen ist. Eine scharfe Einordnung der Einzel- fälle in die Gebiete dieser Begriffe wird aber nur schwer durch- zuführen sein, da sich selbst für das klassische Beispiel, die Flechten, eine genaue Bestimmung der Vorteile (bezw. Nachteile), die aus der Symbiose für jeden der beiden Symbionten entspringen, heute noch nicht durchführen lässt, und da in vielen anderen Fällen (so z. B. im Falle der myrmekophilen Pflanzen, für die neuerdings jede Förderung durch die auf ihnen lebenden Ameisen bestritten wird ’°)), eine derartige Konstatierung noch schwieriger ist. Aber auch bei einer sehr weiten Fassung des Begriffes darf eine Erscheinung nur dann mit dem Namen Symbiose bezeichnet 2) Kerner, A. v. Pflanzenleben I, p. 234. 3) Jhering, v. Die Ceceropien und ihre Schutzameisen. Engl. bot. Jahrb., Bd. 39, 1907. Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 687 werden, wenn sie nicht etwa ein zufälliges Zusammentreffen zweier Organismen darstellt, sondern wenn vielmehr die betreffenden Lebe- wesen sich unter bestimmten Bedingungen regelmäßig zusammen- finden, wenn es sich ferner nachweisen lässt, dass die Trennung der Gemeinschaft für einen oder für beide Symbionten mit einem Nachteil verbunden ist. Also auch dann, wenn es sich nieht um ein obligates, sondern nur um ein fakultatives Zusammenleben han- delt, wird die häufige Wiederholung der gleichen Lebensgemein- schaft unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen zu den Kriterien der Symbiose gehören. Auf keinen Fall soll man sich ferner verleiten lassen, irgend- eine Art von Symbiose anthropomorphistisch aufzufassen, an irgend- etwas Bewusstes, an eine Art von Gesellschaftsvertrag, an ethische Momente etc. zu denken. Obwohl das eigentlich ganz selbstver- ständlich ist, scheint doch ein Hinweis darauf am Platze, da ın der neueren Zeit namentlich in der populär-wissenschaftlichen Literatur eine derartige Auffassung häufig anzutreffen ist. Die Symbiose ist also nicht dadurch entstanden, dass zwei Lebewesen, des Alleinseins müde, miteinander eine Verbindung eingegangen sind, sondern es ist das erste Zusammentreffen der Symbionten dem Zufall zuzu- schreiben und erst der aus der gegenseitigen Förderung der Lebens- funktionen sich ergebende Vorteil gibt der Selektion die Handhabe, aus der zufälligen eine regelmäßige Erschemung zu machen und eine Anpassung der Symbionten aneinander zu bewirken. Die Wahrscheinlichkeit des zufälligen Zusammentreffens zweier Lebe- wesen wird sehr groß sein, wenn sich auf engem Raum ein reiches Leben zusammendrängt: im Süßwassertümpel, auf den Boden der Flachsee werden wir am häufigsten, ebenso wie alle Arten des Kampfes ums Dasein, auch alle verschiedenen Stadien beginnender oder schon gefestigter Lebensgemeinschaften antreffen können. An einer solchen Lokalität, wo vielfältigstes Leben auf kleinstem Raum ein Inbeziehungtreten der nebeneinander wohnenden Lebewesen nach sich zog, wurde auch die im folgenden beschriebene Symbiose konstatiert. Im März des vorigen Jahres (1912) unterzog der Autor die Tümpel des sogenannten Paradieswäldchens in der Nähe von Brünn einer botanischen Untersuchung. Im Frühjahr sind diese Tümpel durch zahlreiche Wasseradern des vielfach überschwemmten Terri- toriums miteinander in Verbindung. Im Sommer erscheinen sie getrennt und namentlich die kleineren oft ganz oder teilweise aus- getrocknet. So wird oft reiches Leben auf einen kleinen Raum kon- zentriert. Ein solcher Grabentümpel am Rande des Paradieswäld- chens wies ein besonders reiches Tier- und Pflanzenleben auf. Er war ca. 30 m lang, 1m breit und !/, m tief. Häufige Besuche des Grabens in den folgenden Monaten ergaben ein ungefähres Bild 45* 688 Iltis, Uber eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. seiner Flora und Fauna. Auf der Wasseroberfläche und im Wasser schwammen Lemna minor und L. trisulea, am Grabenrand und am Fig. la u. 1b. Lebende Planorbis planorbis mit aufgewachsenen Batrachospermumsträuchlein. Grunde des Tümpels wu- cherten Galium palustre, Mentha aquatica, Teu- erimu Scordium, Lysi- machta nummularia, Ra- nunculus repens, Alisma plantago, Carex acutifor- mis, Typha angustifolia, Rumex obtusifollus, Ly- Ihrum salicarta, Sparga- nium racemosum und Salix amygdalina. Von Tieren seien erwähnt zahlreiche Egel (nament- lich Clepsinearten), Cope- poden und Phyllopoden, eine große Zahl von Phryganiden und Libel- lenlarven, Argyroneta glauca, und eine Unzahl von verschiedenen Mol- lusken, namentlich Pisi- dium spec., Limnaea stag- nalis, Limmnaea palustrts, Planorbis corneus und namentlich Planorbis pla- norbis L. — Besonders die letztgenannte kleine Tellerschnecke war in vie- len hunderten von Exem- plaren vertreten; einjeder Zug mit dem Kätscher brachte eine große Zahl herauf. Und ein jedes Exemplar, ohne Aus- nahme, trug einen, seinen Durchmesser an Länge oft um das Fünffache über- treffenden, dichten Rasen einer sehr zierlichen, dun- kelgraugrünen bis gelb- braunen Batrachosper- mumart(Fig. lau. 1b). Die Su au, A Iltis, Uber eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 68) Schnecke Planorbis planorbis L.(— P. umbilicatus Müll. = P. margi- natus Drap.) weist in ausgewachsenen Exemplaren ca. 14—20 mm Durchmesser auf, ıst dunkelhornbraun und festschalig. Es sind 5—6 Windungen vorhanden, die letzte ıst oben stark, unten schwach ge- wölbt, die flache Unterseite der letzten Windung ist am Rande stumpf gekielt. Der Algenpelz auf der Schnecke besteht aus bis 5 cm hohen Sträuchlein oder Rasen einer zarten und wenig schleimigen Batracho- spermumart. Die Alge ist vornehmlich an der Grube der Oberseite und an der gewölbten Außenwindung angewachsen. Auf der flachen Unter- seite entspringen fast gar keine Algen. Die gesunde Alge ist dunkel- braungrün oder dunkelolivgrün gefärbt. Sie sitzt der Schnecke mit langen, kriechenden, farblosen Vorkeimfäden auf, die nur vereinzelte, bikonkave Querwände aufweisen. Aus diesen rhizoidenartigen Vor- keimfäden, die sich der Unterlage anschmiegen und so die Be- festigung der Alge auf der Schnecke bewirken, entspringen nun einerseits die eigentlichen Batrachospermumpflanzen, andererseits lange gegliederte Zellfäden, die sich in einzelne Brutzellen (Gonidien) auflösen. Der unterste Teil des Algensträuchleins lässt fast gar keine Knoten unterscheiden, da auf der ganzen Länge zylinderbürsten- artig Interstitialzweige entspringen. Oben folgen die Internodien dicht aufeinander. Die Endzellen der einzelnen Zweige gehen alle in farblose Fäden aus, die oft so lang sınd als die Breite der ganzen Alge beträgt und am zugespitzten Ende eine starke Lichtbrechung aufweisen. Diese Endfäden, die ın dem die Alge umhüllenden Schleim stecken und diesen möglicherweise selbst ausscheiden, sınd oft von Fadenbakterien dicht umwunden. Die zahlreich vorhandenen Gonimoblasten stehen auf ganz kurzen Seitenzweigen, so dass sie dem Hauptstamm fast anzuliegen scheinen. Ein Vergleich mit Batrachospermum moniliforme Bory, das auf Steinen in einem un- weit unseres Tümpels fließenden Bächlein aufgefunden wurde, zeigte, dass diese Art bedeutend robuster und schleimreicher ist wıe das Schneckenbatrachospermum. Das letztere hat ungefähr 350 « breite Stämmchen, die Gliederzellen der Seitenäste sind ca. 10—20 u lang und 7 « breit. Bei B. moncliforme sind die Stämmchen 500 u breit, die Gliederzellen am Grunde der Äste ca. 40 « lang und 15 u breit. Ein wichtiger und meines Wissens in keiner Algenflora beachteter Unterschied besteht in der Stellung der Gonimoblasten: während sie, wie erwähnt, beim Schneckenbatrachospermum auf ganz kurzen Seitenzweigen stehen und so dem Stamm ganz nahe gerückt er- scheinen, stehen sie bei B. moniliforme an der Spitze von viel längeren Seitenzweigen und weit vom Hauptstamm entfernt. Bei der Bestimmung zeigte unsere Alge am meisten Ähnlich- keit mit B. vagum (Roth.) Ag.*). Bei dem bekannten Polymorphis- 4) Rabenhorst. Flora europea algarum Seet. III, p. 407, und Migula, Kryptogamenflora von Deutschland, Bd. IIl/2, p. 1S£f. 690 Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Datrachospermum. mus der Gattung war von vornherein eine völlige Übereinstimmung mit der Diagnose nicht zu erwarten. Ein Unterschied zeigte sich namentlich in der Farbe, die bei dieser Art nach den Floren bläu- lichgrün oder spangrün (aerugineus) sein soll, während sıe hier tatsächlich dunkelbraungrün oder dunkelolivgrün ist. Ferner werden als Fundorte dieser Art „Torfmoose und Torfgewässer* angegeben, während die beschriebene Symbiose in gewöhnlichen Wiesengräben gefunden wurde. Es wäre also das Schneckenbatrachospermum als 5. vagum (Roth.) Ag. forma epiplanorbis zu bezeichnen. Nach Nave’) kommen in Mähren nur die beiden Arten B. moniliforme Bory und B. con- fusum H. vor. Für die nächste Umgebung Brünns gibt diese sonst sehr zuverlässige Flora keine Froschlaichalge an. DB. vagum ist also für die Algenflora Mährens neu und auch der Fundort des BD. monil- forme, eine Viertelstunde von der Stadt entfernt, war bisher nicht bekannt. Jedenfalls ist B. vagım eine in Mähren überaus seltene Pflanze. Begreiflicherweise bemühte ich mich, die Alge auch sonst in dem betreffenden Grabentümpel oder in anderen des Paradies- wäldehens aufzufinden. Auf keiner der anderen Schneckenarten des Grabens, die allerdings nicht so zahlreich vorhanden waren, fand sich eine Spur der Floridee. Ebensowenig konnte auf Pflanzen oder leblosen Gegenständen des betreffenden Tümpels Datracho- spermum nachgewiesen werden. Der Umstand, dass auf so vielen Hunderten von Schnecken einer und derselben Art sich eine für das Gebiet so seltene Alge regelmäßig, ja ausnahmslos vorfand, während sie weder auf den anderen unter den gleichen Bedingungen lebenden Schneckenspezies noch sonst in dem Tümpel zu finden war, wies auf eine innige Wechselbeziehung zwischen den beiden Lebewesen hin und ließ einen rein zufälligen Epiphytismus unwahr-. scheinlich erscheinen. Einen solchen anzunehmen, wäre dann nahe- liegend gewesen, wenn die betreffende Alge wahllos auf verschie- denen Schnecken bezw. auf anderen lebenden oder toten Objekten sich gefunden hätte. So kommt es recht häufig vor, dass Schnecken, z. B. Limnaeaarten, von einem dichten Pelz von Grünalgen (nament- lich Vaucheria, Cladophora und Oedogoniumarten) bewachsen sind. Doch finden sich in diesem Falle die gleichen Algen auch neben den Schnecken an anderen Objekten aufgewachsen und andererseits zeigen nur einzelne, meist alte und verschiedenen Arten angehörige Schnecken einen reichlichen Algenwuchs. Obwohl auch hier wechsel- seitige Vorteile keineswegs ausgeschlossen sind, möchte ich doch für dieses mehr zufällige Zusammenleben nicht den Ausdruck Sym- biose wählen. Über die vielfältigen Vorteile, die auch in diesem 5) Nave. Vorarbeiten zu einer Kryptogamenflora von Mähren und Schlesien I. Bd. II der Verh. d. Nat. Ver. Brünn 1863, p. 56. de nn Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 691 Falle aus dem Zusammenleben resultieren können, macht Kam- merer‘) ausführliche Angaben. Die Vorteile, die die Algen den Schnecken bieten, sind vor allem die Sauerstoffabgabe und das Ge- währen einer Schutzfarbe; ferner halten die Algen besonders alle Wasserschimmelarten (Saprolegnia etc.) ab, die in verunreinigten Gewässern oft die Schnecken befallen. Wie ich oft beobachten konnte, ist gerade in verunreinigten Gewässern der Algenwuchs auf den Schnecken besonders reich. — Andererseits bedeutet das Zu- sammenleben auch für die Algen einen Vorteil. Sie gelangen in stets frisches Nährmedium und werden von den emporgewirbelten Schneckenexkrementen gedüngt. Gegen- seitige Förderung liegt also auch bei dem weder innigen, noch irgendeine Gesetzmäßig- keit aufweisenden Zusammenleben zwischen Chlorophyceen und Schnecken vor. Viel auffälliger und interessanter als der Epiphytismus von Fadenalgen ıst das Auftreten einer unserer schönsten und an- sehnlichsten Grünalgen, Chaetophora Cornu damae (Roth.) Ag. auf Limmnaea palustris Müll. (Fig. 2). In einem großen Tümpel beim Bahndamm in der Nähe des Fund- ortes der Batrachospermumsymbiose fand ich im heurigen Sommer (1913) sowohl die Rotalge auf Planorbis, als auch eine bis 5 em lange, vielfach gleichartig verzweigte, gallertartige, lebhafte grüne Alge auf den (Gehäusen zahlreicher Exemplare von ZLim- Fig. 2. naea palustris. Im ersten Augenblick Limnaea stagnalis mit glaubte ich auch auf dieser Schnecke das Chatophora cornu damae. Batrachospermum gefunden zu haben, aber die lebhaft grüne Farbe und der viel festere und starrere Thallus zeigten mir bald den Irrtum. Bei der Bestimmung”) erwies sich die Alge, wie gesagt, als Chaetophora Cornu damae (Roth.) Ag. und zwar als dıe variatio endiviaefolia Hansg. Einzelne Exem- plare der Alge waren an den dichotom verzweigten Enden ganz flach, so dass eine gewisse Ähnlichkeit mit Riceia fluitans zustande kam®). Der geweihartige Thallus entsprang aus oder neben lebhaft 6) Kammerer, P. Allgemeine Symbiose und Kampf ums Dasein als gleich- berechtigte Triebkräfte in der Evolution. Arch. f. Rassen- und Geschlechtsbiologie, 1909, 5. Heft. 7) Migulal. c. Bd. 11/1, p. 818. 8) Auf der Alge befanden sich zahlreiche eingekapselte Cercarien von Distoma spez., die in der Limnaea ihren Zwischenwirt hatten. Auch schwammen, wie die mikroskopische Untersuchung zeigte, zahlreiche freie Cercarien um die Alge herum. 692 Iltis, Uber eine Symbiose zwischen Planorbis und batrachospermum. smaragdgrünen, gleichfalls festgallertigen Halbkugeln, die, wie die Untersuchung zeigte, nur ein primäres Entwickelungsstadium der Chaetophora darstellten. Die gleichen smaragdgrünen Halbkugeln fanden sich übrigens neben Datrachospermum vagıın auch des öfteren auf Planorbis planorbis, doch kommt es auf dieser Schnecke nie zur Ausbildung der geweihartigen Form der Alge. Es bilden eben verschiedene Schnecken durch die verschiedene Art ihrer Bewegung, die verschiedene Form und Zusammensetzung ihrer Schale ete. ein spezifisches Substrat, auf dem immer nur bestimmte Algen gedeihen können. — Die Alge Chaetophora Cornu damae (Roth.) Ag. (= Ch. endiriaefolia Ag.) wird von Nave°’) für das Paradieswäldchen an- gegeben. Zur Zeit, da die Alge auf der Schnecke in üppigster Ent- wickelung war (20. August 1913), konnte ich sie an dieser Lokalität sonst nirgends finden. Es scheint also auch in diesem Falle, wie es für Datrachospermum weiter unten gezeigt wird, die Symbiose mit der Schnecke der Alge das Leben auch zu einer Jahreszeit zu ermöglichen, in der die freilebenden Algen der betreffenden Spezies ihren Zyklus bereits abgeschlossen haben und mit Ausnahme der Dauersporen bereits abgestorben sind. — Eine genaue Untersuchung der zahlreichen Tümpel in der Um- gebung des ersterwähnten Grabentümpels ergab, dass in vielen von ihnen Planorbis planorbis ebenfalls, aber ohne Rotalge vorhanden war. Nur an zwei Orten, jenem großen Tümpel beim Bahndamm, in dem sich auch die Symbiose von Limnaea mit Chaetophora fand, und in einem ganz schmalen Wassergraben ın ziemlicher Entfernung (ca. !/, km) gelang es mir, die Symbiose zwischen Rotalge und Schnecke wieder zu finden. Schon dieser Umstand bekräftigte den Eindruck, dass es sich nicht um ein zufälliges Zusammentreffen, wie bei den epiphytischen Grünalgen, oder um eine rein lokale Er- scheinung handle, noch mehr aber die Bemerkung, die Raben- horst über das verwandte B. moniliforme var. B. Kühneanum macht: „habitat in cochleis aquatılibus germaniae prope Bunzlau, Radeberg ad Dresdam“!P). Es handelt sich also bei unserem Vor- kommen um eine für manche seltene Formen von Batrachospermum geradezu charakteristische Lebensgemeinschaft. Da es mir trotz eifrigen Suchens ım Jahre 1912, in welchem ich die Symbiose zum ersten Male beobachtete, nicht gelang, BD. vagum irgendwo in der Nähe aufzufinden, so glaubte ich fast, dass die Alge stets ihre ganze Entwicklung auf der Schnecke durchlaufe. Erst Anfang März des nächsten Frühjahrs (1913) fand 9) Name, Je cap. :56. 10) Rabenhorst ]. c., p. 405. Desgleichen heisst es auch in Raben- horst’s Kryptogamenflora von Sachsen, 1863, p. 280/81, sowohl von B. Kühneanum als auch von B. tenuissimum, dass sie auf Wasserschnecken im Torfmoos Pohlenz bei Wurzen vorkommen. u A De u = Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 645 ich an mehreren Orten des Paradieswäldchens D. vagem ohne Schnecke auf abgestorbenen Schilfstengeln oder Blättern vor. Namentlich in einem Grabentümpel, in dem alle lebenden und leblosen Gegen- stände mit einer diehten Schichte von Eisenbakterien und Eisen- oxydhydrat überzogen waren, fanden sich große Rasen der gleichen Batrachospermumspezies. Die Verbreitung der Alge, die ich später auch in anderen Tümpeln fand, erfolgt häufig durch Köcherfliegenlarven. Diese fügen oftmals feste Gegenstände, Stengel, Blätter ete., auf denen Batrachospermum, Draparnaldia, Chaetophora oder andere Algen sitzen, ihrem Gehäuse ein und verbreiten so die Algen. Auch die Einwanderung in den Tümpel, in dem die Symbiose erstmals auf- gefunden wurde, mag ähnlich erfolgt sein. Frei lebend fand sich B. vagum noch Anfang Mai in mehreren Tümpeln des Paradieswäldchens. Von dieser Zeit an ließen sich an der frei lebenden Alge deutliche Zeichen von Degeneration bemerken. Die Farbe wurde ganz hell oder fast schwarz, der Schleim begann zu zerfließen. Als gegen Ende Juni die Wassertemperatur eine beträchtliche Höhe (20° C) erreicht hatte, war das freilebende Batrachospermum nirgends zu finden; nur das auf den Schnecken wachsende hatte sich erhalten. Es ermöglicht also die Symbiose mit den Schnecken dem Batrachospermum auch das Weiterleben ım Sommer, zu welcher Zeit die freilebenden Algen bereits zugrunde gehen. Am 26. Juli zeigte es sich, dass der Algenpelz auf allen den HundertenSchnecken des Tümpels nicht nur vorhanden, sondern auch noch beträchtlich gewachsen war, so dass die Länge der B.- Sträuchlein auf den älteren Schnecken bis gegen 5 cm betrug. Freilich zeigten auch hier einige Algenstöcke Degenerationserschei- nungen. Die Degeneration äußerte sich auf drei verschiedene Arten. Entweder sie erfolgte durch Farbloswerden der Chromatophoren und Auflösung des Schleims oder durch Abwerfen der Zweige oder endlich durch Überwucherung der verschiedenen, auf der Rotalge epiphytisch wachsenden Algen.. Auch im September und Oktober war das Batrachospermum noch auf zahlreichen Schnecken zu finden, wenngleich die Degeneration weitere Fortschritte aufwies. — Im folgenden Frühjahre (9. März 1913) zeigte es sich, dass die Algen auf den alten Schnecken überwintert hatten. Auf vielen waren ganz stattliche Sträuchlein vorhanden, auf anderen war das Datrachosperum bis auf eine weißliche Kruste, aus der sich einzelne verkalkte Knötchen abhoben, zugrunde gegangen. Aus diesen verkalkten Knötchen wuchsen jetzt neue Algenpflanzen hervor. Die Alge schützte sıch also augenscheinlich durch eine Kalkhülle vor dem Erfrieren. Aber nicht nur auf den alten, auch auf den ganz jungen Schnecken von 3—4 mm Durchmesser war ein zierliches, 2 mm hohes Batracho- spermumräschen ausgebildet. Die Algensträuchlein auf diesen Jungen Schnecken erschienen viel zarter als die auf den ausgewachsenen 6594 Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. und hatten eine hellblaugrüne Farbe. Epiphytische Blaualgen waren auf diesen jungen Algen nicht zu sehen. Die Alge überwintert also nicht nur auf den alten Schnecken, sondern sie wird ım Frühjahr auch gleich mit dem Laich auf die jungen Schnecken übertragen. Beim Ablaichen bleiben auf dem klebrigen Laich die Gonidien, die sich gerade um die Zeit des Ablaichens massenhaft bilden, haften, entwickeln sich im Schleim teilweise und gelangen so, indem aus ihnen Rhizoiden hervorwachsen, auf die jungen Schnecken. Tat- sächlich gelang es mir auch öfters Batrachospermumgonidien und auch ganze Zellfäden dieser Alge auf dem Laich von Planorbis planorbis ın dem Graben zu len. — Es wird also bei dieser Sym- biose die Kontinuität durch Infektion des Laichs hergestellt. Ähnlich werden bei dem Protozoen (Radiolarıen) die jungen Tiere immer aufs neue durch Schwärmer der Xanthellen infiziert!!). Ähnlichkeit zeigt die Übertragung der Symbiose in unserem Fall auch mit jener bei Convoluta roscoffensis '?), einer Planarie, bei welcher ge- wisse Zoochlorellen zur Zeit der Ablegung der Eikapseln Schwärmer bilden, welche sich an der Eikapsel festsetzen und nach dem Aus- schlüpfen die jungen Planarien infizieren. Das Batrachospermum, das mit der Schnecke symbiotisch lebt, ist selbst der Ort einer interessanten Lebensgemeinschaft. In den Achseln der Zweigbündel des B. vagum oder mitten ın ihnen drinnen, sehr oft an der Stelle, wo sich sonst die Gonimo- blasten befinden, finden sich fast ee elnlis größere und kleinere ovale oder kugelige on Mehrere solche Klumpen hängen miteinander durch kubische, gelbgefärbte Grenzzellen zu- sammen, so dass sie förmliche Rosenkränze bilden, die sich zwischen den Batrachospermumzweigen winden und sie oft ganz einhüllen. Bei der Bestimmung stellt sich die Alge als Nostoc spaerieum V auch. (= N. lichenoides Kg g.) heraus. Dieser findet sich nach Engler und Prantl sonst none tisch in den Atemhöhlen von Antho- ceros und Chamaeceras, zwischen .den Zellen von Blasia, Pella, Diplotaena, Aneura, Riccia, Sauteria und in den durchlöcherten Zellen von Sphagnum on Nach Leitgeb!*) geschieht die Infektion von Anthoceros durch Nostoce durch die Spaltöffnungen, solange diese noch nahe dem Thallusscheitel gelegen und meist Ba mit Schleim gefüllt sind. Nach der Infektion schließt sich 1) Moroff. jemerkungen über vegetative und reproduktive Erscheinungen bei Thalassicola. Biol. Centralbl. XXX, 1910. ») F. Keeble und F. Gamble. The Origin and Nature of the green zells of Convoluta roscoffensis. Quart. Journ. of Mikrosc. Sc. Vol. 51, 1907. 13) Engler und Prantl. Natürliche Pflanzenfamilien. I. Bd., p. 73/76. (In Migula’s Kryptogamenflora erscheint bei dieser Art das endophytische Vorkommen gar nicht erwähnt!) 14) Leitgeb. Nostockolonien im Thallus von Anthocerosarten. K. Akad. d. Wiss. Wien 1878, p. 417. Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 695 die Spaltöffnung und von den Zellen der Interzellularen werden jetzt Papillen nach Innen gebildet. Auch bei Batrachospermum ist es der Schleim, in welchen die Nostockolonie eindringen. Beim Lebermoos wie bei der Rotalge dringen neben Nostoc auch Diato- meen und zwar namentlich Grammatophora ein. Auch bei Batracho- spermum erzeugt die Anwesenheit des Parasiten Zellwucherungen. Die Nostocklumpen haben die Stellung und Grösse der Gonimo- blasten, denen sie auch sonst ähneln. Sie erscheinen wie diese von um sie herum wachsenden Zellfäden eingehüllt. Auch das B. der überwinterten Schnecken zeigten Nostochallen und außerdem im Schleime massenhaft Bakterien. An diesen überwinterten B. zeigen sich viele kleine, weiße Kügelchen, die mit HC] aufbrausen. Nach der Lösung des Kalkes bleibt ein Nostocballen zurück, der also den Winter in einer schützenden Kalkhülle verbringt. Die Überwucherung mit Nostoce nimmt im allgemeinen zu, wenn das DB. unter ungünstigen Bedingungen lebt, wenn es z. B. lange in ge- schlossenen Eprouvetten gehalten wird'?). 15) Dass übrigens auch unter der übrigen, auf dem engen Raum unseres Tümpels zusammengedrängten Tier- und Pflanzenwelt die kompliziertesten und mannigfaltigsten Wechselbeziehungen’ bestehen, zeigten zahlreiche Individuen von Cyelops, von denen derselbe Tümpel wimmelte und die eine interessante Lebens- gemeinschaft aufwiesen: sie erschienen alle völlig grün gefärbt, so dass ich im ersten Momente an Zoochlorellengehalt dachte. Doch zeigte die mikroskopische Untersuchung, dass die grüne Färbung von einem einzelligen grünen Flagellaten herrühre, der die ganze Oberfläche der Krebslein bedeckt. Die einzelnen Individuen des Epiyhyten, von eiförmiger Gestalt, waren von einer Gallertscheide umgeben und mit einem Gallertstiele aufgewachsen. Zahlreiche Individuen erschienen längsgeteilt, wodurch eine Art Kolonienbildung zustande kam. Es waren Kolonien bis zu acht Zellen vorhanden. Die Bestimmung, die ich Herrn Professor Dr. Pascher danke, ergab Oolacium vesieulosum Ehrbg. Die Kolonien saßen auf allen Teilen des Cyelops und umgaben namentlich den mittleren Teil mit einem dichten grünen Mantel. Doch waren auch die Schwanzstacheln und Eiersäcke dicht mit Colacien bedeckt. Wurde das Deckglas aufgelegt, so wurde bei einer großen Zahl von Colacien die Gallerthülle zerrissen und sie schwärmten zu hunderten um den Cyelops herum. Später zeigten sie oft amöboide Bewegung. Neben den Colacien zeigten sich auf denselben Cyelopsindividuen auch Kolonien von Carchesium, Epi- stylis und viele Vorticellen. Da außerdem die Stacheln und Gliedmaßen der Krebschen von farblosen Fadenbakterien spiralig umwunden waren, so erschien buch- stäblich kein Fleckchen der Körperoberfläche unbesetzt und es musste wundernehmen, dass die Beweglichkeit der Copepoden nicht im geringsten darunter litt. Sie be- wegten sich ebenso elegant hüpfend, wie ihre farblosen, unbesiedelten Genossen. — Wenn grüne mit Epistylis besetzte Oyelops mit normalen, farblosen zusammen in fauliges Wasser gebracht wurden, so bedeckten sich in ca. 5 Tagen auch die nicht- infizierten völlig mit einem Pelz von Epistylis, Vorticella und Colacium. Auch zahlreiche farblose Fadenbakterien schlangen sich um Füße und Borsten des Cyelops. — Die Besiedlung mit Zpistylis wurde um so reicher, je fauliger das Wasser war, d. h. je mehr Bakterien sich darin fanden. Im allgemeinen waren die größten Cyclops so mit Infusorien bedeckt, dass sie wie in einen weißen Nebel gehüllt er- schienen. Ihre Beweglichkeit wurde dadurch in keiner Weise gehindert. Die Infu- sorien waren voll mit Vakuolen und alle Vakuolen voll gefressener Bakterien. Die 6965 Iltis, Uber eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. Durch das Auftreten der gleichen Symbiose an Hunderten von Exemplaren einer Schneckenart und nur an dieser, durch ähnliche in der systematischen Literatur für Arten bezw. Varietäten von Datrachospermum geradezu als charakteristisch bezeichnete Vor- kommen und endlich durch den Umstand, dass die im Frühjahr auch frei existierende Alge im Hochsommer sich bloß auf den Schnecken erhält, erweist sich die Verbindung zwischen Schnecke und Rotalge schon als eine innigere und regelmäßigere als das häufige, aber mehr zufällige Zusammenleben zwischen Fadenalgen und Schnecke. Zu den Vorteilen, die aus letzteren Zusammenleben für die Schnecken erwachsen, kommt bei unserer Symbiose noch eine sehr täuschende Mimikry. Die mit Batrachospermum bewachsenen Schnecken krochen zwischen dem reich verzweigten Wurzelwerk von Galium aquaticum umher. Die Galiumwurzeln, die zum Teil von braunem Diatomeenschlem umwuchert waren, unterschieden sich kaum von den gleich dicken, ähnlich gefärbten und gleichfalls verzweigten Batrachospermumpflanzen, so dass die algenbewachsenen Schnecken in dem Wurzelwerk völlig verschwanden. Einzelne mit Batrachospermum bewachsene Schnecken flottierten frei im Wasser. Wenn eine solche Schnecke fiel, so geschah dies langsam und elegant gleitend. Die elastische Floridee funktionierte als Fall- schirm. Viel mehr Ähnlichkeit mit unseren Fall als das Zusammen- leben von Schnecken und Grünalgen zeigt eine von Kammerer'*) beobachtete Symbiose zwischen Oedogonium undulatum Alex. Braun und den Larven von Aeschna ceyanaea Müll. Auch Kammerer fand an der betreffenden Örtlichkeit, einem seichten Wiesenweiher mit zeitweise verunreinigtem Wasser hunderte von Larven dieser Art mit einem dichten Algenfilz umhüllt. Andere Libellenlarven (Gattung Anazx), die gleichfalls in dem Weiher lebten, zeigten nie eine Spur der Alge. Auch hier sollen die Algen im Vorfrühling und Spätherbst, solange die Lebensbedingungen fur sie günstiger sınd, im Weiber ohne Larven vorkommen; im Sommer bleiben sie bloß auf den Larven erhalten. An den frisch gehäuteten Larven sprosst sehr rasch ein neuer Algenrasen hervor, indem die Algen durch die Spalten der Chitin- Infusorien funktionierten also als Bakterienvertilger. — Sobald ein Oyelops starb, gingen die peritrichen Infusorien zugrunde und es traten massenhaft Paramaecien auf. Neben den genannten Epiphyten wuchsen auf einzelnen Cyclops auch grüne Fadenanlagen, so dass sie mit einem förmlichen Wald von Pflanzen und Tieren be- deckt erschienen. — In dem gleichen Tümpel fand sich ferner die sonst recht seltene Galle, die das Rädertier Notommata Werneckii auf Vaucheria hervorruft. Die Alge flottierte in Watten im Wasser, in deren Mitte eine große Anzahl der cha- rakteristischen keuligen Gallen zu finden waren. 16) Kammerer, P. Symbiose zwischen Libellenlarve und Fadenalge. Arch. f. Entwickelungsmeehanik, XXV. Bd., 1907. ee Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 697 platten zur neuen Haut vordringen. Auf diese Weise ist dafür gesorgt, dass die Larve ihren wertvollen Symbionten nicht verliere. — Durch zahlreiche Experimente sucht Kamm erer die gegenseitige Abhängigkeit der Symbionten darzutun. Auch ich versuchte durch zwei Versuchsreihen die Frage zu beantworten, ob und inwiefern Rotalge und Schnecke einander gegenseitige Vorteile zu bieten imstande wären. 1. Versuchsreihe. Vorteile, die der Alge von der Schnecke geboten werden. 1. Versuch, 16.VI. Je ein Zweiliterglas wurde mit Leitungs- wasser gefüllt. Sechs lebende Schnecken mit Batrachospermum- rasen bezw. sechs mit D. besetzte Schneckenschalenstücke wurden hineingegeben. In jedes Glas kam außerdem ein Stück Galium palustre. Die Gläser wurden an einem Ostfenster aufgestellt. Die Temperatur stieg bis 20° ©. Schon am dritten Tage zeigten die Algen, die auf den Schnecken- schalenstücken, teils auf dem Boden, teils auf den Galiumzweigen lagen, dıe ersten Anzeichen von Degeneration. Diese äußerte sich in einem Aufeinanderkleben der verquellenden Zweige. Am 26. VI. zeigte sich die Alge auf den lebenden Schnecken völlig frisch, nur teilweise von den Schnecken gegenseitig abge- fressen. Noch am 15. X.,also nach vier Monaten, waren die Algen- sträuchlein auf den lebenden Schnecken dieses Versuches teilweise (soweit nicht abgefressen) erhalten. An diesem Tage wurden die Gläser durch ein Versehen ausgeleert. Die ursprünglich gleich große Algensträuchlein auf den Schalenstücken waren schon am 26. VI. völlig degeneriert und verquollen. Unter dem Mikroskope zeigten sich die Zellkonturen zum Teil zerfließend, die ursprünglich blaugrüne Farbe gelblich und der Schleim von Bakterien durchsetzt. 2. Versuch, 26. VI. Um das gegenseitige Abfressen der Algen durch die Schnecken zu verhindern, wurden je sechs kleine, Ein- fünftellitergläser mit einzelnen, algenbewachsenen Schnecken, je sechs gleiche Gläser mit ganzen, nicht zertrümmerten Schnecken- schalen, aus denen die Schnecken vorsichtig mit gebogener Pinzette und Präpariernadel entfernt worden waren, besetzt. Um ein even- tuelles Faulen zu verhindern, wurden alle Reste des Weichkörpers beseitigt. Das Versuchsergebnis war das gleiche wie im Versuch 1. Auch hier gingen die Algen auf den leeren Gehäusen zugrunde, die Algen auf den lebenden Schnecken erhielten sich, wenn auch nicht so schön wie ın der Natur, längere Zeit lebend. 3. Versuch, 26. VI. Versuchsanstellung analog jener des zweite Versuchs. Nur wurden die Batrachospermumsträuchlein nicht auf den Schneckenschalen belassen, sondern mit dem Scalpell abgelöst. 698 Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis uno Batrachospermum. Versuchsergebnis wie im zweite Versuch, nur gingen die abge- lösten Algen noch früher zugrunde. Die Versuche ergaben also, dass D. vagum var. epiplanorbis nicht imstande ist, im ruhigen Leitungswasser von höherer Tempe- ratur längere Zeit zu leben, dass dagegen der Alge die Existenz ermöglicht wird, wenn sie durch die Schnecke bewegt wird. Die Bewegung selbst, durch die die Alge stets mit frischem Wasser in Berührung gebracht wird, die Kohlensäureabgabe durch die Schnecke und die dadurch bedingte Assimilationstätigkeit sind es, welcher der Alge die Existenz ermöglichen. Vielleicht kommt es im Freien wegen der Bewegung der Schnecke auch nicht so leicht zu einem Ersticken des B. durch Parasiten bezw. zum Abfressen durch Tiere. Diese aus den Experimenten sich ergebenden Schlussfolge- rungen werden auch durch die Beobachtung unterstützt. BD. vagum ist, wie erwähnt, in den Tümpeln des Paradieswäldchens bei Brünn im Frühjahr in großen Mengen vorhanden. Im Sommer, wenn die Wassertemperatur sich in dem stehenden Wasser be- trächtlich (bis auf 24°C.) erhöht, sucht man es vergeblich. Es ist überall zugrunde gegangen — mit Ausnahme von jenen Orten, wo es epiphytisch auf Planorbis lebt. Hier überwintert es, wird im Frühjahr teils durch die Schnecken selbst, teils durch die Köcher- fliegen verbreitet und beim Ablaichen auf die jungen Schnecken übertragen. 2. Versuchsreihe. Vorteile, die der Schnecke von der Alge geboten werden. 1. Versuch, 20. VI. Je drei Exemplare von Planorbis planorbis, die einen mit, die anderen ohne Alge wurden in mit ausgekochtem Wasser gefüllte Standgläschen (20 etm.? Inhalt) gegeben und diese dann verkorkt. 27. VI. Alle Schnecken am Leben. In den Gläschen, die algen- besetzte Schnecken enthielten, tritt infolge von Degeneration des B. eine Trübung auf. 28. VI. Algenbesetzte Schnecken alle lebend, algenlose Schnecken liegen am Boden, geben aber bei Berührung noch Lebens- zeichen. 29. VI. Algentragende Schnecken alle lebend, kriechen an den Wänden; von den algenlosen Schnecken, die am Boden liegen, eine bereits tot. 30. VI. Algentragende Schnecken alle lebend, aber (wohl infolge der durch allmähliche Degeneration des BD. verursachten Trübung des Wassers) am Boden liegend, algenlose Schnecken alle tot. 2. Versuch, 27. VI. 11 Uhr vormittags. Kultur im kohlen- säurehältigem Wasser (nach Kammerer)!"). Jezweizirkaein Achtelliter 17) Kammerer, P. |. c. p. 58. du ni 5 ee ee Be u u Iltis, Über eine Symbiose zwischen Planorbis und Batrachospermum. 669 fassende Gläser wurden zur Hälfte mit Leitungswasser, zur Hälfte mit Sodawasser gefüllt. In das eine Glas kamen fünf Schnecken mit Algen, in das andere fünf algenlose Schnecken. Verschluss durch eingefettete Glasplatte. 27. VII. 4 Uhr nachmittags. Die algenlosen Schnecken alle am Boden liegend, eine tot, die algenbewachsenen alle lebend. 28. VII. 8 Uhr vormittags. Algenlose Schnecken alle tot, algenbewachsene arn Boden liegend, aber noch reagierend. 29. VII. 10 Uhr vormittags. Die algenbewachsenen Schnecken noch immer am Leben. Es ergibt sich aus diesen Versuchen, dass der von der Alge bei Assımilation entwickelte Sauerstoff genügt, um den Tod durch Sauerstoffmangel oder Kohlensäureüberfluss, der bei der algenlosen Schnecke schon am zweiten Tage eintritt, wenigstens einige Zeit hintanzuhalten. Wenn auch die Versuchsbedingungen der beiden Versuche einigermaßen künstliche sind, so können auch in der Natur Umstände auftreten, die den Sauerstoffgehalt des Wassers unter das für die Schnecke erforderliche Minimum vormindern. In diesem Falle wird die Alge für die Schnecke als Sanerstofflieferant fungieren und ihr Weiterleben ermöglichen. Zusammenfassung. = In der vorliegenden Arbeit wurde das Zusammenleben einer Rotalge, Batrachospermum vagum Roth.) Ag. var. epiplanorbis, mit der Schnecke Planorbis planorbis L. beschrieben, das in mehreren Tümpeln in der Nähe von Brünn an hunderten von Exemplaren dieser Schneckenart beobachtet wurde. Die Alge DB. vagum, deren Vorkommen ın Mähren bisher nicht bekannt war und die jedenfalls zu den seltenen Arten gehört, findet sich im Frühjahr außer auf den Schnecken auch auf leblosen Gegenständen ın anderen Tümpeln derselben Lokalität. Im Sommer geht das freilebende B. zugrunde. Das auf den Schnecken wachsende hält sich und überdauert den Winter. Indem die Gonidien der Alge auf den Schneckenlaich gelangen, wird die Alge auf die jungen Schnecken übertragen und so die Symbiose gleichsam vererbt. Durch das regelmäßige Vorkommen der seltenen Floridee auf allen Exemplaren einer bestimmten Schneckenspezies, durch die Tatsache, dass nur die auf der Schnecke lebende Alge den Sommer über sich lebend erhält, durch das Resultat von Experimenten, die es sicher stellten, dass die Alge von der Schnecke einen Vorteil hat und es wahrscheinlich machten, dass auch die Schnecke durch die auf ihr lebende Alge gefördert wird, endlich auch durch die Tatsache, dass die Alge durch Laichinfektion von einer Schnecken- generation auf die nächste übertragen wird, erscheint die Bezeich- nung „Symbiose“ für die geschilderte Lebensgemeinschaft auch dann ‘00 Mräzek, Die Schwimmbewegungen von Branchipus und ihre Orientierung. gerechtfertigt, wenn dieser Ausdruck nur im engeren Sinne gebraucht wird. Dass es sich nicht um eine rein lokale zufällige Lebens- gemeinschaft handelt, ergibt sich auch daraus, dass für manche seltene Formen von .Batrachospermum in systematischen Algen- werken das Vorkommen auf Schnecken als charakteristisch ange- führt wird. — Als Schmarotzer auf Batrachospermum vagum (Roth.) Ag. var. epiplanorbis wurde Nostoc sphaericum Vauch., der bisher nur als Endophyt in Moosen bekannt war, konstatiert. Endlich wurde eine zweite Lebensgemeinschaft einer Alge mit einer Schnecke beschrieben, das Auftreten von Ühaetophora Cornu damae (Roth.) Ag. auf Limnea palustris Müll. Auch diese ansehn- liche Alge erhält sich zu gewissen Zeiten nur auf der Schnecke lebend, während die freiwachsenden Algen schon ihren Lebenszyklus abgeschlossen haben. Die Schwimmbewegungen von Branchipus und ihre Orientierung. Von Prof. Dr. Al. Mräzek (Prag). Branchipus ıst bekanntlich durch sein spezifisches Benehmen beim Schwimmen charakterisiert, indem er sich gewöhnlich hori- zontal, mit nach unten gekehrter Rückenseite schwimmend fort- bewegt, ein Rückenschwimmer par excellence ist. Ich habe seinerzeit über den event. Zusammenhang der eigen- artigen Schwimmweise mit phototaktischen Reaktionen einige Beob- achtungen und Experimente angestellt. Ich habe darüber nichts publi- ziert, da einerseits meine Versuche zu meiner eigenen Belehrung ausge- führt wurden (zu denselben wurde ich durch die damals erscheinen- den interessanten Studien Kollegen Rädl’s angeregt), andererseits- auch deshalb, weil meine Beobachtungen nur fragmentarisch bleiben mussten. Die biologischen Verhältnisse des periodischen Auftretens von Branchipus und seiner Lokalitäten machen es schwer, sich ein genügendes Material zu eingehender experimentell-biologischer Untersuchung zu verschaffen. Wenn ich jetzt zu der Frage zurück- kehre, so geschieht dies aus dem Grunde, weil in jüngster Zeit drei amerikanische Forscher das Problem der Schwimmweise von Branchipus berührt haben und dies mich an meine alten Beobach- tungen erinnert hat. Ich ersehe aus den erwähnten Arbeiten, dass es angebracht wäre, meine Resultate mitzuteilen, da diese Arbeiten leicht zu einer falschen Betrachtung der Tatsachen führen könnten. Am eingehendsten befasst sich mit dem Benehmen und Re- aktionen von Branchipus Mary OÖ. MeGinnis!), doch sind ihre 1) MeGinnis, Mary O.: Reactions of Branchipus serratus to light, heat and gravity. Journ. Exp. Zoology, Vol. 10, 1911, p. 227—240, 1 2 N Mräzek, Die Schwimmbewegungen von Branchipus und ihre Orientierung. 701 Aussagen über den Zusammenhang der Schwimmorientierung und photischen Reize reserviert. Sie sagt nur: *When Branchipus reacts to light the ventral side of the body is usually turned toward the source of light, with the long axis of the body lying at right angles to the light rays.” S. J. Holmes äußert sich in seiner Arbeit, die übrigens früher erschienen ist, schon bestimmter: “Swimming on the back in Eu- branchipus is due in part at least to the lıght?).” Bei Pearse?) endlich lesen wir: “The orientation of the body, as Holmes (1910) and MeGinnis (1911) have pointed out is such that the ventral side is toward the source of light (hence usually uppermost).” Das Problem der Orientierung von Branchipus scheint mir aber nicht so einfach zu sein und ich kam zu etwas anderer Auf- fassung. Der Grund dafür ıst, dass ich bei meinen Beobachtungen nicht so sehr die Reaktionen der schwimmenden Tiere im direktiven Licht studierte, sondern von vornherein bemüht war, das Benehmen der Tiere unter Verhältnissen, die den direktiven Einfluss des Lichtes ausschließen, zu erforschen. Dazu gab es allerlei Wege. Der eine bestand ın der opera- tiven Entfernung der Augen. In der Neuzeit haben Holmes) und McGinnis?) ähnliches versucht, aber, wie die unten zitierten Sätze zeigen, ohne Erfolg. Im schroffen Gegensatz dazu stehen meine Erfahrungen. Die Amputation der gestielten Augen ist eine für das Tier unbedeutende Operation, die auch nicht besonders schwierig auszuführen ist. Natürliche Vorbedingung für die Ope- ration ıst, dass man mit der zarten Beschaffenheit des Körpers rechnen muss. Die Tiere kamen bei der Operation nicht aus dem Wasser, sie wurden aus dem Zuchtgefäß mit einem Löffel auf ein dickes Objektglas mit einem tiefen länglichen Ausschliff gebracht und es wurden ihnen hier die Augen mit einer feinen Schere abge- trennt. Natürlich muss man viel Geduld haben und es gelingt auch nicht ein jeder Versuch. Die Bewegungen der Tiere vereiteln oft die Schnittrichtung, führen zu größeren Verwundungen des Kopfes etc. Aber wie gesagt wurde, gelingt es doch öfters, die Augen beider- seitig glatt zu amputieren. 2) Holmes, S. J.: Description of a new species of Kubranchipus from Wisconsin, with observations on its relations to light. Trans. Wise. Acad. XVI, 1909, p. 1252—1254. 3) Pearse, S. A.: Observations on the Behavior of Eubranchipus dalayt. Bull. Wise. Nat. Hist. Society, Vol. X, 1913, p. 109—117. 4) l.c. p. 1254. “One eye was cut off in a number of individuals but the shock effect prevented any response to light and in few hours all were dead.” 5) l.e. p.224. “An effort was made to remove the eyes, in order to determine whether any other parts of the body is sensitive to light. The operation howewer though very carefully performed, proved fatal to the animals. XXXII. 46 702 Mräazek, Die Schwimmbewegungen von Branchipus und ihre Orientierung. In solehen Fällen verursachte die Operation keinen bemerk- baren Schaden den Versuchstieren, keine Schockerscheinungen ete. Die Tiere, in das Beobachtungsgefäß zurückgebracht, erholten sich sofort. Von Interesse aber ist, dass solche augenlose Tiere in ihren Bewegungen (die Beobachtungen wurden bei schwachem diffusen Tageslicht angestellt) keine bemerkbaren Unterschiede von den normalen Tieren zeigten. Sie schwammen wie früher in der Rückenlage! Es blieb jedoch den Tieren noch das Medianauge, und die Augen brauchen ja nicht die einzigen Photorezeptoren zu sein. Ich habe deswegen noch andere Versuchsreihen angestellt. Die Versuchstiere wurden gleichzeitig von oben und unten dem diffusen Licht ausgesetzt, sie wurden am Abend bis zum Eintreten der Finsternis beobachtet, und ich versuchte auch in der Nacht, durch plötzliches Beleuchten mich von der Orientierung der Tiere zu überzeugen. Ich kam immer wieder zu dem Resultate, dass die Tiere unter diesen Umständen ıhre normale Bewegungsart be- halten. Diese Beobachtungen zeigen deutlich, wie an sich sehr wichtige und interessante Experimente leicht zu einer einseitigen und des- halb falschen Auffassung des Benehmens eines Tieres führen können. Würde man in Unkenntnis der phototropischen Experimente die Bewegungsweise von Branchipus betrachten, so könnte man auch auf den Gedanken kommen, dass die Orientierung von Branchi- pus vielleicht mit geotaktischen Erscheinungen zusammenhängt. Und könnte man die Richtung der Schwerkraftwirkung beliebig ändern, wie wir dies bei den phototropischen Versuchen mit dem Lichte tun, so würde man wahrscheinlich finden, dass Dranchipus auch hier sich immer zur Versuchsrichtung transversal stellt und ihn in einen Bauchschwimmer verwandeln können. Die eventuellen - Schlussfolgerungen wären aber wieder nur einseitig und teilweise falsch. Die Bewegung eines beliebigen Tieres mit allen ihren Einzel- erscheinungen ist ein äußerst komplizierter Vorgang, der sich keines- wegs ın einfach mechanischer Weise kausal erklären lässt. Ebenso- wenig wie man sagen darf, dass der aufrechte Gang des Menschen eine Folge von Phototaxis und Geotaxis ıst, ebensowenig kann man die Bewegung von Branchipus ın unmittelbaren einfachen Zu- sammenhang mit der Phototaxis ete. bringen! Ebenso falsch wären auch beliebig andere Erklärungen, zu denen man Zuflucht nehmen könnte, so z. B. besonders die Annahme der Orientierung als einer adaptiven Schutzvorrichtung gegenüber mechanischen Insulten, Fein- den etc.®). 6) Vgl. Calman, W.T.: The life of Orustacea London. Methuen. 1910, p. 163. Kutter, Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca i. sp. 103 Nach meiner Ansicht sind wir heutzutage nur berechtigt zu der Annahme, dass ein jedes Tier seine spezifisch charakteristische Bewegungsweise besitzt. Sehr schön sehen wir dies gerade bei den Phyllopoden, zu denen ja der Dranchipus gehört, z. B. bei den Cladoceren. Daphnia, Ceriodaphnia, Simocephahıs, Scapholeberis, Sida etc. sind alle phototaktisch, eine jede von diesen Gattungen verhält sich jedoch dabei in spezifischer Weise. Simocephalus z. BD. ıst ebenfalls ein Rückenschwimmer. Wenn irgendeine von diesen Formen auf photische Reize mit Bewegungen antwortet, so kann dies natürlich nur auf die mechanisch allein mögliche spezifische Art und Weise geschehen. Die Bewegungsweise ıst wohl in erster Reihe durch die allgemeine Körperform bedingt. Von dieser ge- gebenen morphologischen Basis müssen wir bei allen unseren phy- siologischen Experimenten ausgehen. Wir betrachten natürlich diese Basıs nicht als eine absolut unveränderliche, sie ıst erst ım Laufe der Entwickelung zu der heutigen geworden. Und es er- scheint mir auch wahrscheinlich, dass der Entwickelungsgang vielleicht im Anschlusse an die stets gleichen direktiven Einflüsse des Lichtes und auch der Schwerkraft erfolgte. Aber etwas mehr darüber hinaus auszusagen sind wir heutzutage nicht berechtigt. Wir stehen hier wie auch anderswo vor dem großen Problem der spezifischen Form. Ende September 1913. Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca i. sp. Von Heinrich Kutter (Zürich). Im Laufe der letzten Monate habe ich einige interessante Ex- perimente mit Ameisen ausgeführt, die sich namentlich auf die Adoption fremder Königinnen erstrecken und deren wesentlichen Inhalt ich hier kurz mitteilen möchte. r Künstliche Allianz von zwei F. rufa-Stämmen. Anfangs April 1913 holte ich aus dem Walde: 1. Einen kleinen Sack voll rufa einer Kolonie a. 2. Einen kleinen Sack voll rufa einer Kolonie B. Aus a isolierte ich am 3. April gegen 100 r«fa-Arbeiter ın einem Brun’schen Torfapparate ohne tn und Brut. Diese Kolonie soll mit a, bezeichnet werden. herner versetzte ich 8 Ar- beiter nebst 2 Weibchen in einen Apparat. Diese zweite Kolonie benenne ich mit a,. 1. Experiment in der Kolonie a.. Am 4. April setzte ich eine Königin aus B zu diesen Ameisen. Das fremde Weibchen wurde anfangs zwar heftig angegriffen; aber 46* 104 Kutter, Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca i. sp. nach Verlauf einer Viertelstunde wurde es beleckt und gefüttert; war also adoptiert. Hierauf gab ich meinen rufa auch noch einen Arbeiter aus B. Er wurde schon nach 2 Minuten gar nıcht mehr beachtet und war nach weiteren 3 Minuten vollständig adoptiert. 2. Experiment in der Kolonie a.. Diesen rufa gab ich noch am selben Tage ebenfalls eine Königin aus B. Zuerst wurde sie ziemlich scharf fixiert und namentlich auch die Weibchen von a, begegneten ıhr feindselig. Jedoch nach Verlauf dreier Stunden herrschte über ihre Adoption kein Zweifel mehr. Nun vereinigte ich a, mit a, und hatte nun also eine neue künstliche Kolonie A, welche aus ca. 100 Arbeiter nebst 2 Weibehen aus a und 2 Königinnen mit 1 Arbeiter des Nestes B bestand. B dagegen besitzt nur noch 14 Königinnen neben ungefähr 100 Ar- beitern, nachdem von den ursprünglichen 16 Weibchen 2 ın A adoptiert worden waren. Am 6. April brachte ich nun sämtliche 14 Weibchen aus B zu A, und zwar in Zeitabschnitten von je 5 Minuten. Sie wurden alle ohne weiteres angenommen; ebenso die vielen Eier aus B. Somit befand sich also bei B kein Weibchen mehr. A hatte somit 16mal eine fremde Königin adoptiert. Am 7. April verband ich nun die weisellose Kolonie B mit A. Sofort entwickelte sich ein eifriger Nestverkehr. Nirgends war eine Spur von Kampf zu sehen. Als jedoch die Arbeiter von B gemerkt hatten, dass A ihre Königinnen besitze, schafften sie ihrer so viel sie konnten in den alten Apparat hinüber. Dadurch ver- söhnten sie sich aber gleichzeitig mit der Gegenpartei, welche jene überhaupt ganz unbeachtet ließ. Abends 10 Uhr waren alle Ameisen in einem Nest und der andere Apparat konnte wieder abgetrennt werden. 3. Das Verhalten der alten Nestgenossen von a gegenüber der Allianzkolonie. Am 8. April brachte ich zu meinen Ameisen wiederum ca. 70 Ar- beiter und S Königinnen der Waldkolonie a. Die neuen Ankömm- linge gingen zuerst sehr vorsichtig, ja feindselig vor, doch schon nach 2 Minuten herrschte kompletter Friede. Dabei fiel mir auf, dass sich von den 18 Weibchen der Allianzkolonie 16 erschrocken in einen Winkel zurückzogen, während die beiden übrigen ungeniert vor der Verbindungsröhre umherliefen. Zu diesen Versuchen nur einige Bemerkungen: 1. Was zunächst die Adoptionen betrifft, so ist die Tatsache, dass eine rufa-Kolonie eine große Neigung zur Adoption fremder Kutter, Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca i. sp. 105 Weibchen (Pleometrose) zeigt, nicht neu. Sie wurde durch Was- mann!) und Brun?) experimentell zur Genüge erwiesen. Das In- teressanteste an den vorliegenden Versuchen ist jedoch, dass durch die vorangegangene Aufnahme der Weibchen aus B bei A, der Weg zu diesem Neste nun auch für die Arbeiter B sozusagen offen stand. Da die Arbeiter A die Fremden in keiner Weise be- lästigten, anderseits aber die letzteren ihre eigenen Königinnen und Brut unversehrt im Neste A wiederfanden, so ist diese rasch, und ohne künstliche Mischung der Parteien, also gewissermaßen spontan eintretende Allianz leicht zu erklären. 2. Bei unserem dritten Experiment fiel das Verhalten zweier Weibchen auf, welche ruhig vor der Verbindungsröhre, durch welche die neu Ankommenden in das Nest spazierten, verharrten, während die übrigen 16 Königinnen sich erschrocken flüchteten. Wenn diese letzteren dem ursprünglichen Stamme B angehörten, die beiden übrigen dagegen dem früheren Stamme a,, so müsste aus diesem Verhalten geschlossen werden, dass sich innerhalb der 24 Stunden, seit welcher Zeit die Alliıanzkolonie A—B bestand, jedenfalls noch kein reizphysiologischer, einheitlicher Mischgeruch entwickelt hatte, der als neuer homogener Komplex wirken würde. Oder m.a. W.: dass sich die verschiedenen Parteien auch nach dieser Zeit noch wohl zu unterscheiden vermochten. Auch diese Resultate stimmen vollkommen überein mit den Anschauungen, die in neuester Zeit Brun?) über die Entstehung der künstlichen Allianzen bei den Ameisen entwickelt hat, nämlich dass diese Allianzen nicht auf einer ein- fachen Mischung der Nestgerüche beruhen, sondern auf der Fähig- keit, wenigstens gewisser höherer Ameisen, individuelle Erfahrungen zu machen und ihr Verhalten dementsprechend zu ändern. Ein zweiter Versuch, eine Allianz zweier r«fa-Stämme auf die eben beschriebene Weise!) zustande zu bringen, glückte ebenfalls. Die Resultate waren genau dieselben. IT. Künstliche Massenadoption von F. rufa-Weibehen bei F. fusca i. Sp. In folgendem seien noch einige erwähnenswerte Adoptions- versuche bei F. fusca geschildert. Es ist mir nämlich gelungen, 16 befruchtete rufa-Königinnen in kurzer Aufeinanderfolge bei einer weisellosen fusca-Kolonie von ca. 200 Arbeitern zur Adoption 1) Biolog. Centralbl. 1905 u. f. 2) Biolog. Centralbl. 1912. 3) Biolog. Oentralbl. 1912, Bd. XXXII, Nr. 5. — Journal für Psychologie und Neurologie Bd. 20, 1915. 4) Nämlich dadurch, dass man zuerst die Königinnen der fremden Partei adoptieren lässt und erst dann die Arbeiter in das Nest bringt. 706 Kutter, Zur Biologie von Formica rufa und Formica fusca 1. sp. zu bringen, was bisher, soviel ich mir bewusst bin, noch nicht be- obachtet wurde. Ich will vorausbemerken, dass alle diese adoptierten Weibchen meiner oben beschriebenen Allianzkolonie entstammten. Nachdem die fusca eine Nacht ohne Königin und Brut in einem Torfapparate zugebracht hatten, gab ich ihnen am folgenden Morgen, es war der 11. April d. J., ein rufa-Weibchen. Dieses erlag jedoch bald den Misshandlungen seitens der fusca, ebenso ein zweites, dieses allerdings erst nach 3 Tagen. Am 21. April brachte ich 2 neue rufa-Weibchen in meine fusca-Kolonie. Sie wurden noch am selben Abend adoptiert und nach 3 Tagen hatten sie schon eine ansehnliche Menge Eier gelegt. Von nunan wurden sämtliche, später eingebrachten rufa-Weibchen, ohne weiteres adoptiert. Ich brachte ein: Am 21. April 2 rufa-Weibchen ” 29. ” MSN Mar 12. ar Iltehr aan a uni 1 4 Somit besaßen die fusca am 6. Juni 16 vollkommen muntere rufa-Weıibchen. Das Verhalten der Tiere war in allen Fällen ein ganz ähnliches: Es gab einen Augenblick Verwirrung im Apparate, indem die neuen Königinnen zunächst aufgeregt zwischen den fusca umherliefen, worauf sich rasch die Ruhe wieder herstellte, und die neuen Weibchen von den fasca genau so freundschaftlich behandelt wurden, wie die schon anwesenden. In überraschendem Gegensatze zu diesen Resultaten wurden Arbeiter der nämlichen r«fa-Allianzkolonie, welche ich den fusca zur Kontrolle gab, stets ohne Ausnahme von diesen hart- näckig angegriffen und getötet. Ich habe den Versuch zwölfmal wiederholt, und dabei zusammen nicht weniger als 30 rufa-Arbeiter nacheinander zu den fusca gesetzt, von denen jedoch kein einziger am Leben blieb. Diese letzteren Ergebnisse stehen in auffallendem Widerspruch zu den Resultaten meiner früheren Experimente bei einer weisel- losen Kolonie der fusca-Rasse einerea, bei welcher es mir wieder- holt nacheinander gelang, rufa-Arbeiter zur Aufnahme zu bringen’). DÄAHHme+- De D + 5) Zeitschrift für wissenschaftliche Insektenbiologie Bd. IX, 1913, Heft 6/7, p. 193—1%6. En ee Car, Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. 70% — Ein Resultat, das ich damals auf eine bedeutende plastische An- passungsfähigkeit dieser Rasse beziehen zu dürfen glaubte. Am 10. Juni verband ich meine Mischkolonie mit einem zweiten Apparate, welcher mit fremden f«sca-Puppen angefüllt war, und zwar sowohl mit geschlechts- als auch mit Arbeiterpuppen. Diese reiche Beute wurde von den frsca sofort in Besitz genommen; jedoch wurden nur die Arbeiterpuppen gepflegt, während die männ- lichen und weiblichen Nymphen aus ihren Hüllen gezogen und im Laufe der nächsten Tage sämtlich umgebracht wurden. Ich gab nun meiner Kolonie am 20. Juni eine Menge rufa- Puppen zugleich mit 2 Königinnen und 5 Arbeitern. Diese neuen Ameisen gehörten der ım ersten Kapitel mehrfach erwähnten Kolonie a an. Abends 9 Uhr hatten die frsca einen großen Teil der rufa-Puppen zu sich hinübergenommen und zu schönen Häufchen zusammengetragen. Wie mir schien, war diese Brut adoptiert. Die 5 fremden Arbeiter waren sämtlich exekutiert worden; ebenso merkwürdigerweise die eine der 2 r«fa-Königinnen, welche von den fusca ohne weiteres getötet und enthauptet wurde. Das zweite Weibchen konnte sich noch rechtzeitig vor den Angriffen ın einen Winkel des Nestes flüchten, wo es sich 2 Tage lang still verhielt, worauf es dann schließlich doch aufgenommen wurde. Dies letztere Resultat zeigt wiederum deutlich, wie automatisch Ameisen in solchen Fällen vorgehen können. Durch die rufa- Arbeiter und die viele Brut erschreckt und aufgeregt, gingen sie gegen alles, was nach rufa roch, feindselig vor, ohne im ersten Moment die Königinnen vom Arbeiter zu unterscheiden. Ich bın aber überzeugt, dass, wenn ich die beiden Weibchen allein zu den fusca hineingelassen hätte, dieselben ohne weiteres adoptiert worden wären, wie es bei den vorhergehenden 16 Königinnen der Fall ge- wesen war. Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. Von Professor Dr. Lazar Car (Zagreb). Schon vor vielen Jahren habe ich einen Versuch gemacht, das Schweben einiger Fliegen in der Luft in einem Punkte zu erklären. (Zool. Anzeiger 1893, Nr. 431). Ich will mich mit der Erklärung des Schwebens hier nicht von neuem befassen, und lasse selbst die Richtigkeit der von mir dort aufgeworfenen Hypothese vor- läufig dahingestellt. Doch der Grundgedanke, von welchen ich damals ausging, nämlich die Erklärung der Bewegung der Flagel- laten, scheint mir heute noch die richtige zu sein, und dies bewog mich auch zur weiteren Untersuchung der Lokomotion noch einiger anderen Protozoen und der Flimmerzellen bei anderen Tieren. 08 Car, Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. Unterziehen wir die Bewegung der bewimperten Epithelzellen z. B. der Respirationswege der Vertebraten, scıilicet Frosch, einer eingehenden Beobachtung. Ruß, kleine Staubpartikelchen ete., die zufällig in die Luftröhre eingedrungen sind, werden bekanntlich durch die Flimmerbewegung wieder herausbefördert. Diese Par- tikelchen kleben an der Schleimschicht an, die die bewimperten Flächen überzieht. Der Strom, den die Flimmerung erzeugt, hat, wie es heisst, eine bestimmte Richtung, in diesem Falle nach außen, und zwar stets nur die eine Richtung, weil nur diese in diesem Falle zweckmäßig ist. Welche Bewegungen müssen aber die ein- zelnen Wimpern ausführen, dass gerade diese Richtung zustande kommt, das ıst eben hier die Frage. Direktes Beobachten der verschiedenen Lagen der einzelnen Wimpern und noch dazu in einzelnen außerordentlich kleinen Zeit- abschnitten ist schier unmöglich. Wir müssen uns also vor allem mit den Möglichkeiten, die hier mechanisch zustande kommen und zu erwünschten Resultaten führen könnten, befassen, die jedoch der aus der Beobachtung erschlossenen Erklärung nicht direkt wider- sprechen dürfen. Und da ergibt sich, wenigstens für mich, nur diese eine Möglichkeit. Die Flimmerzellen sind, wie uns die Beobachtung lehrt, in einer steten Bewegung begriffen. Es fällt also ein Partikelchen auf einen bestimmten Punkt dieser bewimperten Oberfläche; die nächst äußeren Wimpern geraten in eine lebhaftere Schwingung, und gleich darauf wieder die anderen nächsten, nach außen gekehrten Wimpern ete. Wo aber in einer Flüssigkeit — hier Schleim — eine stärkere Bewegung stattfindet, wo also eine Flüssigkeit in Be- wegung gesetzt wird, da ist auch der Druck der Flüssigkeit auf dieser Stelle ein geringerer. Ein kleiner Körper, der in einer Flüssig- keit schwimmt, wird von allen Seiten von der Flüssigkeit gedrückt. Wenn sich also auf einer Seite ein geringerer Druck bildet, wird der Körper gegen diesen locus minoris resistentiae verschoben. und das geht so weiter fort, bis er an die Mündung befördert wird. Die Flüssigkeit ist es, in der dieser Körper weiter wandert: es wird nämlich ein Strom in der Flüssigkeit erzeugt, der das Partikel- chen mitzıeht. Das Flimmerepithel flimmert in einem fort; ein gleichmäßiges Flimmern könnte aber keinen Strom in bestimmter Richtung er- zeugen, es ist also eine Welle von kräftigeren Schwingungen, die von dem gereizten Punkte aus nach außen zieht, welche diese Strömung erzeugt hat. Der Anstoß zur energischeren Schwingung geben die benachbarten Partien, die sich eben selbst etwas früher in demselben Zustand befunden haben; den Ausgangspunkt aber für diesen sich fortpflanzenden Reiz gibt, wie wir schon oben be- merkt haben, der mechanische Anstoß des Partikelchens selbst. A ee uch Car, Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. 709 Nun, welche Bewegungen müssen die einzelnen Wimpern aus- führen, damit sie diese in einer bestimmten Richtung fortlaufenden Welle, und nota bene zu gleicher Zeit auch die Strömung erzeugen? Solche Bewegungen, wie sie Verworn in seiner „Allgemeinen Physiologie“ (3. Aufl. 1909, S. 292) angibt, sind es jedenfalls nicht. Dass sich die Flimmerbewegungen metachronisch d. h. sukzessiv abspielen, ist zwar richtig, nur sind die Ebenen, in der die Schwin- gungen der einzelnen Wimpern ausgeführt werden, um 90° zu drehen; und ist das Ganze auch nicht als eine Ruderbewegung aufzufassen, sondern ganz anders. — Die einzelnen Wimpern schwingen in emer zur Richtung des Stromes rechtwinkeligen Ebene; also sie neigen sich viel stärker als gewöhnlich rechts links. Und wenn sich so alle Wimpern in einer Querreihe synchron recht tief auf die rechte Seite geneigt haben, folgt dieser Bewegung auch gleich die nächst äußere Querreihe mit einer etwas verspäteten Phase u. s. w. Die Stellen des stärkeren Hin- und Herschlagens werden so immer weiter nach außen fortgepflanzt, und diese Stellen erzeugen in ihrer nächsten, natürlich außerordentlich kleinen Um- gebung Orte geringeren Druckes ım der Flüssigkeit, zu welchen das Partikelchen hingezogen wird. Denn, wenn auch Verworn die Bewegung einer einzelnen Wimper (S. 295) mechanisch ganz richtig erklärt, übersah er doch, dass sich solche Bewegungen der Wimpern in einer Längsreihe gegenseitig absolut stören müssten. Sein ganzer Gedankengang war aber auch em anderer. Er ging nämlich von der Beobachtung der Schwimmplättchen der Ctenophoren aus, die freilich eine Ruder- bewegung ist, und zwang so auch die Wimperbewegung der ciliaten Infusorien in denselben Rahmen. Bei der Erklärung der Flimmerbewegung muss man, meiner Meinung nach, von einem ganz anderen Prinzipe ausgehen. näm- lich von dem Prinzipe des durch das energischere Schlagen erzeug ten geringeren Druckes in der Flüssigkeit. Wenn ein ovaler Körper z. B. ein Flagellate, nur auf einem Pole mit einer Geißel versehen ist, und diese Geißel in welcher immer Richtung herumpeitscht, sei es rechts, links, oder in einem Konus, auf jeden Fall wird durch die Bewegung des Wassers der Druck an dieser Stelle geringer. Der Druck des Wassers von rechts und links des Tieres, so wie von oben und von unten, halten sich Gleichgewicht, der Druck aber von hinten findet keinen ent- sprechenden Gegendruck vorne, ergo muss das Tier in dieser Rich- tung vorwärts schießen —- wenn das eine isolierte Zelle ıst, die nach dem Orte des geringsten Widerstandes, den sie selbst erzeugt hat, hineilt. — Wenn aber die Zelle zwischen die anderen einge- keilt ist, wenn es sich um eine bewimperte Oberfläche, eines Or- ganes, eines größeren Tieres handelt, wenn diese bewimperte Fläche 10 Car, Die Erklärung der Bewegung bei einigen Protozoen. fix ıst, so bleibt sie an Ort und Stelle und nur die anderen win- zigen Partikelchen müssen dem Zuge nachfolgen. Eine durch eine solche vorwärtsschreitenden Welle erzeugter Strom führt die, natürlich entsprechend kleinen, Körperchen mit, z. B. das Plankton längs bewimperter Anhängsel oder Flächen bei verschiedenen Tieren, die Staubpartikelchen in den Luftwegen etc. Reisst sich aber eine solche bewimperte Zelle aus ihrem Verbande, wie man es leicht bei Fröschen, Mollusken etc. beobachten kann, so sehen wir, dass die Wimpern weiter flımmern und der von ihnen erzeugte Strom die isolierte Zelle selbst bewegen kann, und zwar jetzt natürlich in entgegengesetzter Richtung. Nachdem aber so eine Zelle nur an einer Fläche bewimpert ist, so muss sie sich drehen. Wäre sie allseitig bewimpert und schlugen die Wimpern so, dass sich die Welle gegen das eine Ende des mehr oder weniger gestreckten oder ovalen Körpers fortsetzte, so würde er sich mittels dieser Flimmerung selbst bewegen, und zwar, wie ge- sagt, in der entgegengesetzten Richtung, als er andere kleinere Körper in Bewegung versetzen kann. Und somit hätten wir zu gleicher Zeit die Bewegung nicht nur der Fremdkörperchen auf bewimperten fixen Flächen, sondern auch die Bewegung der einzelnen Wimperzellen, sowie der Flagel- laten und ciliaten Infusorien mittels desselben Prinzipes erklärt. Es verhält sich die Sache bei den letzteren im Vergleich mit be- wimperten fixen Flächen gerade umgekehrt. — Und eine richtig erklärte Wirkung muss sich auch bei der Umkehr der Bedingungen entgegengesetzt herausstellen. Der Mechanismus ist zwar sehr einfach, aber nichtsdestoweniger wunderbar. Also ein ciliates Infusorium wird von einem haupt- sächlich von rückwärts wirkenden Druck, den es aber selbst er- zeugt hat, nach vorne geschoben; wie wenn sich der Kern aus einer Pflaume ohne Biegungen und ohne allen Muskeln selbst herauszuquätschen vermöchte. Ganz anders ist die Bewegung bei Gregarinen zu erklären. Für diese Protozoen heisst es, dass sich ihr Körper durch trans- versale nach hinten schnell ziehenden Kontraktionen vorwärts be- wegt. Diese Kontraktionen gleichen vollkommen den peristaltischen Bewegungen unseres Darms. Wie ın diesem eine Zusammen- schnürung, die am vorderen Ende anhebt, den ganzen Inhalt nach rückwärts schiebt in Form einer nach hinten ziehenden ringförmigen Anschwellung, bis sich so der Schlauch seines Inhalts entledigt, gerade so läuft eine ringförmige Anschwellung — eine Welle — bei den Gregarinen nach hinten. Nun hier entledigt sich der Schlauch aber nicht seines Inhaltes des eigenen Protoplasmas, welches ın völlig geschlossener Haut zurückbleibt — sondern es wird dadurch die Gregarine selbst nach vorne geschoben. Zander, Das Geruchsvermögen der Bienen. 7a Nun ja, die Beobachtung ist richtig und so läuft der Prozess auch ab, aber wıe kommt auf diese Art der Körper in Bewegung? Die am vorderen Ende erzeugte ringförmige Anschwellung schiebt bei ihrer Wanderung nach hinten eine Wassersäule, oder besser gesagt einen hohlen Wasserzylinder nach rückwärts. Dieses nach hinten gedrückte Wasser stößt auf schon vorhandenes Wasser auf. Das- Wasser ıst zwar außerordentlich beweglich und verschiebbar, aber nur für gewisse Schnelligkeiten, wenn die Bewegung gar zu rasch geschieht, so verhält sich das rückwärtige Wasser wie eine feste Mauer, und so wird der zusammengedrückte Wasserzylinder an diese Mauer angepresst, von der er gleich wieder abprallt. Es entsteht also eine Reaktion, ein Gegendruck. Die ringförmige Anschwellung — die positive Welle — ist gerade in diesem letzten Momente am hinteren Ende der Gregarıne angelangt. Nun presst der Wasserdruck diese Scheibe und schiebt dadurch auch den ganzen Körper nach vorne. Es ist, wie wenn die Gregarine eine hinten angebrachte Spiralfeder zusammengedrückt hätte, die sich wieder verlängert und so die ganze Gregarine nach vorne wirft. Diese Bewegungsart beruht also auf dem Prinzipe der Reaktion. — Viel schwieriger gestaltet sich die Erklärung für die Bewegung der Dinoflagellaten. Für diese konnte ich bis jetzt noch keine be- friedigende Lösung finden, muss aber gleich bemerken, dass mich die bisher aufgestellten Theorien gar nicht befriedigen. Ja es ist mir nicht bekannt, dass die Sache überhaupt schon genug ein- gehend behandelt worden wäre, und so lässt sich auch hier noch Vieles tun. Das Geruchsvermögen der Bienen. Von Prof. Dr. Enoch Zander, Leiter der K. Anstalt für Bienenzucht in Erlangen. Vielfach wird in der Literatur die Anschauung vertreten, dass die Bienen ein schlechtes Geruchsvermögen besäßen. Nach An- dreae!) z. B. lassen sich zwar laufende und kriechende Insekten mehr durch Gerüche leiten, aber fliegende Insekten (Apis, Osmia, Anthophora, Anthidium) haben einen besseren Gesichtssinn. Be- sonders nachdrücklich vertritt Forel?) diese Meinung und stützt sie durch die Beobachtung, dass man eine, mit Gaze überspannte Honigschale in nächster Nähe eines Stockes, ja unmittelbar vor dem Flugloch aufstellen könne, ohne dass auch nur eine Biene den Ver- such macht, durch das Gitter zum Honig zu gelangen. 1) Andreae, Eugen. Inwiefern werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen? Beihefte zum botan. Centralbl., Bd. 15, S. 427, 1903. 2) Forel, August. Das Sinnesleben der Insekten. München 1910. TD /ander, Das Geruchsvermögen der Bienen. ( Seitdem ich an der K. Anstalt für Bienenzucht ausgiebige Ge- legenheit habe, mich mit den Lebenseigentümlichkeiten der Bienen zu beschäftigen, ist mir diese Ansicht sehr zweifelhaft erschienen, denn die tägliche Erfahrung, die bei allen den Geruchssinn reizen- den Hantierungen (Honiggewinnung, Wachsauslassen ete.) zu äußerster Vorsicht mahnt, nötigt zu dem gegenteiligen Schlusse. Doch wollte es mir bisher nicht gelingen, den Widerspruch zu lösen. Ja, die Wiederholung des von Forel angegebenen Versuches im Sommer 1912 schien seine Behauptung zu bestätigen. Tagelang stand die Schale unbeachtet in der Flugbahn eines Bienenstockes. Als ich den Versuch jedoch im September anstellte, fielen dıe Bienen sofort in Scharen darüber her, so dass ich die Schale nach wenigen Mi- nuten entfernen musste, um nicht die ärgste Räuberei hervorzurufen. Damit war ich der Lösung des Problems sichtlich näher gekommen, denn schon diese beiden Versuche schienen mir darauf hinzudeuten, dass das Verhalten der Bienen sich mit der Jahreszeit ändert. Um ein sicheres Urteil zu gewinnen, habe ich die Versuche ım Laufe dieses Sommers 1913 von Ende April bis Anfang Oktober mit Unterstützung unseres Bienenmeisters und Fräulein Elfriede Bambus planmäßig fortgesetzt und in Zwischenräumen von 14 Tagen das Verhalten der Bienen unter den verschiedensten äußeren Ver- hältnissen geprüft. Bei allen Versuchen wurde eine weiße Porzellan- schale etwa 5 mm hoch mit Honig gefüllt und mit feiner grüner Drahtgaze bespannt, durch deren Maschen die Bienen wohl den Rüssel stecken, aber den Honig nicht erreichen konnten. Diese Schale stellte ich während der besten Flugzeit gegen 10 oder 11 Uhr vormittags auf das Flugbrett resp. das Dach eines frei im Bienen- garten stehenden Stockes und beobachtete sie !/,—!/, Stunde lang. Bevor ich das Ergebnis mitteile, will ich den Ausfall der ein- zelnen Versuche und die begleitenden Umstände in chronologischer Reihenfolge schildern. I. Versuch: 30. April, 10— 10%’ Uhr, mittlere Tagestemperatur + 19,5° C., r Luftfeuchtigkeit 65%, Südwind, Sonnenschein. Obstbäume, Löwenzahn, Raps und andere Pflanzen bieten den Bienen reiche Nahrung. Ein auf einer Wage stehendes Volk zeigt 100 g Tageszunahme an Honig an. Nach Aufstellen der Honig- schale auf dem Flugbrette erscheint sofort eine Biene, welche den Rüssel durch das Gitter steckt. Nach 5 Minuten ist die Aufmerk- samkeit der Bienen nicht merklich gestiegen. Um 10!° Uhr wird die Schale auf das Dach des Stockes gestellt. 10'° Uhr suchen 2, 10!” Uhr 4 Bienen zu dem Honig zu gelangen. Zander, Das Geruchsvermögen der Bienen. 13 IE Mersuch: 15.22.Mars 1410 Uhr, mittlere Tagestemperatur + 16,3° C., a Luftfeuchtigkeit 58,3%, Südostwind, wechselnde Bewölkung. Obgleich die Wage keine Zunahme an diesem Tage anzeigt, bieten Obstbäume, Löwenzahn, Kastanien ete. den Bienen aus- reichende Nahrung. Auf der Honigschale erscheinen sofort nach Beginn des Ver- suches einige Bienen. Ihre Zahl bleibt aber gering. 2-3 sieht man nur gleichzeitig auf dem Gitter. EETSVersuich: 1-2 Junis 142 Uhr, mittlere Tagestemperatur + 25,3° C., . Luftfeuchtigkeit 76,6%, Südwestwind, wechselnde Bewölkung. Die Wiesen und Kleefelder stehen in voller Blüte. Die Wage gibt 650 g Honigzunahme an. Innerhalb 15 Minuten lässt sich keine einzige Biene sehen. VS Versuch: 19, Juni, 10. Uhr; mittlere Tagestemperatur + 17,6° C., s Luftfeuchtigkeit 65%, Ostwind, Sonnenschein. Aus Weißklee, Natterkopf, Ochsenzunge etc. erzielt der Wag- stock eine Tageszunahme von 500 g. 10 Uhr: Nach 1 Minute stellt sich eine Biene auf dem Gitter eim-10-2 Uhr sind. es 2,1015 Uhr 3. V. Versuch: 6. Juli, 11 Uhr, mittlere Tagestemperatur + 16° ©., 5 Luftfeuchtigkeit 86,6%, Nordwind, Sonnenschein. Neben Kleearten (Melilotus offieinalis) blühen die Linden. Die Bienen sind emsig tätig; einen Überschuss an Honig gibt die Wage allerdings nicht an. Nach 10 Minuten besucht eine Biene die auf dem Dache stehende Schale ganz flüchtig und streckt ihren Rüssel nach dem Honig aus. Dann bringe ich die Schale auf das Flugbrett. Heim- 714 Zander, Das Geruchsvermögen der Bienen. kehrende Bienen lassen sich auf dem Gitter nieder, werden aber durch den Honigduft nicht zum Ausstrecken des Rüssels gereizt. VI. Versuch: ol, 11 Uhr, mittlere Tagestemperatur + 19,3 C,, a Luftfeuchtigkeit 81,3 %, Nordwestwind, leichte Bewölkung. Außerhalb des Gartens finden die Bienen wenig Nahrung. Innerhalb !/, Stunde besuchten 5 Bienen nachemander die Honigschale, dann 2 zugleich. VIIE\Versuch: 1. August, 101% Uhr, mittlere Tagestemperatur + 19,3 ° C., e Luftfeuchtigkeit 63,3 %, Nordostwind, Sonnenschein. Beginn der Heideblüte. Wage zeigt keine Honigzunahme an. Einzelne Bienen nähern sich der auf dem Dache stehenden Schale, ohne sich niederzulassen. Nach !/, Stunde Schale auf das Flugbrett gestellt. Nur eine alte Biene trachtet zu dem Honig zu gelangen. VIE Versuch: 15. August, 11—11°° Uhr, mittlere Tagestemperatur + 14,3 ©., 5 Luftfeuchtigkeit 93,3 %, Westwind, bedeckter Himmel. Heide in voller Blüte. Wage zeigt keine Zunahme an. 11* Uhr 1 Biene, 14195... u ‘3. Bienen, 12) ” 4 ” ’ a auf dem Gitter. IX; Versuch: 31. August, 11—11°° Uhr, mittlere Tagestemperatur + 19° C., r Luftfeuchtigkeit 86,6 %,, Südwestwind, wechselnde Bewölkung. Außerhalb des Gartens Blütenflor fast erloschen. 11° Uhr 3 Bienen, 115 al eifrig bemüht, zum Honig zu gelangen. Zander, Das Geruchsvermögen der Bienen. 715 X. Versuch: 16. September, 11—11?° Uhr, mittlere Tagestemperatur + 14,3° O., R Luftfeuchtigkeit 90%, Ostwind, wechselnde Bewölkung. Nektarquellen völlig versiegt. Honigschale nach dem Aufstellen sofort von 15—20 Bienen befallen. Nach 15 Minuten dicht belagert. XI. Versuch: 30. September, 11—11?° Uhr, mittlere Tagestemperatur +12,3° ©., . Luftfeuchtigkeit 85%, Ostwind, Sonnenschein. Bienen tragen viel Pollen von spätblühenden Senffeldern ein. Honigschale sofort von 15—20 Bienen belagert. Nach fruchtlosen Versuchen, den Honig zu erreichen, verringert sich ihre Zahl. Überblicken wir diese Beobachtungen, so sprechen nur die Versuche III vom 1. Juni und V vom 6. Juli für die Ansicht der Forscher, welche der Biene ein schlechtes Geruchsvermögen zu- billigen. In allen übrigen Fällen dagegen ließen sich mehr oder weniger bald nach dem Aufstellen der Honigschale Bienen auf dem Gitter nieder und bemühten sich, durch seine Maschen den Honig mit ihren Rüsseln zu erreichen. Die Intensität der Reaktion wechselte allerdings mit der Jahreszeit. Am 30. April (I), 15. Mai(IN), 15. Juni (IV), 15. Juli (VI), 1. August (VII) übte die Honigschale eine geringe Anziehungskraft auf die Flugbienen aus. Nur ein- zelne Bienen wurden zu ihr gelockt. Von Ende August an rea- gierten dagegen die Bienen sehr stark auf den Duft des unter dem Gitter geborgenen Honigs. In dichten Schwärmen belagerten sie sofort das Gefäß. Daraus ergibt sich zunächst der Schluss, dass man nicht zu allen Zeiten von einem mangelhaften Riechvermögen der Bienen reden kann. Man wird nun vielleicht einwenden, dass in diesen Fällen das Auge die Bienen geleitet hätte. Aber davon kann nicht die Rede sein. Da die Besucher der Schale, wie ıhre Färbung deutlich bekundete, zum Teil aus entfernt stehenden Stöcken stammten und das feine grüne Gitter den Honig auch für unser Auge ziemlich verdeckte, dürften sie ıhn im Fluge kaum gesehen haben. Lediglich der Duft hat sie hingelockt. Wenn derselbe zu verschiedenen Zeiten ungleich wirkte, liegt die Erklärung zweifellos darin, dass die Bienen ihr Verhalten den äußeren Lebensbedingungen anzupassen vermögen. Eine Prüfung der den einzelnen Versuch begleitenden Umstände bestätigt das in vollem ‚Umfange. Das 716 Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. gänzlich negative Ergebnis des Versuches III vom 1. Juni erklärt sich sehr leicht aus der reichen Tracht, die Felder und Wiesen den Bienen darboten. Alle äußeren Faktoren, Südwestwind, 425,3 0. und eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit waren der Nektarbildung außerordentlich günstig. Eifrig heimsten die Bienen diese Schätze ein, so dass die Stockwägung am Abend 650 g Honigzunahme ergab. Da die Natur ihnen überreiche Nahrung bot, ließen die Bienen die Honigschale völlig unbeachtet. Ähnlich verhielten sie sich am 15. Juni und zur Zeit der Lindenblüte (V). Im übrigen waren die klimatischen und Ernährungsverhältnisse des letzten Sommers den Bienen im allgemeinen wenig günstig. Infolgedessen stellten sich fast regelmäßig Honigsucher bei der Schale ein. Doch blieb ihre Zahl gering, solange die Pflanzenwelt noch etwas Nahrung barg. Das ändert sich aber, sobald die Nahrungsquellen in der Natur versiegen. Nach der Heideblüte erlischt die Tracht fast vollständig. Überall wittern die Bienen dann nach Süßigkeiten umher, wie jeder Imker aus Erfahrung weiß. Daher fanden sie sich auch sofort ın hellen Scharen von Ende August an auf der Honigschale ein. Es unterliegt daher gar keinem Zweifel, dass diejenigen Forscher, die wieLubbock, H.von Buttel-Reepen u.a. den Bienen ein feines Geruchsvermögen zuerkennen, Recht haben. Zugleich ergibt sich auch der Schluss, dass die Bienen die Fähigkeit besitzen, zu lernen und ihre Tätigkeit den äußeren Verhältnissen entsprechend zu modi- fizieren. Gerade hierauf wird bei psychologischen Experimenten mit Bienen und anderen Insekten meiner Ansicht nach viel zu wenig Rücksicht genommen. Auch beim Blütenstaubsammeln lässt sich das beobachten. Während sie sich dabei in den Sommermonaten mit großer Beständigkeit an eine Pflanzenart halten, weiden sie im Vorfrühling und Spätherbste gelegentlich auch verschiedene Pflanzen- arten auf einem Ausfluge ab. Ich bin überzeugt, dass auch die widersprechenden Ansichten über den Farbensinn der Bienen durch Berücksichtigung der äußeren Verhältnisse eine Klärung finden würden. L. von Dobkiewicz°) hat bereits ausgesprochen, dass die Blütenfarben nur dann orientierende Bedeutung für die Bienen haben, wenn sie einen Vorteil damit verbinden können. Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. Von Dr. phil. Heinrich Teudt. Zurzeit wird wohl mit Recht fast allgemein als zweifellos ange- nommen, dass die Geruchsempfindungen durch in die Nase einge- saugte kleine Körperteilchen verursacht werden; doch hat sich bis 3) Dobkiewiez. L. von. Beitrag zur Biologie der Honigbiene. Biolog. Centralbl. Bd. 32, S. 664, 1912. Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. ag jetzt noch keine allen Erscheinungen gerecht werdende Erklärung dafür finden lassen, wie die Erregung der Riechnerven durch die in der Nase befindlichen Körperteilchen vor sich geht. Der am meisten verbreitete Erklärungsversuch stammt bekannt- lich von Johannes Müller, welcher annahm, dass die Riech- körperchen von dem Schleim, der die regio olfaktorıia überzieht, aufgelöst werden. Demnach würden also die Geruchsempfindungen durch chemische Wirkungen der sich auflösenden Riechkörperchen erzeugt. Auf Grund dieser Theorie pflegt man den Geruchssinn häufig mit dem Geschmackssinn zusammenzufassen und diese beiden Sinne dıe chemischen Sinne zu nennen, während man das Gehör und den Gesichtssinn im Gegensatz dazu dıe höheren Sinne nennt. Eine andere Hypothese stammt von Zwaardemaker!) und beruht darauf, dass die Geruchsempfindungen durch intramolekulare Schwingungen der Riechstoffe bedingt werden, wenn deren Moleküle mit den Riechnerven in Berührung kommen. Schon vor Zwaarde- maker führte G. Jäger?) die Entstehung der Gerüche zurück auf einen Rhythmus der Achsendrehung des Moleküls, der von der Zahl, Stellung und Qualität der zum Molekül vereinigten Atome abhängen sollte. Die drei eben angeführten Theorien nehmen eine direkte Be- rührung zwischen den Riechnerven und den riechenden Körper- teilchen an. Aber verschiedene in der Natur auftretende Erschei- nungen lassen sich, wie weiter unten genauer gezeigt wird, nicht gut mit der Annahme einer derartigen direkten Berührung in Ein- klang bringen. Das Wesen der im folgenden näher zu begründenden Hypo- these besteht nun daran, dass die Geruchsempfindungen hervor- gerufen werden durch Elektronenschwingungen im Innern der Mole- küle oder Atome. Diese Elektronenschwingungen rufen in dem die Riechkörperchen umgebenden Ather periodische Schwankungen her- vor, die zu schwach sind, um unter gewöhnlichen Umständen be- merkt zu werden, die aber durch Resonanzwirkung andere in der Nähe befindliche Schwingungen verstärken können, wenn diese in geeigneten Perioden schwingen. Die neue Hypothese nimmt dem- entsprechend auch an, dass in den Riechnerven elektrische Schwin- gungen vorhanden sind und dass die Perioden dieser Schwingungen in den einzelnen Nerven verschieden sind. Wenn nun ein Molekül eines riechenden Stoffes in die Nähe des Riechepithels gelangt, rufen die durch seine intramolekularen Schwingungen auf den Äther ausgeübten periodischen Einwirkungen nur bei solchen Riechnerven Resonanzwirkungen hervor, welche 1) Ergebnisse der Physiologie 1902, Bd. 1, S. 898. 2) Enzyklopädie der Naturwissenschaften Bd. III, S. 403, 1855. XXXILU. 47 118 Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. selbst in einer entsprechenden Periode schwingen. Nur diese Nerven werden also durch das betreffende Riechkörperchen erregt. Die durch diese Erregung bewirkte Verstärkung der Schwingungen eines Riechnervs empfinden wir dann als Geruch, und zwar wird durch jeden Nerv ein anderer Geruch erzeugt als durch die anderen Nerven. Moleküle mit verschiedenen intramolekularen Schwingungen erzeugen deshalb verschiedene Gerüche, weil sie bei verschiedenen Riechnerven Resonanzwirkungen hervorbringen. Da die Riechnerven nach der eben angegebenen Theorie unter Vermittlung des Äthers erregt werden, brauchen sie nicht in direkte Berührung mit den in der Nase befindlichen riechenden Körper- teilchen zu kommen. Dementsprechend ist auch die Nase einge- vichtet. Beim gewöhnlichen Atmen geht der Luftstrom durch den mittleren Nasengang, ohne das Riechepithel zu berühren, welches sich in dem oberen Teil der Nasenschleimhaut befindet. Erst wenn wir die Luft, um deutlicher zu riechen, absichtlich in die Höhe ziehen, gelangen die Riechkörperchen in eine größere Nähe des eigentlichen Riechepithels, so dass die von ihnen ausgehenden periodischen Zustandsänderungen des Äthers stärker auf die darauf resonierenden Riechnerven einwirken. Deshalb empfinden wir die Gerüche beim gewöhnlichen Atmen relativ schwach, beim absicht- lichen Zuriechen aber stärker. Die bisherige Annahme einer direkten Berührung zwischen den Riechnerven und den riechenden Körperteilchen verträgt sich nur schlecht damit, dass die Riechnerven außerhalb des Weges liegen, den die Luft beim gewöhnlichen Atmen in der Nase zurücklegt. Um diesem Widerspruch zu begegnen, hat man die Vermutung auf- gestellt, dass die Riechkörperchen durch Diffusion in die Riechspalte hinaufsteigen. Hierdurch wird aber noch nicht erklärt, weshalb der Geruch immer so bald verschwindet, nachdem der Luftstrom in die Nase eingezogen ist, auch wenn die eingeatmete Luft noch länger in der Nase zurückgehalten wird. Es können nicht alle in die Nase hineingezogenen Riechkörperchen gleichzeitig im ersten Augenblick nach dem Einatmen in die Riechspalte zum Riechepithel diffundieren; vielmehr würde die vermutete Diffusion der Riech- körperchen, wenn sie stattfände, nach und nach stattfinden müssen, so dass immer neue Geruchsempfindungen durch die nach und nach in die Riechspalte hineindiffundierenden Riechkörperchen ausgelöst würden. Bei der hier entwickelten neuen Theorie aber erklärt sich das baldige Aufhören der Geruchsempfindung nach jeder Einatmung und das Wiederentstehen dieser Geruchsempfindung nach jeder neuen Einatmung in folgender Weise: Die zur Verstärkung der Schwingungen in den Riechnerven nötige Energie wird auf Kosten der Elektronenschwingungen der Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. 719 , g © ( in der Nähe der Riechnerven befindlichen Riechkörperchen gewonnen, und deshalb muss bald der Zeitpunkt kommen, in dem die letzteren keine Energie mehr an die Riechnerven abgeben können. Die Schwingungsstärke der Riechnerven nimmt dann nicht mehr zu, und damit hört die Geruchsempfindung auf, auch wenn die Luft mit den Riechkörperchen noch länger in der Nase zurückgehalten wird. Sobald aber von neuem Luft in die Nase gezogen wird, geben die in dieser enthaltenen frischen Riechkörperchen wiederum einen Teil ihrer Energie an die darauf resonierenden Geruchsnerven ab, und es entsteht dadurch eine neue Geruchsempfindung. Dies wiederholt sich bei jedem Atemzuge, bis die Schwingungen in den betreffenden Geruchsnerven die größte Amplitüde erreicht haben, die beı der Gestalt und Anordnung dieser Nerven möglich ist. Dann können diese Nerven keine Geruchsempfindungen mehr hervorrufen, weil diese nur durch Vermehrung der Schwingungsgröße bewirkt werden. Daher kommt es, dass wir gegen einen Geruch, den wir längere Zeit einatmen, bald unempfindlich werden, ohne dass dabei die Empfindlichkeit gegen andere Gerüche aufhört, welche durch andere Geruchsnerven mit anderen Schwingungsperioden erregt werden. Wenn wir dann später aus der Luft, für deren Geruch wir durch Gewöhnung unempfindlich geworden sind, wieder herauskommen, gehen die Schwingungen der durch diesen Geruch erregten Nerven nach und nach wieder zurück und können dann wieder verstärkt werden, wenn wir von neuem diesen Geruch einatmen. J. H. Fabre?) fand bei Versuchen mit Nachtpfauenaugen, dass zahlreiche Männchen dieser Schmetterlingsart durch ein unter einer Drahtglocke gefangen gehaltenes Weibchen auch dann herangelockt wurden, wenn eine große Menge Naphthaliın ın der ee der Drahtglocke ns war. Durch weitere Versuche stellte Fabre dann fest, dass es nur ein vom Weibchen ausgehender Ge- ruch sein konnte, der die Männchen aus weiter Ferne herbeilockte. Weshalb aber dieser Geruch, der für den Menschen überhaupt nicht wahrnehmbar war, nicht durch den starken Naphthalingeruch ver- deckt wurde, schien Fabre geradezu unerklärlich. Nach der hier entwickelten Hypothese aber erklärt sich dies ohne weiteres da- durch, dass die Schwingungen in den Geruchsorganen der Nacht- pfauenaugen auf die Schwingungen des Naphthalingeruches ebenso- wenig reagieren, wie die menschlichen Geruchsnerven auf die Geruchsschwingungen, die von dem Schmetterlingsweibchen unter der Drahtglocke ausgingen. Ähnliches kommt in der Natur häufig vor. So sendet z. B. eine Menge verschiedener Pflanzenarten ihre verschiedenen Gerüche in die Luft, und durch jeden dieser Gerüche und Düfte wird eine 3) Fabre, „Souvenirs entomologiques“, Paris und Kosmos 1906, Bd. III, S. 45. mx ‘ 120 - Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. andere Insektenart angelockt. Zwischen allen diesen Düften hin- durch nehmen männliche Schmetterlinge noch den Geruch eines Weibchens ıhrer Art wahr, wittert das Wild den Geruch seines Feindes u. s. w. Aus den Hunderten in der Luft verbreiteten Ge- rüchen heben die Geruchsnerven jeder einzelnen Tierart die Gerüche heraus, die für die betreffende Tierart von Bedeutung sınd, ebenso wie eine bestimmte Anzahl von Resonatoren aus einer größeren Zahl verschiedener Töne die Töne heraushebt, deren Schwingungs- periode den Resonatoren entspricht. Die bei der hier entwickelten Hypothese gemachte Annahme, dass die Geruchsempfindungen durch Elektronenschwingungen — also durch elektrische Vorgänge — erzeugt werden, gewinnt eine weitere Stütze darin, dass auch schon direkte Beziehungen zwischen Elek- trızität und Geruchserscheinungen bekannt geworden sind. Durch systematische Versuche hat Aronsohn*) nachgewiesen, dass Geruchserscheinungen dadurch hervorgebracht werden können, dass man einen elektrischen Strom durch die mit einer indifferenten Flüssigkeit gefüllte Nase leitet. Das Eigentümliche dabei war, dass die Geruchserscheinung nur beim Schließen der Kette entstand, wenn die Kathode in die Nase gelegt war; wurde dagegen die Anode in die Nase gelegt, so entstand die Geruchserscheinung nur beim Öffnen der Kette. Diese bisher kaum erklärbare Erscheinung ergibt sich aus der hier entwickelten neuen Theorie ohne weiteres. Liegt nämlich die Kathode in der Nase, so hat der Strom eine Richtung, bei welcher die in den Riechnerven vorhandenen Schwin- gungen verstärkt werden, und diese Verstärkung wird als Geruch empfunden. Liegt dagegen die Anode in der Nase, so werden die Schwingungen der Riechnerven gedämpft, so lange der Strom ge- schlossen ist; beim Öffnen des Stromes aber nehmen die Schwin- gungen in den Riechnerven ihre ursprüngliche Stärke wieder an; und bei dieser Verstärkung der gedämpft gewesenen Schwingungen wird dann wiederum eine Geruchsempfindung wahrgenommen. In der eben angegebenen Weise erklärt sich auch eine ın neuerer Zeit von Bordier und Nogier?’) gefundene Erscheinung. Es handelt sich dabei um den Geruch, den Luft annimmt, wenn sie von den ultravioletten Strahlen einer Quecksilberlampe getroffen wird. Diesen Geruch hatte man bisher auf die Entstehung von Ozon zurückgeführt. Bordier und Nogier haben aber nach- gewiesen, dass dieser Geruch auch in Stickstoff und Kohlensäure- anhydrit, in denen der zur Ozonbildung erforderliche Sauerstoff fehlte, entsteht, und dass ein Abnehmen des Geruches eintritt, wenn 4) Arch. f. Anat. u. Physiol. phys. Abt. 1884 und W. Nagel, „Handbuch der Physiologie des Menschen“ Bd. III, S. 603. 5) Comptes rendus Bd. 147, S. 354—355 und „Himmel und Erde“ Bd. 21, S. 133— 134, Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. 7241 man das Gas auf seinem Wege von der Quecksilberlampe zur Nase durch eine mit dem Erdboden elektrisch leitend verbundene Metall- röhre führt. Bei genügender Länge der Metallröhre verschwanden die Geruchserscheinungen ganz, während keine Verminderung des Geruches festgestellt werden konnte, wenn die Gase durch eine Glasröhre von gleichen Abmessungen wie die Metallröhre geleitet wurden. Unter dem Einflusse der bisher herrschenden Theorie, die eine direkte Berührung der Riechkörperchen mit den Riechnerven an- nahm, haben Bordier und Nogier die von ıhnen gefundenen Er- scheinungen sich dadurch erklärt, dass in den genannten Gasen durch die ultravioletten Strahlen Ionen frei werden, die gegen die Geruchsnerven in der Nase stoßen. Da diese Geruchsnerven aber ganz abseits von dem Wege liegen, den die eingeatmete Luft für gewöhnlich in der Nase zurücklegt, so wird auch diese Erscheinung wohl am besten einfach dadurch erklärt, dass der Geruch ın der vorhin bei den Versuchen von Aronsohn angenommenen Weise durch einen elektrischen Strom erzeugt wird, der entsteht, wenn die negativen Ladungen der Ionen sich ausgleichen. Man hat ferner beobachtet, dass bestimmte Gerüche sich gegen- seitig aufheben. So erscheint z. B. ein Gemenge von 4 g Jodo- form und 200 mg Perubalsam nahezu geruchlos und der unangenehme Geruch des Rizinusöles kann durch das Aldehyd von Ceylonzimtöl mit Vanille kompensiert werden ®). Diese Kompensation zweier Gerüche kann nicht in allen Fällen darauf zurückgeführt werden, dass die in der Luft verteilten riechenden Moleküle sich zu einer nicht riechenden Verbindung vereinigen. Denn Zwaardemaker hat gezeigt, dass zwei Gerüche sich auch dann gegenseitig aufheben können, wenn jeder von ihnen durch ein besonderes Rohr in ein anderes Nasenloch geführt wird. So kann man z.B. den in das eine Nasenloch geleiteten Geruch von Paraffin, Wachs, Tolubalsam da- durch eliminieren, dass man Kautschukgeruch in genügender Menge in das andere Nasenloch einleitet. Diese Erscheinung schien bisher nicht recht erklärbar und einzig dastehend zu sein, da es sonst nie vorkommt, dass zwei Sinneseindrücke sich gegenseitig aufheben, ohne dass ein neuer daraus entsteht. Wenn man aber die Geruchsempfindungen als Wirkungen elektrischer Vorgänge auffasst, wie es bei der hier ent- wickelten neuen Theorie geschehen ist, so ist ohne weiteres klar, dass sich die Wirkungen dieser Vorgänge unter bestimmten Ver- hältnissen gegenseitig aufheben können, ebenso wie sich die Wir- kungen entgegengesetzt verlaufender elektrischer Ströme gegenseitig aufheben. Te 6) Die in diesem Absatz angeführten Beobachtungen sind entnommen aus Tigerstedt, „Physiologie des Menschen“ 1898, Bd. II, S. 126. 1292 Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. Gegen die bisher herrschende chemische Theorie der Geruchs- erscheinungen spricht auch noch die folgende Überlegung: Jeder Mensch hat einen besonderen, nur ihm allein eigentüm- lichen Geruch, den ein guter Hund an den Gegenständen, die der betreffende Mensch berührt hat und an den Fußspuren deutlich erkennen und von den Gerüchen anderer Menschen unterscheiden kann. Diese allgemein bekannte Tatsache kann, wenn man die Geruchsempfindungen auf chemische Wirkungen zurückführen will, nur dadurch erklärt werden, dass aus dem menschlichen Körper fortwährend Stoffe ausgeschieden werden, die bei jedem Menschen eine andere chemische Zusammensetzung haben. Allerdings ist die Zusammensetzung des Schweißes und der übrigen menschlichen Ausscheidungen bei den verschiedenen Menschen nicht ganz gleich und ändert sich mit der Nahrung und dem jeweiligen Zustande der Verdauung. Aber die durch solche Änderungen der chemischen Zusammensetzung bedingten Geruchsverschiedenheiten verursachen offenbar nicht denjenigen Geruch, durch den ein Hund die Menschen voneinander unterscheidet. Denn dieser kennt einen Menschen noch nach Wochen an seinem Geruch wieder, ganz einerlei, was für Nahrung dieser Mensch inzwischen zu sich genommen hat. Einen weiteren Beweis dafür, dass der Geruch, durch den sich der eine Mensch von dem anderen unterscheidet, nicht durch Unterschiede in der Menge der in den Ausscheidungen vorhandenen Stoffe (Wasser, Ammoniak, Ameisensäure u. s. w.) bedingt sein kann, geht daraus hervor, dass ein guter Hund den Geruch seines Herrn noch nach Stunden aus dessen Fußspuren erkennen kann. Die Zusammen- setzung der vom Menschen ausgeschiedenen Stoffe würde nicht stundenlang konstant bleiben, sondern bei der geringen Menge, um die es sich hier nur handeln kann, sehr bald den Zustand annehmen müssen, der durch die Dampfdichte der betreffenden Stoffe ge- geben ist. Aus den angeführten Gründen kann die Tatsache, dass jeder Mensch seinen besonderen Geruch besitzt, wohl nur dadurch erklärt werden, dass jeder Mensch in den Molekülen der von ıhm ausge- schiedenen Stoffe besondere Schwingungen erzeugt, die sich von den intramolekularen Schwingungen der Ausscheidungen anderer Menschen in irgendeiner Weise unterscheiden, die »icht von der chemischen Zusammensetzung dieser Ausscheidungen abhängig ist. Hieraus folgt dann ferner, dass es möglich sein muss, verschieden- artige Geruchsschwingungen in Stoffen gleicher chemischer Zusammen- setzung zu erzeugen. Die zuletzt gemachte Folgerung wird noch dadurch gestützt, dass auch andere Erscheinungen dafür sprechen, dass in den Mole- külen mancher Körper, z. B. in Luftmolekülen Elektronenschwin- gungen induziert werden können durch andere Körper mit starkem Teudt, Eine Erklärung der Geruchserscheinungen. 723 Eigengeruch, d. h. durch solche Körper, die nach der hier ent- wickelten Theorie starke Elektronenschwingungen in ihren Mole- külen haben. Zu diesen Erscheinungen gehört die von Tyndall gemachte Entdeckung, dass das Absorptionsvermögen der Luft für strahlende Wärme stark vermehrt wird, wenn man die Luft über riechende Körper leitet. Nach den Tyndall’schen Versuchen”) betrug diese Vermehrung z. B. bei Patschuli das 30fache, bei Rosmarin das T5fache, bei Kamillen das S7fache, bei Spike das 355fache und bei Anıs das 372fache des Absorptionsvermögens von gewöhnlicher trockener Luft. Die Menge der von den untersuchten Riechkörperchen an die untersuchte Luft abgegebenen Teilchen war unmessbar klein, so dass es kaum glaubbar ist, dass diese unmessbar kleine Menge Riechstoff die 30—370fache Wärmemenge absorbieren kann als die wohl millionenmal größere Zahl der Luftmoleküle. Dagegen können diese Resultate dadurch erklärt werden, dass die Riechstoffe in den Molekülen der Luft, die in die Nähe ihrer Moleküle gelangen, Elektronenschwingungen erzeugen, die der Luft den Geruch mit- teilen und außerdem ıhr Absorptionsvermögen für strahlende Wärme erhöhen, weil letzteres von den Vorgängen, die sich im Innern der Luftmoleküle abspielen, abhängig ist. Auch die Tatsache, dass ganz winzig kleine Mengen mancher Riechstoffe einen nahezu unglaublich großen Raum mit ihrem Ge- ruch ausfüllen, spricht dafür, dass der riechende Stoff nicht selbst über den ganzen Raum, der mit seinem Geruch erfüllt ist, verteilt ist, sondern dass der Riechstoff seinen Geruch an einen Teil der Luftmoleküle abgegeben hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Geruchsschwingungen eines Körpers auf die Luftmoleküle übertragen werden können, ist um so größer, je größer die elektrische Energie dieser Schwingungen ist, und diese kann um so stärker sein, je mehr Abdome im Molekül sind, deren Geruchsschwingungen sich addieren. So ergibt sich die bekannte Tatsache, dass es oft gerade die Körper mit hohem spezi- fischen Gewicht sind, deren Gerüche sich am weitesten verbreiten, obgleich doch diese Körper selbst durch ihr hohes spezifisches Ge- wicht an einer Verbreitung durch Luftströmungen oder durch Diffusion gehindert werden. ZAwaardemaker?®) hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass der Geruch nicht die Rolle in der Natur spielen könnte, die er tatsächlich spielt, wenn die riechenden Körper selbst zu leicht zer- streut werden könnten. Wenn z.B. der Geruch einer Blume leicht fortdiffundieren würde, so könnte das Insekt, das durch ihn ange- 7) Tyndall, „Die Wärme betrachtet als Art der Bewegung“, 1875, S. 419. 8) Zwaardemaker, Physiologie des Geruchssinnes 1893, S. 254/55. (24 Schreiber, Herstellung und Abgabe von Nährgelatine etc. lockt wird, zwar den Geruch wahrnehmen, aber nicht die Stelle finden, von wo er ausgeht. Anderseits ist es jedoch wieder er- forderlich, dass der Geruch in weitere Fernen hineingetragen wird, denn sonst würden keine Tiere aus weiteren Fernen herangelockt werden können. Diese beiden sich widersprechenden Aufgaben werden nach der hier entwickelten Theorie dadurch gelöst, dass der Geruch zunächst erzeugt wird durch intramolekulare Schwin- gungen eines Stoffes, der infolge seines hohen spezifischen Ge- wichtes nicht leicht fortwehen oder fortdiffundieren kann, dass aber die Verbreitung des Geruches in die Ferne — wenigstens zum Teil — durch leicht bewegliche Luftmoleküle bewirkt wird, in denen die betreffenden Geruchsschwingungen von dem eigentlichen Riech- stoffe induziert sind. Die in den Luftmolekülen induzierten Schwin- gungen verlieren sich allmählich wieder und hierdurch wird das Gefälle, mit dem der Geruch mit der Entfernung von seiner Aus- gangsstelle abnimmt, verstärkt, wodurch es dem Tiere, das von dem Geruch angelockt wird, erleichtert wird, festzustellen, aus welcher Richtung der Geruch kommt. Herstellung und Abgabe von Nährgelatine zu Wasser- untersuchungen durch die Königliche Landesanstalt für Wasserhygiene in Berlin-Dahlem. Von Prof. Dr. Karl Schreiber, Mitglied der Königlichen Landesanstalt in Berlin-Dahlem. (Auf Wunsch übernommen aus der Hygienischen Rundschau 1913, Nr. 20.) Die Feststellung der Keimzahl eines Wassers mit Hilfe von Nährgelatine, wie sie zuerst vom Reichsgesundheitsamte und der im ‚Jahre 1892 im Deutschen Reiche gebildeten Cholera-Kommission zur Kontrolle von Sandfilterwerken empfohlen wurde, hat im Laufe der Jahre ın der ganzen Welt Anerkennung gefunden. Die An- wendung dieser verhältnismäßig einfachen Untersuchungsmethode Prüfung von Trinkwasser auf seine Brauchbarkeit, zur Kon- trolle von Wasserwerken und zur Feststellung des Reinheitsgrades von Wasserläufen ist fast unentbehrlich geworden. Es sind zwar mehrfach Versuche gemacht, an Stelle der Nährgelatine andere Kul- turmedien, wie z. B den "Nährboden von Hesse und Niedner, einzuführen, mit der Absicht, eine größere Anzahl von den im Wasser vorhandenen Keimen zur Entwickelung und somit zur Zählung zu bringen, ohne dass aber diese Methoden allgemeine Ver- wendung gefunden hätten. Wenn auch der wissenschaftliche Wert dieser Nährböden nicht verkannt werden soll, muss doch hervor- gehoben werden, welcher große Vorzug der üblichen Nährgelatine darin besteht, dass bei ihrer Verwendung im allgemeinen die harm- losen Bakterien, die sich mehr oder weniger in jeoen Trinkwasser befinden, infolge der hohen Konzentration der Nährstoffe und der Schreiber, Herstellung und Abgabe von Nährgelatine etc. 125 Alkaleszenz der Nährmedien weniger schnell zur Entwickelung ge- langen als die aus Abfallstoffen und besonders aus menschlichen und tierischen Abgängen stammenden Keime, die größere Ansprüche an den Nährgehalt stellen und einen alkalischen Nährboden bevor- zugen. Entstammt ja doch der erste Gedanke, der z. Z. R. Koch zur Herstellung der Nährgelatine geführt hat, dem Bestreben, patho- gene Keime auf dem Nährboden zur Entwickelung zu bringen. Die Zählung gerade von Keimen aus Abgängen ist aber für die Beur- teilung der Reinheit eines Wassers von besonderem Wert. Die Versuchsbedingungen sind fernerhin auch häufig dadurch abgeändert worden. dass die Keime nicht nach 2, sondern nach 3, 5 und mehr Tagen gezählt wurden. Es soll nicht bestritten werden, dass gewisse Abänderungen der vom Reichsgesundheitsamt angegebenen Methoden von Vorteil sein könnten, so die Bebrütung der Kulturplatten bei einer um 1—2° höheren Temperatur; ım allgemeinen aber hat sich die Me- thode der Gelatinekultur ganz außerordentlich bewährt. Überdies würde eine Veränderung in den Untersuchungsbedingungen heute nur dann einen größeren Wert haben können, wenn sie durch internationale Abmachung allgemein eingeführt werden würden. Man würde andernfalls keine vergleichbaren Resultate erhalten. Jede Veränderung der Methodik würde überdies die Fülle von Er- fahrungen, welche man bisher bei der Feststellung der Keimzahl nach der üblichen Methode gewonnen hat, fast entwerten. Ein dringendes Bedürfnis, die bisherige Untersuchungsmethode zu verändern, liegt nicht vor. Deshalb hat auch die frühere König- liche Prüfungsanstalt für Wasserversorgung und Abwässerbeseiti- gung, jetzige Königliche Landesanstalt für Wasserbygiene seit ihrem Bestehen daran festgehalten, dass die vom Reichs- gesundheitsamt ausgearbeitete Methode streng innegehalten wird, sowohl was die Herstellung der Nährböden als die Art der Aussaat, die Zeit und die Temperatur der Bebrütung und die Art der Aus- zählung der Keime betrifft. Nur ganz unwesentliche Änderungen in der Herstellung des Nährbodens, die auf die Beschaffenheit des fertigen Präparates nicht von Einfluss sind, erschienen durch den geringeren Säuregehalt der jetzt im Handel erhältlichen Gelatine geboten. Bisher wird die Nährgelatine zum größten Teil in den Labo- ratorien der einzelnen Anstalten hergestellt, im denen sie zur Ver- arbeitung gelangt. Bei dem großen Bedarf, den manche Laboratorien, wie z. B. bei großen Wasserwerken haben, ist diese Art der Her- stellung auch im allgemeinen zweckmäßig und lohnend. Anders liegen die Verhältnisse bei kleinen Wasserwerken, bei Kommunen, die Vorfluter oder Brunnen nicht durch Bakteriologen, sondern durch als Keimzähler vorgebildete Laboranten oder Apotheker und Chemiker in größeren Zeiträumen regelmäßig bakteriologisch unter- suchen lassen, oder bei Kreisärzten und anderen Gutachtern, die hin und wieder Keimzählungen vornehmen müssen, aber keinen regelmäßigen Bedarf an Nährgelatine haben. Hier ıst die Her- 726 Schreiber, Herstellung und Abgabe von Nährgelatine etc. stellung der Nährgelatine zeitraubend und verhältnismäßig teuer, ohne dass für ihre gleichmäßige gute Beschaffenheit Gewähr ge- leistet werden kann. Die Industrie befasst sich im allgemeinen wenig mit der Her- stellung von Nährmedien, weil nennenswerte Gewinne hierdurch nicht erzielt werden. Aus den angeführten Gründen wäre es daher vorteilhaft, dass die Nährgelatine von einem fachmäßig geleiteten Laboratorium ım großen hergestellt und in den Handel gebracht würde und zwar in einer gleichmäßigen, den Vorschriften entsprechenden Be- schaffenheit. Wir haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass die Nähr- gelatine, welche für Keimzählungen verwendet wird, ın dieser Be- ziehung häufig viel zu wünschen übrig lässt und je nach Art der verwendeten Rohstoffe und der Herstellung nicht unerhebliche Ver- schiedenheiten aufweist. Die verwendete Speisegelatine gelangt ın sehr verschiedener Qualität in den Handel, zeigt in ihrem Säuregehalt, der Löslichkeit, der Reinheit und damit dem Einflusse auf die Ent- wickelung der Bakterien und Pilze merkliche Unterschiede und be- dingt somit eine Verschiedenartigkeit der damit hergestellteo Nähr- gelatine. Andererseits werden die Vorschriften für die Bereitung der Nährgelatine nieht überall genau beobachtet. Besonders ist es uns aufgefallen, dass die Reaktion häufig nicht richtig eingestellt ist. Es sind uns mehrere Fälle bekannt geworden, wo die schein- bar günstigen Resultate, welche durch eine Weasserreinigungs- methode erzielt wurden, oder die angeblich sterile Beschaffenheit von untersuchtem Trinkwasser sich einfach daraus erklärten, dass die verwendete Nährgelatine nicht die vorgeschriebene Alkaleszenz besaß, sondern einen mehr oder weniger hohen Säuregehalt aufwies. Die Reaktion ist jedoch ebenso wie die Temperatur und die Zeit der Bebrütung sowie die Art der Zählung von großem Einfluss auf die Höhe der gefundenen Keimzahlen. Es scheint uns ein Bedürfnis dafür vorhanden zu sein, dass die Nährgelatine zu einem verhältnismäßig geringen Preise in einer gleichmäßigen, den Vorschriften genau entsprechenden Beschaffen- heit in den Handel gelangt. Die Anstalt hat daher in Erwägung gezogen, ob sie die Herstellung und die Abgabe von Nährgelatine ın die Hand nehmen solle. Wir werden bei einer Anzahl von Wasserwerken und anderen Untersuchungsstellen, die Bedarf an Nährgelatine haben, anfragen, ob ein Bedürfnis für eine amtliche Herstellung und Abgabe besteht und wie groß der Bedarf jährlich etwa zu schätzen ist. Falls diese Ermittelungen günstig ausfallen. würde die Kgl. Landesanstalt für Wasserhygiene vom 1. Januar 1914 ab Reagensgläschen mit Nährgelatine abgeben, die den Vor- schriften des Reichsgesundheitamtes genau entsprechen. Der Preis, dem wir lediglich die Selbstkosten zugrunde legen, würde sich zunächst anfangs für das Gläschen mit 10 cem auf 18 Pfg. ausschließ- lich Porto und Verpackung stellen, bei steigendem Absatz jedoch Demoll, Gelegentliche Beobachtungen an Libellen. 127 voraussichtlich herabgesetzt werden können. Gegebenenfalls würden wir später auch den Vertrieb anderer vielgebrauchter Nährböden in die Hand nehmen. Gelegentliche Beobachtungen an Libellen. Von R. Demoll. An schönen Herbsttagen dieses Jahres beobachtete ich auf einem Hügel in der Nähe des Bodensees zahlreiche mittelgroße Libellen (verschiedene Arten der Gattung Zibellula), die auf niederen Tännchen, auf Sträuchern, auf den Stangen der Reben und öfter auch auf dem Boden saßen, um von hier aus ihre Raubzüge zu unternehmen. Mehrmal traf es sich nun, als ich dort verweilte, dass etwa nach 3 Uhr ein kühler Wind einsetzte. Dann sah ich die Tiere in kurzer Zeit alle auf einer großen Steinplatte versammelt, die den Abschluss einer Mauer bildete. Vermutlich war es die durch die Sonnenbestrahlung tagsüber aufgenommene Wärme der Platte, die die Tiere anzog. Für mich hatte es etwas sehr ver- lockendes die Gesellschaft näher zu beobachten, die mir so bequem in Augenhöhe da saß und die sich um mich nicht im mindesten kümmerte, so lange ich es nur vermied hastige Bewegungen auszu- führen. Dabei konnte ich jedoch langsam hin- und hergehen, ich konnte an die Tiere so nahe herangehen, als mir erwünscht war, ja ich durfte mich sogar einer kurzbrennweitigen Lupe bedienen, um den Fressakt näher verfolgen zu können. Hatte ich aber durch eine unbeabsichtigte schnelle Bewegung die Tiere verscheucht, so dauerte es meist recht lange, bis sie sich wieder auf den Stein niederließen. Wenn sich die Tiere niedersetzen, so tun sie dies niemals so, dass sie mit dem Kopf gegen die Sonne gerichtet sind. Anderer- seits wird die Orientierung mit dem Kopf von der Sonne weg nicht so streng durchgeführt, wie bei den Tagschmetterlingen, die, wenn sie auf einer Straße oder auf einer größeren, sich in der Horızontalen ausbreitende Blume anfliegen, sich stets so lange drehen, bis sie sie genau von der Sonne abgewandt sind. Die Libellen sieht man öfter auch mehr oder weniger quer zu den einfallenden Strahlen sitzen; dabei scheint die Richtung, in der der Wind weht, eine Rolle zu spielen. Sie setzen sich mit Vorliebe so, dass sie den Wind im Rücken haben. Da die Flügel gleich, nachdem die Tiere sich niedergelassen haben, noch besonders niedergedrückt werden und zwar in einer solchen Stellung, dass sie nach hinten abfallen, so werden die Tiere durch einen von hinten kommenden Wind auf den Stein angepresst, während umgekehrt ein von vorn wehender Wind sie leicht von der Unterlage abheben würde. Gehörsinn. Zunächst fiel mir auf, dass die Tiere durch eine Unterhaltung, die ich erst vorsichtig, schließlich aber in der unge- niertesten Weise mit meinem Vater führte, der etwa 15 m entfernt saß, sich nicht stören ließen. Ich fing nun an, in allen mir zur 128 Demoll, Gelegentliche Beobachtungen an Libellen. Verfügung stehenden Tonlagen zu pfeifen. Dabei konnte ich mich mit dem Mund auf 5 cm dem Tier nähern; sofern ich darauf achtete, dass ich es nicht wegblies, hielt es sowohl meinem Pfeifen als auch meinen übrigen musikalischen Leistungen wie Singen und Jodeln stand. Ich legte besonderen Wert darauf, möglichst alle Tonlagen zu erproben und aus diesem Grund auch machte ich den Versuch, zu jodeln. Weiter erprobte ich die Wirkung knistern- der, rasselnder und reibender Geräusche, und zwar wieder in aller- nächster Nähe des Tieres. Auch dies ıst nicht überflüssig, denn es ist sehr wohl denkbar, dass die Tiere zwar alle die anderen Töne auch hörten, dass sie aber nur auf knisternde etc. Geräusche mit einem Fluchtreflex antworten. Doch blieben auch diese Ver- suche erfolglos. Schließlich griff ich zur ultima ratio regis. Ein Feldschütz, der in den Reben durch Büchsenschüsse die Vögel zu vertreiben hatte, war so liebenswürdig sein Instrument meinen Wünschen zur Verfügung zu stellen. Aber auch die alte Donner- büchse, die einen ganz respektablen Klang hatte, vermochte keine der zahlreich ın einer Entfernung von 30 em bis etwa 2 m umher- sitzenden libellen zum Abfliegen zu bewegen. Hieraus darf man wohl den Schluss ziehen, dass den Libellen ein Gehörsinn nicht zukommt. Versuche, die bisher angestellt wurden, um die Frage nach dem Vorkommen eines Gehörsinnes bei den Insekten zu entscheiden, haben zum größten Teil zu negativen Resultaten geführt, falls die nötigen Vorsichtsmaßregeln beobachtet wurden. Nur die von I. Regen!) festgestellten Tatsachen scheinen doch deutlich darauf hinzuweisen, dass das Typanalorgan der Orthopteren — die Ver- suche sind an Männchen von Thamnotrizon angestellt — als Ge- hörorgan aufzufassen ist. Freilich kann man auch gegen diesen Schluss noch Emwände machen, die jedoch etwas gezwungen sind. Bei allen übrigen Insektengruppen muss die Existenz eines Gehörsinnes bei kritischer Prüfung der Literatur sehr fraglich er- schemen. Bei den Libellen liegen Beobachtungen und Versuche in dieser Richtung noch nicht vor. Gesichtssinn. Es ist leicht festzustellen, dass die Tiere nur dann nach einem vorüberfliegenden Beutetier jagen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Tiere, die in nächster Nähe vorüber- huschen, werden nie verfolgt. Nur wenn es sich um kleine, auf und ab tanzende Mücke handelt, beobachtet man bisweilen, dass die Libellen sich aus einer Entfernung von unter einem Meter auf sie stürzen. Auch dann, wenn die Libellen hoch über dem Boden auf einem dünnen Zweig sitzen, wird man nur ganz ausnahmsweise beobach- ten können, dass sie nach einer Beute fliegen, die sich tiefer als sie selbst befand. Und auch dann ist es meist (vielleicht auch immer) darauf zurückzuführen, dass das Beutetier erst hochflog, sich aber dann der Verfolgung durch Flucht nach dem Boden zu entziehen 1) Regen, J., Sitzber. Akad. Wien, Math. nat. Kl. 3. Abt. Bd. 117, 1909. Demoll, Gelegentliche Beobbehtungen an Libellen. 729 suchte. Als Regel gilt, dass die Libelle nnur nach Tieren jagen, die sich über ihrem Standort befinden, und weiter dass sie nur nach solchen jagen, die sie in Richtung nach der Sonne oder wenigstens der hell erleuchteten Partie des Himmels sehen. Es kann sich dabei nur um ein Sehen von Umrissen handeln, und man .muss annehmen, dass nur bei einem derartigen Sehen die Verfolgung eingeleitet wird. Dies wird verständlich, wenn wir später erfahren, dass die Libellen stets von unten die Beute anzufliegen scheinen. Eine genauere Prüfung ergibt, dass bei diesen Beutezügen sowie bei den vorausgehenden Fixierbewegungen die dorsalen Partien des Fazettenauges allein in Betracht kommen. Das was einem bei der Beobachtung der Tiere wohl zuerst auffällt, ıst das lebhafte Bewegen des Kopfes ın bestimmter Richtung, sobald ein anderes Tier vorbeifliegt. Die Kopfverdrehungen können hierbei außerordentlich stark sein, und da es selten möglich ist zu gleicher Zeit die Libelle und das fixierte Beutetier zu kontrollieren, so ge- lingt es auch nicht leicht zu entscheiden ob der Kopf jeweils so gedreht wird, dass die ventralen Teile des Auges oder die dorsalen dem Objekt zugewandt werden. Es gelang mir hierüber erst volle Sicherheit zu gewinnen, als ich das Fixieren von Schmetterlingen beobachtete, deren Größe und relativ langsamer Flug es gestattete, ihre Bewegung zu kontrollieren ohne direkt hinsehen zu müssen. Und es war günstig, dass an derselben Stelle ziemlich viel Tag- schmetterlinge flogen, die meist auch von den Libellen fixiert wurden. Mehrmals kamen diese in der Höhe der Mauer an, um erst kurz vor dieser etwas in die Höhe zu steigen. In diesen Fällen konnte leicht konstatiert werden, dass die Tiere dem Objekt schon wenn es noch 3—4 m entfernt war, die dorsalen Augen- bezirke zukehrten und damit fixierten. Sıe begnügen sich jedoch nicht damit, das Objekt in einem beliebigen Bezirk des dorsalen Gesichtsfeldes zu bringen, sondern sie führen die Fixierbewegungen stets so aus, dass das Objekt ın die Mediansagittalebene des Kopfes zu liegen kommt und in dieser so, dass ıhm der Teil des Kopfes zugekehrt ist, der nach vorn-oben sieht. Auch dies ließ sich sicher feststellen wenn Schmetterlinge fixiert wurden. Die Fixierbewegungen zur Seite erreichen im ganzen einen Umfang von gegen 180°. Es können also in der angegebenen Weise noch Tiere fixiert werden, die sich in gleicher Höhe wie die Libelle befinden. Bei Annäherung des Beutetieres von hinten (oder beim Abfliegen desselben nach dieser Richtung) findet ein Rückwärtsbeugen des Kopfes um etwa 70° statt. Nach vorn unten werden keine so ausgiebigen Bewegungen ausgeführt (schätzungs- weise im Umfang von 30--40°) und zwar jedenfalls deshalb, weil die Fixierstelle des Auges (wir werden später sehen, dass sie nicht identisch ist, mit der Stelle deutlichsten Sehens) schon etwas nach vorn gerichtet ist. Das Neigen der Fixierstelle bis zur Horizon- talen nicht aber darüber hinaus steht wohl in Beziehung dazu, dass nur solchen Tieren nachgejagt wird, die sich nicht tiefer als die Libelle selbst befinden. (Zu berücksichtigen ist dabei, dass die 730 Demoll, Gelegentliche Beobachtungen an Libnllen. Libellen auf Zweigen etc. nicht immer ganz horizontal sitzen. In Betracht kommt aber hier die Ebene, die durch die Lage des Libellenkörpers gegeben ist.) Nicht alles, was sich über den Tieren bewegt, wird fixiert. Bei Vögeln konnte ich manchmal beobachten, dass sie eine Fixationsbewe- gung nicht hervorriefen. Auch Schmetterlingen und Libellen gegen- über unterbleibt sie bisweilen, wenn auch seltener. Eine Fixierung tritt nie ein, wenn das betreffende Objekt bei den Tieren einen Flucht- reflex auslöst, auch dann nicht, wenn das Objekt relativ klein ist, Ich fuhr mit einem dünnen Bleistift einigemal schnell über die Tiere weg, wobei jedoch mein Arm für sie unsichtbar blieb, da er sich unter der Kante der Mauer befand. Die Tiere reagierten meist nicht sofort, flogen aber schließlich ab ohne vorher Fixierbewe- gungen ausgeführt zu haben. Dasselbe konnte ich auch dann be- obachten, wenn ich sie in irgendeiner Weise zu sofortigem Ab- fliegen veranlasste, Erfolgt beim Vorüberfliegen eines Objektes kein Nachjagen, so begleiten die Fixierbewegungen der Libellen trotzdemi oft die Tiere, bis sie sich weiter entfernt haben. Für das Abfliegen zur Ver- folgung ist die Größe des Beutetieres und dessen Winkelgeschwin- digkeit maßgebend. Sind die Libellen mit Fressen beschäftigt, so machen sie trotzdem Fixierbewegungen. Werden die Vorderbeine nicht auf den Boden aufgelegt, so folgen sie dem Kopf bei allen Bewegungen, und es hat dann den Anschein als seien sie an ıhm mit leichter Krümmung aufgehängt. Fliegt das Beutetier ganz nahe über den Kopf der Libelle hinweg (in diesem Falle findet nie ein Verfolgen statt), so werden oft plötzlich mit einem Ruck die Vorderbeine zu beiden Seiten des Kopfes in die Höhe geworfen, wie wenn das Tier die Beute damit erfassen wollte. Dies bestärkt mich in .der Annahme, dass die Libellen die Beute von unten anflıegen Aus dem Gesagten geht hervor: Die Beute wird stets erst mit der Fixierstelle fixiert. Sie wird dann verfolgt, wenn zu erwarten ist, dass sie bei der Verfolgung im Bereich der dorsalen Augen- partien bleibt. Diese allein sind es also, die bei den Nahrungs- erwerb in Betracht kommen. Erregungen der übrigen Bezirke ohne nachfolgende Fixierbewegungen führen nur zu Fluchtreflexen. Die dorsalen Augenpartien sind durchaus nicht diejenigen, denen man nach ihrem Bau das schärfste Sehen zusprechen muss. Ich habe mich an Schnitten davon überzeugt, dass die Stelle deut- lichsten Sehens (beurteilt nach der Divergenz der Rhabdome) in dem Bereich des Appositionsauges zu suchen ist. Sie liegt etwa in der Horizontalebene des Kopfes. Das Libellenauge ist aus einem dorsalen Superpositions- und einem die seitlichen und ventralen Teile einnehmenden Appositionsauge zusammen gesetzt. Die Grenz- linie verläuft so, dass sie das Superpositionsauge seitlich etwas weiter herabreichen lässt als vorn und hinten. Wenn man be- denkt, dass das Superpositionsauge wegen seiner größeren Licht- stärke uns meist als Anpassung an ein Leben unter ungünstigen u er Demoll, Gelegentliche Beobachtungen an Libellen. 131 Beleuchtungsverhältnissen entgegentritt, so ıst man überrascht bei den Libellen den nach oben gerichteten Teil als ein Super- positionsauge ausgebildet zu finden. Man vermutete daher schon früher, dass diese Partien (die Vermutung bezog sich auf Ephe- meriden u. a.) nur bei der Begattung eine Rolle spielten, die bei den in der betreffenden Arbeit herangezogenen Tieren ın die Abendstunde fällt. Mit dem Nachweis, dass dies bei den Iı- bellen sicher nicht zutrifit, verliert dieser Erklärungsversuch auch für verwandte Formen an Wahrscheinlichkeit. Es handelt sich dabei noch nicht einmal um ein normales Superpositionsauge, sondern um ein extrem pigmentarmes. Dies tritt einerseits als ein neues befremdendes Moment hinzu, kann uns aber vielleicht andererseits einen Fingerzeig geben, welche Momente die Ausbildung gerade dieses Augentypus in der oberen Kopfregion begünstigt haben. Es scheint mir nıcht ausgeschlossen, dass eine starke Erwärmung der Rhabdome für deren Funktion nicht vorteilhaft ıst. Eine solche muss aber ın den ziemlich um- fangreichen direkt nach oben sehenden Bezirken an wolkenlosen Sommertagen dann eintreten, wenn sie als Appositionsauge gebaut sind, das viel weniger des Pıgments entbehren kann, als das Super- positionsauge. Wie dem auch seı, jedenfalls müssen wir annehmen, . dass die Empfindlichkeit der dorsalen Rhabdome gegenüber der der übrigen Teile herabgesetzt ist, da sie nur Umrisse auf hellstem Untergrund zu unterscheiden haben. Die Größe der Libellenaugen ließ mich hoffen, falls ein Sen- sibilisator vorhanden ist, diesen hier auch mit Bestimmtheit nach- weisen zu können. Ich tötete Tiere nach längeren Aufenthalt, m einer Dunkelkammer und machte möglichst schnell Zupfpräparate, die ich unter das Mikroskop brachte. Dann wurde plötzlich be- leuchtet. Das Ergebnis war stets negativ. Ich wiederholte nun meine früheren Versuche an Nachtschmetterlingen. Ich machte Zupfpräparate von den Augen von Schwärmern und Eulen. Auch hier immer ohne Erfolg. Früher glaubte ich zweimal deutlich ein Ausbleichen beobachtet zu haben. Ich nehme an, dass ich mich damals getäuscht habe. Denn durch geeignete Versuche mit nicht ausbleichenden Farben überzeugte ich mich, wie schwer es ist, mit dem dunkeladaptierten Augen bei plötzlicher, intensiver Belichtung zu entscheiden, ob in den ersten Sekunden eine Farbenänderung stattfindet oder nıcht. Aus diesem Grunde möchte ich auch jetzt nicht das Vorhandensein eines Sensibilisators unbedingt in Abrede stellen, ich möchte nur erklären, dass mir meine damalige Beobach- tung nicht mehr zwingend erscheint. Zerkleinerung der Beute. Ich schicke zunächst eine Dar- stellung dessen voraus, was man über das Erhaschen der Beute und das Zerkleinern derselben bis jetzt weiß und vermutet. Der Stand unserer Kenntnisse entspricht heute noch den Ausführungen von D. Sharp aus dem Jahre 1901 (Cambridge natural history), den ich daher hier zu Wort kommen lasse. Er sagt S. 415: „In the case of the large dragon-flies we have mentioned, each indi- 1323 Demoll, Gelegentliche Beobachtungen an Libellen. vidual appears to have a domain, as it were, of its own. West- wood tells us that he has seen what he believed to be the same individual hawking daily for several weeks together over a small pond. The writer observed a specimen of Cordulegaster annulatus to frequent a particular bush, to which ıt returned — frequently to the same leaf— after an excursion in search of food. The way in which these Insects actually seize their prey has not yet been made clear; ıt is certain that they capture fiying Insects, and it seems most probable, as we have already said, that this is done by means of the legs. These, as we have said, are inserted so as to be very near to the mouth: they are directed forwards, and are held bent at right angles so as to form a sort of net, and are armed with a beautiful system of fine spines: ıt is probable that if the dragon-fy pursue an Insect on the wing and strike it with the trap, formed by its six legs, then these immediately come together under the mouth, so that the vietim, direetly it is captured by the leg- trap of its pursuer, finds itself in the jaws of its destroyer. It ıs perhaps impossible to verify this ‚by actual observation, as the act of capture and transfer is so very brief and is performt in the midst of a rapıd dash of flight, but it seems more probable that the prey is first struck by the legs than that the mouth is the primary instrument of capture. The excessive mobility of the head permits the vietim to be instantly secured by the mouth, and the captured fly is turned about by this and the front pair of legs, and is nipped rapidly so that the wings and drier parts fall off; the more juiey parts of the prey are speedily squeezed ınto a little ball, which ıs then swallowed, or perhaps we should rather say that the mouth closes on it, and submits ıt to further pressure for the extraction of the juices.“ .Ob die Tiere in der Luft die Beute mit allen Beinen ergreifen, konnte ich nicht feststellen. Doch scheint es mir nicht sehr wahrschein- lich, da ich vermuten muss, dass die Tiere die Beute von unten anfliegen. Ob beim Festhalten die drei Beinpaare in Tätigkeit sind, kann ich auch nicht angeben. Doch habe ıch nie beobachtet, dass die Tiere beim Zurückkehren nach ihrem Standort die Beute mit allen Beinpaaren gehalten hätten. Stets sah ich schon bevor sie sich niedersetzten, “die beiden hinteren Beinpaare frei. Kleine Tiere wurden nur mit den Mundwerk zeugen gehalten, größere von diesen und dem ersten Beinpaar. Es findet eine sehr weitgehende Zerkleinerung statt (Jor- dan, 1913, I. Bd. Jena.) Die "Oberlippe, die Mandibeln, die ver- breiterten Taster der Unterlippe (nach anderen die Außenladen derselben), und die Außen- und Innenladen derselben arbeiten alle synchron gegeneinander. Die ersten Maxillen konnte ich nicht zu Gesicht bekommen. Kleinere Tiere werden vollständig verzehrt. Beı etwas größeren werden während des Zerkauens größere Chitin- stücke, die von allen Weichteilen befreit sind, wieder nach außen befördert. Bei noch umfangreicheren Beutetieren werden erst die Flügel und Beine entfernt, und zwar in der Weise, dass der Przibram, Experimentalzoologie. 133 Körper des Tieres in den Mund gezogen und von dem ersten Bein- paar gestopft wird, und dabei die Mandibeln, die Oberlippe und die Unterlippe über den Thorax immer wieder hingleiten, bıs dieser von seinen Anhängen befreit ist. Es ist diese Prozedur mit dem Rasıeren vergleichbar. Ein anderes Verfahren hatte ich nie be- obachtet. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Wespen (Vespa vulg.) wie ich mich schon mehrmals überzeugte, ebenso regelmäßig eine andere Sektionsmethode einschlagen. Eine Kristalis wird von diesen erst getötet, dann der Kopf: und das Abdomen abgebissen und schließlich die Flügel und dıe Beine dadurch entfernt, dass sie diese an der Basis mit den Mandibeln abbeissen. Mit dem Thorax allein fliegt die Wespe dann davon. Die Reihenfolge, in der das Zerlegen geschieht, kann varieren, die Art ist immer dieselbe. Einigemal beobachtete ich, dass die Libellen von größeren Beutetieren nur das Abdomen verspeisten, den Kopf mit dem Thorax aber wieder abgaben. Obwohl ziemlich viel Zeit verstrich bis das Tier den Kopf mit dem Thorax abgetrennt hatte, so erschien dieser Teil des Beutetieres doch wieder vollständig intakt und der Torso war noch ebenso lang lebensfähig, wie wenn er durch einen Scheren- schnitt entstanden wäre. Dies zeigt uns, dass die Libellen in keinem Falle, mag die Beute noch so groß sein, danach streben, das Tier zuerst zu töten. Gegen Ende der Mahlzeit werden die Kieferbewegungen bis- weilen alternierend. Und wenn zum Schluss die Mundteile geputzt werden, was nach einer ausgiebigen Mahlzeit stets der Fall ıst, so beobachtet man nur diese alternierenden Bewegungen. Beinahe regelmäßig finden Kieferbewegungen statt, wenn die Tiere von einem Flug zurückkehren, mag dieser auch noch so kurz gewährt haben. Sicher haben sie in diesen Fällen nicht immer eine Beute erhascht. Man kann in solchen Fällen auch nicht immer an- nehmen, dass eine ganz kleine Fliege erjagt wurde, die augen- blicklich verschlungen werden konnte. Denn wenn die Libelle sich nur wenige Zentimeter erhebt, die Verfolgung aber sofort aufgibt und sich wieder niederlässt, so treten auch dann meist diese kauenden - Bewegungen auf. Auch wenn sie auffliegt, um einer Artsgenossin nachzujagen, kehren sie oft kauend zurück. Schließlich seien noch eigentümliche, kurze, außerordentlich schnell ausgeführte Schüttelbewegungen des Kopfes erwähnt, die ich nur einigemal zu beobachten Gelegenheit hatte und deren Be- deutung mir unklar ist. Hans Przibram. Experimentalzoologie. 4. Vitalität. Leipzig und Wien. Franz Deuticke. 1913. S. 179. Mit 10 litho- graphischen Tafeln. Es ist der 4. Band von Przibram’s Experimentalzoologie er- schienen. In diesem Bande fasst Przibram die durch Versuche er- mittelten Gesetzmäßigkeiten tierischer Lebenszustände (Kolloidform, Wachstum, Bewegung) zusammen. XXXI. 48 + 34 Przibram, Experimentalzoologie. In der Einleitung rekapituliert Przibram die allgemeinen Eigenschaften des Lebendigen. In den folgenden Kapiteln bespricht Przibram im ersten die Entstehung und Nachahmung des Lebens (Plasmogenie), im zweiten die Form der Lebewesen (Blasen- und Kolloidform), im dritten die Polarıtät, ım vierten den Stoffwechsel (Assımilation und Katalyse), im fünften die Lebensgrenzen, ım sechsten das Wachstum, im siebenten die Bewegung, ını achten das Gedächtnis (die Mneme) und im neunten die Energie (Kraftwechsel). H. Przibram kommt zu folgenden Schlüssen auf Grund des von ihm dargelegten Materıals: 1. Die einzelnen objektiven Eigenschaften der lebendigen Struktur sınd meist auch mit anorganischem Materiale nachahmbar; 2. die ım Tierkörper auftretenden geometrischen Formen lassen sıch auf den Aggregatzustand des Protoplasmas zurückführen; die besondere Polarıtät des Tierkörpers beruht einerseits auf der chemisch heterogenen Zusammensetzung der Keimzonen (Schichtungspolarität), anderseits auf der bestimmt gerichteten An- un zuwachsender Teilchen (Richtungspolarität); 4. (über Assimilation und Katalyse), weder in der Assymmetrie der Kohlenstoffverbindungen noch in der reaktionsbeschleunigenden Wirkung anorganıscher Fermente kann ein die Organismen von der anorganischen Welt scheidender Faktor aufgefunden werden; 5. die schädigende Wirkung äußerer Faktoren auf die lebendige Substanz lässt sich großenteils auf die Veränderung des Chemismus, teilweise auf die Zerstörung der allmählich aus letzterem aufge- bauten Struktur beziehen, die günstige Einwirkung auf das Optimum des betreffenden Faktors für den Verlauf der strukturentwickelnden chemischen Prozesse; 6. die Zunahme an lebendiger Substanz durch das Wachstum findet derart statt, dass eine Verdoppelung der Masse jeder Zelle wieder zu ıhrem Zerfalle führt, wobeı ın zeitlicher Beziehung sich u zur Autokatalyse lebloser Chemismen finden; die Bewegung der Tiere folgt denselben Gesetzen, welche auch er Bewegungen ın der anorg sanischen Natur beherrschen und steht ın strenger Abhängigkeit von der Einwirkung äußerer Fak- toren, welche allerdings erst auf sehr indirektem Wege durch Rei- zung richtunggebend zu wirken pflegen; 8. obzwar das Aufbewahren von Eindrücken für dıe Lebewesen in hohem Grade charakteristisch ist, so lässt sich doch weder die Bewahrung selbst noch die hierauf beruhende Veränderung des Verhaltens bei Wiederkehr ähnlicher äußerer Konstellationen als ein durchgreifender Unterschied gegenüber der leblosen Welt be- zeichnen; 9. die Energiegesetze der Physik finden auch auf die Orga- nismen vollkommene Anwendung, aber ob außer den uns aus der anorganischen Welt bekannten Energieformen noch andere, physio- logische, psychische oder vitale am Energiewechsel teilnehmen, kann gegenwärtig noch nicht entschieden werden. Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. 735 Wie man aus diesen Sätzen sieht, bemüht sich Przibram, die möglichen Grenzen zwischen dem Organıschen und dem Anorga- nischen zu brechen und das Organische auf das Anorganische zu- rückzuführen. Der Hauptunterschied der Lebenserscheinungen gegen die anorganischen Vorgänge wäre der komplizierte Bau des Orga- nischen, welcher zu Leistungen befähigt, die den Eindruck hoher Zweckmäßigkeit machen. Die Darstellung ist zu lapidarisch und in einigen Kapiteln tritt die subjektive Auffassung mehr hervor als es ın den ersten drei Bänden der Experimentalzoologie der Fall war. Dr. Slavko Sederov (Belgrad). Max Verworn: Kausale und konditionale Weltanschauung. Jena 1912. 46 S. Wilhelm Roux: Über kausale und konditionale Weltanschauung und deren Stellung zur Entwickelungsmechanik. Leipzig 1913. 66 S. Die beiden Schriften führen uns in einen interessanten Streit von allgemeiner Bedeutung. Verworn hat in seinem Aufsatz, der zuerst als Vortrag für Studenten verfasst wurde, versucht, eine neue, „das gesamte Weltbild in tief eingreifender Weise* bestimmende, natur wissenschaftliche Methode zu formulieren. Die Überpr oduktion in der wissenschaftlichen Literatur, ın der heute ein wertloser Wust von Einzelheiten zusammengetragen werde, führe zu der Mahnung, dass wir dıe Aufgaben für unsere Spezialuntersuchungen nur aus dem Bedürfnis großer und umfassender Probleme heraus stellen dürften. In diesem Sinne sei es nötig, die allgemeinen Denkformen kritisch zu prüfen, um nicht, iu falschen Bahnen gefangen, Probleme zu stellen, die gar keine Probleme seien. So solle im folgenden die „kausale Betrachtungsweise“ einer Revision unterzogen werden. Nach Verworn ist der Ursachenbegriff erst nach der archäo- lithischen, am Ende der paläolithischen Kulturstufe entstanden. Im Neolithikum hätte sich ein gewaltiger Drang zu spekulativer Be- trachtung des Menschen und der umgebenden Welt bemerkbar ge- macht. In dieser Zeit hätten wir wohl die spekulative V erwendung der ursprünglich rein empirischen Erkenntnisse zu der spezifischen Gestaltung des „Ursachenbegrifis“ zu suchen. Seelenbegriff, Gottes- begriff und Ursachenbegriff seien in ihrer Entw ickelung untrennbar ineinander verwoben. In die rein empirisch gefundene Sesetzmäßige Aufeinanderfolge der Ereignisse sei ein mystisches Zwischenglied „die Ursache“ is ehe Faktor eingeschoben worden. Wenn auch der Ursachenbegriff in der heutigen Naturwissen- schaft nicht mehr eine selbständig neben den wahrnehmbaren Fak- toren bestehende unsichtbare Triebkraft für die Vorgänge ın der 48* 126 Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. Welt bedeute, so räume sie doch der Ursache unter den Fak- toren, die einen Vorgang bestimmen, noch immer, wenn auch vielfach unhewusst, eine Sonderstellung ein und züchte damit auch auf ihren exaktesten Gebieten einen Rest des alten Mysti- zısmus fort. Verworn führt weiter aus, dass kein Vorgang oder Zustand von einem einzigen Faktor allein abhängig sei, dass es daher ganz verkehrt sei, nach „der“ Ursache zu suchen. Also fort mit dem Ursachenbegriff! Jede richtige Betrachtungsweise habe zur Grundlage zu nehmen, dass jeder Vorgang oder Zustand durch zahlreiche Bedingungen bestimmt werde, und dass diese Bedingungen für das Zu- standekommen des Vorganges alle gleichwertig seien. Der Begriff der Bedingung bringe ein Abhängigkeitsverhältnis zum Ausdruck, welches das Moment der Notwendigkeit enthalte. Inso- fern die Bedingungen eines Vorganges oder Zustandes alle not- wendig seien, seien sie also auch sämtlich gleichwertig für sein Zustandekommen oder Bestehen. Dies nennt Verworn die Aqui- valenz der Bedingungen. Der Verfasser erörtert eingehend, dass keiner der bedingenden Faktoren durch einen anderen ersetzbar sei. Wo eine Ersetzbar- keit vorzuliegen scheine, sei die Bedingung nicht genügend präzi- siert und aus ihrem Zusammenhang herausgeschält. Die wissenschaft- liche Erforschung alles Seins und Geschehens könne lediglich bestehen in der Ermittlung seiner Bedingungen. Nach einem anderen „Wesen der Dinge“, nach „dem Dinge an sieh“ zu forschen, heisst von einer unmöglichen Problemstellung ausgehen. Bei der konditionalen Weltanschauung verschwinde die Frage nach den Beziehungen der psychischen zu den materiellen Vor- gängen, die Frage nach der Willensfreiheit und der Unsterblichkeit der Seele. Nach Verworn verlieren von der Warte seines neuen „Kon- ditionismus“ zahlreiche Probleme der embryonalen Entwickelung ihre Bedeutung. So sei die Frage, ob die Entwickelung aus inneren oder äußeren Ursachen erfolge, endgültig als schief beiseite zu tun, ebenso seien die analysierenden Begriffe der nötigen, akzessorischen, determinierenden und realisierenden Ursachen, die bisher der Ent- wickelungsmechanik (Roux) als (Grundlage und: Werkzeuge der Forschung gedient haben, gemäß dem Satze von der Aquivalenz der Bedingungen zu verwerfen. In ähnlicher Weise werden die Fragen nach der Vererbungs- substanz und nach der Todesursache als angeblich irrig dargestellt. Lehren, die in eleganter Form Wahres mit Falschem mischend, die tiefen Schächte wissenschaftlicher Probleme überbrücken und ihr Vorhandensein leugnen, haben stets einen großen Anfangserfolg zu erwarten. So wird auch Verworn’s gewandt geschriebener Auf- satz weite Verbreitung finden. Auch die Erkenntniskritiker von Fach werden ihn also lesen und gewiss ihr Wort dazu sprechen. Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. 137 Von berufener biologischer Seite liegt schon heute eine eingehende Würdigung der „neuen Weltanschauung“ in der ein- gangs näher bezeichneten Erwiderungsschrift von Wilhelm Roux vor. Um die richtige Basis für die Kritik von Verworn’s Schrift herzustellen, erläutert Roux zunächst nebeneinander Ursachenlehre und Bedingungslehre und vergleicht sie miteinander. Er schildert, wie er seinerzeit bei Begründung des Forschungszweiges, dem er den Namen Entwickelungsmechanik gab, den Ursachenbegriff analy- siert hat. Ursache eines Geschehens ist danach die Gesamtheit und Konfiguration aller an einem Geschehen beteiligten Faktoren oder Komponenten. Diese Gesamtheit bildet die ganze oder voll- ständige Ursache des betreffenden Geschehens. Sie besteht also aus Teilursachen oder Faktoren und Komponenten. Von „der“ Ursache im prinzipiellen Gegensatz zu anderen notwendigen Bestimmungsfaktoren, wie Verworn bei den modernen Biologen gelesen zu haben glaubt, ist hier also keine Rede. Durch das Wirken der Faktoren wird mit Notwendigkeit das Ergebnis, die Wirkung hervorgebracht. Hierin spricht sich das Wesen der Kausalıtät aus, dem bei solcher Formulierung jedes mystische Moment fehlt. Auch die Konfiguration oder Art der Kombination der Fak- toren ist zu beachten, worunter die Richtung, relative Lage und Größe aller an einem Geschehen beteiligten und in diesen Sinn zurzeit ein System bildenden Faktoren zu verstehen sind. Der entwickelungsmechanische Forscher hat nicht nur die Ge- samtheit der Ursachen, sondern auch das vollständige Ge- schehen zu berücksichtigen, also neben dem wahrnehmbaren auch das zurzeit nichtwahrnehmbare Geschehen. Dann wird er immer den Satz bestätigt finden, dass andere Ursachen stets andere Wir- kungen geben. Eine einzige Stoßkraft einerseits und viele gleich- zeitig wirkende Arten der Kombinationen von zwei oder mehr Stoß- kräften andererseits können zwar einen Billardball in derselben Richtung und derselben Geschwindigkeit bewegen. Aber bei der vollständigen Betrachtungsweise, die eben erwähnt wurde, kann nicht entgehen, dass bei den beiden Arten der Einwirkung die innere molekulare Anordnung des Elfenbeins in anderer, wenn auch un- sichtbarer Weise verändert wird. Gerade solche unsichtbaren inneren Verschiedenheiten von lebenden Teilen sind für die Entwickelungs- mechanik von der größten Bedeutung. Denn beim Entwickelungs- geschehen können unsichtbare Verschiedenheiten, wenn sıe zur Wirkung gelangen, sichtbare Verschiedenheit der Gestalt und Struktur der entwickelten Lebewesen veranlassen. Nur auf Grund dieser Erkenntnis ließ sich z. B. die Frage von Evolution oder Epigenesis erfolgreich diskutieren. Nach dieser Darlegung der kausalen Betrachtungsweise, deren Einzelheiten hier natürlich übergangen werden mussten, schreitet Roux in seiner Erwiderungsschrift zur Erörterung des Bedingungs- begriffes. 138 Verworn, Kausale und konditionale Weltanschauung. Die „Bedingungen“ sınd die Faktoren eines bestimmten Ge- schehens, also eines bereits vorausgedachten Effekts. Als „Ur- sachen“ dagegen bezeichnen wir das direkt ein Geschehen Bewirkende als Bewirkendes ohne jede Rücksicht auf die Art des Ergebnisses. Die vollständigen Bedingungen eines Geschehens werden die vollständigen Ursachen desselben. sobald das Geschehen stattfindet. Die Be- dingungslehre ıst somit gleichsam nur eine chronologische Modi- fikation der Ursachenlehre: sie setzt zuerst ein bestimmtes Ge- schehen und fragt, welche Faktoren (auf rund der Kausalıtät natür- lich) zu ıhm als Bewirkendes nötig sind; die Ursachenlehre setzt die Faktoren und ermittelt, welches Ge schehen sie bewirken. Die Bedingungslehre ıst daher bloß möglich auf Grund der Ursachen- lehre; und sobald sıe ermitteln will, wie das Nötige wirkt, schreitet sie zur Ursachenforschung fort. Diese Bedingungslehre ıst ein alter Besitz der Wissenschaft und besteht neben und durch die Kausalitätslehre. | Neu ist Verworn’s Lehre von der effektiven Aquivalenz der Bedingungen. Ihr widmet daher Roux die gebührende ein- gehende Betrachtung. Dass alle Bedingungen eines Geschehens zu seinem Zustandekommen nötig und insofern gleichmäßig beachtet werden müssen, das wird kaum einem ernsten Naturforscher un- bekannt sein. Neu und überraschend ist aber die Folgerung, dass auf Grund hiervon eine Reihe bisher als sehr wichtig geltender biologischer, resp. entwickelungsmechanischer Probleme hinfällig würden und als Phantome zu betrachten seien, die aus falscher Fragestellung ge- boren wären. Die alte Erkenntnis, dass zu einem bestimmten Geschehen seine sämtlichen Bedingungen nötig sind, erhält ihre richtige Bezeich- nung durch Roux als Satz von der Aequinecessitas factorum. Die unrichtige Bezeichnung „effektive Aquivalenz“ der Faktoren besagt dagegen ıhrer wörtlichen Bedeutung nach, dass die Faktoren eines jeden Geschehens „in ıhrem Wirken gleichwertig“ seien. Mit dieser Benennung wird also unbewusst eine Erweiterung des Satzes von der Aequinecessitas erschlichen. Wer stark kurzsichtig ist, be- darf einer gut ausgewählten Brille zum scharfen Sehen. Zu diesem „bestimmten“ Sehen sind die Augen, das Gehirn, die Blutversorgung beider und die Brille unbedingt nötig. Haben deshalb alle vier Faktoren auch den qualitativen gleichen Anteil an dem scharfen Sehen, sind sie deshalb gleich wertige Faktoren dieses Geschehens? Es besteht im Gegenteil nicht effektive Äquivalenz, sondern Verschiedenartigkeit der Wirkung, also effektive Inäquivalenz der verschiedenen Faktoren in bezug auf ihren qualitativen und eventuell quantitativen Anteil an der Hervorbringung des Effektes. Jeder irgendwie in Qualität, Größe, Richtung, Ort u. s. w. anders beschaffene Faktor eines Geschehens übt eine dieser Verschiedenheit entsprechende andere Wirkung aus und hat einen dementsprechen- den anderen Anteil an dem Geschehen. Das ist der von Roux aufgestellte Satz der Inäquivalenz der Faktoren, der die Grund- Verworn, Kausale und Ronditionale Weltanschauung. 139 lage der entwickelungsmechanischen Forschung bildet. Vom Stand- punkt seines „Konditionismus“ glaubt Verworn der Entwickelungs- imechanık gewichtige Einwendungen machen zu können. Immer und immer wieder werde gegen die fundamentale Wahrheit ver- stoßen, dass Ja, wo Ungleiches entsteht, auch ungleiche Bedingungen sein müssen, und dass da, wo gleiche Bedingungen sind, auch Gleiches resultieren muss. Roux hatte früher dargetan, dass es dem entwickelungsmecha- nischem Forscher nicht gestattet sei, den Satz: „gleiche Ursachen geben gleiche Wirkungen“ wie beim anorganischen Geschehen um- zukehren in „gleiche W irkungen beruhen auf gleichen Ursachen“. Diese Umkehr ıst ja nur erlaubt bei „v nr emsn: Übereinstim- mung dieser Wirkungen; er setzt also für uns die vollkommene Kenntnis der Wirkungen voraus, die wir zurzeit auf organischem Gebiete ın keinem Falle haben. Sıchtbar Gleiches kann in Wirklichkeit sehr verschieden sein. Hierzu kommt, dass alles erste Wirken unsichtbar ist, dass aus dem unwahrnehmbaren ersten Geschehen wahrnehmbares sekundäres Geschehen werden kann. | Daraus erklärt sich der Schein eines Widerspruches gegen die Kausalıtät, die in Wahrheit streng beachtet wird. Die von Roux seinerzeit eingeführten Begriffe der deter- minierenden und realisierenden, nötigen und akzessorischen Ursachen der Differenzierung glaubt Verworn vom Standpunkt des Kon- ditionismus und des Satzes von der effektiven Aquivalenz der Be- dingungen als irreführend beseitigen und damit wichtige Probleme der Entwickelungsmechanik aufheben zu müssen. Eine vollständige Prüfung der Verworn’schen Auffassung würde zu einem Referat über die Grundlagen der Entwickelungs- mechanık führen, das sich nıcht noch kürzer fassen lässt als es Roux in seiner Erwiderungsschrift getan hat. Hier soll daher nur ein Punkt hervorgehoben werden. Sauerstoff, ein gewisser Grad von Wärme und em zur Ent- wickelung erregtes Ei sind die „Bedingungen“ zur Bildung der Morula; Sauer stoff, Wärme und eine lebende Morula sind die Be- dingungen der Gastrula u. s. w. Oder kausal gefasst: Sauerstoff, Wärme und Ei bewirken die Bildung des Embryos. Und zwar nach Verworn als gleichwertige Bedingungen resp. Faktoren. Die entwickelungsmechanischen Experimente haben aber er- geben, dass diese verschiedenen Gruppen von Faktoren einen sehr verschiedenen Anteil an der Qualität des Entwickelungsgeschehens haben. Nur eine Gruppe von Faktoren, nämlich die ım Eı selbst enthaltenen, bestimmen die typische Qual ität der Produkte. Daher wurde diese Gruppe als die der determinierenden Faktoren herausgehoben, was zur wesentlichen Klärung beitrug. Dass die anderen als die bloß dies Bestimmte „realisierenden“ Faktoren „ebenso notwendig“ zum Zustandekommen des Entwicke- lungsgeschehens überhaupt sind, wurde dabei stets betont, nur wurde 740 Tier- und Pflanzenleben der Nordsee. eben erkannt, dass ıhr Einfluss auf die spezifische Qualität des Produktes relativ gering ist. Die alte Streitfrage, ob die Entwickelung aus inneren oder äußeren Ursachen erfolge, ist also doch wohl nicht so unglücklich gewesen, wie Verworn meint. Denn sie hat eine interessante Lösung gefunden, allerdings nicht auf Grund des „Konditionismus*, sondern durch Versuche entwickelungsmechanischer Forscher. Die kausale Forschung muss im Gegensatz zu Verworn’s Lehre alle nur irgendwie verschieden wirkende Arten von Faktoren von- einander zu sondern suchen. Roux’ Ausführungen schließen mit dem zusammenfassenden Urteil, dass die alte Bedingungslehre an sich auf Wahrheit beruht. Sie ist eine Umformulierung der Kausalität. Die neuen Bestand- teile in Verworn’s Konditionismus aber, insbesondere die Lehre von der effektiven Aquivalenz der Bedingungen werden als direkt falsch zurückgewiesen. Oscar Levy, Leipzig. Im Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, Leipzig, erscheint demnächst: Tier- und Pflanzenleben der Nordsee. Nach Aufnahmen von Hofphotograph F. Schensky, Helgoland. Heraus- gegeben von der Kgl. Biolog. Anstalt auf Helgoland. Das Werk ist auf 3 Lieferungen berechnet. Subskriptionen werden von allen Buchhandlungen entgegengenommen. Verlag ‘von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namenregister. A. Abderhalden 105. 304. 391. Abel, ©. 108. Albertus Magnus 279. Allard 117. Ampere 386. Andrae 711. Apathy 45 53. Aristoteles 280. 289. Aronsohn 720. Arrhenius 37. 516. Artom 98. 113. Ascherson 312. Autenrieth 304. B. Bachmetjew 481. Bacon, Franeis 288, Bacon, Roger 290. Baer 364. Baglioni 508. Balfour 370. Ballowitz 267. 273. 490, Bally 97. Balss 508. Bardeleben, v. 361. Bary, de 685. Bateson 117. Bätzner 156. Bauer 449. Baunacke 427. Baur 252. 676. 679. 683. Beard 150. Beckmann 99. Becher 449. Behning 460. Beijerinck 351. Bel, Le 151. Benecke 381. Benedikt 294. Berlese 500, Bernstein, Julius 385. Bernstein, T. 33. Bert, PA 518: Berthold 323. Bertrand 186. Berzelius 154. Bethe 57. 433. 508. 667. Bielschowski 42. Birkner 181. Blaauw 587. Bloch 209. Blochmann 559. Bogdan 9. Bois-Reymond, du 355. Bönner 669. Bonnet 5. Bordage 355. Bordier 720. Börner 237. Böttger 180. Boulenger 15. Boveri 113. Boysen-Jensen 350. Brachet 301. Brady 257. Brandt 361. Braus 90. Brehm 180. 580. Brenner 322, Brodmaun 383. Brönstedt 460. Bros 156. Brown 182. 339. Brun 705. Brun,.E. 17. Brun, R. 17ff. 675. Brushi 186. Buchner, P. 351. 501. 552. Büchner 291. Buddenbrock, v. 431. Burck 4. Burian 99. Büsgen 309. Busse 325. Buttel-Reepen, v. 382. 512. 716. ©. Cajal 50. 60. Car 707. Carazzi 425. Carnegie, Andrew 577. Carrel 305. Child 301. Chodat 32. Christie 252. Cieslar 643. Claparede 658. 659. Clark 434. Cleaves, Margaret 166. Cohen, Ernst 516. Cohnheim 305. Conklin 585. Cornetz 657. Correns 298. 389. 593. Couturat 172. Crocker 345. Czapek 676. Czerniaew 312. D. Daremberg 280. Dareste, Camille 363. Darwin, Charles 2. 38. 141. 382. 393. 512. Darwin, F. 592. Davis 140. Demoll 727. Detto 334. Dewitz 10. Dexler 380. Dieffenbach 459. Dietze 189. Digby 98. 145. 142 Dingler 309. Disse 77. Dobell 381. Dobkiewiez 104, Doflein 109. 508. Dogiel 39. 57. 86. Dohrn 52. Dollo 109. Donceaster 594. Donithorpe 27. Douwe, van 255. Draudt 192. Driesch 300. 596. Drucker 99. Dunker 65. Dunlop 340. E. East, E.M. 1. Ebner, v. 71. Edelstein 304. Edinger 383. Ehrlich 37. 229. Ehrlich, Felix 502. Emery, Carlo 258. 675. Emich 676. Engelmann 81. 334. 587. Engler 694. Enriques 222. Erdl 366. Erhard 494. Erlanger, v. 564. Escherich, K. 577. Escherich, Paul 19. Ettinghausen, v. 322. Euler 676. Ewald, F. 523. Ewart 81. FE. Faber, v. 344. Fabinyi 100. Fabre 719. Fairchild 156. Faussek 194. Fick 391. Fischel 299. Fischer, Emil 150. Fischer, H77351. Fischer, Martin H. 48. 617. Fischer-Benzon 282. Fischler 305. Fitting 325. Fleischmann, J. 150. Flemming 71. Fleure 573. Foa, Anna 236. Fodor 108. Folin 304. Alphabetisches Namenregister. Fonseca, de 237. Forel 26. 39. 673. 711. Foster 156. Fränkel, 244. 305. BranzeV2 37925212: Frisch, v. 474ff. 517. Fühner 304. %. Gaidukow 334. Galvani 386. Gamble 694. Gates 92. 113. Gaupp 377. Gauss 65. Geerts 92. 116. (Gteisenheyner 282. Gerschler 352. Gibbs 386. Giemsa 305. Gildemeister 253. MeGinnis 701. Goebel, v. 4. 329. Goldschmidt 593. Golgi 303. 401. 455. 676. . Graebner 312. Grafe 305. 676. Grassi 236. Grau 252. Gravier 561. Gregory 98. Gros 103. (Gross 559. Gruber, Carl 455. Grüß 341. Guerin 273. Guldberg 378. Gurwitsch 54. Guttenberg, v. 321. H. Haberlandt 335. 592. Hachet-Souplet 658. Hacker 391. Haeckel 291. Haecker 676. Haemmerli 26. Haller, Bela 564. Hallier 244. Hamburger 391. Hansen 56. 77. Hansteen 182. Hargitt 223. Harrington 587. Harrisson 90. Hartmann 77. Haydon 150. Hayek, v. 214. Hayes, H. K. 1. Heer 319. Hegi 243. Heidenhain 56. Heitzmann 38. Held 51. 90. Helmholtz, v. 386. Henschen 590. Herbst 299. 473. Heribert-Nilsson 682. Hermann, L. 386. Henschen 590. Hentschel 644. Herold 634. 635. Herpig 496. Hertwig, OÖ. 44. 371. 452. 53. Hertwig, R. 223. 279. 557. Heß, v. 494. 519. 543. Hesse 109. 724. Heubner 305. Hicks 428. Hildebrand, F. 398. Hildegard, Heilige 279. His: 39. 51. Hoff, van’t ‚37. 151. 651. Hoffa 80. Hoffmann 253. 643. Hofmeister 339. 346. Holderer 342. Holmes 206. 512. 587. 701. Holtermann 313. Hooke 84. Hoorweg 388. Hormuth 512. Herpig 496. Howard, L. ©. Huber 327. Hubrecht 372. Huene, v. 468. Huxley 514. 223. m- - De ı® Ihering 686. Iltis 685 ff. Ishikawa 97. J. Jacobi, H. 579. Jäger 8. 717. Jenner 291. Jennings 223. 227. 615. 650. Jenyns 14, Jochmann 156. Johannsen 227. 329. 390. 678. 682. Jollos 222. Jones, Wood 561. Jordan 390, 732. Jörgensen 460. Jost 328. Juel 97. K. Kaiser 282. Kammerer 242. 696. 697. 698. Kanitz, Aristides 516. Kant 172. 289. 596. Kapterew 351. Kaufmann, Ed. 365. Keeble 98. 694. Keibel 371. 685. Kerner von Marilaun 309. 686. Kinzel 345. Kirchhoff 173. Kjeldahl 304. Klaatsch 381. 512. Klatt 620. 629. Klebs 311. Kleemann 500. Kollar 237. Koller 365. Kölliker, v. 84. 369. Köppen 312. Kornfeld, W. 487. Korschelt 473 559. Krabbe 341. Krall 171. 513. Krasan 319. Krätschmar 459. Krausse 264. Krüger, B. 14. 425. Krumbach 255. Krumbeck 307. Kumagawa 304. Kupelwieser 517. Kurz 606. Küster 299. Kutter 675. 703 ff. L. Laer, van 504. Lafite-Dupont 273. Laguesse 71. Lamarck 603. Lampe 305. Lang 679. Lantermann 40, Lasch 312. Laubmann 512. Lauterborn 457. Lawdowski 38. Leaming 587. Lebedeff 504. Lehmann 345. Leibniz 296. 691. Alphabetisches Namenregister. Leitgeb 694. Lenhossek 46. Lepeschkin 348. Leontowitsch 36. 49 ff. Letsche 304. Levene 305. Lewin 288. Lewis 90 Lidfors 345. Liebig 154. 501. Lilljeborg 352. Linck 473 Lindemann 324. Linden, v. 617. Linne 251. 283. Linz 181. Liwanow 566. Löb, Jacques 581. 606. Lochte 365. Loewe 48. Lohrisch 304. Lubbock, J. 519. 587. 716. Luca, S. de 363. Lutz, Miss 116. M. Maeterlinck 657. Magnus, Werner 309 ff. Maidl 652. Mall 71. Mangold 427. Marceau 273. Marcel 27. Marziaski 559. Mast 581. Mathuse 324. Mauthner 289. Maxwell 298. Mayer 254. Mazur 71. Meisenheimer 629. 630. 635. 638. Meissner 193. Mendel 1. 672. 683. Merck 340. Merejkowsky 518. Merkel, v. 5. 71. Merrifield 617. Metalnikow 193. Metschnikoff 50. Metschnikoff, Elias 168. Meves 71. Meyer, A. 381. Meyer, Anna 564. Meyer, Eduard 564. Meyer, Ernst, H. F. 283. Meyer, Siegmund 69. Michaelis 342. Michaelis, Leonor 304. 421. 583. 594. Miescher 392. Migne 280. Migula 689. 691. Miltz 356. Minkowski 390. Möbius 425. Moeser 29. Mohl, von 309. Mola, Pasquale 208. Molisch 675. Moll 41. Monnier 32. Morawitz 304. Morgan 395. 606. Morgulis 664. Morjachin 42. Moroff 694. Morris 183. 339. Mräzek 658. 700 ff. Müller, C. 114. Müller, Johannes 717. Munk 590. N. Nägeli 348. Nagel 508. Nakao 97. Natorp 178. Natzmer, v. 666. Nave 690. 692. Nemee 592. Nernst 386. Neubauer 304. Niedner 724. Nierenstein 305. Nilssen 247. 642. Nilsson, Heribert 121. Nilsson-Ehle 252. Nosgier 720. Nordhausen 331. Nördlinger 309. Nusbaum 300. ®. Oker-Blom 387. Omeltschenko 89. Oppenheimer 339. Ortner 559. Ostwald 175. 387. Ostwald, Wo. 458. Ottenwälder 345. Oudemans 630. Oxner 300. > Pace, Miss 97. Pallas 209. Papanicolau 352. 456. =) FF wu 144 Parker 587. Pascher 695. Pasteur 155. 169. 505. Pauly 596. Pearse 701. Pearson 65. Pedanius Dioscorides 281. Pelseneer 566. Pergande 258. Peter 33. Petersen 192. Pfeffer 316. 348. Pfeiffer 305. Pflüger 184. 585. Pfungst 173. Pinceussohn 244. Plate 385. 513. 676. Plinius 280. Poe, Edgard Allan 289. Pohl 305. Polimanti 272. Bolle22: Pontoppidan, Erich 251. Poulsson 253. Prantl 694. Pregl 304. Prell 496. Pringsheim, E.G. 48. 243. 304. 59. Pringsheim, Hans 501. Prochnow 500. Przibram 611. 733. Puriewitsch 182. Purkinje 79. R. Rabenhorst 689. 692, Rädl 523. 700. Ramon y Cajal 39. Ranvier 40. 74. 387. Rathke 370. Ratzel 390. Rauber 38. Reh 377. Reichenau, v. 628. Reichensperger 675. Reis 302. Remak 41. 56. 364. Renaut 71. Rhode, E. 42. 54. 67. 87. 304. Richardson 169. Richet 200. Riesenfeld 386: Riggenbach 219. Roberts 156. Robertson 29. Romeis, B. 14. 425. Rona 305. Rösel 497. Rosenberg, OÖ. 114. Rosenstadt 80. Rosenthal, J. 296. 388. Roux 293. 298. 300. 610. 735. Royce 172. Rubner, Max 502 ft. Rudow 657. Ruhland 337 ff. 345. Rüschkamp 668. 672. 675. Russel 172. Ruttner 462. S. Sabussow 575. Sachs 84. Sachse 459. Saint-Hilaire 4ff. Santschi 675. Schäfer, E. A. 579. Schaffer 56. Scharfenberg, v. 456. Schaudinn 557. Scheiben 251. Schelenz 365. Schiff 500. Schitferdecker 74. Schild 500. Schimmel 253. Schimper 320. Schmidt 103. 304. Schmidt, Peter 193. Schmorl 107. Schneider 423. Schneider, Camillo 170. Schopenhauer 176. Schott 475. Schottky 321. Schramm 331. Schreiber 724ff. Schröder 187. Schübeler 246. 639ff. Schultze, M. 59. 71. Schultze, O. 39. 46. 59. Schumm 305. Schwann 40. 5Off. Schwantke 423. Schwendener 685. Secerov, Slavko 473. 595. Sedgwick 39. Selenka 373. Seligo 352. Semon 241. 245. 639ff. Sharp 731. Shull, Franklin 576. Shull, G. H. 4. Slyke, van 305. Smith, Pye 366. Sulger 267. Spalteholtz 42, 71, Alphabetisches Namenregister. Späth 317. Spatzier 344 Spencer 610. Staby 314. Stadler 278. Standfuß 192. 241. 481. 617. Stieda 5. 77. Stoklasa 304. Stomps 115. Stoward 186. Strasburger 93. 115. 304. 394. Stromer v. Reichenbach 306. Studnicka 71. Stuhlmann 559. Sumner 590. Swart 342. ; Szymanski 260. 649. Ar Tahara 97. Targioni 237. Teudt 716 ff. Thierfelder, Hans 153. Thomas Cantimpratensis 279. Thomas, Nesta 131. Timofejew 42. 566. Tischler 97. 113. 145. 343. Tornier 611. Totzauer' 573. Tower 241. Traube 305. Traube, Moritz 501. Tschugunoff 351. Tunmann 676. Tyndall 723. U. Uexküll, v. 294. Uhlenhuth, E. 487. Vv. Vallery-Radot 169. Veit 107. Velden, von den 305. Verworn 205. 428. 709. 735. Viehmeyer 19. Volkens 310. Volta 386. Völter 302. Vouck 305. Vries, Hugo de 47. 92. 115. 682. 683. WW. Wagner 657. Waldeyer 77 ff. Warburg 313. Ward, Marshall 340. Warming 315. Wasmann, E. 264. 278. 667. 668. 670. 672. Wassermann 705. Waugh 345. Weichhardt 107. Weigl 302. Weinhold 100. Weismann 456. 678. Weiss 224. Werner, F. 14. 78. 112. 425. 650. 180. Wesenberg-Lund 4ö6ff. Wettstein 643. Wheeler 675. Alphabetisches Nainenregister. Wieman 115. Wiesner, von 174. 453. . Wille 245. 639ff. Wilson, E. B. 114. 587. Wilson, Malcolm 150. Winterstein 427. 496. Wislicenus 150. Witmaak 59. Wohlgemuth 305. Wohllebe 343. 351. Wolff 596. Woltereck 15. 456 ff. Woodruff, Lorande 34226. Woodward 572. Wright 315. Y. Yakowleff 560. Yerkes 518. 2. Zacharias, Otto 104. Zander 711ff. Zemplen 305. Zimmermann 268. Zunz (Brüssel) 305. Zwaardemaker 717, 238 Z/weibaum 222. (45 Alphabetisches Sachregister. A. Abstammungslehre 379. 512. Acanthaphis spinulosa 237. Acanthochermes quercus 237. Aectinosphaerium eichhorni 162. Aegilops ovata 97. Aeschna cyanea 696. Albertus Magnus 279. Albuca fastıgiata 114. Alchimilla vulgaris 3. Alisma plantago 688. Alligator mississippensis 470. Aloe Hanburyana 114. Ameiurus 14. 2 nebulosus 15. Amoeba 158. Amphioxus 379. Anabaena 686. Anergates 258. Aneura 694. Anneliden 431. Anodonten 451. Anolis 616. Anpassung 644. Antennaria 93. Anthidium 711. Anthoceros 656. 694. Anthophora 711. Anuraea cochlearis 457. Apis 711. Apus produetus 659. Arenicola 434. 449. Argyroneta glauca 688. Arion hortensis 436. Artbegriff 644. Artemisia camphorata 192. EN maritima 190. ; salina 98. Arye ustulata 652. Atavismus 311. Atyrium filie-foemina 93. Autokatalepsie 206. Autokatalytische Formel 32. Azolla 686. B. Balancement des Organes 240. Batrachospermum 685 ff. R moniliforme 689. n vagum 689. 690. 693. Baumspindelmotte 650. Beschornia superba 114. Bestimmung des Geschlechts 593. Bewegung bei Protozoen 707. Bibio 609. Bienen 711. Biochemische Arbeitsmethoden 304. Biologische Anstalt Helgoland 740. Biologisches Grundproblem 598. Biologisches Museum der Universität Dorpat 4. Bipinnaria 50. Blasia 694. Dosmina 455. „ coregoni gibbera 463. > longirostris 463. Botanik, historische Entwickelung 455. Branchipus 659. 700. Brehm’s Tierleben 180, Brun’scher Torfapparat 703. Bryonia 593. L alba 593. = dioica 593. Buche 311. Bulbine annua 114. C. Cacops 111. Caiman latirostris 15. Callophrys 500. > rubi 500. Alphabetisches Sachregister. Calluna vulgaris 1. Camponodus ligniperdus 21. Carausius 104. i morosus 193. Carchesium polypinum 161. Cardamine pratensis 398. 421. Carex acutiformis 688. Carum Carvi 252. Cassia Fistula 343. Catanlacus 259. Ceratium hirundinella 460. Ceriodaphnia 703. Chamaeceras 694. Chaetophora cornu damae 691. Chemische Beeinflussung der Fortpflan- zungskörper 10. Chemorezeption 508. Cercopithecus 313. Chironomus-Arten 252. Chromosome 137. Chondrostoma 268. Chromosomenmechanismus 92. 115. Ciona 395. Cladocera 351. Öladoceren, Temporal- und Lokalvariation 455. COladophora 690. Olaparedeilla 658. Clupea 268. Cobitis 14. Coelenteraten 432. Colacium vesicolosum 69. Coloborhombus fasciatapennis 60). Colopodon 111. Convoluta roscoffensis 694. Cordylophora 160. Ooryphodon 111. Orepis japonica 9. „. teetorum 97. Cremastogaster seutellaris 264. Örenilabrus 483. ” occellatus 485. " roissali 485. Orioceris asparagi 499. Orocodilus nilotieus #70. Ctenophoren 709. Culicoides 255. Cytologische Untersuchungen 594. D. Danaiden 609. Daphnia 455. 703. Be magna 450. En pulex 159. Daphniden, Lichtsinn der 494. Dasyhelea 255. Dauermodifikation 233. Denken in den Naturwissenschaften 288. Desmospondylus 111. Diastase 339. =! — Dieynodon 111. Dilophus 609. Dimetrodon 111. Diploposthe laevis 209. Diplotaena 694. Diprotodon 111. Dixippus 104. Drosera longifolia 93. Druentiata Dietze 192. Dynomische Biochemie 244, E. Echidna 111. Eiablage 620 fff. 6291f. Einheitlichkeit des Organismus 605. Eiche 311. Eledone 273. Energide S4. Enzym 337. 2 oxydasisches 340. Elektrobiologie 385. Entwickelungsmechanik 300. Entwickelungsmechanik der Tiere und Pflanzen 298. Enzystierung 658. Ephemeriden 451. Epiphytismus 680. Epithelbindegewebe 51. Epoecus pergandei 258. Erblichkeitslehre 47. Eristalis 451. Eryops 111. Erytrophore 490. Esox 268. Ethologie 109. Euchirosaurus 111. Eucomis bicolor 114. Eupatorium adenophorum 315. Euphitecien 189. Euphiticia 190. absinthiata 1%. chloerata 1%. extensaria 1%. Er lentiscata 190. Evolution 1. Exosmoseversuche 343. Experimentalzoologie 733. Experimentelle Abänderung von Orga- nismen 10. Experimentelle Untersuchungen über Ver- erbung 593. ” ” F. Fagus silvatica 311. Farbenwechselfragen 473. Fimbraria fasciolaris 209. Fitzroya lineata 14. Flexibilitas cerea 200. Flimmerzellen 608. 148 Flora und Fauna der Strandtümpel 254. Foaiella Danesiüi 237. Formica exsecta 22. a fusca 22. 668. 703. 705. 5 pratensis 22. 668. 672 £f. Br rufa 18. 668. 703. 705. en sanguinea 18. 668. 672ff. Fressgesellschaft bei den Afterraupen von Arye ustulata 652. Funktionale Betrachtungsweise 644. Funktionsbegriff 647. G. Gallecolae 238. 5 direkte 239. Galtonia candicans 114. Garneele 508. Gärung, alkoholische 501. Gehäuseschnecken 446. Geotaxis, typische positive 434. Gerstenkeimung 181. Geschlechtszellen 302. Geschwülste 86. Gespinst der Raupe der Baumspindel- motte 650. Gewebe 82. Giftfestigkeit 231. Glyptotendipes 255. Gruppenweise Artbildung 683. Haemanthus 114. Hatteria 373. Harpacticus pulvus 256. Helikoidale Apparate 60. Helix hortensis 441. » pomatia 441. Helotismus 686. Hemmungsstoffe 394. Herold’sches Organ 634. Hesperia 191. Hesperornis 111. Heterozygose 1. Hevea Brasiliensis 327. Hieracium 191. ; excellens 93. » flagellare 93. Hildegard von Bingen 278. Holothurien 434. Hyacinthus orientalis 114. Hyalodaphnia eucullata 457. Hydra 612. uscoelsze Hylostoma rosarum 657. Hylotoma ustulata 652. Hymenolepis 208. “ lanceolata 209. > riggenbachi 215. E rosenthali 209. Alphabetisches Sachregister. Hyponomeuta evonymella 650. Hymenoptera aculeata 259. Hypsilophodon 111. I. Ichthyosaurus 111. Individualstoffe 389, Infusorien 222. Insektenlarven 451. Instinkt 260. 649. Invertase 340. Janthina 432. K. Kallium parelecta 609 Kempthaler Ameisengebiet 17. Kartonnestbauende Ameise 264. Kastraten 629. Katalepsie der Phasmiden 193. Kausalharmonie 599. Kiementransplantationen 487. Knochenfische 267. Kolloide, zelleigene 337. Kolonie, dreifach gemischte 688ff. Konvergente Anpassung 645. Kopulation 620ft. 629 ff. Krokodile, Extremitätenbewegung 468. L. Lasius fuliginosus 26. 666. Lastrea pseudo-mas 93. Lemna minor 688. „» trisulca 688. Lepidosteus 379. Lepismina polygoda 266. Leporinus melanopleura 16. Leptinotarsa 616. ” decemlineata 616. 7 immaculothorax 616. s, pallida 616. > signatrcollis 115. Leptodora Kindtiü 351. Leptosporium myrmecophilum 264. Libellen 727. Lilwum bulbiferum 398. Limax agrestis 436. Limnea 611. » palustris 688. 691. n stagnalis 688. Listera ovata 114. Lininstoffe 391. 421. Liometopum microcephalum 264. Loligo 273. Lolium temulentum 685. Alphabetisches Sachregister. 749 Lasius emarginatus 264. „ flavus myops 265. » Fuliginosus 264. „unagen) 265. Lumbrieulus variegatus 659. 660. 664. Lutra paranensis 15. Lysimachia mummularis 688. Lythrum salicaria 688. M. Mechanische Auffassung vom Leben 581. Melandrium 593. Mel’certa ringens 161. Melilotus offieinalis 713. Membrantheorie 386. Mendel’sche Spaltung 677 ff. Mentha aquatica 688. Merkmalbegriffe 644. 646. Messor strnetor 265. Metapone 259. Mikrochemie der Pflanze 675. Mikrokryoskopische Versuche 99. Mineralischer Gehalt der Pflanzen 32. Misgurnus 14. Mneme 247. Monomorium minutum minimum 258. Moritziella corticalis 237. Musa sapientum 97. Mugil auratus 425. 65 eapito 425. „ cephalus 425. », „chelo: 426 ; saliens 426. Mullus barbatus 490. .; surmuletus 490. Muskelspindeln 59. Mutation 47, 229, Mutualismus 688. Mycale 648. Mwugnimia aviculus 609. Mykorrhiza 685. Mylodon 111. Myrmica rubida 28. 3 rubra 28. N. Nährgelatine 724. Nais proboscidea 161. Nemachilus barbatula 473. Neobalaena 111. Neotommata Werneckii 596. Nepa cinerea 435. Nephrodium molle 93. Nepiden 429. Nephritis 48. Nervenzelle 46. Nervenspindeln 59. Nervöse Grau 57. Nesodon 111. XXXII. Neurit 53. Neuron 49. Neurosynecellium 66. Normales Wachstum des Individuums 29, Nostoc 685. 695. „. sphaericum 697, Nyeticorax 16. ®. Octopus vulgaris 273. Oedogonium undulatum 696. Oenothera biennis 47. 115. 684. % brevistylis 683. 35 erueiata 115. „ Gigas 48. 92. 115ff. 683. > grandıflora 47. > Lamarckiana 48. 92. 115. 55 latı 115 683. 35 marckiana 47. muricata 115. 684. s nanella 48. 683. cr oblonga 684. & rubricalyx 143. 3 rubrinervis 115. 683. 55 scintillans 684. x semigigas 115. Organisation, chemische 337. Oxmia 711. Osteolamus tetraspis 469. Oudenodon 111. r. Paläobiologie der Wirbeltiere 108. Paläozoologie 306. Plasma 346. Papilioniden 609. Pulaeospondylus 111. Parabiose 686. Paramaecium aurelia 34. ” caudatum 223. Paratilapia 14. Parthenophylloxera ilieis 237. Pecten 431. Pellia 694. Penieillium 184. Petunia nycetaginiflora 397. e violacea 397. Pferde, rechnende 423. Pflanzenzüchtung 1. Phascum cuspidatum 97. Pheidole pallidula 265. Phototaxis 702. Phylliium 609. Phylloxerella confusa 237. Phylloxeroides italieum 237. Phylloxeras querceus 237. Phylloxerinae 236. Physica der Hildegard von Bingen 279. a de avibus 282. 4) 50 Alphabetisches Sachregister. Physica de elementis 282. “ de lapidibus 282. 5 de metallis 282. 5; de piscibus 282. > de plantis 282. de reptilibus 282. Pigmentströmung 267. 490. Pimpinella saxıfraga 190. Pisidium 688. Pistacia lentiscus 190. Plagiolepis pigmaea 265. Planaria lactea 161. Planorbis 685 ff. Plasmodium 44. Primula floribunda 98. kewensis 98. Be kewensis farinosa 98. 5 sinensis 98. a verticillata 98. Prisomera amaurops 104. Probierbewegungen 650. Protozoen 707. Prosobranchier 441. Prunus spinosa 190. Pterochroa 609. Polyergus rufescens 26. Ptilodus 112. Ptuchoptera 451. Pulmonaten 449. ®. Quercus pedunculata 311. 5 sessiliflora 321. R. Raja clavata 81. Fr batisasl. Ranunculus repens 688. Raumparasitismus 686. Reseda odorata 395. Rechnende Pferde 170. 379. 423. 512. Rechtsdrehendes Albumin 150. Rechts- und Linkshändigkeit 361. Regulation der Organismen 595. 2 biologische 611. 7 endogene 611. % exogene 611. 5 formative 611. “ heterodrome exogene 616. homeodrome exogene 616. Remak’sche Netz 56. Rhamphorhynchus 111. Rhamnus infectoria 340. Riecia 694. Rhinodoras 15. Richtungsorgane 462. Riechstoffe 422. Riesenwuchs bei Oenothera 140. Rivulus 16. Rivulus elegans 16. „ Hart« 16. r ocellatus 16. > santensis 16. tenius 16. Rosa 191. Rumex obtusifolius 688. Ss. Sacculina fraissei 615. Salamandra maculosa 487. Salamanderlarven 487. Salix amygdalina 688. Saprolegnia 691. Satureia 593. Sauteria 694. Saxifraga granulata 97. sponhemica 97. Scapholeberis 703. Scapholeberis mucronata 460. Schlafstellung bei Süßwasserfischen 14. der Fische 425. Schleimdrüsen 660. Schreckstellung 195. Schutzfermente 105. Schutzwirkung 106. Schwammspinner 620. 629. Schwann’sche Kerne 59. Schwimmbewegungen von Branchipus 700ff. Schwimmplättehen der Otenophoren 709. Scutellum 181. Scytonema 688. Selbststerilität 389. Selektion OR Sepia 27 a 16. Sesia crabroniformis 609. Simocephalus 494. 703. Sohidago virgaurea 190. Somatische Zellen 302. Soziale Instinkte 649. 666. Sparganium racemosum 688. Spezifische Stoffe Johannsen’s 391. Sphagnum acutifolium 694. Spirogyra 133. Sprichthus 191. Stabheuschrecke 104. Statice armeria 19%. Statische Reflexe bei Mollusken 427. Statisches Sinnesorgan 428. Statocystenfunktion 427. 449. Stenorhynchus 615. Stentor coelureus 163. Stereomyrmex 259. Stratiomys 451. Succias pratensis 191. Süßwasseroligochaeten 658. Symbiose 685 ff. Symplasttheorie 83. Alphabetisches Sachregister. ‘51 Syncellientheorie 44. VE Syneitium 44. ee SE Soli Leben des 36. 49. 67. Variabilität, lokalisierte 468. Synoekie 686. Varianten, Blasto- 467. Syncelloplasma 53. un elus- 7467. Siyndontis 14. Vaucheria 690. 696. Synaptiden 431. 449. Vegetationsdauer von Getreide 640. Synzelle 45. 50. Veränderung der Pflanzen 245. Systematik, biologische 644. Vererbungslehre 676. Vererbung 593. q ” erworbener Eigenschaften 241. £ Vespa erabro 609. Tabaniden 451. Viola tricolor 3. Taraxacum officinale 390. Taenia obvelata 209. WW. Tapinoma 28. Teleologisches Problem 604. Wasseruntersuchung 724. Tetramorium 258. Würmer 432. n caespitum 260. Teucerium Scordıum 688. x. Tetraploide Mutanten 92. 113. De 500. ae 23 Xenarthra 111. Theobroma Cacao 327. Y Thomas Cantim pratensis 279. Tier- und Pflanzenleben der Nordsee 740. Yueca aloifolia 114. Tierpsychologie 423. » Draconis 114. Tierverstand 170. 379. 423. 512. 5 guatemalensis 114. Tigriopus adriatica 256. „= Fulvus 256. zZ u, Lilljeborgi 256. £ Tipula 451. Zweckmäßigkeit 605. Totenstarre der Cephalopoden 272. N äußere 605. Trematops 111. 5 des Lebens 595. Trichodina 158. 5 die Art erhaltende 605. Triticum dieoccoides 97. ns funktionelle 605. N vulgare 9%. 5 reflektive 605. Trysalis 608. * strukturelle 605. Typha angustifolia 688. Zygaena 191. Zysten der Olaparedeilla 660#. U: Zea Mays 181. Zelle 82. 337. Umfärbungsphänomen 104. Zelluläre Struktur 49. Unionen 451. Zephyrus quereus 496. 49* rim) i ’ En} Pa B ‚ Kiki . w BE. - IK j E N . N. Re, EL e Ferhin N; ; 1 . ar ei Yon N 2 x ca 7 BR" Ai i N N « A, ahre A v7 RER % \ et s r RR ; a Bo N. 4 i SET RER SEEN 3 A De De HN Be RR M RUN ar Inn SR r R} 2 en f N dal r a7 7; u nz a ee a u g r u z # An iR“ 6 if N; Na N ” 3% ie h 1er Eu j TOR: u Na Gh, a UND N I fr \ DRTERRENE 3 NA NAT AP NET Me N 1% 1y Ru EÄHRUR HARTE iR | “ Kann. Bi N IR N erlin: N BL/WHOI LIBRARY 2060